<<

Plenarprotokoll 13/210

Deutscher

Stenographischer Bericht

210. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Inhalt:

Erweiterung und Abwicklung der Tages der Abgeordneten Andrea Gysi, Man- ordnung 19107 A fred Müller (), weiterer Abgeord- neter und der Gruppe der PDS: Durch- Absetzung von Tagesordnungspunkten 19107 D führung einer Volksabstimmung über die Teilnahme der Bundesrepublik Nachträgliche Ausschußüberweisungen 19107 D Deutschland an der vom Maastrichter Vertrag beschlossenen Europäischen Glückwünsche zu den Geburtstagen der Währungsunion und die Ratifizierung Abgeordneten Peter Conradi, Dr. Alfred der Ergebnisse der Regierungskonfe- Dregger und Dieter Schanz 19108 C renz zur Überprüfung- und Revision des Vertrages über die Europäische Zusatztagesordnungspunkt 2: Union (Drucksachen 13/7307, 13/9332) 19109 A Erklärung durch die Bundesregierung in Verbindung mit zum Vertrag von Amsterdam und zum bevorstehenden Europäischen Rat in Zusatztagesordnungspunkt 3: Luxemburg am 12./13. Dezember 1997 Antrag der Abgeordneten K ristin in Verbindung mit Heyne, Ulrike Höfken, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt 4: DIE GRÜNEN: Verbraucherschutz bei Einführung des Euro wahren - frühe Europapolitische Debatte Euronutzung ermöglichen (Drucksache a) Erste Beratung des von der Bundesre- 13/9373) 19109 B gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vertrag von Amsterdam in Verbindung mit vom 2. Oktober 1997 (Drucksache 13/ 9339) 19108 C Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut b) Erste Beratung des von der Bundesre- Lippelt, Christian Sterzing, Dr. Angeli- gierung eingebrachten Entwurfs eines ka Köster-Loßack und der Fraktion Gesetzes zur Einführung des Euro (Eu- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Euro- ro-Einführungsgesetz) (Drucksache 13/ päische Union demokratisch erweitern 19108 D 9347) - eine historische Aufgabe (Drucksa- che 13/9374) 19109 B c) Antrag der Gruppe der PDS: Demokra- tisierung der EU durch ihre Osterwei- in Verbindung mit terung (Drucksache 13/9357) . . . . 19109 A Zusatztagesordnungspunkt 5: d) Beschlußempfehlung und Be richt des Ausschusses für die Angelegenheiten Antrag der Abgeordneten Steffen Tip der Europäischen Union zu dem Antrag pach, Heinrich Graf von Einsiedel, wei-

II Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. , Donnerstag, den 11. Dezember 1997

terer Abgeordneter und der Gruppe der b) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU PDS: Neuverhandlung des Amsterda und F.D.P.: Zurückweisung des Ein- mer Vertrags (Drucksache 13/9379) 19109 B spruchs des Bundesrates gegen das Gesetz zur erbrechtlichen Gleichstel- in Verbindung mit lung nichtehelicher Kinder (Erbrechts- gleichstellungsgesetz) (Drucksachen Zusatztagesordnungspunkt 11: 13/9328, 13/9382) 19140 A

Erste Beschlußempfehlung und erster Namentliche Abstimmung über den An- Bericht des Ausschusses für die Ange- trag der Fraktionen der CDU/CSU und legenheiten der Europäischen Union zu F.D.P. auf Drucksache 13/9381 . . . . 19140 C der Unterrichtung durch die Bundesre- gierung: Vorlage der Kommission über Ergebnis 19141 A die Erweiterung der Europäischen Union hier: Agenda 2000 Namentliche Abstimmung über den An- trag der Fraktionen der CDU/CSU und 1. Eine stärkere und erweiterte Union F.D.P. auf Drucksache 13/9382 19140 C (VOL.!) Ergebnis 19144 C 2. Die Erweiterung der Union - eine Herausforderung (VOL.II) Zusatztagesordnungspunkt 13: 3. Zusammenfassungen und Schlußfol- Vereinbarte Debatte zum Thema „Sta- gerungen der Stellungnahmen der bile Rentenbeiträge" Kommission zu den Beitrittsanträ- Wolfgang Vogt (Düren) CDU/CSU . . gen zur Europäischen Union folgen- 19143 B der Länder: Bulgarien, Estland, Un- SPD 19147 A garn, Lettland, Litauen, Polen, Kerstin Müller (Köln) BÜNDNIS 90/DIE Tschechische Republik, Rumänien, GRÜNEN 19149 A Slowenien, Slowakei Dr. F.D.P 19149 D (Drucksachen 13/8391, 13/9418) . . . 19109 C Petra Bläss PDS 19150 D Dr. , Bundesminister AA . . 19109 D Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 19151 C Heidemarie Wieczorek-Zeul SPD 19113 D, 19121 D, 19126 C Tagesordnungspunkt 14: CDU/CSU 19117 C Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des- Grundgesetzes Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz GRÜNEN 19120C, 19122 A zur Finanzierung eines zusätzlichen Dr. F.D.P 19122 C Bundeszuschusses zur gesetzlichen Manfred Müller (Berlin) PDS 19124 B Rentenversicherung (Drucksachen 13/ 8704, 13/8869, 13/9327, 13/9419) . . . 19152 C Dr. F.D.P. 19126 A Dr. Gero Pfennig CDU/CSU 19127 A Namentliche Abstimmung über die Nr. 2 Dr. Norbert Wieczorek SPD 19128 D der Beschlußempfehlung des Vermitt- lungsausschusses auf Drucksache 13/9419 19152 C Rudolf Seiters CDU/CSU 19129 A Ergebnis 19154 C Christian Sterzing BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN 19131 C Zusatztagesordnungspunkt 15: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger F.D.P 19132 D Vereinbarte Debatte zum Thema „Post" Uwe Hiksch SPD 19134 A Dr. Wolfgang Bötsch, Bundesminister Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU 19135 D BMPT 19153 A Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Bundesmi Hans Martin Bury SPD 19156 D nister BMJ 19137 C Dr. Manuel Kiper BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Heidemarie Wieczorek-Zeul SPD . . 19138 A NEN 19158 B Michael Stübgen CDU/CSU . . . . . 19138 D Gerhard Jüttemann PDS 19159 A Dr. F D P. 19159 C Tagesordnungspunkt 5: Elmar Müller (Kirchheim) CDU/CSU . . 19160 B a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.: Zurückweisung des Ein- Zusatztagesordnungspunkt 16: spruchs des Bundesrates gegen das Beschlußempfehlung des Ausschusses Gesetz zur Reform der gesetzlichen nach Artikel 77 des Grundgesetzes Rentenversicherung (Rentenreform- (Vermittlungsausschuß) zu dem Postge- gesetz 1999) (Drucksachen 13/9324, 13/ setz (Drucksachen 13/7774, 13/8702, 9381) 19140 A 13/8800, 13/9420) 19160 C

Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997 III

Zusatztagesordnungspunkt 17: k) Erste Beratung des von der Bundesre- Beschlußempfehlung des Ausschusses gierung eingebrachten Entwurfs eines nach Artikel 77 des Grundgesetzes Zweiten Gesetzes zur Änderung der (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz Gewerbeordnung und sonstiger ge- (Druck- zur Änderung eisenbahnrechtlicher werberechtlicher Vorschriften Vorschriften (Drucksachen 13/4386, sache 13/9109) 19161 D 13/6721, 13/7234, 13/9421) 19160D l) Erste Beratung des von der Bundesre- Zusatztagesordnungspunkt 18: gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Agrarsta- Beschlußempfehlung des Ausschusses tistikgesetzes und anderer Gesetze nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Drucksache 13/9110) 19161 D (Vermittlungsausschuß) zu dem Ge- setz zur Fortentwicklung des Haus- m) Erste Beratung des von den Abgeord- haltsrechts von Bund und Ländern neten Christina Schenk, Dr. Heidi Kna- (Haushaltsrechts-Fortentwicklungsge- ke-Werner, weiteren Abgeordneten setz) (Drucksachen 13/8293, 13/8875, und der Gruppe der PDS eingebrachten 13/9326, 13/9422) 19160 D Entwurfs eines Gesetzes über Rahmen- bedingungen für die Vereinbarkeit von Tagesordnungspunkt 20: Beruf und Kinderbetreuung für Frauen Überweisungen im vereinfachten Verfah- und Männer (Vereinbarkeitsgesetz) ren (Drucksache 13/9380) 19161 D

e) Erste Beratung des von der Bundesre- n) Antrag der Abgeordneten Dr. R. Wer- gierung eingebrachten Entwurfs eines ner Schuster, Tilo Braune, weiterer Ab- Gesetzes zu dem Abkommen vom geordneter und der Fraktion der SPD: 19. März 1997 zur Änderung des Ver- Reform der ärztlichen Ausbildung trags vom 23. November 1964 zwi- (Drucksache 13/8901) 19162 A schen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossen- schaft über die Einbeziehung der Ge- p) Antrag der Gruppe der PDS: Feminine meinde Büsingen am Hochrhein in das und maskuline Sprachform in Rechts- schweizerische Zollgebiet (Büsinger vorschriften des Bundes (Drucksache Staatsvertrag) (Drucksache 13/9040) 19161 A 13/8865) 19162 A

f) Erste Beratung des von der Bundesre- Zusatztagesordnungspunkt 6: gierung eingebrachten Entwurfs eines Weitere Überweisungen im vereinfachten Gesetzes zur Änderung der Rechts- Verfahren grundlagen für die Vergabe öffentli- cher Aufträge (Vergaberechtsände- rungsgesetz) (Drucksache 13/9340) . 19161 B a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrach- g) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- gebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes rung des Gesetzes zur vorläufigen Re- zur Änderung des Beamtenrechtsrah- gelung des Rechts der Industrie- und mengesetzes und anderer dienstrecht- Handelskammern (Drucksache 13/ licher Vorschriften (Drucksache 13/ 9378) 19162 A 8934) 19161 B b) Erste Beratung des von den Fraktio- h) Erste Beratung des von der Bundesre- nen der CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/ gierung eingebrachten Entwurfs eines DIE GRÜNEN und F.D.P. eingebrach- Gesetzes zur Änderung des Spreng- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- stoffgesetzes und anderer Vorschriften derung des Grundgesetzes (Artikel 39 (Drucksache 13/8935) 19161 C GG) (Drucksache 13/9393) 19162 B

i) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- Tagesordnungspunkt 21: gebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung Abschließende Beratungen ohne Aus- und anderer Gesetze (Strafprozeßan- sprache passungsgesetz) (Drucksache 13/8939) 19161 C a) Zweite und dritte Beratung des von der j) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- Bundesregierung eingebrachten Ent- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes wurfs eines Gesetzes zur Neuordnung zur Änderung des Gesetzes über Ord- des Eheschließungsrechts (Eheschlie- nungswidrigkeiten (Drucksache 13/ ßungsrechtsgesetz) (Drucksachen 13/ 8940) 19161 C 4898, 13/9416) 19162 C

IV Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

b) Zweite und dritte Beratung des von der h) Beschlußempfehlung des Haushaltsaus- Bundesregierung eingebrachten Ent- schusses zu der Unterrichtung durch wurfs eines Gesetzes über die Fest- die Bundesregierung: Haushaltsfüh stellung des Wirtschaftsplans des rung 1997 ERP-Sondervermögens für das Jahr Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 1998 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 1998) 11 13 Titel 656 04 - Zuschüsse zu den (Drucksachen 13/8833, 13/9409) . . . 19162 D Beiträgen zur Rentenversicherung der in Werkstätten beschäftigten Behinder- c) Beschlußempfehlung und Be richt des ten - (Drucksache 13/8806, 13/8893 Ausschusses für Raumordnung, Bauwe- Nr. 5, 13/9044) 19163 D sen und Städtebau zu dem Antrag der Abgeordneten Helmut Wilhelm (Am- berg), Franziska Eichstädt-Bohlig, wei- i) Beschlußempfehlung des Haushaltsaus- terer Abgeordneter und der Fraktion schusses zu der Unterrichtung durch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Richtlinie die Bundesregierung: Haushaltsfüh- für ökologisches Bauen bei Baumaß- rung 1997 nahmen des Bundes (Drucksachen 13/ Einwilligung in überplanmäßige Aus- 7089, 13/8966) 19163 A gaben bei Kapitel 23 02 Titel 836 02, 836 04 und 836 05 - Beteiligung der d) Beschlußempfehlung und Be richt des Bundesrepublik Deutschland Innenausschusses zu der Unterrichtung - an Einrichtungen der Weltbankgrup- durch den Bundesbeauftragten für den pe (Internationale Entwicklungsorga- Datenschutz: Tätigkeitsbericht 1993 nisation - IDA) und 1994 des Bundesbeauftragten für den Datenschutz - 15. Tätigkeitsbe- - am Kapital der Afrikanischen Ent- richt - gemäß § 26 Abs. 1 des Bundes- wicklungsbank (AfDB) und am Afri- datenschutzgesetzes (Drucksachen 13/ kanischen Entwicklungsfonds (AfDF) 1150, 13/7699) 19163 A (Drucksachen 13/8749, 13/8893 Nr. 4, 13/9091) 19164 A e) Beschlußempfehlung und Be richt des Ausschusses für Verkehr zu der Unter- j) Beschlußempfehlung des Haushaltsaus- richtung durch die Bundesregierung: schusses zu der Unterrichtung durch Vorschlag für eine Entscheidung des die Bundesregierung: Haushaltsfüh- Rates zur Einführung eines Konsulta- rung 1997 tionsverfahrens betreffend die Bezie- - Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel hungen zwischen den Mitgliedstaaten 17 04 - Bundesamt für den Zivildienst - und dritten Ländern auf dem Gebiet des Seeverkehrs sowie die diesbezüg- a) Kapitel 17 04 Titel 68123 (Sonder- lichen Aktionen in den internationalen leistungen) Organisationen und eines Genehmi- b) Kapitel 17 04 Titel 671 42 (Zuschüsse gungsverfahrens für Seeverkehrsab- an Beschäftigungsstellen zur Entla- (Drucksachen 13/7959 Nr. 2.4, kommen stung vom Aufwand für Unterkunft, 13/9383) 19163 B Verpflegung und Arbeitskleidung der Dienstleistenden) (Drucksachen f) Beschlußempfehlung des Haushaltsaus- 13/8843, 13/9066 Nr. 4, 13/9092) . . 19164 B schusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Haushaltsfüh- k) Beschlußempfehlung des Haushalts- rung 1997 ausschusses zu der Unterrichtung Außerplanmäßige Ausgabe bei Kapi- durch die Bundesregierung: Überplan- tel 09 02 Titel 67122 - Kosten im Zu- mäßige Ausgabe bei Kapitel 60 04 Ti- sammenhang mit der Veräußerung tel 66102 - Zinszuschüsse im Rahmen der Bundesrohölreserve - (Drucksa- des Gemeindeprogramms der Kredit- chen 13/8535, 13/8594 Nr. 1.4, 13/ anstalt für Wiederaufbau - (Drucksa- 9042) 19163 C chen 13/8648, 13/8352 Nr. 1.4, 13/9093) 19164 B

g) Beschlußempfehlung des Haushaltsaus- l) Beschlußempfehlung des Haushaltsaus- schusses zu der Unterrichtung durch schusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Haushaltsfüh- die Bundesregierung: Haushaltsfüh- rung 1997 rung 1997 Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 10 02 Titel 656 58 - Zuschüsse zur För- Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 25 02 Titel 893 01 derung der Einstellung der landwirt- schaftlichen Erwerbstätigkeit - bis zur - Prämien nach dem Wohnungsbau- Höhe von 110 Mio. DM (Drucksachen Prämiengesetz - (Drucksachen 13/ 13/8546, 13/8594 Nr. 1.5, 13/9043) . . 19163 D 8807, 13/8893 Nr. 6, 13/9106) . . . . 19164 C

Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997 V

m) Beschlußempfehlung des Haushaltsaus - Tagesordnungspunkt 8: schusses zu der Unterrichtung durch a) Beschlußempfehlung und Be richt des die Präsidentin des Bundesrechnungs - Auswärtigen Ausschusses zu dem An- hofes als Vorsitzende des Bundesschul- trag der Abgeordneten denausschusses: Bericht des Bundes- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE schuldenausschusses über seine Tätig- GRÜNEN: Ächtung von Landminen (II) keit sowie die Verwaltung der Bundes- (Drucksachen 13/3748, 13/7870) . . 19189 D schuld im Jahre 1996 (Drucksachen 13/ 7748, 13/9107) 19164 C b) Beschlußempfehlung des Petitionsaus- n) Beschlußempfehlung des Rechtsaus- schusses: Sammelübersicht 230 zu Pe- schusses titionen: (Weltweites Verbot von Land- minen) (Drucksache 13/8497). . . 19190 A Übersicht 8 über die dem Deutschen Bundestag zu- c) Beschlußempfehlung des Petitionsaus- geleiteten Streitsachen vor dem Bun- schusses: Sammelübersicht 231 zu Peti- desverfassungsgericht (Drucksache 13/ tionen (Verzicht auf Landminen, bzw. 9053) 19164 D Qualitätsstandards für Selbstzerstö- rungseinrichtungen) (Drucksache 13/ o-q) Beschlußempfehlungen des Petitions- 8498) 19190 A ausschusses: Sammelübersichten 258, Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜ 259 und . 260 zu Petitionen (Druck- 19190 B sachen 13/9255, 13/9256, 13/9257) . 19165 A NEN Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU . . . 19191 B Zusatztagesordnungspunkt 7: Volker Kröning SPD 19193 A, 19198 B Aktuelle Stunde betr. Haltung der Dr. F.D.P 19194 C Bundesregierung zu Reaktionen in der Steffen Tippach PDS 19195 C Öffentlichkeit zum Eintreffen der Be- scheide zum Krankenhausnotopfer . 19165 B CDU/CSU 19196 A Dr. PDS 19165 B Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA . 19196 D Eva-Maria Kors CDU/CSU 19166 B Regina Schmidt-Zadel SPD 19167 A Tagesordnungspunkt 9: Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE GRÜ a) Erste Beratung des von den Fraktionen NEN 19168 C der CDU/CSU, SPD und F.D.P. ein- - Jürgen W. Möllemann F.D.P...... 19169 D gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung der Hand- , Bundesminister BMG 19170 D werksordnung und anderer hand- CDU/CSU 19172 B werksrechtlicher Vorschriften (Druck- Gudrun Schaich-Walch SPD 19173 B sache 13/9388) 19198 C Dr. PDS 19174 C b) Erste Beratung des von den Abgeord- Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/ neten Margareta Wolf (Frankfu rt) und CSU 19176 A der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dr. Hans-Hinrich Knaape SPD 19177 A NEN eingebrachten Entwurfs eines Ge- Wolfgang Zöller CDU/CSU 19178 A setzes zur Änderung der Handwerks- Dr. SPD 19179 A ordnung (Drucksache 13/8846) . . . 19198 D Karl-Heinz Scherhag CDU/CSU . . . 19198 D Tagesordnungspunkt 7: Ernst Schwanhold SPD 19200 D Erste Beratung des von den Abgeord- Jörg Tauss SPD 19201 C neten Hans Martin Bury, Lilo Blunck, weiteren Abgeordneten und der Frak- Ernst Hinsken CDU/CSU 19203 D tion der SPD eingebrachten Entwurfs Margarete Wolf (Frankfu rt) BÜNDNIS 90/ eines Gesetzes zur Reform des Versi- DIE GRÜNEN 19204 D cherungsvertragsgesetzes (Drucksache Karl-Heinz Scherhag CDU/CSU . . 19205 B 13/8163) 19179 D Ernst Hinsken CDU/CSU 19206 B Hans Martin Bury SPD 19180 A Norbert Röttgen CDU/CSU 19182 A Jürgen Türk F.D.P 19207 B Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Rolf Kutzmutz PDS 19208 B NEN 19183 C Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . . . 19184 C BMWi 19209 D Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 19185 D Margarete Wolf (Frankfu rt) BÜNDNIS 90/ , Parl. Staatssekretär BMJ . 19186 C DIE GRÜNEN 19210 C Lilo Blunck SPD 19187 D Ernst Hinsken CDU/CSU 19212 C VI Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Tagesordnungspunkt 11: Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Günter Graf Antrag der Abgeordneten Günter Ver- (Friesoythe), Hans-Peter Kemper, wei- heugen, und der terer Abgeordneter und der Fraktion Fraktion der SPD: Errichtung eines So- der SPD: Reform des Bundesgrenz- zialwerks für tschechische NS-Opfer schutzes (Drucksache 13/8977) . . . 19214 B (Drucksache 13/9395) 19228 D Hans-Peter Kemper SPD 19214 C ÜDr. BÜNDNIS 90/DIE GR Michael Teiser CDU/CSU 19218 A NEN 19228 D Manfred Such BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Günter Verheugen SPD 19230 B NEN 19220 B Dr. F D P. 19232 B Dr. Max Stadler F D P. 19221 C Dr. Antje Vollmer BÜNDNIS 90/DIE PDS 19222 C GRÜNEN 19233 A , Bundesminister BMI 19223 C, Ulla Jelpke PDS 19233 D 19227 A Uta Titze-Stecher SPD 19226 B Tagesordnungspunkt 15: Uwe Hiksch SPD 19227 B Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten, Ge rt Weisskirchen Tagesordnungspunkt 12: (Wiesloch), Lisa Peters und weiterer Abgeordneter: Visumfreiheit für die Antrag der Abgeordneten Elisabeth (Drucksache 13/ Altmann (Pommelsbrunn), Marieluise baltischen Staaten 9390) 19234 B Beck (), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/ GRÜNEN: Lebenslanges Lernen (I): CSU 19234 C Berufliche Weiterbildung in Deutsch- land ausbauen (Drucksache 13/8899) . 19228 A Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe-Jens Tagesordnungspunkt 13: Rössel, Dr. , weiterer Abge- Erste Beratung des von den Fraktionen ordneter und der Gruppe der PDS: No- der CDU/CSU und F.D.P. eingebrach- vellierung des Gesetzes über die Fest- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Stär- stellung der Zuordnung von ehemals kung der Finanzgrundlage der gesetzli- volkseigenem Vermögen- (Vermögens- chen Krankenversicherung in den neu- zuordnungsgesetz) (Drucksache 13/

en Ländern (GKV- Finanzstärkungsge- 9068) 19236 C setz) (Drucksache 13/9377) 19228 B Dr. Uwe-Jens Rössel PDS 19236 D Tagesordnungspunkt 14: Nächste Sitzung 19237 D a) Antrag der Abgeordneten Dr. Antje Vollmer, (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Anlage 1 NIS 90/DIE GRÜNEN: Individualent- Liste der entschuldigten Abgeordneten . 19238* A schädigung für tschechische Opfer des Nationalsozialismus (Drucksache 13/ 8871) 19228 B Anlage 2 Deutscher Anteil an Führungspositionen b) Antrag der Abgeordneten Volker Beck in der EU im Vergleich zu den anderen (Köln), Dr. Helmut Lippelt, weiterer Ab- Mitgliedstaaten geordneter und der Fraktion BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN: Errichtung ei- MdlAnfr 50, 51 ner Bundesstiftung „Entschädigung für CDU/CSU

NS - Zwangsarbeit" (Drucksache 13/ SchrAntw StMin Dr. We rner Hoyer AA . 19238* B 8956) 19228 B c) Antrag der Abgeordneten Andrea Fi- Anlage 3 scher (Berlin), Volker Beck (Köln) und Erklärung des Abgeordneten Ch ristian der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Müller (Zittau) (SPD) zur namentlichen NEN: Leistungen der gesetzlichen Abstimmung über den Antrag der Frak- Rentenversicherung für die osteuro- tionen der CDU/CSU und der F.D.P.: Zu- päischen Opfer von NS-Zwangsarbeit rückweisung des Einspruchs des Bundes- (Drucksache 13/9218) 19228 B rates gegen das Gesetz zur erblichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder (Ta- in Verbindung mit gesordnungspunkt 5 b) 19240* A

Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997 VII

Anlage 4 Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordne- Zu Protokoll gegebene Reden zu Tages- ten CDU/CSU zur Abstim- ordnungspunkt 13 (Entwurf eines Geset- mung über die Beschlußempfehlung des zes zur Stärkung der Finanzgrundlage der Ausschusses nach Artikel 77 des Grund- gesetzlichen Krankenversicherung in den gesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem neuen Ländern) Gesetz zur Finanzierung eines zusätzlichen Angelika Pfeiffer CDU/CSU 19250* B Bundeszuschusses zur gesetzlichen Ren- Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/ tenversicherung (Zusatztagesordnungs- CSU 19251* A punkt 14) 19240* A Dr. SPD 19251* D Klaus Kirschner SPD 19254* C Anlage 5 Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Erklärung nach § 31 GO des Abgeordne- NEN 19255* D ten Wolfgang Zöller CDU/CSU zur Ab- Dr. Dieter Thomae F.D.P 19256* D stimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses nach A rtikel 77 des Dr. Ruth Fuchs PDS 19257* D Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu Dr. Erwin Vetter, Minister (Baden-Würt dem Gesetz zur Finanzierung eines zu- temberg) 19258* C sätzlichen Bundeszuschusses zur gesetzli- Horst Seehofer, Bundesminister BMG . 19259* C chen Rentenversicherung (Zusatztages- ordnungspunkt 14) 19240* C Anlage 10 Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tages- ordnungspunkt 14 (a - Antrag: Individual- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordne- entschädigung für tschechische Opfer des ten Dieter Maaß (Herne) und Wolfgang Nationalsozialismus, b - Antrag: Errich- Weiermann (beide SPD) zur Abstimmung tung einer Bundesstiftung „Entschädi- über die Beschlußempfehlung des Aus- gung für NS-Zwangsarbeit", c - Leistun- schusses nach Artikel 77 des Grundge- gen der gesetzlichen Rentenversicherung setzes (Vermittlungsausschuß) zu dem für die osteuropäischen Opfer von NS Gesetz zur Finanzierung eines zusätz- Zwangsarbeit) sowie zu Zusatztagesord- lichen Bundeszuschusses zur gesetzlichen nungspunkt 8 (Antrag: Errichtung eines Rentenversicherung (Zusatztagesordnungs- Sozialwerks für tschechische NS-Opfer) punkt 14) 19240* C - Wolfgang Zeitlmann CDU/CSU 19260* C Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO zur Abstimmung Anlage 11 über den Antrag: Reform des Bundes- Zu Protokoll gegebene Reden zu Tages- grenzschutzes (Tagesordnungspunkt 11) ordnungspunkt 15 (Antrag: Visumfreiheit CDU/CSU 19240* D für die baltischen Staaten) Dr. Dionys Jobst CDU/CSU 19241* A Reinhold Hiller SPD 19261* D Rudolf Meyer (Winsen) CDU/CSU . . 19241* C SPD 19262* C 19263* A Otto Regenspurger CDU/CSU 19241* D Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ulrich Irmer F.D.P 19263* C Jürgen Sikora CDU/CSU 19242* A Ulla Jelpke PDS 19264* B Engelbert Nelle CDU/CSU 19242* A , Parl. Staatssekretär BMI 19264* C

Anlage 8 Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tages- ordnungspunkt 12 (Antrag: Lebenslanges Zu Protokoll gegebene Reden zu Tages- Lernen (I): Berufliche Weiterbildung in ordnungspunkt 16 (Antrag: Novellierung Deutschland ausbauen) des Gesetzes über die Feststellung der Zu- ordnung von ehemals volkseigenem Ver- Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) BÜND mögen) NIS 90/DIE GRÜNEN 19242* C Dr. Michael Luther CDU/CSU 14265* C Werner Lensing CDU/CSU 19243* B Wolfgang Ilte SPD 19267* B Franz Thönnes SPD 19244* D Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Dr. F.D.P. . . . 19246* D NEN 19268* D Maritta Böttcher PDS 19247* C Hildebrecht Braun () F.D.P. . 19269* B Elke Wülfing, Parl. Staatssekretärin BMBF 19248* D Rainer Funke, Parl. Staatssekretär BMJ 19269* D

Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

210. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Beginn: 10.36 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Meine Damen und 10. Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Christina Schenk, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der Herren, die Sitzung ist eröffnet. PDS: Anerkennung geschlechtsspezifischer Flucht- ursachen als Grund zur Gewährung von Asyl bzw. Ab- Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbun- schiebeschutz - Drucksache 13/9384 - dene Tagesordnung um die Ihnen mit der Zusatz- 11.Beratung der ersten Beschlußempfehlung und des er- punktliste vorliegenden Punkte zu erweitern: sten Berichts des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union (22. Ausschuß) zu der Unter- 1. Vereinbarte Debatte über den Bericht des Bundesmini- richtung durch die Bundesregierung: Vorlage der Kom- sters der Verteidigung zum Vortrag des Rechtsextremi- mission über die Erweiterung der Europäischen Union sten Manfred Roeder an der Führungsakademie der Bundeswehr im Jahre 1995 (In der 209. Sitzung am hier: Agenda 2000 10. Dezember 1997 erledigt.) 1. Eine stärkere und erweiterte Union (VOL. I) 2. Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregierung 2. Die Erweiterung der Union - eine Herausforderung zum Vertrag von Amsterdam und zum bevorstehenden Europäischen Rat in Luxemburg am 12./13. Dezember (VOL. II) 3. Zusammenfassungen und Schlußfolgerungen der 1997 Stellungnahmen der Kommission zu den Beitritts- 3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Kristin Heyne, anträgen zur Europäischen Union folgender Länder: Ulrike Höfken, Halo Saibold, weiterer Abgeordneter Bulgarien, Estland, Ungarn, Lettland, Litauen, Polen, und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verbrau- Tschechische Republik, Rumänien, Slowenien, Slo- cherschutz bei Einführung des Euro wahren - frühe Eu- wakei - Drucksachen 13/8391, 13/9418 - ronutzung ermöglichen - Drucksache 13/9373 - 4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Helmut Von der Frist für den Beginn der Beratung so ll, so- Lippelt, Christian Sterzing, Dr. Angelika Köster-Loßack weit erforderlich, abgewichen werden. und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Europäische Union demokratisch erweitern - eine hi- Vereinbart worden ist auch, heute nach den Zu- storische Aufgabe - Drucksache 13/9374 - rückweisungen der Einsprüche des Bundesrates je- 5. Beratung des Antrags der Abgeordneten Steffen Tip- weils eine 30 minütige Debatte zu den Themenberei- pach, Heinrich Graf von Einsiedel, Andrea Gysi, weite- rer Abgeordneter und der Gruppe der PDS: Neuver- chen „Post" und „stabile Rentenbeiträge" durchzu- handlung des Amsterdamer Vertrags - Drucksache 13/ führen. Danach soll über die Ergebnisse des Vermitt- 9379 - lungsausschusses abgestimmt werden. 6. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren (Ergänzung zu TOP 20) Des weiteren soll die Verkehrsdebatte auf Frei- a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ tag verschoben werden, und die für Freitag vorgese- CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Geset- henen abschließenden Beratungen zur elektroni- zes zur Änderung des Gesetzes zur vorläufigen Re- schen Wohnraumüberwachung und zur Geldwäsche- gelung des Rechts der Industrie- und Handelskam- bekämpfung, Tagesordnungspunkt 17 a bis 17 c, sol- Drucksache 13/9378 - mern (IHKGÄndG) - len abgesetzt werden. Das Gesetz zu dem Überein- b) Erste Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. einge- kommen über Geldwäsche, Tagesordnungspunkt brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des 17 d, soll jedoch am Freitag ohne Aussprache beraten Grundgesetzes (Artikel 39 GG) - Drucksache 13/ werden. Weiterhin sollen die zur Überweisung und 9393 - ohne Aussprache vorgesehenen Tagesordnungs- Aktuelle7.auf Verlangen Stunde der Gruppe der PDS: punkte 20 a bis 20 d und 20 o abgesetzt werden. Haltung der Bundesregierung zu Reaktionen in der Öf- fentlichkeit zum Eintreffen der Bescheide zum Kran- Sodann weise ich darauf hin, daß am Freitag das kenhausnotopfer Plenum bereits um 8 Uhr mit einer Aktuellen Stunde 8. Beratung des Antrags der Abgeordneten Günter Ver- auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen heugen, Rudolf Scharping und der Fraktion der SPD: Er- richtung eines Sozialwerks für tschechische NS-Opfer - beginnt. Drucksache 13/9395 - Außerdem mache ich auf nachträgliche Überwei- 9. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Lage der Beschäftigungs- sungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerk- initiative für Ostdeutschland sam: Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997 Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Der in der 154. Sitzung des Deutschen Bundestages am der Fall. Ich beginne aber schon einmal mit dem Ab- 30. Januar 1997 überwiesene nachfolgende Antrag soll geordneten Conradi - nachträglich zusätzlich dem Ausschuß für Wi rtschaft, dem er ist hier -, der gestern seinen Verteidigungsausschuß und dem Ausschuß für Gesundheit 65. Geburtstag beging, zur Mitberatung überwiesen werden: (Beifall) Antrag der Abgeordneten Albe rt Schmidt (Hitzhofen), Gila Altmann (Aurich), Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und gratuliere ihm im Namen des Hauses ganz herz- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Novellie- lich für die vielen Jahre konstruktiver Mitarbeit. rung des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm - Druck- sache 13/6346 - Danke schön! überwiesen: (Beifall) Ausschuß für Verkehr (federführend) Herr Dr. Dregger, Sie kommen gerade im rechten Ausschuß für Wirtschaft Augenblick; denn ich möchte Ihnen im Namen des Verteidigungsausschuß Ausschuß für Gesundheit Hauses zum gestern begangenen 77. Geburtstag Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ganz herzlich gratulieren Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus (Beifall) und Ihnen - Sie sind unser ältestes Mitglied - für all Der in der 172. Sitzung des Deutschen Bundestages am 24. April 1997 überwiesene nachfolgende Antrag soll nach- das danken, was Sie in diesen Jahren beigetragen träglich zusätzlich dem Verteidigungsausschuß und dem haben. Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zur Mitberatung überwiesen werden: Mein letzter Geburtstagsglückwunsch gilt dem Antrag der Abgeordneten Monika Ganseforth, Elke Ferner, Kollegen Dieter Schanz, der am 9. Dezember seinen Wolfgang Behrendt, weiterer Abgeordneter und der Frak- 60. Geburtstag feierte. Auch ihm herzliche Glück- tion der SPD: Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm - wünsche! Drucksache 13/7498 - (Beifall) überwiesen: Ausschuß für Verkehr (federführend) Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 4 a bis 4 d Ausschuß für Wirtschaft sowie die Zusatzpunkte 2 bis 5 und 11 auf: Verteidigungsausschuß Ausschuß für Gesundheit ZP 2 Abgabe einer Erklärung durch die Bundesre- Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit gierung Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus zum Vertrag von Amsterdam und zum bevor- stehenden Europäischen Rat in Luxemburg Der in der 203. Sitzung des Deutschen Bundestages am am 12./13. Dezember 1997 13. November 1997 überwiesene nachfolgende Entschlie- ßungsantrag soll nachträglich zusätzlich dem Ausschuß für 4. Europapolitische Debatte Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Tech- nikfolgenabschätzung zur Mitberatung überwiesen wer- a) Erste Beratung des von der Bundesregie- den: rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und zes zum Vertrag von Amsterdam vom F.D.P. zu der Abgabe einer Erklärung durch die Bundesre- gierung und Vorschau auf die Sondertagung des Europäi- 2. Oktober 1997 schen Rates über Beschäftigung in Luxemburg am 20./ - Drucksache 13/9339 - 21. November 1997 - Drucksache 13/9050 - Überweisungsvorschlag: überwiesen: Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Union (federführend) (federführend) Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts- Finanzausschuß ordnung Ausschuß für Wirtschaft Auswärtiger Ausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Innenausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Rechtsausschuß Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Finanzausschuß Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technolo- Ausschuß für Wirtschaft gie und Technikfolgenabschätzung Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? - Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuß Das ist der Fall. Dann verfahren wir so. Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- heit Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, weise ich darauf hin, daß wir im Anschluß an die europapoliti- b) Erste Beratung des von der Bundesregie- sche Debatte über zwei Anträge der Koalitionsfrak- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- tionen zur Zurückweisung von Einsprüchen des Bun- zes zur Einführung des Euro (Euro-Einfüh- desrates namentlich abstimmen werden. Da zur Zu- rungsgesetz - EuroEG) rückweisung der Einsprüche die absolute Mehrheit erforderlich ist, benötigen Sie außer Ihren Stimmkar- - Drucksache 13/9347 - ten auch zwei Stimmausweise in den Farben weiß Überweisungsvorschlag: und rosa. Die Stimmausweise können Sie etwa eine Rechtsausschuß (federführend) halbe Stunde vor der Abstimmung Ihren Stimmkar- Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft tenfächern entnehmen. Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Ich hatte gedacht, es befänden sich jetzt alle un- Union sere Geburtstagsabgeordneten im Saal. Dies ist nicht Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth c) Beratung des Antrags der Gruppe der PDS Überweisungsvorschlag: Demokratisierung der EU durch ihre Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union (federführend) Osterweiterung Auswärtiger Ausschuß - Drucksache 13/9375 Innenausschuß Rechtsausschuß —Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß Auswärtiger Ausschuß (federführend) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Union Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

