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Plenarprotokoll 13/50

Deutscher

Stenographischer Bericht

50. Sitzung

Bonn, Dienstag, den 5. September 1995

Inhalt:

Glückwünsche zu den Geburtstagen der Dr. Liesel Hartenstein SPD 4150 C Abgeordneten (Unna) und Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/ des Bundesministers Dr. Norbert Blüm 4095 A CSU 4152D Abwicklung der Tagesordnung 4095 B Dr. Jürgen Rochlitz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 4154D Birgit Homburger F D P. 4157 A Tagesordnungspunkt 1: Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ a) Erste Beratung des von der Bundesre- DIE GRÜNEN 4159B gierung eingebrachten Entwurfs eines Rolf Köhne PDS 4159 C Gesetzes über die Feststellung des Eva Bulling-Schröter PDS 4160D Bundeshaushaltsplans für das Haus- haltsjahr 1996 (Haushaltsgesetz 1996) Eckart Kuhlwein SPD 4162B (Drucksache 13/2000) Arnulf Kriedner CDU/CSU 4164 B b) Unterrichtung durch die Bundesregie- Eckart Kuhlwein SPD 4165D, 4181D rung: Finanzplan des Bundes 1995 bis Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . 4166 C 1999 (Drucksache 13/2001) , Bundesminister BMV 4168D Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 4095 C Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS Ingrid Matthäus-Maier SPD 4106B 90/DIE GRÜNEN 4170B, 4180A Hans-Peter Repnik CDU/CSU 4114 C Gila Altmann (Aurich) BÜNDNIS 90/ Ingrid Matthäus-Maier SPD , . 4116C, 4159A, DIE GRÜNEN 4171 A 4180C Hans Georg Wagner SPD 4172 A Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Bartholomäus Kalb CDU/CSU . . . . 4174 B NEN 4120B Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. . 4124B DIE GRÜNEN 4176A Dr. PDS 4129D F.D.P. ...... 4178B Adolf Roth (Gießen) CDU/CSU 4131 D - Elke Ferner SPD 4181 A Manfred Hampel SPD ...... 4136A Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ Walter Hirche F.D.P 4136D DIE GRÜNEN 4181B Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) Jürgen Koppelin F.D.P. ...... 4181 C CDU/CSU 4138A Dr. PDS . . . . . 4182 C Dr. Barbara Hendricks SPD 4141 D Dr. Uwe-Jens Rössel PDS 4143D Heide Mattischeck SPD 4183 D Dr. , Bundesministerin Matthias Wissmann CDU/CSU . . . 4184 C BMU 4146D Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMBau 4186 C II Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. , Dienstag, den 5. September 1995

Achim Großmann SPD 4189B d) Erste Beratung des von der Bundesre- Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. 4190D, gierung eingebrachten Entwurfs eines 4191B Gesetzes zu dem Internationalen Kaf- fee-Übereinkommen von 1994 (Druck- CDU/CSU 4192 B sache 13/1667) Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 4193D e) Erste Beratung des von der Bundesre- Dr. Klaus Röhl F.D.P 4195 B gierung eingebrachten Entwurfs eines Klaus-Jürgen Warnick PDS 4196C Sechsten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der Ratio- Dieter Maaß (Herne) SPD 4197 D nalisierung im Steinkohlenbergbau CDU/CSU . . 4199C (Drucksache 13/1887) Achim Großmann SPD 4200A f) Bericht des Ausschusses für Bildung, Dr. Wolfgang Bötsch, Bundesminister Wissenschaft, Forschung, Technologie BMPT 4201 A und Technikfolgenabschätzung gemäß Hans Martin Bury SPD 4203 B 56 a der Geschäftsordnung des Deut- Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein schen Bundestages zur Technikfolgen- CDU/CSU 4205 C abschätzung Dr. Manuel Kiper BÜNDNIS 90/DIE GRÜ hier: Neue Werkstoffe (Drucksache 13/ NEN 4207C 1696) 4145 A Dr. F D P. 4208D Gerhard Jüttemann PDS 4210A Arne Börnsen (Ritterhude) SPD 4210B Tagesordnungspunkt 4: Dr. Manuel Kiper BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 4211C Abschließende Beratungen ohne Aus- sprache Elmar Müller (Kirchheim) CDU/CSU 4213B a) Beschlußfassung über die Weitergel- Tagesordnungspunkt 2: tung der a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. einge- - Geschäftsordnung des Gemeinsamen brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausschusses Änderung des Grundgesetzes (Druck- sache 13/2245) - Geschäftsordnung für das Verfahren nach Artikel 115 d des Grundgesetzes b) Erste Beratung des von den Fraktionen (Drucksache 13/ 2239) der CDU/CSU, SPD und F.D.P. einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Finanzausgleichsgeset- b) Zweite Beratung und Schlußabstim- zes (Drucksache 13/2246) 4144 D mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 26. Mai 1993 zwi- Tagesordnungspunkt 3: schen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Thailand fiber die Überweisungen im vereinfachten Verfah- Überstellung von Straftätern und über ren die Zusammenarbeit bei der Vollstrek- a) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- kung von Strafurteilen (Drucksachen gebrachten Entwurfs eines Ersten Ge- 13/666, 13/1760) setzes zur Änderung des Verkehrswe- geplanungsbeschleunigungsgesetzes c) Zweite Beratung und Schlußabstim- (Drucksache 13/1444) mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes b) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- zu den Protokollen vom 19. Dezember - gebrachten Entwurfs eines Gesetzes 1988 betr. die Auslegung des Überein- zur Änderung des Eisenbahnkreu- kommens vom 19. Juni 1980 über das zungsgesetzes (Drucksache 13/1446) auf vertragliche Schuldverhältnisse an- zuwendende Recht durch den Gerichts- c) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- hof der Europäischen Gemeinschaften gebrachten Entwurfs eines Gesetzes sowie zur Übertragung bestimmter Zu- zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts ständigkeiten für die Auslegung dieses Deutschland durch Beschleunigung Übereinkommens auf den Gerichtshof und Vereinfachung der Anlagenzulas- der Europäischen Gemeinschaften sungsverfahren (Drucksache 13/1445) (Drucksachen 13/669, 13/1761) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 III d) Beschlußempfehlung und Bericht des Anlage 2 Finanzausschusses zu der Unterrich- tung durch das Europäische Parlament: Erklärung der Abgeordneten Renate Ren- Entschließung zu den Zielen und In- nebach (SPD) zur namentlichen Abstim- strumenten einer Währungspolitik mung über den von der Fraktion der SPD (Drucksachen 12/7805, 13/725 Nr. 59, eingebrachten Entschließungsantrag auf 13/1584) 4145D Drucksache 13/1835 zum Antrag der Bun- desregierung: Deutsche Beteiligung an den Maßnahmen zum Schutz und zur Un- Nächste Sitzung 4213 D terstützung des schnellen Einsatzverban- des im früheren Jugoslawien einschließ- lich der Unterstützung eines eventuellen Anlage 1 Abzugs der VN-Friedenstruppen auf Drucksachen 13/1802 und 13/1855 in der Liste der entschuldigten Abgeordneten . 4215* A 48. Sitzung am 30. Juni 1995 . . . . 4215* D

Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4095

50. Sitzung

Bonn, Dienstag, den 5. September 1995

Beginn: 11.00 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Liebe Kolleginnen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind und Kollegen! Ich eröffne die 50. Sitzung des für die heutige Aussprache zum Haushalt 13. Deutschen Bundestages und begrüße Sie zu- 7,5 Stunden, für morgen 8,5 Stunden, für Donnerstag gleich zu unserer ersten Sitzung nach der Sommer- 7,5 Stunden und für Freitag 1,5 Stunden vorgesehen. pause. Ich hoffe, daß Sie sich erholt und wieder - Ich höre auch dazu keinen Widerspruch, und wir Kräfte gesammelt haben. verfahren in dieser Weise. Ich möchte zunächst einer Kollegin und einem Das Wort zur Einbringung des Haushaltes hat der Kollegen nachträglich zum Geburtstag gratulieren. Bundesminister der Finanzen, Dr. Theodor Waigel. Es sind dies die Kollegin Leni Fischer (Unna), die am 18. Juli ihren 60. Geburtstag feierte, und Bundes- Dr. Theodor Waigel, Bundesminister der Finanzen: minister Dr. Norbert Blüm, der am 21. Ju li sei- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen nen 60. Geburtstag beging. Beiden spreche ich und Herren! Die OECD bescheinigt der deutschen im Namen des Hauses die besten Glückwünsche Finanzpolitik in ihrem soeben erschienenen Deutsch- aus. landbericht beeindruckende Erfolge bei der Konsoli- dierung und der Wahrung der finanzpolitischen Sta- (Beifall - Joseph Fischer [Frankfurt] bilität. Deutschland erfüllt beim Staatsdefizit und [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Immer auf beim Schuldenstand die Maastricht-Kriterien. Das die Kleinen!) strukturelle Defizit liegt 1995 um fünf Prozentpunkte unter dem des Jahres 1991. Jetzt kommt der amtliche Teil: Ich weise darauf hin, daß interfraktionell vereinbart worden ist, die Der IWF bezeichnet in seinem neuesten Economic unter Tagesordnungspunkt 2 aufgeführten Gesetz- Outlook die deutschen Konsolidierungserfolge als entwürfe zur Änderung des Grundgesetzes und des vorbildlich. Gleichzeitig stellt die OECD fest: In etwa Finanzausgleichsgesetzes ohne Debatte an die Aus- zehn Jahren wird bei dem jetzigen Investitionstempo schüsse zu überweisen. Alle Beratungen ohne Aus- der Kapitalstock in den neuen Ländern bereits auf sprache werden heute im Anschluß an die Ausspra- westdeutschem Niveau sein. che zur Einbringung des Haushalts gegen 15.40 Uhr Das, meine Damen und Herren, ist das Ergebnis ei- aufgerufen. Sind Sie damit einverstanden? - Es gibt ner harten, aber erfolgreichen Finanzpolitik der letz- keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so. ten fünf Jahre. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 a und 1 b auf: Über dieses Lob, in das auch andere nationale und a) Erste Beratung des von der Bundesregierung internationale Experten und Institutionen einstim- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über men, dürfen wir uns zu Recht freuen. die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1996 Sicherlich freuen auch Sie sich, Frau Kollegin Matthäus-Maier, über diese deutschen Erfolge. (Haushaltsgesetz 1996) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - [SPD]: Besonders!) - Drucksache 13/2000 Ich begrüße die bayerische Staatsministerin Ursula b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- Männle. Eben habe ich beim Blick auf die Bundes- regierung ratsbank gedacht: Sag, wo die Troikaner sind, wo sind sie geblieben? Finanzplan des Bundes 1995 bis 1999 (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU - Drucksache 13/2001- und der F.D.P.) 4096 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 Bundesminister Dr. Theodor Walgel Was waren das noch für Zeiten, Frau Matthäus- litik in der Europäischen Union. Unabdingbare Vor- Maier, als Sie zu den Herren Schröder und Lafon- aussetzung für den Beginn und danach für die Fo rt taine hinüberblinzeln und Beifall klatschen mußten! -führung der dritten Stufe der Währungsunion muß Heute sind Sie wieder allein; ich glaube, Ihnen ist ein erfolgreicher Stabilitätskurs sein. wohler dabei. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU Um diese Ziele zu erreichen, müssen wir das Haus- und der F.D.P.) haltsmoratorium einhalten, neue Ausgaben nur Aber es muß schon ein merkwürdiges Gefühl sein, durch Einsparungen und Umschichtungen finanzie- immer nur dann einspringen zu dürfen, wenn die ren und die Ausgabensteigerungsrate deutlich unter Herren zufällig nicht da sind. der Steigerungsrate des Bruttosozialprodukts halten. (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Der Bundeshaushalt 1996 ist ein kräftiger Schritt auf dem Weg zu unseren Zielen. Die Gesamtausga- Aber sei es drum - ob nun Schröder, Lafontaine ben betragen 452 Milliarden DM. Bereinigt um die oder Sie -, Sie müssen sich alle ehrlicherweise davon Systemumstellung des Kindergeldes sinken sie ge- überzeugen: Das ist eine Finanzpolitik, die hohes in- genüber dem Vorjahr um 1,3 %. ternationales Lob bekommen hat und die erfolgreich Vor über einem halben Jahrhundert hat der Fi- ist. nanzwissenschaftler Adolph Wagner das Gesetz der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wachsenden Staatstätigkeit formuliert. Dieses auch in Deutschland in den letzten Jahrzehnten gültige Mit dem Bundeshaushalt 1996, dem Finanzplan bis Gesetz haben wir jetzt durchbrochen. Ich halte das 1999 und unserer Steuerpolitik im Rahmen der sym- für einen gewaltigen Schritt auf dem Weg zur Konso- metrischen Finanzpolitik setzen wir den Erfolgskurs lidierung. entschlossen und konsequent fo rt. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir haben viel erreicht. Dennoch sind die vor uns Dies ist im In- und Ausland ein schlagkräftiger Be- liegenden Aufgaben noch groß. Noch immer sind die weis für die konsequente Stabilitätspolitik in Staatsquote, das Budgetdefizit, die Steuer- und Ab- Deutschland. Wenn viele andere Länder, vor allen gabenlast als Folge der Einheit zu hoch. Bis zum Dingen in Europa, gerade dieses Beispiel der Konso- Jahre 2000 werden wir hart arbeiten, um bei den lidierung auch für sich als vorbildlich ansehen, dann wichtigen finanzpolitischen Kennziffern den Stand zeigt dies deutlich, daß wir auf dem richtigen Weg Ende der 80er Jahre zu erreichen. sind. Die Staatsquote soll von jetzt etwa 50,5 % auf etwa Die Früchte dieser glaubwürdigen Politik ernten 46 % zurückgeführt werden. Die entstehenden Spiel- wir bereits jetzt durch nach wie vor gute Konjunktur- räume sollen zu gleichen Teilen in die Senkung der aussichten, durch ein nachhaltiges Wirtschafts- Defizite und der Steuerlast investiert werden. wachstum in diesem und auch im nächsten Jahr, Mit dem Bundeshaushalt und dem Finanzplan durch stabile Preise, niedrige Zinsen und eine harte liegt unser Fahrplan für das Erreichen dieser Ziele D-Mark. heute auf dem Tisch. Sie sind auf das Konzept der Diese Ernte wollen wir auch in den nächsten Jah- symmetrischen Finanzpolitik abgestimmt. ren einfahren. Dafür steht unsere glaubwürdige und verläßliche Finanzpolitik. Deutschland steht vor großen internationalen Her- ausforderungen - ein immer härterer Wettlauf und Es geht dabei nicht nur um Sparen, so wichtig das Wettbewerb in der Europäischen Union und in der auch ist. „Sparen und gestalten" ist das Motto des Weltwirtschaft um die Produkte, um Technologien Haushalts 1996. In neun Einzelplänen kommt es 1996 und die Märkte der Zukunft, eine zunehmende Sen- zu nominalen Rückgängen. Das ist schwierig zu ver- sibilität der Finanzmärkte und globale Kapitalknapp- kraften. heit angesichts steigenden Kapitalbedarfs in den In vielen Bereichen dieses Etats setzen wir trotz- Ländern Mittel- und Osteuropas und in den Entwick- dem zukunftsorientierte neue Prioritäten. Von den lungsländern - sowie vor weltweit hoher Arbeitslo- Einsparungen insgesamt ausgenommen werden der sigkeit und globalen ökologischen Aufgaben. Diesen für die Konkurrenzfähigkeit unserer Wi rtschaft so Herausforderungen müssen wir uns stellen. wichtige Bereich Bildung und Forschung und der Mit unserer Finanzpolitik sichern und profilieren Verteidigungsetat, der bereits in den vergangenen wir den Standort Deutschland für Unternehmen und Jahren mit erheblichen Einsparauflagen belastet- Kapitalanleger auch im nächsten Jahrzehnt. Wir wurde. Jeder, der im letzten Jahr - wie Sie, Frau schaffen ein positives Umfeld für zukunftsorientierte Matthäus-Maier, das damals versucht haben - oder Innovationen und Investitionen, die auch den ökolo- heuer nochmals an den Verteidigungsausgaben spa- gischen Erfordernissen Rechnung tragen. ren möchte, muß sich die Frage stellen, ob er damit nicht den falschen Beitrag zur Verteidigung der Frei- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) heit und des Friedens in Deutschland und in Europa erbringen wollte. Wir fördern zukunftssichere Arbeitsplätze und si- chern unseren Wohlstand und die Lebensqualität. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Wir machen Vorgaben für eine zukünftige Finanzpo ordneten der F.D.P.) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4097

Bundesminister Dr. Theodor Waigel Ich möchte auch von dieser Stelle den tapferen Haushaltsrisiken gibt es noch beim Arbeitsmarkt, bei deutschen Soldaten, die im Augenblick in Europa für den Steuereinnahmen und bei den Zahlungen an die den Frieden im Einsatz sind und versuchen, Leid zu Europäische Union. Diese Risiken sind aber be- mindern und Unrecht zurückzuhalten, meinen gro- herrschbar. ßen Respekt und meinen Dank aussprechen. Die Obergrenze von 60 Milliarden DM beim Defizit (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so können wir einhalten, wenn wir der Konsolidierung wie bei Abgeordneten der SPD) und dem Moratorium auch im weiteren parlamentari- schen Verfahren und im Haushaltsvollzug absolute Wir haben durch den Fall des Eisernen Vorhangs Priorität einräumen. bereits eine erhebliche Friedensdividende in Wenn die SPD aber schon wieder mit der alten ste- Deutschland erzielt. Wer jetzt die schrecklichen Er- reotypen Leier „Haushaltslöcher" kommt, kann ich eignisse, das sinnlose Morden im ehemaligen Jugo- nur sagen: Diese Mär kommt so sicher wie Ebbe und slawien vor unserer Haustür sieht, erfährt schmerz- Flut. lich: Der Friede muß weiterhin auch militärisch gesi- chert werden. Das war notwendig, und das war rich- (Zuruf von der SPD: Sie ist aber wahr!) tig. Jeder, der sich damals vor der Sommerpause hier Wie jedes Jahr werden Sie schließlich erfahren müs- in diesem Hause für solidarisches Handeln ausge- sen: Der Finanzminister hält seine Pläne nicht nur sprochen hat, hat damit seinen Beitrag zur Friedens- ein, in der Regel ist das Ergebnis noch um einiges sicherung in Europa geleistet, und Sie, Herr Schar- günstiger - in den letzten zwei Jahren um die be- ping, haben damals versagt. scheidene Summe von gut 40 Milliarden DM. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Die Konjunktur- und Wachstumsaussichten blei- ordneten der F.D.P. - Zuruf von der SPD: ben günstig. Vereinzelte Befürchtungen, der nied- Ungeheuerlich!) rige Dollarkurs könne die Konjunktur kippen, haben sich Gott sei Dank nicht bestätigt. Die neuesten Kon- Mit 59,84 Milliarden DM bleibt die Nettokreditauf- junkturdaten zeigen: Der positive Trend ist nicht ge- nahme knapp unter der Obergrenze von 60 Mil- brochen, er wird lediglich vorübergehend gedämpft. liarden DM, der im letzten Finanzplan gesetzten Alle Experten erwarten einen Anstieg der Expo rte Meßlatte. Der Haushalt 1996 ist ein Sparhaushalt par und im nächsten Jahr auch eine deutliche Zunahme excellence. Hinter den nackten Zahlen verbergen des privaten Verbrauchs. sich wichtige Veränderungen, die das Zahlengerüst des Haushalts beeinflußt haben. 1996 gibt es eine Die Investitionsdynamik in vielen Branchen geht Steuer- und Abgabenentlastung um netto 27 Mil- weiter; die Kapazitätsauslastung ist deutlich gestie- liarden DM. Der Bund trägt davon 20 Milliarden DM: gen. Diese rasche Erholung der Wirtschaft nach der 12 Milliarden DM aus dem Jahressteuergesetz und schwersten Rezession 1993 hat sich leider noch nicht etwa 8 Milliarden DM durch den Wegfall des Kohle- im erwünschten Ausmaß auf den Arbeitsmarkt nie- pfennigs. dergeschlagen. Insbesondere der Langzeitarbeitslo- sensockel bleibt ein Problem, das nicht kurzfristig ge- Die bisherige eigene Kreditaufnahme des Bundes- löst werden kann. Dies hat auch Auswirkungen auf eisenbahnvermögen 1995 in Höhe von bis zu den Haushalt 1996. 9,5 Milliarden DM entfällt. Zusätzlich waren aus der zweiten Stufe der Bahnreform 6 Milliarden DM und Die allein vom Bund finanzierte Arbeitslosenhilfe bei der Arbeitslosenhilfe 4 Milliarden DM im Budget bleibt auf hohem Niveau. Ohne Konsolidierungsmaß- unterzubringen. Diese Mehranforderungen an den nahmen müßten 1996 Ausgaben von über 18 Mil- Haushalt 1996 von etwa 35 Milliarden DM haben die liarden DM eingeplant werden. Wir wollen das Pro- Kreditaufnahme gegenüber 1995 nur um 10 Mil- blem der Arbeitslosigkeit engagiert angehen und die liarden DM erhöht. Dies war nur durch eine äußerst Menschen nicht allein lassen. Wir bekennen uns zu unserer Verantwortung und stellen die notwendigen sparsame Etataufstellung möglich. Mittel bereit. Eine Vielzahl von Haushaltsansätzen haben wir Darin kann sich aber eine mittel- und langfristig gegenüber dem Vorjahr vermindert. Konjunkturbe- angelegte Finanzpolitik nicht erschöpfen. Um dem dingte Entlastungen bei den Ausgaben oder Mehr- Problem auf die Dauer zu begegnen, müssen wir an einnahmen haben wir konsequent zur Verringerung allererster Stelle die wachstumsorientierte Politik der Nettokreditaufnahme genutzt. Was 1992 und fortsetzen. Nicht mehr Staat und Umverteilung, son 1993 die automatischen Stabilisatoren waren, um dern nur mehr Markt und Wachstum schaffen neue, konjunkturbedingte Mindereinnahmen und kon- zukunftssichere Arbeitsplätze. junkturbedingte Mehrausgaben durch eine erhöhte - Nettokreditaufnahme auszugleichen, muß jetzt um- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gekehrt konsequent zur Schuldenreduzierung und Dieser Kurs hat zwischen 1982 und 1992 immerhin zur Reduzierung der Nettokreditaufnahme verwandt 3 Millionen neue Arbeitsplätze gebracht. werden. Immer wieder wird die These vertreten, der Gesell- Bereits heute sind allerdings einige Zusatzforde- schaft ginge die Arbeit aus. Diese Aussage ist nicht rungen an den Haushalt 1996 auf dem Tisch. Aus zu halten. Wie die OECD zu Recht feststellt, hat ins- dem Vermittlungsergebnis zum Jahressteuergesetz besondere der Langzeitarbeitslosensockel vorwie- 1996 kommen noch 1,6 Milliarden DM auf uns zu. gend strukturelle Ursachen. Arbeit in Deutschland ist 4098 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 Bundesminister Dr. Theodor Waigel produktiv, aber auch teuer. Deutschland kann und Dazu kommen gezielte Maßnahmen der aktiven wird kein Billiglohnland sein. Unsere Zukunft liegt Arbeitsmarktpolitik für Problemgruppen. So haben bei hochwertigen High-Tech-Produkten, bei der wir das erfolgreiche Langzeitarbeitslosenprogramm Luft- und Raumfahrttechnik, der Ke rn- und Biotech- erneut in Kraft gesetzt. Bis 1999 steht hier ein Ge- nologie, bei der modernen Informationstechnik und samtvolumen von 3 Milliarden DM zur Verfügung. im Dienstleistungssektor. Hier müssen genug neue Finanziert wird dieses Bundesprogramm allein durch Arbeitsplätze entstehen. Umschichtungen. Meine Damen und Herren, dazu gehört auch, daß Geprüft werden muß aber auch, ob nicht bei den das notwendige militärische Gerät zur Verfügung Leistungen bei Arbeitslosigkeit Anpassungsbedarf gestellt und in Deutschland gebaut wird. Ich sage besteht. Die Anreize zur Arbeitsaufnahme müssen das, weil ich annehme, daß Sie zum 113. Mal mit stimmen. Problemgruppen muß gezielt geholfen wer- dem Jäger 90 oder dem Eurofighter kommen. Frau den. Die Unterstützung darf aber nicht zum Verwei- Matthäus-Maier, ich kann und möchte heute nicht len im sozialen Netz einladen. mehr auf Sie antworten; deshalb sage ich schon jetzt: Sie müssen den Deutschen klarmachen, warum wir Die Koalition hat dem Rechnung getragen und die das Notwendige irgendwo im Ausland kaufen und Leistungsgewährung überprüft. Sie hat sich dabei damit Arbeitsplätze in Deutschland verlorengehen. auf Konsolidierungsmaßnahmen verständigt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ ordneten der F.D.P. - Dr. Wolfgang Weng DIE GRÜNEN]: Hat sich das bis zur CSU in [Gerlingen] [F.D.P.]: Sie hat die Front ge München herumgesprochen, was Sie hier wechselt!) verkündet haben, daß sie im sozialen Netz nicht hängenbleiben?) Das ist die Grundaussage und nicht die Frage, wie- viel Kindergärten oder Schulen man für einen Euro- - Sind Sie schon wieder aufgewacht? Sie müssen of- fighter bauen kann. Letzteres ist die primitive Aus- fensichtlich aus Pa ris zurück sein. einandersetzung, an der die SPD schon in den 50er Ich fahre fort: Wir haben uns dabei auf Konsolidie- Jahren gescheitert ist, und Sie werden damit auch rungsmaßnahmen verständigt, die den Ansatz der heute keinen Erfolg haben. Arbeitslosenhilfe 1996 auf 14,8 Milliarden DM be- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge grenzen. ordneten der F.D.P.) Die originäre Arbeitslosenhilfe, die nicht im An- Übrigens: Bevor Sie noch mal über den Jäger 90 schluß an Arbeitslosengeld und praktisch ohne ei- reden, sollten Sie unbedingt Herrn Schröder anrufen. gene Beitragsleistungen gezahlt wird, soll ab 1996 Ich weiß, daß telefonische Kontakte mit ihm im Mo- wegfallen. Wir haben die Bezugsdauer bereits auf ment suspekt sind, aber trotzdem: ein Jahr begrenzt. Jetzt muß konsequent der zweite Schritt folgen. Der Bundeshaushalt wird dadurch (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Er hat 1996 um etwa 600 Millionen DM und in den Folge- ein Handy!) jahren jeweils um etwa 800 Millionen DM entlastet. Er hat ein Handy, und wenn er nicht auf dem Deich Daneben ist eine Novelle zum Arbeitsförderungs- ist, ist er in der Staatskanzlei, wenn er sich nicht ge- gesetz vorgesehen. Der Arbeitswille soll durch eine rade um sein Kabinett oder um die Chaostage in stärkere Einbeziehung in arbeitsmarktpolitische Hannover kümmern muß, wozu er lange Zeit gehabt Maßnahmen überprüft werden. Wer nicht bereit ist, hat. Aber in Sachen Eurofighter ist er, nehme ich an, an zumutbaren Maßnahmen teilzunehmen, kann auf einem anderen Dampfer; er ist jedenfalls um die auch keine vollen Leistungen erwarten. Arbeitsplätze in seinem eigenen Land mehr besorgt als möglicherweise einige Ideologen in der SPD. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Es ist unser Ziel, Bezieher von Arbeitslosenhilfe ordneten der F.D.P.) rasch und dauerhaft wieder in den Arbeitsmarkt zu reintegrieren. Diese Maßnahmen sollen ab dem Wir müssen neue Technologien unterstützen, 1. April 1996 greifen und zu Einsparungen von ethisch verantwortbar, aber unvoreingenommen, mit 2,8 Milliarden' DM führen. In den Folgejahren wer- Optimismus und dem Gründergeist, der Deutschland den 3 Milliarden DM erwartet. im 19. Jahrhundert vom Nachzügler bei der indu- striellen Entwicklung in eine Spitzenstellung ge- Mehrbelastungen für Länder und Kommunen- bracht hat. durch diese Regelungen gibt es per Saldo nicht. Daneben sind gezielte Flexibilisierungen auf den (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Arbeitsmärkten dringend notwendig, beispielsweise DIE GRÜNEN]: Per Saldo!) neue Arbeitszeitmodelle, für die auch viele Beschäf- - Warten Sie doch ab! tigte aufgeschlossen sind. So kann der Einsatz der Produktionsfaktoren optimiert werden, und so kön- Im Rahmen der Novelle zum Asylbewerberlei- nen die Produktionskosten trotz hoher Löhne ge- stungsgesetz kommt es zu einer kompensierenden senkt werden. Neben dem Staat sind hier die Tarif- Entlastung von Ländern und Kommunen in Höhe partner besonders in der Pflicht. von jährlich 1,3 Milliarden DM. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4099 Bundesminister Dr. Theodor Waigel Die Ausgaben für Zinsen und Zinserstattungen Länder und Gemeinden haben hier noch ein großes steigen 1996 und im weiteren Finanzplanungszeit- Potential. raum wegen der Vorbelastung durch die Einheit wei- ter an. Die sparsame Haushaltspolitik und die niedri- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gere Nettokreditaufnahme der vergangenen Jahre Leider gibt es in vielen Ländern und auf kommu- führen deshalb noch nicht zu der notwendigen nach- naler ebene immer noch heftigen Widerstand gegen haltigen Begrenzung der Zinslasten. Sie ermöglichen eine konsequente Privatisierung. Die ökonomischen aber bereits deutliche Entlastungen gegenüber dem Erfahrungen zeigen aber ganz deutlich, daß letztlich letztjährigen Finanzplan. die Vorteile überwiegen: Die öffentlichen Haushalte Der Kollege Roth hat darauf hingewiesen: Der werden entlastet, Beiträge und Gebühren der Bürger Bund führt dem Kapitalmarkt mehr Mittel zu, als er gehen zurück. über die Nettokreditaufnahme entnimmt. Trotz der Einsparungen und Ausgabenbegrenzun- Die um insgesamt knapp 40 Milliarden DM gerin- gen im Haushalt setzen wir zukunftsweisende Schwerpunkte und neue Akzente. So bleibt der gere Neuverschuldung der Jahre 1994 und 1995 so- Ver- wie das günstige Zinsniveau vermindern die Zins- kehrshaushalt mit knapp 51 Milliarden DM unverän- ausgaben im Jahre 1996 um rund 3,1 Milliarden DM. dert der drittgrößte Einzelplan. Mit Investitionen von Der um etwa 20 Milliarden DM geringere Schulden- über 23 Milliarden DM bleibt er mit weitem Abstand größter Investitionshaushalt. Zur teilweisen Finanzie- stand des Erblastentilgungsfonds - wir gehen zur Zeit von 360 Milliarden DM aus - ist der Grund für rung der zweiten Stufe der Bahnreform werden die Minderausgaben in diesem Bereich von 2,5 Mil- Bahninvestitionen auf dem Niveau des Jahres 1994 - liarden DM. in Zahlen: 7,7 Milliarden DM - fortgeschrieben; das bedeutet gegenüber dem Finanzplan eine Einspa- Meine Damen und Herren, das Thema schlanker rung. Die Mittel für die Investitionsausgaben können Staat steht weiterhin auf der Tagesordnung. aber durch zusätzliche Einnahmen aus dem Ver- kehrsbereich, z. B. durch die Veräußerung nicht be- (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr wahr!) triebsnotwendiger Bahngrundstücke, wieder aufge- Für die Bundesregierung bedeutet dies insbeson- bessert werden. Wir werden dieses Instrument nut- dere, den eingeschlagenen Weg der Personalredu- zen und voranbringen. zierung fortzusetzen. Personalabbau bedeutet aber (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nicht nur die Fortsetzung der bereits vereinbarten Personaleinsparung. Erforderlich ist daneben eine Die Aufwendungen für Forschung und Technolo- differenzierte Überprüfung des Aufgabenspektrums gie steigen um fast 270 Millionen DM bzw. 2,9 %. und der Organisationsstrukturen innerhalb der Bun- Der Haushaltsentwurf 1996 setzt darüber hinaus ein desverwaltung. deutliches Zeichen für strukturelle Reformen im Bil- dungsbereich. Ab dem Wintersemester 1996/97 wol- Die gesetzliche Stelleneinsparung von 1 % führen len wir das Studenten-BAföG umstrukturieren. Diese wir nunmehr im vierten Jahr fort. Sie erfaßt, wie in Reform sieht eine Umstellung des bisher aus dem den vorangegangenen Jahren, die obersten Bundes- Haushalt finanzierten Darlehensanteils auf Banken- behörden und den nachgeordneten Verwaltungsbe- darlehen vor. Der Staat gewährleistet die Zinsfreiheit reich. In einzelnen Fällen bringt eine lineare Perso- durch eine befristete Übernahme der Zinsen bis zum nalrückführung natürlich Schwierigkeiten mit sich. vierten Jahr nach Ende der Förderungshöchstdauer. Darauf haben wir mit der Einräumung zusätzlicher Darüber hinaus soll das Ausfallrisiko bis vier Jahre haushaltswirtschaftlicher Flexibilität reagie rt. Im nach Beginn der Rückzahlung durch staatliche Bürg- übrigen werden alle Möglichkeiten ausgeschöpft, schaften abgedeckt werden. In der Rückzahlungs- um durch Aufgabenreduzierung freiwerdendes Per- phase sollen dann die im Beruf stehenden und in der sonal anderweitig sinnvoll einzusetzen. Regel gutverdienenden Akademiker die Zinsen selbst übernehmen. Der dadurch erzielte Entla- Bei der Durchsetzung des Lean management kann stungsbetrag wird 1996 in vollem Umfang für eine sich der Bund sehen lassen. Zum Vergleich: Daimler- spürbare Anhebung der BAföG-Förderbeträge um Benz hat sein Personal vom Höchststand 379 000 im 6 % sowie für andere wichtige forschungs- und bil- Jahre 1991 bis 1994 auf rund 330 000 abgebaut. Dies dungspolitische Maßnahmen bereitgestellt. gilt in der Wirtschaft als vorbildliche Verschlankung von Produktion und Management. Die Zahl der Stel- Mit dem Meister-BAföG, der Finanzierung der be- len im Bundeshaushalt wird zwischen 1992 und Ende ruflichen Aufstiegsfortbildung, setzen wir ab 1996 1995 von rund 380 000 auf rund 325 000 zurückge- ein wichtiges Signal für die Verwirklichung der führt. Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Ausbildung. Bei der wichtigen Privatisierung hat der Bund seine Hausaufgaben gemacht. Alle größeren Pro- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) jekte sind auf dem Weg. Von noch verbleibenden kleineren Bundesunternehmen oder Bundesbeteili- Gefördert werden insbesondere die Lebenshaltungs- gungen werden wir uns soweit wie möglich trennen. kosten in Anlehnung an die neue BAföG-Struktur mit einem hälftigen Zuschuß und staatlichen Zinszu- (Beifall der Abgeordneten Carl-Ludwig schüssen zu dem bankfinanzierten Darlehensanteil. Thiele [F.D.P.] und Dr. Wolfgang Weng Die sonstige Förderung erfolgt durch Bankdarlehen, [Gerlingen] [F.D.P.]) zu denen der Bund Zinszuschüsse gibt. Im Falle ei- 4100 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 Bundesminister Dr. Theodor Waigel ner späteren Existenzgründung ist ein Erlaß in Höhe noch besondere Schwierigkeiten bei der Ausbil- von bis zu 50 % vorgesehen. Dies, meine Damen und dungsplatzsuche haben, werden vorrangig geför- Herren, ist der entscheidende Schritt, um die berufli- dert. Durchgeführt wird das Programm von der che Bildung endlich gleichwertig gegenüber der Bundesanstalt für Arbeit. akademischen Ausbildung zu gestalten. Meine Damen und Herren, die Landwirtschaft ist (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) in einer schwierigen Situation; noch verstärkt seit der Die BAföG-Reform des Kollegen Rüttgers hat Mo- Aufwertung des grünen Kurses" zur D-Mark zum dellcharakter für andere Politikbereiche. Juli 1995. Der Bundeshaushalt 1996 macht deutlich: Die Unterstützung der deutschen Landwirtschaft (Widerspruch bei der SPD) bleibt uns ein wichtiges Anliegen. - Das ist eine großartige Leistung, in der wir alle den (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Kollegen Rüttgers nachdrücklich unterstützen. - (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Auch im Jahr 1996 stellt die Bundesregierung, wie ordneten der F.D.P.) im Jahr 1995, gut 12 Milliarden DM für die Landwirt- schaft bereit. Der Bundeszuschuß für die Unfallversi- Durch strukturelle Reformen gelingt es, Mittel für cherung bleibt voll erhalten. Die Agrarsozialpolitik prioritäre Aufgaben freizusetzen, ohne die Ausgaben entwickelt sich dynamisch. Die Ausgaben für die Al- insgesamt weiter anwachsen zu lassen. terssicherung und die Krankenversicherung steigen um fast 400 Millionen DM. Auch durch das Engage- Die Aufstockung der Mittel für die Gemeinschafts- ment im Rat der Finanzminister der EU haben wir es aufgabe Hochschulbau und die Hochschulsonder- erreicht, die „grünen Kurse" für die Aufwertungslän- programme um zusammen 200 Millionen DM ab der festzuschreiben. Damit bleibt das wesentliche 1997 wird mit einer Novellierung des Hochschulbau- Element der Einkommensstützung in nationaler förderungsgesetzes verknüpft. Ich appelliere an die Währung stabil. Zusätzlich ist im Ratskompromiß die Länder, sich der überfälligen strukturellen Bereini- Möglichkeit nationaler Ausgleichszahlungen für gung der Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau nicht währungsbedingte Handelsverluste vorgesehen. In zu verschließen. Gesprächen mit den Beteiligten in Deutschland und (Beifall des Abg. Carl-Ludwig Thiele [FDP]) in Brüssel geht es jetzt um die konkrete Umsetzung der Maßnahmen. Ich bin sicher, wir werden zu be- Die Vorschläge des Bundes liegen auf dem Tisch: friedigenden Lösungen kommen. Beschränkung der Förderung auf Großvorhaben durch die Erhöhung der seit 25 Jahren unveränder- Meine Damen und Herren, der Finanzplan bis ten Bagatellgrenze bei Bauvorhaben von 500 000 DM 1999 liegt voll und ganz auf dem vorgegebenen Kurs auf mindestens 3 Millionen DM - entsprechendes gilt der symmetrischen Finanzpolitik. Der Ausgabenan- für Großgeräte, bei denen die Bagatellgrenze zur stieg beträgt jahresdurchschnittlich nur rund 1,3 %. Zeit bei nur 150 000 DM liegt -; Reduzierung des ho- Dabei ist die Umschichtung der Kindergeldfinanzie- hen Anteils an Bauvorhaben und Großgeräten für rung schon herausgerechnet. Der Abstand zum den Medizinbereich, in dem es - oft sogar überwie- Wachstum des Bruttosozialproduktes, das wohl im gend - um die allgemeine medizinische Versorgung Durchschnitt 5,5 % betragen wird, beläuft sich damit und nicht vorrangig um Forschung und Lehre geht. beim Bund auf deutlich mehr als die für den Staats- Die hierdurch mögliche Konzentration des Mittelein- sektor insgesamt mindestens notwendigen 2 %. In satzes würde den Handlungsspielraum in der Ge- den Jahren nach 1996 wird die Nettokreditaufnahme meinschaftsaufgabe Hochschulbau deutlich erwei- deutlich zurückgeführt. Um das Staatsquotenziel zu tern. erreichen, ist im gesamten Finanzplanungszeitraum Sparsamkeit das oberste Gebot. Meine Damen und Herren, trotz gemeinsamer Anstrengungen der Wirtschaft, der Länder und der Neben einer glaubwürdigen und konsequenten Bundesanstalt für Arbeit zur Stärkung der Berufs- Konsolidierung im Bereich des Haushalts ist eine ausbildung reichen die betrieblichen Ausbildungs- wachstumsfördernde Steuerpolitik unverzichtbarer platzangebote in den neuen Ländern nicht vollstän- Bestandteil der symmet rischen Finanzpolitik. dig aus. Bund und neue Länder haben deshalb ver- einbart, ein erneutes Sonderprogramm aufzulegen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU mit dem in den neuen Ländern rasch bis zu 14 500 und der F.D.P.) außerbetriebliche Ausbildungsplätze zusätzlich ge- schaffen werden sollen. Die Vereinbarung sieht vor, Die Steuerpolitik ist einerseits dafür verantwortlich,- die von 1995 bis 1999 erforderlichen Mittel von daß über das Steuersystem genügend Einnahmen etwa 860 Millionen DM durch Bund und neue Län- zur Finanzierung der öffentlichen Aufgaben be- der zu gleichen Teilen bereitzustellen. Beim Bund schafft werden; andererseits werden steuerpolitische wird dieses Programm vollständig im Haushalt ge- Maßnahmen eingesetzt, um eine Vielzahl verschie- genfinanziert. Die regionale Verteilung der zusätzli- dener wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Ziele chen außerbetrieblichen Ausbildungsplätze soll sich zu erreichen. Die vornehmste Aufgabe der Steuerpo- grundsätzlich an dem Bedarf der Länder orientie- litik muß es aber sein, den unbestreitbaren Finanzie- ren. Ausbildungsplätze für Dienstleistungs- und rungsbedarf des Staates mit der Leistungsbereit- kaufmännische Berufe, für die ein hoher Bedarf be- schaft des einzelnen und der Leistungskraft unserer steht, sowie die Ausbildung junger Frauen, die Volkswirtschaft zu verbinden. Das bedeutet heute: Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4101

Bundesminister Dr. Theodor Waigel Die Senkung der zu hohen Steuer- und Abgabenlast Die Steuerfreistellung des Existenzminimums ent- muß das oberste Ziel unserer Steuerpolitik sein. lastet die Steuerpflichtigen um rund 15,5 Milliarden DM. Dies haben wir durch eine Anhebung des (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Grundfreibetrages ab 1996 auf rund 12 100 DM er- Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Da müßte auch reicht. Frau Kollegin Matthäus-Maier, wir sind uns die SPD klatschen!) heute also einig: Ein Betrag von 12 100 DM in 1996 Mit dem Jahressteuergesetz 1996 haben wir be- ist verfassungskonform. reits einen wichtigen Schritt in diese Richtung getan. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sicher!) Die Steuerlast von Bürgern und Unternehmen wird deutlich gesenkt. Nach harten Auseinandersetzun- -Ja? gen im Vermittlungsausschuß ist jetzt der Weg für (Heiterkeit bei der CDU/CSU) das Entlastungspaket frei. Noch in diesem Monat wird in diesem Haus über das Vermittlungsergebnis Ich bin Ihnen dafür dankbar. Ich hoffe, daß auch Herr abgestimmt. Mit einer Nettoentlastung von rund Poß dieser Meinung ist. 19 Milliarden DM werden vor allem die Steuerpflich- tigen mit kleinen und mittleren Einkommen und die (Joachim Poß [SPD]: Was?) Familien bessergestellt. - Entschuldigung, Herr Poß. Sie sitzen zwar nicht in der ersten Reihe - wie das in der Werbung einer (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr richtig!) Fernsehanstalt versprochen wird -, aber auch in der Dies bedeutet auch einen Rückgang der Steuerquote zweiten kann man mich gut verstehen. Ich habe ge- um rund einen Prozentpunkt. Die voraussichtliche sagt: Wir sind uns hoffentlich darüber einig, daß Steuerquote wird 1996 aber immer noch auf rund ein steuerfreies Existenzminimum von 12 100 DM in 24 % geschätzt. Dies ist weiterhin eindeutig zu hoch, 1996 verfassungsfest ist. doch wir gehen entschlossen in die richtige Rich- (Joachim Poß [SPD]: In 1996?) tung. - Sie nicken etwas ungläubig. Insofern geben Sie zu, Der nächste Entlastungsschritt muß am Solidari- daß Sie schon andere Thesen vertreten haben. Aber tätszuschlag ansetzen. Nur, wir sollten hier keine trotzdem, wir bleiben dabei. Ich bin froh, daß wir uns überflüssige Diskussion anzetteln. auf dieses Niveau einigen konnten, auch im Inter- esse der Länder. (Lachen bei der SPD) Dieser Grundfreibetrag wird für 1997 und 1998 auf - Ich habe bewußt auf Sie gesehen. rund 12 400 DM - auch das ist nach unserer überein- (Lachen bei der CDU/CSU) stimmenden Meinung noch verfassungsfest - und ab 1999 auf rund 13 100 DM ansteigen. Auf diese Weise Hier herrscht die Freiheit des Blickfeldes; sie nehme werden klare, finanzpolitisch tragbare Anpassungen ich in Anspruch. im voraus verläßlich festgesetzt. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/ Der Eingangssteuersatz bleibt, wie im Tarifentwurf CSU) der Koalition vorgesehen, bei 25,9 %. Auch die Tarif- struktur hat sich im Vermittlungsverfahren nicht ge- Wenn wir unsere Konsolidierungslinie im Finanz- ändert. Schlechterstellungen werden vermieden. plan einhalten, halte ich 1998 - vielleicht auch schon Grundsätzlich streben wir den Idealverlauf eines 1997 - einen Abbau - nicht die Abschaffung - beim durchgehend linear-progressiven Tarifs sowie die Solidaritätszuschlag für möglich. Dies hängt aber da- Vereinheitlichung der Höchststeuersätze bei der Ein- von ab, wie sich das Steueraufkommen in den neuen kommensteuer auf niedrigerem Niveau als mittel- Bundesländern entwickelt, wie sich daraus der hori- und langfristiges Ziel an. zontale Finanzausgleich gestaltet und in welcher Höhe die notwendigen Umsatzsteuerpunkte an den Durch die Weiterentwicklung des Familienlei- Bund - und von ihm wiederum voll an den Bürger - stungsausgleichs wird die finanzielle Ausstattung zurückgegeben werden können. Darauf haben wir der Familien um gut 7 Milliarden DM verbessert. uns verständigt. Meine Damen und Herren, wir haben vor den Wah- len gesagt, daß wir hier etwas tun wollen. Niemand (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge hat sich vor einem Jahr vorstellen können, daß wir in ordneten der F.D.P.) einem Etat, der um fast 6 Milliarden DM abnimmt, mehr als 7 Milliarden DM zusätzlich für die Familien - Wir wollen jeden Spielraum dazu nutzen. Sicher ist: ausgeben. Das ist ein großer familienpolitischer Der Solidaritätszuschlag darf keine Steuer auf Dauer Schritt, auf den wir gemeinsam stolz sein können. sein; er ist ein Zuschlag auf Zeit. Er muß begrenzt, so schnell wie möglich reduziert und im Endeffekt wie- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) der abgeschafft werden, Die bewährten Elemente des dualen Systems mit (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Kindergeld und Kinderfreibetrag bleiben erhalten. ten der CDU/CSU) Der Kinderfreibetrag wird von derzeit 4 100 DM in 1996 auf die volle Höhe des Existenzminimums eines obwohl heute niemand das Datum für die Abschaf- Kindes von rund 6 300 DM angehoben und steigt ab fung verläßlich prognostizieren kann. 1997 auf rund 6 900 DM. Das Kindergeld für erste 4102 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 Bundesminister Dr. Theodor Waigel und zweite Kinder beträgt 1996 200 DM pro Monat Die Investitionsförderungen in den neuen Län- und steigt ab 1997 auf 220 DM pro Monat. Ab 1996 dern führen wir in gestraffter und konzentrierter beträgt das Kindergeld 300 DM pro Monat für das Form fort. Durch die gezielte Gewährung von Investi- dritte Kind und 350 DM pro Monat für das vierte und tionszulagen und Sonderabschreibungen für die Pro- jedes weitere Kind. Ich will das einmal an einem Bei- blembereiche wollen wir den Aufbau in den neuen spiel verdeutlichen: Eine Fami lie mit zwei Kindern Ländern stabilisieren und verstetigen. und einem durchschnittlichen Monatseinkommen hat dann fast 2 800 DM im Jahr mehr auf dem Konto. Darüber hinaus werden gezielt Maßnahmen wirk- Und 1997 kommen noch einmal etwa 500 DM hinzu. sam, die Risikokapital für den Mittelstand in den Das ist eine Leistung, die sich sehen lassen kann. neuen Ländern mobilisieren und dessen Eigenkapi- talausstattung deutlich stärken werden. Die Eigen- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so kapitalausstattung ist oft die entscheidende Hürde - wie der Abg. Ingrid Matthäus-Maier [SPD]) gerade für die jungen innovativen Unternehmen. Dies hat die Kreditanstalt für Wiederaufbau erst Kinderfreibetrag und Kindergeld werden so mit- kürzlich bestätigt. einander verbunden, daß einerseits Entlastungs- sprünge bei unterschiedlichen Einkommen der El- Meine Damen und Herren, die Koalition wollte tern entfallen und andererseits steuersystematische beim Jahressteuergesetz eine reine Nettoentla- und sozialpolitische Erfordernisse bestmöglich mit- stung; eine Gegenfinanzierung wollten wir nicht. einander vereint werden. Die Auszahlung des Kin- Im Zuge des Kompromisses im Vermittlungsverfah- dergeldes erfolgt grundsätzlich durch den Arbeitge- ren haben wir einige Gegenfinanzierungsvor- ber. Damit werden die Erleichterungen unmittelbar schläge der Mehrheit der SPD-regierten Länder in wirksam. Höhe von über 4 Milliarden DM akzeptiert. Damit Auch das mit der Reform des Familienleistungsaus- müssen alle leben, obwohl es von der einen oder gleichs verbundene Problem der Lastenverteilung anderen Seite Kritik an einzelnen Punkten gibt. zwischen Bund und Ländern mußte gelöst werden. Diese Kritik darf den eigentlichen Erfolg, den wir Bisher wurden die mit dem Familienleistungsaus- mit dem Jahressteuergesetz 1996 erreicht haben, gleich verbundenen Lasten zwischen Bund und Län- aber nicht überschatten. Das Jahressteuergesetz dern in einem Verhältnis von 74 % : 26 % aufgeteilt. 1996 ist ein wichtiger Schritt zur Entlastung von Dieses Verhältnis soll auch nach der Einführung des Bürgern und Unternehmen. neuen Modells beibehalten werden. Der Bund wollte Im Herbst steht die dritte Stufe der Unternehmen- von Beginn an nichts daran verdienen. steuerreform an. So ganz allmählich lichtet sich auch Um die Verbesserungen für die Familien zu ermög- bei der SPD der Nebel. Es scheint so, als ob sich die Vernunft auch in ihren Reihen durchsetzt. lichen, haben wir im Vermittlungsausschuß einer Grundgesetzänderung zugestimmt. Noch heute wird sich der Deutsche Bundestag mit der Grundgesetz- (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: An einzelnen änderung und der dazugehörigen Änderung des Fi- Stellen!) nanzausgleichsgesetzes in erster Lesung befassen. Als Wegbereiter möchte ich hier noch einmal den Danach erhalten die Länder in den Jahren 1996 und Herrn Kollegen Professor Jens hervorheben. Im Juli 1997 zusätzlich jeweils 5,5 % des Umsatzsteuerauf- dieses Jahres haben Sie sich öffentlich für die Ab- kommens. Ich fordere die Länder auf, ihre Zusage schaffung der Gewerbekapitalsteuer eingesetzt. In- aus dem Vermittlungsverfahren einzuhalten und die zwischen hat hoffentlich auch der letzte erkannt, wie Steuerausfälle bei den Gemeinden fair und voll aus wettbewerbsfeindlich und arbeitsplatzgefährdend dieser Summe auszugleichen. die Gewerbekapitalsteuer ist. Sogar investiertes Ka- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so pital und Kredite zur Finanzierung von Arbeitsplät- wie bei Abgeordneten der SPD und des zen werden auf diese Weise steuerlich belastet. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mittlerweile haben sich aber auch noch andere Ich verhehle nicht, daß es mir und der Regierung, Mitglieder der SPD in dieser Richtung bewegt, z. B. der Koalition lieber gewesen wäre, wenn wir den die Ministerpräsidentin Schleswig-Holsteins. Auch Kommunen unmittelbar 1 % Einkommensteueranteil der Kollege Struck hat mittlerweile offiziell für die gegeben hätten. Dies war, wie jeder weiß, im Ver- Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer plädiert und mittlungsverfahren nicht durchsetzbar. Ich hätte die- eine entsprechende Willenserklärung der SPD-Bun- sen Weg lieber gewählt. destagsfraktion und der SPD-regierten Länder ange- kündigt. Der Fraktionsvorsitzende Scharping hat- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - diese steuerpolitische Wende in Richtung Vernunft Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Wir auch!) für die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion inzwi- schen sogar schon schriftlich fixiert. Ich hoffe, daß ein fairer Ausgleich erfolgt - so wie auch wir mit den Ländern fair umgegangen sind. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Mitte 1997 wird es erneut Verhandlungen über die und der F.D.P.) Höhe der Prozentpunkte des Ausgleichs geben. Dann werden auch Gespräche über weitere Verbes- Gestern habe ich gelesen, Herr Poß, daß Sie wieder serungen beim Familienleistungsausgleich geführt dahinter zurückgefallen sind. Geben Sie acht, sonst werden. werden Sie auch hier noch von über- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4103

Bundesminister Dr. Theodor Waigel holt, so wie es in der Verteidigungs- und Sicherheits- Ich erinnere an die umfangreichen Maßnahmen zur politik offensichtlich schon erfolgt ist. Förderung umweltfreundlicher Kraftstoffe und die umweltschonenderen Kraftfahrzeuge im Verkehrs- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU bereich. Auch der seit 1992 ermäßigte Mineralölsteu- und der F.D.P.) ersatz für die Energiegewinnung aus der Kraft- Wärme-Kopplung gehört dazu. Als viele andere noch Der Kollege Struck hatte neulich recht, als er im mit großartigen Worten Unmög liches beschworen, Fernsehen öffentlich bekannte, es sei ein Fehler ge- haben wir längst sinnvoll und wirksam gehandelt. wesen, den Bundesrat für die SPD-Politik zu instru- Die Erfolge sprechen für uns: mentalisieren. Wenn sich diese Erkenntnis durchset- zen sollte, dann sehe ich einen goldenen Oktober (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ heraufziehen. Wenn das wirk lich die Kehrtwende zur DIE GRÜNEN]: Das liest er ganz schnell!) Vernunft ist, dann können wir die Reform der Gewer- besteuer in Verbindung mit der Gemeindefinanzre- Heutzutage wird bereits zu 94 % unverbleites Benzin form in diesem Herbst zügig verwirklichen. Es ist mir getankt, und 70 % aller PKW in Deutschland fahren auch egal, welcher aus dem Zügel gelaufene Troika- schadstoffreduziert. ner dann das Plädoyer für die Vernunft hält. Im Mit- Auch im Jahressteuergesetz 1996 haben wir einen telpunkt muß aber die Abschaffung der Gewerbeka- weiteren Schritt in Richtung Umweltschutz getan. pitalsteuer bleiben. Die Gewerbesteuerausfälle der Der Mineralölsteuersatz auf Erdgas und Flüssiggas Gemeinden werden wir durch eine entsprechende für alle Fahrzeuge im öffentlichen Verkehr wird um Beteiligung an der Umsatzsteuer voll und ganz aus- 60 % gesenkt. Auf diesem Weg wollen wir fortschrei- gleichen. ten, wenn wir im Herbst dieses Jahres zu Gesprä- chen zusammenkommen. Auch bei manchen zunächst kritischen Gemeinden hat inzwischen ein Stimmungsumschwung einge- Pragmatische, zielgenaue, ökologische Ergänzun- setzt. Sie haben die Vorteile der Umsatzsteuerbeteili- gen des Steuersystems sind ideologischen Träume- gung im Vergleich zur Gewerbesteuer erkannt. Ihre reien von umfassenden ökologischen Steuerreformen Finanzierungsbasis wird sich künftig dynamischer eindeutig überlegen. und zugleich verläßlicher entwickeln. Dieser quanti- tative und qualitative Quantensprung bei der Finanz- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ausstattung, diese für eine Gemeindefinanzreform Meine Damen und Herren, das hat auch der Sachver- historische Chance darf nicht ungenützt vorüber- ständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirt- gehen. schaftlichen Entwicklung in seinem letzten Jahres- gutachten deutlich hervorgehoben. Bei Radikalum- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) stellungen in zwei- bis dreistelliger Milliardenhöhe Wir werden auch über eine Weiterentwicklung der ergeben sich erhebliche Unsicherheiten für die Plan- ökologischen Elemente im Steuersystem sprechen, barkeit des Steueraufkommens. Die Finanzierung aber sicher nicht über überzogene Pläne aus dem der öffentlichen Haushalte würde für längere Zeit Gruselkabinett von Weltverbesserern, die Deutsch- unkalkulierbar. Darüber hinaus wären weitere Kom- lands Wirtschaft ruinieren werden. plizierungen des Steuerrechts unvermeidbar; eine überproportionale Belastung der Haushalte mit klei- (Zuruf des Abg. Joseph Fischer [Frankfu rt] nen und mittleren Einkommen wäre vorprogram- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) miert. Wer das riskieren will, der soll das klar sagen und dem Bürger Rede und Antwort stehen, wenn - Ich meine Sie damit, Herr Fischer, ganz klar. - dann gefragt wird, warum sich nur noch Reiche das Autofahren leisten können. (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das habe ich doch gleich (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge gewußt!) ordneten der F.D.P.) Deutschland muß ein Industriestaat bleiben, dessen Auch prominente Steuerrechtler wie der Verfas- sungsrechtler Professor Kirchhof warnen davor, das moderne Technologien auch der Ökologie nutzen. Steuersystem mit Lenkungsaufgaben zu überfrach- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - ten; sonst entfernen wir uns von einem klaren, einfa- Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ chen und übersichtlichen Steuersystem. DIE GRÜNEN]: Jetzt müssen Sie etwas zum (Lachen bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ Kruzifix-Urteil sagen!) DIE GRÜNEN und der PDS - Joseph Fi - scher [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Wir fangen hier nicht bei Nu ll an. Seit der Über- nahme der Regierungsverantwortung hat die Koali- NEN]: Das haben wir: klar und einfach!) tion deutliche und wirksame umweltpolitische Ak- - Das ist, Herr Fischer, im Vergleich zu dem, was Sie zente gerade auch im Steuersystem gesetzt. anstreben, auf jeden Fa ll noch klar und übersichtlich. Und ich frage Sie, warum Sie die Steuervereinfa- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ chung, die wir mit dem Jahressteuergesetz zusätzlich DIE GRÜNEN]: Beim „Gruselkabinett" erreichen wollten, nicht stärker unterstützt haben. müssen Sie etwas zum Bundesverfassungs gericht sagen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 4104 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 Bundesminister Dr. Theodor Waigel Wir müssen realistisch bleiben. Die Weiterentwick- tumsförderung haben wir deshalb diese Elemente lung ökologischer Elemente im Steuersystem muß vorgesehen. Was ganz besonders wichtig ist: Das so- sich eindeutig an ökologischen Lenkungszielen genannte Baukindergeld wird als Kinderzulage um orientieren und aufkommensneutral sein. Sie muß 50 % auf 1 500 DM jährlich angehoben. zudem in den notwendigen Konsolidierungsrahmen für die öffentlichen Haushalte hineinpassen und darf (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland Diese neue Wohneigentumsförderung ist bere- nicht schaden. Die Steuerquote darf nicht steigen oder auf dem hohen Niveau von heute verharren. chenbarer, sie konzentriert sich stärker als bisher auf die kleinen und mittleren Einkommen und vorrangig Wir halten an der Absicht fest, die Kfz-Steuer emis- auf Familien mit Kindern. Parallel dazu werden die sionsorientiert umzustellen. Die Umlegung auf die Einkommensgrenzen für Bausparprämien von 27 000 DM für Ledige und 54 000 DM für Verheiratete künf- Mineralölsteuer schafft folgende Probleme: Der öf- fentliche Personennahverkehr würde belastet, die tig auf 50 000 DM und 100 000 DM nahezu verdop- Kosten für den ruhenden Verkehr würden nicht er- pelt. Auch die geförderten Höchstbeträge der Bau- faßt, Arbeitnehmer in strukturschwachen Regionen sparleistungen werden von 800 DM für Ledige und mit langen Fahrtstrecken zur Arbeitsstelle würden 1 600 DM für Verheiratete auf 1 000 DM und 2 000 belastet. Wir wollen eine Kfz-Steuer, die der Indu- DM aufgestockt. strie Anreize zur Weiterentwicklung umweltschonen- Meine Damen und Herren, wenn wir weltweit im der Kraftfahrzeuge gibt und die Autofahrer zum Kauf ökonomischen Bereich mehr Ersparnisbildung, vor entsprechender schadstoffarmer Fahrzeuge moti- allen Dingen von anderen Ländern, verlangen, um viert. den wachsenden Kapitalbedarf, die wachsende Ka- pitalnachfrage auf der Welt - in den Entwicklungs- Die Europäische Union muß ihre umweltpoliti- ländern, in den Ländern Mittel- und Osteuropas, schen Initiativen verstärken. Wir werden auf eine aber auch in den Industrieländern - zu decken, weitere Harmonisierung der Energiebesteuerung dann sind solche Maßnahmen notwendig, die der unter Berücksichtigung von Klima- und Umwelt- stärkeren Ersparnisbildung dienen, obwohl wir hier schutzaspekten drängen. Zur Diskussion steht dabei neben Japan in der Welt an der Spitze stehen. sowohl eine Anhebung der Mindeststeuersätze in Auch dies ist der richtige Weg für eine vernünftige Verbindung mit einer Erweiterung der Bemessungs- ökonomische Gestaltung der nationalen und inter- grundlage bei der Mineralölsteuer als auch eine EU nationalen Politik. weite und aufkommensneutrale CO2-/Energiesteuer. Es ist aber unsinnig, Arbeitsplätze am Wirtschafts- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge standort Deutschland durch hohe Umweltstandards ordneten der F.D.P.) und Umweltsteuern zu vernichten, wenn diese dann hinter der Grenze in Ländern mit deutlich niedrige- Meine Damen und Herren, die jüngsten Entschei- ren Umweltstandards neu entstehen. Das wollen wir dungen des Bundesverfassungsgerichts zur Vermö- nicht! gensteuer und zur Erbschaftsteuer werden wir ge- nau auswerten, und dann werden wir möglichst (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) rasch einen Lösungsvorschlag machen.

Ein weiteres aktuelles Vorhaben der Steuerpolitik (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ ist die Neuregelung der steuerrechtlichen Wohn- DIE GRÜNEN]: Wie beim Kruzifix-Urteil!) eigentumsförderung. Die Wohneigentumsförderung ist unverzichtbar für eine nachhaltige Entlastung des - Das sind zwei verschiedene Dinge, Herr Fischer. rivaten Al- Wohnungsmarktes, für die Stärkung der p (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ tersvorsorge und für die Vermögensbildung in brei- DIE GRÜNEN]: Sie sollten sich dazu einmal ten Bevölkerungsschichten. Mit einer Wohneigen- äußern!) tumsquote von knapp 40 % liegen wir im internatio- nalen Vergleich noch relativ weit hinten. Hier müs- Es zeigt Ihr primitives Denken, wenn Sie die Steuer- sen wir aufholen. Dies wollen wir durch eine einfa- politik und die Entscheidung zu den Kreuzen in che und zielgenaue Konzeption bei der Wohneigen- bayerischen Schulen miteinander vergleichen. tumsförderung erreichen. Wohneigentum ist mehr als nur ein ökonomischer Faktor. Die eigenen vier (Beifall bei der CDU/CSU - Joseph Fischer Wände bedeuten für den Menschen zusätzlichen Ge- [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: staltungsspielraum für sein persönliches Lebensum- Sie sollten dazu im Bundestag einmal etwas - feld. sagen!)

