Plenarprotokoll 15/124

Deutscher

Stenografischer Bericht

124. Sitzung

Berlin, Freitag, den 10. September 2004

Inhalt:

Gedenkworte zum 15. Jahrestag der Öffnung Einzelplan 30 des Eisernen Vorhangs in Ungarn ...... 11321 A Bundesministerium für Bildung und Forschung Wahl des Abgeordneten als or- Edelgard Bulmahn, Bundesministerin dentliches Mitglied im Parlamentarischen BMBF ...... 11322 A Beirat ...... 11321 C (CDU/CSU) ...... 11325 C Entsendung des Abgeordneten Clemens Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ Binninger als stellvertretendes Mitglied im DIE GRÜNEN) ...... 11328 B Gemeinsamen Ausschuss gemäß Art. 53 des Ulrike Flach (FDP) ...... 11330 A Grundgesetzes ...... 11321 C Andrea Wicklein (SPD) ...... 11332 D Entsendung des Abgeordneten Ralf Göbel als Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) ...... 11335 B stellvertretendes Mitglied im Kuratorium der Stiftung „Haus der Geschichte der Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/ Bundesrepublik Deutschland“ ...... 11321 C DIE GRÜNEN) ...... 11338 C Marion Seib (CDU/CSU) ...... 11340 C Entsendung des Abgeordneten Michael Grosse-Brömer als stellvertretendes Mitglied Dr. (SPD) ...... 11342 C in der Gemeinsamen Kommission von Bun- (CDU/CSU) ...... 11344 D destag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung ...... 11321 D Jörg Tauss (SPD) ...... 11347 B Dr. Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- (CDU/CSU) ...... 11348 A neten Franziska Eichstädt-Bohlig ...... 11360 C

Schlussrunde: Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung): Haushaltsgesetz 2005 a) Erste Beratung des von der Bundesregie- , Bundesminister BMF ...... 11350 C rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über die Feststellung des Bundes- Karl-Josef Laumann (CDU/CSU) ...... 11354 B haushaltsplans für das Haushaltsjahr Hans Eichel (SPD) ...... 11355 B 2005 (Haushaltsgesetz 2005) (Drucksache 15/3660) ...... 11321 D Franz Müntefering (SPD) ...... 11357 A b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 11358 A Finanzplan des Bundes 2004 bis 2008 (Drucksache 15/3661) ...... 11321 D Jürgen Koppelin (FDP) ...... 11359 A II Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004

Dr. (FDP) ...... 11360 C deutschen Volkswirtschaft (Drucksache 15/3118) ...... 11371 D (CDU/CSU) ...... 11362 B , Bundesminister Elke Ferner (SPD) ...... 11364 D BMWA ...... 11372 A (FDP) ...... 11366 B Rainer Brüderle (FDP) ...... 11374 A Helmut Rauber (CDU/CSU) ...... 11367 D (Berlin) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 11375 C (CDU/CSU) ...... 11369 B Ernst Hinsken (CDU/CSU) ...... 11376 C (SPD) ...... Tagesordnungspunkt 10: 11379 C a) Erste Beratung des von der Bundesregie- Nächste Sitzung ...... 11381 C rung eingebrachten Entwurfs eines Sieb- ten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen Anlage 1 (Drucksache 15/3640) ...... 11371 D Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 11383 A b) Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, , Helga Daub, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Anlage 2 der FDP: Für eine Wiederherstellung der Wettbewerbsordnung in Teilen der Amtliche Mitteilungen ...... 11383 C Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004 11321

(A) (C) Redetext

124. Sitzung

Berlin, Freitag, den 10. September 2004

Beginn: 9.00 Uhr

Vizepräsident Dr. : Aufgrund des Mandatsverzichts der Kollegin Tanja Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Gönner sind in einigen Gremien Nachbesetzungen Sitzung ist eröffnet. vorzunehmen. Die Fraktion der CDU/CSU schlägt für die Nachfolge im Parlamentarischen Beirat für nach- Heute vor 15 Jahren, am 10. September 1989, gab der haltige Entwicklung den Kollegen Helge Braun als ungarische Außenminister den Beschluss seiner Regie- ordentliches Mitglied vor, im Gemeinsamen Ausschuss rung bekannt, dass ab Mitternacht DDR-Bürger mit ih- gemäß Art. 53 a des Grundgesetzes den Kollegen ren Pässen, Personalausweisen oder Rot-Kreuz-Papieren als stellvertretendes Mitglied, im die Volksrepublik Ungarn in ein Drittland verlassen kön- Kuratorium der Stiftung „Haus der Geschichte der Bun- nen, das bereit ist, sie aufzunehmen. Diese Entscheidung desrepublik Deutschland“ den Kollegen Ralf Göbel als der ungarischen Regierung öffnete den Tausenden von stellvertretendes Mitglied und in der Gemeinsamen Bürgerinnen und Bürgern der DDR, die in den vorange- Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Moder- gangenen Wochen in Ungarn Zuflucht gesucht hatten, nisierung der bundesstaatlichen Ordnung den Kollegen (B) den Weg in die Freiheit. Bis Ende September hatten be- (D) Michael Grosse-Brömer als stellvertretendes Mitglied. reits über 32 000 Personen die Grenze überschritten. Sind Sie mit diesen Vorschlägen einverstanden? – Das Der mutige Schritt der ungarischen Regierung stellte ist der Fall. Dann sind die genannten Kollegen wie vor- den vorläufigen Höhepunkt einer Entwicklung dar, die gesehen in die jeweiligen Gremien gewählt bzw. ent- sich immer schneller vollzog und die uns alle den ge- sandt. schichtlichen Wandel förmlich spüren ließ. Ob der Be- ginn des Abbaus des Eisernen Vorhangs an der öster- Wir setzen jetzt die Haushaltsberatungen – Tagesord- reichisch-ungarischen Grenze am 2. Mai 1989, das nungspunkt 1 – fort: Durchschneiden der Grenzanlagen durch Außenminister Gyula Horn und seinen österreichischen Kollegen Alois a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Mock am 27. Juni 1989, das Paneuropäische Picknick in gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Sopron am 19. August 1989 – all diese Ereignisse mar- Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das kierten den unfassbaren Aufbruch, der Europa ergriff Haushaltsjahr 2005 und der am Ende des Jahres 1989 der Teilung unseres Landes durch Beton, Stacheldraht und Todesstreifen ein (Haushaltsgesetz 2005) Ende bereitet hatte. – Drucksache 15/3660 – In der Folge dieser Ereignisse, die das ungarische Überweisungsvorschlag: Volk und seine Regierung durch ihren Mut und ihre Ent- Haushaltsausschuss schlossenheit ermöglicht und beschleunigt haben, ist auch Europa zusammengewachsen. Seit dem 1. Mai b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- 2004 ist Ungarn selbst Mitglied der Europäischen Union regierung und wir gestalten gemeinsam ein demokratisches Europa. Finanzplan des Bundes 2004 bis 2008 Ungarn hat eine Werbekampagne aus Anlass des – Drucksache 15/3661 – 15. Jahrestages der Öffnung des Eisernen Vorhangs unter Überweisungsvorschlag: das Motto gestellt: Heute so wie damals – eine grenzen- Haushaltsausschuss lose Freundschaft. Diesem Motto schließen wir uns gerne an. Ich erinnere daran, dass wir am Dienstag für die heu- tige Aussprache zum Bundeshaushalt dreieinhalb Stun- (Beifall) den beschlossen haben. 11322 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C) ministeriums für Bildung, Forschung und Technikfol- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) genabschätzung. und neuen Weichenstellungen hin zu Investitionen in die Als erste Rednerin hat die Bundesministerin Edelgard Zukunft. Wenn am Sonntag die Bedeutung von Investi- Bulmahn das Wort. tionen in die Köpfe betont und gefordert wird, am Montag aber gesagt wird, nein, wir investieren in Beton, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dann ist das nicht glaubwürdig. So können wir die Men- DIE GRÜNEN) schen nicht für die Zukunft gewinnen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung DIE GRÜNEN – [CDU/ und Forschung: CSU]: Man kann auch eine bessere Wirt- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten schaftspolitik machen!) Herren und Damen! Die Natur macht es uns vor: Der Wandel und die Fähigkeit, sich zu verändern, sind die Unser Vorschlag, woher zusätzliches Geld, auch für Grundbedingungen aller Existenz. Deshalb sind Fort- die Länder und Kommunen, kommen soll, liegt auf dem schritt und Innovation die Garanten für eine lebenswerte Tisch. Wir wollen die Eigenheimzulage abschaffen und Zukunft. Für unser Land und unsere Gesellschaft darf die frei werdenden Mittel – das sind immerhin 6 bis nichts anderes gelten. Der veränderte Altersaufbau unse- 7 Milliarden Euro – in Bildung und Forschung, in Inno- rer Gesellschaft und der sich verschärfende internatio- vation, also in unsere Zukunft, investieren. nale Wettbewerb stellen uns vor grundlegend neue He- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ rausforderungen. DIE GRÜNEN) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Eine gute Re- Die Länder können mit diesem Geld endlich die Lehrer gierung braucht man auch! – Gegenruf des und Hochschullehrer einstellen, die wir an unseren Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Schulen und Hochschulen so dringend brauchen. Kampeter macht schon gleich den angemesse- nen Auftakt!) (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Meinen Sie jetzt Juniorprofessoren?) Die wirksamste Antwort, die wir darauf geben kön- nen, sind Investitionen in Bildung und Forschung. Das, Deshalb, meine Herren und Damen von der Union, Herr Kampeter, wird sicherlich auch der Opposition nüt- denken Sie um! Geben Sie Ihre bisherige Blockade- zen. Bildung ist der Schlüssel zu Teilhabe und Beschäfti- haltung auf und sagen Sie Ja zu Investitionen in die Zu- (B) gung, kunft! (D) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) Unser Kopf ist rund, damit unser Denken die Richtung zu wirtschaftlichem Wachstum und Spitzenforschung. wechseln kann. Nutzen Sie diese Chance! Durch Forschung entstehen Ideen für neue Produkte, Konzepte für bessere Verfahren und innovative Dienst- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ leistungen. Beides zusammen schafft die Grundlage für DIE GRÜNEN – Klaus-Peter Willsch [CDU/ Wohlstand, wirtschaftliches Wachstum und die Arbeits- CSU]: In welchem Kalender haben Sie den plätze von morgen und damit auch die Sicherheit und die Spruch denn gefunden?) Zukunftschancen, die die Menschen benötigen. Für Bildung und Forschung werden im BMBF im Aus diesem Grund hat die Bundesregierung mit der kommenden Jahr insgesamt 10 Milliarden Euro zur Ver- Agenda 2010 längst fällige Reformen in Angriff genom- fügung stehen. Im Einzelnen sind das: men, Reformen, die spätestens in den 80er-Jahren hätten 8,464 Milliarden Euro im Etat des BMBF, im Einzel- in Angriff genommen werden müssen, vor denen Sie plan 30, 1 Milliarde Euro für das Ganztagsschulpro- sich aber gescheut haben. gramm der Bundesregierung und 445 Millionen Euro für BAföG-Darlehen, also für die Studienfinanzierung. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Wir werden damit im Haushalt 2005 die Ausgaben für DIE GRÜNEN – Ulrike Flach [FDP]: Und Bildung und Forschung gegenüber 1998 um rund was war Anfang der 80er-Jahre, Frau 36,4 Prozent erhöhen. Das ist eine klare Trendumkehr Bulmahn? Vielleicht sogar Ende der 70er! – gegenüber den Jahren der Kürzungen unter der Kohl-Re- Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Nostalgische gierung. Betrachtungen zur Zukunftspolitik!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Wir haben sie in Angriff genommen, weil wir davon DIE GRÜNEN) überzeugt sind, dass wir jetzt handeln müssen, um inno- vativer und international wettbewerbsfähiger zu werden. Zwischen 1992 und 1998 wurden rund 670 Millionen Euro aus diesem Zukunftsbereich herausgestrichen. Sie, Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, setzt meine Damen und Herren von der Opposition, haben da- aber voraus, dass es uns allen ernst ist mit der Kürzung mals durch diese massiven Mittelkürzungen und auch von Subventionen der Vergangenheit durch den absoluten Stillstand bei notwenigen Refor- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004 11323

Bundesministerin Edelgard Bulmahn (A) men, zum Beispiel im Bildungsbereich, einen gewalti- Ich bin davon überzeugt, dass wir gute Chancen ha- (C) gen Rückstand verursacht, den wir heute teilweise noch ben, unsere Universitäten durch diesen Wettbewerb so immer spüren. zu stärken und zu positionieren, dass sie weltweites Re- nommee besitzen und als Orte gelten, an denen hervorra- (Ulrike Flach [FDP]: Wir haben jetzt wieder gend gelehrt und hervorragend geforscht wird. den Schuldenstand der deutschen Einheit, Frau Bulmahn!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Wir bekennen uns klar zu mehr Investitionen in Bildung und Forschung. Wir werden dabei auch neue Wege ein- Von uns aus kann es losgehen. schlagen. (Lachen bei der CDU/CSU – Klaus-Peter Zu einer guten Innovationspolitik gehören auf der ei- Willsch [CDU/CSU]: Nach sechs Jahren wird nen Seite die finanziellen Investitionen. Dazu haben wir es auch Zeit!) einen Vorschlag auf den Tisch gelegt. Auf der anderen Ich frage Sie, meine sehr geehrten Herren und Damen Seite gehört dazu auch die Schaffung neuer, zeitgerech- von der CDU – ich sage ganz bewusst: von der CDU –: ter Strukturen. Die Innovationsinitiative, die wir An- Wollen Sie den Hochschulen tatsächlich diese Chance fang des Jahres gestartet haben, beinhaltet drei Kern- rauben, nur weil einige Ihrer Ministerpräsidenten Partei- punkte. Ich will sie hier nennen. taktik an die erste Stelle setzen? Erster Punkt. Ich bin davon überzeugt, dass die Hoch- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schulen unseres Landes, die eine so wichtige Schlüssel- DIE GRÜNEN) rolle für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes spielen, weiter gestärkt werden müssen, Die Mittel für den Wettbewerb – das will ich hier noch einmal ausdrücklich betonen – werden den Hoch- (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das ist ja über- schulen zusätzlich zur Verfügung gestellt. raschend! – Gegenruf des Abg. Jörg Tauss (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Vorher haben [SPD]: Ach, ist auch der Rachel wach? Guten Sie an den Hochschulen gekürzt!) Morgen, Herr Rachel!) Das heißt zugleich, dass wir die Breitenförderung der wenn wir im Wettbewerb um die besten Köpfe sowie um Hochschulen so fortsetzen wie in den vergangenen Jah- exzellente Forschungsergebnisse und innovative Pro- ren und in diesem Jahr. Wir fördern den Hochschulbau dukte international konkurrenzfähig bleiben wollen. Da- weiterhin jährlich mit 925 Millionen Euro. Das ist im für ist in den vergangenen Jahren bereits eine ganze (B) Übrigen immer noch deutlich mehr als das, was Sie in (D) Menge geschehen und in Bewegung gesetzt worden. den 90er-Jahren in den Hochschulbau investiert haben. Stichworte sind beispielsweise: das neue Besoldungsge- setz – es sieht eine leistungsgerechte Bezahlung von Pro- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Klaus- fessoren vor; endlich gehen die Länder daran, dieses Peter Willsch [CDU/CSU]: Vor zwei Jahren Gesetz umzusetzen –, die Bachelor- und Masterstudien- haben Sie die Mittel aber abgeschmolzen!) gänge, die Einführung der Juniorprofessur wie auch die Um es ganz klar zu sagen: Sie haben damals wirklich Programme zur Nachwuchsförderung, die wir gemein- massiv gekürzt. Wir investieren mehr. Wir werden das sam mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft auf den auch fortsetzen. Weg gebracht haben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Zuruf der Abg. Katherina Reiche [CDU/ DIE GRÜNEN) CSU]) Insgesamt stehen im kommenden Jahr rund Die Juniorprofessur ist ein international akzeptierter 3,27 Milliarden Euro für den Hochschulbereich zur Ver- Karriereweg. Frau Reiche, im Übrigen haben die Wis- fügung. Das sind 23 Prozent mehr als noch 1998. Ich senschaftsminister aller Länder gesagt, dass sie diesen sage ausdrücklich: Wenn in den Jahren vorher eine ver- Karriereweg für wichtig und notwendig erachten. gleichbare Steigerungsrate erreicht worden wäre, wenn (Beifall bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Das alle Länder im gleichen Umfang ihre Investitionen für hat Frau Reiche nicht begriffen!) die Hochschulen erhöht hätten, dann stünden wir deutlich besser da. Die Bundesregierung hat hier ein klares Signal Nach diesen wichtigen Strukturveränderungen und gesetzt und die Hochschulen gestärkt. Aber auch von an- Erneuerungen, die wir im Hochschulbereich umgesetzt derer Seite muss es entsprechende Aktivitäten geben. haben, muss es jetzt auch darum gehen, das Profil unse- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hans-Josef rer Hochschulen so zu schärfen, dass sie weltweit er- Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) kennbar sind und als Spitzenhochschulen eine wichtige Rolle spielen. Gerade weil wir unser Licht nicht unter Die Wissenschaft – damit komme ich zu meinem den Scheffel zu stellen brauchen, gerade weil wir ein zweiten Punkt – bewegt sich in mehrjährigen Zyklen und sehr leistungsfähiges Wissenschaftssystem haben, müs- braucht langfristige Perspektiven. Wir haben deshalb sen wir unsere Anstrengungen erhöhen. Denn auch un- den großen außeruniversitären Forschungs- und Förder- sere Nachbarn tun dies. Daher brauchen wir in unserem organisationen einen Pakt für Forschung und Innova- Land forschungsstarke Spitzenuniversitäten. tionen angeboten. Sie erhalten Planungssicherheit und 11324 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004

Bundesministerin Edelgard Bulmahn (A) bis 2010 von Bund und Ländern einen jährlichen Mittel- Ich will ein zweites Beispiel nennen: die Nano- (C) zuwachs von mindestens 3 Prozent. Das entspricht ei- technologie. Das Ministerium für Bildung und For- nem Plus von rund 100 Millionen Euro pro Jahr. schung hat die Mittel für die Projektförderung in diesem Bereich seit 2002 auf rund 123 Millionen Euro im Jahre Gleichzeitig brauchen wir aber auch eine Stärkung 2005 fast verdoppelt. Unsere Förderung hat ganz ent- des Wettbewerbs innerhalb der Forschungsorganisatio- scheidend dazu beigetragen, dass wir in den volkswirt- nen und auch untereinander sowie eine stärkere Vernet- schaftlich wichtigen Branchen nach wie vor sehr gut zung zwischen Universitäten, Hochschulen und außer- sind. Ganz konkret hat sie dazu beigetragen, dass sich universitärer Forschung. Wir brauchen eine noch bessere der Raum Dresden inzwischen zu dem europäischen Nachwuchsförderung und mehr Mut, auch risikoreiche Elektronikstandort entwickelt hat. Durch unsere offen- Forschungsansätze gezielt zu verfolgen. Denn wir brau- sive, massive Forschungsförderung sind dort in den letz- chen nicht nur mehr Geld für Forschung, sondern auch ten Jahren direkt und indirekt rund 20 000 Arbeitsplätze mehr Forschung und Qualität für das Geld. entstanden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten DIE GRÜNEN) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb – das ist der dritte Punkt – setzen wir klare Es geht uns bei der Forschungsförderung aber auch Schwerpunkte in der Projektförderung, zum Beispiel in darum, unsere Zukunft lebenswert zu gestalten; ich habe der Gesundheitsforschung, bei der Nanotechnologie oder am Anfang meiner Rede darauf hingewiesen. Deshalb bei den Kommunikations- und Informationstechnolo- haben wir zum Beispiel das Rahmenprogramm „For- gien. Unser Grundsatz heißt: Weg vom Prinzip Gieß- schung für Nachhaltigkeit“ auf den Weg gebracht. Wir kanne! Gefördert wird, was Exzellenz und Arbeit werden dort in den nächsten fünf Jahren rund schafft. Wir wollen die Technologieführerschaften aus- 800 Millionen Euro in Konzepte und Technologien in- bauen und neue Wachstumsfelder erschließen, die wir in vestieren, die wirtschaftlich und sozial verträglich sind unserer Wirtschaft brauchen, und dabei den Hebel ganz und die die Umwelt schonen. Wir sind schon heute welt- gezielt bei den kleinen und mittleren Unternehmen an- weit mit einem Anteil von 16 Prozent der zweitgrößte setzen. Die Basis dafür haben wir im Übrigen in den ver- Exporteur auf dem internationalen Umweltschutzmarkt. gangenen Jahren gelegt. Wir haben seit 1998 die Projekt- Diese Position wollen wir stärken und ausbauen. förderung um 35 Prozent gesteigert. Das lässt sich sehen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Diese offensive Politik, diese Politik für Bildung und (B) Forschung zeigt Wirkung. Unser Land ist leistungsfähig. Innovationen sind das A und O des Aufbaus Ost. Wir (D) haben mit dem Programm „Unternehmen Region“ eine (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das stimmt! eigene Förderstrategie für Ostdeutschland entwickelt, Nur die Regierung nicht!) die von den Wirtschaftsweisen, dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und sogar von einigen Kolle- Wir können in unserem Land eine ganze Menge. Wir gen aus der Opposition für richtig und erfolgreich befun- sollten das Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit den wird. Wachstumskerne stärken, diesen Weg verfol- nicht schlechtreden und nicht zerstören lassen. gen wir seit fünf Jahren mit zunehmendem Erfolg. Für (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten diese Förderung stellt das Bundesministerium pro Jahr des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) rund 98 Millionen Euro zur Verfügung. Über den Zeit- raum von 1999 bis 2007 sind das insgesamt mehr als Ganz im Gegenteil: Wir setzen an den Stärken an, die 550 Millionen Euro. Das bedeutet also eine Verdoppe- wir haben. Wir fördern unsere Stärken und werden da- lung im Vergleich zum ursprünglich geplanten Ansatz. durch immer besser. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich will ein Beispiel nennen: den Automobilbau. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: 30 000 bei Ostdeutschland ist uns eine ganze Menge wert. Wir er- VW!) reichen mit diesen Investitionen auch etwas, wie sich im- mer wieder zeigt. Die deutschen Automobilunternehmen sind nach wie vor die Besten in der Welt. Wer hier nur von einer traditio- Deutschlands Reichtum sind seine Menschen. Ihre nellen Branche spricht, vergisst, dass die Autos von Kompetenz, ihr Wissen und ihr Einsatz sind unser Kapi- heute technologische Spitzenprodukte sind. Auf dieser tal. Innovation und Fortschritt sind nur mit gut ausgebil- Erfolgsspur bleiben unsere Unternehmen nur, wenn es deten Menschen möglich. Wir müssen also unser Bil- ihnen auch weiterhin gelingt, die neuesten Hightechent- dungsniveau insgesamt, in der Breite wie in der Spitze, wicklungen zum Beispiel in der Nanotechnologie oder in erhöhen. der Mikroelektronik förmlich aufzusaugen und für die eigenen Produkte nutzbar zu machen. Deshalb ist For- Ich erinnere nur daran, dass der Bund hier in den ver- schung so wichtig. gangenen Jahren eine ganze Reihe entscheidender Fort- schritte angestoßen hat. Es ist uns mit diesen Anstößen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten auch gelungen, ideologische Blockaden zu durchbrechen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und zu überwinden, die Kindern und Jugendlichen über Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004 11325

Bundesministerin Edelgard Bulmahn (A) viele Jahre Bildungschancen genommen haben. Als Bei- Katherina Reiche (CDU/CSU): (C) spiel nenne ich die Ganztagsschulen. Hier haben wir es Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- durch die Initiative der Bundesregierung und mit unse- ren! In dieser Debatte geht es um nicht mehr und nicht rem Schulentwicklungsprogramm, für das wir insgesamt weniger als um die Zukunft. 4 Milliarden Euro zur Verfügung stellen, geschafft, (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Da sind (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: In Beton Sie ja falsch am Platze!) übrigens! – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Da Doch das, was die Ministerin gerade vorgetragen hat, ist Beton dann plötzlich gut!) war eine Bilanzfälschung. Zudem strahlte sie bei ihrer den Kindern und Jugendlichen endlich auch die Bil- Rede den Charme einer Büroklammer aus. dungschancen zu eröffnen, die sie so dringend brauchen. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das war (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ aber nicht zukunftsfähig, was Sie gerade ge- DIE GRÜNEN) quatscht haben!) Es ist toll, mit welchem Engagement und mit welcher So, wie Sie Ihr Amt verwalten, haben Sie auch Ihre Rede Begeisterung die Lehrerinnen und Lehrer sowie die El- vorgetragen: technokratisch, ohne Herz und Verständnis tern vor Ort diese Chance nutzen. für Wissenschaft und Forschung Als ein weiteres Beispiel nenne ich die berufliche (Lachen bei der SPD) Bildung. Auch hier ist es uns gelungen, eine ideologi- sche Barriere zu durchbrechen. Der Ausbildungspakt und vor allem ohne Leitbild. Es wurde nicht deutlich, wo zeigt Wirkung. Mit diesem Ausbildungspakt haben wir die Wissenschaftsnation Deutschland in zehn oder in den Kammern, den Unternehmen und Regionen ein 15 Jahren stehen soll. ungeheures Engagement ausgelöst. Ich bin sehr froh, (Thomas Rachel [CDU/CSU]: So ist es!) dass es uns gelungen ist, die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge deutlich zu erhöhen. Ich weiß, dass Sie können offenkundig nicht mit Begeisterung über wir das Ziel noch nicht erreicht haben. Aber mit dem En- Wissenschaft und Forschung sprechen, über die Univer- gagement, das hier gezeigt wird, wird uns dies gelingen; sität der Zukunft, über Bildung im ganzheitlichen Sinne. das scheint mir ganz offensichtlich zu sein. Forschung ist für Sie nur dann gut, wenn sie ökonomi- siert ist. Freie Forschung um des Erkenntnisgewinns wil- An dieser Stelle danke ich den beiden Präsidenten len scheint Ihnen völlig fremd zu sein. (B) Phillip und Braun ganz ausdrücklich für ihren persönli- (D) chen Einsatz. Ich wünsche mir, dass dieses Engagement (Lachen bei der SPD – Steffen Kampeter auch in den kommenden Wochen und Monaten an jedem [CDU/CSU]: Sozialdemokraten wollen immer Ort von allen Abgeordneten, vor allen Dingen aber auch planen können!) von allen Unternehmen gezeigt wird. Der Sinn höherer Bildung ist für Sie nicht, was oder wie gelehrt wird; für Sie ist die Hauptsache, dass alle hin (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ können. Duale Ausbildung funktioniert zumeist dann DIE GRÜNEN) gut, wenn der Staat noch ein bisschen mitmischt, zum Meine sehr geehrten Herren und Damen, wir werden Beispiel in Form einer Zwangsabgabe. Den Leertitel ha- in den kommenden Wochen über das Berufsbildungsge- ben Sie vorsichtshalber im Haushalt belassen. setz noch einmal miteinander diskutieren, weil es ja (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Nachtigall, nicht nur um quantitative Fragen, also um mehr Ausbil- ick hör dir trapsen!) dungsplätze, sondern auch um Qualität geht. Die Moder- nisierung der beruflichen Bildung ist auf einem guten Die Gleichheit ist Ihr politisches Ziel. Das tropfte Weg. Bereits heute wird jeder zweite Jugendliche in ei- förmlich aus allen Sätzen, die Sie uns hier vorgetragen nem modernisierten Beruf ausgebildet. Ich hoffe sehr haben. und wünsche mir, dass wir kreativ und engagiert zusam- Sie stolpern von Missgriff zu Missgriff: menarbeiten. Dies ist eine der wichtigen Voraussetzun- gen dafür, dass das innovative Deutschland von morgen (Beifall bei der CDU/CSU) entsteht. Überall dort, wo Menschen dazu bereit sind, eine misslungene Dienstrechtsreform, eine mangelhafte wird es auch entstehen. Dafür wünsche ich mir viele BAföG-Reform, der verkorkste Versuch, Eliteunis per Verbündete. Dekret zu verordnen, gescheiterte Hochschulrahmen- Vielen Dank. rechtsnovellen. Die Juniorprofessur ist Ihnen, Frau Bulmahn, vom Bundesverfassungsgericht um die Ohren (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gehauen worden. DIE GRÜNEN) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Zu Recht!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Sie haben nicht einen Satz dazu gesagt. Auch das Stu- diengebührenverbot wird Ihnen um die Ohren fliegen. Das Wort hat jetzt Kollegin Katherina Reiche von der CDU/CSU-Fraktion. (Jörg Tauss [SPD]: Warten Sie mal ab!) 11326 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004

Katherina Reiche (A) Es kam der Aufruf an die Länder, die Forschungsor- 250 Millionen Euro gefordert, mit dem Hinweis, Sie ver- (C) ganisationen möglichst gleich an den Bund abzutreten folgten eine Politik der kleinen Schritte. In Wahrheit ha- und die Leibniz-Institute am besten zu zerschlagen. Sie ben Sie so gut wie nichts bekommen. gängeln die geisteswissenschaftlichen Auslandsinstitute und versuchen, den Ländern Bildungsstandards zu ok- (Jörg Tauss [SPD]: Der Austermann, der will troyieren. kürzen! Wo ist der Austermann? Den holen wir jetzt mal her!) (Jörg Tauss [SPD]: Was ist das jetzt wieder?) Ihr Haushalt ist das Ergebnis vieler Operationen. Frau Bulmahn, ich frage mich, wie weit man eigentlich Operation Nummer eins ist Trickserei. Sie rechnen uns von der Realität entfernt sein muss, um eine solche Liste eine Steigerung von 300 Millionen Euro vor und verglei- von Niederlagen in nicht einmal sechs Jahren zu produ- chen Äpfel mit Birnen. Sie vergleichen nämlich den zieren. Haushalt 2004, der um den Rentenbeitrag und andere Dinge gekürzt wurde, mit dem Ziel, was Sie 2005 errei- (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Barbara chen wollen. Das ist unseriös. Hendricks, Parl. Staatssekretärin: Um solch eine Rede zu halten, Frau Reiche!) Operation Nummer zwei ist Luftbuchung. 63 Millio- nen Euro des Zuwachses sind bereits von vornherein bis Ihnen muss eigentlich ganz schwindelig werden. zum Wegfall der Eigenheimzulage gesperrt. Nur ist es Dabei steht uns das Wasser bis zum Hals. Immer so, dass 93 Prozent der Menschen die Eigenheimzulage mehr innovative Industriebranchen sagen dem Standort für ein wichtiges Instrument der Familienförderung und Deutschland leise Adieu. Sie verlagern nicht nur Ar- der Altersvorsorge halten. Ihre Beamten rechnen schon beitsplätze, sondern auch die Forschung ins Ausland, hektisch nach, wie die Löcher für den Fall, dass die Ope- und zwar keineswegs nur nach Osteuropa, sondern auch ration Eigenheimzulage misslingt, mit neuen Kürzungen in die Schweiz und nach Österreich. gestopft werden können. Sie haben die Innovationsbremse noch fester gezo- (Dr. Uwe Küster [SPD]: Man muss jedem gen, zum Beispiel in der Gentechnik, wo der DFG-Prä- auch mal das dritte Eigenheim gönnen! Das sident Winnacker mit Blick auf Sie resümierte, das neue muss sein!) Gentechnikgesetz sei enorm forschungsfeindlich. Operation Nummer drei sind Umbuchungen. 47 Mil- (Nicolette Kressl [SPD]: Wollen wir mal Frau lionen Euro fließen Ihnen aus dem Bundesministerium Böhmer fragen!) für Wirtschaft und Arbeit zu, nämlich für die komplette (B) Übernahme des Meister-BAföGs. Das ist aber nicht, wie (D) – Frau Kressl, wenn Sie ein bisschen aufgepasst hätten, Sie, Frau Bulmahn, uns das vorrechnen, neues Geld; es wüssten Sie, dass das Gentechnikgesetz etwas mit der ist schlichtweg ein Übertrag. Zufällig sind auf dem Weg Grünen Gentechnik zu tun hat. Ich kann aber bei Ihnen vom BMWA zum BMBF auch noch 10 Millionen Euro wahrscheinlich nicht annehmen, dass Sie das durchbli- verloren gegangen. Das ist wahrlich kein Meisterstück. cken. Operation Nummer vier sind falsch kalkulierte An- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist sätze. Ihr Ansatz für das Studenten-BAföG ist nach wie ziemlich arrogant, was Sie da sagen!) vor zu niedrig. Mir bleibt es zumindest ein Rätsel – ich Nach den Berechnungen des ZEW müssten in hoffe, Sie können es lösen –, wie Sie mit weniger Geld Deutschland fünf Jahre lang die Forschungsausgaben um immer mehr Studenten fördern wollen. Die Wahrheit ist mindestens 5 bis 6 Prozent steigen, um dorthin zu kom- auch, dass sich die wirtschaftliche Situation in Deutsch- men, wo Japan jetzt ist. Bislang gab es eine Steigerung land so darstellt, dass immer mehr junge Leute bedürftig des BMBF-Haushaltes um nominal 2,45 Prozent; real ist werden und BAföG beantragen werden, weil es ihren El- es deutlich weniger. Es ist anzunehmen, dass sich das, tern schlechter geht. Auch das ist ein Ergebnis Ihrer was wir 2004 erlebt haben, nämlich das Plündern des Politik. Forschungshaushaltes für die Rentenkasse, 2005 durch- (Beifall bei der CDU/CSU) aus wiederholen kann. Vielleicht müssen Sie dann Lö- cher, die durch Hartz IV entstehen, damit stopfen. Das Im Ergebnis heißt das aber, dass bei der Projektförde- sind die neuen Wege, von denen Sie reden. rung gekürzt werden muss, weil die Ansätze bedient Das Jahr der Innovation besitzt keine Schubkraft. werden müssen. Es wird geredet, es wird diskutiert, ein Innovations- Sie setzen zudem falsche Prioritäten. Sie sparen nicht kongress jagt den nächsten. Wo ist aber der Innovations- an der Werbung. Sie sparen nicht an Beraterverträgen. schub? Wo ist das Wachstum? Sie sparen nicht an Programmen, mit denen Sie die Ge- (Jörg Tauss [SPD]: Wo sind Ihre Vorschläge?) werkschaftsklientel bedienen können. Nein, Sie sparen an Biotechnologie, Sie sparen an der Grünen Gentech- Sie haben bislang Innovationslyrik produziert. Frau nik, Sie sparen am nationalen Raumfahrtprogramm. Sie Bulmahn, Sie haben nicht einmal versucht, für einen hö- haben die Rücknahme der Mittel im Hochschulbau nicht heren Haushalt zu kämpfen. Sie bräuchten jährlich min- ausgeglichen. Sie kürzen zudem an der Forschung an destens 400 Millionen Euro mehr, um das 3-Prozent-Ziel Fachhochschulen, die Sie angeblich für so wichtig hal- von Lissabon zu erreichen. Sie haben schlappe ten. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004 11327

Katherina Reiche (A) (Beifall bei der CDU/CSU – Steffen Kampeter diengebühren für eine „kulturelle Errungenschaft“ hält, (C) [CDU/CSU]: Völlig falsche Prioritäten!) wie Sie es sagen, Meine Damen und Herren, wir brauchen dringend (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Oh Gott!) eine Wende in der Bildungs- und Forschungspolitik. Bil- der ist offensichtlich nicht zu einer Antwort auf die He- dung und Forschung brauchen zunächst Verlässlichkeit rausforderungen befähigt. und Konstanz. Sie machen seit Jahren das Gegenteil. Zu- gesagte Mittel können nicht abgerufen werden. Die For- Frau Bulmahn, auch Ihr Forschungsverständnis ist schungsorganisationen können sich nicht auf das verlas- falsch. Forschung kann man nicht nur auf Missionen sen, was ihnen zugesagt wird. Sie erleben orientieren. Forschung ist die Gesamtheit von geistes- haushälterische Achterbahnfahrten. Der Projektförde- wissenschaftlicher Forschung, Grundlagenforschung rung geht es ebenso. UMTS brachte durchaus einen und angewandter Forschung. Ihr Wunsch, Forschung kurzzeitigen Segen. Aber danach kam der große Kater. ausschließlich auf den Nutzen auszurichten und nur noch So kann man mit der Forschung nicht umgehen. das zu fördern, was nach Ihrer Auffassung schnell Ar- beitsplätze schafft, ist verhängnisvoll. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulrike Flach [FDP] – Jörg Tauss [SPD]: Stel- (Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/ len Sie mal die Kürzungen vor, die Herr CSU]: So ist es! – Steffen Kampeter [CDU/ Austermann fordert!) CSU]: Sehr kurzsichtig!) Bildung und Wissenschaft brauchen Freiheit. Aber Ih- Die Wissenschaftsgeschichte zeigt, dass Basisinnovatio- nen erscheint der Wert der Freiheit suspekt. Sie wollen nen vor allem aus der freien Grundlagenforschung he- reglementieren. Sie wollen kontrollieren. Sie wollen de- raus entwickelt wurden. kretieren. Noch schwerer wiegt die Tatsache, dass es im Kabi- (Lachen bei der SPD – Steffen Kampeter nett Schröder keine einheitliche Innovationsstrategie [CDU/CSU]: Die Wahrheit tut weh!) gibt, dass Forschung in Gut und Böse eingeteilt wird. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ja!) Sie misstrauen dem Wettbewerb. Sie misstrauen den Menschen aus Angst vor der Freiheit. Das unterscheidet Kerntechnik, Fusionsforschung, Grüne Gentechnik und Ihre Politik ganz deutlich von der unseren. Chemie werden insbesondere von den Grünen erbittert bekämpft. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das muss jetzt (Thomas Rachel [CDU/CSU]: So ist es!) (B) (D) einmal gesagt werden!) Das Gentechnikgesetz macht Ihren vernünftigen Ansät- Das zeigt sich ganz deutlich an Ihrer Hochschulpoli- zen in der Grünen Gentechnik den Garaus. tik. Sie haben den Hochschulen ein zum Teil verfas- (Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]: sungswidriges Hochschulrahmenrecht übergestülpt. Im Keim erstickt!) (Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/ Frau Bulmahn, Sie konnten sich gegen Frau Künasts CSU]: Jawohl!) ideologischen Feldzug nicht zur Wehr setzen. Die Habilitation sollte mit der Brechstange weg. Die (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Wollte sie ja Juniorprofessur sollte sie vollständig ersetzen. Frau auch gar nicht!) Bulmahn, das ist genau das Gegenteil von Freiheit. Die Juniorprofessur ist im Ansatz richtig. Das haben wir nie Der faktische Ausstieg aus der Grünen Gentechnik, den bestritten. wir jetzt haben, wird genauso verheerende Folgen wie der Ausstieg aus der Kerntechnik haben. Denn nicht ein- (Jörg Tauss [SPD]: Ach!) mal mehr Sicherheitsforschung ist möglich. Aber der Starrsinn hat sie ins Desaster geführt, das nicht (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nur Sie beschädigt hat, sondern vor allem auch diejeni- neten der FDP) gen, die sich darauf verlassen haben, dass das Gesetz Bildungs- und Forschungspolitik muss vor allem verfassungskonform ist. Sie sind die Leidtragenden. Orientierung haben und neue Anstöße liefern. Der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Grundfehler im Bildungs- und Forschungsministerium Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Aus ideologi- liegt neben seiner schlechten Führung vor allem in seiner schen Gründen die Verfassung gebrochen! Das Struktur. Nach 1998 wanderten die Luftfahrt und die ist schlimm!) Mittelstandsförderung ins Wirtschaftsministerium. Die Energieforschung wurde aufgeteilt, zerschlagen; große Frau Bulmahn, das Verfassungsgerichtsurteil vom Teile gingen zu Herrn Trittin. Frau Künast ist für die 27. Juli ist Ihr bildungspolitisches Waterloo. Das Urteil Vorgaben in der Gentechnik zuständig. Sie haben diesen weist den Bund nämlich ganz klar in seine Grenzen. Sie Aderlass klag- und widerspruchslos hingenommen. Das hatten sie trotz aller Warnungen ignoriert. rächt sich. Unsere Hochschulen brauchen zudem dringend mehr Wir brauchen ein strategisches Innovationsministe- Geld für mehr Qualität. Doch wer das Verbot von Stu- rium, das alle Forschungsaktivitäten bündelt. Sie haben 11328 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004

Katherina Reiche (A) ein Schulministerium daraus gemacht und wundern sich, Meine Damen und Herren von der Union, Sie fordern (C) dass aus den Innovationen nichts wird. mehr Geld für die Forschung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Jörg Tauss [SPD]: Nein, Kürzungen fordern neten der FDP – Steffen Kampeter [CDU/ sie! Herr Austermann und Herr Stoiber! – Ge- CSU]: Völlig falsche Prioritäten!) genrufe von der CDU/CSU: Unwahrheit! – Bei den vor uns liegenden Haushaltsberatungen wer- Herr Tauss, das ist doch Quatsch! – Erst zuhö- den wir auf Korrekturen drängen. Wir werden Ihnen ren, dann quatschen!) konkrete Vorschläge für Änderungen im Haushalt ma- – Darauf komme ich noch zu sprechen. – Dann schauen chen. wir uns doch jetzt einmal die von Ihnen hinterlassenen ( [Starnberg] [SPD]: Bis jetzt Altlasten an. Anstatt Geld in die Hybridtechnologie zur haben wir keine gehört!) Entwicklung sparsamer Autos zu investieren, müssen wir es in den Abriss von alten Atomreaktoren und in Bei Beraterverträgen, bei Werbung und bei Steinkohle die Lagerung des gefährlichen Atommülls stecken. kann gespart werden. Wir bieten Ihnen an, tatsächlich 300 Millionen Euro mehr für Bildung und Forschung in (Ulrike Flach [FDP]: Oh nein, Herr Fell!) den Haushalt einzustellen. Wir wollen Ihnen auf die Sprünge helfen, damit das Jahr der Innovationen wenigs- Wegen der von Ihnen, von Union und FDP, betriebenen tens irgendwie seinen Namen verdient. Ich fordere Sie falschen Energiepolitik und der falschen Verpflichtun- im Interesse des Wissenschafts- und Wirtschaftsstand- gen, die Sie eingegangen sind, müssen die entsprechen- ortes Deutschland auf: Nehmen Sie unser Angebot an! den Ausgaben in diesem Haushalt von 80 auf 160 Millionen Euro ansteigen. Vielen Dank. (Zuruf von der SPD: Hört! Hört!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP – Steffen Kampeter [CDU/ Noch einmal: In diesem Haushalt werden 160 Millio- CSU]: Da wurdet ihr ja richtig abgewatscht! nen Euro für Vergangenheitsbewältigung aus dem Fens- Das war auch dringend notwendig!) ter geworfen. Die Staaten, die sich den Irrweg der Atom- forschung erspart haben, können ihr Geld nun in Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Nanotechnologie, Hybridtechnologie und erneuerbare Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Josef Fell vom Energien investieren, während wir für den Abriss von Bündnis 90/Die Grünen. Forschungsreaktoren zahlen, (B) (Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/ (D) Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): CSU]: Das sind doch Ammenmärchen! Lach- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und haft!) Herren! Der Haushalt des Bildungs- und Forschungsmi- nisteriums für das Jahr 2005 liegt um 202 Millionen und dies aus Steuergeldern statt aus den satten Gewinnen Euro, das heißt um 2,45 Prozent, über dem für das der Atomkonzerne. Das war eine grandiose Fehlleistung Jahr 2004. der Regierung Kohl. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) und bei der SPD) Das ist nicht überragend, aber gut. Wie als Teil der Nun zu einem anderen großen Thema: der dramati- Agenda 2010 versprochen, werden die institutionellen schen Entwicklung auf dem Weltrohölmarkt. Dieses Forschungsmittel um 3 Prozent erhöht. Das ist ein star- Jahr wird der globale Nachfragezuwachs höher ausfallen kes Signal von Rot-Grün, dass Bildung und Forschung als der Verbrauch in Deutschland. Gleichzeitig geht die auch weiterhin gestärkt werden. Ölproduktion in der Nordsee zurück und Indonesien wandelt sich vom Erdölexporteur zum -importland. Die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Weltwirtschaft läuft auf eine dramatische Situation zu, und bei der SPD) die weitaus schlimmer sein dürfte als die der vergange- Auch die Projektforschungsmittel steigen um nen Ölkrisen von 1973 und 1980. Währungs- und infla- 61 Millionen Euro. Das ist ein Plus von fast 2,8 Prozent. tionsbereinigt stand der Ölpreis 1980 bei 101 US-Dollar. Leichte Zuwächse gibt es bei der Nanotechnologie, der Da wir den Chinesen aber nicht das Autofahren verbie- Mikrosystemtechnik und der Gesundheitsforschung. Al- ten können, müssen wir uns bald auf noch deutlich hö- lerdings – das will ich zugestehen – sehen wir bei den here Rohölpreise einstellen. Projektforschungsmitteln insgesamt eine zu große Enge. (Zuruf von der CDU/CSU: Das hätten Sie (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) wohl gerne, was?) Sie bereiten uns tatsächlich Sorge. So bedauern wir Unsere Devise, auch für die Forschung, kann daher nur Grüne die im Regierungsentwurf vorgenommenen Kür- heißen: Weg vom Öl! zungen bei der Bauforschung sehr. Wir werden uns dafür einsetzen, dass die Mobilitäts- und Bauforschung unter Deswegen werden wir im Haushalt von Renate dem Aspekt der Nachhaltigkeit weiterhin gefördert wird. Künast Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004 11329