d) Beratung der Beschlußempfehlung und des ZP 11 Beratung der ersten Beschlußempfehlung und Berichts des Ausschusses für die Angele- des ersten Berichts des Ausschusses für die genheiten der Europäischen Union (22. Aus- Angelegenheiten der Europäischen Union schuß) zu dem Antrag der Abgeordneten (22. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Andrea Gysi, Manfred Müller (Berlin), Bundesregierung Hanns-Peter Ha rtmann, weiterer Abgeord- Vorlage der Kommission über die Erweite- neter und der Gruppe der PDS Durchfüh- rung der Europäischen Union rung einer Volksabstimmung über die Teil- nahme der Bundesrepublik Deutschland an hier: Agenda 2000 der vom Maastrichter Vertrag beschlosse- 1. Eine stärkere und erweiterte Union (VOL. I) nen Europäischen Währungsunion und die Ratifizierung der Ergebnisse der Regie- 2. Die Erweiterung der Union - eine Heraus- rungskonferenz zur Überprüfung und Re- forderung (VOL. II) vision des Vertrages über die Europäische Zusammenfassungen und Schlußfolgerun- Union 3. gen der Stellungnahmen der Kommission - Drucksachen 13/7307, 13/9332 - zu den Beitrittsanträgen zur Europäischen Berichterstattung: Union folgender Länder: Bulgarien, Est- land, Ungarn, Lettland, Litauen, Polen, Abgeordnete Michael Stübgen Tschechische Republik, Rumänien, Slowe- Heidemarie Wieczorek-Zeul nien, Slowakei Christian Sterzing Dr. Helmut Haussmann - Drucksachen 13/8391, 13/9418 - Berichterstattung: ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kri- Abgeordnete Michael Stübgen ke Höfken, Halo Saibold, wei- stin Heyne, Ulri Heidemarie Wieczorek-Zeul terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Dr. Helmut Lippelt NIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Helmut Haussmann Verbraucherschutz bei Einführung des Euro wahren - frühe Euronutzung ermöglichen Zur Regierungserklärung liegt ein Entschließungs- antrag der Fraktion der SPD vor. - Drucksache 13/9373 —Überweisungsvorschlag: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind Rechtsausschuß (federführend) für die Aussprache im Anschluß an die Regierungser- Finanzausschuß klärung zwei Stunden vorgesehen. Sind Sie damit Ausschuß für Wirtschaft einverstanden? - Dann verfahren wir so. Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten hat der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Klaus Dr. Helmut Lippelt, Ch ristian Sterzing, Kinkel. Dr. Angelika Köster-Loßack und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister des Auswärtigen: Die Europäische Union demokratisch erwei- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! tern - eine historische Aufgabe Europa formiert sich. Die kommenden Monate und Jahre werden für die Europäische Union zur größten - Drucksache 13/9374 — Bewährungsprobe in ihrer Geschichte. Dabei zählt Überweisungsvorschlag: Europa auf Deutschland. Deshalb ist es so wichtig, Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union daß unsere Partner und Freunde in der EU wissen: (federführend) Deutschland hält klar Europakurs. Auswärtiger Ausschuß (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Stef- sowie des Abg. [SPD]) fen Tippach, Heinrich Graf von Einsiedel, An- drea Gysi, weiterer Abgeordneter und der Als mit weitem Abstand bevölkerungsreichstes Land Gruppe der PDS und stärkste Volkswirtschaft in der Europäischen Union haben wir nun einmal Leitfunktion. Wir müs- Neuverhandlung des Amsterdamer Vertrags sen zusammen mit Frankreich weiterhin Integra- - Drucksache 13/9379 - tionsmotor sein. Das ist die Quintessenz deutscher Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel Europapolitik im Jahr 8 nach einer nicht ganz un- Der Euro wird das Bewußtsein der Menschen direk- wichtigen Zeitenwende. ter prägen als alle anderen Integrationsschritte da- vor. Morgen tritt der Europäische Rat in Luxemburg zu- sammen, um das Szenario für die Erweiterung der (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Union zu beschließen. In der nächsten Woche unter- sowie des Abg. Markus Merkel [SPD]) zeichnen wir die NATO-Beitrittsprotokolle für Polen, Auf Maastricht geht die im Juni in Amsterdam ab- die Tschechische Republik und Ungarn. Aber auch geschlossene Regierungskonferenz zurück. Der Am- danach - das ist ganz wichtig - bleibt die Tür offen. sterdamer Vertrag vertieft die bestehende Union, er öffnet ihr völlig neue Handlungsfelder und macht vor (Beifall des Abg. Ulrich Irmer [F.D.P.]) allem den Weg für die Osterweiterung frei. Auf dem Europäischen Rat in Luxemburg muß jetzt der Sta rt Dann folgt das OSZE-Treffen in Kopenhagen, bei -schuß für konkrete Maßnahmen in bezug auf den Er- dem über die europäische Sicherheitscharta beraten weiterungsprozeß fallen. wird. Man kann sagen, daß die Fundamente gelegt sind. Hinter uns liegen das Verbot der AntiPersonen- Jetzt müssen wir das größere europäische Haus er- Minen in Ottawa, der Klimagipfel in Kioto, der sicher- richten, aber auch gleichzeitig seinen Innenausbau lich heute nacht nicht ganz das gebracht hat, was wir vorantreiben. uns gewünscht haben, aber immerhin einen gewis- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) sen Durchbruch erzielt hat. Hinter uns liegt auch die PIC-Konferenz zu Bosnien in den letzten beiden Ta- Innenausbau muß heißen: Konzentration auf das We- gen hier in Bonn. Jedes dieser Vorhaben haben wir sentliche. Wir Deutsche müssen mithelfen, den Ent- ganz entscheidend mit vorangetrieben. scheidungen, die vor uns liegen, die richtige Rich- tung zu geben. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Die zurückliegende Regierungskonferenz ist ein sowie des Abg. Markus Meckel [SPD]) gutes Beispiel für die Übereinstimmung in Grundfra- gen der Europapolitik von Bundesregierung, Bun- Seit 1989 haben wir einen weiten Weg zurückge- destag und Bundesrat. Unsere vor und während der legt: vom geteilten Land an der Schnittstelle des kal- Konferenz praktizierte Zusammenarbeit war gut. Ich ten Krieges zum geeinten Land im Herzen des unge- wünsche mir die gleiche gute Zusammenarbeit auch teilten Europa. Unser Wo rt hat Gewicht in Europa bei der Bewältigung der Agenda 2000, für die jetzt und in der Welt. Daraus erwächst eine nicht unerheb- erste Entscheidungen anstehen. Die gemeinsame Be- liche Verantwortung. schlußempfehlung von CDU/CSU, F.D.P. und SPD zur Agenda 2000 weist den Weg in die richtige Rich- Jetzt geht es darum, die Spuren von Jalta endgül- tung. tig zu überwinden. Gemeinsam mit all unseren Nachbarn und Partnern müssen wir den Blick auf die Nun zum Amsterdamer Vertrag. Der Deutsche Chancen und die Herausforderungen vor uns rich- Bundestag befaßt sich heute zum erstenmal formell ten. Dabei bemerkt man eben, daß dieses Europa an mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zum der Schwelle zum 21. Jahrhundert vor strategischen Vertrag von Amsterdam. Wir haben den Bundestag Entscheidungen steht, die seine Zukunft ganz maß- und die Ausschüsse laufend über die Verhandlungen geblich mitprägen werden. Hinter uns liegt die Epo- unterrichtet. Die Entschließungen des Deutschen che des kalten Krieges und der Konfrontation; vor Bundestages waren für uns eine wichtige Orientie- uns öffnet sich eine neue Ära mit neuen Möglichkei- rung. Ich danke Ihnen für die intensive Begleitung ten, aber eben auch mit neuen politischen, sozialen, und auch für Ihre Bereitschaft, zur schnellen Ratifi- wirtschaftlichen und auch ökologischen Aufgaben. zierung des Vertrages beizutragen. Mit der ersten Le- Für viele dieser Aufgaben ist der Nationalstaat zu sung wird heute der erste wichtige Schritt getan. klein. Nur wer bereit ist, Souveränität zu teilen, ge- Die Bundesregierung hatte sich - mit Ihrer Unter- winnt Handlungsfähigkeit. stützung - konkrete Ziele für die Regierungskonfe- renz gesetzt: erstens Fortentwicklung der gemeinsa- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU men Außen- und Sicherheitspolitik inklusive der Fä- sowie des Abg. Markus Meckel [SPD]) higkeit zum Krisenmanagement, zweitens bessere Zusammenarbeit in der Innen- und Justizpolitik, drit- Das bedeutet für uns: Wir brauchen ein modernes, tens Reform der Institutionen und mehr Flexibilität, leistungsstarkes Europa der Bürger. viertens Verstärkung des Subsidiaritätsprinzips und mehr Bürgernähe. Wir haben diese Ziele im wesent- In Maastricht hat die Europäische Union die lichen erreicht, wenn auch nicht in allen Punkten - Brücke von der Zeit der Teilung Europas hinüber in das wissen wir. Es war falsch, mit zu großer Eupho rie das 21. Jahrhundert geschlagen. Jetzt schließt sich in die Verhandlungen zum Amsterdamer Vertrag zu sozusagen der Kreis. In Maast richt wurde der Euro gehen. beschlossen, eine strategische Weichenstellung, da- mit sich Europa im Zeitalter der Globalisierung be- Zusammen mit Frankreich war Deutschland die haupten kann. treibende Kraft in den Verhandlungen. Unsere ge- meinsamen Initiativen, etwa zur Flexibilität, haben (Zuruf von der F.D.P.: Sehr richtig!) ganz wichtige Impulse gegeben. Zwischen Bonn und Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel Paris gibt es im übrigen keine Meinungsverschieden- land - mit weitem Abstand das bevölkerungsreichste heiten darüber, daß in bestimmten Fragen in bezug und wirtschaftsstärkste Land - seine innere Stabilität auf die Institutionen nachgebessert werden soll und behalten muß. muß. Das haben wir im übrigen in Amsterdam ver- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) traglich festgelegt. Dieser Punkt wird immer in den Diskussionen übersehen. Daß wir eine Asylproblematik mit all ihren Auswir- kungen haben, muß auch für unsere Nachbarn und Der Inhalt des Vertrages von Amsterdam und seine Freunde verstehbar gemacht werden, die im übrigen Bewertung durch die Bundesregierung sind in der ein ganz besonderes Interesse daran haben müssen, Ihnen vorliegenden Denkschrift eingehend darge- daß die innere Stabilität Deutschlands erhalten stellt. bleibt. Ich möchte ein paar Punkte besonders hervorhe- Meine Damen und Herren, wir sind auch im So- ben: Die Kontrolle durch das Europäische Parlament zialbereich vorangekommen. Das Sozialabkommen ist deutlich verbessert worden. Sein Recht zur Mit- wurde in den Vertrag aufgenommen. Damit gelten entscheidung ist um 23 Anwendungsfälle erweitert im gesamten Binnenmarkt die gleichen Mindeststan- worden. Wir haben der Mitwirkung des Parlaments dards. Mit an Bord sind nun auch unsere britischen Bereiche geöffnet, die ihm bisher total verschlossen Freunde. Das war zugleich eine Richtungsentschei- waren. Ich nenne als ein Beispiel Schengen. Dane- dung. Die britische Europapolitik ist seither erkenn- ben soll die Stärkung des Kommissionspräsidenten bar konstruktiver geworden. zu einer Steigerung der Effizienz führen. In den Be- reichen, die von besonderer Bedeutung sind - etwa (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Gut!) in der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik -, wurden die Möglichkeiten zur Mehrheitsentschei- Die Europäische Union kämpft auch gegen die Ar- dung deutlich erweitert. In diesem Punkt wäre beitslosigkeit, maßt sich dabei aber keine Kompeten- Deutschland durchaus bereit gewesen, noch weiter- zen an, die aus gutem Grund und nach dem Willen zugehen. aller 15 Mitgliedstaaten besser bei den nationalen Regierungen bleiben sollen. Robert Schuman sagte einmal: Europa entsteht in vielen kleinen Schritten. Das trifft auf viele in Am- (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Ger lingen] [F.D.P.]) sterdam erzielte Verbesserungen zu. In einem Be- reich ist uns, so glaube ich, ein großer Schritt gelun- Der Beschäftigungsgipfel in Luxemburg hat deshalb gen. Das ist der Bereich der Justiz- und Innenpolitik, am 21./22. November dieses Jahres einstimmig be- in dem die Bereitschaft zur Abgabe nationaler Zu- schlossen, den einschlägigen Bestimmungen des Be- ständigkeiten nicht so stark ausgeprägt ist. schäftigungskapitels im Vertrag von Amsterdam so- fort Wirksamkeit zu verleihen. Das ist, wie ich meine, Die internationale Mafia kennt weder Staatsgren- - ein wichtiges Signal für Europas Bürger. zen noch eine Visumspflicht. Deshalb machen sich die Justiz- und Innenbehörden nun bereit, sozusagen Das Treffen in Luxemburg hat, wie von der Bun- in der Europaliga mitzuspielen. Das ist ganz wichtig. desregierung gefordert und mit Zustimmung aller Fragen der Einwanderung, des Asyls oder der Siche- Mitgliedstaaten beschlossen, kostspieligen Beschäfti- rung der Außengrenzen können künftig gemeinsam gungsprogrammen eine klare Absage erteilt. Es gibt angepackt werden, und zwar unter Verwendung - deshalb keinen Gegensatz zwischen dem Stabilitäts- das ist auch ganz wichtig - gemeinschaftlicher Ver- pakt und der Beschäftigungspolitik. fahren. Wir haben den Übergang zur klassischen In- tegrationsmethode geschafft, und zwar mit konkre- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Ganz wich ten Zielen sowie einem verbindlichen Charakter und tig ist das!) Kalender. Meine Damen und Herren, der bevorstehende Europäische Rat in Luxemburg wird über das weitere Deutschland hat bei Entscheidungen im Asyl- Vorgehen bei der entscheiden. Erst- bereich - das ist richtig - für eine Anlaufzeit von fünf EU-Erweiterung Jahren auf Einstimmigkeit bestanden. Aber jeder hat mals nimmt die EU - das ist wahrscheinlich mit das verstanden bzw. muß verstehen, daß die Asylproble- Schwierigste, aber auch das Entscheidendste - Mit- matik für uns eine ganz besonders sensible Mate rie glieder auf, die über Jahrzehnte in einer anderen ist. Wir hatten im Jahre 1996 117 000 Asylbewerber. Wertewelt gelebt und Diktatur und Kommandowirt- - Das waren sehr viel mehr Asylbewerber als in den schaft - ich sage es einmal so, wie es war - erduldet Vereinigten Staaten und mehr als doppelt so viele haben. Damit steht die Union vor der sehr schwieri- wie in allen anderen europäischen Ländern zusam- gen doppelten Aufgabe: zu vertiefen, aber eben men. auch, wie wir es versprochen haben, gleichzeitig zu erweitern. (Dr. [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Wir dürfen die Union nicht überfordern. Deshalb Aber wir haben zugestimmt. In fünf Jahren werden kann alles nur Schritt für Schritt erfolgen. Wir dürfen wir Bilanz ziehen und prüfen, in welchen Bereichen aber auch keine neuen Gräben aufreißen. Das Signal wir von der Einstimmigkeit zur Mehrheitsabstim- von Luxemburg muß also sein: Alle elf Kandidaten mung übergehen können. Es muß für unsere Pa rtner aus Mittel- und Südosteuropa sowie Zypern haben und Freunde gerade in Europa nachvollziehbar sein, eine klare Beitrittsperspektive. Zugleich müssen alle daß nach Wegfall der Ost-West-Auseinandersetzung Beteiligten wissen, daß nur eine Union mit leistungs- das in das Herz Europas zurückgekehrte Deutsch fähigen Organen und Entscheidungsverfahren die Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel großen Herausforderungen vor uns gemeinsam mei- Wir wissen, daß es nicht nur im Interesse der Tür- stern kann. Deshalb umfaßt für die Bundesregierung kei, sondern auch in unserem Interesse liegt, diesem ein glaubwürdiges Beitrittsszenario die fünf folgen- Land seinen Platz in Europa zu sichern. den Elemente: (Monika Heubaum [SPD]: Na dann mal zu!) Erstens. Es muß klar sein, daß es sich um einen Er- Mit der gleichberechtigten Teilnahme der Türkei an weiterungsprozeß handelt, an dessen Ende für alle der vorgeschlagenen Europakonferenz wollen wir Teilnehmer der Beitritt steht, wenn sie die - für jeden ein Signal setzen: Die Türkei gehört zur europäi- gleichen - Kriterien erfüllen. schen Familie. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Aber: Zugleich schulden wir unseren türkischen sowie bei Abgeordneten der SPD) Freunden ein offenes Wort . Wir dürfen weder das Freizügigkeitsproblem verschweigen noch die gro- Damit ist klar festgelegt: Es wird keiner abgehängt. ßen Probleme, wie die Menschenrechtslage oder die Zweitens. Die Aufnahme von Beitrittsverhandlun- Kurdenfrage, zu deren Überwindung vor allem die gen im juristischen Sinne erfolgt zunächst nur mit Türkei selber aufgerufen ist, damit sie die hierfür not- den am weitesten fortgeschrittenen Ländern, gemäß wendigen Voraussetzungen schafft. Wir erklären der den Empfehlungen der Kommission. Türkei gegenüber, daß wir - wie bisher - bereit sind, ihr dabei auch weiterhin zu helfen. (Beifall des Abg. Dr. [F.D.P.] sowie bei Abgeordneten der CDU/ Meine Damen und Herren, die zentrale Aufgabe CSU und der SPD) des Europäischen Rats in Luxemburg ist die Ent- scheidung über den Beitrittsprozeß. Für die Reform Drittens. Die Verhandlungsreife der übrigen Kan- der Gemeinschaftspolitiken und des Finanzrahmens didaten wird regelmäßig überprüft. Beitrittsverhand- 2000 bis 2006 sind abschließende Festlegungen noch lungen werden aufgenommen, sobald ein Land die nicht möglich. Wir würden damit - das hat sich ge- für alle gleichen Maßstäbe und Kriterien erfüllt, wo- rade bei den letzten Sitzungen deutlich und klar ge- bei es sicher ist, daß die Latte nicht im nachhinein an- zeigt - den Gipfel in Luxemburg überfrachten. gehoben oder abgesenkt wird. Die Kommission wird ihre detaillie rten Vorschläge Viertens. Es gilt also der Grundsatz individueller und Berichte zur Agrarpolitik und zur Strukturre- bilateraler Verhandlungen, die zu unterschiedlichen form erst im Laufe des nächsten Jahres vorlegen. Terminen beginnen und abschließen können. (Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Da muß man noch einmal genau hinschauen!) Fünftens. Es muß für alle, die später beginnen, klar sein, daß es eine Überholspur gibt, und auf dieser Dann sind noch außerordentlich- intensive Beratun- Überholspur muß freie Durchfahrt möglich sein. gen erforderlich, um im Jahr 1999 entscheiden zu können. Dabei müssen die Grundsätze von Solidari- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne tät und fairer Lastenverteilung berücksichtigt wer- ten der CDU/CSU und des Abg. Markus den. Darauf werden wir dringen. Meckel [SPD]) (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Da gibt es Alle mittel- und südosteuropäischen Kandidaten nämlich noch Ungereimtheiten! - Heidema müssen noch die Beitrittsreife herstellen. Dabei sol- rie Wieczorek-Zeul [SPD]: Stichwort: Ehr len bilaterale Beitrittspartnerschaften mit der EU hel- lichkeit!) fen, wie sie die Europäische Kommission mit allge- meiner Zustimmung vorgeschlagen hat. Der Finanzrahmen wird also feststehen, wenn die ersten Neumitglieder beitreten. So halten wir die Ko- Wir glauben unverände rt, daß darüber hinaus ein stenentwicklung unter Kontrolle. Es darf sich aber multilaterales Forum hilfreich sein kann, in dem die niemand der Illusion hingeben, die Erweiterung sei 15 Mitgliedstaaten und alle elf Beitrittsländer regel- zum Nulltarif möglich. Die kommenden Jahre wer- mäßig über Querschnittsthemen im Zusammenhang den zur großen Bewährungsprobe für die europäi- mit dem Erweiterungsprozeß beraten. Ein solches Fo- sche Solidarität. rum, das nicht unbedingt institutionalisierten Cha- rakter haben muß, wäre ein weiteres klares Zeichen, Wer immer über die Osterweiterung der EU - und daß alle elf Beitrittsländer Teil des Erweiterungspro- auch der NATO - spricht, muß wissen: Es gibt hierzu zesses sind. keine Alternative. Das muß besonders für uns Deut- sche klar sein und unser Credo und unser Signal (Beifall des Abg. Markus Meckel [SPD]) bleiben. Ein Wort zur Türkei, unserem traditionellen Pa rt (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne -ner und Freund. Der Bundeskanzler hat Ministerprä- ten der CDU/CSU und der SPD) sident Yilmaz zugesagt, daß wir das Ziel der späteren Entweder wir exportieren Stabilität nach Osteuropa, Mitgliedschaft der Türkei unterstützen. Deshalb wir- oder wir werden eines Tages von do rt Instabilität im- ken wir daran mit, die für die Europäische Union und portieren. die Türkei so wichtigen Beziehungen intensiv weiter- zuentwickeln und in Form einer Annäherungsstrate- (Beifall der Abg. Heidemarie Wieczorek gie mit Substanz zu füllen. Zeul [SPD]) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel Das ist übrigens auch unter Kostengesichtspunk- Der Bundestag hat am 2. Dezember 1992 mit 543 ten alternativlos. Der militärische Einsatz in Bosnien zu 17 Stimmen ja zum Vertrag von Maastricht ge- hat die Entsendestaaten 12 Milliarden DM gekostet, sagt, am 18. Dezember 1992 stimmte der Bundesrat die gesamte Krise im ehemaligen Jugoslawien allein ohne Gegenstimme zu: ein beeindruckender Ver- uns Deutsche bislang 17 Milliarden DM. Es macht trauensbeweis für das moderne Europa. Die Bundes- keinen Sinn, immer erst dann zu handeln, wenn das regierung und ich wünschen sehr, daß der Amsterda- Kind bereits in den Brunnen gefallen ist, mer Vertrag im nächsten Jahr die gleiche Unterstüt- zung findet. (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der SPD) (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Leider ohne die Grünen!) ganz abgesehen davon, daß die langfristigen, ich sage ausdrücklich: auch wi rtschaftlichen Gewinne Unsere Bürger und die Partner in der Europäischen der Erweiterung die kurzfristigen Kosten bei weitem Union müssen wissen: Deutschland steht zur euro- übersteigen werden. Die Erweiterung ist eine Zu- päischen Einigung. kunftsinvestition, die sich für Europa, aber insbeson- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) dere für Deutschland auszahlen wird. Nur in diesem Geist können wir die großen Aufga- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und ben, die vor uns liegen, meistern: F riede, Sicherheit der CDU/CSU) und Wohlstand in Europa dauerhaft zu verankern - Der Historiker Fritz Stern, der während des Dritten zum Wohl unseres Landes, zum Wohl der Europäi- Reiches emigrieren mußte, hat 1996 in einem Essay schen Union und im Interesse und im Dienst des Frie- auf Deutschlands zweite Chance hingewiesen. Die dens in der Welt. erste Chance wurde zu Beginn unseres Jahrhunderts Vielen Dank. verspielt. Jetzt bietet sich für das wiedervereinigte Deutschland die zweite Chance. Auch wenn die Voll- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) endung der Einheit und der Umbau unserer sozialen Sicherungssysteme derzeit viel Kraft kosten: Wir dür- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Ich eröffne die fen uns nicht zu sehr mit uns selbst, zum Teil sogar Aussprache. mit Scheinthemen, beschäftigen. Wir müssen Europa und der Welt zugewandt bleiben. Erste Rednerin ist die Kollegin Heidemarie Wieczo- rek-Zeul. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU und der SPD) Heidemarie Wieczorek - Zeul (SPD): Frau Präsiden- Wir haben in der Stunde der deutschen Einheit un- tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist heute seren Partnern und Freunden in der Welt aus histori- keine x-beliebige europapolitische- Debatte, sondern scher Verpflichtung, aber auch aus ureigenstem In- es geht um Entscheidungen, die die Europäische teresse ein europäisches Deutschland versprochen. Union und damit auch die gesamte deutsche Politik Unsere vitalen Interessen - äußerer Frieden, innere im 21. Jahrhundert mit prägen werden. Gemeinsam Sicherheit und Wohlstandwahrung - werden durch ist allen Parteien im Deutschen Bundestag die Über- keine andere Politik besser gewahrt als durch die zeugung, daß Europapolitik Friedenspolitik ist. europäische Integration. Europäische Zusammenarbeit ist die Frucht und die Lehre aus den Erfahrungen mit Krieg und Faschis- 1997 ist ein Jahr ganz wichtiger Weichenstellun- mus. An dieser Überzeugung halten wir alle fest. gen auf dem Weg zu einer neuen Sicherheitsarchi- tektur in Europa, für die die Europäische Union und (Beifall im ganzen Hause) das Atlantische Bündnis die tragenden Fundamente bilden. Die historische Öffnung der NATO und die Wir verteidigen sie gegen neuen Nationalismus und Anpassung ihrer internen Strukturen an die verän- bürokratische Erstarrung. Oder, wie es die Geschwi- derte Weltlage sind die notwendigen Ergänzungen ster Scholl 1942 gesagt haben - ich zitiere -: zu einer immer enger werdenden Europäischen Der imperialistische Machtgedanke muß, von Union. welcher Seite er auch immer kommen möge, für alle Zeiten unschädlich gemacht werden. Nur in Die neue Partnerschaft und die gute Zusammenar- beit mit Rußland und der Ukraine haben die einstige großzügiger Zusammenarbeit der europäischen Konfrontation abgelöst, und das ist gut so. Völker kann der Boden geschaffen werden, auf welchem ein neuer Aufbau möglich sein wird. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Freiheit der Rede, Freiheit des Bekenntnisses, ten der CDU/CSU) Schutz der einzelnen Bürger vor der Willkür ver- brecherischer Gewaltstaaten, das sind die Grund- Zum erstenmal in diesem Jahrhundert sind wir lagen des neuen Europa. Deutschen nur noch von Freunden umgeben. Des- halb kann „zweite Chance" für uns nur bedeuten: Dieser Idee, dieser Lehre fühlen wir uns alle ver- Wir haben das Glück und die Verantwortung, im Ver- pflichtet. bund mit unseren europäischen Partnern und den (Beifall im ganzen Hause) USA im 21. Jahrhundert eine dauerhafte und ge- rechte Friedensordnung zu errichten und unserer Die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten aus Mittel- weltweiten Verantwortung gerecht zu werden. und Osteuropa in die Europäische Union ist die un- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Heidemarie Wieczorek-Zeul mittelbare Konsequenz des Falls der Mauer, der Entwicklung und Wohlstand zu sichern, und dabei deutschen Vereinigung. Sie wurde möglich auch versagen Sie. durch die Ost- und Entspannungspolitik Wi lly Brandts, an den ich in dieser Stunde mit besonderer (Beifall bei der SPD) Dankbarkeit erinnere. Die Rede von Klaus Kinkel hat das wieder deutlich gemacht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Dr. Helmut Haussmann (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Na, na!) [F.D.P.]: Auch !) Es ist die zentrale Aufgabe der Europäischen Unser Ziel ist ein politisch, wirtschaftlich, sozial Union, heute die Chance zu nutzen, die die Wäh- und ökologisch geeintes Europa, in dem die Folgen rungsunion, die wirtschaftspolitische Koordinierung, der Spaltung des Kontinents durch den kalten Krieg die Entwicklung einer europäischen Beschäftigungs- und durch das Neben- und Gegeneinander der Na- strategie bieten. Diese Chance haben Sie von seiten tionalstaaten überwunden sind. Ein solches Europa der Bundesregierung als einzige bisher ungenutzt hat die SPD 1925 in ihrem Heidelberger Programm gelassen. auf Grund der Erfahrungen des ersten Weltkrieges (Beifall bei der SPD) gefordert. Ich sage Ihnen: 1932 gab es in Deutschland 6,128 Die Vereinigten Staaten von Europa und die Ent- Millionen Arbeitslose. Heute schließt Bundeswirt- scheidung über den Beginn des Erweiterungsprozes- schaftsminister Rexrodt 5 Millionen Arbeitslose in ses sind deshalb von historischer Bedeutung. Aus Deutschland nicht mehr aus. Wie lange wollen Sie dieser Grundüberzeugung - das sage ich jetzt auch denn warten, die Chance zu nutzen, die Europäische an die Kolleginnen und Kollegen der Regierungs- Union auch zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit fraktionen - lag uns sehr daran, bei der Frage der einzusetzen? Darum geht es doch! EU-Osterweiterung, und zwar bei den Punkten, die (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE beim EU-Gipfel am Wochenende anstehen, zu einer GRÜNEN und der PDS) gemeinsamen, fraktionsübergreifenden Beschluß- empfehlung im Deutschen Bundestag zu kommen. Sie reden von der Globalisierung, aber die Chance, die EU in diesem Zusammenhang zu nutzen, lassen (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Das haben Sie verstreichen. wir ja geschafft!) (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie lehnen Dies ist insoweit gelungen, als dem Parlament heute alle Chancen ab!) eine gemeinsame Beschlußempfehlung des Euro- Sie sind - das ist überdeutlich- geworden - auch paausschusses von CDU/CSU, SPD und F.D.P. vor- nicht zu einer koordinierten, in sich stimmigen Politik liegt. der Bundesrepublik Deutschland in den EU-Institu- (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Ohne die tionen imstande. Das bleibt auch in Brüssel nieman- Grünen!) dem verborgen. Auch die Zwischenrufe eben haben das deutlich gemacht. Es ist gut, daß in einer für die weitere Entwicklung Die spannende Frage wird sein, wie Sie die histori- der Europäischen Union und damit auch für Deutsch- sche Aufgabe, die Osterweiterung praktisch umzu- land entscheidenden Frage im Deutschen Bundestag setzen, einlösen. Da habe ich den Eindruck, daß Sie im Grundsatz ein breiter Konsens hergestellt werden nach dem Motto „Nach uns die Sintflut!" handeln; konnte. denn es ist ganz ersichtlich, daß Sie allen alles ver- sprechen. Ich sage noch einmal, worin dieser Konsens be- steht: Wir sagen, der Erweiterungsprozeß ist für alle (Siegfried Hornung . [CDU/CSU]: Machen mittel- und osteuropäischen Staaten offen, aber wir Sie es doch mal am Beispiel!) befürworten den Vorschlag der EU-Kommission, mit den sechs Ländern, die sie vorgeschlagen hat, kon- Übrigens - das will ich an dieser Stelle aus aktuel- krete Beitrittsverhandlungen zu beginnen, also mit lem Anlaß kritisch anmerken -, Herr Kinkel, wir for denen, die die auf dem Gipfel von Kopenhagen da- dern Sie auf - ich habe diesbezügliche Äußerungen mals festgelegten Kriterien am ehesten erfüllen. Da- in diesem Kontext vermißt -, alles zu tun, den rechts- mit ist auch das Konzept eines sogenannten Startli- extremen Vorfällen und Entwicklungen in der Bun- nienmodells, bei dem Verhandlungen mit allen mit deswehr und in der Bundeswehrakademie endlich tel- und osteuropäischen Ländern gleichzeitig ge- deutlich ein Ende zu setzen. Sie sind nämlich mitver- führt werden, das aber nicht realistisch ist, abge- antwortlich dafür, daß das Ansehen der Bundesrepu- lehnt. blik Deutschland auch bei unseren europäischen Nachbarn keinen Schaden nimmt. Ich habe gesagt, es gibt Gemeinsamkeiten. Ich wi ll (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne aber auch darstellen, wo Differenzen sind. Am Aus- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN gang dieses Jahrhunderts steht nicht nur die Frie- und der PDS) denssicherung als Aufgabe der Europapolitik auf der Tagesordnung, sondern zunehmend geht es auch Ich komme zum Thema zurück. Ich sage, Sie wol- darum, gemeinsam Beschäftigung, wi rtschaftliche len, wie das immer so ist, vor den Bundestagswahlen Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Heidemarie Wieczorek-Zeul der Bevölkerung nicht die Wahrheit sagen. Sie ver- worden, endlich durch das Beschäftigungskapitel sprechen allen alles, auch in der Europapolitik. der Europäischen Union Kompetenzen für Beschäfti- gung zu geben. Das war unser Ziel. Wir haben es er- (Siegfri ed Hornung [CDU/CSU]: Zum Bei reicht. Das ist ein Anfangserfolg im Kampf um eine spiel?) neue Wirtschaftspolitik in Europa, die sich vom Neo- Sie versprechen den Landwirten, daß alles beim alten liberalismus abwendet. Allein deshalb werden wir bleibt. Sie blockieren zur Beruhigung der deutschen den Vertrag von Amsterdam ratifizieren. Landwirte in Brüssel die Agrarreform bis zur Wahl, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wissen aber genau, daß die Agrarreform kommen muß, wenn man, wie wir alle es wollen, die Osterwei- Wir freuen uns, daß die Bundesregierung endlich terung will. akzeptiert hat - was schon immer die Position der SPD war, was die Bundesregierung aber bisher nicht Sie versprechen dem deutschen Steuerzahler, daß hat zugeben wollen -, daß die Ratifizierung dieses der deutsche Nettobeitrag sinken soll. Herr Stark, Vertrages in Bundestag und Bundesrat mit Zweidrit- der Finanzstaatssekretär, erklärt - das stimmt mit un- telmehrheit erfolgen muß. serer Position überein -, daß da wohl auf der Einnah- meseite nichts zu verändern sei. Also kann doch nur Ich habe es vorhin angesprochen: Sie verzichten auf der Ausgabeseite etwas geschehen. Dort könnten aber darauf, in der Europäischen Union die Reduzie- - darüber sind wir doch alle einig - substantielle Ver- rung der Inflationsraten bei der Währungsunion mit besserungen vor allem durch eine Reform der ge- der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit zu kop- meinsamen Agrarpolitik erreicht werden. peln und so die Arbeitslosenquoten zu reduzieren. Sie verzichten darauf, die EU für die Menschen nutz- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Verstehen bar zu machen, wie es Tony Blair für die britische Sie davon überhaupt etwas?) Ratspräsidentschaft angekündigt hat. Aber genau das lehnt Landwirtschaftsminister Bor- Die Menschen erwarten - ich sage es noch einmal -, chert ab. daß sich Europa um Ausbildung und Arbeit für Men- Wie nach all diesen Positionen Bundeskanzler Kohl schen kümmert, besonders aber für junge Menschen. sein in Polen vor dem Sejm und vor dem Senat gege- Sie haben beim Beschäftigungsgipfel maßgeblich benes Versprechen zum EU-Beitritt Polens noch hal- dazu beigetragen, daß da sehr lange Fristen gesetzt ten will, bleibt sein Geheimnis. Er versprach „aus- worden sind, was Jugendarbeitslosigkeit anbelangt. drücklich einen Beitritt" Polens „noch in diesem Ich sage für uns als SPD: Wir wollen dazu beitragen, Jahrhundert, d. h. bis zum Ende dieses Jahrhun- daß „Jugendarbeitslosigkeit Null" das Ziel ist. Jede derts". Regierung, wir alle in der Bundesrepublik müssen er- reichen, daß kein Jugendlicher von der Schulbank in Mein Fazit: Die Bundesregierung ist auch europa- die Arbeitslosigkeit geschickt- wird. politisch nicht handlungsfähig; sie hat keine klare Li- nie, sie lebt vom konzeptlosen Durchwursteln. Hel- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE mut Kohl ist nicht mehr der größte Mentor, sondern GRÜNEN und der PDS - Dr. Helmut Hauss der größte Bremser in Europa. mann [F.D.P.]: Beginnen Sie mal im Saar land damit!) (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS - Lachen bei der Im Vertrag von Amsterdam gibt es Verbesserun- CDU/CSU und der F.D.P.) gen. Vor allen Dingen ist es jetzt möglich, soziale Re- gelungen zu schaffen. Dafür ist die Rechtsgrundlage Wir sind der Meinung, daß die Bevölkerung die geschaffen worden. Es sind Verbesserungen im Um- Chancen und Risiken der Osterweiterung kennen weltschutz, im Bereich Gesundheit und im Verbrau- muß. Sie muß im Vorfeld der Osterweiterung eben- cherschutz erreicht worden. Entgegen der landläufi- falls wissen, daß Reformen notwendig sind, damit die gen Meinung - das finde ich einen wichtigen Fort- Osterweiterung gelingt. schritt - ist das Europäische Parlament zukünftig in Ich sage, Sie handeln nach der Methode „Nach zirka 75 Prozent aller Gesetzgebungsverfahren uns die Sintflut! ". Deutschland übernimmt ab 1. Ja- gleichberechtigt neben dem Rat mitentscheidend. nuar 1999 die EU-Ratspräsidentschaft. Wenn vorher Das ist ein wichtiger Schritt. Aber wir halten an dem nicht in den Grundfragen zur Agenda 2000, das heißt Ziel fest, daß das Europäische Parlament dieses Recht zu den Reformbedingungen, die die Osterweiterung in a 11 e n Gesetzgebungsfragen und das volle Haus- möglich machen, klar Position bezogen wird, dann haltsrecht erhalten muß. wird es danach um so teurer. Aber - heute morgen Wir begrüßen vor allem auch, daß im Vertrag die war der typische Fall dafür - wer wie Sie nicht einmal positive Frauenförderung in den EU-Mitgliedstaaten zu Hause die Aufgaben einer Regierung hinbe- verankert ist und im Grundrechtsteil, im ersten Ab- kommt, der schafft das auf EU-Ebene natürlich erst schnitt des Vertrages, für die EU verbindliche Grund- recht nicht. rechte, zum Beispiel bei der Gleichberechtigung von (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Frauen, vorgesehen sind. Es ist meine feste Überzeu- GRÜNEN und der PDS) gung, daß der Europäische Gerichtshof ohne dieses neue Grundrecht im Vertrag von Amsterdam bei sei- Der Vertrag von Amsterdam ist nicht der große ner Entscheidung über die Frauenquote im nord- Wurf, aber wir verkennen nicht, daß einiges erreicht rhein-westfälischen Gleichstellungsgesetz eher dem wurde. Vor allem ist unsere Forderung durchgesetzt ablehnenden Votum des Generalanwaltes gefolgt Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Heidemarie Wieczorek-Zeul wäre. Es ist insofern eine Unterstützung für aktive gründet und verständlich. Denn es gibt auch bei uns Frauenförderung in all unseren Mitgliedsländern. Wirtschaftssektoren und -regionen, die von der wirt- schaftlichen Öffnung nicht nur nicht profitieren, son- (Beifall bei der SPD) dern die unter Anpassungsdruck geraten. Dies gilt Die Kritik am Vertrag von Amsterdam richtet sich besonders für strukturschwache Regionen. vor allem darauf - ich greife nur diesen Punkt her- (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Daher aus -, daß auch die Bundesregierung maßgeblich Steuersenkung!) dazu beigetragen hat, daß das Mehrheitsprinzip in wichtigen Bereichen nicht verankert worden ist. Das Wir brauchen deshalb eine Politik, die den wirt- heißt auch, daß damit die Osterweiterung faktisch schaftlichen Anpassungs- und Umstrukturierungs- um rund zwei Jahre verzögert worden ist, weil diese prozeß in Deutschland im Rahmen einer innovativen Reformen vor der Osterweiterung vollzogen werden regionalen Strukturpolitik begleitet. müssen. (Beifall bei der SPD - Dr. Helmut Hauss Nun könnte man zu der Schlußfolgerung kommen, mann [F.D.P.]: Na also!) den Vertrag deshalb nicht zu ratifizieren. Aber wenn Davon ist die Bundesregierung aber meilenweit ent- wir ihn nicht ratifizieren würden, bliebe es beim Ver- fernt, wie die Kürzungen bei der Gemeinschaftsauf- trag von Maastricht. Deshalb ist dieser Mangel durch gabe „Regionale Wirtschaftsstruktur" belegen. So Ablehnung nicht zu beseitigen. Unter deutscher kann man die Sorgen der Menschen um ihre Arbeits- Ratspräsidentschaft werden dann die notwendigen plätze nicht abbauen. Im Gegenteil, sie werden ver- Reformen durchgeführt werden müssen, damit die stärkt. Deshalb muß auch in diesem Bereich eine Ver- Osterweiterung tatsächlich funktionieren kann. änderung erfolgen. Die Osterweiterung der EU, um die es bei dem EU Zu den Punkten, die ehrlicherweise anzusprechen Gipfel am Wochenende geht, ist nicht mit den bishe- sind, gehört auch, daß wir Freizügigkeit für Men- rigen Beitritten, zum Beispiel Spaniens oder Portu- schen aus den mittel- und osteuropäischen Staaten gals, vergleichbar. Denn die mittel- und osteuropäi- nur in dem Maße zugestehen können, in dem sich schen Staaten müssen einen massiven Verände- die wirtschaftliche Entwicklung angleicht. rungsprozeß von überindustrialisierten, maroden Planwirtschaften zu sozialen Marktwirtschaften be- (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Aha!) wältigen. Im Gegensatz zu allen früheren Beitritten sehen sich die Beitrittsländer jetzt gleichzeitig einem - Dieses Prinzip hat in der Europäischen Union übri- gens immer geherrscht. - Dies muß in langen Über- einheitlichen Binnenmarkt mit - zum Zeitpunkt ihres Eintrittes - einer gemeinsamen Währung in diesen gangsfristen zum Ausdruck kommen. Selbst bei Por- tugal und Spanien gab es acht Jahre lang Verhand- Ländern gegenüber. lungen und dann in der -Frage der Freizügigkeit eine Die neuen Bewerber müssen deshalb einen Grad zehnjährige Übergangsfrist. Das heißt, auf absehbare an wirtschaftlicher Integration akzeptieren, der höher Zeit kann den Menschen aus Mittel- und Osteuropa ist als jemals zuvor. Deshalb ist es nicht irgendeine niemand Freizügigkeit versprechen, und es gehört Erweiterung, sondern hier bestehen massive Pro- sich, daß wir dies auch offen aussprechen. bleme, die in den Verhandlungen gelöst werden Die Position der SPD zu den Vorschlägen der EU müssen. Kommission - auch zu den Teilen der Agenda 2000, Ich möchte einen Punkt ansprechen, der uns be- die heute nicht im Detail angesprochen sind - ist sonders beschäftigt. Bisher zeigt sich, daß die euro- klar. Wir sind mit der ersten Runde der Verhandlun- päischen Beitrittskandidaten gegenüber der EU ein gen mit den fünf mittel- und osteuropäischen Staaten wachsendes Handelsbilanzdefizit haben. Dieses be- einverstanden. Wir wollen, daß die Europäische trug zum Beispiel im Jahre 1996 32 Milliarden DM. Union mit der vorhandenen Eigenmittelobergrenze Das heißt: Für Deutschland und für die EU insgesamt auskommt. Das bedeutet: Wenn neue Mitglieder hin- hat sich der Fall des Eisernen Vorhangs positiv aus- zukommen, muß bei den Finanzen umgeschichtet gewirkt. Er hat dazu beigetragen, neue Arbeitsplätze werden. Wir betonen die Notwendigkeit einer umfas- zu schaffen oder vorhandene zu sichern. senden Reform der Agrarpolitik. Grundsätzlich ge- hen die Vorschläge von Kommissar Fischler in die Im übrigen trifft es auch nicht zu, daß Deutschland richtige Richtung, nämlich in Richtung Marktorien- bisher der Hauptprofiteur der wi rtschaftlichen Öff- tierung. nung der mittel- und osteuropäischen Beitrittskandi- daten ist. Relativ zur Wirtschaftskraft ist der Handels- (Beifall bei der SPD) bilanzüberschuß Italiens 1996 mit 7 Milliarden DM Es ist jedenfalls diese Bundesregierung, die noch das größer als der deutsche mit 8,2 Milliarden DM. Selbst letzte planwirtschaftliche System in Europa vertei- Spanien hat einen Überschuß. Ich bin der Meinung, digt. Denn die jetzige Agrarpolitik hat wenig mit daß wir dies deutlicher darstellen müssen. Markt, aber sehr viel mit Planung zu tun. Gleichwohl - dieser Punkt muß doch angesprochen (Zuruf von der CDU/CSU: Von der Südsee werden, liebe Kolleginnen und Kollegen - wird die verstehen Sie vielleicht etwas, aber nicht Osterweiterung der Europäischen Union von weiten von der Agrarpolitik!) Teilen der Bevölkerung als Bedrohung von Arbeits- plätzen empfunden. Dies ist zwar insgesamt unbe- Wir wollen die Reform der Strukturfonds. Wir wol- gründet, aber in konkreten Fällen ist die Sorge be len eine Neuordnung der EU-Finanzierung. Vor- Deutscher Bundestag - 13. Wahiperiode - 210. Sitzung. Bonn, D onnerstag, den 11. Dezember 1997