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Bei der Reform der einheitswertabhängigen Steu- DIE GRÜNEN]: Aber nur, wenn vorher ein ern gilt weiterhin, was ich bereits im Vorfeld dieser Bauantrag gestellt wird!) Entscheidungen betont habe: Die öffentliche Hand darf an jedweder Neuregelung nichts verdienen. Das Eigenheim garantiert Unabhängigkeit, Sicher- Darüber hinaus muß eine Neuregelung sozial ver- heit und Selbstbestimmung. In dem Beschluß des Ka- träglich ausgestaltet sein. Das Bundesverfassungsge- binetts vom 8. August dieses Jahres über den Ent- richt gibt deutliche Anhaltspunkte, vor welchen wurf zur Neuregelung der steuerlichen Wohneigen Grenzen der steuerliche Zugriff haltmachen muß. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4105 Bundesminister Dr. Theodor Waigel Dies kann ich nur als eine klare Absage an a ll dieje- mit dem Jäger 90 kommen. Wo ist denn Ihr Konzept nigen werten, die bisher über eine Erhöhung von für eine moderne Finanzpolitik, Ihre wirkliche Alter- Vermögen- und Erbschaftsteuern nachgedacht ha- native? Der plakative Werbegag „Troika" hat ja wohl ben. ausgedient. Wie heißt es im „Brockhaus"? „Troika", das seien drei struppige Pferde, die einen Wagen zie- (Zuruf von der F.D.P.: Sehr wahr!) hen. Die struppigen Pferde sind keine Pferdchen Mir wäre es am liebsten, das Urteil zum Anlaß zu mehr, und der Wagen ist kein Wagen mehr, denn so- nehmen, die Vermögensteuer ganz abzuschaffen. gar die Räder fehlen. Ihre Finanzpolitik ist konzepti- ons-, richtungs- und führungslos. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Nur, wir können hier nicht über die Situation der Länder, um deren Steuern es geht, hinwegreden. Wir Was waren das für Zeiten, als die SPD nach dem Go- müssen die Konsequenz der Entscheidung mit den desberger Programm mit Ministern wie Alex Möller Ländern besprechen. Das Länderinteresse ist hier na- und versuchte, moderne Finanzpolitik türlich besonders groß. Es geht nicht nur um das zu gestalten! Steueraufkommen der Länder, sondern auch um das der Gemeinden. (Widerspruch bei der SPD) Von besonderer Bedeutung sind auch die prakti- - Ich habe an der Stelle eigentlich gedacht, daß Sie schen Umsetzungsmöglichkeiten von Neuregelun- auf diese Männer stolz sind; denn immerhin sind Sie gen durch die Finanzverwaltungen der Länder. Eine mit denen zur Macht gekommen. Sie werden nie zur völlige Neubewertung des Grundbesitzes würde bei- Macht kommen. Das ist sicher. spielsweise bis zu 5 000 zusätzliche Finanzbeamte (Beifall bei der CDU/CSU - Joseph Fischer über viele Jahre hinweg beschäftigen. Dies zeigt: Je- [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: der Schritt auf diesem schwierigen steuerpolitischen Diese Aussage bringt uns aber in große Pro Terrain muß wohldurchdacht sein. bleme!) Wer jetzt aber die Mieter mit einem Anstieg der Mieten durch eine erhöhte Grundsteuer der Gemein- - Sie schon ohnehin nicht. Dafür werden wir wirklich den verschreckt, handelt verantwortungslos. kräftig kämpfen. - Die wichtigen Zukunftsfelder ha- ben Sie jedenfalls nicht mit überzeugendem Sachver- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) stand besetzt. Die Grundsteuer wird durch die Entscheidung des Sparen, weniger Neuverschuldung, sinkende Bundesverfassungsgerichts nicht betroffen. Unser Steuer- und Abgabenlast - das ist der richtige Weg Ziel ist es, im Endeffekt eine höhere Steuerbelastung zu mehr Wachstum und zu neuen Arbeitsplätzen. zu vermeiden. Das Umdenken muß weitergehen. Mit den Dauer- (Beifall bei der CDU/CSU Lind der F.D.P.) subventionen für alte Branchen, mit automatischen Verbesserungen oder neuen Sozialleistungen kann Meine Damen und Herren, das Bundesverfas- es nicht endlos weitergehen. sungsgericht bestätigt in seinen Entscheidungen auch die Richtung, in die wir mit dem Jahressteuer- Diese Koalition bekennt sich zu einer regelmäßi- gesetz 1996 bereits gegangen sind. Mit der Genera- gen Neubestimmung von Prioritäten im Bundeshaus- tionenbrücke haben wir wesentliche Erleichterungen halt, zu einer klaren und eindeutigen Wachstumspo- für den Übergang von Betrieben auf die nachfol- litik, zum Festhalten am stabilitätsorientierten Konso- gende Unternehmergeneration im Bereich der Erb- lidierungskurs. Der enge Finanzrahmen bis 1999 schaft- und Schenkungsteuer bereits jetzt geschaf- läßt keinen Spielraum für eine Haushaltspolitik, die fen. Das Bundesverfassungsgericht hat die beson- neue Probleme durch neue Ausgaben lösen wi ll. Wir dere Gemeinwohlverpflichtung der Bet riebe betont müssen klar entscheiden, was vorrangig und was und gefordert: Die Fortführung eines Bet riebes darf nachrangig ist. Dazu brauchen wir ein erhebliches durch die Erbschaftsteuer nicht gefährdet werden. Maß an Kreativität, Einsicht, Flexibilität, Reformwil- len und Kompromißbereitschaft, um das Notwendige (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: innerhalb des verfügbaren Rahmens zu finanzieren. Sehr richtig!) Dabei sollten wir sachlich, ohne Polemik und ziel- orientiert zusammenarbeiten. Wir wollen in den nächsten Jahren unsere langfri- stig angelegte wachstumsorientierte Konsolidie- (Lachen bei Abgeordneten der SPD und des rungs- und Steuerpolitik fortsetzen. Was setzt die BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) - SPD dagegen? - Dies war eine ausgesprochen sachliche Rede mit (Uta Titze-Stecher [SPD]: Das lassen Sie uns ganz wenigen Spitzen, die ich aber gerne ausgeteilt einmal sagen!) habe. Fehlprognosen, Polemik, Forderungen nach zusätzli- (Lachen bei der SPD) chen Ausgaben ohne Deckung. Betrachtet man ein- mal die Haushaltsreden von Frau Matthäus-Maier in Die Bürger honorieren unsere Finanzpolitik. Sie den letzten vier Jahren, findet man kaum etwas an- wissen, was wir mit der ökonomischen und finan- deres. Wo sind denn Ihre Sparvorschläge? Es kann ziellen Bewältigung der Einheit auf uns genommen doch wohl nicht wahr sein, daß Sie heute nochmals und in kürzester Zeit geleistet haben. Dafür haben 4106 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 Bundesminister Dr. Theodor Waigel sie auch schwierige finanzpolitische Entscheidungen Hier rächt sich, daß die Bundesregierung mit ihrer mitgetragen. Der Bürger weiß sehr wohl: Nur was maßlosen Schuldenpolitik den politischen Hand- durch ehrliche Arbeit verdient wird, kann hinterher lungsspielraum zu Lasten unseres Gemeinwesens auch verteilt werden. eingeengt hat. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD) DIE GRÜNEN]: Das sagen Sie einmal der CSU in München!) Drittes Merkmal: Der Bundesfinanzminister sagt, er spare an allen Ecken und Enden. Das ist nun wirk- Auch die Politik muß ehrlich arbeiten. Die noch be- lich unzutreffend. Diese Bundesregierung kürzt zwar stehenden Probleme müssen beim Namen genannt, die Mittel für die Schaffung neuer Arbeitsplätze, für Lösungswege aufgezeigt werden. Der Bürger wi ll Investitionen und für den Umweltschutz; gleichzeitig wissen, wohin die Reise geht. Er verlangt innovative erhöht sie aber die Mittel für den Verteidigungshaus- Lösungen, keine unausgegorenen Experimente. Zur halt und die Kernenergie. Wer so handelt, der setzt stabilitätsorientierten wachstumsfördernden Politik die Schwerpunkte falsch, der schwächt den Wi rt gibt es keine vernünftige Alte rnative. Andere Re- -schaftsstandort Deutschland und gefährdet die Zu- zepte sind noch jedesmal gescheitert, in Deutschland kunft unserer Kinder, meine Damen und Herren. zuletzt in den 70er Jahren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Die Opposition kann gar nichts Besseres tun, als ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN diesen Kurs mitzutragen. Moderne Finanzpolitik, und der PDS) made in , ist ein international anerkanntes Gütezeichen, das wir auch in Zukunft pflegen wol- Zum ersten Punkt, In Ihrem Haushaltsentwurf len. rechnen Sie sich reich und klammern offensichtlich bestehende Risiken aus: Ich danke Ihnen. Es war mir ein Vergnügen. Erstens. Die angebliche Einsparung bei der Ar- (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ beitslosenhilfe in Höhe von 3,4 Milliarden DM steht CSU und der F.D.P. - Detlev von Larcher doch nur auf dem Papier; denn es handelt sich nicht [SPD]: Was sind die anspruchslos! - Weite um Sparen, sondern um einen Verschiebebahnhof in rer Zuruf von der SPD: Eine bescheidene Richtung Sozialhilfe zu Lasten der Gemeinden. Partei!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste spricht ten der PDS und des Abg. Joseph Fischer die Kollegin Ingrid Matthäus-Maier. [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Deswegen bekommen Sie dafür keine Mehrheit. Das Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Frau Präsidentin! gleiche haben Sie doch schon einmal, vor einem Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Haus- Jahr, versucht. Damals hat Graf Lambsdorff zu Recht haltsentwurf 1996 dieser Bundesregierung ist vor al- gesagt: Da könnte man gleich einen Lottogewinn in lem durch drei Merkmale gekennzeichnet: den Haushalt einstellen. - So ist es auch in diesem Jahr: Luftbuchungen bringen leider kein Geld. Erstens. Die Ausgaben sollen gegenüber dem Vor- jahr sinken. Diese Absicht ist angesichts einer explo- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Joseph dierenden Staatsverschuldung und einer nie dage- Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ wesenen Steuer- und Abgabenbelastung der Bürger NEN] und des Abg. Wolfgang Bierstedt zu begrüßen. Ich würde Ihnen auch gratulieren, Herr [PDS]) Waigel, wenn es denn tatsächlich so wäre. Aber die Absicht, die Ausgaben in diesem Haushalt mögen Zweitens. Da die Arbeitslosigkeit leider viel weni- sinken, steht doch nur auf dem Papier, Denn bei ei- ger zurückgeht als erhofft, droht bei der Bundesan- ner ordnungsgemäßen Berücksichtigung der Finan- stalt für Arbeit ein Deckungsloch von drei bis fünf zierungsumstellung des Schienenpersonennahver- Milliarden DM, für die der Bund nach dem Gesetz kehrs liegt tatsächlich ein leichter Anstieg vor. Viel einzustehen hat. Sich hier mit geschönten Arbeitslo- entscheidender ist aber, daß ungelöste Probleme und senzahlen reichzurechnen hilft weder den Arbeitslo- drohende Risiken, die zu Mehrausgaben führen, ein- sen noch dem Bundeshaushalt. fach nicht benannt werden. Das kann man nicht als (Beifall bei Abgeordneten der SPD) solide Haushaltspolitik bezeichnen. Drittens. Sie haben seit 1990 das nicht- (Beifall bei der SPD) Wohngeld erhöht, obwohl Sie ununterbrochen das Gegenteil Zweites Merkmal: Der Haushalt steckt mehr denn versprochen haben. Glauben Sie denn ernsthaft, daß je in einer Zinsfalle. Der Bund muß mit 95 Milliarden Sie angesichts dieser Versprechungen ohne Erhö- DM Zinszahlungen jede vierte Steuermark nur für hung des Wohngeldes über das Jahr 1996 kommen? Zinsen ausgeben. Viertens. Beim Asylkompromiß haben Sie zugesagt (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: 30 Mil - ich habe das gut in Erinnerung -, daß sich der. Bund liarden DM stammen von Ihnen! - Weiterer an den Kosten der Bürgerkriegsflüchtlinge beteiligt Zuruf von der CDU/CSU: Sie sollten einmal und die Finanzierung nicht nur - was ungerecht ist - Ihre Länder fragen!) Ländern und Gemeinden überläßt. Wollen Sie 1996 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4107 Ingrid Matthäus-Maier Ihr Versprechen gegenüber Ländern und Gemein- nen an, dafür zu sorgen, daß in Zukunft nicht mehr den wieder nicht einlösen? solch geradezu üblen Angriffe aus den Reihen Ihrer Partei auf das Bundesverfassungsgericht erfolgen, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne nur weil Ihnen ein Urteilsspruch nicht paßt. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Fünftens. Das Problem der Altschulden der ost- GRÜNEN und der PDS) deutschen Städte und Gemeinden in Höhe von etwa 8 Milliarden DM, die noch zu DDR-Zeiten den Ge- Vor wenigen Wochen haben wir miterlebt, wie Kon- meinden für gemeinschaftliche Einrichtungen aufge- servative mit dem höchsten deutschen Ge richt umge- drückt wurden, kann man sicher nicht lösen, indem hen, wenn ihnen das Ergebnis nicht gefällt. Ich erin- man dem Bund alle diese Schulden zuschiebt. Da nere mich z. B. an die Entscheidung zum § 218 vor sind wir uns einig. Aber umgekehrt ist es völlig sinn- einigen Jahren und daran, wie Sie mit Frauen umge- los, daß der Bund auf stur schaltet und keinerlei sprungen sind, die das Urteil kritisiert haben. Kompromißbereitschaft zeigt. Diese Blockadehaltung (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ muß überwunden werden. Es ist doch klar, daß bei DIE GRÜNEN]: Memmingen!) einem notwendigen Kompromiß auch eine Bundes- beteiligung herauskommt. Dann sagen Sie das und Ich sage Ihnen: Wenn Frauen in der Vergangenheit schreiben Sie das in Ihren Haushalt! die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Abtreibungsparagraphen auch nur ansatzweise (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ulrike so maßlos kritisiert hätten wie Sie das Kruzifix-Urteil, Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)) hätten Sie sie überhaupt nicht mehr in den öffentli- chen Dienst hineingelassen. Ein Bundesfinanzminister, der alle diese milliar- denschweren Risiken kennt, aber im Bundeshaushalt (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE einfach nicht berücksichtigt - nach dem Motto: GRÜNEN und der PDS) nichts sehen, nichts hören, nichts sagen und erst recht nichts aufschreiben - und dann hier behauptet, Zwei Ihrer verfassungswidrigen Gesetze haben wir das Volumen des Haushaltes sinke 1996, handelt gerade mit dem Jahressteuergesetz 1996 korrigiert: wirklich unseriös, wie wir alle sehen. das steuerfreie Existenzminimum und den Familien- lastenausgleich. Was wir im Sommer im Vermitt- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ul rike lungsausschuß vereinbart haben, ist ein klassischer Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Kompromiß. Keine Seite konnte ihre Ziele voll durch- setzen. Ich frage Sie, Herr Waigel: Wollen Sie es bei den Altschulden der ostdeutschen Gemeinden wirklich (Zuruf von der SPD: Der Waigel hört nicht wieder dem Verfassungsgericht überlassen, wie ent- zu! - Bundesminister Dr. Theodor Waigel: schieden wird? Das kann doch wohl nicht sein. In un- Entschuldigung!) serem Lande überläßt die Politik meiner Ansicht - Macht nichts. nach ohnehin schon genug Probleme den Gerichten, statt sie selber politisch zu lösen. ( [SPD]: Der redet gerade mit Herrn Solms, seinem Nachfolger!) Speziell dieser Bundesfinanzminister wird immer erst dann aktiv, wenn das Bundesverfassungsgericht Ich freue mich darüber, Herr Waigel, daß Sie hier ihn dazu zwingt. Reicht es Ihnen nicht, daß Sie prak- mehrere Punkte lobend erwähnen: höheres Kinder- tisch in jedem Jahr Ihrer Amtszeit eine schwere geld und höheres steuerfreies Existenzminimum. Ich Schlappe vor dem Bundesverfassungsgericht hinneh- muß aber schmunzeln, wenn Sie gerade diese men mußten? Punkte besonders hervorheben. Denn das waren die- jenigen Punkte, die Sie in der Vergangenheit mit Ve- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne hemenz bekämpft haben. ten der PDS) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Verfassungswidrigkeit des steuerlichen Existenzmi- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN nimums, Verfassungswidrigkeit des Familienlasten- und der PDS - Hansgeorg Hauser [Rednitz ausgleichs, Verfassungswidrigkeit der Zinsbesteue- hembach] [CDU/CSU]: Sie haben doch ge- rung, Verfassungswidrigkeit der Besteuerung nach sagt, das ist verfassungswidrig!) Einheitswerten: Stört es Sie eigentlich nicht, daß aus Daß jeder Fachmann weiß, daß wir Sozialdemokra- diesem Grunde Jahr für Jahr Millionen von Steuer- ten uns in diesen Punkten durchgesetzt haben, bescheiden nur unter Vorbehalt erteilt werden? - (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Was? Wo ist Nein, Herr Bundesfinanzminister, wir fordern Sie der Fachmann?) auf: Lösen Sie die Probleme politisch und überlassen Sie sie nicht den Ge richten! sehen Sie daran, daß das „Handelsblatt" von der „Sozialdemokratisierung der Steuerpolitik der Koali- (Beifall bei der SPD) tion" spricht. Einen besseren Beweis gibt es gar nicht. Da wir schon beim Thema Bundesverfassungsge- richt sind - Sie haben das Kruzifix-Urteil erwähnt -, (Beifall bei der SPD - Widerspruch bei der spreche ich Sie als CSU-Vorsitzenden an. Ich rate Ih- CDU/CSU) 4108 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 Ingrid Matthäus-Maier Wir haben uns vor allen Dingen in drei Punkten Bis heute können wir nicht verstehen, daß die bloße durchgesetzt. Beispiel Nummer eins: Das steuerfreie Heirat für Spitzenverdiener Existenzminimum wird nicht, wie von Ihnen vorgese- hen, nur auf knapp über 12 000 DM erhöht, sondern (Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] in einer zeitlichen Stufenfolge auf 13 000 DM. [CDU/CSU]: Jetzt ist sie in der alten Leier!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) - das sind Leute oberhalb von 240 000 DM im Jahr - eine Steuerentlastung von 22 842 DM bringt, auch Daß dies erst 1999 geschieht, betrübt uns. Uns ist vor- wenn in der Ehe kein Kind vorhanden ist. hin natürlich aufgefallen, als Sie die Jahreszahlen nannten, daß Sie mit großem Geschick zwar die (Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] Jahre 1996, 1997 und 1999 genannt, aber 1998 ganz [CDU/CSU]: Jetzt kommt die alte Leier, elegant umschifft haben. Denn hier liegt das Pro- jetzt geht es wieder los! Carl-Ludwig blem. Wir konnten gegen Ihren erbitterten Wider- Thiele [F.D.P.]: Herr Schleußer versteht das!) stand leider nicht durchsetzen, daß auch 1998 eine Wir haben zu Recht auch immer die Kirchen ange- Anhebung erfolgt. führt, die sagen gleichzeitig würden Kinder in vielen (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Waren das Familien immer mehr ein Armutsrisiko. nicht die Länder?) Gegen diese wirklich maßvolle Reform des Split- Deshalb ist das, was wir vereinbart haben, zwar ein tings, die aus den Gesamtkosten des Splittings in Erfolg, bewegt sich aber am unteren Rand des recht- Höhe von 30 Milliarden DM 5 Milliarden DM also lich Zulässigen und politisch Wünschenswerten. Lei- wirklich maßvoll - zugunsten der Familien mit Kin- der haben Sie mit Ihrem erbitterten Widerstand et- dem umgeschichtet hätte, haben Sie sich mit Hän- was Zusätzliches verhindert, meine Damen und Her- den und Füßen gewehrt. Aber dann sagen Sie doch ren. bitte deutlich, daß Sie aus ideologischen Gründen an der Privilegierung der bloßen Ehe festhalten und daß (Beifall bei der SPD - Carl-Ludwig Thiele Sie aus ideologischen Gründen deswegen auch die [F.D.P.]: Wie war das mit Herrn Schleußer?) 250 DM nicht wollen. Die haben Sie verhindert. Zweitens: die Erhöhung des Kindergeldes. Sie (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Die Länder denken, die Leute sind über die Monate vergeßlich. waren das! Herr Schleußer war das doch!) Das ist leider so. Aber Ihr Vorschlag noch vom Fe- bruar war doch folgender: Beim Erstkindergeld, das Diese Verantwortung bleibt an Ihnen hängen, meine 70 DM betrug, wird überhaupt nichts daraufgelegt, Damen und Herren. beim Zweitkindergeld 20 DM. (Beifall bei der SPD) (Zuruf von der SPD: So war es!) Die Ergebnisse des Jahressteuergesetzes bedeuten Jetzt ist es uns Sozialdemokraten gelungen - darauf vor allem für untere und mittlere Einkommen eine bin ich stolz -, eine Anhebung des Kindergeldes vom deutliche Entlastung. Nur zwei Beispiele: 1996 wird ersten Kind an auf 200 DM, ab 1997 sogar auf 220 DM ein Verheirateter mit zwei Kindern und einem Brutto- durchzusetzen. jahreseinkommen von 60 000 DM um 2 340 DM ent- lastet. Das sind immerhin netto Monat für Monat (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Jetzt bitte rot 195 DM. Im Jahre 1997 wird er sogar insgesamt um werden! Jetzt müssen Sie rot werden!) 2 950 DM entlastet. Oder nehmen Sie eine Alleiner- ziehende mit einem Kind und einem Bruttojahresein- Das ist ein beachtlicher erster Schritt für die Familien kommen von 36 000 DM! Sie wird Monat für Monat mit Kindern. Aber wir werden nicht lockerlassen: Un- um immerhin 119 DM entlastet, im Jahr also um ins- ser Ziel bleiben die 250 DM, meine Damen und Her- gesamt 1 428 DM. Und für diese Steuerzahlerin steigt ren. die Entlastung 1997 auf 1 730 DM. (Beifall bei der SPD - Zurufe von der CDU/ Nachdem die Steuer- und Abgabenbelastung der CSU) Bürgerinnen und Bürger unter dieser Bundesregie- rung in einer Weise in die Höhe geschnellt ist, wie es Bei der Debatte um die 250 DM Kindergeld, die ja sie seit 45 Jahren in dieser Republik noch nicht gege- unser Ziel sind, ist mir eine besonders unfaire Me- ben hat, empfinden wir Sozialdemokraten große Ge- thode der Diskussion bei Ihnen aufgefallen. Es ist nugtuung darüber, daß wir Sie dazu gezwungen ha- nämlich anscheinend Mode geworden, jemandem, ben, meine Damen und Herren. - der einen Vorschlag einschließlich Finanzierung macht, wahrheitswidrig vorzuwerfen, das Ganze sei (Beifall bei der SPD - Hansgeorg Hauser nicht finanzierbar, nur weil man das Finanzierungs- [Rednitzhembach] [CDU/CSU]: Sie wollten instrument ablehnt. Was meine ich mit diesem etwas doch noch mehr Belastung!) komplizierten Satz? Wir haben 250 DM vorgeschla- gen, finanziert durch eine maßvolle Begrenzung des Im Vermittlungsausschuß ist auch ein notwendiger Ehegattensplittings. Einstieg in den steuerlichen Subventionsabbau ge- lungen. Aus unserer Sicht ist dabei ein besonderer (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Aber die Län Erfolg, daß wir diese Bundesregierung endlich dahin der doch nicht!) gebracht haben, mit uns zusammen die steuerliche Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4109 Ingrid Matthäus-Maier Absetzbarkeit von Schmiergeldern im Inland abzu- wenn man sich an die Subventionen gewöhnt hat. schaffen, Aber ich sage Ihnen: Die Bareis-Kommission hatte (Beifall bei der SPD) von uns Politikern noch sehr viel härtere Maßnah- men erwartet und kritisiert uns für unseren mangeln- ein erster Schritt zwar nur, aber eben ein Schritt in den Mut. Insofern ist das Beschlossene schmerzhaft, die richtige Richtung! Wie lange hat es gedauert, wie aber unvermeidlich, um die Staatsschulden nicht oft habe ich hier im Deutschen Bundestag dafür ge- noch weiter in die Höhe zu treiben. sprochen, das abzuschaffen, und habe von Ihnen Spott und Häme geerntet! Beim Subventionsabbau hat übrigens die F.D.P. eine unrühmliche Bremserrolle gespielt. (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Nein!) (Beifall bei der SPD - Zurufe von der SPD: Dabei sah doch jeder, daß das Rechtsbewußtsein der Jawohl! - Wie immer!) Menschen untergraben wird, wenn das Bestechen von Beamten und das Schmieren von Geschäftsleu- Meine Damen und Herren, die Wochenzeitung „Die ten auch noch steuerlich honoriert wird, meine Da- Zeit" schreibt am 4. August 1995 nach Abschluß der men und Herren. Beratungen so treffend: (Beifall bei der SPD - Hansgeorg Hauser Dienern vor der Klientel - Alle Tiere sind gleich. [Rednitzhembach] [CDU/CSU]: Das ist doch Nur einige sind gleicher. Auf die Finanzpolitik eine falsche Darstellung!) übertragen: Alle Bürger müssen auf Subventio- nen verzichten. Nur die Klientel der F.D.P. muß Aus Anlaß dieses Punktes frage ich Sie einmal verschont werden. Damit ist auf die Dauer kein ganz ernsthaft: Warum lehnen Sie eigentlich immer Staat zu machen. wieder vernünftige Vorschläge nur deswegen ab, weil sie von der SPD kommen? Statt diese Vor- So schreibt „Die Zeit". schläge unvoreingenommen zu prüfen, rufen Sie im- mer erst einmal nein, um dann diese Vorschläge, (Beifall bei der SPD - Zuruf von der CDU/ zum Teil mit jahrelanger Verzögerung, teilweise oder CSU: Wahrscheinlich haben Sie ihnen das ganz zu übernehmen. Das war bei diesem Beispiel beigebracht!) der steuerlichen Absetzbarkeit von Schmiergeldern Ich sage Ihnen, meine Meine Damen und Herren von so. Das war beim einheitlichen Kindergeld so. Das ist der F.D.P.: Wenn Sie es in den nächsten Wochen und bei der Eigenheimzulage, die Sie gerade erwähnt ha- Monaten wagen sollten, hier im Deutschen Bundes- ben, so, also bei der Umstellung für die Eigenheim tag das Wort „Subventionsabbau" noch einmal in bauer, wo Sie in diesen Tagen unserem Mode ll weit- den Mund zu nehmen, dann wundern Sie sich nicht, gehend folgen. daß wir alle in herzhaftes Gelächter ausbrechen. Das war beim Schnellen Brüter so. Von Ihnen kam immer: nein, nein, nein - und heute ist der Schnelle (Beifall bei der SPD) Brüter doch dicht. Das war auch bei Wackersdorf so. Weiterer Subventionsabbau wäre auch nötig, um Als wir forderten: zumachen!, haben Sie gesagt: den Staat finanziell wieder handlungsfähig zu ma- nein, nein, nein. Wackersdorf ist dichtgemacht. Ich chen. Der Haushalt 1996 zeigt nämlich deutlicher als verhehle nicht: Ich hoffe, daß Sie auch noch beim Jä- je zuvor: Die Bundesfinanzen befinden sich in einer ger 90 einsichtig werden, meine Damen und Herren. Schulden- und damit jetzt in einer Zinsfalle. Allein (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ 1996 beträgt die Zinslast 95 Milliarden DM. Das ma- DIE GRÜNEN Lachen bei Abgeordneten che man sich einmal klar. Herr Waigel muß für Zin- der CDU/CSU) sen ohne einen Pfennig Tilgung dreiundsiebzigmal soviel Geld wie für den Umwelthaushalt ausgeben. Da ich weiß, daß bei diesem Wort beim Bundesfi- Das ist für uns alle wirklich niederschmetternd und nanzminister immer die Klappe fällt, frage ich Sie zeigt, wohin uns diese Bundesregierung mit ihrer sehr ernsthaft - denn wir wissen a lle, daß wir bei Schuldenpolitik getrieben hat. dem zunehmenden Flugverkehr Flugzeuge brau- chen, die wesentlich weniger Energie benötigen, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Flugzeuge, die sehr viel leiser sind; fast jeder kennt ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) já aus seinem Wahlkreis das Problem des Fluglärms -: Manche meinen: Wenn ich etwas über Schulden fi- Wäre es da nicht besser, statt zweistellige Milliarden- nanziere, dann kostet mich das so recht gar nichts, summen in ein neues Jagdflugzeug zu stecken, ei- weil ich es ja nicht direkt bezahlen muß. Nein, wir nen Teil davon in Arbeitsplätze in Firmen der For- wissen, wenn ich etwas über Schulden finanziere, schung und Technologie zu geben, um ein Ökoflug- - muß ich es schon nach kürzester Zeit zwei-, drei-, zeug zu entwickeln und damit die Menschen und die viermal bezahlen: einmal Tilgung, mehrfach Zinsen. Umwelt zu entlasten? (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Sehr Rund 21 %, ein Fünftel des gesamten Bundeshaus- schlau! - Beifall bei der SPD und dem halts, geben wir 1996 für Zinsen aus. Wenn man die BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gesamten Steuereinnahemn des Bundes in ein Ver- hältnis zu diesen 95 Milliarden DM Zinsausgaben Übrigens: In dem Subventionsabbaupaket des Jah- setzt, dann braucht der Bundesfinanzminister ein ressteuergesetzes gibt es natürlich auch Maßnah- Viertel der gesamten ihm zustehenden Steuern, um men, die die Menschen ha rt treffen, insbesondere überhaupt die Zinsausgaben bedienen zu können. 4110 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 Ingrid Matthäus-Maier Ich darf daran erinnern, daß eine Zinssteuerquote Solidaritätszuschlag 1997 oder 1998 abzubauen, - so nennt man das technisch - in eben dieser Grö- dann fällt das schon wieder in die Kategorie Wähler- ßenordnung dem Bundesverfassungsgericht 1992 täuschung. Es wäre wichtig, daß der Kanzler hier ein ausgereicht hat, den Ländern und Saarland klärendes Wort sagt. die sogenannte Haushaltsnotlage zu bescheinigen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Nach der mittelfristigen Finanzplanung, die wir heute auch diskutieren, wird diese Zahl bis 1999 ten der PDS - Dr. Hermann Otto Sohns noch auf über 108 Milliarden DM ansteigen. [F.D.P.]: Sie wollen ihn also beibehalten?) Übrigens, welch enormes Schuldenrad wir hier in Herr Waigel, Sie sagen an dieser Stelle immer wie- diesem Lande drehen, sehen Sie an der Bruttokredit- der, dies läge an der deutschen Einheit. Jeder weiß, aufnahme. Wir reden im Bundestag meistens über auch wir Sozialdemokraten hätten für dieses große die Nettokreditaufnahme, d. h. die Nettoverschul- Ziel Aufbau Ost mehr Geld aufnehmen müssen und dung, die 1996 knapp unter 60 Milliarden DM blei- aufgenommen. Das ist auch gerechtfertigt. Dies ben soll. Tatsächlich nimmt der Bund aber 1996 sehr durfte aber doch kein Freibrief für eine solch unbe- viel höhere Schulden auf, insgesamt 224 Milliarden grenzte Staatsverschuldung sein, unter deren Folgen DM. Das ist die sogenannte Bruttokreditaufnahme. wir jetzt ächzen. Davon braucht er 164 Milliarden DM, um alte Schul- den abzulösen, und 60 Milliarden DM Schulden Wir Sozialdemokraten haben sehr früh, ab Winter braucht er, um den Haushalt 1996 zu finanzieren. 1989 und Sommer 1990, eine solide Finanzierung der Einheit von Ihnen eingefordert. Sie haben statt des- Herr Waigel nimmt also in 1996 jeden Tag sen den Menschen über Monate vorgegaukelt, die 614 Millionen DM Schulden auf, Tag für Tag. Von deutsche Einheit sei quasi aus der Portokasse zu be- diesen täglich 614 Millionen DM Schulden braucht zahlen. Damals haben Sie die Weichenstellung für er jeden Tag allein 450 Millionen DM Schulden zu eine solide Finanzierung verpaßt, weil Sie den Men- einem einzigen Zweck, nämlich um alte Schulden schen nicht die Wahrheit sagen wollten. durch neue zu ersetzen. Die rest lichen 164 Millionen DM braucht er dann, um seinen unausgeglichenen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Haushalt zu finanzieren. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Daß dies nicht nur ein Problem auf dem Papier ist, Ich will noch etwas dazu sagen - das hat mich auch sondern in zweierlei Hinsicht ein Problem, unter dem menschlich tief betroffen -: Unsere Warnungen vor wir alle leiden, will ich an zwei Beispielen zeigen. Er- den hohen Kosten und den hohen Staatsschulden so- stens: Diese Zinsausgaben des Bundes beinhalten wie unser Eintreten für eine solide Finanzierung der ein großes Risiko. Zur Zeit profitiert der Bundesfi- Einheit haben Sie sogar noch dazu mißbraucht, uns nanzminister davon, daß die Zinsen für neue Kredite eine angebliche Gegnerschaft gegen die deutsche sinken. Das kann aber auch einmal umgekehrt sein. Einheit vorzuwerfen. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wir haben eine stabile Wirtschaft!) (Beifall bei der SPD) Wenn das Zinsniveau auch nur um einen Prozent- Sie haben gesagt, das seien alles Horrorzahlen. punkt steigt, werden die Zinsausgaben des Bundes explodieren, allein in den darauffolgenden drei Jah- Ich will Ihnen nur ein Beispiel nennen. Als ich vor ren um 6 Milliarden DM. einigen Jahren hier im Bundestag sagte, in 1995 mar- schierten alle Staatsschulden der öffentlichen Hand Was ist noch so schlimm an diesem enormen Schul- über die 2-Billionen-DM-Grenze, haben Sie hier ge- denrad? Eine solche Staatsverschuldung führt immer standen und gesagt: Horror, Horror, Horror. Was ist zugleich zu einer enormen Umverteilung von unten geschehen? In 1995 überschreiten die öffentlichen nach oben. Das hat Herr Blüm einmal zu Recht be- Schulden die 2-Billionen-DM-Grenze. Die Wirklich- klagt. 95 Milliarden DM Zinsen in einem Jahr, das keit war bei Ihnen nämlich immer schlimmer als der sind 1200 DM pro Kopf der Bevölkerung, die von angeblich von uns vorgeführte Horror. den Steuerzahlern in die Taschen der Vermögensbe- sitzer wandern, (Beifall bei der SPD) (Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] Deswegen fordere ich Sie auf: Seien Sie doch we- [CDU/CSU]: Wieviel Jäger 90 sind das?) nigstens jetzt ehrlich. Die Debatte um die Dauer des nämlich in die Taschen der Vermögensbesitzer, die Solidaritätszuschlages gibt Ihnen dazu Gelegenheit. Staatsanleihen halten. Das ist in der überwiegenden- Denn die Diskussion, die hier geführt wird, ist zu- Mehrheit doch nicht die einfache Bevölkerung in die- tiefst unehrlich. Auf zehn Jahre - wie Herr Ost von sem Lande. der CDU sagte - will ich mich nicht festlegen. Das er- scheint mir zu lang. Aber daß wir den Solidaritätszu- Wenn man außerdem noch berücksichtigt, daß in schlag noch jahrelang brauchen, nicht nur um den diesem Lande im Zusammenhang mit der Zinsbe- Aufbau Ost zu finanzieren, sondern auch um den steuerung die Scheunentore für die Steuerhinterzie- enormen Schuldenberg zu reduzieren, den Sie durch hung nach Luxemburg durch diese Bundesregierung die Finanzierung der Einheit auf Pump aufgehäuft weit geöffnet worden sind - schauen Sie sich an, was haben, scheint mir doch offensichtlich. Wenn einige in diesen Tagen in der Zeitung steht -, kann ich nur Politiker aus Ihren Reihen jetzt davon sprechen, den sagen: Eine solch enorme Schuldenbelastung der öf- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4111 Ingrid Matthäus-Maier fentlichen Haushalte führt zu einer enormen Umver- lean management oder - ich übersetze das einmal - teilung von unten nach oben, und auch deswegen von der Verschlankung der öffentlichen Verwaltung müssen wir sie bekämpfen, meine Damen und Her- reden. Das ist dann nämlich unglaubwürdig, und ich ren. bin gespannt, wo dann Ihre Kraft zur Reform des öf- fentlichen Dienstes bleibt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der PDS) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zudem sind unser aller Handlungsspielräume auch durch Verpflichtungsermächtigungen kräftig einge- Wer wie diese Bundesregierung auf die Schnelle in schränkt. Das wissen wir beide, und wir wissen auch, wenigen Tagen 375 Millionen DM außerplanmäßige daß wir daran etwas ändern müssen. Verpflichtungs- Verpflichtungsermächtigungen für den Jäger 90 be- ermächtigung heißt, der Bund darf auch für die fol- reitstellt, genden Jahre schon Verpflichtungen eingehen, selbst wenn das, wofür man das Geld ausgibt, dann (Dr. Hermann Otto Sohns [F.D.P.]: Da ist er schon vergessen ist. schon wieder!) Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: Der Bund lei- gleichzeitig aber das BAföG für Studentinnen und stet Zinszuschüsse im Rahmen des Wohnraummoder- Studenten herunterfährt, dem ist der Blick für das nisierungsprogramms der Kreditanstalt für Wieder- Notwendige und Machbare verlorengegangen. aufbau in den neuen Bundesländern. Mit den zins- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne verbilligten Darlehen können z. B. Reparaturen an ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Dächern, Fassaden und Fenstern durchgeführt wer- und des Abg. Manfred Müller [Berlin] den. Wir haben dieses Programm mitgetragen und [PDS]) begrüßen es. Das Programm läuft im nächsten Jahr aus, aber die finanziellen Auswirkungen für den Wer wie diese Bundesregierung mal eben Bundeshaushalt bestehen bis weit über das Jahr 150 Millionen DM Verpflichtungsermächtigungen 2000 hinaus - allein für dieses Programm in Höhe für Fregatten in die Türkei bereitstellt, sich aber von 11,8 Milliarden DM. Das heißt, wir müssen noch gleichzeitig immer weiter von dem Versprechen ei- Zahlungen leisten, wenn kein Mensch mehr an die nes Entwicklungshilfehaushaltes in Höhe von 0,7 % reparierten Fassaden und Fenster denkt. des Bruttosozialproduktes entfernt, der weiß nicht, Warum sage ich das? Ich sage das, um klarzustel- was wirklich zur Förderung des Friedens notwendig len - da sollten wir uns einig sein -: Wir werden uns ist. für den Haushalt 1996 und die mittelfristige Finanz- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne planung auf sparsamste Haushaltsführung, den Ab- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN bau unnötiger Ausgaben und die Konzentration der und der PDS) wirklich knappen Mittel auf die Schaffung neuer Ar- beitsplätze, die Modernisierung der Wi rtschaft durch Wer wie diese Bundesregierung sich wie die Kes- Forschung und Entwicklung und die ökologische selflicker darüber streitet, Weiterentwicklung der Industriegesellschaft einigen müssen. (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der SPD) ob der Außenminister oder der Wirtschaftsminister für die Förderung des Außenhandels bei den Bot- Diesen Anforderungen wird der Haushaltsentwurf schaften zuständig ist, gleichzeitig aber ganz unbe- der Bundesregierung nicht gerecht. Einige Beispiele: merkt zuläßt, daß die Mittel für Auslandsmessen und Wer wie diese Bundesregierung bei der öffentlich- für die Pflege der Wirtschaftsbeziehungen mit dem keitsarbeit schon wieder drauflegt, statt sie um min- Ausland mal eben um 10 Millionen DM gekürzt wer- destens 150 Millionen DM herunterzufahren, ist a lles den, der darf sich nicht wundern, wenn Franzosen, andere als sparsam. Sie handeln nach dem Motto: Japaner und Amerikaner schneller sind. Wenn schon die Politik nichts taugt, muß wenigstens die Propaganda verstärkt werden. (Beifall bei der SPD - [CDU/ CSU]: Kesselflicker! Sie Marktschreierin!) (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) Wer wie diese Bundesregierung den Verpflich- Wer gleichzeitig wie diese Bundesregierung die tungsrahmen beim sozialen Wohnungsbau herunter- Fördermittel für die Forschung im Mittelstand in fährt, um einen Teil der Mittel für den Bau des Trans den neuen Bundesländern um 71 Millionen DM her- rapids abzuzweigen - was hat eigentlich der soziale - unterfährt, setzt die Schwerpunkte falsch und sollte Wohnungsbau mit dem Transrapid zu tun? -, der hat das Wort vom Standort Deutschland besser gar nicht offensichtlich noch nicht begriffen, daß in diesem mehr in den Mund nehmen. Lande 2 Millionen bezahlbare Wohnungen fehlen. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Marga (Beifall bei der SPD) reta Wolf [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wer wie diese Bundesregierung im Verkehrshaus- halt beim Straßenbau um 750 Millionen DM kürzt, Wer wie die Bundesregierung den Bürgern 54 Staatssekretäre zumutet, der sollte hier, wie Sie, (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Herr Waigel, das so vornehm gesagt haben, nicht von Das haben Sie doch immer gefordert!) 4112 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 Ingrid Matthäus-Maier bei den Investitionsmitteln für die Schiene aber um problemen führt - übrigens auch zu Aggressivität 2,3 Milliarden DM, und Fremdenfeindlichkeit -, dann weiß man, Mas- senarbeitslosigkeit ist die größte volkswirtschaftliche (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Je Verschwendung. Deswegen müssen wir das Geld zur des Jahr haben Sie Kürzungen im Straßen Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ausgeben und bau gefordert!) nicht zum Bezahlen der Arbeitslosen. der betreibt eine Verkehrspolitik von gestern und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne nicht von morgen. ten der PDS - Hansgeorg Hauser [Rednitz (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne hembach] [CDU/CSU]: Dann ändern Sie ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) doch Ihre Politik!) Das ist mein wichtigster Punkt: Wer wie diese Bun- Warum kümmern sich denn jetzt besonders die Kir- desregierung bei der Bekämpfung der Arbeitslosig- chen um die Langzeitarbeitslosen? Sie tun es, weil keit um Milliarden kürzt, gleichzeitig aber sie wissen, welchen Teufelskreis dies für die Kinder 560 Millionen DM beim Verteidigungshaushalt bedeutet, insbesondere dann, wenn beide Elternteile drauflegt, der weiß nicht mehr, wo es in dieser Ge- arbeitslos sind. Mindestens 1 Million Kinder in unse- sellschaft brennt. rem Lande sind von Sozialhilfe abhängig. Wir müs- sen diesen Teufelskreis aufbrechen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der PDS) Wenn Graf Lambsdorff - Sie haben dies heute et- was vorsichtiger behandelt - und anderen seiner Bei Ihren Kürzungen im Bereich der Arbeitslosen erwecken Sie auch heute morgen wieder den Ein- Fraktion in dieser Situation nichts Besseres einfällt druck, den Arbeitslosen ginge es eh zu gut. Wenn als die Forderung nach Abschaffung der Vermö- gensteuer, dann spiegelt das ein besonders hohes man ihnen nur die Leistung kürzte, dann würde man sie schon an die Arbeit kriegen. Ganz sicher gibt es Maß an Instinktlosigkeit wider, meine Damen und Herren. auch Arbeitslose, die mit Arbeitslosengeld oder -hilfe und Schwarzarbeit über die Runden kommen. Das ist (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Sozialmißbrauch, und das muß bekämpft werden. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Aber angesichts der Tatsache, daß ganze Teile von und des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS]) Belegschaften mit 100, 200, 500 und mehr Menschen Zu den 785 Milliarden DM Steuereinnahmen des entlassen werden, ganze Standorte stillgelegt wer- Jahres 1994 hat die Vermögensteuer mit 6,6 Mil- den, ganze Familien ins Unglück gestürzt werden, ist liarden DM gerade einmal mit 0,8 % beigetragen. es doch eine Verleumdung, ihnen insgesamt zu un- terstellen, sie wollten nicht arbeiten, wie Sie es mit (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Stimmt! Wir dem Hinweis auf die soziale Hängematte heute mor- haben das im Jahressteuergesetz anders ge- gen wieder gemacht haben. macht!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Meine Damen und Herren von der F.D.P., daß die ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Umverteilung von unten nach oben in Ihrem Partei- und der PDS) programm steht, das wissen wir. Manchmal wird es Die offiziellen Zahlen sind im Moment: 3,5 Mil- aber geradezu peinlich, wenn Sie solche Forderun- lionen registrierte Arbeitslose, 293 000 registrierte of- gen aufstellen. fene Stellen. Herr Waigel, da können Sie Arbeitslo- (Beifall bei der SPD - Dr. Wolfgang Weng sengeld und Arbeitslosenhilfe noch weiter senken: [Gerlingen] [F.D.P.]: Die übliche Polemik!) Ihnen wird es nicht gelingen, 3,5 Millionen Men- schen, die Arbeit suchen, auf 293 000 offene Stellen Was wir brauchen, ist eine zukunftsweisende Wi rt zu verteilen. -schaftspolitik, in der drei Dinge zusammengehören: die Modernisierung der Wirtschaft, die ökologische Nein, Sie kurieren an Symptomen. Nicht der So- Weiterentwicklung der Industriegesellschaft und die zialstaat ist zu teuer, sondern die Arbeitslosigkeit ist soziale Verantwortung. Wer aus diesem Dreiklang - zu teuer. Ökonomie, Ökologie und soziale Gerechtigkeit - (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne eine Säule herausbrechen will, wird das Problem des ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Standorts Deutschland nicht lösen. Er wird auch, da und der PDS) er die Arbeitslosigkeit nicht in den Griff bekommt, die Haushaltsprobleme nicht lösen. - Nach den jüngsten Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung gab es allein (Beifall bei der SPD) 1994 140 Milliarden DM an direkten Kosten, entgan- genen Steuern und Sozialabgaben. Darin sind die Dies bedeutet für den Haushalt 1996: Bildung, mittelbaren Kosten nicht enthalten. Ausbildung, Forschung, Technologie und Innovation müssen einen größeren Stellenwert erhalten. Zwar Wenn man berücksichtigt, daß hohe Arbeitslosig- steigt das Volumen des Haushalts des Zukunftsmini- keit auf Dauer zur Entwe rtung von Qualifikationen sters im Bereich Forschung und Entwicklung, gleich- von Menschen, zur Demotivation, zu zunehmender zeitig aber sinken die Ausgaben im Bereich Bildung Verarmung und wachsenden Alkohol- und Drogen- und Ausbildung. Dabei brauchen wir doch nicht nur Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4113 Ingrid Matthäus-Maier Investitionen in Beton, sondern auch Investitionen in das ist ein groteskes Mißverhältnis, meine Damen Köpfe. und Herren. Wir wissen: Der Verteidigungshaushalt kann sicher nicht der Steinbruch für a lles und jedes (Beifall bei der SPD) sein. Die Darlehen an BAföG-Studenten sollen auf (Zuruf von der CDU/CSU: Sie machen es Bankdarlehen mit Zinsbelastungen von über 8 % um- doch dauernd!) gestellt werden. Das bedeutet, daß diese in Zukunft statt mit 35 000 DM Rückzahlschuld mit 72 000 DM Wenn aber in den Zeiten knappster Kassen der Um- ins Berufsleben gehen. Dieser Abschreckungseffekt weltetat um 40 Millionen DM sinkt und der Verteidi- hebelt die Chancengleichheit aus. Dies gilt ganz be- gungsetat um 560 Millionen DM ansteigt, dann weiß sonders für die neuen Bundesländer, wo die Studie- diese Bundesregierung nicht, worauf es in der Zu- renden stärker vom BAföG abhängig sind. Zudem kunft ankommt. Ich bin der festen Überzeugung: belastet er auch weibliche Studierende, da diese spä- Nicht wer die meisten U-Boote und Panzer, sondern ter auf dem akademischen Arbeitsmarkt ohnehin oft wer die besten Umweltschutz- und Energieeinspar- erheblich weniger verdienen als Männer. technologien exportiert, wird im Jahre 2000 weltweit die Nase vorn haben. Herr Rüttgers, ein sogenannter Zukunftsminister, der die Chancengleichheit zurückfährt, steht nicht (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne für Fortschritt, sondern für Rückschritt. Deswegen ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) werden wir das ablehnen, meine Damen und Herren. Frau Merkel, wie können Sie sich die Kürzung um (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne 40 Millionen DM eigentlich gefallen lassen? Ich habe ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN das Gefühl, wenn sich Frau Merkel schon dieses un- und des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS]) mögliche Ozon-Gesetz gefallen läßt, dann hat sie Um Innovationen und zukunftsträchtige Arbeits- auch gar nicht erst den Mut, gegen diese wirklich un- plätze in Deutschland zu fördern, brauchen wir zu- verhältnismäßige Kürzung einzuschreiten. Ist es ei- sätzliche Hilfen bei der Markteinführung neuer gentlich wirklich in Ordnung, daß Sie in Ihren Haus- Technologien. Ich frage Sie: Ist es nicht ein schwerer halten 2,1 Milliarden DM für Ke rnenergie und Kern Fehler, wenn wir zulassen, daß in wenigen Wochen -forschung ausgeben? Sie legen übrigens noch der letzte Solarzellenhersteller Deutschland verläßt 60 Millionen DM gegenüber 1995 drauf. Im Bereich und nach Amerika geht, weil dort die Markteinfüh- der erneuerbaren Energien sind es 320 Millionen rung zukunftsträchtiger, regenerierbarer Energien DM. Da legen Sie auch etwas drauf, und zwar 5 Mil- gefördert wird? Auch angesichts der knappen Kas- lionen DM. Meine Damen und Herren, die Schere sen möchte ich Ihnen sagen: Wer wie diese Bundes- geht damit weiter auseinander. Ich sage Ihnen: Ihre regierung im Verteidigungsetat die Mittel für Wehr- ideologische Verbohrtheit in bezug auf die Kernener- forschung und -erprobung im Haushalt 1996 um sage gie sieht man an nichts so deutlich wie an diesen und schreibe 330 Millionen DM aufstockt, der kann Verschiebungen im Bundeshaushalt. Wer so handelt, mir nicht erzählen, daß er nicht ein bißchen mehr im verschläft die Zukunft unserer Kinder, meine Damen zivilen Bereich der Forschung und Entwicklung und Herren. drauflegen kann. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Halo DIE GRÜNEN) Saibold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS]) Zu einer zukunftsweisenden Strategie, die mo- derne Wirtschaft, ökologische Weiterentwicklung Außerdem muß man auch einmal unkonventio- und soziale Gerechtigkeit zusammenführt, gehört nelle Wege gehen. In Amerika gibt es einen Fonds, unser Projekt einer ökologischen Steuerreform. Je- in den auch die großen Energieversorgungsunter- dermann weiß, die Lohnnebenkosten sind zu hoch nehmen einzahlen müssen; das ist gesetzlich vorge- und müssen gesenkt werden. Ich las gestern in der schrieben. Mit diesem Geld werden die Erforschung Zeitung: Herr Blüm hat einen B rief an die Fraktion von Energieeinsparmöglichkeiten und die Förderung der CDU/CSU geschrieben, also auch an Sie. Darin und Markteinführung neuer Energien finanziert. steht: Die Lohnnebenkosten seien zu hoch, weil die Nein, Herr Waigel, keine platten Kürzungen, son- Bundesanstalt für Arbeit so viele Milliarden DM für dern intelligentes Umschichten und phantasievolle eine aktive Arbeitsmarktpolitik im Osten Deutsch- Alternativen müssen auf der Tagesordnung stehen. lands ausgibt, was eigentlich der Steuerzahler bezah- len müßte. Da hat Herr Blüm recht. - (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Auch beim Umweltschutz wird diese Regierungs- Jetzt frage ich mich: Was geschieht denn da bei Ih- koalition den drängenden Problemen nicht gerecht. nen? Da schreibt Herr Blüm an den lieben Theo, er Dabei weiß doch mittlerweile jeder, daß Ökonomie solle das doch bitte ändern. Ich nehme an, der liebe und Ökologie zusammengehören. Der Umweltetat Theo schreibt an den lieben Norbe rt zurück, daß er dieser Bundesregierung führt ein Schattendasein. das nicht tun wolle. 1,3 Milliarden DM für den Umwelthaushalt, 48,5 Milliarden DM für den Verteidigungshaushalt - (Zuruf von Bundeskanzler Dr. ) 4114 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 Ingrid Matthäus-Maier - Herr Bundeskanzler, es ist gut, daß Sie wieder da Nummer 2 gemacht hat. Diese Philosophie heißt: sind. Dann kann ich Sie nämlich gleich fragen. Herr Eine starke Wirtschaft und ein starker Sozialstaat ge- Blüm und wir alle wissen, daß die Lohnnebenkosten hören zusammen. Dies bringt sozialen Frieden, und zu hoch sind, weil aus der Arbeitslosenversicherung dies bringt den Unternehmen geldwerte Vorteile. Dinge bezahlt werden, die wir alle bezahlen müßten. Wenn in Deutschland die Zahl der Streiktage gerin- Das ist doch nicht gerecht, daß Sie und ich und Selb- ger als in anderen Ländern ist, dann zeigt dies, daß ständige und Landwirte das alles nicht mitbezahlen. der soziale Frieden auch für die Unternehmer von Sie wissen das. Wir wissen das. Wenn wir gleichzei- Nutzen ist. tig wissen, daß die Kosten, die aus der Energieerzeu- gung und aus der Energieverwendung resultieren, Wir sind, wenn nötig, zu Korrekturen im sozialen die Umweltbelastung nicht wirk lich widerspiegeln, Bereich bereit. Das haben wir bei der Rentenreform was bietet sich dann mehr an, als dieses Verhältnis und der Gesundheitsreform gezeigt. Aber wer die umzudrehen? Das ist unser Konzept. Angst der Menschen vor dem Verlust des Arbeits- platzes mißbraucht, um eine grundsätzlich neue Um- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ verteilung zu Lasten der Arbeitnehmer und ihrer Fa- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der milien herbeizuführen, statt die Kräfte der Gesell- PDS) schaft in Richtung auf die Schaffung neuer Arbeits- Unser Konzept ist: Erstens: herunter mit den Ar- plätze zu bündeln, der wird auf den entschiedenen beitslosenversicherungsbeiträgen um 2 Punkte. Widerstand der Sozialdemokraten stoßen. Zweitens: maßvolle Anhebung der Mineralölsteuer. (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD - Wir haben zwei Modelle vorgeschlagen: Erhöhung Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS um 4 Pfennig oder 10 Pfennig in Stufen. SES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) (Zuruf von der CDU/CSU: Schon wieder Steuererhöhungen!) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster Drittens: steuerliche Erleichterungen für energiespa- spricht der Kollege Hans-Peter Repnik. rende Investitionen im Industriebereich und im Pri- vatbereich. Dieses Modell ist komplett aufkommens- neutral. Eine Mehrbelastung von Bürgern und Wi rt Hans - Peter Repnik (CDU/CSU): Frau Präsidentin! -schaft findet nicht statt. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wi rtschaft und Politik stehen auf einem gesunden und festen (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ein neuer Fundament. Der wirtschaftspolitische Weg, den die Subventionsapparat!) Bundesregierung eingeschlagen hat, garantiert auch in Zukunft Wachstum und Aufschwung. Die vielen Das gilt übrigens auch für die Rentner, die im Folge- Maßnahmepakete, die in den vergangenen Monaten jahr durch die Nettolohnbezogenheit der Rente von geschnürt wurden, um den Standort Deutschland der Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge wetterfest zu machen, bringen spürbare Erfolge. etwas abbekommen. (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: (Beifall bei der CDU/CSU) Sprechen Sie für die gesamte SPD?) Lieber Finanzminister , es war für uns, Ich bin ganz sicher, das geht so, wie ich es eben ge- die Abgeordneten der Koalition, ein außerordentli- sagt habe. Heute sagen Sie noch: nein, nein, nein, ches Vergnügen, dieser Haushaltsrede zuzuhören. aber Sie werden diesem Konzept in einigen Monaten Weil es nicht nur ein Vergnügen war, sondern damit oder Jahren folgen. auch harte Arbeit, Kraft, Energie und Phantasie ver- bunden waren, möchte ich dem Finanzminister im (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Namen der Koalition ein herzliches Dankeschön aus- Damit möchte ich zu meinem letzten Punkt kom- sprechen. men. Statt solche Dinge aufzugreifen, erschöpft sich (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.- Ihre wirtschaftspolitische Kompetenz darin, unkri- Zurufe von der SPD) tisch Forderungen der Arbeitgeber nachzuplappern: Löhne herunter, Arbeitszeitverlängerungen, Sonn- - Ich finde schon, daß man sich hier wieder einmal tagsarbeit, Lohnfortzahlung kürzen, Arbeitgeberan- auf eine alte Tugend berufen kann, auch wenn das teil in der Krankenversicherung einfrieren. Das liest nicht allen von Ihnen, meine Damen und Herren von sich doch wie ein Warenhauskatalog, wo die Arbeit- der Opposition, paßt. Ich meine, wir sollten auch in- geber alles beste llen können und die Arbeitnehmer soweit der Kollegin Matthäus-Maier nicht folgen, die ailes bezahlen müssen, meine Damen und Herren. zumindest die Tugend der Wahrheit heute sträflichst- vernachlässigt hat. (Beifall bei der SPD und der PDS) Dies ist nicht nur wirtschaftspolitisch unsinnig, weil (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.) Sie damit z. B. die enormen Währungsunterschiede nicht einebnen können. Daraus resultiert doch ein Ich bin am Sonntagmorgen zur Haushaltsklausur großer Teil unserer Probleme. Ihre wirtschaftspoliti- der Koalition gefahren. sche Primitivstrategie widersp richt auch dem Kon- sens über Soziale Marktwirtschaft, der dieses Land in (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Hof den letzten Jahrzehnten stark und zur Exportnation fentlich nach dem Hochamt!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4115

Hans-Peter Repnik - Ich mußte vom Bodensee schon früh weg; deswe Angesichts der internationalen Lage, angesichts der gen war ich nicht im Hochamt. Situation im ehemaligen Jugoslawien - der Finanz- minister hat zu diesem Thema gerade Ausführungen (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD) gemacht -, angesichts der Tatsache, daß der Verteidi- - Da ist kein Hochamt, Herr Fraktionsvorsitzender; gungshaushalt früher einmal bei 18,5 % des Gesamt- das ist eine Vorabendmesse. etats angesiedelt war, in den letzten Jahren sukzes- sive heruntergefahren wurde und jetzt gerade noch Im Zug habe ich einen Artikel in der „Welt am 10 % des Haushalts ausmacht, reden Sie einem Ab- Sonntag" zur Kenntnis genommen. Darin stand u. a. bau der Verteidigungslasten das Wort. - Frau Matthäus-Maier wird zitiert -: Statt Larifari Attacke. - Hoppla, dachte ich, aber jetzt legt sie los. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Nein!) (Vorsitz : Vizepräsident Hans Klein) Dies müssen Sie den Soldaten, Ich kann nur sagen, verehrte Frau Kollegin Matt- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) häus-Maier: Was Sie heute geboten haben, war noch dies müssen Sie der Bundeswehr, dies müssen Sie nicht einmal eine Luftnummer; da war die Luft her- den Tornadopiloten, die in Bosnien für Frieden und aus. Menschenrechte im Einsatz sind, erklären. Wir ak- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU zeptieren dies nicht. und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Spätestens bei Ihren Ausführungen zu den Kessel- flickern und zu dem Streit hatte ich das Gefühl, daß Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Repnik, es zu einer Lachnummer wird. Was oder wen sollte die Kollegin Matthäus-Maier würde Ihnen gerne sie auch attackieren? eine Zwischenfrage stellen. (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Wie Gefühle eben auch täuschen können, Herr Hans-Peter Repnik (CDU/CSU): Später gerne. Ich Kollege!) möchte jetzt keine Zwischenfrage zulassen, Frau Kol- legin Matthäus-Maier, weil ich gerne den fahnen- Zugegeben, sie hatte heute einen besonders schwe- flüchtigen Troikaner, den Kollegen Schröder, hier zi- ren Stand. Wir haben einen ausgezeichneten Haus- tieren möchte. halt, und wir haben einen ausgezeichneten Finanz- minister. Was will sie da glaubwürdig attackieren? (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Dann möchte ich gerne eine Kurzintervention an (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Schröder!) melden!) Sie hat wie jedes Jahr einen Popanz aufgebaut, um Um 12.02 Uhr lief über die Agentur ap" eine Mel- ihn dann kräftig zu verprügeln. Sie hat es sich auch dung - ich glaube, sie paßt ganz gut zur jetzigen jetzt nicht erspart, Prognosen zu geben, die sich am Haushaltsdiskussion und zu der Präsentation der Kol- Ende des Jahres wieder als Fehlprognosen heraus- legin Matthäus-Maier -, in der Schröder so zitiert stellen werden. wird: „Die SPD wird von einem Kartell der Mittelmä- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So ist es!) ßigkeit regiert." Dies ist auch heute morgen einmal mehr deutlich geworden. Verehrte Frau Matthäus-Maier, ich möchte in die- sem Zusammenhang gar nicht selbst urteilen. Ein (Lachen und Beifall bei der CDU/CSU und Blick in das „Handelsblatt" von heute genügt. Do rt der F.D.P. - Detlev von Larcher [SPD]: Lesen steht: Sie einmal Ihre Rede nach!) Die Sozialdemokraten prognostizieren denn auch Sie nehmen haushaltspolitische Realitäten schlicht bereits für 1996 einen Anstieg der Neuverschul- weg nicht zur Kenntnis. dung auf 70 Milliarden DM. In den letzten Jahren (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Warum las hauten sie mit ähnlichen Horrorprognosen jedoch sen Sie keine Zwischenfrage zu? Weil Sie stets kräftig daneben. Auch 1996 könnte das der wissen, daß es nicht stimmt, was Sie sagen!) Fall sein. Bisher ist es Waigel nämlich immer ge- lungen, überplanmäßige Löcher mit Minderaus- Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese gaben an anderer Stelle des Etats zu stopfen. Koalition hat versprochen, die Staatsquote zu sen- ken, den Ausgabenanstieg zu bremsen, die Steuern (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zu senken, die Inflation zu bekämpfen, die Konjunk- Sie machen das jedes Jahr aufs neue, wohlwissend, tur zu fördern, den Aufbau in den neuen Bundeslän-- daß die Korrekturen ihrer Prognosen in aller Regel dern fortzusetzen. Diese Koalition hält in allen Punk- von der Öffentlichkeit selten wahrgenommen wer- ten Wort. den. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Was mich aber am meisten beschämt hat, Frau Ein Beleg dafür ist sowohl dieser Haushalt 1996 als Matthäus-Maier, sind die Ausführungen, die Sie zum auch die Die Staats- Verteidigungsetat gemacht haben. mittelfristige Finanzplanung. quote sinkt mit dem Inkrafttreten dieses Haushalts (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Sehr von 50,5 % auf 48,5 %. Wir werden uns im Rahmen gut!) der mittelfristigen Finanzplanung weiter bemühen. 4116 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 Hans-Peter Repnik Wir unterstützen Theo Waigel in dieser Arbeit nach- Hans-Peter Repnik (CDU/CSU): Okay, wenn es mir drücklich. Nur so, nur mit der Senkung der Staats- nicht angerechnet wird, gern. quote werden wir uns Spielräume für weitere Steuer- senkungen eröffnen. Vizepräsident Hans Klein: Natürlich nicht. Ich möchte einen zweiten Journalisten zitieren. Im „Tagesspiegel" von heute steht: Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Herr Repnik, obwohl Selbst in der mittelfristigen Finanzplanung, die ich viele Vorwürfe ertragen kann, weise ich es ent- Bestandteil des Haushaltsgesetzes ist, sollen die schieden zurück, wenn man mir falsche Zahlen oder Bundesausgaben bis 1999 nur um 7 Prozent auf Unwahrheit vorwirft. 483 Milliarden DM steigen und damit deutlich weniger stark als die gesamtwirtschaftliche Lei- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: stung. Der Bund würde damit einen erheblichen Halbwahrheiten!) Beitrag zur Sanierung der öffentlichen Finanzen leisten und am Ende der Finanzplanung nur noch Daher möchte ich, daß Sie mir bitte bestätigen, daß halb so viel Schulden machen wie 1996. Ihre Behauptung, ich hätte eine Kürzung des Vertei- digungshaushalts verlangt, falsch ist. Können Sie Meine sehr verehrten Damen und Herren auch nicht bestätigen, daß ich ausschließlich gefordert und gerade von der Opposition, Sie dürfen uns auch habe, daß es in Zeiten knappster Kassen nicht an- hier beim Wort nehmen. So, wie die Regierung unter geht, einen Haushalt um 560 Millionen DM anwach- Helmut Kohl in den Jahren 1982 bis 1989, also bis zur sen zu lassen, während z. B. der Umwelthaushalt um Wiedervereinigung, mit dem damaligen Finanzmini- 40 Millionen DM zurückgeht? Bestätigen Sie, daß Sie ster Stoltenberg die zerrütteten Staatsfinanzen von hier etwas Falsches gesagt haben? SPD-Kanzlern und -Finanzministern saniert und die Staatsquote zielstrebig auf 46 % zurückgefahren hat, so wird diese Regierung unter Helmut Kohl mit Fi- Hans-Peter Repnik (CDU/CSU): Nein. Die erste nanzminister Theo Waigel, beginnend mit dem näch- Frage bestätige ich. sten Jahr, genau denselben Kraftakt vollbringen, um (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Aha!) die Staatsquote bis zum Ende dieses Jahrzehnts auf 46 % zurückzuführen. Moment! Es geht jetzt um die Konsequenzen. Wenn Sie hier beklagen, daß der Verteidigungshaushalt zu (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so stark anwächst, dann haben Sie damit logischer- wie bei der F.D.P.) weise zum Ausdruck gebracht, daß Sie der Meinung Meine Damen und Herren, der Ausgabenanstieg sind, ihn kürzen zu müssen. ist gebremst. Es sind 1,3 % weniger als im letzten (Beifall bei der CDU/CSU) Jahr. Man muß weit zurückblicken: Zum letztenmal war dies 1953 unter dem vielgerühmten Finanzmini- Deshalb habe ich hier nichts anderes als die Wahr- ster Fritz Schäffer der Fall. Auch in diesem Fall hat heit gesagt. sich Theo Waigel ein gutes Vorbild herausgegriffen - und das trotz einer Nettotransferleistung von über (Zuruf der Abg. Ingrid Matthäus-Maier 100 Milliarden DM pro Jahr in die neuen Länder - [SPD]) das bitte ich zur Kenntnis zu nehmen -, trotz des Jah- ressteuergesetzes mit 12 Milliarden DM weniger - Moment, ich komme gleich zum nächsten Punkt. Ich bleibe auch bei dem nächsten Punkt bei der Steuereinnahmen, trotz des Ausfalls, den der Bun- Wahrheit. Sie sollten prüfen, ob sich Ihre Aussage an deshaushalt in Höhe von 8 Milliarden DM auf Grund der Wahrheit messen lassen kann. des weggefallenen Kohlepfennigs zu verkraften hat. Theo Waigel ist einen wichtigen Schritt in eine an- Sie haben uns im Zusammenhang mit dem Ver- dere Richtung gegangen: Er sorgt für eine Bereini- mittlungsverfahren und dem Jahressteuergesetz vor- gung im Bereich des Sondervermögens, also für geworfen, Sie hätten entsprechende Vorschläge ein- Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit. Auch da- gebracht und wir seien Ihnen gefolgt. Ich möchte bei wollen wir ihn unterstützen. hier mit Deutlichkeit zur Kenntnis bringen: Der Ge- setzentwurf ist von der Koalition und nicht von der Frau Kollegin Matthäus-Maier, ich bin nur deshalb SPD eingebracht worden. etwas aggressiver, als das sonst üblich ist, (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Darin stan (Ingrid Matthäus-Maier [SPD): Ich möchte den die 200 DM!) eine Zwischenfrage stellen!) - - Natürlich, mit unserem Optionsmodell, mit der Ge- weil ich finde, daß Sie über weite Strecken nicht kor- genverrechnung steht das natürlich darin. Deswegen rekt berichtet haben. stimmt Ihre Aussage nicht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so Ich möchte festhalten, obgleich Sie bereits zum wie bei der F.D.P.) dritten Mal im Deutschen Bundestag etwas anderes behauptet haben: Dieses Modell, dieses Steuerpaket Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Repnik, 1996 und das Familienentlastungs- und Familienlei- die Kollegin Matthäus-Maier meldet sich wieder zu stungsmodell ist sowohl steuersystematisch als auch einer Zwischenfrage. familienpolitisch unser Vorschlag, unser Modell und Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4117 Hans-Peter Repnik unser Erfolg. Sie können sich hiervon nichts auf das Haltung -, daß Sie bis zum Schluß behauptet haben, Butterbrot schmieren. daß das Existenzminimum bei 12 000 DM oder in die- ser Größenordnung ab 1996 nicht verfassungsgemäß, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sondern verfassungswidrig sei. Sie haben dem Fi- Die Leute werden sich daran erinnern. Ich hoffe, nanzminister heute auf Fragen zugestanden, daß das sie werden nicht nur Ihren Desinformationen aufsit- so zutreffe. zen. Das zeigt, wir haben im Gegensatz zu Ihnen eine (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: 250 DM Kin langfristige, eine seriöse, an der Verfassung ausge- dergeld im Wahlkampf!) richtete Planung. - Nein. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sie können es war die SPD, die ein einheitliches Kindergeld von viel reklamieren, aber nicht das Kinder 200 DM gefordert hat. geld!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Ich komme nun zum nächsten Punkt, den der Fi- Zuruf der Abg. Ingrid Matthäus-Maier nanzminister angesprochen hat, nämlich zur Unter- [SPD]) nehmensbesteuerung. Frau Kollegin Matthäus Maier, ich bin froh, daß es innerhalb der SPD eine - 250 DM. Nachher waren es weniger; Sie haben sich Trendwende in der Meinung gegeben hat, und zwar mit weniger beschieden. Wir haben gesagt: Aus ver- nicht nur bei dem einen oder anderen Ministerpräsi- fassungsrechtlichen und aus familienpolitischen denten, sondern auch in der eigenen Fraktion. Gründen - wenn man an die Situation der Familien mit zwei, drei, vier oder mehr Kindern denkt - ist dies Die Unternehmensteuerreform und die Vermögen- ungerecht. Deshalb haben wir nicht 220 DM, son- steuerreform, die der Finanzminister angesprochen dern 200 DM für das erste und das zweite Kind, hat, sind Themen, die sich nicht zum Klassenkampf 300 DM für das dritte Kind und 350 DM für jedes wei- eignen. Wir haben beide Themen unter dem Stich- tere Kind vorgeschlagen und durchgesetzt. Dazu be- wort Standort Deutschland ausdrücklich angespro- durfte es keiner Hilfestellung durch die SPD. chen. Wir alle sind nach wie vor über die Entwick- lung auf dem Arbeitsmarkt besorgt. Wir wissen, daß (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - wir alle, Regierungskoalition wie Opposition, in der Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Da lacht so Pflicht stehen. gar der Bundeskanzler! Der Kanzler lacht!) Nur, jedesmal, wenn wir versuchen, irgendwo et- Nachdem Sie so engagiert reagieren, erscheint es was im Hinblick auf die Verbesserung der Standort- vielleicht doch wichtig, darauf hinzuweisen, daß die qualitäten, z. B. bei der Abschaffung der Gewerbeka- Vorstellungen, die Sie im Zusammenhang mit dem pitalsteuer, bei der mittelstandsfreundlichen Gestal- Familienleistungsausgleich eingebracht haben, mit tung der Gewerbeertragsteuer oder bei einer mögli- der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts nicht chen Abschaffung der Vermögensteuer, zu ändern, übereinstimmen. Auf Deutsch: Sie waren nicht ver- dann werfen Sie uns Sand ins Getriebe und gefähr- fassungskonform. Wir haben eine Lösung, die fami- den das Bemühen, Menschen zusätzliche Arbeits- lienpolitisch Sinn macht und verfassungskonform ist. plätze in der Bundesrepublik Deutschland zu geben Diese Lösung nützt den Menschen im Lande. und die Standortqualitäten zu verbessern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.) und der F.D.P.) Deshalb hilft das weitere Polemisieren über die Ich möchte in diesem Zusammenhang eine wich- Spitzenverdiener, die Sie angesichts sich möglicher- tige Anmerkung machen, die ebenfalls im Zusam- weise in Funktion befindlicher Fernsehkameras wie- menhang mit dem Vermittlungsverfahren eine Rolle der angesprochen haben, auch nicht. Ihr Modell gespielt hat. Die Frage ist: Wie behandeln wir die wäre nach dem Urteil des Bundesverfassungsge- Kommunen im Rahmen der Beziehungen zwischen richts gerade dieser Verdienstgruppe nicht gerecht Bund, Ländern und Gemeinden? Jeder weiß, daß die geworden. Dann erheben Sie also nicht den An- Kommunen große Schwierigkeiten haben. spruch, daß es durchsetzbar gewesen wäre. Es war verfassungwidrig. Deshalb hat der Finanzminister die Kommunen im Rahmen des Verfahrens direkt an der Umsatzsteuer (Detlev von Larcher [SPD]: Das ist nicht teilhaben lassen wollen. Leider ist das mit dem Vo- wahr!) tum der SPD-geführten Bundesländer im Bundesrat - Es ist doch hochinteressant. Es ist für die Öffentlich- nicht möglich gewesen. Aber wir werden sorgfältig - keit wichtig, klarzumachen, wer die Verantwortung darauf achten, daß die Zustimmung, die uns der Bun- wofür trägt und wem die Verdienste gehören. Sie ge- desrat gegeben hat, die Kommunen entsprechend hören eben nicht der SPD. am Steuerausfall bzw. an den Mehreinnahmen durch die 5,5 zusätzlichen Umsatzsteuerpunkte, die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU die Länder bekommen, auch eingehalten wird. und der F.D.P.) Ich habe eine zweite Bitte an die Bundesländer. Deswegen möchte ich auf einen zweiten Punkt hin Theo Waigel hat davon gesprochen, wie sehr uns die weisen. Sie und Herr Poß haben es eingestanden - 8 Milliarden DM Ausfall durch den Wegfall des Koh- das war eine wundersame Wendung Ihrer bisherigen lepfennigs belasten. Wir müssen sie aus dem Haus- 4118 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 Hans-Peter Repnik halt finanzieren. Wir haben ebenfa lls darauf zu ach- ökonomische Grundregel verstoßen. Ich frage mich: ten - hier sind in erster Linie die Länder in der Wie sehr muß Sie Ihre F.D.P.-Vergangenheit bela- Pflicht -, daß das Einsparvolumen von 8 Milliarden sten, daß Sie permanent versuchen, sich gerade in DM nicht in den Gewinnen oder den Rücklagen der diesem Punkt zu exkulpieren? EVUs hängenbleibt, sondern an die Bürger weiterge- geben wird. Meine sehr verehrten Damen und Herren, lieber Theo Waigel, nicht nur die Ereignisse der letzten Wo- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) che haben zwei der drei Troikaner die Bundesrats- bank und dieses Plenum meiden lassen. Während Im Zusammenhang mit der umweltorientierten unser Haushalt solide ist, während unser Haushalt Neustrukturierung des Steuersystems will ich sagen: Sie muß ökologisch wirksam und wirtschaftsverträg- verläßlich ist, herrscht bei der SPD und überall do rt, wo sie in der Verantwortung steht, das reine Chaos. lich sein. Wir dürfen den Wirtschaftsstando rt Deutschland dadurch nicht vernachlässigen. Wenn ich Kollegin Matthäus-Maier richtig zugehört habe, dann stelle ich fest, daß es auch hier herrschen Der Solidaritätszuschlag hat noch einmal eine würde, wenn Sie hier in der Verantwortung stünden. Rolle gespielt. Ich möchte auf folgendes hinweisen. Darum müssen wir das verhindern. Wir haben beschlossen, den Solidaritätszuschlag ei- ner jährlichen Überprüfung zu unterziehen, und dies (Beifall beider CDU/CSU und der F.D.P.) tun wir. Ich rate uns allen: Wir tun gut daran, diese Überprüfung sorgfältig vorzunehmen und sich weder Saarland und Bremen nehmen jährlich Bundeshilfen in der einen noch in der anderen Form festzulegen. in großem Umfang in Anspruch, das eine von 1,8 Mil- liarden DM, das andere von 1,6 Milliarden DM. Al- Ich möchte mit aller Deutlichkeit sagen: Ich bin ex- lein im nächsten Haushaltsplan macht dies 3,4 Mil- akt nicht der Vorstellung, die Ministerpräsident liarden DM aus. Was könnten wir mit 3,4 Milliarden Schröder in den - über den Vermittlungsausschuß DM, wenn wir sie nicht den beiden bankrotten, von darf man nicht berichten - Vorverhandlungen zum der SPD regierten Ländern überweisen müßten, an Vermittlungsverfahren vorgetragen hat, nämlich daß familienpolitischen oder sonstigen politischen Maß- es mit den Transfers in den Osten jetzt endgültig ge- nahmen alles leisten? nug sei, wir hätten schließlich genügend Probleme hier. Wir stehen hier auch in der Verantwortung den (Beifall bei der CDU/CSU) neuen Ländern gegenüber, und dieser Verantwor- tung werden wir gerecht werden. Dafür brauchen Wir leben in der Regel nicht von der Hand in den wir auch in der Zukunft Geld. Mund, sondern planen auch mittelfristig. Allein für die vier Jahre, die wir in der mittelfristigen Finanz- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so planung vor uns haben, macht das, was Saarland wie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES und Bremen vom Bund überwiesen bekommen, 90/DIE GRÜNEN) 17 Milliarden DM aus. Das ist eine gigantische Grö- ßenordnung. Dies ist das Ergebnis sozialdemokrati- Auch beim Solidaritätszuschlag gilt das Wo rt von scher Politik. Theo Waigel von einer symmetrischen Finanzpolitik, d. h., ich kann Steuern erst dann nachlassen, wenn Niedersachsen, mit dem anderen ausrangierten ich den Haushalt auf der anderen Seite konsolidiert Troikaner an seiner Spitze, hat sich völlig vergalop- habe. Beides muß gleichmäßig laufen, wenn wir un- piert. Kein Geld mehr für Investitionen, keine Vor- sere internationale Bonität nicht in Verruf bringen sorge für Ausfälle durch das Urteil des Bundesverfas- wollen. sungsgerichts. Es ist doch hochspannend: Während der Verhandlungen zum Familienleistungsausgleich Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich muß noch einmal auf Sie zu sprechen kommen. Frau Mat- war es nicht zuletzt Niedersachsen - aber auch das Saarland -, das immer wieder gesagt hat: Wir können thäus-Maier hat die niedrigen Zinsen angesprochen bei den großen Entlastungen, die ihr - Bund, Bundes- und gefragt, was passiert, wenn sie möglicherweise regierung, Koalition - vorhabt, nicht mitmachen. Ja, steigen. Auch das ist schon wieder so ein Horrorsze- warum? Weil wir das Geld nicht haben. nario, Frau Matthäus-Maier. Andersherum wird ein Schuh daraus. Erst die von dieser Koalition und die- Alle CDU- oder CSU-geführten Bundesländer hat- sem Finanzminister durchgesetzte Politik hat den ten in ihrer Haushaltsplanung für die Erfüllung der Spielraum dafür geschaffen, daß die Zinsen gesenkt Kriterien, die uns das Bundesverfassungsgericht vor- werden konnten. gegeben hat, selbstverständlich Vorsorge getroffen. - (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Das Saarland aber nicht, auch Niedersachsen nicht. Pleite! Gehen Sie davon aus, daß dies auch in der Zukunft unsere Meßlatte sein wird! Wir werden die Kriterien Ich kann nur sagen: Wenn ich unter diesen Um- von Maastricht einhalten und erfüllen und auch hier ständen solche Haushalte hätte, würde ich mich als mit gutem Beispiel vorangehen. Saarländer und als Niedersachse bei dieser Haus- haltsdebatte auch nicht sehen lassen. Das ist wohl Ich möchte eine Anmerkung zum Thema Vermö- wahr. gensteuer machen. Sie haben, wie ich finde, nicht nur sachfremd diskutiert, sondern auch gegen jede (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4119 Hans-Peter Repnik Daher rührt - man könnte fast Mitleid bekommen - - Moment, Moment! Ich kann das so nicht stehenlas- die Blockadepolitik, von der schieren Not bestimmt. sen, Kollege Struck. Ich unterstelle gar keine bösartige Absicht. Diese Blockadepolitik ist von der schieren Not bestimmt. Ab einem bestimmten Zeitpunkt des Verfahrens Das ist das Ergebnis, wenn man die SPD an die Kasse mußten wir - das ist wohl wahr—, wenn wir den Ge- läßt. samterfolg des Jahressteuergesetzes, die Entlastung im Hinblick auf die steuerliche Freistellung des Exi- Weil das so ist, meine sehr verehrten Damen und stenzminimums und den Familienleistungsausgleich, Herren, mußten wir darauf verzichten, die Nettoent- für die Bürger von insgesamt 19 Milliarden DM nicht lastung von 23 Milliarden DM, die im Jahressteuer- gefährden oder scheitern lassen wollten, mit Ihnen gesetz ursprünglich vorgesehen war, zu kürzen. Wir natürlich ins Boot, im Sinne des Verhandelns. Das ist erinnern uns: Frau Matthäus-Maier und andere spra- doch völlig klar. Wenn es nach uns gegangen wäre, chen von 10 Milliarden DM, von maximal 12 Mil- wäre es bei 23 Milliarden DM geblieben. Wir hätten liarden DM und dann von vielleicht 14 Milliarden keine Kompensation gehabt, und der Bürger hätte DM. Wir wollten dem Bürger ab dem 1. Januar 1996 sich noch mehr gefreut, als er sich jetzt ohnedies ohne Kompensation, ohne Wenn und Aber jährlich freuen darf. 23 Milliarden DM zurückgeben. Wir sind bei (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - 19 Milliarden DM gelandet. Das ist noch ein gutes Dr. Peter Struck [SPD]: Was für ein Kinder Ergebnis. Aber wir hätten 23 Milliarden DM erreicht, geld hätten Sie ohne uns gezahlt!) wenn nicht die SPD-geführten Bundesländer im Bun- desrat unsere Politik blockiert hätten. Dies ist die Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, sowe- Wahrheit. nig es Herrn Scharping gelungen ist - das ist die ein- zige Freude an diesem gesamten Verfahren gewe- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sen -, seine Position im Bundesrat und im Vermitt- Frau Matthäus-Maier, ich weiß nicht, ob es noch lungsausschuß durchzusetzen - - vergnüglich ist, ob man darüber lachen oder lächeln (Horst Kubatschka [SPD]: Er kennt sich in darf. Wenn Sie hier den Eindruck erwecken, daß Sie seiner eigenen Rede nicht aus!) uns in diesem Zusammenhang etwas abpressen muß- ten, dann ist das wiederum an der Wahrheit vorbei- - Moment! Ich spreche jetzt von Herrn Scharping. geredet. Ganz am Rande hat auch die SPD-Bundestagsfrak- tion zumindest versucht, Einfluß zu nehmen. Aber (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) dazu sage ich anschließend etwas. Wir wollten 23 Milliarden DM weniger Belastungen, (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wir haben Sie wollten 10 bzw. 12 Milliarden DM, bei 19 Mil- wieder etwas Böses gemacht!) liarden DM sind wir gelandet. Wir mußten uns leider - Nein. rund 4 Milliarden DM abpressen lassen. Ich möchte doch gerne in diesem Zusammenhang (Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Sie waren den Herrn Scharping zitieren, der während des Ver- gegen den Subventionsabbau!) fahrens am 3. Mai 1995 sagte: - In diesem Zusammenhang war der Subventionsab- Jetzt haben wir [die SPD] eine so starke Position, bau nicht vorgesehen. daß wir es mit unseren Möglichkeiten durchset- zen wollen und auch durchsetzen werden. Tatsa- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Aha! Gegen che ist, wir haben uns steuersystematisch und fa- Subventionsabbau!) milienpolitisch durchgesetzt. - Moment. Das Jahressteuergesetz wollte entlasten Das ist in diesem ganzen Zusammenhang eigentlich und nicht belasten. der einzige Lichtblick gewesen. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das machen (Joachim Poß [SPD]: Warum sind Sie so ner Sie in zehn Jahren!) vös? Weil Sie von der CSU angegriffen wer den?) Die gut 4 Milliarden DM, die wir jetzt gegenfinanzie- ren, kompensieren müssen, gehen ausschließlich - Ich bin überhaupt nicht nervös. und damit einseitig zu Lasten der SPD. Sie haben sie uns abgetrotzt. Aber sowenig es Scharping gelungen ist, den Bun- desrat aus parteipolitischen Gründen zu instrumenta- (Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist doch lächer lisieren, so sehr sollte uns doch zu denken geben, - lich! Sie reden hier wider besseres Wissen! daß uns das föderale Instrument Bundesrat zu einem, Wir sind in den Gesprächen zusammen ge ich möchte fast sagen: Systembruch im Zusammen- wesen!) hang mit der Änderung des Grundgesetzes zwingt, was heute auch auf der Tagesordnung steht. Hier - Ich kann ja authentisch berichten, weil ich dabei wurde ein Präzedenzfall geschaffen, der nicht Schule war. Das ist der Vorteil. machen sollte. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Kollege Struck, Sie wissen so gut wie ich, weil wir Dr. Peter Struck [SPD]: Ganz vorsichtig! - beide dabei waren: Theo Waigel hat ausschließlich Joachim Poß [SPD]: Es gibt doch B-Länder!) zugestimmt, weil er den Familien in Deutschland 4120 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 Hans-Peter Repnik nicht die bessere Förderung vorenthalten wollte und schuldungszug des Bundeshaushalts beschleunigt, weil er dem Bundesverfassungsgericht im Hinblick obwohl erklärte Absicht dieser Bundesregierung auf das Existenzminimum im Gegensatz zu anderen war, die Steuerentlastung 1996 ohne Pump zu finan- Vorstellungen zeitgerecht nachkommen wollte. Dies zieren. ist der saure Apfel, den wir dabei zu schlucken hat- ten. Diese Politik sollte nicht Schule machen. Jetzt sind wir in der Situation, die ich im März bei der abschließenden Lesung des Bundeshaushaltes (Beifall bei der CDU/CSU) 1995 angesprochen habe: Der Regierungskoalition und auch der Haushaltsgruppe der Regierungskoali- Verehrte Frau Kollegin Matthäus-Maier, ich habe tion wird das Drücken der Neuverschuldung 1995 im mir vorhin überlegt, weshalb Sie sich gerade in die- Plan auf unter 50 Milliarden DM noch wie ein Bume- sem Zusammenhang, als es um das Jahressteuerge- rang um die Ohren fliegen, weil der Anstieg wie das setz, um den Familienleistungsausgleich und um das Amen in der Kirche kommt. Existenzminimum ging, so außerordentlich echauf- fiert haben. Ich möchte hier etwas sagen, und ich Wenn Sie, Herr Kollege Roth, den Herrn Finanzmi- bitte Sie, mir das so abzunehmen. Ich kann das ei- nister mit einem neuen Fingerzeig darauf hingewie- gentlich nur dadurch erklären, daß Sie nach wie vor sen haben, daß in Deutschland die Kapitalmärkte von dem Frust gepackt sind, den die Fraktion und durch Zinszahlungen des Bundes in größerem Um- Sie persönlich in diesem Verfahren mit dieser Zaun- fang bedient werden, als sie durch die Kreditnach- gastrolle hatten. Sie wurden von Ihren Ministerpräsi- frage des Bundes in Anspruch genommen werden, denten in die Ecke gedrängt. Deshalb lebt jetzt a ll dann darf man daraus doch nicht den Trugschluß zie- dies in der heutigen Debatte auf. Anders könnte ich hen, der Staat solle möglichst viel Schulden haben, diese Verdrehungen nicht begründen. um möglichst hohe Zinszahlungen an den Kapital- markt zurückgeben zu können. Dann ist das prak- (Beifall bei der CDU/CSU - Joseph Fischer tisch eine Alimentierung. [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Wer tut So einen Frust kennen Sie doch auch!) das denn?) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Mies- Das ist doch faktisch so. macherei, Beckmesserei, Kassandra, - alles, was wir jetzt gehört haben, ist kein Programm. Die CDU/ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN CSU-Fraktion unterstützt die konsequente, zukunfts- und bei der SPD) bezogene und solide Politik der Regierung Helmut Kohl und des Finanzministers Theo Waigel. Wir wer- Im nächsten Jahr zahlt der Bund 96 Milliarden DM den ihr in parlamentarischen Verfahren einmal mehr Zinsen; 60 Milliarden DM Kredite nimmt er neu auf. zum Erfolg verhelfen. Darum bitte ich die Koalition Dieser Bundeshaushalt hat in keinster Weise eine um die Stimmen. Knautschzone. Jede konjunkturelle Delle, jede Ver- Vielen Dank. änderung auf dem Arbeitsmarkt, jedes unvorherge- sehene Ereignis - beispielsweise ist beim Sonder- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wohngeld Ost jetzt schon absehbar, daß der Etatan- satz im Haushalt 1995 nicht ausreichen wird; und dieser Ansatz ist auch noch in den Haushalt 1996 Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Oswald übernommen worden - bringt das Schiff aus der - Metzger, Sie haben das Wo rt. Bahn. Seien wir doch einmal ehrlich: Die Steuerschät- zung vom Mai dieses Jahres hat für 1995 Steuerein- Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gänge für den Bund prognostiziert, die, wie man be- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frustriert reits jetzt am Ist nach acht Monaten sehen kann, sind in dem Gremium mehrere, nicht nur in dem Fa ll überhaupt nicht eintreten werden. Von daher wird die SPD-Bundestagsfraktion, sondern, glaube ich, der Haushalt 1995 nach menschlichem Ermessen auch Sie, Kollege Repnik. Nachdem Sie mit Theo deutlich schlechter aussehen, auch wenn viele Mini- Waigel fraktionsintern Überlegungen über die Öko- sterien auf Grund der späten Verabschiedung relativ steuer angestellt haben, haben Sie als Vertreter Ihrer viel von ihren Mitteln für Investitionen tatsächlich Arbeitsgruppe auch so manchen Strauß ausgefoch überhaupt nicht mehr abrufen können. Dann kann ten und mußten manches anhören, was Ihnen nicht sich der Finanzminister vielleicht am Jahresende hin- gepaßt hat. stellen und über Ausgabenansätze, die er auf den- Fakt ist auf jeden Fa ll in dieser Haushaltsdebatte Haushalt 1996 überträgt, noch einmal durchmogeln, zur Einbringung des 96er Haushaltes, daß hier wirk- aber zu Lasten der einzelnen Resso rts. Unseriös ist lich auf allen Seiten mit Wasser gekocht wird. Da hält diese Argumentation allemal. man sich gegenseitig Dinge vor, die jeder von uns, Wenn ich schon von Theo Waigel den Lieblings- wenn er in der Regierungsverantwortung auf Lan- spruch der letzten Wochen höre, er stehe hier für desebene ist, mit dem Zungenschlag der Opposition eine systemimmanente Finanzpolitik, durchaus anders sieht und andersherum mit dem Re- gierungszungenschlag. Das weiß man. Faktum ist (Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] auf jeden Fall, daß sich im nächsten Jahr der Ver [CDU/CSU]: Symmetrische Finanzpolitik!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4121 Oswald Metzger dann muß man doch eindeutig sagen - selbst die Eine schnelle Entscheidung hieße, dort beispiels- „FAZ" erkennt das ganz deutlich -, daß davon nicht weise die Deutsche Welle anzusiedeln und wenig- die Rede sein kann, wenn man auf der einen Seite stens Arbeitsplätze in diesem Bereich zu wahren und die Steuerlastquote nicht absenkt und auf der ande- nicht jeden Monat eine Viertelmillion DM allein für ren Seite die Neuverschuldung erhöht. Bauunterhaltungskosten aufzuwenden. Wenn Sie die Kapitalkosten für die 350 Millionen DM einrechnen, (Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] dann wird Ihnen ganz schlecht: Dann sind es monat- [CDU/CSU): Symmetrische Finanzpolitik!) lich mindestens 2 bis 3 Millionen DM, die diese Ruine kostet. Oder soll es ein in Beton gegossenes - Symmetrische, genau. Vielen Dank, Herr Kollege Denkmal für die Effizienz der öffentlichen Verwal- Hauser. - Eine symmetrische Finanzpolitik kann man tung mit dem Bundesfinanzminister an der Spitze da nicht erkennen. sein? (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was immer das sein mag!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der PDS - Vor diesem Hintergrund möchte ich den Finanzmi- (CDU/CSU): Der Scherz ist danebengegan nister ganz deutlich fragen, ob er nach dem Motto gen!) „Watschen austeilen" auch Kabinettsmitglieder be- handeln will. Heute bot sich das bei den Redebeiträ- Kollegin Matthäus-Maier hat das 16seitige Papier gen zu Lasten der sozialdemokratischen Opposi tion des Bundesarbeitsministers natürlich an. Eine Troika, die nicht mehr existiert, for- dert natürlich zu entsprechenden Kommentaren her- (Dr. Peter Struck [SPD]: Wo ist er über aus. Das weiß die Opposition; darauf kann sich die haupt?) SPD sicher einstellen. in Sachen Finanzierung der deutschen Einheit über Im letzten Jahr hat der Kanzler - er ist nicht mehr die Sozialversicherungskassen angesprochen. Wenn im Haus - seinen Lieblingsprotegé Transrapid in die sich der Finanzminister heute hinstellt, umgeben Finanzplanung des Verkehrsressorts hineingedrückt. vom Glorienschein der OECD und der internationa- In Konfirmandenmanier hat Wissmann diese Ge- len Finanzpolitik, weil er die Konvergenzkriterien schichte aufgenommen und dem Kanzler applau- von Maastricht erfüllt hat, und sagt: Wir in Deutsch- diert, was natürlich Waigels Finanzplanung für das land haben die Herkulesleistung deutsche Einigung Verkehrsressort total aus dem Ruder laufen ließ. Jetzt mit haushaltspolitischem Anstand geschultert, dann kassiert Waigel plötzlich bei Wissmann diese Investi- doch nur deshalb, weil annähernd 100 Milliarden tionsmittel zu Lasten der Deutschen Bahn wieder ein. DM von den Beitragszahlern dieser Republik über Daß das eine ökologische Verkehrspolitik sein soll, Renten- und Arbeitslosenversicherung finanziert während selbst die trockensten Finanzpolitiker der worden sind. Regierungskoalition mittlerweile ökologische Kom- ponenten in der Steuerpolitik anmahnen, verstehe (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - ich nicht. Das ist doch eine Bankrotterklärung und Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: So ist es!) nur ein Austeilen von Watschen an den Verkehrsmi- Wo wären Sie denn mit der Neuverschuldung in der nister. mittelfristigen Finanzplanung, wenn diese versiche- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, rungsfremden Leistungen über den Haushalt finan- bei der SPD und der PDS) ziert worden wären, wie es der Arbeitsminister zu Recht anmahnt? Sie stünden am Ende des Finanzpla- Gestern fand im Kanzleramt eine Besprechung nungszeitraumes 1999 auf jeden Fall bei einer Netto- zwischen Töpfer, Waigel und Bohl in Sachen Schür- neuverschuldung von 50 bis 60 Milliarden DM und mann-Bau statt. Wenn es schon darum geht, Haus- nicht bei den 29 Milliarden DM, die Sie jetzt vorgau- aufgaben zu machen, keln. (Zuruf von der F.D.P.: Lachhaft!) Wenn der Finanzminister heute zum Thema Soli- daritätszuschlag sagt, er lege sich nicht fest, man muß ich sagen: wolle ihn aber abbauen - von Abschaffen kann so (Dr. Peter Struck [SPD]: Ein wahres Trauer schnell keine Rede sein -, und das Jahr 1998 aus- spiel!) klammert, dann muß man sehen: 1998 sind nach aller Voraussicht die nächsten Bundestagswahlen. Hier Wer vom „Langen Eugen" in diese Baugrube guckt, kann man eine kleine Wohltat unter das Wählervolk - der sieht doch, daß hier, seit beim Weihnachtshoch- streuen. Ein Finanzminister müßte aber auch sagen, wasser 1993 die schmutzige Rheinbrühe reinlief, ein daß in der Finanzplanung keine müde Mark für die Trauerspiel ohne Ende über die Bühne geht. Ich ver- Abschaffung oder die Rückführung des Solidaritäts- stehe nicht, daß man nicht endlich auch im Interesse zuschlags vorgesehen ist. Immerhin geht es hier um der Stadt Bonn, der gegenüber dieser Bundestag die Kleinigkeit von 30 Milliarden DM im Haushalts- eine Verpflichtung hat, eine schnelle Entscheidung ansatz für 1996. trifft. All diese Fakten werden nicht angesprochen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, wenn man sich nur Fensterreden um die Ohren bei der SPD und der PDS) schlägt. 4122 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 Oswald Metzger Rezepte sind angemahnt, auch von der Oppositon. Beweglichkeit ist gefragt. Wir mahnen eine solche Rezeptur z. B. im Bau- ministerium an. Töpfer ist ja Beauftragter für den (Joachim Poß [SPD]: Das setzt aber voraus, Umzug nach Berlin. Wenn gestern die Haushaltspoli- daß die Leute Besitzstände haben!) tiker der Regierungskoalition, Weng und Roth, ver- lautbart haben, sie wollten den Berlin-Umzug zu ei- - Ich denke durchaus, daß die Leute Besitzstände ha- ner Organisationsreform der Ministe rien nutzen ben. (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Aber gerade zum Thema Besitzstände - wenn Sie Wissen Sie etwas Besseres?) schon dieses Stichwort liefern, Kollege Poß - noch eine Replik auf die Äußerungen zu den versiche- und das Verschlankungspotential im Hinblick auf die rungsfremden Leistungen in der Sozialversicherung: Investitionstätigkeit realisieren, dann ist das ein ver- Ich habe selten jemanden einmal thematisieren ge- nünftiger Ansatz. Aber wie paßt zu diesem richtigen hört, welch eine gigantische Umverteilung es eigent- Ansatz der Kollegen Haushälter, daß Innenminister lich darstellt, daß durch die Beitragsbemessungs- Kanther den Obleuten der Haushaltsgruppen dieses grenzen in der Renten- und Arbeitslosenversiche- Bundestages vor einer Woche einen B rief schreibt, er rung nur ein bestimmter Teil der Bevölkerung die La- sehe sich leider nicht in der Lage - und bitte um Ver- sten beispielsweise der Deutschen Einheit mitträgt, ständnis -, uns erste Ergebnisse der Effizienzsteige- während Gutverdiener, die sich privat versichern rungsmodelle im Bundeshaushalt vorzulegen, wie es können, diese Lasten überhaupt nicht mit schultern der Haushaltsausschuß im März beschlossen hat, müssen. Diese soziale Asymmetrie begreift niemand. und sich gleichzeitig nach außen als der große Motor des schlanken Staates, der effizienteren Verwaltung (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das stimmt und des weniger Ausgebens im konsumtiven Bereich doch gar nicht!) hinstellt? Die private Versicherung ist auf jeden Fall in vielen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bereichen der sozialen Vorsorge wi rtschaftlich gün- Diese Haltung paßt nicht zusammen. Denn man weiß stiger als die Vorsorge über gesetzliche Sicherungs- ganz genau, daß der Investitionsanteil im Bundes- systeme. Das muß man, was jedenfalls die Renten- haushalt in den nächsten Jahren nach unten geht, versicherung anbetrifft, ganz deutlich ansprechen; und zwar schon ohne Berücksichtigung der Rückfüh- denn die Rentenversicherung zahlt über ihren Bei- rung des Solidaritätszuschlags. Das muß man sich trag sehr viele versicherungsfremde Leistungen mit. ganz deutlich vor Augen führen. Wenn nur Versicherungsleistungen gezahlt würden, dann läge der Rentenversicherungsbeitrag im Be- Eine Finanzpolitik, die den Anspruch auf Seriosität reich von 12 bis 13 %, nicht aber bei 19,1 % im näch- erhebt, muß auf jeden Fall darauf abzielen, die Neu- sten Jahr. verschuldung zu senken und Sparpotentiale in der öffentlichen Verwaltung und kreative Lösungsan- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - sätze in den Ministe rien herauszukitzeln. Auch wenn Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: es nicht allen Leuten paßt - auch nicht in unserer Welche Steuer wollen Sie dafür anheben?) Fraktion -, finde ich es zumindest vom Ansatz her nicht schlecht, wenn ein Bundesminister, der für Bil- Vor diesem Hintergrund und weil die Debatte um dung zuständig ist, ein etwas anderes Lösungskon- die ökologische Steuerreform in allen Fraktionen an- zept andenkt und nicht in den alten, traditionellen steht und wohl bald auch mit Gesetzentwürfen der Haushaltsmustern verharrt, wenn er beispielsweise Regierung zu rechnen ist: Wir als Grüne fordern eine versucht, die Ausbildungsförderung zu organisieren. ökologische Steuerreform, die unter dem Öko-Label den Leuten nicht nur in die Tasche langt und von ih- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nen eine Mineralölsteuererhöhung oder sonstige Er- höhungen, bei denen m an beispielsweise nach Wohlgemerkt, damit ich nicht irgendwann von Ihnen Schadstoffausstoß besteuert, holt, wobei man als gefragt werde, ob ich inhaltlich einverstanden bin: Finanzminister billigend in Kauf nimmt, daß dann Mir geht es um die Kreativität, die man braucht, um mehr Geld in der Bundeskasse ist. Wir wollen viel- die finanzpolitischen Herausforderungen zu bewälti- mehr eine politische Lenkung mit der ökologischen gen. Steuerreform. Wir wollen Ressourcenverschwendung (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sind Sie für besteuern und bestrafen, wir wollen umweltgerech- die 8,5 % Zinsen auf BAföG, Herr Kollege?) tes Verhalten über eine Energiesteuer belohnen, die den Schadstoffausstoß minimiert. Aber wir wollen Frau Kollegin Matthäus-Maier, ich wi ll jetzt keine auf der anderen Seite damit nicht einer gesamtgesell- Bildungsdebatte führen. Da kenne ich mich nicht schaftlichen Steuererhöhung das Wo rt reden, was aus; ich gestehe das ganz offen. Unsere Fachpolitiker viele Leute, die das Öko-Label im Mund führen, werden in dieser Woche dazu etwas sagen. Mir geht durchaus billigend in Kauf nehmen. es damm, deutlich zu machen, daß mit sozialdemo- kratischen Besitzstandsverteidigungsansprüchen auf (Widerspruch von der F.D.P.) Dauer auch kein Staat zu machen ist. - Diese Bundesregierung hat in der Vergangenheit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, mit der ökologischen Argumentation wiederholt die der CDU/CSU und der F.D.P.) Mineralölsteuer erhöht und damit nur Haushaltslö- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4123 Oswald Metzger cher gestopft und zu wenig im Bereich der ökologi- daß die Kommunen wesentlich mehr Mittel im inve- schen Infrastruktur gemacht. stiven Bereich als wir bewegen. Aber wenn man na- türlich den Kommunen in die Taschen greift und die (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist po Kompensation - - lemisch! Sagen Sie mal etwas Konkretes! - Gegenruf des Abg. Joseph Fischer [Frank (Zuruf von der CDU/CSU: Aber wer?) furt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erste - Jetzt meine ich die Finanzminister der Länder wie Runde war Golfkrieg, zweite Runde waren des Bundes. Der Bund greift bei der Arbeitslosenhilfe die Altschulden der Bundesbahn!) in die Taschen der Kommunen, und die Kommunen refinanzieren sich natürlich do rt, wo sie es können, - Ich glaube, ich weiß besser, was sich bei Ihnen ab- Deshalb wird auf kommunaler Ebene auch von CDU- spielt, als Sie sich denken. Ich bin nämlich im Gegen- Oberbürgermeistern die Grundsteuererhöhung na- satz zu vielen von Ihnen ein aufmerksamer Zuhörer türlich als Mittel genutzt, um die eigenen Haushalte und differenziere in der Regel. zu sanieren, wenn von oben, sowohl vom Bund als auch vom Land, kein Geld kommt. Das ist ein Fak- Zum Thema Differenzierung liefere ich Ihnen jetzt tum. noch ein Stichwort. Die Gewerbekapitalsteuer war heute ein Thema. Die Beweglichkeit der SPD in der Gucken Sie sich die Statistiken an! Noch bevor das Sommerpause wurde von Vertretern der Regie- Bundesverfassungsgericht gesprochen hat, vor dem rungsfraktionen hier angesprochen. Im Juni stand Theo Waigel immer wieder sein Kreuz schlägt - viel- ich an diesem Pult, und der Vorsitzende des Finanz- leicht hat er deshalb das Kruzifix-Urteil so unqualifi- ausschusses stellte mir seinerzeit die Zwischenfrage, ziert kritisiert - - ob er mich richtig verstanden habe. Ich habe damals gesagt: Unsere Fraktion ist der Auffassung daß hier (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Haben eine Entlastung der Wirtschaft her muß, weil die Ge- Sie überhaupt gelesen, was ich dazu im werbekapitalsteuer eine Substanzsteuer darstellt, die „Bayernkurier" geschrieben habe?) Betriebe auch zahlen müssen, wenn es ihnen schlecht geht, und das finden wir nicht richtig. - Nein, den „Bayernkurier" habe ich nicht gelesen, aber die Kurzfassung. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Dann Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ schicke ich es Ihnen zu!) DIE GRÜNEN]: Aber!) - Danke. Auf der anderen Seite wollten wir dann auch eine Absicherung der kommunalen Schiene, weil wir, Die Kommunen nutzen auf jeden Fa ll die Grund- ähnlich wie der Finanzminister - da haben Sie sich steuer als Ventil, um sich bei den Bürgerinnen und dankenswerterweise ja wirklich bewegt -, den Lan- Bürgern schadlos zu halten. desfinanzministern nicht über den Weg trauen. Das ist meine Botschaft in jeder Rede, die ich bis- CDU-Oberbürgermeister Seiler aus Karlsruhe, der her gehalten habe: Jeder, der Bund und die Länder, neue Städtetagspräsident, hat von den „klebrigen betrachtet seinen Haushalt praktisch als Einzelhaus- Fingern " der Landesfinanzminister gesprochen, an halt. Der Verschiebebahnhof nach unten, die denen die „Kohle" hängenbleibt. Da hat er Recht. Ge- samtbelastung der Bevölkerung bleibt aber unter dem Strich gleich. Was bleibt denn von dieser Netto- (Dr. Barbara Hend ricks [SPD]: Das ist zu entlastung des Jahressteuergesetzes im nächsten treffend! - Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Meist SPD - Finanzminister!) Jahr wirklich dem Durchschnitt der Bevölkerung? Ich meine jetzt nicht die Familien mit vielen Kindern, für - Die bleibt an CDU-Finanzministern und an sozial- die der Familienleistungsausgleich Gott sei Dank demokratischen Finanzministern hängen. wirklich eine Nettoentlastung herbeiführt. Unter dem Strich bleibt fast ein Nullsummenspiel: 0,7 % Pflegeversicherung zur Jahresmitte, Rentenversiche- Unserer Fraktion ist natürlich die Kompensation rungsbeitragserhöhung, kommunale Gebühren und für die Kommunen und deren Absicherung so wich- Steuern; denn die Grundsteuer wird im nächsten tig. Wir denken, daß der 1. Januar 1997 realistischer- weise der richtige Zeitpunkt ist, diese Reform zum Jahr in den Kommunen angehoben. Da wird unter Abschluß zu bringen. Bis dahin, so hoffe ich, werden dem Strich peu à peu die gesamte Kohle wieder ein- gesammelt. im Gesetzgebungsverfahren auch die Ängste der - Kommunen ausgeräumt werden können. Dann wer- (Zuruf von der CDU/CSU: So ist das im den wir auf diesem Gebiet etwas hinkriegen, von Bergbau!) dem Wirtschaft und Kommunen etwas haben. Die Kommunen verfügen immerhin über die größten In- Das ist Redlichkeit in der Politik? Das sehe ich vestitionshaushalte in dieser Republik; der Bundes- nicht. Jeder guckt auf sich selber, niemand geht auf tag vergißt immer bei den Debatten über den Bun- den anderen zu. Kompromisse in diesem Plenum deshaushalt, sind außerordentlich selten. Sie werden wenn über- haupt, im Vermittlungsausschuß geschlossen, der (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: nicht demokratisch kontrollierbar ist, in dem eine Überhaupt nicht!) große Oppositionsfraktion - dieser Vorwurf wird mei- 4124 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 Oswald Metzger nes Erachtens zu Recht erhoben - sehr wohl unter nicht zum Anlaß für Mehrausgaben zu nehmen, dem Diktat der Länderfürsten steht und als Bundes- nicht als dauerhaft zu be trachten - damals der Wirt- tagsfraktion ein Stück weit in ihrer Handlungsfähig- schaftsimpuls - und entsprechend Vorsorge zu tref- keit beschränkt wird. Das ist leider so. fen. Das Gegenteil ist gemacht worden. (Joachim Poß [SPD]: Das ist aber kein Vor Dann war das Zerren - Sie haben das selber an an- wurf! Das ist objektiv sol - Dr. Peter Struck derer Stelle mehrfach gesagt - dera rt, daß auf Grund [SPD]: Das ist die Verfassungslage!) der Rechts- und der Mehrheitslage der Bund die bit- tersten Opfer bringen mußte. Insofern trifft Ihr Vor- - Das ist die Verfassungslage. Aber die Verfassungs- wurf, den Sie hier erhoben haben, die Länder West lage zwingt natürlich dazu, daß die unterste Gebiets- am meisten, aber sicher nicht die Koalition in Bonn, körperschaft, nämlich die kommunale Seite, immer die mit ihrer Mehrheit den richtigen Weg beschritten am Katzentisch sitzt. hat und daran in Teilen gehindert worden ist. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist nicht (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - wahr!) Lachen bei der SPD) - Doch, am Katzentisch sitzt und auf jeden Fa ll den Dafür, daß die Haushaltsdebatte die Stunde der Fuß nicht drin hat. Opposition sein soll, hat man eigentlich bisher nicht Wenn man den Bundesrat auf Grund der politi- viel von Konzepten gehört. Bei Herrn Metzger ist das schen Konstellation so aufwertet, dann bitte auch ein bißchen besser gewesen als bei der SPD. Trotz- eine Kommunalkammer, damit der kommunalen dem muß ich sagen - da ich mit Herrn Metzger ge- Seite wenigstens bei finanzwirksamen Entscheidun- meinsam habe, daß ich der Debatte folge und auf- gen ein Vetorecht und nicht nur ein Anhörungsrecht merksam zuhöre -: Die ruhige, sachliche Darstellung im Gesetzgebungsverfahren eingeräumt wird. der Koalitionsseite, des Bundesministers und des Sprechers der Union, Ich hoffe, daß es der Haushaltsausschuß im weite- ren Verfahren schafft, wenigstens die Mehrbelastun- (Widerspruch bei der SPD) gen von 1,6 Milliarden DM, die auf Grund des Er- hat sich von dem Lamentieren der Opposition ange- gebnisses des Vermittlungsausschusses zum Jahres- nehm abgehoben. Konzeptionell ist von Ihrer Seite, steuergesetz im Entwurf des Bundesfinanzministers insbesondere von der SPD-Seite, absolut nichts ge- noch nicht finanziert sind, einzusparen, und daß die Beratungen im Detail anders laufen als bei diesem kommen. eher politisch gefärbten Schlagabtausch, bei dem Mit dem Haushaltsentwurf der Bundesregierung stärker der Zustand der größten Oppositionsfraktion für das Jahr 1996 macht die Koalition einen wichti- für die Regierungskoalition das inhaltliche Thema gen Schritt nach vorne. Bundesminister Waigel ist war als die tatsächliche politische Perspektive der Fi- seiner Verantwortung gerecht geworden, durch spar- nanzpolitik dieser Regierung. same Ausgabenpolitik eine Senkung der Belastung der Bürger zu erreichen, während gleichzeitig die Auf jeden Fall wird unsere Fraktion in den Einzel- planberatungen und global versuchen, einen Mora- Nettoneuverschuldung des Bundes im Rahmen der toriumsanspruch durchzusetzen, indem wir Gegenfi- Vorgaben der Finanzplanung geblieben ist. nanzierungen bringen, die seriös sind, und nicht nur Wer den Vielfrontenkampf eines Finanzministers den Verteidigungshaushalt als Steinbruch nutzen, kennt, der weiß, was er erreicht hat. Deswegen gibt was Ihnen von der Regierungskoalition als Vorwurf es heute wirklich guten Grund, ihn zu loben. Ich an die Opposition immer leicht von den Lippen geht. freue mich, daß ich dieses Lob für meine Fraktion Vielen Dank und weiterhin eine gute Beratung. hier und heute aussprechen kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich lobe auch deshalb gerne, weil wir die künftige Finanzpolitik weiterhin in harter Konfrontation ge- Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kol- gen die grün-rote Opposition einerseits und gegen lege Dr. Wolfgang Weng. manchen konservativen Verteilungspolitiker ande- rerseits werden gestalten müssen.

Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) (F.D.P.): Herr Präsi- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ dent! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Metz- DIE GRÜNEN]: Wer ist hier gemeint?) - ger, das, was Sie über die Frage der Finanzverteilung unter den Gebietskörperschaften gesagt haben, ist in Die Opposition wird ihrer Aufgabe konstruktiver der Momentaufnahme natürlich richtig. Aber man Mitarbeit, in die sie eigentlich auf Grund der Bundes- muß sich auch den Weg dahin vor Augen führen. Da rats- und der Vermittlungsausschußmehrheit gestellt treffen die Vorwürfe mit Blick auf die Koalition wirk- ist, seither nicht gerecht. Die Grünen sind völlig kon- zeptionslos. Wir werden Sie stellen, Herr Metzger. lich die Falschen. Das, was Sie hier gesagt haben, werden wir in der Der Bund hat frühzeitig insbesondere die Länder zweiten Lesung auf die Waage legen. Wir werden Sie West angemahnt, hat auch die Kommunen ange- nicht aus der Verantwortung Ihrer eigenen Worte mahnt, die Entwicklung nach der deutschen Einheit entlassen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4125 Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Die SPD hat zunächst ihr bestes wirtschaftspoliti- dem Stichwort: Arbeitsplätze stehen vor allem ande- sches Pferd geschlachtet, um jetzt eine alte Waden- ren. beißerin mit überholten Oppositionsrezepten wieder von der Kette zu lassen. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU - Günter Graf [Fries (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ oythe] [SPD]: Die Botschaft hör' ich wohl!) DIE GRÜNEN]: Bleiben Sie bei Ihren Re zepten und wir bei unseren Wahlerfolgen!) Der Begriff Mittelstand z. B. umfaßt natürlich nicht nur den mittelständischen Unternehmer mit seiner Dies ist keine Politik. Familie, die häufig mit tätig ist, sondern selbstver- ständlich auch die Mitarbeiter mittelständischer Un- Neutrale und damit unbestechliche Beobachter ternehmen, die wir vor Augen haben, wenn wir hier sind immer die besten Zeugen, die man nennen politische Schwerpunkte setzen. kann. Deswegen hat uns das Lob der OECD im Au- gust natürlich besonders gefreut. Es hat uns auch be- (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr wahr!) sonders deutlich gemacht, daß die Koalition auf dem richtigen Wege ist. Vor allem der Hinweis, daß bei Viele Signale aus der Wirtschaft machen nach- der Konsolidierung der öffentlichen Finanzen be- denklich. Ich will hier ganz ausdrücklich die Tarif- eindruckende Fortschritte erzielt worden seien, gibt parteien an ihre Verantwortung erinnern. Das, was unserer Arbeit recht. - Herr Kollege Fischer, Ihr Nik- die IG Metall im Augenblick bei Volkswagen ab- ken spricht in diesem Fall für Sie. zieht, kann einen nur entsetzen. (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - DIE GRÜNEN]: Bei Ihnen nicke ich nicht, Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Leider wahr! bei Ihnen nicke ich, wenn überhaupt, ein!) Unglaublich!) Die F.D.P. hat einen wichtigen Anteil an diesen Fo rt Ohne Rücksicht auf Marktlage und Entwicklung -schritten. Auch das sollten Sie durchaus bestätigen. geht man dort heftig daran, den Ast abzusägen, auf dem man sitzt. Und wie immer bei sozialistischen Re- Die OECD sagt aber auch, wie es weitergehen muß. Das Hauptaugenmerk muß darauf gerichtet zepten sieht man über den Tellerrand nicht hinaus. sein, die Steuer- und Abgabenlast der Bürger wieder (Peter Dreßen [SPD]: Glauben Sie selber, zu verringern. was Sie sagen?) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Es ist bedenklich, wenn man wegen der schnellen ten der CDU/CSU) Mark der Arbeitsplatzbesitzer die Zukunftschancen Die Freien Demokraten liegen also mit ihren steuer- eines Unternehmens gefährdet und dabei leider die- politischen Forderungen genau richtig. Denn in der jenigen vergißt, die keine Arbeitsplätze haben und Vorausschau der künftigen Wirtschafts- und damit nur bei Besserung der Standortsituation Hoffnung auch der Haushaltsentwicklung wissen wir, daß es haben dürfen. vor allem auf eins ankommt: auf den Erhalt von Ar- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) beitsplätzen und insbesondere auch auf die Schaf- fung von neuen und zukunftsträchtigen Arbeitsplät- Die Politik muß die Rahmenbedingungen verbes- zen in unserem Land. sern. Die F.D.P. ist bereit, hieran in der Koalition mit- Wir stehen in weltweitem Wettbewerb. In dritten zuwirken, aber auch die Tarifparteien müssen ihren Ländern fragt niemand danach, ob er mit dem Kauf Beitrag leisten. deutscher Produkte einen Beitrag zur Verbesserung Zukünftige Arbeitsplätze sind eine Frage von Bil- unserer Wirtschafts- und Haushaltssituation leistet. dung und Ausbildung. Auch hier muß ich die Tarif- Hier zählen allein Preis und Qualität. Die Konkurren- parteien ansprechen. Der Abbau von Ausbildungs- ten schlafen nicht. plätzen, vor allem in mitbestimmten Großbetrieben, Deshalb muß besonders besorgt machen, daß sich ist eine Schande. wichtige Produktionsbetriebe im vergangenen Jahr (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Genau vom abgewandt haben. Natür- Standort Deutschland dort!) lich ist internationale Arbeitsteilung erforderlich; aber Deutschland als Produktionsstandort muß seine Gerade hier sollten Arbeitnehmervertreter soziale Position bewahren und ausbauen, wenn der alte und Zukunftsaspekte bedenken. - Platz an der Spitze der Industrienationen gehalten und in den Teilen, wo er verlorengegangen ist, wie- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne der erreicht werden soll. ten der CDU/CSU) Dieses Ziel haben wir, dieses Ziel hat die F.D.P.- Ich will deswegen ausdrücklich den Mittelstand lo- Fraktion vor Augen. Wir verstehen unter Wi rtschaft ben, der seine Ausbildungsleistung seit langen Jah- nicht - entgegen dem, was man uns immer anzuhän- ren erbringt und verbessert, gen versucht - ein paar Bosse mit dickem Bauch und dicker Zigarre, sondern selbstverständlich die Ge- (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Freiherr von samtheit von Produktion und Dienstleistungen unter Stetten [CDU/CSU]) 4126 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) oft noch durch Abwerbung aus der Großindustrie ge- reitschaft, wenigstens mit der Abschaffung der ar- fährdet. beitsplatzvernichtenden Gewerbekapitalsteuer ei- nen kleinen Schritt in der richtigen Richtung mitzu- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so machen. wie bei Abgeordneten der SPD) (Günter Graf [Friesoythe] [SPD]: Erzählen Auch dies zeigt, daß die mittelstandsorientierte Wi rt Sie doch keine Halbwahrheiten!) -schaftspolitik der Koalition und der F.D.P. der richtige Für die F.D.P. bleibt mittelfristig, auch mit Blick auf Ansatz ist. die europäische Situation, ebenfa lls die Abschaffung (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr richtig!) der Gewerbeertragsteuer auf der Tagesordnung. (Beifall bei der F.D.P. - Peter Dreßen [SPD]: Mit Mittelstand meinen wir ausdrücklich a ll dieje- Wer soll den Ersatz dafür bezahlen?) nigen Bürger, die Eigeninitiative zeigen, bei denen Eigenverantwortung an erster Stelle steht, im berufli- Die Steuerdiskussion ist in den letzten Tagen wie- chen wie im persönlichen Handeln. Derjenige, der der deutlich entbrannt. Ich finde es gut und richtig, als allererstes nach dem Staat ruft, ohne überhaupt wenn hierbei alle politischen Parteien unseren Bür- die Ärmel hochgekrempelt zu haben, gehört nicht zu gern klarmachen, wo ihre Positionen in dieser De- den Leistungsbereiten, auf denen unsere Volkswirt- batte sind. Weniger Staat, weniger Steuern, mehr Ei- schaft aufbauen muß und auf die wir, die F.D.P., set- genverantwortung der Bürger, das ist und bleibt zen. Grundposition der F.D.P. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne (Beifall bei der F.D.P.) ten der CDU/CSU) Das vergangene Jahr hat ja gezeigt - ich sage das auch mit Blick auf den Zwischenruf, der hier gerade Daß die Bundesregierung zur Abwehr des Man- von der linken Seite kam -, daß man nicht kleinmütig staat- gels an Ausbildungsplätzen noch ein massives und nicht nur buchhalterisch vorgehen darf, sondern auf den Weg bringen mußte, ist lei- liches Programm daß auch politischer Druck zusätzliche Sparbemü- der notwendig und damit richtig, aber ordnungspoli- hungen auslöst. tisch an sich zu bedauern. Dies nicht nur wegen der Finanzierung, die schwierig werden wird und die (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) noch nicht geklärt ist, sondern auch deshalb, weil der Staat natürlich nicht auf Dauer die gesamte Ausbil- Es waren verschiedene Urteile des Bundesverfas- die uns zu Steuerveränderungen ge- dungsleistung übernehmen kann. Deswegen noch- sungsgerichts, zwungen haben, zu Steuerveränderungen, die wir mals ausdrücklich der Appell an die Verantwortli- ausdrücklich für richtig hielten und begrüßt haben: chen der Wirtschaft, vor allem an die Großindustrie, die hier Nachholbedarf hat, an die Tarifparteien, dies steuerfreies Existenzminimum und Verbesserungen lie. Sie wissen, daß wir dies alles trotz zum Teil ihrer Tarifverhandlungen zu machen. für die Fami schwierigster Haushaltslage auf den Weg gebracht (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr vernünfti haben. ger Vorschlag!) Mit der Entscheidung, den Kohlepfennig nicht durch eine Ersatzsteuer auszugleichen, hat sich die Bieten Sie unseren jungen Menschen die notwen- dige Zahl von Ausbildungsplätzen an! Berufslose Koalition zusätzlich selbst gebunden. Daß es der Re- gierung gelungen ist, den vorgesehenen Finanzrah- junge Menschen sind etwas, was eine soziale Gesell- men auch bei der Nettoneuverschuldung trotz einer schaft niemals hinnehmen darf. zusätzlichen Belastung von 7 bis 8 Milliarden DM (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so einzuhalten, zeigt, daß das, was wir gemacht haben, wie der Abg. Uta Titze-Stecher [SPD]) richtig war. Das zeigt auch, daß ein Weg aus diese m totalen Steuerstaat hinaus möglich ist. Zusätzlich gefährdet die augenblickliche Situation Deshalb ist es für uns auch unverständlich, daß das das erfolgreiche und gute duale Ausbildungssystem, neueste Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur das wir beibehalten, das wir fortentwickeln wollen. Gleichbehandlung von Vermögenswerten sofort wie- Was fällt den Sozialdemokraten zu diesem Thema der Anlaß ist, über Steuererhöhungen oder zusätzli ein? che Steuern nachzudenken. Wir glauben, daß gerade wegen der überproportionalen Belastung mittlerer (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nichts!) Vermögen durch die derzeitige Vermögensteuer, die aus der Begründung hier herauszulesen ist, eine- Wie gewöhnlich die Forderung nach einer Abgabe. künftige Regelung des Gesamtsteuerkomplexes eher Gerade die überhöhte Abgabenlast in unserem den Fortfall als eine Ausweitung dieser Steuer nach Lande ist aber teilweise schuld daran, daß so viele sich ziehen sollte. Aber mit Blick auf die Vermögen- Ausbildungsplätze wegrationalisiert worden sind. steuer sind dies Schlachten von übermorgen. Die wichtige Schlacht von morgen wird auf dem Feld des Ein kleiner Hoffnungsschimmer - er wurde schon sogenannten Solidarzuschlags ausgetragen. angesprochen -: In unserem Bemühen, die Situation des Wirtschaftsstandorts Deutschland zu verbessern, Politiker aus mehreren Parteien haben off offensicht- signalisiert eine zunehmende Zahl von Stimmen aus lich schnell vergessen, daß dieser Solidarzuschlag dem Lager der Sozialdemokratie neuerdings die Be ganz ausdrücklich eine Sonderbelastung auf Zeit Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4127 Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) sein sollte und sein muß. Hieran wird die F.D.P. im- unseren Konsolidierungsbemühungen bei allen mer wieder erinnern - ich freue mich, daß der Frak- Haushalten der letzten Jahre, nach dem Wechsel der tionssprecher der Union hier gleiches gesagt hat -, Koalition, hatten wir ein solches Traumziel durchaus solange diese Sondersteuer nicht abgeschafft ist. vor Augen. Nicht umsonst haben wir auf seiten der Eine dauerhafte Erhöhung dieser direkten Besteue- Koalition in der Vergangenheit z. B. beim Bundes- rung gerade der Leistungsträger in unserer Gesell- bankgewinn und jetzt auch beim Erblastentilgungs- schaft ist nicht hinnehmbar. fonds Elemente zur Tilgung von Staatsschulden ein- gebaut; (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU) (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr vernünf tig! ) Es ist manchmal schon erschreckend - eine große Sonntagszeitung hat eine Reihe von Namen auch dies geschah übrigens meistens gegen den Wider- von Kollegen des Koalitionspartners genannt -, in stand der Opposition, damals noch im wesentlichen welcher Weise statisch denkende Politiker und Inter- der SPD, bei der ja das Geldausgeben und die Hö- essenvertreter rein buchhalterische Rechnungen an- herbelastung der Bürger immer die erste Idee ist, stellen, anstatt aktiv gestaltend den notwendigen wenn es um Steuerpolitik geht. steuerpolitischen Weg zu gehen. Die Handlungsfähigkeit wird in den künftigen Der F.D.P. wäre am liebsten - das ist bekannt -, Haushalten durch immer wachsende Zinslasten ein- wenn der Solidarzuschlag in einem konkreten Zeit- geschränkt; da hat recht. Ich sage plan, der unseren Bürgern die Sicherheit dieser Ent- aber in aller Deutlichkeit: Wir hätten eine solche Ver- wicklung aufzeigt, abgeschafft werden könnte. schuldung ohne die aus der deutschen Einheit resul- tierende Sondersituation niemals gehabt und auch (Beifall bei der F.D.P.) niemals akzeptiert. Das heißt aber ausdrücklich nicht - Herr Kollege Krü- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) ger, dabei blicke ich Sie an -, daß wir die notwendi- gen Transferleistungen für die neuen Bundesländer Hinzu kamen die Lasten, die insgesamt aus dem Zu- nicht weiter leisten wollen. Dies darf man in diesem sammenbruch des Sowjetimperiums für die Bundes- Zusammenhang nicht in Bezug setzen. republik Deutschland entstanden sind. (Beifall bei der F.D.P.) Es sind übrigens nicht nur die steigenden Zinsla- sten, die künftige Spielräume einschränken. Von vie- Mit Blick auf die gemeinsame Erklärung der Haus- len Fachleuten wird in letzter Zeit verstärkt darauf kälter der Koalition sage ich allerdings ebenfa lls, daß hingewiesen, daß auch die künftigen Versorgungsla- auch bei den Leistungen für die neuen Bundesländer sten dazu führen. Wenn man eine Prognose der Ent- künftig stärker differenziert werden muß, daß Dauer- wicklung anhand von Grafiken sieht, kann man nur subventionen, daß Gießkannensubventionen auch in erschrecken und froh sein, daß wir uns im Rahmen den neuen Bundesländern in Zukunft schädlich sind. einer Finanzplanung verhalten, bei der ein Abfla- Hier stehen wir an einem Neubeginn. chen wieder möglich wird. - Die Koalition ist deshalb (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) auf dem richtigen Weg, da sie durch die Verringe- rung der Zahl öffentlich Bediensteter solche künfti- Da wir wissen, daß der Bundesfinanzminister und gen Belastungen wieder eingrenzt. die große Zahl der Kollegen der Union unsere Auffas- sung teilen, daß der Solidaritätszuschlag schnellst- Auch die Ministerpräsidentin Simonis aus Schles- möglich entfallen muß, werden wir diese Kräfte in wig-Holstein, der SPD zugehörig, hat dies erkannt der Union besonders stark unterstützen, und wir hof- und sich vom Saulus zum Paulus - da sie eine Frau fern, daß sie sich in ihren eigenen Reihen durchset- ist, kann man vielleicht Paula sagen - gewandelt. zen. Denn von der Opposition, von den Grünen und Obwohl aber bei den Bundesländern die Belastung der SPD, ist natürlich wie immer bei Steuern hier der Haushalte durch das Personal wesentlich größer nichts Positives zu erwarten. ist als beim Bund, ist sie mit ihrer Stimme bisher noch fast alleine. Wir hingegen, die Koalition, haben schon (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: „Schnellst im laufenden Jahr durch eine kegelgerechte Absen- möglich" hat zwei Komponenten: „schnell" kung der Zahl der Bundesbediensteten eine gewisse und „möglich"!) Entspannung erreicht; dies führen wir fo rt. Der Generalsekretär der F.D.P., Guido Wester- Die F.D.P. will einen leistungsfähigen öffentlichen welle, hat in einem vielbeachteten Interview unsere Dienst. Gerade deshalb ist es unsere Überzeugung, Verantwortung für die heranwachsende Generation daß die Zahl der öffentlich Bediensteten ein gewisses - auch mit Blick auf die steigende Schuldenlast ausge- Maß nicht überschreiten darf. Da wir eine leistungs- drückt und für die Freien Demokraten deutlich ge- fördernde Kegelstruktur im öffentlichen Dienst wol- macht, daß es ein Traumziel wäre, eine Neuverschul len, muß die Zahl der öffentlich Bediensteten auf das dung der öffentlichen Haushalte überhaupt zu un- notwendige Maß beschränkt sein. tersagen. (Beifall der Abg. Birgit Homburger [F.D.P.]) Wir wissen, daß man in anderen Staaten, z. B. in den Vereinigten Staaten von Amerika, ebenfa lls sol- Meine Damen und Herren, in diesem Bereich lie- che Überlegungen anstellt. Natürlich ist es bis zu die- gen große Herausforderungen vor uns, wenn es sem Punkt noch ein weiter Weg. Ich sage aber: Bei darum geht, den Umzug nach Ber lin und im Zuge 4128 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) der Entscheidungen der sogenannten Föderalismus- tionsprüfung stattfinden muß. Der Umzug von Be- kommission auch den Umzug einer großen Zahl von hörden, meine Damen und Herren, bietet auch die Bundesbehörden innerhalb der Bundesrepub lik vor Chance zu einer leistungsgerechten Neustrukturie- allem in Richtung Bonn zu bewältigen. Die mahnen- rung, und diese Chance werden wir nutzen. den Stimmen, die uns mit Blick auf die Lasten der jungen Generation vor großzügigen Vorruhestands- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so regelungen warnen, sind berechtigt. wie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) Die F.D.P. setzt auf private Initiative. Deregulie- rung und Privatisierung sind die politischen Mittel Gerade weil die F.D.P. vielleicht mehr als andere der Wahl. Ich staune rückblickend immer wieder, mit Parteien auf ein leistungsfähiges Berufsbeamtentum welcher Geschwindigkeit die bayerische Landesre- setzt, sind wir dem Koalitionspartner dafür verbun- gierung hier in der Vergangenheit vorgegangen ist, den, daß er die Bereitschaft für notwendige Refor- nachdem man dort lange Jahre ganz andere Kon- men im Bereich des öffentlichen Dienstrechts zeigt zepte verfolgt hatte. Die Bundesregierung hat z. B. und daß wir hier gemeinsam eine Reihe von notwen- im Zusammenhang mit der Bahnprivatisierung eine digen Maßnahmen in Angriff nehmen können. Bei richtige und neue Strategie entwickelt, die jetzt auch der SPD ist hier wie immer, wenn es um Zukunftsfra- bei der Finanzierung der Bahn ihren Niederschlag gen geht, Fehlanzeige. findet. Meine Damen und Herren, wenn schon auf (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Bei Ihnen ist Grund der Haushaltsenge nicht alle Investitionswün- das so! Das ist wahr!) sche finanzierbar sind, so kann man doch durch Pri- vatisierung zusätzliche Spielräume schaffen. Die pri- Wir glauben, daß sowohl eine Erprobung auf vatisierte Bahn muß sich auch wie ein richtiger Priva- Dienstposten vor der Beförderung als auch eine Pro- ter verhalten. bezeit in Führungspositionen eine noch bessere Ver- (Beifall des Abg. Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]) waltung nach sich ziehen wird, und wir glauben, daß auf Grund der Erfahrungen auch im Zusammenhang Zähes Klammern an nicht benötigte Immobilien war mit der deutschen Einheit eine Verbesserung des in der Vergangenheit falsch. Hier ist uns mancher Personaleinsatzes erreicht werden muß. Die Abord- Ansatz, auch im kommunalen Bereich - da hört man nung zu anderen Dienstherren ebenso wie die Ver- immer wieder Klagen -, von der Bahn blockiert wor- setzung in andere Laufbahnen sollten im Rahmen den. Dies wird künftig noch falscher sein, weil es der Treuepflicht unserer Staatsbediensteten eigent- jetzt kurzfristig Entwicklungsmöglichkeiten der lich fast selbstverständlich sein. Leider war die Erfah- Bahn einschränkt, wenn man hier auf dem Stand- rung im Zuge der deutschen Einheit, auch in der punkt beharrt. Frage der Transparenz bei verschiedenen Gebiets- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) körperschaften, so, daß wir nicht zufrieden sein konnten, daß wir hier, wie Sie wissen, in erheblichem Ich bin dem Kollegen Thiele außerordentlich dank- Maße zusätzlich finanzieren mußten. Ich wi ll mit die- bar, daß er unter dem Stichwort „Wohnungen in ser Kritik ausdrücklich nicht diejenigen, die sich hier Bahnbesitz" darauf aufmerksam gemacht hat, daß unter eigenen Opfern bereit erklärt haben, am Auf- die Veräußerung einer großen Zahl von bundesbahn- bau der neuen Bundesländer mitzuwirken, kritisie- eigenen Wohnungen an die Mieter erhebliche finan- ren. Hier hat es viel lobenswertes persönliches Enga- zielle Mittel freisetzen würde. Nicht nur dies, meine gement gegeben. Damen und Herren: Der Wegfall einer teueren Ver- waltungsbürokratie wäre eine angenehme Begleiter- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne scheinung, vor allem aber die Schaffung von Eigen ten der CDU/CSU) tum bei vielen Menschen gerade mittlerer und nied- riger Einkommensgruppen wäre ein außerordentlich Aber wir wissen auch und müssen das im Rückblick positiver zusätzlicher Effekt einer solchen Privatisie- sagen, daß die Zahl derer, die zu solchem Engage- rungskampagne. ment, solchen Opfern bereit waren, bei weitem nicht ausreichend gewesen ist. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Sie werden die F.D.P. immer auf der Seite derjeni- Die F.D.P. wird auch bereit sein, im Rahmen der gen finden, die breitgestreutes Eigentum für besser Haushaltsberatungen in der Frage beamteter Spit- halten als sozialistische Verwaltungsmonopole. Des- zenpositionen in den Bundesministerien Einschrän- wegen fordern wir die Bahn ausdrücklich auf, diese kungen mitzutragen. Wer die Personalhaushalte der Privatisierungen in Angriff zu nehmen. Bonner Bürokratie und der nachgeordneten Bürokra- - tie vor und nach der Wiedervereinigung betrachtet, Lassen Sie mich noch einen Satz zu dem auch hier sieht, daß es zu überproportionaler Ausweitung von in der Debatte angeklungenen Stichwort sachfremde Stellen gekommen ist. Manches davon war in der ak- Leistungen der Sozialversicherungen sagen. Gerade tuellen Situation begründet, aber jetzt muß wieder die durch die Wirtschaftskrise 1993 verursachten sorgfältig geprüft und gegebenenfalls reduziert wer- Zahlungen an die Bundesanstalt für Arbeit haben ja den. In jedem Fall ist in diesem Zusammenhang die auch den Bundeshaushalt massiv belastet. Das hat Forderung von F.D.P. und Koalition richtig, daß vor Nachwirkungen bei der Finanzplanung. Ich wider- jedem Umzug - nicht nur nach Berlin, auch vor je- spreche denjenigen nicht, die sagen, daß hier eine dem anderen Umzug - eine sorgfältige Organisa Reihe von Leistungen eigentlich logischerweise steu- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4129 Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) erfinanziert sein müßten. Eine große deutsche Tages- Allerdings wäre die Senkung von Lohnzusatzkosten zeitung hat ja vor einigen Tagen den Umfang solcher eine wünschenswerte Verbesserung für den Wi rt Zahlungen mit 112 Milliarden DM angegeben. Dies -schaftsstandort Deutschland, die wir ebenfalls begrü- ist sicher überzeichnet. Es gibt jedenfalls eine Reihe ßen. solcher Leistungen, die steuerfinanziert sein müßten, und es handelt sich hier um erhebliche Dimensionen. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) Ihr Modell zusätzlicher Steuerbelastungen, das Sie Ich sage noch einmal rückblickend, daß es in der immer und immer wieder aufbringen, werden wir damaligen Situation der deutschen Wiedervereini- nicht mittragen. Was heute von Ihnen zugesagt wor- gung keine andere Wahl gab, den ist, werden wir erst einmal vorgelegt bekommen ( [Köln] [SPD]: Doch! Einen or müssen, damit wir es in den tatsächlichen finanziel- dentlichen Solidaritätszuschlag von Beginn len Auswirkungen prüfen können. Bis jetzt haben an!) Sie ja nichts Konkretes, sondern mehr Nebulöses ge- sagt. Die Erfahrung der Vergangenheit zeigt, daß So- als die Dinge so zu machen, wie die Koalition sie ge- zialdemokraten immer auf der Matte sind, um Mehr- macht hat. belastungen der Bürger zu verursachen. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das ist falsch!) (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU) Dabei bleibe ich; das habe ich hier mehrfach gesagt. Ich vertrete das weiterhin. Meine Damen und Herren, ich habe dies deswe- gen so ausdrücklich gesagt, weil es viele, auch Kolle- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Dann müssen Sie ginnen und Kollegen, gibt, die bei dem Stichwort auch die Schulden vertreten! - Gegenruf „Sachfremde Leistungen durch die Sozialversiche- des Abg. Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: rungen" beifällig nicken und meinen, daß dann neu Aber Frau Fuchs! Sie haben doch keine Ah Geld ausgegeben werden könne. Meine Bitte geht nung!) auch an die Bürger im Land: Fragen Sie immer jeden Das ganze - so sage ich es einmal - finanzpoliti- Verteilungspolitiker, der Ihnen solche Versprechun- sche Durcheinander dieser Übergangsphase wäre gen macht, wer oder wodurch solche Dinge bezahlt anders nicht zu regeln gewesen. Man konnte es nur werden sollen. so regeln, wie wir es getan haben. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Aber ich sage auch mit Blick auf diejenigen, die Die F.D.P.-Fraktion wird bei der jetzt anstehenden jetzt meinen, sie hätten eine neue Geldquelle aufge- Detailberatung des Haushalts politische Schwer- tan: Ein Umbau könnte hier zunächst einmal nur un- punkte setzen; sie wird natürlich zusätzliche Sparvor- ter konzentrierter Überprüfung der Leistungen statt- schläge machen. Vor allem im Bereich der Subventio- finden. Das heißt, mancher liebgewordene Wild- nen dürfen Sie mit uns rechnen. Ich sage aber eben- wuchs, der in den Selbstverwaltungen nicht in genü falls: Es wird Initiativen für die Steigerung gewisser gender Weise abgebaut worden ist, würde dann ver- Aufwendungen geben, im Bereich von Bildung und ändert werden. Wenn Sie daran denken, daß die Ar- Kultur ebenso wie bei der Förderung des Mittelstan- beitsbeschaffungsmaßnahmen der Bundesanstalt für des. Arbeit so ausgelegt sind, daß der Bundesarbeitsmini- ster einmal in einer Haushaltsdebatte sagen konnte, Haushalt ist Bilanz und aktive Gestaltung. Der Ent- daß man, wenn man nur ein wenig nachschaue, ganz wurf 1996, die vorgelegte Bilanz der Bundesregie- schnell anderthalb Milliarden Mark einsparen rung, ist gut. könne, dann zeigt das, daß in der Vergangenheit (Zuruf von der SPD: Er reißt niemanden eine ganze Menge Überflüssiges finanziert wurde. vom Hocker!) Zahlreiche ABM-Plätze sorgen, wie Sie wissen, Natürlich kann das noch verbessert werden. In die auch dafür, daß keine neuen Arbeitsplätze entstehen jetzt folgende Gestaltung durch das Parlament wird können. Öffentliche Beschäftigung ist im Zweifel im- unsere Fraktion bei gewohnt guter Zusammenarbeit mer schlechter als die Vergabe von Aufträgen durch mit dem Koalitionspartner die klare Verfolgung libe- die öffentlichen Hände an die freie Wi rtschaft. raler Ziele einbringen. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Vielen Dank. ten der CDU/CSU - Zuruf von der SPD) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Ich sage deswegen aber zu a ll solchen Überlegungen ten der CDU/CSU) - in bezug auf die Umsetzung solcher Leistungen: Hier ist keine neue Geldquelle in Sicht; vielmehr müßte Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Dr. Christa eine solche Umsetzung natürlich durch Senkung der Luft, Sie haben das Wort. Beiträge voll ausgeglichen werden, da ja in der Kon- sequenz die steuerlichen Belastungen höher wären. Dr. Christa Luft (PDS): Herr Präsident! Meine Da- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Öko-Steuer, un men und Herren! Nach Vorlage dieses Haushaltsent- ser Modell! - Gegenruf des Abg. Hansgeorg wurfs für 1996 und der mittelfristigen Finanzplanung Hauser [Rednitzhembach] [CDU/CSU]: Pak- kann der Finanzminister - er telefonie rt gerade - ken Sie es lieber wieder ein, ihr Modell!) selbst mit einer Rede, von der er meint, sie habe ihm 4130 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 Dr. Christa Luft Vergnügen bereitet, eines, so finde ich, doch nicht mit der steuerlichen Wohneigentumsförderung er- mehr kaschieren: Diese seit eineinhalb Jahrzehnten freuen können. Diese erwarten ganz einfach etwas amtierende Bundesregierung begnügt sich offenbar anderes als diesen haushaltspolitischen Verschnitt. nicht mehr damit, scheibchenweise den Abbau des des sozialen Wohnungsbaus und des Wohngeldes. Sozialstaates weiterzubetreiben, sondern sie hat die Nachkriegssozialordnung aufgekündigt, Es ist eine einzigartige Entwicklung in der deut- (Beifall bei der PDS) schen Geschichte der letzten 200 Jahre, daß die Ge- burtenrate in Ostdeutschland um mehr als die Hälfte und dies zu einem Zeitpunkt, da sie die Abstinenz zurückgegangen ist. Man wird Leute mit Kinderwa- aufgegeben hat, deutsche Truppen auf militärische gen zumindest in den neuen Ländern in den näch- Schauplätze des Auslands zu schicken. sten Jahren wahrscheinlich noch viel seltener auf der Straße treffen. Das ist eindeutig eine Folge der Zu- (Zuruf von der CDU/CSU: Das sagen ge kunftsunsicherheit, die die jungen Menschen emp- rade Sie !) finden. Ich finde, das sind zwei sehr, sehr makabre Zäsuren fünf Jahre nach der deutschen Einheit. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Die Sie na türlich schon verbreiten!) (Beifall bei der PDS) So wie man Frieden nicht erbomben lassen kann, - Das artikulieren sie in jeder Umfrage; das ist keine Erfindung von uns. (Roland Sauer [Stuttgart] [CDU/CSU]: Aber die Leute an der Mauer erschießen!) Diese Bundesregierung setzt auf eine Dreifaltig- kann man den Wirtschaftsstandort Deutschland nicht keitspolitik. Sie fußt auf Deregulierung, Flexibilisie- dadurch attraktiver gestalten - Herr Kollege Weng ist rung, Privatisierung. Die Zauberkraft haben diese leider weg -, Begriffe aber längst verloren. Ich sage ja gar nicht, daß man in jedem Fall gegen Privatisierung sein (Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Nee, er muß. Aber wohin Privatisierung tendiert, haben wir ist hier!) kürzlich wieder mit dem Vorstoß der Telekom erlebt, daß man ihn als Standort geistigen, kulturellen, so- die Gebühren für Telefongespräche an frequentier- zialen Lebens für Millionen Menschen immer weni- ten Plätzen dieses Landes ohne zusätzliche Leistung ger erlebbar macht. erhöhen zu wollen.

Wenn dieses präsentierte Zahlenwerk in seinen Was Deregulierung bringt, zeigt die Ausbildungs- Grundkonturen unverändert bleibt, dann wird das platzsituation. Sie haben nun eine Minute vor zwölf Gemeinwesen Bundesrepublik Deutschland am noch die Notbremse gezogen - ich bin über dieses Ende dieses Jahrtausends eine andere Gestalt ha- Programm sehr froh; das sage ich ehrlich -, aber daß ben, die sich heute viele vermutlich noch nicht vor- Sie mit den Nerven der jungen Leute und deren El- stellen können. tern über viele Monate Schindluder get rieben haben, Ich will überhaupt nicht bezweifeln, daß die Zahl scheint Sie einfach kalt zu lassen. der Vermögenden vermutlich nicht abnehmen wird. Ich will auch nicht bezweifeln, daß die Menschen, (Beifall bei der PDS) die Arbeit haben - erst recht, wenn es sogar zwei in einer Familie sind -, ein auskömmliches Leben füh- Außerdem greift das Hals über Kopf aufgelegte Aus- ren werden. Sie werden allerdings wenig Muße ha- bildungsprogramm immer noch zu kurz. In Berlin ben bei dem zunehmenden Streß. Aber daneben gibt suchten kurz vor Beginn des neuen Lehrjahres 7 000 es doch noch etwas: Wir werden mit Massenarbeits- Schulabgänger einen Ausbildungsplatz. Berlin be- losigkeit als Dauerzustand zu rechnen haben. Die kommt ganze 1 500 Stellen aus diesem Schnellpro These von der Eigentumsbildung durch fleißige Ar- gramm ab. Aber für den Einsatz deutscher Soldaten beit werden immer mehr Arbeitswillige als Verhöh- im früheren Jugoslawien haben Sie ganz locker und nung empfinden müssen. Die Schar der Sozialhilfe- ganz fix 350 Millionen DM springen lassen. Sie hät- empfänger wird anschwellen, und sie wird immer ten für dieses Geld gut und gerne 6 000 bis 7 000 wei- jüngere Leute umfassen. Im Ostteil Ber lins ist schon tere Lehrstellen finanzieren können. heute die Hälfte aller Sozialhilfeempfänger jünger als 25 Jahre. Im Westteil beträgt der Anteil dieser Al- (Beifall bei der PDS) tersgruppe 42 %. Ich finde, das ist für den Wirt - -schaftsstandort Deutschland kein ermutigendes Zei- chen. Für eine aktive Arbeitsmarktpolitik ist in diesem Haushalt und in der mittelfristigen Finanzplanung Ob Sie die Sozialhilfeempfänger, auch die Obdach- kein finanzieller Rahmen erkennbar. Auch der bis losen - beispielsweise an den Bahnhöfen Berlins - Ende des Jahrtausends zumindest in den neuen Bun- damit vergnügen können, Herr Bundesfinanzmi- desländern weiterhin prekären Situation auf dem nister, daß Sie Ihnen vorlesen, was ausländische In- Gebiet der Ausbildungsplätze wollen Sie offenbar stitute oder Zeitungen Lobendes über die deutsche nur mit weiteren Beschwichtigungen und Appellen Finanzpolitik schreiben, scheint mir doch sehr frag- begegnen; denn eine angemessene haushaltspoliti- lich. Sozialhilfeempfänger werden Sie auch kaum sche Vorsorge ist nicht getroffen worden. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4131

Dr. Christa Luft In den Haushaltsansätzen für Forschung und Bil- sam mit Ihren Kolleginnen und Kollegen aus den EU- dung ist kein Horizont erkennbar, der für die Jugend Ländern die Erhebung einer Steuer auf Devisenum- ermutigend wäre. Dieser Haushalt dümpelt mit 15,5 sätze vorzubereiten. Milliarden kämen zusätzlich in Milliarden DM bis zum Ende des Jahrtausends da- die Kasse. hin. Er bietet nicht einmal für den Inflationsausgleich der betroffenen personalintensiven Bereiche Raum. (Beifall bei der PDS) Unsere Hauptforderungen für das Haushaltsjahr Kapitaltransfer ins Ausland wäre weniger lohnend. 1996 und die Finanzplanung bis 1999 lauten: Der Lohnkostenvorteil einiger anderer Länder ge- genüber der Bundesrepublik würde relativiert, viel- Erstens. Eine Änderung der Prioritäten bei den leicht kompensiert. Ausgaben. Ich kann infolge der kurzen Zeit, die uns zur Verfügung steht, nur Beispiele nennen. Es gibt Wenn Sie Bundesvermögen weiter privatisieren, offensichtlich einen Widerspruch zwischen dem Wo rt dann verwenden Sie die Erlöse doch für die Schul- der Regierung und der haushaltspolitischen Tat. dentilgung statt für das Stopfen neuer Haushalts- Wenn die Bundesrepublik - wie die Regierung stän- löcher. Legen Sie die Zurückhaltung bei der Besteue- dig betont - seit dem Zerfall des Ostblocks nur noch rung von Spekulationsgewinnen sowie bei der Be- von Freunden und Partnern umgeben ist und ein An- steuerung der Einkommen jener Bevölkerungs- und griff auf ihr Territorium auf absehbare Zeit nicht zu Berufsgruppen ab, die öffentliche Leistungen in An- erwarten ist - glücklicherweise -, dann verzichten spruch nehmen, ohne einen adäquaten Beitrag an Sie doch auf die militärischen Beschaffungspro- die öffentlichen Kassen zu leisten. gramme und die Aufstockung des Rüstungsetats. (Beifall bei Abgeordneten der PDS) Beides geht nicht zusammen, zu sagen, wir seien nur noch von Freunden und Partnern umgeben und nie- Verhindern Sie, daß zur Förderung vorgesehene mand greife uns an, gleichzeitig aber den Rüstungs- Millionen von cleveren „Absahnern" in p rivate Ta- etat aufzustocken. schen gesteckt werden, statt sie dem Gemeinwesen Bundesrepublik Deutschland zugute kommen zu las- (Beifall bei der PDS - Zuruf von der F.D.P.: sen! Bekämpfen Sie Korruption, Bestechung und Das ist Quatsch!) Wirtschaftskriminalität! Im Sommer konnte man dar- Ich sage jetzt nichts zum Jagdflugzeug; dazu ist über täglich in jeder Zeitung lesen. Fordern Sie z. B. schon gesprochen worden. Aber wozu gibt es eine die an Treuhandmanager gezahlten üppigen Prä- Beteiligung am WEU-Spionagesatellitenprojekt und mien für Privatisierungen zurück, die sich als Flop er- am Aufbau neuer Raketenabwehrsysteme? Nehmen wiesen haben! Sie doch die dafür veranschlagten Milliarden als (Beifall bei der PDS) Grundstock für einen Neuansatz in der aktiven Ar- beitsmarktpolitik, z. B. für einen öffentlich geförder- Sorgen Sie dafür, daß mit den Humanressourcen ten Beschäftigungssektor, auch wenn er Herrn Weng und dem Sachvermögen in Ostdeutschland endlich nicht zusagt. Damit kämen gut ausgebildete Arbeit- wirtschaftlich umgegangen wird und nicht mit politi- suchende in Lohn und Brot, Kommunen würden von schem Vorurteil wie bisher! Lassen Sie uns dem viel- Sozialhilfekosten entlastet, es entstünden zusätzliche strapazierten Erblastentilgungsfonds endlich einen Kaufkraft und eine Quelle für neues Steueraufkom- Erbzuwachsfonds gegenüberstellen, und setzen Sie men. Ist das wirtschaftspolitisch nichts? Obendrein sich für dessen bestmögliche Nutzung für das verei- würden bisher brachliegende gesellschaftlich not- nigte Land und seine Menschen ein! wendige Aufgaben endlich in Angriff genommen und lokale Ressourcen stärker genutzt sowie regio- Danke schön. nale Wirtschaftskreisläufe in Gang gebracht. (Beifall bei der PDS) Wenn die Regierung Weichen für eine ökologische Marktwirtschaft stellen will: Wie verträgt sich z. B. Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kol- die vorgesehene Kürzung der Ausgaben für die Bahn lege Adolf Roth. damit? Wir fordern eine Revision dieses Bundesver- kehrswegeplanes mit drastischen Kürzungen bei (Gießen) (CDU/CSU): Herr Präsident! Straßenbauprojekten zugunsten der Investitionen in Adolf Roth Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, die Schiene. der bisherige Verlauf dieser Haushaltsdebatte ist für Wenn die Bundesrepublik für die Zukunft fit ge- die Beobachter sehr aufschlußreich. Die zentrale Bot- macht werden soll - wie es immer heißt -, dann kann schaft, der Tenor der Einbringungsrede unseres Bun- der Etat des sogenannten Zukunftsministeriums desfinanzministers Theo Waigel war klar und un-- nicht über Jahre hinweg gedeckelt werden. In star- überhörbar: Die Finanzpolitik der Bundesrepublik kem Kontrast dazu steht der schwammige Haushalt steht unter dem Regime einer energischen Sparsam- der allgemeinen Finanzverwaltung, der von Jahr zu keit, die aber nicht als Selbstzweck, sondern als Teil Jahr beträchtlich aufgestockt wird. einer Strategie zukunftsorientierter Entwicklung und Standortverbesserung verstanden wird. Zweitens fordern wir, bisher nicht ausgeschöpfte Möglichkeiten für ein höheres Steueraufkommen zu Sparsamkeit habe ich bei der SPD bis dato nur nutzen und den Umgang mit öffentlichen Geldern beim Blick auf die eigenen Beiträge zu einer vernünf- wirtschaftlich zu gestalten. Ringen Sie sich, Herr tigen alternativen Entwicklung von Haushaltspolitik Bundesfinanzminister, endlich dazu durch, gemein heraushören können. Das, was Sie, Frau Kollegin 4132 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 Adolf Roth (Gießen) Matthäus-Maier, vorgetragen haben, war uns wohl- Herr Bundesfinanzminister, Sie sind mit diesem bekannt. Es hat jedoch nicht im geringsten dazu bei- Etat auf dem richtigen Weg. Deshalb wird dieser getragen, nun eine Innovation unserer Haushalts- Kurs auch unsere parlamentarische Unterstützung und Finanzpolitik zu erreichen. finden.

(Karl Diller [SPD]: Dann müssen Sie sich (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge aber in einem anderen Saal befunden ha ordneten der F.D.P.) ben! - Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wo Meine Damen und Herren von der Opposition, täu- waren Sie denn heute morgen? - Anke schen Sie sich nicht: Mit dieser Strategie werden Sie Fuchs [Köln] [SPD]: Sie sagen ja auch nichts auch in der Öffentlichkeit keine politischen Punkte Neues!) sammeln können. Natürlich ist es im einzelnen im- mer unpopulär und auch mit Opfern verbunden, Wenn Sparsamkeit das kategorische Gebot der wenn sich der Staat bestimmten Einschränkungen deutschen Finanzpolitik ist, dann hat, glaube ich, seiner Aktivitäten unterwirft. Sie reagieren darauf Theo Waigel nicht nur bei diesem Haushalt, sondern nur mit der abgegriffenen Münze oberfläch licher So- auch in den letzten Jahren, die schwer genug waren, zialpolemik und beantworten die Frage nicht, wo eine wirklich vernünftige Haushaltslinie entwickelt, denn die Spielräume für weitere expansive Vertei- die wir unterstützen. Gerade von uns, dem Parla- lungsoperationen verfügbar wären. Ich glaube, hier ment, dem Haushaltsgesetzgeber erwarten die Steu- müssen Sie Ihre Politik einer grundsätzlichen Revi- erzahler, daß wir in den nächsten Jahren das Dring- sion unterziehen. Ich hoffe, daß die Haushaltsbera- lichste erreichen, nämlich die überhöhten Steuerla- tungen in den nächsten Wochen dazu Gelegenheit sten in der Bundesrepublik zu senken. Das geht na- geben. türlich nur, wenn wir alle Instrumente nutzen, näm- lich die Reduzierung der öffentlichen Defizite und Frau Kollegin Matthäus-Maier hat negative Merk- die Rückführung des Anteils am gesamten Wirt male dieses Bundeshaushalts zu formulieren ver- -schaftsergebnis unseres Landes auf das Normalmaß, sucht. Sie waren nicht neu. Ich sage: Dieser Haushalt das wir hatten, bevor 1989/90 der Wiedervereini- ist durch mehrere sehr positive Merkmale geprägt: gungsprozeß begonnen hat. Erstens. Es ist ein Haushalt der Stabilität; er ist vertrauensbildend und damit zukunftsorientiert. Es Wir haben damals eine siebenjährige, kraftvolle Fi- geschieht doch zum erstenmal, daß die deutsche Öf- nanzpolitik hinter uns gebracht, die uns optimale fentlichkeit nun auch in Zahlen den Beweis geliefert Eckwerte bescherte. Genau dorthin wollen wir zu- bekommt, daß Sparen nicht eine leere Programmfor- rück. SPD und Grüne haben uns leider auf diesem mel ist. Die Ausgabenentwicklung bewegt sich im Weg keinen eigenen Beitrag geleistet, wie es eigent- Minusbereich. Im nächsten Jahr senken wir die Aus- lich aus der Mehrheitssituation im Bundesrat ihre gaben bereinigt um 1,3 % gleich 6 Milliarden DM auf Pflicht wäre. 452 Milliarden DM. (Karl Diller [SPD]: Bleiben Sie doch bei der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wahrheit! Sie müssen ja rot werden!) Es gibt kein besseres Signal für die Finanzmärkte, für die Investoren, für die Verbraucher in Deutsch- Die ganze Widersprüchlichkeit dieser Politik ist land. heute in vielem deutlich geworden. Es wird wo rt -reich angegriffen, notwendige Ausgabenbegrenzun- Das zweite Merkmal, Frau Kollegin Matthäus gen werden diffamiert, Mehranforderungen werden Maier: Dieser Etat ist konsequent und beispiel präsentiert. Das Elend der SPD-Finanzpolitik gerade setzend auch und gerade beim Blick auf unser strate- in diesem Jahr ist doch jedem in seinen einzelnen gisches Ziel 2000, das Sie in Ihr Repe rtoire niemals Etappen deutlich geworden. aufgenommen haben. Wir wollen die überhöhten Staats- und Abgabenquoten senken, wir wollen die Im Frühjahr gab es die völlig unsinnige und im Er- Steuerbelastung nach unten führen. Dabei müssen gebnis Gott sei Dank folgenlose Blockadepolitik ge- dann allerdings auch die anderen Ebenen, die Bun- gen den Bundeshaushalt 1995. Im Sommer war es die desländer, die Kommunen und die Sozialversiche- Politik einer Strategie, die eigenen Taschen aus der rungsträger, ihren Beitrag leisten. Ländersicht heraus zuzunähen und den Bundeshaus- Drittens. Der Etat ist bürgerfreundlich und kon- halt gleichzeitig durch Mehranforderungen im Rah- junkturgerecht, weil er die Steuerzahler, die Ver- men der Steuergesetzgebung weiter zu belasten. Im braucher entlastet, weil er der Wirtschaft Impulse Herbst soll noch draufgesattelt werden. Es soll sich vermittelt. Mit einem Entlastungsvolumen von- keiner wundern, wenn im Winter Tränen der Ver- 27 Milliarden DM oder 0,8 % des Bruttoinlandspro- zweiflung vergossen werden. dukts ist diese positive konjunkturelle Wirkung durchaus erwartbar. Diese Strategie der SPD kann nicht aufgehen, weil sie mit der aktuellen Entwicklung nichts zu tun hat. Meine Damen und Herren, CDU und CSU werden Wir haben die Finanzierungsdefizite gerade im lau- deshalb im Haushaltsverfahren keine Aufweichung fenden Jahr 1995, und zwar gesamtstaatlich, um dieses harten Sparkurses und dieses Kurses der Aus- über 50 Milliarden DM senken können. Das hat den gabenbeschränkung zulassen. Es ist für uns schlicht Beifall der OECD gefunden; das hat die Anerken- weg eine Frage der ökonomischen Vernunft und Not- nung der Bundesbank und der Institute gefunden. wendigkeit, die Ausgaben, so wie es im Finanzplan Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4133

Adolf Roth (Gießen) des Ministers aufgezeigt wurde, bis zum Jahr 1999 dann habe ich daran zu kritisieren, daß hinter allem im Grunde überhaupt nicht mehr expandieren zu las- eine sehr technizistische Betrachtungsweise steht, als sen. Mit einem durchschnittlichen Ausgabenanstieg, sei dies über den Bundeshaushalt in direkter Form der knapp über 1 % liegen wird, ist dies real zunächst durch Ausgaberichtungen des Bundes zu instrumen- nur eine Absicherung des seitherigen Ausgabevolu- talisieren. Unsere Politik der Ausgabenbegrenzung mens des Staates. Diese Handsch rift des Regierungs- und der Stabilitätsorientierung leistet für Wachstum, entwurfs und der Finanzplanung ist aus unserer Stabilität und Arbeitsplätze in Deutschland weit Sicht ordnungspolitisch völlig in Ordnung. Wir wer- mehr, als es jede sozialdemokratische Politik einer den demgemäß keine andere Partitur schreiben. Wir forcierten Ausgabenexpansion bewirken würde. wollen diese vertrauensbildende Politik unterstützen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wo wir im Haushaltsverfahren als Parlamentarier Veränderungen vornehmen - das ist unser Recht und Meine Damen und Herren, wir haben jetzt die unsere Pflicht -, wo wir etwas bewegen, wo wir nach niedrigste Preissteigerungsrate seit sieben Jahren, steuern, da müssen wir strukturell verbessern. Der seit 1988. Wir haben durch die Entscheidung der Haushaltsausschuß ist nicht dafür bekannt, daß er Bundesbank parallel dazu Gott sei Dank den niedrig- sich durch übertriebene Konzessionsbereitschaft aus- sten Zinssatz seit sieben Jahren. Frau Matthäus- zeichnen würde, im Grunde auch bei der SPD, jeden- Maier, die uns gerade verlassen hat, falls den Fachkollegen, nicht. Daraus leiten wir den Schluß ab, daß wir dort, wo wir Strukturen moderni- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sie kommt gleich sieren können, wo wir etwas nach vorne bringen wieder!) können, das auch erreichen wollen, aber bitte in den Grenzen der gesamtwirtschaftlichen Vernunft. hat noch Anfang März in einem „ Expreß " -Interview getönt: Zinsen senken, dann startet die Konjunktur durch. - Eine großartige Botschaft, verbunden mit Herr Kollege, ich darf Vizepräsident Hans Klein: der Aufforderung an den Finanzminister, durch strik- Sie einen Moment unterbrechen. Ich bin mir nicht ten Sparkurs zum Abbau der Staatsschulden beizu- klar, ob Kollege Voigt eine Zwischenfrage stellen tragen, diesen Kurs anzusteuern und damit Erfolge will. zu erzielen. Ich hätte mir gewünscht, daß sie auf das, was der Finanzminister durch gestaltende Politik er- Adolf Roth (Gießen) (CDU/CSU): Das sieht nicht so reicht hat, irgendeine Kommentierung dem Haus ge- aus. Vielleicht versteht er davon auch nicht so viel. genüber abliefert. Fehlanzeige!

Die beiden sind relativ sportliche Typen. Ich will es Er hört lieber stehend Vizepräsident Hans Klein: darum so ausdrücken: Ob das finanzpolitisch der zu. Bitte, fahren Sie fort. Sprint oder die Mittelstrecke ist, ich habe das Gefühl, der Bundesfinanzminister trabt Ing rid Matthäus- Adolf Roth (Gießen) (CDU/CSU): Herr Präsident, Maier immer zügig voran und zeigt ihr die Hacken. im beschlossenen Regierungsentwurf ist die Netto- Wer das in der Vergangenheit nicht gemerkt haben kreditaufnahme für das nächste Jahr auf 60 Mil- sollte, der hat es heute endgültig begriffen. Auch das liarden DM eingedämmt worden. Das war die finanz- ist ein Kompliment für Sie. plangerechte Gestaltung dieses Haushalts - trotz all der Belastungen, trotz 12 Milliarden DM Steueraus- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) fall im Rahmen unserer Steuersenkungspolitik, trotz des höheren Kindergelds, trotz der 8 Milliarden DM Meine Damen und Herren, wir wollen diese ge- Aufwendungen, die wir jetzt für die Kohleverstro- fährliche Staatslastigkeit bekämpfen. Wir haben mung aufbringen müssen, und vieler anderer neuer das getan. Wir haben fünf Jahre nach der Wieder- Belastungen. vereinigung ein wichtiges Etappenziel unserer Poli- tik erreicht. Die erste Phase der Transformation, der Wir wollen in der Koalition und in der gemeinsa- Übergangsfinanzierung in Deutschland ist abge- men Arbeitsgruppe an dieser Zielmarke festhalten. schlossen. Seit Jahresbeginn sind die neuen Bun- Kollege Weng hat das schon ausgesprochen. Aber desländer nicht mehr Zuwendungsempfänger, son- wir erwarten, daß wir die Risiken, die jetzt zusätzlich dern es greift das Föderale Konsolidierungspro- auf den Haushalt zugekommen sind - an erster Stelle gramm. Die Länder haben eine verläßliche Finanz- steht die neue Belastung von 1,6 Milliarden DM, die basis, auf die sie nun allerdings zu einer eigenen im Vermittlungsverfahren durch die Strategie der Optimierung ihrer Politik angewiesen sind. Wir Bundesratsmehrheit auf den Bundeshaushalt ge- werden sie dabei unterstützen. - drückt worden ist - durch Umschichtungen und Ein- sparungen in den Griff bekommen. Dieses beziffer- An die Adresse der SPD gerichtet, möchte ich sa- bare Risiko muß weg. Wir werden diese Linie vertei- gen: Wer gegen Schulden und Defizite wirklich an- digen. kämpfen will, der kann natürlich nicht nur Um- Wenn Frau Matthäus-Maier mit beredten Worten schichtung als Programm formulieren, wie es Frau Matthäus-Maier heute in Inte immer wieder auf die Arbeitsmarktpolitik zu spre- rviews wieder gemacht chen kommt, hat. Wenn sie gefragt wird: „Woher kommt das Geld?", dann sagt sie: Umschichten, eine neue (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Keinen Neid, Steuer muß her; man muß umverteilen, und dann Herr Kollege!) kommt die Sache in Ordnung. - Nein, es muß auch 4134 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995

Adolf Roth (Gießen) gespart werden, und das muß der Öffentlichkeit ten Jahre doch kein Pappenstiel gewesen. Daß dies deutlich mitgeteilt werden. alles gleichzeitig möglich war, muß man glaube ich, unterstreichen, und das verdient auch öffentliche (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Hervorhebung. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ge schieht doch nicht!) Sparpolitik ist nicht das Ende von Gestaltung. Wenn man den Bundeshaushalt nüchtern analysiert, Daß wir das seit Jahren tun, ist am Zahlengerüst wird man feststellen: Der Sozialhaushalt bleibt mit dieses Bundeshaushaltes ablesbar. Wir haben 1994 146 Milliarden DM Spitzenreiter mit einem Drittel am und 1995 insgesamt 40 Milliarden DM Konsolidie- Gesamtaufwand. Der Haushalt der Bundeswehr für rungsvorsprung erwirtschaftet, was im Finanzplan so die 340 000 Soldaten und die deutlich gestraffte Zivil- nicht vorgesehen war und was wir den Wählerinnen verwaltung ist mit 48,4 Milliarden DM abgesichert und Wählern in Deutschland vor der Bundestags- und hat damit auch eine vernünftige Planungsgrund- wahl nicht einmal als unser Ziel vorstellen konnten. lage. Ich habe kein Verständnis dafür, Frau Kollegin Wir haben das durch strikte Politik erreicht. Matthäus-Maier, daß Sie nun auch noch - ich muß das indirekt schlußfolgern - die Einkommensverbes- Das ist der Einstieg in die Zielstrategie 2000, von serung für unsere Soldaten - das ist der einzige Hin- dem ich gesprochen habe. Wir werden das fortset- tergrund des Haushaltsanstiegs 1996 - auf Kosten ei- zen, weil wir wollen, daß das Vertrauen weiter ge- ner modernen und guten Materialausstattung unse- festigt wird. Die Deutsche Bundesbank mahnt den rer Bundeswehr erreichen wollen. Etwas anderes Bundestag als das nationale Parlament immer wie- kann ich gar nicht schlußfolgern. der, diese vertrauensbildende Politik zu betreiben und die nachhaltig enge Begrenzung des Ausgaben- (Karl Diller [SPD]: Unfug! - Ing rid Mat- wachstums auch in der Zukunft an die erste Stelle zu thäus-Maier [SPD]: Dummes Zeug!) setzen und damit, wie die Bundesbank sagt, die Deshalb weisen wir diese Sparstrategie der Opposi- grundlegende Vorbedingung für alles übrige zu tion zurück. schaffen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Noch vor wenigen Monaten - jeder im Haus hat Karl Diller [SPD]: Wir haben mehr Wehrsold das noch im Ohr - hat die SPD mit erstaunlichsten beantragt, aber Sie haben abgelehnt! - In- Prognosen operiert und das Fiasko an die Wand zu grid Matthäus-Maier [SPD]: Wer hat denn malen versucht. Warum leugnen Sie eigentlich die- die Wehrsolderhöhung beantragt, und wer sen erreichten klaren Durchbruch unserer Finanzpo- hat sie abgelehnt?) litik? Haben Sie das nötig, obwohl Sie doch gleichzei- tig - ich muß es noch einmal sagen, Herr Kollege Auch für Ostdeutschland hat sich unsere Politik Schmidt - allein durch die Strategie im Vermittlungs- ausgezahlt, und sie wird so fortgesetzt. Mit dem Inve- verfahren den Bundeshaushalt für die nächsten stitionsförderungsgesetz Aufbau Ost, mit unserer Po- Jahre nicht nur um die 1,6 Milliarden DM für 1996 litik zur Entfaltung der wirtschaftlichen Eigendyna- belastet haben, sondern insgesamt um 14,6 Mil- mik wollen wir diesen Prozeß vorantreiben. liarden DM bis 1998? Wir werden beim Hochschulbau, in der beruflichen Aufstiegs- und Fortbildung, in der mittelstandsorien- (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Subventions tierten Innovationsförderung und auf vielen anderen abbau!) Feldern trotz der Haushaltsenge Akzente setzen, Wenn wir dann in die Politik der Steuersenkung ein- auch in unseren internationalen Verpflichtungen, treten wollen, sind das Beträge, die uns fehlen wer- etwa in der Entwicklungspolitik oder im osteuropäi- den und die wir durch energische Sparaktionen dann schen Reformprozeß. Das sind Ausgaben, die uns im erbringen müssen. Moment drücken. Aber hier werden keine Abstriche gemacht. Hier wird auf hohem Niveau weiterfinan- Wir haben die säkularen Sonderlasten bewältigen ziert, weil dies auch Investitionen in unsere nationale können. Wir haben die Folgen der Rezession von Zukunft, in unsere Sicherheit, in die f riedliche Ent- 1993 erstaunlich schnell überwinden können. Wir ge- wicklung im nächsten Jahrhundert sind. hen jetzt auf die dritte Stufe der Maastrichtverträge, Meine Damen und Herren, weil alles eng ist, er- auf die Europäische Währungsunion, zu. Diese Bun- warten wir natürlich von jedem einzelnen Mitglied desrepublik unter der finanzpolitischen Regie des Bundeskanzlers und des Finanzministers erfüllt seit des Bundeskabinetts die besondere Wahrnehmung 1994 sämtliche Maastricht-Kriterien. Und dabei wird seiner Chefverantwortung auch in Sachen Kreativität und Prioritätensetzung, d. h. Konzentration auf das es bleiben. Das werden wir in den nächsten Jahren Wichtigste. Wir haben den - verteidigen. Wir werden damit auch ein Beispiel für Ausgabenanteil des Bun- unsere europäischen Nachbarländer geben. des am Bruttoinlandsprodukt deutlich zurückge- führt. Er ist jetzt wieder so niedrig wie 1989. Auch (Beifall bei der CDU/CSU) das wird von vielen gar nicht bemerkt. Der Anteil be- trägt 12,3 % des Bruttoinlandsproduktes. Wir werden Das sind die Leistungen von Theo Waigel: die Fi- das bis 1999 auf 11,3 % absenken können. Damit nanzierung der Einheit, die starke D-Mark, das Ver- wird auch die Richtung vorgegeben, daß wir von ei- teidigen der nationalen Stabilitätsziele der internatio- ner falsch verstandenen Staatslastigkeit weg wollen nalen Währungsstabilität, die Einhaltung all dieser und den Staat auf die Rolle zurücknehmen, die er Kriterien. Das ist in den Herausforderungen der letz- braucht, um seine Aufgaben erfüllen zu können. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4135 Adolf Roth (Gießen) Meine Damen und Herren, wenn wir sagen, wir Meine Damen und Herren, wir haben mit diesem wollen den Sacherfolg nicht gefährden, wir wollen Haushalt 1996 ganz neue Herausforderungen zu be- dieser Bundesregierung Leistung abverlangen, dann wältigen: Viele Einnahmen sind weggebrochen; wir bedeutet das auch, daß die organisatorischen Struk- haben die zweite Stufe der Bahnreform zu bewälti- turen der Bundesregierung in jedem einzelnen Res- gen. Gott sei Dank sind wir nicht ausgewichen und sort auf den Prüfstand müssen. Wir werden in weni- werden wir nicht ausweichen in eine Politik der Defi- gen Jahren nach Berlin umziehen. Bevor die Ministe- zitaufschichtung; es gibt auch keine Flucht in Steuer- rien dorthin umziehen, müssen sie sich auf den Prüf- und Abgabenerhöhungen, wie das die SPD in ihren stand begeben. Unkenrufen vom Frühjahr angekündigt hatte. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich rate Ihnen, meine Damen und Herren: Schauen Sie auf die Entwicklung der Finanzmärkte! Diese be- Nicht jede Abteilung ist da noch notwendig; nicht je- werten den Beitrag dieser Bundesregierung zur Kon- des Referat muß in Berlin wieder so auftauchen, wie solidierung in Deutschland objektiver als SPD und es hier in Bonn gesessen hat. Wir wollen, daß das, Grüne in diesem Haus. Damit sind wir ganz einver- was der Finanzminister im eigenen Hause schon bei- standen und zufrieden. spielhaft gemacht hat, eine Rationalisierungsstudie und Organisationsstrukturstudie, in jedem einzelnen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Bundesressort möglich wird. Die haushaltspolitische Strenge der Koalition hat Der Anteil der Personalausgaben an den Gesamt- sich ausgezahlt; sie wird fortgesetzt. Wir wollen den ausgaben des Bundes ist seit Mitte der 70er Jahre im- Solidaritätszuschlag zurückführen. Er bringt im Ge- merhin um ein Drittel gesunken. Es sind jetzt noch samtvolumen der nächsten Jahre immerhin 165 Mil- 12 %. Auch im nächsten Jahr werden wir das Bun- liarden DM in den Staatshaushalt. despersonal deutlich reduzieren. Für die Koalitions- fraktionen ist die im Haushaltsentwurf vorgesehene Ich hätte mir seinerzeit mit vielen anderen durch- aus gewünscht, daß wir zur Vorabauffüllung der Fi- 1% -Abschmelzmarge die Untergrenze. Wir werden darüber weiter diskutieren, weil wir uns mit dem er- nanzkraft der neuen Bundesländer den Weg der di- reichten Zwischenergebnis noch nicht zufriedenge- rekten Zweckzuweisung aus dem Bundeshaushalt ben. Wir haben gegenüber dem Höchststand von gegangen wären; das hätte den Rückweg aus dem 1992 mittlerweile einen Abbau von über 50 000 Per- Solidaritätszuschlag wesentlich erleichtert. Geschei- sonalstellen erreicht. Wir wollen, daß zum Ende der tert ist dies damals am westdeutschen Länderegois- mus. Legislaturperiode, also 1998/99, der gesamte Perso- nalkörper des Bundes wieder den Stand erreicht, den Deswegen müssen wir in dieser Stunde appellie- er 1989 vor der Wiedervereinigung hatte; das sind, ren, daß die westdeutschen Bundesländer, daß die rund gerechnet, 300 000 Stellen. Ich glaube, das ist Länder insgesamt bereit sind, die Verteilungsfragen ein Ziel, das unsere Anstrengung verdient. bei der Umsatzsteuer im Lichte der neueren Entwick- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) lung, im Lichte der verstärkten Finanzkraftbildung in den neuen Bundesländern zu überprüfen. Wenn uns Meine Damen und Herren, wenn man beim Perso- das gelingt, haben wir eine weitere Voraussetzung nal kürzt, muß man auch den Sachaufwand unter die dafür geschaffen, daß wir bei unserem Gesamtziel Lupe nehmen. Hier gibt es keine Aufwüchse; hier niedrigerer Belastung in diesem Staat am Ende er- wird überrollt, hier wird gekürzt. Wir wollen die folgreich sind. Marke von 6 % der Gesamtausgaben, die es heute gibt, mindestens verteidigen oder sie senken. Kein Bundeshaushalt beantwortet alle Fragen. Po- litik kann nie letzte Fragen beantworten. Jedes Jah- Das Wesentliche, worauf wir uns bei dieser Haus reshaushaltsgesetz ist insofern vorläufig und nur eine haltsberatung für 1996 konzentrieren, ist, daß wir im Etappe auf dem weiteren Weg. Jedoch trägt die Kon- Rahmen der investiven Bundesausgaben keine Feh- zeption des Bundeshaushalts 1996, wie heute vom Fi- ler machen. Ich sage denen, die jetzt ober flächlich nanzminister präsentiert, durch ihre ausgeprägte kritisieren, es sei ein Minus von 5 Milliarden DM ge- Spar- und Entlastungsstrategie dazu bei, daß die genüber dem Vorjahr eingetreten: Sie sollten sich Kräfte des Marktes und auch des Arbeitsmarktes in bitte einmal mit den Strukturen dieses Investitions- Deutschland gefestigt werden. haushaltes beschäftigen. Darin sind u. a. Milliarden- aufwendungen enthalten, die wir als Entschädigung Wir werden diese Politik im Ausschuß konsequent für Bürgschaftsverpflichtungen im Exportgeschäft er- begleiten und unterstützen. Wir hoffen, daß die SPD statten müssen. Wenn das im nächsten Jahr um nach ihren Chaoswochen politisch wieder ansprech- 1 Milliarde DM zurückgeht, Herr Bundesfinanzmini- bar geworden ist, uns dabei irgendwo zu unterstüt- - ster, sind wir damit sehr zufrieden und hoffen, daß zen. sich das in weiteren Jahren noch günstiger entwik- (Anke Fuchs [SPD]: Das Chaos kommt jetzt kelt. auf Sie zu!) Unser Schwerpunkt wird bei den Sachinvestitio- Herzlichen Dank. nen des Bundes im Bau- und im Verkehrsbereich lie- gen, weil wir glauben, daß eine moderne Infrastruk- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) tur auch die Grundlage für eine verbesserte Qualität unseres Standortes Deutschland ist. Deshalb müssen Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile dem Kollegen wir in diese Strukturen investieren. Manfred Hampel das Wort. 4136 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995

Manfred Hampel (SPD): Herr Präsident! Meine sehr Sie sprechen das Ausbildungsprogramm an. geehrten Damen und Herren! Ich habe heute in der 14 500 Ausbildungsplätze sollen vom Bund gefördert Einbringungsrede von Herrn Bundesfinanzminister werden. Das ist zunächt einmal sehr positiv, aber es Waigel einige Sätze gehört, die meinen Zweifel, ob reicht nicht aus. Es fehlen immer noch 30 000 Ausbil- er Bach- und fachgerecht über die Verhältnisse in dungsplätze; sie stehen nicht zur Verfügung. Auch den neuen Bundesländern informiert ist, in erhebli- darüber sollten Sie sich Gedanken machen und sich chem Maße gesteigert haben. nicht einfach stolz auf den 14 500 Ausbildungsplät- zen ausruhen. Was ist denn mit den 30 000 Men- In einem Satz kann ich Ihnen zustimmen, Herr schen, die keine Existenz aufbauen können, weil sie Waigel: Die Langzeitarbeitslosigkeit ist zu hoch. Es keinen Ausbildungsplatz finden? Das sind Dinge, die ist auch erfreulich, daß Sie sich zu der Verantwor- im Bundeshaushalt in einem viel stärkeren Maße be- tung bekennen. Aber für die neuen Bundesländer rücksichtigt werden müßten, als es der Fall ist. die Langzeitarbeitslosigkeit dem wirtschaftlichen Wachstum zu überlassen ist eine Illusion, die man (Beifall bei der SPD) einfach nicht teilen kann. Sie sprechen vom Abbau des Solidaritätszuschlags (Beifall bei der SPD - Alois Graf von Wald- - vor allem Ihr Koalitionspartner F.D.P. -, am liebsten burg-Zeil [CDU/CSU]: Das behauptet doch 1997. niemand! - Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Erzählen Sie nicht solche Pseudomärchen!) (Walter Hirche [F.D.P.]: Richtig! - Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Wenn z. B. die Maßnahmen nach § 249h AFG, die Man darf doch seine Wünsche äußern!) nicht unbedingt ein Instrument des zweiten Arbeits- marktes sind, sondern der Unterstützung des ersten - Ja, aber Sie müssen dabei auch die wi rtschaftliche dienen, nicht ausgeschöpft werden, weil sie vielleicht Entwicklung berücksichtigen. Nur aus der Wunsch- nicht effektiv und effizient genug eingesetzt werden, vorstellung heraus, daß dann die Bürger entlastet dann machen Sie sich bitte sehr Gedanken, wie Sie würden, den Solidaritätszuschlag abzuschaffen ist dieses Instrument verbessern können, und kürzen doch keine realistische Einstellung. Sie nicht einfach! (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sehr wahr!) (Beifall bei der SPD) Wenn die Bedingungen der wi rtschaftlichen Ent- Im Haushaltsausschuß hatten wir 1994 den Be- wicklung so sind, daß man den Zuschlag zurückfah- schluß gefaßt, daß nicht mehr als 7,5 Milliarden DM ren kann, dann werden wir die letzten sein, die ihn aus dem Bundeshaushalt für die Treuhandnachfolge weiter aufrecht erhalten wollen. Aber, bitte sehr, die ausgegeben werden dürfen. Diesen Beschluß haben wirtschaftlichen Bedingungen sind doch nicht so, wir mitgetragen. 1995 sind gerade noch knapp über daß man davon ausgehen kann. 5 Milliarden DM eingestellt worden. 1996 sollen es nur noch knapp über 3 Milliarden DM. sein, also (Beifall bei der SPD - Dr. Wolfgang Weng deutlich weniger als die 7,5 Milliarden DM. Wenn [Gerlingen] [F.D.P.]: Das ist statisch und de Sie nur einen Bruchteil dieser Mittel z. B. für Maß- fensiv gedacht!) nahmen nach § 249h verwendet hätten, dann wäre der Arbeitsmarkt in den neuen Bundesländern in er- heblichem Maße entlastet. Vizepräsident Hans Klein: Gestatten Sie eine Zwi- schenfrage? (Beifall bei der SPD - Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Der Minister nimmt Arbeitslosigkeit in Kauf! Das war schon immer so!) Manfred Hampel (SPD): Ja. Ein zweiter Satz, Herr Waigel - ich empfehle Ihnen, diesen Satz in einer Bürgerversammlung in den neuen Walter Hirche (F.D.P.): Herr Kollege Hampel, ist es