Hans-Josef Fell (A) (Zuruf von der CDU/CSU: Ich denke, wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) reden hier über Forschung!) und bei der SPD) für die Forschung und Markteinführung in den Berei- Edmund Stoiber wird demnächst zur feierlichen Eröff- chen Bioenergie und Biochemie mehr Geld ausgeben nung anreisen. Ich erinnere mich noch sehr gut an die und im Haushalt von Jürgen Trittin werden wir für Solar- bayerische Debatte über das Ganztagsschulprogramm. energie, Windenergie und Erdwärme mehr Geld ausge- Frau Hohlmeier und Herr Stoiber schimpften gemein- ben. Rot-Grün unternimmt ernste Anstrengungen hin- sam, dass die Eltern doch selbst entscheiden sollten, wie sichtlich Forschung und Entwicklung also nicht nur im ihre Kinder nachmittags betreut würden. Sie meinten da- Einzelplan 30, sondern im gesamten Bundeshaushalt. mit, die CSU will keine Ganztagsschulen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Wollen Sie Aber erst jetzt, da dank der Anschubmittel dieser die Subventionen noch weiter erhöhen?) Bundesregierung auch in Bayern das Ganztagsschulan- gebot gestiegen ist, haben die Eltern und Kinder diese Wenn Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von der Wahl. Ich finde es wunderbar, dass sich Herr Stoiber Union, jetzt einwenden, das alles sei zu wenig, dann jetzt freut, dass seine Enkelkinder bald in solch schöne sollten Sie sich klar machen, dass Sie gar keinen Auf- Schulen gehen können. Ich hoffe nur, dass er bei der Ein- wuchs, sondern eine reale Senkung fordern, wenn die weihungsfeier in Münnerstadt auch sagt, dass Rot-Grün Eigenheimzulage für Sie zukunftsweisender als die For- dieses Ganztagsschulprogramm durchgesetzt hat – ge- schungsförderung ist. gen seinen Willen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Bartholomäus Kalb [CDU/ Ich fordere Sie von der Union auf, uns im Bundesrat CSU]: Nennen Sie einmal den Betrag!) endlich zuzustimmen, damit die Mittel für die Eigen- heimzulage zugunsten von Bildung und Forschung um- Werte Kolleginnen und Kollegen von der Union, Sie geschichtet werden können. haben sich Anfang des Jahres auch furchtbar dagegen gewehrt, dass die deutschen Hochschulen in einen ( [FDP]: Und was ist mit der Steinkohle?) Wettbewerb eintreten sollten, der ihnen dringend benö- tigte zusätzliche Mittel bringen kann. Glücklicherweise Ganz nebenbei bemerkt: Durch eine pauschale 5-pro- haben sich Ihre Fachministerinnen und Fachminister aus zentige Kürzung des Bundeshaushalts, wie sie Minister- den Ländern nicht abhalten lassen, dies mitzutragen. Im (B) (D) präsident Stoiber vorschlägt, würden die Mittel für Bil- Frühsommer stand ein Konzept, das vier wichtige Ele- dung und Forschung um 423 Millionen Euro verringert. mente vereint: zur Nachwuchsförderung einen Wettbe- Da bliebe nichts mehr für all die Wünsche übrig, die Sie werb, in dem circa 40 Graduiertenschulen ausgeschrie- geäußert haben, zum Beispiel für Investitionen in For- ben werden; zur Forschungsförderung einen Wettbewerb schungseinrichtungen, Nanotechnologie oder Bildung. um die Förderung von 30 Exzellenzclustern, in denen Wir landeten im wahrsten Sinne des Wortes wieder im Hochschulen, außeruniversitäre Forschungseinrichtun- letzten Jahrtausend, in dem Sie während der Ära Kohl gen und Unternehmen kooperieren; zur Signalwirkung laufend die Forschungsausgaben senkten. nach innen und außen einen Wettbewerb der Spitzenuni- (Jörg Tauss [SPD]: Das ist richtig!) versitäten; als vierter Punkt die Exzellenzförderung in der Lehre durch die Länder. Wir investieren aber nicht nur in Forschung, nein, auch in Köpfe. So haben wir das BAföG für Studierende Dieses Konzept schien Anfang Juni zu stehen, An- und Schülerinnen und Schüler weiter gesteigert. Auch fang Juli wurde es dann aber nicht beschlossen. Jetzt die Förderung derjenigen, die sich im Beruf weiterbil- wird es frühestens Anfang November beschlossen – vier den, unterstützen wir durch die Steigerung des Meister- Monate, in denen nicht nur die Hochschulen nicht wis- BAföGs. Nicht zu vergessen, es läuft so ganz im Hinter- sen, ob sich diese große Entwicklungschance wirklich grund auch noch das Ganztagsschulprogramm der Koali- für sie auftun wird. Nein, auch die Nachwuchswissen- tion. Binnen vier Jahren fließen 4 Milliarden Euro in die schaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler, um die Bundesländer, um Ganztagsschulen aufzubauen, die Sie Sie sich, werte Kolleginnen und Kollegen von Union immer bekämpft haben. und FDP, doch immer so lautstark sorgen, fragen sich Ich muss Ihnen da, meine werten Kolleginnen und ratlos, ob ihre Zukunft in Deutschland liegt oder doch Kollegen vor allem von der CSU, eine Geschichte über anderswo in Europa oder in den USA. Die notwendige ein Gymnasium in Münnerstadt in Unterfranken erzäh- Reform des Föderalismus ist gut und schön, aber hier len, wo ich selbst einstmals unterrichtete. trifft sie möglicherweise die Falschen. Hören Sie auf zu (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Gut, dass blockieren! Machen Sie mit bei den notwendigen Refor- Sie nicht mehr dort sind!) men wie bei der Juniorprofessur, damit auch die Jungen eine Chance in der Wissenschaft bekommen. Dieses Gymnasium wurde mit Mitteln aus dem Investi- tionsprogramm „Zukunft, Bildung und Betreuung“ zur (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ganztagsschule ausgebaut. und bei der SPD) 11330 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: So ist es!) (C) Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulrike Flach von der FDP-Fraktion. Frau Bulmahn, das Ganze ist heiße Luft. Sie bauen auf Sand. Das Schlimmste für uns Liberale ist, dass Sie da- bei die großen Linien Ihrer Politik verloren haben. Ulrike Flach (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Fell, (Zuruf von der CDU/CSU: Hat sie nie gehabt!) es ist schon bemerkenswert, wie Sie uns nach dem Aus- stieg aus der Kernenergie, bei dem Sie ja einen Kapital- Sehen Sie sich doch die einzelnen Haushaltsposten vernichtungsakt sondergleichen durchgezogen haben, an! Dieser Haushalt hat keinen Schwerpunkt, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Jörg Tauss [SPD]: Was?) der CDU/CSU) keine erkennbare Richtung und vor allem keine große jetzt vorwerfen, dass wir Ihren Haushalt belasten. Vision. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Viele Löcher! – NEN]: Ich habe nur über Forschungsreaktoren Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/ gesprochen!) CSU]: Sehr viele Löcher! Wie ein Schweizer Käse!) So etwas geradezu Bizarres habe ich mein Lebtag noch nicht gehört. Sie setzen Ihre Taktik fort, dort zu erhöhen, wo Sie in den letzten Jahren gekürzt haben. Sie erhöhen jetzt bei (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Mikrosystemtechnik, bei der Softwaretechnik und NEN]: Das hat nichts mit dem Kernenergie- bei der Nanoelektronik. Frau Bulmahn, das sind Pfläster- ausstieg zu tun!) chen auf die Wunden des letzten Jahres. Aber wir sind ja heute zum Haushaltsentwurf 2005 hier und sollen darüber diskutieren, Frau Bulmahn. Sie (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der haben uns eben erzählt, dass der Haushalt um CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Falsch!) 3,6 Prozent auf 8,5 Milliarden Euro steigt. Wie immer Dafür werden andere Positionen, wie zum Beispiel Ver- haben Sie in diesem Zusammenhang natürlich die Mittel kehr und Mobilität – das finde ich sehr erstaunlich – und für die Ganztagsschulen und auch die BAföG-Mittel, die das System Erde, gekürzt. Herr Fell, ich weiß gar nicht, ja eigentlich nicht zu Ihrem Haushalt gehören, sondern wie Sie damit leben können. aus anderen Haushalten kommen, dazugezählt. Darüber (B) wollen wir schon gar kein Wort mehr verlieren. Sie verhalten sich wie eine Gärtnerin, die ein großes (D) Feld voller Unkraut liebevoll begießt, aber nun wirklich Aber Sie haben auch etwas anderes getan: Sie haben nicht weiß, wo sie etwas Neues anpflanzen soll. So gie- hier mit Zahlen hantiert und versucht, den großen Po- ßen Sie überall mit Ihrer 3-Prozent-Gießkanne, wobei panz der Eigenheimzulage wieder hochzuziehen, ich es schon ganz witzig finde, dass Sie die 3 Prozent (Jörg Tauss [SPD]: Popanz?) überall durchhalten, ohne, wie die internationale Kon- kurrenz, große, milliardenschwere Schlüsseltechnologie- hinter dem Sie sich ein bisschen verstecken, um in Zu- zentren hochzuziehen. Frau Bulmahn, Sie kleckern auf kunft, in den nächsten Monaten, den Gegner auf der an- mittlerem Niveau. deren Seite entsprechend beschimpfen zu können. Ich muss Ihnen sagen: Sie arbeiten hier mit Zahlen, die alles (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten andere als seriös sind. der CDU/CSU) Sie haben die berühmte Eigenheimzulage, über alle Für die FDP-Fraktion sage ich, dass das besser ist, als Haushaltsetats verteilt, mit rund 150 Millionen Euro an- Kürzungen vorzunehmen; das erkennen wir auch an. gesetzt. Es sind aber nur exakt 95 Millionen Euro. Das Das ist aber eben nicht der große Wurf, auf den wir in heißt, erstens hantieren Sie hier mit einer Eigenheimzu- diesen Zeiten alle warten. lage, die es in dieser Höhe nie geben wird, weil die CDU/CSU nicht zustimmen wird, und zweitens arbeiten Was ist der Grund dafür? Aus unserer Sicht liegt der Sie mit Zahlen, die vorne und hinten nicht stimmen. Grund dafür viel tiefer als nur bei Hans Eichel und sei- nen Sparverpflichtungen. Sie haben sich nämlich im Ge- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten wirr der föderalen Zuständigkeiten und der koalitions- der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Hochinte- internen Ansprüche verfangen. ressant! Das ist Innovation! Das ist Klasse!) (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- – Herr Tauss, Sie haben Frau Reiche vorhin doch gehört. NEN]: Der Grund liegt bei der Union und Ohne diese Mittel ergibt sich im Endeffekt nur eine beim Bundesrat!) minimale Steigerung des Haushalts. Wenn wir die Un- Ihre Visionen sind an den Betonmauern der Länder und wägbarkeiten des BAföGs und die globale Minderaus- nicht zuletzt an denen Ihres grünen Koalitionspartners gabe von 145 Millionen Euro, die Sie schließlich erwirt- zerplatzt. schaften müssen, hinzuziehen, dann gibt es im nächsten Jahr real nicht mehr Geld für diesen Haushalt. (Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP]) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004 11331

Ulrike Flach (A) Sie sind praktisch mit allen Reformvorhaben der letzten weit, endlich Spitzenhochschulen zu installieren, die wir (C) Zeit gescheitert bzw. ins Stocken geraten oder Sie haben schließlich alle wollen. Es gibt doch hier im Raum kei- sich ganz einfach nicht durchsetzen können nen, der sie nicht haben will. Frau Reiche hat vorhin schon darauf verwiesen: Das (Birgit Homburger [FDP]: Doch, der Herr Bundesverfassungsgericht hat Ihre 5. HRG-Novelle ge- Tauss!) kippt und das aus unserer Sicht richtige Juniorprofesso- renprogramm für verfassungswidrig erklärt. Ähnliches kann man auch über Ihren Pakt für die Hochschulen sagen; davon habe ich schon lange nichts (Jörg Tauss [SPD]: Von wem kommt das mehr gehört. Kurzum: Sie haben sich im Klein-Klein des denn?) Föderalismus verfangen, statt sich auf das zu konzentrie- Frau Bulmahn, Sie haben das größte Projekt Ihrer Hoch- ren, Frau Bulmahn, was Sie wirklich können – das will schulpolitik sehenden Auges glatt gegen die Wand ge- ich Ihnen gar nicht absprechen – und auch dürfen, näm- fahren. lich auf das große innovative Feld der Forschung, auf die Struktur und auf Verbesserungen der Forschung in die- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten sem Land. Schauen Sie sich doch die Bio- und Nano- der CDU/CSU) technologie an! Nach wie vor fehlt eine konsequente Strategie. Ich erinnere mich: Wir alle haben hier gestanden und Sie vor diesen Risiken gewarnt. Sie sind ohne Rücksicht auf Dazu will ich niemanden aus unseren Reihen zitieren. Verluste durchgefahren. Am Schlimmsten finde ich es, Ihr eigener Kanzlerberater, Herr Professor Wahlster – er dass Sie dies ohne Rücksicht auf diejenigen getan haben, ist nicht ganz unbekannt –, aus dem Saarland die an den Hochschulen lehren und arbeiten müssen. Für diese Leute gibt es jetzt einen rechtsfreien Raum. (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Aus dem gut regierten Saarland!) (Jörg Tauss [SPD]: Dank der CDU/CSU!) erklärt dazu in der „Wirtschaftswoche“: Das wird dazu führen, dass sich manche von ihnen ein- klagen werden. Dieses Gießkannenprinzip ist Verschwendung. Es bringt nichts, in jedem Bundesland ein Bio- und ein Gehen Sie jetzt einmal an die Hochschulen! Gehen Nanotechnologiezentrum zu etablieren. Sie zum Beispiel an eine Hochschule im Ruhrgebiet wie die in Bochum! Dort sind 200 Leute betroffen. Diese (Jörg Tauss [SPD]: Wer macht denn das?) Hochschule hat einen verzweifelten Kanzler und einen Bei einem neuen Innovationsfeld müssen die Mittel verzweifelten Rektor, die nicht wissen, wie es weiter- (B) nach einem Wettbewerb auf zwei, drei Zentren, die (D) geht. Das ist das Produkt Ihrer größten Aktion in dieser absolute Spitze sind, konzentriert werden. Legislaturperiode. ( [SPD]: Sie sind unter Ihrem (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Jörg Niveau!) Tauss [SPD]: Nein, von denen da drüben!) Frau Bulmahn, Ihr eigener Berater erkennt sehr klar, Das Schauspiel wird sich im Herbst aufgrund des Ver- dass Sie am Föderalismus und am Kirchturmsdenken bots von Studiengebühren grausam wiederholen, in die- scheitern und offensichtlich nicht in der Lage sind, das sem Falle aber mehr für Sie als für die Hochschulen. Die zu tun, was in allen Ländern der Welt umgesetzt wird, Folgen Ihrer Blindflugaktionen sind Verunsicherung und nämlich Konzentration auf das Wichtigste in der For- Irritationen in der deutschen Hochschullandschaft. schungslandschaft. Sie zersplittern sich und kleckern (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten statt zu klotzen. der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Mit dem Programm zur Förderung von Spitzen- der CDU/CSU) forschung an Hochschulen sind Sie genauso stecken ge- Lassen Sie mich noch zu einigen anderen Themen blieben. Ich halte Ihr Vorgehen einfach für einen schlich- Stellung nehmen. Nicht nur bei der Forschung sind wir ten taktischen Fehler. Man geht einfach nicht auf eine nicht dort, wo wir eigentlich sein müssten. Sie sind bei Pressekonferenz und erzählt, dass es seine Aktion gewe- den Bildungsstandards ausgebremst worden. Sie haben sen ist, wenn man vorher mit anderen Leuten darüber uns eben erzählt, Sie würden im Hochschulbau Gewalti- verhandelt hat. Das kann nicht gut gehen. Auch die Poli- ges leisten. Frau Bulmahn, noch immer steht in Ihrer tiker in den Ländern haben ihre Eitelkeiten. Das müssen mittelfristigen Finanzplanung, dass Sie die Mittel hierfür auch wir Bundespolitiker manchmal erkennen. auf 750 Millionen Euro senken wollen. Dazu habe ich (Jörg Tauss [SPD]: Ach, Eitelkeiten sind hier von Ihnen nichts Gegenteiliges gehört. Dazu müssen Sie im Spiel! Das ist eine gute Erklärung!) sich äußern. – Herr Tauss, auch das ist doch ein Grund dafür, weshalb (Beifall bei der FDP) wir eine seriöse Politik machen müssen. Lassen Sie mich also zusammenfassen: Ihr Haushalt Erst wollen Sie Spitzenhochschulen einrichten, dann steht auf tönernen Füßen. Ihre Mittelverteilung lässt werden die Leute vorgeführt und am Ende liegt alles auf keine Vision erkennen. Ihre Reformvorhaben stagnieren, Eis. Im Herbst kommen wir mit viel Glück vielleicht so sind blockiert oder kränkeln. 11332 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004

Ulrike Flach (A) Obwohl Sie es nicht mehr hören können, Frau Bundeskanzleramt, vom Außenminister und von Frau (C) Bulmahn, will ich von Ihnen endlich einen Wissen- Künast ein Minus von über 1 Million Euro. schaftstarifvertrag. Ich will die wettbewerbliche Orien- tierung der Forschungsförderung. Ich will eine Patent- Der DAAD, die Nachwuchswissenschaftlerförderung, verwertung, die wirklich funktioniert. Ich will die die Beziehungen zwischen deutschen und ausländischen Umsetzung der Biopatentrichtlinie. Sie können sicher Wissenschaftlern und die Goethe-Institute haben ein Mi- sein, dass daran, ob wir das schaffen, unser Forschungs- nus von 5 Millionen Euro bei den Geldern aus dem standort gemessen wird. Sie aber schaffen es nicht. Hause von Herrn Fischer zu verkraften. Frau Künast hat offensichtlich völlig die Lust an der Forschung verloren. (Beifall bei der FDP – Axel E. Fischer [Karls- Sie spart bei Forschungsinstituten 12 Millionen Euro. ruhe-Land] [CDU/CSU]: Dafür brauchen wir Herr Clement, der Oberinnovator, haut der Mittelstands- eine neue Bundesregierung!) forschung die Beine weg. Dort gibt es ein Minus von 47 Millionen Euro. Frau Bulmahn, Sie kämpfen sehr oft einsam und zu leise. Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich der (Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Hört! Hört!) Kollegin Reiche anschließen, die gefragt hat: Wo war Das Ganze wird von Herrn Struck gekrönt, der in Zeiten denn die Forschungsministerin, als es um das Gentech- höchster Unsicherheit und Befürchtungen in der Bevöl- nikgesetz ging? Wo waren Sie denn, als die Wissen- kerung 50 Millionen Euro im Forschungshaushalt spart. schaftler in Deutschland – noch vor wenigen Tagen – er- Erstaunlich! klärt haben, dieser Forschungsstandort ist dank Herrn Fell und seinen Kollegen tot? Forschung in der grünen Das ist keine Innovationspolitik. Das ist nicht das Jahr Gentechnik wird nicht mehr stattfinden. der Innovation. Das ist ein Gekleckere, wie wir es seit vielen Jahren haben. Sie, Frau Bulmahn, spielen dabei Wo waren Sie denn, als Herr Clement gestern an die- leider nicht die tragende Rolle, die wir uns gewünscht ser Stelle erklärt hat, er wolle die Stammzellforschung hätten. Ihre Rolle ist in den letzten Monaten zunehmend wieder aktivieren? So etwas erwarte ich nicht vom Wirt- tragisch geworden. An uns soll es nicht liegen. Wir wür- schaftsminister, sondern von Ihnen, Frau Bulmahn. den Ihnen, Frau Bulmahn, gerne helfen und wir werden (Beifall bei der FDP – Axel E. Fischer [Karls- uns bei den Haushaltsberatungen weiter darauf konzen- ruhe-Land] [CDU/CSU]: Da erwarten Sie zu trieren. Ich befürchte allerdings das Schlimmste, näm- viel!) lich dass wir bis zum Jahr 2006 keine Wende erleben werden. Wir befinden uns inzwischen in der Situation, dass jeder (B) zweite Stammzellforscher dieses Land zu verlassen be- Herzlichen Dank. (D) absichtigt. Ein Forscher in Köln hat gesagt: Ich will (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gerne weiterforschen, aber die Gesetzgebung hindert der CDU/CSU) mich daran. (Jörg Tauss [SPD]: Frau Böhmer, übernehmen Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Sie mal!) Das Wort hat die Kollegin Andrea Wicklein von der SPD-Fraktion. Diese Beispielliste ließe sich unbegrenzt fortsetzen, Frau Bulmahn. Bei Ihnen läuft es immer folgenderma- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ßen ab: ein großer medialer Auftakt, gefolgt von Unent- DIE GRÜNEN) schlossenheit und Blockade aus den eigenen Reihen. Auf diese Weise kommen wir einfach nicht weiter und wis- Andrea Wicklein (SPD): sen nicht mehr, wie es vorwärts gehen soll. Gleichzeitig Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! leben wir in einer Welt – mehrere Kollegen waren mit Frau Reiche, mir vor einigen Wochen in China – mit Regionen, in de- nen es steil nach oben geht. Schauen Sie sich zum Bei- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das war eine spiel in Singapur das Stammzellzentrum an! Schauen Sie gute Rede von Frau Reiche!) sich die Technologiezentren in den chinesischen Vor- städten an! Diese 40 riesigen Technologiezentren sind so ich muss mich zu Ihrem Ton und der Art und Weise Ihres groß wie bei uns ganze Städte. Das ist unsere Konkur- Vortrages äußern. renz, Frau Bulmahn, nicht der Kleckerkram, den Sie uns (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Keinen hier vorgetragen haben. oberlehrerhaften Einstieg!) In diesem Zusammenhang – daran setzen wir als Li- Ich wurde durch Ihren Tonfall ein bisschen an die DDR- berale an; das möchte ich betonen – kann man nicht nur Fahnenappelle erinnert. von diesem Haushalt sprechen. Wenn wir von Innova- tionspolitik reden, müssen wir die Politik aller Ressorts (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ im Blick haben. Frau Bulmahn, wir haben uns sehr kri- DIE GRÜNEN – Steffen Kampeter [CDU/ tisch Ihre Kollegen angeschaut. Was sehen wir da? CSU]: Eine Herabwürdigung! Das ist kein gu- Große Ankündigungen von Ihrer Seite, gleichzeitig ver- ter Stil! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: zeichnet die Leibniz-Gemeinschaft bei den Mitteln vom Vielleicht sprechen Sie zur Sache!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004 11333

Andrea Wicklein (A) Dieser Ton in diesem Haus bringt uns und Deutschland 10 Milliarden Euro mehr als bisher müssten Staat und (C) nicht weiter. Dieses Schlechtreden ist destruktiv. Wirtschaft für Forschung und Entwicklung aufbringen. Lassen Sie uns gemeinsam an diesem wichtigen Ziel ar- (Cornelia Pieper [FDP]: Sie können keine beiten! Kritik vertragen!) Wir sollten gemeinsam handeln, um die Probleme im Für uns ist der Weg klar abgesteckt. Land zu lösen. Leider sehe ich Sie, meine Damen und Herren von der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Opposition, weit davon entfernt und das will ich an eini- DIE GRÜNEN) gen Beispielen deutlich machen: Wir haben in den vergangenen Wochen und Monaten Mein erstes Beispiel ist Ihr Existenzgrundlagen- notwendige und gewiss auch schwierige Reformen der gesetz. Darin schlagen Sie die Förderung und die Ein- sozialen Sicherungssysteme und des Arbeitsmarktes auf führung eines Niedriglohnsektors vor und wollen – ich den Weg gebracht. Doch auch beim Ausbau von Wissen- zitiere – „Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor nach schaft und Forschung werden wichtige Weichen gestellt, Deutschland zurückholen“. Unabhängig davon, dass die über die Entwicklung der Wirtschaftsstruktur und des diese Pläne schlichtweg wirtschafts- und sozialpoliti- Arbeitsmarktes mit entscheiden werden. Verstärkt in Bil- scher Unfug sind, dung, Wissenschaft und Forschung zu investieren ist die andere Seite der Agenda 2010. Damit bestimmen wir die (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Was Sie Zukunft unseres Landes. sagen, ist Unfug!) Wirtschafts- und Wissenschaftspolitik gehören zu- unabhängig davon, dass Sie damit ein Lohnsenkungs- sammen. Die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands programm für ganz Deutschland anstreben, haben Sie wird zukünftig nur dann erfolgreich sein, wenn sie sich auf jeden Fall eines nicht verstanden und das sollten die auf leistungsfähige Hochschulen und Forschungsinsti- Menschen in unserem Land wissen: Unser Land wird im tute stützt und auf Innovationen setzt. weltweiten Wettbewerb nicht als Niedriglohnland beste- hen können, (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist nicht falsch!) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Aha!), Gerade in Ostdeutschland haben Wissenschaftseinrich- sondern nur als Standort für Wissenschaft, Forschung tungen einen entscheidenden Anteil an der Infrastruktur und innovative Technologien. und auch am Wirtschaftsaufbau, wie man es zum Bei- (B) spiel in Sachsen, aber auch in den Regionen Berlin und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D) Brandenburg sehen kann. Sie sind und bleiben aus mei- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – ner Sicht ein wichtiges oder vielleicht sogar das wich- Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Frau Kollegin, tigste Instrument, um Strukturdefizite in Ostdeutschland das ist die falsche Rede! Die Wirtschaftsde- auszugleichen. batte war gestern!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Unser Plus sind die Ideen und die kreativen Köpfe. DIE GRÜNEN) (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Und die Doch ohne Bildung keine Forschung. Deshalb müssen Spritzigkeit! – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: wir verstärkt in die Köpfe der Menschen investieren. Da- Gleich spricht sie von Dynamik!) bei sind vor allem die Länder gefragt, aber auch die Un- ternehmen; denn zum Weg in die moderne Wissensge- Wir brauchen ein Klima, in dem Ideen befördert werden sellschaft gibt es für unser Land keine Alternative. Das und die Experimentierfreude des Einzelnen von Kindheit findet seinen Ausdruck auch im Haushalt für Bildung an unterstützt wird. Daran müssen wir arbeiten und darin und Forschung. Trotz der außerordentlich schwierigen werden wir investieren. Haushaltssituation haben wir den Etat des Bundesminis- teriums für Bildung und Forschung nochmals um Ich muss in diesem Zusammenhang noch einmal auf 202 Millionen Euro aufgestockt. Hinzu kommen noch die Sparpläne von Edmund Stoiber zurückkommen, BAföG mit etwa 445 Millionen Euro sowie das Ganz- der die Ausgaben im Bundeshaushalt durchweg um tagsschulprogramm mit 1 Milliarde Euro. 5 Prozent kürzen will. Ich frage Sie, ob Sie zu den Fol- gen dieser Vorschläge stehen, gerade im Bereich von (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Steht doch Bildung und Forschung? Ich habe Ihre Rotstiftpolitik auf gar nicht so drin!) diesen Haushalt umgerechnet: Über 420 Millionen Euro Natürlich sind noch enorme Kraftanstrengungen er- Einsparungen bedeuten 20 Prozent weniger für Hoch- forderlich, damit wir das ehrgeizige Ziel erreichen, die schulen, Wissenschaft und Ausbildungsförderung. Wie Ausgaben für Forschung und Entwicklung bis 2010 auf wollen Sie das den Studierenden und den Wissenschaft- 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu erhöhen. lern erklären? Wollen Sie künftig nicht nur die Studien- gebühren erheben, sondern bei den bedürftigen Studie- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Früher hieß renden auch noch das BAföG kürzen? Sagen Sie den es verdoppeln! Daran glaubt doch keiner Menschen in unserem Land, was diese Kürzungsvor- mehr!) schläge konkret bedeuten würden. 11334 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004

Andrea Wicklein (A) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dernsten Wissenschafts- und Forschungsstandorte der (C) DIE GRÜNEN – Jörg Tauss [SPD]: Ja, das Region. Golm steht heute für Studieren und Forschen so- wäre ehrlich!) wie zukünftig auch für Gründen. Der Spatenstich für ein neues Technologiezentrum ist vor einigen Tagen erfolgt. Wir brauchen das Gegenteil. Wir brauchen Investitionen in diesen Bereichen. Diese Beispiele zeigen: Nicht 5-prozentige Kürzun- gen – so der Vorschlag aus Bayern – oder das sture Fest- Dass notwendiges Sparen nicht zulasten von Bildung halten an der Eigenheimzulage, sondern die aktive Un- und Forschung gehen muss, haben wir mit unseren Vor- terstützung von wissenschaftlichen Netzwerken schafft schlägen im Haushaltssicherungsgesetz und im Steuer- Arbeitsplätze und damit Perspektiven. vergünstigungsabbaugesetz bewiesen. Wenn Sie diese Gesetze im Bundesrat nicht blockiert hätten, wäre ein (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Sparvolumen von 17,5 Milliarden Euro zusammenge- DIE GRÜNEN) kommen; so waren mit der Union nur 2,5 Milliarden Dafür lohnt es sich, Starthilfe zu geben. Die Initiative Euro möglich. „Unternehmen Region“ des Bundesministeriums für Bil- Damit bin ich schon bei meinem dritten Beispiel, der dung und Forschung verfolgt genau dieses Ziel und un- Eigenheimzulage. Es ist paradox, dass wir sowohl den terstützt damit insbesondere die Entwicklung in Ost- Bau von neuem Wohnraum als auch den Rückbau von zu deutschland. viel Wohnraum fördern. Wir müssen uns doch ernsthaft Lassen Sie mich noch ein Beispiel nennen. Derzeit die Frage stellen: Ist es nicht sinnvoller, in Bildung und steht im Rahmen der Debatte über eine Föderalismusre- Innovation zu investieren als in Beton? form auch die Mischfinanzierung von Bund und Län- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dern auf der Tagesordnung. DIE GRÜNEN) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Davon verste- Wir haben diese Frage ganz klar mit Ja beantwortet. Wir hen Sie im Zweifel nicht sehr viel!) wollen allein im Jahr 2005 63 Millionen Euro aus der Ei- Wir, die Bildungs- und Forschungspolitiker der SPD, genheimzulage für dringend erforderliche Investitionen halten an der gemeinsamen Verantwortung von Bund bei Bildung und Forschung verwenden. und Ländern bei der Finanzierung der Forschung und (Cornelia Pieper [FDP]: Was ist denn mit den des Hochschulbaus fest. Wir sagen Nein zur Kleinstaate- Steinkohlesubventionen, Frau Kollegin?) rei im Hochschulwesen. Doch dazu brauchen wir die Zustimmung der Union. Ich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (B) fordere Sie an dieser Stelle auf: Lenken Sie ein! Unter- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (D) stützen Sie die Investitionen und Innovationen, die Ar- Alle Bundesländer, auch die unionsgeführten, müssten beitsplätze für unser Land schaffen! ein vitales Interesse daran haben, dass wir bundesweit (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ international wettbewerbsfähige Bedingungen an unse- DIE GRÜNEN – Steffen Kampeter [CDU/ ren Hochschulen haben. Wir brauchen auch zukünftig CSU]: Das sind doch alles Luftbuchungen, für die Hochschulen eine Mitverantwortung des Bundes. was Sie hier vortragen!) Wie schon im vergangenen Jahr werden wir auch Liegt unsere Zukunft nicht eher in der engen Koope- 2005 insgesamt 925 Millionen Euro allein für den Hoch- ration zwischen Unternehmen, Hochschulen und schulbau zur Verfügung stellen. Forschungseinrichtungen, wo neue und innovative (Ulrike Flach [FDP]: Warum sparen Sie denn Verfahren, Produkte und Dienstleistungen entwickelt eigentlich bei Leibniz? – Steffen Kampeter und umgesetzt werden? Auch im nächsten Jahr werden [CDU/CSU]: Ist Leibniz keine gemeinsame wir mit 90 Millionen Euro diese regionalen Netzwerke Aufgabe von Bund und Ländern?) fördern. Das sind die Keimzellen für Unternehmensan- siedlungen und Unternehmensgründungen. Wenn es darum geht, diesen Bereich in die Hände der Bundesländer zu geben, dann sollte auch auf die Folgen (Jörg Tauss [SPD]: Das ist die Vision! Das ist für die finanzschwachen Bundesländer hingewiesen der Schwerpunkt!) werden, für die die Gemeinschaftsaufgabe „Hochschul- Jedes Jahr machen sich allein aus den Fraunhofer-Insti- bau“ unverzichtbar ist. tuten mehr als 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Jetzt watscht selbstständig. Wir Politikerinnen und Politiker haben die sie den Vorschlag von Frau Bulmahn ab!) Aufgabe und die Verantwortung, dafür entsprechende Rahmenbedingungen zu setzen. Es ist doch klar: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Nein, offen- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sichtlich nicht!) Erst kürzlich war ich im Wissenschaftspark Golm in Die Forderung – überwiegend aus der Union – nach Ab- Potsdam, nur zehn Minuten von Sanssouci entfernt. Mit schaffung der Gemeinschaftsaufgaben und der Mitwir- der Universität Potsdam, den Max-Planck- und den kung des Bundes im Hochschulwesen schadet vor allem Fraunhofer-Instituten entwickelt sich dort einer der mo- den strukturschwachen Ländern und damit dem Osten. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004 11335

Andrea Wicklein (A) Wissenschaft und Forschung sind in wesentlichen Teilen Jawohl, die Menschen in unserem Land sind leistungsfä- (C) nationale Aufgaben und kein Spielfeld für Kirchturms- hig, aber nicht wegen Ihrer Leistung, sondern trotz der politik. Tatsache, dass Sie sie seit sechs Jahren mit Ihrer missra- tenen Politik, die für unser Land völlig ungeeignet ist, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten kujonieren und traktieren. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Uwe Küster Das gilt vor allem für die Integrationsaufgaben nach [SPD]: Haben Sie Ihre Herztropfen in der Ta- 1990. sche?) Mit dem Haushalt 2005 setzen wir auf verlässliche – Das ist ja eine Unruhe hier! Sie werden noch mehr An- Rahmenbedingungen und Planungssicherheit für die lass zur Unruhe haben. Ich freue mich schon auf die Zu- Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Wie von rufe von Herrn Tauss, die an Lautstärke kaum zu über- Gerhard Schröder zugesagt, erhalten die Forschungsor- treffen sind, zumeist aber an Inhaltsschwere. ganisationen 3 Prozent bzw. fast 100 Millionen Euro mehr. Ich möchte mit einer Bemerkung zu Ihnen, Frau Mi- nisterin, fortfahren. Es fehlt wirklich an Visionen und Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Leitbildern. Man hat den Eindruck, dass Lissabon und Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. Bologna genau wie Maastricht für Sie zwar wohlklin- gende Namen europäischer Städte sind, aber sonst keine (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Herr Präsi- Bedeutung haben. Sie kümmern sich nicht um das, was dent, Sie sprechen uns aus dem Herzen!) Ihres Amtes wäre. Wir werden auch in diesem Jahr bei den Beratungen des Haushaltsplanes in Bezug auf den Andrea Wicklein (SPD): Einzelplan 30 feststellen müssen, dass wir die Chance Dies bedeutet eine enorme finanzielle Kraftanstren- gehabt hätten, Zeichen für eine wirkliche Innovations- gung. offensive im Bereich Forschung und Bildung und für die Förderung von Schlüsseltechnologien zu setzen. Zusam- An die Adresse der Union richte ich abschließend mengefasst: Wir hätten die Chance gehabt, Zeichen für noch einmal den Appell: Blockieren Sie nicht länger die einen Forschungsstandort Deutschland, für einen Wis- Abschaffung der Eigenheimzulage! Investieren Sie lie- senschaftsstandort Deutschland und für einen Wirt- ber in Ideen statt in Beton und Niedriglöhne! Fordern Sie schaftsstandort Deutschland zu setzen. Aber wie nach keinen Ausstieg aus der bundesstaatlichen Solidarität, den Erfahrungen der Vorjahre nicht anders zu erwarten der ausschließlich auf Kosten der finanzschwachen Län- war, beinhaltet dieser Haushaltsplanentwurf wiederum (B) der geht! Luftbuchungen, Wunschvorstellungen, das Setzen von (D) ideologischen Schwerpunkten, aber nicht das, was man (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ von einem seriösen Haushaltsplanentwurf erwartet. DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: neten der FDP) Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus-Peter Willsch Das geht – es ist vorhin angesprochen worden; des- von der CDU/CSU-Fraktion. halb fokussieren Sie so darauf, Frau Wicklein – in den (Beifall bei der CDU/CSU) Vorbemerkungen auf Seite 3 los. Da steht nämlich der Haushaltsvermerk – das ist eine der größten Rosstäu- schungen in diesem Haushalt –, dass Ausgaben in Höhe Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): von 63 Millionen Euro gesperrt sind. Sie sind gesperrt, Herr Präsident! Frau Ministerin! Meine sehr verehrten weil sie durch die Abschaffung der Eigenheimzulage Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! erst erwirtschaftet werden sollen. Sie machen einen sol- Frau Wicklein, es ist schwer zu ertragen, wie Sie hier mit chen Haushaltsvermerk, obwohl Sie die Auseinanderset- tränenerstickter Stimme vortragen, zungen des letzten Jahres erlebt haben und obwohl Sie (Zuruf der Abg. Nicolette Kressl [SPD]) genau wissen, dass wir dem weder im Bundestag noch im Bundesrat zustimmen werden. Sie täuschen also be- wie schlimm es sei, dass wir deutlich machten, wie es in wusst vor, 63 Millionen Euro zu haben. Diese diesem Lande sei. Es kann doch nicht sein, dass Sie die- 63 Millionen Euro stehen von vornherein nicht zur Ver- ses Land in sechs Jahren Regierungsarbeit zugrunde fügung. richten und dass wir nicht einmal beklagen dürfen, was dabei herauskommt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Uwe Küster Sie spielen hier ein unwürdiges Schwarzer-Peter-Spiel [SPD]: Welche Zeitung lesen Sie denn?) und täuschen der Öffentlichkeit Mittel vor, die Sie in Wirklichkeit nicht haben. Frau Ministerin, auch Sie haben gesagt, dass unser Land leistungsfähig ist. Hinzu kommt – um beim Haushaltstechnischen zu bleiben –, dass Sie nach wie vor, also auch in diesem (Dr. Uwe Küster [SPD]: Es ist eines der leis- Jahr wieder, die globale Minderausgabe mit tungsfähigsten Länder der Welt!) 145 Millionen Euro viel zu hoch ansetzen. Sie wissen, 11336 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004

Klaus-Peter Willsch (A) dass diese um mindestens 45 Millionen Euro zu hoch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (C) ausfällt. Das lässt sich leicht ausrechnen. – Wenn man Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Dann aber kri- die 63 Millionen Euro und die 45 Millionen Euro zu- tisieren, dass wir zu viel Geld für Beton for- sammenrechnet, dann sind wir schon bei 108 Millionen dern!) Euro, die fehlen. Zu dem Fehlen von 108 Millionen Euro in nur zwei Positionen des Einzelplans 30 sage ich noch Frau Ministerin, zu dem, was Sie uns hier vorlegen, einmal bewusst: Das ist eine Täuschung. sage ich: Kosmetik, Perspektivlosigkeit und Rosstäu- scherei. Sie sind gescheitert. Frau Ministerin, Sie brin- Außerdem lässt der Bundesfinanzminister noch nicht gen es nicht fertig, Forschung und Wissenschaft auch im die Katze aus dem Sack, was die Frage angeht, welche Haushalt in den Vordergrund zu rücken, obwohl der weitere globale Minderausgabe er den einzelnen Res- Kanzler jeden zweiten Satz mit diesem Thema beginnt. sorts wegen der nicht gedeckten Finanzmittel zur Umset- zung von Hartz IV verordnen wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Sie reden (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Aha!) von 1998!) Nimmt man die globale Minderausgabe Rente vom Auch diese stolz angekündigte Erhöhung um letzten Jahr als Maßstab, so dürfte man bei mindestens 2,8 Prozent bei der Projektförderung sollten wir einmal 50 Millionen Euro, vielleicht aber auch beim Doppelten etwas näher unter die Lupe nehmen, weil auch sie landen. Rechnen wir einmal mit 50 Millionen Euro, da- schlichtweg schöngerechnet ist. Bei einer Erhöhung um mit es nicht ganz so schlimm wird für Sie, Frau Ministe- 2,8 Prozent reden wir von ungefähr 61 Millionen Euro rin. Aufwuchs. Sie müssen sich im Vergleich dazu noch ein- Meine Damen und Herren der Regierungskoalition, mal das Volumen der globalen Minderausgaben vor Au- Sie haben sich schon bei meinen ersten Einlassungen, als gen führen und einräumen, was wir alle miteinander wis- ich von Täuschung sprach, so aufgeplustert. Wie soll sen, nämlich dass vor allem in dem Bereich die globale man es denn anders nennen, wenn bei einem realen Auf- Minderausgabe erwirtschaftet werden muss. wuchs des Plafonds um 200 Millionen Euro im (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Nicht bei Einzelplan 30 schon 150 Millionen Euro in der Wirk- einer gesetzlichen Leistung!) lichkeit dieses Landes gar nicht vorhanden sind? Damit relativiert sich diese Zahl schon sehr. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Täuschungen!) Sie müssen darüber hinaus einrechnen – Herr Fell, da- mit komme ich auf das Thema zurück, das Sie schon an- (B) Ich wiederhole: Die globale Minderausgabe fällt um (D) 45 Millionen Euro zu hoch aus. 63 Millionen Euro sol- gesprochen haben, sogar zu Recht –, dass für Stilllegung len aufgrund des Wegfalls der Eigenheimzulage mehr und Rückbau kerntechnischer Anlagen 77 Millionen zur Verfügung stehen. Hinzu kommt die globale Minder- Euro ausgegeben werden sollen. Das ist zwar ein ausgabe Hartz IV mit 50 Millionen Euro. 3006er-Titel, aber das ist nun nichts, was wir besonders zukunftsträchtig und innovativ finden. Dabei bleiben wir aber nicht stehen; denn es geht noch weiter. Das Meister-BAföG wurde – Frau Flach (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hat es angesprochen – mit einem Volumen von 47 Mil- NEN]: Aber das haben Sie doch vertraglich lionen Euro vom Wirtschaftsministerium auf den Einzel- festgelegt! Das ist doch Ihre Altlast!) plan 30 übertragen, damit aber natürlich auch die Aus- – Herr Fell, für Sie noch ein Hinweis: Sie fahren doch zahlungsverpflichtungen. – Wer in der Grundschule wegen der Ergebnisse der PISA-Studie so gern nach ordentlich aufgepasst hat und die richtige Summe zu bil- Finnland. Hat es vielleicht etwas mit dem Abschneiden den weiß, der erkennt: Damit sind wir bei 200 Millionen der Finnen in der PISA-Studie zu tun, dass sie jetzt neue Euro und damit ist der ganze Aufwuchs verfrühstückt. Kernkraftwerke bauen? Denken Sie einmal darüber Was legen Sie uns hier eigentlich vor, Frau Ministerin, nach! Herr Finanzminister? Das ist nun wirklich eine Täu- schung der Öffentlichkeit. Sie tun so als ob; aber in (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wirklichkeit spielt sich in diesem Einzelplan nichts ab. Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Die Finnen werden ihre Forschungsre- Wir können noch ein bisschen weitergehen. Dabei aktoren auch abbauen müssen!) sind noch nicht so zukunftsträchtige Ausgaben wie 17,7 Millionen Euro Aufwuchs für die Sanierung der Ich war beim Thema Projektfördermittel. Auch hier Kreuzbauten in Bonn berücksichtigt. gilt, Herr Fell: Wenn Sie nicht blockieren würden, wenn (Jörg Tauss [SPD]: Streichen Sie es raus! die Bundesregierung endlich ein Endlagerkonzept vor- Furchtbar gerne!) stellen würde, dann brauchten wir zumindest die 25 Millionen Euro für die Endlagerung nicht im For- Sie können nichts dafür. Dennoch berechnen Sie das mit. schungshaushalt bereitzustellen; dann würde das aus ei- Für alte Bürogebäude müssen Mittel aufgewendet wer- nem anderen Haushalt finanziert. Aber das nur am den. Gleichzeitig müssen wir uns sagen lassen, dass da- Rande, weil wir hier in der Fachdebatte über den Einzel- mit die Ausgaben für Bildung und Forschung erhöht plan sind. Ich weiß, dass das im Ganzen nichts ändern werden. Das darf ja wohl nicht wahr sein. würde. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004 11337