Heidemarie Wieczorek-Zeul schläge zu mehr Beitragsgerechtigkeit auf der Ein- tion im weiteren Rahmen der wirtschaftlichen nahmenseite müssen entwickelt und diskutiert wer- Zusammenarbeit der zivilisierten Nationen der den. Wer aber wie wir eine schnelle Entlastung der ganzen Welt. deutschen Steuerzahler will, muß auch dafür sorgen, daß auf der Ausgabenseite reformiert wird. Wenn Es liegt an uns, daß wir diese Hoffnungen erfüllen. die deutsche Nettozahlerposition wirk Ich danke Ihnen. verbessern wollte, würde er genau hier ansetzen. Solange er das nicht tut, muß man ihm folgenloses (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Anti-EU-Gerede zu Lasten der Finanzsituation der GRÜNEN und der PDS) Bundesrepublik Deutschland vorhalten. (Beifall beider SPD) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Es spricht jetzt der Kollege Rudolf Seiters. Liebe Kolleginnen und Kollegen, zur Diskussion um die Türkei: Derzeit kommt aus unserer Sicht die Türkei für eine Beitrittsstrategie und Pa rtnerschaft Rudolf Seiters (CDU/CSU): Frau Präsidentin! nicht in Frage. Die Einbeziehung in die Europakonfe- Meine Damen und Herren! Zunächst zum zentralen renz, an der auch die mittel- und osteuropäischen Thema des Luxemburger Gipfels, zur Entscheidung, Länder teilnehmen, die nicht in der . ersten Beitritts- wie der Prozeß der EU-Osterweiterung gestaltet wer- verhandlungsrunde sind, ist im übrigen eigentlich den soll. der Türkei nicht angemessen. Die Europäische Union Ich weiß sehr wohl, daß man große Worte und Be- sollte vielmehr ihre bilateralen Kontakte zur Türkei griffe nicht inflationieren soll. Aber Präsident Santer verstärken, dabei den Vertrag zur Zollunion und den hat wohl recht, wenn er die EU-Erweiterung um die Assoziierungsvertrag voll ausschöpfen. Eine Einbe- mittel- und osteuropäischen Staaten die größte Her- ziehung in die Europakonferenz kann unseres Erach- ausforderung in der Geschichte der europäischen tens nur unter der Voraussetzung in Betracht gezo- Einigung nennt. Wir stehen vor Richtungsentschei- gen werden, daß die Türkei wirklich sicherstellt, die dungen, die das Gesicht unseres Kontinents und da- Menschenrechte zu respektieren und die Verhand- mit auch Deutschlands verändern und seine Positio- lungen der Europäischen Union mit Zypern nicht zu nierung in der Welt auf Jahre prägen werden. behindern. Das ist eine der wichtigen Bedingungen. Bisweilen kann man den Eindruck haben, daß die (Beifall bei der SPD - Zuruf von der CDU/ Diskussion über die Zukunft der Europäischen Union CSU: Eine kurze Sicht der Dinge!) und über die Möglichkeiten, unsere Nachbarn in Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen - und Mittel- und Osteuropa in die EU zu integrieren und die Debatte, vor allen Dingen zu Beginn heute mor- dennoch handlungsfähig zu bleiben, in der europäi- gen wird dem eigentlich nicht gerecht, vor allem hin- schen und auch in unserer- Öffentlichkeit sehr tech- sichtlich des Zeitanfangs -, die Chancen Europas nisch, mitunter kleinmütig, manchmal auch kurzsich- dürfen nicht verspielt werden. Das sind wir unserem tig geführt wird mit Blick auf Hürden, Probleme, Be- Land, unseren Nachbarn und unserem Kontinent sitzstände und Kosten. schuldig. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!) Nie wieder Krieg - das ist die Erfahrung der Gene- Ich denke, wir haben im Gegenteil allen Grund, statt ration, die vor uns war, aber auch unsere eigene Er- dessen die Möglichkeiten der Osterweiterung als fahrung. Ich kann mich an die Trümmer in den Städ- eine großartige Chance für ganz Europa zu verstehen ten erinnern. Jeder von uns hat die Erinnerung an und auch zu nutzen. diejenigen in unseren Fami lien, die nicht mehr aus dem Krieg zurückgekommen sind, die im Krieg ihr (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Leben verloren haben. Wir müssen in der Bundesrepublik Deutschland (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wann er die Diskussion vielleicht stärker unter dem Gesichts- zählen Sie endlich etwas Positives zur Bun punkt führen, daß wir dieses Ziel nicht aus Altruis- deswehr?) mus anstreben. Es liegt in unserem eigenen deut- schen Interesse, daß Frieden und Sicherheit durch In- Europa - wir haben es in der Hand, die Hoffnun- tegration weiter gefestigt werden. Es liegt im deut- gen derer zu erfüllen, die im Widerstand gegen die schen Interesse, daß wir die Auswirkungen der Nazidiktatur ihre Hoffnungen auf ein demokrati- Wohlstandsgrenze mildern und schließlich überwin- sches Europa setzten. den, die direkt an deutschen Grenzen verläuft. Für Ich möchte mit einem Zitat aus der Radioansprache ein Land in der Mitte Europas sind gerade die Be- an „europäische Zuhörer" schließen, die Thomas kämpfung der internationalen Kriminalität und der Mann 1943 so formuliert hat. Umweltschutz Aufgaben, die eine immer engere Zu- sammenarbeit der Staaten West- wie Mittel- und Ost- Das wahre Europa wird von euch selbst geschaf- europas erfordern. fen werden. Es wird eine Föderation freier Staa- ten sein, mit gleichen Rechten, fähig, ihre gei- Der polnische Staatspräsident hat kürzlich in Berlin stige Unabhängigkeit und ihre traditionelle Kul- die Erfolge der mittelosteuropäischen Staaten bei tur zur Blüte zu bringen, und gleichzeitig unter- ihrer politischen und wirtschaftlichen Transforma- worfen dem gemeinschaftlichen Gesetz nach tion beschrieben und dabei gesagt - ich halte das für Vernunft und Moral - eine europäische Födera eine durchaus bemerkenswerte Formulierung; sie Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Rudolf Seiters entspricht einer positiven und selbstbewußten Hal- NATO-Doppelbeschluß zurückführen - mitgemacht tung -: hätten? Niemand in der Welt hätte uns verstanden, weder in der UNO noch in der NATO, noch in Bos- Mitteleuropa wird immer deutlicher zu einem nien oder wo auch immer. Wenn Herr Scharping - Faktor der Stabilität und Entwicklung. Wir Polen ich habe das von dieser Stelle aus schon einmal zi- glauben an die europäische Idee, und wir ver- tiert - im Sommer bei dem außenpolitischen Kongreß trauen immer mehr unseren Kräften. der SPD gesagt hat, die SPD sei dabei, ihre Außen- Meine Damen und Herren, wenn diese Länder, die politik „realitätstauglich" zu machen, dann spricht unter größten Belastungen einen schwierigen Umge- das doch wohl Bände. staltungsprozeß zu bewältigen haben, ihren Kräften (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Sehr immer mehr vertrauen, um wieviel mehr können wir gut!) dann unseren Kräften vertrauen, um die Herausfor- derungen der europäischen Einigung erfolgreich zu Im übrigen - da fällt mir noch etwas ein, was ich bewältigen. gerade aus meiner Mappe geholt habe - ist mir auf- gefallen, daß auf dem Bundesparteitag der SPD in (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Hannover ordneten der F.D.P.) (Zuruf von der SPD: Gute Veranstaltung!) Es gibt zu diesem Weg aus deutscher und europäi- scher Sicht überhaupt keine vertretbare Alte rnative. die Außenpolitik überhaupt nicht behandelt wurde. Für diesen Weg steht diese Bundesregierung, der Die Außenpolitik spielte in den Reden Ihrer beiden Bundeskanzler, der Bundesaußenminister, stehen wir Kanzlerkandidaten überhaupt keine Ro lle. alle. (Dr. Uwe Küster [SPD]: Das ist doch wirklich Frau Wieczorek-Zeul hat der Versuchung nicht wi- Quatsch! - Weitere Zurufe von der SPD) derstehen können, Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" hat in diesem (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Leider!) Zusammenhang geschrieben: sich wieder einmal auf einem falschen Feld an der Deutscher Lohn auf deutschen Baustellen - so Bundesregierung zu reiben: angefangen von den Be- sieht die Antwort des SPD-Vorsitzenden auf die merkungen zum Beschäftigungsgipfel bis hin zu de- Globalisierung aus. nen über die gestrige Debatte über die Bundeswehr (Dr. Uwe Küster [SPD]: Fünf Stunden hat und über das Ansehen Deutschlands in Europa. Das die Debatte gedauert!) Ganze gipfelte schließlich in der Aussage, der Bun- deskanzler sei ein Bremser. - Welch ein Schwach- Der SPD-Chef lockt mit lauter Schutzzäunen, den sinn! Visionen von gestern,- und er unterstellt damit, daß Deutschland nicht fähig ist, sich der interna- (Beifall bei der CDU/CSU) tionalen Konkurrenz zu stellen. Symbol des Par- Wenn das Ansehen Deutschlands in Europa und in teitages ist ein roter Leuchtturm: Das Leuchtfeuer der Welt heute so groß ist - wahrscheinlich größer als Lafontaines würde die deutsche Wi rtschaft auf jemals zuvor in der Geschichte unseres Landes -, die Klippen führen. dann ist das in allererster Linie das Verdienst dieses Das ist das einzige, was man zur Behandlung dieses Kanzlers und der Stetigkeit und Verläßlichkeit unse- Themas durch die SPD sagen kann. rer Politik in den vergangenen Jahren und Jahrzehn- ten. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Meine Darstellung unserer POlitik hat überhaupt ordneten der F.D.P. - Widerspruch bei der nichts, Herr Kollege Fischer, mit Lobhudelei zu tun. SPD - Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN]: O du fröhliche, o du (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ selige!) DIE GRÜNEN]: Nein, überhaupt nicht!) - Ich wußte ja, daß Sie noch ein paar Sprüche auf La- Wahr ist, gerade wenn man den Blick rückwärts rich- ger haben. tet: Wir hätten die deutsche Einheit mit Zustimmung unserer Freunde, Pa rtner und Nachbarn nicht er- Ich darf einmal die Frage stellen, wie es denn um reicht, wenn wir in Deutschland in den letzten Jahren das Ansehen Deutschlands in Europa, in der Welt, in und Jahrzehnten nicht eine Politik bet rieben hätten, der NATO und auch in der UNO bestellt wäre, wenn die das Vertrauen gestärkt hat, daß auch ein wieder- wir in den vergangenen Jahren in der Sicherheits- vereinigtes Deutschland mit seiner Größe und Stärke und Verteidigungspolitik Ihren Ratschlägen gefolgt verantwortungsbewußt, partnerschaftlich und euro- wären und uns aus der Solidarität der Staaten ausge- päisch umgeht. klinkt hätten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.) ordneten der F.D.P.) Wenn Sie sich an der Bundesregierung reiben, soll- Wo wären wir wohl geblieben, wenn wir zum Bei ten Sie sich vielleicht auf einige andere Felder bege- spiel bei den AWACS-Einsätzen - ich nenne hier das ben, denn auf diesem Feld können Sie nicht gewin- aktuellste Beispiel, es gäbe ganz andere, die bis zum nen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Rudolf Seiters Ich komme zu der Frage zurück, wie man den Pro- auch mit Blick auf die Rolle des Europäischen Parla- zeß der Erweiterung in den kommenden Jahren ge- ments und mit der neuen Flexibilitätsklausel wich- stalten sollte. Wir sind im Vorfeld des Gipfels von Lu- tige Fortschritte erzielt haben. Wir wissen aber auch, xemburg alle möglichen Modelle durchgegangen: daß noch weitere Reformen in der Finanz-, Struktur- „Startlinie", „Kommission", „Stadion". Ich habe die und Agrarpolitik notwendig sind. Wir haben - das abstrakte Abgrenzung nie so recht verstanden. Der räume ich gern ein, Frau Wieczorek-Zeul - auf diese gemeinsame Entschließungsentwurf, der heute dem schwierigen Probleme noch nicht alle Antworten. Parlament vorliegt, zeigt, daß wir uns darüber, was Darüber werden wir noch zu verhandeln haben. wir hier gemeinsam erreichen wollen, weitgehend ei- Aber die Ansätze sind klar. nig sind: Wir wollen, daß der Erweiterungsprozeß Anfang nächsten Jahres mit allen Kandidaten eröff- Ich denke zum ersten, daß die Kommission es sich net wird. Wir wollen, daß diese Länder gezielt unter- zu leicht macht, wenn sie sich in der Agenda 2000 stützt und mit Hilfe einer individuellen Heranfüh- bei den Fragen der Eigenmittelsysteme im wesentli- rungsstrategie auf ihren Beitritt vorbereitet werden. chen auf die Aussage beschränkt, daß die Union Wir wollen, daß diejenigen Länder, die am weitesten auch in Zukunft mit 1,27 Prozent des EU-Bruttoin- entwickelt sind, bald der EU beitreten können. Des- landproduktes auskommen könne und es für eine wegen dürfen wir die Verhandlungen mit ihnen nicht grundlegende Reform zur Zeit keinen Handlungsbe- erschweren. darf gebe. Wir sagen dazu - das sollten wir ruhig, ar- gumentativ und werbend tun, denn wir brauchen für Für diejenigen Beitrittskandidaten, die heute über Änderungen auch Verbündete unter unseren Pa rt ihren eigenen Entwicklungsstand so urteilen, daß sie -nern, wir müssen für unsere Position werben -: Wir noch 15 oder mehr Jahre brauchen, um beitrittsfähig brauchen eine gerechtere Verteilung der Beitragsla- zu werden, ist es eben verfrüht, jetzt schon in kon- sten; denn selbst unter Berücksichtigung aller mate- krete Beitrittsverhandlungen einzutreten. Wir tun ih- riellen und immateriellen Vorteile der deutschen EU nen - richtig verstanden - damit auch keinen Gefal- Mitgliedschaft, die wir immer erwähnen, weist das len. Wichtig ist nur, daß die Kommission fortlaufend, jetzige System Lücken auf und belastet neben Jahr für Jahr, die Fortschritte dieser Länder über- Deutschland auch andere Staaten, zum Beispiel die prüft. Sie müssen nachrücken können. Damit werden Niederlande, im Vergleich zu Partnerländern mit wir der unterschiedlichen Dynamik der Entwick- gleichem Wohlstand überproportional. Deshalb brau- lungsprozesse in den einzelnen mittelosteuropäi- chen wir einen Korrekturmechanismus, der die La- schen Ländern gerecht. In Lettland und Litauen gibt sten insbesondere unter den wohlhabenderen Staa- es zum Beispiel beachtliche Entwickiungsdynami- ten gleichmäßiger und gerechter verteilt. ken, die zu der Erwartung berechtigen, daß auch diese Länder bald die Voraussetzungen für die Auf- Eine zweite Bemerkung. Wir sind uns bei der nahme von Verhandlungen erfüllen. Struktur- und Kohäsionspolitik sicherlich darin einig, daß Reformen zu größerer- Konzentration auf die ärm- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sten Regionen und zu gesteigerter Effizienz der ein- Ein solcher differenzierter Ansatz bedeutet, daß gesetzten Instrumente führen müssen. Das schwie- rigste Problem ist sicherlich die die Staaten, die durch innenpolitische Entwicklun- Agrarpolitik. Ich gen in den letzten Jahren wichtige Zeit verloren ha- sage hier noch einmal: Wir werden daran zu arbeiten haben - im Blick auf die Vorbereitungen auf die ben, jetzt aber rasche Reformfortschritte machen, schnell aufschließen können. Wir können zügig eine nächste WTO-Runde und im Blick auf die Vorberei- erste Runde der Osterweiterung nach der Jahrhun- tungen auf die Erweiterung. Wir haben im Antrag dertwende vorbereiten, ohne daß in diesem Prozeß der Koalition und in unserem gemeinsamen Antrag diejenigen Länder abgehängt werden, die noch den dazu einiges gesagt. In der Zielrichtung sind wir uns weitesten Weg vor sich haben. einig. Ich möchte aber an dieser Stelle auch sagen - damit will ich das Ziel nicht schmälern -: Die deut- Allerdings müssen wir darauf achten, daß sich In- sche Landwirtschaft hat - bei aller Notwendigkeit vestitionsströme nicht nur auf diejenigen Länder der Reform und der Weiterentwicklung - einen An- konzentrieren, die mit den Beitrittsverhandlungen spruch darauf, beginnen. Deshalb müssen die im Rahmen der Her- anführungsstrategie vorgesehenen finanziellen Mit- (Bundeskanzler Dr. : Sehr gut!) tel so angelegt sein, daß sie auch für die anderen Bei daß die gemeinsame Agrarpolitik langfristig ange- trittskandidaten als Katalysator für Investitionen aus legt und verläßlich ist. Derjenige, der eine nachhal- öffentlichen und p rivaten internationalen Quellen tige Agrarwirtschaft forde rt, muß dieser Nachhaltig- wirken. keit auch bei den betriebswirtschaftlichen Grundla- Beitrittsfähigkeit der mittelosteuropäischen Länder gen Rechnung tragen. Das werden wir auch in den und Erweiterungsfähigkeit der Europäischen Union europäischen Debatten immer klarzumachen haben. hängen unmittelbar zusammen. Der Vertrag von Am- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge sterdam hat für die EU - Erweiterung wichtige Vor- ordneten der F.D.P.) aussetzungen geschaffen, aber nicht alle. Der Au- ßenminister - ich werde mir dies jetzt ersparen - ist Ein Wort zur Türkei: Die Türkei soll in die Europa- darauf eingegangen und hat zu Recht die wichtigen konferenz einbezogen werden. Dies darf keine Er- Fortschritte gewürdigt. Es ist auch unsere Meinung, satzlösung für eine Vertiefung der institutionellen daß wir hier sowohl in der Innen- und Rechtspolitik Zusammenarbeit sein. Wir stehen auch dazu, daß der als auch in der Außen- und Sicherheitspolitik wie Türkei eine Perspektive für eine spätere Mitglied- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Rudolf Seiters schaft eröffnet wird. Doch auch für die Türkei gilt, Es ist schon gesagt worden: Die Osterweiterung daß sie die politischen und wirtschaftlichen Stan- der EU ist nicht zum Nulltarif zu haben, weder für dards und Kriterien erfüllen muß. Darner hinaus die Beitrittskandidaten noci Europäische setzt die Realisierung der Beitrittsperspektive für die Union selbst. Aber gibt es wirklich eine Aiternative? Türkei zu gegebener Zeit voraus, daß in der Frage Es wäre ein historisches Versagen westlicher Frie der Freizügigkeit eine für alle Seiten befriedigende dens- und Sicherheitspolitik - dies lehrt auch der Lösung gefunden wird. Auch die politisch Verant- große Erfolg der Marshallplanhilfe, deren 50. Ge- wortlichen in der Türkei wissen, daß eine EU-Mit- burtstag wir Anfang Juni gefeiert haben und die den gliedschaft kurzfristig nicht zu erreichen ist. Es liegt zerstörten Ländern Westeuropas 50 Jahre Wohlstand, aber im Interesse Europas, auf Reformen in der Tür- Stabilität und nicht zuletzt Frieden beschert hat -, kei zu drängen, die das Land voranbringen, die Zu- wenn der Westen aus vordergründigen materiellen sammenarbeit in der Zollunion auszubauen und zu- Interessen Polen, Ungarn oder die anderen mittel- dem einen ständigen politischen Dialog über Fragen und osteuropäischen Staaten in der Situation eines einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik Zwischeneuropas halten wollte, in der sie über zwei sowie einer engeren Zusammenarbeit im Innen- und Jahrhunderte Objekte der Politik anderer waren. An- Rechtsbereich zu entwickeln. Die Türkei hat An- gesichts der historischen Erfahrungen wäre eine sol- spruch darauf, als wichtiger Partner der EU ernst ge- che Politik nicht zu verantworten - weder für nommen zu werden, und das schließt ein, daß end- noch für Europa. Deutschland lich die im Rahmen der Zollunion vereinbarten Fi- nanzhilfen freigegeben werden. Umgekehrt muß An- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) kara die Beschlußlage in der Europäischen Union ak- zeptieren, daß mit Zypern Beitrittsgespräche geführt Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster werden. Wir sollten auch gemeinsam erwarten, daß spricht der Kollege Helmut Lippelt. die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs in Fragen des Streits mit Griechenland anerkannt wird. Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ordneten der F.D.P. und der SPD) sprechen heute über einen Vorgang, der in seiner hi- storischen Dimension nur mit dem Prozeß der deut- Noch einmal zurück zu den kritischen Stimmen zur schen Einheit verglichen werden kann. Allerdings Osterweiterung, die sich in Kommentaren manchmal gibt es einen wesentlichen Unterschied: Die deut- so lesen: Die EU werde zwar größer, aber schwächer; sche Einheit vollzog sich im Rahmen einer tausend- sie werde immer weniger entscheidungsfähig; es jährigen gemeinsamen Geschichte, gemeinsamer wachse die Gefahr, daß sie sich in einem immer dik Sprache, gemeinsamer Schuld, gemeinsamen ker werdenden Knäuel unterschiedlicher Interessen Schicksals. verheddere. Dann wird das Fazit gezogen: Die EU - werde die nächste Erweiterung nicht mehr heil über- Europa, um dessen Einigung es jetzt geht, ist ein stehen. - Wir müssen uns mit solchen kritischen Be- ideeller Wert: Einheit in der Vielfalt von Sprachen merkungen sicherlich ernsthaft auseinandersetzen. und Kulturen, Einheit in der Vielfalt nationaler Ge- Aber ich denke, nach den Herausforderungen, die schichten. Es ist ein multinationaler Gedanke, ist der die EU seit ihrer Gründung erfolgreich bewältigt hat, „Traum von Europa" , von dem die Dissidenten Mit- haben wir Grund zu der Erwartung, daß auch die telosteuropas in den 80er Jahren sprachen. Es ist Osterweiterung gelingen wird. auch ein Wirtschaftsraum mit der Chance besserer Wirtschafts- und Beschäftigungsmöglichkeiten. Die Währungsunion wird ab 1. Januar 1999 eine neue Dynamik in die europäische Integrationsent- Zugleich ist es eine sehr zerbrechliche Chance. wicklung bringen, und wir werden, spätestens wenn Denn dieses Europa bedarf immer wieder der Ver- die künftigen Partner beitrittsfähig vor der Tür ste- mittlung in die Gesellschaften und Völker Europas hen, die notwendigen - auch institutionellen - Refor hinein. Ein proeuropäischer Populismus ist schwer men schaffen, die die EU handlungs- und entschei- vorstellbar - zumindest heute; in den 50er Jahren dungsfähig halten. Deshalb sollten wir uns auch mag das anders gewesen sein. Aber ein antieuropäi- nicht von Horrorzahlen irritieren lassen, mit denen scher Populismus, Demagogie auf Kosten Europas ist man die Erweiterungskosten völlig überzeichnet - leider eine permanente Versuchung. Zahlen, die in Wahrheit manchmal und bei manchen Ich denke, über das Ziel, ein Gesamteuropa durch dazu dienen sollen, die Erweiterung zu verhindern, EU-Osterweiterung zu schaffen, sind wir uns in die- zu erschweren oder zu verzögern. sem Hause fraktionsübergreifend einig. Über den Wir sind jedenfalls davon überzeugt, daß der politi- Weg dahin streiten wir allerdings. Sie, Regierungs- sche und wirtschaftliche Mehrwert aus der Integra- fraktionen und SPD, folgen dem Gruppenmodell. tion der mittel- und osteuropäischen Staaten in einem Die Bundesregierung hat sich diesem Modell sehr sinnvollen Verhältnis zu den Finanztransfers bei der schnell angeschlossen. Aufbauhilfe steht, weil wir eine deutliche Erhöhung (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Falsch!) der Sicherheit und Stabilität in Europa, die Erschlie- ßungneuerMärkteundeineweitereVertiefung auch - Das ist sehr wohl richtig! Gestern hat sie es Ihnen des kulturellen Austausches bekommen werden. reinmanipuliert. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Sie waren ordneten der F.D.P.) doch nicht da!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Dr. Helmut Lippelt Wir dagegen halten an einem modifizierten „Start- politischen Begleitkonferenz bleiben. Denn die Er- linien" - Modell fest - ähnlich wie die skandinavi- weiterungsverhandlungen bedürfen begleitender schen Regierungen, wie das Europaparlament, ähn- politischer Gespräche. Wie beispielsweise sollen die lich aber auch wie CDU/CSU und F.D.P. in dem in Verhandlungen mit Zypern zu einem glücklichen den Europa-Ausschuß eingebrachten ursprüngli- Ende geführt werden ohne Gespräche mit der Tür- chen, erst gestern abend fallengelassenen Vorschlag kei? Wie soll die Türkei demonstriert bekommen, und wie Altaußenminister Genscher heute im „Ta- daß sie selbst den Mut haben muß, ihre innenpoliti- gesspiegel". Das können Sie nachlesen. schen Probleme in einem europäischen Sinne, das heißt: unter Achtung föderativer Elemente, der Wir befürworten also den Verhandlungsbeginn mit Menschenrechte und kultureller Selbstbestimmung, allen Beitrittsländern, sofern sie die im Europäischen zu lösen? Rat in Kopenhagen vereinbarten politischen Kriterien erfüllen: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Wahrung Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, damit der Menschenrechte. Wir folgen diesem Modell aus bleibt die Frage, ob denn die EU als solche erweite- der Überzeugung, daß nur ein solches Vorgehen die rungsfähig ist. Was sind die Konsequenzen der Er- angestrebte Realität Gesamteuropas abbildet und weiterung für die EU und für uns? sich die Erweiterung den Völkern Europas nur so Wir erwarten, daß die Bundesregierung jetzt den hinreichend deutlich vermitteln läßt, während sich belgisch-französisch-italienischen Vorschlag unter- die Erweiterung um einzelne Länder niemandem als stützt, in die Beratung der institutionellen Fragen geschichtsmächtige Idee mitteilt. schon jetzt und nicht erst kurz vor Aufnahme des (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 21. Mitglieds einzutreten. Ferner erwarten wir, daß schleunigst mit der Reform der einzelnen EU-Politi- Inzwischen ist die Differenz zwischen den beiden ken begonnen wird. Denn die große Schwäche des Modellen kräftig eingeebnet worden - nicht zuletzt Gruppenmodells ist doch, daß bei mangelnder Re- durch die Vorschläge unseres Außenministers. formbereitschaft der Altmitglieder der EU der Gang (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Na also!) der Verhandlungen beeinflußt werden könnte durch den Unwillen zum Teilen, durch den Unwillen, ein- Doch der Eindruck bleibt bestehen, daß es sich dabei mal in der jetzigen EU erreichte Vorteile aufzugeben. vor allem um Schadensbegrenzung handelt und da- Nichts wäre tragischer für das Europa, das wir wol- mit nur die wieder einmal deutlich gewordene len, als wenn der jetzt begonnene Prozeß auf halbem Schwäche konzeptionellen Denkens in der Außen- Wege steckenbliebe. politik unserer Regierung verdeckt werden soll. Denn anders ist nicht zu verstehen, Herr Minister, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) daß Sie zu Anfang vorbehaltlos dem Vorschlag der Wir werden deshalb der Beschlußempfehlung Kommission folgten, statt sich etwa auf die Seite der nicht zustimmen. Es geht uns um genau diese proze- skandinavischen Länder zu stellen, die schon allein durale Frage, die heute zur Behandlung ansteht. Wir auf Grund der Nachbarschaft zu den baltischen Län- stimmen heute nicht über die Osterweiterung als sol- dern wußten, daß deren Aufteilung auf zwei Grup- che ab. Wir stimmen ab über verschiedene Modelle pen willkürlich und politisch nicht begründbar ist. des Vorgehens und über die Vorstellungen dieses Ähnliches gilt für die Zurücksetzung Rumäniens Parlaments, die es der Regierung für die Verhandlun- und Bulgariens nach dem großen demokratischen gen auf dem Luxemburger Gipfel mit auf den Weg Aufbruch mit den Wahlen vor einem Jahr. gibt. Wir werden die ersten sein, die neue Mitglieder aus Mittel- und Osteuropa begrüßen und ihren Bei- Ähnlich steht es auch um das zweite Element der tritt ratifizieren werden. von der Kommission vorgeschlagenen Verhand- lungsstrategie: die Europa - Konferenz. Zunächst (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sollte sie offensichtlich genau dies darstellen: das sowie bei Abgeordneten der PDS) sich in Vorwegnahme der Beitrittsverhandlungen präsentierende erweiterte Europa, den Rahmen für Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort zu einer die notwendigen Einzelverhandlungen. Durch den Kurzintervention zum Beitrag des Kollegen Lippelt unglückseligen öffentlichen Disput provoziert - an hat die Kollegin Wieczorek-Zeul. dem der Bundeskanzler nicht ganz unschuldig war -, ob die Türkei zu Europa gehöre, drängte die Türkei (SPD): Liebe Kollegin- als eines der am längsten der EU assoziierten Länder Heidemarie Wieczorek-Zeul nen und Kollegen! Ich möchte einen Zungenschlag in diese Konferenz hinein. So wurde diese zu einer des Kollegen Lippelt zum Anlaß nehmen, eine Sache Türkei-Konferenz umfunktioniert. aufzuklären. Es gibt in der Frage des Erweiterungs- Danach erfand die deutsche Diplomatie als Klam- prozesses unterschiedliche Auffassungen - ich nenne mer für die Einzelverhandlungen den Erweiterungs- beispielhaft das Modell „Startlinie" einerseits und ausschuß. Jetzt heißt er „multilaterales Forum"; der andererseits das von der EU-Kommission vorgeschla- endgültige Name ist wohl noch nicht gefunden. Und gene Gruppenmodell der konkreten Verhandlungen so sind wir in der Konfusion von doppelten Konferen- mit fünf mittel- und osteuropäischen Ländern und zen gelandet, von der OSZE und anderen europawei- Zypern. ten Veranstaltungen ganz zu schweigen. Wir haben dazu gestern im Europa-Ausschuß eine Wir schlagen deshalb in unserem Antrag vor, die lange Debatte geführt. Der Vorschlag, der von seiten Bundesregierung möge bei dem Vorschlag einer der CDU/CSU und der F.D.P. vorlag, ließ genau die Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Heidemarie Wieczorek-Zeul I Stelle offen, die am kommenden Wochenende auf Dr. Helmut Haussmann (F.D.P.): Sehr geehrte Frau dem Gipfel der EU - auch ausweislich der Regie- Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es läßt rungserklärung von Bundesaußenminister Kinkel - sich sehr schnell aufklären. Wir haben auch in Pha- zur Entscheidung ansteht. sen, in denen Sie, Herr Lippelt, dem Europaausschuß noch nicht angehört haben, wesentlich dazu beige- Wir waren der Meinung, daß der Deutsche Bun- tragen, daß aus der ursprünglichen rein administrati- destag seine Position in dieser Frage nicht unklar las- ven Konzeption der Europäischen Union, der auch sen kann. Wir haben uns daraufhin, unter Zustim- die Sozialdemokraten sehr stark zugeneigt waren mung von CDU/CSU und auch F.D.P., auf Punkt 3 - übrigens auch Herr Hänsch, wenn ich das an dieser geeinigt. Ich zitiere die entsprechende Passage: Stelle sagen darf -, ein offenes Modell, ein Prozeß- Konkrete Beitrittsverhandlungen sollen mit den modell wurde, das ich für richtig halte. Es ehrt Herrn Kandidaten aufgenommen werden, die die weite- Genscher, daß er eine Position einnimmt, die ur- sten Fortschritte bei der Erfüllung der Kopenha- sprünglich in der Tradition liberaler Ostpolitik stand, gener Kriterien gemacht haben und von der Euro- und zwar in einer Zeit, in der es notwendig war, mit päischen Kommission für eine erste Erweite- Sozialdemokraten gegen Teile der CDU und ohne rungsrunde vorgeschlagen wurden. die Grünen durch die Ostpolitik überhaupt die Vor- aussetzungen für die Erweiterung der Europäischen Die Wahrheit gebietet es, zu sagen, daß es in den Union zu schaffen. Regierungsparteien in dieser Frage völlig unter- schiedliche Auffassungen gab. Ich finde es gut, daß (Beifall bei der F.D.P.) zum Schluß durch die Entscheidung im Europa-Aus- schuß in dieser Frage Klarheit geschaffen worden ist, Das muß man einmal ein bißchen historisch sehen. was der Deutsche Bundestag will. Insgesamt muß man aber natürlich sagen: Die Grü- (Beifall bei der SPD) nen sind europapolitisch reine Trittbrettfahrer. Sie haben dem Vertrag von Maastricht nicht zugestimmt. Der europapolitische Sprecher der Grünen, Sterzing, Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Lippelt bittet hat vor kurzem angekündigt, daß die Grünen der Ra- um das Wort. tifizierung des Vertrages von Amsterdam nicht zu- stimmen werden. Es ist doch ein Witz, meine Damen und Herren, wenn Sie sagen, Sie seien die ersten, die Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): die neuen osteuropäischen Länder persönlich begrü- Ich danke der Frau Kollegin Wieczorek-Zeul für ßen. diese Klarstellung; denn ich hatte keine Zeit dazu, das im Detail vorzutragen. Es wird aber sehr interes (Abg. Christian Sterzing [BÜNDNIS 90/DIE für dieses Haus sein, sich die Beschlußempfeh- GRÜNEN] meldet --santsich zu einer Zwischen lung, vor allem die Ziffer 3, anzusehen und die frage) Ziffer 3 mit der Ziffer 1 zu vergleichen; denn bei den Änderungen ist man nicht so weit gegangen, daß - Frau Präsidentin, ich möchte fortfahren, weil die man die Ziffer 1 entsprechend mitgeändert hätte. Zeit schon sehr weit fortgeschritten ist. Die Widersprüche in der Beschlußempfehlung müß- ten eigentlich für aufmerksame Leser offensichtlich sein. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Sterzing, Sie haben es gehört. Dahinter steckt in der Tat ein ganz ernstes Pro- blem, nämlich daß sehr viele Leute in der CDU und vor allem auch in der Europäischen Volkspartei na- Dr. Helmut Haussmann (F.D.P.): Noch eine Bemer türlich der gleichen Meinung wie das Europaparla- kung zu meiner geschätzten Kollegin von den Sozial- ment waren. Auch Herr Haussmann war immer die- demokraten: Unterlassen Sie es bitte, die wirtschafts- ser Meinung. In einem letzten Einigungsakt hat die politische Debatte zu mißbrauchen, um zu erläutern, SPD-Opposition dann in diesem Falle, was den Vor- was Neoliberalismus ist. Ich sage Ihnen das in aller schlag der Regierung angeht, die F.D.P. ein bißchen Ruhe. Sie sind sonst international wissenschaft- rausgepuscht. Ich weise auf den „Tagesspiegel" hin, lich nicht dialogfähig. Unter Neoliberalismus ver- weil wir darin die Position eines früheren Außenmini- steht man heute, daß sich in der globalen Weltwirt- sters aus der F.D.P. zu diesem Thema sehr genau schaft Wettbewerbsideen und Eigenverantwortlich- nachlesen können. Ich denke, es hat uns als Opposi- keit durchgesetzt haben tion gut angestanden, zu sagen: Wir können die Qua- litäten des anderen Modells weitertragen und unse- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) rer Regierung mit auf den Weg geben. Das habe ich hier heute in meinem Vortrag getan. und daß altmodische, altsozialistische staatliche Mo- delle von der Geschichte inzwischen überholt sind. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU)