Bundesländern laut und deutlich zu wiederholen -: nicht umgekehrt so, daß, um die Arbeitsplätze zu sta- bilisieren, die Produkte, die die Firmen verkaufen, (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Der geht nur billiger werden müssen, diese aber nur verbilligt nach Bayern!) werden können, wenn die Kosten gesenkt werden, Gebühren und Abgaben der Bürger gehen zurück. die auf der Arbeit liegen? Das bedeutet, der Staat Tim Sie mir bitte den Gefallen und versuchen Sie, muß zuerst etwas tun, um die Kosten zu senken, und diesen Satz bei uns zu wiederholen! In jeder Bürger- dann werden die Arbeitsplätze kommen. Es ist nicht versammlung wird man erschlagen mit Klagen über umgekehrt. - Abfallgebührenerhöhurgen, (Zuruf von der CDU/CSU: Volkswirtschaftli (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: In wessen ches Einmaleins ist das!) Verantwortung?) hohe Anliegerbeiträge für den Straßenbau, steigende Manfred Hampel (SPD): Das mag als Rechengröße Abwassergebühren und ähnliche Dinge. Tun Sie mir für eine Volkswirtschaft stimmen; da gebe ich Ihnen also bitte den Gefallen und gehen Sie do rt hin! völlig recht. (Beifall bei der SPD und der PDS - Karl Dil (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Aber in der Rea ler [SPD]: Das wäre sein Ende!) lität stimmt es nicht!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4137 Manfred Hampel Aber die Verhältnisse in den neuen Bundesländern Kommunen betroffen. Ich weiß aber nicht, wieviel sind eben noch nicht unter marktwirtschaftlichen Be- Prozent der Bevölkerung davon betroffen sind; denn dingungen vergleichbar. 14 % der Kommunen, das könnten auch alle Groß- (Beifall bei der SPD) städte sein, alle Millionenstädte, z. B. Berlin. Wenn man die dann alle mit - wie man in Bayern sagen Sie können sagen: Okay, wir installieren die Markt- würde - Hintertupfingen in einen Topf wirft, dann wirtschaft und lassen es erst einmal crashen, dann wird eine Gemeinde mit 500 oder 1 000 Einwohnern sollen sich die Strukturen wie Phönix aus der Asche genauso behandelt wie Leipzig, denn das sind zwei wieder aufbauen. Es ist ja auch ein gewisser Crash- Kommunen. Das ist doch keine solide Rechnung. kurs in den letzten Jahren gefahren worden. (Beifall bei der SPD - Bundesminister (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Al Dr. Theodor Waigel: Aber Bundesschulden lerdings!) sind es ganz sicher nicht!) Aber, bitte sehr, das hat man doch nicht wollen kön- - Ich habe nicht gesagt, daß es Bundesschulden sind. nen. Aber es sind Schulden, die sicher Bund, Länder und (Zuruf von der CDU/CSU: Wer hat denn ge Kommunen gemeinsam abdecken müssen. crasht?) (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Völlig rich - Die Volkswirtschaft, die einfach nicht wettbewerbs- tig!) fähig war. Da gebe ich Ihnen doch recht. Denn es nur auf die Kommunen abschieben zu wol- (Zuruf von der CDU/CSU: Die DDR hat ge len, das würde deren Handlungsunfähigkeit hervor- crasht!) rufen. Sie sprechen davon, daß die Investitionsförderung (Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] in den neuen Bundesländern gezielt und gestrafft [CDU/CSU]: Zunächst aber sind doch die fortgeführt werden müsse. 1996 wird es noch nicht Länder dran!) gar so dramatisch sein. Aber wenn ich mir ansehe, daß die Gemeinschaftsaufgabe für die neuen Bun- - Ich habe die Länder mit erwähnt; ich habe sie nicht desländer bis 1999 auf lächerliche 855 Millionen DM außen vor gelassen. Aber so wie Sie sich im Moment heruntergefahren wird, dann weiß ich nicht, ob das verhalten, wollen Sie die Gelder einzig und allein ausreichend sein wird. Wenn man Stimmen hört, die von den Kommunen eintreiben. Das wird schlicht besagen, daß in den neuen Bundesländern selbst bei und ergreifend nicht gehen, weil diese Kommunen einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von dann handlungsunfähig werden. durchschnittlich 10 % pro Jahr um die Jahrtausend- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das geht nicht! - wende gerade einmal 60 % des westdeutschen Ni- Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] veaus erreicht sein werden, dann ist das meines Er- [CDU/CSU]: Die Rechtslage ist aber so! - achtens kein Indikator dafür, jetzt diese Fördermaß- Vorsitz: Vizepräsident Dr. Burkhard nahmen zurückfahren zu können. Hirsch) (Beifall bei der SPD) Hierbei will ich noch einen Punkt anführen: Es gibt Ähnliches gilt für die Innovationsförderung, ähnli- eine Reihe von Großkommunen, die dann sehr stark ches gilt auch für andere Bereiche der Förderung in verschuldet wären. Es gibt aber auch eine ganze den neuen Bundesländern. Reihe von Kommunen, die mit null Schulden aus die- sem Spiel herausgehen, einfach weil sie zur damali- Einen Punkt möchte ich auch noch anschneiden, gen DDR-Zeit zufällig keine Schulden zu Buche ste- den Sie gar nicht erwähnt haben, den aber meine hen hatten. Kollegin Matthäus-Maier schon ziemlich weit aus- geführt hat. Allerdings macht es die Bedeutung die- (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Das ist ses Punktes notwendig, wiederholt auf ihn hinzu- eine Frage des Finanzausgleichs!) weisen. Das ist doch eine Situation, bei der man fragen muß: (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Richtig!) Wie schafft man Gerechtigkeit zwischen allen? Das Ich meine die Altschulden der Kommunen auf sind Gedanken, die Sie sich machen müssen. Gesellschaftsbauten. Bisher sind, ausgehend von (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 5 Milliarden DM bei der Währungsumstellung, ungefähr 2,4 Milliarden DM an Zinsen angefallen, Sie können nicht einfach sagen: Bei den Kommunen, - so daß derzeit rund 7,4 Milliarden DM zu Buche bei denen es zu Buche steht, treibe ich es ein; do rt stehen. Der Bund stellt sich auf den Standpunkt, versuche ich auch, es mit Rechtsmitteln durchzuset- das seien Altschulden, die er mit der Währungsum- zen. Das ist wohl nicht praktikabel. stellung buchmäßig übernommen habe und jetzt eintreiben wolle. Zum letzten Satz, den Sie gesagt haben, Herr Wai- gel - da lachen nicht nur die Ostdeutschen -, das Dabei ist allerdings folgendes zu beachten. Erstens Steuersystem sei einfach und überschaubar. Fragen gibt es eine krasse Ungerechtigkeit zwischen den Sie einmal diejenigen in den neuen Bundesländern, einzelnen Kommunen. Seitens des Bundes wird im- die in den vergangenen Jahren Einkommen- und mer wieder argumentiert, davon seien nur 14 % der Lohnsteuererklärungen abgeben mußten. Das ist ein 4138 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 Manfred Hampel Satz, der auch hier, in den alten Bundesländern, er- wohl die Tatsache, daß Deutschland bereits seit 1994 hebliche Heiterkeit hervorrufen wird. die strengen Konvergenzkriterien des Maastrichter Vertrages in vollem Umfang erfüllt. Das wird von al- Schönen Dank. len Fachleuten immer als besonderes Ereignis her- (Beifall bei der SPD und der PDS) ausgestellt. Trotz der immensen sozialistischen Erbla- sten der früheren DDR ist es gelungen, daß auch die Maastricht-Kriterien über Defizit und Verschuldung Vizepräsident Dr. : Ich erteile das über den gesamten Zeitraum des Finanzplanes des Wort dem Abgeordneten Hansgeorg Hauser. Bundes von 1995 bis 1999 noch mit deutlichen Spiel- räumen eingehalten werden können. Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen Die jüngste Zinssenkung der Deutschen Bundes- und Kollegen! Der Entwurf des Haushalts 1996, den bank zeigt, daß auch die unabhängige Hüterin der wir heute in erster Lesung beraten, bietet die Ge- deutschen Währung volles Vertrauen in die solide Fi- währ für eine Fortsetzung der soliden und effektiven nanzpolitik der Koalition hat - eine eindrucksvolle Finanzpolitik der Koalition. Bestätigung der Politik Theo Waigels. Er ist der Start für eine weitere Etappe der erfolg- Daß wir die enormen finanzpolitischen Herausfor- reichen Finanzpolitik von Finanzminister Theo Wai- derungen der letzten Jahre erfolgreich gemeistert ha- gel - ein Erfolg, der um so höher zu bewe rten ist, ben, darf uns allerdings nicht in Versuchung führen, weil er in einem schwierigen gesamtwirtschaftlichen uns nun auf diesen Lorbeeren auszuruhen. Wir müs- Umfeld hart erkämpft werden mußte. sen unser Konzept der symmet rischen Finanzpolitik des Abbaus des Staatsdefizits und der Senkung der OECD-Bericht erwähnt wor- Es ist heute schon der Steuerbelastung mit Nachdruck fortsetzen. Staats- den, in dem von großer Bewunderung über die Ge- quote sowie Steuer- und Abgabenbelastung sind ein- sundung der Staatsfinanzen die Rede ist. Frau Mat- fach zu hoch. Wir müssen hier auf den Stand vor der thäus-Maier, daß Sie den Finanzminister loben, das deutschen Wiedervereinigung zurückkommen. kann man von Ihnen nicht erwarten. (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Doch, (Beifall bei der CDU/CSU) das kann sie durchaus!) Dieses Ziel ist ehrgeizig, aber nicht utopisch. Wir in Aber angesichts dieser internationalen Beurteilung der Fraktion haben uns bereits die entsprechenden der Finanzpolitik von Theo Waigel hätten Sie zumin- Grundlagen dafür geschaffen, daß wir dieses Ziel dest einmal Ihren Respekt vor dieser Leistung zum .konsequent fortsetzen werden. Ausdruck bringen können. Mit dem Jahressteuergesetz, das wir in der näch- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sten Sitzungswoche formal verabschieden werden, Statt dessen haben wir heute einen absolut mißra- sind wir im steuerpolitischen Bereich auf diesem tenen Versuch erlebt, die Finanzpolitik der Fraktion Weg bereits einen Schritt weitergekommen. Dieses wieder in den Mittelpunkt, in das Machtzentrum zu Gesetz bringt dem Steuerzahler - man muß das in al- stellen. Ich glaube, das ist gründlich danebengera- ler Deutlichkeit immer wiederholen, weil es leider in ten. der Öffentlichkeit viel zuwenig zur Kenntnis genom- men wird - endlich die dringend notwendigen Netto- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Da bin ich ande entlastungen. Das steuerfreie Existenzminimum rer Meinung als Sie! - Detlev von Larcher bringt rund 15,5 Milliarden DM, und der Familienlei- [SPD]: Eine sehr gute Rede von Frau Mat stungsausgleich - das ist der zweite Kernbereich, der, thäus-Maier!) die finanzielle Situation der Familien fühlbar verbes- sert - bringt weitere 7 Milliarden DM ab 1996 und Meine Damen und Herren, wir können heute mit darüber hinaus noch einmal 4 Milliarden DM ab Fug und Recht behaupten, daß wir die deutsche Ein- 1997. heit - das ist wahrhaft eine Jahrhundertaufgabe - fi- nanzpolitisch bisher hervorragend bewältigt haben. Das Jahressteuergesetz ist zugegebenermaßen ein Allen Kassandrarufen und Schreckensszenarien zum Kompromiß. Wir hätten eine Nettoentlastung der Trotz, mit denen namentlich die SPD den Prozeß der Bürger in Höhe von 22,5 Milliarden DM vorgezogen, deutschen Einheit begleitet hat: Theo Waigels konse- wie es in unserer ursprünglichen Konzeption auch quenter Kurs einer stabilitätsorientierten, auf strikte gestanden hat. Sparsamkeit ausgerichteten und gleichzeitig investi- - tionsfreundlichen Finanzpolitik hat sich nach innen (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Ursprünglich und außen ausgezahlt. wollten Sie gar nichts! Erst das Verfas In den neuen Ländern geht es wirtschaftlich auf- sungsgericht brachte Sie dazu!) wärts. Das muß mittlerweile sogar der „Spiegel" an- - Da täuschen Sie sich leider. Wir haben ein Konzept erkennen. Alles deutet darauf hin, daß dieser Wie- vorgelegt, in dem wir diese Entlastungen auf den deraufbau- und Aufholprozeß in Zukunft an Dyna- Tisch gelegt haben. Sie haben geglaubt, Sie könnten mik noch gewinnen wird. hier - Adolf Roth hat das sehr treffend ausgedrückt - Diese Fortschritte wurden auf einer soliden finanz- großartige Versprechungen machen, während die politischen Basis erzielt. Der beste Beweis dafür ist Länder dabeistanden, sich die Taschen zugehalten Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4139 Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) haben und gesagt haben: Wir können uns das über- - Das nennt die SPD Subventionsabbau. - Das ist le- haupt nicht leisten. Das sollten Sie sich wieder ein- diglich zu verantworten gewesen, weil der Eingangs- mal zu Gemüte führen. Das haben Sie offensichtlich steuersatz von 19 % auf fast 26 % angehoben wurde. schon wieder vergessen. Deswegen ist hier die maßvolle Anhebung von 15 auf 20 % gerade noch vertretbar. Die Kritik am Vermittlungsergebnis - es sind ja verschiedene Stellungnahmen in der Öffentlichkeit Die jetzt von den SPD-Forderungen im Kompromiß laut geworden - halte ich im Ergebnis für unbegrün- übernommenen Finanzierungsmaßnahmen von ins- det. Es wird nämlich außer acht gelassen, daß die gesamt etwas über 4 Milliarden DM sind nur ver- SPD mit einer wahren „Horrorliste" von etwa 50 kraftbar, wenn man ihnen die erheblichen Entlastun- punktuellen Steuererhöhungsforderungen in Höhe gen gegenüberstellt, die das Jahressteuergesetz für von insgesamt 14 Milliarden DM in das Vermitt- Familien und Bürger mit kleinen und mittleren Ein- lungsverfahren gegangen ist. Das ist die Wahrheit. kommen bringt. Aber, meine Damen und Herren, das Man wollte höhere Steuern und höhere Belastungen kann nur ein erster Schritt bei dieser Tarifreform für die Wirtschaft sowie die Arbeitnehmerinnen und sein. Wir müssen auch an die Steuerpflichtigen mit Arbeitnehmer in Höhe von 14 Milliarden DM durch- einem zu versteuernden Einkommen von mehr als setzen. 55 700 DM - hier hört das Existenzminimum auf - denken und sie steuerlich entlasten. Es kann nicht (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: angehen, daß dieser Personenkreis, zu dem bereits Das nennen die dann Subventionsabbau!) viele Facharbeiter gehören, auf Dauer von Steuerent- lastungen ausgeschlossen bleibt. Zu diesen Steuererhöhungsplänen der SPD gehör- ten massive Belastungen der Wirtschaft und der Ar- Noch in diesem Jahr müssen wir weitere steuer- beitnehmer. politische Aufgaben in Angriff nehmen. Ich nenne nur die Fortsetzung der Unternehmensteuerreform (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das stimmt doch und die durch die Entscheidungen des Verfassungs- nicht!) gerichts notwendig gewordene Neuregelung bei der - Frau Fuchs, hören Sie doch mal zu - wie z. B. die Vermögensteuer, der Erbschaftsteuer und der Ein- Begrenzung der Abschreibungsmöglichkeiten für heitsbewertung des Grundbesitzes. Wir müssen Betriebs-Pkws - Sie müssen Ihren Herrn Schröder diese Probleme zügig angehen. dazu hören, welche Meinungen er dazu vertreten Ich kann in diesem Zusammenhang nur an die hat - SPD appellieren, mit ihrer totalen Obstruktionspoli- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Teilen Sie die tik endlich Schluß zu machen. Denn das, was Sie, Meinung von Herrn Schröder?) meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, in der Vergangenheit zur Lösung aller dringenden fi- -- wissen Sie, wenn Sie reden, können Sie nicht zuhö- nanz- und steuerpolitischen Fragen beigetragen ha- ren; vielleicht sollten Sie zuerst zuhören und dann re- ben, war nichts anderes als eine sture Blockadepoli- den; das ist sehr sinnvoll -, tik. Sie haben in dieser Legislaturpe riode noch nicht ein einziges schlüssiges finanzpolitisches Konzept (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) vorgelegt. Wenn aus der SPD doch mal irgend etwas gekommen ist, waren es die alten ideologischen die Verschlechterungen bei Rückstellungen, die Ein- Wunschvorstellungen, führung einer Entfernungspauschale - auch dazu hat Ihr Herr Schröder sehr deutlich seine Meinung ge- (Lachen bei Abgeordneten der SPD) sagt - die so unrealistisch waren, daß die SPD-Bundestags- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Teilen Sie seine fraktion von ihren eigenen Finanzministern und Mi- Meinung? - Dr. Dagmar Enkelmann [PDS]: nisterpräsidenten in den SPD-geführten Ländern zu- Fragen Sie mal die F.D.P.!) rückgepfiffen werden mußte. - ja, in diesem Punkt teile ich seine Meinung - und Eines muß man auch sagen: Die SPD-Ministerprä- die Einschränkung von Steuervergünstigungen bei sidenten haben das nicht aus Streitlust getan, son- Lebensversicherungen - milliardenschwere neue Be- dern sie haben es, wie der Kollege Repnik sehr deut- lastungen, die wir verhindert haben. lich ausgeführt hat, einfach deshalb getan, weil sie in ihrer Finanzpolitik mit dem Rücken zur Wand stehen, Da Frau Matthäus-Maier davon spricht, daß es bei weil sie die Entlastungen, die die CDU- und CSU-ge- allem um den Subventionsabbau gehe, muß ich sa- führten Länder mitgetragen haben, nicht bezahlen gen: Einige Punkte haben mit Subventionsabbau konnten. Das ist die Wahrheit, und deshalb haben sie nichts zu tun. Wir haben leider die Kröte schlucken sich so ins Zeug gelegt, daß die Entlastungen gerin- müssen, daß wir neue Belastungen schaffen, bei- ger ausfielen. spielsweise bei der Besteuerung von Teilzeitbeschäf- tigungen und der Besteuerung der Direktversiche- Die Reaktion der SPD-Bundestagsfraktion und ins- rung. Die Anhebung von 15 auf 20 % ist wahrlich besondere ihres Vorsitzenden Scharping auf Geset- keine angenehme Sache gewesen. zesinitiativen, nicht nur im steuerpolitischen Bereich, beschränkte sich auf die Ankündigung, man werde (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: dieses und jenes Gesetz im Bundesrat zu Fall brin- Das ist für die SPD Subventionsabbau!) gen. Auseinandersetzung in der Sache? - Fehlan- 4140 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) zeige. Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich damit Glaubt man Herrn Scharping - so hat er es zumin- aus der politischen Diskussion in diesem Parlament dest im „Spiegel" diese Woche gesagt -, „setzt die selbst ausgeblendet. Das ist ein Armutszeugnis aller- SPD auf sichere Rahmenbedingungen für die Wi rt ersten Ranges. -schaft, also eine vorausschauende Politik, die Zu- kunft schafft und sie nicht durch Nichtstun sabo- (Beifall bei der CDU/CSU) tiert" . (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: So ist es!) Wie deutlich das auch der Vorsitzende dieser Frak- tion sieht, hat er selbst zum Ausdruck gebracht Da kann ich nur sagen: Solchen Lippenbekenntnis- Wenn er jetzt sagt, daß diese Fraktion wieder zum sen sollten endlich Taten folgen. Machtzentrum werden müsse, ist das doch nichts an- deres als eine Bankrotterklärung seiner bisherigen Wir werden hier im Parlament die klare Entschei- Politik, daß die Entscheidungen im Bundesrat gefällt dung der SPD zu den anstehenden steuer- und fi- werden. Dort hat die SPD die Mehrheit, und do rt nanzpolitischen Problemen einfordern. Die betroffe- kann man entscheiden. nen Betriebe, die betroffenen Arbeitnehmer haben kein Verständnis mehr dafür, daß sich die SPD mit Meine Damen und Herren, Sie sollten sich wirk lich einer doppelzüngigen Strategie aus der politischen eines Besseren belehren lassen und wieder konstruk- Verantwortung tiv mitarbeiten. (Zuruf von der SPD: Die Sie vermissen las sen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) stiehlt. Fortsetzung der Meine Damen und Herren, die Leider haben Sie, Herr Kollege Poß, sich in einem ist eines unserer näch- Unternehmensteuerreform Zeitungsbericht und in einer Pressemeldung ganz sten dringenden Probleme. Die Koalition hat hierfür gegenteilig geäußert. Sie haben gesagt: Die sachli- ein schlüssiges Konzept vorgelegt: Wegfall der Ge- chen Voraussetzungen für die Abschaffung der Ge- werbekapitalsteuer und Ausgleich für die Kommu- werbekapitalsteuer sind nicht gegeben. Sie erklären nen durch eine Beteiligung an der Umsatzsteuer. nun, daß erst die Gemeindefinanzreform ganz aus- lich niemand mehr die Nachdem nun niemand, wirk führlich diskutiert werden muß. Ich habe das Gefühl, Notwendigkeit einer Reform der Gewerbesteuer in daß Sie hier einen neuen Popanz aufbauen, mit dem Zweifel zieht, wird sich die SPD auch hier bewegen Sie sich wieder einmal der Verantwortung entziehen müssen, und zwar schnell. Wir können es uns einfach wollen. nicht mehr leisten, daß noch mehr Bet riebe ihre Pro- duktion ins Ausland verlagern und dadurch noch Andere Leute aus der SPD haben ganz andere mehr Arbeitsplätze verlorengehen. Meinungen. Der Ministerpräsident von Rheinland Pfalz, Herr Beck, will die Gewerbekapitalsteuer ab- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das schaffen - so heißt es in der „FAZ" vom 1. Septem- hat doch mit der Gewerbesteuer nichts zu ber -, weil sie investitionshemmend sei und als er- tun!) tragsunabhängige Substanzsteuer nicht mehr in die Zeit passe. Meine Damen und Herren, die großen Betriebe ha- ben spektakuläre Verlagerungen und Entlassungen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU durchgeführt. Dramatisch ist zur Zeit der Wegzug und der F.D.P.) von kleinen und mittleren Betrieben ins Ausland, Ich darf Ihnen noch ein Zitat vorlesen: „Der psy- chologische Schaden, der von der Gewerbekapital- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: A lles steuer ausgeht, ist inzwischen größer als der fiskali- wegen der Gewerbesteuer?) sche Nutzen, den sie stiftet." die stille Verlagerung von Arbeitsplätzen. Das ist das (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Dramatische, was zur Zeit passiert. Das ist auch we- Das gilt für viele Steuern!) gen der Gewerbesteuer, wegen unserer hohen Un- Abschließend heißt es in diesen Ausführungen: ternehmensteuerbelastung der Fall. „Die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer ist übri- gens nicht zuletzt im Hinblick auf den jüngsten Be- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: A lles schluß des Bundesverfassungsgerichts bezüglich der Unsinn!) einheitswertabhängigen Steuern ein wichtiger- Schritt zur Steuervereinfachung." Geschrieben Das Märchen, mit der Abschaffung der Gewerbe- wurde das von einem Herrn Gernot Mittler, Finanz- kapitalsteuer würden Großbanken und Versicherun- minister von Rheinland-Pfalz, und zwar - das ist das gen auf Kosten mittelständischer Handwerker entla- Amüsante daran - in einer Anregung für das Rund- stet, mit dem Sie Anfang des Jahres durch die Lande schreiben an die sozialdemokratischen Mandatsträ- gezogen sind, ist durch die Verbände des Mittelstan- ger. Dieses Fax ist dummerweise bei der CDU in des selber widerlegt worden. Rheinland-Pfalz gelandet. (Joachim Poß [SPD]: Die Untersuchungen (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der sagen etwas anderes!) F.D.P.) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4141 Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) Meine Damen und Herren, ich habe schon auf die den Spitzensteuersatz, die Kirchensteuer und den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Solidaritätszuschlag zusammen betrachtet, sieht Neuregelung der Einheitsbewertung des Grundbe- man, daß wir bereits an einer Obergrenze angelangt sitzes, der Vermögensteuer und der Erbschaftsteuer sind, die wir nicht überschreiten dürfen. Das bedeu- hingewiesen. Angesichts der kurzen Fristen, die das tete als Konsequenz, daß wir nur die mittleren Ver- Gericht dem Gesetzgeber einräumt, gehört die Um- mögen mit Vermögensteuer belasten dürften. Das ist setzung zu den dringendsten, aber auch zu den absolut undenkbar. schwierigsten steuerpolitischen Aufgaben in der nächsten Zukunft. Auch bei der Erbschaftsteuer sollten wir die Aufla- gen des Verfassungsgerichtes klipp und klar befol- Herr Weng, das ist keine Schlacht von übermor- gen, indem wir beispielsweise eigengenutzte Einfa- gen, sondern das ist leider eine Aufgabe, die wir zu- milienhäuser aus der Besteuerung herausnehmen mindest in den Grundzügen, in den Eckwerten bis und - darauf hat das Verfassungsgericht Wert gelegt - zum Jahresende erledigen müssen. Denn das Verfas- es nicht mehr auf den Grad der Verwandtschaft zwi- sungsgericht hat vorgegeben, daß wir zumindest für schen Erben und Erblasser ankommt bei der Übertra- die Erbschaftsteuer die Grundzüge in 1995 festlegen gung von Betrieben. Hier denke ich insbesondere an müssen. die vorweggenommene Erbfolge; denn wir müssen ein Interesse daran haben, daß Bet Die Entscheidungen enthalten einige erfreuliche riebe rechtzeitig Klarstellungen, durch die wir die Politik der Koalition übergeben werden. Deshalb muß eine entspre- bestätigt sehen. So mußten wir - um nur ein Beispiel chende Freistellung von der Erbschaftsteuer erfol- zu nennen - in den vergangenen Jahren gegen den gen, damit eine maßvolle Besteuerung, die wirklich tragbar ist, Platz greift. Widerstand der Opposition Erleichterungen bei der Steuerbelastung im Zusammenhang mit dem Gene- Ich bedanke mich. rationenwechsel bei mittelständischen Bet rieben durchsetzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Das Gericht hat nun mit erfreulicher Klarheit dar- gestellt, daß eine Neuregelung der Erbschaftsbe- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile der steuerung gewährleisten muß, daß insbesondere die Abgeordneten Frau Dr. Barbara Hend ricks das Wort. Fortführung mittelständischer Betriebe im Erbfall durch die Erbschaftsteuerbelastung nicht gefährdet Dr. Barbara Hendricks (SPD): Herr Präsident! Ich werden darf. darf, meine Damen und Herren, die Gelegenheit der Mir ist klar, daß diese und andere Festlegungen heutigen haushaltspolitischen Debatte zu einer zu- des Bundesverfassungsgerichts der Opposition sauer sammenfassenden Würdigung des Jahressteuerge- aufstoßen. Es ist ja gerade einmal etwas mehr als ein setzes 1996 nutzen und zugleich einen Ausblick auf Jahr her, daß führende Politiker in der SPD eine dra- die vor uns liegenden steuerpolitischen Aufgaben stische Erhöhung der Erbschaftsteuer und eine Her- geben. anführung der Einheitswerte des Grundvermögens Zu Recht hat das „Handelsblatt" in den letzten Ta- an die Verkehrswerte gefordert haben. Diesen Plä- gen eine „Sozialdemokratisierung" der Steuerpolitik nen hat das Verfassungsgericht eine deutliche Ab- festgestellt. Das ist richtig und auch gut so. fuhr erteilt. (Beifall bei der SPD) (Zustimmung des Abg. Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]) Ich beginne mit dem Familienleistungsausgleich. Die im Jahressteuergesetz enthaltene Neuregelung Wenn Sie darüber lamentieren, wie es der Kollege ist ein deutlicher Schritt in Richtung auf unser sozial- Poß gemacht hat, daß das Verfassungsgericht bei der demokratisches Modell eines einheitlichen Kinder- Vermögensteuer weit über das Entscheidungsnot- geldes. Noch Anfang des Jahres wollten Sie, Herr wendige hinausgegangen sei, und darüber sinnie- Bundesfinanzminister, an dem bisherigen Syste ren, ob alle Vorgaben des Gerichts durch den Gesetz- m festhalten und lediglich das Kindergeld ab dem zwei- geber einzuhalten sind, dann sind Sie auch hier wie- der auf dem Holzweg. ten Kind geringfügig anheben - ein völlig unzurei- chender und nicht verfassungskonformer Vorschlag. Meine Damen und Herren, wir sollten diese Ent- scheidungen des Verfassungsgerichts zu einem gro- (Beifall bei der SPD - Anke Fuchs [Köln] ßen Wurf nutzen. [SPD]: Das ist leider wahr!) (Beifall bei der CDU/CSU) Auf Grund unseres Drucks und des Drucks der ge- samten fachkundigen Öffentlichkeit mußten Sie von Es ist meine feste Überzeugung, daß als Konsequenz Ihrem Vorschlag abrücken. Wenn also ab dem näch- aus diesen Entscheidungen die Vermögensteuer ab- sten Jahr für rund 95 % aller Steuerpflichtigen das geschafft werden muß. einheitliche Kindergeld von 200 DM für Erst- und Zweitkinder, von 300 DM für die dritten Kinder und Das Gericht hat in aller Deutlichkeit gesagt, daß für alle weiteren Kinder von 350 DM wirksam wird, die Vermögensteuer nicht zu einer Substanzbesteue- so ist das unserem Druck auf die Bundesregierung rung führen darf. Folglich müßten wir geringes Ver- und die Koalitionsparteien zu verdanken. mögen ganz kräftig entlasten. Die großen Vermögen dürfen wir nicht stärker besteuern; denn wenn man (Beifall bei der SPD) 4142 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995

Dr. Barbara Hendricks Ausschließlich der SPD ist es zu verdanken, daß Der Weg ist frei für eine vernünftige Lösung. Der eine weitere Verbesserung für das erste und zweite Grundfreibetrag wird beibehalten und angehoben Kind schon ab 1997 auf dann 220 DM pro Monat und das Entlastungsvolumen auf die Bezieher klei- durchgesetzt werden konnte. ner und mittlerer Einkommen konzentriert. Ein voller Erfolg der SPD! (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD) Zugegeben: Wir haben uns nicht vollständig durchsetzen können. Ihr Optionsmodell sichert Ihrer Zwar konnten wir uns bei der Höhe des Existenzmi- speziellen Klientel von 5 % der Steuerzahler im ober- nimums von 13 000 DM jetzt noch nicht durchsetzen, sten Einkommensbereich auch weiterhin eine höhere aber immerhin ist diese Entlastungshöhe für 1999 Entlastung. Wir halten dies für nicht gerechtfertigt nunmehr festgeschrieben - ein weiterer Erfolg der und bedauern im übrigen, daß damit wieder einmal SPD. eine große Chance zur Steuervereinfachung vertan wurde. Lassen Sie mich, meine Kolleginnen und Kollegen, noch einige Ausführungen zu dem im Vermittlungs- (Beifall bei der SPD) ausschuß geleisteten steuerlichen Subventionsab- bau in Höhe von 4,6 Milliarden DM machen. In Ihrer Neben der deutlichen Entlastung für die Familien Koalitionsvereinbarung, natürlich auch von dem haben wir Sozialdemokraten durchgesetzt, daß vor CSU-Vorsitzenden Waigel unterschrieben, heißt es - allem die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen ich zitiere -: entlastet werden. Die Geschichte der Steuerfreistel- lung des Existenzminimums ist allerdings eine un- Die Finanzierung des Steuerkonzepts erfolgt endliche Geschichte der Untätigkeit und des Unver- durch wachstumsbedingte Steuermehreinnah- mögens dieses Bundesfinanzministers. men, Umschichtungen im Steuersystem, vor al- lem eine Verbreiterung der Bemessungsgrundla- (Beifall bei der SPD) ge, d. h. einen weiteren Abbau von Steuerver- günstigungen. Die ganze Herbst- und Winterspielzeit war be- herrscht von der Groteske in drei Akten: „Theos Plei- Was aber hatte die Bundesregierung im Jahressteu- ten, Pech und Pannen" . ergesetz vorgesehen? - Fast nichts. Auch hier mußte Ihnen die SPD auf die Sprünge helfen. Und jetzt stel- Erster Akt: die außertarifliche Grundentlastung. In len Sie sich auch noch hin und verkaufen es als Er- deren Genuß sollten nur Personen mit einem Ein- folg, daß Sie weitergehenden Subventionsabbau ver- kommen von genau 12 000 DM kommen. Sofort da- hindert haben. Sie betreiben damit wieder einmal nach sollte der Abbau wieder einsetzen, und schon reine Klientelpolitik. Ihre Koalitionsvereinbarung ist Personen mit einem Einkommen von 30 000 DM soll- das Papier nicht we rt, auf dem sie geschrieben steht. ten überhaupt keine Entlastung mehr bekommen. Allerdings sollte der gesamte Einkommensteuertarif, (Beifall bei der SPD) also auch für Spitzenverdiener, abgesenkt werden. Übrigens, Herr Hauser: Hören Sie doch auf, steuer- Noch am selben Tag haben wir Ihnen nachgewie- lichen Subventionsabbau mit Steuererhöhungen sen, daß dieser „Buckel-Tarif" dazu geführt hätte, gleichzusetzen! Sie wissen doch, daß das nicht daß in vielen Fällen normalverdienende Ehegatten stimmt, wenn Subventionsabbau zugleich dazu be- höher besteuert worden wären als unverheiratet Zu- nutzt werden soll, an anderer Stelle der Steuersen- sammenlebende oder Geschiedene. Der aus solchen kung zu dienen. Grotesken wohlbekannte bucklige Narr mußte durch Herrn Waigel von der Bühne genommen werden. (Zuruf des Abg. Hansgeorg Hauser [Red- nitzhembach] [CDU/CSU]) Zweiter Akt: Jetzt versucht Theo es mit einer List. Er will dem Publikum immer noch die außertarifliche - Steuerlicher Subventionsabbau, der zugleich an an- Grundentlastung schmackhaft machen, aber jetzt derer Stelle zur Steuersenkung dient, ist keine Steu- will er die Bezieher von Sozialrenten weitgehend von ererhöhung, sondern ist die berühmte Umschichtung der Grundentlastung ausnehmen. Der Teil des Publi- im. System, die wir doch alle wollen, wenn ich nach kums, der auf dieser Seite des Hauses sitzt, läßt sich Ihrer Koalitionsvereinbarung gehe. blenden. Der kleinere, aber für den Ausgang des Stückes entscheidende Teil des Publikums erkennt (Beifall bei der SPD - Hansgeorg Hauser allerdings die darin enthaltenen Manipulationsmög- [Rednitzhembach] [CDU/CSU]: Für diejeni- lichkeiten. gen, die von der Entlastung nichts haben, ist es eine Steuererhöhung! Natürlich!) Es folgt der dritte und entscheidende Akt: In den Beratungen des Finanzausschusses gelingt es dem Meine Damen und Herren, in den nächsten Wo- fachkundigen Teil des Publikums, die andere Seite chen und Monaten werden wir uns mit neuen, wich- zu überzeugen. Theo, der bei seinem doppelten Salto tigen steuerpolitischen Vorhaben beschäftigen. Die rückwärts auf die Nase gefallen ist, wird von der von uns seit Jahren geforderte Wohneigentumsförde- Bühne getragen. rung unabhängig vom Einkommen ist jetzt endlich auch von der Bundesregierung akzeptiert worden. (Beifall bei der SPD - Zuruf von der CDU/ Damit zeichnet sich ein weiterer Erfolg unserer Steu- CSU: Ha, ha, ha!) erpolitik ab. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4143 Dr. Barbara Hendricks Was die ökologische Steuerreform anbelangt, so Klar ist aber auch, daß die Besteuerung des Vermö- liegen unsere Vorschläge auf dem Tisch. In diesem gens erhalten bleiben muß. Ich weiß schon, daß der Zusammenhang dürfen wir aber nicht vergessen: Die Spruch des Bundesverfassungsgerichts uns sehr Sozialabgaben und die in den letzten Jahren ständig enge Grenzen setzt, aber wenn wir den Willen ha- gestiegene Belastung durch Lohn- und Einkommen- ben, Vermögen auch zukünftig zu besteuern, so wer- steuer müssen zurückgeführt werden. den wir sicherlich gemeinschaftlich eine Lösung fin- den. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Wir wollen den umweltschädlichen Energiever- brauch schrittweise und berechenbar stärker bela- Auch nach der Verabschiedung des Jahressteuer- sten und dafür den Faktor Arbeit entlasten. Zugleich gesetzes liegt viel Arbeit vor uns. Das Bundesverfas- wollen wir ökologisch fragwürdige Steuervergünsti- sungsgericht hat bei der Vermögensteuer und Erb- gungen abbauen und durch ökologisch vernünftige schaftsteuer einen sehr engen Zeitrahmen vorgese- Regelungen ersetzen. So soll z. B. die Kilometerpau- hen. Ich vermute, daß es deshalb einen engen Zeit- schale durch eine verkehrsmittelunabhängige Ent- rahmen gesetzt hat, weil sich die Bundesregierung fernungspauschale ersetzt werden. Zugleich wollen bei der Umsetzung von Bundesverfassungsgerichts- wir Umweltschutzinvestitionen fördern und dafür p ri urteilen bisher immer viel zuviel Zeit gelassen hat. -vates Kapital mobilisieren, so wie das ja schon einmal Das muß anders werden. im Zusammenhang mit § 82a Einkommensteuer (Beifall bei der SPD) Durchführungsverordnung der Fall war. Dies ist zu- gleich eine Schnittstelle zur Unternehmensteuerre- Wir brauchen endlich wieder in sich schlüssige, form. Die steuerliche Förderung von Unternehmen wohldurchdachte Gesetzesinitiativen, wollen wir konzentrieren auf die Bereiche For- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: schung, Ausbildung und Ökologie. Sie sind doch Teil des Parlaments!) Der gesamte Komplex der Gemeindefinanzreform und wir brauchen ein verantwortbares Beratungsver- und Unternehmensteuerreform wurde durch die fahren. Bundesregierung nur äußerst bruchstückhaft ange- gangen. Wir Sozialdemokraten sind bereit, in den verabredeten Gesprächen alle Aspekte vorurteilsfrei Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin, zu prüfen, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: Sie müssen zum Abschluß kommen. (Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] Dr. Barbara Hendricks (SPD): An erster Stelle ist [CDU/CSU]: Schön wär's! - Gegenruf von hierfür der Bundesfinanzminister verantwortlich. der SPD: Jetzt hören Sie einmal zul) Herr Bundesfinanzminister, nehmen Sie diese Ver- Erstens. Die Koalition verzichtet auf die von ihr in antwortung endlich wahr! ihrem Koalitionsvertrag angekündigte Abschaffung Ich danke Ihnen. der Gewerbesteuer insgesamt. (Beifall bei der SPD) Zweitens. Die finanziellen Folgen für Länder und Gemeinden müssen umfassend dargelegt werden. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das Drittens. Das Ganze wird in eine Gemeindefinanz- Wort dem Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Rössel. reform eingebettet, die nicht aus hektisch geschaffe- nem Stückwerk bestehen darf. Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bun- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne desregierung verschärft mit dem Haushaltsentwurf ten der PDS - Hansgeorg Hauser [Rednitz 1996 ganz offenkundig ihre Politik dergestalt, die im- hembach] [CDU/CSU]: So bauen Sie Ihre mensen Probleme des Bundeshaushalts zunehmend Ausreden auf!) auf Kosten sozial Schwacher sowie ebenfa lls der Städte, Gemeinden und Landkreise lösen zu wollen. - Es handelt sich um dera rt vernünftige Bedingun- Zusehends wird damit auch kommunale Selbstver- gen, daß selbst Sie, Herr Hauser, ihnen folgen könn- ten. waltung ausgehöhlt. Ich erinnere daran, daß die von der Bundesregierung vorgesehene Bef ristung der all (Detlev von Larcher [SPD]: Und Beifall klat -gemeinen Arbeitslosenhilfe auf zwei- Jahre erst im schen könnten!) Herbst 1993 am Widerstand der Kommunen und Län- der sowie der parlamentarischen Opposition in Bonn Die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts zu gescheitert war. Nun versucht die Bundesregierung den Einheitswerten bieten einen zusätzlichen Anlaß einen neuen Anlauf, um Risikofälle des Arbeitsmark- für eine solche umfassende Reform der Gemeindefi- tes aus der Zuständigkeit des Bundes auszugrenzen nanzen. Für uns ist klar, daß sich dadurch keine Er- und in die überfüllten Flure der städtischen Sozial- höhung der Steuerbelastung insgesamt ergeben darf. ämter zu verlagern. Das ist ein unve rtretbarer Zu- stand. Bereits heute werden nämlich etwa 18 % der (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Arbeitslosigkeit durch die kommunalen Sozialhilfe- Das gab es bei Sozialisten noch nie!) etats finanziert, ganz oder teilweise. Mehr als 4144 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 Dr. Uwe-Jens Rössel 600 000 Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfe- Unser Standpunkt ist: Die betreffenden Altschul- empfänger sind arbeitslos. den sind keine Schulden der Kommunen gegenüber dem Bund im Sinne des bürgerlichen Rechts. Es gibt Einen neuen, radikalen Schritt in Richtung dieser im übrigen auch keine Kreditverträge. Die Kommu- unheilvollen Kommunalisierung der Arbeitslosig- nen in der DDR verfügten nämlich kaum über eigene keit unternimmt die Bundesregierung durch Ein- Einnahmen. Kommunale Selbstverwaltung stand lei- schnitte im Arbeitsförderungsgesetz sowie durch die der nicht einmal auf dem Papier. Sie wäre auch mit vollständige Streichung der sogenannten originären der Doktrin vom sogenannten demokratischen Zen- Arbeitslosenhilfe. Das ist kein „Nachwaschen", wie tralismus, der in Wirklichkeit ein bürokratischer Zen- es Herr Waigel heute bezeichnete, sondern ein so- tralismus war und kommunale Initiativen in der Tat zialpolitischer Skandal und ein Schlag ins Gesicht lähmte, unvereinbar gewesen. Die Ausgaben der der finanziell und vermögensseitig ohnehin arg ge- Städte, Gemeinden und Kreise in der DDR von Be- beutelten Städte, Gemeinden und Kreise in der Bun- lang wurden deshalb fast vollständig durch Zuwei- desrepublik. Allein bei Streichung dieser originären sungen aus dem Staatshaushalt bestritten. Arbeitslosenhilfe würden 1996 mit einem Schlag 38 000 betroffene Menschen zu Sozialhilfeemfänge- Es widerspricht daher jeder Logik, daß solche rech- rinnen und Sozialhilfeempfängern gemacht. Das ist nerischen Verbindlichkeiten, die dem Wesen nach untragbar! Daraus würden sich darüber hinaus auch Staatsschulden sind - das ist unsere Position - und Mehrbelastungen für die Kommunen in Höhe von vom Bund als Rechtsnachfolger übernommen wer- rund 600 Millionen DM ergeben. den müssen, nunmehr von der Bundesregierung zu tatsächlichen Schulden der Kommunen erklärt wer- Während die Bundesregierung mit dem Haushalt den sollen. Wir stimmen daher mit den kommunalen 1996 einerseits nichts unversucht läßt, die Folgen Spitzenverbänden überein, daß die betreffenden ost- verfehlter Arbeitsmarktpolitik auf die Kommunen ab- deutschen Städte, Gemeinden und Landkreise diese zuwälzen, unterläßt sie es andererseits seit Jahren, sogenannten Altschulden unter keinen Umständen schwelende Probleme der Städte und Gemeinden ei- anerkennen dürfen. Bereits der kleinste Schritt in ner Lösung zuzuführen. Obwohl 80 % der Gesetze diese Richtung könnte für die Kommunen verhee- des Bundes auf der kommunalen Ebene rea lisiert rende Folgen haben. werden, dürfen die Kommunen bei Verhandlungen (Clemens Schwalbe [CDU/CSUJ: Wer hat der Bundesregierung über ihre ureigensten Angele- denn die Schulden gemacht? Diese Schul genheiten in der Regel nur am Katzentisch Platz neh- den haben Sie der Kommune aufgedrückt!) men. Für die Bundesregierung böte sich in diesem Zusammenhang mit dem für den Herbst angekün- Eine Lösung à la Altschuldenhilfe für kommunale digten 2. Standortsicherungsgesetz - ein vielverspre- bzw. genossenschaftliche Wohnungen darf ebenfalls chender Name - die Chance, den Startschuß für die nicht in Frage kommen. Damit würde dieses leidige dringend gebotene umfassende Reform der Kommu- Problem nämlich vor allem auf die Ebene der Bürge- nalfinanzierung zu geben, und zwar nicht nur als rinnen und Bürger verlegt. Und das kann ja wohl, Anhängsel einer Unternehmensteuerreform. liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht die Lösung sein. Natürlich sehen auch wir, daß die Länder ihre Pro- bleme zunehmend auf Kosten der Kommunen lösen Ich danke für die Aufmerksamkeit. wollen. Seit 1995 sind die neuen Länder in den Län- derfinanzausgleich einbezogen und verfügen nun (Beifall bei der PDS) über Mehreinnahmen in Höhe von rund 13 Milliarden DM per annum. Allerdings gelangt dieses Geld Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Es liegen keine nicht, wie noch beim Fonds Deutsche Einheit, zu weiteren Wortmeldungen zur allgemeinen Finanzde- 40 % in die Kommunalhaushalte, sondern bleibt in batte vor. den Ländern zur Sanierung ihrer Haushalte hängen. Nur gut 1 Milliarde DM wurde durchgereicht. Das ist wahrlich ein Armutszeugnis für die ostdeutschen Deshalb rufe ich zunächst die Tagesordnungs- Länder. punkte 2a und 2b sowie 3a bis 3f auf:

Wie ein Damoklesschwert schweben - viele Kolle- 2. a), Erste Beratung des von den Fraktionen der gen haben davon gesprochen - die sogenannten Alt- CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten schulden auf gesellschaftliche Einrichtungen über Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des insgesamt 1 200 ostdeutschen Kommunen, und das Grundgesetzes bei deren ohnehin großer Finanznot. Mittlerweile sol- - - Drucksache 13/2245 - len diese Altschulden nahezu 8 Milliarden DM betra- gen. Die Rechnung aus Bonn mutet in der Tat, wie Überweisungsvorschlag: die „Mitteldeutsche Zeitung" aus Ha lle jüngst Finanzausschuß schrieb, grotesk an. Es kommt schon einem Myste- Rechtsausschuß (Federführung strittig) rium gleich, nach Lesart der Bundesregierung anzu- Innenausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend nehmen, daß Ostberlin schuldenfrei sei, während Haushaltsausschuß z. B. /Saale 400 Millionen DM an Schulden, teil- weise für stark verschlissene Schwimmbäder und b) Erste Beratung des von den Fraktionen der ähnliches, aufbringen soll. CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4145 Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des f) Beratung des Berichts des Ausschusses Finanzausgleichsgesetzes für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschät- - Drucksache 13/2246 - zung (19. Ausschuß) gemäß § 56a der Ge- Überweisungsvorschlag: schäftsordnung des Deutschen Bundesta- Finanzausschuß (federführend) ges zur Technikfolgenabschätzung (TA) Innenausschuß Rechtsausschuß hier: Neue Werkstoffe Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend - Drucksache- 13/1696 Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Überweisungsvorschlag: 3. Überweisungen im vereinfachten Verfahren Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Tech- nologie und Technikfolgenabschätzung (federführend) a) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- Ausschuß für Wirtschaft brachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- zur Änderung des Verkehrswegeplanungs- heit beschleunigungsgesetzes Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach- - Drucksache 13/1444 - ten Verfahren ohne Debatte. Überweisungsvorschlag: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen an Ausschuß für Verkehr (f) die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse Rechtsausschuß vorgeschlagen. Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- heit Beim Gesetzentwurf zur Änderung des Grundge- b) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- setzes auf Drucksache 13/2245 - das ist Tagesord- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- nungspunkt 2a - soll die Federführung beim Rechts- derung des Eisenbahnkreuzungsgesetzes ausschuß liegen. Der Entwurf zur Änderung des Ver- (EKrG) kehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes auf Drucksache 13/1444-das ist Tagesordnungspunkt 3 a- - Drucksache 13/1446 - soll zusätzlich an den Ausschuß für Raumordnung, Überweisungsvorschlag: Bauwesen und Städtebau überwiesen werden. Gibt Ausschuß für Verkehr es dazu andere Vorschläge? - Das ist offenkundig nicht der Fall. Dann sind diese Überweisungen so be- c) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- schlossen. brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Si- cherung des Wirtschaftsstandorts Deutsch- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 d auf: land durch Beschleunigung und Vereinfa- chung der Anlagenzulassungsverfahren Abschließende Beratungen ohne Aussprache

- Drucksache 13/1445 - a) Beschlußfassung über die Weitergeltung der Überweisungsvorschlag: - Geschäftsordnung des Gemeinsamen Aus- Innenausschuß (federführend) schusses Rechtsausschuß (i. d. F. der Bekanntmachung vom 20. Juli Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Verkehr 1993) Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit - Geschäftsordnung für das Verfahren nach Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Artikel 115 d des Grundgesetzes d) Erste Beratung des von der Bundesregie- (i. d. F. der Bekanntmachung vom 23. Juli rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- 1969) zes zu dem Internationalen Kaffee-Über- - Drucksache 13/2239 - einkommen von 1994 b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des - Drucksache 13/1667 - von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Überweisungsvorschlag: wurfes eines Gesetzes zu dem Vertrag vom Ausschuß für Wirtschaft (federführend) 26. Mai 1993 zwischen der Bundesrepublik Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Deutschland und dem Königreich Thailand Ausschuß für wi rtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- über die Überstellung von Straftätern und wicklung über die Zusammenarbeit bei der Vollstrek- e) Erste Beratung des von der Bundesregie- kung von Strafurteilen rung eingebrachten Entwurfs eines Sech- - Drucksache 13/666 - sten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes (Erste Beratung 27. Sitzung) zur Förderung der Rationalisierung im Steinkohlenbergbau Beschlußempfehlung und Bericht des Rechts- ausschusses (6. Ausschuß) - Drucksache 13/1887 - - Drucksache 13/1760 - Überweisungsvorschlag: Berichterstattung: Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- Abgeordnete Dr. Diet rich Mahlo heit Dr. Jürgen Meyer (Ulm) 4146 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch c) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 4 b: Abstim- von der Bundesregierung eingebrachten Ent- mung über den von der Bundesregierung einge- wurfes eines Gesetzes zu den Protokollen brachten Gesetzentwurf zu dem Vertrag mit dem Kö- vom 19. Dezember 1988 betreffend die Ausle- nigreich Thailand über die Überstellung von Straftä- gung des Übereinkommens vom 19. Juni 1980 tern und über die Zusammenarbeit bei der Vollstrek über das auf vertragliche Schuldverhältnisse kung von Strafurteilen, Drucksache 13/666. anzuwendende Recht durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften sowie zur Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/ Übertragung bestimmter Zuständigkeiten für 1760, den Gesetzentwurf unverände rt anzunehmen. die Auslegung dieses Übereinkommens auf Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim- den Gerichtshof der Europäischen Gemein- men wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - schaften Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetz- entwurf einstimmig angenommen worden ist. - Drucksache 13/669 - Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 4 c: Abstim- (Erste Beratung 27. Sitzung) mung über den von der Bundesregierung einge- brachten Gesetzentwurf zu den Protokollen zur Aus- Beschlußempfehlung und Be richt des Rechts- legung des Übereinkommens über das auf vertragli- ausschusses (6. Ausschuß) che Schuldverhältnisse anzuwendende Recht sowie zur Übertragung von Zuständigkeiten auf den Ge- - Drucksache 13/1761- richtshof der Europäischen Gemeinschaften, Druck- sache 13/669. Berichterstattung: Abgeordnete Joachim Gres Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/ 1761, den Gesetzentwurf unverände rt anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim- d) Beratung der Beschlußempfehlung und des men wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuß) Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetz- zu der Unterrichtung durch das Europäische entwurf bei Stimmenthaltungen der Fraktion BÜND- Parlament NIS 90/DIE GRÜNEN angenommen worden ist.

Entschließung zu den Zielen und Instrumen- Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 4 d: Be- ten einer Währungspolitik schlußempfehlung des Finanzausschusses zu einer Entschließung des Europäischen Parlaments zu den Zielen und Instrumenten einer Währungspolitik, - Drucksachen 12/7805, 13/725 Nr. 59, 13/1584- Drucksache 13/1584. Ich bitte diejenigen um das Berichterstattung: Handzeichen, die für diese Beschlußempfehlung Abgeordneter Wolfgang Steiger stimmen wollen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltun- gen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung Dabei handelt es. sich um die Beschlußfassung zu mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion der Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen SPD bei Stimmenthaltung im übrigen angenommen ist. worden ist.

Wir stimmen zunächst über den Antrag der Frak- Wir kehren jetzt zu den Tagesordnungspunkten 1 a tionen der CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und 1 b, der Beratung des Haushaltsgesetzes 1996 NEN und F.D.P. auf Drucksache 13/2239 ab. Es han- und des Finanzplans des Bundes 1995 bis 1999, zu- delt sich um die Weitergeltung von Geschäftsordnun- rück. gen, nämlich für den Gemeinsamen Ausschuß und Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bun- für das Verfahren nach Art. 115d Grundgesetz. Es ist desministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reak- vereinbart worden, über die beiden Punkte getrennt torsicherheit - Einzelplan 16 - auf. abzustimmen. Ich erteile der Bundesministerin Dr. Angela Merkel Wir stimmen also zunächst über die Geschäftsord- das Wort. nung für den Gemeinsamen Ausschuß in der Fas- sung der Bekanntmachung vom 23. Juli 1969, zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 25. März Dr. Angela Merkel, Bundesministerin für Umwelt, 1993, ab. Ich bitte diejenigen um das Handzeichen, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Präsident! die für die Weitergeltung sind. - Gegenprobe! - Meine Damen und Herren! Die Debatte über den- Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß einstimmig Haushalt 1996 findet wenige Tage vor dem 5. Jah- so beschlossen ist. restag der deutschen Einheit statt. Fünf Jahre deut- sche Einheit - das sind fünf Jahre Fortschritt im Um- Wir stimmen jetzt über die Geschäftsordnung für weltschutz. 1990 war das Erschrecken groß, als man das Verfahren nach Art. 115d Grundgesetz ab. Wer sich langsam darüber klar wurde, in welchem Zu- für die Weitergeltung ist, den bitte ich um das Hand- stand sich Wasser, Boden und Luft an vielen Stellen zeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich in den neuen Bundesländern befanden. Heute kann steile fest, daß gegen die Stimmen der PDS so be- man sich fast schon nicht mehr daran erinnern, daß schlossen worden ist. Raubbau an der Natur und nicht nachhaltige Ent- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4147

Bundesministerin Dr. Angela Merkel Wicklung die Grunddevise planwirtschaftlichen Han- Zweitens. Umweltschutz hat sich in den neuen delns waren. Ländern als ein Bereich erwiesen, in dem man auch über neue Strukturen nachdenken kann. Lassen Sie Hier haben wir erhebliche Fortschritte erreicht. Ich mich zwei Beispiele nennen: Im Abwasserbereich habe z. B. vor wenigen Tagen die erste Rauchgasent- sind 24 000 km öffentlicher Abwasserkanäle zu sa- schwefelungsanlage in Jänschwalde eingeweiht. nieren oder neu zu bauen. 95 % der Industrieabwäs- Nur dadurch ist es möglich geworden, daß 97 % des ser und zwei Drittel der Haushaltsabwässer müssen Schwefeldioxids nicht mehr in die Luft gehen, son- an moderne Kläranlagen angeschlossen werden. dern gereinigt werden. Vor wenigen Jahren noch schrieb die schwedische Zeitung „Acid Rain", daß Es kommt deshalb nicht von ungefähr, daß gerade Jänschwalde der drittgrößte europäische Emittent in den neuen Bundesländern von Schwefeldioxid ist. Solche traurigen Rekorde private Finanzierungs- modelle zunehmend Anwendung finden, weil diese wird es in Deutschland in Zukunft nicht mehr geben, Aufgaben aus öffentlichen Mitteln nicht finanzierbar sondern wir werden andere Rekorde im Umwelt- sind. Ich denke, wir haben hier ein Beispiel für schutz halten. echten Wettbewerb. Ich hoffe, daß wir seitens der Die Qualität des Elbewassers - und das ist nur ein Bundesregierung bei der steuerlichen Gleichstellung Beispiel - hat sich drastisch verbessert. Quecksilber- von privaten und öffentlichen Anbietern im Bereich und Stickstoffbelastungen gingen von 1989 bis 1993 der Abfall- und Abwasserentsorgung vorankommen. um 75 % bis 80 % zurück. Die Elbeschutzkommission arbeitet intensiv. Unser Ziel, daß wir die gleiche Qua- Es hat sich herausgestellt, daß im Umweltschutz lität des Wassers erreichen wie im Rhein, ist keine trotz der vielen beklagten Regelungen und der sehr Utopie, sondern wird Realität werden. hohen Regelungsdichte Genehmigungen in den neuen Bundesländern in sehr kurzer Zeit erteilt wer- 70 000 Altlastenverdachtsflächen wurden erfaßt den konnten. Wer wirklich ein wirtschaftliches Pro- und, wo nötig, auch gesichert. jekt realisieren wollte, der hat auch alle notwendigen Genehmigungen bekommen. Für mich ist das ein Mit der Braunkohlesanierung wurde auf einer Flä- Beispiel dafür, daß es vielfach, wenn diskutiert wird che von über 100 000 Hektar ein riesiges Umweltsa- „Wie schnell kann in Deutschland eine Genehmi- nierungsprojekt in Angriff genommen. - Man muß gung erteilt werden?", gar nicht um die Frage des dort gewesen sein, damit man sich vorstellen kann, Umweltschutzes geht, sondern um die Frage: Wollen was da in Bewegung gebracht wurde. - Bund und wir technologische Entwicklung, wollen wir techni- Länder werden auch in den nächsten Jahren jedes schen Fortschritt oder nicht? Die neuen Bundeslän- Jahr 1,5 Milliarden DM allein für die Braunkohlesa- der sind hier ein gutes Beispiel. nierung einsetzen. Für die Sanierung der übrigen Altlasten-Großprojekte werden in den nächsten Jah- ren 16,5 Milliarden DM aufgewandt. Das ist unsere (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Politik. Meine Damen und Herren, die Menschen stellen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nach wie vor - und mit Recht - sehr hohe Anforde- - Da könnte man eigentlich klatschen. rungen an die Qualität unserer Umwelt. Ein Beispiel dafür ist für mich die emotionale Diskussion, die wir (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Ich habe zu spät über das Ozon hatten. Wenn wir einmal zurückblik- reagiert!) ken, stellen wir fest: Es ging weniger um die Sub- stanz, über deren Gefährlichkeit oder Ungefährlich- - Ich habe es gesehen, Frau Fuchs, deshalb habe ich keit man sehr unterschiedlicher Meinung sein kann. es gesagt. Es ging eigentlich vielmehr darum, daß es in der Be- völkerung eine große Angst vor Luftverschmutzun- Diese Erfolge sind nicht von ungefähr entstanden, gen gibt und daß mit dieser Angst leider auch Politik sondern sie sind das Ergebnis konsequenter Aufbau- gemacht wurde. Man muß aus dieser Tatsache die arbeit. Wir sollten auch fünf Jahre nach der deut- Lehre ziehen, daß wir unsere Luft, unser Wasser und schen Einheit das Augenmerk auf das richten, was unseren Boden konsequent weiter schützen müssen. wir für Gesamtdeutschland aus der Aufbauarbeit in den neuen Bundesländern lernen könnten. Wir wissen, das Ordnungsrecht stößt hier an seine Dazu möchte ich zuerst sagen: Umweltschutz hat Grenzen. Das Ozongesetz ist in diesem Sommer, sich als ein Bereich erwiesen, in dem man Arbeits- nachdem es in Kraft getreten war, sehr viel wegen plätze schaffen kann. Gerade in der sehr schwierigen seiner Nichtvollziehbarkeit kritisiert worden. Ich beschäftigungspolitischen Situation der neuen Bun- sage Ihnen, ich bin offen gegenüber allen Vorschlä- desländer sind die Umweltschutzaufgaben Aufga- gen, wie man es denn vollziehbarer macht. Ich sage ben, in denen derzeit 20 000 Menschen allein im Ihnen aber auch, dies ist ein typisches Beispiel dafür, Braunkohlebereich Beschäftigung finden. Wir wer- daß Ordnungsrecht nur bedingt dazu in der Lage ist, den versuchen, auch in den nächsten Jahren mög- bestimmte umweltpolitische Forderungen durchzu- lichst vielen Menschen eine Brücke in den aktiven setzen. Arbeitsmarkt zu bauen und ihnen einen dauerhaften Arbeitsplatz im Bereich des Umweltschutzes zu si- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU chern. und der F.D.P.) 4148 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995

Bundesministerin Dr. Angela Merkel Deshalb sind für mich marktwirtschaftliche Instru- Stunde sind. In mir sträubt sich manches dagegen, mente von ganz wesentlicher Bedeutung, damit wir daß die, die auf Umweltpolitik am langsamsten ein- die umweltpolitischen Herausforderungen der näch- gehen, zum Schluß die größte Belohnung bekom- sten Jahre bewältigen können. Lassen Sie mich drei men. Ich denke, daß die emissionsbezogene Kfz- Handlungsfelder kurz umreißen. Steuer ein weitaus besseres Instrument ist, dieses Ziel bis zum Jahr 2000 zu erreichen. Erstens das Thema Umwelt und Verkehr: Ich bin der Meinung, dieses Thema wird in der Diskussion (Beifall bei der CDU/CSU) der nächsten Jahre weiter eine außerordentlich große Rolle spielen. Wer sich den Energieverbrauch in der Meine Damen und Herren, die Automobilindu- Bundesrepublik Deutschland einmal anschaut, der strie hat in einer Selbstverpflichtung im Frühjahr sieht, daß der Primärenergieverbrauch des Verkehrs dem Bundesverkehrsminister und mir zugesagt, daß den der Industrie inzwischen überholt hat. bis zum Ende des Jahres 2005 die CO2-Emissionen des Straßenverkehrs um mindestens 25 % und die (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ übrigen Abgasemissionen auf weniger als ein Viertel DIE GRÜNEN]: Daß sich das bis zur Bun des heutigen Niveaus reduziert werden sollen. desregierung herumgesprochen hat!) (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Das war vor zehn Jahren komplett anders. - Das muß DIE GRÜNEN]: Die spezifischen!) man erst einmal zur Kenntnis nehmen. - Deshalb ist es natürlich von außerordentlicher Bedeutung, daß - Pro Auto. Ich habe nichts anderes gesagt. wir alles tun, um in einer Gesamtstrategie verbes- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ serte Fahrzeugtechniken, umweltverträgliche Kraft- DIE GRÜNEN]: Das Kleingedruckte lesen!) stoffe, steuerliche Anreize und informatorische In- strumente zu nutzen, um dieses Problems Herr zu - Die Autoindustrie kann nicht schon heute die Zahl werden. Deutschland ist und bleibt ein Transitland. der von ihr hergestellten Autos planmäßig feststel- Wer den Verkehr von Straße, Schiene und möglichst len. Liebe Leute, ich bin nun fünf Jahre weg von der noch Wasserstraßen verbannen wi ll, wird nicht vor- Planwirtschaft. Das könnt ihr nicht erwarten! ankommen. (Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Mit der Senkung der Mineralölsteuer auf Erd- und NEN]: Aber die Politik!) Flüssiggas als Kraftstoff sind jetzt Wettbewerbs- nachteile für Erdgas erst einmal abgebaut worden. Diese Selbstverpflichtung greift. Auch Sie werden Ich glaube, daß damit die schnelle Einführung einer nicht bestreiten, Herr Fischer und Frau Hustedt, neuen Generation umweltschonender Antriebe sehr (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ befördert wird. Wir haben dies mit einem speziellen DIE GRÜNEN]: Wir haben aber ein Men- Programm des Bundesumweltministeriums unter- genproblem, wie man bei den Stickoxiden stützt. Die Zusage der deutschen Mineralölindustrie, sehen kann!) ab September 1995 die Benzinsorte Super Plus schrittweise nur noch mit einem Benzolgehalt von daß es der richtige Ansatz ist, wenn man fragt: „Wie 1 Volumenprozent einzuführen, wird ein wichtiger ist der spezifische Flottenverbrauch der in der Bun- Schritt sein, um eine neue Kraftstoffqualität in desrepublik Deutschland verkauften Flotte?" und Deutschland einzuführen. Allerdings müssen wir wenn man nicht allein fragt: „Welche A rt von Auto dies von Super Plus auf alle Benzinsorten ausdehnen, kann ich herstellen?" Denn die bloße Produktion ei- und wir müssen zu einer flächendeckenden Bereit- nes Drei- oder Fünfliterautos, das letztlich nicht ge- stellung von emissionsarmen Kraftstoffen kommen. kauft oder nicht gefahren wird, ist nicht das, was wir Eine wichtige Rolle werden hierbei die Vorschläge brauchen. Zum Schluß zählen die CO2-Emissionen. der Europäischen Kommission spielen, die nach dem in Kürze abgeschlossenen Auto/Öl-Programm der Im Zusammenhang mit der Inkraftsetzung des EU zu erwarten sind. Diese Dinge müssen über die Kreislaufwirtschaftsgesetzes brauchen wir eine Re- nationalen Grenzen hinaus angegangen werden. gelung für die Altautoverwertung. Ich möchte hier ganz deutlich sagen, daß wir schon vor einem halben Mit dem emissionsarmen Kraftstoff und der dritten Jahr die Autoindustrie darauf hingewiesen haben, EU-Stufe der Schadstoffreduzierung der Pkw und daß wir eine freiwillige Selbstverpflichtung gerne an- Nutzfahrzeuge werden die technischen Möglichkei- nehmen, daß diese aber auch der Produktverantwor- ten weitestgehend ausgenutzt. Wir werden es schaf- tung des Produzenten gerecht werden muß, so wie es fen, gegenüber Anfang der 90er Jahre eine 75%ige im Kreislaufwirtschaftsgesetz festgeschrieben ist. Bis Absenkung der Emissionen zu erreichen. jetzt kommen wir hier nur langsam voran. Ich möchte - ankündigen: Meine Geduld wird nicht ewig währen Im Hinblick auf die bereits im Verkehr befindli- können. Im Oktober des nächsten Jahres tritt das Ge- chen Pkw ist unser Ziel die vollständige Umstellung setz in Kraft. Wir müssen vorankommen. Es gibt viele des Fahrzeugbestands auf den geregelten Katalysa- Entsorgungsbetriebe, die auf eine sinnvolle Lösung tor, und zwar möglichst bis zum Jahr 2000. Es muß warten. Wenn es also mit der freiwilligen Selbstver- uns gelingen, dies in einem Gesamtpaket zu leisten, pflichtung nicht geht, müssen wir doch auf eine Ver- denn ein Auto mit Katalysator ist nun einmal zehn- ordnung hinarbeiten, was wir nicht wollen, was wir mal schadstoffärmer als ein Auto ohne Katalysator, aber auch nicht ausschließen können. und dies müssen die Menschen begreifen. Ich denke, daß staatliche Abwrackprämien nicht das Gebot der (Zuruf von der SPD: Jawohl!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4149 Bundesministerin Dr. Angela Merkel Zweiter Punkt: das Thema Klimaschutz. Ich bin Es wird auch die Frage zu stellen sein: Wie wird bis zur nächsten Vertragsstaatenkonferenz Präsi- sich die Energiebesteuerung in der Bundesrepublik dentin der Klimakonferenz. Wir haben mit dem Deutschland mittelfristig entwickeln? Verhandlungsprozeß zum Berliner Mandat begon- nen. Wie es nun einmal in der Politik ist: Die Leute (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ interessieren sich für ein bestimmtes Ereignis, wenn DIE GRÜNEN]: Diese Frage stellt sich es kurz vor der Tür steht, und sie vergessen es schon seit sehr, sehr mittelfristiger Zeit!) dann auch wieder. Da möchte ich an das, was Frau Matthäus-Maier heute gesagt hat, anknüpfen. Frau Matthäus-Maier Ich will Ihnen nur sagen: Hier ist ein sehr kurzfristi- hat gesagt: Es ist alles ganz einfach. Die Lohnneben- ger, zwei Jahre dauernder Prozeß in Gang zu setzen, kosten sind auf der einen Seite zu hoch, in dessen Verlauf wir das Berliner Mandat umsetzen müssen. Ich kann an dieser Stelle nur bitten, daß wir (Klaus Lennartz [SPD]: Richtig!) alle gemeinsam unsere Kontakte nutzen, um das Ber- und auf der anderen Seite ist die Energie nicht ge- liner Mandat in zwei Jahren in Tokio oder in Kyoto - nug besteuert. oder wo auch immer die Konferenz in Japan stattfin- den wird - umzusetzen. Es wird ein harter Verhand- (Klaus Lennartz [SPD]: Richtig!) lungsprozeß; das ist schon jetzt absehbar. Sie hat nicht gesagt, daß schon heute die Energie in (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Deutschland mit immerhin rund 90 Milliarden DM und der F.D.P.) Steuern belastet ist, sondern sie hat nur gesagt: Je- dem leuchtet ein, daß das nicht genug ist, weil die Wir werden unser nationales Klimaschutzpro- aus der Energienutzung entstehenden Kosten höher gramm weiterentwickeln, und wir werden als Bun- sind. desregierung weiter zu unserem Ziel 25 % CO2-Re- Ein kleines Problem - ich sage das, obwohl ich im duktion bis 2005, bezogen auf das Jahr 1990, ste- Grundsatz das EU-Modell für die CO2-/Energie- hen. Mit der Industrie konkretisieren wir jetzt das steuer unterstütze - ist die Frage, die wir alle nicht Monitoring, die Überwachung der Selbstverpflich- genau beantworten können: Wie hoch sind eigent- tung. Wir müssen auch über weitere marktwirt- lich die Kosten, die aus der Energienutzung entste- schaftliche Instrumente in unserem Steuersystem hen? Sind es 90, 100, 110 Milliarden DM? Wie kön- diskutieren. nen wir das genau internalisieren und berechnen? Das ist für die Akzeptanz einer solchen Steuer nicht (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ ganz unwichtig. DIE GRÜNEN]: Ui! Diskutieren?) Was ich für wichtig halte, ist, daß wir ein solches - Sie sind auch noch nicht einmal knapp fertig mit Modell berechenbar gestalten, sowohl für die Haus- dem Diskutieren. halte als auch für die Industrie, und daß wir immer wieder versuchen, ein solches Steuermodell - davon (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ gehe ich nicht ab, auch wenn es noch so verlockend DIE GRÜNEN]: Was sagt denn der Finanz erscheint, es national einzuführen - möglichst EU- minister?) weit umzusetzen, weil sonst schlicht und ergreifend die Konsequenz ist, daß Sie weite Teile der energiein- Man kann jedem sagen, was dabei herausgekommen tensiven Nutzer ausnehmen müssen. So macht es Dä- ist, daß nämlich kaum noch ein Arbeitsplatz in nemark, so macht es Schweden, so macht es Norwe- Deutschland bestehen würde. gen. Das ist nicht besonders beeindruckend. EU-weit könnten wir in einem geschlossenen Wirtschaftsraum (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ sehr viel besser vorgehen. DIE GRÜNEN]: Ja, schlimmer als der Kom munismus! Honecker wäre dagegen wirk (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Nein, das stimmt lich milde gewesen!) nicht!)

Wir werden das so machen, daß Menschen Arbeit, Das bleibt, auch wenn wir uns nationalen Überlegun- Lohn, Brot und eine saubere Umwelt in der Bundes- gen nicht völlig verschließen können. republik Deutschland finden. Diese Diskussionen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - werden wir führen, und wir werden dabei verschie- Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Ahal) dene Dinge in Betracht ziehen. Der Bundesfinanzmi- nister hat schon heute früh angekündigt: Subven- Die SPD hat sich leider wegen innerer Zerstritten- - tionsabbau dort, wo Subventionen ökologisch unsin- heit der Fortsetzung der Energiekonsensgespräche nig sind erst einmal entziehen müssen. Ich sage es ganz vor- sichtig. Es war nicht klar, ob man nun seitens der (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Auf einmal!) SPD akzeptieren kann, daß wir die Fähigkeit behal- ten wollen, neue Typen von Kernkraftwerken zu - nicht auf einmal -, Aufspreizungen, wo es ökolo- bauen, oder ob wir diese Fähigkeit nicht behalten gisch sinnvoll ist, so wie wir es schon beim bleifreien wollen. Ich möchte, da meine Zeit jetzt leider knapp Benzin gemacht haben, so wie wir es jetzt beim ist, an dieser Stelle nur folgendes sagen. Es ist eine Kraftstoff Erdgas machen, so wie wir es beim benzol ganz tragische Diskussion, wenn wir anfangen, be- armen Benzin machen könnten usw. stimmte Technologien von vornherein auszuschlie- 4150 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 Bundesministerin Dr. Angela Merkel Ben und zu sagen: Diese Technologie möchten wir Dr. Liesel Hartenstein (SPD): Herr Präsident! nicht mehr, jene Technologie möchten wir nicht Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! mehr. Denn es endet zum Schluß damit, daß wir alle gemeinsam beklagen, daß ganze Industriebereiche, (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ jetzt z. B. die Solarzellenproduktion, aus der Bundes- DIE GRÜNEN]: Jetzt erzählen Sie mal, wie republik Deutschland abwandern. modern das alles war, was hier vorgetragen wurde!) (Widerspruch bei der SPD) In der Debatte zur Regierungserklärung, Kollege Fi- Sie können nicht sagen: Diesen Industriezweig scher, im November 1994, hat Frau Minister Merkel wünsche ich mir hier, aber die Gentechnologie paßt Erstaunliches verkündet: mir nicht, und die Chipproduktion produziert zuviel Siliciumabfälle. Sie müssen ein investitions- und ent- Wir werden das Prinzip der umweltgerechten wicklungsfreundliches Klima schaffen. Das schließt und nachhaltigen Entwicklung Schritt für Schritt alle Entwicklungspfade ein. zum Maßstab unseres Handelns machen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Das war ein gewichtiges Wo rt. Das ließ Hoffnungen aufkommen. Ich bitte Sie, denken Sie noch einmal darüber nach. Wir sind bereit, die Energiekonsensgespräche jeder- (Zuruf von der CDU/CSU: Recht hat sie!) zeit fortzusetzen. Nur: Heute, fast ein Jahr später, habe ich keine ein- (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ zige Silbe davon gehört, wie man diese Absicht um- DIE GRÜNEN]: Woran lag es denn mit der gesetzt hat oder versucht hat umzusetzen. Keine ein- Chipproduktion in Deutschland? Am Um zige Silbe! weltschutz?) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ich will den unangenehmen Realitäten nicht aus- DIE GRÜNEN - Zuruf von der CDU/CSU: weichen. Deshalb zum Abschluß nur dies: Der Sie müssen zuhören!) Stammhaushalt des BMU sinkt um 7,6 %. Das ist bit- ter. Aber wir können uns den allgemeinen Überle- - Ich habe sehr gut zugehört! gungen, Erwartungen und auch Notwendigkeiten nicht völlig verschließen. Im übrigen haben wir ei- Im Gegenteil, wenn wir heute zurückblicken, dann nige der Ausgabenposten, die wir im vergangenen muß ich sagen: Die Hoffnungen vom letzten Jahr Jahr hatten, in diesem Jahr nicht mehr in unserem sind zerstoben. Es macht sich - trotz all dem, was Haushalt, so die Ausgaben für die Klimakonferenz Frau Minister vorgetragen hat - Enttäuschung breit. und den Laborneubau für das Wasser-Boden-Luft-In- Von einem wirklichen Umsteuern zu einer nachhalti- stitut in Berlin. Wir werden versuchen, mit dem gen Entwicklung kann überhaupt keine Rede sein. Haushalt, den wir haben, Schwerpunkte zu setzen. Ich möchte hier nur Maßnahmen zur Förderung von (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Umweltschutzinvestitionen und Maßnahmen im Na- DIE GRÜNEN) turschutz erwähnen. Ich möchte an dieser Stelle - man kann sicherlich in den parlamentarischen Bera- Im Prinzip ist die Umweltpolitik dieser Bundesregie- tungen auch noch Kleinigkeiten ins Auge fassen - rung durch Stagnation gekennzeichnet, und zwar nur sagen: Wir haben dieses Jahr das europäische durch totale Stagnation. Naturschutzjahr. Ich würde mich freuen, wenn wir unsere Pilotprojekte im Bereich des Naturschutzes (Dr. Uwe Küster [SPD]: Sehr bedauerlich! mit Sicherheit fortsetzen können und dadurch auch Wie die ganze Regierung!) ein Zeichen setzen können, daß die Novelle des Bun- Frau Minister Merkel, ich wi ll gar nichts von dem desnaturschutzgesetzes, die wir in dieser Legislatur- in Abrede stellen, was Sie hier in bezug auf die periode in Angri ff nehmen, neuen Länder vorgetragen haben. Do rt ist viel ge- (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ schehen. Dies ist alles in Ordnung. Aber ob es sich DIE GRÜNEN]: Die ist auch schon 30 Jahre um Rauchgasentschwefelungen handelt oder um alt: Alles uralte Ladenhüter!) was auch immer: Wir müssen doch wissen, hier geht es ausschließlich um nachgeschalteten Umwelt- dann auch durch praxisrelevante Maßnahmen umge- schutz, der zu reparieren versucht, was vorher durch setzt, durchgesetzt und begleitet werden kann. unsere Wirtschaftsweise ange richtet worden ist. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und Sie haben Umwelt und Verkehr genannt. Das hoffe auf gute Diskussionen im Sinne des Umwelt- Dreiliterauto wird angestrebt - in Ordnung. Katalysa- schutzes in der nächsten Stunde. tor, Senkung des Benzolgehalts - das sind alles rich- tige Ziele. Aber strukturell verändert das gar nichts; (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) die Umweltschäden, die durch den Verkehr entste- hen, werden weiter zunehmen.

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile der (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Abgeordneten Frau Dr. Liesel Hartenstein das Wort. GRÜNEN und der PDS) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995. 4151 Dr. Liesel Hartenstein Hier habe ich keinerlei konzeptionelle Vorstellungen Lebensgrundlagen für uns und für die zukünftigen von Ihrer Seite gehört. Ich muß das einfach so sagen, Generationen zu bewahren. Erst dann sind wir auf weil es aus meiner Sicht Tatsache ist. Solange das dem richtigen Weg. Hehre Formeln allein helfen Waldsterben immer schlimmere Ausmaße annimmt, nicht weiter. solange nichts für den Klimaschutz getan wird, Ich möchte versuchen, das Konzept für den ökolo- (Birgit Homburger [F.D.P.]: Nichts? Gar gischen Umbau sozusagen auf die praktische Ebene nichts?) herunterzudeklinieren. Das heißt dann doch nichts anderes, als daß wir alle Produktionsformen und alle sollte man besser das Wo rt „nachhaltige Entwick- Verhaltensweisen unterstützen müssen, die a) weni- lung" nicht mehr in den Mund nehmen. ger Rohstoffe verbrauchen, b) weniger Abfälle erzeu- Frau Kollegin Homburger, ich rechne damit, daß gen, c) weniger Energie verschwenden, d) weniger der nächste Redner der Koalition mir sagt: und haben Schadstoffe emittieren und e) weniger Boden ver- wir doch eine Wärmeschutzverordnung! Jawohl, die brauchen, sprich: weniger Boden versiegeln. Im Ge- haben wir. genzug müssen wir alle umweltschädlichen Nut- zungsformen verteuern. Das verstehen die Leute (Birgit Homburger [F.D.P.]: Hilft alles!) übrigens auch, wenn man offen mit der Bevölkerung darüber redet. Aber erstens kam sie viel zu spät, zweitens verlangt sie lediglich eine Reduzierung um 30 % beim Ener- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gieverbrauch von Gebäudeheizungen, und dies nur DIE GRÜNEN) für Neubauten, obwohl technisch viel mehr möglich wäre, Das geht nicht ohne die Wirtschaft und auch nicht gegen die Wirtschaft; das ist klar. Aber der Staat muß (Birgit Homburger [F.D.P.]: Das kostet auch endlich die richtigen Rahmenbedingungen dafür set- viel mehr!) zen, und er muß im selben Atemzug für den sozialen Ausgleich sorgen. In diesen Kernfragen bleibt die und drittens ist das nur ein winziger Schritt, wirklich Bundesregierung bis heute sprachunfähig und hand- nur ein winziger Schritt und kein echter Durchbruch lungsunfähig. zum Klimaschutz. Das ist unsere Beurteilung. Ich habe nicht nur von fehlender Langzeitperspek- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des tive, sondern auch von Stagnation im praktischen BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Handeln gesprochen. Das gilt auch für das Ord- Ich denke, die Bundesregierung sollte zwei Grund- nungsrecht, Frau Minister. Einige Maßnahmen sind wahrheiten beherzigen, zwei Erfahrungen, die wir wirklich überfällig. Es sind Versäumnisse in den letz- alle miteinander gemacht haben: ten Jahren zu konstatieren. Ich will nur zwei Bei- spiele nennen. Erstens. Umweltschutz ist kein Dekorationsstück, das man sich in guten Zeiten ans Revers heftet und Erstes Beispiel: 1996 tritt das Kreislaufwirtschafts- das man nach Belieben verschämt wieder ablegt, gesetz in Kraft. Fast jeder zweite oder dritte Para- wenn die Zeiten wi rtschaftlich schlechter werden. graph enthält Verordnungsermächtigungen. Beson- Nein, Umweltpolitik muß integraler Bestandteil ei- ders dringlich, ja überfällig wäre z. B. eine genaue ner vernünftigen Wirtschaftspolitik sein. Das ist bei Definition von Abfällen und Wirtschaftsgut, ebenso dieser Bundesregierung nicht der Fall, eine genaue Abgrenzung von werkstofflicher und energetischer Verwertung. Hier ist unbedingt eine (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Klärung nötig, denn es gibt es eine Menge Schlupflö- DIE GRÜNEN) cher. Heute wandern Hunderttausende Tonnen Kunststoffverpackungen in die Hochöfen der Stahlin- Zweitens. Schadensreparatur ist allemal teurer als dustrie, Überschrift: Verwertung. So war das in der Schadensvermeidung. Deshalb setzen wir voll auf Verpackungsverordnung nicht gedacht. Vermeidung. Ich habe den Eindruck, die Bundesre- gierung hat dieses schlichte Einmaleins der Ökologie Das heißt, hier muß Klarheit geschaffen werden. immer noch nicht gelernt oder es schon wieder ver- Heute wird nämlich der Verbraucher in der falschen gessen. Die Verbraucher können ein Lied davon sin- Vorstellung gehalten, er bezahle mit seinem Obolus gen, wie es ist, wenn Schadensreparaturen Geld ko- für die Rückführung der Stoffe in den Wirtschafts- sten, z. B. wenn sie ihre Wasserrechnung erhalten. kreislauf. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Verschmutzung der Flüsse und die Verseuchung - des Grundwassers durch Nitrate und Pflanzenschutz- (Dr. Gerhard Friedrich [CDU/CSU]: Der mittel usw. verursachen enorme Kosten bei der Was- Hamburger Umweltminister empfiehlt die seraufbereitung. Das muß der Verbraucher bezah- sen Weg!) len, wenn er will, daß sein Trinkwasser sauber ist. Im übrigen, Frau Homburger, war es höchst inter- Nur wenn wir endlich einsehen, daß wir nicht essant - das muß ich doch einflechten -, daß gestern mehr Naturgüter verzehren, nicht mehr Wasser ver- in der Mitgliederversammlung der Arbeitsgemein- brauchen, nicht mehr Bäume fällen dürfen, als die schaft für Umweltfragen, der Vertreter der Wi rt Natur wieder bereitstellen kann, wird es auch gelin- -schaft, der Wissenschaft, der Politik und der Umwelt- gen, die ökonomischen, nicht nur die ökologischen verbände angehören, die fehlenden Verordnungen 4152 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 Dr. Liesel Hartenstein in erster Linie von der Wirtschaft reklamiert wurden, Die Bundesregierung aber schaut mit geschlossenen nicht von den Umweltverbänden. Das bedeutet, die Augen zu, bis das Rad nicht mehr zurückzudrehen Wirtschaft ist verunsichert, weil die Regierung ihre ist. Hausaufgaben schlicht nicht macht. Liebe Kollegen vor allen Dingen von der F.D.P., (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: DIE GRÜNEN - Birgit Homburger [F.D.P.]: Es ist ja nur eine Kollegin da! - Wo ist über Das Gesetz ist noch gar nicht in Kraft! Es ist haupt die F.D.P.?) noch ein Jahr Zeit!) was Sie hier zulassen, ist Monopolisierung in Rein- - Wir haben es doch miteinander gemacht. Sie wis- kultur, sen genausogut wie ich, daß Art. 19 längst in Kraft ist. Aber die Verordnungen sind nicht da. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der PDS) (Birgit Homburger [F.D.P.]: Aber nicht die Verordnungen, urn die es da geht, Herr nach dem Motto: Die Großen fressen die Kleinen. schaft noch mal!) Das heißt, es gibt weniger Markt, es gibt weniger Wettbewerb. Nach Ihrer eigenen Interpretation ver- Zweites Beispiel - meine Redezeit geht zu Ende, stehen Sie sich doch als Hüter des Wettbewerbs. Wir und Sie sind sicherlich gleich an der Reihe -: Seit kämpfen aber dafür. Das ist der Unterschied. 1991 schmort der Entwurf für eine Mehrwegverord- (Beifall bei der SPD - Birgit Homburger nung in den ministe riellen Schubladen. Inzwischen breiten sich die Einwegdosen sintflutartig aus, insbe- [F.D.P.]: Wo denn?) sondere im Bereich Bier. 21/2 Milliarden Biereinweg- - Für den Wettbewerb. dosen überschwemmen heute den deutschen Ge- tränkemarkt. Das ist ziemlich genau die Hälfte aller Das waren ein paar kleine, aber typische Beispiele Getränkedosen überhaupt, auch für Erfrischungsge- für die Erstarrung der Politik. Ich kann nur sagen: tränke, die in Deutschland auf dem Markt sind. Nicht Das alles ist gerade nicht der Weg zu einer nachhalti- umsonst haben die Umweltminister der neuen Län- gen Entwicklung, den Frau Merkel versprochen hat. der vor wenigen Tagen die Notbremse gezogen. Sie Er führt pfeilgerade in die Gegenrichtung. Er zemen- verlangen ein Pflichtpfand für Einweggetränkedo- tiert nämlich die Verschwendungswirtschaft. sen. Ich frage die Bundesregierung, wann sie end lich Wir fordern Sie auf, endlich umzukehren. Wir vom § 7 der Verpackungsverordnung Gebrauch ma- brauchen Zukunftsorientierung. Wir haben unser chen will und wann sie endlich die überfällige Mehr- Konzept dafür auf den Tisch gelegt. Es ist höchste wegverordnung erlassen will. Zeit, darüber zu reden. Wir laden Sie herzlich dazu (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS ein. SES 90/DIE GRÜNEN) Danke schön. Offensichtlich ist sie nicht fähig, die wirtschaftli- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ chen Folgen der Einwegschwemme zu erkennen. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Eine Kleine Anfrage der SPD-Fraktion, die im Au- PDS) gust beantwortet wurde, enthält z. B. die Frage nach den Auswirkungen auf die kleineren und mittelstän- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat dischen Brauereien. In verblüffender Naivität ist da der Abgeordnete Dr. Klaus Lippold. zu lesen, die Bundesregierung könne nicht erken- nen, daß durch den Vormarsch der Einwegdosen Konzentrationstendenzen gefördert würden und daß Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (CDU/CSU): ein Verdrängungswettbewerb im Brauereibereich Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und stattfinde. - O heilige Einfalt! möchte ich sagen, Herren! Frau Hartenstein, Ihre Rede war ein Ver- wenn es nicht eine Blasphemie wäre. such, der bedauerlicherweise nicht zum Tragen kom- men konnte, weil Sie die Fakten nicht exakt darge- (Beifall bei der SPD) stellt haben. Von knapp 1 300 Brauereien in der Bundesrepublik (Zuruf von der SPD) sind 90 % mittelständische Betriebe. Sie haben regio- nale Versorgungsgebiete, sie haben kurze Transpo rt - Na ja, wenn man von dem Versuch absieht, durch etwas Schlußbeifall das Ganze aufzumotzen, war es -wege, sie füllen fast ausschließlich in Mehrweg- - pfandflaschen ab: alles umweltfreundlich. Je mehr ja nicht gerade von Beifall aus Ihrer eigenen Fraktion Einwegdosen aber die Supermärkte und Tankstellen umrauscht, was Sie hier an Thesen vorgetragen ha- überschwemmen - zu Dumpingpreisen wohlge- ben. Das läßt sich nur damit erklären, daß in Ihrer ei- merkt -, desto akuter wird die Existenzgefährdung genen Fraktion noch so viel Sachverstand vorhanden für alle diese Bet riebe, und desto akuter wird die Ge- ist, daß die Mangelhaftigkeit Ihrer Thesen auch von fahr für die Arbeitsplätze, liebe Kolleginnen und Kol- Ihren Fraktionskollegen eingesehen wurde. legen. (Lachen und Widerspruch bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Insofern, Frau Hartenstein, wollen wir doch jetzt ein- PDS) mal auf einige Punkte eingehen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4153

Dr. Klaus W. LIppold (Offenbach) Der erste Punkt: Wir haben in der vergangenen Le- doppelt so viele Wohnungen sanieren? Er hat sich da- gislaturperiode mit einer ganzen Reihe von Gesetzen für entschieden, doppelt so viele Wohnungen zu sa- dafür gesorgt, daß wir im Umweltbereich Fortschritte nieren, weil es optisch besser aussieht, anstatt sie machen. energetisch wertvoll zu sanieren. Das heißt, Sie kriti- sieren hier das, was wir sagen, tun aber do rt nichts, (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wo Sie die Verantwortung haben und etwas tun DIE GRÜNEN: Welche?) könnten. Zweiter Punkt: Wir haben auch in dieser Legisla- turperiode deutlich gemacht, daß wir zur Beschleuni- Bei diesen fehlsanierten Wohnungen in Berlin gung von Umweltpolitik beitragen. Ich sage dies zu- wird sich in den nächsten 30 Jahren nichts mehr tun. nächst mit Blickrichtung auf die Klimakonferenz, die Frau Hartenstein, das ist ein Skandal. Do rt könnten in Berlin stattgefunden hat. Diese Konferenz war ein Sie einmal den Finger in die Wunde legen. Der Ver- Erfolg für den weltweiten Umweltschutz, weil der antwortliche heißt Nagel und ist Sozialdemokrat. Zu entscheidende Impuls dazu vom Bundeskanzler aus- diesen Fakten sagen Sie hier kein Wo rt . Statt dessen ging, nachdem Frau Merkel die Vorbereitungen ge- sagen Sie hier, Sie wollten die bessere Umweltpolitik troffen hatte. machen. (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der CDU/CSU - Widerspruch DIE GRÜNEN) bei der SPD - Dr. Uwe Küster [SPD]: Wer hat denn do das Sagen?) - Sie wissen doch selbst, daß die Rede des Bundes- rt kanzlers mittlerweile weltweit zirkuliert und als - Wer das Resso rt hat, macht die Vorlagen, und wer Grundlage genommen wird - egal, wo Sie darüber die Vorlagen macht, hat die Initiativen, und wer die diskutieren -, wenn es um weltweiten Klimaschutz falschen Initiativen hat, darf nicht hierher kommen geht. und jammern und weinen, das sei kein Schritt in die (Eckart Kuhlwein [SPD]: Die bestand doch richtige Richtung. Über diesen Punkt sollten wir ein- nur aus Sprechblasen!) mal gemeinsam nachdenken, damit wir vielleicht et- was ehrlicher miteinander umgehen. Ich möchte Ihnen noch eines sagen, Frau Harten- stein: Sie haben natürlich mit Fug und Recht nur ei- (Dr. Uwe Küster [SPD]: Fangen Sie doch nige Punkte aufgegriffen, von denen Sie dann gesagt mal an!) haben, dies sei zu wenig. Aber Sie haben seinerzeit genau von diesem Pult aus immer wieder darauf hin- Zu dem etwas ehrlicheren Umgang miteinander gewiesen, wir seien nicht in der Lage, ein Ener- möchte ich Ihnen noch folgendes sagen - gelegent- gieeinsparprogramm für den Altbaubestand zu rea- lich muß man Sie auch in Erstaunen versetzen -: Bei lisieren, wir würden es nicht auf die Beine bringen. der Wärmeschutzverordnung, Frau Hartenstein, Jetzt, nachdem wir das - ich gebe zu: gegen einen handelt es sich um einen Punkt, über den man nach- gewissen Widerstand derer, die es zu zahlen hatten - denken kann. Nicht mit allen Punkten, die ich avi- in der Fraktion und im Bundestag durchgesetzt ha- siere, kann ich mich durchsetzen. Das ist bei Ihnen ben, verlieren Sie kein Wort darüber, daß wir mit auch anders: Sie stellen es hier immer so dar, als sei dem Programm, das wir aufgelegt haben, über zehn dies durchsetzbar. Ich sage ganz offen: Es gibt in die- Jahre 10 Milliarden DM für Energieeinsparung im ser unserer Republik unterschiedliche Interessenla- Altbaubestand investieren. Früher kam gerade von gen. Ich bin froh, wenn ich in einer Zeit, in der es - Ihnen immer der Hinweis, daß neben dem Verkehrs- wie es damals war - für den Umweltschutz rezessiv bereich der Altbaubestand derjenige Bereich ist, bei ist, wenigstens in Teilschritten Erfolge erzielen kann. dem wir primär Umweltschutzpolitik betreiben und Sie aber stellen sich hier hin, als ob Sie in rezessiven Erfolge für den Klimaschutz erzielen müssen. Nach- Zeiten für den Umweltschutz alles realisieren könn- dem wir nun genau dies gemacht haben, verschwei- ten. gen Sie es wie ein Staatsgeheimnis, weil es natürlich nicht in Ihr Konzept paßt. Ich komme nun zur Frage der Mineralölsteuer, Ich sage ganz deutlich, Frau Hartenstein: Zur gu- über die wir sicherlich noch sprechen werden: Wenn ten Politik gehört auch ein Stück Fairneß, indem man ich mir einmal ansehe, was Sie als Bundestagsfrak- das, was geleistet wird, wenigstens respektiert. Sie tion im letzten Wahlkampf alles in den Raum gestellt müssen es ja nicht bejubeln; das erwarten wir von Ih- haben und was Ihr damaliger Kanzlerkandidat mit ei- nen nicht, und das wäre auch völlig neu für Opposi- ner Handbewegung vom Tisch gewischt hat, dann tionspolitik. Aber Sie können doch wenigstens Ihren stelle ich fest, daß ich auf einmal der einzige war, der Respekt zum Ausdruck bringen. Schließlich hätten ein Stufenmodell vertreten hat. Ihr Kanzlerkandidat Sie auch anfügen können, daß Sie dies alles schöner hat nur gesagt: Das kommt nicht mehr in Frage. Da und besser gemacht hätten. waren Sie ganz schön brav und artig. Heute gibt es einen in Niedersachsen, der ist nicht so artig. Den ha- Aber da, wo Sie dran sind, machen Sie es natürlich ben Sie dann eliminiert. Das ist eine andere Frage. nicht schöner. Gehen Sie doch jetzt einmal nach Ber- lin! Dort gibt es einen Bausenator namens Nagel, der Im Grunde genommen müssen Sie damit leben, vor der Frage stand, wie er in Berlin Wohnungsbe- daß Sie das, was Sie hier vehement vertreten, immer standspolitik machen sollte. Sollte er bei der Sanie- unter dem Aspekt tun: Ich erwarte von denen, die rung Energieeinsparung betreiben, oder sollte er auf der Regierungsseite reden, daß sie ein Kurzzeit- 4154 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995

Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) gedächtnis haben und daß sie sich an all das nicht gen entwickeln und bei denen man auch einmal dar- mehr erinnern. Bedauerlicherweise, Frau Harten- über reden kann, ob es nicht effizient, ob es nicht fle- stein, reicht unser Gedächtnis für diese Dinge. Des- xibel wäre, wenn wir sie auf die Mineralölsteuer um- halb werden wir uns damit auseinandersetzen. legen würden.