Klaus-Peter Willsch (A) Sie sehen also, meine Damen und Herren: Nicht nur (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) die 200 Millionen Gesamtaufwuchs des Plafonds, son- NEN]: Wie kriegen Sie die 5 Prozent Kürzung dern auch die 61 Millionen vermeintlicher Aufwuchs in hin?) der Projektförderung sind schlichtweg Luftbuchungen, Täuschungen, Verschleierungen, Schönrechnereien und Wir werden vorschlagen, dieses tatsächlich vorhandene kommen in der Wirklichkeit unseres Landes nicht an. Geld im Einzelplan 30 richtungsweisend für die Zukunft Deutschlands einzusetzen. Dies wird über den Gesamt- Frau Ministerin, ich möchte mich abwenden von – – haushalt eingespart werden; denn auch da wird eine Schwerpunktsetzung stattfinden. CDU und CSU werden (Jörg Tauss [SPD]: Wir haben uns schon abge- die Bereiche Forschung und Bildung sowie Verkehr bes- wandt – mit Schaudern!) ser dotieren. Das bedeutet eine tatsächliche Stärkung – Ach, Herr Tauss. Was das Schaudern anbelangt, will des Standorts Deutschland. Die Union wird tatsächlich ich Ihnen eines sagen: Ich habe mir vorhin die Redner- etwas für die Hochschulen tun. Sie redet nicht nur von liste angeguckt und mit Freude festgestellt, dass Sie ganz Spitzenuniversitäten, zum Schluss 15 Minuten haben. Da kann man eine Vier- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das er- telstunde früher gehen, ohne in dieser Debatte etwas zu zählen Sie mal den Landeswissenschaftsminis- verpassen. tern, vor allem dem in Niedersachen! Gucken (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und Sie, was da gerade läuft!) der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Ich fürchte, da sondern sie wird den Ansatz für den Hochschulbau wie- wird die Frau Merkel kommen!) der auf die Höhe des Jahres 2003 bringen, um den Hoch- Ich will Ihnen sagen, was wir als Union dagegenstel- schulen die Möglichkeit zu geben, tatsächlich leistungs- len. Wir in der Union stehen eindeutig für Haushalts- fähig zu sein. Sie sollen nicht gezwungen sein, sich am wahrheit und Haushaltsklarheit. Rande des Existenzminimums, des gerade noch Machba- ren zu bewegen. (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen und Bei- fall bei der SPD – Lachen beim BÜNDNIS 90/ (Jörg Tauss [SPD]: Warum eigentlich nicht DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD: Das ha- 1998? Warum denn 2003?) ben wir erlebt!) – Herr Tauss, Sie rufen dazwischen: Warum nicht 1998? Deswegen wird es mit uns diese Fantasiezahl von Soll ich jetzt entgegnen: Warum nicht 1948? 63 Millionen Euro nicht geben. Wir werden beantragen, (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und (B) die globale Minderausgabe auf ein realistisches Niveau der FDP) (D) zu senken. Wir werden mit unseren Anträgen eine Schwerpunktsetzung anstreben, die den Namen Innova- Sie regieren seit sechs Jahren in diesem Land. Gewöh- tionsoffensive, also Voranbringen des Bereichs For- nen Sie sich langsam einmal daran, dass man nicht schung und Bildung sowie Steigerung der Investitionen, gleichzeitig regieren und immer auf die Opposition zei- tatsächlich verdient hat. gen kann. Sie sind sechs Jahre dran. Sie werden keine 16 Jahre erleben, weil in zwei Jahren Schluss ist mit dem Mit der Union wird nicht in den neuen Bundesländern Zauber. Trotzdem können Sie nicht ständig mit den Fin- gestrichen. Die Union wird streichen, aber in Ihren Ideo- gern in die Vergangenheit zeigen und sagen: Ihr habt da logietiteln, in den Titeln für Öffentlichkeitsarbeit, Selbst- das und das gemacht. Das ist unseriös. darstellung, Selbstbeweihräucherung und in den Titeln, mit denen Sie Projekte fördern, um Ihre gewerkschafts- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörg nahen Institute sponsern und Ihre emanzipatorischen Tauss [SPD]: Ihr habt aber gekürzt!) Phantasien ausleben zu können. Wir werden im Kapitel 3006 circa 100 Millionen in (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr gut! Al- die entsprechenden Titel für Projektförderung geben, um les rausgeschmissenes Geld! – Jörg Tauss Schlüsseltechnologien wie Biotechnologie, Nanotech- [SPD]: Unverschämtheit!) nologie und nationale Raumfahrt zu fördern. Damit wer- den wir Chancen für die Zukunft ergreifen. Hier können Wir werden uns alle Projektlisten anschauen und kürzen, Arbeitsplätze entstehen. Hier können grundlegende In- was das Zeug hält, soweit das notwendig ist. novationen durch Forschungen erzielt werden, die neue (Beifall bei der CDU/CSU) Märkte eröffnen und unserem Land neue Zukunftschan- cen geben. Denn wenn wir es nicht schaffen, überall Das Geld muss in unserem Land zielgerichtet ausgege- wieder Spitze zu sein, werden wir es als Hochlohnland, ben werden und darf nicht für irgendeine Form von For- als Hochkostenland und als Land mit kurzer Arbeitszeit schung verwendet werden, die wir für nicht zukunfts- nicht schaffen, den Standard, den wir heute haben, für trächtig halten. unsere Kinder und Kindeskinder zu sichern. Die Union wird einen Aufwuchs der Ausgaben um Frau Ministerin, an Ihre Adresse möchte ich noch ein- insgesamt 400 Millionen Euro vorschlagen. Wir werden mal sagen: Die Steigerung der Ansätze einiger Titel um beantragen, den Plafond um 300 Millionen Euro aufzu- 3 Prozent ist weiß Gott nicht die großmütig angekün- stocken und 100 Millionen Euro an Einsparungen durch digte Innovationsoffensive des Herrn Bundeskanzlers. Streichungen zu erzielen. Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie müssten Ihren Kanzler 11338 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004

Klaus-Peter Willsch (A) beim Wort nehmen und eine solide Umsetzung seiner Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) Ankündigungen in harte Budgetzahlen einfordern. Statt- NEN): dessen schauen Sie den Luftballons Ihres Kanzlers, die Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich er ein ums andere Mal aufbläst, sehnsüchtig hinterher, habe mir erst überlegt, ob ich ebenso wie der Kollege wenn er sie aufsteigen lässt und sie sich dann im Nichts Fell die Rede von Frau Reiche ignorieren soll oder ob verflüchtigen. ich auf sie eingehen soll. Ich habe mich jetzt für Letzte- res entschieden, um an einigen Beispielen wirklich ein- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: 99 sind das mal zu prüfen, ob Ihr Reden mit dem Handeln Ihrer Par- mindestens!) tei in Deckung zu bringen ist. Ich will das an vier Interessant ist, was zur Qualifizierung Ihrer Leis- Beispielen tun. tungen in diesem Kabinett seit sechs Jahren die „Frank- Zunächst einmal haben Sie gefordert, diese Bundes- furter Allgemeine Sonntagszeitung“ am 1. August dieses regierung müsse mehr Geld für BAföG ausgeben, sie tue Jahres geschrieben hat. in diesem Bereich zu wenig. Ich habe mir noch einmal (Katherina Reiche [CDU/CSU]: Ja, ein guter kurz die Zahlen herausgesucht. Es sieht so aus, dass im Artikel!) Jahre 1998 für BAföG 780 Millionen Euro geflossen sind. Im Jahr 2005 werden 951 Millionen Euro für Dort steht: BAföG fließen Edelgard Bulmahns politischer Erfolg besteht darin, (Zuruf von der SPD: So ist es!) sich als wenig bekannte, wenig erfolgreiche Minis- und 445 Millionen für Bildungskredite bei der KfW. Das terin gleichwohl in Regierung und Partei zu be- macht zusammen ungefähr 1,4 Milliarden. haupten. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Das mag Ihnen genügen, uns ist es zu wenig, Frau Mi- SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – nisterin. Katherina Reiche [CDU/CSU]: Den Leuten (Beifall bei der CDU/CSU) geht es schlechter in diesem Land!) Ich komme zum Schluss. Ich habe gelesen, dass Sie mathematisch-naturwissen- schaftlich gebildet sind. Dann müssten Sie doch eigent- (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann lich wissen, dass 1,4 Milliarden doppelt so viel sind wie [SPD]) 700 Millionen. (B) Die Union ist es, die für den Einzelplan 30 und damit für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D) die Entwicklung der ganzen Bundesrepublik Deutsch- und bei der SPD) land Perspektiven aufweist, die die richtigen Schwer- Das hat auch nichts mit einem Blick zurück zu tun. Ich punkte setzt und somit unser Land aus der von Rot-Grün richte damit den Blick nach vorne. verschuldeten Depression hinausführt. Der zweite Punkt: Sie sagen, man müsse mehr in Zu- (Widerspruch des Abg. Wilhelm Schmidt kunft investieren und dürfe nicht mehr Geld in alte [Salzgitter] [SPD]) Strukturen stecken. Fakt ist, dass Sie bei den Haushalts- Ich möchte meine Rede ähnlich wie meine letztjährige beratungen 2004 eine Verweigerungshaltung an den Tag Haushaltsrede schließen: gelegt haben. Wir wollten die Eigenheimzulage abschaf- fen, Sie haben gesagt: Nein, sie muss bleiben. Wir woll- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ten die Pendlerpauschale kürzen, Sie haben gesagt: Nein, wird auch Zeit!) sie muss bleiben. Den Agrardiesel hatte die Koalition be- reits herausgenommen, aber Sie haben gesagt, er müsse Herr Bundeskanzler, Herr Bundesfinanzminister, Frau drinbleiben. Das heißt, Sie reden von Zukunftsinvestitio- Ressortministerin, sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- nen, sperren sich aber gegen Subventionsabbau und be- gen der Regierungskoalition, Sie können es nicht. Ma- treiben Lobbyismus. Das ist vorne und hinten unglaub- chen Sie Platz für einen neuen Anfang für unser Vater- würdig. land! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Danke sehr. und bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt Dritter Punkt. Sie sprechen – das habe ich in Ihrem [Salzgitter] [SPD]: Schwülstige Worte ohne „FAZ“-Beitrag gelesen – von der Autonomie der Hoch- Inhalt, wie immer! – Jörg Tauss [SPD]: Das schule und sagen, dass man die Universitäten nicht in war sogar der Hälfte da drüben peinlich!) ökonomischer Hinsicht verzwecken solle. In der Sache stimme ich Ihnen hundertprozentig zu. Aber schauen wir Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: einmal, wie es da aussieht, wo Ihre Partei Verantwortung Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Reinhard Loske hat, zum Beispiel in Hamburg. In Hamburg wird gerade vom Bündnis 90/Die Grünen. vom zuständigen Wissenschaftssenator – es ist ja ein CDU-geführter Senat – vorgeschlagen, die Geisteswis- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) senschaften zu halbieren. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004 11339

Dr. Reinhard Loske (A) (Zurufe von der SPD: Ah!) Das ist unser Ansatz; es wurde bereits mehrfach gesagt. (C) Wir hoffen, dass die Union da mitmacht. Ich bin nicht so Ich habe hier einen wunderbaren Artikel aus der „Frank- pessimistisch, Frau Flach, zu sagen, dass die Union die furter Allgemeinen Zeitung“, die eben schon einmal zi- Streichung der Eigenheimzulage ganz sicher nicht mit- tiert wurde, vom 31. August. Dort schreibt Richard trägt; denn Gott sei Dank haben ja auch die Ministerprä- Rorty, ein bekannter Kulturwissenschaftler, der in Ham- sidenten bestimmte Interessen. Wir werden sehen. burg einige Zeit als Gastwissenschaftler war, in einem Essay – ich nehme an, viele von Ihnen haben ihn gele- (Ulrike Flach [FDP]: Wir werden sehen!) sen –: Was den Haushalt selber anbetrifft, ist schon einiges Den Bericht über die geplante Halbierung der Geis- gesagt worden. In vielen Zukunftsbereichen – Software- teswissenschaften an der Universität Hamburg … technik, Mikrosystemtechnik, Nanoelektronik, Nanoma- lese ich mit Verwunderung und Entsetzen. Es ist terialien, Produktionssysteme, optische Technologien, kaum zu fassen, daß derart weitreichende Entschei- auch im Bereich Energieforschung und nachwachsende dungen, durch die Wesen und Funktion einer be- Rohstoffe – ist ein Aufwuchs zu verzeichnen, was si- deutenden Universität substantiell geändert werden, cherlich sehr positiv ist. Wir müssen allerdings kritisch den betroffenen Fakultäten einfach von oben in sehen und im Verfahren prüfen, ob es wirklich vernünf- Form einer politischen Direktive durchgestellt wer- tig ist, im Bereich der Mobilitäts- und Bauforschung den. so stark zu kürzen; denn das sind genau die beiden Be- Das ist Ihre Form von Autonomie! reiche, in denen die größten CO2-Minderungspotenziale liegen – Stichwort: Klimaschutz – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) (Beifall der Abg. Ulrike Flach [FDP]) Das ist verlogen wie sonst was; das muss man ganz klar und in denen aufgrund der demographischen Entwick- sagen. lung große Veränderungen anstehen. Da besteht For- schungsbedarf. Das müssen wir im Laufe des Verfahrens Viertes und letztes Beispiel – dann komme ich zu prüfen und deshalb möchte ich die Kürzungen mit einem meiner eigentlichen Rede –: Stammzellforschung. Sie Fragezeichen versehen. stellen sich hier hin und tun so, als seien die Beschlüsse des Bundestages bzw. die Regierung das zentrale Im Zusammenhang mit der Biotechnologie möchte Hemmnis für das Vorankommen Deutschlands im Be- ich zwei Punkte ansprechen. Ich glaube, dass es falsch reich der Bioforschung. ist, bei der Bionik, also bei der Frage, was wir von der Natur lernen können, beispielsweise für den Flugzeug- (B) (Ulrike Flach [FDP]: Nein, Sie, Herr Loske! – bau, für Oberflächenbeschichtung usw., so stark zu kür- (D) Katherina Reiche [CDU/CSU]: Ich habe dazu zen, wie es hier vorgesehen ist. Dieses zarte Pflänzchen kein Wort gesagt!) sollten wir eher gießen, als es herauszurupfen. Das passt vorne und hinten nicht zusammen. Einige un- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ter Ihnen, wie Sie, wollen bei der embryonalen Stamm- sowie bei Abgeordneten der SPD) zellforschung den Weg sozusagen komplett freimachen, andere sind der Meinung, man brauche hohe moralische, Deshalb glaube ich, da müssen wir noch nachlegen. restriktive Standards. Wir lassen Ihnen nicht durchge- Für die bioethische Begleitforschung sind jetzt die hen, dass Sie sozusagen mit Reiche und Böhmer für und 5 Prozent der Mittel für die gesamte Biotechnologiefor- gegen embryonale Stammzellforschung plädieren. Sie schung vorgesehen, von denen wir meinen, dass sie für müssen sich schon entscheiden. diesen Bereich reserviert werden müssen. Aber ich sehe (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit einer gewissen Skepsis, dass daraus voll der Natio- und bei der SPD – Katherina Reiche [CDU/ nale Ethikrat finanziert werden soll. Den Nationalen CSU]: Ich habe kein Wort dazu gesagt! Das Ethikrat kann man so oder so sehen, Frau Flach; wir se- war Frau Flach!) hen ihn vielleicht nicht beide gleich. Aber die Frage ist, ob er unter die bioethische Begleitforschung fällt. Wenn Vor allem lassen wir Ihnen nicht durchgehen, dass Sie 2,14 Millionen Euro aus diesem Topf an den Nationalen hier mit einer besserwisserischen Attitüde auftreten und Ethikrat gehen, mit einer unglaublichen Arroganz den Finger in jede Wunde legen, aber die eigenen Defizite nicht beim Na- (Ulrike Flach [FDP]: Aber Ihre Bundesregie- men nennen. rung hat das doch gemacht, Herr Loske!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dann muss man auch sehen, dass die Enquete-Kommis- und bei der SPD) sion des Deutschen Bundestages nur 153 000 Euro zur Verfügung gestellt bekommt. Ich glaube, das ist ein Jetzt zum Haushalt. Schön, dass Herr Eichel da ist. Missverhältnis; darüber müssen wir noch einmal reden. Für uns lautet die Devise: Wir müssen die Subventionen weiter senken, um Mittel in Bildung, Forschung, Innova- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tionen und Familie umschichten zu können. sowie bei Abgeordneten der SPD) (Ulrike Flach [FDP]: Was ist denn mit der Was die Nanotechnologie betrifft, muss man sagen, Steinkohle, Herr Loske?) dass es sich um eine vielversprechende Technologie in 11340 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004

Dr. Reinhard Loske (A) der Zukunft handelt. Das ist keine Frage. Aber wir müs- (Ulrike Flach [FDP]: Es kommt doch gar nicht (C) sen bei dieser Nanotechnologie auch eine Begleitfor- mehr zur Forschung!) schung durchführen. Diesbezüglich stehen wir noch sehr am Anfang. Wir müssen vor allen Dingen sicherstellen, Die Politik aber muss Rahmenbedingungen setzen, bei dass bei dieser Technologie die Vorsorge beachtet und denen das Verursacherprinzip gilt. Es kann da nur eine das Verursacherprinzip berücksichtigt wird. Es macht vernünftige Haftungsregelung infrage kommen. keinen Sinn, denjenigen Glauben zu schenken, die mei- Wir müssen die Balance finden zwischen Chancen nen, demnächst würden Nanoroboter die Weltherrschaft und Risiken. Für einen Forscher ist die Strategie „No übernehmen. Aber es gibt viele offene Fragen bei der risk, no fun“ – kein Risiko, keine Freude – die richtige Nanotechnologie hinsichtlich der Gesundheit und der Strategie. Aber für die Politik ist es wichtig, die Rah- Bioethik. Deswegen brauchen wir auch im Bereich der menbedingungen so zu setzen, dass die Freiheit des ein- Nanotechnologie, wie gesagt, eine entsprechende Be- zelnen Forschers nicht zulasten der Gesellschaft oder der gleitforschung. Das ist ganz wichtig. Umwelt geht. Diese Balance müssen wir aushalten. Das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schaffen wir auch. sowie bei Abgeordneten der SPD) Danke schön. Was die strukturellen Rahmenbedingungen betrifft, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN möchte ich Folgendes sagen. Über die Juniorprofessur und bei der SPD) wurde nur kurz gesprochen. Wir alle fragen uns, ob die Ausstattung ausreicht, ob das Lehrdeputat nicht zu hoch ist und ob sich der Doppelcharakter Qualifizierung und Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: gleichzeitig Vollprofessur durchsetzt. Ich habe mit gro- Das Wort hat jetzt die Kollegin Marion Seib von der ßem Interesse in der „Zeit“ gelesen, dass diejenigen, die CDU/CSU-Fraktion. Juniorprofessorinnen oder Juniorprofessoren geworden (Beifall bei der CDU/CSU) sind, Spaß daran haben und zufrieden sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Marion Seib (CDU/CSU): und bei der SPD) Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen Ihre Miesmacherei liegt also völlig daneben. Wir müssen und Kollegen! Wir brauchen schnellstens echte Innova- diesen Leuten sehr schnell eine klare Perspektive geben. tionen in der Wirtschaft und keine schrägen Innovatio- Das heißt, die Länder – das gilt im Wesentlichen für die nen bei der Haushaltsaufstellung. Der Einzelplan 30 des (B) CDU-regierten Länder – müssen die entsprechenden Re- Haushalts hätte die Aufgabe, ein Transmissionsriemen (D) gelungen sehr schnell in Landesrecht umsetzen. zu sein. Sie aber haben ihn zur Handbremse für For- schung, Entwicklung und Wissenstransfer gemacht. Auch bei den befristeten Beschäftigungsverhältnissen müssen wir die Hängepartie beenden. Es ist klar – das (Beifall des Abg. Thomas Rachel [CDU/ haben wir hier schon gemeinsam mehrfach festgestellt –, CSU] – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: dass das Wissenschaftssystem eigene Gesetzmäßigkeiten Schönes Bild! – Dr. Elke Leonhard [SPD]: hat. Es braucht ein höheres Maß an Flexibilität. Deswe- Leninscher Ausdruck!) gen ist das öffentliche Dienstrecht für den Wissen- Weil Innovationen eben nicht kommen, wenn man schaftsbereich auf Dauer ohnehin nicht anwendbar. Wir nur nach ihnen ruft, gibt es viel dafür zu tun, dass sie brauchen einen Wissenschaftstarifvertrag. Ich möchte eine Chance erhalten. Ihnen aber reicht es offensichtlich die Bundesregierung, vor allem den Bundesinnenminis- aus, ein „Jahr der Innovation“, ein „Jahr der Technik“ ter, noch einmal auffordern, hier endlich aktiv zu wer- auszurufen. Ihre Haushaltsvorlage ist Pfusch durch Un- den, dass die Sache nicht länger unerledigt bleibt. vermögen. (Beifall des Abg. Stephan Hilsberg [SPD] und Ich möchte an dieser Stelle einmal klarstellen: Die der Abg. Ulrike Flach [FDP]) von der rot-grünen Bundesregierung so oft entschuldi- Ich könnte noch viel zur Grünen Gentechnik sagen. gend vorgetragenen „handwerklichen Fehler“ als Be- Ich bin mit meiner Redezeit aber fast am Ende. Frau zeichnung für Unvermögen sind eine Beleidigung für Flach, zur Stellungnahme der DFG kann ich nur sagen, unsere tüchtigen Handwerker. dass Klappern zum Handwerk gehört. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: (Ulrike Flach [FDP]: Na! – Thomas Rachel [CDU/ Unglaublich „qualifiziert“!) CSU]: Sie klappern eine ganze Menge!) Ihr Haus, Frau Ministerin, hat einen Haushalt ohne Wenn mit der Grünen Gentechnik wirklich die gemach- jede Rücksicht auf Strategien und unüberlegte Streich- ten Versprechungen eingelöst werden können – Entwick- orgien anderer Häuser aufgestellt. lung von schädlingsresistenten und hitzetoleranten Ar- (Beifall bei der CDU/CSU) ten, was bei einem Klimawandel wichtig ist; bessere Lagerfähigkeit und bessere ernährungsphysiologische Einmal die Priorität falsch gesetzt ist schon schlimm ge- Eigenschaften –, dann würde die Akzeptanz vielleicht nug. Aber zeitgleich in vielen Häusern die Priorität steigen. falsch zu setzen ist eine Katastrophe. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004 11341

Marion Seib (A) Bildung und Forschung als Steinbruch für die Stein- dem Hintergrund des internationalen Wettbewerbs um (C) kohle herzunehmen scheint in dieser rot-grünen Haus- die besten Köpfe. haltspolitik der einzig rote Faden zu sein. Werden doch ausgerechnet im Etat des Kanzleramtes Zuschüsse an die In dieser Situation kürzen Sie, Frau Ministerin, die Länder für die forschenden Museen mit nationaler Be- Mittel zur Steigerung der Attraktivität des Wissen- deutung wie das Deutsche Museum in München oder das schafts- und Forschungsstandortes Deutschland im Aus- Germanische Nationalmuseum in Nürnberg gekürzt, ob- land um 3,5 Millionen Euro. Auch bei der Durchsetzung wohl sie zur Leibniz-Gemeinschaft gehören und aner- der Ziele des Bologna-Prozesses wurden die Prioritäten kannte Forschungsinstitute sind. nicht richtig gesetzt. Zwar räumte die Bundesregierung auf der Bologna-Nachfolgekonferenz 2003 hier in Berlin Das Wirtschaftsministerium – Herr Finanzminister, den Hochschulen bei der Schaffung eines gemeinsamen hören Sie zu! – legt Mittel im Rahmen des Programms europäischen Hochschul- und Wissenschaftsraums eine „Industrielle Gemeinschaftsforschung“ auf Eis. Bereits Schlüsselrolle ein; doch der vorliegende Haushaltsent- getätigte unternehmerische Vorleistungen für neue inno- wurf spiegelt diese Schlüsselfunktion der deutschen vative Produkte können nicht in die Wertschöpfungs- Hochschulen in keiner Weise wider. Für die nationale kette aufgenommen werden. Was heute nicht in den in- Umsetzung des Bologna-Prozesses stehen im Vergleich dustriellen Vorlauf kommt, kann in zwei Jahren auf dem zum letzten Jahr 37 Prozent weniger Mittel zur Verfü- Markt schlicht und einfach nicht erscheinen. Allein aus gung. einem einzigen Bereich, dem der Fügetechnik, sind 14 Vorhaben blockiert: die Plasma-MIG-Technologie für (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Hört! Hört!) beschichtete Stähle, das Laserstrahlschweißen für Poly- Eine Sparrunde in dieser Größenordnung ist hier völlig mere, das Hochleistungsschweißen von hochfesten Alu- falsch am Platz. miniumlegierungen; diese Liste ist fortsetzbar. Durch die Blockade der Vorhaben bei der Klebstofftechnik wird die Spätestens auf der nächsten Bologna-Nachfolgekon- bisherige Erfolgsgeschichte der Klebetechnik beendet. ferenz in Bergen in Norwegen wird sich dies zeigen. Wegweisende Forschungsvorhaben werden behindert Hier müssen die Teilnehmerstaaten Rechenschaft über oder sogar ganz verhindert, weil betroffene Firmen den ihre Fortschritte im Bologna-Prozess ablegen. Der ver- für Forschung und Entwicklung fehlenden Finanzie- einbarte Schwerpunkt wird dabei in der Fortentwicklung rungsanteil des Bundes einfach nicht überbrücken kön- der Qualitätsabsicherung liegen. Auf diesem Feld nen. muss in Deutschland noch einiges getan werden, Frau Ministerin. Mit Akkreditierungsrat und Akkreditierungs- Der Einzelplan 12, der Haushalt des Bundesministe- agenturen steht zwar die Struktur für die Qualitätsabsi- riums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, ist eine (B) cherung zur Verfügung; das allein reicht aber nicht. Es (D) Katastrophe. Zusätzlich kürzen Sie, Frau Ministerin, sind erst 670 von 2 500 Bachelor- und Masterabschlüs- beim Titel „Verkehr und Mobilität“ gut 12 Prozent der sen akkreditiert. Für eine dauerhafte Akzeptanz der Mittel. Dabei wäre die Bundesregierung aufgefordert, neuen Abschlüsse bei Studierenden und Lehrenden so- die Bereiche Verkehr, Mobilität und moderne Infrastruk- wie vor allem in der Wirtschaft ist eine durchgehende tur zu fördern. Andernfalls erweist sich die Forderung Qualitätsabsicherung unerlässlich. Hier dürfen die Be- nach einem größeren Anteil an moderner Infrastruktur troffenen nicht allein gelassen werden. Die Umstellung dauerhaft als Illusion. auf die neuen Studiengänge darf nicht zum Misstrauen Genauso kurzsichtig wie bei den Verkehrstechnolo- gegenüber den Fähigkeiten der Absolventen führen. gien agieren Sie beim Titel „Bauen und Wohnen“ mit ei- Der Bologna-Prozess stellt für die deutschen Hoch- ner Etatsenkung von sage und schreibe 42 Prozent. Auf- schulen eine enorme Chance dar, ihre Wettbewerbsfähig- grund der drohenden demographischen Entwicklung keit zu verbessern. Die zeitlichen und materiellen Anfor- sind besonders in diesem Bereich verstärkt wissenschaft- derungen an die Hochschulen sind sehr hoch. Dabei sind liche Anstrengungen erforderlich, um in einer älter wer- sie auf ein Mehr und nicht auf ein Weniger an Unterstüt- denden Gesellschaft adäquate Wohnbedingungen für alle zung angewiesen. Bevölkerungsgruppen zu entwickeln. Wenn man sich dann noch bewusst macht, wie eng Gleiches gilt für die viel beschworene Elitebildung. die Forschungseinrichtungen mit den Hochschulen zu- Elitebildung kann nicht staatlich verordnet werden und sammenarbeiten, wird deutlich, welcher Schaden für die bei der Auswahl einiger weniger Elitehochschulen be- deutsche Wissenschaftslandschaft entsteht. Kluge und ginnen. gut eingearbeitete Köpfe aus den Forschungs- und Ent- (Jörg Tauss [SPD]: Sie haben etwas gegen wicklungsabteilungen der Firmen und aus den universi- Wettbewerb!) tären und außeruniversitären Instituten müssen entlassen werden. Sie werden aber keine weitere Verwendung fin- Zunächst muss der wissenschaftliche Nachwuchs besser den, weil alle Häuser zeitgleich und unabgestimmt kür- gefördert werden. Im Einzelplan 30 geschieht genau das zen. Allein mir liegen fünf Schreiben von betroffenen In- Gegenteil. Sie zäumen das Pferd von hinten auf. Die stituten vor. Ich denke, Sie machen mit diesem Gelder zur Entwicklung neuer Graduiertenstudiengänge Programm den Weg für den weiteren Braindrain frei. werden gekürzt. Daraus ergibt sich eine paradoxe Situa- Dies ist nichts anderes als ein grandioses Programm zur tion: Auf der einen Seite wollen Sie die Graduiertenkol- Know-how-Vernichtung in Deutschland – und dies vor legs durch das Eliteprogramm fördern; auf der anderen 11342 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004

Marion Seib (A) Seite kürzen Sie still und heimlich die Gelder für die gingen im Wissensstandort Deutschland definitiv die (C) Graduiertenstudiengänge. Lichter aus. (Jörg Tauss [SPD]: Das stimmt doch nicht!) Vielen Dank. Das Programm „Jugend forscht“ wird gekürzt, ob- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. gleich sich die Notwendigkeit einer möglichst frühzeiti- Ulrike Flach [FDP]) gen Förderung bis zur Bundesregierung herumgespro- chen haben sollte. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Ernst Dieter (Zuruf des Abg. Jörg Tauss [SPD]) Rossmann von der SPD-Fraktion. – Wenn es sich nicht herumgesprochen hat, dann ist es (Beifall bei der SPD) schlecht, Herr Tauss. (Jörg Tauss [SPD]: Ärgerlich, wenn Sie nicht Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): die Wahrheit sagen! Wirklich ärgerlich!) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es hat in diesen Haushaltsberatungen schon Meine Damen und Herren, bekanntlich entsteht Ex- viele rhetorische Höhepunkte gegeben. Aus der Debatte zellenz nur, wenn Forscher die Möglichkeit haben, ihre vom heutigen Morgen suche ich mir als einen Höhe- Ideen frei und ohne Vorgaben zu entwickeln. punkt die Rede von Frau Flach heraus, als sie mehrfach ganz fröhlich und unbeschwert sagte: Ich will, ich will, (Beifall bei der CDU/CSU) ich will. – Ist es demgegenüber nicht gut, dass wir eine Regierung haben, die vom „wir“ redet? Bei uns heißt es: In der Kernenergieforschung und in der Gentechnik ist Wir machen etwas zusammen. dies in Deutschland momentan nicht möglich. Beide Be- reiche werden seit Jahren von der rot-grünen Bundesre- (Ulrike Flach [FDP]: Das ist in diesem Fall das gierung mit List und Tücke ausgebremst. Wir bräuchten Schlimme!) aber die Atomkraft und die Gentechnik als technologi- sche Optionen für zukünftige Generationen. Dieses Wir wird in Bezug auf Bildung, Betreuung, Er- ziehung, Forschung und Entwicklung ganz massiv in Auf dem Weltenergiekongress in Sydney wurde ge- den Vordergrund gerückt. Wenn wir nicht nur auf diesen rade in dieser Woche festgestellt, dass sich die Kernener- Einzelplan gucken, sondern die Gesamtheit dessen neh- gie als Energieträger weltweit wieder auf dem Vor- men, was sich bei diesen Haushaltsberatungen in Bezug (B) marsch befinde. Es besteht die Gefahr, dass Deutschland auf Innovation widergespiegelt hat, dann können wir (D) bei der derzeitigen hiesigen Entwicklung den Anschluss auch andere Ressorts heranziehen. Wir von der sozialde- verpasst, wie dies bereits in anderen Bereichen gesche- mokratischen Seite – ich glaube, dies gilt auch für die hen ist. Grünen – halten es für ausgesprochen gut, dass Innova- tion ein ressortübergreifendes Anliegen dieser Regie- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ziemlich rung ist. rückwärts gewandt, was Sie da erzählen!) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Die beste In- Mittlerweile ist es in Deutschland für junge Menschen novation wäre eine neue Regierung!) unattraktiv geworden, sich mit der Atomphysik zu be- Dies beginnt in der Bildungspolitik da, wo es um schäftigen. Gerade in diesem Bereich fehlt es an qualifi- ziertem Nachwuchs, was dazu führt – jetzt hören Sie Ganzheitlichkeit und Nachhaltigkeit geht. Gestern hat- ten wir eine Diskussion über das Tagesbetreuungsaus- bitte gut zu –, dass Atomphysiker im Rentenalter für Be- baugesetz. Dies bedeutet Förderung zu Beginn der Erzie- ratungstätigkeiten herangezogen werden müssen. So weit wird es in der Gentechnik natürlich gar nicht erst hung von Kindern und Jugendlichen. kommen. Mit Ihrem Gentechnikgesetz machen Sie inno- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ vative Forschungsvorhaben schon von Anfang an un- DIE GRÜNEN) möglich. Beim Finanzminister sind 1 Milliarde Euro für Ganz- Meine Damen und Herren, es stimmt verdrießlich, tagsschulen in besten Händen. Dieses Geld wird auch wenn man merkt, dass einerseits etablierte und von allen tatsächlich ausgeschüttet. Damit kommt Schule für alle Seiten als notwendig anerkannte Programme weniger in Bewegung. Mittel erhalten, andererseits die pure Öffentlichkeitsar- Auch der Wirtschafts- und Arbeitsminister macht hier beit des Bundesministeriums keinerlei Kürzungen unter- mit; in seinem Haushaltsplan sind die Mittel für liegt. 25 000 zusätzliche Einstiegsqualifikationen veranschlagt, (Beifall bei der CDU/CSU – Axel E. Fischer für die der Bund, der Steuerzahler, fast 100 Millionen [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]: Hochglanzbro- Euro bereitstellt. Uns ist wichtig, dass eines deutlich schüren statt Forschung, so ist es!) wird: Wenn wir in Deutschland Bildung und Innovation entwickeln wollen, geht es nicht um das Ich, um das ein- Ich hoffe nicht, dass dies der Nachweis für das Regie- zelne Ressort, sondern um die Gesamtheit. Dies wird rungsmotto „The show must go on“ ist. In diesem Falle von allen Mitgliedern der Regierung gemeinsam getra- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004 11343

Dr. Ernst Dieter Rossmann (A) gen. Deswegen spreche ich an dieser Stelle meinen aus- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C) drücklichen Dank an die gesamte Regierung aus. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Wir können die inneren Reformen im Hochschul- DIE GRÜNEN – Ulrike Flach [FDP]: Genau bereich anführen. Sie wissen doch genau, welche Aus- das sehen wir nicht so!) einandersetzungen wir miteinander hatten, als wir zum ersten Mal über Leistungskomponenten bei der Hoch- Sie meinten, diese Ministerin könnte mehr und ande- schullehrerbezahlung diskutiert haben. res machen. Zwar gebe ich Ihnen zu, dass Sie es richtig beschrieben haben, dass der Föderalismus in Deutsch- (Ulrike Flach [FDP]: Da waren wir dabei!) land manchmal ein Gestrüpp ist, wenn es um Innovation geht. Wer dieses Gestrüpp nur von außen betrachtet, – Sie waren dabei, die anderen waren im Busch und die kann nichts verändern. Wer aber mit Initiativen an das Ministerin hat es gemacht. Gestrüpp herangeht und nicht nach Zuständigkeit, son- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dern nach dem Notwendigen fragt, der wird etwas bewe- DIE GRÜNEN) gen. Das ist doch die Wirklichkeit in der Bildungs- und For- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schungspolitik: Wir haben jungen Leuten eine erste, DIE GRÜNEN) zweite und auch dritte Chance eröffnet. Hier haben wir mit Frau Ministerin Bulmahn eine Minis- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ terin, die in diesem Bereich ungemein viel bewegt hat. DIE GRÜNEN) Ich will mich nicht noch einmal auf die Bereiche der Hätten wir die Juniorprofessur bekommen, wenn die Primarförderung, der schulischen und der beruflichen Kleinmütigen das Wort geführt hätten? Wir haben jetzt Förderung beziehen. die Juniorprofessur, weil unsere Ministerin den Mut (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wo sie über- dazu hatte. haupt keine Kompetenz hat!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ich will mich stattdessen auf den Hochschulbereich DIE GRÜNEN) konzentrieren. Diese Entscheidung hatte Auswirkungen auf die Nach- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Es wäre wuchsförderung und die Konkurrenzsituation an den schön, wenn sie das erledigte, wofür sie zu- Hochschulen und eröffnet neue Entwicklungsmöglich- (B) ständig ist!) keiten. Wir haben Vertrauen in die jungen Wissenschaft- (D) Es ist nicht fair, zu ignorieren, dass das BAföG erst wie- ler und fähigen Nachwuchskräfte gesetzt und das entwi- der zu einer wirklichen Chance für viele junge Leute ge- ckelt sich positiv. Das ist eine Leistung. worden ist, nachdem diese Regierung es reformiert hat. Sie mögen sich noch dreimal darüber freuen, dass im (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Bundesverfassungsgericht die Kleinmütigen die Mehr- DIE GRÜNEN) heit hatten, Wir haben hier einen massiven Erfolg erzielt, der sich in (Thomas Rachel [CDU/CSU]: „Kleinmütige steigenden Studierendenzahlen und steigenden Geför- Mehrheit“! Wie reden Sie über das Bundesver- dertenzahlen widerspiegelt. Die Chancen für die jungen fassungsgericht?) Leute, die es bisher materiell nicht so gut hatten, sind da- aber das ist nicht das Entscheidende. durch gestiegen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ich komme zum Hochschulbau. Hier gab es die kleine DIE GRÜNEN) Arabeske, als gefragt wurde: Warum fangen wir nicht 1948 an? Wir fangen deshalb 1998 an, weil es 1998 den Das Entscheidende ist, dass Sie jetzt dort, wo Sie kön- Offenbarungseid eines vermeintlichen Zukunftsministers nen, mitmachen, gab. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist eine (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ glatte Missachtung des Bundesverfassungsge- DIE GRÜNEN – Jörg Tauss [SPD]: Rüttgers richts! – Thomas Rachel [CDU/CSU]: Sie sind hieß der!) mit Ihrer Politik gescheitert! – Gegenruf des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Le- Dass in dieser Legislaturperiode die Mittel für den sen Sie mal im Urteil nach! Da steht im Min- Hochschulbau verstetigt wurden und die Vorauszahlun- derheitenvotum, dass das ein politisches Urteil gen abgetragen worden sind, ist eine Leistung dieser Re- ist!) gierung. um Juniorprofessuren im Hochschulrecht der Länder als (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Nostalgische selbstverständlich zu verankern. Es bleibt dabei, dass ei- Betrachtungen führen nicht in die Zukunft!) nige in der Verantwortung stehen. Sie tragen Verantwor- Es ist eine Leistung dieser Ministerin, das vorangebracht tung, die Veränderungen im Hochschulrecht – um es zu haben. knapp zu formulieren – in den Ländern ernst zu nehmen, 11344 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004

Dr. Ernst Dieter Rossmann (A) statt es, wie Sie es vorher gemacht haben, auf die lange gesprochen hat. Es ist doch richtig, dass dieser (C) Bank zu schieben. Haushaltsplan einen Mittelzuwachs für Sozial- und Geisteswissenschaften enthält. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Jörg Tauss [SPD]: Ja!) Ich komme zu einem weiteren Vorhaben, das von uns – ich will es selbstkritisch ausführen, weil man sich an Genauso richtig ist es, dass wir uns darüber freuen, dass einem solchen Podium nicht an seiner Rhetorik berau- die Deutsche Forschungsgemeinschaft mit den über schen soll – etwas verkantet eingeleitet worden ist. Es 30 Millionen Euro, die sie mehr bekommt, auch in die- war kein Ruhmesblatt, dass am Anfang von Harvard und sem Bereich zusätzliche Akzente setzen will. Das ist Stanford und anderen Eliteuniversitäten die Rede war. deshalb so wichtig, weil dadurch die Ganzheitlichkeit Aber was ist daraus geworden? Daraus ist ein exzellen- nicht nur von Forschung und Lehre, sondern auch der tes Programm – von Bund und Ländern verabredet – in Wissenschaften überhaupt, des Studiums wieder stärker Bezug auf die Entwicklung von Spitzenqualitäten, von in den Mittelpunkt gerückt wird. Zusammenarbeit auf höchstem Niveau und von Nach- Wir haben uns sehr darüber gefreut, dass unter ande- wuchsförderung an deutschen Hochschulen geworden. rem von der Wirtschaft die Leitidee des kontextbezoge- Die finanzielle Ausstattung war schon bis zum letzten nen Studiums wieder stärker betont wird, eines Studium Punkt über mehrere Jahre hinweg ausgehandelt worden. also, das nicht nur Schmalspurstudium ist, sondern ei- (Ulrike Flach [FDP]: Jetzt liegt es!) nes, das auf Implikation zielt, das also auch das Umfeld, die Vermittlungsfähigkeit, den kulturellen, sozialen und Der Kollege Loske hat bereits darauf hingewiesen, historischen Hintergrund der Wissenschaften mit be- dass hier Chancen blockiert werden. Wir können uns leuchtet. Früher nannte sich dieses Studium generale; nicht vorstellen, aus welchem Grund Sie es blockieren, neuerdings nennt es sich kontextbezogenes Studium. außer aus einem rein parteipolitischen Grund oder aus dem Gefühl der Missgunst gegenüber der Ministerin und Das Wichtige ist, dass diese Regierung alles ihr Mög- einer Regierung, die mit Ihren Kultus-, Bildungs- und liche tut, um dies den Hochschulen der Forschungsge- Forschungsministern zusammen etwas entwickelt hat. meinschaft zu ermöglichen. Wir finden dies gut und wol- Das ist eine sehr herbe Entwicklung. len und werden die Regierung darin unterstützen. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist eine üble Verleumdung unserer Motive!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Rossmann, Ihre Redezeit ist wirklich lange ab- – Sie fühlen sich verleumdet? gelaufen. (B) (D) Ich mache einen Schnitt. Ich darf eine Presseerklä- rung der Deutschen Forschungsgemeinschaft anführen. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Sie ist eine der angesehensten Forschungsorganisationen Herr Präsident, mein letzter Punkt: Ob es uns gelingt, – sie ist sehr politikfern –, weil sie aus dem Sachverstand liegt auch an Ihnen, an CDU/CSU und FDP. Sie mögen der Universitäten und wissenschaftlichen Einrichtungen diese Chance nutzen oder nicht. Den Nutzen haben am gespeist ist. Sie und wir haben uns immer für diese For- Ende nicht wir auf politischer Ebene, sondern den haben schungsgemeinschaft eingesetzt. Die DFG hat am 7. Juli die jungen Menschen, die Hochschulen in Deutschland. erklärt: Eine solche öffentliche Äußerung der Mitglie- Diese bekommen Zukunftschancen. Deshalb tragen Sie derversammlung der DFG geschieht erstmalig. Mitverantwortung. Nehmen Sie diese Verantwortung wahr! Weshalb hat sie sich erstmalig geäußert? – Sie nimmt sich sonst sehr zurück, aber sie äußert sich diesmal, weil Danke. sie so tief enttäuscht darüber war, dass das Exzellenzpro- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gramm, das von der Ministerin zusammen mit den Län- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der dern ausgehandelt worden ist, blockiert worden ist. Die CDU/CSU) Blockade ist doch nicht von der Ministerin ausgegangen; die Blockade geht doch von Ihrer Seite aus. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Das Wort hat jetzt der Kollege Thomas Rachel von DIE GRÜNEN) der CDU/CSU-Fraktion. Die DFG bittet Sie förmlich, die Blockade aufzuge- (Beifall bei der CDU/CSU) ben, damit es baldmöglichst zur Umsetzung dieser neuen Initiative kommen kann, die auch die Basis für Spitzen- Thomas Rachel (CDU/CSU): leistungen an unseren Hochschulen verbreitert, die die Lehre verbessert, die jungen Leuten eine Chance gibt Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und und die Leuchttürme in unserer differenzierten Hoch- Kollegen! Vollmundig hat Bundeskanzler Schröder die- schullandschaft entstehen lässt. ses Jahr zum „Jahr der Innovation“ erklärt. Ich frage mich: Wo ist eigentlich der Bundeskanzler, wenn über Ich will noch eine Bemerkung zu dem Zusammen- den Haushalt für Forschung und Innovationen beraten hang zwischen Natur-, Ingenieur-, Geistes- und Sozial- wird? Er fehlt und das ist symptomatisch dafür, was er wissenschaften machen, den auch der Kollege Loske an- von diesem Thema in Wirklichkeit hält. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004 11345