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Wir fahren in der Ich will Ihnen einmal ein aktuelles Beispiel nen- Debatte fort. Das Wort hat der Kollege Helmut nen. Es gab eine lange Debatte darüber, wo Toyota Haussmann. sein neues Autowerk ansiedeln wird. Darf ich Ihnen Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Dr. Helmut Haussmann einmal sagen, wo es hinkommt? Es kommt nach zum Beispiel in den Fragen, mit denen sich die Kli- Frankreich - mit 2000 Arbeitsplätzen. makonferenz, die WTO und die ILO beschäftigen - mit einer Stimme für unseren Kontinent sprechen zu (Christian Sterzing [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ können. Es ist der Nachteil der Asiaten und Amerika- NEN]: Ja, eine rot-grüne Regierung, des ner, daß sie in internationalen Verhandlungen nur halb!) Teile ihres Kontinents repräsentieren. Die Osterwei- Der Toyota-Sprecher hat erklärt, Frankreich sei vor terung erhöht die Chance des Kontinents Europa, im Deutschland bevorzugt worden, weil Toyota den Ein- globalen Wettbewerb für eine f riedliche Weltord- druck habe, daß sich die französischen Gewerkschaf- nung und für eine funktionierende Wirtschaftsord- ten gegenüber Toyota im Vergleich zu den deutschen nung verstärkt einzutreten. Gewerkschaften sehr viel flexibler verhielten. Hier (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) gibt es natürlich einen Wettbewerb um Flexibilität und Arbeitsplätze. Erst an dritter Stelle kommen die eigentlichen Be- findlichkeiten. Wie wirkt sich die Erweiterung auf Meine Damen und Herren, ich will zum Thema das alte West-, Mittel- und Südeuropa aus? Hier liegt Osterweiterung zurückkommen und sagen: Für die vor allen wirtschaftlichen Interessen unser besonde- Osterweiterung gibt es drei Gründe. Der erste Grund res Interesse: Mit der Erweiterung der Europäischen sind zunächst einmal die Länder selbst. Union befinden wir uns auf dem Weg zu einer ge- ( Vo r s i t z: Vizepräsidentin Michaela Geiger) samteuropäischen Friedenspolitik, weil mit der Mit- gliedschaft zur Europäischen Union automatisch die Ich bin völlig der Meinung von Herrn Seiters, daß wir Mitgliedschaft in der WEU verbunden ist. Dieser ent- oft nur unter formalistischen Gesichtspunkten und scheidende Gesichtspunkt darf - gerade vor dem unter Finanz- und Kostengesichtspunkten diskutie- Hintergrund der NATO-Erweiterung - nicht verges- ren. Die Erweiterung ist aber vor allem für die neuen sen werden. Länder - ich mag den Begriff Beitrittsländer übrigens nicht, weil ich unter Beitritt etwas völlig anderes ver- Unter wirtschaftlichem Aspekt sollten wir zunächst stehe - entscheidend. einmal zur Kenntnis nehmen, daß wir Westeuropäer im internationalen Vergleich in vielen Bereichen zu Die Osterweiterung wird dazu führen, daß wir uns teuer geworden sind. Insofern verbessert die Oster- verändern müssen - nicht nur die osteuropäischen weiterung die gesamteuropäische Produktivität. Die Länder -, damit ein Gesamteuropa entsteht. Erweiterung bedeutet daher nicht nur eine Hilfe für (Beifall bei der F.D.P.) arme Nachbarn. Sie umfaßt auch die Möglichkeit, daß insbesondere der Mittelstand durch Ausgliede- Diese Länder suchen ihre dauerhafte historische Ein- rung von Produktionszweigen nach Osteuropa seine ordnung. Die Ungarn sagen: Wir wollen zurück; wir Arbeitsplätze in Deutschland und in Westeuropa hal- wollen heim nach Europa. Deshalb stehen zunächst ten kann. - nicht technokratische oder Kostengesichtspunkte im Vordergrund, sondern Fragen der europäischen (Beifall bei der F.D.P.) Identität. Das ist das Entscheidende. Es besteht sogar die große Chance, daß auf Grund (Beifall bei der F.D.P.) der Instabilitäten in Ostasien eine ganze Reihe von bisher in Asien geplanten Investitionen aus Europa Unter dieser Voraussetzung muß sich die Erweite- in Europa, insbesondere in Osteuropa, getätigt wer- rungsphilosophie sensibler nach den Wünschen die- den. Deshalb, lieber Herr Außenminister, sollten wir ser Länder richten. Man muß Rücksicht nehmen und nicht zögerlich sein. Die p rivaten Direktinvestitionen, beachten, wie bestimmte Bemerkungen ankommen. die jetzt verstärkt nach Europa zurückfließen, wer- Man muß offen sein, und man muß insbesondere den den den Erweiterungsprozeß beschleunigen. Darin Ländern mehr Sensibilität und Unterstützung zu- liegt eine ganz große Chance. Es gibt eine Reihe von kommen lassen, die nicht zur ersten Gruppe gehö- Beispielen im Textilbereich, im Bekleidungsbereich ren, damit sich der Zurückweisungsschock, der im und im Computerbereich, die zeigen, daß Investitio- Rahmen der NATO-Erweiterung durch fehlende Sen- nen, die bisher in Asien geplant waren, in Europa sibilität ausgelöst wurde, nicht wiederholt. bleiben. Der zweite Grund: Anstatt eine egozentrische De- Ein weiterer Punkt: die Märkte. 100 Millionen Ver- batte darüber zu führen, wie sich die Erweiterung braucher in Mittel- und Osteuropa stellen mit ihrem auf uns auswirkt, müssen wir die globale Rolle Euro- gewaltigen Nachholbedarf eine große Chance für zu- pas betrachten. Es ist eben schon kurz angeklungen; sätzliche Beschäftigung in Deutschland dar. Deshalb der Außenminister hat es gesagt: Die Europäische warne ich vor einer kurzsichtigen Diskussion über Union ist der einzige supranationale Zusammen- die Nettozahlerposition Deutschlands. schluß, der sich kontinental organisiert. Die NAFTA ist ein nordamerikanischer Zusammenschluß; Merco (Beifall bei der F.D.P.) sur ist ein südamerikanischer Zusammenschluß; ASEAN ist ein südostasiatischer Zusammenschluß. Die Osterweiterung führt dazu, daß die indirekten Handels- und Beschäftigungsvorteile insbesondere Wir müssen im Rahmen der Osterweiterung eine für Deutschland gewaltig ansteigen. Wir werden kontinentale Organisationsform finden, um uns im noch alle Mühe haben, unseren bisherigen Pa rtnern globalen Wettbewerb einen Vorsprung zu verschaf- in der Europäischen Union zu erklären, daß schon fen und um in entscheidenden Fragen der Zukunft - heute fast 50 Prozent aller Wirtschaftsaktivitäten der Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Dr. Helmut Haussmann mittel- und osteuropäischen Länder mit einem Land, Die beitrittswilligen Länder in Osteuropa drängen nämlich mit Deutschland, und nur 50 Prozent mit in die Europäische Union. Sie versprechen sich da- 14 anderen Ländern erfolgen. Es gibt überhaupt von vor allem Vorteile beim Warenaustausch, den keine Region, die im Bereich der wirtschaftlichen Be- Wegfall von Anti-Dumping-Maßnahmen, die Verrin- ziehungen zu Deutschland so starke Wachstumsraten gerung der Transaktionskosten im Handel, den Ex- aufweist wie Mittel- und Osteuropa. port überschüssiger Arbeitskräfte, und sie hoffen auf eine höhere Attraktivität für Direktinvestitionen und Schon heute ist der Warenaustausch unseres Lan- auf die Teilhabe an den EU-Struktur- und Regional- des mit Mittel- und Osteuropa größer als der mit der fonds. NAFTA. Dieser Bereich stellt eine echte und wichtige Beschäftigungsförderung dar. Auch umgekehrt - das Diesen Hoffnungen stehen allerdings hohe Hürden ehrt die deutsche Wirtschaft - nimmt Deutschland und Gefahren gegenüber. Die bestehenden wirt- 40 Prozent aller Exporte aus Mittel- und Osteuropa schaftlichen Ungleichgewichte erfordern nämlich er- ab. Das heißt, der Warenaustausch ist keine Einbahn- hebliche finanzielle Transfers von West- nach Osteu- straße. Deutschland öffnet vielmehr seine Märkte für ropa in der Art des Europäischen Strukturfonds für Mittel- und Osteuropa, auch weil nur so die Devisen die Mittelmeer-Anrainerstaaten Po rtugal, Spanien entstehen, mit deren Hilfe die Osterweiterung finan- und Griechenland. Über die Neu- und Umverteilung ziert werden kann. dieser Ressourcen ist nicht entschieden worden, da sie ein erhebliches Konfliktpotential in sich bergen. Meine Damen und Herren, ich will abschließen und an das anknüpfen, was Herr Kinkel und Herr Eine Gefahr ergibt sich auch aus der Abwande- Seiters gesagt haben. Die Europäische Wirtschafts- rung vor allem qualifizierter Arbeitskräfte aus Osteu- und Währungsunion war die große Chance. Sie tritt ropa in das relativ reichere Westeuropa, das letztlich ein. Sie hat etwas Visionäres. Es besteht die große von dieser Abwanderung durch die Einsparung von Gefahr, daß nach Eintritt in die Europäische Wäh- Ausbildungskosten profitieren würde. Umgekehrt rungsunion der europäische Schwung, die europäi- wirkt sich die Abwanderung gerade qualifizierter Ar- sche Vision, verblaßt. Deshalb ist es so entscheidend, beitskräfte negativ auf die wi rtschaftliche Entwick- daß durch die Osterweiterung ebenfalls eine histori- lung in diesen Ländern aus. sche Weichenstellung für Europa entsteht, die wir Statt dessen - das ist unser wesentlicher Kritik- nicht nur kostenmäßig betrachten, sondern auch punkt an der Form der Erweiterung der Europäi- langfristig sehen. schen Union - wäre ein Weg zur Osterweiterung zu Vielen Dank. beschreiten, der die betreffenden Staaten intensiv in den Integrationsprozeß durch mehr Mitspracherechte (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) einbezieht, ihnen also zunächst einen Status der kon- sultativen Mitgliedschaft einräumt. Wi rtschaftliche Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ich erteile das Kooperation unter den Beitrittskandidaten müßte Wort dem Abgeordneten Manfred Müller, PDS. ebenso intensiviert werden wie eine Öffnung der Märkte der Europäischen Union für Produkte dieser Länder. Manfred Müller (Berlin) (PDS): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! An- (Beifall bei der PDS) fang kommenden Jahres werden Beitrittsverhand- Der Beitrittsprozeß müßte von einem langfristig an- lungen mit fünf osteuropäischen Ländern, und zwar mit Ungarn, Polen, Tschechien, Estland und Slowe- gelegten solidarischen Aufbauprogramm der Euro- nien, sowie mit Zypern aufgenommen. Die Bedin- päischen Union flankiert werden, um vor allem be- gungen für die Aufnahme neuer EU-Mitglieder be- schäftigungspolitische und soziale Roßkuren zu ver- schloß der Rat der Europäischen Union bereits 1993 meiden, die unweigerlich drohen, wenn die Anpas- auf dem Kopenhagener Gipfel. Die Achtung der sungen an die EU-Standards allein dem Markt über- Menschenrechte und die demokratische Verfaßtheit lassen bleiben. gelten als entscheidende Voraussetzungen für die Wenn die europäischen Beitrittskandidaten als Pe- Teilnahme. Deshalb muß der Beitrittswunsch der ripherie und Niedriglohnabteilung mit sehr viel nied- Türkei auch weiterhin zurückgewiesen werden. rigeren sozialen und ökologischen Standards be- Der Beitritt ist aber auch an die Fähigkeit und Be- trachtet werden, dann wird die Erweiterung nicht reitschaft zur Übernahme des Acquis communau- funktionieren. Die Akzeptanz der europäischen Inte- gration wird in diesen Ländern eher sinken; das wird taire, also des gemeinsamen Besitzstandes der Euro- päischen Union, gebunden. Deshalb bleiben die an- zugleich auf die Standards Westeuropas drücken. deren mittel- und osteuropäischen Länder weiterhin Obwohl Vergleiche immer hinken, hätte eigentlich außen vor. Das halten wir für falsch. das heraufziehende Desaster, welches durch den An- passungsschock im eigenen, immer noch reichen (Beifall bei der PDS) Land verursacht wurde, ausreichend Warnung davor sein müssen, die Osterweiterung wiederum allein Von den beitrittswilligen Staaten wird verlangt, ihre den neoliberalen Marktkräften zu überlassen. gesellschaftlichen Strukturen, ihre Rechtssysteme, die marktwirtschaftlichen Funktionen und ihre Poli- Auf die fehlende Erweiterungsfähigkeit der euro- tik an die EU anzupassen. Daraus folgt, daß der Bei- päischen Institutionen haben einige meiner Vorred- trittsprozeß allein von der Europäischen Union be- nerinnen und Vorredner schon deutlich hingewiesen. stimmt wird. Obwohl im Amsterdamer Vertrag auf das Projekt der Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Manfred Müller (Berlin) Währungsunion und der gemeinsamen Währung tiven Buchführung die Entscheidungen zu treffen ha- Euro nicht noch einmal ausdrücklich hingewiesen ben. Wenn man dieser Logik folgt, so haben die Geg- wurde, steht diese Frage weiterhin im Mittelpunkt al- ner unseres Antrags sogar recht, falls sie damit zum ler europapolitischen Debatten. Dies hat das Präsi- Ausdruck bringen wollen, daß eine direkte Beteili- ldium des Deutschen Bundestages ausdrücklich aner- gung des Volkes an einer solchen Farce nicht gebi kannt, indem die Beratung der Beschlußempfehlung ligt werden kann. des Europaausschusses zum Antrag der Gruppe der PDS auf Durchführung einer Volksabstimmung über Was wir allerdings mit unserem Antrag auf Durch- die Teilnahme der Bundesrepublik Deutschland an führung einer Volksabstimmung bezwecken wollen, der vom Maastrichter Vertrag beschlossenen Euro- ist an sich ganz einfach: Das Wahlvolk soll erkennen, päischen Währungsunion und die Ratifizierung des daß König Kohl - pardon, der Bundeskanzler - mit Amsterdamer Vertrages heute mit aufgesetzt worden dem Euro keine neuen Kleider anhat, sondern ei- ist. gentlich nackt vor ihm steht. Mit dem Amsterdamer Vertrag und der Einführung (Beifall bei der PDS - Unruhe bei der CDU/ des Euro werden Weichen gestellt, die künftig das CSU) Leben der Bürgerinnen und Bürger in den einzelnen Die breite gesellschaftliche Debatte, die durch eine Staaten und das Zusammenleben der Völker nach- Volksabstimmung zum Euro und zum Amsterdamer haltig beeinflussen. Das wird in diesem Hause sicher Vertrag ausgelöst würde, hätte alle europäischen Re- niemand bestreiten. gierungen gezwungen, eine tatsächliche europäische Wenn dies so ist, so ist überhaupt nicht einzusehen, politische Integration in Form einer Steuerharmoni- warum die Subjekte dieser Währungsunion in fast al- sierung, einer Angleichung sozialer Mindestandards, len europäischen Ländern weiterhin wie unmündige europäischer Tarifverträge und ökologischer Min- Kinder behandelt werden, denen angeblich eine Ant- deststandards auf den Weg zu bringen. wort auf eine so komplizierte Fragestellung wie die Im Amsterdamer Vertrag wäre dann sicher ein Be- nach Einführung des Euro nicht zugetraut werden schäftigungskapitel vereinbart worden, welches kann. europäische Staaten, die das Ziel der Vollbeschäfti- (Beifall bei der PDS) gung verfehlen, genauso unter Sanktionen stellt, wie das der Stabilitätspakt bei Verstößen gegen die Die Beschlußempfehlung des Europaausschusses 3-Prozent-Grenze bei der Neuverschuldung vor- zu unserem Antrag verschweigt allerdings die wah- sieht. ren Gründe für die Ablehnung unseres Antrages, in- dem behauptet wird, es gebe nach Ratifizierung des Mit anderen Worten: Volksabstimmungen nicht Maastrichter Vertrages 1992 für die Bürgerinnen nur bei uns würden die Regierungen zwingen, die und Bürger Europas nichts mehr zu entscheiden, es einheitliche europäische- Währung erst am Ende ei- komme jetzt allein auf die Einhaltung der im Maas- nes Weges zur politischen Union durchzusetzen, trichter Vertrag enthaltenen monetaristischen Kon- weil sie vorher jede Abstimmung verlieren würden. vergenzkriterien an. (Beifall bei der PDS) Wenn das Parlament heute die Beschlußempfeh- Damit wäre auch die Gefahr gebannt, die mit einem lung annimmt, in dem unser Antrag abgelehnt wird, Scheitern der einheitlichen europäischen Währung so müssen sich alle Abgeordneten fragen, warum mit zwangsläufig verbunden ist. der Ratifizierung des Maastrichter Vertrags der Par- lamentsvorbehalt vereinbart wurde, der uns vorgau- Populisten und Nationalisten vom Schlage eines keln sollte, daß wir noch ein Entscheidungsrecht ha- Haider oder Gauweiler hätten keine Chance für ihre ben. Jetzt zeigt sich, daß wir uns mit der Ratifizierung chauvinistische Propaganda gegen die europäische des Maastrichter Vertrags - auch damals übrigens Integration und für das Heraufbeschwören von Wi rt gegen die Stimmen der PDS-Abgeordneten - und -schaftskriegen in Europa. ohne die von uns auch 1992 beantragte Volksabstim- Wie lange wollen Sie Ihre Märchen von den zusätz- mung zu reinen Erfüllungsgehilfen von europäischen lichen Arbeitsplätzen, die der Euro schafft, noch auf- Buchhaltern und Euro-Statistikern degradiert haben. rechterhalten, wenn selbst das reichste Land auf die- (Beifall bei der PDS - Widerspruch bei der ser Welt, die Schweiz, den Abbau von 13 000 Arbeits- CDU/CSU und der F.D.P.) plätzen in den profitabelsten Banken dieser Welt mit der Vorbereitung auf den härteren Wettbewerb nach - Das haben Sie doch vorhin wieder bestätigt. Einführung des Euro begründet und die Deutsche Damit findet ein gefährlicher Abbau parlamentari- Bank, die Dresdner Bank, die Commerzbank und scher Kontrollrechte statt. Europäische Sachzwänge nicht zuletzt Krupp und Thyssen dies zum Anlaß werden zukünftig unseren Entscheidungsspielraum nehmen, ihre eigenen Euro-Vorbereitungen mit immer weiter einschränken. Fusionsplänen auf Kosten Zigtausender von qualifi- zierten Arbeitsplätzen zu rechtfertigen? (Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [F.D.P.]: Haben Sie mal den Amsterdamer Vertrag Dieses Europa à la Maastricht wollen wir mit unse- gelesen?) rem Antrag auf Durchführung einer Volksabstim- mung verhindern. Wir wollen damit auch verhindern, Der Parlamentsvorbehalt wird zur Farce, wenn allein daß Wirtschaftsminister Rexrodt mit seinem entlar- die Notenbanken und Finanzminister mit ihrer krea venden Spruch von der Wirtschaft, die in der Wirt- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Manfred Müller (Berlin) schaft gemacht wird, am Ende doch noch durch die wendige Aufklärungen bei der Führungsakademie europäische Realität bestätigt wird. vorgenommen werden, wie es der Bundesaußenmi- nister, wie es der Bundesverteidigungsminister auch Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. klar gesagt haben. Sie sollten jedoch zunächst einmal (Beifall bei der PDS) in Ihrem eigenen Bereich für Aufklärung sorgen. Al- les andere, was Sie hier aufgeführt haben, ist peinli- ches Pharisäertum. Vizepräsidentin Michaela Geiger: Zu einer Kurzin- tervention erteile ich dem Abgeordneten Guido We- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - sterwelle, F.D.P., das Wort. Widerspruch bei der SPD)