Lassen Sie mich deutlich sagen, daß ich in der (Zuruf von der SPD: Darüber sind wir doch Frage der Selbstverpflichtung der Automobilindu- längst hinaus!) strie anderer Auffassung bin als die Opposition. Ich - Sie haben ja überhaupt keine Ahnung davon. Ich glaube, daß dies ein Schritt in die richtige Richtung sage das einmal so unverblümt, auch wenn Norbe rt ist. Wir werden aber darauf achten müssen, daß sie Blüm nicht hier sitzt. Das ist ein Punkt, über den wir auch umgesetzt wird. Insofern war der vermeintliche noch einmal diskutieren müssen, weil das eine Frage Autogipfel nicht das letzte Wort. Das ist selbstver- der Argumente ist. ständlich. Lassen Sie mich ein Weiteres anführen: Wir wer- Wenn jemand sagt, er habe das Dreiliterauto, die den das Naturschutzgesetz umsetzen. Da brauchen andere Firma das am nächsten Tag dementiert und Sie nicht so zu tun, als sei das ein Ladenhüter, denn die dritte Firma sagt, das sei serienmäßig nicht um- Naturschutz ist die primäre Kompetenz der Bundes- setzbar, dann wird es unsere Aufgabe sein, darauf zu länder, bei der die das Sagen haben. Sie fordern im- achten, daß es umsetzbar wird. Dann werden wir mer nur Umweltschutz, ohne zu sagen, wie Sie ihn auch über die ökonomischen Anreize nachdenken, finanzieren wollen. Selbstverständlich erwarten Sie damit es umgesetzt wird, Umweltschutz von uns mit der Maßgabe, daß wir al- les finanzieren. Wenn Naturschutz Kompetenz der (Zuruf von der SPD: Wie denn?) Länder ist, dann müssen die Länder auch bereit sein, für den Naturschutz in die Tasche zu greifen und et- denn wir brauchen nicht drei Öko-Polos, sondern was zu bezahlen. 30 Millionen Öko-Polos. Da ist unser Konzept das bessere. Dazu müssen Sie noch etwas sagen. Ihre Oberbürgermeisterin in Heidelberg hat zum Klimaschutz Vorstellungen entwickelt, nach denen (Beifall bei der CDU/CSU) der Bund zu zahlen hat. Ich habe ihr damals gesagt: Ich möchte endlich im Heidelberger Haushalt einen Wir haben, weil wir eine lebhafte Fraktion sind, na- Ansatz sehen, mit dem sie Gelder für die Klima- türlich auch die Frage, wie wir die Emissionen beim schutzpolitik einstellt, statt sich hinzustellen und zu Auto herunterfahren können, diskutiert. Ich sage bekunden, sie erwarte Geld von der Bundesregie- ganz offen: Da besteht noch Diskussionsbedarf. Ich rung, und ohne dieses Geld finde bei ihr in der Stadt bin in diesen Fragen nicht Ihrer Meinung, weil wir kein Klimaschutz statt. Das ist der Punkt. Umweltschutz betreiben können, ohne die Bürger zusätzlich zu belasten. Sie hingegen entwickeln Mo- (Widerspruch bei der SPD) delle nach dem Motto, dem Bürger zu 100 % oder Sie fordern von anderen. Wo Sie selbst gefordert doch zu 50 % in die Tasche zu greifen. Das ist nicht sind, tun Sie nichts. Wir können nicht all das tun, was meine Politik. wir für wünschenswert halten, aber wir erreichen in der Vorgabe im Umweltschutz wesentlich mehr als (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Sie. Deshalb können wir uns im Bereich Umwelt- DIE GRÜNEN]: Aber unsere, wir sind für schutz an all dem, was Sie fordern, messen, weil wir 150%!) sagen können, daß wir das, was wir angepackt ha- Ich vertrete in dieser Fraktion die Politik, zu sagen: ben, und das, was wir versprochen haben, in weite- Wir betreiben Umweltschutzpolitik, indem wir um- sten Positionen gehalten haben. Den Rest werden gruppieren, aber die Bürger nicht mehr belasten wol- wir zu Ihrem Ärgernis auch noch abarbeiten, denn es len. wird deutlich werden, daß wir uns im Umweltschutz nicht treiben lassen. Wir sind, wenngleich Regie- Wenn wir also schon daran denken, bei den Anrei- rungskoalition, wesentlich bestimmender als Sie sei- zen etwas zu tun, ist es sinnvoll, daß man Elemente tens der Opposition, von der ich mir mehr Dampf er- wählt, wartet hätte. Denn wenn eine Opposition Dampf macht, kann man sich unter Umständen auf ihre Ar- (Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE gumente stützen. Bei Ihnen aber ist der Dampf raus, GRÜNEN]: Welche denn? Kommen Sie zur und das ist schade. Sache!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) - die erstens flexibel, zweitens effizient und drittens auch verwaltungseinfach sind. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Jürgen Rochlitz das Wo rt . (Dr. Uwe Küster [SPD]: So allgemein kann man sich ja verständigen, aber werden Sie einmal mit Angeboten konkret!) Dr. Jürgen Rochlitz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- Da könnten Sie einmal über Ihren Schatten springen nen und Kollegen! Der Umwelthaushalt von und mir recht geben, daß es Punkte wie bei der Kfz- 1,3 Milliarden DM, gerade einmal 3,5 Promille des Besteuerung gibt, zu denen man andere Vorstellun Bundeshaushalts - daran werden auch Sie nichts än- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4155 Dr. Jürgen Rochlitz dern können, Herr Lippold -, ist nicht mehr als ein Der Umwelthaushalt wie auch die Ausgaben für Mauseloch im großen Gebäude der Bundesfinanz Umweltschutz in den übrigen Resso rts sind überwie- ausgaben. gend Mittel zur Vergangenheitsbewältigung. Frau Merkel, Sie haben uns das heute wieder bestätigt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Als Initiativen führen Sie praktisch nur die mumifi- Meine Damen und Herren von der Koalition, zierten Verordnungen Ihres Vorgängers an. Die Zu- selbstverständlich haben Sie recht, wenn Sie Ihre Mi- kunft findet nur am Rande statt, wenn noch nicht ein- nisterin aufschreiben lassen, daß weit mehr, nämlich mal die Entwicklung eines nachhaltig umweltver- ca. 8 Milliarden DM, in den übrigen Ressorts für Um- träglichen Deutschlands zu einem Etatposten geführt weltschutz ausgegeben werden. Aber auch das ist al- hat. lenfalls ein Kaninchengang im Haushaltsgebäude - um bei den Naturbildern zu bleiben. Leider ist es kein Signal, daß Sie, Frau Merkel, sich bei diesem Thema ganz auf ein bekanntes Institut in Der Verweis auf die anderen Resso rts hilft auch Wuppertal verlassen wollen. Ich garantiere, Frau beim Jahrhundertthema Klimaschutz nicht im ge- Merkel: Es ist ein strategischer Fehler der Umweltmi- ringsten. Auch dort herrschen Stagnation und Kür- nisterin, weder ein Vetorecht noch ein Mitsprache- zung der Mittel vor, Herr Lippold, wenn z. B. das recht bei den Umweltausgaben der anderen Resso rts Fernwärmeprogramm für die neuen Bundesländer zu haben und es sich noch nicht einmal erkämpfen auf Null reduziert wird oder die CO2-Minderungs- zu wollen. So bleibt die Umweltministerin nur das maßnahmen im Wohnungsbau, die Sie hier ange- possierliche Tierchen, die bescheidene Maus, neben sprochen haben, kurzerhand von beim Klimagipfel den Panthern und Tigern am Kabinettstisch ohne die angekündigten 200 Millionen DM auf ein Zehntel nötige Durchsetzungskraft zur Gestaltung der ökolo- heruntergefahren werden. Damit haben wir es doch gischen Zukunftsaufgaben. schwarz auf weiß, Herr Lippold, daß die Ankündi- gungen beim Klimagipfel nur heiße Luft gewesen Solange dies ebensowenig erkannt wird wie die sind. Funktion der gegenwärtigen und vom Ministe rium geplanten Ausgaben für Umweltschutz, findet nach- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haltige umweltpolitische Zukunftssicherung über- sowie bei Abgeordneten der SPD) haupt nicht statt. In diesem Umwelthaushalt sind die Ausgaben doch allenfalls zur Minderung der be- Selbst für Sie, Frau Ministerin, ist es zutiefst depri- stehenden oder sich abzeichnenden Schäden und mierend, nicht einmal über eine müde Million Mark keineswegs zur grundsätzlichen Beseitigung der verfügen zu können, um Ihre Federführungsaufgabe Schadensursachen gedacht. Denn um dies leisten zu im Klimaschutz voranzubringen. Nun verteidigt die können, müßten endlich auch die ökologischen Schä- Ministerin für Umwelt die geringen Summen ihres den bilanziert werden, die von den Haushalten der Haushalts erstmals mit dem Argument des Verursa- anderen Ressorts Jahr für Jahr ausgelöst werden - cherprinzips. Die Verantwortlichen für Umweltschä- durch Straßenbauwahn, durch Technikfanatismus den hätten die Kosten für vorsorgende Vermeidung und mangelnde Einsicht. und für die Beseitigung zu tragen. Entscheidend, so die Ministerin, seien daher nicht die Umweltschutz- Wo, wenn nicht im Umweltministerium, müßte ausgaben des Bundes, sondern die Umweltschutz- eine Ökobilanz über die positiven und bisher vorwie- ausgaben der Verursacher. gend negativen Auswirkungen des Bundeshaushalts Wie wahr, Frau Ministerin, aber doch wie falsch, erstellt werden? Wenn Sie so wollen: Ein Öko-Audit wie abgrundtief falsch, wenn damit gesagt werden der Bundesregierung muß her. Dann ließen sich end- soll, der vorgelegte Haushalt sei ein strategischer lich die Komponenten der Bundespolitik ausmachen, Haushalt, mit dessen Hilfe die umweltpolitische Zu- bei denen vorsorgender Umweltschutz zur Schadens- kunft Deutschlands gestaltet würde, und wie falsch, abwehr dringend vonnöten ist. wenn Sie suggerieren wollen, sämtliche Verursacher könnten zu Zahlungen herangezogen werden! Nein, Denn, meine Damen und Herren, eine Lektion des das Gegenteil ist doch der Fall. Die Ministe rin ver- nachsorgenden Umweltschutzes sollten wir gelernt kriecht sich in ihr Umweltmauseloch und läßt die haben - auch bei Ihnen in der CDU ist das anschei- strategischen Entscheidungen zuungunsten der Um- nend mittlerweile angekommen -: Die Phase der welt und der Zukunft auf den oberen Stockwerken End-of-the-pipe-Umweltpolitik sollte in eine Politik des Haushaltsgebäudes geschehen. überführt werden, die tatsächlich an die Ursachen herangeht, die sich damit auch endlich in die bun- Schlimmer noch - heute haben wir es wieder erfah- desweite breite Debatte um Ökosteuern und die - ren -: Sie sollen nach dem Willen der Ministe rin in Ökosteuerreform einklinkt. Eine verantwortbare Um- den Chefetagen der Industrie sogar in Form von weltpolitik müßte bei dem Bestreben, das Verursa- Selbstverpflichtungen stattfinden. Damit, meine Da- cherprinzip in Steuerpraxis umzumünzen, praktisch men und Herren, betreiben diese Ministe rin und die Vorreiterin sein. Bundesregierung die Selbstaufgabe jeglicher um- weltpolitischen Strategie im zuständigen Ministe- Wozu haben denn Enquete-Kommissionen an den rium. Visionen einer zukunftsgerichteten Umweltpolitik gearbeitet? Wozu haben denn die Umweltweisen der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bundesregierung ins Stammbuch geschrieben, daß sowie bei Abgeordneten der SPD) ökonomische Anreize für die ökologische Wahrheit 4156 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995

Dr. Jürgen Rochlitz der Preise sorgen müssen und daß sie seit der Wie- und das Bundesamt für Strahlenschutz - sprich: dervereinigung nichts als einen gegenreformatori- Schutz der Atompolitik von Bundesregierung und In- schen Umweltkurs verfolge, wenn daraus keine Leh- dustrie - und schließlich mit einem anhaltend hohen ren gezogen werden? Haushaltsanteil von mindestens 37 % für die Atom- energie rutscht das Umweltministerium immer mehr Genau betrachtet werden doch bei sehr großzügi- in die Ecke eines Ministeriums zur Sicherung der ger Auslegung und Abschätzung des Umwelthaus- Atomindustrie. halts lediglich 50 Millionen DM für Projekte und In- vestitionen des integrie rten, also wirklich zukunfts- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN trächtigen Umweltschutzes eingesetzt. Ansonsten sowie bei Abgeordneten der SPD - Walter überwiegt im Bundeshaushalt mit mehr als 90 % der Hirche [F.D.P.]: Ein sehr krampfhafter Bei- vergangenheitsgerichtete, nachsorgende Umwelt- fall! Da mußte Fischer erst mal aufwachen!) schutz. Wo zeigt sich die atomindustriefreundliche Haus- Um nicht mißverstanden zu werden, sei nochmals haltsdominanz deutlicher als an der Haltung des Mi- darauf hingewiesen: Auch dieser nachsorgende Um- nisteriums zu den sicherheitstechnisch relevanten weltschutz ist selbstverständlich weiterhin vonnöten, Rißbefunden an den Schweißnähten älterer Siede- aber nicht nur aus strategischen Gründen wäre es er- wasserreaktoren! Hier wird in der Tat das Umwelt- forderlich, endlich deutliche Signale in Richtung zu- ministerium zum Sicherheitsrisiko, denn statt dieses kunftsweisender Investitionen zu setzen. Rißproblem endlich zum Anlaß für Stillegungsverfü- gungen zu nehmen, sieht das Ministe rium auch noch Aber gerade das Gegenteil passiert doch, wenn einen äußerst kostenträchtigen Untersuchungs- der einzige Solarzellenhersteller in Deutschland schwerpunkt mit Haushaltsrelevanz. durch eine immer mehr vernachlässigte Förderung dieser zukunftsweisenden Technik der Energiege- Von noch weiter reichender Verantwortungslosig- winnung vergrault wird. keit zeugt die mit immerhin 4,9 Millionen DM do- tierte Untersuchung des Lungenkrebsrisikos durch (Birgit Homburger [F.D.P.]: Eigentlich eher Radon am Beispiel der Beschäftigten im Uranberg- wegen der Arbeitskosten!) bau Sachsens und Thüringens. Meine Damen und Nur ein Beispiel, meine Damen und Herren: Was Herren, wir kennen doch die Risiken von Lungen- nützt uns denn das längst überfällige Bodenschutz- krebs durch Radon. Statt Risikountersuchungen sind gesetz - mit dem übrigens in modifizierter Fassung schnellstens Präventionsmaßnahmen gegen die vor- durchaus eine Zukunftssicherung dieses zentralen aussichtlichen Erkrankungen angesagt, wenn nicht Umweltmediums möglich sein könnte -, wenn es na- sogar Wohnsitzänderungen. hezu keine Haushaltsansätze zum Bodenschutz gibt? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die veranschlagten 5 Millionen DM sind wohl kaum sowie des Abg. [SPD]) eine solide Basis. Wie wäre es denn gewesen, wenn die Bundesregierung in einem Anfall visionärer Ge- Solche unverantwortlichen haushalts- und umwelt- staltungskraft zur Umsetzung ihrer Bodenschutzpoli- politischen Eskapaden zeigen doch nur eines - wie tik haushälterisch bereits ein Bundesamt für Boden- es schon mit der Vorlage der als Lachgasverordnung schutz eingeplant hätte? bezeichneten Ozonverordnung geschehen ist -: Die Zukunft eines nachhaltig umweltverträglichen, für (Walter Hirche [F.D.P.]: Noch ein Amt!) unsere Kinder und Enkel umweltbewahrenden Hier hätte Umweltpolitik nicht nur symbolischen Deutschlands wird weniger und weniger bedacht. Stellenwert bekommen, hier hätten Forschung und Frau Ministerin, nicht nur Ihr Haushalt, sondern Praxis der Bodenreinhaltung und -sanierung endlich auch Ihr „think-tank" für die Umwelt ist dabei auszu- ein gemeinsames Dach bekommen können, hier hät- trocknen. Es fehlt das Feuchtbiotop zur Entwicklung ten die Erstellung eines Bodenkatasters und letztlich von Ideen, wie einer Industriegesellschaft die ökolo- eine fachlich begründbare Richtlinienkompetenz in- gischen Grenzen gezeigt werden, wie eine Wohl- stalliert werden können. Unsere Fraktion würde sich standsgesellschaft in eine ökologische Wohlbefin- Bodenschutz jedenfalls effektiv etwas kosten lassen - densgesellschaft überführt wird. im Gegensatz zur Bundesregierung. Deswegen unser Rat: Kämpfen Sie endlich einmal Es ist wahrlich ein umweltpolitisches Armutszeug- für mehr Kompetenz und mehr Möglichkeiten der nis, wenn ausgerechnet bei den Investitionen zur Ver- Ideenfindung, gegen Ihre Kollegen im eigenen Kabi- minderung und Vermeidung von Umweltbelastungen nett und schon gar gegen den Finanzminister! Vor al- der Waigelsche Rasenmäher angesetzt wird: Er führt lem aber hüten Sie sich vor der Mausefalle der Atom- die Investitionsausgaben von 123 Millionen DM im industrie, auch wenn der Speck noch so gut riecht! Jahr 1994 über 92 Millionen DM nun auf 58 Millionen Hüten Sie sich aber auch vor den schon aufgestellten DM zurück, von denen aber nur noch 6,5 Millionen Selbstverpflichtungsfallen der übrigen Indust rie! DM für neue Vorhaben zur Verfügung stehen. Wenn Sie nicht bald umsteuern, entgehen Sie ihnen Schlimmer noch: Mit solchen kameralistischen Hu- nicht. sarenstückchen wird die Schieflage des Haushalts Danke schön. zugunsten atompolitischer Ausgaben noch verstärkt. Bei dieser Ausgabenstruktur mit 50 % der For- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schungsmittel für Atom- und Strahlenpolitik und in sowie bei Abgeordneten der SPD und der etwa gleich hohen Kosten für das Umweltbundesamt PDS) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4157

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das Wir sind der Meinung, wir müssen alle Wege be- Wort der Abgeordneten Birgit Homburger. schreiten, um die Belastungen des Bürgers nicht wei- ter steigen zu lassen. (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wie haben Sie den Herrn Die Bereisung, die ich im Juli gemacht habe, zeigt Rexrodt genannt? Würden Sie das noch ein jedenfalls deutlich, daß die Organisationsform der mal wiederholen?) Schlüssel zur Kostensenkung in den Kommunen ist. Kläranlagen kann man eben nicht wie ein Paßamt betreiben. Es sind Wirtschaftsunternehmen, und sie Birgit Homburger (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Rede vom Kollegen Rochlitz müssen nun einmal wie Wirtschaftsunternehmen or- hat gerade wieder einmal deutlich gezeigt: Die Grü- ganisiert werden. nen reden hier vom Verursacherprinzip und bekla- (Beifall bei der F.D.P.) gen gleichzeitig, daß die erforderlichen Mittel nicht im Haushalt eingestellt sind. Sie haben überhaupt Die Abwasserentsorgung bei zwei Dritteln unserer nicht begriffen, daß „Verursacherprinzip" heißt, daß Bürgerinnen und Bürger wird noch immer in Behör- die Mittel eben nicht im Haushalt eingestellt werden. denform anstatt in Form einer GmbH oder AG orga- Vielmehr bedeutet eine konsequente Umsetzung nisiert. Dabei ist erwiesen, daß allein durch eine an- dieses Prinzips, daß die Mittel im Haushalt letztend- dere Organisationsform die Gebühren um 10 bis lich sogar reduziert werden, weil man nämlich beim 15 % gesenkt werden können. Verursacher ansetzt und dem Verursacher die Kosten anlastet. Das ist exakt das, was wir wollen. Frau Ministerin Merkel, ich fordere Sie auf

(Beifall bei der F.D.P. - Joseph Fischer (Klaus Lennartz [SPD]: Frau Ministe rin, jetzt [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: hören Sie zu!) Das ist aber wenig mittelstandsfreundlich!) - es wäre gut, wenn Sie zuhörten -, eine kommunal- Die F.D.P. fordert mehr im Um- Marktwirtschaft politische Initiative zu starten, um bei den Kommu- weltschutz; das wissen Sie. Wir wollen ökonomische nen für mehr Kosteneffizienz beim Umweltschutz zu Instrumente. Das zentrale Element der Marktwirt- sorgen. schaft ist der Wettbewerb. (Joseph Fischer [Frankfu rt ] [BÜNDNIS 90/ Die bisherige Freistellung der Behördenbetriebe DIE GRÜNEN]: Sehr gut!) von der Umsatzsteuer - auch das wird die SPD un- gern hören - behindert diese Umwandlung. Deshalb Wir müssen auf den Wettbewerb setzen, um z. B. - fordert die F.D.P. nach wie vor die steuerliche Gleich- ich will das deutlich sagen; auch die Ministerin hat behandlung von privaten und öffentlich-rechtlichen das angesprochen - die Abwasser- und die Abfallge- Abwasser- und Abfallbetrieben. bühren in den Griff zu bekommen. Das ist so, auch wenn Sie das nicht begreifen wollen. (Beifall bei der F.D.P.) Durch Ausschreibungen und Wettbewerb unter Wir fordern auch mehr Wettbewerb in der Abfall- privaten Betreibern haben Kommunen gezeigt, daß wirtschaft. Das Duale System darf nicht weiter ein hochmoderne Kläranlagen, die allen gesetzlichen Closed Shop bleiben. Anforderungen entsprechen oder sie sogar über- schreiten, zu Gebühren gebaut und bet rieben wer- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ den können, die im Durchschnitt liegen. DIE GRÜNEN]: Sehr gut! Rechnen Sie das einmal auf!) Wer wie die SPD behauptet, von gewinnorientier- ten Unternehmen könnte man keine Gebührensen- Der kürzlich von Frau Merkel vorgestellte Entwurf kungen erwarten, der hat überhaupt nicht beg riffen, zur Novellierung der Verpackungsverordnung greift wie Marktwirtschaft funktioniert. die Forderung der F.D.P. nach Ausschreibung von Entsorgungs- und Verwertungsverträgen auf. Das (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne reicht uns aber noch nicht. Zusätzlich müssen noch ten der CDU/CSU) weitere Aspekte, z. B. eine Befristung dieser Ver- und sollte in der Folge auch nicht von ökologischer träge, aufgenommen werden, um auch Newcomern Marktwirtschaft reden. Niedrige Preise sind nämlich eine Chance zum Markteintritt zu geben. das Ergebnis von Wettbewerb unter Firmen, die na- Ich hoffe, Frau Minister Merkel, daß die Bundesre- türlich Gewinn machen wollen. Schutzzäune, wie Sie - gierung Ihren Verordnungsentwurf bald dem Bun- von der SPD sie wollen, schaffen hohe Preise. destag vorlegt. Sie wissen ja, daß der Bundestag zum Ich fordere Sie deshalb auf: Gucken Sie sich ein- erstenmal daran beteiligt werden muß. Ich freue mal Anlagen an, beispielsweise Storkow in Branden- mich schon darauf, daß wir dann darüber intensiv burg, Wedemark in Niedersachsen oder Altenburg in diskutieren werden. Thüringen! Haben Sie den Mut, sich endlich von der ÖTV und von deren Blockadepolitik zu lösen und zu Frau Hartenstein, Sie haben im Zusammenhang befreien! mit dem Kreislaufwirtschaftsgesetz gesagt, die nöti- gen Verordnungen seien noch gar nicht in Kraft. Das, (Beifall bei der F.D.P.) was bisher noch nicht in Kraft ist, bet rifft den Teil des 4158 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995

Birgit Homburger Gesetzes, der zum 1. Oktober 1996 in Kraft tritt. Inso- haben wir heute schon gesprochen - auf die Mineral- fern ist das, was Sie hier vorgetragen haben, völliger ölsteuer umlegen, und zwar aufkommensneutral. Ne- Unsinn. Es gibt hier überhaupt nichts, bei dem wir in ben umweltpolitischen Aspekten hat diese Lösung Verzug wären. auch den Charme einer Vereinfachung des Steuersy- stems. Was den Einsatz von Plastikmüll in Stahlöfen an- geht, so kann ich Ihnen nur sagen: Unterhalten Sie Darin besteht ein Unterschied zu der emissionsbe- sich darüber einmal innerhalb Ihrer eigenen Partei! zogenen Kraftfahrzeugsteuer, wie sie von Frau Mer- Es ist bei weitem nicht so, daß alle Ihrer Meinung kel vorhin wieder angekündigt wurde. Ich wünschte sind. Im Gegenteil, in Ihrer Partei sind eine ganze mir schon, Frau Merkel, daß dieses Konzept der Ko- Reihe von Leuten in der Tat der Meinung, daß der alition einmal vorgelegt würde, damit wir nicht im- Einsatz von Plastikmüll in Hochöfen wie z. B. in Bre- mer nur über die Presse hören müssen, was Herr men als Reduktionsmittel eine stoffliche Verwertung Wissmann und Sie für besser halten. darstellt. Durch eine Umlegung der Kfz-Steuer auf die Mine- (Walter Hirche [F.D.P.]: Da sind zwei Abtei ralölsteuer würden wir auch einen Anreiz zur Ent- lungen in der SPD! Die eine redet so, die wicklung und zum Kauf verbrauchsärmerer Fahr- andere so!) zeuge schaffen. Die F.D.P. will das Dreiliterauto. Des- Sogar der ehemalige Umweltsenator Flicks in Bre- wegen wollen wir auch die ökonomischen Weichen men von den Grünen war dieser Auffassung und hat dafür richtig stellen. sich dafür eingesetzt. Ich hätte gerne einmal eine Gleichzeitig - auch darin liegt ein Unterschied zu einheitliche Meinung von Ihnen gehört. der emissionsbezogenen Kfz-Steuer - schaffen wir Bei der Verwirklichung der Produktverantwortung durch die Verteuerung des Benzins einen Anreiz, we- bei Altautos und Elektronikschrott setzt die F.D.P. niger und sparsamer zu fahren. Wir sind der Mei- auf freiwillige Lösungen. Ich will hier die Chance nung, daß nicht das Besitzen eines Fahrzeugs, son- nutzen, um ganz klar auch nach draußen zu sagen: dern das Bewegen, das sich letzendlich auf die Um- Die Uhr dafür läuft ab! Wenn nicht bis Ende Herbst welt- und Verkehrsinfrastruktur auswirkt, belastet seitens der Wi rtschaft umweltpolitisch bef riedigende werden muß. und wettbewerbskonforme Selbstverpflichtungen Die F.D.P. fordert weiterhin die Umwandlung der vorgelegt werden, die nach unserem Willen auch Kilometerpauschale in eine verkehrsmittelunabhän- dem Mittelstand in diesem Bereich eine Chance ge- gige einheitliche ben müssen, dann müssen wir eben Verordnungen Entfernungspauschale. erlassen. Das ist dann unerläßlich; wir kommen an (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sehr gut!) dieser Maßnahme nicht vorbei. Das müssen all dieje- nigen wissen, die dies im Augenblick verzögern. Auch hier wollen wir Anreize schaffen, auf öffentli- che Verkehrsmittel umzusteigen oder sparsame (Eckart Kuhlwein [SPD]: Jetzt droht sie Fahrzeuge zu nutzen. aber!) (Beifall der Abg. Ing rid Matthäus-Maier Ich wünsche mir, daß die Automobilhersteller nicht [SPD] und des Abg. Joseph Fischer [Frank- nur wieder Studien über Dreiliterautos vorstellen, furt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Ingrid sondern diese Autos auch zu vernünftigen Preisen Matthäus-Maier [SPD]: Warum klatschen auf den Markt bringen. Noch wichtiger ist es, den Sie von der F.D.P. denn nicht?) Verbrauch in allen Fahrzeugklassen zu senken. Wir müssen endlich auch im Straßenverkehr zu realen Die Einführung der Entfernungspauschale muß al- Absenkungen von Schadstoffemissionen kommen. lerdings haushaltsneutral sein. Deshalb muß der Satz Mit der Selbstverpflichtung zur Verbrauchsabsen- gesenkt werden. Die von der SPD, von den GRÜNEN kung bei Neufahrzeugen sind wir auf dem richtigen und von der PDS geforderten Schnellschüsse, die wir Weg. Jetzt aber müssen den Worten auch Taten fol- im Frühjahr schon diskutiert haben, haben wir des- gen. wegen zu Recht abgelehnt. Diese Vorschläge waren (Zurufe von der SPD: Bravo!) nämlich unausgegoren. Erfreulich ist allerdings - auch das will ich hier sa- Frau Kollegin Matthäus-Maier, Ihr Kollege Müller gen -, daß der Mineralölverband vor kurzem be- fordert für die SPD im Umweltausschuß eine einheit- schlossen hat, jetzt bundesweit für eine bestimmte liche Entfernungspauschale auf der Basis von Kategorie von Kraftstoff, für Super Plus, benzolarmes 50 Pfennig pro Kilometer, von der er behauptet, daß Benzin einzuführen, das nur einen Anteil von 1 % sie haushaltsneutral sei. Andere im Bundesrats- Benzol hat. Ich freue mich, daß es Herrn Staatssekre- finanzausschuß verlangen 61 Pfennig, anschließend tär Hirche in Verhandlungen gelungen ist, daß dies hilfsweise 65 Pfennig. früher erfolgt, als wir alle es erwartet haben. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ja, 60 Pfennig!) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU) - Sie sagen jetzt: 60 Pfennig. Hier muß doch erst ein- mal Klarheit über die Zahlen her. Wo soll man denn Die F.D.P. will auch das Steuersystem ökologisch anfangen? Wenn diese Maßnahme haushaltsneutral weiterentwickeln und kontraproduktive Regelungen sein soll, dann muß sie auch seriös sein. Wenn sie se- abschaffen. Wir wollen z. B. die Kfz-Steuer - darüber riös sein soll, müssen die Zahlen geklärt werden. So Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4159 Birgit Homburger geht es jedenfalls nicht. Ich fordere die Bundesregie- rium - genau dazu habe ich es auch aufgefordert - rung auf, daß sie hier Berechnungen vorlegt, wozu diese seriösen Zahlen liefern. Ich bin nicht bereit, sie bei der Beratung des Jahressteuergesetzes von mich an einer Herumhampelei zu beteiligen, bei der diesem Hause auch aufgefordert wurde. einmal diese Zahl und einmal jene Zahl genannt wird. Ich will eine seriöse Politik, und dafür brauchen wir zuverlässige Zahlen, welche wiederum das Mini- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Hombur- ger, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeord- sterium vorzulegen hat. neten Matthäus-Maier? (Dr. Uwe Küster [SPD]: Wer hampelt hier, Frau Homburger?) Birgit Homburger (F.D.P.): Ja, bitte. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Frau Kollegin, da Homburger, da ist noch eine Zwischenfrage des Ab- nach meinen Berechnungen eine aufkommensneu- geordneten Köhne. trale Finanzierung möglich ist, wenn Sie bei der Kilo- meterpauschale und der einheitlichen Entfernungs- Birgit Homburger (F.D.P.): Wenn er meint, daß es pauschale 60 Pfennig zugrunde legen, frage ich Sie: ihm etwas bringt, bitte. Können wir dann nicht gemeinsam sagen: Wir ma- chen das, wir berechnen das? Das Ministerium ist Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bitte schön, hervorragend. Dort kann man das berechnen. Be- Herr Köhne. rechnen können sie es im Ministerium gut, nur der Minister tut nicht immer das, was die Leute ihm vor- legen. Was haben Sie dagegen, dann zusammen mit Rolf Köhne (PDS): Frau Kollegin Homburger, wa- uns eine Entfernungspauschale zu beschließen? ren Sie an dem besagten Tag im Umweltausschuß nicht nur körperlich anwesend, als der Kollege Mül- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE ler auf unseren Antrag hin den Änderungsantrag ein- GRÜNEN und der PDS) gebracht hat, daß die Geschichte mit der Entfer- nungspauschale aufkommensneutral sein sollte? Wir Birgit Homburger (F.D.P.): Frau Kollegin, Sie haben erwarten ja eine Zahl vom Ministerium. Das war der mir überhaupt nicht zugehört. Ich habe gerade nichts Kern dieses Änderungsantrages. Waren Sie an die- anderes gesagt. Es war wunderschön, daß Sie mir ge- sem Tag auch geistig anwesend? rade offiziell die dritte Zahl für die SPD geliefert und damit zu Protokoll gegeben haben. Nach Ihren per- Birgit Homburger (F.D.P.): Herr Kollege Köhne, ich sönlichen Berechnungen sind es 60 Pfennig, bin öfter geistig anwesend als Sie, weil ich auch öfter 50 Pfennig sagt Herr Müller, 61 oder 65 Pfennig der körperlich anwesend bin. Ich will dazu nur sagen, Bundesratsfinanzausschuß. daß ich selbstverständlich mitbekommen habe, was (Zuruf von der SPD: Wir sind im Bundestag! wir da diskutiert haben. Wir waren uns aber auch Das müssen Sie schon unterscheiden!) einig, daß wir nicht einfach einen Beschluß fassen können, daß wir es uns nicht so einfach machen kön- Wenn wir einmal diese Zahlen klären, was ich for- nen zu sagen: Wir wollen eine aufkommensneutrale dere, dann bin ich mit Ihnen einer Meinung, daß wir Lösung, und anschließend passiert überhaupt nichts. gemeinsam zu einer Entfernungspauschale kommen. Deshalb haben wir unsere Forde rung im Rahmen der Damit habe ich überhaupt kein Problem. Aber die Beratung des Jahressteuergesetzes vorgetragen. Zahlen müssen geklärt werden. Die Lösung muß se- Dies ist nichts anderes als das, was wir im Umwelt- riös und haushaltsneutral sein. Es ist überhaupt nicht ausschuß diskutiert haben. Insofern sehe ich über- hilfreich, daß Sie hier verschiedene Zahlen nennen. haupt nicht Ihr Problem. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Warum Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Hombur- klatscht die F.D.P. nicht? Ist sie dagegen?) ger, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Fischer? - Die F.D.P. unterstützt das voll, die SPD, so hoffe ich, auch. Insofern werden wir do rt sicherlich noch zuein- ander kommen. Birgit Homburger (F.D.P.): Immer. Jetzt kommen wir zum Thema CO2-/Energiesteuer, meine Damen und Herren. Die F.D.P. wird im Herbst (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE Joseph Fischer ein Konzept für eine Klimaschutzsteuer vorlegen, GRÜNEN): Frau Kollegin, wieviel würden Sie denn - aber wir werden uns nicht an dem Aktionismus von vorschlagen? SPD und Grünen beteiligen. Sie verkünden nämlich Konzepte, die später korrigiert werden. Es werden Birgit Homburger (F.D.P.): Herr Kollege, dann wieder andere Berechnungen angestellt, und (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sie hat nicht dann ist wieder alles ganz anders. Beispielsweise hat gerechnet!) Ihre Fraktion, Herr Fischer, im Mai mit großem Tam- tam eine ökologisch-soziale Steuerreform vorgelegt. ich gehe nicht her und nenne irgendwelche Zahlen. Sie wollten mit 70 Milliarden DM einsteigen und bei Da das Finanzministerium dazu da ist, seriöse Zahlen 250 Milliarden DM aufhören. Jetzt sollen es, wie ich auf Aufforderung zu liefern, muß das Finanzministe der Presse entnehme, 52,5 Milliarden DM zu Anfang 4160 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 Birgit Homburger sein und 264 Milliarden DM in der Endstufe. Herr Sicherheit für Investoren muß auch beim Bundes Steenblock sagt damit, wie ich der Presse entnehme: Bodenschutzgesetz geschaffen werden. Anscheinend Die Staatsquote muß steigen. - Sie wollen ja dem hat jetzt auch Bayern grünes Licht gegeben. Das ist Bürger von den Steuermehreinnahmen nur 60 % am ja sehr erfreulich, obwohl man sagen muß, daß dies Anfang und 74 % am Schluß zurückgeben. Das heißt deutlich früher hätte passieren müssen. im Klartext, die Grünen planen eine Steuermehrbela- stung von jährlich 21 Milliarden DM am Anfang und (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ von rund 68 Milliarden DM in zehn Jahren. DIE GRÜNEN]: Das ist ja interessant, daß ihr neuerdings grünes Licht gebt!) (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Heiligs Blechle!) Durch einheitliche Sanierungs- und Nutzungsvorga- ben werden dann auch das Tohuwabohu bei der Alt- So, meine Damen und Herren von den Grünen, kann lastensanierung und die entsprechenden Probleme man es nicht machen. bei Ländern und Gemeinden beseitigt. Damit wer- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ den wir auch die dringend notwendigen Investitio- DIE GRÜNEN]: Wir lassen das vom Finanz nen, vor allen Dingen in den neuen Ländern, be- minister ausrechnen! Bis dahin müssen wir schleunigen. noch warten!) Auch die Novellierung des Bundesnaturschutzge- So machen Sie die arbeitende Bevölkerung schlicht setzes ist überfällig, und das nicht nur zur Umset- und ergreifend zum Sklaven des Staates. Wenn Sie zung der Habitat-Richtlinie. die Abgabenlast hochtreiben, werden Sie von mir wei- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS ter hören, daß dazu nur das Wort „abkassieren" paßt. SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) Ich hoffe, daß die Bundesregierung hierzu ebenfalls Herr Fischer, es nützt ja nichts, wenn Sie die ganze bald einen Entwurf vorlegt. Zeit dazwischenschreien. Der Presse entnehme ich Meine Damen und Herren, ich denke, diese Koali- nämlich ebenfalls, daß Sie sagen, daß bei der Steuer- tion wird in den nächsten Wochen und Monaten last Oberkante Unterlippe erreicht sei und daß die deutlich machen, daß sie die Umweltpolitik voran- ökologische Steuerreform den Bürger nicht weiter bringt. Die F.D.P. wird dabei mit Sicherheit eine trei- belasten dürfe. bende Kraft sein. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Eben!) Vielen Dank. Ich stelle fest: Die F.D.P. wi ll das schon lange. - Schön, daß Sie lernfähig sind. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Ageordne ten der CDU/CSU) (Lachen bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das Wort der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter. Wir werden allerdings sehen, ob Sie, Herr Fischer, sich in Ihrer Fraktion durchsetzen können. Die ein- zige Konsequenz, die Sie ziehen müßten, wenn Sie Eva Bulling-Schröter (PDS): Herr Präsident! Meine diese Aussage unterstreichen wollten, wäre: Sie Damen und Herren! Der Haushalt 1996 ist wie der Fi- müßten Ihr Konzept schlicht und ergreifend zurück- nanzplan 1995 bis 1999 nicht nur ein sozialer, son- ziehen. dern auch ein ökologischer Genickschlag. Die Mittel des Umweltministeriums werden 1996 um 40 Mil- Die SPD weiß auch nicht, was sie will. Herr Müller lionen DM, also um 3 %, gekürzt. 1997 soll der Haus- will mit den staatlichen Ausgabenprogrammen aus halt dann zwar wieder um 45 Millionen DM angeho- der Energiesteuer die Steuerlast hochtreiben. Das ben werden, aber nur, um ein Jahr später um fast hat er hier im Rahmen der Diskussion zum K lima- 50 Millionen DM zu schrumpfen. schutzprogramm gesagt. Frau Fuchs - das entnehme ich der Presse - wi ll die Gelder zum großen Teil zu- (Vorsitz : Vizepräsident Hans-Ulrich Klose) rückgeben, die durch eine Ökosteuer eingenommen 1999 wird er mit dann 1,343 Milliarden DM um werden. Herr Scharping sagt: Die Steuer- und Abga- 20 Millionen DM unter dem Soll des Jahres 1995 lie- benquote darf nicht weiter steigen. Ich frage also: gen. Bitte schön, was will die SPD? Wer spricht eigentlich - für sie? Neben dem Volumen deutet auch die Struktur der Die Aufkommensneutralität der Klimaschutz- Umweltausgaben darauf hin, daß sich die Bundesre- steuer ist eine absolute Bedingung für die F.D.P., weil gierung von einem sozial-ökologischen Umsteuern wir eben nicht wollen, daß die Arbeitsplätze ins Aus- weiter denn je entfernt hat. 1996 werden die Ausga- land verlagert werden und weil wir die Wettbewerbs- ben für Investitionen zur Verringerung der Umwelt- fähigkeit des Standorts Deutschland nicht gefährden belastungen nicht mehr 123,5 Millionen wie 1994, ' wollen. Wir wollen aber trotzdem eine ökologische sondern nur weniger als die Hälfte, nämlich Lenkungswirkung erreichen. 57,6 Millionen DM, betragen. Die Atomforschung läßt sich die Bundesregierung dagegen 1,8 Milliarden (Beifall bei der F.D.P.) DM kosten. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4161

Eva Bulling-Schröter Darüber hinaus summiert der Bundesfinanzmi- die ökologische Steuerreform. Marktkräfte nutzen, nister im Finanzbericht 1996 teilweise obskure Titel externe Kosten internalisieren, Umweltverbrauch unter der Überschrift „Ausgaben der Bundesressorts und -verschmutzung zur bet riebswirtschaftlichen für den Umweltschutz und für Maßnahmen mit um- Größe machen - ein neues, nunmehr ökologisches weltverbessernder Wirkung - einschließlich Ausga- Wirtschaftswunder steht angeblich vor der Tür. ben für Reaktorsicherheit und Strahlenschutz" und kommt somit im Bundeshaushalt 1996 auf Umwelt- Allerdings ist dabei von der alten Losung „Die schutzausgaben in Höhe von rund 9,36 Milliarden Preise müssen endlich die ökologische Wahrheit DM. Dabei handelt es sich zum großen Teil um Aus- sprechen! " nicht mehr viel übriggeblieben. Auch soll gaben, die im Zusammenhang mit bereits aufgetrete- der eigentliche Umbau nunmehr weitgehend dem nen Umweltbelastungen entstehen. Dazu werden ökosteuerlich reformierten Markt überlassen werden. beispielsweise die sogenannten Verteidigungslasten Für eine rosa-grüne Alternative in Wartestellung ist in Höhe von 480 Millionen DM gezählt, die Posten dies nachvollziehbar. Schließlich möchte man es sich wie die Beseitigung von Kampfmitteln, Erosions- nicht mit der Wirtschaft verderben. schutz sowie Schallschutzmaßnahmen an Truppen- War noch vor der Sommerpause die Frage der Auf- übungsplätzen umfassen. Auch die als Folge der kommensneutralität bei den Bündnisgrünen wenig- politisch forcierten Motorisierung entstandenen stens umstritten, so hören wir jetzt von Staatsminister Lärmbelästigungen führen zu Ausgaben für Schall- a. D. Joschka Fischer, daß bei Steuern und Abgaben schutzmaßnahmen an Bundesstraßen in Höhe von nunmehr „Oberkante Unterlippe" - Sie haben es ja rund 66,7 Millionen DM, die im Finanzbericht der schon gesagt, Herr Schmidt - erreicht sei. Bundesregierung mit demagogischer Selbstverständ- lichkeit dem Umweltschutz zugeschlagen werden. (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aber Aufkommensneutrali- Desgleichen werden Ausgaben für die gentechni- tät heißt ja nicht Neutralität!) sche Forschung - 12 Millionen DM -, für das Kernfor- schungszentrum Karlsruhe - 96,4 Millionen DM - Deshalb ist Kostenneutralität angesagt; deshalb soll oder für die Forschung auf Gebieten der Reaktorsi- auch die schrittweise Anhebung des Benzinpreises cherheit - 81,5 Millionen DM - auf das Umwelt- auf 5 DM nicht wie ursprünglich in vier, sondern erst schutzkonto gebucht, obwohl gerade diese Zweckbe- in zwölf Jahren erreicht werden. stimmungen umweltschädigende Folgen nicht aus- Nicht mehr Ausgleichszahlungen für untere Ein- schließen, sondern größtenteils erst provozieren. kommensgruppen und die Finanzierung ökologi- Selbst die Bundeswehr leistet mit 1,16 Milliarden scher Umbauprogramme stehen an erster Stelle, son- DM ihren angeblichen Beitrag zum Umweltschutz - dern die Abschaffung der Kfz-Steuer, Senkung von wahrscheinlich zur Emissionsreduzierung beim öko- Lohnnebenkosten - darin ist sich das Haus ja einig - logischen Stellungs- und Bunkerbau. sowie Verringerung von Einkommen- und Unterneh- mensteuern bis hin zur Abschaffung der Gewerbeka- Eine Zweckbestimmung von Ausgaben für Maß- pitalsteuer. Kurzum: 80 % eines möglichen Ökosteu- nahmen zur Verhinderung ökologischer Schäden eraufkommens sollen nicht in die Umwelt, sondern in muß man dagegen mit der Lupe suchen. So sind die die neoliberale Mottenkiste fließen - Flexibilisierung Anteile der Ausgaben für die bilaterale finanzielle usw. und technische Zusammenarbeit mit Entwicklungs- ländern, die dem Umweltbereich zugute kommen, Ökosteuern dürfen nicht weh tun, meint auch die im Einzelplan 23 nicht nur mit jeweils 25 % der ent- SPD. Nach soll über die Aufkom- sprechenden Gesamtausgaben geschätzt, sondern mensneutralität hinaus marktwirtschaftlicher Um- sollen auch von 1994 bis 1996 um insgesamt weltschutz - was immer das auch sein mag - keinen 33 Millionen DM schrumpfen. zusätzlichen Kostendruck auf die Wirtschaft aus- üben. So will der saarländische Ministerpräsident be- Selbst wenn wir - realpolitisch geläutert - die oben sonders energieintensive Branchen wie Kohle, Stahl genannten 9,36 Milliarden DM als tatsächliche Um- oder Chemie bei Einführung einer Energiesteuer weltausgaben betrachten, entsprechen diese nur 2 % auch gleich wieder über niedrige Steuersätze bei des Gesamtetats 1996. 2 % - das ist angesichts der Laune halten. handgreiflichen Umwelt- und Entwicklungspro- bleme dieser Welt ein vollkommen unakzeptabler (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ Wert . DIE GRÜNEN]: Wie ist eigentlich das PDS- Konzept?) (Beifall bei Abgeordneten der PDS sowie des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] Für Teile der SPD ist dies nur konsequent; denn als [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) moderne Wirtschaftspartei war sie im Umgang mit umweltpolitischen Visionen noch nie besonders zim- Doch woher sollen die Milliarden kommen, die zur perlich. Sie führte die sogenannten Energiekonsens- Finanzierung eines sozial-ökologischen Umbaus gespräche, die nichts anderes als Pro-Atom-Ein- notwendig wären? Eine sprudelnde Quelle, ein All- stiegsgespräche sind, und läßt brutale Polizeieinsätze heilmittel, sozusagen eine eierlegende Wollmilchsau, in Gorleben zu. wird von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wie auch von der SPD hofiert: Abschließend zurück zu Haushalt und Ökosteuer. Die Bundestagsgruppe der PDS vertritt in ihrem Posi- (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ tionspapier zur ökologischen Steuerreform den DIE GRÜNEN]: A geh!) Standpunkt, daß diese ein notwendiges, aber längst 4162 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995

Eva Bulling-Schröter nicht hinreichendes Instrument ist. Eine solche Steu- Für den Finanzminister wie für die Bundesregie- erreform muß einkommensschwachen Haushalten rung hat die Umweltpolitik höchstens eine Alibifunk- für die durch die Reform hervorgerufenen Belastun- tion. Wenn man in den Unterlagen, die die Berichter- gen einen vollen Ausgleich schaffen, ansonsten aber statter bekommen, noch etwas weiterblättert, findet Mittel beispielsweise für einen ökologischen Umbau man die Zahl 9 Milliarden DM Gesamtausgaben im des Verkehrssystems, für naturnahe Landschaft und Bundeshaushalt. Man muß sich die Liste genau anse- für die soziale Absicherung gravierender wirtschaftli- hen, um zu erkennen, was an Reparaturen von Schä- cher Strukturbrüche bereitstellen. den, die durch die Politik verursacht wurden, aufge- nommen worden ist. Wenn man weiterliest, findet (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ man die faszinierende Zahl, in der Bundesrepublik DIE GRÜNEN]: Was ist denn der Unter Deutschland - Stand 1993 - seien vom produzieren- schied?) den Gewerbe und vom Staat für Umweltmaßnahmen Gebote, Verbote und Kontingentierungen strategi- 43,8 Milliarden DM ausgegeben worden. scher Ressourcen Frau Ministerin, wir hätten gern die Gegenüber- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist stellung - dazu gibt es beim Fraunhofer-Institut ent- sehr schwer zu lesen, was Ihnen da aufge sprechende Zahlen -, welche volkswirtschaftlichen schrieben worden ist!) Verluste in den Bereichen Umwelt und Gesundheit durch unsere Produktionsweise jährlich entstehen. - im Fall der Primärenergieträger beispielsweise Dann hätten wir nämlich eine Zahl in der Größenord- über eine europäische Energiekommission - sowie nung von 600 Milliarden DM, was fast 20 % des Brut- eine an umweltpolitischen Zielen ausgerichtete tosozialproduktes ausmachte. Der Ehrlichkeit halber Haushaltspolitik von Bund, Ländern und Gemeinden - wenn man diese Zahlen auflistet; wir werden das in sind gleichberechtigte Elemente ökologischer Wirt- Zukunft beantragen - müßten auch solche, wenn- schaftspolitik. Der Haushalt 1996 setzt dafür keiner- gleich methodisch möglicherweise noch strittige Zah- lei Akzente. len aufgelistet werden. Alles andere ist methodisch (Beifall bei der PDS) auch nicht einwandfrei ermittelt, Ihre Liste mit den 9 Milliarden DM schon überhaupt nicht; da tauchen z. B. Schallschutzmaßnahmen an Truppenübungs- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der plätzen auf. Das ist sicherlich kein Umweltschutz, Kollege Eckart Kuhlwein, SPD. wie wir ihn uns vorstellen.

Die Bundesumweltministerin müßte in ihrer politi- Eckart Kuhlwein (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Einzelplan 16, der schen Rolle gestärkt werden. Aber die Fraktionen Haushalt des Bundesumweltministeriums, den wir der Koalition haben keine Neigung gezeigt, dies zu hier gegenwärtig beraten, macht einmal mehr deut- tun. Der Versuch der Opposition, ihr im Kabinett ein lich, daß die Bundesregierung mit Natur und Umwelt Widerspruchsrecht gegen Beschlüsse der Bundesre- wenig im Sinn hat. gierung zu verschaffen, die Auswirkungen auf die Umwelt haben, ist am Widerstand von CDU/CSU (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne und F.D.P. gescheitert. Die traurige Wirklichkeit, ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Frau Merkel, ist: Nicht einmal auf die Umweltpoliti- ker Ihrer Fraktion können Sie sich verlassen. Bis heute hat sie die Chancen einer ökologischen Po- litik für die Zukunft unseres Landes nicht beg riffen. Eine stärkere Berücksichtigung ökologischer Be- Statt aus dem Umweltministerium eine ressortüber- lange in der Politik, so wurde im Ausschuß argumen- greifende Schaltstelle für eine Politik der nachhalti- tiert, sei nicht über formalisierte Regelungen, son- gen und dauerhaften Entwicklung zu machen, wer- dern nur über ideelle Zustimmung zu erreichen, was den seine Möglichkeiten immer weiter beschnitten. immer das ist. Aber die Praxis der Politik der Bundes- Ich gebe zu, daß die Einführung der Finanzamtslö- regierung und dieser Haushalt zeigen, daß es nicht sung beim Kindergeld den Vergleich mit der Ent- nur an ideeller Zustimmung, sondern auch an mate- wicklung des Gesamthaushalts schwierig macht. Un- rieller Basis fehlt. bestritten bleibt aber, daß von sehr bescheidenen An zwei Haushaltstiteln wird das besonders deut- 1,363 Milliarden DM im Jahre 1995 noch einmal lich, an den Pilotprojekten zur Verminderung von 40 Millionen DM für das nächste Jahr herausgestri- Umweltbelastungen und an den Naturschutzgroß- chen werden sollen; das sind immerhin 3 % des Ein- projekten mit gesamtstaatlich repräsentativer Be- zelplans. deutung. Die Pilotprojekte werden von 92,4 Millionen- Wenn man noch etwas genauer hinsieht und die DM um fast 35 Millionen DM gekürzt. Damit werden Mehrausgaben in dem Bereich, der von den Benut- wegen der Vorbelastungen 1996 für die Bewilligung zern der Endlagerstätten für radioaktiven Abfall refi- neuer Vorhaben nur etwa 6,5 Millionen DM zur Ver- nanziert wird, abzieht, stellt man fest, daß der fügung stehen. Das ist sehr viel weniger als Peanuts, Stammhaushalt des Umweltministeriums sogar um wie wir wissen. 63,7 Millionen DM und damit um 7,6 % gekürzt wor- den ist. Das ist das traurige Resultat Ihrer Haushalts- Gerade dieses Programm hat eine Anstoß- und verhandlungen, Frau Ministerin. Multiplikatorwirkung für Luftreinhaltung, Wasserrei- nigung, Abfallwirtschaft, Lärmbekämpfung und Bo- (Beifall bei der SPD) densanierung. Frau Ministerin, wie wollen Sie ein Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4163 Eva Bulling-Schröter Bodenschutzgesetz - wenn Sie es hätten - umsetzen, für die Beteiligung an den Kosten für den Transrapid wenn Sie vorher nicht Pilotvorhaben gefördert ha- zwischen Hamburg und Berlin, also für das verkehrs- ben, mit denen die Technologien, die dafür maßgeb- politisch unsinnigste Prestigeprojekt dieses Jahr- lich sein müssen, entwickelt werden? zehnts, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) Dieses Programm könnte einen wichtigen Beitrag zur und drittens für ein vom Bundeskanzler nach dem ökologischen Modernisierung unserer Wirtschaft lei- Berliner Klimagipfel versprochenes CO2-Minde- sten. Aber die Bundesregierung läßt dieses Pro- rungs-Programm beim Bundesbauministerium, für gramm auf eine Restgröße verkommen. das Herr Waigel keine Moneten herausgeben wi ll. Das ist offenbar das magere Resultat der großmundi- Die Mittel für Naturschutzgroßprojekte werden gen Erklärung des Kanzlers auf dem Berliner Klima- von 40 Millionen DM auf 35 Millionen DM gekürzt. gipfel. Dabei ist er klimapolitisch im Wo rt, nachdem Für 1996 wären rund 47 Millionen DM notwendig, er in Berlin verkündet hat, Deutschland werde bis wenn auch sieben neue, gut begründete Projekte in zum Jahre 2005 seinen CO2-Ausstoß um 25 % sen- die Förderung aufgenommen werden sollen. Ich sage ken. den Abgeordneten der Regierungskoalition auch gern, wo diese Projekte in Thüringen, Brandenburg Meine Damen und Herren, mit Umschichtungen und Schleswig-Holstein liegen, damit Sie, meine Da- zwischen den Resso rts allein wird dieses Ziel nicht zu men und Herren von den Koalitionsfraktionen, dar- erreichen sein. Dazu brauchen wir schon ein ressorts auf vorbereitet sind, daß Sie in Ihren Wahlkreisen zu übergreifendes Klimaschutzprogramm, wie es die Recht Gegenwind ernten werden, wenn diese Pro- SPD Anfang dieses Jahres vorgelegt hat. Ich habe im jekte am Ende weggeschnitten werden. Ausschuß einen führenden Vertreter der Bundesre- gierung gefragt, ob das Umweltministerium denn Im übrigen sollte der Bund, der inte rnationale Ab- glaube, mit den bisher eingeleiteten Maßnahmen kommen zum Ausbau des Naturschutzes wie die dieses Klimaschutzziel des Bundeskanzlers zu errei- FFH-Richtlinie der Europäischen Union und die Rio chen. Er war ganz mannhaft und hat ja gesagt. Konvention zur biologischen Vielfalt unterschreibt, einen ausreichenden eigenen Beitrag leisten. Frau Ich hoffe, daß er dieses Wort nicht eines Tages zu- Merkel, acht Jahre Ankündigung, das Bundesnatur- rücknehmen muß. Ich bin allerdings sicher, daß das, schutzgesetz werde in novellierter Form vorgelegt, was die Bundesregierung bisher macht, nicht ausrei- sind nicht ausreichend, um die Länder zu motivieren, chen wird, um dieses Klassenziel zu erreichen. ihren notwendigen und verfassungsrechtlich gebote- nen Beitrag zu leisten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Die Energiegespräche sind gescheitert. Statt über ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Strategien zur Energieeinsparung und zur Nutzung regenerativer Energien zu reden, wollten Sie uns ein Sie dürfen sich nicht wundern, wenn die Länder das Ja zur Kernenergie abzwingen. Wir hätten gern ge- bei Ihren falschen Signalen ebenfalls auf die lange meinsam in Bund, Ländern und Gemeinden einen Bank schieben. Anlauf in die Effizienz- und Solarrevolution unter- Der Kollege Kriedner hat in der zweiten Lesung nehmen können, um die klimapolitischen Ziele zu er- des Haushalts für 1995 stolz darauf verwiesen, die reichen. Das hätte auch zur Entschärfung der Ener- Ausgaben für den Naturschutz würden erhöht; er hat giedebatte in der Bundesrepublik beitragen können. sich zu früh gefreut, er hat damals gesagt, wir wür- (Beifall bei der SPD) den im nächsten Haushalt gemeinsam darüber reden müssen, ob nicht in der Tat bei den Umweltschutz- Der neuerliche Streit um Gorleben und Morsleben projekten und beim Naturschutz die Untergrenze zeigt einmal mehr, daß Sie von der Koalition mit Ihrer endgültig erreicht sei. Politik auf dem falschen Weg sind. Sie werden es auch mit noch so raffinierten Propagandamethoden Tatsächlich wird sie in diesem Entwurf unterboten, nicht schaffen, daß die weitere Nutzung der Kernen- wird in diesem Entwurf ein neuer Tiefstand erreicht. ergie in Deutschland gesellschaftlich akzeptiert Ich bin sehr gespannt, Herr Kollege Kriedner, ob Ih- wird. rer Ankündigung vom März dieses Jahres bei den Haushaltsberatungen im Ausschuß Taten folgen wer- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ den. DIE GRÜNEN) - Nun wird es eine staunende Öffentlichkeit interes- Sie können uns bis heute nicht sagen, wo denn für sieren, was die Bundesregierung mit dem Geld ma- die nächsten Jahrtausende die abgebrannten Brenn- chen will, das sie beim Umwelt- und Naturschutz ein- elemente sicher verwahrt werden können. Sie setzen spart. Das Umweltministerium muß nämlich auf Gorleben, dessen Eignung in hohem Maße um- 15 Millionen DM an andere Ressorts abgeben, er- stritten ist. Sie sind nicht bereit, alternative Stand- stens zur Finanzierung der Kohlesubvention nach orte zu untersuchen, obwohl die jüngste Studie der dem Wegfall des Kohlepfennigs - diese Regierung Bundesanstalt für Geowissenschaften auch Gesteins- hat es nämlich nicht geschafft, den Kohlepfennig formationen in Bayern und Sachsen als besonders durch eine Stromsparsteuer zu ersetzen -, zweitens untersuchungswürdig einstuft. Sie müssen uns vor 4164 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 Eckart Kuhlwein allem sagen, wie und wann Sie aus der auch von Ih- worden ist und wieviel Kollegen Ihrer Partei dem nen gelegentlich so genannten Übergangstechnolo- Transrapid-Konzept zugestimmt haben. gie Atomenergie aussteigen und welche Alternativen Sie selber in welcher Form forcieren wollen. (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD) Das muß hier einmal gesagt werden, weil so getan Frau Merkel, was sollen Ihre Nachfolger eigentlich wird, als ob es eine geschlossene Politik gäbe, und machen, wenn sich im Jahr 2010 endgültig heraus- ein Zukunftsprojekt, das viele auch Ihrer Kollegen stellt, daß , Gorleben nicht sicher ist? Sollen dann wie- für zukunftsträchtig halten, so dargestellt wird, als ob der 20 bis 30 Jahre lang neue Formationen unter- es dazu eine gemeinsame Meinung der SPD gäbe, sucht werden, während wir uns in der Zwischenzeit was tatsächlich überhaupt nicht der Fall ist. Wenn mit immer weiteren Zwischenlagern behelfen? Wol- Sie dazu einmal eine Mitgliederbefragung durchfüh- len Sie in Morsleben wie bisher mittelaktiven Abfall ren, dann werden wir sehen, was dabei heraus- aus 15 m Höhe in die Endlagerräume kippen, und kommt. Aber das trauen Sie sich nicht. dies nur deshalb, weil diese Technik durch die Dau- erbetriebsgenehmigung zugelassen ist? Können wir Meine Damen und Herren, ich möchte folgendes uns nicht vielleicht doch darauf einigen, daß wir un- sagen. Herr Kuhlwein, auch atemberaubende Re- seren Kindern und Kindeskindern mit den hohen chenkunststücke bringen Sie doch gar nicht davon Staatsschulden nicht noch immer neue und immer weg, daß die Bundesrepublik Deutschland unter al- weitere Lebensrisiken hinterlassen wollen? len Industrienationen der Welt die einzige ist, die 3 % ihres gesamten Staatshaushalts für den Umwelt- Der Haushaltsentwurf ist ein Signal für ein stures schutz ausgibt. Sie tun hier doch so, als ob Umwelt- „Weiter so" nicht nur in der Kernenergiepolitik. Er schutz nur im Umweltministerium gemacht würde. schafft keine Anreize für die notwendige ökologische Wir können darüber sicher trefflich streiten. Modernisierung der Wirtschaft, er drängt den Natur- schutz in die Defensive. Waigel, Wissmann und Rex- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Er hat sogar rodt haben Frau Merkel einmal mehr über den Tisch die 9 Milliarden von Ihnen vorgelesen!) gezogen. Der Bundeskanzler hat ihr nicht geholfen. Das tut uns leid. Aber auf unseren Beifall müssen Sie - Frau Kollegin Matthäus-Maier, ich spreche vom auch deshalb verzichten, weil wir nicht einmal den Gesamtstaat. Ich spreche davon, daß beim Umwelt- Eindruck gehabt haben, daß Sie sich richtig zur Wehr schutz die Ausführung eine Sache der Länder ist. gesetzt haben. Dies wird hier völlig verschwiegen. Es wird so getan, als ob das Regelungsministerium bereits das Durch- Schönen Dank für die Aufmerksamkeit. führungsministerium wäre. Wir haben Gott sei Dank eine föderalistische Grundordnung. Wir haben Gott (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sei Dank nicht eine staatlich gelenkte Umweltschutz- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der politik, bei der von einem Ministe rium der Versuch PDS) unternommen würde, alles zu machen. Das gelingt sowieso nicht. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat Ich will hier ein paar Zahlen nennen. Die Länder in Kollege Arnulf Kriedner (CDU/CSU). der Welt, die am meisten für den Umweltschutz tun, sind ganz kleine Nationen. Dazu gehört Neuseeland. Neuseeland gibt 2,5 % des gesamten Staatshaushalts Arnulf Kriedner (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben eben ein Bei- für den Umweltschutz aus. Es gibt ein einziges Land, spiel erlebt, wie dissonant der Chor der SPD ist. Hier das mehr tut. Das ist merkwürdigerweise die ist etwa im Bereich der Kernenergie eine Extremposi- Schweiz. Sie gibt über 3 % aus. Wir sind an der zwei- tion vertreten worden; die selbst in der SPD nicht nur ten Stelle, wenn man den Gesamtstaatshaushalt be- nicht mehrheitsfähig ist, sondern nur von einer klei- trachtet. nen Minderheit vertreten wird. Herr Kuhlwein, ich gebe Ihnen in einem recht: Wir (Widerspruch bei der SPD) können trefflich darüber streiten, was man rein- oder rausrechnet. Auf den PDS-Beitrag will ich in diesem Man kann bei Ihnen nie ganz richtig sagen, ob man - Zusammenhang wirklich nicht eingehen. Die Dame gemeinsames Deutsch ist bei Ihnen offenbar nicht hat sich selbst disqualifiziert, weil sie Schwierigkei- mehr drin - Niedersächsisch, Saarländisch oder Pfäl- ten beim Vorlesen hatte. zisch hört. Jedenfalls hört man nie, was gemeinsam - von allen getragen worden ist. (Birgit Homburger [F.D.P.]: Sie geht eh ge rade! ) Sie haben die Energiekonsensgespräche in einer Weise dargestellt, Herr Kuhlwein, in der Sie sie per- - Ach, sie geht gerade. Es ist auch richtig, daß sie sönlich interpretieren wollten. geht. Sie haben zum Transrapid etwas gesagt und ha- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wenn wir ben dabei verschwiegen, wie das Abstimmungsver- das anfangen, dann können wir uns aber halten im Haushaltsausschuß gewesen ist. Vielleicht gegenseitig was erzählen! - Weiterer Zuruf erinnern Sie sich noch daran, wie do rt abgestimmt des Abg. Dr. Uwe Küster [SPD]) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4165

Arnulf Kriedner - Ich entschuldige mich, lieber Herr Kollege. Ich ent- im Gegensatz zu Ihnen. Auch Sie sollten einmal mit schuldige mich dafür, daß ich ihr das Vorlesen unter- den Leuten reden. Sie sind froh und dankbar, daß es stellt habe. Aber es war doch ein sehr schwacher Bei- jetzt eine Politik gibt, die sie von den Altlasten be- trag. Darüber sind wir uns im Hause doch alle einig. freit. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Dr. Uwe Küster [SPD]: Ziehen Sie das zu Das ist auch Vorsorge für die Zukunft. Das ist in vie- rück!) len Bereichen so. - Herr Kollege Küster, nun regen Sie sich wieder ab. Ich sage hier ganz bewußt: Ich stehe hinter der Po- Ich habe mich entschuldigt, und damit dürfte der Fall litik dieser Bundesregierung, hinter dem, was im Zu- doch wohl aus der Welt sein. Ihnen wird hier vorn am sammenhang mit der Atompolitik, die im Osten be- Rednerpult auch schon einmal ein Lapsus passiert trieben worden ist, gemacht wird. Jede Mark, die in sein. der Ukraine, in Belorußland oder in Rußland einge- setzt wird, ist an der richtigen Stelle investiert. Über Herr Fischer ist auch nicht mehr da. den Grundsatz „Kernenergie, ja oder nein?" haben wir noch gar nicht debattiert. Dazu mögen Sie Ihre (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ Position haben, ich habe sicher eine andere. DIE GRÜNEN]: Ich richte ihm aus, was Sie sagen!) Aber daß wir in diesen Regionen zu größerer Si- cherheit kommen müssen und daß die Bundesrepu- - Er hat einen ganz interessanten Zwischenruf ge- blik bei den betreffenden Maßnahmen weltweit 30 macht. Ihn möchte ich, falls er nicht stenographiert aller Kosten trägt, auch das müssen Sie dem Bürger worden ist, ganz gern festhalten, damit die Bürger sagen. Das ist Vorsorgepolitik für die Bürger hier und wissen, was die Grünen vorhaben. Kollege Klaus Lip- dort. Denn wir alle wissen, wie die Auswirkungen ei- pold hat hier ausgeführt nes Falles wie Tschernobyl auf die eigenen, aber ins- besondere auf die Bürger dort gewesen sind. Ich (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ kann nicht wie die Grünen auf der einen Seite wein- DIE GRÜNEN]: Soll ich mitschreiben?) selige Veranstaltungen - ich meine jetzt nicht den - jetzt wird ja mitgeschrieben; das brauchen Sie Wein, den man trinkt - mit Opfern von Tschernobyl nicht; das können Sie nachlesen -: Wir greifen dem machen und auf der anderen Seite die wirksame Bürger nicht mit 50 % in die Tasche. Das ist nicht un- Hilfe verweigern, die die Bundesregierung leistet. sere Politik. - Daraufhin warf Herr Fischer ein: Aber Das ist doppelbödige Politik; diese machen wir nicht unsere! Wir greifen dem Bürger, wenn es nottut, mit. auch mit 150 % und mehr in die Tasche! (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ (Beifall der Abg. Birgit Homburger [F.D.P.]) DIE GRÜNEN]: Das hat doch niemand ge- Ich will das hier ganz nüchtern festgehalten wis- tan!) sen, damit wir wissen, worüber wir reden. - Das machen Sie mit den Argumenten, die Sie hier (Birgit Homburger [F.D.P.]: Völlig richtig! - vorbringen. Es ist doppelbödig, wenn er sagt, wir ge- Reaktorsicherheit und Vorsorge sind Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ ben zuviel aus. DIE GRÜNEN]: Gut vorgelesen! Besser als ein bißchen etwas anderes als die von Ihnen hier be- von der Frau Kollegin Bulling-Schröter!) schworene Atompolitik, die angeblich dort gemacht wird. Ich glaube auch, Herr Kollege Kuhlwein, Sie Meine Damen und Herren, ich will etwas zu der sind auf dem falschen Dampfer. Mich würden Ihre Frage sagen, die hier debattiert worden ist. Ich Rezepte interessieren, was Sie denn, Herr Kollege meine, Kollege Rochlitz hat hier gesagt: Die gesamte Kuhlwein, wenn Atommüll da wäre, mit diesem Umweltpolitik, die im Bundesumweltministerium ge- Atommüll anfangen wollen. Das frage ich mich in der macht werde, sei nichts anderes als Aufbereitung Tat, Herr Kollege Kuhlwein, weil Sie bisher diese der Vergangenheit. Wenn 2 Milliarden DM in den Antwort schuldig bleiben. Sie sagen nur alles, was verschiedenen Ministerien eingesetzt werden, um in Sie nicht wollen. Aber was Sie wollen, sagen Sie in Ostthüringen und in Südsachsen aufzuräumen, was diesem Zusammenhang nicht. Sie schießen den der Sozialismus hinterlassen hat, nämlich eine skan- Atommüll wahrscheinlich in die Sonne oder irgend dalöse, verstrahlte Landschaft, dann machen Sie uns so etwas. Ein Konzept habe ich von Ihnen nicht ge- das zum Vorwurf. Das ist doch wohl fast pervers in hört, aber Sie wollen sich ja dazu in Frageform an der Art und Weise, wie man das hier darstellt. mich wenden. - (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Sie gestatten die Lieber Herr Kollege Rochlitz, das ist Zukunftsfür- Zwischenfrage? Bitte, Herr Kollege. sorge. Aber wollen Sie die Gegend entsiedeln, wie Sie hier empfohlen haben? Oder wie soll ich es mir Eckart Kuhlwein (SPD): Herr Kollege Kriedner, vorstellen, wenn Sie sagen: „Man müßte notfalls die wenn Sie noch einmal nachläsen, was ich in der letz- Leute da herausholen"? Haben Sie einmal mit den ten Haushaltsdebatte gesagt habe, und unsere An- Leuten in Ronneburg gesprochen? Ich bin Thüringer träge dazunähmen, dann könnten Sie den Vorwurf Abgeordneter. Ich führe Gespräche vor Ort, vielleicht nicht aufrechterhalten. Ist Ihnen in Erinnerung, daß 4166 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995

Eckart Kuhlwein wir einen Antrag gestellt haben, Mittel für die Erfor- Unter dem Strich sage ich folgendes: Ich lege schung anderer Endlagerstätten als Gorleben umzu- schon Wert darauf, daß es eine Ausgewogenheit zwi- schichten? schen dem Aufgabenbereich Reaktorsicherheit, den dieses Haus zu behandeln hat, und den übrigen Be- reichen gibt. Ich wage nicht, zu sagen, was für die (CDU/CSU): In Schleswig-Hol- Arnulf Kriedner Zukunft der Menschen das absolut Bedeutendere ist. stein? Aber Ausgewichtung heißt nicht, daß der eine Teil überwiegen darf. Ich bin ein engagierter Verfechter Eckart Kuhlwein (SPD): Meinetwegen auch in des Naturschutzes. Deshalb bin ich der Meinung, Schleswig-Holstein. Die Studie habe ich genannt, die dort muß etwas nachgelegt werden. Was mich freut, jetzt vorliegt und die auch andere mögliche Endla- ist, daß es mit der Unterstützung aller Berichterstat- gerstandorte aufzeigt. terkollegen gelungen ist, eine Versprechung durch- zusetzen, nämlich Kolleginnen und Kollegen in Bad (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Wo denn Elster in dem von mir damals genannten Umfang bitte?) eine Dauerarbeitsstätte zu verschaffen. Das ist ein Er- folgserlebnis, das wir nicht oft haben. Deshalb danke Arnulf Kriedner (CDU/CSU): Nur, Herr Kollege ich auch dem Ministerium für seine Mitarbeit. Ich be- Kuhlwein, das hörte sich eben in Ihrer Rede ein biß- danke mich bei allen, die das vorbereitet haben. Wir chen anders an. werden jetzt in die Berichterstattergespräche gehen und versuchen, an der einen oder anderen Stelle Ich will jetzt noch etwas zu Ihrer Eingangsbemer- noch etwas nachzubessern. kung sagen. Sie war vielleicht pfiffig, aber sie geht ein bißchen an der Sache vorbei. Vielen Dank. Ich bin mit Ihnen der Meinung, daß die Absen- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) kung der Mittel für den Naturschutz unvertretbar ist. Ich werde hoffentlich mit Ihnen gemeinsam einen Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Antrag nun zu Lasten dieses gerade erörterten An- Kollege Michael Müller, SPD-Fraktion. satzes im Bereich Reaktorsicherheit einbringen, um etwas Geld umzupolen und den Titel möglichst in die Nähe des letztjährigen Ansatzes zu bringen. Ich Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Herr Präsident! denke, da sind wir sehr schnell auf einer Linie, weil Meine Damen und Herren! Haushaltsberatungen ich mit Ihnen einer Meinung bin. Ich habe das hier sind immer ein Anlaß, zu einer Bestandsaufnahme gesagt, und ich weiß genau, was ich gesagt habe. Ich der Umweltpolitik zu kommen. Die Debatte, so wie halte an so etwas fest. Dort ist eine weitere Absen- sie heute abläuft, dreht sich im Kreise. Im Grunde ge- kung unvertretbar. Ich denke, Frau Ministerin, wir nommen war das, was wir heute hörten - ich mache werden einen Weg finden. das niemandem speziell zum Vorwurf -, etwas, was wir fast in jeder Debatte hören. Ich warne nur davor, zu glauben, daß wir allzuviel Luft hätten. Denn auch das ist ein bißchen Augenwi- Was mich umtreibt, ist jedoch die Frage: Wie kann scherei. Ich sehe das der Opposition nach. Sie kön- es sein, daß in der Öffentlichkeit der Eindruck ent- nen nicht so tun, als ob die Politik der SPD am Di- standen ist, daß nicht die Bundesregierung und der lemma des Kohlepfennigs ganz unschuldig wäre. Bundestag, sondern die Schlauchboote von Green- Wer sich hier hinstellt und das tut, der betreibt wirk- peace die Umweltpolitik in Deutschland machen? lich Augenwischerei. Da vergessen Sie die Rolle Ih- Das ist der Punkt, der mich umtreibt. rer gesegneten Kohleländer vollkommen und tun so, (Zuruf des Abg. Bartholomäus Kalb [CDU/ als ob Sie dort überhaupt keine Verantwortung trü- CSU]) gen, wiewohl wir wissen, daß sie dort sehr groß ist. - Lassen Sie uns das gemeinsam diskutieren. Denn Lassen wir es dabei sein Bewenden haben. Ich will ich glaube, daß das nicht die Frage einer Partei ist, nur noch eines sagen. Wir werden uns den Haushalt sondern eine Frage der Glaubwürdigkeit unserer wirklich genau ansehen müssen. Wir kennen die Si- Politik insgesamt und ihrer Fähigkeit, noch etwas zu tuation dieses Jahres. Mir paßt es nicht, daß die bewegen. Haushaltsausgaben abgesenkt werden. Ich sage das sehr deutlich: Es paßt mir überhaupt nicht, weil ich Wie kann in der Öffentlichkeit der Eindruck entste- schon der Meinung bin - und da stimme ich mit vie- hen: Spektakuläre Aktionen, das bringt etwas, woge- len Vorrednern, auch anderer Fraktionen, überein -, gen die Mühsal von Reformpolitik kaum noch zählt? daß dies ein Signalhaushalt ist. Es ist nicht der Haus- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie wissen halt, bei dem alles geregelt werden kann, was wün- doch, wer das verbreitet!) schenswert erscheint. Bei Signalhaushalten sollte man die Ausgaben nicht absenken, auch wenn die Ich halte es für durchaus notwendig, daß der Bundes- Not groß ist. Deshalb, Frau Ministerin, werden wir tag darüber nachdenkt, ob die These von Herrn Viri- uns bei der nächsten Runde daran erinnern müssen, lio, einem französischen Philosophen, stimmt, daß daß dies nicht der Haushalt ist, der herhalten muß, wir eine Blockade von Politik durch die Art der me- auch wenn ich einsehe, daß es andere wichtige gibt, dialen Auseinandersetzung erleben. Da ist aus unse- bei denen man vielleicht in diesem Jahr etwas gnädi- rer Sicht viel dran. Virilio stellt die These auf, daß wir ger umgegangen ist. in der Welt einen Kampf erleben zwischen der Politi- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4167

Michael Müller (Düsseldorf) kerklasse und der Medienklasse, und zwar nach dem tens die ökologischen Grenzen -, heute nicht einmal Motto: Wer macht Politik? Ich halte das für einen minimale Schritte in Richtung auf eine verträgliche wichtigen Punkt gerade für so komplexe Fragen wie Form von Entwicklungslogik schaffen? Das ist doch Umweltpolitik, die Kontinuität und Berechenbarkeit das Problem. brauchen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Dr. Klaus W. Lippold [Offenbach] [CDU/ DIE GRÜNEN) CSU]: Wie vermitteln Sie sich denn?) Wenn wir diesen Widerspruch nicht auflösen, brau- - Wissen Sie, ich mache seit mehr als 25 Jahren Um- chen wir uns doch nicht zu wundern, wenn die Mehr- weltpolitik. Dann findet man solche Fragen wie die, heit der Bevölkerung sagt: Dann mache ich lieber bei die Sie eben gestellt haben, eher nebensächlich. Greenpeace als in den Parlamenten oder bei den Par- (Zustimmung bei der SPD) teien mit; Greenpeace bewegt wenigstens noch etwas. Wie können wir insgesamt als „die Politik" in einer Gesellschaft, die verkrustet und in ihren Strukturen (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Was macht gefangen ist, wirklich etwas bewegen in Richtung z. B. die Griefahn? - Bundesminister F ried- auf unser verbal gemeinsames Ziel - bei allen Unter- rich Bohl: Und Frau Wieczorek-Zeul?) schieden, die wir sonst haben -, nämlich eine dauer- hafte, nachhaltige Entwicklung? Die Frage stelle ich - Ich finde es schon interessant, daß von der Regie- mir. rungsbank ständig Bemerkungen gemacht werden. Auch das ist eine Form von Verfall des Parlamentaris- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE mus. Aber das nur als Anmerkung. GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Es ist keine nachhaltige Politik, wenn wir sagen kön- DIE GRÜNEN) nen, wir hätten 3 % Umweltausgaben im Haushalt er- reicht, was ich übrigens in Frage stelle. Und es ist Es wäre gut, wenn Sie die Auseinandersetzung in auch nicht nachhaltig, wenn die Frau Ministerin ge- der Sache führten und es nicht immer zu solchen vor- gen größten Widerstand in ihrem Kabinett eine völlig dergründigen Schuldzuweisungen kommen ließen. unzureichende Sommersmogverordnung durchset- Wir nehmen die medialen Strukturen, die uns mit po- zen kann und darauf stolz ist. Ich streite gar nicht ab, litikunfähig machen, auch selbst auf, beispielsweise daß Sie sich sehr bemüht haben. Aber mit dem mit solchen hämischen Bemerkungen, die uns kei- Sprung in eine dauerhafte Entwicklung hat das doch nen Schritt weiterhelfen. nichts zu tun. Mein entscheidender Punkt ,ist: Was müssen wir (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE machen, um wenigstens wieder Schritte in die Poli- GRÜNEN und der PDS) tikfähigkeit zu machen - für die Rehabilitation der Was ist dazu zu sagen, wenn wir heute eine Gesell- Ernsthaftigkeit von Politik? schaft haben, die darauf stolz ist, daß sie z. B. super- schnelle Datenautobahnen herstellt, daß sie die letz- Frau Ministerin, ich will für unsere Seite sagen: ten Geheimnisse des Gehirns erforschen kann, aber Wir bieten zwei wesentliche Punkte an, wo wir versu- nicht einmal fähig ist, beispielsweise das Notwen- chen sollten, uns über die Parteigrenzen hinweg zu dige bei Geschwindigkeitsbegrenzungen zu tun? verständigen, ohne Unterschiede zu verschweigen. Ich finde, daß es in einer Demokratie wichtig ist, Un- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ terschiede auszutragen, weil erst das Austragen von DIE GRÜNEN sowie des Abg. Manfred Unterschieden die Voraussetzung dafür ist, sich zu Müller [Berlin] [PDS] — Widerspruch bei einigen. Die Verschleierung von Unterschieden der CDU/CSU) bringt nichts. Man soll Unterschiede austragen, soll - Sie winken da ab. Deshalb nur eine Bemerkung: sagen: Das ist der Punkt, an dem wir stehen, und dann versuchen, sich ein Stück gemeinsam in die Die Frage der Geschwindigkeitsbegrenzung ist eine kulturelle Frage. Es ist die Frage, ob wir zur Rück- richtige Richtung zu bewegen, soweit es geht. sichtnahme fähig sind. Das ist eine ganz zentrale Zu- Es gibt zwei wichtige Punkte, wo wir dies versu- kunftsaufgabe. chen sollten. Der erste Punkt: Die ökologische Steu- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ erreform ist keine Kleinigkeit. Oft wird so getan, als DIE GRÜNEN sowie des Abg. Manfred ob es nur darum gehe, an zwei Faktoren zu drehen, Müller [Berlin] [PDS]) und alles sei in Ordnung. So einfach ist das Problem der ökologischen Steuerreform nicht. Meine Grundfrage ist: Was passiert in der Zukunft, wenn wir angesichts der drei großen Herausforde- Die ökologische Steuerreform ist eine historische rungen, die die Politik in den nächsten Jahren zu be- Notwendigkeit. Sie ist aber auch mit großen Proble- wältigen hat - erstens die völlige Globalisierung der men verbunden, weil sie natürlich - das soll ja so bisher national ausgerichteten Volkswirtschaften, sein - mit erheblichen Umverteilungen und Struktur- Unternehmen und Branchen, zweitens die Umwäl- veränderungen verbunden ist. Wir werden diese für zung des produktiven Sektors mit einerseits gewalti- die Zukunft unseres Landes so wichtige Entschei- gen Überkapazitäten und andererseits einer gerin- dung nur schaffen, wenn wir ein Mindestmaß an gerwerdenden Anzahl an Arbeitsplätzen und drit- Grundkonsens finden. Es wird nicht anders gehen. 4168 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995

Michael Müller (Düsseldorf) Ich sage von seiten der SPD: Wir treten für die öko- Meine Damen und Herren, wir brauchen eine logische Steuerreform ein. Wir werden aber auch den große Gemeinschaftsanstrengung: die Ökologisie- Dialog und, wo es geht, Kompromisse mit anderen rung von Wirtschaft und Gesellschaft. Sie ist aus mei- Parteien suchen. Er wird notwendig sein. ner Sicht die Frage der Zukunftsverträglichkeit und der Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft. Sie ist (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So wie der nur zu schaffen, wenn sie mit drei wesentlichen Ele- Harald Schäfer mit seinen 190 auf der Auto menten verbunden ist. Erstens geht es darum, mehr bahn!) Demokratie zu wagen. Ohne mehr Mitbestimmung, - Jetzt kommen Sie wieder mit Ihrer kleinkarierten ohne mehr Mitbeteiligung, ohne mehr Demokratie Geschichte über die Fehler, die jeder von uns macht. werden wir die Bürger für diese große Gemein- Ich möchte auch nicht wissen, wie viele Widersprü- schaftsaufgabe nicht motivieren können. che es bei Ihnen zwischen christlichem Anspruch (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ und alltäglicher Praxis gibt. Das bringt doch nichts. DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Der zweite wichtige Punkt ist: Wir müssen die DIE GRÜNEN) Ökologisierung auch als eine soziale Herausforde- Wir wollen unserer Verantwortung als Parlament, als rung begreifen: Wer glaubt, Umweltpolitik könne Politiker insgesamt gerecht werden. ohne soziale Dimensionen erfolgreich sein, versteht das Thema nicht. Die Leute haben beg riffen, daß wir (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wer gar vor tiefgreifenden Änderungen stehen. Aber sie ha- nichts tut, macht auch keine Fehler!) ben auch Angst vor den Änderungen, weil sie tiefe Einschnitte verlangen. Deshalb müssen wir die so- - Das ist wirklich wahr, völlig richtig: Wer gar nichts ziale Frage des ökologischen Umbaus thematisieren. macht, der macht keine Fehler. Wir müssen den Menschen die soziale Sicherheit zu- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Aber nicht rückgeben, damit der ökologische Strukturwandel mit 190 bei Geschwindigkeitsbegrenzung!) eine Zukunftschance für uns alle ist. Wer Verantwortung übernimmt, macht sich immer (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE angreifbar. GRÜNEN und der PDS) Der zweite Punkt, wo wir den Dialog versuchen Ich will drittens sagen: Der ökologische Umbau sollten: Frau Ministerin, Sie haben hier zu Recht an- bedeutet auch eine Übernahme von mehr Verant- gesprochen, daß die beiden großen Solarzellenpro- wortung durch den Staat. Wer meint, er könne ihn duzenten aus Deutschland abgewandert sind. Wir nur den Marktprozessen überlassen, wird sich täu- müssen zu einer Verständigung kommen, um die ef- schen. fiziente Solarenergieversorgung stärker zu fördern. (Zustimmung bei der PDS) Das ist eine Frage, die weit über parteipolitische Aus- einandersetzungen hinausgeht und für die Zukunft Es war eine der wesentlichen Aussagen Ludwig Er- von herausragender Bedeutung ist. hards bei der Begründung der Sozialen Marktwirt- schaft, daß gerade der Staat die Verantwortung zur (Beifall bei der SPD) Überwindung der alten Strukturen übernehmen müsse. Nur so könne es zu einer fortschrittlichen Ent- Wir sollten uns nicht über die Dinosauriertechnolo- wicklung - so - kommen. gien von gestern streiten. Wir wollen doch ehrlich sein: An der Kernenergie in Deutschland sind vor al- Dieselbe Verantwortung brauchen wir heute. Wir lem die interessie rt, die damit im Ausland Geschäfte brauchen die sozial-ökologische Marktwirtschaft. machen wollen. Das ist der eigentliche Punkt, der da- Das setzt die Schaffung von politischen Rahmenbe- hintersteckt, und daß man an diesem Punkt die SPD dingungen voraus. in die Knie zwingen will. Kein EVU denkt daran, in Deutschland ein Atomkraftwerk zu bauen. Im Ge- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE genteil: Die Energieversorgungsunternehmen den- GRÜNEN und der PDS) ken darüber nach, wie sie Kapazitäten stillegen kön- nen. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Weitere Wo rt -meldungen zum Geschäftsbereich des Bundes- Nein, wir sollten uns auf das verständigen, was wir ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- alle verbal wollen, nämlich Schritte in die Effizienz- cherheit liegen nicht vor. und Solarwirtschaft. Das ist für unser Land wichtiger, als die idiotischen Auseinandersetzungen über den Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi-- Industriestandort Deutschland auch noch an den nisteriums für Verkehr, Einzelplan 12. Das Wort hat letzten unwichtigen Punkten zu führen. Führen wir der Herr Bundesminister Wissmann. sie an den wichtigen Punkten, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Matthias Wissmann, Bundesminister für Verkehr: DIE GRÜNEN) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Sparen und gestalten" - über die zentralen Zukunftsmärkte und damit über das ist der Leitgedanke des heute eingebrachten Ent- die Entscheidungen, die für unsere Kinder und Kin- wurfs zum Haushalt 1996. Dieser Leitgedanke drückt deskinder wichtig sind. sich natürlich auch im Verkehrshaushalt aus, der, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4169

Bundesminister Matthias Wissmann ohne die langfristige Aufgabe der umweltgerechten dramatisch wachsenden Verkehrs dürfen wir die rie- Sicherung der Mobilität an der Schwelle zum näch- sige Modernisierungsaufgabe „Bahn und Schiene" sten Jahrtausend zu vernachlässigen, gleichwohl ei- nicht vernachlässigen, sondern müssen sie weiterhin nen erheblichen Beitrag auch zu den Einsparerfolgen konsequent voranbringen. des von der Bundesregierung vorgelegten Entwurfs für den Haushalt 1996 leistet. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Dr. Dagmar Enkelmann [PDS]: Sie tun aber Ich will nicht verhehlen, daß diese eben auch vor- das Gegenteil!) handene Sparaufgabe nicht unerhebliche Schmerzen Deswegen bin ich auch froh, Ihnen berichten zu bereitet; können, daß es uns beim Schienenhaushalt 1996 ge- lingen wird, durch die vorgesehene Grundstücksver- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So ist es! wertung nicht bahnnotwendiger Immobilien einen Die Wünsche waren allemal größer!) erheblichen Teil dessen aufzufangen, was wir an denn schließlich haben wir in den zurückliegenden Kürzungen haben in Kauf nehmen müssen. Langfri- Jahren im Verkehrshaushalt schon erhebliche Aus- stig rechnen wir beim Verkauf nicht bahnnotwendi- gabenkürzungen getragen und durch Einnahmever- ger Grundstücke mit einem Verwertungserlös von besserungen in nicht unbeträchtlichem Maße zur über 13 Milliarden DM. Konsolidierung des Gesamthaushaltes beigetragen. (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ Ich denke nur daran, daß die von uns politisch in Eu- DIE GRÜNEN]: Völlig überzogen!) ropa durchgesetzte Gebühr für Schwerstlastkraftwa- gen Einnahmen von knapp 800 Millionen DM für Diese Erlöse werden nach Abzug eines Anteils zur den Haushalt erbracht hat.. Deckung des Finanzbedarfs des Bundeseisenbahn- vermögens den Investitionsmitteln zugeführt. Trotz aller schmerzlichen Investitionsrückführun- gen ist es erfreulich, daß wir mit den Investitionsan- Eines kann nicht verschwiegen werden - das gilt sätzen des Haushaltsentwurfs 1996 und der mittelfri- auch für die Straße -: Trotz aller Bemühungen wer- stigen Finanzplanung im Verkehrsbereich eine Inve- den sich angesichts der Haushaltslage Straffungen und Streckungen einzelner Investitionsprojekte nicht stitionstätigkeit auf sehr hohem Niveau beibehalten können. Das Ausgabevolumen des Verkehrsetats vermeiden lassen. Gemeinsam mit der Bahn AG wer- verringert sich zwar im Jahre 1996 um 4,4 % auf den wir aber weitere zusätzliche Investitionsspiel- knapp 51 Milliarden DM. Trotzdem bleibt der Einzel- räume u. a. durch die geplante Zusammenarbeit der plan 12 nach dem Etat für Arbeit und Soziales der Bahn mit professionellen Anbietern auf dem Tele- zweitgrößte Einzelplan des Bundeshaushalts, und er kom- und Bahnstromsektor schaffen. Daneben flie- bleibt vor allem der größte Investitionshaushalt. ßen der Bahn AG auf der Grundlage des Gemeinde- verkehrsfinanzierungsgesetzes erhebliche Mittel aus (Beifall des Abg. Siegfried Hornung [CDU/ dem ÖPNV-Bundesprogramm und den entsprechen- CSU]) den Länderprogrammen zu. Schließlich - das ist die große Reformaufgabe, die Ziel bleibt es für uns in den kommenden Jahren, nach dem 1. Januar 1996 beginnt - wird mit der Re- bei aller Mittelknappheit in den Bereichen Schiene, gionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs Straße und Wasserstraße den umweltgerechten Aus- gleichzeitig das größte Aufbau- und Ausbaupro- bau unserer Verkehrsinfrastruktur voranzubringen. gramm der Nachkriegsgeschichte für den Schienen- Trotz aller Mittelknappheit gibt es für mich eine ganz personennahverkehr und für den öffentlichen Nah- klare Priorität - das hört nicht jeder gerne, aber es verkehr insgesamt auf den Weg gebracht: im näch- muß trotzdem gesagt werden -: Auch in der zweiten sten Jahr rund 8,8 Milliarden DM, 1997 12,1 Mil- Hälfte dieses Jahrzehnts behalten die Verkehrspro- liarden DM, um die Jahrtausendwende etwa jekte Deutsche Einheit und die Verkehrsprojekte in 17 Milliarden DM für den Schienenpersonennahver- den neuen Bundesländern Vorrang in unserer Ver- kehr und den öffentlichen Nahverkehr. kehrspolitik. Das drückt sich auch in allen Zahlen aus. Wir werden diesen Weg weitergehen. Man kann also alles behaupten, nur eines nicht: daß wir den öffentlichen Nahverkehr vernachlässig- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ten. Nein, er bekommt heute eine größere Aufmerk- samkeit als je zuvor in der Nachkriegsgeschichte, Welche Bedeutung die Investitionen in Höhe von was die Zahlen eindeutig ausweisen. Es ist das um- rund 23 Milliarden DM im Verkehrshaushalt haben, fassendste Programm zur Förderung des öffentlichen zeigt sich an einer Zahl: 1 Milliarde DM an Investitio- Nahverkehrs, das wir je gehabt haben. nen sichert rund 12 000 Arbeitsplätze. Lassen Sie mich auf einen sensiblen Punkt einge- Mit dem Beschluß des Bundeskabinetts vom 5. Juli hen. Zur Optimierung der Investitionsmittel für die 1995 können wir den planmäßigen Neubeginn der Schiene prüfen wir derzeit auch eine Veräußerung noch ausstehenden Verkehrsprojekte Deutsche Ein- von im Eigentum des Bundeseisenbahnvermögens heit Schiene und der Schienenneubaustrecke Köln- stehenden Wohnungen. ,Klar ist: Eine Veräußerung Rhein/Main sicherstellen. Beide Entscheidungen wa- von Wohnungen kann selbstverständlich nur unter ren für mich als Bundesverkehrsminister unabding- Beachtung aller sozialen Aspekte und unter Berück- bare Beiträge zur Verbesserung unserer Schienenin- sichtigung der mit der Bahnreform eingegangenen frastruktur in ganz Deutschland; denn in einer Zeit Verpflichtungen erfolgen, d. h., die bei der Deut- 4170 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995