Thomas Rachel (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- vollkommen anders aus; denn mit dem Aufwuchs in Ih- (C) neten der FDP – Zuruf von der SPD: Wo ist rem Haushalt lässt sich dieses Ziel nicht erreichen. Für denn Frau Merkel?) wie dumm meinen Sie uns eigentlich verkaufen zu kön- nen? In Ihrem eigenen Bundesforschungsbericht rechnen Gespannt warten Hochschulen und Wissenschaft auf Sie vor, dass selbst bei einem Nullwachstum ein Zu- neue Impulse und neue Finanzmittel, damit aus der ange- wachs in Ihrem Haushalt von 4,3 Prozent nötig wäre. kündigten Innovationsoffensive etwas Konkretes wird. Bei einem Wirtschaftswachstum von 2 Prozent wäre im Heute stellen wir aber fest: Die Innovationsoffensive Haushalt des BMBF ein Zuwachs von 6,4 Prozent not- findet im Bundeshaushalt keinen Niederschlag. Die wendig. Davon ist Rot-Grün himmelweit entfernt. Orientierung auf Innovationen, die Schröder angekün- digt hat, gibt es eindeutig nicht. Für diesen Einzelplan ist (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- gerade einmal eine Steigerung um 2,45 Prozent vorgese- neten der FDP) hen. Damit ist es einer von 18 Einzelplänen, die ein we- Mittlerweile attestieren sogar ihre Kabinettskollegen nig Aufwuchs erfahren. Eine Konzentration auf Bildung Frau Bulmahn ein mangelndes Profil. In einer Sitzung und Forschung hat jedoch nicht stattgefunden. Deshalb des Parteirats der Grünen sagte Bundesumweltminister spricht der „Spiegel“ von einem „Flop“. Erfolge sind Trittin: nicht in Sicht. Keines der von Ihnen angekündigten Ziele ist bislang umgesetzt worden. Dieses Scheitern hat ein ( [SPD]: Waren Sie dabei?) Gesicht: Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn. Eigentlich sei es egal, ob man – ich zitiere – „der guten Sie stolpert von einer Niederlage zur nächsten. Edelgard“ ein paar Millionen oder Milliarden Euro mehr (Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt gebe; in der Bevölkerung erfahre davon ohnehin nie- [Salzgitter] [SPD]: So ein Unsinn! Billiger mand etwas. geht es wohl nicht!) (Jörg Tauss [SPD]: Deswegen wollen wir die Auch in der SPD nimmt die Unruhe zu. Der „Berliner Öffentlichkeitsarbeit verbessern!) Zeitung“ sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete : „Wir sagen überall: Innovationen, Investitionen Niemand kenne die für das Zukunftsressort zuständige in die Zukunft. Aber diesem Anspruch werden wir nicht Politikerin. gerecht.“ – Wo er Recht hat, hat er Recht. (Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/ (Beifall bei der CDU/CSU – CSU]: Die haben ja schon in Niedersachsen [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dazu zusammengearbeitet! Er muss es also wissen!) (B) müssten wir das Geld aus den Subventionskür- (D) zungen haben!) So äußerte sich Ihr Kabinettskollege Trittin. Da müssten Ihnen eigentlich die Ohren scheppern. Im März hat Schröder angekündigt, er habe kein Geld mehr, deshalb müsse man Subventionen aus der Vergan- (Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: genheit in zukünftige Investitionen umschichten. Und deswegen machen wir jetzt mehr Öffent- lichkeitsarbeit! Sehen Sie! – Ute Berg [SPD]: Meine Damen und Herren, Frau Ministerin, wir unter- So etwas zu sagen, das steht Ihnen überhaupt breiten Ihnen heute hier ein ganz konkretes, belastbares nicht zu, Sie Schnösel!) Angebot. Wir sind bereit, von den Kohlesubventionen, also Subventionen aus der Vergangenheit, einen All das zeigt die Ohnmacht der Ministerin. Frau dreistelligen Millionenbeitrag, genauer gesagt: Bulmahn hat im Bundeskabinett kein politisches Ge- 300 Millionen Euro, für Investitionen in Bildung und wicht. In den sechs Jahren ihrer Ministertätigkeit hat sie Forschung umzuschichten. kein inhaltliches Profil entwickelt und keine For- schungsdebatte durch eigene, kluge Gedanken prägen (Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: können. Das ist die bittere Bilanz, die wir ziehen müs- Weil ihr wisst, dass das nicht geht, weil die sen. Verträge abgeschlossen sind! – Ulrike Flach [FDP]: So wenig?) (Beifall bei der CDU/CSU) Die Alternative ist klar: Vergangenheit oder Zukunft. Auch im vorliegenden Haushalt werden die Weichen Wir sind für die Zukunft und wollen hierzu einen wichti- falsch gestellt. Die globale Minderausgabe, die im gen Beitrag leisten. Haushaltsvollzug erwirtschaftet werden soll, ist mit 145 Millionen Euro viel zu hoch angesetzt. Das wird (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – sich zulasten der Projektförderung in den Bereichen Ulrike Flach [FDP]: Das sind aber wirklich Gen-, Nano- und Informationstechnologie auswirken. Peanuts! – Edelgard Bulmahn, Bundesministe- Die Mittel für die Förderung des Mittelstandes, insbe- rin: Da haben Sie aber ein großes Geschenk sondere der Arbeitsgemeinschaft industrieller For- gemacht!) schungsvereinigungen, wurden nicht um 3 Prozent er- Lauthals hat Gerhard Schröder sein Ziel verkündet, höht. Dadurch ist der Mittelstand in eine die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung bis Innovationsdefensive geraten. Das ist ein Riesenfehler; 2010 auf 3 Prozent des Bruttoinlandprodukts zu erhö- denn gerade der forschungsnahe Mittelstand ist der ent- hen. So weit seine Ankündigung. Die Realität sieht aber scheidende Wachstumstreiber unserer Volkswirtschaft. 11346 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004

Thomas Rachel (A) Die diesjährigen Kürzungen des Bundes beim Hoch- Dabei ist die Juniorprofessur durchaus geeignet, zu einer (C) schulbau in Höhe von 135 Millionen Euro werden auch Verjüngung des wissenschaftlichen Nachwuchses und im nächsten Jahr nicht zurückgenommen. So sieht die dessen früherer selbstständiger Tätigkeit beizutragen. Realität des Jahres 2005 aus; sie hat nichts mit der in den Aber, Frau Bulmahn, es ist alles eine Frage der Ausge- Glanzbroschüren Ihres Ministeriums beschriebenen Un- staltung, ob eine Reform Bestand hat oder nicht. Ihr Be- terstützung von Spitzenuniversitäten zu tun. harren auf dem Verdrängen der Habilitation und Ihre nicht zu bändigende zentralistische Grundhaltung (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) (Lachen bei Abgeordneten der SPD) Ich will Ihnen nur eine Zahl nennen: Allein in den haben aus einer guten Reformidee einen Scherbenhaufen neuen Bundesländern besteht ein Bedarf an Neu- und gemacht; das ist Ihr politisches Versagen. Ausbauten von Hochschulen in einer Größenordnung (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der von 5,74 Milliarden Euro. Davon muss der Bund bis zu SPD: Wie im Karneval!) 50 Prozent mitfinanzieren. Dieser gesamtdeutschen Un- terstützung aller neuen Länder müssen wir uns stellen. Die Bundesländer kommen jetzt in die Situation, dass sie Aber was macht die Bundesregierung? Sie stiehlt sich den Schaden und die Unsicherheit, die Sie bei Hunderten davon und nimmt weitere Kürzungen beim Hochschul- Juniorprofessuren verursacht haben, beheben müssen. bau vor. Dieser Schaden wäre vermeidbar gewesen und ich sage Ihnen, Frau Bulmahn: Dieses Scheitern Ihrer Bildungs- Die Mittel für den DAAD und die Alexander-von- politik vor dem Bundesverfassungsgericht wird immer Humboldt-Stiftung zur Steigerung der Attraktivität unse- mit Ihrem Namen verbunden bleiben. res Wissenschafts- und Hochschulstandortes im Aus- land werden um 3,5 Millionen Euro gekürzt, und dies (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) vor dem Hintergrund des internationalen Wettbewerbs um die besten Köpfe in einer globalisierten Wissen- Die Debatte um die Juniorprofessur ist ohnehin schafts- und Forschungsgesellschaft. typisch für die Handlungsweise der Bildungsministerin: eine an sich sinnvolle Grundidee zu einer Glaubensfrage (Jörg Tauss [SPD]: Herr Koch war das! – Ge- zu machen und sie damit zuschanden zu reiten. So hat genruf des Abg. Dr. Christoph Bergner [CDU/ auch die „Süddeutsche Zeitung“ geschrieben: „Ihre Ab- CSU]: Und Herr Steinbrück!) sicht war richtig, ihr Eigensinn falsch.“ So geschieht es auch mit den Studiengebühren, aus deren Verbot Frau Wie ich von Vertretern der Humboldt-Stiftung höre, Bulmahn eine heilige Kuh macht. Ohnehin ist zu erwar- (B) ist die Qualität der chinesischen Bewerber im Moment ten, dass das Verfassungsgericht dieses Verbot aufheben (D) so hoch wie nie zuvor in der Geschichte. Der Hinter- wird. grund sind die Restriktionen in den USA – Stichwort: Homeland Security –, die zu einem Ausweichen der Ein anderes Beispiel für falsche Weichenstellungen wirklichen Topleute in andere Länder führen. Meine Da- ist das neue, restriktive Gentechnikgesetz. Die Biotech- men und Herren, es wäre eine Riesenchance für nologieunternehmen in Deutschland sind fassungslos. Deutschland, wenn wir uns beispielsweise mit einem Mit dem neuen Gesetz, Ihrem Gesetz, steht die agrari- Sonderprogramm um China kümmern würden. Aber wo sche Gentechnik in Deutschland vor dem Aus. Ein kom- sind die Ideen der Regierung? Es gibt keine. merzieller Anbau wird hier nicht mehr stattfinden kön- nen. Versuchsfelder in Baden-Württemberg, Sachsen- Der nach dem früheren Nobelpreisträger Wolfgang Anhalt und hier in der Region sind zerstört worden. Das Paul benannte Forschungspreis für international heraus- mittelständische Unternehmen „Kleinwanzlebener Saat- ragende Spitzenwissenschaftler, die Trendsetter für inno- zucht“ hat angekündigt, keine Freilandversuche mehr vative Forschungsrichtungen sind, musste mangels Fi- durchzuführen: Die Aktivitäten sollen aus Europa nach nanzmasse auf Eis gelegt werden. Statt neue Impulse zu Amerika verlagert werden, wo keine Feindseligkeit setzen, betreibt das BMBF hier Abbau – schade, schade, herrscht – wörtliches Zitat. Die „Union der deutschen schade. Akademien der Wissenschaften“, so berichtet heute die „Welt“, hat in einem Memorandum an alle Abgeordne- Nicht nur bei den Finanzen sind die Weichen falsch ten dieses Parlamentes appelliert, dieses Gesetz nicht gestellt, sondern auch bei den Inhalten Ihrer Bildungs- wirksam werden zu lassen. Zitat des Präsidenten der und Forschungspolitik. Zu einem völligen Desaster für „Union der deutschen Akademien der Wissenschaften“: diese Regierung hat die Entscheidung des Bundesverfas- „Das geplante Gesetz“ – Ihr Gesetz – „ist ein Innova- sungsgerichts zur Juniorprofessur geführt. Zutreffend tionskiller und Arbeitsplatzvernichter.“ Das ist die Reali- hat das Gericht festgestellt, dass Ministerin Bulmahn tät Ihrer falschen Politik. durch die Überreglementierung der Juniorprofessur und – das war der entscheidende Punkt – durch die faktische (Beifall bei der CDU/CSU) Abschaffung der Habilitation weit in den Zuständig- keitsbereich der Länder hineinregiert und die Kompe- Meine Damen und Herren, Ihre reaktionäre und for- tenzverteilung des Grundgesetzes missachtet hat. Darum schungsfeindliche Politik vertreibt Know-how und ver- ging es, meine Damen und Herren! treibt gute Wissenschaftler auf dem Gebiet der Grünen Gentechnik aus diesem Land. Das ist politisch verur- (Beifall bei der CDU/CSU) sachter Braindrain. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004 11347

Thomas Rachel (A) Die Politik dieser Bundesregierung schwächt den schaften zu interessieren und zu begeistern. Dazu gehö- (C) Forschungsstandort. Die Halbzeitbilanz Ihres „Jahres ren übrigens sowohl „Jugend forscht“ als auch ein Teil der Innovationen“, sie besteht aus Tausenden Seiten Pa- der Aufwendungen im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit, pier, Innovationsräten, Beiräten, einigen Abendessen die Sie kritisieren. Es geht dort nicht darum, die guten beim Kanzler und falschen politischen Weichenstellun- Leistungen der Regierung zu verkaufen, sondern darum, gen. Sie bieten der Bildung und Forschung Abbau, Lust- deutlich zu machen, welchen Stellenwert die Naturwis- losigkeit – man sieht es ja geradezu da vorne – und Ide- senschaften im Einstein-Jahr haben, um junge Menschen enarmut. dazu zu gewinnen, in diesen Bereich zu gehen, in ihm zu lernen und später hoffentlich auch ohne Studiengebüh- (Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne ren zu studieren. Kastner) Das Stop-and-Go in der Bildungs- und Forschungsfi- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nanzierung zerstört Vertrauen. Bildung und Forschung DIE GRÜNEN) brauchen aber Verlässlichkeit und Kontinuität. Regle- Es kamen auch noch Aussagen wie „Die Bundesre- mentierungen bei Studiengebühren und Juniorprofessu- gierung fördert gewerkschaftsnahe Institute“. Wenn dort ren ersticken jede Initiative in diesem Land. Wir brau- gute Arbeit geleistet wird, dann habe ich genauso wenig chen aber Luft zum Atmen und die Übergabe von gegen eine solche Förderung, wie wenn im Bereich der Verantwortung an die Hochschulen. Ihre ideologischen Arbeitgeber gute Leistungen in wissenschaftlichen und Vorgaben bei Gentechnik und Energieforschung ver- organisatorischen Instituten erbracht werden. Sie haben bauen uns wichtige Marktchancen. Wissenschaft und beispielsweise ganz konkret vom Fraunhofer-Institut für Forschung brauchen aber Freiheit, Freiheit, Freiheit. Arbeitswirtschaft und Organisation als einem gewerk- (Lachen bei der SPD) schaftsnahen Institut gesprochen; das ist hoch interes- sant. Dieses Institut kümmert sich darum, innovative Deswegen sage ich Ihnen: Freiheit, Kontinuität und Ver- Dienstleistungen in diesem Land auf den Weg zu brin- lässlichkeit – das sind unsere Bausteine für eine leben- gen. Chef dieses Fraunhofer-Instituts war Professor dige und offensive Bildungs- und Forschungspolitik für Bullinger, der zwischenzeitlich Präsident der Fraun- unser Land in einer guten Zukunft. hofer-Gesellschaft geworden ist. Gewerkschaftsnahe Herzlichen Dank. Institute? Die Mitarbeiter in diesem Institut werden das mit großem Interesse zur Kenntnis nehmen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (B) DIE GRÜNEN) (D) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich komme zur Grünen Gentechnik. Sicherlich, Ge- Das Wort hat der Kollege Jörg Tauss, SPD-Fraktion. setze enthalten Kompromisse. Im Forschungsbereich (Beifall bei Abgeordneten der SPD) hätte ich mir das eine oder andere anders vorstellen kön- nen. Ich bin aber gespannt, was im Vermittlungsaus- Jörg Tauss (SPD): schuss herauskommt. Vor allem bin ich auf die Abwä- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und gung von Bayern gespannt, das in seiner klassischen Herren! Zu den Themen „Freiheit der Universität“ und Manier ja auch die Interessen der Landwirtschaft, die „Geisteswissenschaften“ hat der Kollege Loske ja schon sich für dieses Gesetz ausgesprochen hat, vertritt. Die das Notwendige gesagt. Herr Rachel, auch die Rede, die Haftungsregelungen im Verhältnis der Bauern, die gen- Sie gehalten haben, ist so wie auf Ihrer Seite die gesamte technisch verändertes Material einsetzen wollen, zu den Debatte in diesen Tagen: Schlagworte ohne jegliche Bauern, die kein gentechnisch verändertes Material ein- Substanz, in der Sache an einigen Stellen richtig, aber setzen wollen, müssen klar gemacht werden. Die Bau- ansonsten kaum auszuhalten, wenn man die Widersprü- ernverbände standen doch bei uns auf der Matte. Ich bin che zu Ihrer sonstigen Politik in Betracht zieht. gespannt, wie sich Bayern im Vermittlungsausschuss verhalten wird und ob die großen forschungsfreundli- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten chen Töne, die Sie hier spucken, dann noch der Realität des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) entsprechen werden. Wir werden den Herrn Stoiber da- ran messen. Besonders ärgerlich ist dabei natürlich, dass Sie nicht nur mit Schlagworten arbeiten, sondern zum Teil auch (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ mit Unwahrheiten. Frau Kollegin Seib, ich schätze Sie DIE GRÜNEN) sehr, aber es geht nicht an, sich hier hinzustellen und zu sagen „‚Jugend forscht‘ wird gekürzt“. Das ist einfach Wir werden ihn – und auch Sie – aber auch noch an nicht wahr. Die Mittel für den Wettbewerb werden nicht ein paar anderen Dingen messen. Schade, dass Herr gekürzt, sondern erhöht; das ist Fakt. Stoiber heute nicht da ist. Dafür, dass hier ein Thema be- handelt wird, für das sich die Länder angeblich unglaub- (Beifall bei der SPD) lich interessieren – sie geben das jedenfalls in ihrer Aus diesem Grund habe ich die herzliche Bitte, es mit Mehrheit vor –, ist die Bundesratsbank bemerkenswert solchen Aussagen hier nicht zu übertreiben. Wir wissen, leer. Ich frage mich natürlich, wo sie alle heute sind, da wie wichtig es ist, junge Menschen für Naturwissen- es doch um den Etat für Bildung und Forschung geht. 11348 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004

Jörg Tauss (A) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Peter Ich kann es nur wiederholen: Sie haben die große (C) Ramsauer [CDU/CSU]: Sie wollen sich Ihren Sorge, dass ein Nachbar gentechnisch verändertes Saat- Krampf nicht anhören!) gut einsetzt, das auf ihre Wiese herübergeweht wird, wo dann Mutationen entstehen. Das kann beispielsweise Wo ist denn der Herr Stoiber, der uns vorgeschlagen hat, dazu führen, dass ein Ökobauernhof das Label nicht wir sollten bitte alle Haushaltstitel konsequent und pau- mehr erhält, weil plötzlich auch gentechnisch veränder- schal um 5 Prozent kürzen, wodurch es den geringsten tes Material auf seinen Feldern auftaucht. Ich denke, es Ärger gebe? ist nachvollziehbar und man kann begreifen, dass diese Bauern entsprechende Haftungsregelungen gefordert ha- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: ben. Diese Haftungsregelungen gehen der Forschung Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des aber zu weit. Die Betreffenden sagen, dass sie aufgrund Kollegen Bergner? dessen nicht mehr richtig forschen können. Lieber Herr Kollege Bergner, deswegen stehen nicht Jörg Tauss (SPD): nur die Bauern, sondern auch die Forschungsorganisatio- Lieber Kollege Bergner, selbstverständlich lasse ich nen bei uns auf der Matte. In dieser Gemengelage müs- eine Zwischenfrage von Ihnen zu, zumal mein Vorredner sen wir Politik machen. mir einiges an Redezeit weggenommen hat. Dass wir einen grünen Koalitionspartner haben, der (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Sie brau- sich mit der Grünen Gentechnik trotz des Namens ein chen es doch nur zu sagen! Sie müssen keinen wenig schwerer tut als wir, ist noch eine andere Frage. Kommentar abgeben!) Ich teile die Auffassung der Grünen – bleiben Sie ruhig stehen, Herr Bergner – von gentechnikfreien Zonen nicht Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU): ganz. Wir brauchen keine gentechnikfreien Zonen, son- Herr Kollege Tauss, auch wenn Sie in Ihrem Rede- dern Zonen, die frei von Verantwortungslosigkeit gegen- fluss schon ein ganzes Stück weiter sind, möchte ich fol- über der Gentechnik sind. Das wäre die richtige Antwort gende Frage stellen. auf diese Frage. Sie haben vorhin die, wie ich finde, etwas merkwür- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) dige Behauptung aufgestellt, Sie hätten diesem Gentech- Jetzt kommen wir zu den Hochschulen. Unserem lie- nikgesetz unter dem Druck der Bauernverbände zustim- ben und verehrten Kollegen Konditormeister aus Bay- men müssen. ern, der so sehr geklatscht hat, als die Zahlen für die (B) (Zurufe von der SPD: Nein! – Das hat er so Hochschulen erläutert wurden, möchte ich Folgendes sa- (D) nicht gesagt!) gen. Der Bund hat, ausgehend von 1998 – deshalb frage ich immer nach den Zahlen von 1998 und nehme sie als – Sie haben gesagt, die Bauernverbände standen auf der 100 Prozent –, die Ausgaben für die Hochschulen auf Matte und haben uns gewissermaßen gezwungen, diese 123 Prozent erhöht. Merken Sie als bildungspolitische Regelung zu treffen. Sprecherin Ihrer Fraktion bitte auf: Das ist eine Diffe- (Zurufe von der SPD: Nein!) renz in Form eines Plus von 23 Prozent. Wenn Sie bereit sind, diesen Quatsch zurückzuneh- (Beifall bei der SPD) men, setze ich mich sofort wieder hin. Schauen wir uns die Zahlen für Bayern an, bei denen wir gar nicht so viel rechnen müssen. In Bayern sind die Jörg Tauss (SPD): Zahlen, ausgehend von 1998 – in diesem vermeintlich Nein, bleiben Sie ruhig stehen, obwohl ich einen sol- reichen Land finden im Moment Kürzungsorgien bei den chen Quatsch nicht gesagt habe. Ausgaben für Hochschulen und Universitäten statt, wie man in den Zeitungen nachlesen kann –, in diesem Zeit- Die Bauernverbände hatten mich vor geraumer Zeit raum von 100 auf knapp 103 Prozent gestiegen, genauer einmal eingeladen, bei ihnen eine Rede zu diesem gesagt auf 102,9 Prozent. Nochmals: Im Bund war es ein Thema zu halten. Herr Sonnleitner hat gemeint, ich sei Plus von 23, in Bayern eines von 2,93 Prozent. Mit wel- ein Sozialdemokrat, mit dem man reden könne. Ich weiß cher Chuzpe Sie sich hier hinstellen und uns erzählen, nicht so recht, ob das nun ein Kompliment war oder was sich alles in den von Ihnen regierten Ländern tue, ist nicht, aber immerhin. erstaunlich. Wenn man sich die von mir genannten Zah- Lieber Kollege Bergner, ich komme aus einem länd- len ansieht, stellt man fest, dass Bayern sogar noch unter lich geprägten Wahlkreis. Wir sind aber weiß Gott nicht dem Bundesdurchschnitt liegt. Liebe Kollegin Seib, vor diejenigen, die vor jedem Lobbyisten einknicken. Das Ihrer nächsten Rede schauen Sie sich bitte einmal die kennzeichnet Sie. Zahlen an. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD – Dr. Uwe Küster [SPD]: Dazu muss man lesen können!) Wir haben mit den Bauern selbstverständlich über diese Frage diskutiert. Die Bauern haben in der Tat eine große Weil wir uns heute so schön mit Bayern beschäftigen, Sorge. Es geht um die Haftungsregelungen. Das ist komme ich jetzt zum Stoiber-Edmund. Er hat – das habe auch der eigentlich kritische Teil des Gesetzes. ich schon einmal gesagt – eine allgemeine Kürzung um Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004 11349

Jörg Tauss (A) 5 Prozent vorgeschlagen. Das hört sich erst einmal nach Eine Kürzung um 423 Millionen Euro – so wie sie (C) nicht so viel an. Das Volumen des Etats beträgt etwas Herr Stoiber vorschlägt – hieße, Frau Reiche, eine Kür- über 8 Milliarden Euro. Rechnen wir einmal aus, was zung um 10 Prozent bei den Forschungsorganisatio- eine Kürzung um 5 Prozent bedeuten würde. Das sind, nen. Das bedeutete keinen Aufwuchs von 3 Prozent, wie bezogen auf diesen Betrag, etwa 423 Millionen Euro. – wir es Jahr für Jahr machen, sondern eine Kürzung um Ich sehe gerade, dass Herr Rachel aufsteht. Herr Rachel, 10 Prozent bei allen Forschungsorganisationen inklusive wohin gehen Sie denn? Ich komme gleich noch zu Zah- dem Max-Planck-Institut in Bayern. Wenn Sie diese len, die Sie betreffen. Kürzung wollen, dann müssen Sie auch den Mut haben, dem Max-Planck-Institut in Bayern mitzuteilen: Wir Zurück zu den 423 Millionen Euro! Das sind kürzen euch aufgrund eines Vorschlages von Herrn 45 Prozent der Ausgaben für den Hochschulbau, liebe Stoiber die Mittel um 10 Prozent. Kollegin Reiche, die wir vom Bund eingestellt haben. Das ist trotz der Kürzung, die ich sehr bedauere, mehr, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten als Sie uns 1998 hinterlassen haben. Liebe Kollegin des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Reiche, liebe Kollegin Flach, wer hat eigentlich die Ver- Wir könnten auch die Projektförderung des Bundes einbarung über die Hochschulbaufinanzierung gekün- um 20 Prozent kürzen. Aber Sie haben hier eine Forde- digt? rung nach der anderen aufgereiht, um uns zu beweisen, (Ulrike Flach [FDP]: Ich nicht!) wie notwendig eine Ausweitung der Projektförderung sei. Ein Minus von 5 Prozent in diesem Bereich hieße, Welche Ministerpräsidenten haben sich denn dafür zu- dass 20 Prozent aller Projekte nicht mehr möglich wären sammengefunden? Das waren alle 16 Ministerpräsiden- und auch laufende Projekte abgebrochen werden müss- ten. Sie alle haben erklärt: Wir wollen nicht länger die ten. Hochschulbaufinanzierung durch den Bund. Danach wundern Sie sich, dass Hans Eichel – er hört gerade wie- Was immer Sie auch aus diesem Katalog herausgrei- der zu; mir wäre es lieber, er würde solche Dinge gar fen: Dieser Vorschlag bedeutet in jedem Fall die Ankün- nicht hören – bei der Aufstellung seines Haushalts dieses digung eines Kahlschlags, der eine Katastrophe für den Geld, das die Länder nicht mehr wollen, einspart. Das Forschungsstandort Deutschland nach sich zieht. Das finde ich zwar schade, aber mit Wahrhaftigkeit hat das muss man dem Herrn bayerischen Ministerpräsidenten Verhalten der Länder leider nichts mehr zu tun. ins Stammbuch schreiben. Aber er ist im Gegensatz zu Ihnen wenigstens ehrlich. Sie behaupten ja noch, es (Beifall bei der SPD – Ulrike Flach [FDP]: seien Aufwüchse in beliebiger Höhe möglich. Er sagt Das ist aber sehr simpel, Herr Tauss!) wenigstens das Gegenteil. Aber das, was er sagt, machen (B) wir nicht, und das, was Sie sagen, können wir leider (D) 45 Prozent Kürzungen allein beim Hochschulbau hat der nicht. Zur Eigenheimzulage kommen wir noch. Stoiber-Edi also vorgeschlagen. Jetzt kommen wir zur Juniorprofessur. Frau Reiche, (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das ist im- dass Sie sich hier hinstellen und sich freuen, dass das mer noch der bayerische Ministerpräsident!) Bundesverfassungsgericht mit knapper Mehrheit so ent- schieden hat, hat mich nicht gewundert. Ich muss ehrlich – Selbstverständlich ist es der Herr bayerische Minister- sagen: Mir wurde es als Kind auch immer schlecht, präsident. Aber ich kenne ihn auch aus den Bierzelten wenn ich im Auto sitzen musste. Es gibt nun einmal gut. Für mich ist das der Stoiber-Edi. Leute, die keine Bewegung aushalten. Sobald sich etwas Seine Forderung nach einer Kürzung um 5 Prozent bewegt, wird ihnen schlecht. lässt sich auch auf das BAföG beziehen. Es geht um (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) 423 Millionen Euro. Das ist ein Drittel der BAföG-För- derung des Bundes. Wollen Sie das? Das ist nicht nur das Problem von Frau Reiche, sondern von allen, wie sie hier sitzen. Sobald sich im Land etwas Eine andere Forderung von Ihnen ist die nach Studi- tut, sobald sich etwas bewegt, bekommen sie einen Re- engebühren. Diese sind im Übrigen – das haben wir flex, weil es keine Tabletten dagegen gibt. Sie überlegen überprüft – mittelstandsfeindlich. Die Kürzung des dann, wie sie blockieren können, wie sie vor Gerichte BAföGs wäre nicht einmal ein zentrales soziales Pro- ziehen, wie sie verhindern, wie sie zerstören und wie sie blem – das könnte man noch verkraften –, aber mit Ge- kaputtmachen können. Das ist Ihre Politik und das ma- bühren würden Sie die Kinder aus dem Mittelstand, die chen Sie auch in der Forschungs- und Bildungspolitik. heute noch studieren können, von den Hochschulen ver- Das ist unverantwortlich und nicht mehr akzeptabel. treiben. Das zeigt sich in allen Ländern mit Studienge- bührenmodellen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Marion Seib [CDU/CSU]: Das ist doch Un- fug, Herr Kollege! Von welchem Studienge- Hat denn die Wissenschaftsministerin geklagt? Es bührenmodell sprechen Sie denn?) waren doch Ihre Länder, die vor das Bundesverfassungs- gericht gezogen sind und dieses Ergebnis erzielt haben. Darüber sollten Sie einmal nachdenken. Aber hier kön- Es sind Ihre Länder gewesen, die den Nachwuchswis- nen Sie weder uns noch der Ministerin einen Vorwurf senschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern da- machen. durch die Perspektive in diesem Land verbaut haben. 11350 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004

Jörg Tauss (A) Wir und diese Ministerin sind es gewesen, die alle Tau- (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: (C) send Juniorprofessoren, die wir zwischenzeitlich haben, Hören Sie auf!) angeschrieben und gesagt haben: Verlasst bitte nicht Deutschland! Verlasst euch auf uns, auf die Bundes- uns zu sagen: Mehr Geld! – Machen Sie mit, wenn es regierung! darum geht, mehr Geld für Bildung und Forschung zu akquirieren. (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP) (Zuruf von der CDU/CSU: Das Geld richtig Schimpft nicht allzu sehr auf die CDU! Geht nicht ins einzusetzen ist wichtig!) Ausland! Bleibt hier! Wir versuchen jetzt, eine Lösung mit den Bundesländern herbeizuführen. Dann haben Sie uns und den Finanzminister an Ihrer Seite. Sie wollen in Wirklichkeit nur Investitionen in die Dann haben wir mit den Bundesländern verhandelt. Vergangenheit, Gartenzwerge statt Innovation, aber das Das hat diese Ministerin getan. Man höre und staune, sie ist nicht unsere Politik. hat eine Einigung mit den Ländern erzielt. Aber dann ka- men Ihre Ministerpräsidenten und haben gesagt: Was (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nicht sein kann, darf nicht sein. Sie haben diese Verein- DIE GRÜNEN) barung gekippt und gesagt, sie müssten erst einmal gründlich bedenken, wie sie in dieser Frage weiter vo- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: rangehen könnten. Der Wissenschaftsminister von Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Baden-Württemberg, Frankenberg, hat für die Unions- länder gesagt, er brauche noch bis zum 30. September Wir kommen damit zur Schlussrunde. Als erstem Zeit, um darüber nachzudenken, was die Folgen des Ur- Redner erteile ich das Wort dem Bundesfinanzminister, teils seien. Das muss man sich einmal vorstellen! Hans Eichel. (Dr. Uwe Küster [SPD]: Ein großer Denker!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Diese Leute behaupten, sie wollten die alleinige Verant- wortung für die Hochschulen in diesem Lande haben. Es Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen: geht noch nicht einmal um Inhalte, sondern es geht da- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und rum, ihre Eitelkeiten zu befriedigen. Das ist es. Herren! Zunächst bitte ich Sie um Verständnis – und ich (Beifall bei der SPD) bedanke mich dafür, dass beide Oppositionsfraktionen dieses Verständnis bekundet haben –, dass ich um Sie haben dankenswerterweise gesagt, dass es nur um 12 Uhr die Debatte verlassen muss, sie also nicht bis (B) die Eitelkeit geht, weil sie auf irgendeiner Pressemittei- (D) zum Ende verfolgen kann, weil heute und morgen der lung nicht aufgeführt waren. Das ist unerträglich. informelle Ecofin in Scheveningen tagt und vorher die Frau Pieper brauche ich mich nicht zuzuwenden, da Eurogroup zusammenkommt. Dort wird die erste Orien- sie leider nicht mehr da ist. Sie wollte die Einheitlich- tierungsaussprache über die Vorschläge der Kommis- keit der Lebensverhältnisse bei dieser Gelegenheit kip- sion zur Anwendung des Stabilitäts- und Wachstums- pen. Das will ausgerechnet jemand aus Sachsen-Anhalt. pakts stattfinden. Sie werden verstehen, dass es nicht Ich will die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im sein kann, dass der deutsche Finanzminister nicht dabei Land nicht kippen. Das sage ich Ihnen deutlich. Wenn ist. Deswegen herzlichen Dank für Ihr Verständnis. ein Kind das Pech hat, in Sachsen-Anhalt unter einer (Beifall bei der SPD) CDU-FDP-Regierung auf die Welt zu kommen, dann will ich nicht, dass es schlechtere Lebensverhältnisse hat Ich will die Gelegenheit nutzen, zu diesem Thema ei- als irgendwo anders in der Republik. Das ist ganz klar. nige Bemerkungen zu machen, damit die Position, die (Beifall bei der SPD – Thomas Rachel [CDU/ ich dort vertrete, klar ist. Erstens. Worum geht es nicht? CSU]: Ihre billige Polemik ist nicht mehr zu Es geht nicht darum, den Maastricht-Vertrag zu än- überbieten!) dern. Es geht aus meiner Sicht auch nicht darum, die Verordnungen zu ändern, die auf ihm aufbauen und die den eigentlichen Stabilitäts- und Wachstumspakt aus- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: machen. Es geht auch nicht darum – darüber besteht Herr Kollege, ich weiß, dass Sie für Bewegung sind. ebenso Einvernehmen wie darüber, dass der Vertrag Ich muss Sie trotzdem in Ihrem Temperament zügeln. nicht geändert wird –, dass das 3-Prozent-Kriterium oder Ihre Redezeit ist deutlich überschritten. das 60-Prozent-Kriterium geändert würden. Um all das geht es nicht. Jörg Tauss (SPD): Es geht vielmehr darum, sich eine Antwort auf die Liebe Frau Präsidentin, ich habe ungefähr noch fünf Frage zu geben, die der jetzige Bundespräsident, Horst Seiten. Köhler, einer der Väter des Maastricht-Vertrages, gestellt (Zuruf von der CDU/CSU: Noch stunden- hat, als er Chef des Internationalen Währungsfonds war: lang!) Haben wir eigentlich, als wir die Vertragswerke abge- schlossen haben, vorausgesehen – wir haben es nicht, hat Deshalb lassen wir die Eigenheimzulage. er gesagt –, dass es auch einmal eine dreijährige Stagna- Hören Sie auf, tionsphase geben könnte, und wie geht man damit um? Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004 11351

Bundesminister Hans Eichel (A) Welche Prioritäten muss man setzen, um aus der Situa- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (C) tion wieder herauszukommen? DIE GRÜNEN) Eines ist klar, meine Damen und Herren: Der Pakt Es muss an der Sache entlang diskutiert werden und die heißt „Stabilitäts- und Wachstumspakt“ und darin steckt zugrunde liegenden Behauptungen müssen ganz schlicht Einsicht. Wir haben in den letzten drei Jahren folgende auch stimmen. Erfahrung gemacht: Wir sind mit einem wunderschönen, Meine Damen und Herren, ich habe am Dienstag un- für deutsche Verhältnisse niedrigen Defizit von 1,2 Pro- sere Konzeption vorgelegt. In der Tat geht es ja um mehr zent gestartet und im vergangenen Jahr bei 3,8 Prozent als um den Haushalt. Im Haushalt landet vieles, dessen gelandet. Mit anderen Worten: Ohne Wachstum gibt es Ursachen an anderen Stellen entstehen, zum Beispiel ein keine Konsolidierung der Staatshaushalte, auf der ande- großer Teil der Defizite in den Sozialsystemen. Alles, ren Seite ist aber eine nachhaltige Konsolidierung der was die Kommunen, die Länder, der Bund und die sozia- Staatshaushalte Voraussetzung für nachhaltiges Wachs- len Sicherungssysteme tun, hat Einfluss auf die tum. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben. Die Maastricht-Kriterien, auf die gesamtstaatliche Verschul- Frage, um die es geht, lautet: Wie machen wir das? dung. Deshalb habe ich über den Gesamtzusammenhang Ich glaube, dass die Kommission in ihren Vorschlä- geredet. gen die grundlegende Antwort richtig formuliert. Wir Sie fordern mich immer wieder auf, die Maastricht- müssen über eine symmetrische Anwendung des Paktes Kriterien einzuhalten. Dazu sage ich ausdrücklich Ja. reden, eine Anwendung nicht nur dann, wenn die Wirt- Beim Thema Zahnersatz haben Sie es übrigens in der schaft stagniert und wir uns noch selber kujonieren. Wir Hand, das Problem zu entschärfen oder es wenigstens müssen uns die Frage stellen, ob wir dann, wenn die nicht weiter zu verschärfen. Die vorgesehene Entlastung Wirtschaft gut läuft, nicht mehr tun können, um einen Si- beim Zahnersatz kann nicht ersatzlos gestrichen werden, cherheitsabstand zu schaffen. Dazu hat der Rat im Som- meine Damen und Herren. Da geht es um 3 bis 4 Mil- mer, als er die europäische Verfassung verabschiedet hat, liarden Euro oder um 0,1 bis 0,2 Prozent beim auf einen deutsch-niederländischen Vorschlag hin emp- Maastricht-Defizit. fohlen, in solchen Zeiten schrittweise Überschüsse zu er- wirtschaften. (Zuruf des Abg. Bartholomäus Kalb [CDU/ CSU]) (Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Die stehen nicht in der mittelfristigen Finanzplanung! Die ste- – Nein, Frau Kollegin Schmidt hat einen Vorschlag ge- hen auch nicht im Haushalt!) macht, wonach uns im nächsten Jahr keine zusätzlichen Probleme entstehen, um wieder unter die 3-Prozent- (B) Dahinter steht die Vorstellung, einen über den Konjunk- Grenze zu kommen. Diese Grenze müssen und wollen (D) turzyklus ausgeglichenen Haushalt zu erreichen. In wir einhalten. Wahrheit bedeutet das eine Verschärfung des Paktes. Es Deshalb, meine Damen und Herren, ist es keine geht nicht um ein Aufweichen des Paktes, sondern da- Frage, dass wir ein solches Regelwerk wie den Stabili- rum, wie Kommissar Almunia gesagt hat, mehr ökono- täts- und Wachstumspakt brauchen, und das wird sich mische Logik in die Anwendung des Paktes zu bringen. auch an anderen Stellen noch ganz deutlich zeigen. Aber Das wird auch meine Position sein, meine sehr verehrten es ist mehr als Juristerei. Es geht zuallererst um Ökono- Damen und Herren. mie und nur im Zusammenhang – ich wiederhole das – (Beifall bei der SPD) von Wachstum und strikter Ausgabendisziplin können wir die Probleme lösen. Weil viele sich zu diesem Thema äußern, will ich der Bundesbank, von der ich lese, sie habe gesagt, die Poli- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ tik könne den Vertrag nicht einseitig zulasten der Bürger DIE GRÜNEN) ändern, dringend empfehlen, sich vor öffentlichen Äuße- Ich habe am Dienstag unser Konzept auf den Tisch rungen darüber zu informieren, was beabsichtigt ist. Wie gelegt. Was waren Ihre Antworten? Ein paar Bemerkun- bereits gesagt, ist eine Änderung des Paktes und der Ver- gen muss ich dazu schon machen, denn ich kann nicht ordnungen, die darauf aufbauen, ausdrücklich nicht be- alles, was Sie gesagt haben, einfach so stehen lassen. Da absichtigt. war nämlich eine Menge Schwarzmalerei dabei. Es haben sich eine Reihe nationaler Notenbanken ge- Herr Glos hat es wirklich fertig gebracht – ansonsten äußert. Dazu will ich sagen: Wir sind jetzt in Europa. muss man dazu nicht mehr sagen –, vom Ausverkauf der Wir sind im System der Europäischen Zentralbank und deutschen Wirtschaft zu reden. Das ist Ihre Interpreta- ich erwarte dieselbe Disziplin, die früher die Bundes- tion des Sachverhalts, dass 80 Millionen Deutsche mit bank, als sie geldpolitische Zuständigkeit hatte, auch be- ihrer Wirtschaft auf dem Weltmarkt eine größere Rolle sessen hat. Ich erwarte, dass im System der Europäi- spielen als 280 Millionen Amerikaner und 120 Millionen schen Zentralbank – das heißt: im Zentralbankrat der Japaner. Von anderen Volkswirtschaften rede ich erst gar EZB – die Diskussionen geführt werden und dass man nicht, weil sie sich in einem ganz anderen Entwicklungs- sich dort eine Meinung bildet, die der Präsident der EZB stadium befinden und ein ganzes Stück hinter uns sind. auch einvernehmlich vertritt. Es darf nicht sein, dass Das ist also Ihre Interpretation der Tatsache, dass nach außen die verschiedensten Positionen vertreten Deutschland mit seinem Anteil am Welthandel Nummer werden. Das wird der Situation nicht gerecht. eins in der Welt ist. Das ist schlicht unerträglich. Über 11352 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004

Bundesminister Hans Eichel (A) diesen Punkt sollten Sie selber einmal gründlich nach- Ende dieses Jahres werden wir 860 Milliarden Euro (C) denken. Das muss endlich aufhören. Schulden haben. Das ist ein Plus von knapp 120 Milliar- den Euro. Wir werden sicherlich noch eine ganze Weile (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ regieren. Ich hoffe, dass wir niemals so viele Schulden DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/ machen werden wie Sie. Wenn doch, dann wird es jeden- CSU) falls noch eine ganze Weile dauern, bis ich Sie überholt Zweiter Punkt. Sie haben behauptet – das fand ich habe. ziemlich dreist; das hätte ich als Bayer niemals gesagt –, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wir seien daran schuld, dass Gräben zwischen Ost- und DIE GRÜNEN) Westdeutschland wieder aufgerissen würden. Ich möchte Ihnen einmal erklären, warum Herr Stoiber als Es bleibt jedenfalls festzuhalten: Sie haben es in Ihrer Kanzlerkandidat keine Chance in Ostdeutschland hatte. Regierungszeit im Vergleich zu dem, was wir von 1998 Niemand hatte vergessen, dass es seine Zielsetzung war, bis jetzt zu verantworten haben, auf die fünffache Schul- den Risikostrukturausgleich, das heißt die Solidarität mit densumme gebracht. Erzählen Sie mir also nicht, dass den ostdeutschen Ländern in der Krankenversicherung, ich Weltmeister im Schuldenmachen sei. Seien Sie we- aufzukündigen. Sie wissen ganz genau, welch eine nigstens an diesem Punkt ganz still, so unerfreulich die enorme Steigerung der Krankenversicherungsbeiträge in Haushaltsentwicklung auch ist und so sehr sie auch mir Ostdeutschland – natürlich bei gleichzeitiger Senkung zu schaffen macht! der Beiträge in Westdeutschland und insbesondere in (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Bayern – dies zur Folge gehabt hätte. Wir bräuchten über DIE GRÜNEN) den Aufbau Ost nicht einmal mehr zu reden, wenn wir eine solche Preistreiberei bei den Lohnnebenkosten in Zu Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit gehört Ostdeutschland betrieben hätten. auch Folgendes: In Ihrem Haushalt 1998 und in Ihrem Haushaltsentwurf 1999 waren die Ausgaben für die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Postunterstützungskassen, die Unterstützung für das DIE GRÜNEN) Saarland und Bremen sowie einige andere Dinge nicht Das war aber noch nicht alles. Bereits damals, als berücksichtigt. Auch Sie wissen ganz genau, dass dort noch nicht klar war, ob Herr Stoiber Kanzlerkandidat ganz einfach einiges außen vor gelassen worden war, wird, hat der bayerische Landtag die Regionalisierung dass einiges überhaupt nicht etatisiert worden war, was der Arbeitslosenversicherung beschlossen. Das hätte ge- hätte etatisiert werden müssen. Das haben erst wir getan. nau den gleichen Effekt gehabt. Dort, wo die Arbeits- Dritter Punkt. Ich verstehe nicht – das ist bedauerlich, losenquote beispielsweise bei 20 Prozent liegt, hätten (B) aber das lief nach demselben Motto –, warum sich Ihre (D) diejenigen, die noch Arbeit haben – übrigens in Ost- Generalrednerin, Ihre Fraktionsvorsitzende, und Ihre deutschland bei niedrigeren Einkommen –, dann weitaus Redner, die zu den Einzelhaushalten gesprochen haben, höhere Arbeitslosenversicherungsbeiträge zahlen müs- nicht koordiniert haben. sen. Davon wären nicht nur die Arbeitnehmer, sondern auch die Betriebe betroffen gewesen. Das ist ein uner- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: träglicher Vorgang. An der Stelle von Herrn Glos hätte Das machen die nie! – Dr. Uwe Küster [SPD]: ich zumindest nicht behauptet, wir seien dabei, wieder Wo ist eigentlich Frau Merkel? Und Herr Glos Gräben zwischen Ost und West aufzureißen. ist auch nicht da! Wo sind die denn?) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ihre Generalrednerin, Frau Merkel, hat erklärt, wir soll- DIE GRÜNEN) ten gefälligst weniger ausgeben und weniger Schulden machen. Prima! Aber alle anderen CDU/CSU-Redner, Wir haben immer zur Solidarität zwischen Ost und die danach zu den Einzelhaushalten gesprochen haben West gestanden. Das tun wir weiterhin, auch wenn das – das war auch so in der eben zu Ende gegangenen De- schwierig ist, um das ganz klar zu sagen. batte über den Bildungs- und Forschungshaushalt, die (Franz Müntefering [SPD]: Wo ist Glos eigent- ich aufmerksam verfolgt habe –, haben ständig erklärt, lich? Er ist die ganze Woche nicht mehr gese- es fließe zu wenig Geld in die einzelnen Bereiche. Was hen worden! Dienstags reden und dann abtau- gilt denn nun? Das ist doch das grundlegende Problem, chen!) mit dem wir es bei Ihnen jedes Mal zu tun haben. Sie haben sich offensichtlich verabredet – das ist eine (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ausgesuchte Unwahrheit; das ist noch eine freundliche DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/ Formulierung –, mich jetzt zum Weltmeister im Schul- CSU) denmachen zu erklären. Ich habe mir einmal die Daten Ich möchte Ihnen Ihre Widersprüchlichkeit am Bei- angesehen. Als Sie Ende 1982 in die Regierung kamen, spiel des Bildungs- und Forschungshaushalts noch haben Sie 160 Milliarden Euro Schulden übernommen. einmal deutlich machen. Auch hier sind Sie der ungeeig- Als Sie 1998 aus der Regierung herausgewählt worden netste Ankläger. Sie hatten damals 7,263 Milliarden sind, gab es einen Schuldenstand von 743 Milliarden Euro in den Haushalt eingestellt. Unser Haushaltsent- Euro. Das ist ein Plus von über 580 Milliarden Euro. wurf, über den gerade diskutiert worden ist, sieht (Zuruf von der CDU/CSU: Und was war mit 8,464 Milliarden Euro vor. Mit anderen Worten: Seit der Einheit?) 1998 gab es allein dort eine Steigerung um 17 Prozent. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004 11353