(F.D.P.): Frau Präsidentin! Dr. Guido Westerwelle Frau Abgeord- Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, ich beziehe mich auf Vizepräsidentin Michaela Geiger: nete Wieczorek-Zeul, bitte zu Ihrer Antwort. die Rede, die Sie heute vormittag gehalten haben. Sie haben den Bundesaußenminister in Ihrer Rede aufgefordert, im Interesse des Ansehens Deutsch- (SPD): Herr Kollege lands und der Bundeswehr im Ausland eine lücken- Heidemarie Wieczorek-Zeul lose Aufklärung der in der Tat unglaublichen Vor- Westerwelle, ich hatte Sie gar nicht angesprochen. gänge um diesen Rechtsradikalen, den Neonazi Roe- Ich hatte gesagt, daß es dem Bundesaußenminister gut angestanden hätte, in einer solchen Debatte - der, durchzuführen. und das kann er ja auch noch tun - zu sagen, daß Sie sind eine Politikerin, die aus Hessen kommt. er alles in seinen Möglichkeiten Stehende unter- Deswegen sind Sie unmittelbar auch für die rot- nimmt, grüne Landesregierung in Hessen in der Verantwor- tung. Deswegen möchte ich Ihnen vorhalten, daß mir (Beifall des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgit eine vorläufige Bescheinigung des Finanzamtes des ter] [SPD]) hessischen Schwalmstadt vorliegt, wonach mit Da tum vom 25. März 1993 dem Verein dieses notori- dazu beizutragen, daß rechtsextremen Entwicklun- schen Neonazis die steuerliche Gemeinnützigkeit gen in der Bundeswehr und in der Bundeswehraka- zuerkannt worden ist. demie wirklich endgültig ein Ende gesetzt wird. (Zurufe von der CDU/CSU: Unglaublich!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der PDS) Erst nach einem Fernsehbericht ( [Köln] [SPD]: Immerhin aber!) Ich sage an dieser Stelle- noch einmal: Es geht doch um das Ansehen unseres Landes, ist diese Gemeinnützigkeitserklärung widerrufen worden. (Zuruf von der CDU/CSU: Das Ansehen Hessens!) Zwischenzeitlich aber ist mit der Gemeinnützig- keitserklärung nach meinen Informationen beim und da ist der Außenminister als allererster gefordert. Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung der Ich hatte auf den konkreten Punkt überhaupt nicht Bundeswehr vorgesprochen worden. Dieser Verein Bezug genommen. Dort, wo es entsprechende Ver- hat die von Ihnen in Ihrer politischen Verantwortung antwortungen gibt, werden sie auch wahrgenom- ausgestellte Bescheinigung benutzt, um zum Beispiel men. Aber er hat seine Verantwortung heute hier die Güter zu bekommen, die dieser Verein niemals nicht wahrgenommen. Er hätte ein Wo rt dazu sagen hätte bekommen dürfen. müssen, denn ich sage Ihnen: Am Wochenende wird er dazu gefragt werden. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Wider Ich möchte deswegen auf etwas aufmerksam ma- spruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.) chen, von dem ich glaube, daß es den Juristen im Hause hinreichend bekannt ist: Wenn eine Gemein- Zitate wie „Bundeswehrakademie wird immer du- nützigkeitsprüfung erfolgt und eine Gemeinnützig- bioser" werden ja auch anderswo gelesen. Das war keitserklärung erteilt wird, wird eine Satzung dieses mein Punkt. Sie haben vielleicht - ich weiß jetzt Vereins vorgelegt. Dieser Verein trägt in der Satzung nicht, ob Sie selbst anwesend waren - gar nicht zu- mit einem Gründungsprotokoll und klaren Unter- gehört und nun an einer ganz falschen Stelle rea- schriften dazu bei, daß jedermann erkennen kann, giert. Vielleicht kann Herr Kinkel selbst ein Wo rt um wes Geistes Kind es sich handelt. Zum zweiten dazu sagen. Er kann es wahrscheinlich sehr viel bes- Vorsitzenden ist Manfred Roeder gewählt worden, ser. und er war auch der Versammlungsleiter dieser (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Gründungsversammlung. Mit dieser Satzung ist die ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Anerkennung der Gemeinnützigkeit beantragt und Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Was ist erteilt worden. denn das für ein unsinniges Thema bei Sie haben zu Recht Mißstände im Bereich der Bun- der Europadebatte? Was soll denn das desregierung kritisiert. Zweifelsohne müssen not Ganze?) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat Da finde ich es wenig hilfreich, wenn die Opposition, jetzt der Abgeordnete Gero Pfennig, CDU/CSU wie in der Vergangenheit zum Beispiel durch den Fraktion. Kollegen Sterzing von den Grünen geschehen, alles nur schlechtzureden versucht. (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Es ist doch unsinnig, dieses Thema bei der Europade Die Wirklichkeit sieht doch anders aus. Alle, die in batte zu erörtern! - Heidemarie Wieczorek den letzten 15 Jahren an der europäischen Einigung Zeul [SPD]: Das hat durchaus mit Europa zu mitgewirkt haben, wissen, und es war ihnen klar, tun! - Weitere Zurufe) daß es ohne die vorausschauende Politik der deut- schen Bundesregierung unter Kanzler Kohl niemals zu diesen Fortschritten in Europa gekommen wäre. (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Dr. Gero Pfennig Wir befinden uns in der Europäischen Union dank Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe nicht den der Bundesregierung auf einem soliden europapoliti- Eindruck, daß wir mit dieser Art der Erörterung von schen Kurs. peinlichen Vorfällen unsere Situation in Europa be- sonders verbessern. Wenn Sie vorhin anderer Meinung waren, Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, dann fragen Sie doch zum (Zuruf von der F.D.P.: Das ist wohl wahr!) Beispiel einmal die Herren Delors oder Gonzalez, wie Wir sollten alle überlegen, wie wir gemeinsam es in den letzten Jahren gelaufen ist. Sie könnten der schnellstmöglich dahin kommen, daß Rechts- und Europapolitik der Bundesregierung ruhig auch ein- Linksextremismus in unseren demokratischen Orga- mal Lob zollen, wie es gelegentlich sogar der Kollege nisationen keine Chance haben. Fischer tut. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Zuruf von der F.D.P.: Wo ist der denn?) Wir beraten heute nicht nur über das Thema, wie Das stünde Ihnen ganz gut zu Gesicht. Sie sollten sich die Bundesregierung bei den in Luxemburg zu sich nicht immer nur Anträgen anschließen, die wir fassenden Beschlüssen über das Erweiterungsverfah- eingebracht haben. ren verhalten soll, sondern wir beraten heute auch in Die heutige Europäische Union hat in ihrer Quali- erster Lesung den Amsterdamer Vertrag, der letzt- tät einen ganz anderen Stand als die EWG Anfang endlich die wesentliche Voraussetzung für das Ver- der 80er Jahre. Einheitliche Akte, Maast richt, Wäh- fahren der Erweiterung der Europäischen Union ist. rungsunion, mehrere Erweiterungen und der Vertrag Ich empfehle nur, solche Vertragswerke - auch wenn von Amsterdam sprechen eine deutliche Sprache. es mühsam ist - gründlich zu prüfen und gründlich Die Europäische Union ist inzwischen eine politische zu beraten. Wie wichtig so etwas ist, hat uns eigent- Union, wenn ihr auch noch eine gemeinsame Vertei- lich die Rede des Abgeordneten Müller vorhin wie- digungspolitik fehlt, die das Europäische Parlament der vor Augen geführt: strotzend vor Ideologie, aber zu Recht angemahnt hat. - ohne Kenntnis der im Maast richter Vertrag getroffe- nen Regelung zur Währungsunion. Diesen Erfolg der gemeinsam mit unseren Partnern und insbesondere mit Frankreich verfolgten deut- (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: So ist es!) schen Europapolitik sollten wir nicht durch Herum- Er sollte da vielleicht noch einmal nachlesen. nörgeln wegen des einen oder anderen immer noch nicht erledigten Punktes in Mißkredit bringen. Viel- Der Amsterdamer Vertrag, den wir hier heute in er- mehr sollten wir unsere Politik darauf konzentrieren, ster Lesung beraten, sollte zuerst an den Erwartun- daß die Europäische Union ihre neuen Kompetenzen gen gemessen werden, die wir selbst hier im Bundes- in Zukunft auch optimal nutzt. tag mit Beschluß vom 7. Dezember 1995 formuliert haben. Wenn wir diesen Maßstab zugrunde legen, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge dann stellen wir fest, daß uns der Vertrag von Am- ordneten der F.D.P.) sterdam ein ganz erhebliches Stück der politischen Die Praxis wird zeigen, welche Verbesserungen Union und ihrer Vollendung nähergebracht hat. der Instrumente und Entscheidungsverfahren und Aus der Perspektive vom Dezember 1995 kann welche Verbesserungen bei der Zusammensetzung man zufrieden sein, denn die vorrangigen Ziele, die der Organe wir noch brauchen, und zwar auch im wir damals formuliert hatten, sind erreicht worden: Hinblick auf die Erweiterung. Erstens. Die Handlungsfähigkeit der Union wurde in Ich will mir zwei Punkte vornehmen, zu denen ich wichtigen Zukunftsthemen erhöht. Zweitens. Der etwas mehr ausführen möchte: erstens Bürgernähe Weg für den Beginn der Erweiterung ist frei. Drittens. und Demokratie und zweitens Erhöhung von Effizi- In den für die Bürger besonders wichtigen Fragen - enz und Handlungsfähigkeit. innere Sicherheit, Beschäftigungs- und Sozialpolitik, Umwelt und parlamentarische Vertretung ihrer Inter- Der Amsterdamer Vertrag kennt zwei große Ge- - wurden deutliche Fortschritte gemacht. winner, nämlich die Unionsbürger und das Europäi- sche Parlament. Die Bürger werden in den Mittel- Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Er- punkt gerückt; ihrer Anliegen und Themen hat sich gebnis sollten wir uns um die Zustimmung der Bür- die Revisionskonferenz in besonderer Weise ange- ger zur Fortsetzung der europäischen Integration nommen. Beschäftigung, innere Sicherheit, Umwelt, bemühen und dafür werben. Subsidiarität, Transparenz und gerichtlich überprüf- (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Richtig!) barer Grundrechtsschutz haben einen neuen und hö- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Dr. Gero Pfennig heren Stellenwert erhalten, so wie es unter anderem beanspruchen als der Bundestag. Deutsche Europa- auch der Deutsche Bundestag gefordert und ge- politik ist für mich jedenfalls nicht die Summe der wünscht hat. Anliegen von 16 Landesexekutiven gegenüber der Europäischen Union. Das Mehr an föderaler Demokratie zeigt sich in der Stärkung des Europäischen Parlaments, die einige (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Mitgliedstaaten in der Vergangenheit noch dezidiert Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das abgelehnt hatten. Das Europäische Parlament erhält sprechen Sie mal mit Ihren Ministerpräsi zusätzliche Mitentscheidungsrechte, erstmalig in denten ab!) acht neuen Fällen, außerdem in 15 bisher schon be- Unsere gesamtstaatlichen Interessen gehen weit dar- stehenden Anwendungsbereichen des Vertrages, über hinaus. Sie zu wahren ist die Aufgabe des vom darunter in so wichtigen Bereichen wie Beschäfti- Bürger gewählten Bundesparlaments, also des Bun- gung, Soziales und Forschung. Darüber hinaus wur- destages und der von ihm gewählten Bundesregie- den seine Rechte bei der Ernennung der Kommission rung. und der Wahl des Kommissionspräsidenten gestärkt. Es hat in vorher nie gekannter Weise an den Ver- Effizienz und Handlungsfähigkeit der Europäi- handlungen zum Amsterdamer Vertrag mitgewirkt, schen Union zu erhöhen war eine der zentralen Auf- und es spielt bei der Ratifizierung von Vertragsände- gaben der Vertragsrevision. Das ist im großen und rungen inzwischen eine entscheidende Rolle, wenn ganzen dadurch gelungen, daß wichtige Gebiete der auch nicht rechtlich, so doch de facto. Eine Ratifizie- Innen- und Justizpolitik vergemeinschaftet und Ge- rung von Verträgen zur Änderung des Vertrages der meinschaftsverfahren eingeführt worden sind. Noch Europäischen Union ist in den meisten der 15 natio- wichtiger ist für mich, daß prinzipiell konkrete Zu- nalen Parlamente ohne eine Rücksichtnahme auf die ständigkeiten der Europäischen Union in diesen Be- Stellungnahme des Europäischen Parlaments über- reichen im Vertrag verankert wurden. Das hat schon haupt nicht mehr denkbar. Das wird sich auch in Zu- jetzt zu entsprechenden Haushaltsrechten des Euro- kunft weiter zeigen. Die Position des Europäischen päischen Parlaments geführt. Mittelfristig wird es Parlaments wird weiter ausgebaut werden. auch zu einem allgemeinen Mitentscheidungs- und Kontrollrecht des Europäischen Parlaments führen, Die jetzt erreichten Fortschritte sind von ihm selbst selbst wenn sich heute noch etliche Regierungen und positiv bewertet worden, und deshalb sind auch pau- nationale Parlamente nicht vorstellen können, daß schale Behauptungen, wie zum Beispiel der Grünen, das Europäische Parlament zum Beispiel in der Ge- über Demokratiedefizite überhaupt nicht nachvoll- setzgebung über Europol mitentscheidet und die par- ziehbar. Sie wirken übrigens gerade von deren Seite lamentarische Kontrolle über diese EU-Behörde aus- nicht besonders glaubhaft, wenn man sich das übt. Stimmverhalten im EP zum Amsterdamer Vertrag an- schaut. Über die Hälfte der deutschen Grünen im Die Ausdehnung der- Mitentscheidungsregel ist Europäischen Parlament sind ausgerechnet dieser nicht in allen Fällen geglückt. Deshalb sieht das Ver- Abstimmung schlicht ferngeblieben. Das scheint mir tragswerk von Amsterdam ausdrücklich vor, daß in doch ein sehr eigenartiges Demokratieverständnis zu diesen Fällen nachgebessert werden muß, insbeson- sein. dere auch in Fragen der Kommissionsgröße und der Stimmengewichtung im Rat. Das wird das wichtigste ( [F.D.P.]: Ja, so sind sie!) Ziel der nächsten Revisionskonferenz sein. Es wäre Im Zusammenhang mit der Rolle des Europäischen nur gut, wenn wir uns rechtzeitig darüber Gedanken Parlaments muß auch etwas zur Rolle des Bundesta- machen würden. Ich halte nichts davon, die Erweite- ges in EU-Angelegenheiten gesagt werden. Wir ha- rungsfrage beispielsweise in einem Junktim mit dem ben durch den Maast richter Vertrag deutlich erwei- institutionellen Reformprojekt zu verknüpfen. Das terte Rechte. In EU-Angelegenheiten wird sowohl im führt leicht zu Blockade. Gleichwohl gilt: Erweite- EU-Ausschuß wie auch in den Fachausschüssen in rung erzeugt Druck für notwendige institutionelle beachtlichem Umfang verhandelt. In wichtigen Fäl- Reformen. len haben wir die Bundesregierung auf den richtigen Ich bin überzeugt, der Amsterdam-Vertrag wird Weg geführt. Das Zusammenspiel von Regierung hier im Bundestag durch die Ausschüsse gründlich und Parlament hat sich insgesamt bewäh rt, weil es beraten werden. Wir sollten die Beratungen so ge- von beiden Seiten mit Vernunft praktiziert wurde. Ich stalten, daß eine Ratifizierung noch vor Ostern 1998 sehe daher keinen Anlaß, jetzt die förmlichen Parla- möglich ist. mentsrechte weiter auszubauen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich sage das hier gerade im Hinblick auf Forderun- gen, die ich von seiten des Bundesrates und der Län- der auf uns zukommen sehe. Mit überzogener Mit- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat der wirkung wird deutsche Europapolitik an Konsistenz, Abgeordnete Norbe rt Wieczorek, SPD-Fraktion. Geradlinigkeit und Durchsetzungskraft verlieren. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was ist Dr. Norbert Wieczorek (SPD): Frau Präsidentin! das denn für ein Politikverständnis? Un Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Sei- glaublich!) ters, ganz kurz: Sie haben ja jetzt gerade Nachhilfe bekommen, was die Außenpolitik und die Europapo- Es kann auch nicht angehen, daß die Bundesländer litik der SPD auf dem Parteitag angeht. Sie sollten deutlich mehr Gestaltungsrechte in der Europapolitik vielleicht einmal darüber nachdenken, ob Ihre Wahr- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Dr. Norbert Wieczorek nehmung, die zwar subjektiv stimmen mag, objektiv den Vertrag zu ratifizieren. Sie hat es aber nicht voll- aber offensichtlich falsch ist, vielleicht damit zu tun ständig getan. Ich glaube, daß dahinter ein bißchen hat, daß Sie sich daran stören, daß wir in der Wi rt mehr steht als nur Verhandlungsgeschick oder -unge- -schaftspolitik den europäischen und den internatio- schick oder ähnliches. Darauf möchte ich hinweisen. nalen Aspekt haben, und daß sowohl Herr Schröder wie auch Herr Lafontaine gesagt haben: Wir können Ich glaube, daß wir insofern in einem geänderten unsere Probleme bei der Bekämpfung der Arbeitslo- europäischen politischen Umfeld leben, als einerseits sigkeit und der Sicherung der sozialen Standards die EU als Selbstverständlichkeit begriffen wird. Um nicht nur allein lösen, sondern müssen sie auch auf so mehr ist man frei, weil es den Druck aus der Tren- diesen Ebenen mitlösen. nung Europas nicht mehr gibt, Eigeninteressen zu verfolgen. Andererseits sind die Haushalte überall in (Beifall bei der SPD) Schwierigkeiten, und jeder sieht darauf, was er be- kommt. Die unsägliche Art, wie bei uns von einigen Ich möchte das nur noch einmal kurz erwähnen. die Nettozahlerdiskussion geführt wird, ist ein deutli- ches Beispiel dafür. Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr Abgeordne- ter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord- (Beifall bei der SPD) neten Seiters. Außerdem leben wir unter dem Druck eines ver- schärften Wettbewerbs. Es ist ja richtig: Wir betrei- Dr. Norbert Wieczorek (SPD): Das geht ja nicht auf ben unseren Außenhandel im wesentlichen in der die Zeit; gerne. EU. Aber es gibt eben auch einen erklecklichen Teil, bei dem wir mit anderen Nationen und Regionen im Wettbewerb sind. Dieser wirkt sich natürlich aus. Rudolf Seiters (CDU/CSU): Wären Sie bitte so lie- benswürdig, meine Ausführungen noch einmal nach- Deswegen glaube ich, daß wir sehr aufpassen müs- zulesen. Ich habe ausdrücklich auf die Reden der sen, daß wir nicht in eine Phase der Renationalisie- beiden potentiellen Kanzlerkandidaten Schröder und rung kommen. Lafontaine Bezug genommen, in denen das Thema Es gibt diese Töne, und es gibt gerade in der Bun- Außenpolitik praktisch nicht vorkommt. desrepublik die Renationalisierung in Form der Re- gionalisierung. Wenn ich mir einige bayerische Vor- Dr. Norbert Wieczorek (SPD): Das ist genau das, schläge ansehe, die Bayerische Staatskanzlei hat ja was ich Ihnen eben gesagt habe. Sie haben offen- uns allen ein Papier geschickt -, dann habe ich meine sichtlich so ein Kästchendenken, daß Sie gar nicht Zweifel, ob das übergeordnete europäische Interesse mehr begreifen, wie sehr Außenpolitik und Europa- - auch bei uns - tatsächlich noch vorhanden ist. Des- politik Wirtschaftspolitik ist. wegen müssen wir auch hier den Anfängen wehren. - (Beifall bei der SPD) (Zustimmung bei der SPD - Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Regionale Strukturpoli Begreifen Sie das endlich! tik! Von dort drüben kam es!) Damit geben Sie mir auch Gelegenheit, zum Am- - Von der regionalen Strukturpolitik hat gestern sterdamer Vertrag zu kommen. Da ist es doch gegen abend beispielsweise Herr Fischler gesprochen. Herr den Widerstand der Koalitionsfraktionen in der Koali- Haussmann, Sie waren doch da. Es ist die Frage: tion gelungen, die Ansätze für den Beschäftigungs- Geht sie nach strengen EU-Regeln? Werden damit gipfel einzubringen. Es ist übrigens auch den sozial- nicht Niveaus angeglichen, die wir nicht angleichen demokratischen Finanzministern zu verdanken, daß wollen, weil das Angleichen nur durch ein Von-un- im Stabilitätspakt steht: Reale Wirtschaftsentwick- ten-Hochziehen, aber nicht durch ein Oben-Draufle- lung und Beschäftigung sind Teil der Stabilitätspro- gen geschehen darf? Oder ist das etwas, bei dem gramme. Nehmen Sie das einmal zur Kenntnis, Herr eine Landesregierung machen kann, was sie will? Seiters; erweitern Sie Ihr Blickfeld! Dies ist im Ursprung der bayerische Ansatz gewesen, (Beifall bei der SPD) Herr Kollege Haussmann. Aber ich will Ihnen das jetzt nicht im einzelnen erzählen. Sie sollten die Pa- Nun aber zum Amsterdamer Vertrag. Ich will nicht piere einmal lesen. auf die Details eingehen. Das haben andere Redner schon getan. Ich möchte nur auf eines hinweisen. Vor dem Hintergrund der Renationalisierung und Amsterdam haben wir vor kurzem noch Maast richt der Regionalisierung müssen wir bei der Erweiterung II, Folgekonferenz Maast richt II genannt. Was wir al- sehr aufpassen. - Ich sage einmal etwas zu dem Kol- les für Worte hatten! legen Lippelt. Das Europäische Parlament hat sich - besonders durch spanische Initiative; übrigens durch Ich möchte an eines anknüpfen, was der Kollege einen Sozialisten, mit dem ich sogar privat befreun- Pfennig eben gesagt hat. Bei Maastricht I ist noch det bin - für das Startlinienverfahren ausgesprochen. ein erheblicher Integrationsfortschritt gelungen, am Könnte es sein, daß die Erweiterung nicht kommt, deutlichsten bei der Währungsunion. Aber die politi- weil das Startlinienverfahren so unpraktikabel ist? sche Union hat nachgehinkt. Hierin ist schon die Ich will das nicht unterstellen. Aber daß Gefahren große Asymmetrie zwischen Wirtschafts- und Wäh- bestehen, will ich schon ganz deutlich machen. rungsunion und politischer Union enthalten. Diese Konferenz sollte genau diesen Schaden beheben. Sie Ich unterstelle gerade dieser genannten Person hat das zum Teil getan. Deshalb bin ich auch dafür, nichts. Aber ich habe spanische Regierungsvertreter Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Dr. Norbert Wieczorek gehört, die sagen: Wir haben natürlich ein etwas an- gien machen. Da geht es dann eben nicht nur um deres Interesse. Denn wir kümmern uns eigentlich Angleichung von Rechtssystemen, sondern auch um zuwenig darum, was beispielsweise an der nordafri- das Funktionieren des Verwaltungssystems, das kanischen Küste passiert und welche Bedrohungs- Funktionieren des Finanzsystems. Ich erinnere nur potentiale von do rt auf uns zukommen. Darüber an die Krise, in der Tschechien steckt. Sie hat sehr sollte der Bundestag einmal reden und nicht nur über viel damit zu tun, daß es da eben nicht ordentlich ge- die baltischen Länder, so we rtvoll sie sind. laufen ist. Dann ist es natürlich die Landwirtschaft, aber es ist auch die Indust rie, und wir müssen darauf (Dr. Karl A. Lamers [Heidelberg] [CDU/ achtgeben, wie wir tatsächlich über Marktbeziehun- CSU]: Wir haben das vor ein paar Jahren gen, aber auch über institutionelle Hilfen da heran- getan!) gehen können. - Ja, Herr Lamers. Ich möchte einmal darauf hinwei- sen. Vielleicht ist es gestattet, in einer solchen De- Ich habe zum Beispiel für ein ganz großes Land, batte auf etwas hinzuweisen, was andere schon wie- das beitreten will, die Sorge, daß es jetzt durch die der vergessen haben. asiatische Krise - die ja für uns scheinbar außen vor ist - sehr betroffen sein wird; denn die großen korea- Deswegen ist für mich im Hinblick auf den Erwei- nischen Investitionen dort im Automobilsektor sind terungsprozeß nicht so sehr die Frage, welches Ver- mehr als gefährdet. Das hat aber direkte Folgen. Das fahren wir anwenden. Ich glaube, wir, also die CDU, hat dann auch Folgen, wenn man Landwirtschafts- die SPD, die F.D.P. und die CSU, haben gestern ge- politik macht und die Arbeitskräfte aus der Landwirt- meinsam das Richtige gefunden. Damit wir uns nicht schaft keine Ersatzarbeitsplätze zum Beispiel in der mißverstehen: Ihren Ansatz, Herr Lippelt, akzeptiere Automobilindustrie finden. ich durchaus, nur halte ich ihn für unpragmatisch. Ich unterstelle Ihnen nicht, daß Sie die Erweiterung (Beifall bei der SPD) nicht wollen. Das ist völlig klar. Da ich einen Automobilwahlkreis vertrete, weiß Aber was heißt denn Erweiterung, Heranführung ich, daß es nicht einfach ist, mit den Kolleginnen und an den Acquis? Ich erinnere mich: Ein spanischer Kollegen in den deutschen Werken zu reden. Aber Freund - das war ein sehr konservativer - hat mir ge- ich bin ein bißchen stolz darauf, daß der Bet riebsrat sagt: Wir sind in die EU eingetreten, wir standen auf in meiner Heimatstadt Rüsselsheim die Existenz ei- der Plattform, waren auf dem Trittbrett des Zuges, nes General-Motors-Werkes in Polen akzeptiert hat und dann hat dieser seine Fahrt beschleunigt. Genau und es nicht als Bedrohung ansieht. Dann gilt es aber an dieser Stelle sind wir auch beim Acquis, aber da- auch, sie in ihrem Bestreben zu unterstützen, ihre so- von redet merkwürdigerweise in der Debatte nie- zialen Standards zu sichern. Auch das gehört zu ei- mand. Wenn wir nächstes Jahr die Währungsunion ner Erweiterungsstrategie. starten, dann ist das ein ganz gehöriges Stück - Acquis. Wenn wir uns ansehen, was in Tschechien (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE schon dieses Jahr mit der Abwertung der Krone pas- GRÜNEN und der PDS) siert ist und was möglicherweise in anderen Ländern Es wird häufig hier so getan, als müßten sich nur noch passieren kann - ich will jetzt bewußt kein die einen ändern. Auch wir müssen uns ändern und Land nennen; wir wissen ja was daraus folgt -, dann achtgeben. müssen wir uns doch überlegen, wie wir in diesem Bereich des Acquis mit diesen Ländern zusammenar- (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: So ist es!) beiten können, ob zum Beispiel das EWS II eine mög- liche Konstruktion ist, ihnen zu helfen, ohne sie in Das gilt, Herr Lippelt, nicht nur für die Fünfer- ein festes Bett hineinzuzwingen, das sie nicht vertra- gruppe, das gilt gerade auch für die, die nicht dabei gen können. sind. Das gilt gerade für ein Land - ich nehme das jetzt einmal heraus, weil ich ein paar Mal mit Ungarn Ich möchte das auch bezüglich der Institutionen sa- und Rumänen darüber sprechen konnte - wie Rumä- gen. Wir können doch nicht einfach über die Institu- nien. Es gilt aber auch für Bulgarien und gilt auch für tionen so reden, als wäre das nicht auch für die wich- die baltischen Länder. Ich mache da keine Unter- tig, die künftig dabei sind. Da sind diese verschiede- schiede. Nur, wenn in einem Land wie Rumänien das nen Konferenzen, Herr Kinkel, ja vielleicht ganz Wort aufkommt, es soll kein „soft cu rtain", kein sanf- nützlich. Aber auch bilateral wird viel geredet. ter Vorhang, wiederkommen, dann ist das sehr nach- Ich glaube, wir müssen einen Weg finden, tatsäch- denkenswert. lich auch zu überlegen, wie das denn paßt. Ich ge- Wenn ich dann gleichzeitig von der ungarischen höre nicht zu denen, die sagen, daß die Institutionen Regierung höre, sie will das natürlich auch nicht und unbedingt geregelt sein müßten, bevor der erste bei- zu Recht nicht, weil nach langem Bestreben beide tritt, weil das nämlich für jeden eine Bremse ist, der Regierungen aufeinander zugegangen sind - das den Beitritt eigentlich nicht will und nur Lippenbe- war doch vor ein paar Jahren noch ganz anders, auch kenntnisse abgibt. Aber ebenso klar muß sein, daß wegen der ungarischen Minderheit, die ja sehr groß die institutionelle Reform so sein muß, daß alle beitre- ist -, dann ist es um so mehr unsere Aufgabe, dafür ten können. zu sorgen, daß nicht nur darüber geredet wird, son- Dann ist für mich jenseits des Verfahrens - das ha- dern daß gerade in diese Länder - wir reden etwas ben wir ja beschlossen und wird nun auch so kom- mehr über die baltischen Länder, deswegen erwähne men - die Frage, wie wir konkret die Beitrittsstrate ich die anderen besonders - Mittel gesteckt werden. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Dr. Norbert Wieczorek Ich bin sehr froh, daß, wenn ich richtig informiert Das Entscheidende ist: Wir müssen anschließend ge- bin, im Rat der Vorschlag existiert, den ich im Aus- meinsam, gleich, in welcher Rolle wir uns wiederfin- schuß ein paarmal gemacht habe - das ist natürlich den, diese Präsidentschaft zum Erfolg führen. Es nicht mein Erfolg, das will ich nicht sagen, sondern geht nicht nur darum, welche Verfahren wir anwen- ich bin froh, daß auch andere die Idee hatten -, daß den, sondern auch darum, wie konkret die Erweite- die Europäische Investitionsbank jetzt immerhin rung, institutionelle Reformen und andere Vorhaben 3,5 Milliarden für Investitionsprojekte in genau die- vorangebracht werden. Dazu gehört übrigens auch sen Ländern bereitstellt. die Frage, wie die Europäische Politische Union wei- terentwickelt wird, damit die Währungsunion nicht Meinen bayerischen CSU-Kollegen möchte ich sa- nackt im Raum stehenbleibt. Das würde sie auf die gen: Wenn Rumänien seinen Schwarzmeerhafen or- Dauer nicht überleben. dentlich aufbauen kann, wird das gerade für Bayern mit dem Rhein-Main-Donau-Kanal ganz interessant Ich danke sehr. sein, auch für die Deggendorfer Werft; die hat dann auch ein paar Aufträge mehr, als sie jetzt schon hat; (Beifall bei der SPD und der PDS) es ist ja gut ausgestattet. Es ist also auch in ihrem In- teresse, das mitzumachen. Das ist aber mit Ihrer Art der Nettozahlerdiskussion - ich sage es noch einmal Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat - nicht zu machen. jetzt der Abgeordnete Ch ristian Sterzing, Bündnis 90/ Die Grünen. Jetzt möchte ich aber zu einem letzten Punkt kom- men. Wenn das alles im Realen eine Rolle spielt, dann möchte ich daran erinnern, daß die Bundesre- publik Deutschland in etwa einem Jahr, genau am Christian Sterzing (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 1. Januar, die Präsidentschaft der EU übernimmt. Bei Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor dieser Präsidentschaft sollten wir in einer Frühphase mehr als zweieinhalb Jahren haben wir uns zum er- der realen Verhandlungen zur Erweiterung der EU stenmal in diesem Parlament mit der Regierungs- so viel wie möglich von dem erledigen, was zu erledi- konferenz beschäftigt, die damals noch bevorstand. gen ist. Das ist ein konkreter Ansatz für die institutio- Der Debatte - das möchte ich hier betonen - lag nelle Reform. Das ist die Festlegung der Finanzie- eine Große Anfrage unserer Fraktion zugrunde. Wir rung und dabei die Reform der Strukturpolitiken und 'haben damals die Initiative ergriffen. Wir wollten der Landwirtschaftspolitiken. Das muß in dieser Zeit damit zum Ausdruck bringen, daß wir uns zur Inte- geschehen, weil das ja dann die Frühphase der Ver- gration Europas als einer elementaren Aufgabe handlungen ist. Die Frage, was für ein Acquis sich und Verpflichtung unserer Politik bekennen, im herausstellt, ist doch dann um so wichtiger, damit die Rahmen unserer Außenpolitik der Selbstbeschrän- Verhandlungen zügig fortgeführt werden können. kung und Selbstverpflichtung- auch der EU einen Das wird die Aufgabe der deutschen Präsidentschaft ganz zentralen Stellenwert geben und angesichts sein. der Krise, in der sich der Integrationsprozeß befin- det, grundlegende Reformen für dringend notwen- Deswegen fordere ich die Bundesregierung auf, dig halten. sehr darauf zu achten, daß wir 1998 wegen der Kon- tinuität in der Europapolitik gemeinsam vorbereiten Wir haben deshalb in den vergangenen Jahren in und klären, was die Prioritäten der deutschen Präsi einer ganzen Reihe von Anträgen sowohl hier im Ple- dentschaft im ersten Halbjahr 1999 sind. num als auch in den Ausschüssen unsere Reformvor- stellungen dargelegt. Wir haben gesagt, wie wir uns eine Demokratisierung der Institutionen, einen Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr Abgeordne- Grundrechtskatalog, Reformen zur Beschäftigungs- ter, Ihre Redezeit ist längst zu Ende. Bitte kommen und Umweltpolitik, die Gemeinsame Außen- und Si- Sie zum Schluß. cherheitspolitik und die Vorbereitung der Erweite- rung der EU vorstellen. Bei der Lektüre all dieser konstruktiven Beiträge zur Reformdiskussion werden Dr. Norbert Wieczorek (SPD): Ich hatte mit der Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, sicherlich we- Fraktion vereinbart, eine Minute länger reden zu der utopische Forderungen noch irgendwelche Zwei- dürfen. Ich komme aber mit diesem Punkt auch fel an der Notwendigkeit der Integration finden, son- gleich zum Schluß. dern vielmehr realitätstaugliche Vorschläge für kon- Ich halte es für ganz zentral, daß wir nicht unvor- krete Reformschritte, die ja durchaus auch von ande- bereitet die Präsidentschaft übernehmen. Eine rich- ren Mitgliedsländern unterstützt wurden. Wir haben tige Vorbereitung setzt aber eine breite Zustimmung damit unsere Vision eines demokratischen, sozialen in diesem Haus voraus. und ökologischen Europa in Vorschläge umgesetzt, die schrittweise realisiert werden könnten. Ich rede nicht darüber, wer die Wahl gewinnen wird. Darüber streiten wir uns genug. Ich bin sicher, Immer häufiger versuchen nun politische Kräfte daß wir gewinnen werden; Sie sind sicher, daß Sie die teilweise sicherlich berechtigte Kritik an der gewinnen werden. Union zu nutzen, um darauf ihr nationalistisches oder auch regionalistisches Süppchen zu kochen. Deshalb (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wir gewinnen stand man in Amsterdam auch vor der Aufgabe, ge- die Wahl!) rade durch eine Überwindung des demokratischen Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Christian Sterzing Defizits in der EU eine breitere Akzeptanz in der Be- Drittens. Was die Gemeinsame Außen- und Sicher- völkerung zu sichern. heitspolitik betrifft, so ist in Amsterdam die Militari- sierung durch die Aufnahme der Petersberg-Aufga- (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Dann müs ben in den Vertrag bis hin zu militärischen Kampfein- sen Sie bei der Ratifizierung mitmachen!) sätzen und durch die Vereinbarung einer rüstungs- Die immer wieder aufgeworfene Frage, ob die in politischen Zusammenarbeit weiter vorangetrieben Amsterdam erzielten Fortschritte ausreichend sind, worden. Statt dessen hätte man die EU als Zivilmacht greift meiner Meinung nach zu kurz. Das läuft auf und das Instrumentarium für eine zivile Außenpolitik die unsinnige Frage hinaus, ob das Glas Wasser halb- und für eine zivile Konfliktbearbeitung stärken kön- voll oder halbleer ist. Herr Kollege Haussmann, Sie nen. Da hat der Amsterdamer Vertrag falsche Wei- wissen auch, daß die Beantwortung dieser Frage chenstellungen vorgenommen, die wir politisch ab- eher Auskunft über den Betrachter gibt, nämlich dar- lehnen, auch wenn wir nicht verkennen, daß es in über, ob er ein Optimist oder ein Pessimist ist, als anderen Bereichen Fortschritte gibt. über den Inhalt des Glases. Viertens. Dies ist ein komplexes und auch sehr wi- (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Sie sind dersprüchliches Vertragswerk, das in einem sehr Pessimist, ich bin Optimist!) komplizierten multilateralen Verhandlungsprozeß zustande gekommen ist. Doch einzelne nationale Re- Insofern ist auch der Hinweis auf das alte Bild, daß gierungen sind durchaus nicht ohne Einfluß. Das gilt der Integrationsprozeß wie ein Fahrrad sei, das in Be- gerade für die Bundesregierung. In Amsterdam hat wegung gehalten werden muß, damit es nicht um- gerade sie eine weitere demokratische Vergemein- fällt, in diesem Falle nicht griffig. Wir müssen uns schaftung zum Beispiel bei der Einwanderungs- und vielmehr fragen: Fährt dieses Fahrrad in die richtige Asylpolitik verhindert, die notwendige Ausweitung Richtung? von Mehrheitsentscheidungen im Rat blockiert und auch die Ausweitung in anderen Gemeinschaftspoli- (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Grüner tiken wie zum Beispiel der Beschäftigungspolitik er- Eiertanz ist das hier!) heblich erschwert. Das wird von uns mit Fug und Recht bezweifelt. Kritik am Amsterdamer Vertrag bedeutet deshalb Trotz aller partiellen Fortschritte im Vertrag von Am- auch Kritik an der Bundesregierung. Diese Bundes- sterdam, die wir ja auch nicht leugnen, müssen wir regierung ist stolz darauf, vermeintliche nationale In- feststellen, daß in Amsterdam in zentralen Bereichen teressen in Amsterdam vehement und erfolgreich die Weichen nach unserer Überzeugung in die fal- verteidigt zu haben. Aber die Europapolitik ist damit sche Richtung gestellt worden sind. britischer geworden. Darauf kann man nicht stolz Lassen Sie mich hier vier Bereiche nennen: sein. Das bedeutet vielmehr: Die Bremser des Inte- grationsprozesses sitzen- nicht in der Regierung in Erstens. Die Bundesregierung hat sich - wie auch London, sondern in der Regierung in Bonn. heute wieder - gleich nach Abschluß der Regie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rungskonferenz beeilt, das Europäische Parlament und bei der SPD) als Gewinner der Konferenz auszurufen. Aber eine genauere Analyse des Vertragswerkes zeigt doch, daß der Rat in Amsterdam im Gesamtgefüge der In- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr Abgeordne- stitutionen mehr an neuen Kompetenzen erhalten hat ter, die Redezeit ist zu Ende. Bitte sprechen Sie nur als das Europäische Parlament. Damit ist die Schere noch einen letzten Satz. zwischen der Kompetenzübertragung auf die euro- päische Ebene auf der einen Seite und den Kontroll- Christian Sterzing (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): und Gestaltungsrechten des Europäischen Parla- Ich denke, daß diese Feststellungen für uns eine Her- ments auf der anderen Seite weiter auseinanderge- ausforderung bedeuten, weiter an Konzepten für die gangen. Damit hat sich in Amsterdam das Demokra- Reform und die Vorantreibung dieses Integrations- tiedefizit tatsächlich weiter vergrößert. prozesses zu arbeiten. Es gibt keine Alte rnative zum Zweitens. Die politische Selbstenteignung der Par- europäischen Integrationsprozeß. Aber wir wollen lamente und die schleichende Entdemokratisierung deutlich machen, daß es eine Alternative zur Integra- nehmen durchaus zu; denn die Zusammenarbeit tion à la Kohl und Kinkel gibt. zwischen den Regierungen wurde gestärkt und hat Vielen Dank. erheblich an Bedeutung gewonnen. Am deutlichsten wird dies bei den sogenannten Rahmenbeschlüssen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur polizeilichen und justitiellen Zusammenarbeit. sowie bei Abgeordneten der PDS) Was an völkerrechtlichen Abkommen in diesem Be- reich bislang noch einem Ratifikationsverfahren Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ich erteile jetzt durch die nationalen Parlamente unterlag, wird jetzt der Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarren- ohne entscheidenden Einfluß der Parlamente gere- berger, F.D.P.-Fraktion, das Wort. gelt. Hier wurde für die Effizienz der Rechtsetzung ein Stück demokratisch-parlamentarische Mitbestim- mung geopfert. Verstärkung der Regierungszusam- Sabine Leutheusser - Schnarrenberger (F.D.P.): menarbeit statt Demokratisierung: Das ist eine wei- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr tere falsche Weichenstellung von Amsterdam. Sterzing, die entscheidende Aussage in Ihrer Rede Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hätte sein müssen, wie sich die Fraktion der Grünen res Ziel für Europa - das ist meiner Meinung nach im- jetzt letztendlich zu Beginn der Beratungen der Rati- mer noch der europäische Bundesstaat - nicht aus fikation dieses Gesetzentwurfes zum Vertrag von den Augen verlieren will. Dazu brauchen wir den Amsterdam verhalten wird. Vertrag von Amsterdam, der eine erste Revision des Vertrages von Maastricht darstellt. Deshalb ist diese (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und Debatte - das klang heute morgen an - mehr als eine der CDU/CSU) beliebige Debatte zu einigen tagespolitisch aktuellen Ich habe Ihren Worten Bedenken, erhebliche Kritik, Fragen, die sich auf Europa beziehen. Vielmehr ist ja, die Auffassung, daß mit dem Vertrag von Amster- sie der Beginn einer sehr zügigen, einer sehr konzen- dam angeblich eine ganz falsche Weichenstellung trierten und sehr wichtigen parlamentarischen Bef as vorgenommen wird, entnommen. sung mit dem Vertrag von Amsterdam. (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Ja, was (Vorsitz : Vizepräsident Hans-Ulrich Klose) denn nun?) Es ist wichtig, daß über den Vertrag von Amster- Dann kann am Ende ja nur Ihr klares Nein zum Ver- dam ein breiter Konsens besteht, der dann auch in trag von Amsterdam stehen. die Bundesländer ausstrahlen kann. Auch Sie haben Ich kann für die F.D.P.-Bundestagsfraktion nur er- es ja angesprochen, daß es mindestens in einem Bun- klären: Wir werden nach sorgfältiger Analyse und desland recht ausgeprägte Tendenzen zur Regionali- Prüfung dem Vertrag von Amsterdam zustimmen, sierung, vielleicht sogar zu einer Abkoppelung von dem europäischen Integrationsprozeß gibt. Einer sol- (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Natürlich!) chen Tendenz muß doch der Deutsche Bundestag mit auch wenn wir nicht verkennen, daß es wünschens- einem klaren und überzeugenden Ja zu dem Schwer- wert gewesen wäre, ein Mehr an institutionellen Re- punkt einer europäischen Integration begegnen, und formen schon in diesem Vertragswerk zu vereinba- wir müssen auch konzedieren, daß das mit der Über- ren. Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, in tragung von Souveränitätsrechten an Europa einher- Verhandlungen - auch in denen, die jetzt, am Ende gehen wird. des Jahres, beginnen - konkrete Vorschläge vorzule- Die F.D.P.-Bundestagsfraktion verhehlt nicht, daß gen - auch in bezug auf einen Zeitplan - dahin ge- wir uns in manchen Punkten mehr gewünscht hätten, hend, wie dieser Intergrationsprozeß, der mit dem und wir sagen auch ganz deutlich, daß uns die bishe- Vertrag von Amsterdam weiter beschritten wird, fo rt rige Haltung der Bundesregierung, die in bezug auf -gesetzt werden kann. Aber wenn man sich dazu be- die Agenda 2000 noch nicht abgestimmt ist, in der kennt, muß man diesen Schritt - auch wenn es sich jetzigen Form überhaupt nicht ausreicht. dabei in den Augen mancher nur um einen kleinen Schritt handelt; aber er ist unserer Meinung nach ein (Beifall der Abg. Heidemarie Wieczorek - Schritt, der in die richtige Richtung führt - auch tun. Zeul [SPD]) Eine Ablehnung des Vertages von Amsterdam Wir fordern, daß man sich nicht damit begnügt, das, würde wirklich einen Stillstand bedeuten, würde ein was dort genannt wird, pauschal abzulehnen, wie es Zurückschreiten bedeuten, würde bedeuten, daß die gestern im Europaausschuß der zuständige Landwirt- Verbesserungen, die im Vertrag vereinbart worden schaftsminister getan hat. sind - gerade was die Stellung des Europäischen Par- laments betrifft -, nicht kommen werden. Das wäre (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: So ist es!) nicht nur ein Rückschritt für den Integrationsprozeß Vielmehr erwarten wir, daß konstruktive Vorschläge Europas. Vielmehr würde das ja erst recht die Erwei- vorgelegt werden, daß man sich in der Bundesregie- terungsprozesse behindern. Wir Liberale sagen: Er- rung untereinander abstimmt und uns, dem Parla- weiterung und Vertiefung bedingen einander. Der ment, sagt, wie man denn diesen Prozeß gestalten Erweiterungsprozeß wird einen sehr wirkungsvollen will. Dann können wir dazu entweder sagen: Ja, das und auch notwendigen Druck in Richtung auf not- unterstützen wir, oder wir sagen: Wir müssen als Par- wendige institutionelle Reformen ausüben. Die lament noch mehr Druck auf die Bundesregierung Rechte des Parlaments, das mit dem Vertrag von ausüben. Maastricht in seiner Stellung gestärkt worden ist, müssen weiter ausgebaut werden. Wir wollen das (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Mitentscheidungsverfahren natürlich in allen Berei- ten der SPD) chen, auch bei der dritten Säule, einführen. Gerade da, wo es keine Vergemeinschaftung gibt, wollen wir So verstehen wir unsere Position und unsere Hal- mehr Mehrheitsentscheidungen und eine parallele tung. Mitentscheidungskompetenz des Europäischen Par- laments. Wenn wir den ersten Schritt jetzt nicht tun, Wir verkennen überhaupt nicht, daß es schwierige werden wir den zweiten - vielleicht werden es auch Anpassungsprozesse gerade da gibt, wo marktwirt- noch mehr - auch nicht tun. schaftliche Strukturen in einem bisher überwiegend subventionsbestimmten Bereich eingeführt werden Deswegen muß am Schluß einer sorgfältigen Ab- sollen. Aber gerade deshalb sagen wir: Im Rahmen wägung zwischen den Fortschritten und den Defizi- der Erweiterung als derzeit wesentliche und ent- ten - sie sind eindeutig vorhanden - des Vertrages scheidende Herausforderung müssen wir erkennen, von Amsterdam ein Ja zu diesem Vertrag stehen, daß die Europapolitik so, wie sie derzeit im Agrarbe- auch und gerade dann, wenn man ein etwas visionä reich praktiziert wird, auf ein von uns gewolltes grö- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ßer werdendes Europa nicht übertragen werden reine Kostensenkungspolitik und als Lohndumping kann. politik zu betreiben ist nicht unsere Sache. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der SPD) ten der PDS - Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Wir sind hier im Parlament und Deshalb müssen wir uns diesen Fragen stellen und nicht in der Wirtschaft!) um vernünftige Lösungen und Regelungen ringen. Wir dürfen nicht sagen: Jetzt warten wir erst einmal Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen, daß ab, schauen wir mal, es wird sich schon irgendwie er- viele Menschen in Deutschland der einheitlichen geben. Denn dann wird es zu einem Auseinander europäischen Währung durchaus skeptisch gegen- driften und zu einem Auseinanderentwickeln kom- überstehen. Wir wissen aber auch, daß die Menschen men. nicht gegen Europa und eigentlich auch nicht gegen eine einheitliche europäische Währung sind, son- Wir Liberalen bekennen uns ganz klar zu diesem dern daß es Reden wie Ihre sind, Herr Haussmann, Integrationskonzept in der Europapolitik. Wir sagen die die Menschen dazu bringen, Europa skeptisch auch ganz klar: Die deutsche Europapolitik darf nicht gegenüberzustehen, die sie immer wieder den Ein- britisch werden. druck gewinnen lassen, daß die Bundesregierung Vielen Dank. und Redner wie Sie nichts anderes im Sinn haben, als Europa dafür zu mißbrauchen, in Deutschland So- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne zialabbau durchzusetzen, ten der CDU/CSU - Dr. Norbe rt Wieczorek [SPD]: Welches Britannien meinen Sie: das (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Na! Na!) alte oder das neue?) in Deutschland Umweltstandards kaputtzumachen und in Deutschland eine Kostensenkungspolitik ge- gen die Menschen zu betreiben. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Kollege Uwe Hiksch, SPD. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der PDS) Uwe Hiksch (SPD): Herr Präsident! Liebe Kollegin- Deshalb wollen wir deutlich machen, daß Europa nen und Kollegen! Der Deutsche Bundestag hat 1992 eine Chance darstellt, die genutzt werden muß, eine mit großer Mehrheit dem Vertrag von Maast richt und Chance, die den Menschen die Möglichkeit gibt, von der Einführung einer einheitlichen europäischen Europa Vorteile zu haben. Währung zugestimmt. Diese Entscheidung war, wenn die SPD-Bundestagsfraktion auch andere (Beifall der Abg. Anke Fuchs [Köln] [SPD]) Schwerpunktsetzungen im Bereich der Konvergen- Die SPD weiß, daß -die einheitliche europäische zen, im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitikge- Währung ein zentraler Bestandteil eines fortschrittli- wünscht und für notwendig empfunden hat, ein rich- chen europäischen Projektes sein muß und auch sein tiger und notwendiger Schritt. kann, weil damit die Vollendung des Binnenmarktes Europa ist ein Prozeß. In Europa müssen viele vorangebracht werden kann. Wir wissen aber auch, Meine Schritte in die richtige Richtung gegangen daß die Entwicklung im Bereich der Währungspolitik werden. Deshalb begrüßt die SPD-Bundestagsfrak- und die Beschäftigungsentwicklung und Beschäfti- tion, daß es mit Art. 153 des Vertrages von Amster- gungspolitik zusammengebracht werden müssen dam gelungen ist, die Europäische Union und ihre und zusammen diskutiert werden müssen. Deshalb Mitgliedstaaten auf ein hohes Niveau des Verbrau- will die SPD-Bundestagsfraktion, daß neben der Dis- cherinnen- und Verbraucherschutzes zu verpflich- kussion um die Ökonomie auch die Fragen, die Sor- ten. gen und die Nöte der Menschen diskutiert werden und daß die Politik den Menschen eine Antwort gibt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der PDS) (Beifall bei der SPD) Damit ist es erstmals gelungen, daß Bürgerinnen und Nur, wir müssen feststellen: Verbraucherinnen- Bürger auf europäischer Ebene ein Recht auf Infor- und Verbraucherpolitik gibt es für die jetzige Bun- mation, auf Aufklärung und Bildung von Verbrau- desregierung nicht. cherinnen- und Verbrauchervereinigungen haben, (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Was?) um ihre Interessen wahrzunehmen. Wir müssen feststellen, daß die Bundesregierung in Denn, Herr Haussmann, wir begreifen Wirtschafts- keiner Weise ein Konzept entwickelt hat, wie die In- politik völlig anders als Sie. teressen von Verbraucherinnen und Verbrauchern (Ina Albowitz [F.D.P.]: Das merkt man!) ausreichend berücksichtigt und in den Diskussions- prozeß eingebracht werden können. Wir müssen Wir verstehen Wirtschaftspolitik auch als Verbrau- auch feststellen, daß sich die jetzige Bundesregie- cherinnen- und Verbraucherpolitik rung in die eigene Tasche lügt, (Beifall bei der SPD und der PDS) (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sehr wahr!) und sind der Überzeugung, daß beides eine Einheit wenn sie glaubt, daß Verbraucherinnen und Ver darstellt. Wirtschaftspolitik so, wie Sie es fordern, als braucher als Individuen darauf Einfluß nehmen Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Uwe Hiksch könnten, wer die anfallenden Kosten der einheitli- oder Gebühren an die Verbraucherinnen und Ver- chen europäischen Währung bezahlt und wie sie auf- braucher weitergeben können. Wir wollen schon in gebracht werden. der Anfangsphase erreichen, daß möglichst viele staatliche Leistungen in D-Mark und Euro ausge- Wir möchten auch kritisch anmerken, daß das, was druckt werden. der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels in einer Presseerklärung geschrieben hat, absolut rich- Die Umstellung auf den Euro ist für viele Men- tig ist. Ich zitiere: schen ein integrativer und ein intensiver Prozeß, weil die Währung D-Mark für die Menschen eine alltägli- Kundenvertrauen und Kundenbindungen wer- che Erfahrung ist, von der sie nicht so gerne Ab- den entscheidend davon abhängen, wie die An- schied nehmen. Wenn wir es nicht schaffen, Verbrau- bieter von Waren und Dienstleistungen den Um- cherinnen- und Verbraucherinteressen in den Mittel- stellungsprozeß kundenfreundlich bekleiden. punkt der Diskussion zu stellen, wenn wir es nicht Wir weisen aber darauf hin, daß wir dann als SPD schaffen, deutlich zu machen, daß es darum gehen nicht verstehen können, daß sich der Hauptverband muß, die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht des Deutschen Einzelhandels gemeinsam mit der jet- ins Abseits zu stellen - wie es die jetzige Bundesre- zigen Bundesregierung gegen die doppelte Preis- gierung macht -, sondern in den Mittelpunkt der auszeichnung ausspricht. Dadurch werden unseres Politik, dann werden sich die Verbraucherinnen und Erachtens die Bedenken, die die Menschen haben, Verbraucher eventuell verweigern. bestätigt und sogar noch bestärkt. Die SPD forde rt die Bundesregierung auf, ihre billi- Die Menschen im Lande wissen nämlich ganz ge- gen Werbekampagnen zu lassen und endlich zu nau, daß bei der Umstellung der Währung Kosten einer Informationspolitik überzugehen, die den Men- entstehen. Sie wissen, daß die Gefahr besteht, daß schen sagt, was auf sie zukommt, und die den Men- stille und verdeckte Preiserhöhungen zur Abwälzung schen sagt, daß es möglich ist, die Kosten nicht an der Kosten allein auf die Verbraucherinnen und Ver- die Endverbraucher weiterzugeben, sondern an die- braucher stattfinden werden. Die Menschen wissen jenigen, die diese zu tragen haben, nämlich die je- genau, daß die Banken und Wirtschaftsverbände weiligen Institutionen. überlegen, ob sie die Kosten für die Währungsum- Danke schön. stellung an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergeben können. Und die Menschen wissen, daß (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne durchaus heimliche Preiserhöhungen bei sogenann- ten der PDS) ten Schwellenpreisen drohen. Deshalb forde rt die SPD, so etwas aufzufangen. Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Das Wort hat der Kollege Christian Schmidt, CDU/CSU. Die SPD unterstützt eindeutig die von der Arbeits- - gemeinschaft der Verbraucherverbände geforderte doppelte Preisauszeichnung, und zwar als Verpflich- Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU): Herr Präsi- tung. Wir sind der Meinung, daß die Arbeitsgemein- dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die schaft der Verbraucherverbände recht hat, wenn sie Spannweite des Amsterdamer Vertrages wird deut- fordert, daß die Angabe der Preise in alter Währung, lich, wenn ich mich nun zur gemeinsamen Außen- also in D-Mark, und in neuer, also in Euro, für minde- und Sicherheitspolitik äußere und nicht auf die Frage stens ein halbes Jahr vor und nach der Einführung der Preisauszeichnung eingehe. Zeitweise hatte ich des Euros verpflichtend vorgeschrieben werden den Eindruck, daß für diese Debatte Schulungsmate- sollte. rial der Gewerkschaft verwendet wurde. Wir unterstützen auch die Forderung von (Zuruf des Abg. Uwe Hiksch [SPD]) Bündnis 90/Die Grünen, eine Verpflichtung zur dop- pelten Preisauszeichnung für alle wirtschaftlich Täti- - Mag ja sein. gen und für alle Produkte und Dienstleistungen vor- zusehen. Dies ist eine Forderung, die unterstützt Ich will nicht die gesamte Debatte kommentieren, wird und auch richtig ist. aber zu den Vorträgen der Grünen darf ich, sehr ver- ehrter Herr Kollege Sterzing, sagen: (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Sehr büro kratisch!) (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Eiertänze!) Kolleginnen und Kollegen, wir wollen gemeinsam Sehr schlau wird man aus Ihrer Position nicht. Sie durchsetzen, daß die Kosten der Umstellung nicht an hört sich etwa so an: Mögen hätte ich schon gewollt, die Verbraucher weitergegeben und damit abge- nur dürfen habe ich mich nicht getraut. Wenn ich wälzt werden dürfen. Herrn Lippelt und Sie höre, dann ist mir nicht ganz klar, was denn die Position der Grünen eigentlich ist. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Man Ich hoffe, Sie erkennen, daß es beim Amsterdamer fred Müller [Berlin] [PDS]) Vertrag natürlich nicht um eine Militarisierung geht, sondern um eine realistische, notwendige Ergänzung Wir wollen verhindern, daß es die Europäische Union in der Außen- und Sicherheitspolitik, und daß deswe- möglich macht - es handelt sich nicht um eine Wäh- gen das Votum Ihrer Fraktion zustimmend sein wird. rungsreform, sondern um eine Währungsumstel- lung - daß Banken, Versicherungen oder die öffent- Der Kollege Wieczorek ist gerade nicht im Raum. liche Hand diese Umstellung der Währung als Kosten Aber ich muß doch noch einmal zur Regionalisierung Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Christian Schmidt (Fürth) und zur Renationalisierung etwas sagen. Daß es ein fühlt. Aber wir sagen ja zur Osterweiterung und auch Bundesland gibt - Frau Kollegin Leutheusser-Schnar- zur Übertragung von Kompetenzen im außen- und si renberger, aus dem wir beide stammen -, das mit ei- cherheitspolitischen Bereich. Im Gegenteil geht es ner hervorragenden Administration und Politik die nämlich um die Frage, ob Europa als außen- und si europäische Komponente auf Landesebene durchaus cherheitspolitischer Faktor überhaupt noch wahrge durchleuchtet, beachtet und in Anspruch nimmt, das nommen wird. mag uns manchmal auf Bonner Ebene nicht so recht gefallen; aber es ist das gute Recht. Dies sollte auch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU aus Münchener Sicht getan werden. und der F.D.P.) Ich halte es auch für notwendig, daß wir bei der Europa wird auch aus einem anderen Grund nicht Reorganisation der Förderpolitik der Europäischen umhinkommen, sich zu formieren, nämlich sozusa- Union durchaus regionale Komponenten einbauen. gen als atlantisches Widerlager zu den USA. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Sehr gut!) Das geht von der Ausdehnung der De-minimis-Rege- Im übrigen ist dies auch im besten Sinne der USA. lung über die Neufestlegung von Förderzielen und Wir bemerken bei manchen Politikern jenseits des regionale Spielräume, die natürlich nicht wieder ei- Atlantiks eine gewisse Tendenz, sich nach dem Un- nen Subventionswettbewerb auslösen dürfen - da tergang der Sowjetunion und der noch nicht endgül- sind wir uns einig - bis zur Agrarpolitik. Ich glaube, tigen Etablierung Chinas als Welt- und Supermacht daß das ein sehr konstruktiver Ansatz ist. nach den Umbrüchen des letzten Jahrzehnts in Europa in wichtigen Fragen eine Art Allein- und Frau Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger, ich Letztentscheidungskompetenz zuzubilligen. stimme Ihnen in einem Punkt zu: Die Beurteilung der Agenda 2000 durch die Bundesregierung und die (Zuruf von der SPD: Was soll denn das?) entsprechende Verhandlungsposition sind noch nicht Dies mag - und ist es sicherlich - in manchen Berei- endgültig nachvollziehbar und festgelegt. Ich bin der chen der Bedeutung und der Größe des Landes an- Meinung, daß wir an den Bereich der Agrarpolitik, gemessen sein. In anderen Bereichen verkennt aber aber gerade auch an ihn, und an den der Finanzver- diese Position die Komplexität der Realität der inter- fassung kritisch, aber konstruktiv herangehen müs- nationalen Beziehungen. sen. Allein zu sagen, wir seien damit nicht zufrieden, wird unsere Verhandlungsposition in Brüssel nicht Wir Europäer wollen und müssen in unserem eige- sehr stark machen. Ich lade herzlich zum Dialog mit nen Interesse mitreden. Europäische Positionen kön- Bayern und dem Bund darüber ein. Ich glaube, wir nen gegenüber unseren amerikanischen Partne rn kommen dabei angesichts der Vorschläge der CSU nur glaubhaft dargelegt und durchgesetzt werden, immer zu guten Ergebnissen. wenn wir eine nachvollziehbare- europäische Antwort geben. Dies forde rt den europäischen Staaten einiges Nun wollen wir uns aber der Außen- und Sicher- ab, mehr, als dies manche in der Außen- und Sicher- heitspolitik, einem anderen wichtigen Thema, zu- heitspolitik bisher zu geben bereit gewesen sind. wenden, das angesichts der Globalisierung oft über- sehen wird. Das mag auch in manchen Reden auf (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Auch den Parteitagen so gewesen sein. Jedenfalls ist die Glo- Bundesländern forde rt es einiges ab!) balisierung nicht allein ein Phänomen der Kommuni- Es gelang in Amsterdam leider nicht, die Entwick- kationstechnologie oder des Wi rtschaftslebens. Der lung des Verhältnisses zwischen der Europäischen stabilisierende Charakter größerer Einheiten wird im Union und der Westeuropäischen Union entschei- nächsten Jahrhundert an Bedeutung gewinnen. Grö- dend voranzutreiben. Wir sind zwar ein Stück voran- ßere Einheiten werden unverzichtbar sein, um Stabi- gekommen. Aber im Zusammenhang mit der Frage - lität zu erhalten. Dies bedeutet, daß die Europäer darüber ist heute schon gesprochen worden - „Ist eine solche regionale Einheit auch in der Außen- und das Glas halb leer oder halb voll?" sollte man sich in Sicherheitspolitik darstellen müssen. bezug auf Amsterdam auf ein altes Prinzip der Kirche Das Axiom „Stabilität durch Integration" gilt eben- zurückziehen: Man sollte Europa nicht als einen Bau falls für Mittel- und Osteuropa. Vaclav Havel hat mit verstehen, der einmal fertiggestellt und dann nie ver- seiner These recht, daß der Osten den Westen desta- ändert wird, sondern man sollte Europa analog einer bilisiert, wenn dieser nicht mithilft, den Osten zu sta- ecclesia semper reformanda verstehen. bilisieren. Deswegen ist die Osterweiterung aus au- (Zurufe von der SPD: Oh! - ßen- und sicherheitspolitischer Sicht unverzichtbar. [CDU/CSU]: Sehr gut!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Herr Präsident, ich weiß nicht, ob es zulässig ist, in und der F.D.P.) Fremdsprachen zu sprechen. Ich bin gerne bereit, für Die Idee der Einigung Europas ist die Idee seiner die Kollegen der SPD die Übersetzung zu liefern. dauerhaften Bef riedung. Mit Blick auf das 21. Jahr- ( [SPD]: Das können wir zur Not hundert haben wir zum ersten Mal die Chance, eine auch selber!) wirkliche Friedensordnung zu schaffen. All dies be- deutet nicht zwangsläufig die Aufgabe nationaler Dieser kirchennahen Menschen durchaus be- Souveränität, der sich gerade auch meine Partei kannte Terminus der ecclesia semper reformanda schon von ihrem Selbstverständnis her verpflichtet läßt sich schon übertragen, wenn wir zeitgemäße Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Christian Schmidt (Fürth) Antworten finden wollen. Das heißt, daß wir die Ver- lichkeit gibt, im europäischen Diskussionsprozeß da- teidigungskomponente, die WEU und die Peters- beizusein. berg-Aufgaben, in den nächsten Jahren Stück für Stück in eine Konzeption einbauen müssen, und' (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU zwar in einem stärkeren Maße, als dies vielleicht und der F.D.P.) noch vor einigen Jahren gesehen worden ist. Wenn wir in Europa künftig ein höheres Maß an Ich will noch ein Weiteres sagen. Die Wirtschafts- Lasten und Verantwortung tragen müssen, dann be- und Währungsunion, die uns im nächsten Jahr ins deutet das für uns, daß wir einem dieser Schritte, ei- Haus steht, wird uns in außenpolitische Zwänge ver- nem dieser Bausteine, nämlich dem Amsterdamer setzen. Sie wird die Frage nach der Glaubwürdigkeit Vertrag - natürlich nach gehöriger Beratung, Kollege der europäischen Integration stellen. Das Kernele- Pfennig -, zustimmen werden, und zwar aus guter ment Währungsunion wird danach rufen, daß es ein Überzeugung. Wir sagen andererseits, daß das noch Gegenstück im Bereich der außen- und sicherheits- nicht das letzte Wo rt im Rahmen der europäischen politischen Integration findet. Möglicherweise ist das Integration sein kann. Wir warten auf weitere manchem noch gar nicht so recht klargeworden. Zu Schritte und ermuntern die Bundesregierung, auf dieser Feststellung kommt man angesichts der Tatsa- dem von ihr eingeschlagenen Weg voranzugehen. che, daß manche ausschließlich über Fragen der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Währungsunion sprechen. Es gibt - Gott sei Dank - auch Zeichen einer kei- Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Das Wort hat menden europäischen Sicherheitsidentität. Dazu Herr Bundesminister Professor Schmidt - Jortzig. muß ich aber bemerken: Wer die nun 18 statt 11 Arti- kel, die sich mit der Frage der Außen- und Sicher-