Bundesminister Matthias Wissmann schen Bahn und Deutschen Reichsbahn erworbenen reform im Konsens gemacht. Im Bundesverkehrsmi- Besitzstandsansprüche bleiben unangetastet. Der nisterium und in der Bundesregierung wird nichts Grundsatz heißt: Kein Eisenbahner soll seine Woh- gemacht, ohne erneut den Versuch zu unternehmen, nung verlieren. Das schließt selbstverständlich die im auch bei solch heiklen sozialen Fragen ökonomi- Ruhestand Befindlichen bzw. deren Hinterbliebene schen Fortschritt und soziale Sensibilität miteinander mit ein. zu verbinden. Das Prinzip der Sozialbindung schließt aber nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - aus, daß Wohnungen veräußert werden. Dies wird Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ derzeit von uns geprüft. Wir werden bald in enger DIE GRÜNEN]: Es geht um den Konsens Abstimmung mit den Beteiligten dem Bundesfinanz- mit dem Deutschen Bundestag!) ministerium ein schlüssiges Konzept vorlegen, bei dem Sozialbindung einerseits und Privatisierung an- Meine Damen und Herren, in einem ähnlichen dererseits im Einklang stehen. Wir werden darauf Geist bringen wir das Thema Binnenschiffahrt einer- achten, daß alle Möglichkeiten ausgeschöpft wer- seits und Seeschiffahrt andererseits voran. Wir haben den, um die Wohnraumbewirtschaftung effizienter - Sie wissen das; ich habe das in der letzten Haus- als heute zu gestalten. haltsdebatte angekündigt - inzwischen ein 100-Mil- lionen-DM-Programm zur Unterstützung vor allem der mittelständischen Binnenschiffahrt und ihrer Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Minister, Modernisierung auf den Weg gebracht und nach ei- gestatten Sie eine Zwischenfrage? nigen Veränderungen auch in Europa die Billigung dafür gefunden. Matthias Wissmann, Bundesminister für Verkehr: Unser Ziel ist, den umweltfreundlichen Verkehrs- Ja. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie es nicht auf die träger Binnenschiff zu stärken; denn wir verlieren nie Zeit anrechnen. aus dem Auge, daß ein 2000-Tonnen-Motorgüter- schiff die Fracht von fünfzig 40-Tonnen-Lkws beför- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Nein, das wird dert und wir deswegen alles tun müssen, um in der nicht angerechnet. schwierigen Krisensituation in der Binnenschiffahrt die Modernisierung auf den Weg zu bringen und Bundesminister für Verkehr: gleichzeitig in einer ökologisch vertretbaren Weise Matthias Wissmann, die Binnenwasserstraßen auszubauen. Wer nicht al- Bitte schön. len Güterverkehr der Zukunft auf der Straße haben will, der darf über Binnenwasserstraßen nicht nur re- Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE den, sondern er muß sie ökologisch sensibel aus- GRÜNEN): Herr Minister, ist Ihnen im Zusammen- bauen, und er muß die Bahn weiter modernisieren in hang mit der Überprüfung des mittelfristig in Aus- dem Sinne, wie wir es mit der Bahnreform eingeleitet sicht gestellten Verkaufes der Wohnungen von Bahn- haben. bediensteten bekannt und sind Sie bereit zu bestäti- gen, daß es einen Bundestagsbeschluß vom 2. De- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zember 1993 gibt, der expressis verbis davon spricht, Ähnlich engagiert vertreten wir auch die Anliegen daß darauf hinzuwirken ist, „daß die für die Woh- der Küstenschiffahrt und der Seeschiffahrt. Wir ent- nungsversorgung der Eisenbahner benötigten Woh- wickeln gegenwärtig im Bundesverkehrsministerium nungen nicht an Dritte veräußert werden dürfen"? ein Konzept „Road to sea", das sich mit der Frage be- faßt: Wie können wir mehr Verkehr und Gütertrans- Matthias Wissmann, Bundesminister für Verkehr: port, gerade auch im europäischen Gütertransit, auf Ich bin jederzeit bereit, Ihnen zu bestätigen - ich die Küstenschiffahrt und die Seeschiffahrt verlagern? habe das vorhin auch gesagt; das ist mit den Ge- Ich will deswegen an dieser Stelle sagen, daß alles werkschaften der Bahn abgestimmt -, daß wir nichts getan werden muß, um die Rahmenbedingungen für unternehmen werden, was die Sozialbindung gefähr- die Sicherung einer deutschen Handelsflotte, die det, aber daß wir alles tun werden, um die Wohn- wettbewerbsfähig ist, weiter zu stärken. Dafür brau- raumbewirtschaftung effizienter zu machen. chen wir auch in Zukunft angemessene Finanzbei- In meinem Wahlkreis in Kornwestheim gibt es Ei- träge, damit das Förderungsinstrumentarium der senbahnersiedlungen, und ich rede nicht theoretisch Bundesregierung voll zur Geltung kommen kann. über sie, sondern ich kenne sie. Ich kann nur sagen: Wenn ich mir manche Eisenbahnersiedlungen in ih- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Minister,- rem heutigen Zustand anschaue, dann kann ich mir gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage? sehr wohl vorstellen, daß es eine p rivate und effizien- tere Gestaltung im Interesse auch der Mieter gibt. Ich will darüber im Konsens mit der Gewerkschaft Matthias Wissmann, Bundesminister für Verkehr: eine überzeugende Lösung finden. Ja, gerne. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich bin deshalb davon überzeugt, daß wir bei wei- teren Beratungen auch hier zu haushaltsrechtlich Sie dürfen nicht vergessen, Herr Kollege: Wir ha- vertretbaren Lösungen kommen. ben die Lufthansa-Privatisierung im Konsens mit den Gewerkschaften gemacht, und wir haben die Bahn Bitte schön, Frau Kollegin. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4171

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Altmann. alles dafür tun müssen, daß sich die Rahmenbedin- gungen für das immer umweltfreundlicher werdende Automobil, das immer weniger Treibstoff verbrau- Gila Altmann (Aurich) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- chende Automobil NEN): Herr Wissmann, zu einer konkurrenzfähigen Handelsflotte gehört auch die Qualifikation der See- (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ leute, und da ist auch die Sicherheit mit eingebun- DIE GRÜNEN]: Ja, ja!) den. Kann ich Ihren Äußerungen entnehmen, daß in den kommenden Jahren nicht verschlechtern, son- auch beabsichtigt ist, den Montageerlaß auf die deut- dern schrittweise wieder verbessern. schen Seeleute auszudehnen, die auf ausländischen Frachtern fahren, soweit mit den entsprechenden Wir werden alles dafür tun müssen, daß der Prozeß Ländern ein Doppelbesteuerungsabkommen besteht? zum umweltgerechten Automobil vorankommt. Auch deswegen bin ich dem Bundesfinanzminister dankbar, daß er das Konzept einer emissionsbezoge- Matthias Wissmann, Bundesminister für Verkehr: nen Umgestaltung der Kfz-Steuer heute mit solchem Ich kann Ihnen eines zusagen, Frau Kollegin. Wir Nachdruck vertreten hat. Denn unser strategisches werden weiterhin massiv - so wie wir es auch wäh- Ziel ist klar: Um die Jahrtausendwende sollten wir rend unserer Präsidentschaft im europäischen Ver- dafür gesorgt haben, daß die „Stinker" aus dem Ver- kehrsministerrat getan haben - daran arbeiten, daß kehr gezogen werden. 10 % aller Autos verursachen die hohen Qualifikations- und Sicherheitsniveaus, 60 % der Schadstoffbelastungen. Ich finde, das kön- die wir in Deutschland kennen, Schritt für Schritt auf nen wir nicht hinnehmen. Das müssen wir Schritt für die gesamte Europäische Union - da haben wir ei- Schritt verändern. nige wesentliche Fortschritte erreicht -, aber auch die Weltschiffahrt über die Internationale Schiffahrts (Beifall bei der CDU/CSU - Albert Schmidt organisation, IMO, übertragen werden. [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hätten längst Gelegenheit gehabt, das Ich habe mich in den letzten zwei Jahren bewußt zu tun!) zum Advokaten dieses Anliegens gemacht - ich glaube, in einem parteiübergreifenden Sinne -, weil - Im Unterschied zu Ihnen haben wir gehandelt: Am wir nicht erst reagieren können, wenn Unfälle durch 1. April 1994 ist mit Unterstützung der gesamten Ko- Nachlässigkeit passiert sind, sondern vorher dafür alition von CDU/CSU und F.D.P. die ökologische sorgen müssen, daß europa- und weltweit hohe Qua- Staffelung der Lkw-Steuern in Kraft getreten. lifikationsstandards und hohe Sicherheitsstandards (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ gewährleistet werden. In diesem Sinne greife ich Ihr DIE GRÜNEN]: Was den Lkw-Verkehr un- Anliegen ganz bewußt auf. heimlich verringert hat!) (Zustimmung bei der CDU/CSU und der Seitdem geht die Umrüstung der Lkw-Flotten voran. F.D.P.) Nach demselben Muster werden wir auch die emissi- Meine Damen und Herren, wir können eines nicht onsbezogene Umgestaltung der Kfz-Steuer zu errei- leugnen: Sosehr wir Schiffahrt, Binnenschiffahrt und chen haben. Ich weiß, daß es dazu auch parteiüber- Bahn stärken und modernisieren, wir werden auch in greifende Gemeinsamkeiten gibt. Wir werden sie Zukunft auf das Auto zur Sicherung der Mobilität voranbringen. nicht verzichten können und nicht verzichten wollen. Ein Letztes kann nicht verschwiegen werden: Wir Wir werden deswegen auch einen ökologisch vertret- werden die riesigen Herausforderungen im Ver- baren Bundesstraßenbau fortführen müssen. kehrsbereich nur bewältigen, wenn wir konsequent auf moderne Technik setzen. (Beifall bei der CDU/CSU - Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ 12 500 km!) DIE GRÜNEN]: Sie haben noch nichts über Telematik gesagt!) Ich will nicht leugnen, daß insbesondere die Situa- tion hinsichtlich des Baubeginns in den alten Bun- Wenn wir anders als Sie, Herr Kollege, moderne desländern auf der Basis des bestehenden Haushalts- Technik, Telematik und Transrapid nicht verteufeln, entwurfs nicht einfach ist. Hier kommt es zu erhebli- chen, ja schmerzhaften Einschnitten. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ah!) Klar ist: Sosehr wir auf kompatible und intelligente sondern wenn wir sie voranbringen, hat das Müsli-- Verkehrsmanagementsysteme setzen, die den Ver- Denken, das einige von Ihnen immer noch praktizie- kehrsfluß verbessern sollen, sie ersetzen einen sinn- ren, keinen Platz. Ohne moderne Technologien wer- vollen, ökologisch vertretbaren Ausbau unseres Stra- den wir die Verkehrsprobleme in Deutschland und ßennetzes nicht, insbesondere nicht den notwendi- Europa nicht bewältigen. gen Schritt, nahezu überall in Deutschland die Auto- bahnen sechsstreifig zu gestalten. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Meine Damen und Herren, eines ist klar: In Wir setzen auf diese Technologien, weil wir wissen, Deutschland hängt jeder fünfte Arbeitsplatz vom Au- daß sie Zukunft haben. Ich weiß, daß in der ersten tomobil ab. Wir werden deswegen auch in Zukunft Reihe der SPD einige meine Meinung teilen, einige 4172 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995

Bundesminister Matthias Wissmann nicht. Aber ich bin überzeugt davon, daß sich am Ende Sie sind ja ein Beispiel der Betroffenheit von der auch hier der fortschrittliche Gedanke durchsetzen mittelfristigen Finanzplanung: Bei den Zuschüssen wird, und die Rückwärtsgewandten unter Ihnen wer- für die Seeschiffahrt stelle ich fest, daß sie in der mit- den am Ende immer weniger Zuspruch finden. telfristigen Finanzplanung in diesem Jahr mit 40 Millionen DM veranschlagt sind; das ist eine Re- In diesem Sinne bitte ich um Unterstützung unseres duzierung von 100 um 60 auf 40 Millionen DM. Die Haushaltsentwurfs, der nach vorne weist und der uns stehen auch im Haushaltsplan. hilft, die großen Aufgaben der Zukunft zu meistern. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Der Verkehrsausschuß des Deutschen Bundesta- ges hat einstimmig beschlossen - einstimmig! -, daß man für 1995 und die Folgejahre jeweils 120 Millio- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der nen DM für die Seeschiffahrt aufwenden müsse. Wir Kollege Wagner, SPD-Fraktion. haben im Haushaltsausschuß, Herr Kollege Kalb, im Frühjahr die 100 Millionen DM für 1995 auch be- Hans Georg Wagner (SPD): Herr Präsident! Meine schlossen. sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst eine Vorbemerkung: Ich halte es nicht für gut, wenn der Das heißt, an diesem Punkt müssen wir genau hin- Deutsche Bundestag den zweitgrößten Haushalt, der sehen. Denn ich befürchte, daß diese erhebliche Re- zudem die höchsten Prozentzahlen an Investitionen duzierung zu großen Schwierigkeiten bei den ent- aufweist und damit eine erhebliche arbeitsmarktpoli- sprechenden Unternehmen führen wird. Ich glaube, tische Bedeutung hat, zu einer Stunde behandelt, in wir alle sind uns doch einig, daß wir ein weiteres der die Millionen Menschen, die von unseren Ent- Ausflaggen deutscher Schiffe und deutscher Reeder scheidungen betroffen sind, nicht mehr zuhören und nicht mehr hinnehmen können, wenn die Handels- nicht mehr zusehen können. Das Ganze ist dann flotte so bleiben soll wie bisher. auch noch auf eine Stunde begrenzt. Das kann ich nicht akzeptieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie und der PDS) des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Als viel zu optimistisch sehe ich weiterhin die Aus- sage an, daß man durch den Verkauf von Bundesei- Ich bitte die Organisatoren des Ablaufs der zwei- senbahnvermögen zu Einnahmeverbesserungen von ten und dritten Lesung, darauf zu achten, daß unsere bis zu 13 Milliarden DM kommen könne. Es kann unterschiedlichen Meinungen in verschiedenen Be- durchaus sein, daß der Gesamtwert der zu veräu- reichen für die Öffentlichkeit wahrnehmbar darge- ßernden Grundstücke und Immobilien bei 13 Mil- stellt werden können. Ich glaube, dies ist ein Anlie- liarden DM liegt. Aber jetzt so zu tun, als seien die gen aller, die im Verkehrsausschuß und im Haus- Einnahmen von 13 Milliarden DM im Jahr 1996 fast haltsausschuß des Deutschen Bundestages sitzen. sicher, ist mehr als optimistisch. Ich würde sagen, das (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE ist fast unverfroren gegenüber der Öffentlichkeit, die GRÜNEN und der PDS) an diese Einnahmen glaubt.

Ich möchte noch vorschlagen, Herr Kollege Wiss- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ mann, daß wir beide unsere geschätzte Kollegin Kar- DIE GRÜNEN) watzki bitten, daß sie morgen früh Herrn Waigel, der jetzt nicht hier sein kann, sagt, daß er nicht rechnen Wenn wir gerade bei den Einnahmen sind: Im Ein- kann. Sie haben eben die richtigen Zahlen vorgetra- zelplan 60 steht etwas vom weiteren Verkauf von gen. Anteilen der Lufthansa. Die Privatisierung ist jetzt Herr Waigel hat heute morgen behauptet, daß eine vollzogen; man kann sie kritisieren, aber das läuft ja. Reduzierung beim Einzelplan 12 nicht stattfinde, Die entsprechenden 1,6 Milliarden DM stehen aller- sondern daß man auf dem Level von 51 Milliarden dings nicht in Ihrem Haushalt, wo Sie das Geld gut DM verbliebe. Sie haben richtig dargestellt, daß das gebrauchen könnten, sondern im Einzelplan 60. In eine Reduzierung um 4,4 % oder etwa 2,5 Milliarden Ihrem Einzelplan stehen aber alle Altlasten. DM ist, und dies exakt bei den Investitionen: Investi- tionen bei der Bahn, Investitionen bei der Straße, bei Dazu sage ich: Wenn der Bundesfinanzminister der Seeschiffahrt und bei den Wasserstraßen. Die Re- schon so unverfroren ist und die 1,6 Milliarden DM, duzierungen sind also in dem Bereich, wo es in der die eigentlich Ihnen zustehen, als Einnahmen in den Tat um die Sicherung und möglicherweise Schaffung Einzelplan 60 holt - der Steinbruch, aus dem alles be- von Arbeitsplätzen geht, was immer als allgemeines zahlt wird -, dann soll er auch die Altlasten, die Ihren Anliegen des ganzen Deutschen Bundestages darge- Haushalt, den Einzelplan 12, belasten, in den Einzel- stellt wird. plan 60 übernehmen. Das wäre konsequent und würde der besseren Kosmetik, der Wahrheit und Sie haben meiner Meinung nach eine etwas zu op- Klarheit des Haushaltes dienen. timistische Darstellung gegeben, Herr Minister. Ich sage zur mittelfristigen Finanzplanung nur eins: Sie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- zählt für mich eigentlich nie; denn sie stimmt auch ten der PDS - Zurufe von der SPD: Das ist nie. wohl wahr! - Irmgard, mach das mal!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4173

Hans Georg Wagner Konnte ich im Frühjahr dieses Jahres bei der Bera- werden dafür sorgen; meine Fraktion wird das ma- tung des Haushaltes 1995 hier noch feststellen, daß chen. - Sie könnten Ihren Kolleginnen und Kollegen der Investitionsanteil bei Ihnen etwa bei 50 % liegt, manche Blamage ersparen, wenn Sie einen realitäts- so muß man jetzt schmerzlich feststellen, daß dort bezogenen Bundesverkehrswegeplan vorlegen wür- eine Reduzierung um fast 5 % stattfindet; die Zahlen den. habe ich vorhin schon genannt. (Birgit Homburger [F.D.P.]: Dann fangen Sie Das heißt, daß alles das, was hier als allgemeines bei Ihrer eigenen Fraktion an!) Ziel verkündet worden ist, etwa das Umsteigen von der Straße auf die Schiene, entweder politisch nicht - Das werden wir tun. mehr gewollt ist oder bewußt hintertrieben wird. Es gibt nur diese beiden Möglichkeiten. Ansonsten Sie könnten auch Herrn Dürr von der Bundesbahn hätte man diese erhebliche Reduzierung im Haus- einmal bitten, seine Vorstellungen darüber darzule- haltsentwurf nicht hinnehmen können. gen, wie es eigentlich gehen soll, wenn die Reduzie- rungen in Milliardenhöhe für den Bereich der (Zuruf von der F.D.P.: 30 Milliarden DM für Schiene erfolgen. Ich habe gehört, daß vom „Aufbau die Schiene, Herr Wagner!) Ost" viele Gelder in den Topf des Bundesfinanzmi- nisters zurückfließen. Wenn dieses Geld zu Ihnen, - Natürlich, auch ich kenne die Zahlen; wir beraten Herr Minister, flösse, könnte man noch das eine oder sie im Haushaltsausschuß immer sehr intensiv, Herr andere Projekt im Westen finanzieren. Aber diese Kollege. Gelder werden praktisch à fonds perdu an den Fi- (Zuruf von der F.D.P.: Das sind 60 % des ge nanzminister gegeben. Deshalb hätten wir, was die samten Verkehrshaushalts!) Bahn angeht, konkret gewußt: Was wird mit diesen Geldern gemacht? Wie werden die Strecken finan- Wenn Sie die Altlasten mitrechnen, wenn Sie alles ziert? zusammen sehen, mag Ihre Summe stimmen. Ich sage nur: Es ist bedauerlich, daß die Investitionsmit- Ein Beispiel: Bei der Schnellverbindungsstrecke tel um 5% auf nunmehr nur noch 45 % gekürzt wor- von Paris über Metz und Saarbrücken nach Mann- den sind. Das ist die falsche Tendenz im Einzelplan 12, heim ist die Bundesbahn seit Monaten im Hintertref- die wir als Sozialdemokraten nicht akzeptieren. fen, was den Antrag auf Finanzierung angeht. Jetzt liegt bei Ihnen, Herr Wissmann, der Antrag für den (Beifall bei der SPD - Zuruf von der F.D.P.: Ankauf von Grundstücken vor. Es muß aber doch Die können Sie ja nicht einmal ausgeben!) klar sein, daß die Bahn ihre guten Projekte wirklich Auch die Straßenbauer, die immer hoffnungsvoll engagiert durchsetzt. Man muß erkennen, daß wirk- und mit strahlenden Augen den Haushalt betrach- lich der Wille dahintersteht, dem Vorrang der ten, sind nicht gut dran: 750 Millionen DM minus ma- Schiene zum Durchbruch zu verhelfen. chen schon etwas aus. Auch hiervon ist die Bauwirt- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- schaft in erheblichem Maße betroffen, einmal unab- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN hängig davon, ob man die Priorität bei den Finanzen und der PDS) mehr in die Schiene oder mehr in den Straßenver- kehr setzt. Immerhin ist auch dort eine Reduzierung Ich komme nun zur Lkw-Besteuerung. Sie haben vorgenommen worden. Die Zahlen für die Seeschiff- gerade gesagt, das sei eine gute Sache und würde fahrt habe ich vorhin schon einmal genannt. von der Koalition getragen. Ich habe aber nicht den Angesichts dieser Reduzierungen Ihres Haushaltes Eindruck, daß deshalb ein Lkw weniger auf der im Investitionsbereich wäre es zumindest ehrlich ge- Straße fährt, Herr Kollege Wissmann. Der ökologi- genüber der Öffentlichkeit, wenn Sie, Herr Minister, sche Aspekt der Einnahme ist sicherlich nicht spür- den Bundesverkehrswegeplan der Realität anpaßten. bar. Natürlich ist dann mehr Geld im Bundeshaus- halt. Ich kann aber nicht sehen, daß eine Ökologisie- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert rung des Güterverkehrs auf der Straße stattfinden Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE würde. Ich selbst bin betroffener Autofahrer und GRÜNEN]) sehe dann ja die Segnungen dieser Steuer täglich auf den entsprechenden Straßen. Diese illusorische Überschrift „Bundesverkehrswe- geplan" erweckt bei der betroffenen Bevölkerung Nun haben Sie eben auch noch einmal die Wun- nur Hoffnungen. Jedermann in diesem Hause aber derkerze Transrapid gezündet, die im nächsten Jahr weiß, daß das überhaupt nicht so realisie rt werden mehr Geld beanspruchen wird. Das sind aber nur kann, wie es drinsteht. Deshalb bitte ich sehr herz- 17 Millionen DM für die Planungsgesellschaft. Ich - lich darum, einmal eine Aktualisierung des Bundes- sage „nur", obwohl das angesichts des Haushalts verkehrswegeplanes vorzunehmen. sehr viel Geld ist. Im nächsten Jahr aber geht dann (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert die Finanzierung der Investitionen los. Dann sind die Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE Freuden derer, die heute noch für den Transrapid GRÜNEN]) kämpfen, wahrscheinlich gedämpft; denn der Bun- desverkehrsminister muß 56,8 % der Investitionen Dann würde man auch manchen Ihrer Kolleginnen aufbringen, das andere muß von den anderen Einzel- und Kollegen die Blamage ersparen, wenn sie vor plänen aufgebracht werden. Das heißt: weniger Ort immer treuherzig verkünden, die Umgehung X Wohnungsbau, weniger Umweltschutz, weniger so- oder die Umfahrung Z käme in nächster Zeit. Wir ziale Leistungen etc. Dafür wird eine ganze Menge 4174 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995

Hans Georg Wagner aufgebracht werden müssen. Ich bitte einmal die Be- Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei all richterstatter dieser Einzelpläne, darüber nachzuden- dieser Problematik der Finanzierbarkeit sollten wir ken, was sie dann der Bevölkerung draußen verkau- nicht ganz aus dem Auge verlieren, worum es in fen wollen. Wirklichkeit geht. Eine gute Verkehrsinfrastruktur ist ein ganz wichtiger Standortfaktor. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der CDU/CSU) und der PDS) Wir reden so viel über den Wirtschaftsstandort Noch einen Satz zum Transrapid: Ich bin durchaus rtschaft Deutschland und häufig redet auch die Wi der Meinung, daß man neue Techniken erproben nur über die negativen Standortfaktoren, aber daß sollte und weltweit zeigen muß, daß so etwas im eige- diese gute Verkehrsinfrastruktur in Deutschland nen Land funktioniert. Wir haben unsere Beschlüsse zweifellos ein sehr positiver Standortfaktor ist, liegt in diese Richtung gefaßt; wir waren nur gegen die auf der Hand und soll auch in Zukunft so bleiben. Strecke Berlin-Hamburg. Sie aber wollen im Bereich des Bergbaus die Subventionen herunterstreichen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) obwohl wir in der Kohlekraftwerkstechnik weltweit führend sind und unsere Sicherheitstechnik in den Wir brauchen leistungsfähige Verkehrswege, die Bergwerken die sicherste der ganzen Welt ist. Indone- allgemein und für jedermann zugänglich sind. Das sien und Indien kaufen unsere Steinkohlekraftwerks liegt im Interesse des Gemeinwohls. Es liegt insbe- technik an, weil sie diese überzeugend finden; und sondere im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit der Sie wollen Steinkohlekraftwerke dichtmachen. Bundesrepublik Deutschland und der Wi rtschaft die- ses Landes. Viele Produktionsverfahren und Koope- Das ist doch ein Widerspruch. Wenn Sie den So- rationen, die die Wettbewerbsfähigkeit verbessern, zialdemokraten sagen, sie seien beim Transrapid wären ohne ein leistungsfähiges Verkehrsnetz über- technologiefeindlich, dann sage ich: Sie sind beim haupt nicht denkbar und darstellbar. Wir brauchen Bergbau noch viel extremer technologiefeindlich. auch in den neuen Ländern eine schnelle Bereitstel- Deshalb sollten wir uns das gegenseitige Vorwerfen lung eines guten Verkehrsnetzes, einer guten Ver- abschminken und versuchen, zu einer vernünftigen kehrsinfrastruktur. Ich kann aus der Erfahrung, aus Lösung zu kommen. einem Gebiet kommend, das viele Jahre lang als be- (Beifall bei der SPD) nachteiligt galt, feststellen, daß die Subventionen für neue Investitionen sehr hilfreich sind, daß aber die Ich fürchte, daß es in bezug auf die Kürzungen Ih- größte Wirksamkeit für die Entwicklung eines Gebie- res Haushaltes bei der Umsetzung zu erheblichen tes durch die Verkehrsanbindung erzielt wird. Des- Verzögerungen kommen wird. Nichtsdestotrotz wer- wegen kann ich das nur unterstreichen, was Ver- den wir am Montag im Berichterstattergespräch und kehrsminister Wissmann hier zum Ausdruck ge- dann in der Beratung des Haushaltsausschusses ver- bracht hat. Wir wollen daran festhalten und die Ver- suchen, zu gemeinsamen Lösungen zu kommen. Wir kehrsinfrastruktur auch in den neuen Ländern werden Anträge stellen. Wenn Sie denen zustimmen, schnell zur Verfügung stellen. dann haben Sie möglicherweise die Zustimmung hier im Bundestag sicher, Herr Minister. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Schönen Dank. Auf der anderen Seite wundert es mich schon, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne wenn, auch unterstützt von den politischen Kräften, ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sich auch in den neuen Ländern schon erheblicher und der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann Widerstand gegen dringend notwendige Verkehrs- [PDS]) projekte abzeichnet. Nachdem ich mich gelegentlich auch in den neuen Ländern aufhalte, vermute ich einmal, daß ich nicht nur wie der Blinde von der Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Farbe über diese Sache spreche, sondern mit ein biß- Kollege Kalb, CDU/CSU-Fraktion. chen eigener Erfahrung mein Wissen und meine Meinung anreichere. Ich denke, es ist wichtig für die Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr wirtschaftliche Entwicklung, es ist wichtig für die Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schaffung von Arbeitsplätzen, es ist wichtig für die Der bisherige Verlauf der Debatte hat schon gezeigt, Hebung des allgemeinen Wohlstandsniveaus, und es daß dem Verkehrsetat eine ganz besondere Bedeu- ist auch wichtig für die Verbesserung der sozialen Si- tung auf Grund seines Volumens und insbesondere tuation. auf Grund seines hohen Investitionsanteils zukommt. - (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ich sage auch ganz offen: Wir würden heute alle mit- Für das Niveau der Bundestagsreden sehr einander sehr viel leichter über den Verkehrsetat re- wichtig!) den, wenn wir nicht in einer sehr eingeengten finan- ziellen Situation wären. Aber ich denke, daß alle mit- - Ich überlasse es Ihnen, wie Sie das Niveau meiner einander Verständnis haben - zumindest wir von der Rede bewerten. Ich bewerte dann genauso das Ni- Koalition wollen es -, daß die Konsolidierung der Bun- veau Ihrer Zwischenrufe. Dann sind wir wieder quitt. desfinanzen, die Rückführung der Neuverschuldung Das können wir durchaus so halten. oberste Priorität haben muß. An diesem Ziel wollen wir festhalten und nicht rütteln. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4175 Bartholomäus Kalb Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Welt natürlich in einem eklatanten Widerspruch zu dem, hat sich seit 1989/90 Gott sei Dank dramatisch verän- was Parteifreunde von Ihnen an anderer Stelle sa- dert, d. h. aber auch, daß es Konsequenzen für die gen. Wir müssen hier schon sehen, daß dringende Bewältigung der Verkehre gibt. Ob wir es wollen Maßnahmen anstehen und daß wir die Dinge im Lot oder nicht, die Ost - West - Verkehre werden zuneh- halten. men. Das heißt für uns auch, daß wir vorhandene Verkehrswege optimieren müssen, daß wir sie opti- Kollege Wagner hat sehr zu Recht, meine ich, an- maler nutzen müssen. Es ist vorhin schon bei Ver- gesprochen: Wir müssen die Signale über den Zu- kehrsminister Wissmann ein Zwischenruf gemacht stand der Baukonjunktur, insbesondere im Tiefbau- worden. Natürlich müssen modernste technische bereich, durchaus ernst nehmen. Auch das muß in diesem Zusammenhang angesprochen und gesehen Möglichkeiten im Bereich der Logistik und der Ver- kehrsleitsysteme eingesetzt werden, damit wir so- werden. wohl auf der Straße wie auch auf der Schiene die Wichtig ist mir aber auch, daß wir keine autofeind- Möglichkeiten noch besser nutzen, die diese Ver- liche Politik und keine feindliche Politik gegenüber kehrsträger bieten. Wir müssen darüber hinaus na- dem Individualverkehr betreiben. So wichtig, so not- türlich auch weiter am Aus- und Neubau von Ver- wendig und so sinnvoll es ist, den Schienenverkehr kehrswegen festhalten. Wir müssen die Leistungsfä- und den öffentlichen Personennahverkehr zu stärken higkeit steigern und zugleich Neues leisten. - das wird ja getan -, so klar müssen wir aber auch Es ist ja die bevorzugte Politik von Rot-Grün insbe- erkennen, daß es Gebiete in unserem Lande gibt, in sondere in den Rathäusern, daß man Verkehrsleitung denen diese Möglichkeiten eben nicht zum Ziel füh- so versteht, daß man irgendwo ein paar Betonkübel ren können. Manche ländlichen oder peripheren aufstellt. Ich glaube, es war Herr Pischetsrieder, der Gebiete konnten sich erst entwickeln, als man auf einmal gesagt hat: Das Aufstellen von ein paar Be- die Möglichkeiten des Individualverkehrs zurück- tonkübeln ist noch kein intelligentes Verkehrsleit- greifen konnte. system. Hier wird der Zwischenruf „Eifel" gemacht. Ich (Elke Ferner [SPD]: Wenn man so fährt wie könnte genauso die Mittelgebirgslagen und andere der!) ländliche Gebiete nennen. Ich habe noch eine Zahl aus dem Raumordnungsbericht der damaligen Bun- Es wird darauf ankommen, daß in der Zukunft für desregierung im Kopf. Es gab bis in die 70er Jahre das jeweilige Gut auch der jeweils richtige Verkehrs- hinein in all diesen Gebieten negative Wanderungs- träger gewählt werden kann. Wir werden darauf an- salden. Erst als dann auf den Individualverkehr zu- gewiesen sein, daß die Wasserstraßen, die Schiene rückgegriffen werden konnte, in der gewerblichen und die Straßen voll zur Verfügung stehen. Wir wer- Wirtschaft wie auch p rivat, hat sich das Blatt für den dies auch bei unseren Planungen zu berücksich- diese Gebiete gewendet, und es konnte die Bevölke- tigen haben. rungszahl konstant gehalten werden. Es konnte eine Vielzahl von Arbeitsplätzen geschaffen werden. Es sind die Ansätze für die Eisenbahninvestitionen Viele Menschen konnten dort ihr Zuhause finden kritisiert worden. Wenn wir die Dinge nüchtern be- oder dort, wo ihr Zuhause war, wohnen bleiben und trachten - so ist es auch hier vom Minister vorgetra- wurden nicht zur Abwanderung gezwungen. Wir gen worden -, dann werden wir zu der Überzeugung sollten dies klar sehen und erkennen. Die Pläne ins- gelangen, daß wir ganz vernünftig zurechtkommen besondere der Grünen mit einer massiven Erhöhung und daß wir die notwendigen Investitionen tätigen der Mineralölsteuer stehen natürlich in einem ekla- können. Die Erfahrung des letzten und wohl auch tanten Widerspruch zu diesen Notwendigkeiten und dieses Jahres beweist, daß hier eine Kapazitäts- Zielen. grenze erreicht wird. Es ist in dieser Debatte schon einmal gesagt wor- Wir haben Probleme damit - ich sage das in aller den: Wir können keine Politik machen, die sich nur Offenheit - , daß die Ansätze für die Straßenbautitel noch stinkreiche Leute - anders kann man das nicht doch sehr eingeschränkt sind. Mir wäre es lieber, wir mehr zum Ausdruck bringen - leisten können. könnten hier etwas anderes vermelden. Aber Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD und den Grü- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nen, müßte es eigentlich sehr recht sein. Die Ver- kehrspolitiker der SPD haben im Rahmen der Bera- Ihre politischen Vorgänger waren doch jene, die tungen des Haushalts 1995 eine Absenkung der In- keine Mehrklassengesellschaft haben wollten. Was vestitionsmittel für den Straßenbau um eine Milliarde Sie jetzt vorschlagen, führt doch dazu, daß sich nur DM gefordert. noch wenige den ungehinderten Zugang zu den Ver- kehrswegen leisten können, während die anderen (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD) wieder nach hinten katapultiert werden. Kollege Wagner hat diesen Unfug dann im Haus- (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ haltsausschuß nicht mehr vertreten. Die Grünen ha- DIE GRÜNEN]: Wie erklären Sie sich dann ben seinerzeit gar eine Kürzung um drei Milliarden den Zulauf, den wir haben?) DM gefordert. Das steht im Widerspruch zu allen an- Ganze Gebiete werden praktisch mit Sonderlasten deren Forderungen. Sie, Herr Kollege Wagner, ha- befrachtet. Das können, wollen und dürfen wir kei- ben ja vorhin auch darauf hingewiesen und gefragt, nesfalls hinnehmen. was wir denn tun wollten, wenn mehr neue Straßen und Umgehungsstraßen gefordert werden. Das steht (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 4176 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995

Bartholomäus Kalb Insofern muß auch hier die Kirche im Dorf bleiben. gestrichen hat. Das ist ein Genickschlag gegen das Unternehmen Bahn, das man erst auf den Weg zur Auch in der Zukunft muß eine vernünftige Steuer- Privatisierung schickt und dann auf halber Strecke politik gemacht werden, die nicht zu neuen Unge- hängenläßt. rechtigkeiten führt, die nicht zu neuen Benachteili- gungen ganzer Gebiete führt. Die Gerechtigkeit muß (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aufrechterhalten bleiben. Wir müssen die Entwick- und bei der PDS sowie bei Abgeordneten lungsmöglichkeiten des gesamten Landes und nicht der SPD) nur einiger weniger Ballungsgebiete im Auge behal- Herr Kollege Friedrich, 40 Jahre lang wurde die ten. Bahn, das öffentliche Verkehrsmittel Nummer eins, Herzlichen Dank. systematisch benachteiligt. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Horst Friedrich [F.D.P.]: Wir können doch nicht mehr ausgeben, Herr Kollege Schmidt! Lesen Sie doch einmal die Zahlen!) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Kollege Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). 40 Jahre lang wurden Strecken stillgelegt, hat man Bahnhöfe verfallen lassen und geschlossen, während gleichzeitig bis zum heutigen Tag Autostraßen für Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kol- Hunderte von Milliarden D-Mark aus öffentlichen leginnen und Kollegen! Herr Minister Wissmann, Sie Kassen finanziert worden sind. Erst dadurch ist doch versuchen, es zu verschleiern. Herr Kalb drückt es überhaupt der Nachholbedarf im Investitionsbereich wenigstens „kalbwahr" aus. Es nützt alles nichts: entstanden. Nun sagt die Regierung, die das über Dieser Verkehrshaushalt, so wie er vorliegt, ist der Jahrzehnte mit zu verantworten hat: Jetzt muß die dreiste und offene Versuch, die alte und bekannte Bahn aber einmal ein bißchen kurzertreten. - Das ist zynisch, das ist verlogen und bedroht den Erfolg der Vorrangpolitik zugunsten der Straße und zu Lasten der Schiene weiter zu zementieren, nichts anderes. Bahnreform in einer besonders kritischen Phase. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, und bei der PDS) bei der SPD und der PDS) Die Sonntagsreden vom Vorrang für die öffentlichen Zur unternehmerischen Verantwortung der Bahn, Verkehrsträger erweisen sich wieder einmal als leere Herr Kollege Friedrich: Der Vorstandsvorsitzende der Phrasen. Bahn AG, Heinz Dürr, hat nicht umsonst in der Sit- zung des Haushaltsausschusses das Schreckgespenst (Dr. [CDU/CSU]: Immer die einer Schrumpfbahn à la USA an die Wand gemalt. gleiche Tour!) Denn das Milliardenloch im Verkehrshaushalt ist nicht der Bahn AG, diesem jungen Unternehmen an- - Ja, das ist ja das Tragische: Wenn Sie immer die zulasten, sondern der verkehrten Finanz- und Ver- gleiche Politik machen, müssen wir immer die glei- kehrspolitik dieser Regierung. Die richtige Konse- che Kritik anbringen. quenz kann jetzt auch nicht heißen: Kürzen bei der (Beifall bei der SPD) Bahn. Vielmehr müssen wir vom Straßenbau zugun- sten der Schiene umschichten. Bereits im Juni schrillten im Hause Wissmann die Alarmglocken, als - übrigens wieder einmal durch ein (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gutachten des Bundesrechnungshofes - bekannt Das tut der Umwelt gut und entlastet den Bundes- wurde, daß die bisher gehandelten Zahlen für den im- haushalt. merhin größten Investivhaushalt des Bundes unhalt- bare Fiktionen darstellten. Insbesondere die Personal- Wir werden Ihnen in den Beratungen mit zahlrei- kosten der Bahn AG, für die der Bund ja auch nach chen Änderungsanträgen ausreichend Gelegenheit der Bahnreform über das Bundeseisenbahnvermögen geben, sich von einer ganzen Reihe verkehrspolitisch indirekt noch Verantwortung trägt, werden ab sofort entbehrlicher, ökologisch verheerender und im übri- und in den Folgejahren zu erheblich höheren Bela- gen sehr kostenexplosiver Straßenprojekte zu verab- stungen des Bundeshaushaltes führen, als noch in schieden, den Modellrechnungen von 1993/94 vorgesehen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Das Ergebnis war - man höre und staune -: Der SES 90/DIE GRÜNEN) noch druckfrische Dreijahresplan zum Schienenwe- z. B. Ihrem Lieblingskind, der A 20, der A 71 oder der geausbau war schon Makulatur, noch bevor er über- - A 73, die durch den Thüringer Wald geführt werden haupt beraten werden konnte. soll, und einigen anderen. Da kommen die Milliar- (Elke Ferner [SPD]: Ja, so ist das!) den, die man für die Bahn bräuchte, locker zusam- men. Das verspreche ich Ihnen schon heute. Nach einigem Hickhack zwischen Waigel und Wiss- mann haben wir nun einen Etat vorliegen, der zwar Zugleich sollten, meine ich, die Investitionsmittel auch im Straßenbau eine Kürzung in Höhe von bei der Bahn AG sinnvoll eingesetzt werden. Das 800 Millionen DM vornimmt, aber der umweltfreund- heißt für uns: nicht das ganze Geld auf zwei oder drei licheren Bahn satte 2,2 Milliarden DM - das ist ein Bolzstrecken zu vergraben, z. B. auf der ICE-Neu- Viertel des bisherigen Investivvolumens - glatt weg bautrasse Nürnberg-Erfurt, sondern das Schienen- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4177

Albert Schmidt (Hitzhofen) netz vor allem in der Fläche auszubauen. Im Nahver- Ich möchte Ihnen das an einem Beispiel vorrech- kehr sind nämlich mit Abstand die meisten Fahrgäste nen. Die umstrittene ICE-Neubautrasse Ingolstadt, unterwegs. Dort hat jede Mark, die investiert wird, die durch das Altmühltal führt, soll - so der Kabi- einen wesentlich höheren Nutzeneffekt als auf einer nettsbeschluß vom 5. Juli dieses Jahres - für 7 Mil- Superschnellstrecke. liarden DM gebaut werden. Sie soll durch ein priva- tes Bankenkonsortium vorfinanziert werden. Das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN läßt den Bundesfinanzminister zunächst einmal au- sowie bei Abgeordneten der SPD und der ßen vor. Nach Fertigstellung des Baus kommt aber PDS) der Hammer; denn dann verpflichtet sich der Bund - Vor diesen Konsequenzen aus der Finanznot drük- deswegen stehen all die schönen Verpflichtungser- ken Sie sich herum, Herr Minister, und zwar durch mächtigungen im Haushalt - diese Strecke über ei- miese Bilanz- und Finanztricks - anders kann ich es nen Zeitraum von 25 Jahren mit Jahresraten von 622 nicht nennen -, mit denen Sie das wahre Ausmaß des Millionen DM - das sind zusammen 15,6 Milliarden Desasters verkleistern wollen, z. B. durch den Hin- DM - auf Kosten der Steuerzahler und Steuerzahle- weis, die Bahn könne durch den Verkauf nicht mehr rinnen von morgen und übermorgen zurückzukau- benötigter Grundstücke zusätzliche Milliarden für fen. Das ist Privatfinanzierung, das ist Etiketten- Investitionen lockermachen. Abgesehen von der illu- schwindel, Herr Wissmann, sonst gar nichts. sionären Größenordnung, die hier ins Spiel gebracht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wird - im letzten Jahr waren es gerade 105 Millionen sowie bei Abgeordneten der SPD und der DM, die auf diese Weise hereingekommen sind -, ist PDS) das geplante Vorgehen schlicht unse riös; denn es soll eine neue Tochtergesellschaft der Bahn AG gegrün- Das ist ein fantastisches Geschäft für die Banken - det werden, die die Immobilien erwerben und das überdies völlig risikolos - und ein Draufzahlgeschäft Geld in jährlichen, appetitlichen Milliardenhäpp- für uns und unsere Kinder. Das erst kürzlich gebo- chen, unabhängig vom tatsächlichen Weiterverkauf rene Baby der Familie Waigel wird, wenn es in der Grundstücke, an den Bundesfinanzminister über- 18 Jahren zum erstenmal wird wählen dürfen, an weisen soll. Das einzige Problem dabei ist: Diese diesen Dingen, die ihm sein Papi damals einge- Tochtergesellschaft hat das Geld dafür überhaupt brockt hat, noch abzahlen müssen. Man darf ge- nicht. Was tut sie also? Sie finanziert über Bankkre- spannt sein, wie sich das auf die Wahlergebnisse dite vor. Wer bürgt für die Bankkredite? Der Bund. auswirken wird. Das ist nichts anderes als eine zusätzliche Staatsver- schuldung auf Umwegen. Ich würde nichts sagen, wenn es für etwas Sinnvol- les wäre. Aber 16 Milliarden DM für einen relativen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Fahrzeitgewinn von 11 Minuten - im Vergleich zum sowie bei Abgeordneten der PDS) Alternativausbau über Augsburg -, also 1,5 Mil- Der Bundesrechnungshof sagt dazu: Dies wird die liarden DM für jede Minute Fahrzeitgewinn, sind für langfristigen Finanzierungsprobleme nicht lösen, mich politisch nicht mehr vermittelbar. Das ist nicht sondern sogar noch verschärfen. mehr rational erklärbar. Da fällt mir nur noch ein: Ih- nen scheint es das Wichtigste zu sein, daß wir recht- Lassen Sie mich noch etwas zu dem geplanten zeitig vor dem ökologischen Abgrund noch schnell bzw. mittelfristig geprüften Verkauf von Bahnbe- die Höchstgeschwindigkeit erreichen. dienstetenwohnungen sagen. Das ist unrealistisch; denn die Bahnmitarbeiter und Bahnmitarbeiterinnen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind wegen des niedrigen Mietenniveaus an dem sowie bei Abgeordneten der PDS) Kauf überhaupt nicht interessiert. Es ist nicht nur ein Die Geschichte hat noch einen anderen Aspekt. Wortbruch gegenüber dem Bundestag - den Be- Offensichtlich hat der Bayer Theo Waigel seinem schluß habe ich vorhin bei der Zwischenfrage er- CSU-Spezl - Wahlkreis Ingolstadt - wähnt -, es geht auch hier nicht um den Konsens mit ein 16-Milliarden-Geschenk auf Kosten der Steuer- den Gewerkschaften, Herr Minister, sondern um den zahler und Steuerzahlerinnen gemacht. Ich bin ge- Konsens mit einem mit großer Mehrheit gefaßten Be- spannt, wie sich der Rest der Republik das gefallen schluß des Deutschen Bundestages. Den müssen Sie lassen wird. herstellen. Bei der Erschließung neuer Finanzquellen ist man Dieses Beispiel soll nicht nur belegen, wie unehr- lich der Bundesverkehrshaushalt in diesem Punkt in der Bundesregierung eben erfinderisch. argumentiert. Es soll auch zeigen, wie die Bundesre- (Birgit Homburger [F.D.P.]: Innovativ!) gierung verzichtet, Rahmenbedingungen zu setzen, und wie die Bundesregierung darauf verzichtet, vor Da gibt es z. B. die Privatfinanzierung. Elf der zwölf allem aus der enormen Kostenbelastung, die der dafür vorgesehenen Straßenprojekte stehen mittler- Verkehr verursacht, die Konsequenz zu ziehen und weile im Bundeshaushalt. Als dreizehntes kommt endlich eine Anlastung der externen Kosten im Ver- die ICE-Neubautrasse München-Ingolstadt-Nürn- kehrsbereich zu suchen, auf deutsch gesagt: über berg hinzu. Privatfinanzierung von Verkehrswegen die ökologische Steuerreform, über die Mineralöl- hört sich für unvoreingenommen zuhörende Men- steuer. schen erst einmal ganz interessant an. Aber was steckt dahinter? Das pure Gegenteil: eine giganti- Statt dessen, Herr Wissmann, preisen Sie landauf sche Mehrbelastung. landab die Telematik als das Allheilmittel gegen 4178 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995

Albert Schmidt (Hitzhofen) alles, was Probleme macht: gegen den Stau, gegen Defizit im Verkehrshaushalt mit 17 Millionen DM das Ozon, gegen den LKW-Verkehr, gegen Fuß- beim Transrapid zu suchen, während ich mich um schweiß und Haarausfall und was weiß ich. Das ist das große Thema Bahn mit 30 Milliarden DM inner- nicht Politik, das ist in meinen Augen Quacksalberei. halb des Verkehrshaushaltes kümmere.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS (Hans Georg Wagner [SPD]: Da bin ich be SES 90/DIE GRÜNEN) ruhigt!) Sie verzichten mit der stupiden Selbstverliebtheit eines immer noch gläubigen Technokraten auf politi- Die Erfolgschancen sind bei mir wahrscheinlich be- sche Gestaltungsmöglichkeiten und überlassen die deutend größer als bei Ihnen. Das ist der Unter- Politik diesen unbefugten Kuhhändlern, diesen Stoi- schied. bers, diesen Schröders und den Automobilmanagern, die in irgendwelchen konspirativen Treffs ausma- Das Problem des Verkehrshaushaltes ist, daß er lei- chen, was in der Verkehrspolitik wirklich Sache ist. der Gottes im investiven Teil deutlich unter 50 % ge- Sie sitzen dabei oder nicht dabei und gucken zu. So sunken ist. Die Tendenz geht eher zu 40 %. Es ist ei- schaut es aus. nes der feststehenden Kriterien, daß Deutschland nicht nur von der Autoproduktion sehr abhängig ist, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sondern daß eine Milliarde DM investiver Mittel im sowie bei Abgeordneten der PDS) Verkehrshaushalt schätzungsweise 13 000 Arbeits- plätze in der Bauindustrie mittel- und unmittelbar be- Ich komme zum Schluß. einflussen, und zwar im positiven wie im negativen Sinne. Unter diesem Gesichtspunkt muß der Ver- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das wird auch kehrshaushalt gesehen werden. höchste Zeit. Daß er auf Grund der Eckdaten der Koalition - Be- grenzung der Neuverschuldung, absolutes Volumen Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE des Haushaltes - nicht ungeschoren davonkommen GRÜNEN): Mein letzter Satz: Es geht nicht um die konnte, war ebenfalls klar. Ich kann nun so wie Sie intelligente oder noch intelligentere Straße. Es geht im Verkehrsausschuß die Streichung von einer M il auch nicht nur um intelligente Technik. Was wir in -liarde DM für Straßenbaumaßnahmen betreiben, diesem Land brauchen, ist vor allem eine intel ligente aber vor Ort erklären, ich werde dafür sorgen, daß Verkehrspolitik und dazu vielleicht einen intelligen- die Ortsumgehung morgen mit absoluter Priorität in ten Minister oder noch besser eine intel ligente Mini- den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen wird. sterin. Aber das ist von dieser Regierung vielleicht zu So kann man es machen; nur löst das nicht die Pro- viel verlangt. bleme. Danke schön. Man muß da anfangen, wo Problemlösungen not- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so wendig sind. Dabei muß man auch, lieber Kollege wie bei Abgeordneten der SPD und der PDS) Schmidt, die unternehmerische Verantwortung der Bahn ernsthaft hinterfragen. Ich habe vorhin schon gesagt: 30 Millarden DM - das sind mehr als 60 % Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der des gesamten Haushaltes - gehen in die Bahn: Perso- Kollege Friedrich (F.D.P.). nalüberleitung, Rückstand der Deutschen Reichs- bahn, Beseitigung von ökologischen Altlasten, Neu- strukturierung des Netzes in der Deutschen Reichs- Horst Friedrich (F.D.P.): Herr Präsident! Liebe Kol- bahn und ähnliches. leginnen und Kollegen! Es steht mir nicht zu, dazu etwas zu sagen, weil die F.D.P. noch keinen Minister- Es gibt ein Gutachten des Bundesrechnungshofes, präsidenten in den Ländern stellt. in dem gesagt wird: Die Bahn gibt mehr Personal zu (Lachen bei der SPD) Lasten des Bundes, als in der mittleren Finanzpla- nung vorgesehen ist. Es gibt aber auch Stimmen, die Einen Ministerpräsidenten als Kuhhändler zu be- behaupten, durch die Einschaltung des Eisenbahn- zeichnen, ist schon ein starkes Stück. Soviel zum Stil bundesamtes würden sich die Verfahren nicht ver- der Debatte. kürzen, sondern verlängern. - Daß die Debatten über den Verkehrshaushalt in Es ist auch eine feststehende Tatsache, daß die diesem Jahr kein Honigschlecken sein würden, Bahn im Jahre 1994 den ihr im Haushalt ausgewiese- konnte man nicht nur den Zeitungen entnehmen; das nen investiven Bedarf von rund 10 Milliarden DM war eigentlich jedem, der ein bißchen rechnen kann nicht ausgegeben hat. 2 Milliarden DM sind effektiv - das können Betriebswirte normalerweise -, schon nicht verbaut worden, 1 Milliarde mußte zurückge vorher klar. geben werden, und eine konnte durch Vorgriff ge- (Hans Georg Wagner [SPD]: Lieber hellsehen?) nommen werden. Lieber Herr Wagner, der Unterschied zwischen Ih- Leider Gottes, lieber Kollege Schmidt, wird sie nen und mir besteht darin, daß Sie versuchen, das trotz feststehender Planungen wahrscheinlich auch Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4179

Horst Friedrich 1995 nicht in der Lage sein, die investiven Mittel aus- Langfristig passen sich die Arbeitsplätze dem Bedarf zugeben. an. Wer vorher Monopolist war und es nicht mehr ist, reduziert die Arbeitsplätze, und die anderen werden (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ genau den Personalanteil aufbauen, den sie brau- DIE GRÜNEN]: Ein zweites Mal wird das chen, um den Andrang zu bewältigen, der auf sie zu- nicht passieren!) kommt. Es ist Tatsache - auch das kann man nicht einfach wegdebattieren -, daß der Verkehrsträger Schiene Was die Bahn angeht, gibt es ein schon lange be- auf einem Drittel seines gesamten Netzes fast 80 % stehendes Dilemma. Es ist von mir schon vielfach ge- des gesamten Schienenverkehrs abwickelt. Man nannt und von anderen immer wieder belächelt wor- muß darüber nachdenken, ob nicht durch intelligen- den. Die Bahnbus-Holding ist einmal mit dem Auf- tere Organisation des Schienenverkehrs bei be- trag gegründet worden, die Bahnbusgesellschaften stehenden Strecken ein deutlich größerer Anteil des zu verkaufen. Davon hört keiner mehr etwas. Alle Verkehrs auf die Schiene umgelegt werden kann. Es wundern sich, daß die F.D.P entsprechende Forde- kursiert ja in der Bahn ein Plan „Netz 21", der genau rungen stellt. Nach wie vor gibt es eine einzige ver- dies umsetzen soll. Man muß da anfangen. kaufte private Bahnbusgesellschaft - mit glänzenden Erfolgen, weil man sie endlich agieren läßt. Eines hat der Haushalt natürlich auch an sich: Der Zwang, stärker über Privatisierung nachzudenken Es ist nicht so, daß der Nahverkehr im jetzigen und sie weiter konsequent zu verfolgen, verstärkt Haushalt extrem belastet oder nachteilig behandelt sich natürlich. worden wäre. Wir haben nach wie vor 6,3 Milliarden DM im Rahmen des GVFG vorgesehen. Wir geben (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ für die Bahn, wenn ich alles, auch die Ausgleichszah- DIE GRÜNEN]: Aber echte Privatisierung!) lungen, was den Nahverkehr angeht, zusammen- - Freilich: Echte Privatisierung. - Wir haben die Luft- zähle, mittlerweile rd. 17 Milliarden DM aus. Dies hansa Gott sei Dank endlich zu einem Unternehmen steigt bis zur Jahrtausendwende auf 20 Milliarden gemacht, das sich am Markt gerieren kann. Was ist DM. Im Nahverkehr war noch nie soviel Geld vor- der Erfolg? Wir haben die Flugsicherung gegen viele handen. Widerstände privatisiert. Allein durch die bessere Or- ganisation der Flugsicherung ist die Lufthansa in der (Zuruf der Abg. Elke Ferner [SPD]) Lage, jährlich 25 Millionen DM positiv zum Ergebnis Das Problem dabei ist, liebe Kollegin Ferner, ob die beizutragen, weil die Pünktlichkeitsrate des inner- Landesregierungen und die Ministerpräsidenten das deutschen Flugverkehrs die der Schiene mittlerweile Geld, das zunächst sie kassieren, tatsächlich nach fast übertrifft. Das ist aber eine Folge der konsequen- unten an die Verantwortungsträger weitergeben. Es ten Privatisierung. Wir haben weniger Fluglotsen, nützt uns nämlich überhaupt nichts - da ist die SPD obwohl wir private und militärische Fluglotsen zu- genauso gefordert -, wenn das Geld vom Bund brav sammengeführt haben, und sind in der Leistung bes- an die Länder gezahlt wird und dort beim Finanzmi- ser. Zudem finanzieren sie sich über Gebühren, die nister versickert, aber die Aufgaben nach unten ver- vom Nutzer zu zahlen sind. Besser und intelligenter lagert werden. Dann ändert sich am Nahverkehr kann man es eigentlich nicht machen. Auch die Bahn nämlich nichts. Er bleibt weiterhin so, wie er ist. Er muß sich da, wo man es macht, zumindest fragen las- kostet nur mehr Geld; aber das bleibt in den Landes- sen. töpfen. Genau das darf es auch nicht sein. (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Auch die Bodenverkehrs (Beifall bei der F.D.P.) dienste! Das ist das nächste; das steht an!) Weil wir schon beim Transrapid waren - ich habe - Das Thema Bodenverkehrsdienste steht an. Es ist es vorhin schon gesagt -: Mich wundert immer wie- etwas Schärfe herausgenommen, lieber Kollege der, mit welcher Ignoranz manche Leute den Haus- Schmidt, weil sich die Lufthansa mit der FAG in haltsansatz gelesen haben, wenn sie ihn überhaupt einem langjährigen Vertrag geeinigt hat. gelesen haben. Kollege Metzger hat heute vormittag erklärt, bei der Bahn werde zu Lasten des Transrapid Ich habe überhaupt nichts gegen die Öffnung der gekürzt. Ich kann es noch einmal sagen: Definitiv Märkte. Wettbewerb ist etwas Schönes - dann, wenn stehen 17 Millionen DM drin. er unter gleichen Wettbewerbsbedingungen stattfin- det. Ich glaube, wir sind uns einig, daß es, was Bo- (Elke Ferner [SPD]: In welchem Haushalt?) denverkehrsdienste angeht, deutlich geschlossenere Geschäfte gibt als ausgerechnet den in Frankfurt. Ob das der Bahn im positiven oder negativen Sinne - Fangen Sie einmal in Spanien an! Da habe ich 100 % hilft, möchte ich nicht beurteilen. Selbst die in der Closed Shop. Da kann ich als Lufthansa nicht anf an längerfristigen Finanzplanung vorgesehenen Mittel reichen nicht aus, die Kürzungen zu kompensieren. -gen, auf der Bodenseite abzufertigen; ich muß die Iberia nutzen.

Das ist schon lange möglich. Über diese Themen Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege sollte man nachdenken. Zudem muß erst einmal klar Friedrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage? sein, daß ein wie auch immer gearteter Mitbewerber es besser macht und daß vor allen Dingen der be- hauptete Arbeitsplatzeffekt eintritt. Ich habe gelernt: Horst Friedrich (F.D.P.): Gerne. 4180 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995

Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE Ihre Frage beantwortet wird, müssen Sie dem Redner GRÜNEN): Herr Kollege Fried rich, die Zwischen- wenigstens Ihr Gesicht zuwenden. frage bezieht sich auf das Stichwort Transrapid. (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ (Horst Friedrich [F.D.P.]: Au ja! - Heiterkeit DIE GRÜNEN]: Er antwortet noch immer? - Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Ich stehe auf!) Jetzt sagen Sie, daß Sie dagegen sind!) - Sie müssen darauf achten. - Nein. Das sage ich nicht. Es ist auch keine Nach- Jetzt können Sie sich wieder setzen. richt, sondern etwas ganz anderes. Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? Herr Kollege, wie finden Sie die Aussage Ihres Par- teifreundes Heinrich von Lersner, des von mir sehr (F.D.P.): Ja, gerne. geschätzten scheidenden Präsidenten des Umwelt- Horst Friedrich bundesamtes - ich zitiere wörtlich -: „Der Transrapid ist überflüssig wie ein Kropf."? Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte, Frau Mat- thäus-Maier. (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: In welcher Funktion hat er das gesagt? - Zuruf von der CDU/CSU: Er hat keine politische Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Herr Kollege, ich Verantwortung mehr!) halte den Transrapid - das sage ich heute übrigens nicht zum erstenmal - wirklich für ein technisches Wunderwerk - das ist vielleicht etwas übertrieben -, Horst Friedrich (F.D.P.): Es steht mir nicht an, diese für eine Meisterleistung moderner Technologie und Aussage zu kommentieren. Tatsache ist, daß die unterstütze ihn ausdrücklich. Wollen Sie bitte zur Entscheidungsgremien der F.D.P., die 100. Frak- Kenntnis nehmen, daß ich deswegen gegen den tionsvorsitzendenkonferenz in Berlin einstimmig und Transrapid bin: Wenn er eine solche Meisterleistung die Fraktion mit großer Mehrheit bei zwei Gegen- ist, warum sind die Parteien, die Tag und Nacht von stimmen, den Transrapid - aus meiner Sicht: Gott sei Privatisierung reden, dagegen, ihn privat zu finanzie- Dank - positiv beschieden haben, weil das endlich ren? einmal wieder eine Technik ist, die in Deutschland (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ erfunden worden ist und die in Deutschland umge- DIE GRÜNEN - Dr. Wolfgang Weng [Ger- setzt werden kann. Das ist doch das eigentliche lingen] [F.D.P.]: Wer ist dagegen?) Thema.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Horst Friedrich (F.D.P.): Sie haben vorhin vom Kol- Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ legen Schmidt etwas zur Privatfinanzierung gehört. NEN) Er hat dabei das Konzessionsmodell angesprochen, das erkennbar keine Privatfinanzierung ist. Wir ma- Es gibt einen, was die Parteizugehörigkeit angeht, chen beim Transrapid genau das, was wir auch bei vollkommen harmlosen Protagonisten, Herr Kollege der Schiene machen: Der Bund finanziert den Fahr- Schmidt. Der vielgeschätzte, hochverehrte Kollege weg vor, und dann wird er vom Nutzer und Betreiber langjähriger verkehrspoliti- Klaus Daubertshäuser, - das ist in diesem Fall ausschließlich die private Be- scher Sprecher der SPD, hat ein Buch geschrieben, in triebsgesellschaft - in jährlichen Abschreibungsraten dem alles, was zum Transrapid zu sagen ist, zu lesen zurückgezahlt. ist. Besser kann man es nicht auf Papier bringen. (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ (Elke Ferner [SPD]: Die letzten Bundestags DIE GRÜNEN]: Nein, nein! Nicht beim reden verschweigen Sie!) Transrapid!) Man muß nur den Mut haben, liebe Kollegin Elke Das gleiche System gilt für die Schiene. Ferner, das umzusetzen, wenn es soweit ist. (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ Sie wollten den Transrapid als Fernverkehrsmittel DIE GRÜNEN]: Da sind Sie falsch infor- zu einem Nahverkehrsmittel verkrüppeln lassen. Die miert!) Vorschläge, die Sie gemacht haben, sind nicht ernst- haft gemeint. Warum ist denn der Betriebsratsvorsit- - Lesen Sie doch einmal die Beschlüsse, die Berech- zende von Thyssen Henschel in Kassel aus der SPD nungen und das, was wir alles festgelegt haben! ausgetreten? Denken Sie doch einmal über Ihre eige- Dann werden Sie mir zustimmen, daß das in genau nen Aussagen nach, und lesen Sie, was Klaus Dau- dieser Form funktioniert. - bertshäuser in seinem Buch geschrieben hat! Ich (Beifall bei der CDU/CSU) gebe allerdings zu: Das war schon 1988. (Elke Ferner [SPD]: Bleiben Sie bei der Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Gestatten Sie Wahrheit!) noch eine Zwischenfrage? Die Uhr wird angehalten.

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Einen Augen- Horst Friedrich (F.D.P.): Ich sehe es. Ja, bitte. blick, Herr Kollege Friedrich. - Herr Kollege Schmidt, wenn Sie schon nicht stehen bleiben, wenn Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4181

Elke Ferner (SPD): Könnten Sie der staunenden Öf- Eines zeigt die Historie allerdings auch: Bei neuer fentlichkeit und den Kolleginnen und Kollegen hier Technik, bei entsprechender Leistung wird das auch im Plenum erklären, welche Konditionen bei der so- angenommen; erst recht überall da, wo es dann noch genannten Refinanzierung durch den späteren Be- stimmig in die anderen Verkehrsträger eingebunden treiber - wer immer das sein wird - zugrunde gelegt ist - daran arbeiten wir - und der Umstieg möglich werden, wenn man schon daran denkt, für den 97er ist. Deswegen ist auch die Behauptung, daß die Haushalt erkleckliche Beträge auch aus anderen Be- Strecke teurer oder weniger teurer wird, wenn mehr reichen zur Verfügung zu stellen? oder weniger fahren, natürlich nur eine Scheinbe- hauptung. Die Strecke von Hamburg nach Berlin hat eine bestimmte Länge. Die Fahrstrecke, die darauf Horst Friedrich (F.D.P.): Sie wissen genau, verehrte Kollegin Ferner, daß mit dem Betreiber, den Betrei- gebaut wird, kostet den Betrag X nach den Bauko- bergesellschaften, eine jährliche Rückzahlungsrate sten. Ob eine Million oder 10 Millionen fahren, ist festgelegt worden ist, und zwar für den Fall, daß die der Strecke relativ egal, denn sie ist genau 285 km Technik in Betrieb geht. Das kann dann mehr wer- lang. Das sind die eigentlichen Kosten der Situation. den, wenn sich die Fahrgastzahlen entsprechend entwickeln. Das steht in den Verträgen definitiv Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege schwarz auf weiß. Friedrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kol- legen Koppelin? (Eckart Kuhlwein [SPD]: Und wenn nicht? - Elke Ferner [SPD]: Und im umgekehrten Fall?) Horst Friedrich (F.D.P.): Ja. - Dann gilt die Mindestsumme der Zurückzahlung. So steht es in den Verträgen. Jürgen Koppelin (F.D.P.): Herr Kollege Friedrich, könnten Sie vielleicht dem staunenden Publikum er- (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ zählen, warum die rot-grüne hessische Landesregie- DIE GRÜNEN]: Nein! Das stimmt nicht!) rung dem Transrapid zugestimmt hat? - Es gibt einen Teil der Kollegen, die grundsätzlich (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ dagegen sind, weil es eine neue Technik ist. Sie le- DIE GRÜNEN]: Weil's blöd san!) sen nicht, was in den Unterlagen steht. Aber das nützt ja nichts. Es ist eben so. Horst Friedrich (F.D.P.): Das habe ich vorhin in ei- nem Zwischensatz schon erwähnt. Es gibt auch in Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege, ge- Hessen Arbeitsplatzsituationen. In Hessen ist näm- statten Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin lich der Hauptbauer dieser Technik. Ich habe vorhin Franziska Eichstädt-Bohlig? schon angedeutet, daß der Bet riebsratsvorsitzende von Thyssen Henschel in Kassel wegen der Haltung Horst Friedrich (F.D.P.): Wenn es den Ablauf nicht der SPD zum Transrapid aus der SPD ausgetreten ist. stört, gerne. (Hans Georg Wagner [SPD]: Er ist aber wie- der eingetreten!) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte schön. - Nachdem jetzt Hessen zugestimmt hat, ist er wahr- scheinlich wieder eingetreten. Doch das macht Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE nichts. Er hat ein Zeichen gesetzt. GRÜNEN): Danke schön. - Ich möchte zu den Fahr- gastzahlen fragen, ob Sie oder ein anderer ernsthaf- ter Experte glauben, daß zwischen Hamburg und Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Gestatten Sie Berlin täglich 40 000 Menschen hin- und herpendeln, eine Zwischenfrage des Kollegen Kuhlwein? und ob Sie dazu vielleicht ein Beschäftigungsprojekt einrichten wollen, das Herr Blüm seinerseits finan- Horst Friedrich (F.D.P.): Ja. Jetzt kommt die schön- ziert? ste. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN) Eckart Kuhlwein (SPD): Herr Kollege F riedrich, ist Ihnen bekannt, daß nach Aussagen des Bundesver- kehrsministers vor etwa einem Jahr in Hamburg auf Horst Friedrich (F.D.P.): Das Niveau der Zwischen- einer Tagung im gesamten ICE-Netz der Bundesre- frage spricht für sich. Man kann auf die neuen Tech- - niken zurückblicken, die eingeführt sind, und die publik Deutschland, also bei unserem modernsten schienengebundenen Verkehrsträger, 65 000 Passa- Prognosezahlen vergleichen. Ich nenne den TGV von Paris nach Lyon. Schauen Sie sich an, welche giere am Tag zu zählen sind? Wie können Sie sich Zahlen für ihn prognostizie rt worden sind! Schauen vorstellen, daß mit der Sucht nach dem Transrapid in Sie sich einmal an, was tatsächlich jetzt do rt auf der Zukunft allein zwischen Hamburg und Berlin 40 000 Schiene transportiert wird! Das ist um ein Zigfaches Passagiere täglich auf den Transrapid entfallen wer- mehr als das, was prognostiziert worden ist. Nie- den? mand kann - das gebe ich sicher zu - jetzt genau auf Heller, Pfennig und Kopf sagen, wie viele Leute von Horst Friedrich (F.D.P.): Das gesamte ICE-Netz in Hamburg nach Berlin fahren. Deutschland ist zwischen Hamburg und Stuttgart 4182 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995

Horst Friedrich und zwischen Würzburg und Hannover. Da kann es Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuß nicht viel her sein; denn nur da kann der ICE seine und danke sehr für die Aufmerksamkeit. tatsächlichen Vorteile ausfahren. Der Rest ist das nor- male Schienennetz. Wenn wir die ICE-Trassen, die (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- wir geplant haben, umsetzen, wird auch da etwas ten der CDU/CSU und des Abg. Albe rt mehr Verkehr rollen. Warum soll nicht zwischen Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE Hamburg und Berlin irgendwann einmal eine tägli- GRÜNEN] - Albert Schmidt [Hitzhofen] che Verkehrsmenge von 40 Millionen Menschen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war sehr transportiert werden? unterhaltsam!) (Lachen bei der SPD - Hans Georg Wagner Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die [SPD]: Die halbe Republik!) Kollegin Dr. Enkelmann, PDS. - Jährliche; Entschuldigung. Dr. Dagmar Enkelmann (PDS): Herr Präsident! Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich wäre dank- Meine Damen und Herren! Ich möchte das Rätsel um bar, wenn jetzt wieder etwas Ruhe einkehren würde. die Fahrgastzahlen beim Transrapid aufklären: In der Versprechen kann sich jeder einmal. Anhörung im vergangenen Jahr ist u. a. der umwer- fende Hinweis gegeben worden, dann könnten end- lich die Leute von Berlin nach Hamburg in die Oper Horst Friedrich (F.D.P.): Wissen Sie, liebe Kollegin fahren. So kommen die Fahrgastzahlen zustande. Matthäus-Maier, es gibt ein Unternehmen, das sich Privatwirtschaftliche Gesellschaft für Planung nennt. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Daher kom- Diese hat einmal eine Berechnung erstellt, und dabei men die 40 Millionen!) war es in sich stimmig. Dieselbe Gesellschaft hat es - Dann kommen wir irgendwann auf 40 Millionen. dann kurzfristig widerrufen. Jetzt hat sie wieder ge- sagt, es sei doch möglich. Ich mache mich nicht Herr Verkehrsminister, Ihr Haushalt ist eine ver- schlauer als diese Verkehrsexperten. Das gebe ich kehrspolitische Kapitulationserklärung. zu. Nur, irgend etwas muß daran sein, wenn die das (Horst Friedri einmal berechnet haben. ch [F.D.P.]: Für Krieg ist der Verteidigungsminister zuständig!) (Lachen bei der SPD) Von einer Wende hin zu einem ökologisch integrier- - Ich glaube gerne, daß Sie bestimmten Berechnun- ten Gesamtverkehrskonzept sind wir weiter denn je gen nicht glauben, wenn sie nicht von Ihnen sind. entfernt. Die Maßnahmen, über die Sie vorhin ge- Ich glaube keiner Statistik, die ich nicht selber ge- sprochen haben, sind, entschuldigen Sie bitte, Pea- fälscht habe. nuts. Das ändert nichts an der Tatsache, daß Verkehrs- Die gebetsmühlenartige Wiederholung von Aussa- wissenschaftler, die bisher Verkehrsplanungen gen erhöht nicht deren Wahrheitsgehalt. Sie können durchgeführt haben, dies seriös untersucht haben. hier noch so oft erklären, die Schiene habe eindeu- Sie können sich täuschen. Sie können sich auch im tige Priorität, die Fakten und gerade auch dieser positiven Sinne getäuscht haben. Vielleicht sind es Haushalt belegen genau das Gegenteil. auch noch mehr. Sie sprechen von einem erfolgreichen Beitrag zum (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ Sparen. Das ist wohl wahr, Herr Kollege Wissmann. DIE GRÜNEN]: Wir machen doch der Bahn Nur sparen Sie genau an der falschen Stelle. damit Konkurrenz!) (Beifall des Abg. Albe rt Schmidt [Hitzhofen] - Ich würde empfehlen: Ich gebe einen Termin aus. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir machen dann ein Privatissimum zum Transrapid. Ihr Rotstift, Herr Minister, trifft wiederum die Bahn Das ist dann sehr umfangreich. am empfindlichsten. Die Ausgaben für Investitionen sollen dort um mehr als zwei Milliarden DM gekürzt Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich bitte, daß und damit auf das Niveau von 1994 begrenzt wer- jetzt in der Debatte fortgefahren wird. den. Der Straßenbau soll lediglich auf 750 Millionen DM verzichten. Irgendwie spekulieren Sie immer noch mit diversen Versuchen von Modellen privater (F.D.P.): Ich bekomme gerade ei- Horst Friedrich Finanzierung, um diese Lücke zu schließen. Das nen Zwischenruf zum Ministerpräsidenten von Nie- Nachsehen hat wieder einmal die Bahn. Nun gehörte dersachsen, was die Modernität angeht. Ich will das, die PDS zu den wenigen hier im Haus, die das Kon- was heute vormittag zitiert worden ist, nicht wieder- zept der Bahnreform so, wie es hier vorgelegen hat, holen. Ich will nur einen Hinweis geben: Wir werden abgelehnt haben. Inzwischen hat sich eine ganze gemeinsam in der Koalition auch noch einmal überle- Reihe unserer Argumente - leider, so muß ich sagen - gen müssen, ob die geplanten Finanzbeihilfen für bestätigt. die Seeschiffahrt nicht unter Umständen im Haushalt wieder in die Regionen gebracht werden können, die Einig waren wir uns 1993 u. a. darüber, daß die geplant waren, um eine Planungssicherheit zu ge- Bahn über längere Zeit ein Sanierungsfall bleiben ben. Der Ausgleich muß im Einzelplan 12 erfolgen. werde. Das haben wir bestätigt und gesagt: Insoweit Wir sollten zumindest den Versuch unternehmen. wird sich die Privatisierung schrittweise vollziehen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4183

Dr. Dagmar Enkelmann Zumindest verbal sollte die Bahn die gleichen Wett- daß immer wieder die private Organisationsstruktur bewerbschancen wie andere Verkehrsträger erhal- der Bahn betont wird, also private Wirtschaftsfüh- ten. Inzwischen aber sind die Finanzmittel für die DB rung angemahnt wird, und gleichzeitig - sozusagen AG zur Verhandlungsmasse verkommen, mit der staatlich, dirigistisch - in deren Haushalt eingegrif- man je nach aktueller Haushaltslage hin und her fen wird. Ja, die Bahn wird im Grunde genommen als jonglieren kann. Melkkuh mißbraucht.

Bis 1999 stehen der Bahn fünf Milliarden DM weni- (Horst Friedrich [F.D.P.]: Mein Gott!) ger, als ursprünglich vorgesehen, zur Verfügung. Genau da ist die Privatisierung inkonsequent. Sind Dringend notwendige Sanierungs- und Modernisie- z. B. Gelder - das hat vorhin schon eine Rolle ge- rungsmaßnahmen sind damit akut gefährdet. Von ei- ner wirklichen Bahnreform kann heute wohl nicht spielt - bis zum Jahresende nicht abgerufen, hat der Finanzminister sofort seine Hand darauf und verteilt mehr ernsthaft die Rede sein. Der Schwarze Peter wurde erfolgreich der Bahn zugeschoben. Sie muß großzügig um. Ich denke, in diesem Punkt sind Rege- lungen längst überfällig, die sichern, daß die Mittel, nun allein eine über Jahrzehnte verfehlte, weil ein- in den Haushalt eingestellt wer- seitig auf die Straße orientierte, Verkehrspolitik aus- die für Investitionen den, tatsächlich für Investitionen gebraucht werden. baden. Die Folgen: Streckenstillegungen in großem Umfang - ach, das heißt jetzt Neustrukturierung des Ich weiß, daß sich der Haushaltsausschuß u. a. mit ei- Netzes, hat Herr Kollege Fried rich vorhin gesagt -, ner Lösung beschäftigt hat, bei der Mittel übertragen Schließungen von Bahnhöfen, drastische Kürzungen werden können, wie es bei einem p rivaten Unterneh- men möglich ist und auch tatsächlich der Fall ist. Ge- im Servicebereich und Massenentlassungen insbe- sondere unter den Beschäftigten der ehemaligen nau hier tut sich der Widerspruch auf. Reichsbahn. Hier geht gerade der Nahverkehr Stück Dieser Haushalt ist eine klare Absage an eine für Stück den Bach runter. Wende in der Verkehrspolitik. Herr Minister Wiss- mann hat meines Erachtens den Fight im Kabinetts- Sicher wird die Bahn auch in den nächsten Mona- ring verloren. Er sollte das Handtuch werfen. ten prüfen müssen, ob tatsächlich alle Projekte für In- frastrukturinvestitionen auf strikter Wirtschaftlich- Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. keit basieren. Renommierte Verkehrsplanerinnen und Verkehrsplaner haben inzwischen berechnet, (Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/ daß man hier mehr als 20 Milliarden DM einsparen DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der könne, u. a. durch den Verzicht auf Großprojekte SPD) oder durch den Einsatz von Neigetechnik und an- dere Maßnahmen. Diese Mittel könnten dann sinn- voller in den Ausbau des Nahverkehrs, in Lärm- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die schutzmaßnahmen an Bahnstrecken oder in moderne Kollegin Mattischeck, SPD-Fraktion. Sicherheitssysteme fließen.

Nach wie vor steht eine endgültige Entscheidung Heide Mattischeck (SPD): Herr Präsident! Meine über die Frage aus, wer nicht bahnnotwendige Im- lieben Kolleginnen und Kollegen! Die jährlichen Haushaltsberatungen sind immer auch Stunden der mobilien verwertet. Die Übertragung der Verwer- tung in die Verantwortung der DB AG wäre eine an- Wahrheit. Daran können Sie nicht vorbei und daran nehmbare Lösung, wenn damit die Auflage verbun- können wir nicht vorbei. den wäre, daß die Erlöse für Investitionen der Bahn (Dr. Max Stadler [F.D.P.]: Aber auch Stun- zur Verfügung stehen müssen. Diese Aufgabe dem den der Klarheit!) Bund zu übertragen, auf welchen Schleichwegen auch immer, hieße Waigels große Taschen zu füllen, Herr Wissmann, auch Sie mußten hinnehmen, daß in denen das Geld dann auf Nimmerwiedersehen hier ein wenig abgespeckt wurde, wenn ich das ein- verschwinden würde. mal etwas untertreibend sagen darf. Der Finanzmi- nister hat natürlich angesichts der hohen Verschul- (Horst Friedrich [F.D.P.]: Beschlußlage im dungen und der drückenden Zinslast überhaupt Haushalt!) keine andere Wahl. Das ist einsichtig. Dem Verkehrs- minister kann das nicht gefallen. Zu hochfliegend Der Bahn blieben höchstens ein paar Appetithäpp- sind und waren seine Pläne und vor allen Dingen die chen. seines Vorgängers. Das vergißt man leicht. Sie haben in diesem Fall eine große Erblast übernehmen müs- Immerhin hat der Finanzminister schon bei den Im- sen. Auch die Mitglieder der Koalitionsfraktionen ha- mobilien der Reichsbahn kräftig zugelangt, die ihm ben sehr viele Versprechungen vor Ort gemacht. per Einigungsvertrag zugeteilt wurden. Da sind wohl Diese sind natürlich jetzt sehr schwer einzuhalten. berechtigte Zweifel an den Aussagen des Kollegen Man muß nun kleine Brötchen backen. Wissmann angebracht. Was nun allerdings über- haupt nicht funktioniert, ist - insofern ist die ganze Ich habe jüngst ein typisches Beispiel erlebt. Ich Privatisierung fraglich -, war in meinem Urlaub auf der schönen Insel Rügen. Herr Bohl war dort dienstlich unterwegs. Das finde (Horst Friedrich [F.D.P.]: Die ist gar nicht ich auch ganz prima. Aber er hat den Rüganern ver- fraglich!) sprochen, es werde in absehbarer Zeit ein zweiter 4184 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 Heide Mattischeck Rügendamm gebaut werden. Ich sehe noch nicht ein- Wo bleiben Ihre Vorschläge, wo bleiben Ihre Kon- mal den ersten Rügendamm im Bau. Ich meine, das zepte in diesem Bereich? ist die Art von Politik, die Politikverdrossenheit er- zeugt. (Birgit Homburger [F.D.P.]: Was machen die Sicherheitsstandards?) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ - Es ist gut, daß Sie mir das Stichwort geben. Ich DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der hätte es sonst der Kürze zum Opfer fallen lassen. PDS) Hier gilt natürlich, was in anderem Zusammenhang schon häufig gesagt worden ist: Wir haben im euro- Schon als der Bundesverkehrswegeplan im Jahre päischen Rahmen immer wieder ein allgemeines 1993 gegen unsere Stimmen verabschiedet wurde, Tempolimit gefordert. Wo sind Ihre Initiativen für ein haben wir nachdrücklich davor gewarnt, Erwartun- solches Tempolimit? gen zu wecken, von denen wir bereits wußten, daß sie der harten finanziellen Realität nicht standhalten (Beifall bei der SPD) würden. Wir sehen uns darin vollends bestätigt.