Bundesminister Hans Eichel (A) Das ist übrigens nicht einmal die ganze Wahrheit. – Sie sind nicht in der Lage, Zahlen zu lesen. Das ist ja (C) Hinzu kommt nämlich noch, dass ein Drittel der BAföG- Ihr Problem. Ausgaben die Kreditanstalt für Wiederaufbau trägt. Sie müssten hinzugerechnet werden. Das gäbe eine weitere (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Steigerung. Dazu kommt 1 Milliarde Euro für das Ganz- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) tagsschulprogramm. Wenn jemand das als Steinbruch An Ihrer Stelle hätte ich gar nicht gelacht. Dass alle Ihre benutzt hat – das können Sie ja an Ihren Zahlen sehen –, Redner in jeder Einzeldebatte sagen: „Hier ist zu wenig dann waren Sie das gegen Ende Ihrer Regierungszeit. Geld, da ist zu wenig Geld, dort ist zu wenig Geld“, ist (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ doch wohl eher ein Beleg für die Wahrheit der These, DIE GRÜNEN) dass wir den Haushalt ordentlich zurückgefahren haben, als für das Gegenteil. Das ist doch logisch. Aber mit Lo- Wenn jemand das aufgestockt hat, dann waren wir das. gik haben Sie es auch nicht. Sie mögen sagen: Das reicht nicht. Da würden Sie bei Man überlege sich einmal, wie Sie sich dort verhalten, mir sogar relativ offene Türen einrennen. Als Finanzmi- wo die notwendigen Einschnitte gemacht werden. Beim nister sage ich allerdings: Allein mit großen Ausgabe- Steuersubventionsabbau beklagen Sie sich nicht – ich steigerungen ist die Sache nicht gemacht. Man muss schon –, dass die Lücke kleiner ist. Sie hätten meinen auch darauf achten, dass man für das Geld, das man ein- Vorschlägen folgen oder wenigstens eigene machen sol- setzt, eine Gegenleistung bekommt. Es geht nie nur ums len. Ich wiederhole: Als es um das Gesetz zum Abbau Geld, sondern auch um die Bedingungen, unter denen es von Steuervergünstigungen ging, das für den Gesamt- ausgegeben wird. Es geht dann um so etwas wie die Ju- staat im ersten Jahr der vollen Wirksamkeit Einsparun- niorprofessuren an den Hochschulen und um vieles an- gen in Höhe von 17 Milliarden Euro vorsah, hat der dere mehr – Stichwort öffentliches Dienstrecht –, was Bundesrat Einsparungen in Höhe von gerade einmal dazu geeignet ist, unsere Hochschulen wettbewerbsfähi- 2,4 Milliarden Euro zugestimmt. Das ist eine Differenz ger zu machen. Wenn man so vorgeht, dann werden die von gut 14,5 Milliarden Euro. Das ist Ihr Loch und ich Prioritäten richtig gesetzt. Also war auch das, was Sie muss es durch Privatisierungserlöse schließen. Das ist dazu gesagt haben, falsch. die Wahrheit. Bis jetzt habe ich darüber gesprochen, was Sie gesagt (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ haben. Jetzt rede ich einmal darüber, was Sie nicht ge- DIE GRÜNEN – [CDU/ sagt haben und was in der Tat nur wir erwähnt haben: die CSU]: Eichel-Löcher!) Sparvorschläge von Herrn Stoiber. Sie sind in keiner (B) einzigen Rede von Ihnen erwähnt worden. Das spricht Aus Ihrer Verantwortung dafür werden wir Sie nie ent- (D) Bände. lassen. (Dr. Uwe Küster [SPD]: Gibt es den Herrn Im Übrigen hat das mit den Löchern bei Ihnen Sys- Stoiber noch?) tem. Herr Seehofer war es doch, der Ihnen vorgerechnet hat, was in Ihren Konzepten – Steuerreform, Herzog- Ich bin einmal gespannt, was daraus wird: Wird der Bun- Kommission, Kopfpauschale, Kindererziehungszeiten, desrat diese Sparvorschläge einbringen? Oder wird die CSU-Landesgruppe diese Sparvorschläge einbringen? Kindergeld usw. – insgesamt fehlt; er stellte ein Loch von 100 Milliarden Euro fest. Auch deswegen sind Sie Oder werden Sie die Sparvorschläge von Herrn Stoiber nicht regierungsfähig. Man hat von Ihnen nichts Konkre- überhaupt nicht einbringen? Ich wiederhole: Ich bin außerordentlich gespannt. tes gehört. (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Ich habe in Ihrer (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Anwesenheit dazu Stellung genommen!) DIE GRÜNEN – Dr. Uwe Küster [SPD]: Alles kommt vom Volke! – Zuruf des Abg. Friedrich – Entschuldigung, Sie haben nicht ein Wort dazu gesagt, Merz [CDU/CSU]) ob Sie die Sparvorschläge von Herrn Stoiber hier ein- bringen. Das ist ja Ihr Kanzlerkandidat der letzten Wahl. – Ja, ja, Herr Merz. Wir wüssten wirklich gern, ob hinter diesen Vorschlägen Ich wünschte mir eine geringere Deckungslücke. etwas steckt oder nicht. Aber dazu brauchen wir einen Bundesrat, der seine ge- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ samtstaatliche Verantwortung genauso wahrnimmt, wie DIE GRÜNEN) es diese Bundesregierung und die sie tragende Mehrheit tun. Wir sind gespannt, ob es zu einer Bereinigungssitzung kommt. Wenn Sie mir noch Bereiche aufzeigen, wo man (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ vernünftigerweise sparen kann: Einverstanden! Auch DIE GRÜNEN) wenn Herr Stoiber das anders sieht, gilt für die Lage des Bundeshaushalts: Wir haben den Konsolidierungskurs Dafür sind Sie verantwortlich. Wenn die Länder so han- in 1999 eingeleitet. Mittlerweile stellen wir den sechsten deln könnten, wie es ihrer Interessenlage entspricht, Konsolidierungshaushalt in Folge auf. dann würden sie sich anders verhalten. Sie dürfen sich aber nicht so verhalten, weil es nicht zu Ihrer Opposi- (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) tionsstrategie passt. Das ist die Wahrheit. 11354 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004

Bundesminister Hans Eichel (A) Es bleibt bei unserem Konzept und es bleibt bei unse- – Was denn nun? (C) ren Schwerpunkten: Erstens. Wir müssen – das ist wie im vorigen Jahr – aus der Stagnation heraus. Das haben Der entscheidende Punkt ist – er ist für uns in dieser wir geschafft. Zweitens. Wir müssen jetzt dafür sorgen, Woche deutlich geworden –: Dieser Haushalt wird wie dass der Aufschwung nicht nur vom Export getragen ist, die Haushalte, die Sie in den letzten Jahren eingebracht sondern auf beiden Beinen steht, dass also auch die Bin- haben, Makulatur bleiben, wenn wir nicht zu mehr nenkonjunktur in Gang kommt. Es gibt übrigens erste Wachstum kommen. Auch in diesem Haushalt unter- vorsichtige Hinweise – deswegen bin ich damit auch stellen Sie wieder ein Wachstum, das Ihnen von keinem noch sehr zurückhaltend – darauf, dass sowohl die Aus- Wirtschaftsforschungsinstitut bestätigt wird. rüstungsinvestitionen als auch der private Verbrauch (Franz Müntefering [SPD]: Was erzählen Sie langsam ein bisschen anziehen. Hoffen wir, dass sich das denn da? Das stimmt doch gar nicht! – ordentlich verstärkt! Denn dann sieht selbstverständlich Dr. Uwe Küster [SPD]: Worüber reden Sie auch die Haushaltslage ein ganzes Stück anders aus. denn? Unseriös!) Wir haben sehr anstrengende Reformen durchgeführt. Der Haushalt, den wir in dieser Woche debattieren, ist Ich verstehe, dass sich Menschen dabei auch bedroht natürlich ein Spiegelbild der Lage in unserem Land. Die fühlen. Aber wenn ich ein Loch von 82 Milliarden Euro Haushaltslage des Bundes ist schlecht, genauso schlecht beim Gesamtstaat – Bund, Länder, Gemeinden und so- wie die Lage in vielen Bereichen in unserem Land. Das ziale Sicherungssysteme – schließen muss, dann heißt ist der sechste Haushalt, den Sie vorlegen. Die Arbeitslo- das nichts anderes, als dass ich den Leuten auch Geld sigkeit ist in den Jahren von Rot-Grün in Deutschland wegnehmen muss. Ich kann das Loch nicht beseitigen, gestiegen. ohne dass das jemand merkt. Das ist die schlichte Wahr- heit. Dazu muss man sich dann auch stellen. ( [CDU/CSU]: So ist es!) Die Menschen – so hart das für viele ist; das ist un- 1998 hatten wir 4,3 Millionen Arbeitslose, heute haben streitig – begreifen aber, glaube ich, dass allein das der wir 4,5 Millionen Arbeitslose, damals mit abnehmender Weg in die Zukunft ist. Daraus entsteht wieder Ver- Tendenz, heute mit steigender Tendenz. trauen, weil sichtbar wird: Die packen die Probleme an. – Dann schlagen Sie sich nicht in die Büsche und (Beifall des Abg. Wolfgang Meckelburg diffamieren Sie nicht, was Sie selber gefordert haben, [CDU/CSU]) sondern machen Sie ein Stück mit! Im Bundesrat sind Sie nach unserer Verfassung dazu verpflichtet. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (B) Herzlichen Dank. Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des (D) Kollegen Eichel? (Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Nein, jetzt noch nicht. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Das Wort hat der Kollege Karl-Josef Laumann, CDU/ Die Situation ist die, Herr Eichel, dass seit dem Amts- CSU-Fraktion. antritt des jetzigen Bundeskanzlers, also in den vergan- genen sechs Jahren, im industriellen Bereich – das macht (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Uwe Küster uns besorgt – 170 000 Arbeitsplätze weggefallen sind. [SPD]: Spärlicher Beifall!) Im letzten Jahr der Kohl-Regierung haben wir im indus- triellen Bereich noch 100 000 dazugewonnen. Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Es ist unbestreitbar, dass durch viele Entscheidungen, Kollegen! Sehr geehrter Herr Bundesfinanzminister, Ihre die diese Regierung getroffen hat, und auch durch Ent- Abschlussrede war vergleichbar mit Ihrer Einführungs- wicklungen auf den Energiemärkten die verfügbaren rede. Sie haben wenig zum Haushalt gesagt Einkommen breiter Schichten der Bevölkerung in den letzten Jahren eher abgenommen als zugenommen ha- (Dr. Uwe Küster [SPD]: Herr Laumann, Sie ben. sind wirklich ein Spaßmacher!) Als 1998 über den Haushalt debattiert wurde, waren und viel die Opposition beschimpft. Aber eines war 35 000 junge Leute auf der Suche nach einer Lehrstelle, schon interessant. Sie haben in Ihren Haushaltsreden in weil sie noch keine hatten. Schon damals war die Situa- diesem Jahr betont: Wir bekommen die Dinge nur in den tion nicht befriedigend. Aber nach sechs Jahren Rot- Griff, wenn wir die Stagnation überwinden und zu Grün sind es 180 000 junge Leute, Wachstum kommen. (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Hört! (Rainer Brüderle [FDP]: Das ist elementar!) Hört!) Ihr Wirtschaftsminister dagegen sagte gestern Morgen in die im Sommer die Schule verlassen haben und zu die- der Debatte: Wir haben das Wachstum schon. sem Zeitpunkt, wo wir über den Haushalt diskutieren, (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Was keine Lehrstelle haben. Nach sechs Jahren Rot-Grün ha- denn nun?) ben wir also eine Situation im Land, in der eine derartig Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004 11355

Karl-Josef Laumann (A) große Menge junger Leute keine Lehrstelle findet. Sie schung: 2,1 Prozent; Rheinisch-Westfälisches Institut für (C) müssen doch zugeben, dass das eine Katastrophe ist. Wirtschaftsforschung: 1,8 Prozent; OECD: 2,1 Prozent; Internationaler Währungsfonds: 2,0 Prozent. (Elke Ferner [SPD]: Was ist denn Ihre Antwort?) Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Prognosen von weltweit führenden Instituten und auch – Dazu komme ich jetzt. – Ich glaube schon, dass deswe- von deutschen Instituten mit Ausnahme des Instituts für gen die Frage, wie wir zu Wachstum und damit zu mehr Weltwirtschaft in Kiel alle über der Prognose liegen, die Arbeitsplätzen kommen, ein ganz entscheidender Punkt die Bundesregierung dem Haushaltsplan zugrunde ge- bei unserem Bemühen ist, den Bundeshaushalt und da- legt hat? mit auch die Staatsfinanzen auf Dauer zu konsolidieren. (Zuruf von der FDP: Blühende Landschaften!) (Beifall bei der CDU/CSU) Zu Beginn des Haushaltsjahres 1998 war durch unver- Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): rückbare Positionen des Bundeshaushaltes – Zuschuss Dass Sie Prognosen von Instituten haben, auf die Sie zur Rentenkasse, Personalkosten, Pensionslasten, Zins- sich stützen, nehme ich zur Kenntnis. Aber wenn Sie den lasten – knapp die Hälfte der Ausgaben gebunden. Im Schnitt der Prognosen aller Institute bilden, kommen Sie Haushalt, den wir diese Woche diskutieren, sind nach bestenfalls auf ein Wachstum von 1,6 oder 1,7 Prozent. sechs Jahren zwei Drittel des Haushaltsvolumens durch Ausgaben gebunden, die auch durch einen Regierungs- (Lachen bei Abgeordneten der SPD) wechsel auf die Schnelle nicht verändert werden könn- Etwas ganz anderes stimmt mich jedoch skeptisch, ten. Das macht doch deutlich, dass die Haushaltskrise Herr Bundesfinanzminister: Bei fast allen Haushalten, der Bundesrepublik Deutschland, so wichtig sparen auch die Sie hier eingebracht haben, haben Sie für den Haus- immer sein mag, nur über die Schaffung von mehr Ar- haltsplan eine Wachstumsprognose zugrunde gelegt, beitsplätzen und durch ein größeres Wirtschaftswachs- tum überwunden werden kann. Durch Sparen alleine je- (Franz Müntefering [SPD]: Darum geht es ja denfalls geht es nicht mehr. In diesem Punkt sind wir gar nicht!) doch gar nicht auseinander. die Sie bis zur dritten Lesung wieder korrigieren muss- (Beifall bei der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: ten. Das war die Praxis der letzten Jahre. Das hat der Minister doch gesagt!) (Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Jetzt stelle ich noch etwas Weiteres fest: Der Bundes- (B) (D) Herr Kollege, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage finanzminister und die Bundesregierung sind noch nicht des Kollegen Eichel. einmal in der Lage, die Zahl derjenigen, die von Hartz IV betroffen sind, richtig zu schätzen. So haben wir heute Morgen eine Schätzung des Instituts für Ar- Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): beitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Ja, bitte. Arbeit auf den Tisch bekommen, in der man nicht von 3,2 Millionen, sondern von nahezu 3,5 Millionen Ar- Hans Eichel (SPD): beitsfähigen ausgeht. Deswegen stimmen in diesem Herr Kollege Laumann, nachdem Sie gerade einen Bereich schon Ihre Zahlen nicht. Satz gesagt haben, den ich so unterschreiben könnte Einigen wir uns doch einmal auf Folgendes; das ist – ich erinnere mich daran, dass ich das Gleiche mehrfach doch der entscheidende Punkt: Wir alle wissen – ich ver- hier gesagt habe, auch heute und am Dienstag –, möchte suche jetzt einmal Gemeinsamkeiten am Ende der ich Sie fragen, ob Sie mir auch in einem anderen Punkt Schlussrunde herauszuarbeiten –, dass wir ohne Wachs- zustimmen können. Sie haben eben behauptet, wir hätten tum und ohne die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen dem Haushaltsplan 2005 eine Wachstumsannahme zu- aus dieser Situation nicht wieder herauskommen. grunde gelegt – zu diesem Punkt hatte ich mich gemel- det –, die von keinem hiesigen Institut bestätigt worden (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) sei. Ich möchte Ihnen deshalb jetzt sagen, wie es sich Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: wirklich verhält: Es gibt in der Tat ein Institut Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischen- frage des Kollegen Eichel? (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Frage!) Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): – die Frage kommt gleich, keine Angst – , nämlich das Nein. Institut für Weltwirtschaft, das von einem Wachstum von (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Er ant- 1,2 Prozent ausgeht, obwohl es für dieses Jahr von wortet doch noch!) 2,1 Prozent ausgegangen ist. Nun lese ich Ihnen Progno- sen der anderen Institute für das nächste Jahr vor – die Morgen ist der furchtbare Anschlag auf das World Zahlen stammen ausschließlich aus den Monaten Juli Trade Center in Amerika drei Jahre her. Zwischenzeit- und August –: Deutsches Institut für Wirtschaftsfor- lich war es zunächst so, dass alle unsere Probleme mit 11356 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004

Karl-Josef Laumann (A) der schlechten weltwirtschaftlichen Stimmung wegen zwar niemandem, der bereits in einem kleinen Betrieb (C) des Terrorismus erklärt wurden. Da war ja vielleicht beschäftigt ist, den Kündigungsschutz wegzunehmen, auch etwas dran. Aber jetzt haben wir die Situation, dass aber für neu Eingestellte den Kündigungsschutz zu das Wachstum der Industriestaaten des europäischen und lockern, um dafür zu sorgen, dass mehr eingestellt wer- des amerikanischen Raumes deutlich über dem Wachs- den? tum der Bundesrepublik Deutschland liegt. Daraus muss man als vernünftiger Mensch doch schließen, dass wir Ich glaube, wir müssen über die Chancen reden. Das hausgemachte Probleme haben, die der Grund dafür heute geltende Arbeitsrecht ist doch etwas kompliziert. sind, dass der Arbeitsmarkt bei uns nicht so funktioniert, Es gibt zwar bereits das Recht, befristet auf zwei Jahre wie er woanders funktioniert. ohne weiter gehenden Kündigungsschutz einzustellen; man unterscheidet aber zwischen sachlichem und nicht Herr Müntefering, Sie fahren zurzeit durchs Land und sachlichem Grund, was zu besonderen Situationen füh- besuchen Veranstaltungen – ich sehe ein, dass Sie es im ren kann wie der, dass jemand, der als Student einmal in Moment nicht leicht haben –, bei denen Sie sagen: Seid einem Unternehmen gearbeitet hat, nach heutiger froh, dass die SPD an der Regierung ist; das, was wir Rechtslage nicht mehr befristet eingestellt werden kann. machen, ist schon schlimm, aber wenn die CDU dran Wir sagen nun: Kann man nicht vielleicht eine Lösung wäre, wäre es noch schlimmer. finden, sodass der soziale Kündigungsschutz – also das, was über die Bestimmungen im Bürgerlichen Gesetz- (Lothar Mark [SPD]: Das ist zutreffend!) buch hinausgeht – erst nach drei Jahren gilt? Was ist Wenn wir Reformen im Land einleiten wollen, die auch schlimm daran, wenn, wie es in meiner Partei geschieht, wir teilweise für richtig halten, müssen wir uns darüber eine solche Debatte geführt wird? Wir müssen sie füh- verständigen, ob es sinnvoll ist, zu sagen, wir würden et- ren, wenn wir uns alle einig sind, dass wir nur über mehr was Schlimmes tun. Wenn wir etwas Schlimmes tun, Arbeitsplätze wieder zu besseren Haushalten kommen dann sollten wir es lieber sein lassen. Wir müssen darü- und im Übrigen nur auf diesem Weg auch die Situation ber reden, dass wir das Richtige tun und dass dadurch in den Sozialversicherungen verbessern können. Die De- auch Perspektiven eröffnet werden. batte sollte geführt werden, ohne dass gesagt wird, das sei schlimm, das bedeute die Aufgabe von Sozialstaats- Ich nenne ein Beispiel, bei dem deutlich wird, wie prinzipien, wir wollten die Leute schutzlos stellen. zurzeit argumentiert wird. (Beifall bei der CDU/CSU) (Franz Müntefering [SPD]: Können Sie mir mal ein Beispiel sagen, wo ich das jemals ge- Ich bin auch fest davon überzeugt, dass die Frage der sagt habe? Sie erzählen hier wieder Geschich- betrieblichen Bündnisse für Arbeit politisch gelöst (B) ten! Das stimmt doch überhaupt nicht! Sie werden muss. Das ist nicht schlimm. Die IGBCE mit ih- (D) bauen nur Pappkameraden auf! Das ist alles rem Vorsitzenden, Herrn Schmoldt, ist eine Gewerk- blanke Erfindung!) schaft, die die Tarifbindung voll im Griff hat. In diesem Bereich treten die Unternehmen kaum aus dem Arbeit- – Man kann viele Fernsehkommentare sehen, in denen geberverband aus und die Arbeitnehmer in diesem In- Sie sich so darstellen. Das ist die Wahrheit. dustriezweig haben eine sehr starke Bindung an ihre Ge- (Franz Müntefering [SPD]: Sprechen Sie über werkschaft. Das liegt daran, dass die Tarifverträge in Fernsehkommentare oder über mich? Sie er- dieser Branche erhebliche Spielräume für betriebliche zählen hier nur Geschichten!) Bündnisse und Entscheidungen lassen, bis hin zu der Re- gelung, dass die Arbeitnehmer in besseren Zeiten an den Wenn Sie die Grenze für den Kündigungsschutz in besseren Ergebnissen beteiligt werden müssen, wenn Kleinbetrieben von fünf auf zehn Mitarbeiter erhöhen, man das vorher, in schlechteren Zeiten, zurückge- (Franz Müntefering [SPD]: Jetzt reden Sie schraubt hat. nicht vorbei: Wann habe ich das gesagt, wo (Beifall bei der CDU/CSU) habe ich das gesagt? – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Redet jetzt der eine oder der an- Wir wissen auch, dass wir diese Regelungen in den Ta- dere, Frau Präsidentin? – Dr. rifverträgen mancher anderer großer Wirtschaftsbereiche [CDU/CSU]: Die Präsidentin sitzt oben und nicht haben. Das sind genau die Wirtschaftsbereiche, in schaut nur!) denen es eine Tarifflucht auf beiden Seiten gibt. dann mag es Leute geben – in Ihrer Partei, in unserer Deswegen sage ich Folgendes – das ist wichtig, um Partei, in der Gesellschaft –, die sagen, das sei schlimm. auf Dauer einen besseren Haushalt hinzukriegen –: Sie und Ihre Leute sagen, wenn jetzt die CDU/CSU an Wenn sich die betreffenden Gewerkschaften nicht in der Regierung wäre, läge die Grenze nicht bei zehn, son- Richtung Schmoldt bewegen, dann müssen wir die dern bei 20 Beschäftigen; deshalb wäre das schlimmer. Spielräume auf gesetzlichem Wege schaffen. (Franz Müntefering [SPD]: Das ist allerdings (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- richtig!) NEN]: Mehr Staat, mehr Staat, mehr Staat!) – Jetzt geben Sie mir ja selber Recht! – Wenn wir so ar- Denn bei Mercedes und Siemens läuft es; das war auch gumentieren, dann stellt sich die Frage: Ist es in der jet- für die Gewerkschaften nicht einfach. Aber beim Mittel- zigen Situation nicht richtig, darüber zu diskutieren, stand – darüber können die Zeitungen nicht schreiben – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004 11357

Karl-Josef Laumann (A) läuft es eben nicht. Da verlieren wir Arbeitsplätze bzw. (Zuruf von der SPD: Ja, was denn?) (C) es gibt eine Abwanderung ins Ausland. Allein im letzten Jahr sind 50 000 Arbeitsplätze davon betroffen gewesen. Sie haben genickt, als ich die Tarifpolitik von Herrn Schmoldt dargestellt habe. Ich habe gesagt, dass wir Wir müssen die Reformdiskussion gemeinsam ange- diese in anderen Bereichen nicht haben, was heute zu hen. einer Tarifflucht führt. Gucken Sie sich doch einmal die (Abg. Franz Müntefering [SPD] meldet sich zu Entwicklung bei den Arbeitgeberverbänden an! Es gibt einer Zwischenfrage) Unterabteilungen, die keine tarifliche Bindung haben. – Herr Müntefering, bevor ich Ihre Zwischenfrage zu- (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Absolut richtig!) lasse, noch Folgendes: Die beiden großen Volksparteien Ich glaube, dass ich mit meinen Feststellungen nicht – ein Teil unserer Wähler hat in etwa die gleichen In- Unrecht habe. Das hat mit der Aushebelung von Tarif- teressen – müssen eine gemeinsame Sprache finden und verträgen – um Ihre Frage zu beantworten – überhaupt deutlich sagen, worin die Chancen einer solchen Ent- nichts zu tun. Wenn wir nämlich die Flexibilität nicht wicklung liegen. Ansonsten gewinnen nur diejenigen, hinkriegen, wird die Tarifautonomie dadurch ausgehe- die uns beiden nicht lieb sein können: belt, dass Arbeitgeber aus den Arbeitgeberverbänden, (Beifall bei der CDU/CSU) die die Tarifverträge abschließen, austreten. Das ist doch die Wahrheit. Das sind nämlich die einen auf der ganz linken Seite und die anderen auf der ganz rechten Seite. Deswegen halte (Beifall bei der CDU/CSU – Arnold Vaatz ich sehr viel davon, dass man diese Debatte erklärend [CDU/CSU]: Ganz große Klasse!) und nicht ideologisierend in den nächsten Wochen wei- terführt. Ich glaube, dass wir durch die Flexibilisierung, von der ich gesprochen habe, eher zu einer stärkeren Tarif- (Beifall bei der CDU/CSU) bindung in Deutschland kommen – das wollen auch die Union und ich –, als wenn wir so wie in den letzten Jah- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: ren weitermachen und die Leute nur noch die Möglich- Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des keit in der Tarifflucht oder in der Verlagerung von Fir- Kollegen Müntefering? – Bitte. men und Arbeitsplätzen ins Ausland sehen. (Beifall bei der CDU/CSU) Franz Müntefering (SPD): Herr Kollege Laumann, habe ich diese Passage Ihrer Ich möchte einen letzten Punkt ansprechen, der für (B) Rede richtig verstanden: Sie sind erstens dafür, dass der die Debatte in den nächsten Monaten wichtig ist. Wir (D) Kündigungsschutz deutlich reduziert wird, zweitens sind alle in diesem Hause wissen doch, dass wir unseren Ar- Sie dafür, dass die Grundlagen der Tarifautonomie aus- beitsmarkt nicht in Ordnung bekommen, wenn wir noch gehebelt werden, und drittens sagen Sie uns, dass das al- lange dabei bleiben, die Kosten für den sozialen Bereich les nicht schlimm ist? fast ausschließlich über die Arbeit zu finanzieren. Sie tun sich schwer mit der Debatte über die Bürgerversiche- (Widerspruch bei der CDU/CSU – Wolfgang rung. Ich gebe zu, wir tun uns mit der Debatte über die Zöller [CDU/CSU]: Ideologie hoch drei! Sie Gesundheitsprämie ebenfalls schwer, vor allem was die haben nicht zugehört!) Frage der Kompensierung der Kosten angeht. Aber wir müssen eine Lösung finden. Dass 26,4 Millionen Be- Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): schäftigte in dem Vehikel „sozialversicherungspflichti- Verehrter Herr Kollege Müntefering, ich glaube, dass ger Arbeitsplatz“ die Kosten für 20 Millionen Rentner Sie sich jetzt auf dem Weg zu den politischen Ritualen und 4,5 Millionen Arbeitslose – das ist fast ein Verhält- befinden, nis von eins zu eins – nicht aufbringen können, das ist (Elke Wülfing [CDU/CSU]: Richtig!) doch jedem klar. Ich denke, wir sollten diese Debatte un- ideologisch führen: Krankenversicherung und Pflegever- die weder Ihrer noch meiner Partei angesichts der sicherung sind nun einmal die einzigen Bereiche – das schwerwiegenden Veränderung der politischen Lage in ist das Ergebnis sowohl der Rürup- wie auch der Ostdeutschland helfen. Lasst uns nur so weitermachen! Herzog-Kommission –, in denen man diese Trennung (Beifall bei der CDU/CSU – Arnold Vaatz von den Arbeitskosten hinbekommen kann. Es ist nicht [CDU/CSU]: Sehr gut! Ganz große gut, zu sagen: Das machen wir in der nächsten Wahlpe- Klasse!) riode. Dann sind längst wieder Hunderttausende von Ar- beitsplätzen weg. Dies wird besonders die kleinen Leute Sie sind doch schon so lange im Deutschen Bundestag treffen, die die nicht so profitablen Arbeitsplätze beset- und haben einen gesunden Menschenverstand. Sie hätten zen. Das sind nämlich diejenigen Arbeitsplätze, die zu- sich diese Frage wirklich sparen können; erst wegfallen. (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Deswegen würde ich mir sehr wünschen, dass wir uns NEN]: Das war genau die richtige Frage!) hier nicht gegenseitig den Vorwurf des Sozialabbaus ma- denn Sie haben sehr wohl genau verstanden, was ich ge- chen, sondern folgende Debatte führen: Wie kann man meint habe. überhaupt zu mehr Arbeit kommen? Wenn wir hierfür 11358 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004

Karl-Josef Laumann (A) eine Lösung finden, wird die Veränderung der Arbeits- legung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe als zwingend (C) welt, die ja schon in vollem Gange ist, von der Reform erforderlichen Schritt anzuerkennen. Das sollte in der der Sozialsysteme so begleitet werden können, dass sie Gesellschaft vermittelt werden, anstatt sich zu drücken den Menschen nicht ganz so viel Angst macht, wie es und immer wieder so zu tun, als könne man sich vor der zurzeit leider der Fall ist. Vermittlung dieser Aufgabe davonschleichen. Ich sage noch einmal: Wenn wir die beiden großen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Volksparteien erhalten wollen, dann sollten wir die Mon- sowie bei Abgeordneten der SPD) tagsdemonstrationen und die Ängste der Menschen ernst nehmen und nichts selber unternehmen, um Ängste zu Insofern: Hut ab vor der Art und Weise, wie Gerhard schüren, nur um dem politischen Gegner kurzfristig zu Schröder in der Gesellschaft zu diesen Reformen steht! schaden. Ich denke, wir alle sind in der Pflicht, dies zu unterstüt- zen. (Joachim Poß [SPD]: Das sagen Sie mal Ihren Leuten! – Weitere Zurufe von der SPD) (Jürgen Koppelin [FDP]: Verdi!) Wir sollten zu Lösungen kommen, die das Land nach Ich komme zum nächsten Punkt. Herr Laumann, Sie vorne bringen. haben eben dargestellt, ohne Wachstum kämen wir aus der jetzigen Situation – das war auf das Thema Haus- Schönen Dank. haltskonsolidierung bezogen – nicht heraus. Ich möchte umgekehrt mit großer Klarheit sagen – darauf hat auch (Beifall bei der CDU/CSU) Minister Eichel hingewiesen –: Die Haushaltskonsoli- dierung ist die Voraussetzung für mehr Wachstum. Wir Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: brauchen wieder Handlungsfähigkeit auf Bundes-, Lan- Das Wort hat die Kollegin Franziska Eichstädt- des- und kommunaler Ebene; das ist sehr wichtig. Bohlig, Bündnis 90/Die Grünen. Ich war erschrocken, wie wenig die Opposition auf dieses Thema eingegangen ist. Ein bisschen muss ich Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE das korrigieren, was Minister Eichel vorhin ausgeführt GRÜNEN): hat. Frau Merkel hat – ich bin ihre Rede noch einmal Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! durchgegangen – nichts, aber auch gar nichts zum Schul- Sehr geehrter Kollege Laumann, bei allem Verständnis denabbau gesagt. Sie hat aber an sehr vielen Stellen für Ihre Leidenschaft in dem Streit um den Kündigungs- mehr Geld für den Haushalt gefordert, also nicht nur das (B) schutz: Ich glaube, es ist überzogen, zu meinen, dass aus berühmte 100-Millionen-Paket, von dem keiner weiß, (D) Eingriffen in den Kündigungsschutz so viel Wachstum von welchem Himmel es fallen soll. entsteht, dass wir unsere Haushaltskonsolidierungspro- bleme lösen können. (Zurufe von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD: Milliarden!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Richtig, es waren Milliarden. Ich kann mich einfach Von daher sollten wir diesen Streit an einer anderen nicht in die Geldwünsche der CDU/CSU hineinverset- Stelle führen. zen. Ich möchte jetzt zum heutigen Tagesordnungspunkt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zurückkommen und als Erstes darauf hinweisen, dass ich sowie bei Abgeordneten der SPD) ein Stück weit enttäuscht bin, in welch hohem Maße die Reden hier streitbefangen sind, obwohl wir alle im Aber sie hat eben auch mehr Geld für Verteidigung und Hause wissen, dass wir bei der Lösung der brennendsten für Verkehr sowie für Lohnkostenzuschüsse, von denen Probleme aufeinander angewiesen sind. Dies betrifft ins- niemand weiß, wie sie finanziert werden sollen, und für besondere die Sozialreformen, die weiter vor uns stehen eine Reihe weiterer Punkte gefordert. – von der Regelung zum Zahnersatz bis hin zur Bürger- Herr Westerwelle hat keinen Satz zur Haushalts- versicherung –, und vor allem die Haushaltskonsolidie- konsolidierung gesagt; das fand ich erstaunlich. Stattdes- rung. Insofern möchte ich in starkem Maße dafür wer- sen will er die Mittel aus dem Subventionsabbau für ben, nicht mehr zu polarisieren und uns zu fragen: Was neue Steuergeschenke verwenden. können wir tun, um bei der Haushaltskonsolidierung vo- ranzukommen? Frau Lötzsch, von der PDS erwarten wir es gar nicht anders. Bei Ihnen macht man sich ja überhaupt keine Als Zweites muss ich sagen, dass es mich schon irri- Gedanken darüber, wie die deutschen Haushaltsnöte in tiert hat, dass sich die Redner in dieser Woche relativ den Griff bekommen werden sollen. Vielmehr machen wenig mit den Sorgen der Demonstranten und der von Sie in der Gesellschaft Versprechungen, von denen Sie Hartz IV Betroffenen ernsthaft auseinander gesetzt ha- wissen, dass niemand sie halten kann. Auch die PDS ben. Das heißt nicht, dass ich der Meinung bin, wir soll- könnte sie nicht halten und kann sie heute in den Län- ten Hartz IV aufgeben oder ändern. Ich war aber er- dern schon nicht halten, wo sie mit in der Regierungs- staunt, dass nur der Kanzler mit großer Klarheit und verantwortung steht. Deutlichkeit gesagt hat, wie wichtig es ist, zu den Refor- men der Agenda 2010 zu stehen und die Zusammen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004 11359

(A) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: hat sich am 26. Juli in einem Interview der „Berliner (C) Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Zeitung“ nicht nur zum Thema Kündigungsschutz geäu- Kollegen Koppelin? ßert, sondern auch vorgeschlagen, dass sich Bund und Länder gemeinsam um einen Entschuldungsplan küm- mern sollten. Ich bedaure sehr, dass dieser Vorschlag we- Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE der von ihm selbst noch von irgendjemandem aus Ihren GRÜNEN): Reihen aufgegriffen worden ist. Stattdessen arbeitet Ich gestatte eine Zwischenfrage des Kollegen Ministerpräsident Wulff ganz lässig bis 2007 mit verfas- Koppelin. sungswidrigen Haushalten. Insofern spielt er hier ein bisschen mit gezinkten Karten. Jürgen Koppelin (FDP): Ich greife aber seine Idee auf, einen nationalen Ent- Vielen Dank. – Nachdem Sie so viele Politiker der schuldungsplan zu vereinbaren und umzusetzen, weil Opposition aufgezählt und dargestellt haben, was sie an- wir in diesen Zeiten so sehr aufeinander angewiesen geblich alles gesagt haben, frage ich Sie, ob ich noch er- sind, und werbe hier aktiv dafür, dass wir uns im Rah- warten kann, dass Sie in Ihrer Rede auf den bekannten men dieser Haushaltsberatungen diesem Thema ernst- Nationalökonomen , der im Nebenberuf haft widmen. Außenminister ist, zurückkommen? Er hat ja in einem Interview des „Spiegel“ Bedeutendes zu diesem Bundes- (Beifall des Abg. [CDU/ haushalt gesagt, als er darauf hinwies, das Sparen müsse CSU]) nun ein Ende haben. – Ich danke, dass es immerhin einen gibt, der vonseiten (Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie bei der CDU/CSU an dieser Stelle klatscht. Abgeordneten der CDU/CSU) (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Jochen- Konrad Fromme [CDU/CSU]: Was machen Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE denn Ihre Leute? – Beifall beim BÜNDNIS 90/ GRÜNEN): DIE GRÜNEN) Das ist zu kurz gegriffen. Ich weiß, dass der Kollege Joschka Fischer für sein Ressort und für bestimmte au- – Danke, dass Sie für den Applaus meiner Fraktion ge- ßenpolitische Aufgaben mehr Geld braucht. Umso wich- sorgt haben. tiger ist es aber – in diesem Punkt bin ich mir mit dem Herr Minister Eichel hat vorhin ganz klar gesagt, dass Kollegen Joschka Fischer einig –, dass wir in diesen es von unserer Seite dazu Vorschläge gibt. Er hat erneut (B) Haushaltsberatungen Schritte verabreden, die geeignet vorgetragen, dass wir Vorschläge zum Subventionsab- (D) sind, die Handlungsfähigkeit unseres Bundesetats wieder bau in einer Größenordnung von 17 Milliarden Euro ge- herzustellen, damit wir unter anderem für außenpoliti- macht haben, von denen Sie im letzten Vermittlungsver- sche Verpflichtungen, beispielsweise für die auswärtige fahren nur 2,4 Milliarden Euro mitgetragen haben. Mehr Kulturpolitik, Geld haben. Insofern, Herr Koppelin, be- als 14 Milliarden Euro sind also noch auf der Pflichtliste. finde ich mich mit Joschka Fischer absolut auf einer Dies ist aber – daran möchte ich alle erinnern – nicht nur Linie. ein Thema der Haushaltskonsolidierung, sondern auch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine Frage der Gerechtigkeit gegenüber den von und bei der SPD – Hans Michelbach [CDU/ Hartz IV Betroffenen. CSU]: Herumgeeiere!) Das eigentliche Problem von Hartz IV ist gar nicht Ich muss gestehen, dass ich nach den Streitereien die- Hartz IV, sondern die Frage der Gerechtigkeit bei der ser Woche den Wunsch habe, dass wir die Schulden- Lastenverteilung. Das Problem der Schieflage zwischen standsuhr des Bundes der Steuerzahler, die man im In- dem Sparbeitrag, den wir den Arbeitslosen abverlangen, ternet aufrufen kann, auch hier in diesem Saal aufstellen, und den Beiträgen, die wir zurzeit noch nicht anderen damit wir sie regelmäßig sehen. Zu Beginn dieser De- Kreisen der Gesellschaft, insbesondere denen, die Ein- batte betrug unser Schuldenstand 1,385 Billionen Euro, kommen, Arbeit und Besitz haben, abverlangen, müssen worin noch nicht einmal die Verpflichtungen aller wir gemeinsam lösen. Ich sage ganz klar: Es kann nicht Ebenen, also von Bund, Ländern und Gemeinden, in Be- sein, dass wir auf der einen Seite Kürzungen durch zug auf die Beamtenversorgung eingerechnet sind. Der Hartz IV vornehmen, auf der anderen Seite aber Haus- Schuldenzuwachs betrug in der Zeit, in der wir hier de- halten, die über ein Jahreseinkommen in Höhe von battieren, 2 534 Euro pro Sekunde. Von daher ist es 80 000 Euro verfügen, die Eigenheimzulage belassen. Es höchste Zeit, dass wir uns darüber Gedanken machen, kann nicht sein, dass wir das Dienstwagenprivileg beibe- wie wir von diesen Schulden herunterkommen. halten, während wir den anderen Hartz IV zumuten. Ich möchte einen Vorschlag, der von Ihrer Seite ge- Es gibt eine Reihe von Themen – Flugbenzinsubven- macht wurde, aber überhaupt nicht weiter verfolgt tionen, Entfernungspauschale, Pensionsansprüche von wurde, aufgreifen. Herr Wulff, der Ministerpräsident von Beamten und Politikern und vieles mehr –, die nicht nur Niedersachsen, mit Blick auf die Haushaltskonsolidierung, sondern auch unter dem Aspekt der Gerechtigkeit gegenüber den Kür- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf zungen, die wir mit Hartz IV vollzogen haben, hier im von der CDU/CSU: Guter Mann!) Haus auf der Tagesordnung stehen. Ich bin daher der 11360 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004

Franziska Eichstädt-Bohlig (A) Meinung, dass wir dieses Thema noch in diesem Herbst ihrerseits investieren. Das ist ein wesentlicher Faktor, (C) angehen und endlich Nägel mit Köpfen machen sollten. um die Wirtschaft zu stabilisieren. Man kann nicht nur Ich fordere Sie alle hier in diesem Haus auf, aktiv mitzu- auf das Wachstum warten, sondern muss durch Subven- machen. tionsabbau selber aktiv dazu beitragen. Das halte ich für nötig. In diesem Sinne werbe ich dafür, allmählich mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dem Streiten aufzuhören und endlich gemeinsam an die- sowie bei Abgeordneten der SPD) ser nicht ganz einfachen Aufgabe zu arbeiten. Einen Punkt möchte ich dazu ansprechen: Von zwei (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Seiten dieses Hauses, von der FDP und von der CDU/ und bei der SPD) CSU – hier besonders vom Kollegen Merz, während die Kollegin Merkel erstaunlicherweise dazu in ihrer dies- jährigen Rede anlässlich des Haushalts geschwiegen Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: hat –, wird eine Illusion aufrecht erhalten. Es handelt Frau Kollegin, zu Ihrem heutigen Geburtstag wün- sich dabei um die These, dass ab 2006 weitere nennens- sche ich Ihnen persönlich und im Namen des ganzen werte Steuersenkungen möglich sind, für deren Gegen- Hauses alles Gute. Herzlichen Glückwunsch! rechnung man das ganze Paket der Subventionen heran- (Beifall) ziehen müsste. Sie machen damit der Bevölkerung unrealistische Versprechungen, die niemand, auch Sie Das Wort hat der Kollege Professor Dr. Andreas nicht, in Zukunft halten kann. Pinkwart, FDP-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der FDP) Wir haben Steuersenkungen vorgenommen und wer- Dr. Andreas Pinkwart (FDP): den die letzte Stufe 2005 durchführen. Ich stehe zu die- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und ser Stufe, weil ich es für richtig halte, die Faktoren Wirt- Herren! Zu Beginn seiner Amtszeit hat Herr Eichel, der schaft und Arbeit von Steuern zu entlasten. Die von uns uns aus gutem Grund schon hat verlassen müssen – er vorgenommenen Entlastungen können wir gegenüber je- hat das dargelegt –, seinen Kurs wie folgt bestimmt – ich dem Arbeitslosen und jedem Demonstranten vertreten. zitiere –: Wir können aber keine weiteren Steuersenkungsverspre- chungen machen. Die frei werdenden Mittel aus dem Sparen ist … kein Selbstzweck, Sparen ist Mittel Subventionsabbau, den wir leisten müssen, brauchen wir zum Zweck, nämlich zur Schaffung von Arbeits- zur Haushaltskonsolidierung und können wir nicht mit plätzen für nachhaltiges Wachstum. weiteren Steuersenkungen verrechnen. (B) Diese Aussage ist nach wie vor richtig und die FDP- (D) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Fraktion teilt diese Auffassung auch nach wie vor. In Wahrheit ist es aber doch so, dass sich Rot-Grün und Das muss der Gesellschaft vermittelt werden. Von daher auch der Bundesfinanzminister – das hat die Debatte in möchte ich die Opposition eindringlich auffordern, mit dieser Woche wieder gezeigt – von diesem Kurs längst diesen falschen Versprechungen, die niemand halten verabschiedet haben. kann, Schluss zu machen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Statt die Neuverschuldung des Bundes „close to ba- lance“, also gegen null, zu fahren, steuern Sie in diesem Wir sind ein Land mit einer sehr anspruchsvollen In- Jahr trotz eines Wachstums von fast 2 Prozent, auf das frastruktur und hohen Sozialleistungen. Wir wollen die der Bundeswirtschaftsminister so stolz ist, auf eine Re- Infrastruktur erhalten, pflegen und weiterentwickeln und kordneuverschuldung von über 40 Milliarden Euro zu. wir wollen die sozialen Leistungen auch unter den Be- Das ist in Wahrheit die finanzielle Bilanz Ihrer sechsjäh- dingungen einer globalen Wirtschaftskonkurrenz, die rigen Regierungsarbeit. sehr hart ist und viele Maßnahmen fordert, aufrechter- halten. Wir wollen – ob es alle wollen, ist eine Frage des (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) politischen Streits – den sozialen Aspekt der sozialen Nachdem Herr Eichel die Kasse nicht mehr gestaltet, Marktwirtschaft erhalten. Wir können daher nicht ver- sondern nur noch verwaltet, sind seine Haushaltspläne sprechen, ein Niedrigsteuerland wie manch anderes reinste Makulatur. In den letzten drei Jahren lag die tat- Land zu werden. Sie sollten solche Versprechungen nicht sächliche Neuverschuldung im Mittel um 70 Prozent hö- mehr machen und stattdessen zur Tagesordnung, zur her als im jeweiligen Haushaltsentwurf. Damit waren die Konsolidierung des Haushalts, die wir hier und heute zu letzten beiden Haushalte im Vollzug verfassungswidrig, leisten haben, zurückkommen. und nach allem, was wir wissen, trifft das auch auf den Ich komme zum Schluss. Zunächst meine Aufforde- aktuellen Haushalt zu. rung an alle Seiten, die dabei mitgemacht haben: (Beifall bei der FDP) Hartz IV muss offensiv verteidigt werden, niemand darf sich davonstehlen. Darüber hinaus müssen wir die Haus- Rechnet man allein die mit über 15 Milliarden Euro halte mutig sanieren; denn dann werden die öffentlichen nicht realisierten und völlig überzogenen Privatisie- Hände – nicht nur der Bund, sondern auch die Länder rungserlöse hinzu, so klafft im Haushalt 2005 bereits und Kommunen – wieder handlungsfähig und können eine Lücke von über 37 Milliarden Euro. Ich sage Ihnen Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004 11361