heitspolitik beschäftigen, im neu durchnumerierten Dr. Edzard Schmidt - Jortzig, Bundesminister der Vertrag liest, der kann eine gewisse terminologische Justiz: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Überfrachtung nicht verkennen: die gemeinsame Bitte gestatten Sie mir, daß ich den Blick von den europäische Verteidigung- und Sicherheitsidentität, weit gespannten Bögen der Europapolitik und von die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und den Visionen oder zumindest Zwischenzielen noch anderes. Vielleicht wären ein paar Termini weniger einmal auf zwei konkrete Punkte lenke, die heute und ein paar Aktionen mehr besser für die weitere auf unserer umfangreichen Tagesordnung stehen. Entwicklung der Europäischen Union. Ich glaube, daß man hier ebenfalls, Herr Kollege Schmidt, christliches Kulturgut bemühen sollte. Ich komme zurück zum Mächtegeflecht der Zu- Denn es steht geschrieben: An ihren Werken sollt ihr kunft zwischen Amerika, Europa, Rußland und sie erkennen. China. Wir müssen als Europäer auch in bezug auf - die Beziehungen zu China handlungsfähig sein. Wo (Beifall bei Abgeordneten der SPD) bleibt eine konstruktive europäische Chinapolitik und eine Zentralasienpolitik, also eine europäische Wir haben hier immerhin zwei Werke, die Sie bitte Konzertierung? zur Kenntnis nehmen und die ich Ihnen noch einmal vorführen möchte. An diesen Werken wird sich das (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Vertrauen entwickeln müssen, ohne daß Europa bzw. und der F.D.P.) die europäische Integration nicht auskommen kön- nen. Es ist vor diesem Hintergrund sehr bedauerlich, daß Frankreich nicht in die integrierte Kommando- Vertrauen kann nicht ohne Rechtssicherheit be- struktur der NATO als einem wesentlichen sicher- stehen. Deswegen wird die Rechtssicherheit insbe- heitspolitischen Element innerhalb der europäischen sondere durch den Entwurf des Euro-Einführungs- Integration zurückgekehrt ist. Mit der Begründung, gesetzes, der Ihnen heute vorliegt, angestrebt. Dieses daß die Neuverteilung der Verantwortlichkeiten zwi- Gesetz schafft in der Bundesrepublik Deutschland schen Amerikanern und Europäern in der künftigen die rechtlichen Voraussetzungen für eine reibungs- Kommandostruktur bisher ungenügend ausgefallen lose Einführung der neuen Währung zum 1. Januar ist, hat Frankreich seine Rückkehr leider auf die 1999. Ziel ist es, in der dann beginnenden Über- lange Bank geschoben. Bei dieser Position dürfen un- gangszeit, also bis zum 1. Januar 2002, die deutsche sere französischen Nachbarn nicht stehenbleiben. Rechtsordnung für den Euro zu öffnen. Wir sollten von unserer Seite aus dazu beitragen, daß ihnen der Weg in eine gemeinsame integrierte Si- Jeder Private - das ist das Prinzip - soll schon in cherheitsstruktur geebnet wird, bestehend aus Euro- diesem Zeitkorridor den Euro frei nutzen können, päischer Union und Westeuropäischer Union als ohne dazu gezwungen zu sein. Es besteht also kein starker europäischer Komponente, aber auch der Zwang, aber die Möglichkeit. So können beispiels- Nato mit einer möglichst großen, letztendlich voll- weise neue Aktiengesellschaften bereits auf der Ba- ständigen Identität der Mitglieder dieser Organisa- sis des Euro gegründet und das Kapital bestehender tionen. Aktiengesellschaften auf den Euro umgestellt wer- den. Jahresabschlüsse können wahlweise in Euro Nebenbei bemerkt: Das wird uns dazu führen, daß oder D-Mark aufgestellt werden. Schuldverschrei- wir die Türkei nicht völlig außen vor lassen können. bungen des Bundes werden auf den Euro umgestellt. Ich begrüße deswegen ausdrücklich die nun vorge- Andere öffentliche und private Emittenten können schlagene Europakonferenz, die der Türkei die Mög ihre Schuldtitel auf den Euro umstellen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dies alles trägt dazu bei, die deutsche Wirtschaft Lassen Sie mich noch einen Punkt aus der jetzt für den europäischen Wettbewerb fit zu machen. Da- konkret vorliegenden europapolitischen Ergebnis- mit Unternehmen und Bürger die Möglichkeit nutzen welle aufgreifen: Die stabile Rechtsordnung ist ge- können, vom Euro Gebrauch zu machen, sind diese nauso Grundlage für das Vertrauen in einen Staat Regelungen möglichst flexibel und kostengünstig. wie in das heranwachsende europäische Gemeinwe- sen. Deswegen ist es Sinn des Vertrages von Amster- (Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD] dam, die durch die europäischen Verträge vorberei- meldet sich zu einer Zwischenfrage) tete Rechtsordnung zu schaffen. Dies gilt insbeson- Außerdem gewährleistet der Gesetzentwurf - liebe dere im Bereich der Justiz- und Innenpolitik, der zu- Frau Wieczorek-Zeul, lassen Sie mich das noch zu dem für das Vertrauen der europäischen Bürger von Ende bringen -, daß als Ersatz für den Diskontsatz zentraler Bedeutung ist. der Bundesbank, auf den viele Vorschriften und Ver- Erstens. Die justitielle Zusammenarbeit in Zivilsa- träge verweisen, eine neue Bezugsgröße zur Verfü- chen wird in die Kompetenz der Gemeinschaft über- gung steht. Dies wird notwendig, sobald die wäh- nommen. Den Menschen, die immer mehr von ihrer rungspolitische Kompetenz auf die europäische Freizügigkeit Gebrauch machen, soll in alltäglichen Ebene übergeht. Angelegenheiten ein einheitlicher Rechtsraum zur Verfügung gestellt werden.

Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Bitte, Frau Wie- Zweitens. In Strafsachen bleibt die justitielle Zu- czorek - Zeul. sammenarbeit zwar auf der Ebene der Regierungszu- sammenarbeit, also außerhalb originärer Gemein- Heidemarie Wieczorek -Zeul (SPD): Herr Minister, schaftszuständigkeiten; sie wird aber im Anwen- mein Kollege Uwe Hiksch hat ja vorhin einige Forde- dungsbereich präzisiert und durch die Rahmenbe- rungen aus dem Bereich des Verbraucher- und Ver- schlüsse, die man mit Richtlinien vergleichen kann, braucherinnenschutzes genannt. Weil ein solches in den Instrumenten verbessert. Damit sind die Vor- Gesetz vor allen Dingen bei den Verbrauchern Ver- aussetzungen verbessert, um insbesondere die inter- trauen schaffen so ll, möchte ich Sie fragen, ob in ein national organisierte Kriminalität auf europäischer solches Gesetz nicht diejenigen Bedingungen und Ebene wirksam zu bekämpfen. Forderungen zum Vorteil der Verbraucher aufge- nommen werden sollten, die Uwe Hiksch hier ange- Drittens. Weil weiterhin Einstimmigkeit erforder- sprochen hat? Sie wissen, daß andere Nachbarländer, lich ist, wird die Rechtsangleichung auch in den zum Beispiel Österreich, ein solches Gesetz erarbei- nächsten Jahren nicht einfach sein. Allerdings öffnet ten. Ein Euro-Einführungsgesetz sollte Punkte ent- der Vertrag von Amsterdam die Perspektive eines halten, die im Interesse der Verbraucher besonders Übergangs zu Mehrheitsentscheidungen. Aber schon wichtig sind. Sie sollten dies noch einmal bedenken; vor Ablauf der Übergangsfrist werden wir mit Ent- denn das Werk, was jetzt vorliegt, ist ein Paragra- schiedenheit dafür einzutreten haben, daß alle Chan- phenwust, mit dem Sie nicht das Vertrauen der Ver- cen des Vertrages im Interesse der Menschen genutzt braucher und Verbraucherinnen gewinnen können. werden. Ich bitte Sie sehr darum, beide Gesetzesvorhaben,

Dr. Edzard Schmidt - Jortzig, Bundesminister der mit denen europäische - europarechtliche - Schritte Justiz: Frau Kollegin, dieses Gesetz bringt das techni- in unsere Ordnung integriert werden, mit großer sche Instrumentarium auf den Weg, mit dem man Mehrheit zu verabschieden. Die Menschen warten diese Umstellung vollzieht. Wie sich dann - hier liegt darauf. Wir können nur mit überzeugenden Rechts- der grundsätzliche Unterschied zwischen den ver- vorschriften, mit der Gewährung von Rechtssicher- schiedenen Strömungen in diesem Haus - der Markt heit das dringend notwendige Vertrauen, die Zuver- in der Praxis darauf einstellt, ist freigestellt. Es ist nie- sicht, die europäische Gesinnung für dieses unser mandem untersagt, etwa die Kosten für die Umstel- Europa, für diesen alten Kontinent, gewinnen. lung selbst zu tragen und nicht auf die Verbraucher abzuwälzen. Manche Branchen haben bereits aus- Vielen Dank. drücklich angekündigt, daß sie dies tun werden. An- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) dere werden möglicherweise versuchen, sie abzu- wälzen; aber das muß der Markt richten. Wir wollen eben mit diesem Instrumenta rium einen europawei- Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Darf ich um et- ten Markt und damit auch Konkurrenzdruck schaf- was mehr Ruhe bitten, insbesondere auf der von mir aus gesehenen rechten Seite des Plenarsaals. fen. Wenn die Nachbarländer das alles anders re- geln, also den Kostendruck von dem Verbraucher Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Stübgen, nehmen, dann bin ich sicher, daß sich auch die deut- CDU/CSU. sche Wirtschaft dem nicht verschließen wird. Meine Damen und Herren, nachdem auch der Michael Stübgen (CDU/CSU): Herr Präsident! Bundesrat keine grundlegenden Einwendungen Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte, appelliere ich an Sie, diesen Entwurf zügig zu möchte am Schluß der Debatte einige Ausführungen beraten. Wirtschaft und Bevölkerung brauchen Klar- über einen Teil des Amsterdamer Vertrags machen, heit und Rechtssicherheit, um sich optimal auf den der bisher noch nicht übermäßig intensiv diskutiert Euro vorbereiten zu können. Der vorliegende Gesetz- wurde, deshalb aber nicht von minderer politischer entwurf schafft diese Klarheit. Bedeutung ist: über die Zusammenarbeit in der In- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Michael Stübgen nen - und Justizpolitik, den sogenannten dritten Pfei- Es handelt sich hierbei im wesentlichen um drei ler. Mit Blick auf die Komplexität dieser Thematik Dinge: und die vielen erfreulichen Änderungen im Amster- damer Vertrag in diesem Bereich ist es nahezu un- Erstens. Das Europäische Polizeiamt soll in natio- möglich, auch nur annähernd ausreichend in der mir nalen und internationalen Expertenteams, die spezi- zur Verfügung stehenden Zeit auf die Thematik ein- fische Ermittlungsarbeiten vorbereiten, mitarbeiten zugehen. Ich will es trotzdem versuchen. können. Zweitens. Europol soll sich mit der Bitte um den Zum ersten: Ich glaube, folgendes ist wohl jedem Beginn von Ermittlungen bei speziellen Fällen und klar: Wenn die Europäische Union ihr erklärtes Ziel, Straftaten an die Mitgliedstaaten wenden können, mehr Sicherheit für die Bürger in Europa zu ermögli- das heißt, selber die Ermittlung und Verfolgung von chen, erreichen will, dann muß sie flexibler und ent- Straftätern initiieren können. scheidungsstärker werden. Dabei handelt es sich bei der Zusammenarbeit im Bereich der Innen- und Ju- Drittens. Die Europol-Beamten sollen ihre Fach- stizpolitik um besonders sensible Felder, und die na- kenntnisse den Behörden der EU-Mitgliedsländer, tionalen Vorbehalte sind besonders stark auch in der insbesondere bei Fällen organisierter Kriminalität, Bundesrepublik Deutschland. zur Verfügung stellen können.