Ich sage das durchaus ohne Schadenfreude, die Vizepräsidentin Dr. : Frau Kollegin, man vielleicht unterstellen könnte; denn wir wissen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten daß damit sehr viele Enttäuschungen von Menschen Wissmann? verknüpft sind, die an Straßen wohnen, wo dringend Umgehungsstraßen benötigt werden. Diese werden Heide Mattischeck (SPD): Ja, gerne. auf Jahre, ja vielleicht auf den Sankt-Nimmerleins- Tag verschoben. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Bitte. Nun fallen die Kürzungen beim Straßenbau mit 734 Millionen DM noch relativ gering aus. Das ist Matthias Wissmann (CDU/CSU): Frau Kollegin, schon gesagt worden. Für 1996 bedeutet das je- darf ich die Gelegenheit nutzen, wenn ich hier sitze, doch, daß etwa 40 geplante Straßenbauprojekte durch eine Frage Ihren vorherigen Punkt aufzugrei- nicht begonnen werden können. Dazu gehören in fen, und darf ich Ihnen mitteilen, daß wir nach sorg- erster Linie Projekte, die ich schon nannte: Ortsum- fältiger Überprüfung eine Reduzierung der Ausbau- gehungen, die ganz, ganz dringend notwendig sind standards bei Straßen und Schienenwegen auf ein und die viele von Ihnen den Bürgerinnen und Bür- europäisches Normalmaß bereits Anfang des Jahres gern versprochen haben. Daß' liegt nicht etwa 1994 durchgesetzt und damit Ihrer Anregung, die ich daran, Herr Wissmann, daß wir nur Kürzungen hin- für wichtig halte, entsprochen haben, weil wir uns in nehmen müssen, was in dieser Situation ganz nor- einer Zeit knapper Kassen nicht Luxusstandards er- mal ist. lauben können, die in anderen Ländern selbstver- ständlich nicht praktiziert werden, und darf ich Sie (Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. Antje Voll fragen, ob Sie wissen, daß wir durch diese Normali- mer) sierung der Standards bei Straßen und Schienen pro In diesem Punkt hat auch von unserer Seite keiner Jahr zwischen 100 und 150 Millionen DM gegenüber widersprochen. Aber es kommt hinzu, daß Sie immer den vorherigen Planungen sparen werden? dazu neigen, an Großprojekten festzuhalten, statt (Monika Ganseforth [SPD]: Weiter so!) auch einmal die genannten kleineren Brötchen zu backen. Heide Mattischeck (SPD): Herr Minister, ich kann Ich nenne nur ein Beispiel: die A 71 und die A 73 nur antworten, daß ich dies nicht wußte. Offensicht- im Verkehrsprojekt Deutsche Einheit. Wir haben lich liegt das aber daran, daß Sie es nicht für nötig schon bei den Beratungen zum Bundesverkehrswe- gehalten haben, uns dies mitzuteilen. geplan Vorschläge gemacht, hier die bestehenden (Beifall bei der SPD - Widerspruch bei der Bundesstraßen auszubauen und Ortsumgehungen zu CDU/CSU und der F.D.P.) bauen. Das Ganze wäre billiger und käme den Bür- gern eher entgegen. Aber Sie können sich von dem, Ich bin nicht in der Lage, Ihre Kostenabrechnungen was Sie einmal gesagt haben, offensichtlich nicht nachzuvollziehen; aber ich bin froh, daß Sie mir das trennen. Das halte ich nicht für gestaltende Politik. sagen. Den Zusammenhang mit dem Tempolimit möchte ich aber dennoch einmal auch im Verkehrs- (Beifall bei der SPD) ausschuß diskutieren. - Sie halten auch an den großen Ausbaustandards Ist die Senkung der Investitionen für die Straße im allgemeinen fest. Sie wissen - es gibt Untersu- noch relativ milde ausgefallen, so sieht es bei den chungen auch aus Ihrem Ministe rium -, daß man Schieneninvestitionen ganz anders aus. Diese wer- durch schmalere Spuren auf den Autobahnen und den von 9,9 Milliarden DM auf 7,7 Milliarden DM ge- durch kleinere Radien bei den Kurven nicht nur Ge- kürzt. Berücksichtigt man die Tatsache, daß davon lände, sondern auch erhebliches Geld einsparen 3,7 Milliarden DM für den Nachholbedarf in den kann. neuen Bundesländern zur Verfügung stehen, was wir für völlig in Ordnung halten - das ist ganz klar -, (Beifall bei der SPD) werden 1996 für Neuinvestitionen ganze 4 Milliarden Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4185

Heide Mattischeck DM zur Verfügung stehen. Dies ist etwas mehr als von Ihnen leider kein Wo rt . Da siegt die Alkohol- die Hälfte der Summe, die für den Straßenbau zur lobby, da siegt die F.D.P. Wir bedauern es außeror- Verfügung steht. Diese Zahlen muß man sich einfach dentlich, daß hier, wo Verbesserungen bei der Ver- immer vor Augen halten. kehrssicherheit kostenlos möglich wären, gar nichts passiert. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albe rt Hier kann von einer Gleichberechtigung von Straße Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE und Schiene wohl beim besten Willen nicht die Rede GRÜNEN] - Horst Friedrich [F.D.P.]: Lesen sein, und das entspricht auch nicht dem, was Sie uns Sie mal das letzte Urteil des Bundesverwal- immer wieder versprechen. tungsgerichts zur Tempo-30-Zone!) Die Bahnreform, Herr Wissmann, war eine große gemeinsame Anstrengung von beinahe uns allen. Sie Zur Schiffahrt noch folgendes: Hier wurden große erfolgte auch mit großer Unterstützung von und gro- Versprechungen gemacht; 100 Millionen DM stan- ßem Rückhalt bei der Gewerkschaft. Deshalb emp- den im Raum, und wir haben im Verkehrsausschuß finde ich es als ziemlich unerträglich, was in den letz- endlos darüber diskutiert, wie wir der Seeschiffahrt ten Wochen an Gerüchten bezüglich eines Verkaufs und der Küstenschiffahrt damit helfen können. Wir von Bahnwohnungen durch die Welt gegangen ist, haben gute Vorschläge gehabt. Sie haben sogar in auch wenn Sie heute sagen, das sei nicht so ganz Aussicht gestellt, daß diese Summe vielleicht auf 120 ernst gemeint und Besitzstände würden gewahrt Millionen DM erhöht werden könnte. Was jetzt im werden. Das, was ich heute von Ihnen gehört habe, Haushalt steht, sind 40 Millionen DM. Nun habe ich, trägt nicht dazu bei, die Bahner zu beruhigen. Es nachdem Sie gesprochen haben, noch eine geringe trägt auch nicht dazu bei, uns zu beruhigen; denn Hoffnung, daß wir vielleicht in den Beratungen im uns werden Sie nicht an Ihrer Seite haben, wenn es Verkehrsausschuß dazu kommen, diese Summe noch darum geht, Besitzstände in diesem Bereich zu de- etwas anzuheben. Unter diesen 100 Millionen DM, montieren. Da können Sie nicht mit uns rechnen. die eigentlich vorgesehen waren, ist es mit der SPD- Fraktion überhaupt nicht zu machen. (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Keiner rechnet mit Ihnen überhaupt!) (Beifall bei der SPD) Es geht nicht darum, das eine oder andere Grund- Nun ist es leider so, daß heute von der Koalition stück zu verkaufen. Aber so geht es nicht! Nein, Herr nur relativ wenige Verkehrspolitiker anwesend sind. Wissmann, was Sie gesagt haben, beruhigt mich Das hat wohl auch interne Gründe. Ich meine aber, nicht. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß es die- daß Sie als Haushaltspolitiker den Verkehrspolitikern jenigen, die dort wohnen, beruhigt. Das können Sie sagen können, daß wir gerne bereit sind, darüber zu mir glauben. diskutieren. (Beifall bei der SPD) Herr Wissmann und meine Damen und Herren von der Koalition, auch wenn es sehr lästig ist: An das er- Wir erwarten - das ist von meinem Kollegen Wag- klärte Ziel Ihrer Regierung, den CO2-Ausstoß bis ner auch schon gesagt worden - etwas mehr Klarheit zum Jahre 2005 um 25 % zu senken, muß immer wie- und etwas mehr Wahrheit bei Ihrer Verkehrspolitik. der erinnert werden. Das gilt sowohl für den Straßenbau als auch für den Schienenbau. Wir erwarten, daß in den Dreijahres- (Monika Ganseforth [SPD]: Lichtjahre ent- plan Schiene endlich Wahrheit hineinkommt, daß Sie fernt!) uns einen neuen Plan vorlegen, der dem entspricht, was Sie jetzt an Investitionskosten zur Verfügung ha- Wie wollen Sie das denn mit dieser Verkehrspolitik ben. Wir erwarten das gleiche beim Straßenbau; erreichen? Nicht einmal zu einer vernünftigen Som- denn das, was als „Zwanzigjahresplan" vorliegt, mersmog-Regelung waren Sie bereit, weil Sie aus ir- wird wohl eher ein Plan für 40 Jahre. Wir meinen, gendwelchen ideologischen Gründen nicht bereit daß Sie da gewaltig abspecken und den Bürgerinnen und in der Lage sind, ein Tempolimit in solchen pre- und Bürgern vor Ort endlich sagen müssen, was sie kären Situationen zu veranlassen. zu erwarten und was sie nicht zu erwarten haben. (Zuruf von der CDU/CSU: Sie sollten erst (Beifall bei der SPD - Zuruf von der SPD) einmal nachlesen, was Herr Schäfer in Ba- den-Württemberg ermittelt hat!) - So viele Nebelkerzen, ja. Herr Wissmann, das Abschmelzen Ihres Haushalts Lassen Sie mich nun noch etwas Positives sagen, haben Sie nicht zu verantworten, wohl aber eine weil das in dem Zusammenhang auch einmal vonnö- phantasie- und konzeptionslose Verkehrspolitik. Sie ten ist. Wir haben mit Freude festgestellt, daß die haben vorhin davon gesprochen, daß man sparen zwar relativ kleinen, aber doch sehr wichtigen Sum- und gestalten muß. Das Sparen hat man uns jetzt hier men für die Verkehrssicherheit nicht abgespeckt vorgelegt, das Gestalten fehlt völlig. wurden. Wir sind uns offensichtlich einig, daß dieser Bereich sehr wichtig ist. Aber auch hier muß ich Sie tun so, als hätten Sie nur vorübergehend mal etwas Wasser in den Wein gießen: Es gibt Verkehrs- eine Finanzflaute. Sie wissen ganz genau, daß das sicherheitsmaßnahmen, die relativ wenig kosten. Das nicht so ist, daß sich diese Flaute fortsetzen wird. Es ist einmal die Senkung der Promillegrenze, und das ist richtig, daß Sie sparen müssen - aber gerade bei ist das Tempo 30 in Wohngebieten. Hierzu hören wir der Gestaltung? 4186 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995

Heide Mattischeck Politik mit vollen Kassen kann jeder machen. Geld Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Weitere Wo rt ausgeben ist eine relativ leichte Angelegenheit. Aber -meldungen zum Geschäftsbereich des Bundesmini- dann, wenn das Geld knapp wird, zu Sparkonzepten steriums für Verkehr liegen nicht vor. und vernünftigen Konzepten zu kommen, das ist die Kunst der Politik. Daran lassen Sie es ganz erheblich Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun- fehlen. desministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Das Wort hat zuerst der Herr Bundesminister ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dr. Klaus Töpfer. Die Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der Bahn wollen Sie beseitigen. Bei der Investitionspolitik hat Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Raumord- das nicht geklappt. Das sehen wir, denn Sie werden nung, Bauwesen und Städtebau: Frau Präsidentin! den Rückstand dadurch, daß Sie nur die Hälfte der Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die nüch- Investitionen im Vergleich zu denen für die Straße ternen Zahlen des Etats des Ministeriums für Raum- zur Verfügung stellen, nicht aufholen - nicht in ordnung, Bauwesen und Städtebau zeigen einen 20 Jahren und nicht in 50 Jahren. Rückgang um 1,7 % gegenüber dem Vorjahr - ein Bei einer gerechten Kostenanlastung für den Stra- Beleg dafür, daß auch der Haushalt des Bauministers ßengüterverkehr, um diese Wettbewerbsnachteile einen Beitrag zu der dringend notwendigen Konsoli- abzubauen, gibt es auch nur eine Fehlanzeige. Das dierung leistet. wissen Sie. Gerade ein Ministerium, das im Baubereich allein ( [CDU/CSU]: Das ist völ im Wohnungsbau 250 Milliarden DM mit zu verant- liger Quatsch! Es ist falsch, was Sie da sa worten hat, ist wie kaum ein anderes an soliden gen!) Staatsfinanzen interessie rt . Wenn das nicht gelingt und wir inflationäre Prozesse oder Zinssteigerungen Das, was Sie bis jetzt erreicht haben, hat kaum haben, sind alle Förderungen im Haushalt nichts dazu beigetragen, die Wettbewerbsfähigkeit der wert. Wir sind an soliden Staatsfinanzen in ganz be- deutschen Spediteure gegenüber den ausländischen sonderer Weise interessie rt . Dies muß immer wieder Spediteuren zu erhöhen. Es hat jedoch die Spanne gesagt werden. zwischen der Bahn und der Straße noch vergrößert. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Herr Minister, die Ergebnisse der Umweltkonfe- Ein halbes Prozent Zinssteigerung bringt den Bau- waren nach meiner Einschätzung - renz in Berlin herrn um mehr Geld, als eine Förderung ausmachen das ist eine ganz persönliche Einschätzung - nicht könnte, die wir vielleicht mit einigen Millionen DM Null, aber sie waren mager. In Ihrer Verkehrspolitik mehr hätten. finden wir nicht einmal Ansätze einer solchen Um- weltpolitik. Nun gehe ich auf meine Vorrednerin ein. Leider ist es bei uns allen so, daß wir dann, wenn unser Etat Wo ist ein integriertes Verkehrskonzept, das die besprochen ist, weggehen; das ist heute abend ganz Vorteile der verschiedenen Verkehrsträger - das be- besonders wichtig zu erwähnen. Meine Vorrednerin tonen Sie verbal auch immer wieder -, Bahn, Wasser, von der SPD hat eben gesagt: Mit vollen Kassen Straße und Luft, nutzt, sie verknüpft sowie Parallel- kann jeder Politik machen. Aber wenn es knapp investitionen, die immer gerade bei Wasserstraßen wird, dann muß man nachdenken, und dann muß und Schiene wieder vorkommen - das kennen wir man bereit sein, auch das noch einmal zu überprü- aus verschiedenen Bereichen sehr genau - verhin- fen, was sich über viele Jahre als selbstverständlich dert? Ich kann es nicht erkennen. eingebürgert hat, dann muß man auch bereit sein, of- fen zu diskutieren und womöglich Zielgenauigkeit Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Frau Kollegin, und Kreativität zu steigern. Das ist die Zeit, in der wir Ihre Redezeit ist leider abgelaufen. jetzt sind. Das läßt sich nur machen, wenn man ein klares ei- Heide Mattischeck (SPD): Ich bin sofort fertig. genes Konzept hat. Sonst wird man nur punktuell dort und hier etwas streichen. Man hat dann mögli- Initiativen für abgasarme Autos z. B. durch Nut- cherweise einen Beitrag zur Konsolidierung, aber zung marktwirtschaftlicher Anreize - wann kommen keinen Beitrag zur Verläßlichkeit von Politik gelei- sie von Ihnen? Wir haben dazu Konzepte vorgelegt. stet. Wir sind gerne bereit, darüber mit Ihnen zu diskutie- - ren. Seien Sie doch endlich bereit, darüber mit uns (Achim Großmann [SPD]: So ist es!) zu reden und auf diesem Wege weiterzugehen! Diese Verläßlichkeit brauchen wir ganz dringlich, ge- Wir haben hier viel zu tun. Wir laden Sie ein, mit rade im Baubereich. uns dabei mitzuwirken. Machen wir uns nichts vor: Es ist nicht ohne Be- Ich danke fürs Zuhören. sorgnis zu sehen, wie sich die Baukonjunktur ent- wickeln könnte. In den ersten fünf Monaten hatten (Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei wir in den westlichen Bundesländern einen deutli- Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE chen Rückgang der Bauanfragen. Wir bekommen GRÜNEN) eher eine leichte Abschwächung auf sehr hohem Ni- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4187

Bundesminister Dr. Klaus Töpfer veau. Wir haben im letzten Jahr fast 600 000 Woh- Forderungen anbringen, Frau Kollegin Eichstädt- nungen fertiggestellt, und es wird auch in diesem Bohlig. Jahr eine sehr hohe Zahl sein. Aber wir müssen das sehr genau verfolgen, weil andere Baubereiche, der (Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ Wirtschaftsbau und der öffentliche Bau, solche Berei- DIE GRÜNEN]: Wäre wünschenswert!) che möglicherweise nicht ausgleichen. Das heißt, - Ich habe mit Interesse Ihre Vorschläge gelesen. Verläßlichkeit und Konzept sind dringend notwen- Aber es muß immer wieder gesagt werden: Wir tun dig. allen Bürgern den schlechtesten Gefallen, wenn wir mit den Steuergeldern so umgehen, daß die Signale Wenn ich auf das zurückgreife, meine Damen und auf Unseriosität stehen und damit eine Zinspolitik Herren, was ich in meiner ersten Rede als Baumini- kommen wird, die allen, die bauen, in besonderer ster hier sagen konnte, dann glaube ich feststellen zu Weise nachteilige Folgen bringt. können: Wir sind ein Stück vorangekommen. Wir ha- ben gesagt: Baupolitik, Wohnungsbaupolitik ist Ver- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) mögenspolitik. Wir wollen in breiten Bevölkerungs- bereichen die Möglichkeit von Eigentums- und Ver- Herr Kollege Reschke, Sie haben wirklich An- mögensbildung über den Immobilienbesitz fördern. spruch darauf, den Schürmann-Bau anzusprechen. Das muß ich Ihnen zugestehen. Mir hätte sonst auch (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) etwas gefehlt. Deswegen wollte ich Ihnen gegönnt haben, daß Sie ihn angesprochen haben. Es ärgert Das wollen wir nachhaltig vorantreiben. Wir haben mich selbst genug. Ich hoffe, daß wir auch diese Anfang August im Bundeskabinett ein entsprechen- Frage endgültig beantworten können. des Gesetz verabschiedet. Ich glaube, diese Reform Wir haben unsere Hausaufgaben zum ersten Teil- des selbstgenutzten Wohneigentums ist ein sehr gu- bereich gemacht. Das Gesetz liegt vor. Ich hoffe auf ter Beitrag, um dem Ziel einer angewandten Vermö- eine konstruktive Zusammenarbeit. genspolitik wirklich näher zu kommen. Damit ist in ganz besonderer Weise natürlich auch Das ist wiederum ein Beleg für angewandte Fami- das Bausparen verbunden. Wir haben von Anfang an lienpolitik. Wenn es uns wirklich gelingt - ich hoffe den Schwerpunkt auf das Vorsparen gelegt, damit hier auf die Unterstützung des ganzen Hauses -, das auch jüngere Menschen zum Bauen kommen. Wir Baukindergeld als Zulage auf 1 500 DM zu erhöhen, bauen in Deutschland im Schnitt zu spät - mit also um 50 % zu steigern, und vielleicht die Familien- 38 Jahren. Deswegen muß das Vorsparen wirklich komponente noch weiterzuentwickeln, dann haben gezielt ausgebaut werden. Ich freue mich, daß wir wir das in den letzten neun Monaten, seit wir hier das mit der Vorlage erreicht haben. Ich sehe auch das erstemal über Baupolitik als angewandte Fami- aus allen Teilbereichen breite Zustimmung. Frau lienpolitik sprachen, einen wesentlichen Schritt vor- Matthäus-Maier, die leider bei dem bedeutsamen Be- angebracht. reich des Bauwesens nicht mehr da ist (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Doch! Doch! Zuruf der Abg. I ris Gleicke [SPD]) - Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

- Ein genaues Nachlesen des Gesetzes, Frau Kolle- - sie ist da; wie konnte ich so etwas auch nur unter- gin, wird Ihnen zeigen, daß das nicht der Fall ist; stellen, Frau Kollegin! -, hat heute morgen gesagt, aber dafür haben wir ja im Ausschuß Zeit. Ich bin je- wenn ich es richtig gehört habe, wir hätten da eine denfalls nicht der Meinung, daß diese Kürzung, die ganz prima Sache gemacht. Das habe sich die SPD Sie angesprochen haben, so stattfindet. auch schon so gedacht. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Schon lange vor- Wir haben durch die Reform des selbstgenutzten geschlagen!) Wohneigentums, wie ich meine, mit einen guten Bei- trag geleistet, um gerade in den Schwellenhaushal- - Schon vorgeschlagen und gefördert. ten, auch in den sozial schwächeren Bereichen, den Wissen Sie: Wenn wir immer nur danach fragen, Zugang zum Wohneigentum zu schaffen. Ich sage noch einmal: Das ist ein Stück angewandte Sozialpo- wer das Erstgeburtsrecht für sich beanspruchen litik, wie sie besser nicht sein kann. Die beste Mie- kann, kommen wir gar nicht mehr zum Handeln. Ent- tenpolitik wird immer nur durch eine überzeugende, scheidend ist, daß wir es jetzt machen. Da hoffe ich auch sozial treffsichere Wohneigentumsförderung auf die Unterstützung des gesamten Hauses. Das ist flankiert werden können. Beides gehört untrennbar für mich der wichtigere Punkt. zusammen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Meine Damen und Herren, dies ist auch ein Bei- spiel für den Ausgleich innerhalb Deutschlands. Das Wir wissen, daß wir in der vor uns liegenden woh- sage ich mit großem Nachdruck; denn daß gerade nungspolitischen Diskussion intensiv weitere Überle- diese Wohneigentumsförderung für die Bürgerinnen gungen einbringen müssen. Vieles ist sicher wün- und Bürger in den neuen Bundesländern unumgäng- schenswert, aber als Schranke existiert die Konsoli- lich notwendig ist, ist für mich ganz unstrittig. Vom dierung. Ich kann natürlich unter dem Gesichtspunkt jetzigen § 10e haben die Bürgerinnen und Bürger in der ökologischen Interessen noch viele zusätzliche den neuen Bundesländern bisher nichts gehabt. 4188 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995

Bundesminister Dr. Klaus Töpfer Wenn wir dort Eigentum fördern wollen, müssen wir Wenn ich das mit der Wohnungswirtschaft bespre- auf die Zulage setzen. Deswegen ist es gerade für che, bekomme ich doch keine Kopfnüsse. Vielmehr diesen Teilbereich der deutschen Einheit ein so wich- sagen die: Leute, darüber müssen wir reden. Sie sa- tiger Auftrag, dies jetzt so umzusetzen. gen als Fußnote dabei: Aber das Geld, das dann kommt, möchten wir gerne bei uns in den Unterneh- Zur Bürgschaftsabsicherung kann ich mich dem men behalten. - Das ist eine nachvollziehbare Über- anschließen, was bereits gesagt wurde: Es ist eine legung. gute, zusätzliche Förderung, weil gerade die Bürge- rinnen und Bürger in den neuen Bundesländern Aber daß wir in einer solchen Situation sozial ge- noch nicht gleich die Kreditfähigkeit haben, so daß zielter vorangehen müssen, halte ich für gänzlich un- eine entsprechende Bürgschaftsabsicherung notwen- umgänglich. dig und richtig ist. Zum Beitrag Wohngeld: Entgegen anderer Mei- nung bleibt es bei der Aussage, daß wir das Wohn- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU geld so novellieren, daß es im Jahre 1996 wirksam und der F.D.P.) werden kann. Ich füge aber auch hinzu: Es ist nicht mehr möglich, daß wir zu den bisherigen neun No- Der zweite Beitrag ist der soziale Wohnungsbau. vellen des Wohngelds schlicht und einfach eine Es ist wahr: Die Haushaltszahlen zeigen, daß es hier zehnte hinzufügen, indem wir nur die Tabellen fort- einen deutlichen Rückgang gibt. Wer das vorzulegen schreiben. Es muß einmal an die Struktur herange- hat, muß sich fragen, wie dies in die von mir vorhin gangen werden. geforderte Konzeption insgesamt einzubinden ist. Das ist für meine Begriffe nur erklärbar und vertret- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) bar, wenn wir uns darüber klarwerden, daß das für den sozialen Wohnungsbau verfügbare Geld effizien- Es kann doch nicht richtig sein, daß der Bund ge- ter, gezielter gerade für die eingesetzt werden muß, genwärtig knapp 3 Milliarden DM Wohngeld be- die auf Grund ihrer sozialen Situation diese Unter- zahlt, davon knapp zwei Drittel als pauschaliertes stützung des Staates brauchen. Wohngeld - also im Bereich der Sozialhilfe -, wo es voll und ganz dynamisiert ist, wodurch wir eher ei- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nen mietentreibenden als einen mietendämpfenden Effekt haben. Das sind strukturelle Fragen. Die Ant- Bund und Länder können sich Ineffizienzen in der worten darauf kann man nicht aus dem Ärmel schüt- Förderung nicht mehr erlauben. Wir können nicht teln. Wenn wir nur fortschreiben, dann verlängern mehr oder weniger Lottotreffer verteilen, nach denen wir diese Probleme in die Zukunft. Ich glaube, deren der eine etwas bekommt und der andere nicht. Ma- Lösung sollte unser aller Anliegen sein. chen wir eine einkommensorientierte Förderung in Sprechen Sie einmal mit Ihren Kommunalpoliti- den Neubauinvestitionen und in den Beständen; kern darüber. Auch die werden Ihnen sagen: Geht dann werden wir nicht weniger, sondern mehr Geld einmal an diese Strukturen heran und überprüft, wie auch für den sozialen Wohnungsbau haben, obwohl ihr eine solche Verkantung innerhalb des Wohngel- wir die Haushaltsansätze bei Bund und Ländern ge- des ändern könnt. senkt haben. Deswegen noch einmal: Ich bin der festen Über- (Achim Großmann [SPD]: Die Rechnung zeugung, daß wir auch von unseren Finanzpolitikern geht nicht auf! - Franziska Eichstädt-Bohlig in den Fraktionen aufgefordert werden, an dieses [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie lange ist Wohngeldgesetz heranzugehen, um - ich sage es die Sozialbindung?) noch einmal - diese Verkantung wegzubekommen.

- Ich habe zwölf Minuten Zeit. Ich will gerne die Nächster Punkt: Wenn wir die Bildung von Wohn- Rechnung mit Ihnen machen, Herr Kollege Groß- eigentum gerade auch für Schwellenhaushalte bes- mann. ser fördern wollen, dann setzt das unumgänglich vor- aus, daß wir uns mit den Baukosten beschäftigen. Es Wir müssen doch feststellen, daß die Fehlbele- macht keinen Sinn, daß wir besser fördern, diese bes- gungsabgabe die Differenz zwischen einer Einkom- sere Förderung aber durch steigende Kosten bei Bau- mensorientierung und der Bewilligungsmiete am An- land und Bauobjekt kompensiert wird. Das kann fang nicht voll ausgleicht. Das ist auch ganz klar. Die nicht richtig sein; dafür sollten wir uns die Mühe Länder machen es unterschiedlich. Schleswig-Hol- nicht machen. stein rechnet eigentlich schon so, wie ich mir das vor- Deswegen, meine Damen und Herren, gehen wir stellen könnte. Das ist auch nicht irgendein, wie viele an diese Frage sehr nachhaltig heran. Sie wissen, Länder das schon wieder glauben, Finanzvertei- daß dafür ein ganzer Strauß von Maßnahmen einge- lungsprozeß. Ich will den Ländern nicht die Fehlbele- setzt werden muß. Ich jedenfalls gehe davon aus, daß gungsabgabemittel wegnehmen, sondern ich will dies eine breite Unterstützung von der Bauwirtschaft dazu beitragen, daß wir sozial gezielt fördern und bis zu den planenden Berufen der Architekten und dort, wo es nicht mehr notwendig ist, die Einkom- Ingenieure findet. mensorientierung entsprechend mit einbinden. Das ist doch eine vernünftige und nachvollziehbare Rege- Damit verbunden ist die ökologische Kompo- lung. nente. Ich möchte mit allem Nachdruck widerspre- chen, wenn es heißt: Ökologischer bauen heißt teurer (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) bauen. Dies ist nicht richtig. Ökologischer bauen Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4189 Bundesminister Dr. Klaus Töpfer heißt allerdings etwas intelligenter bauen, heißt Es soll natürlich auch so sein, daß man Verspre- nachzudenken, wie man Grundrisse macht, wie man chen kontrolliert. Das heißt, man kontrolliert: Wer- Gebäude plaziert, wie man mittelfristig Betriebsko- den Versprechen eingelöst, die beispielsweise ein sten einspart und diese kapitalisieren kann. Minister oder Koalitionäre in ungezählten Pressekon- ferenzen gemacht haben? (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Und ein bißchen bescheidener ist auch ökologi Wenn das Geld knapp ist und die finanziellen scher!) Spielräume eng werden, wird der Blick in den Haus- haltsplan besonders spannend: Können die angekün- - „Ein bißchen bescheidener" sagt der Kollege digten Reformprojekte finanziert werden? Gelingt Kansy. Das sagt er gerade mir, nachdem er aus dem die Aufgabe, die Wohnungsförderung effizienter zu Urlaub gekommen ist. machen und sozial effektiver zu gestalten? Schaffen wir es, daß die Reformvorhaben wirklich seriös finan- Meine Redezeit ist zu Ende. Aber lassen Sie mich ziert werden können? Erreichen wir mit dem aufge- mit einem Satz noch auf einen Punkt aufmerksam stellten Haushaltsplan auch wirklich die Lösung der machen. Wir müssen dahin kommen und weiter Probleme auf dem Wohnungsmarkt? Man könnte daran arbeiten - das ist nicht in erster Linie ein Haus- diese Fragen fortsetzen. haltsproblem -, daß wir mehr in eine nachhaltige Stadt- und Raumentwicklung investieren können. Es war also spannend, nach einem halbjährigen Wir müssen auch an gesetzlichen Vorgaben arbeiten. Töpferschen Ankündigungsmarathon im Haushalt zu überprüfen, wie es mit der Umsetzung aussieht. Das (Zuruf der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig Ergebnis ist enttäuschend; die Spannung ist schnell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) gewichen. Der Haushaltsplan hält nicht, was der Mi- nister versprochen hat. Er zeigt nicht auf, wie die - Sehen Sie, Frau Kollegin Matthäus-Maier, jetzt drängenden Probleme auf dem Wohnungsmarkt ge- habe ich wieder jemanden, der das Eigentum nennt. löst werden können. Er ist vielmehr Ausdruck man- Es ist schon schwierig in diesem Hohen Hause: Wenn gelnder Gestaltungskraft und fehlender Durchset- du irgend etwas sagst, hat es irgend jemand vorher zungskraft. Ich will dafür den Beweis antreten. schon einmal gesagt. In diesem Falle hat auch Frau Eichstädt-Bohlig schon einmal von der nachhaltigen Erstens: Mangel an preiswerten Wohnungen. Stadt- und Raumentwicklung gesprochen. Ich Nach wie vor - wir haben relativ wenig über Woh- möchte das in besonderer Weise unterstreichen. nungsnot gehört; wir haben nur etwas über die Er- folge dieser Regierung gehört - fehlen in Deutsch- Ich halte es für extrem wichtig, daß wir solche land 1,5 bis 2 Millionen Wohnungen, vor allen Din- Dinge wie die Entleerung der Innenstädte nicht ein- gen - das ist wohl unumstritten - im Bereich des fach passiv hinnehmen. Vielmehr müssen wir alles preiswerten, bezahlbaren Wohnraums. Auch die daran setzen, diese Entwicklung zurückzudrehen. -Zahl der vorhandenen Wohnungen mit Belegungs Wir brauchen lebendige, vitale Innenstädte, mit und Mietpreisbindungen ist dramatisch zurückge- Wohnungen, mit Handel, mit Handwerk. Nur dann gangen und geht weiter zurück. können wir einen Amerikanisierungsprozeß unserer Städte und der Raumordnung verhindern. Deswegen In den Koalitionsvereinbarungen hieß es vor weni- ist das nicht ein Anhängsel, sondern eine zentrale gen Monaten unter der Überschrift „Mehr preiswerte Frage für die vor uns liegenden zwölf Monate, in de- Wohnungen schaffen" wortwörtlich: nen auch dieser Haushalt seine Wirkung haben wird. ... insbesondere in Ballungsgebieten ist immer Ich danke Ihnen sehr herzlich. noch ein Mangel an preiswerten Wohnungen .. . festzustellen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Was nutzt es aber den Menschen, wenn auf der ei- nen Seite die politischen Probleme richtig beschrie- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat ben werden, gleichzeitig aber auf der anderen Seite jetzt der Kollege Achim Großmann. die Mittel im sozialen Wohnungsbau im Ballungsge- bieteprogramm auf Null gekürzt werden? Achim Großmann (SPD): Frau Präsidentin! Meine (Beifall bei der SPD) Damen und Herren! Ein Haushaltsplan gibt nicht nur den finanziellen Rahmen vor; er soll auch Prioritäten 700 Millionen DM sind zur Verfügung gestellt wor- setzen, soll Auskunft darüber geben, ob Reform- den; diese sind in Zweijahresschritten abgebaut wor- - ansätze verwirklicht werden können. Er soll natür- den. Sie setzen aber im Haushaltsplan 1996 noch lich auch Auskunft darüber geben, ob Verbrechen - eins drauf: Sie streichen weitere 500 Millionen DM Entschuldigung: Versprechen - - beim sozialen Wohnungsbau. Zu einem Zeitpunkt, da wir gerade bei den Menschen, die keine bezahl- (Heiterkeit) bare Wohnung finden, deutliche Prioritäten setzen müssen, geht die Bundesregierung hin und streicht - Die Rede führt zu ganz merkwürdigen Assoziatio- innerhalb von zwei Jahren 1,2 Milliarden DM im so- nen. Ich wollte das aber nicht so deutlich sagen, son- zialen Wohnungsbau. dern ich werde das viel moderater anbringen; Ent- schuldigung. (Zuruf von der SPD: Das ist ja unglaublich!) 4190 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995

Achim Großmann Ich will an einigen Zahlen deutlich machen, was Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege, es da passiert: Wenn der Haushaltsplan so bleibt, ste- gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage. hen im nächsten Jahr insgesamt 2,21 Milliarden DM zur Verfügung, davon 900 Millionen DM für die Achim Großmann (SPD): Vielleicht darf ich den neuen Bundesländer. Da wird um 10 % gekürzt. Das Gedanken noch zu Ende vortragen. Ballungsgebieteprogramm verschwindet völlig - Kürzung: 100 %. Die Mittel im zweiten Förderweg werden auf 200 Millionen DM gekürzt - Kürzungs- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Tragen Sie ihn grad: 50 %. Die Mittel im dritten Förderweg werden vor. um 20 % gekürzt, insgesamt von 3,4 Milliarden DM im Jahr 1994 über 2,8 Milliarden DM im Jahr 1995 Achim Großmann (SPD): Hier geht es um ein auf 2,2 Milliarden DM im Jahr 1996. neues Modell, das gerade in die Erprobungsphase getreten ist. Es hat sich nun gezeigt, daß die Investo- Die Förderung, die die alten Bundesländer betrifft, ren bei diesem neuen Programm nicht Schlange ste- entspricht der Förderung im Jahre 1989. Wir hatten hen, sondern daß es vom Markt nur sehr zaghaft an- seit 1989 in jedem Jahr mehr Mittel für den sozialen genommen wird. Fazit: Die vorgebenen Reformvor- Wohnungsbau als im kommenden Haushalt - wenn schläge im sozialen Wohnungsbau reichen vorne und es dabei bleibt. hinten nicht aus. Sie, Herr Bauminister, können nicht hierherkom- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- men und sagen: Das kriegen wir hin, indem wir so- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zial treffsicherer fördern. Das läßt sich nicht rechnen. und der PDS) Wir haben dies schon Ihrer Vorgängerin mehrfach bewiesen. Das werden wir auch Ihnen beweisen. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sie (Beifall bei der SPD) jetzt eine Zwischenfrage des Kollegen Braun? Man kann nicht, indem man die Hälfte der Förder- mittel streicht, mehr soziale Wohnungen bauen, Achim Großmann (SPD): Ja. selbst wenn man noch soviel im Fördersystem ändert. Das ist völlig unmöglich. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Bitte. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Fran ziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Herr Kol- GRÜNEN]) lege Großmann, ist Ihnen entgangen, daß der Vor- schlag der F.D.P., von dem Sie sprechen, der im Au- Parallel dazu wird diskutiert, den sozialen Woh- gust der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, keines- nungsbau zu reformieren. Da gibt es teilweise völlig wegs den Wegfall des sozialen Wohnungsbaus, son- abstruse Ideen. Die F.D.P. hat während des Sommer- dern des ersten Förderwegs des sozialen Wohnungs- theaters den Vorschlag gemacht, den sozialen Woh- baus beinhaltete? Ist Ihnen weiterhin bekannt, daß in nungsbau völlig abzuschaffen. In einer Zeit, da Sie einigen Kommunen in Deutschland die Bewilli- noch nicht einmal das Wohngeld für das jetzt gültige gungsmiete des sozialen Wohnungsbaus höher liegt System lockermachen können, glauben Sie, Sie als die Marktmiete bei frei finanzierten Wohnungen? könnten die Wohnungsprobleme der Bundesrepublik Deutschland voll mit Wohngeld abfedern. Was das (SPD): Beides ist mir bekannt. bringt, hat der Bauminister gerade mit einem wun- Achim Großmann Den ersten Förderweg wollen Sie ganz streichen. Das derschönen Beispiel über das pauschalierte Wohn- Geld wollen Sie für kommunale Miethilfen einsetzen geld, bei dem keiner auf die Mieten schaut, belegt. mit einer Grundgesetzänderung. Das ist so kurios, Die F.D.P. schlägt also vor, die Mieten mit Wohn- daß Verfassungsrechtler mir gesagt haben, dazu sol- geld und nicht mehr mit Objektförderung zu unter- len die erst einmal einen Aufsatz schreiben. stützen. Das bedeutet: Wir haben demnächst eine Das zweite ist: Gerade weil Sie den sozialen Woh- mietpreistreibende Mietensubvention. nungsbau über den dritten Förderweg deformie rt ha- (Beifall bei der SPD) ben, kommen auch im sogenannten sozialen Woh- nungsbau inzwischen Marktmieten bis zu 18 DM pro Die F.D.P. scheint nicht bemerkt zu haben, daß man Quadratmeter heraus. Sie wollen mir doch nicht er- mit Wohngeld keine einzige Wohnung bauen kann. zählen, daß die Menschen, die bezahlbaren Wohn- Das heißt: Das System, das der Minister gerade zu raum suchen, genau solche Wohnungen brauchen. Recht in Frage gestellt hat, soll hier flächendeckend - eingeführt werden. Das muß scheitern und wird auch (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- scheitern. ten der PDS) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Noch ein Wort zur Fehlbelegungsabgabe, die ge- rade ins Spiel kam. Über die Fehlbelegungsabgabe Die CDU/CSU setzt auf eine sehr komplizierte fließen dem Bund und den Ländern für den Woh- Form der einkommensorientierten Förderung. Wir nungsbau ungefähr 700 Millionen DM im Jahr zu, haben eine Menge von Beispielen von einkommens- und das, obwohl - das ist vom Minister gesagt wor- orientierter Förderung; die funktioniert. Aber da geht den - die Fehlbelegungsabgabe in manchen Bundes- es um den sogenannten § 88e, um ein neues Modell. ländern nur rudimentär erhoben wird. Wer also, ohne Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4191

Achim Großmann sich im Detail darüber Gedanken zu machen, einfach Beschlüsse aus dem Vermittlungsausschuß kritisie- mir nichts dir nichts sagt: „Die Fehlbelegungsabgabe ren werde. streichen wir", der soll uns erst einmal sagen, wie er die 700 Millionen DM, die dann wegfallen, finanzie- Zweitens. Ich komme zu einem ganz anderen ren will, woher er die nehmen will oder ob er die Mit- Thema: Zum Märchen von der Stetigkeit oder: Wie tel im Wohnungsbau weiter drastisch kürzen will. beschädige ich die Baukonjunktur? Ich habe vorhin gedacht, nach zwei Minuten hört der Bauminister auf (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne zu reden, weil er gesagt hat: Wenn sich die Zinsen ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) um ein halbes Prozent erhöhen, dann belastet dies Die Rufe schallen meistens sehr laut aus Bayern. den Bauetat mit mehreren Millionen Mark. Wenn Herr Braun, Sie kommen aus Bayern, aus München. man eine solche politische Haltung hat, kann man nicht mehr viel gestalten. (Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: In der Tat!) Ich will noch einmal die Koalitionsvereinbarungen zitieren. Dort steht: Sie legen sehr großen Wert darauf, daß die Fehlbele- gungsabgabe ein falsches Instrument ist. Ich meine, Ziel unserer Wohnungspolitik ist es, Rahmenbe- diejenigen, die aus Bayern kommen - obwohl sie dingungen für eine Verstetigung des Wohnungs- nicht unmittelbar politische Verantwortung mit der baus zu schaffen. F.D.P. in Bayern tragen -, sollten einmal ein bißchen leiser rufen; denn dort sind die Einkommensgrenzen Eine Einlösung des Versprechens findet man im für die Fehlbelegungsabgabe so gezogen, daß erst Haushalt natürlich nicht. Fast 5 Milliarden DM sind dann, wenn die Einkommensgrenze im sozialen in den letzten zwei Jahren gestrichen worden. Da Wohnungsbau um 80 % überschritten wird, über- geht es um den sozialen Wohnungsbau, das selbstge- haupt eine Fehlbelegungsabgabe erhoben wird. nutzte Wohneigentum, den Wegfall der Schuldzin- Wenn also Leute aus Bayern kommen und sagen, die sen, die Halbierung der Förderung beim Kauf aus tauge nichts, dann ist das eine Aufgabe, die in dem Bestand, die begrenzte Absetzbarkeit von Mo- Bayern gelöst werden muß. dernisierungs- und Instandsetzungsarbeiten, um Ein- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schnitte in das Fördergebietsgesetz und um Kür- DIE GRÜNEN) zungen bei der degressiven Abschreibung. Also ent- zieht man dem Wohnungsmarkt allein von seiten des Sie war schon einmal mutiger, die Regierung. In den Bundes staatliche Gelder in Höhe von über 5 Milliar- Koalitionsvereinbarungen zur 12. Legislaturperiode den DM und glaubt dann, man könne hier vor das stand: Wir werden die Rahmengesetzgebung des Publikum treten und von Stetigkeit reden und für Bundes für die Fehlbelegungsabgabe so ändern, daß Stetigkeit werben. Das funktioniert nicht. die Länder gezwungen sind, die Fehlbelegungsab- gabe bis zur Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete Man muß klipp und klar sagen, daß hier ange- zu nehmen. Davon ist keine Rede mehr. Von Ihnen sichts der hervorragenden Budgetinzidenz der Woh- gibt es nur Hinweise, auch im Sommerloch, man nungsbauförderung ein klassisches Eigentor ge- wolle die Fehlbelegungsabgabe völlig abschaffen. schossen wird. Wenn Wohnungen gebaut werden, fließt ungeheuer viel an Steuern - Lohnsteuer, Ein- kommensteuer, Mehrwertsteuer - an den Staat zu- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Erlauben Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Braun? rück, so daß man in bezug auf bestimmte Bausum- men sogar sagen kann: Das hält sich gegenseitig die Waage. Wer da kürzt, wer die Baukonjunktur an die- Achim Großmann (SPD): Nur wenn es nicht auf ser Stelle beschädigt, gefährdet Arbeitsplätze oder meine Redezeit angerechnet wird; sonst komme ich vernichtet sie, und er sorgt ebenfalls dafür, daß weni- nicht durch. ger Steuereinnahmen fließen.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Selbstverständ- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) lich. Das mache ich auch, ohne gemahnt zu werden. Das war kein reformerischer Ansatz, überhaupt nicht. Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Herr Groß- mann, Sie haben messerscharf erkannt, daß die Drittens zum frei finanzierten Mietwohnungsbau: F.D.P. in der Tat nicht verantwortlich ist für die Defi- Hier haben wir ein System, das verteuernd wirkt. nition der Fehlbelegung, wie sie in einem bayeri- Derjenige, der plant, der Architekt, verdient um so - schen Gesetz niedergelegt wurde. Ist Ihnen aber be- mehr, je teurer er plant. Derjenige, der baut, verdient kannt, daß die SPD - wohlgemerkt: die SPD - dieser um so mehr, je teurer er baut. Derjenige, der ver- Gesetzgebung der Bayerischen Staatsregierung, der kauft, der Makler, lacht sich natürlich ins Fäustchen, CSU, zugestimmt hat? wenn er höhere Courtagen erzielen kann. Derjenige, der kauft, freut sich, weil er mehr von der Steuer ab- (Zuruf von der F.D.P.: Das ist ja interessant!) setzen kann. Nicht dieses irrsinnige, preistreibende System ist im Vermittlungsausschuß zu Fall gebracht Achim Großmann (SPD): Das ist mir nicht bekannt, worden, sondern die Renditen im frei finanzierten aber ich habe keine Hemmungen, auch die bayeri- Mietwohnungsbau. Das heißt, im Moment funktio- sche SPD zu kritisieren, wie ich übrigens auch gleich niert das System wie folgt: Ob jemand vier Wohnun- 4192 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995

Achim Großmann gen für insgesamt 1,5 Millionen DM oder ob er ein zialwohnungen 1994 sind ein Spitzenwert - eine Penthouse für 1,5 Millionen DM baut, interessiert das enorme Anstrengung von Bund, Ländern, Gemein- Finanzamt nicht. Das System, das wir haben, ist öko- den und der Wohnungswirtschaft. Das ist das Ergeb- logisch und ökonomisch blind. nis einer erfolgreichen Wohnungsbaupolitik in den alten und den neuen Bundesländern. „Bauen fördert (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Wer die Einheit", stellt Ministerpräsident Kurt Bieden- hat es denn gefordert, Herr Großmann?) kopf richtig fest. - Ich habe gesagt, Herr Kansy, daß ich in die Rich- 1996 wird ein schwieriges Jahr werden. Nun ist es tung austeile, wo Fehler gemacht werden. Dabei in- aber unser aller Ziel, den Wohnungsbau zu versteti- teressiert mich im Moment wenig, wer mit den Feh- gen. lern angefangen hat. Wir können das ja korrigieren. Auch hier ist meiner Ansicht nach ein Systemfehler Herr Kollege Großmann, Sie haben eben das Ver- gemacht worden. mittlungsverfahren angesprochen. Offenbar war es im Vermittlungsverfahren zum Jahressteuergesetz Zum selbstgenutzen Wohneigentum will ich nicht 1996 erforderlich, zur Gegenfinanzierung der zusätz- viel sagen; die Zeit läuft mir davon. Wir haben ja Ge- lichen Forderungen der SPD die degressive Ab- legenheit, über den Gesetzentwurf zu streiten. schreibung für den frei finanzierten Mietwohnungs- Zum Wohngeld will ich noch einen Satz sagen. Ich bau zu senken. Das ist in der öffentlichen Diskussion habe natürlich gemerkt, daß es eine Kurskorrektur zu Recht kritisch bewertet worden. Die Forderungen gegeben hat. Darauf wird mein Kollege Maaß noch der SPD zum Jahressteuergesetz 1996 sind die Ursa- einmal eingehen. Es geht nicht, daß Sie 1,8 Mil- che dafür, daß im Vermittlungsausschuß die Senkung liarden DM für das Wohngeld zusammenbekommen der Abschreibung für Mietwohnungsgebäude be- wollen und wenige Monate später hier eine Rede schlossen wurde mit der Folge, daß weniger frei halten, um uns dahin gehend gefügig zu machen, finanzierte Wohnungen entstehen werden. daß wir es unter Umständen zum Nulltarif reformie- (Achim Großmann [SPD]: Da gab es aber ren. Das geht nicht! auch andere Möglichkeiten!) Fazit: Der Einzelplan 25 bedarf dringend weiterer Das Ziel der SPD war es offenbar, die steuerliche För- Beratungen. Er wird in keiner Weise den Maßstäben derung ganz einzustellen. Wohnungsbaupolitisch gerecht, die man an einen solchen Etat anlegen muß. wäre dies eine gravierende Fehlentscheidung gewe- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. sen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Herr Schröder hat sich gegen den Subventionsab- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN bau bei VW ausgesprochen. Der ehemalige wirt- und der PDS - Dr.-Ing. Dietmar Kansy schaftspolitische Sprecher der SPD wäre gut beraten [CDU/CSU]: Das war aber ein sehr verhal gewesen, wenn er aus gesamtwirtschaftlicher Sicht tenes „Kritikchen" am Vermittlungsaus im Vermittlungsausschuß den Subventionsabbau ge- schuß! Ich dachte, jetzt kommen Sie einmal rade beim Wohnungsbau mit verhindert hätte. Was zur Sache!) folgt daraus? - Auch Wohnungsbau sollte bei der SPD weniger von den Ministerpräsidenten der Län- der und mehr von der Bundestagsfraktion verantwor- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt tet werden. der Abgeordnete Gert Willner. (Achim Großmann [SPD]: Sehr richtig!) (Zuruf von der SPD) Dann besteht eher als bisher die Chance, sich in wichtigen Fragen auf gemeinsame Wege zu bege- Gert Willner (CDU/CSU): Frau. Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Kolleginnen und ben. Daß dies möglich ist, haben die Entscheidungen Kollegen! Auf den Zuruf aus den Reihen der SPD zum Mietrecht Ost und dem Wohnungsbauförde- möchte ich sagen: Es kommt heute kein Gedicht. rungsgesetz 1994 in positiver Weise gezeigt. (Beifall des Abg. Andreas Schmidt [Mül- Es ist ein vorrangiges Ziel, den Bundeshaushalt zu konsolidieren, die Verschuldung zu begrenzen und heim] [CDU/CSU]) die Staatsquote zu senken. Da kann auch der Haus- Hier hätte auch die SPD klatschen können. halt des Bauministers angesichts der schwierigen Rahmenbedingungen vom Kurs der Ausgabenbe- Der soziale Wohnungsbau ist eine wichtige Säule grenzungen nicht ausgenommen sein. Zu Beginn der der Wohnungsbaupolitik. Wenn das Geld knapp ist, Diskussion um einen Haushalt ist es wichtig, einen wenn gespart werden muß, kommt es darauf an, die - Blick zurück auf eine erfolgreiche Wohnungsbaupoli- öffentliche Förderung effizienter und treffsicherer zu tik zu werfen; an sie muß erinnert werden. gestalten. Deshalb ist es geboten, die einkommens- orientierte Förderung im sozialen Wohnungsbau (Lachen und Widerspruch bei Abgeordne konsequent umzusetzen und den Einsatz der Mittel ten der SPD) im dritten Förderweg auf die einkommensorientierte Förderung zu konzentrieren. Wir können einen Anstieg der Fertigstellungen im Wohnungsbau von rund 209 000 Wohnungen im Um den Wohnungsbau unter den schwierigen fi- Jahre 1988 auf fast 600 000 Wohnungen 1994 feststel- nanziellen Bedingungen zu verstetigen, ist ein Maß- len. Auch die 166 855 Bewilligungen von neuen So nahmebündel erforderlich. Dazu gehören neben der Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4193

Gert Willner einkommensorientierten Förderung im sozialen Woh- Das Thema der Konzentration der Mittel des sozia- nungsbau u. a. der Wohnungsneubau und die ge- len Wohnungsbaus, aber auch die Wohngeldthema- zielte familiengerechte Steigerung der Eigentums- tik wird - wie eine mögliche Anpassung und die quote. Die CDU/CSU will durch eine gezielte Woh- Strukturreform in 1996, von der der Minister eben nungseigentumsförderung für Familien mit Kindern gesprochen hat - in der Arbeitsgruppe der CDU/CSU und einem mittleren Einkommen die Möglichkeit intensiv diskutiert werden. Wir werden auch darüber schaffen, Haus- oder Grundeigentümer zu werden. beraten, wie die Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit Um es klar und deutlich zu sagen: CDU/CSU und des Ministers erhöht werden können; denn unser F.D.P. wollen mehr Eigentum für junge Familien und Leitgedanke kann doch nicht sein: Wir machen eine Alleinerziehende. gute Politik, aber wir halten sie geheim.

(Beifall bei der F.D.P.) (Achim Großmann [SPD]: Der sitzt doch schon in jedem Sandkasten!) Mit der vorliegenden Initiative zur Wohnungsei- Es muß das Ziel sein, erstens in Zeiten knapper Fi- gentumsförderung hat die Koalition Handlungsfähig-. nanzen im sozialen Wohnungsbau mit weniger Geld keit bewiesen. Die beabsichtigte Neuregelung der je Förderungsfall auszukommen, zweitens die Mittel Wohnungseigentumsförderung ist einfach, über- verstärkt einkommensorientiert einzusetzen, drittens schaubar, familienfreundlich und sozial ausgestaltet. zum Erwerb von Wohnungseigentum zu motivieren Die deutliche Erhöhung des Baukindergeldes - künf- und viertens schon jetzt mit Unterstützung der Län- tig: Kinderzulage - auf 1 500 DM je Kind ist ein Bei- der, Gemeinden und Städte sowie der Wohnungs- trag zu dieser sozialen und familienfreundlichen wirtschaft die Förderung vorzubereiten und ab 1996 Ausgestaltung. mit einer Baulandinitiative umzusetzen; denn wir Ich bin sicher, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß wollen jetzt mehr Eigentum für junge Familien und wir uns einig sind in der Feststellung: Wohnungsei- Alleinerziehende. Wohnungseigentum ist die sozial- gentum ermöglicht familiengerechtes Wohnen und ste Form der Mieterunterstützung. schafft Sicherheit im Alter. Wenn es unser gemeinsa- Damit habe ich die Minute, die der Minister über- mes Ziel ist, Wohnungseigentum zu fördern und zogen hat, aufgeholt. Wohnungsbau zu verstetigen, dann kann die Initia- tive zur Wohnungseigentumsförderung nur erfolg- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. reich sein, wenn das erforderliche Bauland verfügbar (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ist. Mit der Bereitstellung von Bauland muß jetzt be- gonnen werden. Deshalb fordert die CDU/CSU-Frak- tion die Städte und Gemeinden auf, die Initiative für Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Vielen Dank mehr Wohnungseigentum durch eine Baulandinitia- auch dafür. - Das Wort hat jetzt die Kollegin Fran- tive zu unterstützen. ziska Eichstädt-Bohlig.

(Beifall bei der CDU/CSU - Achim Groß Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE mann [SPD]: Wir brauchen aber wichtige GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- Instrumente!) ren! Herr Minister Töpfer! Ich bewundere immer den begnadeten Schönredner Töpfer - gerade bei diesem - Wenn Sie dazu eine Zwischenfrage stellen, gehe Etat. ich gerne darauf ein; sonst geht das von meiner Re- dezeit ab. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die CDU/CSU begrüßt es, daß mit diesem Haus- Herr Willner hat sich Mühe gegeben, ihm nahezu- kommen. halt ein CO2-Minderungsprogramm ab 1996 be- schlossen wird. Für das Programm sind fünf Förder- (Heiterkeit) jahre mit einem Kreditrahmen von jeweils 1 Milliarde DM vorgesehen. Der Einzelplan 25 des Haushalts- Ich bin es eigentlich leid, hier immer als die Mek- entwurfs 1996 leistet damit einen wichtigen Beitrag kertante aufzutreten, zur CO2-Minderung und zur Förderung der Energie- (Zuruf von der F.D.P.: Das können Sie doch einsparung im Wohnungsbau. Auch mit diesem Pro- ändern!) gramm wird den grundlegenden Veränderungen des energiepolitischen Umfeldes entsprochen. und das immer wieder mit denselben Punkten. Aber wenn ich mir den Etat 1996 ansehe und wenn ich be- Lassen Sie mich feststellen: Der Haushaltsentwurf denke, wie die Etats des Jahres 1997 und der folgen- für den Geschäftsbereich des Bauministers enthält den Jahre aussehen werden, stelle ich fest, daß die - nach wie vor als Ausgabenschwerpunkte die Förde- dramatisch schlecht sein werden. Ich finde, alle Frak- rung des sozialen Wohnungsbaus und die Städtebau- tionen sollten das ernst nehmen und hier nicht dar- förderung. Für Finanzhilfen an die Bundesländer ist über hinwegreden; ein Verpflichtungsrahmen von 2,21 Milliarden DM (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vorgesehen, wie nachlesbar eine Minderung von und bei der SPD) 550 Millionen DM gegenüber der Finanzplanung. Der Kassenansatz, also die Barmittel, werden mit denn de facto sind wir an einem Punkt, an dem der 2,9 Milliarden DM rund 10 % über dem Vorjahresan- Haushalt fast nur noch aus bisherigen Verpflichtun- satz liegen. gen besteht und quasi keinen neuen Gestaltungs- 4194 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995

Franziska Eichstädt-Bohlig raum bietet. Wir arbeiten nur noch ab und haben kei- Ich habe schon mehrfach gesagt: Wir sind mit Ih- nen neuen Handlungsspielraum. Ich meine, das ist nen in einigen Punkten d'accord; aber wir möchten ein Tatbestand, den wir wirklich nicht herunterreden diese Diskussion für die Bestandswohnungen im sollten. städtischen Bereich, die landeseigenen Wohnungen und die sonstigen öffentlichen Wohnungen führen. Erstens möchte ich zur Wohnungslosigkeit spre- Sie haben die Diskussion letztlich nur für die bisheri- chen. Wir haben intensiv über Obdachlosigkeit und gen noch - bald nicht mehr - existenten Sozialwoh- Wohnungslosigkeit geredet. Was erscheint im Haus- nungen geführt. halt dazu? - Nichts. Das finde ich skandalös. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) und bei der SPD) Wir können uns darüber einigen, wenn Sie bereit Zweitens möchte ich etwas zum Wohngeld sagen. sind, mit uns über eine neue Wohnungsgemeinnüt- Im Zusammenhang mit dem Mietenüberleitungs- zigkeit für die öffentlichen Bestände zu reden; denn recht haben wir intensiv über das Wohngeld gespro- die müssen wir zuallererst sichern. Gemeinsam kön- chen. Herr Töpfer redet ständig davon, eine Struktur- nen wir dabei sehr viel Geld sparen. Ich weiß, daß reform einleiten zu wollen. Ich habe deutlich verstan- das eine heiße Kartoffel ist, daß die Wohnungsbauge- den: Es geht um eine Strukturreform, die eine Wohn- sellschaften nicht gern damit befaßt werden wollen, geldabbaureform und keine Wohngeldsicherungs- da es viel bequemer ist, im jetzigen Rechtssystem zu und -erhöhungsreform ist. arbeiten, als sich Sozialbindungen zu unterwerfen. Ich denke aber, wir müssen an das Thema herange- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hen. und bei der SPD) Zur Fehlbelegung spare ich mir jedes weitere Zum ersten Mal ist sehr deutlich geworden, Herr Wort . Herr Großmann hat dazu sehr schön Stellung Töpfer, was Sie unter Strukturreform verstehen. Sie genommen. Ich finde es wirklich ein bißchen ko- sollten das auch den Mietern so deutlich sagen, und misch, daß Sie den Investoren dieses Geld, das drin- zwar sowohl denen, die pauschaliertes Wohngeld be- gend gebraucht wird, jetzt praktisch locker über den kommen, als auch denen, die normales Wohngeld Tisch reichen wollen. bekommen. Zur Stadterneuerung habe ich von Ihnen über- haupt nichts gehört. Ich muß meine Brille schon drei- Drittens gehe ich auf den sozialen Wohnungsbau mal putzen, um dazu etwas im Etat zu finden. Die ein. Schon oft wurde gesagt, der soziale Wohnungs- Stadterneuerung West gibt es fast überhaupt nicht bau sei offenbar der Steinbruch für Transrapid, für mehr: 1996 noch einen kleinen Tropfen, 1997 brau- das Wärmedämmprogramm usw. Wir haben prak- chen wir gar nicht mehr zu erwähnen. tisch keinen sozialen Wohnungsbau mehr. Die Stadterneuerung Ost ist auch nur noch ein (Widerspruch bei der CDU/CSU) Tröpfchen auf den heißen Stein, und das, obwohl wir alle wissen und uns fraktionsübergreifend einig sind, Herr Braun, ich empfinde es mittlerweile als Witz, daß Stadterneuerung Mittelstandsförderung, Kon- daß Sie den sozialen Wohnungsbau grundsätzlich junkturmotor, Stadtkultur, Baukultur, soziale Stabili- nur noch als dritten Förderweg verstehen. Ich ver- sierung und ein Damm gegen die Zersiedelung ist. stehe darunter einen Wohnungsbau, der für die be- All das wissen wir, und trotzdem passiert in diesem dürftigen Gruppen gedacht ist, der preiswerte Woh- Etat überhaupt nichts. Das heißt, die wirklich vorbild- nungen bereitstellt und nicht den Besserverdienen- liche bundesrepublikanische Kultur der Stadterneue- den zur Verfügung steht. rung wird schlichtweg demontie rt . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Im Osten kommt hinzu, daß das KfW-Programm und bei der SPD) Ende 1996 ausläuft. Ihr Ministerium stellt lapidar fest: „Volumen Anfang 1997 erschöpft". Wir fragen Mehr brauche ich dazu, glaube ich, nicht zu sagen. Sie: Was kommt danach? Wir haben dazu Vorschläge Herr Großmann hat das mit Zahlen belegt und im De- gemacht, Sie haben sie nicht hören wollen. tail ausgeführt. Unsere zentrale Forderung insbesondere für Ost- Herr Töpfer, ich finde es langsam ein bißchen pein- deutschland ist: Wir brauchen für die Erneuerung der lich, daß Sie im Sommer von großen Reformen des Bestände, von der Innenstadterneuerung über die sozialen Wohnungsbaus reden, obwohl wir auf der Großsiedlungen bis hin zu den 50er-Jahre-Siedlun- einen Seite gar keinen Etat mehr haben, der diese gen, dringend ein wohnungswirtschaftliches Ge- Reformen ermöglichen könnte, und obwohl wir auf samtkonzept. Wir können die Städte und die Bauge- der anderen Seite Sozialwohnungen im Bestand ha- sellschaften damit nicht alleinlassen. Das reicht von ben, deren Sozialbindungen schneller auslaufen, als vorn bis hinten nicht aus, und Stadterneuerung West Sie Ihre Reform überhaupt auf den Tisch bringen ist eine eigene Diskussion. können. Ich weiß gar nicht, wofür diese Reform gut sein soll. Sie sehen, ich fordere Geld. Ich will auch sagen, woher ich es nehmen will. Wir haben ein Alternativ- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN konzept für die Wohnungseigentumsförderung vor- sowie bei Abgeordneten der SPD) gelegt, weil wir der Meinung sind, daß Ihr Konzept - Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4195

Franziska Eichstädt-Bohlig trotz einiger Verbesserungen gegenüber dem bishe- Einzelplan 25 - unterliegt dem Erfordernis des Spa- rigen Stand - ökologisch nichts anderes ist als die rens. Dabei ist der Spagat zwischen Sparen und Not- Aufforderung zum Flächenfraß und zur Zersiede- wendigkeiten in der Wohnungsbaupolitik zu vollfüh- lung, daß es den soeben von Ihnen genannten Raum- ren. ordnungszielen massiv widerspricht. Dieses Pro- gramm ist nur in Gebieten mit niedrigen Bodenprei- Es ist erreicht worden, daß der Einzelplan 25 um sen interessant, d. h. in Zersiedelungsgebieten; denn 1,7 % sinkt, trotzdem steigen die Ausgaben für Inve- sonst greift es überhaupt nicht. In den Großstädten stitionen um 11,5 %. Dabei sind Ecken und Kanten nützt es nichts. Von daher ist es ökologisch sogar unvermeidbar. Wir müssen uns aber darüber im kla- kontraproduktiv, ren sein, daß der Wohnungsbau eine wichtige Kon- junkturlokomotive ist und bleibt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Gert Willner [CDU/CSU]: Und bleiben obwohl Sie selbst die ökologische Raumordnung ge- muß!) fordert haben. Dies gilt vor allem für die neuen Bundesländer. Ob- Ich bitte die Fraktionen, insbesondere die SPD- wohl die Ausgaben für den sozialen Wohnungsbau Fraktion, und die A-Länder dringend, sich unser von rund 2,7 Milliarden DM auf rund 2,9 Milliarden Ökobonuspunktesystem und - das ist auch wichtig - DM steigen, war in der Bilanz mit Verpflichtungser- unsere Vorschläge für einen schnelleren Abbau der mächtigungen ein Rückgang um 550 Millionen DM Subvention für Haushalte mit besserem Einkommen, unvermeidbar. für die Streichung des Vorkostenabzugs und für an- dere Elemente anzusehen. An dieser Stelle muß unbedingt daran erinnert werden, daß der Wohnungsbau im ersten Förderweg Wir können hier Geld sparen. Wir haben uns im viel zu teuer ist und, bezogen auf den Mitteleinsatz, Sommer die Mühe gemacht, intensiv zu rechnen. Un- zuwenig Wohnungen erbringt. Es besteht einerseits ser Programm wird 3,6 Milliarden DM billiger als Ih- die Notwendigkeit, den dritten Förderweg auszuwei- res. Dieses Geld möchte ich zur Umverteilung in ten, andererseits jedoch die einkommensorientierte Richtung Wohngeld, sozialen Wohnungsbau und Förderung beim Wohngeld klarer durchzusetzen. Stadterneuerung einsetzen. Hier brauchen wir das Die Inititative für preisgünstigeres Bauen, initiiert Geld. Es geht nicht an, daß eine einseitige Förderung von der ehemaligen Bauministerin Dr. Schwaetzer der Eigentumspolitik zu Lasten der anderen Politik- und als Stafette von Bundesbauminister Töpfer fo rt bereiche betrieben wird. Denn da finden sich die -gesetzt, mit der Entrümpelung von Vorschriften und Haushalte mit niedrigem Einkommen. vielen anderen Maßnahmen im Wohnungsbaube- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) reich ist ein wichtiges Detail auf dem Weg zu einem effektiven Bauen - nicht nur in bezug auf den dritten Zum Schluß möchte ich noch einen Punkt anspre- Förderweg, die „vereinbarte Förderung". Die Mittel chen, auch wenn meine Zeit schon überschritten ist. für diesen Förderweg müssen vor Ort regelgerecht Ich möchte noch ein Wort zum Umzug nach Berlin umgesetzt werden und dürfen nicht durch länderspe- und zu unseren eigenen Maßnahmen im Bereich zifische Maßnahmen in den ersten Förderweg über- Bundestag sagen. Ein Punkt ist - deshalb sehe ich führt werden. Bei einer solchen Überführung in den Sie an, Herr Kansy - die Baukommission. ersten Förderweg würde die gewonnene Effektivität wieder verlorengehen. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ein letzter Satz. (Beifall bei der F.D.P.)

Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE Die einkommensorientierte Förderung muß sich im GRÜNEN): Es ist mir äußerst wichtig, daß wir hier neuen Wohngeldgesetz 1996 niederschlagen. Dieses anfangen, sparsamer und bescheidener zu werden. Gesetz muß spätestens nach der parlamentarischen Sie selbst haben es heute in der Obleutesitzung ge- Sommerpause 1996 erarbeitet sein, damit es - wie sagt. Ich denke, es geht darum, daß wir kostenspa- vorgenommen - noch im gleichen Jahr wirksam wer- render werden, daß wir die Stellplatzfrage und ei- den kann. Es muß sich sowohl an den Miet- als auch nige Wünsche und Standards überprüfen. Das sollten an den Einkommensstrukturen orientieren und soll wir gemeinsam machen und die neue Bescheiden- damit der grundsätzlichen F.D.P.-Forderung nach der heit gemeinsam tragen. Subjektförderung, d. h. der personen- und familien- bezogenen Förderung, entsprechen, dies nicht zu- In dem Sinne schönen Dank. letzt auch, um damit eine größere Fördergerechtig- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN keit herzustellen. sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Die notwendige Mittelbereitstellung ist hier schnell- jetzt der Abgeordnete Dr. Klaus Röhl. stens zu klären. Mit diesem neuen Wohngeldgesetz soll auch eine Vereinheitlichung der Wohngeldzah- lungen in den alten und neuen Bundesländern er- Dr. Klaus Röhl (F.D.P.): Sehr geehrte Frau Präsiden- reicht werden. tin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch der Etat im Geschäftsbereich des Bundesministe- (Gert Willner [CDU/CSU]: Das ist ein wich- riums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau - tiger Gesichtspunkt!) 4196 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995

Dr. Klaus Röhl Das Wohnungsbauprogramm der Kreditanstalt für Die Geschichte jeglichen Volkes setzt sich aus ge- Wiederaufbau zur Schaffung zusätzlichen Miet- liebten und ungeliebten Geschichtsperioden zusam- wohnraums in bestehenden Gebäuden — mit Förde- men. Sie ist nur in ihrer Gesamtheit zu verarbeiten rungsschwerpunkten bei Modernisierung, Instand- und zu verstehen. setzung, Dachausbauten etc. - für die neuen Länder ist sehr erfolgreich. Die Ausgaben steigen hier von Meine Damen und Herren, die Gestaltung der ver- 500 Millionen DM auf 1,2 Milliarden DM. schiedenen Titel des Einzelplanes 25 muß so gelin- gen, daß die Bauwirtschaft mit ihren in viele andere Die F.D.P. begrüßt das zum 1. Januar 1996 star- Wirtschaftsbereiche hineinragenden, fördernden tende CO2-Minderungsprogramm für den Woh- Wirkungen weiterhin ein kräftiger Wirtschaftsantrieb nungsbestand der alten Bundesländer. Mit einem und eine Arbeitsplatzlokomotive bleibt, wie es die Kreditrahmen von 1 Milliarde DM werden CO2-Min- Entwicklung in den neuen Bundesländern zeigt. derungs- und Energieeinsparungsmaßnahmen geför- dert. Ich danke Ihnen. Die Weiterführung der Förderung des Städtebaus (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - sowohl für die neuen Länder als auch für die alten Achim Großmann [SPD]: Diese Rede hat Länder ist nicht nur für Stadtstrukturen und Stadtbil- Ihre Wahrsagerin geschrieben!) der äußerst wichtig, sondern ebenso für den Erhalt stabiler Arbeitsplätze. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt (Beifall bei der F.D.P.) der Abgeordnete Klaus-Jürgen Warnick. Die F.D.P. setzt sich dafür ein, den Mitteleinsatz hier- für anzuheben, um auf dem begonnenen Niveau Klaus-Jürgen Warnick (PDS): Frau Präsidentin! nicht stehenzubleiben. Wir haben hier auch Hoff- Meine Damen und Herren! Daß der Einzelplan des nung auf Erfolg. Bauministeriums eine einzige Schande ist, hat schon (Beifall bei der F.D.P.) meine Vorrednerin deutlich gemacht. Mit diesem Haushaltsplan und seinen Prioritätensetzungen zeigt Bei den Maßnahmen für die Wohnraumförderung die Bundesregierung, daß sie nicht gewillt ist, ernst- für Angestellte der Bundeswehr, der Verwaltungen haft gegen den zunehmenden Mangel an bezahlba- des Bundes und Bundestagsfraktionen muß darauf ren Wohnungen und gegen die wachsende Zahl der geachtet werden, daß Wohnungen mit realisierbaren von Obdachlosigkeit bedrohten und betroffenen Mietpreisen zur Verfügung stehen. Leerstand ist hier Menschen vorzugehen. unbedingt zu vermeiden. (Beifall des Abg. Rolf Köhne [PDS]) Die F.D.P. steht klar zu den Umzugsbeschlüssen Bonn/Berlin und damit auch zu den hier notwendi- Die Wohnungspolitik wird zunehmend durch eine so- gen Investitionen. Alle Mittel für Baumaßnahmen im zial ungerechte Vermögenspolitik verdrängt. Umzugsbereich sind ohne Zeitverlust und effizient einzusetzen. Es ist auch zu prüfen, ob sie zeitlich und Im Etatansatz 1996 wollen Sie die Mittel für den so- in der Höhe richtig gestaffelt sind. Auf sparsamen zialen Wohnungsbau um weitere 650 Millionen DM Mittelverbrauch ist streng zu achten. Ausschreibun- - das sind rund 23 % - streichen. Kollege Großmann gen für Baumaßnahmen und Bauleitung sollten zu- hat das vorhin schon alles erläutert. Klammheimlich sammengeführt werden. Die zügige Durchführung wird damit auch die vor wenigen Monaten beschlos- der Baumaßnahmen und die Mittelabführung sind zu sene Finanzplanung des Bundes für die Jahre 1994 garantieren. Die gesetzten Termine sind streng ein- bis 1998 nach unten korrigiert und damit faktisch zuhalten. Unklarheiten und Ungereimtheiten in der wertlos. Mittelbereitstellung sind in den Berichterstatterge- sprächen konsequent zu beseitigen. Wie Sie sich selbst, Herr Minister, in die Tasche lü- gen, aber auch die Bürgerinnen und Bürger belügen, Ein brisantes Thema: Der Streit um den Abriß oder wird u. a. an folgendem deutlich. Im Finanzplan des die Sanierung des Palastes der Republik muß been- Bundes 1995 bis 1999 heißt es: det werden. Die F.D.P. spricht sich konsequent gegen den Abriß des Palastes der Republik aus, solange Für den sozialen Wohnungsbau stellen Bund und nicht überzeugende und realisierbare Konzepte für Länder jährlich erhebliche Finanzmittel bereit, seine Sanierung und Nutzung vorgestellt und ge- um angesichts der nach wie vor bestehenden prüft oder für eine überzeugende und realisierbare Engpässe im preisgünstigen Marktsegment das Neubebauung an seiner Stelle erarbeitet worden Wohnungsangebot für Haushalte im unteren bis sind. mittleren Einkommensbereich zu erhöhen. (Beifall bei der F.D.P.) Zu schön, um wahr zu sein. Die Wirklichkeit sieht anders aus. In den westlichen Bundesländern fallen Der in Deutschland verbreitete Hang, Bauwerke oder in diesem Jahr Hunderttausende Wohnungen aus sonstige bildhaft gewordene Zeugen ungeliebter Ge- der Sozialbindung. Dieser Prozeß wird auch durch schichtsperioden durch Abriß zu beseitigen, ist kein die wenigen neuen Sozialwohnungen nicht abgefan- geeigneter Weg zur Verarbeitung der eigenen Ge- gen. In den östlichen Bundesländern gibt es über- schichte. haupt keinen nennenswerten Sozialwohnungsbe- (Beifall bei der F.D.P.) stand. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4197

Klaus-Jürgen Warnick Die Wohnkosten steigen in Ost und West weiterhin tungsgesetzes und c) die dauerhafte Übernahme der wesentlich schneller als die Einkommen. Der selbst verbliebenen Altschulden und des Zinsdienstes von der Bundesregierung eingestandene Engpaß durch den Bund auf Antrag von kommunalen und wird also immer größer. Die Stellungnahme des Bun- genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen, wel- desbauministeriums dazu: che als Gegenleistung dauerhafte Belegungsbindun- gen und Mietpreisbegrenzungen für diese Wohnun- Die Rückführung der Verpflichtungsrahmen un- gen gewährleisten. ter das in der Finanzplanung für 1996 vorgese- hene Volumen ist aus Sicht des BMBau zu bedau- Zum dritten eine Erhöhung des Wohngeldes für ern. Ausschlaggebend waren nicht wohnungs- die westdeutschen Länder zum 1. Januar 1996 als politische, sondern fiskalische Gesichtspunkte. vorgezogene Maßnahme bis zur grundlegenden Herr Bundesbauminister, Bedauern reicht hier Wohngeldreform. nicht. Ich fordere Sie auf, um eine spürbare Erhö- hung der Mittel für die Schaffung und den Erhalt be- Als viertes eine spürbare Reduzierung der Kosten zahlbarer Wohnungen zu kämpfen, für Gutachten, Wettbewerbe und Hochbaumaßnah- men in Berlin. (Beifall des Abg. Rolf Köhne [PDS]) statt weiterhin einer gescheiterten, sozial und ökolo- Überfällig ist es auch, durch veränderte Aufgaben- gisch verantwortungslosen Eigentumsideologie hin- stellung die Mittel für den ehemaligen Palast der Re- terherzulaufen. publik in Berlin nicht für den Abriß, sondern für die Asbestsanierung mit dem Ziel der zügigen Inbetrieb- Statt mit einem weiteren 50-Millionen-Programm nahme als Kultur- und Bildungszentrum einzupla- die Zwangsprivatisierung von kommunalen und ge- nen. Ich freue mich hier sehr über die Meinungsän- nossenschaftlichen Wohnungen in Ostdeutschland derung der F.D.P. schmackhafter zu machen, sollten Sie dieses Geld für ein zusätzliches Programm zur Bekämpfung von Ob- Auch dieser Einzelplan ist nicht alternativlos und dachlosigkeit einsetzen. unveränderbar. Den vorliegenden Vorschlägen der Auch eine Reihe von Haushaltspositionen im Kapi- Koalition können und werden wir nicht zustimmen. tel Baumaßnahmen, Wohnungsfürsorge für Bundes- bedienstete und Umzugskosten Bonn-Berlin sind Ich danke Ihnen. kritisch zu hinterfragen. Warum wird z. B. für Bun- desbedienstete die Schaffung von 5 001 Mietwoh- (Beifall bei der PDS) nungen und Eigenheimen in Berlin mit 790 Millionen DM - das sind im Durchschnitt rund 158 000 DM pro Wohnung - gefördert? Reichen etwa die für alle an- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat deren geltenden Instrumente von der Eigenheimför- jetzt der Abgeordnete Dieter Maaß (Herne). derung bis zum Wohngeld für diese Personengruppe nicht aus? Ich weiß, daß sie für bezahlbare Wohnun- gen nicht reichen. Aber das Menschenrecht auf Woh- nung gilt für alle. Deshalb muß die Bundesregierung Dieter Maaß (Herne) (SPD): Frau Präsidentin! endlich der Fürsorgepflicht für alle Menschen dieses Meine Damen und Herren! Nach einer ersten Durch- Landes gerecht werden. sicht des vorliegenden Einzelplans 25 im Bundes- haushalt 1996 stellen wir Sozialdemokraten fest: Wie- Aus Sicht der Partei des Demokratischen Sozialis- der einmal werden Einsparungen an der falschen mus sind folgende Dinge notwendig: Stelle vorgenommen. Eine sinnvolle Umstrukturie- rung findet nicht statt, und Prioritäten werden nicht Zum ersten eine deutliche Anhebung und Versteti- gesetzt. gung der Mittel für die Förderung des sozialen Woh- nungsbaus in Ost und West auf mindestens 5 Mil- Ich möchte Ihnen dazu Beispiele nennen. Erstes liarden DM. Notwendig ist die verstärkte Förderung Stichwort: Auch im nächsten Jahr stehen kaum Mit- des genossenschaftlichen sowie des den Prinzipien tel für die Städtebauförderung in den alten Bundes- der Gemeinnützigkeit verpflichteten Wohnungsbaus, zur Verfügung, obwohl Sie genau wissen, der Programme zur Leerstandsbeseitigung, der Städ- ländern welche positiven wirtschaftlichen Effekte gerade mit tebauförderung sowie zur Sanierung und Moderni- diesen Fördermitteln erzielt werden können. Von sierung des Wohnungsbestandes. Die erforderlichen den für 1996 im Haushalt vorgesehenen 830 Millio- Mittel können durch radikalen Abbau ungerechtfer- nen DM entfallen auf die alten Bundesländer 130 tigter Eigentumsförderung kompensiert werden. Millionen DM, nochmals 11 Millionen DM weniger - Als zweites eine Korrektur des Altschuldenhilfe als 1995. Daß in den neuen Bundesländern mehr Be- Gesetzes im Interesse der Mieter, Wohnungsunter- darf besteht, ist nicht von der Hand zu weisen. Aber nehmen und Kommunen Ostdeutschlands durch a) 130 Millionen DM Fördermittel West bieten zu wenig die ersatzlose Streichung des § 5, der Zwangsprivati- Anreiz für Investoren. Was noch schlimmer ist: Sie sierung, zumal das kein Geld kostet - im Gegenteil: tragen kaum zur Lösung der großen Probleme in dabei würde der Bund sogar noch sparen -, b) die den Städten bei. Das Rechnungsbeispiel, daß 1 DM Verlängerung der Zinshilfe für die sogenannten Alt- Städtebauförderung noch 7 DM weiterer, überwie- schulden der ostdeutschen Wohnungswirtschaft für gend privater Investitionen nach sich zieht, gilt im- den gesamten Geltungszeitraum des Mietenüberlei mer noch. 4198 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995

Dieter Maaß (Herne) Die Städtebauförderung West ist in den vergange- begehen einen Wortbruch, wenn Sie den Menschen nen Jahren rigoros gestrichen worden. Angesichts ih- die versprochene Wohngelderhöhung vorenthalten. rer wichtigen Anstoßeffekte für weitere Investitionen ist eine deutliche Anhebung dieser Städtebauförde- (Beifall bei der SPD und der PDS sowie der rungsmittel unumgänglich. Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der SPD) Im Rahmen der Haushaltsberatungen sollte auch die Ankündigung des Ministers unter der Überschrift Auf einer Informationsreise des Ausschusses für „Das junge Haus" angesprochen werden. Nun be- Raumordnung, Bauwesen und Städtebau nach Han- grüßen wir sicher alle einen preiswerten Wohnungs- nover im Frühjahr dieses Jahres konnten wir feststel- bau. Darüber, wie man so etwas macht, gibt es viele len, wie notwendig die Städtebauförderung des Bun- Studien und Vorschläge, auch praktische Beispiele. des ist. Ein ganzer Stadtteil, der zu verslumen drohte, In Nordrhein-Westfalen gibt es bereits solche Mo- mit all den schlimmen sozialen Folgen für unsere Ge- delle. sellschaft, kann erhalten werden. Hoffnungsvolle, er- folgreiche Ansätze sind in diesem Projekt deutlich er- Die Bundesregierung hat durch die Expertenkom- kennbar. Aber ohne weitere finanzielle Beteiligung mission Wohnungspolitik Kriterien für kostengünsti- des Bundes sind solche Maßnahmen nicht mehr ges Bauen ausarbeiten lassen. Es fängt damit an, daß durchzuführen. die Gemeinden preisgünstiges Bauland zur Verfü- gung stellen sollen. Die Versorgungswirtschaft soll (Josef Hollerith [CDU/CSU]: Ich sage nur: ihre Anschlußbedingungen und ihre Anschlußpraxis Chaostage!) an die Erfordernisse der Kostensenkung anpassen. Es sollen kombinierte Architekten- und Investoren- Die städtebauliche Entwicklung, das Erhalten von wettbewerbe durchgeführt werden. baulicher Substanz ist durch das Zurückziehen des Bundes stark eingegrenzt. - Wahrscheinlich würden Im Ergebnis geht der Schwarze Peter an die Betei- diese Chaostage nicht mehr stattfinden, wenn dort ligten am Bau; die Appelle gehen an andere, aber mehr gefördert würde. - der Bund hält sich zurück. Es wird lediglich der Vor- schlag gemacht, die Vergabe der Fördermittel im (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Es wa Subventionswettbewerb und in Verbindung mit För- ren auch welche aus Herne dabei!) der- und Kostenobergrenzen anzustreben. Dies ist nicht neu und wird von einigen Bundesländern Die Aufbereitung von Industriebrachen wird ohne schon so praktiziert. diese Fördermittel noch weiter erschwert, zumal die Weiter beabsichtigen Sie, einen Koordinierungs- Städte und Gemeinden bereits finanziell am Ende ausschuß Baukostensenkung einzusetzen. Ist es sind. Unter dieser Haushaltsstelle würden wir Sozial- dazu nicht schon etwas zu spät? Der dringend benö- demokraten wieder höhere Beiträge einsetzen. tigte Wohnraum muß jetzt zur Verfügung stehen. Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen einen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) weiteren Kritikpunkt an Ihrem Haushalt nennen: das Zurückführen des Wohngeldes. Sie senken die Betei- Zum gegenwärtigen Zeitpunkt müssen dafür genü- ligung des Bundes am Wohngeld in 1996 um ca. 182 gend Anreize geschaffen werden. Im Haushalt 1996 Millionen DM gegenüber dem Ist von 1994. Seit 1990 vermissen wir Sozialdemokraten hierfür aber einen ist das Wohngeld nicht angepaßt worden. In dieser Titel. Zeit sind die Mieten um mehr als 30 % gestiegen. Hart getroffen werden Familien mit Kindern und Al- Wenn die Bundesregierung solche Maßnahmen - leinstehende mit niedrigem Einkommen, vor allem die, wie schon gesagt, so neu nicht sind - wirklich Rentnerinnen. Sie kürzen die Mittel für Wohngeld, will, dann muß sie sie auch finanziell fördern. Eine obwohl Minister Töpfer schon seit Wochen angekün- Summe im Haushalt für eine solche Förderung sucht digt hat, das Wohngeld West solle an die Mietenent- man vergebens. Im Gegenteil: Die Mittel für den so- wicklung angepaßt werden. Im Rahmen der Beratun- zialen Wohnungsbau werden stark gekürzt. gen zum Mietenüberleitungsgesetz sind solche Zusa- Was jedoch bei Ihrer Ankündigung „Das junge gen auch von Mitgliedern der Regierungsfraktionen Haus" völlig offen bleibt, sind die Grundstücksko- gemacht worden. sten. Wenn die Grundstückskosten durchschnittlich ca. 40 % der Bausumme ausmachen, können nämlich (Achim Großmann [SPD]: Die sind heute nur 60 % der Baukosten beeinflußt werden. Sie wis-- alle kassiert worden!) sen selbst, daß der Hinweis, der Bund werde preis- wertes Kasernengelände zur Verfügung stellen, nicht Wenn die Wohngeldtabellen nicht angepaßt wer- ausreicht. Deshalb fordern Sie dann die Gemeinden den, entstehen soziale Verwerfungen: zum einen auf, preiswerte Grundstücke auszuweisen und Lük- durch die Ungleichbehandlung der Wohngeldemp- ken zu schließen. Sie verweigern den Gemeinden fänger in den alten Bundesländern, zum anderen bei aber die dazu notwendigen Instrumente, etwa ein den Wohngeldberechtigten, die durch die Brutto- Satzungsrecht für eine Grundsteuer für baureife lohnentwicklung aus dem Kreis der Berechtigten Grundstücke. ausscheiden. Wir Sozialdemokraten fordern die Er- füllung Ihrer Zusagen für den Haushalt 1996 ein. Sie (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4199

Dieter Maaß (Herne) Wieder werden groß angekündigte Neuerungen Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten auf die Gemeinden abgeschoben. werden in den Ausschußberatungen zu den einzel- nen Titelgruppen konkrete Vorschläge machen. Sie (Gert Willner [CDU/CSU]: Das Instrument werden nicht unbedingt zu höheren Ausgaben füh- der städtebaulichen Verträge wird viel zu ren. Die vorhandenen Fördermittel sollen jedoch so- wenig genutzt, Herr Kollege!) zial gerechter und wirtschaftlich effizienter einge- Im übrigen hat meine Heimatstadt kein militärisches setzt werden. Gelände, und sie verfügt auch nicht über ausreichen- Vielen Dank. des Bauland; von preiswertem kann schon gar nicht die Rede sein. (Beifall bei der SPD) (Lisa Peters [F.D.P.]: Das militärische Ge Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich erteile jetzt lände ist auch nicht preiswert, Herr Maaß, dem Kollegen Frankenhauser das Wort. das ist teuer!)