Dr. Andreas Pinkwart (A) voraus: Im Ergebnis wird auch der Haushalt 2005, den Dies wird aber nur gelingen, wenn die Politik zu ihrer (C) wir hier zu beraten haben, eine um 70 Prozent höhere Grundsatztreue zu den vier von Ludwig Erhard verfolg- Neuverschuldung aufweisen. ten konstituierenden Grundprinzipien sozialer Markt- wirtschaft zurückfindet. (Beifall bei der FDP) Das erste Prinzip lautet: Vorrang für die Stabilität der Damit ist der Bundesfinanzminister in einem Punkt Währung. Das gilt heute auch für den Euro. berechenbar geworden: Wer auf die in seinem Haushalts- entwurf prognostizierte Neuverschuldung 70 Prozent (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten draufrechnet, der liegt richtig. der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Herr Eichel hat heute Morgen hier gesagt, dass man in diesem Jahr Flexibilisierungen vornehmen müsse, um Das tun Sie doch nur – das sollten Sie aber den Bürge- die Schulden, wenn die Stagnationsphase überwunden rinnen und Bürgern ehrlich sagen –, damit Sie sich bei ist – eigentlich wähnt sich die Regierung ja schon heute der Einbringung des Haushaltes an den Vorgaben des in der Wachstumsphase – , in Zukunft durch Haushalts- Grundgesetzes vorbeimogeln können. Das ist der eigent- überschüsse zurückführen zu können. Aber man muss liche Grund. Sie wollen davon ablenken, dass sich doch nur einmal einen Blick in Ihre mittelfristige Deutschland unter Ihrer Verantwortung Schritt für Finanzplanung werfen, die Sie uns hier auf den Tisch ge- Schritt in die Schuldenfalle begibt. legt haben. Darin erkennen wir, dass bei einer Wachs- Dieser Einschätzung wird von Herrn Eichel in Inter- tumsannahme von jeweils 2 Prozent pro Jahr bis 2008 in views auch noch nicht einmal ernsthaft widersprochen. den nächsten Jahren keine Haushaltsüberschüsse von Ih- Im „Focus“ vom Montag sagte er – ich zitiere –: nen geplant werden, sondern dass Sie eine weitere Neu- verschuldung von insgesamt annähernd 100 Milliarden Die Schulden wachsen schneller als das Brutto- Euro planen. Das ist die Wahrheit, die wir festhalten inlandsprodukt. Das kann doch so nicht weiterge- müssen. Insofern hat der Finanzminister am Thema vor- hen. beigesprochen. Das ist richtig. Das kann so nicht weitergehen. Aber mit (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten dem vorgelegten Haushalt und der mittelfristigen der CDU/CSU) Finanzplanung setzen Sie diesen unverantwortlichen Kurs fort. Der zweite Punkt ist das entschlossene Eintreten für Privateigentum, für weniger Staat und mehr Eigenver- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (B) antwortung, damit den Bürgern mehr von den Früchten (D) ihrer Arbeit bleibt. Darum geht es, wenn wir hier Vor- Für die FDP-Fraktion erkläre ich deshalb hier, wel- schläge machen, wie die Lohnnebenkosten und die Steu- chen Weg wir uns vorstellen, um aus dieser Misere he- ern gesenkt werden können. Wir können es den jungen rauszufinden. Wir wollen dazu in den weiteren Beratun- Leuten nicht zumuten, dass ihnen, wenn sie nach ihrer gen – wir haben das auch in den letzten Tagen durch Ausbildung arbeiten gehen, über 60 Prozent des Ver- unsere Redner zum Ausdruck gebracht – konkrete und dienten abgezogen werden. Dadurch schaffen Sie keine seriöse Einsparvorschläge für die einzelnen Etats vorle- Anreize für Arbeit und Investitionen. Damit frustrieren gen. Wir werden erneut ein Volumen in einer Größen- Sie die Menschen und treiben sie in die Schwarzarbeit ordnung von 2 bis 2,5 Milliarden Euro anstreben. Wir oder ins Ausland. werden zudem erneut für den von Günter Rexrodt und mir vor einigen Monaten eingebrachten Vorschlag wer- Das dritte Grundprinzip ist die Sicherstellung eines ben, durch eine Änderung des Haushaltsgrundsätzege- funktionsfähigen Wettbewerbs, und zwar in allen Berei- setzes Subventionen zu begrenzen, degressiv zu gestal- chen, auch auf dem Arbeitsmarkt. In diesem Bereich ten und zukünftig wenn überhaupt, dann nur als müssen wir, was zum Beispiel das Tarif- und das Ar- Finanzhilfen zu gewähren. Damit könnten wir das struk- beitsrecht betrifft, ebenfalls die Voraussetzungen für turelle Haushaltsdefizit an einer zentralen Wurzel pa- Wettbewerb schaffen. cken und einen nachhaltigen Beitrag zur Haushaltskon- solidierung leisten. Das vierte Prinzip unserer sozialen Marktwirtschaft – genau dies ist das Prinzip, gegen das Sie so nachhaltig Das Fummeln am Gürtel des jeweils anderen, wie Sie verstoßen – ist die Rückkehr zur Langfristorientierung es jetzt erneut mit der Eigenheimzulage versuchen, führt und zur Verlässlichkeit der Politik. Denn nur dadurch uns hier nicht weiter. Das löst keine Probleme, es vertagt wird das Vertrauen geschaffen, das notwendig ist, damit sie nur. die Menschen Arbeit aufnehmen und damit Investitionen getätigt werden. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Gesamtverschuldung der öffentlichen Haushalte bekommen wir aber nur in den Griff, wenn wir die struk- Um mehr Wachstum und Beschäftigung zu schaffen, turellen Probleme unseres Landes lösen. Zentrales Ziel ist es die Aufgabe der Politik, auf der Grundlage dieser muss es sein, die wirtschaftliche Dynamik unseres Lan- Prinzipien Ludwig Erhards die notwendigen gesamt- des nachhaltig zu erhöhen. wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die drei 11362 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004

Dr. Andreas Pinkwart (A) Wachstumsfaktoren Arbeit, Investitionen und techni- (Dr. Elke Leonhard [SPD]: Ach du lieber (C) scher Fortschritt zu schaffen. Himmel!) Die gegenwärtigen Demonstrationen und die Diskus- Die Sorgen der Menschen um ihren Arbeitsplatz, um sionen in der Öffentlichkeit zeigen: Wir müssen nicht ihre Existenz, um ihre soziale Sicherung nehmen zu. Zu nur die Transfers zielgenauer durchführen und mehr An- Recht erwarten die Menschen von denen, die in der Poli- reize zur Aufnahme von Arbeit schaffen, sondern wir tik Verantwortung tragen, sichtbare und spürbare Signale müssen in diesem Land auch wieder mehr wettbewerbs- zur Verbesserung der Situation. fähige, legale Arbeitsplätze schaffen. Das ist der Schlüs- (Petra-Evelyne Merkel [SPD]: Das gilt auch sel zum Wachstum von morgen. für Sie!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Genau diesen Erwartungen wird weder der vorliegende der CDU/CSU) Haushaltsentwurf noch das, was die Regierung und die Wer Arbeit schaffen will, braucht bessere Vorausset- Koalitionsfraktionskollegen in dieser Woche gesagt ha- zungen für Investitionen. Hierzu muss man der Bundes- ben, gerecht. Nichts ist erkennbar an spürbaren, an sicht- regierung, wenn sie mehr Wachstum befördern will, baren Signalen, dass sich die Situation für die Menschen doch einmal Folgendes sagen: Wer Investoren, wie es im Land tatsächlich verbessert. Herr Bütikofer in den letzten Tagen wieder getan hat, (Beifall bei der CDU/CSU) statt ihnen Mut zu machen und Möglichkeiten aufzuzei- gen, wie sie an diesem Standort eine positive Entwick- Im Gegenteil: Wenn man es sich genau anschaut, ist lung nehmen können, sofort mit der Androhung neuer der vorliegende Haushaltsentwurf wie in den vergange- Steuererhöhungen entgegentritt, der hilft nicht dabei, nen Jahren auch in diesem Jahr ein Flickwerk. Immer dass Wachstum entsteht, sondern er zerstört die Grund- wieder wird an verschiedenen Stellen versucht, selbst lage für Wachstum und Beschäftigung in diesem Land. gemachte Haushaltslöcher zu stopfen, und auch in die- sem Jahr wieder ist der Haushaltsentwurf mit einer (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Menge von Risiken verbunden. Eigentlich müsste man der CDU/CSU) sich als Finanzminister genieren, so etwas vorzulegen. Es muss uns gelingen, die steuerlichen Rahmenbedin- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) gungen so zu setzen, dass Investitionen in diesem Land wieder nachhaltig an Fahrt aufnehmen. Dafür brauchen Ich nenne Ihnen einige Beispiele, um dies zu begrün- wir in Deutschland ein Steuerrecht, wie es Hermann den: Es sind Privatisierungserlöse von etwa Otto Solms für die FDP-Fraktion in den Deutschen Bun- 15 Milliarden Euro enthalten – jeder weiß, dass das so (B) destag eingebracht hat: ein einfaches Steuerrecht mit nicht zu erreichen ist. Da ist ein Bundesbankgewinn von (D) niedrigen Steuersätzen, das im Ergebnis gerecht ist. Es etwa 3,5 Milliarden Euro eingestellt – im vergangenen ist doch interessant: Alle wirtschaftswissenschaftlichen Jahr sind 248 Millionen Euro erzielt worden. Nun soll Forschungsinstitute, alle Wirtschaftswissenschaftler, die Eigenheimzulage abgeschafft werden, eine Maß- auch alle, die im Ausland mit solchen Konzepten gear- nahme, die überhaupt noch nicht beschlossen ist und al- beitet haben, sagen: Das ist der Schlüssel, um in ler Voraussicht nach auch nicht beschlossen werden Deutschland aus der schwierigen Situation herauszu- wird. kommen. Ein entsprechender Gesetzentwurf liegt im Deutschen Bundestag vor. Meine Damen und Herren, (Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ wenn Sie es ernst meinten mit der Schaffung von Ar- DIE GRÜNEN]: Ihr könnt da endlich Vernunft beitsplätzen, wenn Sie es ernst meinten mit der Konsoli- zeigen!) dierung Ihres Haushaltes, müssten Sie diesen Gesetzent- Die Einsparungen daraus sind aber schon im Haushalt wurf schnell auf die Tagesordnung setzen und berücksichtigt. Andererseits sind Ausgaben, die schon mitarbeiten, dass er noch in dieser Legislaturperiode um- beschlossen sind, nämlich für Hartz IV, nicht enthalten. gesetzt werden kann. Das wäre ein Impuls für dieses Land, nicht diese Rumeierei, die Sie die ganze Zeit über Meine Damen und Herren, ein Haushalt mit solch zelebrieren. großen Risiken und bewusst falschen Angaben ist so et- was von unseriös, dass man ihn den Leuten in diesem Ich danke Ihnen. Land einfach nicht zumuten kann. (Anhaltender Beifall bei der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU) Dazu kommt, dass die Wachstumserwartungen, die zu- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: grunde gelegt sind, auch in diesem Jahr wieder aus der Das Wort hat die Kollegin Gerda Hasselfeldt, CDU/ Luft gegriffen sind. Erst gestern hat das Institut für Welt- CSU-Fraktion. wirtschaft in Kiel die Wachstumserwartungen reduziert: (Beifall bei der CDU/CSU) auf 1,2 Prozent. Auch dies gehört zur Wahrheit, die man den Menschen nicht vorenthalten darf. Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU): Aus all diesen Gründen ist dieser Entwurf nur auf Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Ver- dem Papier verfassungsgemäß. Trotz dieser Luftbuchun- lauf der Debatte in den letzten Tagen hat deutlich ge- gen werden die Maastricht-Kriterien wieder nicht erfüllt, zeigt: Der Zustand des Landes wird immer kritischer. trotz dieser Schönfärberei haben wir eine Überschul- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004 11363

Gerda Hasselfeldt (A) dung, die die Stabilität der Währung gefährdet. Meine reformiert, sondern nur entsprechende Überschriften (C) Damen und Herren, und dann spricht der Finanzminister veröffentlicht. Denken Sie an die Riester-Rente, die Sie von dem „sechsten Konsolidierungshaushalt in Folge“, „Jahrhundertreform“ genannt haben, um ein halbes Jahr den er vorlegt! später zugeben zu müssen, dass dies keine Jahrhundert- reform war. Schließlich haben Sie die Kommunen nicht (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) zuletzt dadurch ausbluten lassen, dass Sie die Gewerbe- Von Konsolidierung kann da wirklich überhaupt nicht steuerumlage erhöht haben. Dadurch haben Sie den die Rede sein, schon mit der Überschrift wird die Bevöl- Kommunen jahrelang mehr Geld abgenommen, als es ei- kerung angelogen. Dann braucht man sich auch nicht zu gentlich notwendig und als es gerechtfertigt gewesen wundern, dass das Vertrauen der Bürgerinnen und Bür- wäre. ger in die Politik schwindet. Sie merken nämlich, dass sie von denen, die hier politische Verantwortung tragen, (Carsten Schneider [SPD]: Ihre Länder haben wieder einmal angelogen werden. der Steuerreform zugestimmt!) Wenn der Bundeskanzler in einem Meister ist, dann Bei einer solchen Politik brauchen Sie sich nicht darü- ist er es im Formulieren. Ich zitiere einen Satz aus seiner ber zu wundern, dass die Einnahmen zurückgehen, die Regierungserklärung vom November 1998: Ausgaben steigen und dadurch die Haushaltsdefizite im- mer größer werden. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Das Mindeste, was die Bürgerinnen und Bürger von Das ist nicht gottgegeben, sondern das haben Sie zu ver- uns verlangen können, ist der Wille zur Aufrichtig- antworten. keit, zur Beschreibung der Wirklichkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Da hat der Dr. Andreas Pinkwart [FDP]) Kanzler Recht!) Das Schlimme daran ist, dass die Folgen nicht nur auf Wenn er sich doch wenigstens an diesem ihm selbst ge- dem Papier stehen, dass es also nicht nur Auswirkungen setzten Mindestanspruch messen lassen würde, auf die Zahlen des Haushaltes gibt. Das Schlimme daran (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. ist, dass die Menschen betroffen sind. Den jungen Men- Dr. Andreas Pinkwart [FDP]) schen werden durch die hohe Verschuldung die Perspek- tiven für die Zukunft kaputtgemacht, den Älteren wird dann müsste er sich heute hier hinstellen und sagen: ein Teil des Lohnes ihrer Arbeit genommen Leute, ich habe sechs Jahre lang Verantwortung in die- sem Land gehabt. Der Zustand des Landes ist nach sechs (Lothar Mark [SPD]: Das, was Sie da erzäh- Jahren schlechter als vorher, den Menschen geht es len, stimmt doch nicht!) (B) (D) schlechter also vorher, und die Arbeitslosigkeit ist nicht und viele – auch qualifizierte und leistungsbereite – gesunken, wie ich es versprochen habe, sondern gestie- Menschen sind von Arbeitslosigkeit betroffen oder be- gen. droht. Das ist das Schlimme an dieser Politik. (Lothar Mark [SPD]: Sie reden über ein anderes Land!) (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: So ist es!) Deshalb gestehe ich meine Schuld ein und gebe die Ver- antwortung an andere. – Das würde er tun, wenn er auf- Es ist mit Sicherheit der falsche Weg, zu glauben, dies richtig und ehrlich wäre. bei Haushaltsberatungen durch einseitige Kürzungen un- ter dem Stichwort „Konsolidierung“ oder durch das (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Stopfen des einen Lochs heute und des anderen Lochs Dr. Andreas Pinkwart [FDP]) morgen ändern zu können. Wir haben das bei der Tabak- Nun will ich nicht bestreiten, dass die Situation steuer erlebt. Durch die massive Erhöhung dieser Steuer schwierig ist. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es die haben Sie versucht, ein Loch zu stopfen. Das Ergebnis demographische Entwicklung und die Globalisierung war, dass sich die Menschen so verhalten haben, wie sie mit den sich daraus ergebenen Problemen nicht erst seit es getan haben, nämlich ganz normal. Wir hatten Ihnen gestern gibt; sie gibt es schon länger. Zur Wahrheit ge- das vorher auch gesagt. hört auch, dass in diesen sechs Jahren der Verantwortung (Lothar Mark [SPD]: Begrüßen Sie es nicht, von Rot-Grün nichts getan wurde, um die Situation zu das weniger geraucht wird?) verbessern. Es wurde aber vieles getan, um die Situation zu verschärfen und zu verschlechtern. Das Volumen des Steueraufkommens reicht also nicht, sodass Sie sich etwas anderes suchen müssen, um das Ich nenne nur einige Beispiele: 1997 haben Sie un- Loch zu stopfen. Sie sind eben nicht bereit, grundle- sere Steuerreform, die schon beschlossen war, im Bun- gende Entscheidungen zu treffen, grundlegende Struk- desrat blockiert. Heute wird ja auch zugegeben, dass dies turreformen durchzuführen und eine grundlegende Poli- nur aus wahltaktischen Gründen geschehen ist. 1998/ tik für Wachstum und Beschäftigung zu gestalten. Das 1999 haben Sie die von uns vorgenommenen Sozial- und ist der wesentliche Punkt, den wir kritisieren. Arbeitsrechtsreformen zurückgenommen. Im Laufe der letzten sechs Jahre haben Sie das Steuersystem nicht ein- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – facher, sondern komplizierter gemacht. Sie haben die Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Die Löcher Sozialversicherung nicht grundlegend und wegweisend wurden herausgeschnitten!) 11364 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004

Gerda Hasselfeldt (A) – Darauf komme ich noch zurück. der Kindertagesbetreuung. Lassen Sie ihnen doch die (C) Freiheit, mit dem Geld, das sie einnehmen, ihre Aufga- Es ist in dieser Zeit auch falsch, die Menschen durch ben in eigener Verantwortung wahrzunehmen. Machen ständige Diskussionen über die Erbschaftsteuer, die Ver- Sie das, was notwendig ist, nämlich bei den Kommunen mögensteuer und anderes weiter zu verunsichern. Das, die Dynamik der Sozialausgaben zu begrenzen. Es reicht was die Menschen brauchen, ist – Herr Professor nicht, das in Sonntagsreden zu beschwören, wie es bei- Pinkwart hat es angesprochen – Verlässlichkeit. Sie hin- spielsweise die SPD in Nordrhein-Westfalen tut, sondern gegen machen es einmal so und einmal so. Man darf die es ist notwendig, dies hier in diesem Haus zu beschlie- Menschen auch nicht bei der Höhe von Einnahmen belü- ßen. Anträge dazu liegen vor. gen. Ich kann mich noch sehr gut an ein Beispiel erinnern Mein letzter Punkt betrifft die Eigenheimzulage, weil – das ist noch gar nicht so lange her – : Es geht um die so auch sie im Zusammenhang mit Investitionen steht. Die genannte Brücke zur Steuerehrlichkeit. Sie haben vo- Einnahmen durch Kürzung der Eigenheimzulage sind rausgesagt, dass mit dieser Maßnahme 5 Milliarden Euro ähnlich wie früher beim Jäger 90 schon mehrfach einge- mehr Steuereinnahmen erreicht werden. Die Finanz- plant. Gestern Abend habe ich gehört, dass die Mittel aus minister der Länder haben schon große Augen bekom- diesen Einnahmen auch in die Landwirtschaft fließen men und sich auf diese Einnahmen gefreut. Wir haben sollen. Wir müssen uns im Klaren sein, dass die Ab- schon damals gesagt: Macht euch nichts vor, so viel wird schaffung der Eigenheimzulage pro Jahr ein Minus an es nicht. Diese Einnahmeprognose ist von den Steuer- Investitionen im Wohnungsbau von etwa 28 Milliarden schätzern auf 1,5 Milliarden Euro korrigiert worden. Euro bedeutet. Diese Berechnung stammt nicht von mir, Nach In-Kraft-Treten sind im ersten Halbjahr dieses Jah- sondern von Experten. In einer Zeit, in der es darum res etwa 220 Millionen Euro eingegangen. Daran sieht geht, wirtschaftspolitische Signale in Richtung Investi- man wieder, dass die Leute belogen werden. Voraussa- tionen und Arbeitsplätze zu setzen, kann man doch nicht gen, die einfach nicht stimmen, werden in die Welt ge- ein solches Instrument, das sich im Übrigen auch fami- setzt. lienpolitisch bewährt hat, zur Seite legen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Falsch ist auch, bei den Investitionen und den Maß- nahmen, die Wachstum stimulierend sind, zu kürzen, Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: aber ökologische Spielwiesen beizubehalten. Vollkom- Frau Kollegin, bitte denken Sie an Ihre Redezeit. men unsinnig und unnütz war auch der BND-Umzug von München nach Berlin. Ein anderes Beispiel sind die (B) Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU): (D) Unsummen von Geldern, die für Ich-AGs, Jobfloater Ich komme zum Schluss. und Ähnliches ausgegeben wurden. Notwendig wäre eine Politik, die bei wirklich jeder Entscheidung prüft: Es ist wichtig, nicht irgendwelche kurzsichtigen Bringt sie uns Arbeitsplätze? Bringt sie uns Zukunfts- Haushaltslöcher zu stopfen, chancen? Belässt sie die Arbeitsplätze im Land? (Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ Ich will einige Punkte ansprechen, die hier eine Rolle DIE GRÜNEN]: „Kurzsichtige Haushalts- spielen. Wie verhalten wir uns zu Innovation und For- löcher“! Das merken wir uns!) schung? Es reicht eben nicht, wenn der Bundeskanzler das Jahr 2004 zum Jahr der Innovation erklärt. Es reicht sondern die Inhalte der Politik sind ausschlaggebend. auch nicht, wenn der Wirtschaftsminister die Gen- Mit dem, was Sie in den letzten sechs Jahren gemacht technik insgesamt fördern will. Ausschlaggebend ist haben, haben Sie einen wesentlichen Beitrag zu dieser das, was tatsächlich an Politik gemacht wird. Gemacht schlechten Situation unseres Landes geleistet. Deshalb wird unter der Federführung der Landwirtschafts- und ist ein Umkehren notwendig, und zwar nicht in Form Verbraucherschutzministerin ein Gesetz zur Gentechnik, von kurzfristigem Stopfen von Löchern, sondern in das die Gentechnik, die Forschung und den Anbau in Richtung einer anderen Politik, die die Menschen und diesem Bereich aus dem Lande verdrängt. Forschung die Arbeitsplätze in den Vordergrund stellt. findet in diesem Bereich nicht mehr in Deutschland, son- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- dern in anderen Ländern statt und hoch qualifiziertes neten der FDP) Personal in diesem Bereich geht aus Deutschland weg. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Das Wort hat die Kollegin Elke Ferner, SPD-Fraktion. neten der FDP) Eine Binsenweisheit ist auch, dass Investitionen ge- Elke Ferner (SPD): stärkt werden müssen. Der Investitionsanteil im Bun- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und deshaushalt geht Jahr für Jahr zurück und liegt mittler- Herren! Da ich gestern beim Hörtest gewesen bin, weile bei 8,8 Prozent. Sie haben gesagt, dass die glaube ich nicht, dass ich eben etwas überhört habe. Kommunen investieren sollen, weil Sie nicht investieren können. Sie schreiben den Kommunen nun auch noch (Otto Fricke [FDP]: Wir kennen die Ergeb- vor, was sie zusätzlich machen sollen, beispielsweise bei nisse nicht!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004 11365

Elke Ferner (A) Frau Kollegin Hasselfeldt hat gesagt, sie wolle eigene einmal, was das Land tut! Das Land weiß noch gar nicht, (C) Vorschläge machen. Ich habe keine gehört, genauso wie ob es zustimmen will, weil es eine Kreisreform im Hin- ich in der ganzen Woche keine eigenen Vorschläge der terkopf hat, was vor der Landtagswahl auch nicht zuge- Union zur Lösung der Haushaltsprobleme gehört habe. geben wurde. Das ist die Politik, um die es Ihnen geht. Der einzige, der vielleicht wirklich das Optionsmodell (Beifall bei der SPD) wollte, war der hessische Ministerpräsident. Alle ande- Ich glaube, Sie von der Union sollten sich auf eine ge- ren wollten das aber im Prinzip nicht. meinsame Linie innerhalb Ihrer Partei verständigen; (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Was ist das denn das, was Sie in dieser Woche geboten haben, hat für ein erbärmlicher Unsinn!) gezeigt, dass Sie nicht in der Lage sind, Verantwortung für dieses Land zu tragen. Sie haben es zu verantworten, wenn es in einzelnen Be- (Beifall bei der SPD) reichen kritisch wird, weil Sie vorgegaukelt haben, mit dem Optionsmodell könne man etwas machen. Sie haben außer unseriöser Kritik und noch unseriöseren Vorschlägen nichts zu bieten. Die meisten von Ihnen ste- (Beifall bei der SPD) hen weder zu ihren eigenen Vorschlägen, noch zu den Es gibt darüber hinaus auch keine uneingeschränkte Gesetzen, denen sie im Bundestag, im Bundesrat und im Zusage des Landes gegenüber den Gemeinden, ob denn Vermittlungsausschuss zugestimmt haben. die Entlastung, die vereinbart worden ist, wirklich an Ich will Ihnen das am Beispiel des saarländischen die kommunale Ebene weitergegeben wird. Ich höre aus Ministerpräsidenten deutlich machen. Er hat den Ver- Nordrhein-Westfalen, dass das Land genau das zugesagt schärfungen zu Hartz IV, die von Ihrer Seite im Vermitt- hat. Man muss sich überlegen, was dann werden soll. lungsausschuss gefordert wurden, im Bundesrat und im Die Gemeinden beklagen sich, dass sie das Geld nicht Vermittlungsausschuss zugestimmt. Zwei Tage vor der bekommen. Wir haben uns verpflichtet, später genau ab- Landtagswahl aber stellt er sich hin und verlangt Nach- zurechnen, und gehen davon aus, dass die Gemeinden besserungen und weint Krokodilstränen. Das ist Ehrlich- das Geld bekommen. Das wird wahrscheinlich wieder an keit nach Art der CDU/CSU. den klebrigen Fingern der Länderfinanzminister hängen bleiben, sodass die Gemeinden die Entlastungen nicht (Beifall bei der SPD – Lothar Mark [SPD]: bekommen werden, die zwischen uns vereinbart worden Das sind die Heuchler! – [FDP]: sind. Bsirske und Lafontaine!) Eines ist während der Debattenbeiträge deutlich ge- Sie haben die Verschärfung der Zumutbarkeitskrite- worden. Die Kollegen und Kolleginnen aus dem Haus- (B) (D) rien für Arbeitslose genauso zu verantworten wie die haltsausschuss haben die Höhe der Ausgaben kritisiert Praxisgebühr und die Kopfprämie für den Zahnersatz. und mehr Einsparungen gefordert und die Fachpolitiker Sie sollten endlich zu dem stehen, was Sie mit zu verant- und Fachpolitikerinnen haben die Einsparungen kritisiert worten haben, und sich nicht ständig wegducken. Der und mehr Ausgaben gefordert. Das ist das, was Sie in einzige, der heute bzw. in dieser Woche eine für meine dieser Woche geboten haben. Begriffe etwas nachdenklichere Rede gehalten hat, war der Kollege Laumann. Sie, liebe Kollegen und Kollegin- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Otto nen von der Union, sollten den Leuten sagen, dass Sie Fricke [FDP]) mit Ihrem Existenzsicherungsgesetz den Arbeitslosen Sie sollten sich untereinander verständigen, was Sie im ersten Monat das Arbeitslosengeld kürzen wollen. Ich eigentlich wollen: Sparen oder mehr ausgeben, beides habe noch nicht gehört, dass Sie das offensiv vertreten. geht nicht. Sie sollten ihnen auch sagen, dass Sie diejenigen waren, die den Empfängern von Arbeitslosengeld II überhaupt (Otto Fricke [FDP]: Das gilt für eure keine Zuverdienstmöglichkeiten erlauben wollten. genauso!) (Dirk Niebel [FDP]: Das gilt nicht für die – Nein, das habe ich von unseren nicht gehört. FDP!) Ich habe eben gehört, dass der Kollege Pinkwart Sie sollten auch zugeben, dass Sie das Optionsmodell 2 Milliarden bis 2,5 Milliarden Euro einsparen will, der eigentlich gar nicht ernsthaft gewollt haben, sondern nur Kollege Austermann – so habe ich gelesen – will Chaos produzieren wollten. 7,5 Milliarden Euro einsparen, (Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU/ (Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Das ist eine CSU) ganze Menge!) – Das scheint Sie sehr zu treffen. Das kann ich an einem der bayerische Ministerpräsident will sogar 5 Prozent konkreten Beispiel deutlich machen. des Haushaltsvolumens, also 12,5 Milliarden Euro, ein- Im Saarland gibt es sechs Landkreise. In jedem Land- sparen. kreis gibt es entweder eine CDU-Mehrheit oder eine (Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Das muss man CDU/FDP-Mehrheit. Fünf von diesen Landkreisen ha- nicht additiv sehen!) ben sich für das Arbeitsgemeinschaftsmodell entschie- den, ein Landkreis ist für das Optionsmodell. Raten Sie Wie das geschehen soll, haben Sie nicht gesagt. 11366 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004

Elke Ferner (A) Wenn Sie, liebe Kollegen und Kolleginnen, Haus- Sie haben – das ist während der Debatte schon mehr- (C) haltsrisiken bis zu zweistelligen Milliardenbeträgen fach erwähnt worden – Ausgabenprogramme beschlos- hochrechnen, weshalb schlagen Sie dann nur so geringe sen, zwar noch nicht unbedingt in Form von Gesetzent- Einsparungen vor? Das passt doch nicht zusammen. Was würfen, aber zumindest auf Ihren Parteitagen und in Sie hier geboten haben, ist pure Polemik. Ihren Gremien und Kommissionen, die für die öffentli- chen Haushalte zusätzliche Belastungen von deutlich (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ über 100 Milliarden Euro bringen würden. Ich will die DIE GRÜNEN) Bierdeckelreform von Herrn Merz und die Vorschläge Die Auswirkung der Stoiber-Vorschläge könnte ich der FDP zur Steuerreform gar nicht dazu addieren; dann Ihnen jetzt noch an einzelnen Beispielen deutlich ma- kämen zweistellige Milliardenbeträge an Steuerausfällen chen. Im Bereich Verkehr, Bau- und Wohnungswesen hinzu. Ich glaube, das, was Sie in dieser Woche hier ge- wären Einsparungen nur durch Investitionskürzungen boten haben, ist ein gutes Stück unehrlich. möglich, im Bereich Wirtschaft und Arbeit müssten (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des 1,7 Milliarden Euro eingespart werden. Woher wollen BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie die nehmen? Wollen Sie beim Arbeitslosengeld oder bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik sparen? Ihre ostdeut- Sie beklagen die Kürzungen bei den Ausgaben, the- schen Ministerpräsidenten werden sich wirklich in Freu- matisieren aber Ihre eigenen ausgabewirksamen Vor- dentänzen ergehen, wenn Sie dort bei den aktiven Maß- schläge nicht. Das heben Sie sich wieder für Wahl- nahmen für die Arbeitsmarktpolitik noch kürzen wollen. kämpfe auf. Sie benennen auch nicht, was die (Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Aber Herr Umsetzung Ihrer Vorschläge kosten würde, und Sie be- Stoiber sitzt doch gar nicht im Haushaltsaus- nennen vor allen Dingen nicht, wie Sie sie finanzieren schuss!) wollen. Ich habe eben mit Verwunderung gehört, dass Frau Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Kollegin Hasselfeldt sich über die wegbrechenden Ein- Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des nahmen beklagt hat, und frage Sie: Warum haben Sie Kollegen Fricke? denn Einnahmeverbesserungen blockiert? Wir haben Ihnen doch genügend Gelegenheit geboten, die Einnah- Elke Ferner (SPD): men zu verbessern. Ja, gerne. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (B) Otto Fricke (FDP): Sie haben im Bundestag, im Bundesrat und im Vermitt- (D) Frau Kollegin Ferner, man mag ja manche Vorschläge lungsausschuss deutliche Einnahmeverbesserungen blo- aus dem tiefen Süden durchaus infrage stellen, aber habe ckiert. Ich komme nachher noch darauf zurück. ich Ihren Beitrag so zu verstehen, dass seitens der Haus- hälter der Koalition in den weiteren Beratungen keinerlei (Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Das waren Einsparvorschläge kommen, oder können wir erwarten, Steuererhöhungen!) dass auch von Ihnen – so wie es die FDP bei den letzten Man sollte sich auch einmal anschauen, wie die Beratungen gemacht hat – vielleicht noch vernünftige Presse das, was in dieser Woche hier gelaufen ist, kom- Vorschläge im Volumen von ein paar Milliarden kom- mentiert. Vielleicht ist Ihre Fraktionsvorsitzende heute men? nicht da, weil sie sich die Zitate nicht anhören will. Ich zitiere: Elke Ferner (SPD): Ich werde nachher noch auf unsere Einsparvorschläge Die Union stellt den Finanzminister genüsslich an eingehen. Nach der Aufstellung des Haushalts sind übri- den Pranger – zu Unrecht. … Ein gehöriges Maß gens bereits einige Beschlüsse gefasst worden, die bei Mitschuld hat die Union. Eichel bietet … in der la- der Haushaltsaufstellung nicht berücksichtigt werden bilen konjunkturellen Gegenwart das bessere und konnten. Wir werden unsere Vorschläge in altbewährter glaubhaftere finanzpolitische Konzept. Manier während der Haushaltsberatungen im Haushalts- Das schrieb die „Financial Times Deutschland“ in ihrem ausschuss machen. Leitartikel vom Mittwoch. Ich gestehe Ihnen gern zu, Herr Fricke, dass Ihre Vor- (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Aber schläge bei den Haushaltsberatungen in den letzten zwei Steuererhöhungen sind doch das falsche Mittel Jahren, in denen ich die Beratungen im Haushaltsaus- in dieser Situation!) schuss beobachte, deutlich seriöser – wenn auch noch lange nicht seriös genug – waren als die Vorschläge der Dort steht weiter zu lesen: CDU/CSU-Fraktion. Man kann, wie die Union es tut, das Zahlenwerk (Beifall bei der SPD – Heiterkeit bei der aus dem Hause Eichel schon heute als Makulatur FDP – [BÜNDNIS 90/DIE verdammen. Die Frage ist nur, wie ein besseres GRÜNEN]: Wir haben auch manche übernom- Konzept aussähe. An dieser Stelle zeigt sich die men! – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Also Union blank; sie verlegt sich lieber darauf, dem sind wir uns wieder einig!) Finanzminister Versagen vorzuwerfen, während sie Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004 11367

Elke Ferner (A) auf der anderen Seite dessen Pläne zum Abbau liarden Euro eingeplant. Das ist aber notwendig, damit (C) steuerlicher Vergünstigungen wie der Eigenheimzu- der selbsttragende Aufschwung nicht kaputtgemacht lage im Bundesrat blokkiert. Pauschale Ausgaben- wird. Ausgabenkürzungen in den Dimensionen, die Sie kürzungen von fünf Prozent, wie sie etwa CSU- vorgeschlagen haben, würden mit Sicherheit nicht zu ei- Chef Edmund Stoiber zum Haushaltsausgleich vor- nem Anspringen der Konjunktur, sondern zum Gegenteil geschlagen hat, wären in der Union niemals durch- führen. Dazu könnte ich Ihnen noch einiges zitieren. setzbar, weil sie auch die Renten, die Landwirt- Ich möchte noch etwas zum Thema Schulden sagen. schaft und die Bundeswehr stark beschneiden Der Kollege Austermann hat am Dienstag ausgerechnet würden. das Saarland als positives Beispiel in Sachen Schulden- Das sagt doch wohl alles. Ich könnte Ihnen weitere entwicklung angeführt. Ich weiß nicht, woher er seine Zitate aus dem „Handelsblatt“ und der „Süddeutschen Zahlen hat, aber er hat behauptet – das ist schon beein- Zeitung“ vorlesen. druckend –, nicht das Saarland, sondern das Land Schleswig-Holstein habe die rote Laterne. Ich habe das (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Warum le- überprüft und festgestellt: Es ist genau umgekehrt. Aus- sen Sie eigentlich Kommentare vor? Sie sollen weislich des Berichts der Bundesregierung über den doch selber eine Rede halten!) Schuldenstand der Länder vom Ende des Monats Juni er- Alle haben den gleichen Tenor: Sie haben überhaupt gibt sich folgendes Bild: Die Pro-Kopf-Verschuldung kein Konzept. Sie sind nur in der Lage zu kritisieren, beträgt im Saarland 7 070 Euro aber Sie sind nicht in der Lage, eigene konstruktive Vor- (Dirk Niebel [FDP]: Lafontaines Erbe!) schläge zu machen. – dazu kann ich gleich noch etwas sagen – und in Schles- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wig-Holstein 6 811 Euro. Ich habe in der Schule gelernt, DIE GRÜNEN) dass 6 811 Euro weniger als 7 070 Euro sind. Herr Die Wirtschafts- und Finanzpolitik steht vor einer Austermann sollte sich einmal um die Quelle für seine dreifachen Aufgabe. Sie muss zuerst alles unternehmen, Zahlen kümmern. um den beginnenden Aufschwung zu unterstützen. (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Er hat nicht Gleichzeitig gilt es aber im Sinne einer nachhaltigen vom Schuldenstand gesprochen, sondern von Politik, den Konsolidierungskurs nicht zu verlassen. Zu- der Schuldenentwicklung!) dem müssen die eingeleiteten Strukturreformen um- gesetzt werden. Es geht also um die Verbindung von Es ist aber noch schlimmer. Die konservative saarlän- Wachstumsförderung, Konsolidierung und Struktur- dische Landesregierung hat es mit ihrem Musterknaben (B) reformen. Der Konsolidierungskurs wurde auch mit Müller geschafft, innerhalb von fünf Jahren den Schul- (D) Ausgabenbegrenzung und Subventionsabbau fortgesetzt. denstand um 1 Milliarde Euro zu erhöhen, Beim Subventionsabbau stehen Sie von Union und (Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: In Nordrhein-West- FDP – ich habe das schon gesagt – ständig auf der falen 40 Milliarden im selben Zeitraum!) Bremse. Wir haben mehrfach Initiativen vorgeschlagen. Sie haben beim Steuervergünstigungsabbaugesetz und obwohl im gleichen Zeitraum zusätzlich fast beim Haushaltsbegleitgesetz des letzten Jahres Einnah- 2 Milliarden Euro Teilentschuldungsmittel vom Bund an meverbesserungen für die Jahre 2004 bis 2006 in Höhe das Land geflossen sind. Wir reden also über die „Lap- von insgesamt 25 Milliarden Euro – 25 Milliarden Euro! – palie“ von 3 Milliarden Euro, die dort von Ihrer Regie- blockiert. Der Bund stünde anderenfalls in diesem Zeit- rung verfrühstückt worden sind. raum mit 10,6 Milliarden Euro besser da, die Länder mit (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten knapp 10 Milliarden Euro und die Gemeinden immerhin des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – mit 4,4 Milliarden Euro. Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: In Nordrhein- Herr Pinkwart, Sie haben uns im Zusammenhang mit Westfalen haben Sie um 40 Milliarden erhöht!) dem Subventionsabbau Steuererhöhungen vorgeworfen. Sie haben wirklich einen merkwürdigen Subventionsbe- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: griff. Es ist doch kein Unterschied, ob man nun Geld aus Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des dem Haushalt nimmt, um es einem Subventionsempfän- Kollegen Rauber? ger zu geben, oder ob man darauf verzichtet, Dinge zu besteuern, die sinnvollerweise besteuert werden müss- Elke Ferner (SPD): ten. Ihr Subventionsbegriff führt den Staat in den Bank- Gerne. rott und dazu, dass die öffentliche Hand gar nicht mehr handlungsfähig ist und dass die von Ihnen geforderten Investitionen in Bildung und Forschung zurückgehen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Bitte, Herr Rauber. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Helmut Rauber (CDU/CSU): Wir reduzieren die Nettokreditaufnahme für das Frau Kollegin Ferner, stimmen Sie mir zu, dass das nächste Jahr auf 22 Milliarden Euro. Sie haben Recht: Saarland den geringsten Anstieg beim Haushaltsvolu- Wir haben Privatisierungserlöse in Höhe von 15,45 Mil- men insgesamt hat und dass die Steuermindereinnahmen 11368 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004

Helmut Rauber (A) letzten Endes nur deshalb entstanden sind, weil es in Das ist die Antwort auf Ihre Frage. Lieber Kollege (C) Deutschland an Wirtschaftsdynamik fehlt? Meiner Mei- Rauber, insofern kann ich Ihnen in keinem Punkt zustim- nung nach liegt dort der Grund und nicht in einer ver- men. fehlten Haushaltspolitik der Landesregierung, wie Sie fälschlicherweise behaupten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Helmut Rauber [CDU/CSU]: Sie haben die Frage nicht (Waltraud Lehn [SPD]: Das ist ja die tolle verstanden!) Spielart: Für das Gute ist die CDU zuständig, für das Schlechte die SPD!) Die letzte Stufe der Steuerreform tritt nächstes Jahr in Kraft. Ich möchte hier noch einmal erwähnen, dass eine Familie mit zwei Kindern und einem Jahreseinkom- Elke Ferner (SPD): men von 37 540 Euro unter Berücksichtigung des Kin- Ich kann Ihnen nicht zustimmen, Herr Kollege dergeldes dann keine Steuern mehr zahlen wird. Das ist Rauber. Denn nur wenn man Äpfel mit Birnen ver- im Vergleich zu 1998 eine Entlastung um 2 924 Euro im gleicht, kann man einen geringeren Anstieg des Haus- Jahr. Frau Hasselfeldt, ich kann nicht verstehen, dass Sie haltsvolumens darstellen. Eine ganze Reihe von Dingen, diese Entlastung als Nichts darstellen. Was haben Sie die vorher im Landeshaushalt berücksichtigt waren, ist denn in den 16 Jahren Ihrer Regierungszeit gemacht? In nämlich ausgegliedert worden, wie beispielsweise der Ihrer Regierungszeit lag der Eingangssteuersatz bei Landesbetrieb für Straßenwesen. Das sollten Sie als ehe- knapp 26 Prozent. Das war das Ergebnis Ihrer Regie- maliger saarländischer Landtagsabgeordneter eigentlich rungszeit. wissen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Wir sind jetzt im Saarland?) Sehr geehrte Frau Kollegin Hasselfeldt, der Eingangs- – Ihr Kollege hat doch gefragt. Ich antworte nur auf die steuersatz liegt nächstes Jahr bei 15 Prozent. Fragen, die mir hier gestellt werden. Wir müssen bei der Frage, wofür wir das Geld ausge- (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: War Ihr ben, deutlich machen, dass wir den Zukunftsausgaben Lehrmeister Lafontaine?) Vorrang geben. Die aus dem Wegfall der Eigenheimzu- lage frei werdenden Mittel können wir für eine Innova- – Herr Laumann, melden Sie sich doch zu einer Zwi- tionsinitiative zur Stärkung von Forschung und Bildung schenfrage, wenn Sie das wissen wollen. Jetzt beant- ausgeben. Es liegt an Ihnen, ob es für diese Bereiche worte ich erst einmal die Frage des Kollegen Rauber. mehr Geld geben wird oder nicht. (B) Wenn man das fairerweise addiert, dann kommt man (Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Dafür hätten (D) zu dem Ergebnis, dass die Ausgabensteigerung deutlich Sie die Steinkohlesubventionen sehr gut ein- höher als in den Vorjahren ist. setzen können! Das wäre im Saarland viel bes- Ausweislich eines Berichtes des Landesrechnungsho- ser angekommen!) fes Sie haben in Ihrer Rede eben die demographische (Dirk Niebel [FDP]: Ist das Ortsverband Saar- Entwicklung angesprochen. Sie haben gesagt: Darauf brücken-Süd?) muss man sich einstellen. Im zweiten Teil Ihrer Rede ha- ben Sie gesagt: Die Eigenheimzulage muss aber für alle sind die Kosten für das Personal der politischen Führung Zeit gezahlt werden. Ich frage mich, was es bringt, bei gestiegen. Aber beim Steuervollzug sind – darüber soll- einer schrumpfenden Bevölkerung noch mehr in den ten Sie sich einmal wundern; damit hängen vielleicht die Neubau zu investieren. fehlenden Einnahmen zusammen – Personalstellen ge- strichen worden. Wie kann es überhaupt sein – das muss (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des ich doch einmal fragen dürfen –, dass es einem Land, BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) das vom Bund Geld bekommt, weil es in einer Haus- haltsnotlage ist, einfällt, die Anzahl seiner für den Steu- Nötig sind die Sanierung und die Veränderung des Be- ervollzug zuständigen Beamten zu reduzieren? Schließ- standes und keine zusätzlichen Wohnungen und Häuser, lich werden so weniger Steuern eingetrieben. was möglicherweise mit einer Zersiedelung der Land- schaft einhergeht. (Beifall bei der SPD) Wir haben die Gemeinden – auch gegen Ihren Wider- Diese Politik haben Sie gemacht. stand – deutlich entlastet, insgesamt um 6,5 Milliarden Ein weiterer Grund für die fehlenden Einnahmen ist, Euro. Ich will etwas zum Thema „Betreuung von Kin- dass dieses Land ständig seine Hände Richtung Berlin dern unter drei Jahren“ – Stichwort 1,5 Milliarden streckt und sagt: Ich will Geld haben. Wenn der Bundes- Euro – sagen: Genauso wie wir von den Ländern erwar- rat aber beispielsweise Einnahmeverbesserungen be- ten, dass das Geld, dessen Zahlung vereinbart worden schließen kann, dann lehnt es sie ab. ist, bei den Gemeinden wirklich ankommt, so sehr er- warten wir auch von den Gemeinden, dass sie in die Zu- (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Spre- kunft unserer Kinder investieren, dass sie die Schaffung chen Sie nicht von „Einnahmeverbesserun- und den Ausbau von Ganztagseinrichtungen für unter gen“, sondern von „Steuererhöhungen“!) Dreijährige forcieren, damit auch die jungen Frauen und Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004 11369

Elke Ferner (A) vielleicht der eine oder andere junge Mann die Möglich- Haushaltsdiskussionen in den Ausschüssen vorgreifen, (C) keit haben, Beruf und Familie zu vereinbaren. aber doch sagen: Wenn man schon nicht weiß, wie man sparen soll, dann sollte man sich wenigstens einmal da- Wenn man sich anschaut, wie es insgesamt aussieht, nach umgucken, ob es Beispiele aus Deutschland dafür dann erkennt man: In der Vergangenheit haben nicht un- gibt, dass Haushaltskonsolidierung gelungen ist und bedingt die schwarzen Gemeinden in Ganztagsschulen, dass das Sparen tatsächlich Erfolg gehabt hat. in Ganztagsbetreuungseinrichtungen für die Kleinen, in Ganztagskindergärten, in Krippen und in Horte inves- Solche Beispiele gibt es. Sie werden jetzt denken: Ge- tiert, wenn sie kein zusätzliches Geld vom Bund erhalten rade dieser Ossi muss uns zum Sparen auffordern – bei haben, sondern eher die sozialdemokratisch geführten den riesigen Transferleistungen, die unseren Haushalt Gemeinden. natürlich erheblich belasten. Aber ich sage Ihnen: Ge- rade in Ostdeutschland gibt es solche Beispiele dafür, (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Schon wieder: dass man mit Erfolg gespart hat. Weil die Kollegin Da sind die Bösen, dort sind die Guten!) Ferner eben das Saarland als Beispiel angeführt hat, er- In den nächsten Jahren wird deutlich werden, wer laube auch ich mir, ein Beispiel zu bringen. Dazu muss Geld für vernünftige Zukunftsinvestitionen ausgibt. Sie ich übrigens sagen: Die rigidesten Angriffe auf jedwede haben in dieser Haushaltswoche überhaupt keine Alter- Konsolidierungspolitik, so sie aus dem Saarland gekom- nativen geboten. men sind, sind nicht von Herrn Müller gekommen, son- dern von jemandem aus Ihrer Partei, von einem nicht un- (Dr. Andreas Pinkwart [FDP]: Das stimmt bedeutendem Mitglied Ihrer Partei. So ist das nämlich. doch gar nicht!) (Beifall bei der CDU/CSU – Steffen Kampeter Ich bin darauf gespannt, ob Sie es schaffen, im Haus- [CDU/CSU]: Den wollen die gar nicht mehr haltsausschuss ein paar ordentliche Vorschläge zu ma- kennen!) chen. Wir werden in den nächsten Wochen noch lange genug Zeit haben, darüber zu debattieren. – Ja. Bevor ich zum Schluss komme, möchte ich noch aus (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist der der „Financial Times Deutschland“ zitieren: politische Ziehvater von Frau Ferner! – Elke Ferner [SPD]: Nur kein Neid! – Steffen Und selbst wenn die Union weniger heuchlerisch Kampeter [CDU/CSU]: Auf den nicht!) agieren würde: Ihr Rezept der drastischen Ausga- benstreichungen ist in konjunkturell labilen Zeiten Zurück zu einem Beispiel aus Ostdeutschland. In Ost- höchst gefährlich. Eichel ist gut beraten, vorerst deutschland gibt es gute Beispiele solider Haushaltspoli- (B) keine weiteren Sparpakete anzukündigen. tik. Eines will ich Ihnen nennen: Sachsen. Sachsen hat (D) mit allen anderen ostdeutschen Flächenländern eines ge- Ich kann dem nur zustimmen, meine sehr geehrten Da- meinsam: Die Ausgangslage im Jahr 1990 war gleich men und Herren, und freue mich auf die Diskussion mit schlecht wie überall. Es gab genauso marode Wasserlei- Ihnen im Haushaltsausschuss. tungsnetze und genauso funktionsuntüchtige Kläranla- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gen wie überall, es gab denselben Erneuerungsbedarf in des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Infrastruktur und Bausubstanz und es gab dieselben So- zialstrukturen wie in den anderen ostdeutschen Ländern Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: auch. Heute, im Jahr 2004, weist Sachsen drei wesent- Letzter Redner ist der Kollege Arnold Vaatz, CDU/ liche Unterschiede zu den anderen ostdeutschen Ländern CSU-Fraktion. auf: Erstens. Seit 1990 wurde Sachsen niemals von einer Arnold Vaatz (CDU/CSU): der rot-grünen Parteien oder der PDS regiert oder mitre- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Durch giert. die letzten Diskussionen zieht sich wie ein roter Faden Zweitens. Die Pro-Kopf-Verschuldung ist in Sachsen die Frage: Wird es eigentlich immer so weitergehen, dass nicht nur ein bisschen geringer als im Durchschnitt der wir mit unserem Haushalt das Maastricht-Kriterium ver- ostdeutschen Länder ohne Sachsen, sondern sie ist weni- letzen? Herr Eichel hat vorhin gesagt, es gehe nicht da- ger als halb so groß. rum, den Maastricht-Vertrag zu ändern, und er hat ange- kündigt, dass er das nächste Jahr unter der 3-Prozent- (Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. ) Grenze bleiben will. Nun ist die Frage, woraus wir Drittens. Diese Sparpolitik hat Sachsen überhaupt schließen sollen, dass seine heutige Aussage, im nächs- nicht geschadet, sondern ganz im Gegenteil. Sachsen ten Jahr wolle er das Kriterium nicht mehr reißen, erns- steht im Augenblick an der Spitze des Länderratings. Die ter gemeint ist als seine Aussage im letzten Jahr, in die- gestrige Auszeichnung für den sächsischen Ministerprä- sem Jahr wolle er es nicht reißen. Es gibt meines sidenten als Ministerpräsident des Jahres hat das ein- Erachtens keine schlüssige Begründung dafür, dass wir drucksvoll bestätigt. ihm diesmal glauben müssen. (Beifall bei der CDU/CSU) Von mehreren Rednern wurde die Frage gestellt: Was sollen wir tun, an welcher Stelle soll gespart werden, wer Das Beispiel Sachsen zeigt Folgendes: Es ist nicht nur hat Sparvorschläge usw. usf.? Ich möchte jetzt nicht den möglich, die Staatsverschuldung in Grenzen zu halten, 11370 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004

Arnold Vaatz (A) sondern es ist sogar so, dass niedrige Verschuldung so- (Dr. Uwe Küster [SPD]: Jetzt erzählen Sie einmal (C) wie wirtschaftlicher und sozialer Erfolg zwei Seiten der- ein bisschen was! Das interessiert mich!) selben Medaille sind. Sie wissen, dass Sie sich prinzipiell auf die Unterstüt- Ich will Ihnen auch sagen, was Sachsen getan hat und zung der Union verlassen können, was der Bund hätte tun sollen, um sparsamer zu wirt- schaften. Man kann das eigentlich in einem Satz aus- (Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie waren aber in der drücken: Sachsen hat im Wesentlichen deshalb bessere Vergangenheit sehr elastisch! – Weiterer Zuruf Haushaltszahlen als andere, weil man sich in Sachsen von der SPD: Oje!) darum bemüht hat, sich auf das Notwendige zu konzen- weil auch wir schon seit vielen Jahren gefordert haben, trieren, und die Hände von teuren und unsinnigen Pro- die steuerfinanzierten Lohnersatzleistungen zu einer ein- jekten gelassen hat. Genau das vergisst die Bundesregie- heitlichen Leistung zusammenzuführen, rung bei ihrer Haushaltspolitik jedoch seit sechs Jahren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich will es Ihnen an einigen Beispielen erläutern: All und weil wir alle wissen, dass durchgreifende Reformen Ihre Luftschlösser in der Arbeitsmarktpolitik in den ver- des Arbeitsmarktes dringend notwendig sind. gangenen Jahren hätten Sie sich sparen sollen: Ich denke (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist der erstens an das berühmte Job-AQTIV-Gesetz – ich weiß zweite Schritt!) nicht, ob sich noch jemand hier daran erinnert; das war eine völlige Luftnummer –, zweitens an den Jobfloater, Wenn es nötig ist, einen Patienten am offenen Herzen drittens – – zu operieren, um sein Leben zu retten, dann handelt man (Dr. Elke Leonhard [SPD]: Ihre Argumente richtig, wenn man eine solche Operation vornimmt. laufen ins Leere!) Wenn sich aber zeigt, dass – wie eine große deutsche Zeitung titelte – beabsichtigt ist, diese Operation am – Die Argumente laufen überhaupt nicht ins Leere. Es ist offenen Herzen statt mit dem Skalpell mit dem Brotmes- eine ausgesprochene Dreistigkeit, zu sagen, diese Argu- ser vorzunehmen, mente gingen ins Leere, wenn man sich einer solchen Verschleuderung von Steuergeldern schuldig gemacht (Lothar Mark [SPD]: Was war das für eine hat. tolle Zeitung?) (Dr. Elke Leonhard [SPD]: Sie haben ja gar dann ist es ebenfalls richtig, um das Leben des Patienten nicht zugehört! Sie hätten bei Frau Ferner zu- zu schützen, einem solchen Ansinnen entgegenzutreten. (B) (D) hören sollen!) Nichts anderes ist geschehen. – Wenn Sie nicht zuhören, wäre es gut, wenn Sie sich (Beifall bei der CDU/CSU) draußen unterhalten würden, Als die ostdeutschen Ministerpräsidenten nämlich (Dr. Elke Leonhard [SPD]: Frau Ferner hat zu- Ende vorigen Jahres dem im Vermittlungsausschuss er- gehört!) zielten Ergebnis zugestimmt haben, haben sie richtig ge- denn ich habe das als Zwischenruf interpretiert, Frau handelt. Als aber klar wurde, dass das mühsam erstrit- Leonhard bzw. Frau Professor Leonhard; entschuldigen tene Optionsrecht der Kommunen nur noch als Sie bitte. Makulatur überleben würde Der Jobfloater, das JUMP-Programm, die Ich-AGs, (Elke Ferner [SPD]: Die Schwarzen wollen die Personal-Service-Agenturen – alle diese Maßnahmen das doch gar nicht!) waren für die Arbeitsmarktpolitik im Wesentlichen wir- kungs- und wertlos. Es handelte sich um eine riesige und stattdessen mit einer so genannten Buschzulage aus- Verschleuderung und die Menschen wurden entmutigt, gestattete abgewickelte Telekom-Formationen in Ost- weil man ihnen Luftschlösser vorgesetzt hat und sie auf deutschland einrücken würden, um die Hartz-Gesetze zu diese Weise um ihre Hoffnungen betrogen hat. Damit hat vollziehen, haben die ostdeutschen Ministerpräsidenten man das Vertrauen in die Gestaltungsfähigkeit der gro- wiederum richtig gehandelt, indem sie sich im Bundesrat ßen Parteien in Deutschland nachhaltig beschädigt. Das einem solchen Ansinnen verweigert haben. Warum ist ist die Realität. das so? Sehen wir einmal von dem Mangel an Sensibili- tät ab, der an dem geplanten Einsatz von westdeutschen Eines – das muss ich allerdings sagen – ist Ihnen im- Beamten und der Zahlung einer so genannten Buschzu- mer ganz gut gelungen: Immer wenn eines Ihrer Projekte lage deutlich wird. Wenn aber keine Aussicht auf neue jämmerlich abgesoffen ist, haben Sie noch den Absprung Arbeitsplätze besteht, weil die Kommunen in Ost- auf das nächste geschafft und vermocht, den Blick der deutschland nicht in die Lage versetzt werden, das Öffentlichkeit wieder auf ein neues Projekt zu lenken. Potenzial an Arbeitsplätzen zu erschließen – dazu sind nämlich nur sie in der Lage –, dann wird aus dem Skal- (Wolfgang Clement, Bundesminister: Seien pell das Brotmesser. Dann ist nämlich keine Perspektive Sie froh!) mehr da, die man mit Hartz verbinden könnte. Dann hat Jetzt im Moment befinden wir uns beim Jump zu man als verantwortlicher Politiker seine Stimme dage- Hartz IV. gen zu erheben. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004 11371

Arnold Vaatz (A) Nun sagen Sie vielleicht, die westdeutschen Minister- und er ist ganz offenbar unfähig, seine eigenen Fehlleis- (C) präsidenten hätten Hartz IV aber doch zugestimmt. Frei- tungen zu begreifen. lich haben sie zugestimmt, und zwar deshalb, weil in ih- ren Ländern nur ein Viertel der Anspruchsberechtigten Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: aus der Arbeitslosenhilfe kommen; im Osten hingegen sind es drei Viertel. Wir reden demzufolge von völlig un- Herr Kollege! terschiedlichen Problemlagen, weil die Herausforderun- gen eine ganz unterschiedliche Dimension haben. Arnold Vaatz (CDU/CSU): Wir akzeptieren Einschränkungen, wenn sie dazu die- Ich schließe gleich, Frau Präsidentin. – Wenn der Herr nen, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Aber wir akzeptie- Bundeskanzler möchte, dass ihm ähnlich lächerliche und ren Einschränkungen nicht, wenn sie wider besseres peinliche Situationen, wie sie ihm zuletzt in Serie in Ost- Wissen mit der Aussicht auf neue Arbeitsplätze begrün- deutschland widerfahren sind, künftig erspart bleiben, det werden, in Wirklichkeit jedoch nur dazu dienen, das dann kann ich ihm nur sagen: Tauschen Sie das funk- durch die verfehlte Arbeitsmarktpolitik verlorene Geld tionsuntüchtige Vorwarnsystem aus! bei den Geschädigten wieder einzutreiben. Wenn Sie diesen letzten Vorwurf als ungerechtfertigt Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: ansehen sollten, dann können Sie ihn sofort widerlegen. Herr Kollege! Sie wissen, dass uns im Osten durch die Absenkung der Arbeitslosenhilfe 1 Milliarde Euro pro Jahr an Kauf- Arnold Vaatz (CDU/CSU): kraft verloren gehen wird. Wenn das Motiv der Arbeits- Von alleine geht er nicht; dazu braucht man Charak- marktreform nicht die Entlastung der Kassen des Bundes war, dann bitte ich Sie, der Region Ostdeutschland die ter. Aber wenn Sie ihn austauschen, dann gelingt uns in eingesparten Mittel in Form von zusätzlichen investiven Ostdeutschland vielleicht eine bessere Politik. Mitteln wieder zuzuweisen, damit die öffentlichen Vielen Dank. Hände durch öffentliche Aufträge Arbeit generieren können und diese Mittel nicht etwa mit der Buschzulage (Beifall bei der CDU/CSU) für die Telekom-Beamten verrechnet werden. (Wolfgang Clement, Bundesminister: O Gott, Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: o Gott!) Ich schließe damit die Aussprache. Wenn Sie das nicht tun, dann ist der Vorwurf, Sie wollten Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf (B) in erster Linie abkassieren, leider berechtigt. den Drucksachen 15/3660 und 15/3661 an den Haus- (D) Meine Damen und Herren, eine letzte Bemerkung. Ich haltsausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einver- hätte dem Herrn Bundeskanzler gewünscht, dass ihm die standen? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisun- Bruchlandung mit Hartz IV in Ostdeutschland erspart gen so beschlossen. geblieben wäre; denn das wäre besser für die Menschen Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf: in Ostdeutschland gewesen. Aber das wäre nur möglich gewesen, wenn in seinem Kabinett jemand gesessen a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- hätte, der andeutungsweise mit der Lage in Ostdeutsch- gebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur land vertraut gewesen wäre. Allmählich kann ich nur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbe- hoffen, dass der Herr Bundeskanzler weiß, was er getan schränkungen hat, indem er mit Manfred Stolpe jemanden in die Ver- antwortung für Ostdeutschland geholt hat, der nicht nur – Drucksache 15/3640 – zu jenen Politikern gehörte, die in der Zeit vor 1990 – – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f) (Lothar Mark [SPD]: Er ist für die gesamte Rechtsausschuss Bundesrepublik zuständig, nicht nur für Ost- Ausschuss für Kultur und Medien deutschland!) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer – Er hat expressis verbis auch die Verantwortung für Brüderle, Ernst Burgbacher, Helga Daub, weite- Ostdeutschland, das werden Sie nicht bestreiten können. rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP (Lothar Mark [SPD]: Die haben wir Für eine Wiederherstellung der Wettbewerbs- alle! – Hubertus Heil [SPD]: Die haben wir ordnung in Teilen der deutschen Volkswirt- alle laut Art. 38 des Grundgesetzes!) schaft – Nein, Herr Stolpe hat eine besondere Verantwortung – Drucksache 15/3118 – für Ostdeutschland. Aber er ist ausgerechnet einer von den Politikern, die nach meiner Auffassung – und nach Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f) einer in Ostdeutschland verbreiteten Auffassung – so- Rechtsausschuss wohl vor wie auch nach 1990 den nachhaltigsten politi- Finanzausschuss schen Schaden angerichtet haben, Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (Carsten Schneider [SPD]: Verleumder! Ver- Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung leumder!) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union 11372 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer (A) Nach interfraktioneller Vereinbarung ist für die Aus- Hauptsache unberührt. Das ist eines der Diskussionsthe- (C) sprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Wider- men neben anderen, sehr spezifischen Themen – wie spruch höre ich nicht. Dann ist so beschlossen. beispielsweise dem berühmten Ross-und-Reiter-Thema –, die noch in den Fachdiskussionen erörtert werden müs- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst sen. der Herr Bundesminister Wolfgang Clement. Erlauben Sie mir, dass ich in den wenigen Minuten, Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft die mir zur Verfügung stehen, besonders auf die Presse- und Arbeit: fusionskontrolle eingehe, die wir vorschlagen. Dabei Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und geht es um Änderungen von pressespezifischen Rege- Herren! Ich grüße Sie ganz herzlich. Wir wollen über das lungen. Unser Ziel ist es, die Regelungen, die 1976 in Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen sprechen, Deutschland für die Presse eingeführt worden sind, den das für die Wirtschaftsordnung in Deutschland von au- Bedingungen des 21. Jahrhunderts, also einer veränder- ßerordentlicher Bedeutung ist. Sie haben bei diesem ten Medienlandschaft und einem veränderten – wie es so Thema Gelegenheit, sich ein wenig von den Ausführun- schön heißt – Mediennutzungsverhalten, anzupassen. Es gen des Herrn Kollegen Vaatz zu erholen, geht um die Verbesserung der ökonomischen Rahmenbe- dingungen zur Sicherung der Anbietervielfalt und zu- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gleich der Meinungsvielfalt. Ich betone das, weil mir der in seiner Rede nur relativ wenige marktwirtschaftli- dieses Thema – offen gesagt – persönlich am Herzen che Gesichtspunkte berücksichtigt hat. Ich würde Herrn liegt; ich komme bekanntlich aus diesem Bereich. Es sei Vaatz ganz gerne nach Sachsen einladen, um ihm einmal mir erlaubt, an dieser Stelle etwas mehr Herzblut einzu- Unternehmen zu zeigen, die nicht durch die Kommunen bringen, als es üblicherweise der Fall ist. Außerdem ist entstanden sind, sondern durch unternehmerisches Tun dieses Thema für die Entwicklung unserer Demokratie und Handeln. von überragender Bedeutung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es ist klar, dass es sich um sehr sensible Fragen han- Ich habe dort viele Unternehmen angetroffen, die außer- delt, die zu vielen Diskussionen führen. Es führt kein ordentlich erfolgreich arbeiten. Weg daran vorbei, dass wir die Grundlagen der Presse- vielfalt und der Pressefreiheit sichern müssen, soweit es Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen wird geht. Bei solch sensiblen Themen kommt es – auch das auch als „Grundgesetz“ der sozialen Marktwirtschaft ist klar – auf möglichst breite Mehrheiten an, um die wir verstanden. Der Preis- und der Qualitätswettbewerb sind ringen sollten und um die ich mich bemühe. (B) entscheidende Voraussetzungen für wirtschaftlichen und (D) technologischen Fortschritt und dienen dem Schutz der Es geht um alle Elemente unserer Vorschläge zum Verbraucherinnen und Verbraucher. Pressekartellrecht. Wenn es bessere Vorschläge gibt, sind Bei dem, was wir Ihnen vorlegen, geht es um eine wir selbstverständlich offen dafür. Ich bin davon über- Anpassung unseres Wettbewerbsrechts an das europäi- zeugt, dass wir handeln müssen. Wenn wir auf diesem sche Wettbewerbsrecht. Das ist sehr wichtig. Hier wird Feld untätig blieben, würden wir ein weiteres Aushöhlen ein Paradigmenwechsel vollzogen. Die Zeit drängt, die- und Austrocknen der Pressefreiheit in den Zeitungshäu- sen Wechsel zu vollziehen. Deshalb soll diese Novelle sern erleben. Dieser Prozess ist europaweit zu beobach- möglichst zum 1. Januar 2005 in Kraft treten. Dann ist ten. Am krassesten findet er zurzeit vielleicht in Frank- unser Wettbewerbsrecht auch europatauglich. reich statt, wo die Printmedien zu einem ganz überwiegenden Teil inzwischen im Besitz von zwei ehe- (Beifall bei der SPD) maligen großen Rüstungsunternehmen sind. Es gibt eine Reihe von gewichtigen Diskussionspunk- Ich will auf eine Studie des Landtags Nordrhein- ten zum Wettbewerbsrecht generell. Beispielsweise stellt Westfalen hinweisen. Daran erkennt man langfristige sich bei der Zusammenschlusskontrolle die Frage des Trends. Die Zahl der Zeitungstitel in Nordrhein-Westfa- vorläufigen Rechtsschutzes gegen Freigabeentschei- len ist von 1993 bis 2002 von 50 auf 44 und die Zahl der dungen entweder des Bundeskartellamtes oder des Bun- Hauptredaktionen von 22 auf 21 zurückgegangen. Die desministers für Wirtschaft und Arbeit. Das sind die verkaufte Auflage ist von 4,33 Millionen auf 3,88 Mil- berühmten Ministerentscheidungen. Eine solche Mi- lionen gesunken. Das sind die Trends, die ununterbro- nisterentscheidung hat gestern in Bezug auf eine Perso- chen weitergehen. Dieser Konzentrationsprozess ver- nalie eine Rolle gespielt. Das Thema ist befriedigend ab- läuft nicht mit rasendem Tempo. Er wird vielmehr von geschlossen worden. einer Aushöhlung der publizistischen Kraft in den Zei- Wir wollen eine Reduktion des vorläufigen Recht- tungshäusern und in den Zeitungsredaktionen begleitet. schutzes gegen solche Entscheidungen. Es soll künftig Das kann jeder an dem vermehrten Einsatz der Meldun- auf die Verletzung eigener Rechte ankommen. Wir wis- gen der Nachrichtenredaktionen und dem Rückzug der sen, dass der vorläufige Rechtschutz gelegentlich zur eigenen publizistischen und redaktionellen Tätigkeiten Blockade von wichtigen Investitionsentscheidungen ge- ablesen. Einer solchen Verarmung der Zeitungsland- nutzt wurde. Einen solchen Missbrauch wollen wir zu- schaft sollten wir entgegentreten, bevor es zu spät ist. künftig verhindern. Deshalb wollen wir diese Regelung Wenn es einmal zu spät ist, ist keine Korrektur mehr etwas verändern. Der Rechtschutz bleibt aber in der möglich. Das zeigen alle Erfahrungen. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004 11373

Bundesminister Wolfgang Clement (A) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Erstens sind sehr moderate Schwellenanhebungen (C) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) vorgesehen, bevor vonseiten des Kartellrechts eingegrif- fen wird. Das ist mittelstandsfreundlich. Dies erlaubt es Die Printmedien stehen zunehmend nicht mehr nur vor allen Dingen kleinen Verlegern, bei der Suche nach untereinander im Wettbewerb. Die härtesten Konkurren- Nachfolgern den Marktwert ihrer Zeitungen zu realisie- ten der Zeitungen sind vielmehr das Fernsehen, das Ra- ren. Der Schutz kleiner Verlage, der mit dieser Aufgreif- dio und das Internet. Das Nutzungsverhalten vor allen schwelle verbunden ist, bleibt in der Substanz erhalten. Dingen der jungen Generation verändert sich im Ver- Auch die kleinen Verleger stimmen diesem Vorschlag gleich zu dem meiner bzw. der älteren Generation. Das zu. gilt erst recht für den Werbemarkt und genauso für den Markt der Nachrichtenvermittlung. Es zeigt sich, dass Zweitens sollen Kooperationsmöglichkeiten erwei- die Tageszeitungen, insbesondere die Abonnementzei- tert werden. Das ist außerordentlich vernünftig. Das wird tungen, überall in Europa – nicht nur in Deutschland – von den Ordnungspolitikern zwar immer wieder infrage auf dem Rückzug sind. gestellt. Aber die Erweiterung der Kooperationsmög- lichkeiten ist sicher sinnvoll, wenn es darum geht, die Es gibt dazu eine Studie der Europäischen Kommis- heutige Vielfalt an Zeitungen und Redaktionen zu erhal- sion. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die Wirtschafts- ten. Ich will das aus Zeitgründen nicht im Einzelnen kraft der Zeitungen in allen europäischen Mitgliedstaa- durchspielen; aber ich glaube, das liegt sehr nahe. ten sowohl unter rückläufigen Auflagen als auch unter sinkenden Werbeeinnahmen leidet. Die Hauptursache Der dritte Punkt betrifft die so genannte Altverleger- dafür ist die zunehmende Bedeutung anderer Medien. regelung. Dagegen gibt es bekanntlich viele Einwände Das sind langfristig wirkende Verschiebungen, die durch und Bedenken. Ich kann diese, ehrlich gesagt, nicht tei- die konjunkturelle Lage noch verschärft werden. len. In meiner ziemlich bunten Vergangenheit war ich ei- nige Jahre in einem Zeitungshaus beschäftigt und habe In Deutschland schrumpfen die Lesermärkte der Zei- die Praxis erlebt. Das Modell der Vielfalt an Zeitungen, tungen seit langem. Die Tageszeitungen erreichen jetzt Zeitungstiteln und Zeitungsredaktionen in einem Ver- noch drei Viertel der Bevölkerung. Vor zehn Jahren wa- lagshaus ist inzwischen an vielen Standorten in Deutsch- ren es mehr als 80 Prozent. Insbesondere junge Leute land Praxis, zum Beispiel in Dortmund, Köln, Hannover, – ich kann das ziemlich genau beurteilen, weil ich einige Stuttgart und, so glaube ich, auch in Frankfurt. junge Leute begleite – haben eine Vorliebe für den Dies gesetzlich abzusichern ist natürlich überaus ver- Rundfunk und das Internet, wenn es um Informationen nünftig; denn dies ist das Einzige, was heute fehlt. Die geht und zunehmend auch wenn es um Handel und Ein- Zeitungshäuser haben dieses Modell bisher nur vertrag- kauf geht. Das wird sich im Laufe des Lebens – dies zei- (B) lich abgesichert und teilweise – wie auch in meinem Fall (D) gen die Erfahrungen – nicht mehr wesentlich ändern. So- damals – befristet geregelt. Unser Vorschlag ist, das auf mit trägt die demographische Entwicklung dazu bei, dass Dauer abzusichern. Dies wird oder kann Vielfalt erhalten die Nachfrage nach Zeitungen weiter sinkt. – letztlich hängt dies ja immer von den Entscheidungen Im Anzeigenbereich, im Bereich der Werbeerlöse, ist der Beteiligten ab –, jedenfalls schafft dies dafür die es noch krasser. Innerhalb der letzten zehn Jahre ist der Voraussetzungen. Anteil der Tageszeitungen am gesamten Werbeaufkom- Lassen Sie mich noch einen Punkt darstellen, der in men in Deutschland von einem Drittel auf ein Viertel zu- vielen Diskussionen in Ihren Reihen eine Rolle gespielt rückgegangen. Dabei brauche ich nicht auf meine fuß- hat und den wir aufgenommen haben: den Schutz des ballerische Erfahrung hinzuweisen: Ein Viertel ist nicht Presse-Grosso als eine Voraussetzung, um die Vielfalt im mehr als ein Drittel; es ist vielmehr umgekehrt. Vertriebsbereich zu sichern. Die Unabhängigkeit im (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Gute Aussage!) Vertriebsbereich soll gewahrt bleiben; dies ist erreicht worden. Wir haben auf Ihr Drängen hin die Zeitungsver- Die Zeitungen finanzieren sich derzeit nur noch zur lage und Grossisten aufgefordert, sich zusammenzutun Hälfte über Werbeeinnahmen. Das waren zu meiner Zeit und Sicherheit durch eine freiwillige Vereinbarung zu im Zeitungsbereich traditionell noch zwei Drittel. Der schaffen. Oh Wunder, es ist gelungen! Sie haben sich zu- BDZV, der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, sammengetan und eine Vereinbarung getroffen, die das bestätigt dies: Auch in den ersten Quartalen des Jahres Presse-Grosso-System erhält. Dies ist nach unser aller 2004 sind Auflagen- und Anzeigenerlöse rückläufig. Verständnis, wie ich denke, das Beste; wenn so etwas freiwillig geschieht, braucht man dafür kein Gesetz. Noch haben wir eine vielfältige Zeitungslandschaft: 349 Tageszeitungen, zehn überregionale und acht so ge- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nannte Straßenverkaufszeitungen, also die berühmten DIE GRÜNEN) Boulevardzeitungen, von denen mir eine schon einmal Frau Präsidentin, ich bitte um Entschuldigung; erlau- viel Spaß gemacht hat. Diese Vielfalt müssen wir meines ben Sie mir noch wenige Sätze. Erachtens schützen. Dabei darf die Politik keine inter- ventionistischen Mittel anwenden. Der Einsatz des Kar- Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen ab- tellrechts ist aber aus unserer Überzeugung ein probates schließend ans Herz legen, dass wir angesichts dieses Mittel und der richtige Ansatz. überaus wichtigen Themas die Diskussion, die meines Erachtens noch nicht ausreichend vertieft ist, fortsetzen. Deshalb unser Vorschlag. Er enthält drei Elemente. Wir dürfen nicht in eine Situation geraten, wie wir sie 11374 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004

Bundesminister Wolfgang Clement (A) etwa von der französischen Zeitungslandschaft kennen. Fragen – Einbindung von Verbänden, Ausgestaltung der (C) Wir haben bei uns noch Vielfalt. Es geht jetzt nicht nur Vorteilsabschöpfung, Bußgelder, Einschränkung von um den konkreten Vorschlag hinsichtlich der Altverle- Klagerechten – noch intensiv miteinander reden. Aber ger. Das Bessere ist der Feind des Guten. Wir haben un- ich sehe gute Chancen, dass wir uns, der Tradition fol- seren Vorschlag vorgelegt. Meine Bitte ist, dass wir die gend, gemeinsame Lösungen erschließen können. Entwicklung im Printbereich nicht so laufen lassen. Wir haben eine Gestaltungsmöglichkeit. Es gibt aus meiner (Hubertus Heil [SPD]: Sehr gut!) Sicht keine Alternative dazu; denn alle anderen Mög- Nicht mitmachen werden wir – das sage ich gleich, lichkeiten hätten interventionistischen Charakter und Herr Clement – bei einem Sonderrecht für die Zeitungs- gingen an den Nerv der Pressefreiheit. Daher sollten wir branche. Wir können nicht für eine Branche das allge- die Chance des Kartellrechtes hier nutzen. Dazu ist von meine Wettbewerbsrecht aufheben und ein Sonderrecht unserer Seite und von mir persönlich jedes Gespräch er- schaffen. Hier geht es auch bei uns und nicht nur bei Ih- wünscht. nen als früherem Journalisten um Herzblut. Wir als ak- Vielen Dank. tive Freiheitskämpfer, als Liberale, gehen diesen Weg einfach nicht mit. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP – Lachen bei der SPD – Hubertus Heil [SPD]: Robin Hood!) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Im Klartext gesprochen: Mit den vorgeschlagenen Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rainer Brüderle. Regelungen zum Pressefusionsrecht soll die Fusionskon- trolle ausgehebelt, das Kriterium der Marktbeherrschung Rainer Brüderle (FDP): über Bord geworfen und letztlich das Wettbewerbsprin- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr zip für den Zeitungsmarkt ausgeschaltet werden. Für Ihr Minister Clement, Sie haben Recht, es ist bedauerlich, Vorgehen gibt es im Übrigen weder eine konjunktur- dass ein so zentrales Thema wie das Gesetz gegen Wett- noch eine strukturpolitische Begründung. Es darf eine bewerbsbeschränkungen an einem Freitag als letzter solche Begründung auch nicht geben. Was sagen Sie Punkt, der mit wenig Redezeit ausgestattet ist, quasi im denn der Bauindustrie oder der Werftindustrie, wenn sie Schweinsgalopp behandelt wird. Hier geht es schließlich aufgrund ihrer strukturellen Probleme ebenfalls ein Son- um die Magna Charta der Wettbewerbspolitik. derrecht in Sachen Wettbewerb fordern? Das kann nicht der richtige Weg sein. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist es!) Eines ist klar, Herr Clement: Sie sichern durch die Fu- (B) Leider gibt es eine Fülle von Schieflagen. In unserem (D) sion keine Meinungsvielfalt. Meinungsvielfalt sichern Antrag haben wir aufgezeigt, dass es nahezu einen Ver- Sie nur über einen funktionierenden Wettbewerb, über fall des ordnungspolitischen Denkens und eine Fehlsteu- Wettbewerbsmärkte. Auch Ihre Behauptung, man könne erung in vielen Bereichen gibt, die tiefe Auswirkungen zwischen wirtschaftlichen und publizistischen Interessen auf den Arbeitsmarkt und das Wirtschaftswachstum ha- von Zeitungen trennen, ist schlicht nicht nachvollzieh- ben, weil sie die Dynamik bremsen. Der Grund liegt da- bar. Wir alle wissen: Publizistische Selbstständigkeit rin, dass man die Prinzipien der sozialen Marktwirt- kann kaum gewahrt werden, wenn sie nicht mit wirt- schaft nicht beachtet. Es waren zwei Kernpunkte, die schaftlichen Zielvorstellungen des Unternehmens ge- Eucken und andere Väter und Vordenker der sozialen paart ist und diesen entspricht. Treffende Beispiele sind Marktwirtschaft bei ihrer Konzeptionierung als Reflex die Zeitungsrubriken Technik, Motor, Reise, Touristik auf die Nazizeit in den Vordergrund gestellt haben: die und Immobilien. Keiner kann hier abstreiten, dass die Warnung vor der Kartellierung und die Warnung vor Attraktivität von Inhalten für Leser die Attraktivität für dem Punktualismus. Gegen beides verstößt die Regie- Werbekunden bedingt. Hier besteht ein innerer Zusam- rung in einer riesigen Zahl von Fällen. Aber die Zeit er- menhang. laubt es leider nicht, breit darauf einzugehen. Ich mache einige Bemerkungen zu der von Ihnen vor- Ich möchte Sie herzlich bitten, Herr Clement: Hören gelegten Novelle. Es handelt sich in der Tat um eine An- Sie auf Ihren eigenen wissenschaftlichen Beirat! Hören passung an europäisches Wettbewerbsrecht. Letztlich Sie auf die Monopolkommission und hören Sie auf das bedeutet dies leider eine Aushöhlung des Kartellverbots, Bundeskartellamt! Dort arbeiten Leute, die etwas von wie es für das deutsche Gesetz gegen Wettbewerbsbe- Wettbewerbspolitik verstehen. Ignorieren Sie nicht ein- schränkungen prägend war. Ihr Vorgänger, Herr Müller, fach den Fachverstand der drei Institutionen! Ihr Beirat, der Wettbewerbsfragen relativ lustlos behandelte, hatte die Monopolkommission – sie wurde von der Regierung in Brüssel nicht insistiert und nicht für das deutsche Ge- berufen – und das Bundeskartellamt warnen eindrück- setz gekämpft. Er kam eben aus Monopolstrukturen und lich vor genau dem Ansatz, den Sie wählen. Er scheint ist wieder in Monopolstrukturen zurückgegangen; ihm der leichtere Weg zu sein; aber er ist der falsche. war das Denken in Wettbewerbsstrukturen fremd. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP) der CDU/CSU) Wir werden bei dieser siebten GWB-Novelle kon- Wir müssen zu Wettbewerbsvorstellungen zurück. Neh- struktiv mitarbeiten. Wir müssen über eine Reihe von men Sie Abschied von Ihren wettbewerbsfeindlichen Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004 11375

Rainer Brüderle (A) Pressefusionsplänen. Sie sind auf dem falschen Damp- Rainer Brüderle (FDP): (C) fer! Einen letzten Satz noch, Frau Präsidentin. Auch der Minister hat seinen letzten Satz zu Ende sprechen dür- Lassen Sie mich noch wenige Bemerkungen – mehr fen. erlaubt meine Redezeit nicht – zu unserem Antrag ma- chen. Wir haben eine Fülle von Beispielen aufgeführt, (Dr. Uwe Küster [SPD]: Das wird Ihnen ange- weshalb die soziale Marktwirtschaft nicht das leisten rechnet! Sie sind durch!) kann, was sie leisten sollte. Sie kann die Arbeitsmarkt- probleme nicht lösen und Wachstum und technischen Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Fortschritt über Wettbewerb nicht durchsetzen, weil die Sie haben Ihre Redezeit schon um zwei Minuten über- Mechanismen wegen des Staatsanteils von fast 50 Pro- zogen. zent, genau 48,5 Prozent, und wegen der starren Rege- lungen am Arbeitsmarkt – das ist in weiten Teilen kein Markt – nicht wirken können und es in Teilen des Ener- Rainer Brüderle (FDP): giemarktes zu Monopolbildungen kommt. Das ist ein Ich schließe. – Die Abkehr von Marktprinzipien, die Sündenfall; Eon Ruhrgas hat einen Marktanteil von Sie in vielen Bereichen vorgenommen haben, verhindert, 85 Prozent. Das schlägt der sozialen Marktwirtschaft ins dass das, was Marktwirtschaft leisten könnte, von der Gesicht. Marktwirtschaft geleistet wird. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Sie haben das kurz vor der Bundestagswahl mit einer hingemuschelten Ministererlaubnis möglich gemacht. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Sie bringen das an sich interessante und richtige Instru- Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Werner Schulz. ment der Ministererlaubnis durch dieses Vorgehen in Misskredit, sodass man heute wirklich offen darüber Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nachdenken muss, ob man dieses Instrument nicht ab- NEN): schaffen muss. Wenn es missbräuchlich eingesetzt wird, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die siebte Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbs- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten beschränkungen bringt etliche Verbesserungen. Insbe- der CDU/CSU) sondere begrüßen wir die Stärkung der Verbraucher- hat es keine innere Begründung mehr. Es ist eine schiefe interessen, beispielsweise die Verbesserung der Ebene. Anhörungsrechte von Verbraucherverbänden und ihre (B) Möglichkeiten, gegen den Missbrauch marktbeherr- (D) Sie haben das beim Telekommunikationsgesetz fort- schender Stellungen vorzugehen. Für uns gehören fairer gesetzt, dort gibt es das Einzelweisungsrecht des Minis- Wettbewerb, große Wettbewerbsintensität und ein hoher ters. Einen solchen Eingriff in das Wettbewerbsrecht hat Verbraucherschutz einfach zusammen. noch keine Regierung, egal welcher Couleur, auch keine sozialdemokratisch geführte Regierung, gewagt. Dass Neben den vielen sinnvollen Regelungen dieser No- Sie in die Wettbewerbsmärkte hinein Anweisungen velle gibt es jedoch einige Aspekte, bei denen wir im geben wollen, zeigt, dass Ihr Denken falsch ist. Das ist Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens noch erheblichen wieder Punktualismus; ihn gab es nicht nur bei Diskussions- und Verbesserungsbedarf sehen. Das be- Holzmann. Damit hat sich der Kanzler vor dem SPD- trifft die vorgesehene Einschränkung von Klagemöglich- Parteitag profiliert und anschließend hat er die Arbeiter keiten gegen Fusionsgenehmigungen sowie die Regelun- verraten, weil keine Arbeitsplätze erhalten wurden. gen für Zusammenschlüsse im Pressebereich. Die Einschränkungen beim vorläufigen Rechtsschutz Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: bei Fusionsgenehmigungen durch Kartellbehörden bzw. Herr Kollege Brüderle, achten Sie bitte auf die Rede- bei der Ministererlaubnis sind aus unserer Sicht so nicht zeit. akzeptabel. Bisher entscheiden die Kartellgerichte, ob die Klage Rainer Brüderle (FDP): gegen eine Fusionsgenehmigung aufschiebende Wir- Das Einzelweisungsrecht ist ein fundamentales Ab- kung hat. Die Einschränkung dieser Möglichkeit würde weichen von den Wettbewerbsprinzipien. Fakten schaffen, die dann trotz berechtigter Klagen (Beifall bei der FDP) kaum noch revidierbar sein könnten. Diese schiefe Ebene werden Sie nicht mehr korrigieren Das Argument, durch die ständige Praxis der Kartell- können. gerichte, Fusionen auszusetzen, käme es zu Nachteilen im internationalen Wettbewerb für den Standort Sie haben das auch in anderen Bereichen – ich habe Deutschland, überzeugt nicht. Bisher gab es drei Fälle die Energiemärkte angesprochen – getan. mit aufschiebender Wirkung. Jeder Fall war hoch um- stritten. Einer davon war die Fusion von Eon und Ruhr- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: gas. Bei aller persönlicher Wertschätzung für Ex-Minis- Herr Kollege Brüderle, Sie haben keine Zeit mehr, ter Müller und Staatssekretär Alfred Tacke: Deren das noch auszuführen. Wechsel in diesen Konzern haben wahrlich nicht dazu 11376 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004