Die politisch Verantwortlichen in den Städten und Herbert Frankenhauser (CDU/CSU): Frau Präsi- Gemeinden müssen dann wieder den Bürgerinnen dentin! Kolleginnen und Kollegen! Zunächst muß ich und Bürgern erklären, wieviel Luft in Ankündigun- mich bei dem Kollegen Maaß für einen Zwischenruf gen der Bundesregierung steckt. entschuldigen. Ich habe Sie nämlich verdächtigt, daß Sie den Schürmannbau dem Genossenschaftsbau zu- Meine Damen und Herren, ich möchte die heutige führen möchten. Beratung nutzen, um noch einmal ein Thema anzu- sprechen, (Achim Großmann [SPD]: Das Problem wäre schon geregelt!) (Herbert Frankenhauser [CDU/CSU]: Ge nossenschaft!) - Das bezweifle ich sehr. Aber wir haben ja noch viel Gelegenheit, über das wichtige Thema Genossen- das bereits ein politischer Skandal geworden ist. Es schaftsbau zu reden. geht um das Trauerspiel Schürmann-Bau. Jeder Be- suchergruppe machen wir Abgeordneten des Deut- (Zuruf des Abg. Achim Großmann [SPD]) schen Bundestages deutlich: Dies ist die Stein gewor- - Herr Großmann, Sie kommen gleich dran. dene Unfähigkeit einer amtierenden Bundesregie- rung. Ich weiß nicht, was Sie dazu geführt hat, Töpfers Ankündigungs-Marathon zu kritisieren. Was Sie ihm (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ abverlangen, ist, daß er den Marathonlauf in der DIE GRÜNEN) Hundert-Meter-Zeit absolviert. Das ist auch für Töp- fer unmöglich. Es ist schon mehr als erstaunlich, ja, es macht wü- tend, wie die Bundesregierung hier Steuermittel ver- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) schwendet. Aber ich muß Ihnen sagen: Die ersten tausend Meter (Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: hat er in Bestzeit zurückgelegt. Nein! Die Bundesregierung hat den Rhein (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) steigen lassen! Sehr richtig!) Darauf können wir alle zusammen, inklusive der Ko- Nach unseren Feststellungen sind bereits alitionsfraktionen, durchaus stolz sein. 350 Millionen DM für den vor sich hin rostenden Rohbau und 150 Millionen DM für das Grundstück (Achim Großmann [SPD]: Er hat ja ein ausgegeben worden. Das ist ein Skandal, meine Da- schweres Erbe übernommen!) men und Herren. - Das schultert er leicht, wenn es denn so wäre. Das gestrige Gespräch zwischen dem Bundeskanz- Wir haben heute eine ganz merkwürdige Entwick- ler und seinen Ministern Waigel und Töpfer hat wie- lung in vielerlei Hinsicht feststellen dürfen. Daß der derum zu keinem Ergebnis geführt. Bundesbauminister und die Koalitionsfraktionen nicht so verkehrt mit ihrer Politik liegen, läßt sich al- (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Woher lein an den von der SPD genannten Zahlen belegen. wissen Sie denn das? - Achim Großmann Heute mittag hat Frau Matthäus-Maier noch von ei- [SPD]: Das hat er eben zugegeben!) nem Fehlbestand von 2 Millionen Wohnungen ge- Wir fordern Sie trotzdem noch einmal dringend auf: sprochen. Binnen weniger Stunden, bis heute abend - Treffen Sie eine Entscheidung, damit nicht noch wei- 18 Uhr, sind es schon eine halbe Million weniger ge- teres Geld zum Fenster hinausgeworfen wird! worden. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Das ist natürlich ein Erfolg, von dem wir selber über- Bereits am 8. September 1994 hat die SPD mit ih- rascht sind. Aber, ich möchte sehr ernsthaft - - rem Antrag Schürmannbau, Drucksache 12/8470, die Bundesregierung aufgefordert, Vorschläge für eine (Achim Großmann [SPD]: Da haben Sie wirtschaftliche und sinnvolle Verwendung zu unter- nicht richtig zugehört! Ich habe gesagt: 1,5 breiten. bis 2 Millionen!) 4200 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 Herbert Frankenhauser - Ja gut. Über die Schätzungen können wir natürlich gabe erhoben werden, dann kann ich nur sagen, daß unterschiedlicher Meinung sein. an dem System irgend etwas faul sein muß. Anderen- falls würde am Schluß nicht so viel Geld herauskom- Sie wissen, es gibt eine neue Schätzung des Pestel men. Instituts, nicht nur was die Zahl der fehlenden Woh- nungen anbelangt, sondern auch, inwieweit sich die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Entwicklung verändern wird. Nach Ansicht des Insti- tuts kommen in der kommenden Dekade nur noch Offenbar wohnen viel zu viele Leute in den mit über- etwa 150 000 bis 200 000 Haushalte pro Jahr hinzu, durchschnittlichem Aufwand der Steuerzahler - es ist was sicherlich Anlaß gibt, zu überlegen, in welchem ja nicht so, wie Frau Eichstädt-Bohlig und zum Teil Umfang wir noch Wohnungen brauchen. Vertreter der SPD immer tun - - (Achim Großmann [SPD]: Bringen Sie Ihre Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege, bayerischen Mißstände! Dann reden wir gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Groß- darüber!) mann? - Darüber können wir gerne reden. Die sind so ge- ring. Es gibt überhaupt keine Schwierigkeiten. Ein Herbert Frankenhauser (CDU/CSU): Immer. Bitte, bißchen Luft schadet nicht. gerne. Es ist natürlich nicht möglich, daß Sie hier eine Latte von zusätzlichen Ausgaben aufführen, ohne Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Bitte. auch nur den geringsten Hinweis auf Finanzierungs- möglichkeiten zu geben, zumal Ihre finanzpolitische Sprecherin - ich weiß nicht, ob sie noch im Dienst ist; Achim Großmann (SPD): Herr Frankenhauser, das geht ja sehr schnell bei Ihnen - heute der Regie- kennen Sie die gesamte Untersuchung des Pestel-In- rungskoalition und dem Bundesfinanzminister vor- stituts, und ist Ihnen auch der schwere Fehler auf ge- warf, wir würden zu viele Schulden machen. Für ir- fallen, daß z. B. bei der Berechnung der Wohnungs- gend etwas müssen Sie sich also einmal entscheiden. bedarfe vergessen worden ist, daß die ostdeutschen Der Kollege Maaß kritisiert, er finde keine sinnvollen Wohnungsinhaber natürlich mehr Wohnraum nach- Umstrukturierungen im Haushalt vor, während der fragen - jetzt gibt es einen Pro-Kopf-Anteil von 26, Kollege Großmann sagt, es seien zu viele Umstruktu- 27 Quadratmetern -, und daß dieses wissenschaftli- rierungen. Dann interpretie rt er auch noch Dinge che Institut völlig vergessen hat, diese stärkere Pro- hinein. Kopf - Nachfrage hinzuzurechnen? (Achim Großmann [SPD]: Es sind zu viele Streichungen! Herbert Frankenhauser (CDU/CSU): Sie sind zwar auf die besonderen Verhältnisse in den neuen Bun- Die Ankündigung, das Wohngeld auf eine neue, desländern eingegangen. Wie viele Quadratmeter sie sinnvolle Basis zu stellen, veranlaßt doch wirklich nun genau zugrunde gelegt haben, entzieht sich niemanden, der nicht Böses im Schilde führt, zu der meiner Kenntnis, ändert aber nichts an der Tatsache, Interpretation, wir wollten das Wohngeld abschaffen. daß in der Prognose auch von verminderten Zu- wachsraten in den Haushalten ausgegangen wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Dieter Maaß [Herne] [SPD]: Wo ist Ihr Vor- Aber lassen Sie mich zum Wesentlichen zurück- schlag dafür?) kommen. Ich sehe es schon als sehr mutig an, daß sich insbesondere die SPD überhaupt noch getraut, - Es geht halt nicht von heute auf morgen. Wenn Sie Ihre alten Haushaltsreden vom letzten und vom vor- Kritik an dem vorgelegten Einzelplan zu äußern. Wer nämlich ursprünglich beim Jahressteuergesetz das letzten Mal durchlesen, dann sehen Sie, daß wir bei der Erfüllung unserer Ankündigungen eine Erfolgs- Ziel verfolgt hat, die degressive Abschreibung, eines der ganz wesentlichen Elemente im frei finanzierten quote haben, von der Sie nur träumen können. Wohnungsbau, völlig abzuschaffen - dies wollte die In dieser Art und Weise wollen wir auch weiterma- SPD -, chen. Damit befinden wir uns im Gegensatz zu den Grünen, auch wenn ich dieses Wunderprogramm (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) nicht kenne, wonach alle Leute mehr bekommen und der hat eigentlich jegliches Recht verwirkt, sich zu am Schluß trotzdem noch 3,2 Milliarden DM übrig- irgendwelchen anderen, aus vielerlei volkswirt- bleiben. Aber wir beschäftigen uns gern mit dieser - schaftlich unumstrittenen Zwängen der Haushalts- Wunderrechnung, auch wenn in der Vergangenheit konsolidierung resultierenden Sparmaßnahmen kri- solche Rechnungen nie gestimmt haben. Insgesamt tisch zu äußern. Das sollte hier einmal sehr deutlich wird es wohl nicht möglich sein, den Wohnungsbau festgestellt werden. im Sinne einer konstruierten eierlegenden Woll- milchsau zu betreiben. Wir müssen an die denken, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) die Wohnungen bauen. Damit erfüllen wir auch die Verpflichtung, für die zu sorgen, die in diesen Woh- Herr Kollege Großmann, wenn Sie davon spre- nungen wohnen wollen und müssen. chen, es sei so ungeheuerlich erfolgreich, daß insge- samt etwa 700 Millionen DM an Fehlbelegungsab- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4201

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das war der Zur Umsetzung dieser Beschlüsse müssen wir jetzt letzte Redner in der Debatte um den Einzelplan 25. einen neuen gesetzlichen Rahmen schaffen, der das Fernmeldeanlagengesetz ablöst. Einen Referenten- Wir kommen jetzt zum Einzelplan 13, dem Ge- entwurf für ein neues Telekommunikationsgesetz schäftsbereich des Bundesministeriums für Post und habe ich Anfang August der Öffentlichkeit vorge- Telekommunikation. Das Wort hat zunächst Herr stellt. Die Ressortabstimmung sollte bis Ende Okto- Bundesminister Bötsch. ber zu bewältigen sein, so daß das Bundeskabinett Anfang Dezember einen Beschluß fassen kann. Dr. Wolfgang Bötsch, Bundesminister für Post und Telekommunikation: Frau Präsidentin! Meine sehr Ich hoffe, daß wir in der Lage sind, das Gesetzge- verehrten Damen und Herren! Vor einem Jahr haben bungsverfahren bis Mitte nächsten Jahres abzu- wir die Postreform II mit großer Mehrheit in diesem schließen. Parallel dazu führen wir auch jetzt inter- Hause verabschiedet. Wir haben damit die Voraus- fraktionell eine Reihe von Gesprächen und Verhand- setzungen dafür geschaffen, die Postunternehmen lungen. Denn wir, die Koalition, haben im Deutschen Telekom, Post und Postbank in Unternehmen p riva- Bundestag die Mehrheit für dieses Gesetzgebungs- ter Rechtsform umzuwandeln. Wenn ich „wir" sage, verfahren, weil ja keine Verfassungsänderung mehr dann waren dies die Koalitionsfraktionen und auch notwendig ist. 123 Abgeordnete der SPD-Fraktion, die vor gut ei- nem Jahr der Verfassungsreform aus guten, ein- Wir würden aber nicht verantwortlich handeln, leuchtenden Gründen und aus Überzeugung, wie ich wenn wir nicht ins Auge fassen würden, daß dieses annehme, zugestimmt haben. Gesetz zustimmungspflichtig ist und auch die Mehr- heit des Bundesrats gewonnen werden muß. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Richtig!) (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Was für ein Dies war eine dringend notwendige Entscheidung, da wir damit die Vorbedingungen dafür geschaffen Glück, Herr Minister!) haben, daß sich die drei Unternehmen in einem zu- - Frau Kollegin Fuchs, da wir beide Erfahrung im nehmend wettbewerblichen Umfeld auch in Zukunft Umgang miteinander haben, ist es selbstverständ- behaupten können. lich, daß das zu berücksichtigen ist. Insbesondere die Telekom, aber auch die gelbe Post werden sich künftig international behaupten Wir haben in wesentlichen Punkten schon Annä- müssen, da die Märkte zusammenwachsen. herung, ja Einigung erzielt, zuletzt bei einem Ge- Es ist absehbar, daß die Weltmärkte künftig von ei- spräch, das heute nachmittag um 17.17 Uhr zu Ende nigen wenigen global agierenden Unternehmen, so- war. Es ist aber noch einiges offen. Ich meine jedoch, genannten Global-Playern, dominiert werden. Diese man kann mit etwas Optimismus hoffen, daß wir zu Global-Player versorgen ihre Kunden weltweit zu- einer Einigung kommen könnten. nächst aus einer Hand. Der Gesetzentwurf sieht sehr weitreichende Diese Entwicklung ist nur möglich, weil sich welt- Marktzutrittsmöglichkeiten vor, ohne daß die not- weit auch die Rahmenbedingungen im Bereich der wendigen Universaldienstverpflichtungen vernach- Telekommunikation geändert haben oder noch än- lässigt werden. Das Errichten und Betreiben von Te- dern. Immer mehr Länder setzen gerade in Anbe- lekommunikationsnetzen sowie das Angebot des tracht der Bedeutung, die die Telekommunikation für Sprachtelefondienstes als kommerzielle Dienstlei- die anderen Wirtschaftsbereiche hat, auf Wettbe- stung für die Öffentlichkeit wird künftig einer Lizen- werb. zierung unterliegen.

Für uns war klar: Deutschland darf und kann aus An eine Beschränkung der Anzahl der Lizenzen ist dieser weltweiten Entwicklung nicht ausscheren. nur dann gedacht, wenn die begrenzte Verfügbarkeit Vielmehr müssen wir uns an die Spitze der Länder knapper Ressourcen, etwa bei Funkfrequenzen, dies setzen, die einen Marktöffnungskurs betreiben. gebietet. An die Antragsteller von Lizenzen sind al- Denn nur Unternehmen, die zu Hause Wettbewerb lerdings auch Anforderungen zu stellen. Beispiels- gelernt haben, werden es verstehen, sich im weltwei- weise - darüber haben wir uns heute nachmittag un- ten Wettbewerb auch zu behaupten. terhalten - muß erwartet werden, daß eine Tätigkeit Für unseren Liberalisierungskurs galt es aller- auf Dauer aufgenommen wird, so daß die Vorausset- dings, Marktöffnungen möglichst abgestimmt mit zung gegeben sein muß, daß finanzielle Ressourcen unseren Partnern in der Europäischen Union vorzu- vorhanden sind, die das ermöglichen. nehmen. Deshalb ist es gelungen, bei den Minister- ratssitzungen vom 11. Juni 1993 und 11. November Das Grundgesetz verpflichtet den Gesetzgeber, im 1994 Beschlüsse zu fassen, sowohl das Telefondienst- Bereich von Post und Telekommunikation flächen- monopol als auch das Netzmonopol zum 1. Januar deckend angemessene und ausreichende Dienstlei- 1998 in den Ländern der Europäischen Union grund- stungen zu gewährleisten. So haben wir es im letzten sätzlich aufzuheben. Jahr gemeinsam in den A rt . 87 f der Verfassung hin- eingeschrieben. Hierbei ist eindeutig - das ist auch Wir haben damit sichergestellt, daß in dem so be- in der Begründung zum Grundgesetz ausgeführt deutsamen Bereich der Telekommunikation eine eu- worden -, daß staatliche Maßnahmen nur im Rahmen ropäische Lösung gefunden wurde und jetzt eine eu- der Grundversorgung erfolgen sollen. Eine ähnliche ropäische Lösung in die Tat umgesetzt wird. Position wird auch auf europäischer Ebene vertreten. 4202 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995

Bundesminister Dr. Wolfgang Bötsch Beim Universaldienst kann es deshalb nicht um Wir brauchen für beides - zumindest für absehbare ein Luxusangebot gehen, für das überhaupt noch Zeit - eine Regulierung, damit eine ausreichende flä- keine Nachfrage besteht. Wir gehen davon aus - je- chendeckende Grundversorgung gewährleistet wird. denfalls ist das die Auffassung der Koalition -, daß Darüber, mit welchem Instrumentarium dies ge- der Universaldienst weitgehend vom Markt, d. h. schieht, gibt es noch unterschiedliche Vorstellungen. ohne besondere Verpflichtungen, bereitgestellt wird. Ich würde nur jedem, der das schnell einer bereits Es soll nach unserer Auffassung nur dann regulato- bestehenden Behörde zuweisen will, empfehlen, sich risch eingegriffen werden, wenn der Universaldienst im Ausland umzuschauen, wie es dort geregelt ist. von Marktkräften nicht ausreichend erbracht wird. In Vielleicht können wir die eine oder andere Erkennt- diesem Fall können marktbeherrschende Unterneh- nis von dort beziehen. men dazu verpflichtet werden, diesen Universal- dienst flächendeckend bereitzustellen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Nun gibt es Vorstellungen der SPD-Fraktion, jeden Voll-Lizenznehmer zu verpflichten, ein flächendek- Meine Damen und Herren, der Wirtschaftsstando rt kendes Angebot bereitzustellen. Das wird im Augen- Deutschland braucht einen erstklassigen Kommuni- blick dadurch etwas relativiert, daß man sagt: nicht kationssektor, um auch in Zukunft im internationalen gleich, aber doch in absehbarer Zeit. Darüber wird Wettbewerb mithalten zu können. Als Grundlage da- man noch reden müssen. Wir müssen aber aufpas- für bedürfen wir an den Markterfordernissen ausge- sen, daß sich das bisherige Telekommunikationsmo- richtete Marktbedingungen. nopol der Telekom nicht in Oligopole von einigen wenigen umwandelt, so daß aus dem bisherigen Ich glaube, ich konnte im groben aufzeigen, wie staatlichen Monopol der Telekom vielleicht einige wir uns diesen Wandel vorstellen. Es gibt also für die private Monopole werden. Ich will niemandem etwas nächste Zeit noch einiges zu tun, wenn wir diesen unterstellen; aber die Versuchung, daß man dann Wettbewerb vorbereiten wollen. Wir tragen die Ver- vielleicht untereinander doch etwas die Preise ab- antwortung für das Funktionieren des Wettbewerbs, stimmt, ist nicht so ganz von der Hand zu weisen. und wir tragen die Verantwortung für ein flächen- deckendes Angebot für unsere Kunden, für die Be- Ich glaube deshalb auch nicht, daß es richtig ist, völkerung. die Bedingungen für Lizenzen so hochzuschrauben, daß nur die Telekom und vielleicht wenige Großun- ternehmer ins Geschäft kommen würden. Deshalb, meine Damen und Herren, brauchen wir auch den Einzelplan 13, der sich eigentlich mit dem Meine Damen und Herren, wir wollen nicht nur die Ministerium beschäftigt. Bei den Einnahmen haben Türschilder austauschen, sondern wir wollen wirkli- wir 1996 eine Verminderung um 3,4 Milliarden DM; chen Wettbewerb, und zwar sowohl im Interesse der das entspricht 68 %. Dieser Rückgang resultiert aus Telekom - wie ich eingangs ausführte -, wenn sie als dem Wegfall der Ablieferungen an den Bund, die die Global-Player tätig sein will, als auch im Interesse drei Postunternehmen bisher zu entrichten hatten. der gesamten Volkswirtschaft. Ein funktionsfähiger Ab 1996 unterliegen sie der allgemeinen Steuer- Wettbewerb ist nur dann möglich, wenn alle Markt- pflicht und werden so an anderer Stelle des Bundes- teilnehmer die gleichen Chancen haben. Deshalb haushalts für Mehreinnahmen sorgen. Außerdem müssen - zumindest für den Anfang - marktbeherr- fließen die Dividenden der Aktiengesellschaften dem schende Unternehmen einer besonderen Regulie- Bundeshaushalt zu. rung unterworfen werden. Die Ausgaben des Einzelplans 13 steigen 1996 - Nachdem ich mich bisher im wesentlichen auf die manche haben schon gefragt, warum das so sei - um Telekommunikation beschränkt habe, will ich nun 3 %. Dies beruht im wesentlichen auf der Verlage- noch einige Anmerkungen zur Postpolitik machen. rung der Ausgaben für Maßnahmen der zivilen Ver- Ziel unserer Postpolitik ist es, die Leistungsfähigkeit teidigung im Aufgabenbereich des Postministeriums des deutschen Postsektors im Interesse der Postkun- aus dem Haushalt des Innenministeriums in den den insgesamt zu verbessern und somit auch die Haushalt des Bundespostministeriums. Ohne diese Qualität des Wirtschaftsstandorts Deutschland zu Verlagerung würde die Ausgabensteigerung 1,2 % steigern. Wir werden auch hier ab 1998 neue Rah- betragen. Bei einem Gesamthaushalt von rund menbedingungen für die Märkte brauchen. Auch 350 Millionen DM - unser Haushalt ist der weitaus darüber habe ich Überlegungen in der Öffentlichkeit kleinste - besagen solche Prozentzahlen natürlich vorgestellt. nicht sehr viel.

Im Kernbereich des Briefdienstes soll die Deutsche (Josef Hollerith [CDU/CSU]: Daß du so be- Post AG bis 2003 eine gewisse Sonderstellung behal- scheiden bist!) ten, wobei die Grenzen des Kernbereichs im einzel- nen noch festgelegt werden müssen. B riefe oberhalb der Grenze von 100 Gramm sowie adressierte Mas- Ich will die Mitglieder des Haushaltsausschusses sensendungen haben wir bereits ab 1. Januar 1996 nur darauf aufmerksam machen, daß die Zitrone, die im Wettbewerb. Auch in anderen Bereichen wird vorhanden war und die vielleicht im Jahr 1993 noch sich die Post privater Konkurrenz zu stellen haben. etwas Saft hatte, jetzt wirklich trocken ist. Die Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4203

Bundesminister Dr. Wolfgang Bötsch Damen und Herren im Haushaltsausschuß sollten sind. Ich halte das, bei allem Respekt vor dem in die- vielleicht ihre Bemühungen nicht auf eine trockene sen Verhandlungen bisher Erreichten, angesichts der Zitrone richten, sondern ihre Aufmerksamkeit an- Bedeutung des Themas für eine unverantwortliche derswohin lenken. Schlafmützigkeit, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so (Beifall bei der SPD) wie der Abg. Anke Fuchs [Köln] [SPD]) ebenso wie angesichts eines ehrgeizigen Zeitplans Denn, meine Damen und Herren, im Personalhaus- für das Gesetzgebungsverfahren, der nun tendenziell halt meines Ministeriums tritt durch die Postreform II gefährdet ist. schon eine merkliche Kürzung ein. Im Zeitraum von 1995 bis 1997 haben wir schon insgesamt 55 Plan- Dabei geht es um einen rasant wachsenden Sektor stellen, ohne die einprozentige Kürzung, die wir zu- unserer Volkswirtschaft mit weit überdurchschnittli- sätzlich tragen, weniger zu verzeichnen. chem Wachstum von geschätzt 7 % in den nächsten Jahren. Sein Anteil am Bruttosozialprodukt in Europa Mit den Personalkürzungen wurde der Personal- soll nach den Schätzungen der EU-Kommission haushalt wirklich auf das Minimum reduziert, das zur schon in fünf Jahren quantitativ gewichtiger sein als Aufrechterhaltung des Dienstbetriebs absolut not- selbst der der Automobilindustrie. Sie sehen also, es wendig ist. Gerade angesichts der anstehenden Ge- handelt sich hierbei wirklich um einen Schlüsselsek- setzgebungsarbeiten und der Umsetzung der Postre- tor. form II wird den Beschäftigten des Ministe riums ein hohes Maß an Engagement und Leistungsvermögen Es geht aber nicht nur um die quantitative Dimen- abverlangt. Ich möchte es nicht versäumen, an dieser sion des einzelnen Sektors. Es geht auch darum, daß Stelle den Beschäftigten des Hauses meinen Dank sich Information und Kommunikation immer mehr zu und meine Anerkennung für ihre Leistungen auszu- unverzichtbaren Grundlagen für die gesamte Volks- sprechen. wirtschaft entwickelt haben, daß sie zu so etwas wie einem vierten Produktionsfaktor geworden sind. Ich wünsche den Mitgliedern des Haushaltsaus- Darin stecken Chancen, aber angesichts der Rationa- schusses und dem gesamten Hause erfolgreiche Be- liserungspotentiale natürlich auch Risiken. Wir dis- ratungen dieses Haushalts, den wir auch heute wie- kutieren kritisch die Arbeitsplatzentwicklung. der im Schutze der Dunkelheit in erster Lesung bera- ten dürfen. Es muß uns gelingen, hier in Deutschland p rivates Kapital für Infrastrukturerweiterungen zu mobilisie- Vielen Dank. ren, damit Arbeitsplätze in diesem Sektor in unserem (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU Land zu schaffen und andere dadurch zu erhalten, und der F.D.P.) daß wir vernünftige Infrastrukturbedingungen und damit gute .Wettbewerbsbedingungen für die Ge- samtwirtschaft bieten. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans Martin Bury. Ein weiterer wichtiger Aspekt, weshalb wir bei den Verhandlungen Tempo machen müssen, ist der Bör- sengang der Deutschen Telekom AG. Hans Martin Bury (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben bereits im (Zustimmung bei der SPD) März bei der Debatte des Bundeshaushalts 1995 die Denn im Vergleich zu manchem Einzelplan, der in Eckpunkte des Bundespostministers für die Regulie- diesen Tagen hier debattiert wird, geht es um gewal- rung des Telekommunikationsmarktes diskutiert. tige Beträge. Im zweiten Quartal 1996 sollen in einer Spätestens da ist ihm klargeworden, daß sie so nie im ersten Tranche nominal 2,5 Milliarden DM - das ent- Gesetzblatt stehen werden. spricht einem ausmachenden Be trag von geplanten Er hat dann konsequenterweise endlich unserer 15 Milliarden DM - an die Börse kommen. Die Tele- Forderung Rechnung ge tragen, interfraktionelle Ver- kom wird insgesamt von der Börsenkapitalisierung handlungen zu führen, um möglichst rasch zu einer her höher liegen als jedes andere deutsche Unter- Einigung über diese Rahmenbedingungen zu kom- nehmen. Das heißt, es handelt sich um das größte men. Fünf dieser Gespräche haben stattgefunden; „going public" überhaupt. das letzte heute nachmittag. Möglicherweise zu Ihrer Überraschung hat die SPD-Verhandlungsdelegation Die Deutsche Bank hat in diesem Zusammenhang völlig zu Recht darauf hingewiesen, daß bei diesem dabei schlüssig und geschlossen argumentiert, wäh- - rend es in der Koalitionsrunde mehr Meinungen als Vorhaben deshalb - ich zitiere - „die internationalen gewählte Mitglieder gab. Scheinwerfer auf Deutschland gerichtet" sind. Des- halb müsse alles daran gesetzt werden, daß die Emis- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das überrascht sion reibungslos verlaufe. mich nicht, Herr Kollege!) Ich befürchte aber, daß, wenn der Bundespostmini- Das heißt, die Koalition war auch heute nicht zu ei- ster und die Koalition weiter herumdilettieren und nem vernünftigen Abschluß fähig. Die SPD hat des- verzögern, das „going public" zumindest gefährdet halb die Verhandlungen unterbrochen, bis die Regie- ist. Denn die Anleger wollen wissen, in welchem rung und die Koalition untereinander einig und da- Wettbewerbsrahmen sich ihr Unternehmen zu bewe- mit auch wieder sprach- und verhandlungsfähig gen hat. 4204 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995

Hans Martin Bury Diese Unsicherheit ist schlimm für die Telekom Der Postminister selbst hat die Befürchtung geäu- AG, sie ist schlimm für ihre Mitarbeiter, denen man ßert, daß sich die Wettbewerber nur auf Geschäfts- ohnehin gewaltige Anpassungsmaßnahmen und ei- kunden konzentrieren könnten. Der neue Tarifrah- nen dramatischen Personalabbau zumutet. men der Telekom bestätigt möglicherweise, daß diese Befürchtung nicht völlig unberechtigt ist. Ich habe zunächst überlegt, ob Sie den erstmals im Haushaltsplan auftauchenden Titel „Zuschüsse an (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Unternehmen für die Durchführung von Katastro- Dr. Manuel Kiper [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- phenschutzübunge'' in diesem Zusammenhang ein- NEN]) gestellt haben. Aber Sie haben das gerade anderwei- Die Liberalisierung darf aber nicht dazu führen, tig erläutert. daß nur einige wenige Großkunden in Ballungsräu- (Heiterkeit bei der SPD) men davon profitieren und für die kleinen Kunden und die Familien nachher höhere Ta rife gelten. Wir - Die Situation ist so spaßig nicht. Das geht weit über wollen Wettbewerb für alle. Das heißt dann auch: das Unternehmen hinaus. Der Börsengang der Tele- symmetrische Auflagen und eine Verpflichtung, Uni- kom ist ein Vorhaben, das ein Präzedenzfall für den versaldienst flächendeckend durch alle Anbieter si- Finanzplatz Deutschland und für die Zugangsbedin- cherzustellen, und zwar einen dynamischen Univer- gungen deutscher Unternehmen zum internationalen saldienst im Wettbewerb. Kapitalmarkt sein wird. Der Regulierungsrahmen des Bundespostministers Im Rahmen der Haushaltsdebatte sei zumindest ist schief und auch unpraktikabel und würde, Herr am Rande daran erinnert, daß es noch gewisse Risi- Bötsch, in der Tat zu einer Mammut-Regulierungsbe- ken hinsichtlich der Pensionszahlungen der ehemali- hörde führen. Ich fürchte, da bauen sich die Beam- gen Bundespostunternehmen gibt und daß, wenn die ten, die heute eine Einigung über ein Wettbewerbs- Börsengänge der Unternehmen nicht erfolgreich ver- modell verzögern, ihre neue Behörde. Der Post- laufen sollten, der Bund diese Risiken abzudecken minister läßt sich von denen tatsächlich dazu brin- hat. Wenn sie tatsächlich auf uns zukämen, könnte gen, sein Haus nicht aufzulösen, sondern nur das der Bundesfinanzminister seinen ohnehin wackeli- Türschild zu wechseln. Wir wären bescheuert, wenn gen Haushalt und seine mittelfristige Finanzplanung wir das zuließen. gleich wegschmeißen. Wir wollen Symmetrie, d. h. gleiche Spielregeln für Wir konnten nachlesen, daß Ihnen Herr Waigel alle Teilnehmer; denn sie sind die Voraussetzungen deshalb einen besorgten Brief geschrieben hat. Er für ein faires Spiel. Die SPD hat ein wettbewerbs- hat eine gewisse Wirkung gezeigt, aber ich glaube, orientiertes Modell präsentiert. Wir wollen Wettbe- er hat nicht ganz gereicht. Die SPD wird dem „Bun- werb durch Wettbewerber und nicht durch eine desschneckenpostminister" Beine machen. staatliche Behörde sicherstellen. Wir setzen auf Inter- connection-Verpflichtungen für alle, d. h. die Zusam- (Beifall bei der SPD) menschaltung der Netze aller Marktteilnehmer, weil wir so sehr rasch intensiveren Wettbewerb auch in Globalisierung Wenn es ein Musterbeispiel für die der Fläche bekommen. Wir werden eine Zerschla- gibt - Herr Bötsch, Sie haben darauf hin- der Märkte gung der deutschen Telekom AG verhindern, setzen gewiesen -, dann ist es die Telekommunikation. aber zugleich auf eine strukturelle Separierung ge- Dann darf man aber konsequenterweise bei der Re- genüber Monopolbereichen. gulierung nicht klein-klein machen und nicht eine Kommunalisierung der Märkte einführen wollen, die (Zuruf des Abg. Elmar Müller [Kirchheim] die CDU/CSU und F.D.P. zwar verbal bekämpfen, [CDU/CSU]) der sie aber faktisch mit ihrem Modell den Weg eb- nen. - Nein, wir schaffen Wettbewerb im Telekommuni- kationsbereich. Es kann aber nicht angehen, daß Wir müssen vielmehr industriepolitisch dafür sor- neue Wettbewerber, die in Monopolbereichen der gen, daß sich die Telekom AG als führender Global Energieversorgung Monopolrenditen erwirtschaften, player betätigen kann und daneben weitere markt- dann ihre Aktivitäten im liberalisierten Telekommu- starke Wettbewerber in Deutschland entstehen kön- nikationsmarkt quersubventionieren. nen, die international erfolgreich sind, Kapital für In- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ frastrukturerweiterungen in Deutschland investieren DIE GRÜNEN) und hier Arbeitsplätze schaffen. Deswegen brauchen wir in diesem Bereich eine klare- (Beifall bei der SPD) gesellschaftsrechtliche Trennung, Herr Müller. Wir Nicht zuletzt durch die schleppende Behandlung brauchen auch eine getrennte Rechnungslegung bei des Themas durch die Bundesregierung und ihre Ko- allen Unternehmen für den lizenzierten Bereich. alition ist an die Stelle ursprünglicher, teilweise auch (Beifall bei Abgeordneten der SPD) überzogener Eupho rie jetzt bei potentiellen Investo- ren nicht nur Ernüchterung, sondern zum Teil sogar Wir setzen auf einen dynamisch definierten, ange- Pessimismus getreten. Die SPD will Rahmenbedin- messenen Universaldienst im Wettbewerb, weil die- gungen schaffen, die motivieren. Wir wollen einen ser auch die Voraussetzung für einen erfolgreichen Wettbewerb, der sehr rasch allen Kunden und Bevöl- Weg in die Informationsgesellschaft ist. Opas Dampf- kerungsgruppen zugute kommt. telefon wird da nicht ausreichen, Herr Minister. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4205 Hans Martin Bury Die SPD kämpft gegen neue Abgaben, sowohl ge- ben und der Postminister ein Regulierungsmodell gen die vom Bundespostminister geplante Universal- präsentiert hat. Die Überschriften sind in diesem Fall dienstleistungsabgabe als auch gegen den Wegezoll, tatsächlich Programm. Wir haben konsensorientiert wie ihn die Kommunen fordern. Wir wollen auch kei- verhandelt und Einigungsvorschläge unterbreitet. nen Universaldienstleistungsfonds; wir haben schon Das ist moderne sozialdemokratische Wirtschaftspoli- genug Schattenhaushalte. tik. Bei der Regierung herrscht Stillstand. Den zu überwinden genügen jetzt nicht weiter gute Wo rte. (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Worte sind ge- Voraussetzung dafür ist allerdings ein Wettbewerbs- nug gewechselt. Wir wollen endlich Taten sehen. modell, nicht das Regulierungsflickwerk des Bundes- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- postministers. ten der PDS) Weil wir an einer raschen Einigung interessiert sind, da die Marktteilnehmer Planungssicherheit Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt brauchen - sowohl die Telekom AG, als auch die an- der Abgeordnete von Hammerstein. deren, die in den Markt eintreten wollen -, haben wir in den Verhandlungen unsere Kompromißbereit schaft deutlich gemacht. Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein (CDU/ CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe (Elmar Müller [Kirchheim] [CDU/CSU]: Kollegen! Herr Bury, vielleicht darf ich kurz auf Ihre Endlich! Das hat lange gedauert!) Ausführungen eingehen. Ich glaube, es ist nicht die - Wir haben Sie doch schon im Dezember letzten CDU gewesen, die in puncto Liberalisierung und Pri- Jahres zu Verhandlungen aufgefordert. Sie haben vatisierung Pessimismus ausgestrahlt hat. Monate gebraucht, bis Sie überhaupt eine eigene (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Aber die F.D.P.!) Position auch nur in Ansätzen definiert haben. Selbst heute sind Sie sich noch nicht einig. - Frau Fuchs, wenn nicht wir diesen Optimismus aus- gestrahlt hätten, wären wir heute mit der Liberalisie- (Beifall bei der SPD) rung und der Privatisierung der Post noch nicht so- Nennen Sie uns einmal vernünftige Verhandlungs- weit. Das muß man klar und deutlich sagen. partner auf Ihrer Seite, die Prokura haben. Dann ma- (Arne Börnsen [Ritterhude] [SPD]: Wir brau- chen wir heute nacht miteinander den Abschluß. chen keinen Optimismus! Wir brauchen Wir haben Kompromißbereitschaft bei einer befri- eine vernünftige Gesetzgebung!) steten Asymmetrie zur Marktöffnung signalisiert. Wir - Lieber Arne Börnsen, die SPD hat doch im letzten haben - auch das hat der Minister angedeutet - Ge- Jahr den Minister angebettelt, den Gebührenrahmen sprächsbereitschaft bei der Frage der Abgrenzung so einzuführen, wie er ist. Ist es nicht so gewesen? der Lizenzgebiete gezeigt, weil wir Wettbewerb för- dern und nicht behindern wollen. Wettbewerb aber, (Arne Börnsen [Ritterhude] [SPD]: Nein!) lieber Kollege Müller, ist kein Selbstzweck. Der Rah- - Ach so. Dann lassen Sie uns nachher in einem inter- men muß das Entstehen starker Wettbewerber för- nen Zwiegespräch darüber diskutieren. dern und die flächendeckende Versorgung durch die Telekom und - ich zitiere Art. 87f des Grundgeset- (Katrin Fuchs [Verl] [SPD]: Das möchte ich zes - „durch andere p rivate Anbieter" sicherstellen. auch gerne wissen!) Das heißt: Wir haben bei der einvernehmlich ver- Im Einzelplan 13 sind in diesem Jahr leider nicht abschiedeten Postreform II nicht daran gedacht, daß wieder 3,4 Milliarden DM enthalten, die wir dem all- es möglicherweise in Teilen der Republik weiterhin gemeinen Bundeshaushalt zur Verfügung stellen nur einen Anbieter, die Telekom AG, gibt und sich können. Dies liegt am Wegfall der Ablieferung der der Wettbewerb auf Ballungsräume, lukrative Kun- neuen Aktiengesellschaften der ehemaligen Deut- den und Nischenmärkte konzentriert. Wir wollten schen Bundespost. vielmehr von Anfang an sicherstellen, daß alle Kun- (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Sie den die Möglichkeit haben, zwischen verschiedenen Anbietern des Universaldienstes auszuwählen, weil haben alles verscherbelt!) wir so am ehesten zu einem kostengünstigen und - Nein, das ist nicht alles ausgegeben. Es ist sehr ge- qualitativ hochwertigen Angebot kommen würden. wissenhaft und sorgfältig, Herr Haushaltsausschuß- (Beifall bei der SPD) vorsitzender, in den Haushalt eingebracht worden. Das wissen Sie sehr genau. - Die Koalition muß deshalb endlich ihre Blockade aufgeben und ihre Verzögerungs- und Hinhaltetaktik Es ist geplant, den Einzelplan 13 im Haushaltsjahr beenden. Herr Bötsch, wenn Sie als Postminister das 1996 um 3 % zu erhöhen. Auch dieses hat der Minister nicht in den Griff kriegen, muß der Kanzler ran. Es schon gesagt. Ich greife aber nicht vor, weil die Be- geht hier um eine Standortfrage allerersten Ranges. richterstattergespräche noch nicht stattgefunden ha- ben, Herr Minister. Ich bin auch nicht ganz Ihrer Auf- Wir haben für die SPD-Fraktion im Deutschen Bun- fassung, daß Ihre gelbe Zitrone trocken und matt ist. destag und die SPD-regierten Länder ein schlüssiges Ich halte sie immer noch für prall und saftig. Sie kön- Wettbewerbsmodell vorgelegt. Es ist schon bezeich- nen sicherlich mit dem, was die Berichterstatter nach- nend, daß wir ein Wettbewerbsmodell präsentiert ha her für Ihr Haus ausgearbeitet haben, zufrieden sein. 4206 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Im Personalhaushalt wird das eingehalten, was im besondere wegen ihres Bezugs zu dem hier zu be- Haushalt 1995 geplant ist, nämlich 25 Stellen in 1995 handelnden Einzelplan des Bundesministeriums für einzusparen und in den nächsten beiden Haushalts- Post und Telekommunikation, aus dem heraus diese jahren 1996 und 1997 jeweils 15 Stellen einzusparen. künftige Behörde in gewisser Weise entstehen soll. Ich sage mit aller Überzeugung, daß die Arbeitsfä- Ich meine, bevor wir uns auf die Anzahl der do rt zu higkeit des Hauses im Blick auf die Umstellungspro- beschäftigenden Kräfte verständigen, sollten wir uns bleme gesichert bleibt. über die Sachaufgaben klarwerden, die in dieser Re- gulierungsbehörde zu lösen sein werden. In diesem Die Bereiche Post und Telekommunikation befin- Zusammenhang mutet es etwas merkwürdig an, den sich in einer Phase tiefgreifender Wandlungen. wenn jetzt aus Richtung der SPD - nicht von allen - Welche Bedeutung diese Branchen für die wirtschaft- gegen ein angeblich am Ho rizont erscheinendes Ge- liche Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland spenst einer neuen Mammutbehörde geschossen insgesamt haben, ist oft dargestellt worden und muß wird. Waren Sie es nicht, die vor der Entstaatlichung hier nicht im einzelnen wiederholt werden. Ich der Postunternehmen immer Bedenken hatten, wir stimme mit Herrn Bury voll überein, daß der Wi rt würden zu sehr auf das freie Spiel der Marktkräfte -schaftssektor Telekommunikation und Post im Jahr vertrauen? Inzwischen erscheint Ihnen - ich sage 2000 den großen Wirtschaftssektor Automobilindu- nicht, Herr Bömsen und Herr Bury, daß das bei allen strie in der Bundesrepublik vielleicht sogar überho- in der SPD der Fall ist - allerdings Ihre Klientel bei len wird. Deswegen ist schon mit Sorgfalt und Gewis- der Telekom einen neuen Weg zu weisen. senhaftigkeit an dieser Reform zu arbeiten. Die Regierungskoalition hat nie einen Zweifel Mit der Postreform II, die wir im letzten Jahr auf daran gelassen, daß sie eine Regulierung der Märkte den Weg gebracht haben, wurden wich tige Weichen in den Sektoren Post und Telekommunikation für in Richtung einer dynamischen Entwicklung gestellt. notwendig hält, sowohl um einen fairen Wettbewerb Wer sich mit dieser Mate rie näher befaßt, erkennt in Gang zu bringen und zu sichern als auch um ent- schnell, daß hier noch ein hartes Stück Arbeit zu be- sprechend dem Auftrag des Grundgesetzes die Erfül- wältigen ist. Auf den verschiedenen Seiten bestehen lung infrastruktureller Erfordernisse zu gewährlei- die unterschiedlichsten Erwartungen, in welcher sten. Die Durchsetzung dieser Ziele kann nur er- Form und mit welchen Zielen auf die weiteren Ent- reicht werden, wenn wir dafür eine kompetente und wicklungen Einfluß zu nehmen ist. Einigkeit dürfte durchsetzungsfähige Einrichtung haben. Im derzeiti- weitgehend darin bestehen, daß es mit einem gen Bundesministerium sind Fachleute beschäftigt, schlichten Sich-Zurückziehen des Staates aus diesem die meines Erachtens für die unterschiedlichen De- Wirtschaftssektor nicht getan ist. tailaufgaben der künftigen Regulierungsbehörde die Im Bundesministerium steht nunmehr zunächst die notwendigen Fähigkeiten und Vorkenntnisse mit- Erarbeitung des künftigen Telekommunikationsge- bringen. Wir sind gut beraten, wenn wir uns die setzes an, das zur Zeit nur als Referentenentwurf exi- Kompetenz dieser Leute, die bereits vorhanden ist, stiert. Bei der Vorstellung des Gesetzentwurfes hat zunutze machen. Bundesminister Dr. Wolfgang Bötsch u. a. folgende In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, Punkte hervorgehoben: erstens Erteilung, Versagen daß wir in diesem Wirtschaftssektor nicht nur auf und Widerruf von Lizenzen sowie damit verbundene Grund technischer Entwicklungen ständig Neuland Auflagen, zweitens das Widerspruchsrecht bei Ent- betreten. Auch das, was sich an ökonomischen und gelten und allgemeinen Geschäftsbedingungen, drit- ordnungspolitischen Fragen um die Privatisierung tens die Auferlegung von Universaldienstleistungen und Liberalisierung bei Post und Telekommunikation und die Abwicklung eines etwaigen Finanzaus- rankt, ist jedenfalls von der Größenordnung her in gleichs, viertens die Regelungen für das Inverkehr- Deutschland bisher beispiellos. Unter diesen Um- bringen von Endeinrichtungen, fünftens die Durch- ständen kann ich nur davor warnen, die vielfältigen führung von Planfeststellungsverfahren zur Benut- Aspekte, unter denen Regulierungsaufgaben wahr- zung öffentlicher Wege für Telekommunikationsli- zunehmen sein werden, in zu viele voneinander un- nien und sechstens die Überwachung der Wahrung abhängige Zuständigkeiten zu zersplittern. des Fernmeldegeheimnisses und des Postgeheimnis- ses sowie die Sicherstellung des Datenschutzes im Auch für andere Dienstleistungszweige in der Bun- Bereich von Telekommunikation und Postwesen. desrepublik gibt es eine Bundesbehörde. Ich er- wähne hier das Bundesaufsichtsamt für das Kredit- Ich persönlich lege großen Wert darauf, daß der wesen sowie die Behörden, die für Gesundheit und Zugang zum Zukunftsmarkt Telekommunikation das Versicherungswesen zuständig sind. Es gibt also auch mittelständischen Unternehmen offenstehen viele Beispiele. Ob sie in dieser Größe zu existieren muß. Dies wirkt sich sicherlich belebend auf den haben oder nicht, - Markt aus. Dieser Markt darf und kann nicht nur einigen wenigen eröffnet werden. Ich bin sehr dafür (Arne Börnsen [Ritterhude] [SPD]: Ob sie - auch Herr Bury sprach dies an - , auch internationa- wirksam sind oder nicht!) len Unternehmen die Möglichkeit zu geben, in den deutschen Markt einzusteigen, wie es auch andere möchte ich dahingestellt sein lassen. Jedenfalls gibt gern wollen. es auch in anderen Fällen in der Bundesrepublik Deutschland Regulierungsbehörden. In diesen Fällen Bei diesen vielfältigen Aufgaben stellt sich die steht die Notwendigkeit von Regulierungsmaßnah- Frage nach der künftigen Regulierungsbehörde. men außerhalb jeder Diskussion, wie ich glaube, Lassen Sie mich diese Fragestellung aufgreifen, ins auch über Parteigrenzen hinweg. Deswegen bin ich Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4207

Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein der Auffassung, daß wir auch im Bereich von Post Telekommunikation trägt in dieser Form dieser Ab- und Telekommunikation eine Regulierungsbehörde wägung Rechnung. einführen sollten. Es gibt viele Beispiele in industrie- geführten Nationen der Welt, wie Kanada, USA, Ich danke. Australien, Japan und viele andere mehr, die solche (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Regulierungsbehörden haben. Sie gewährleisten eine gewisse Kontrolle dieses Privatmarktes, wie ich glaube, gewissenhaft und sorgfältig. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Manuel Kiper. Es gäbe viele Beispiele zu nennen von dem, was in Zukunft noch geregelt werden müßte. Dies gilt z. B. für die Verlegung von Kabeln für Telekommunika- Dr. Manuel Kiper (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): tion. In Zukunft ist sicher die verstärkte Nachfrage Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen nach Frequenzen zu regeln. Auch hier kann ein un- und Kollegen! Die CDU-Fraktion ist hier ziemlich geregelter Zustand nicht hingenommen werden; still und schickt die Haushälter vor. Das zeigt die denn Frequenzen sind kein „nachwachsender Roh- Sprachlosigkeit. stoff" . ( [CDU/CSU]: Mitnich- (Arne Börnsen [Ritterhude] [SPD]: Dem ten!) kann man nicht widersprechen!) Herr Bötsch profiliert sich hier vor allen Dingen als Trotz aller unterschiedlicher Zielrichtung der auf- Liquidatorundversuchtnoch einmal, die Postreform II, gezeigten Einzelaufgaben stehen diese in einem die ja hier gemeinsam mit der SPD verabschiedet über Jahrzehnte gewachsenen inneren Zusammen- worden ist, als großen Erfolg darzustellen. Wir haben hang. Es wäre deshalb ratsam, das Potential an Wis- in den letzten Monaten aber immer deutlicher ge- sen um die Zusammenhänge, an Problembewußtsein merkt, daß die Postreform II eine ganze Reihe von für die Schwierigkeiten der Postreform, das sich bei Schönheitsfehlern hat und mit einer Reihe von Nach- den Beschäftigen im Bundesministerium für Post und teilen für die Bevölkerung verbunden ist. Telekommunikation angesammelt hat, zusammenzu- halten. Auch wenn weithin Einigkeit besteht, daß der Ich möchte nur an das Tarifkonzept II, das in den größte Teil dieser Tätigkeiten künftig nicht mehr in letzten Monaten öffentlich geworden ist, erinnern: der Organisationsform eines Ministe riums ausgeübt Für Ortsgespräche längerer Dauer ist durchaus mit werden muß, so kann das keineswegs heißen, daß einer Verdoppelung der Gebühren zu rechnen. Zu- diese Aufgaben jetzt einfach entfallen können. dem ist vorgesehen, daß bei der Telekom wie bei der Post AG Arbeitsplätze abgebaut werden, in den Dementsprechend werden wir, auch in Anbetracht nächsten drei Jahren bei der Post AG noch 35 000, unserer leeren Kassen, nicht der Versuchung erlie- bei der Telekom 70 000. Die Ausbildungsplätze sind gen, dieses Ressort mit Blick auf sein Verfalldatum" dermaßen reduziert worden, daß bei der Telekom nur jetzt allmählich auszutrocknen. Dieses Haus und sein noch ein Schrumpfbereich übriggeblieben ist. Geschäftsbereich sind bereits mit Blick auf 1997 ei- ner gründlichen Aufgabenkritik unterworfen wor- In Zukunft wird man wieder festzustellen begin- den. Dafür haben wir meines Erachtens insbeson- nen, daß eine ganze Reihe großer gesellschaftlicher dere mit den im derzeit laufenden Haushalt festge- Verschlechterungen mit dieser Postreform II verbun- legten kräftigen Stellenkürzungen bereits gesorgt. den sind. Man kann also nicht wie Sie, Herr Minister, Nun muß der Blick darauf gerichtet werden, daß die von einem großen Erfolg reden. Vielmehr muß man dort Beschäftigten ihre Sachaufgaben effektiv wahr- auch die Schattenseiten dieser Postreform anspre- nehmen können. Auf lange Sicht wäre es fatal, wenn chen. Für uns ist es eine Verpflichtung, die nächste dort eine Abwanderungsbewegung qualifizierter Postreform in einer Art und Weise zu gestalten, die Kräfte einsetzt. Diese Gefahr beschwört aber herauf, solche Fehlschläge und solche Schattenseiten mög- wer jetzt dieses Ministe rium und die künftige Regu- lichst ausschließt. lierungsbehörde kleinreden will. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wie lange wir eine Regulierungsbehörde in der jetzt geplanten Gestalt benötigen, sollten wir zukünf- Herr Minister, Sie haben Eckpunkte zum Post- tigen Erkenntnissen überlassen. Selbst Skep tiker ge- dienst und mittlerweile auch ein Telekommunikati- stehen ja zu, daß man sie auf absehbare Zeit braucht. onsgesetz vorgelegt. Ich möchte für unsere Fraktion Die Frage, welche Zeiträume wir absehen können - klarstellen, daß wir nicht gegen die Marktöffnung ob 5, 10, 15 Jahre oder mehr -, halte ich für müßig. sind, daß wir auch keineswegs etwas dagegen ha- Darum lassen Sie uns heute politisch so handeln, wie ben, die Zahl der Lizenzen variabler zu gestalten; es es aus heutiger Sicht richtig und notwendig ist. Wir soll möglichst viele von ihnen geben. Im Gegensatz sollten nicht meinen, schon heute entscheiden zu dazu haben wir bei der SPD-Fraktion den Eindruck, müssen, was die nächste Genera tion in dieser Frage daß in diesem Punkt nicht tausend Blumen blühen für gut hält. Aber wir sollten auch Mut haben, diese sollen, sondern daß es ihr lediglich darum geht, dem Behörde wieder aufzulösen, wenn alles geregelt ist. großen Bündnis von Stoiber und Schröder vorzusit- zen. Wirtschaftsminister Wiesheu und Fischer wollen Der vorgelegte Haushalt, meine Kolleginnen und möglichst viele „global players" im Telekommunika- Kollegen, für das Bundesministerium für Post und tionsbereich herauskitzeln. Dabei lassen sie den Mit- 4208 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 Dr. Manuel Kiper telstand, mittelständische Unternehmen und Dienste Meine Damen und Herren, die Politik der Grünen völlig außen vor. geht dahin, die Tarife kundenfreundlich zu gestal- ten. Ortgespräche müssen entgegen dem Konzept, (Arne Börnsen [Ritterhude] [SPD]: Die Grü das die Telekom jetzt vorgelegt hat, billig bleiben. nen sind Freunde des Mittelstands?) Wir sehen das als eine Voraussetzung dafür, daß - Genau. Wir sind der Meinung: In diesem Bereich letztlich eine Informationsgesellschaft in aller Breite sollte es eine Vielzahl von Lizenzen geben. Es soll entwickelt werden kann. tatsächlich eine Marktöffnung vorgenommen wer- Wir sind dafür, daß die Telekommunikationsunter- den. Der Markt soll nicht nur für Energieversor- nehmen, sprich: die Telekom und die Post, ihre ge- gungsunternehmen mit Monopolgewinnen geöffnet sellschaftliche Verantwortung wahrnehmen, was werden. Ausbildung anbelangt. Wir Grüne sind ganz im Ge- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS gensatz zur großen Koalition von SPD und CDU der SES 90/DIE GRÜNEN) Auffassung, daß die Kommunen nicht enteignet wer- den sollten, daß die Kommunen selbstverständlich Sie haben Telekommunikationsunternehmen ge- das Wegerecht behalten sollten und letztlich ähnlich gründet, um sich mit deren Monopolgewinnen einen wie im Energieversorgungsbereich eine Wegenut- weiteren Bereich unserer Wirtschaft unter den Nagel zungsgebühr sollten erheben dürfen. zu reißen. Das sind ungute Vorzeichen. Das ist nicht die Öffnung des Marktes, die wir haben wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) - Hans Martin Bury [SPD]: Was denn nun? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Soll es billiger oder teurer werden?) sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir sind der Auffassung, daß man auch den Kom- Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine wesentliche munen eine Chance geben muß und sich auch die Frage der zukünftigen Gestaltung des Telekommuni- Kommunen mit ihren Netzen einbringen können soll- kationsmarktes ist die der Gestaltung des Universal- ten. Nicht nur die großen Player sollten am Markt dienstes und seiner Finanzierung. Um bei der Finan- eine Rolle spielen dürfen, sondern es kommt darauf zierung anzufangen: Die SPD möchte sie so regeln, an, eine Vielzahl von Unternehmen am Markt zu ha- daß die großen Player am Markt den Universaldienst ben und hier auch die Kommunen eine Rolle spielen innerhalb von drei bis fünf Jahren gewissermaßen fi- zu lassen. Die EVU dürfen nach unserer Auffassung nanzieren und die Telekom die Lasten des Universal- auf dem Markt keine so große Bedeutung haben, wie dienstes bis dahin einseitig trägt. es jetzt vorprogrammiert ist. (Arne Börnsen [Ritterhude] [SPD]: Manuel, Unsere Fraktion möchte nicht, daß die Bürgerpost du spinnst!) als Behördenmuff konserviert wird, sondern wir wol- len, daß sich durch Konkurrenz viele moderne Ser- Ich befürchte, daß dieses Konzept, das auch bei viceunternehmen entwickeln. Wir sind der Auffas- Herrn Wiesheu, bei den Wirtschaftsministern der sung, daß mit dem Gesetzentwurf zur Telekommuni- CSU und inzwischen offensichtlich ein wenig auch kation, Herr Bötsch, wie Sie ihn vorgelegt haben, die- bei Herrn Bötsch Anklang findet, nicht dazu beitra- ser Weg nicht beschritten wird. gen wird, auf einen Universaldienstfonds zu verzich- ten. Im Universaldienstbereich liegen nämlich Auf- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gaben an, die von diesen Unternehmen nicht so ohne weiteres abgedeckt werden; ich meine die öffentli- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile dem chen Telefonzellen. Abgeordneten Dr. Max Stadler das Wort. Man sollte einen Universaldienst entwickeln, bei dem die technischen Möglichkeiten, die heute vor- Dr. Max Stadler (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Da- handen sind und die man braucht, um einen wirkli- men und Herren! Der Weg vom Verständnis der Post chen Einstieg in die Informationsgesellschaft zu als eines Teiles der staatlichen Hoheitsverwaltung schaffen, so genutzt werden müssen, daß kostengün- hin zu modernen privatisierten Dienstleistungsunter- stig und flächendeckend der Zugang zu ISDN und nehmen und von der Postversorgung - der Beg riff von vielen Stellen unseres Landes aus der Netzzu- war bezeichnend - durch eine staatliche Monopolan- gang möglich ist. Er darf nicht teuer erkauft werden stalt hin zum echten Wettbewerb in einem geöffne- müssen. ten und deregulierten Post- und Telekommunikati- onsmarkt Dieses als Universaldienst festzuschreiben bedeu- war und ist lang und mühsam. tet auch, daß man im Rahmen eines Fonds letztlich Die Koalition hat diesen Prozeß vorangetrieben - die Mittel bereitstellen muß, um das flächendeckend und in die richtige Richtung gelenkt. Wenn Kollege und nicht nur im Rahmen von Rosinenpickerei in ein- Bury angemahnt hat, daß das Tempo noch größer zelnen Kommunen, in einzelnen hochverdichteten sein müßte, so ist zuzugeben, daß aus Sicht der F.D.P. Bereichen und in Bereichen mit zahlungskräftigen die Postreform II nicht weitgehend genug war. Es Abnehmern zu gewährleisten; es darf nicht in letzte- hat nicht an uns gelegen, daß wir damit nur eine Or- ren die Chance für eine Informationsgesellschaft ge- ganisationsprivatisierung und eine Ablösung des ben. staatlichen Monopols durch ein p rivates Monopol be- kommen haben. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der F.D.P.) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4209

Dr. Max Stadler Gleichwohl waren auch diese Reformschritte er- Zweitens. Die Konzeption und die Aufgaben der folgreich, auch wenn mein verehrter Vorredner das Regulierungsbehörde im Postbereich wie auch im anders sieht. So konnte nach der Telekom AG nun Telekommunikationsbereich müssen noch einmal auch die Deutsche Post AG schwarze Zahlen vermel- überdacht werden. Die Wettbewerbsaufsicht und die den. Die „gelbe Post" erwartet für 1995 erstmals ei- Fachaufsicht sollten st rikt getrennt sein. Es spricht al- nen Gewinn in einer Größenordnung von les dafür, die Wettbewerbsaufsicht dem Bundeskar- 350 Millionen DM. Das ist für den Steuerzahler eine tellamt zuzuordnen. Dies gewährleistet politische erfreuliche Nachricht. Unabhängigkeit, wie das Kartellamt seit Jahren be- weist, und verhindert, daß sich die Wettbewerbsauf- Mit der Postreform III steht der entscheidende Re- sicht durch Bundeskartellamt und Fachbehörde aus- formschritt erst noch bevor. An dieser Stelle habe ich einanderentwickeln. mir im Manuskript notiert, daß die Bedeutung des Telekommunikationsmarktes bald größer sein wird (Arne Börnsen [Ritterhude] [SPD]: Die ge- als die der Automobilindustrie. Da das aber schon währleistet, daß nichts passiert!) alle Vorredner gesagt haben, will ich gleich dazu kommen, die zentralen Aspekte der bevorstehenden Analoges gilt für die Eckpunkte des Postministers Reform aus der Sicht der F.D.P. anzusprechen. zur Liberalisierung im Postbereich. Diese Eck- punkte sind im Grundsatz zu begrüßen. Jedoch wäre Erstens. Die nachhaltige Öffnung der Telekommu- eine besondere Übergangsfrist von fünf Jahren für nikationsmärkte für mehr Wettbewerb muß rasch die Deutsche Post AG im zentralen Bereich des Post- und möglichst weitgehend vor 1998 erfolgen, damit dienstes, der Lizenzklasse A für gewöhnliche B rief- Deutschland im internationalen Vergleich aufholt. sendungen, wäre eine Verzögerung der Marktöff- Das betrifft eine aktuelle Thema tik, Herr Minister, nung. Dagegen haben wir schwere Bedenken. das betrifft insbesondere die Freigabe alternativer Netze. Unabhängig von der heute von Ihnen zitierten Entscheidend ist, daß es bei der Öffnung der Erklärung meinen wir, daß ein Termin zur Öffnung Märkte keine weitere Verzögerung gibt. Daher muß am 1. Januar 1998 zu spät wäre. jede Chance, Wettbewerb schon vor 1998 zuzulas- sen, genutzt werden. Zweitens. Der Wettbewerb setzt klare ordnungspo- litische Rahmenbedingungen voraus, wenn Konkur- (Beifall bei der F.D.P.) renz die Macht einzelner Großunternehmen be- Unverständlich war für uns daher die Haltung des schränken und sich Innova tion lohnen soll. Dabei Freistaates Baye rn, der mit seiner Stimme am 26. Juni hält die F.D.P. im Gegensatz zu den Sozialdemokra- 1995 im Regulierungsrat gegen das Votum des Bun- ten eine sogenannte asymmet rische Regulierung der despostministers den Ausschlag dafür gegeben hat, Telekom in der Anfangsphase für unerläßlich. den Mobilfunkbetreibern zu verbieten, schon jetzt (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Übertragungswege, die sie bisher von der Telekom ten der CDU/CSU) anmieten müssen, selbst zu errichten. Hier zeigte es sich, daß entgegen landläufiger Meinung Wo rt und Drittens. Der Grundsatz muß lauten: So viel Markt Tat beim bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber wie möglich, so viel Regulierung wie nötig. Daraus manchmal in bemerkenswerter Weise auseinander ergeben sich Konsequenzen auch für die Ausgestal- klaffen. tung der Regulierungsbehörden, auf die ich gleich noch zu sprechen komme. (Beifall bei der F.D.P.) Viertens. Dem Mittelstand oder Kooperationen von Meine Damen und Herren, während wir mit dem mittelständischen Unternehmen müssen faire Chan- Telekommunikationsgesetz insgesamt auf dem richti- cen eingeräumt werden. gen Weg sind, wird in der Öffentlichkeit zu Recht zu- nehmend die Untätigkeit der Medienpolitik kriti- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne siert. Dies betrifft auch Fragen im Schnittpunkt von ten der CDU/CSU) Rundfunkrecht, Telekommunikation und neuen Me- Die Vergabe regionaler Lizenzen muß möglich sein. dien. Es erscheint sehr fraglich, ob neue Dienste, die Dies sollte unserer Meinung nach im Telekommuni- individuell nachgefragt werden, etwa „Video on de- kationsgesetz ausdrücklich klargestellt werden. mand", dem Rundfunkrecht unterliegen. Wir brau- chen die baldige Defini tion, welche neuen Techni- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ken als „Rundfunk" im herkömmlichen Sinn anzuse- ten der CDU/CSU) hen sind und welche nicht. Sonst droht durch Untä- Der Entwurf des Bundespostministers für das Tele- tigkeit der Politik in diesem Bereich der Verlust von kommunikationsgesetz ist unter den genannten Prä- Wachstumschancen und damit von Arbeitsplätzen,- missen grundsätzlich zu begrüßen. Aber es wäre die wie wir ihn auf der anderen Seite durch die Wettbe- Aufgabe der Fraktionen falsch angesehen, Herr Kol- werbsöffnung im Telekommunikationsbereich ge- lege Bury, wenn wir uns mit allem schon jetzt einver- rade noch rechtzeitig verhindern wollen. standen erklären müßten. Daher nenne ich als wich- Vielen Dank. tige verbesserungsfähige Punkte: (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Erstens. Die Definition des Universaldienstes muß im Gesetz selber festgelegt werden, um die Mitspra- che des Bundestages in diesem zentralen Bereich si- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das cherzustellen. Wort dem Abgeordneten Gerhard Jüttemann. 4210 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995

Gerhard Jüttemann (PDS): Herr Präsident! Meine Wahrscheinlichkeit ein, daß in der Gesellschaft eine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Unter- Schicht entstehen wird, die von den Segnungen der schied des Einzelplans 13 zu dem des vorangegange- Informationsgesellschaft aus materiellen Gründen nen Haushaltsjahres liegt vor allem darin, daß wir völlig ausgeschlossen bleibt und daß die Tarifeinheit um ein Jahr dichter an den für viele Menschen ver- schon bald ein Märchen aus uralten Zeiten sein wird. heerenden Auswirkungen dran sind, die Sie mit der Postprivatisierung und deren Gestaltung organisie- Abgesichert wird von Ihnen vor allem, daß einige ren. millionenschwere Energieversorgungsmonopole im Verbund mit einigen anderen Konzernen die Filet- Allerdings gibt es einen zweiten Unterschied: Zur stücke des Marktes unter sich aufteilen werden. Auf ersten Lesung des Haushalts 1995 hatten wir noch der anderen Seite wird der für die Gesellschaft so au- nicht annähernd so viele B riefe von Betroffenen, die ßerordentlich wichtige Universaldienst lediglich als ihre teilweise existentiellen Interessen in der anste- ein Mindestangebot von Telekommunikationslei- henden Gesetzgebung berücksichtigt sehen wollen. stungen beschrieben, bei dem es sich im wesentli- Vielleicht sollten Sie die Ängste an der Basis ernster chen um die Basistelefonie handelt. Aber dieser Uni- nehmen. versaldienst ist genau der Anteil, den Otto Normal- verbraucher an der sogenannten Informationsgesell- Von kaum vorstellbaren Personalreduzierungen schaft haben wird. Ihre Pläne führen also zu nichts um 60 000 bis 70 000 und den Wettbewerbsnachtei- anderem, als die kleinen Leute von den positiven len, die Minister Boetsch der Telekom auferlegen Multimediamöglichkeiten abzuschneiden und im möchte, schreibt beispielsweise der Betriebsrat der übrigen das Land bezüglich der technischen Mög- Telekom-Niederlassung Gießen und schlußfolgert: lichkeiten auch regional in Erst-, Zweit- und Dritt- Bei den derzeitigen Vorstellungen des Ministers klassigkeit zu untergliedern. befürchten wir einen noch größeren Arbeitsplatz- Ähnlich trübe Aussichten lassen die sehr schwam- verlust bei der Telekom, so daß eine größere An- mig formulierten Eckpunkte für einen künftigen Re- zahl von Entlassungen zu erwarten ist. gulierungsrahmen im Postwesen erwarten. Vor allem Der Hauptpersonalrat beim Bundesministerium für bleibt nach diesen Eckpunkten völlig offen, wie in Post und Telekommunikation kritisiert, daß es kei- Zukunft der Universaldienst zuverlässig und konti- nerlei Personalkonzepte für die beim BMPT Beschäf- nuierlich gewährleistet werden kann, obwohl gerade tigten gibt, dafür aber einen § 107 im Diskussionsent- der Fortbestand dieses Universaldienstes nach dem wurf des Telekommunikationsgesetzes, der schon Grünbuch über die Entwicklung des Binnenmarktes einmal ankündigt, daß nur so viel Personal des für Postdienste das wich tigste postpolitische Ziel sein BMPT übernommen werden wird, wie in der Regulie- sollte. Das BMPT hat sich jedoch nicht einmal die rungsbehörde benötigt werde. Im Referentenentwurf Mühe gemacht, diesen Universaldienst konkret zu ist dieser Passus zwar gestrichen worden, aber es definieren. bleibt weiter unklar, was mit den überzähligen Leu- Das Hauptübel der Entwicklung von Post und Te- ten nun geschehen soll. lekommunikation in diesem Lande liegt in den Prä- Briefe dieser Art sind ein Zeichen dafür, daß die missen der politisch Handelnden. Privatisierung und Zahl der Menschen zunimmt, die Ihre Deregulie- Deregulierung sind für Sie nicht Mittel, sondern rungsabsichten durchschauen. Postprivatisierung, Zweck. Dabei bleiben die Interessen von Kunden damit es für den Kunden immer bequemer und billi- und Beschäftigten naturgemäß auf der Strecke. ger wird, damit Beschäftigung gesichert und die Tore (Uwe Lühr [F.D.P.]: Unfug!) zu einer modernen Informationsgesellschaft weit ge- öffnet werden - diese Legende wird Ihnen immer we- Eben diese Interessen sind jedoch die Prämissen niger abgenommen werden, einfach, weil die Tatsa- unserer Politik, und sie werden es auch in Zukunft chen, die Sie schaffen, jedenfalls bis heute in allem bleiben. genau das Gegenteil bewirken: Postämter schließen, Danke schön. weil sie nicht rentabel sind, Massenentlassungen ste- hen bevor, und die Telekom kündigt „Gebühren- (Beifall bei der PDS) senkungen" an, die sich bei näherer Betrachtung als Angriff auf die Grundversorgung darstellen, weil für Ich erteile das die weitaus meisten privaten Nutzer die Gebühren Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: gar nicht sinken, sondern explodieren werden. Wort dem Abgeordneten A rne Börnsen. Aber es stellen sich auch noch andere Fragen, Arne Börnsen (Ritterhude) (SPD): Herr Präsident! etwa die, warum im Referentenentwurf für das Tele- Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Be- kommunikationsgesetz nicht einmal das Einfachste ginn ein paar Worte zu den Kollegen sagen, die vor und Wichtigste abgesichert wird, nämlich das Recht mir gesprochen haben, insbesondere zu dem Kolle- des einzelnen auf eine Grundversorgung mit unab- gen von Hammerstein, der aber, als er sah, daß ich hängigen Informationen. Offensichtlich wi ll das aufgerufen wurde, den Saal verlassen hat, wie ich BMPT mit seinen Regulierungsvorstellungen nach befürchte. dem Motto „Wer bezahlt, bestellt auch die Musik" hier genau das Gegenteil absichern: Wer die Netze (Hans Martin Bury [SPD]: Er weiß, warum! - betreibt, bestimmt auch die Inhalte der Informa tion. Parl. Staatssekretärin Irmgard Karwatzki: Ihr Gesetzentwurf schließt gleichzei tig die hohe Da ist er!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4211

Arne Börnsen (Ritterhude) Herr von Hammerstein - ich begrüße Sie - hat ins- Arne Börnsen (Ritterhude) (SPD): Gern. besondere auf die Einrichtung der Regulierungsbe- hörde abgehoben und eingefordert, daß eine solche Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bitte. Behörde möglichst in überschaubarer Größenord- nung eingerichtet werden sollte. Dr. Manuel Kiper (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich würde sehr gerne mit Ihnen und mit anderen Herr Börnsen, ist Ihnen klar, daß es sich um eine über das Thema Regulierungsbehörde diskutieren, große Koalition von CDU und SPD handelt, die hier aber zum richtigen Zeitpunkt. Wir werden erst ein- im Augenblick geschmiedet wird, um die Postreform mal die Eckpunkte eines Gesetzentwurfs mit Ihnen III durchzusetzen? Ist Ihnen in diesem Zusammen- gemeinsam erarbeiten müssen: Eckpunkte, die mög- hang klar, daß nicht nur Sie, die CDU, vor sich her- lichst wenig Regulierung vorsehen. Wenn wir das er- treiben, sondern daß bei diesem Deal große Koalition reicht haben, wenn wir also die Anforderungen, die wir Grünen leider auch über den Bundesrat nur ge- durch den Gesetzentwurf an die Behörde künftig ringfügige Einflußmöglichkeiten haben, um nicht zu hier gestellt werden, wenn wir die Anforderungen sagen: eigentlich gar keine Einflußmöglichkeiten? möglichst niedriggeschraubt haben, dadurch, daß (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Das ist wir möglichst viele Wettbewerbsmechanismen in ei- richtig so!) nen solchen Gesetzentwurf eingebaut haben, dann werden wir in der Lage sein, eine vernünftig struktu- rierte Regulierungsinstanz zu bilden und auch abzu- Arne Börnsen (Ritterhude) (SPD): Das mag zwar grenzen. Aber nicht vorher. sein. In manchen Fällen ist es auch ganz gut so. An- dererseits, Herr Kiper, an diesen interfraktionellen Deswegen lassen Sie uns auf das konzentrieren, Gesprächen nehmen Sie teil, und do rt haben Sie die was heute leider noch nicht zu einem Abschluß ge- Möglichkeit, Einfluß zu nehmen. Deswegen ist es am kommen ist. Aber ich hoffe, daß das innerhalb der Rande der Fairneß, solche Angriffe hier zu starten. nächsten 14 Tage realisiert werden kann, weil tat- Lassen Sie uns konstruktiv an dem Platz, der der sächlich nur noch einmal mehr betont werden kann: richtige Ort ist, streiten, um diesen Gesetzentwurf zu Uns läuft die Zeit davon. Wir sind sehr wohl unter verbessern. Da sind Sie auch gefordert, anstatt daß es Druck, wenn wir zum 1. Januar 1998 den Wettbe- hier so geht, daß man gar nicht mehr weiß, wie sol- werb öffnen wollen und nicht nur das Datum schaf- che Anwürfe eigentlich zustande kommen. fen wollen, sondern den Wettbewerbe rn die Möglich- keit geben, auch schon vorher auch Wettbewerb zu (Zuruf von der F.D.P.: Bei der SPD klatscht proben und sich auf die Ihnen über Lizenzen aufer- keiner!) legten Auflagen einzurichten. Dann brauchen wir - Vielen Dank. dafür das Jahr 1997, und dann haben wir so viel Zeit nicht mehr. Ich möchte auch darauf hinweisen, Herr Kiper, daß das, was Sie zu der Postreform II gesagt haben, daß Herr Kiper, Sie haben hier vorne so gesprochen, die Auswirkung der Postreform - - daß es wirklich mein Erstaunen und auch meine spontane Erregung verursacht hat, was bei uns Nord- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege deutschen - Sie können das nachempfinden - schon Börnsen, Herr Kiper möchte noch eine weitere Zwi- eine Ausnahmesituation ist. Daß ich den Beg riff des schenfrage stellen. Sind Sie einverstanden? Spinnens benutzt habe, ist trotzdem nicht nur unpar- lamentarisch, sondern sicherlich auch unzutreffend. Arne Börnsen (Ritterhude) (SPD): Ja. Nur, ich muß gestehen, ich war etwas verblüfft dar- über, daß wir heute nachmittag zusammensaßen und Bitte. unterschiedliche Konzepte diskutiert haben. Aber zu Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: dem, was wir heute nachmittag diskutiert haben, ha- ben Sie nichts gesagt, mit der einen Ausnahme hin- Dr. Manuel Kiper (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sichtlich der Informationsgesellschaft. Das, was Sie Herr Börnsen, ist Ihnen eigentlich klargeworden, daß heute abend bei uns kritisiert haben, fehlte heute ich heute nachmittag nicht nur geschwiegen habe zu nachmittag von Ihnen als Diskussionsbeitrag. dem, was Sie gesagt haben und was Sie mit Herrn Wiesheu gemeinsam von seiten der SPD im Telekom- Da, meine ich, sollte m an schon an dem Platz, an munikationsmarkt planen? Ist Ihnen klargeworden, dem man gefordert ist, einen vorliegenden Entwurf daß ich heute nachmittag sehr wohl auch deutlich zu korrigieren, Einfluß nehmen auf das, was an gemacht habe, daß hier, was den Universaldienst an- Schwerpunkten innerhalb des Entwurfs da ist. Ei- belangt, natürlich eine ganz große Aufgabe ist und gene Vorstellungen sollte man do rt einbringen. Aber ich die Chance sehe, daß Sie, die CSU, die CDU und dann kann man nicht in einer teilweise ein bißchen die F.D.P., begreifen, daß es im Interesse der Ent- neben der Sache hergehenden Art und Weise ausge- wicklung der Informationsgesellschaft notwendig ist, rechnet uns kritisieren. Wir versuchen ja, das Ding diesen Universaldienst nicht analog, sondern ISDN- besser zu machen. fähig zu organisieren? Haben Sie das heute nachmit- tag verschlafen? Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Börnsen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge- Arne Börnsen (Ritterhude) (SPD): Nein, Herr Ki- ordneten Kiper? per, genausowenig wie ich davon ausgehe, daß Sie 4212 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995

Arne Börnsen (Ritterhude) festgestellt haben, indem Sie unsere Papiere gelesen Nun kommt aber eines hinzu, Herr Kiper - ich haben, daß genau diese Forderung, Universaldienst würde graue Haare kriegen, wenn ich sie nicht schon ISDN-Standard, bei uns in den Papieren steht. Wenn hätte -: Würden wir bei diesem Zukunftsmarkt der Sie heute abend sagen, Sie würden die anderen auf- Telekommunikation - das geht genauso an Sie, Herr fordern, diesen Qualitätsstandard erst einmal für sich Bötsch - einen wie auch immer gearteten Zustand in Anspruch zu nehmen, dann ist da eine gewisse der Subventionierung durch einen Infrastruktur- Kluft zwischen Behauptung und Wirklichkeit. fonds einführen, der zwar von anderen Firmen be- zahlt wird, aber letztendlich darauf hinausläuft, daß Ich muß Sie auch darauf hinweisen, Herr Kiper, daß für bestimmte Empfänger eine Subventionsmentali- in diesem Bereich den Begriff der Großen Koalition zu tät aufkommt, dann verstünde ich die Welt nicht benutzen nicht angemessen ist. Ich sage das ganz zu- mehr. In diesem Bereich sind am wenigsten Subven- rückhaltend, weil ich mich schon genügend aufgeregt tionen erforderlich; denn diejenigen, die sich an die- habe. Er ist nicht angemessen, weil Sie genau wissen, sem Markt beteiligen, rechnen auf Gewinne daß es bestimmte Mehrheiten hier im Bundestag und bestimmte Mehrheiten im Bundesrat gibt. Wie anders (Hans Martin Bury [SPD]: Richtig!) als durch einen rechtzeitigen Kompromiß zwischen denjenigen, die dort und hier die Mehrheit haben, und gehen diesen Weg nur deswegen, weil sie davon wollen Sie eigentlich erreichen, daß ein solches Ge- überzeugt sind, sich ein Stück von dem Kuchen die- setz durch Bundestag und Bundesrat geht? ses enorm wachsenden Marktes abschneiden zu kön- Sie wissen genau - es ist heute abend einige Male nen. Dann braucht man ein solches Modell nicht. gesagt worden -: Es kommt darauf an, daß wir Pla- Man sollte es dann so organisieren, daß die Eigen- nungssicherheit für diejenigen erreichen, die sich an finanzierung eines solchen Universaldienstes ohne diesem Markt beteiligen wollen. Das kann man nur, Fonds möglich ist. indem diejenigen, die an den Entscheidungen quali- fiziert beteiligt sind, möglichst frühzeitig ein gemein- Meine Damen und Herren, ich möchte noch einige sames Modell vereinbaren. Wie anders als so soll ergänzende Worte sagen - Herr Stadler, wenn Sie ge- man es denn tun? statten, möchte ich noch einige Takte zu dem Thema sagen, das Sie eröffnet haben - zu der Frage, ob wir Herr Kiper, ich will aber nicht den falschen Ein- bei diesem - bis jetzt noch - Referentenentwurf des druck erwecken - das wäre vollkommen ungerecht- Post- und Telekommunikationsministeriums eigent- fertigt -, als wären wir es, die sich hier auseinander- lich das Thema hinreichend erfaßt haben. Sie haben setzen. Die Auseinandersetzung findet zwischen Op- die Frage der Medienpolitik angesprochen. Man position und Bundesregierung statt. kann nach meiner festen Überzeugung Telekommu- nikation und multimediale Kommunikation nicht (Bundesminister Dr. Wolfgang Bötsch: Das voneinander trennen. ist eine rotgrüne Koalition!) Herr Kiper, ich meine, daß wir uns auch in den Vor- Der Gesetzentwurf geht - ich sage das nicht vor- gesprächen so weitgehend auf gemeinsame Positio- wurfsvoll, sondern nur als Feststellung - bisher da- nen haben einigen können, daß eine solche Art der von aus, daß nur die rein technische Seite der Tele- Auseinandersetzung nicht gerechtfertigt ist. Lassen kommunikation behandelt und reguliert werden soll. Sie mich das in dieser Deutlichkeit sagen. Telekommunikation ist aber nur der Träger für die Anwendung künftiger neuer Dienste, die allgemein Wir sind - auch das habe ich eben schon ange- als Multimediadienste zusammengefaßt werden. Da- führt - bei der Frage des Universaldienstes Ihnen her frage ich mich, ob nicht unser möglicherweise doch viel näher als der Bundesregierung. Denn wir gemeinsamer Gesetzentwurf unzulänglich wäre, meinen, daß durch die Defini tion eines Universal- wenn nicht versucht würde, insbesondere im Rah- dienstes möglichst frühzeitig ein zukunftsorientierter men der Regulierung das Thema multimediale Kom- Dienst festgelegt werden muß, damit die möglicher- munikation mit aufzugreifen. weise erforderlichen Investitionen der p rivaten An- bieter auch durchgeführt werden. Wenn ein Univer- Herr Bundesminister, ich weiß, daß ich damit ein saldienst auf ISDN-Standard voraussetzt, daß höhere Tabu berühre, weil die Kompetenzverteilung zwi- Kapazitäten im Leitungsnetz realisiert werden, daß schen Bund und Ländern hier in Frage steht. Es ist dafür die notwendigen Investitionen durchgeführt bestimmt so, daß Sie von der F.D.P. es sich ein biß- werden, dann ist das die Zielsetzung, die wir mit ei- chen leichter machen können, weil Sie in den Län- ner solchen Definition verbinden wollen. In allen un- dern nicht so viel Verantwortung tragen. Das ist bei seren Papieren ist die Ausrichtung auf eine dynami- uns glücklicherweise anders und soll auch so blei-- sche Interpreta tion dieses Begriffes enthalten. ben. Es darf bloß nicht dazu führen, daß man aus Scheu vor dem Anpacken dieser Probleme die bei- (Beifall bei der SPD - Dr. Manuel Kiper den Bereiche auseinanderlaufen läßt. Nachher hat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!) man zwar einen technisch optimalen Gesetzentwurf - Warum lesen Sie dann die Papiere nicht rechtzeitig? in Richtung Telekommunikation, aber das, was An- Dann würden wir uns darüber nicht streiten müssen. wendung und im Bereich Multimedia auch Beschäfti- gung verspricht, ist nicht erfaßt worden und bleibt (Dr. Manuel Kiper [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ deswegen zurück. Das können wir uns nicht leisten. NEN]: Nichtsdestoweniger können Sie doch hier ein gemeinsames Konzept mitbringen!) (Beifall des Abg. Hans Mar tin Bury [SPD]) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4213

Arne Börnsen (Ritterhude) Wir müssen die althergebrachten Zuständigkeiten Chancen, an der positiven Entwicklung der multime- in Frage stellen. Wir müssen fragen: Wie können dialen Kommunikation teilzunehmen, entsprechend künftige Anwendungen der multimedialen Kommu- geringer werden. Vielmehr werden die Risiken, die nikation optimal unterstützt werden? In welcher damit verbunden sind, eher noch größer. Das können Form und in welchem Rahmen können wünschens- wir uns nicht leisten. werte und notwendige Eingriffe op timal ermöglicht werden? Denn aus den Erfahrungen mit der Medien- Lassen Sie mich abschließend noch ein kurzes Zi- politik und den Landesmedienanstalten festzustel- tat des Intendanten des Bayerischen Rundfunks, len, daß diese Papiertiger sind, wenn es um die Kon- Prof. Dr. Scharf, bringen, der als Intend ant an der zentrationskontrolle der großen TV-Anbieter geht, Landesrundfunkanstalt dazu ausführt - ich werfe ist, glaube ich, keine große Überraschung. Sie haben ihm das nicht vor; das ist aus seiner Interessenslage nicht die Möglichkeiten, und sie schaffen es nicht. wahrscheinlich gar nicht anders möglich -, daß der Föderalismus einen politischen Konsens unter- Nur wird es in Zukunft nicht mehr alleine um Pro- schiedlicher Kräfte erzwinge und daß nicht jede grammanbieter, sondern um eine Kombination von schnellere Entscheidung auch eine gute Entschei- Programmanbietern und technischen Standards ge- dung sei. Deswegen - schließt Herr Scharf - hen. Wie jüngst auf der Berliner Messe feststellbar, können hier durch ein Monopolangebot bestimmter fallen neue Dienste, auch wenn sie nicht unbe- Geräte andere Anbieter aus dem Markt herausgehal- dingt als Rundfunk zu qualifizieren sind, in die ten werden. Bei einer solchen Entwicklung fragt kei- Regelungszuständigkeit der Länder, soweit es ner mehr nach Ländergrenzen. Da ist die Markt- um kulturelle Aspekte geht. macht dieses in Rede Stehenden so, daß die Landes- medienanstalten geradezu eine Witzfigur sind. Dann geht alles ganz schön langsam und behäbig. Genau das können wir uns nicht leisten. Ich halte diesen Weg, den Herr Scharf beschreibt, für nicht zu- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege kunftsweisend. Börnsen, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage? Das Ganze sind jetzt etwas schlaglichtartige Be- trachtungen zu dem Thema. Ich weiß, daß man sich (Ritterhude) (SPD): Ja. Arne Börnsen hierzu etwas umfassender äußern muß. Aber das Prinzip der Langsamkeit auf Multimedia zu übertra- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bitte. gen wäre schon etwas kontraproduktiv. Wir sollten deswegen pragmatisch zusammen mit Elmar Müller (Kirchheim) (CDU/CSU): Kollege den Ländern prüfen, welche Form einer bundesein- k, daß Sie dieses Thema ange- Börnsen, vielen D an heitlichen, durch die L ander begleiteten Einrichtung sprochen haben. den Belangen eines sich mit rasanter Schnelligkeit Kann ich das Ganze so verstehen, daß Sie, die entwickelnden Multimedienmarktes gerecht wird. SPD-Fraktion, mit uns gemeinsam dafür eintreten, Im Zusammenhang mit dem von uns zu beratenden daß dieser Markt tatsächlich nicht - um den Beg riff Telekommunikationsgesetz werden wir, wie behan- Ihrer Fraktion zu nehmen - föderalisiert wird, son- delt, die Einrichtung einer Regulierungsinstanz be- dern daß wir diesen Markt aus Sicht des Bundes vor schließen. Ich schlage vor, die Regulierung des Mul ti allem in der Gesetzgebung gemeinsam vorantreiben, -mediamarktes von dieser Instanz ebenfalls wahrneh- um dafür zu sorgen, daß er als ein Markt zukünftiger men zu lassen. Wirtschaftsentwicklung, als ein Standardmarkt der Bundesrepublik Deutschland be trachtet werden Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. kann, d. h. nicht das Ergebnis von Papieren ist, die in Herr Präsident, jetzt werde ich zu Herrn Kiper ge- den Kaminzimmern der Ministerpräsidenten von Re- hen, damit wir uns wieder vertragen. ferenten vorbereitet werden? (Beifall bei der SPD) Arne Börnsen (Ritterhude) (SPD): Herr Kollege Müller, ich weiß, daß die Meinungsbildung innerhalb Vielen Dank meiner Fraktion nicht abgeschlossen ist und ich des- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: für den versöhnlichen Abschluß. wegen nicht für die Fraktion sprechen kann. Ich weiß genauso, daß es dort unterschiedliche Strömungen Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir sind auf Grund der unterschiedlichen Interessenslagen damit am Ende der heutigen Sitzung. gibt. Ich berufe die nächste Sitzung auf morgen, Mitt- Aber ich halte es für notwendig, daß dieses Thema woch, den 6. September 1995, 9 Uhr ein. im Zusammenhang mit unserem Gesetzesvorhaben aufgegriffen wird, und möchte das auch noch kurz Die Sitzung ist geschlossen. begründen. Ich teile ohne Zweifel Ihre Meinung, daß, wenn wir diesen Zeitpunkt verschlafen, die (Schluß der Sitzung: 21.40 Uhr)

Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 50. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1995 4215*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Liste der entschuldigten Abgeordneten Schenk, Christa PDS 5. 9. 95 entschuldigt bis Abgeordnete(r) Schewe-Gerigk, BÜNDNIS 5.9.95 einschließlich Irmingard 90/DIE GRÜNEN Adler, Brigitte SPD 5. 9. 95 Schmidt (Aachen), SPD 5. 9. 95 Andres, Gerd SPD 5. 9. 95 (Unna), Leni CDU/CSU 5. 9. 95 Schmitt (Langenfeld), BÜNDNIS 5. 9. 95 Formanski, Norbert SPD 5. 9. 95 Wolfgang 90/DIE Frick, Gisela F.D.P. 5. 9. 95 GRÜNEN Grießhaber, Rita BÜNDNIS 5. 9. 95 Schultz (Everswinkel), SPD 5. 9. 95 90/DIE Reinhard GRÜNEN Dr. Schwaetzer, Irmgard F.D.P. 5. 9. 95 Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 5. 9. 95 Simm, Erika SPD 5. 9. 95 Hoffmann (), SPD 5. 9. 95 Thieser, Dietmar SPD 5. 9. 95 Jelena Tippach, Steffen PDS 5. 9. 95 Dr. Hoyer, Werner F.D.P. 5. 9. 95 Tröscher, Adelheid SPD 5. 9. 95 Dr. Jork, Rainer CDU/CSU 5. 9. 95 Vosen, Josef SPD 5. 9. 95 Dr. Knake-Werner, Heidi PDS 5. 9. 95 Wieczorek-Zeul, SPD 5.9.95 Dr. Köster-Loßack, BÜNDNIS 5. 9. 95 Heidemarie Angelika 90/DIE GRÜNEN Dr.-Ing. Laermann, F.D.P. 5. 9. 95 Karl-Hans Anlage 2 Leidinger, Robert SPD 5. 9. 95 Lemke, Steffi BÜNDNIS 5. 9. 95 Erklärung der Abgeordneten 90/DIE Renate Rennebach (SPD) GRÜNEN zur namentlichen Abstimmung über den von der Fraktion der SPD eingebrachten Lengsfeld, Vera BÜNDNIS 5. 9. 95 Entschließungsantrag auf Drucksache 13/1835 90/DIE zum Antrag der Bundesregierung: GRÜNEN Deutsche Beteiligung an den Maßnahmen Lotz, Erika SPD 5. 9. 95 zum Schutz und zur Unterstützung des schnellen Einsatzverbandes im früheren Lüth, Heidemarie PDS 5. 9. 95 Jugoslawien einschließlich der Unterstützung Neuhäuser, Rosel PDS 5. 9. 95 eines eventuellen Abzugs der VN-Friedenstruppen auf Drucksachen 13/1802 und 13/1855 Dr. Protzner, Bernd R. CDU/CSU 5. 9. 95 in der 48. Sitzung am 30. Juni 1995 Dr. Rappe (Hildesheim) SPD 5. 9. 95 (Seiten 4020 A bis 4022 C) Hermann In der Abstimmungsliste ist mein Name bei den Schätzle, Ortrun CDU/CSU 5. 9. 95 Enthaltungen aufgeführt. Ich erkläre, daß ich nach Dr. Scheer, Hermann SPD 5. 9. 95 meiner festen Überzeugung mit Ja gestimmt habe.