Werner Schulz (Berlin) (A) beigetragen, den Argwohn gegen eine höchst umstrittene ( [Bremen] [CDU/CSU]: Eine (C) Entscheidung abzubauen. völlige Absage an Herrn Clement! – Gegenruf des Abg. Hubertus Heil [SPD]: Dies ist ein (Rainer Brüderle [FDP]: Sehr richtig!) freies Land!) Wenn die Administration die Möglichkeit hat, unter Nach Berechnungen der Monopolkommission würden bestimmten Bedingungen Gesetze zu umgehen, sollte es dadurch künftig allein in Westdeutschland zusätzlich dem Gesetzgeber vorbehalten sein, den Ausnahmefall zu 39 von 245 erscheinenden Zeitungstiteln von jeder Fu- bestätigen. Das heißt, die Kombination aus Minister- sionskontrolle freigestellt. Derzeit fallen bereits 140 Ti- erlaubnis und Parlamentsvorbehalt verschafft die nötige tel oder 11 Prozent der Auflage nicht unter die Fusions- Legitimation und sorgt für den Ausschluss von Zweifeln. kontrolle. Auch die vorgeschlagenen Erleichterungen von (Bernd Neumann [Bremen] [CDU/CSU]: Sehr Fusionen im Pressebereich können nach unserer Auf- gut!) fassung so nicht Gesetz werden. Der Pressebereich in Deutschland ist sehr vielfältig. Im Kern hat sich das Wir sind der Auffassung, all diese Regelungen wür- 1976 aus guten Gründen geschaffene Pressefusionsrecht den zu weniger und nicht zu mehr Vielfalt auf dem Pres- bewährt. semarkt führen. Zugleich sind wir allerdings zuversicht- lich, dass wir bei den weiteren Beratungen in den (Bernd Neumann [Bremen] [CDU/CSU]: Sehr Ausschüssen zu einer einvernehmlichen und letztlich richtig!) praktikablen Lösung kommen werden. Natürlich erleben wir im Moment einen Strukturwandel (Beifall im ganzen Hause) bei den Zeitungen, ausgelöst durch veränderte Lese- gewohnheiten. Es ist aber nicht nachvollziehbar, warum Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: auf die konjunkturellen und strukturellen Herausforde- Das Wort hat der Abgeordnete Ernst Hinsken. rungen einer Branche mit einer so umfassenden Geset- zesänderung reagiert werden sollte. (Hubertus Heil [SPD]: Herr Hinsken, sparen Sie Kraft! 17 Minuten sind ganz schön lang!) (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Der Mann hat Recht!) Ernst Hinsken (CDU/CSU): Es gibt Verlage, die durch innovative Strategien und das Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen Anbieten hochwertiger Produkte am Markt bestehen. Es und Kollegen! Es ist fast unvorstellbar – da werden Sie gibt Verlage, denen es wirtschaftlich schlecht geht, und mir sicherlich zustimmen –, dass ich das, was soeben (B) (D) es gibt Verlage, die gutes Geld verdienen und Anlage- mein Vorredner, also Sie, Herr Abgeordneter Schulz von möglichkeiten dafür suchen. den Grünen, hierzu gesagt hat, voll und ganz teile. Ich Das Bundeskartellamt hat in der Vergangenheit eine habe die Hoffnung und den Wunsch, dass Sie von Ihrer Vielzahl von Kooperationen genehmigt, wodurch die Meinung nicht abkehren und das zunichte machen, was Verlage ihre Kosten verringern und ihre Marktaufstel- Herr Clement zu tun beabsichtigt. lung verbessern konnten. Allerdings gehen die Vor- (Bernd Neumann [Bremen] [CDU/CSU]: Sehr schläge zur Anzeigenkooperation zu weit. Sie sind nur in richtig!) bestimmten Grenzen vorstellbar und sinnvoll. Dies wäre nämlich der Vielfalt der Presselandschaft, mit Wenig halten wir von dem so genannten Redaktions- der wir in der Bundesrepublik Deutschland bisher gut oder Altverlegermodell. Es ist nicht realistisch, zu glau- gefahren sind, nicht dienlich. ben, die Unabhängigkeit der Redaktion der übernom- menen Zeitung könnte dadurch erhalten werden, dass der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Altverleger mindestens 25 Prozent der Zeitung und die Herr Minister Clement, Sie haben vorhin gesagt: Titelrechte behält. Über kurz oder lang wird sich die Wenn es bessere Vorschläge gibt, seien Sie gerne bereit, ökonomische Macht des Mehrheitsgesellschafters auch auf sie einzugehen. auf die Redaktion erstrecken, spätestens dann, wenn die Zeitung in eine Krise kommt. (Peter Dreßen [SPD]: Ja, so sind wir halt! – Hubertus Heil [SPD]: Dann brauchen wir ja (Bernd Neumann [Bremen] [CDU/CSU]: gar nichts mehr zu ändern!) Genau so ist es!) Wir haben in diesem Zusammenhang jede Menge gute Auf unsere Ablehnung stößt auch die Einführung ei- Vorschläge. ner Bagatellklausel, nach der Verlage mit Umsatzerlö- (Hubertus Heil [SPD]: Wir hören!) sen von bis zu 2 Millionen Euro ohne jede Fusionskon- trolle mit anderen Verlagen fusionieren dürfen. Das Ich hoffe, dass Sie bereit sind, auf sie einzugehen. wären möglicherweise Schnäppchen für die Großen. Durch diesen Gesetzentwurf soll unser nationales Problematisch und skeptisch sehen wir die Verdoppe- Wettbewerbsrecht an das neue europäische Kartellver- lung des gemeinsamen Umsatzes zweier Betriebe, die fahrensrecht angepasst werden, das seit dem 1. Mai 2004 Erhöhung der so genannten Aufgreifschwelle, von in Kraft ist. Das GWB gilt zu Recht als das Grundgesetz 25 Millionen Euro auf 50 Millionen Euro. der Wirtschaft. Durch dieses Gesetz soll sichergestellt Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004 11377

Ernst Hinsken (A) werden, dass der Wettbewerb nicht behindert wird. Nur aber kritisch überprüft werden. Dies gilt insbesondere (C) so herrscht Marktwirtschaft und nicht Machtwirtschaft. für die Vorteilsabschöpfung durch Verbände. Wettbewerb muss reguliert werden, da große Unterneh- men ihre Macht am Markt sonst schrankenlos gegenüber Kritisch sehen wir vor allem die Beschränkung der kleineren Mitbewerbern ausspielen könnten. Wegen die- Rechte möglicherweise betroffener Dritter bei einem Mi- ser grundlegenden Bedeutung des GWB darf bei seiner nistererlaubnisverfahren. Die Ministererlaubnis muss jetzt anstehenden siebten Novellierung nicht leichtfertig der absolute Ausnahmefall bleiben. Schon allein deshalb mit diesem Gesetz umgegangen werden. sollten die Rechte betroffener Dritter nicht leichtfertig beschränkt werden. Herr Brüderle, ich bedanke mich da- (Bernd Neumann [Bremen] [CDU/CSU]: für, dass Sie in die gleiche Kerbe geschlagen haben. In Richtig!) diesem Punkt trennt uns nichts; wir wollen so vorgehen, wie ich soeben ausgeführt habe. In der Vergangenheit hat es sich bewährt. Weltweit versucht man, unser GWB nachzumachen. Das gilt umso Ob das neue Enquete-Recht der Kartellbehörden eine mehr, als auch hier weit reichende Veränderungen im de- Lösung des bekannten Ross-und-Reiter-Problems dar- mokratisch wichtigen Bereich der Presse geplant sind. stellt, ist meines Erachtens fraglich. Hier ist nach weiter Deshalb legen wir, die Unionsparteien, besonderen Wert gehenden oder alternativen Lösungen zu suchen, weil auf eine ausführliche Sachverständigenanhörung und ein die Problematik als solche nicht entschärft wird, Herr geordnetes Verfahren ohne Zeitdruck. Das sollte über Heil. alle Fraktionen hinweg Konsens sein. Denn die Neure- (Hubertus Heil [SPD]: Darüber können wir gelung auf EU-Ebene hat erhebliche Auswirkungen auf gern diskutieren!) das deutsche Wettbewerbsrecht. Zahlreiche deutsche Unternehmensabsprachen haben Auswirkungen auf den Ursprünglich sollte die siebente GWB-Novelle zeit- zwischenstaatlichen Handel und besitzen Relevanz für gleich mit dem neuen europäischen Recht in Kraft treten. den EU-Binnenmarkt. Eine eigenständige Bedeutung Das wäre auch ohne weiteres möglich gewesen. Jetzt wird dem deutschen Wettbewerbsrecht künftig nur noch gelten zwei unvereinbare Rechtssysteme nebeneinander, in solchen Fällen zukommen, die rein lokale oder regio- und das bereits seit 1. Mai dieses Jahres. Das führt bei nale Auswirkungen haben und keine zwischenstaatliche vielen Unternehmen und Kartellbehörden zu Schwierig- Relevanz aufweisen. keiten, die zu vermeiden möglich gewesen wäre. In diese Neuregelungen werden auch horizontale und (Hubertus Heil [SPD]: Brennt ja nichts an!) vertikale Vereinbarungen einbezogen, die keine zwi- Herr Minister Clement, dafür zeichnen Sie verantwort- (B) schenstaatlichen Auswirkungen haben und deshalb al- lich. Sie haben das Thema Pressefusion ohne Not mit der (D) lein dem deutschen Recht unterliegen. Die Vorschriften siebenten GWB-Novelle verknüpft. Es ist doch ein Wi- über das Verbot missbräuchlichen Verhaltens gegenüber derspruch, wenn Sie sich auf der einen Seite hierher stel- wirtschaftlich abhängigen kleinen und mittleren Unter- len und ausführen, dass die Vielzahl der einzelnen Blät- nehmen – § 20 des GWB – erfüllen eine wichtige wett- ter gut ist, und auf der anderen Seite die Voraussetzung bewerbs- und mittelstandspolitische Funktion. Das gilt dafür schaffen wollen, dass das künftig nicht mehr so ist. insbesondere für das Verbot des Angebots unter Ein- Das ist nicht nachvollziehbar, das ist ein Widerspruch in standspreis. Diese Regelungen werden daher aufrechter- sich! halten; das finde ich auch gut. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Die durch die Änderungen des europäischen Kartell- Hubertus Heil [SPD]: Stimmt nicht! Un- rechts mit dem Wechsel vom Anmeldesystem zur Legal- sinn!) ausnahme notwendig gewordenen Änderungen im deut- schen Kartellrecht sind erforderlich und sinnvoll. Herr Alle Bitten, vor Vorschlägen zur Pressefusionskon- Minister, darauf haben Sie bereits hingewiesen. Sie er- trolle erst deren Auswirkungen wissenschaftlich zu un- leichtern vor allem größeren und grenzüberschreitend tä- tersuchen und das Thema bis zu der sich bereits abzeich- tigen Unternehmen das Leben. Zudem sind die Unter- nenden nächsten GWB-Novelle zurückzustellen, haben nehmen der schwierigen Prüfung enthoben, ihre Sie, Herr Clement, in den Wind geschlagen. innerstaatlichen Vereinbarungen von solchen mit zwi- Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Kollege Neumann. schenstaatlichen Auswirkungen abzugrenzen. Wir waren oftmals zusammen, wir haben intensiv bera- ten, was wir wollen. Deshalb haben wir auch klare Vor- Deswegen muss ich sagen, Herr Bundesminister stellungen, Wünsche und Forderungen nach Weichen- Clement: Die Bundesregierung wäre gut beraten, darüber stellungen, die dazu dienen, dass Ihr Gesetzentwurf so, nachzudenken, wie es ermöglicht werden kann, dass der wie er eingebracht worden ist, eben nicht Gesetzeskraft Mittelstand in klar definierten Ausnahmefällen einen erlangt. Anspruch auf förmliche Entscheidung durch das Kartell- amt erhält. Denn mehr Freiheit heißt auch mehr Verant- Nach dem Europarecht ist keine Änderung des Pres- wortung. Bessere Sanktionsmöglichkeiten sind in einem sekartellrechts erforderlich; dies muss hier festgestellt System der Legalausnahme durchaus sinnvoll, damit es werden. Herr Clement, Sie weichen sogar von den euro- zu einer wirkungsvollen Abschreckung bei wettbewerbs- päischen Vorgaben ab. Denn das europäische Wettbe- widrigem Verhalten kommt. Im Einzelfall müssten die werbsrecht kennt keine materiellen Ausnahmeregelun- vorgesehenen Verschärfungen des Sanktionskatalogs gen für einzelne Wirtschaftsbereiche. Deshalb ist 11378 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004

Ernst Hinsken (A) nachdrücklich zu fragen, ob eine nationale Regelung hier Im Bereich des pressespezifischen Kartellrechts kön- (C) überhaupt wirkungsvoll ist. nen wir von der CDU/CSU es nicht akzeptieren, dass das GWB durch die Altverlegerklausel, die hier mehrfach (Wolfgang Clement, Bundesminister: Die angesprochen wurde, und die Regelung zur Anzeigenko- haben wir doch heute!) operation völlig auf den Kopf gestellt wird. Denn wir haben zwar nationale Lesermärkte, aber die (Hubertus Heil [SPD]: Was haben Sie gegen Anzeigenmärkte sind häufig international organisiert. die Anzeigenkooperationen?) (Hubertus Heil [SPD]: Gehen Sie zur UNO!) Auch so genannten Pressehilfsunternehmen stehe ich Deshalb ist die von der Bundesregierung vorgeschlagene persönlich kritisch gegenüber. Für andere Kollegen, wie Änderung des Pressekartellrechts erstens ordnungspoli- dem Kollegen Neumann, gilt das auch. tisch falsch, zweitens untergräbt sie die Presse- und Mei- (Hubertus Heil [SPD]: Aber nicht alle bei nungsvielfalt in Deutschland, drittens löst sie die struktu- Ihnen!) rellen und konjunkturellen Probleme der Presse nicht und viertens fördert sie die Konzentration und gefährdet Die Altverlegerklausel ist am stärksten zu kritisie- die Eigenständigkeit der mittelständischen Verlage. ren. Hier geht es um ein Herzstück unserer Pressefrei- heit, nämlich um die redaktionelle Unabhängigkeit der Ihnen, Herr Bundesminister Clement, weht doch Zeitungen. selbst aus den Beratergremien Ihres Ministeriums eisi- ger Wind ins Gesicht. Eine Auflistung der Institutionen, (Bernd Neumann [Bremen] [CDU/CSU]: So die kritische Stellungnahmen abgegeben haben, liest ist es!) sich wie das „Who is who?“ der deutschen Wirtschafts- Es ist doch einfach nicht nachvollziehbar, dass die politik – passen Sie auf, wer sich alles dagegen geäußert Marktbeherrschung kein Untersagungskriterium bei der hat, Fusionskontrolle mehr sein soll, was bedeuten würde, (Hubertus Heil [SPD]: Es gibt auch andere!) dass im Extremfall ein einziger Verlag alle Zeitungen in Deutschland aufkaufen könnte oder dass es nur noch ei- weil man erkannt hat, dass Sie, Herr Clement, hier eine nige wenige große Zeitungen gibt. falsche Richtung einschlagen wollen –: die Monopol- kommission, der Wissenschaftliche Beirat, die Kartell- (Peter Dreßen [SPD]: Das haben wir doch rechtsprofessoren, das Bundeskartellamt, die Landeskar- schon!) tellämter sowie zahlreiche Verbände. Sie alle sind Nur die Redaktionen müssten dann noch unabhängig dagegen, (B) sein. Das ist nicht unser Bild der künftigen Zeitungs- (D) (Hubertus Heil [SPD]: Nicht alle!) landschaft in Deutschland. Deshalb wehren wir uns da- gegen, dass hier so vorgegangen wird, wie Herr Clement doch Sie nehmen das gar nicht richtig zur Kenntnis. Sie das beabsichtigt. tun es ab. Ich fordere Sie auf, Herr Minister Clement: Lassen Sie die Hände vom Pressekartellrecht! Ändern Herr Minister Clement, Sie haben hier eine ausge- Sie es, wenn überhaupt, nur marginal! Das kartellrechtli- sprochen mittelstandsfeindliche Lösung vorgeschlagen. che Schutzniveau darf nicht immer weiter abgeschwächt Bei Fusionen im großen Stil werden viele kleine und werden. mittlere Verlage auf der Strecke bleiben. Das kann es doch nicht sein. Ludwig Erhard würde sich im Grabe Eine Lockerung der Pressefusionkontrolle, wie Sie, umdrehen, wenn er wüsste, wie hier mit seinem Grund- Herr Minister, diese beabsichtigen, dürfte zu mehr Kon- gesetz der Wirtschaft umgegangen wird. zentration im Zeitungsverlagswesen führen. Das wollen wir einfach nicht. (Hubertus Heil [SPD]: Er hat auch genug Är- ger mit dem Kartellamt gehabt!) (Hubertus Heil [SPD]: Sie wollen das Sterben in Kauf nehmen?) Wir von der CDU/CSU sind offen, über eine vernünf- tige und verhältnismäßige Anhebung der Schwellen- Wie Recht hat doch die Monopolkommission, die darauf werte bei der Fusionskontrolle zu diskutieren. Hier hingewiesen hat, dass nur die wirtschaftliche Selbststän- gibt es einen Konsens. Der Einführung einer echten De- digkeit der im Wettbewerb miteinander stehenden unab- Minimis-Regelung stehen wir allerdings kritisch gegen- hängigen Zeitungen für die ungewöhnlich große Titel- über. Die Ermöglichung von Kooperationen und Fusio- vielfalt in Deutschland sorgt. nen ohne jede Kontrolle und unabhängig von jeder Un- (Hubertus Heil [SPD]: Und wenn überall das- ternehmensgröße ist für uns nicht akzeptabel. Die selbe drinsteht?) Unionsparteien sind bereit, über sinnvolle Konkretisie- rungen und Verbesserungen bei allgemeinen und schon – Passen Sie auf, Herr Heil! Sie kommen ja nach mir jetzt möglichen Gesamtkooperationen sowie bei speziel- noch dran und können darauf gerne antworten, dann len Kooperationen im Anzeigenbereich zu reden, aller- brauchen Sie hier nicht immer Zwischenrufe tätigen. dings nur dann, wenn sie sinnvoll begrenzt oder als Mit- telstandskooperationen formuliert werden. Die Monopolkommission sagt weiter: Dies ist auch eine wirkungsvolle Vorkehrung gegen die Konzentration Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das, was ich vor- von Meinungsmacht. hin eingefordert habe, sage ich nochmals: Wir, die Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004 11379

Ernst Hinsken (A) Union, wollen einen bunten, vielfältigen Blätterwald, in Hubertus Heil (SPD): (C) dem große und mittelständische Verlage mit ihren Zei- In den mir zur Verfügung stehenden sechs Minuten tungen fair um die Aufmerksamkeit der Leser miteinan- Redezeit wird mir das leider nicht gelingen. der konkurrieren können. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr (Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Das wollen Brüderle, ich glaube, Gustav Stresemann hat einmal ge- wir auch! – Hubertus Heil [SPD]: Das war ein sagt, liberal zu sein heiße auf der Höhe der Zeit zu sein schöner Schlusssatz!) und danach zu handeln. Nach Ihrer Rede muss man sich ernsthaft fragen, ob Sie wirklich noch eine liberale Partei Lassen Sie mich zum Abschluss noch Folgendes sa- vertreten. gen: Wenn wir schon beim Thema einer unabhängigen, vielfältigen Presselandschaft sind, dann dürfen wir auch (Beifall bei der SPD) die Frage nicht ausblenden, ob es demokratisch sinnvoll Tatsache ist, dass wir die Aufgabe der Wettbewerbs- ist, dass sich eine große Volkspartei wie die SPD klamm- politik darin sehen, im Interesse der Verbraucher sowie heimlich ein eigenes Medienimperium aufbaut. aller Unternehmen, unabhängig von Größe und Rechts- (Hubertus Heil [SPD]: Wir haben uns das ehr- form, Märkte offen zu halten bzw. zu öffnen, wo dies er- lich erworben! – Peter Dreßen [SPD]: Sie sind forderlich ist. Funktionierender Wettbewerb ist eine nur neidisch!) wesentliche Voraussetzung für Wachstum und Beschäfti- gung unserer Volkswirtschaft. Der Schutz des Wettbe- Auch diese Frage gehört in diesem Zusammenhang auf werbs ist eine zentrale ordnungspolitische Aufgabe un- den Tisch. serer Marktwirtschaft. Das 1958 in Kraft getretene (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen weist diese Aufgabe dem Bundeskartellamt und den Landeskartell- Herr Clement, Sie als ehemaliger Journalist sollten behörden zu. eigentlich wissen, Sie haben in der Debatte ein bisschen unterschlagen, (Wolfgang Clement, Bundesminister: Das tue dass wir heute trotz mancher Defizite alle miteinander ich auch!) feststellen können: Deutschland hat eine funktionierende wie wichtig die Unabhängigkeit von Verlagen und Wettbewerbsordnung und eine funktionierende Wettbe- Redaktionen ist. werbsaufsicht. Das Bundeskartellamt in Deutschland leistet gute Arbeit. Ich nutze diese Gelegenheit, um an (Hubertus Heil [SPD]: Das tun wir auch!) dieser Stelle den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundeskartellamts dafür Danke zu sagen. (B) Seien Sie bitte bereit, all das zu berücksichtigen, was ich (D) jetzt versucht habe, Ihnen zu verdeutlichen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Wolfgang Clement, Bundesminister: Nein!) DIE GRÜNEN) Seien Sie bereit, auf einige Vorschläge, die wir gemacht Aufgrund meiner beschränkten Redezeit will ich mich haben, einzugehen, kurz auf den Bereich konzentrieren, der nicht mit Presse- fusion zu tun hat, um danach die Zeit dafür zu nutzen, ei- (Wolfgang Clement, Bundesminister: Auf niges von dem, was hier angesprochen wurde, aufzugrei- einige!) fen. damit etwas Vernünftiges dabei herauskommt, und be- Es ist darauf hingewiesen worden, dass wir mit der rücksichtigen Sie eines, Herr Minister Clement: Das ist siebten GWB-Novelle unser deutsches Wettbewerbs- nicht die Meinung eines einzelnen CDU/CSU-Abgeord- recht an das europäische Recht anpassen. Es geht bei- neten, sondern ich habe vorhin aufgelistet, wer sich alles spielsweise darum, dass wir zukünftig Unternehmen dagegen ausgesprochen hat. Das sind wahrlich ernst zu durch weniger Bürokratie entlasten, aber auch deren Ei- nehmende Institutionen und Organisationen. Auf deren genverantwortung stärken. In Zukunft müssen Unterneh- Worte sollte man hören; man darf sie nicht einfach in men grundsätzlich selbst einschätzen, ob ihr Verhalten den Wind schlagen. am Markt rechtskonform ist. In diesem Sinne hoffe ich auf die Einsicht, die Sie uns Auf der anderen Seite werden die Ermittlungs- und eingangs Ihrer Rede angekündigt haben, als Sie gesagt Sanktionsmöglichkeiten der Kartellbehörde gestärkt. haben, Sie würden auf gute Vorschläge warten und Sie Auch die Rechtsschutzmöglichkeiten Privater, also der seien gerne bereit, diese zu berücksichtigen. Verbraucher, werden verbessert. Deshalb sieht der Ent- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. wurf eine stärkere Rolle der Verbraucherverbände vor. Dazu gehört auch, dass wir zukünftig „Kartellrenditen“ (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) zugunsten des Bundeshaushaltes abschöpfen können. Dies gibt es beim UWG und ist mittlerweile auch im Te- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: lekommunikationsgesetz verankert. Dies wollen wir, wie Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hubertus Heil. gesagt, auch ins Kartellrecht aufnehmen. (Bernd Neumann [Bremen] [CDU/CSU]: Das Auf den einstweiligen Rechtsschutz – das hat der können Sie doch gar nicht mehr herausreißen, Minister bereits erläutert – werden wir in den Beratun- Herr Kollege!) gen im Ausschuss und auch in der Anhörung eingehen. 11380 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004

Hubertus Heil (A) Ich will dazu nur so viel sagen: In der Hauptsache sind ben worden. Die Stellenmärkte, die Rubriken der Kfz- (C) keine Rechte beschnitten. Diejenigen, die in ihren Rech- Anzeigen oder auch der Immobilienanzeigen sind zum ten betroffen sind, haben weiterhin die Möglichkeit, großen Teil in das Internet abgewandert. Das liegt auch einstweiligen Rechtsschutz zu beantragen. Aber wir wol- daran, dass es dort Funktionen gibt, die man in der Zei- len nicht, dass Unbeteiligte in diesem Bereich versu- tung nicht nutzen kann. chen, sich ihr Klagerecht abkaufen zu lassen. Das ist in der Vergangenheit gang und gäbe gewesen, wenn Sie Das führt dazu, dass Verlagshäuser und Zeitungen in sich an die Entscheidung von vor zwei Jahren erinnern. Deutschland zunehmend unter Druck geraten. Darauf ist zu reagieren. Wenn man nicht will, dass immer mehr in Jetzt zum Thema Pressefusionskontrolle. Wir wissen, Redaktionen gespart wird, wie das heute der Fall ist, dass dieser Bereich hochgradig sensibel ist. Keiner hier dass Redakteure entlassen werden und nur noch Halb- im Haus sollte dem anderen absprechen, dass es uns um tagskräfte oder Leute mit geringfügiger Beschäftigung ein gemeinsames Ziel geht, nämlich um Vielfalt bei der eingestellt werden, dann muss man darüber reden, was Presse. Herr Hinsken, auch Ihr Verweis auf die Pressebe- man tun kann. teiligung der SPD ist nicht sachgerecht. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Die Großen größer (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Wieso nicht?) und die Kleinen weg! So ist es doch!) Immerhin haben wir uns diese Beteiligung in der Ge- – Nein, darum geht es doch gar nicht. Versuchen Sie schichte unserer Partei, die auch die Geschichte der Ar- doch nicht, mir das weiszumachen! Hören Sie einfach beiterbewegung ist, ehrlich erworben. Nazis und Kom- zu! Ich habe Ihnen auch zuhören müssen. Es ist so in munisten haben uns enteignet. Dies wurde zu Recht diesem Parlament, dass man das manchmal muss. rückgängig gemacht. Im Gegensatz zu dem, was Sie im- mer behaupten, nehmen wir keinen redaktionellen Ein- Herr Hinsken, ich will Ihnen das erklären. Es geht uns fluss auf die Presseorgane. um Folgendes: (Bernd Neumann [Bremen] [CDU/CSU]: Gibt (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Um was es Beispiele dafür?) denn nun?) – Dafür gibt es zig Beispiele. Die „Hannoversche Allge- Nach Ihrem Modell bestünde Wettbewerb in Deutsch- meine Zeitung“ gehört über den Madsack-Verlag teil- land darin, die Anzahl der Titel zu erhalten, aber in Kauf weise der DDVG. Ich lese diese Zeitung jeden Tag, weil zu nehmen, dass im schlimmsten Falle jede dieser Re- es meine Heimatzeitung ist. Sie können davon ausgehen, daktionen nur noch drei bis fünf Mitarbeiter hat, dass man sie weder als links noch als sozialdemokratisch (B) bezeichnen kann. Das ärgert mich zwar hin und wieder, (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Quatsch!) (D) aber das ist vernünftig. Wir nehmen keinen inhaltlichen die nichts anderes tun, als Agenturmeldungen zusam- Einfluss. Sie sollten aufhören, das zu behaupten, sonst menzuschnipseln. Dann steht in allen Zeitungen das- reden wir über Ihre schwarzen Koffer. Das ist nämlich selbe. Diese Art von „Meinungsvielfalt“ bzw. Plattheit Ihre Art der Parteienfinanzierung. wollen wir nicht. (Beifall bei der SPD – Ernst Hinsken [CDU/ (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Er hat nicht CSU]: Aber, Herr Heil! – Wolfgang Zöller zugehört!) [CDU/CSU]: Na! Na!) Wir wollen wirkliche Freiheit. Das heißt, etwas für die – Wenn Sie mit solchen Geschützen aufwarten, müssen redaktionelle Stärke der Zeitungen in Deutschland zu Sie damit rechnen, dass entsprechend zurückgeschossen tun. wird. (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Sagen Sie Jetzt zur Sache. Ich will klar sagen: Wir sollten uns das Werner Schulz!) nicht gegenseitig absprechen, dass es uns allen um Pres- sevielfalt geht. Aber, Herr Hinsken, Herr Brüderle, es ist Ich biete Ihnen an, über die Instrumente, die dort im nicht so, dass die Pressefusionskontrolle nicht im Ge- Einzelnen vorgeschlagen worden sind, zu diskutieren. setz stehen würde, das heißt, dass es für diesen Bereich Ich sage Ihnen aber auch: Wer glaubt, das Pressefusions- keine speziellen Regelungen im GWB gäbe. Diese gibt recht so lassen zu können und damit Vielfalt zu erhalten, es seit 1976; davor gab es sie nicht. wird das Gegenteil erreichen. Sie werden erleben, dass das Zeitungssterben in Deutschland wieder losgeht. Ge- Herr Brüderle, Sie haben verlangt, dass diese Branche nau das wollen wir nicht. Wir wollen redaktionelle Un- wie jede andere behandelt werden müsse. abhängigkeit sichern, wir wollen Kooperationsmodelle (Rainer Brüderle [FDP]: Grundsätzlich ja!) schaffen, in deren Rahmen man beispielsweise bei An- zeigen, vielleicht auch in anderen Bereichen stärker zu- Es gibt aus gutem Grund Spezialregelungen. Wir beken- sammenarbeiten kann. Das ist in vielen Bereichen schon nen uns weiterhin zur Pressefusionskontrolle. Aber wir heute so. Wir wollen das rechtlich klar und verbindlich müssen fragen, ob sich seit 1976 am Pressemarkt nicht im Sinne von Rechtssicherheit im Gesetz festlegen. Es strukturell etwas geändert hat. Das veränderte Leserver- geht darum, in diesem Bereich Luft zu schaffen. halten ist angesprochen worden. Die Tatsache, dass wir bei den Anzeigenmärkten eine härtere Konkurrenz ge- (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Zum Koalitions- genüber den elektronischen Medien haben, ist beschrie- partner müssen Sie noch etwas sagen!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004 11381

Hubertus Heil (A) Es geht darum, die wirtschaftliche Basis der Zeitungen Die Unterstellung, dass wir Konzentrationen fördern (C) in Deutschland zu stärken, um Vielfalt in diesem Bereich wollen, ist falsch. Das Gegenteil ist richtig. Wir wollen erhalten zu können. auf Veränderungen reagieren, damit Vielfalt in Deutsch- land erhalten werden kann. Lassen Sie uns in diesem Aufgrund der Kürze der Zeit zum Schluss noch so Sinne an die parlamentarische Arbeit gehen! Ich weiß, viel: Herr Hinsken, dass es in Ihrer Fraktion auch andere (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Loben Sie doch Stimmen gibt. Mit denen wollen wir genauso reden wie auch Herrn Schulz!) mit Ihnen. Sie werden wir auch noch überzeugen. Es ist gesagt worden, das Gesetz gegen Wettbewerbs- Herzlichen Dank. beschränkungen sei so etwas wie das Grundgesetz unse- rer Marktwirtschaft. Ich möchte deshalb der Opposition (Beifall bei der SPD sowie des Abg. in unserem Hause anbieten – so wie es gute Übung ist –, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) am Ende zu einem parteiübergreifenden Konsens zu kommen. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Was pas- Ich schließe die Aussprache. siert mit den Grünen? – Bernd Neumann [Bre- Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen men] [CDU/CSU]: Da müssen Sie mal mit Ih- auf den Drucksachen 15/3640 und 15/3118 an die in der rem Koalitionspartner sprechen!) Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Dann werden alle etwas nachgeben müssen. Ludwig Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann Erhard hat einmal gesagt: Ein Kompromiss ist, einen sind die Überweisungen so beschlossen. Kuchen so zu teilen, dass jeder meint, dass er das größte Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- Stück abbekommen hat. Wir sollten gemeinsam nach ordnung. Wegen suchen, die helfen, die Wettbewerbsordnung im Interesse unseres Landes zu stärken, für das wir alle ge- Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- meinsam Verantwortung tragen. tages auf Mittwoch, den 22. September 2004, 13 Uhr, ein. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Überzeugen Sie zunächst einmal Herrn Schulz!) Die Sitzung ist geschlossen. Dazu gehört auch eine lebendige Presselandschaft. (Schluss: 13.58 Uhr)

(B) (D)

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004 11383

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C) Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Andres, Gerd SPD 10.09.2004 Tillmann, Antje CDU/CSU 10.09.2004

Austermann, Dietrich CDU/CSU 10.09.2004 Ulrich, Hubert BÜNDNIS 90/ 10.09.2004 DIE GRÜNEN Dr. Bauer, Wolf CDU/CSU 10.09.2004 Welt, Jochen SPD 10.09.2004 Büttner (Ingolstadt), SPD 10.09.2004 Hans Wimmer (Neuss), Willy CDU/CSU 10.09.2004

Dr. Däubler-Gmelin, SPD 10.09.2004 Wohlleben, Verena SPD 10.09.2004 Herta

* für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- Erler, Gernot SPD 10.09.2004 lung der NATO Evers-Meyer, Karin SPD 10.09.2004 Anlage 2 Göllner, Uwe SPD 10.09.2004 Amtliche Mitteilungen Dr. Guttmacher, FDP 10.09.2004 Karlheinz Der Bundesrat hat in seiner 802. Sitzung am 9. Juli 2004 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- Heller, Uda Carmen CDU/CSU 10.09.2004 stimmen, einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 Freia Grundgesetz nicht zu stellen bzw. einen Einspruch ge- (B) mäß Artikel 77 Absatz 3 nicht einzulegen: (D) Herrmann, Jürgen CDU/CSU 10.09.2004 – Gesetz zur Neuregelung des Rechts der Erneuer- baren Energien im Strombereich Hoppe, Thilo BÜNDNIS 90/ 10.09.2004 DIE GRÜNEN – Gesetz zur Änderung des Futtermittelgesetzes und des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes Kumpf, Ute SPD 10.09.2004 – Gesetz zur Förderung von Wagniskapital Dr. Paziorek, Peter CDU/CSU 10.09.2004 – Drittes Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Er- richtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwor- Dr. Pflüger, Friedbert CDU/CSU 10.09.2004 tung und Zukunft“

Pflug, Johannes SPD 10.09.2004 – Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und weiterer Gesetze * Raidel, Hans CDU/CSU 10.09.2004 – Gesetz zu dem Protokoll vom 16. Mai 2003 zum Internationalen Übereinkommen von 1992 über Schauerte, Hartmut CDU/CSU 10.09.2004 die Errichtung eines Internationalen Fonds zur Entschädigung für Ölverschmutzungsschäden Schmidt (Fürth), CDU/CSU 10.09.2004 Christian – Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die Entschädigung für Ölverschmutzungsschäden Schöler, Walter SPD 10.09.2004 durch Seeschiffe

Schösser, Fritz SPD 10.09.2004 – Gesetz zur effektiveren Nutzung von Dateien im Bereich der Staatsanwaltschaften Schreck, Wilfried SPD 10.09.2004 – Gesetz zur Regelung von Rechtsfragen hinsicht- lich der Rechtsstellung von Angehörigen der Bun- Schultz (Everswinkel), SPD 10.09.2004 deswehr bei Kooperationen zwischen der Bundes- Reinhard wehr und Wirtschaftsunternehmen sowie zur Änderung besoldungs- und wehrsoldrechtlicher Strässer, Christoph SPD 10.09.2004 Vorschriften 11384 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004

(A) – Erstes Gesetz zur Änderung des Güterkraftver- – Zwölftes Gesetz zur Änderung des Arzneimittel- (C) kehrsgesetzes gesetzes – Gesetz zu dem Übereinkommen vom 9. Septem- Der Bundesrat hat in seiner 802. Sitzung am 9. Juli ber 2002 über die Vorrechte und Immunitäten des 2004 beschlossen, dem vom Deutschen Bundestag durch Internationalen Strafgerichtshofs Beschlüsse vom 2. April 2004 und vom 18. Juni 2004 verabschiedeten Gesetz gemäß Artikel 84 Abs. l des – Gesetz zu dem Abkommen vom 8. Juli 2003 zwi- Grundgesetzes zuzustimmen. schen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der mazedonischen Regierung Der Bundesrat hat ferner die nachfolgende Entschlie- über Soziale Sicherheit ßung gefasst: – Gesetz zu dem Übereinkommen vom 14. Oktober Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, nach 2003 über die Beteiligung der Tschechischen Re- zwei Jahren über die Auswirkungen der durch diese Ge- publik, der Republik Estland, der Republik Zy- setzesnovelle vorgesehenen Maßnahmen zur Bekämp- pern, der Republik Lettland, der Republik Li- fung von Arzneimittelfälschungen und über Fortschritte tauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Diskussion auf europäischer Ebene zu berichten. der Republik Polen, der Republik Slowenien und Begründung: der Slowakischen Republik am Europäischen Wirtschaftsraum Zur Verhinderung von Arzneimittelfälschungen sind bisher in der 12. AMG-Novelle Regelungen zur Defini- – Gesetz zu dem Abkommen vom 14. Mai 2003 zwi- tion von Arzneimittelfälschungen, zur vertieften Doku- schen der Bundesrepublik Deutschland und der mentation des Verbleibs der Chargen vom pharmazeuti- Republik Polen zur Vermeidung der Doppelbe- schen Unternehmer über den pharmazeutischen steuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Ein- Großhandel bis zu den Apotheken vorgesehen, ebenfalls kommen und vom Vermögen eine verstärkte Strafbewehrung. Weitergehende Rege- – Gesetz zu dem Fakultativprotokoll vom 25. Mai lungen, insbesondere zur Gestaltung fälschungssicherer 2000 zum Übereinkommen über die Rechte des Verpackungen, fehlen jedoch derzeit. Dem Bundesrat ist Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an die Arzneimittelsicherheit ein besonderes Anliegen. Da- bewaffneten Konflikten her soll nach Vorlage des Berichtes überprüft werden, ob weitere Maßnahmen zur Erhöhung der Arzneimittelsi- – Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zu- cherheit erforderlich sind. wanderung und zur Regelung des Aufenthalts (B) und der Integration von Unionsbürgern und Aus- – Gesetz zur Einführung der nachträglichen Siche- (D) ländern (Zuwanderungsgesetz) rungsverwahrung – Gesetz zur optionalen Trägerschaft von Kommu- Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung ge- nen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch fasst: (Kommunales Optionsgesetz) Der Bundesrat erachtet das auf einem Entwurf der – Gesetz zur Intensivierung der Bekämpfung der Bundesregierung beruhende und am 18. Juni 2004 vom Schwarzarbeit und damit zusammenhängender Deutschen Bundestag beschlossene Gesetz zur Einfüh- Steuerhinterziehung rung der nachträglichen Sicherungsverwahrung aus den bereits in seiner Stellungnahme vom 2. April 2004 (Bun- – Gesetz zur Umsetzung der Reform der Gemeinsa- desratsdrucksache 202/04 [Beschluss]) niedergelegten men Agrarpolitik Gründen für unzureichend. Der Gesetzesbeschluss – Erstes Gesetz zur Änderung des Betriebsprämi- schränkt den Anwendungsbereich der nachträglichen Si- endurchführungsgesetzes cherungsverwahrung grundlos stark ein. Anders als der vorzugswürdige Gesetzentwurf des Bundesrates (Bun- – Elftes Gesetz zur Änderung des Außenwirt- desratsdrucksache 177/04 [Beschluss]) gewährleistet er schaftsgesetzes (AWG) und der Außenwirt- nicht, dass bei nach Verurteilung festgestellter Gefähr- schaftsverordnung (AWV) lichkeit die Sicherungsverwahrung wenigstens in all den Fällen angeordnet werden kann, in denen auch das Tat- – … Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmenge- gericht Sicherungsverwahrung hätte anordnen können. setzes (… HRGÄndG) Zudem bleibt der Schutz vor gefährlichen heranwach- – Erstes Gesetz zur Modernisierung der Justiz senden Straftätern weiterhin lückenhaft. Nach dem Ge- (1. Justizmodernisierungsgesetz) setzesbeschluss sind die Voraussetzungen für die Anord- nung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei – Erstes Gesetz zur Änderung des Bundesschienen- Heranwachsenden, auch wenn auf sie Erwachsenenstraf- wegeausbaugesetzes recht angewandt wird, so viel enger als bei erwachsenen – Fünftes Gesetz zur Änderung des Fernstraßen- Straftätern, dass kaum noch ein Anwendungsbereich ausbaugesetzes verbleibt. Ein weiterer wesentlicher Schwachpunkt des Gesetzesbeschlusses liegt schließlich im aufwändigen – Viertes Gesetz zur Änderung des Melderechtsrah- Verfahren. Der Gesetzesbeschluss verlangt die Durch- mengesetzes führung einer erneuten Hauptverhandlung vor dem Ge- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004 11385

(A) richt des ersten Rechtszuges mit Einschaltung zweier ex- Haushaltsausschuss (C) terner Gutachter und der Möglichkeit einer Revision Drucksache 15/3023 Nr. 2.26 zum Bundesgerichtshof. Zudem erfordert er, bei allen Drucksache 15/3135 Nr. 2.40 auf der Grundlage von Straftäterunterbringungsgesetzen der Länder Untergebrachten eine erneute Gefährlich- keitsüberprüfung vorzunehmen. Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Drucksache 15/3023 Nr. 1.3 Der Bundesrat sieht sich an der eigentlich gebotenen Drucksache 15/3266 Nr. 2.8 Anrufung des Vermittlungsausschusses allein deshalb Drucksache 15/3266 Nr. 2.13 Drucksache 15/3266 Nr. 2.14 gehindert, weil dann die vom Bundesverfassungsgericht Drucksache 15/3266 Nr. 2.16 für eine Neuregelung zum 30. September 2004 gesetzte Frist nicht eingehalten werden könnte, so dass die in ei- nigen Ländern auf Grund von Landesgesetzen unterge- Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung brachten Straftäter auf freien Fuß gesetzt werden müss- und Landwirtschaft ten. Drucksache 15/3266 Nr. 1.14 Drucksache 15/3266 Nr. 1.15 Der Bundesrat bedauert, durch die Bundesregierung Drucksache 15/3266 Nr. 1.16 in diese Zwangslage gebracht worden zu sein. Sie hat die Drucksache 15/3266 Nr. 1.17 Gesetzentwürfe des Bundesrates vom 21. Juni 2002 (Bundesratsdrucksache 507/02 [Beschluss]) und vom Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung 14. März 2003 (Bundesratsdrucksache 860/02 [Be- schluss]) nicht aufgegriffen und dadurch nach der Ent- Drucksache 15/3266 Nr. 1.8 Drucksache 15/3403 Nr. 2.2 scheidung des Bundesverfassungsgerichts die zeitnahe Drucksache 15/3403 Nr. 2.16 Verabschiedung einer bundesgesetzlichen Regelung zur Drucksache 15/3403 Nr. 2.65 nachträglichen Sicherungsverwahrung verhindert.

Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Berichtigung Drucksache 15/3023 Nr. 2.14 Drucksache 15/3023 Nr. 2.15 Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit hat zu den Unterrichtungen der Bundesregierung Rüstungsexport- berichte 2001 und 2002 auf Drucksachen 15/230, 15/ Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (B) 2256 und 15/2257 Beschlussempfehlung und Bericht (D) (15/3597) vorgelegt. Infolge dessen ist die Amtliche Drucksache 15/3023 Nr. 1.1 Mitteilung im Stenografischen Bericht vom 9. Juli 2004 Drucksache 15/3023 Nr. 2.12 Drucksache 15/3023 Nr. 2.18 über eine reine Kenntnisnahme des Ausschusses zu kor- Drucksache 15/3023 Nr. 2.28 rigieren. Drucksache 15/3135 Nr. 2.30 Drucksache 15/3266 Nr. 1.12 Drucksache 15/3266 Nr. 2.4 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Drucksache 15/3266 Nr. 2.17 mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU- Drucksache 15/3403 Nr. 1.2 Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Bera- Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe tung abgesehen hat. Drucksache 15/2895 Nr. 1.5 Drucksache 15/3266 Nr. 1.2 Drucksache 15/3266 Nr. 1.3 Rechtsausschuss Drucksache 15/1547 Nr. 2.116 Drucksache 15/3023 Nr. 1.4 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 15/3266 Nr. 2.10 Finanzausschuss Drucksache 15/1547 Nr. 2.126 Drucksache 15/3135 Nr. 2.53 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit Drucksache 15/3266 Nr. 1.9 und Entwicklung Drucksache 15/3266 Nr. 2.5 Drucksache 15/3023 Nr. 1.2 Drucksache 15/3266 Nr. 2.11 Drucksache 15/3023 Nr. 2.1 Drucksache 15/3266 Nr. 2.12 Drucksache 15/3135 Nr. 2.50 Drucksache 15/3266 Nr. 2.15 Drucksache 15/3403 Nr. 1.6 Drucksache 15/3403 Nr. 2.12 Ausschuss für die Angelegenheiten der Drucksache 15/3403 Nr. 2.17 Europäischen Union Drucksache 15/3403 Nr. 2.19 Drucksache 15/3403 Nr. 2.25 Drucksache 15/3266 Nr. 1.1 Drucksache 15/3403 Nr. 2.29 Drucksache 15/3266 Nr. 2.6 Drucksache 15/3403 Nr. 2.95 Drucksache 15/3266 Nr. 2.9 11386 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Freitag, den 10. September 2004

(A) Berichtigung zum Protokoll der 119. Sitzung (C) vom 2. Juli 2004 Finanzausschuss Drucksache 15/3135 Nr. 2.29 wird durch Drucksache 15/3135 Nr. 2.49 ersetzt

(B) (D)

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