Wir konnten eine weitgehende Vergemeinschaf- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge tung nicht erreichen, aber beispielsweise das Instru- ordneten der F.D.P.) ment der Übergangsfristen ist ein Schritt in die rich- Die Regelungen im Amsterdamer Vertrag auf dem tige Richtung. Leider kann ich aus Zeitgründen nicht Gebiet der Innen- und Justizpolitik werden selbstver- weiter auf diesen Bereich eingehen. ständlich nicht von allein zur sofortigen Lösung der Sicherheitsprobleme in Europa führen. Die Rege- Von herausragender Bedeutung ist meiner An- lungen im Amsterdamer Vertrag reichen auch noch sicht nach auch die neue Regelung der sogenann- nicht aus, aber die Richtung stimmt. Es geht darum, ten verstärkten Zusammenarbeit. Wir haben diese institutionelle Hemmnisse abzubauen und die Ver- Frage vor Beginn und während der Maast richt-II- brechensbekämpfung in Europa effizienter zu gestal- Verhandlungen unter den Stichworten Flexibilität ten für mehr Sicherheit für die Bürger in Europa. und flexible oder progressive Integration auch im Bundestag oft diskutiert. Wir müssen allerdings im Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Vollzug des Vertrages sehen, inwieweit das vorge- sehene Vetorecht für einzelne Staaten - das hätte (Beifall bei der CDU/CSU) zwangsläufig die einstimmige Beschlußfassung im Rat zur Folge - dazu führen kann, daß diese Rege- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich schließe die lung zuwenig angewandt wird und wir später nach Aussprache. - steuern müssen. Es ist beantragt worden, den Entschließungsantrag Ein besonderer Erfolg des Amsterdamer Vertrages der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/9396 zu ist die erweiterte Zuständigkeit des Europäischen überweisen, und zwar zur federführenden Beratung Gerichtshofes, die sich an der vom Deutschen Bun- an den Ausschuß für die Angelegenheiten der Euro- destag maßgeblich beeinflußten Europolregelung im päischen Union und zur Mitberatung an den Finanz- Auslegungsprotokollgesetz orientiert. Jeder Mit- ausschuß, den Haushaltsausschuß, den Ausschuß für gliedsstaat kann durch Unterzeichnung des Vertra- Wirtschaft, den Ausschuß für Ernährung, Landwirt- ges von Amsterdam oder durch eine zu jedem späte- schaft und Forsten, den Ausschuß für Arbeit und So- ren Zeitpunkt abgegebene Erklärung die Zuständig- zialordnung und den Ausschuß für Umwelt, Natur- keit des Gerichtshofes für eine Vorabentscheidung schutz und Reaktorsicherheit. Sind Sie damit einver- auch in den Bereichen der Innenpolitik anerkennen. standen? - Das scheint der Fall zu sein. Dann ist das Dies gilt sowohl für den vergemeinschafteten Bereich so beschlossen. als auch für den Bereich der dritten Säule. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen Das Ziel, Schengen vollständig in den Gemein- auf den Drucksachen 13/9339, 13/9347, 13/9375, 13/ schaftsbereich zu integrieren, ist sehr zu begrüßen; 9373, 13/9374 und 13/9379 an die in der Tagesord- allerdings wird die praktische Umsetzung dieses Vor- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. habens im Amsterdamer Vertrag noch viele. techni- Der Gesetzentwurf zum Vertrag von Amsterdam sche Probleme aufwerfen, die wir schnellstmöglich auf Drucksache 13/9339 soll zusätzlich dem Aus- regeln müssen. schuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- heit überwiesen werden. Sind Sie auch damit einver- Meine sehr verehrten Damen und Herren, Euro- standen? - Das ist der Fall. Dann sind die Überwei- pol, das Europäische Polizeiamt, ist und bleibt das sungen so beschlossen. Kernstück zur Prävention bzw. Verfolgung von Straf- taten. Nach Inkrafttreten der Europol-Konvention - Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be- ich rechne im kommenden Frühjahr damit - soll Eu- schlußempfehlung des Ausschusses für die Angele- ropol schrittweise mit neuen Befugnissen ausgestat- genheiten der Europäischen Union zu dem Antrag tet werden. Europol soll in den nächsten fünf Jahren der Gruppe der PDS zur Durchführung einer Volks- mit sogenannten operativen Befugnissen ausgestat- abstimmung zur Europäischen Währungsunion und tet werden. zur Überprüfung und Revision des Vertrages über Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose die Europäische Union, Drucksache 13/9332. Der Wir kommen jetzt zur ersten nament lichen Abstim- Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/ mung. Sie benötigen Ihren Stimmausweis mit der 7307 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluß- Farbe weiß. empfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlußempfehlung ist gegen die Stimmen der Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der PDS mit den Stimmen des Hauses im übrigen ange- CDU/CSU und F.D.P. auf Zurückweisung des Ein- nommen. spruchs des Bundesrates gegen das Gesetz zur Re- form der gesetzlichen Rentenversicherung; das ist Erste Beschlußempfehlung des Ausschusses für die die Drucksache 13/9381. Angelegenheiten der Europäischen Union zur Vor- lage der Europäischen Union „Agenda 2000", Druck- Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, sache 13/9418. Wer stimmt für diese Beschlußemp- die vorgesehenen Plätze einzunehmen. fehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koali- Sind alle Urnen besetzt? - Das scheint der Fall zu tionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die sein. Dann eröffne ich die Abstimmung. - Stimmen der PDS bei Stimmenthaltung von Bünd- Darf ich fragen, ob noch ein Mitglied des Hauses nis 90/Die Grünen angenommen. anwesend ist, das seine Stimmkarte nicht eingewor- fen hat. - Ich sehe niemanden mehr. Dann gehe ich Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 a und 5 b auf: davon aus, daß alle ihre Stimmkarten eingeworfen haben. Ich schließe die Abstimmung und bitte die a) Beratung des Antrags der Fraktionen der Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das CDU/CSU und F.D.P. Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später be- Zurückweisung des Einspruchs des Bundes- kanntgegeben. rates gegen das Gesetz zur Reform der ge- Wir setzen die Abstimmungen fo rt . - Darf ich Sie setzlichen Rentenversicherung (Rentenre- bitten, wenigstens den Innenraum frei zu machen, formgesetz 1999 - RRG 1999) damit ich den Überblick über das Geschehen be- - Drucksachen 13/9324, 13/9381 - halte. - Wir kommen zur zweiten namentlichen Ab- stimmung: Abstimmung über den Antrag der Frak- b) Beratung des Antrags der Fraktionen der tionen der CDU/CSU und F.D.P. auf Zurückweisung CDU/CSU und F.D.P. des Einspruchs des Bundesrates gegen das Gesetz Zurückweisung des Einspruchs des Bundes- zur erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kin- rates gegen das Gesetz zur erbrechtlichen der; das ist die Drucksache 13/9382. Sie benötigen Gleichstellung nichtehelicher Kinder (Erb- jetzt Ihren Stimmausweis mit der Farbe rosa. rechtsgleichstellungsgesetz - ErbGleichG) Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, - Drucksachen 13/9328, 13/9382 - die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Darf ich um ein Zeichen bitten, ob alle Urnen besetzt sind. - Ich Es ist jeweils namentliche Abstimmung verlangt. gehe davon aus, daß alle Urnen besetzt sind. Dann Nach Art . 77 Abs. 4 des Grundgesetzes ist für die eröffne ich die Abstimmung. - Zurückweisung eines Einspruchs des Bundesrates Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimm- die Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundes- karte abgegeben? - Ich höre keinen Widerspruch. tages erforderlich; das sind mindestens 337 Stimmen. Dann schließe ich die Abstimmung. Wer den Einspruch zurückweisen will, muß mit Ja Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu stimmen. Sie benötigen außer Ihren Stimmkarten beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen auch Ihre Stimmausweise in den Farben weiß und später bekanntgegeben.*) rosa. Die Farbe des zu verwendenden Stimmauswei- ses werde ich bei den jeweiligen Abstimmungen be- Ich darf darum bitten, vor dem Aufruf des nächsten kanntgeben. Tagesordnungspunktes wenigstens den Innenraum freizugeben. Die Stimmausweise können Sie, soweit noch nicht geschehen, Ihrem Stimmkartenfach entnehmen. Bevor wir in der Tagesordnung fortfahren, gebe ich Bitte achten Sie darauf, daß Stimmkarten und Stimm- das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ausweise Ihren Namen tragen. Es ist nötig, dies stän- ermittelte Ergebnis der ersten namentlichen Abstim- dig zu wiederholen, weil es immer wieder falsch ge- mung bekannt. Dabei ging es um die Zurückweisung macht wird. des Einspruchs des Bundesrates gegen das Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung, Bevor Sie Ihre Stimmkarte in die Urne werfen, Drucksache 13/9381. übergeben Sie bitte den jeweiligen Stimmausweis ei- nem der Schriftführer an der Urne. Abgegebene Stimmausweise 646, abgegebene Die Schriftführerinnen und Schriftführer bitte ich, Stimmen 646. Mit Ja haben 341 gestimmt, mit Nein darauf zu achten, daß Stimmkarten nur von Kollegin- haben 305 gestimmt. Der Antrag ist angenommen. nen und Kollegen in die Urnen geworfen werden (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) dürfen, die vorher ihren Stimmausweis in der richti- gen Farbe abgegeben haben. *) Seite 19144 C Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Endgültiges Ergebnis Dr. Heiner Geißler Dr. (München) Michael Glos Abgegebene Stimmen: 646; Wilma Glücklich Herbert Lattmann Dr. davon Dr. Reinhard Göhner Dr. Paul Laufs Franz Romer ja: 341 Peter Götz Karl-Josef Laumann Hannelore Rönsch Dr. Wolfgang Götzer (Wiesbaden) nein: 305 Joachim Gres Werner Lensing Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Kurt-Dieter Grill Dr. Klaus Rose Wolfgang Gröbl Peter Letzgus Kurt J. Rossmanith Ja Hermann Gröhe Editha Limbach Adolf Roth (Gießen) Claus-Peter Grotz Walter Link (Diepholz) Norbert Röttgen Eduard Lintner Dr. Christian Ruck CDU/CSU Horst Günther (Duisburg) Dr. Klaus W. Lippold Volker Rühe Carl-Detlev Freiherr von (Offenbach) Dr. Jürgen Rüttgers Hammerstein Dr. Manfred Lischewski Roland Sauer (Stuttga rt) Wolfgang Lohmann Ortrun Schätzle (Großhennersdorf) (Lüdenscheid) Dr. Wolfgang Schäuble Jürgen Augustinowitz Julius Louven Hartmut Schauerte Otto Hauser (Esslingen) Sigrun Löwisch Heinz Schemken Heinz-Günter Bargfrede Hansgeorg Hauser Karl-Heinz Scherhag (Rednitzhembach) Dr. Michael Luther Gerhard Scheu Dr. Klaus-Jürgen Hedrich Erich Maaß (Wilhelmshaven) Norbert Schindler Helmut Heiderich Dr. Dietrich Mahlo Dietmar Schlee Manfred Heise Ulrich Schmalz Dr. Sabine Bergmann-Pohl Detlef Helling Günter Marten Hans-Dirk Bierling Dr. Renate Hellwig Dr. Martin Mayer Christian Schmidt (Fürth) Dr. Joseph- Ernst Hinsken (Siegertsbrunn) Dr.-Ing. Joachim Schmidt Wolfgang Meckelburg (Halsbrücke) Dr. Josef Hollerith Rudolf Meinl Andreas Schmidt (Mülheim) Elke Holzapfel Dr. Hans-Otto Schmiedeberg Dr. Norbert Blüm Dr. Karl-Heinz Hornhues Friedrich Merz Hans Peter Schmitz Siegfried Hornung Rudolf Meyer (Winsen) (Baesweiler) Dr. Maria Böhmer Joachim Hörster Michael von Schmude Hubert Hüppe Meinolf Michels Birgit Schnieber-Jastram Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Peter Jacoby Dr. Gerd Müller Dr. Susanne Jaffke Elmar Müller (Kirchheim) Dr. Rupe rt Scholz Dr. Wolfgang Bötsch Georg Janovsky Engelbert Nelle Reinhard Freiherr von Klaus Brähmig Helmut Jawurek (Bremen) Schorlemer Rudolf Braun (Auerbach) Dr. Dionys Jobst Johannes Nitsch Dr. Erika Schuchardt Dr.-Ing. Rainer Jork - Wolfgang Schulhoff Michael Jung (Limburg) Dr. Rolf Olderog Dr. Friedhelm Ost (Schwäbisch Gmünd) Klaus Bühler (Bruchsal) Dr. Egon Jüttner Gerhard Schulz (Leipzig) Hartmut Büttner Dr. Harald Kahl Norbert Otto (Erfurt) Frederick Schulze (Schönebeck) Bartholomäus Kalb Dr. Gerhard Päselt (Sangershausen) Steffen Kampeter Dr. Peter Paziorek Diethard Schütze (Berlin) (Emstek) Dr.-Ing. Dietmar Kansy Hans-Wilhelm Pesch Clemens Schwalbe Manfred Kanther Ulrich Petzold Dr. Christian Schwarz (Nordstrand) Irmgard Karwatzki Schilling Wolfgang Dehnel Angelika Pfeiffer Wilhelm Josef Sebastian Peter Keller Dr. Gero Pfennig Horst Seehofer Dr. Friedbert Pflüger Marion Seib Albert Deß Dr. Bernd Klaußner Wilfried Seibel Ulrich Klinkert Dr. Winfried Pinger Heinz-Georg Seiffert Dr. Helmut Kohl Rudolf Seiters Werner Dörflinger Hans-Ulrich Köhler Dr. Hermann Pohler Hansjürgen Doss (Hainspitz) Bernd Siebert Dr. Alfred Dregger Manfred Kolbe Marlies Pretzlaff Jürgen Sikora Maria Eichhorn Norbert Königshofen Dr. Eva-Maria Kors Dr. Bernd Protzner Bärbel Sothmann Hartmut Koschyk Dieter Pützhofen Margarete Späte Heinz Dieter Eßmann Manfred Koslowski Carl-Dieter Spranger Thomas Kossendey Hans Raidel Wolfgang Steiger Rudolf Kraus Dr. Wolfgang Krause (Dessau) Rolf Rau Dr. Wolfgang Freiherr von Andreas Krautscheid Helmut Rauber Stetten Ulf Fink Arnulf Kriedner Peter Rauen Dr. Dirk Fischer () Heinz-Jürgen Kronberg Otto Regenspurger Andreas Storm (Unna) Dr.-Ing. Paul Krüger Christa Reichard () (Hamburg) Reiner Krziskewitz Klaus Dieter Reichardt Matthäus Strebl Dr. Hermann Kues (Mannheim) Michael Stübgen Dr. Gerhard Friedrich Dr. Bertold Reinartz Egon Susset Erich G. Fritz Dr. Karl A. Lamers Erika Reinhardt Dr. Rita Süssmuth Hans-Joachim Fuchtel (Heidelberg) Hans-Peter Repnik Michael Teiser Michaela Geiger Roland Richter Dr. Susanne Tiemann Dr. Dr. Norbert Rieder Dr. Klaus Töpfer Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Gottfried Tröger Dr. Wolfgang Weng Monika Heubaum Georg Pfannenstein Dr. Klaus-Dieter Uelhoff (Gerlingen) Uwe Hiksch Dr. Eckhart Pick Dr. Guido Westerwelle Reinhold Hiller (Lübeck) Joachim Poß Wolfgang Vogt (Düren) Stephan Hilsberg Rudolf Purps Dr. Horst Waffenschmidt Gerd Höfer Hermann Rappe Dr. Theodor Waigel Nein Jelena Hoffmann () (Hildesheim) Alois Graf von Waldburg-Zeil Frank Hofmann (Volkach) Karin Rehbock-Zureich Dr. Jürgen Warnke SPD Ingrid Holzhüter Margot von Renesse Kersten Wetzel Erwin Horn Renate Rennebach Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Eike Hovermann Bernd Reuter Wolfgang Ilte Dr. Edelbert Richter Bernd Wilz Robert Antretter Brunhilde Irber Günter Rixe Willy Wimmer (Neuss) Hermann Bachmaier Gabriele Iwersen Reinhold Robbe Renate Jäger Gerhard Rübenkönig Dr. Jann-Peter Janssen Dr. Hansjörg Schäfer Dagmar Wöhrl Ilse Janz Gudrun Schaich-Walch Michael Wonneberger Ingrid Becker-Inglau Dr. Uwe Jens Dieter Schanz Elke Wülfing Wolfgang Behrendt Volker Jung (Düsseldorf) Rudolf Scharping Peter Kurt Würzbach Hans Berger Sabine Kaspereit Bernd Scheelen Hans-Werner Bertl Susanne Kastner Dr. Wolfgang Zeitlmann Friedhelm Julius Beucher Ernst Kastning Siegfried Scheffler Benno Zierer Hans-Peter Kemper Horst Schild Wolfgang Zöller Lilo Blunck Klaus Kirschner Otto Schily Arne Börnsen (Ritterhude) Marianne Klappert Dieter Schloten Anni Brandt-Elsweier Siegrun Klemmer Günter Schluckebier F.D.P. Tilo Braune Hans-Ulrich Klose Horst Schmidbauer Dr. Dr. Hans-Hinrich Knaape (Nürnberg) Ina Albowitz (Aachen) Dr. Gisela Babel Ursula Burchardt Fritz Rudolf Körper (Meschede) Hildebrecht Braun Dr. Michael Bürsch Nicolette Kressl Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (Augsburg) Hans Martin Bury Volker Kröning Regina Schmidt-Zadel Günther Bredehorn Hans Büttner (Ingolstadt) Thomas Krüger Heinz Schmitt (Berg) Jörg van Essen Marion Caspers-Merk Horst Kubatschka Dr. Emil Schnell Dr. Olaf Feldmann Wolf-Michael Catenhusen Eckart Kuhlwein Walter Schöler Gisela Frick Peter Conradi Helga Kühn-Mengel Ottmar Schreiner Paul K. Friedhoff Christel Deichmann Konrad Kunick Gisela Schröter Dr. Uwe Küster Dr. Mathias Schube rt Rainer Funke Dr. Marliese Dobberthien Werner Labsch Schuhmann Richard Hans-Dietrich Genscher Peter Dreßen Brigitte Lange (Delitzsch) Dr. Wolfgang Gerhardt Detlev von Larcher - Brigitte Schulte (Hameln) Joachim Günther Ludwig Eich Waltraud Lehn Reinhard Schultz (Plauen) Peter Enders Robert Leidinger (Everswinkel) Dr. Karlheinz Guttmacher Klaus Lennartz Volkmar Schultz (Köln) Dr. Helmut Haussmann Petra Ernstberger Dr. Elke Leonhard Ilse Schumann Ulrich Heinrich Annette Faße Klaus Lohmann (Witten) Dr. R. Werner Schuster Walter Hirche Elke Ferner Christa Lörcher Dietmar Schütz (Oldenburg) Dr. Burkhard Hirsch Lothar Fischer (Homburg) Erika Lotz Dr. Angelica Schwall-Düren Birgit Homburger Dr. Ernst Schwanhold Dr. Iris Follak Dieter Maaß (He rne) Ulrich Irmer Norbert Formanski Winfried Mante Bodo Seidenthal Dr. Klaus Kinkel Ulrike Mascher Horst Sielaff Detlef Kleinert (Hannover) Anke Fuchs (Köln) Erika Simm Roland Kohn Katrin Fuchs (Verl) Ingrid Matthäus-Maier Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Heinrich L. Kolb Arne Fuhrmann Heide Mattischeck Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Jürgen Koppelin Monika Ganseforth Markus Meckel Wieland Sorge Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Konrad Gilges Ulrike Mehl Wolfgang Spanier Dr. Iris Gleicke Herbert Meißner Dr. Dietrich Sperling Sabine Leutheusser Günter Gloser Jörg-Otto Spiller Schnarrenberger Uwe Göllner Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Antje-Marie Steen Uwe Lühr Angelika Graf (Rosenheim) Ursula Mogg Jürgen W. Möllemann Dieter Grasedieck Siegmar Mosdorf Dr. Peter Struck Günther Friedrich Nolting Achim Großmann Michael Müller (Düsseldorf) Joachim Tappe Dr. Karl Hermann Haack Christian Müller (Zittau) Jörg Tauss Lisa Peters (Extertal) Volker Neumann (Bramsche) Dr. Bodo Teichmann Dr. Günter Rexrodt Hans-Joachim Hacker Gerhard Neumann (Gotha) Margitta Terborg Dr. Klaus Röhl Klaus Hagemann Dr. Edith Niehuis Jella Teuchner Helmut Schäfer Manfred Hampel Dr. Rolf Niese Dr. Gerald Thalheim (Mainz) Christel Hanewinckel Doris Odendahl Cornelia Schmalz-Jacobsen Alfred Hartenbach Günter Oesinghaus Franz Thönnes Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Liesel Hartenstein Leyla Onur Uta Titze-Stecher Dr. Klaus Hasenfratz Manfred Opel Adelheid Tröscher Dr. Dr. Ingomar Hauchler Adolf Ostertag Hans-Eberhard Urbaniak Dr. Max Stadler Dieter Heistermann Kurt Palis Siegfried Vergin Carl-Ludwig Thiele Reinhold Hemker Albrecht Papenroth (Pforzheim) Dr. Dieter Thomae Rolf Hempelmann Dr. Willfried Penner Karsten D. Voigt (Frankfurt) Jürgen Türk Dr. Barbara Hendricks Dr. Martin Pfaff Hans Georg Wagner Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Hans Wallow Finanzierung eines zusätzlichen Bundeszuschusses Dr. Konstanze Wegner Christa Nickels zur gesetzlichen Rentenversicherung das Wort neh- Wolfgang Weiermann Egbert Nitsch (Rendsburg) men. Reinhard Weis (Stendal) Cern Özdemir Matthias Weisheit Gerd Poppe In Art. 1 a, Änderung des Einkommensteuergeset- Gert Weisskirchen (Wiesloch) Simone Probst zes, muß noch eine technische Unrichtigkeit korri- Jochen Welt Dr. Jürgen Rochlitz giert werden. Do rt muß in § 52 wegen einer zustan- Hildegard Wester Halo Saibold degekommenen, aber noch nicht verkündeten Lydia Westrich Christine Scheel Inge Wettig-Danielmeier Irmingard Schewe-Gerigk Rechtsänderung des Einkommensteuergesetzes statt Dr. Norbert Wieczorek Albert Schmidt (Hitzhofen) des Absatzes 2 h der Absatz 2 i geändert werden. Der Helmut Wieczorek Ursula Schönberger Inhalt der Änderung bleibt unberüh rt . Ich gebe diese (Duisburg) Marina Steindor mündliche Berichtigung zu Protokoll. Heidemarie Wieczorek-Zeul Christian Sterzing Dieter Wiefelspütz Manfred Such Meine Damen und Herren, dieser 11. Dezember Berthold Wittich Dr. Antje Vollmer 1997 ist ein guter Tag. Es ist ein guter Tag für die Dr. Wolfgang Wodarg Ludger Volmer Jungen, für die Beitragsahler, und ist ein guter Tag Verena Wohlleben Helmut Wilhelm (Amberg) für die Alten, für die Rentnerinnen und Renter, und Hanna Wolf (München) Margareta Wolf (Frankfurt) Heidi Wright zwar aus drei Gründen. Erstens. Durch das Rentenreformgesetz 1999, das Dr. Christoph Zöpel PDS wir soeben verabschiedet haben, wird langfristig der Peter Zumkley Beitragssatz zur Rentenversicherung entlastet, und Wolfgang Bierstedt zwar dadurch, daß die Rentenlaufzeiten in der Zu- Petra Bläss BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN kunft bei der gesetzlichen Anpassung berücksichtigt Maritta Böttcher Eva Bulling-Schröter werden. Wir waren der Auffassung, daß dieses Pro- Gila Altmann (Aurich) Heinrich Graf von Einsiedel blem jetzt geregelt werden muß, nicht im Jahre 2010; Elisabeth Altmann Dr. Ludwig Elm denn heute schon steigen die Rentenlaufzeiten und (Pommelsbrunn) (Bremen) Dr. nicht erst in der Zukunft. Dr. Ruth Fuchs Volker Beck (Köln) (Beifall bei der CDU/CSU) Angelika Beer Dr. Gregor Gysi Hanns-Peter Hartmann Diesen Teil der Rentengesetzgebung haben wir - Annelie Buntenbach Dr. Uwe-Jens Heuer Dr. Barbara Höll CDU/CSU und F.D.P. - allein geschultert, weil Sie Amke Dietert-Scheuer hier, aus welchen Gründen auch immer, nicht mitma- Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Willibald Jacob (Berlin) Ulla Jelpke chen wollten. Joseph Fischer (Frankfurt) Gerhard Jüttemann Zweitens ist heute ein guter Tag, weil durch die Dr. Heidi Knake-Werner Rita Grießhaber Umfinanzierung in der- Rentenversicherung der Antje Hermenau Rolf Kutzmutz Kristin Heyne Dr. Christa Luft Mehrwertsteuersatz um einen Prozentpunkt angeho- Ulrike Höfken Heidemarie Lüth ben wird und das Aufkommen aus dieser Mehrwert- Michaele Hustedt Dr. Günther Maleuda steuererhöhung zur Erhöhung des Bundeszuschus- Dr. Manuel Kiper Manfred Müller (Berlin) ses dient. Dadurch wird ebenfalls kurzfristig eine Monika Knoche Rosel Neuhäuser Entlastung des Beitragssatzes erreicht. Dr. Angelika Köster-Loßack Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Die Strukturreform greift nur längerfristig; die Um- Dr. Helmut Lippelt Steffen Tippach finanzierung greift heute. Die Rentenversicherung Oswald Metzger Klaus-Jürgen Warnick erhält dauerhaft einen erhöhten Bundeszuschuß. Da- Kerstin Müller (Köln) Dr. Winfried Wolf bei will ich erwähnen, daß der ermäßigte Mehrwert- steuersatz nicht verändert wird. Ich rufe jetzt Zusatzpunkt 13 auf: Dieser 11. Dezember ist drittens ein guter Tag, weil Vereinbarte Debatte zum Themenbereich „Sta- durch die Tatsache, daß der Rentenversicherungsbei- bile Rentenbeiträge" trag bei 20,3 Prozent bleiben kann und nicht auf 21 Prozent erhöht wird, die Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktio- Nettolohnentwicklung nen der CDU/CSU und F.D.P. vor. des kommenden Jahres günstig beeinflußt wird. Es ist so: Wenn 1998 die Nettoeinkommen nicht deshalb Mir ist gesagt worden, daß am Ende dieser Debatte sinken, weil die Rentenversicherungsbeiträge erhöht wiederum eine namentliche Abstimmung stattfindet. werden, dann wird die Rentenanpassung im Jahre 1999 höher, als dies ohne diese Maßnahme der Fall Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für gewesen wäre. Dies haben wir zusammen mit der die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt SPD gemacht. Ich danke der SPD, daß sie sich da, wo es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so wir nur gemeinsam Änderungen vornehmen konn- beschlossen. ten, dieser Umfinanzierung letztlich nicht versagt hat. Ich eröffne die Aussprache. Das Wo rt hat der Kol- (Lachen bei der SPD) lege Wolfgang Vogt (CDU/CSU). - Sie hat sich nicht versagt. In anderen Punkten ha- ben Sie sich versagt und versagen. Wolfgang Vogt (Düren) (CDU/CSU): Herr Präsi- dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge muß zunächst als Berichterstatter zum Gesetz zur ordneten der F.D.P.) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Wolfgang Vogt (Düren) In einem Punkt konnten wir uns nicht verständi- legt; am Ende des Jahres bringen wir es jetzt in trok- gen. Es ging um die Frage, ob die Einkommen aus ei- kene Tücher. Das zeugt von guter Arbeit. ner geringfügigen Beschäftigung, die zu einem Ein- kommen aus einer sozialversicherungspflichtigen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Beschäftigung hinzukommen, in die Beitragspflicht zur Rentenversicherung einbezogen werden sollten. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bevor ich dem nächsten Redner das Wo rt gebe, gebe ich Ihnen das (Otto Schily [SPD]: Da hat sich die F.D.P. von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermit- versagt!) telte Ergebnis der zweiten namentlichen Abstim- mung über die Zurückweisung des Einspruches des Für diesen Vorschlag gibt es gute Gründe. Ich könnte Bundesrates gegen das Gesetz zur erbrechtlichen sie genauso schön nennen, wie es der Kollege Schrei- Gleichstellung nichtehelicher Kinder bekannt. Das ner nachher tun wird. ist die Drucksache 13/9382. Abgegebene Stimmaus- (Otto Schily [SPD]: Wer hat sich da ver weise: 647; abgegebene Stimmen: 647; mit Ja haben sagt?) gestimmt: 342; mit Nein: 305. Der Antrag ist ange- nommen. Aber es reicht ja nicht, daß ich und einige Kollegin- nen und Kollegen dieser Auffassung sind; vielmehr (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) besteht auf diesem Gebiet noch Diskussionsbedarf innerhalb von CDU/CSU und F.D.P. Wir stellen näm- Endgültiges Ergebnis Wilhelm Dietzel lich die Regierung und lassen uns von der Opposition Werner Dörflinger nicht auseinanderdividieren. Abgegebene Stimmen: 647; Hansjürgen Doss davon Dr. Alfred Dregger (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ja: 342 Maria Eichhorn Wolfgang Engelmann ordneten der F.D.P.) nein: 305 Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Meine liebe Kolleginnen und Kollegen, ich erin- Horst Eylmann nere mich an eine Diskussion, die einmal Hans Matt- Ja Anke Eymer höfer, SPD, mit dem Kollegen , CDU, Ilse Falk führte. Das war zu der Zeit, als Sie zusammen mit Jochen Feilcke den Freien Demokraten die Regierung gebildet hat- CDU/CSU Ulf Fink Dirk Fischer (Hamburg) ten. Damals hat der Kollege Matthöfer, angesprochen Ulrich Adam auf das Verhältnis zwischen SPD und F.D.P., an die Leni Fischer (Unna) Peter Altmaier Klaus Francke (Hamburg) Adresse des Kollegen Helmut Link gesagt: Wenn ihr, Anneliese Augustin Herbert Frankenhauser Jürgen Augustinowitz die CDU/CSU, das Godesberger Programm als An- - Dr. Gerhard Friedrich trag in den Deutschen Bundestag einbringt und es Dietrich Austermann Erich G. Fritz uns, der SPD, nicht gelingt, die F.D.P. zur Zustim- Heinz-Günter Bargfrede Hans-Joachim Fuchtel mung zu bewegen, dann werden wir Sozialdemokra- Franz Peter Basten Michaela Geiger Dr. Wolf Bauer ten im Deutschen Bundestag diesen Antrag der Norbert Geis Brigitte Baumeister Dr. Heiner Geißler CDU/CSU, also das Godesberger Programm, ableh- Meinrad Belle Michael Glos nen. So einfach sind die Verhältnisse. Dr. Sabine Bergmann-Pohl Wilma Glücklich Hans-Dirk Bierling Dr. Reinhard Göhner (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Dr. Joseph-Theodor Blank Peter Götz und der F.D.P.) Renate Blank Dr. Wolfgang Götzer Dr. Heribert Blens Joachim Gres Es besteht Diskussionsbedarf, weil die geringfü- Peter Bleser Kurt-Dieter Gri ll gige Beschäftigung im Nebenverdienst nur einen Dr. Norbert Blüm Wolfgang Gröbl Ausschnitt des Problems darstellt. Daneben gibt es Friedrich Bohl Hermann Gröhe neue Formen der Beschäftigung und der Selbstän- Dr. Maria Böhmer Claus-Peter Grotz Jochen Borchert digkeit. Auf diese neuen Formen der Beschäftigung Manfred Grund Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Horst Günther (Duisburg) und der Selbständigkeit muß mit Blick auf die Wolfgang Bosbach Carl-Detlev Freiherr von schutzwürdigen Personen, aber auch mit Blick auf Dr. Wolfgang Bötsch Hammerstein die Stabilität unserer Systeme der sozialen Sicherung Klaus Brähmig Gottfried Haschke eine Antwort geben werden. Die Koalition hat in der Rudolf Braun (Auerbach) (Großhennersdorf) Entschließung, die Ihnen hier vorliegt, den Willen be- Paul Breuer Gerda Hasselfeldt kundet, diese Fragen noch in dieser Wahlperiode an- Monika Brudlewsky Otto Hauser (Esslingen) Georg Brunnhuber Hansgeorg Hauser zugehen. Deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen Klaus Bühler (Bruchsal) (Rednitzhembach) und dem Antrag von CDU/CSU und F.D.P. zustim- Hartmut Büttner Klaus-Jürgen Hedrich men. (Schönebeck) Helmut Heiderich Dankward Buwitt Manfred Heise Es war ein guter Tag für die Alten und die Jungen; Manfred Carstens (Emstek) Detlef Helling es war ein guter Tag für den Gesetzgeber, da er sich Peter Harry Carstensen Dr. Renate Hellwig in einer schwierigen Zeit als handlungsfähig erwie- (Nordstrand) Ernst Hinsken sen hat. Es ist auch ein guter Tag für die CDU/CSU Wolfgang Dehnel Peter Hintze und F.D.P., denn am Anfang des Jahres hat Norbe rt Hubert Deittert Josef Hollerith Gertrud Dempwolf Elke Holzapfel Blüm unser Rentenkonzept, das Umstrukturierung Albert Deß Dr. Karl-Heinz Hornhues und Umfinanzierung vorsieht, konzipiert und vorge Renate Diemers Siegfried Hornung Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Joachim Hörster Rudolf Meyer (Winsen) Hans Peter Schmitz F.D.P. Hubert Hüppe Hans Michelbach (Baesweiler) Peter Jacoby Meinolf Michels Michael von Schmude Ina Albowitz Susanne Jaffke Dr. Gerd Müller Birgit Schnieber-Jastram Dr. Gisela Babel Georg Janovsky Elmar Müller (Kirchheim) Dr. Andreas Schockenhoff Hildebrecht Braun Helmut Jawurek Engelbert Nelle Dr. (Augsburg) Dr. Dionys Jobst Bernd Neumann Reinhard Freiherr von Günther Bredehorn Dr.-Ing. Rainer Jork (Bremen) Schorlemer Jörg van Essen Michael Jung (Limburg) Johannes Nitsch Dr. Erika Schuchardt Dr. Olaf Feldmann Ulrich Junghanns Claudia Nolte Wolfgang Schulhoff Gisela Frick Dr. Egon Jüttner Dr. Rolf Olderog Dr. Dieter Schulte Paul K. Friedhoff Dr. Harald Kahl Friedhelm Ost (Schwäbisch Gmünd) Horst Friedrich Bartholomäus Kalb Eduard Oswald Gerhard Schulz (Leipzig) Rainer Funke Steffen Kampeter Norbert Otto (Erfurt) Frederick Schulze Hans-Dietrich Genscher Dr.-Ing. Dietmar Kansy Dr. Gerhard Päselt (Sangershausen) Dr. Wolfgang Gerhardt Manfred Kanther Dr. Peter Paziorek Diethard Schütze (Berlin) Joachim Günther (Plauen) Irmgard Karwatzki Hans-Wilhelm Pesch Clemens Schwalbe Dr. Karlheinz Guttmacher Volker Kauder Ulrich Petzold Dr. Christian Schwarz- Dr. Helmut Haussmann Peter Keller Anton Pfeifer Schilling Ulrich Heinrich Eckart von Klaeden Angelika Pfeiffer Wilhelm Josef Sebastian Walter Hirche Dr. Bernd Klaußner Dr. Gero Pfennig Horst Seehofer Dr. Burkhard Hirsch Ulrich Klinkert Dr. Friedbert Pflüger Marion Seib Birgit Homburger Dr. Helmut Kohl Beatrix Philipp Wilfried Seibel Dr. Werner Hoyer Hans-Ulrich Köhler Dr. Winfried Pinger Heinz-Georg Seiffert Ulrich Irmer (Hainspitz) Ronald Pofalla Rudolf Seiters Dr. Klaus Kinkel Manfred Kolbe Dr. Hermann Pohler Johannes Selle Detlef Kleinert (Hannover) Norbert Königshofen Ruprecht Polenz Bernd Siebert Roland Kohn Eva-Maria Kors Marlies Pretzlaff Jürgen Sikora Dr. Heinrich L. Kolb Hartmut Koschyk Dr. Albert Probst Johannes Singhammer Jürgen Koppelin Manfred Koslowski Dr. Bernd Protzner Bärbel Sothmann Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Thomas Kossendey Dieter Pützhofen Margarete Späte Dr. Otto Graf Lambsdorff Rudolf Kraus Thomas Rachel Carl-Dieter Spranger Sabine Leutheusser Wolfgang Krause (Dessau) Hans Raidel Wolfgang Steiger Schnarrenberger Andreas Krautscheid Dr. Peter Ramsauer Erika Steinbach Uwe Lühr Arnulf Kriedner Rolf Rau Dr. Wolfgang Freiherr von Jürgen W. Möllemann Helmut Rauber Heinz-Jürgen Kronberg Stetten Günther Friedrich Nolting Dr.-Ing. Paul Peter Rauen Krüger Dr. Gerhard Stoltenberg Dr. Rainer Ortleb Reiner Krziskewitz Otto Regenspurger Andreas Storm Lisa Peters Dr. Hermann Kues Christa Reichard (Dresden) Max Straubinger Dr. Günter Rexrodt Werner Kuhn Klaus Dieter Reichardt Matthäus Strebl - Dr. Klaus Röhl Dr. Karl A. Lamers (Mannheim) Michael Stübgen Helmut Schäfer (Mainz) (Heidelberg) Dr. Bertold Reinartz Egon Susset Cornelia Schmalz-Jacobsen Karl Lamers Erika Reinhardt Dr. Rita Süssmuth Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Norbe rt Lammert Hans-Peter Repnik Dr. Irmgard Schwaetzer Helmut Lamp Roland Richter Michael Teiser Dr. Susanne Tiemann Dr. Hermann Otto Solms Armin Laschet Dr. Norbert Rieder Dr. Max Stadler Herbert Lattmann Dr. Erich Riedl (München) Dr. Klaus Töpfer Carl-Ludwig Thiele Dr. Paul Laufs Klaus Riegert Gottfried Tröger Dr. Dieter Thomae Karl-Josef Laumann Dr. Heinz Riesenhuber Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Jürgen Türk Vera Lengsfeld Franz Romer Gunnar Uldall Dr. Wolfgang Weng Werner Lensing Hannelore Rönsch Wolfgang Vogt (Düren) (Gerlingen) Christian Lenzer (Wiesbaden) Dr. Horst Waffenschmidt Dr. Guido Westerwelle Peter Letzgus Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Theodor Waigel Editha Limbach Dr. Klaus Rose Alois Graf von Waldburg-Zeil Walter Link (Diepholz) Kurt J. Rossmanith Dr. Jürgen Warnke Eduard Lintner Adolf Roth (Gießen) Kersten Wetzel Nein Dr. Klaus W. Lippold Norbert Röttgen Hans-Otto Wilhelm (Offenbach) Dr. Christian Ruck (Mainz) SPD Dr. Manfred Lischewski Volker Rühe Gert Willner Wolfgang Lohmann Dr. Jürgen Rüttgers Bernd Wilz Brigitte Adler (Lüdenscheid) Roland Sauer (Stuttga rt) Willy Wimmer (Neuss) Gerd Andres Julius Louven Ortrun Schätzle Matthias Wissmann Robert Antretter Sigrun Löwisch Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Fritz Wittmann Hermann Bachmaier Heinrich Lummer Hartmut Schauerte Dagmar Wöhrl Ernst Bahr Dr. Michael Luther Heinz Schemken Michael Wonneberger Doris Barnett Erich Maaß Karl-Heinz Scherhag Elke Wülfing Klaus Barthel (Wilhelmshaven) Gerhard Scheu Peter Kurt Würzbach Ingrid Becker-Inglau Dr. Dietrich Mahlo Norbert Schindler Cornelia Yzer Wolfgang Behrendt Erwin Marschewski Dietmar Schlee Wolfgang Zeitlmann Hans Berger Günter Marten Ulrich Schmalz Benno Zierer Hans-Werner Bertl Dr. Martin Mayer Bernd Schmidbauer Wolfgang Zöller Friedhelm Julius Beucher (Siegertsbrunn) Christian Schmidt (Fürth) Rudolf Bindig Wolfgang Meckelburg Dr.-Ing. Joachim Schmidt Lilo Blunck Rudolf Meinl (Halsbrücke) SPD Arne Börnsen (Ritterhude) Dr. Michael Meister Andreas Schmidt (Mülheim) Anni Brandt-Elsweier Friedrich Merz Hans-Otto Schmiedeberg Christian Müller (Zittau) Tilo Braune Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Dr. Eberhard Brecht Dr. Hans-Hinrich Knaape Ulla Schmidt (Aachen) BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Edelgard Bulmahn Walter Kolbow Dagmar Schmidt (Meschede) Ursula Burchardt Fritz Rudolf Körper Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Gila Altmann (Aurich) Dr. Michael Bürsch Nicolette Kressl Regina Schmidt-Zadel Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) Hans Martin Bury Volker Kröning Heinz Schmitt (Berg) Marieluise Beck (Bremen) Hans Büttner (Ingolstadt) Thomas Krüger Dr. Emil Schnell Marion Caspers-Merk Horst Kubatschka Volker Beck (Köln) Walter Schöler Angelika Beer Wolf-Michael Catenhusen Eckart Kuhlwein Ottmar Schreiner Peter Conradi Helga Kühn-Mengel Matthias Berninger Gisela Schröter Christel Deichmann Konrad Kunick Annelie Buntenbach Dr. Mathias Schubert Karl Diller Dr. Uwe Küster Amke Dietert-Scheuer Richard Schuhmann Dr. Marliese Dobberthien Werner Labsch Franziska Eichstädt-Bohlig (Delitzsch) Peter Dreßen Brigitte Lange Andrea Fischer (Berlin) Freimut Duve Detlev von Larcher Brigitte Schulte (Hameln) Joseph Fischer (Frankfurt) Ludwig Eich Waltraud Lehn Reinhard Schultz Rita Grießhaber Peter Enders Robert Leidinger (Everswinkel) Gerald Häfner Gernot Erler Klaus Lennartz Volkmar Schultz (Köln) Antje Hermenau Petra Ernstberger Dr. Elke Leonhard Ilse Schumann Kristin Heyne Annette Faße Klaus Lohmann (Witten) Dr. R. Werner Schuster Ulrike Höfken Elke Ferner Christa Lörcher Dietmar Schütz (Oldenburg) Michaele Hustedt Lothar Fischer (Homburg) Erika Lotz Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Manuel Kiper Gabriele Fograscher Dr. Christine Lucyga Ernst Schwanhold Monika Knoche Iris Follak Dieter Maaß (Herne) Rolf Schwanitz Dr. Angelika Köster-Loßack Norbert Formanski Winfried Mante Bodo Seidenthal Steffi Lemke Dr. Helmut Lippelt Dagmar Freitag Ulrike Mascher Horst Sielaff Oswald Metzger Anke Fuchs (Köln) Christoph Matschie Erika Simm Katrin Fuchs (Verl) Ingrid Matthäus-Maier Kerstin Müller (Köln) Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Winfried Nachtwei Arne Fuhrmann Heide Mattischeck Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Markus Meckel Christa Nickels Monika Ganseforth Wieland Sorge Konrad Gilges Ulrike Mehl Egbert Nitsch (Rendsburg) Wolfgang Spanier Iris Gleicke Herbert Meißner Cem Özdemir Dr. Dietrich Sperling Günter Gloser Angelika Mertens Gerd Poppe Uwe Göllner Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Jörg-Otto Spiller Simone Probst Angelika Graf (Rosenheim) Ursula Mogg Antje-Marie Steen Dr. Jürgen Rochlitz Dieter Grasedieck Siegmar Mosdorf Ludwig Stiegler Halo Saibold Achim Großmann Michael Müller (Düsseldorf) Dr. Peter Struck Christine Scheel Karl Hermann Haack Volker Neumann (Bramsche) Joachim Tappe Irmingard Schewe-Gerigk (Extertal) Gerhard Neumann (Gotha) Jörg Tauss Albert Schmidt (Hitzhofen) Hans-Joachim Hacker Dr. Edith Niehuis Dr. Bodo Teichmann Ursula Schönberger Klaus Hagemann Dr. Rolf Niese Margitta Terborg Marina Steindor Manfred Hampel Doris Odendahl Jella Teuchner Christian Sterzing Manfred Such Christel Hanewinckel Günter Oesinghaus Dr. Gerald Thalheim Dr. Antje Vollmer Alfred Hartenbach Leyla Onur Wolfgang Thierse Ludger Volmer Dr. Liesel Hartenstein Manfred Opel Franz Thönnes Klaus Hasenfratz Adolf Ostertag Helmut Wilhelm (Amberg) Uta Titze-Stecher Margareta Wolf (Frankfurt) Dr. Ingomar Hauchler Kurt Palis Adelheid Tröscher Albrecht Papenroth Dieter Heistermann Hans-Eberhard Urbaniak Reinhold Hemker Dr. Willfried Penner Siegfried Vergin PDS Rolf Hempelmann Dr. Martin Pfaff Ute Vogt (Pforzheim) Dr. Barbara Hendricks Georg Pfannenstein Wolfgang Bierstedt Monika Heubaum Dr. Eckhart Pick Karsten D. Voigt (Frankfurt) Petra Bläss Uwe Hiksch Joachim Poß Hans Georg Wagner Maritta Böttcher Reinhold Hiller (Lübeck) Rudolf Purps Hans Wallow Eva Bulling-Schröter Stephan Hilsberg Hermann Rappe Dr. Konstanze Wegner Heinrich Graf von Einsiedel Gerd Höfer (Hildesheim) Wolfgang Weiermann Dr. Ludwig Elm Jelena Hoffmann (Chemnitz) Karin Rehbock-Zureich Reinhard Weis (Stendal) Dr. Dagmar Enkelmann Frank Hofmann (Volkach) Margot von Renesse Matthias Weisheit Dr. Ruth Fuchs Ingrid Holzhüter Renate Rennebach Gert Weisskirchen (Wiesloch) Dr. Gregor Gysi Erwin Horn Bernd Reuter Jochen Welt Hanns-Peter Hartmann Eike Hovermann Dr. Edelbert Richter Hildegard Wester Dr. Uwe-Jens Heuer Wolfgang Ilte Günter Rixe Lydia Westrich Dr. Barbara Höll Brunhilde Irber Reinhold Robbe Inge Wettig-Danielmeier Dr. Willibald Jacob Gabriele Iwersen Gerhard Rübenkönig Dr. Norbert Wieczorek Ulla Jelpke Gerhard Jüttemann Renate Jäger Dr. Hansjörg Schäfer Helmut Wieczorek Dr. Heidi Knake-Werner Jann-Peter Janssen Gudrun Schaich-Walch (Duisburg) Dieter Schanz Rolf Kutzmutz Ilse Janz Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Uwe Jens Rudolf Scharping Dr. Christa Luft Dieter Wiefelspütz Volker Jung (Düsseldorf) Bernd Scheelen Heidemarie Lüth Berthold Wittich Sabine Kaspereit Dr. Hermann Scheer Dr. Günther Maleuda Susanne Kastner Siegfried Scheffler Dr. Wolfgang Wodarg Manfred Müller (Berlin) Ernst Kastning Horst Schild Verena Wohlleben Rosel Neuhäuser Hans-Peter Kemper Otto Schily Hanna Wolf (München) Dr. Uwe-Jens Rössel Klaus Kirschner Dieter Schloten Heidi Wright Christina Schenk Marianne Klappert Günter Schluckebier Uta Zapf Steffen Tippach Siegrun Klemmer Horst Schmidbauer Dr. Christoph Zöpel Klaus-Jürgen Warnick Hans-Ulrich Klose (Nürnberg) Peter Zumkley Dr. Winfried Wolf Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Das Wort hat jetzt der Kollege Ottmar Schreiner, Dies war nur möglich, weil die Koalition ihrerseits SPD. zugesagt hatte, daß sie bereit sei, das Rentenkür- zungsgesetz und das Umfinanzierungsgesetz zeitlich zu entkoppeln. Dies war vor wenigen Wochen noch Ottmar Schreiner (SPD): Herr Präsident! Liebe Kol- leginnen und Kollegen! Bei diesem Thema, das heute ganz anders. Sie haben sich in dieser Frage dankens- mittag verhandelt wird, sollte man unnötige Schärfen werterweise bewegt und sind uns entgegengekom- vermeiden. Der Kollege Vogt hat darauf hingewiesen, men. die SPD hätte sich bei dem Umfinanzierungsgesetz Wir Sozialdemokraten haben in den letzten Mona- nicht verweigert. Kollege Vogt, das ist in der Tat der ten immer wieder gesagt: Wir lehnen Ihr Rentenkür- falsche Zungenschlag. Wir sind über Jahre hinweg zungsgesetz aus vielerlei Gründen kategorisch ab. der treibende Motor in der Frage der Umfinanzierung Wenn Sie bei dem bisherigen Fahrplan bleiben - In- von versicherungsfremden Leistungen und deren kraftsetzung am 1. Januar 1999 -, können wir gleich- Herausnahme aus den Beitragssystemen gewesen. wohl eine rasche Umfinanzierung machen, weil dann (Beifall bei der SPD) die Wählerinnen und Wähler im September nächsten Jahres bei der Bundestagswahl die Möglichkeit ha- Wir haben in diesem Parlament in den letzten Jah- ben, auch für die unterschiedlichen Rentenkonzepte ren der Parteien zu votieren und abzustimmen. (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: In den (Beifall bei der SPD) letzten Wochen!) Genauso ist es nun eingetreten. Deshalb bin ich - in den letzten Wochen sowieso - mehrere Vor- der Meinung, daß von seiten der Koalition in den schläge gemacht. Über Jahre hinweg haben wir eine letzten Tagen eine in der Tat schwerwiegende und dauerhafte Kontinuität nach dem Motto an den Tag für uns ansonsten nicht überspringbare Hürde abge- gelegt: Die gesetzlich verursachten Lohnnebenko- räumt worden ist. sten sind viel zu hoch. Sie drücken auf die Netto- löhne. Sie schmälern die Kaufkraft der Arbeitneh- Ich möchte zu einem weiteren Punkt einige Bemer- merschaft. Sie sind ein wesentliches Beschäftigungs- kungen machen: Wir hatten gesagt, daß es sehr wün- hemmnis. In der Folge haben wir hier viele Initiativen schenswert wäre, wenn wir im Rahmen dieser Umfi- ergriffen. Insofern haben wir uns nicht nur nicht ver- nanzierungsregelung aus sich unmittelbar anbieten- weigert, sondern wenn wir diese Vorlage mit im Par- den Sachgründen auch zu einer ersten Verständi- lament einbringen und vertreten, ist dies Ausdruck gung in der Frage der Sozialversicherungspflichtig- der Tatsache, daß wir bei der Umfinanzierung von keit der sogenannten 610-DM-Arbeitsverhältnisse versicherungsfremden Leistungen - heraus aus den kommen könnten. Hier hat es lange Gespräche und Sozialsystemen, hinein in den Bundeshaushalt - die schwierige Runden gegeben. treibende Kraft der letzten Jahre in diesem Parlament gewesen sind. Ich möchte Ihnen die Ausgangslage noch einmal in aller Kürze schildern. Kein Land in der Europäischen (Beifall bei der SPD) Union leistet sich einen derart chaotischen Arbeits- markt wie die Bundesrepublik Deutschland. Wenn es bei den Vorgaben der Koalition geblieben wäre, wäre ein Anstieg des Beitrages zur gesetzli- (Beifall bei der SPD) chen Rentenversicherung 1998 auf 21 Beitragspunkte - dies wäre eine Höhe, die von den Gewerkschaften, In keinem Land der Europäischen Union gibt es ein den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und derartiges Ausmaß an sozialversicherungsfreien auch von den Arbeitgebern als völlig unerträglich Mini-Beschäftigungsverhältnissen, an Scheinselb- empfunden worden ist - ständigkeit und an illegalen Beschäftigungsverhält- nissen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Laut einer Studie, die von einem Kölner Institut für unvermeidlich gewesen. das Bundesarbeitsministerium entwickelt worden ist, Sie haben in diesem Parlament mit Ihrer Mehrheit haben sich in dem Zeitraum von 1992 bis 1996 die zwei Gesetzentwürfe verabschieden lassen, einmal Verhältnisse wie folgt entwickelt: Wir haben in die- das Rentenkürzungsgesetz mit Inkraftsetzungsdatum sem Vierjahreszeitraum beim Angebot an normalen, 1. Januar 1999 und einmal ein Umfinanzierungsge- regulären Arbeitsverhältnissen ein Defizit von 7 Pro- setz ebenfalls mit Inkraftsetzungsdatum 1. Januar zent mit dem Ergebnis weiter steigender Arbeitslo- 1999. Das heißt, allein auf das Bemühen der Sozial- sigkeit. Wir haben bei den sogenannten 610-DM-Ar- demokraten ist es zurückzuführen, daß wir jetzt ruhi- beitsverhältnissen im gleichen Zeitraum einen Zu- gen Gewissens davon ausgehen können, daß der wachs von sage und schreibe über 30 Prozent. massive Anstieg des Beitragssatzes der gesetzlichen Bei dieser Zahlenentwicklung liegt es völlig auf Rentenversicherung im nächsten Jahr verhindert der Hand, daß es einen unmittelbaren Zusammen- werden kann. hang zwischen dem höchst defizitären Angebot an (Beifall bei der SPD) sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen und dem ausufernden Angebot - dem Mißbrauch - Insoweit haben Sie sich nicht versagt. Dazu auch ein an 610-DM-Arbeitsverhältnissen gibt. kleines Dankeschön. Sie haben sich unseren Überle- gungen jedenfalls im Kern angeschlossen. (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Ottmar Schreiner Diesen Zusammenhang gibt es seit Jahren. Wir ha- kann. Ich gehöre nicht mehr zu denjenigen, die den ben Ihnen von seiten der SPD-Bundestagsfraktion in Zahlen, die der Bundesarbeitsminister verkündet, den letzten Legislaturperioden jedesmal wieder ent- noch unbedingt trauen. sprechende Vorschläge und Gesetzentwürfe hier im Parlament präsentiert. Vor anderthalb Jahren, bei der (Beifall bei der SPD) ersten Lesung des SPD-Entwurfs, haben der Staats- Aus den letzten Jahren haben wir gute Gründe, diese sekretär Kraus aus dem Bundesarbeitsministerium Zahlen mit sehr viel Mißtrauen zur Kenntnis zu neh- und Herr Louven, der sozialpolitische Sprecher der men. CDU/CSU-Fraktion eingeräumt, daß es massiven Mißbrauch gebe und daß hier dringender Korrektur- Wenn wir aber eine Umfinanzierung machen wol- bedarf bestehe. Bis zur Stunde ist von seiten der Ko- len, wenn wir den Beitragssatz von 20,3 Prozent sta- alition nichts geschehen. Es hat allerdings einige be- bilisieren wollen und wenn wir verhindern wollen, merkenswerte Erklärungen aus der Führung der Ko- daß die Finanzen der gesetzlichen Rentenversiche- alition gegeben. Ich zitiere aus der „Süddeutschen rung im Laufe des nächsten Jahres unter die gesetz- Zeitung" vom 17. November dieses Jahres. lich vorgeschriebene Reservemarke sinken, dann Bundeskanzler Helmut Kohl setzt im Koalitions- wäre es gut, eine zusätzliche wasserdichte Absiche- streit um die 610-Mark-Jobs ... auf eine „Lösung rung in Form einer ersten Einbeziehung von 610 der Vernunft" . Der CDU-Vorsitzende sagte am DM-Jobs in die Rentenversicherungspflicht vorzu- Wochenende auf dem Bundesdelegiertentag der nehmen. Das ist der Vorschlag der Mehrheit des Ver- Frauen-Union in Hannover, der Anstieg der so- mittlungsausschusses, der dem Parlament heute zialversicherungsfreien Tätigkeiten in den letz nachmittag zur Abstimmung vorgelegt wird. Wir ha- ten Jahre sei „völlig unakzeptabel" . ben einen sehr zurückhaltenden Vorschlag gemacht. Wir haben uns auf die Nebenjobs konzentriert. Wir - Das ist ein wörtliches Zitat des Bundeskanzlers. haben eine Bagatellgrenze vorgesehen, die außeror- (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Recht hat dentlich großzügig ist, nämlich 200 DM. Diese er!) Grenze beziehen wir nur auf die Rentenversiche- rungspflicht. Wie soll ich einem Arbeitnehmer, der Auch die in Hannover mit großer Mehrheit wie- im Monat 3000 DM verdient und der für Überstunden dergewählte Bundesvorsitzende der CDU- ein zusätzliches Entgelt in Höhe von 600 DM be- Frauen-Union, Bundestagspräsidentin Rita Süss- kommt, der also ein sozialversicherungspflichtiges muth, bezeichnete die 610-Mark-Jobs als „ein Einkommen von 3600 DM hat, erklären, daß sein Kol- Thema, das uns auf den Nägeln brennt". Gerade lege, der ebenfalls 3000 DM verdient, der aber an- in weiblichen Berufsfeldern würden immer mehr derswo 600 DM im Rahmen eines sogenannten so- sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsver- zialversicherungsfreien Nebenjobs dazuverdient, nur hältnisse zu 610-Mark-Jobs aufgeteilt. ein sozialversicherungspflichtiges- Einkommen in Höhe von 3000 DM hat, während die 600 DM sozial- Um das Maß vollzumachen: versicherungsfrei sind? Das läßt sich überhaupt nicht Unionsfraktionschef Wolfgang Schäuble warnte erklären. Das ist reine Willkür. vor einer Zerstörung der Sozialsysteme, wenn die Zahl dieser Jobs weiter steige. Schäuble sagte der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", ein ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN System sozialer Sicherung, das im wesentlichen und der PDS) durch die Versicherungsbeiträge der nichtselb- Auch aus diesem Grunde wäre es geboten, hier ständig Beschäftigten finanziert werde, zerstöre eine rasche, angemessene und vernünftige Einstiegs- sich selbst, wenn ein immer größerer Teil von lösung zu finden. nichtselbständiger Beschäftigung versicherungs- frei werde. Meine Damen und Herren, insbesondere die Kolle- Soweit das Zitat des Kollegen Schäuble. ginnen und Kollegen der CDU/CSU haben bei der Abstimmung, die alsbald folgen wird, die Möglich- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) keit, sich zu entscheiden, ob sie den mahnenden All diese Zitate sind in der Tat besorgniserregende Worten ihres Fraktionsvorsitzenden folgen, ob sie Mahnungen dahin gehend, diese Situation drin- den Besorgnissen des Bundeskanzlers folgen, ob sie gendst zu korrigieren. Ich sage es nochmals: Wir neh- dem Aufruf der Bundestagspräsidentin folgen oder men in der Europäischen Union eine völlig singuläre ob sie dieser kleinen chaotischen Resttruppe namens Position ein. In keinem Land der Europäischen Union F.D.P. folgen. können wir einen derartig chaotischen, ausfransen- Schönen Dank. den Arbeitsmarkt beobachten, in dem die Flucht aus den Solidarsystemen in dem gleichen Tempo wie in (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD der Bundesrepublik Deutschland voranschreitet. Es sowie Beifall bei Abgeordneten des wäre also allerhöchste Eisenbahn gewesen, das zu BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der ändern. Es hätte auch einen direkten Sachzusam- PDS - Pfiffe bei der F.D.P.) menhang zu den Finanzierungsproblemen der Ren- tenversicherung gegeben. Zudem hätte das eine zu- sätzliche Gewähr dafür geboten, daß die Umfinanzie- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die rung auch wirklich wasserdicht gestaltet werden Kollegin Kerstin Müller, Bündnis 90/Die Grünen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nen Pfennig. Wenn Herr Blüm gar euphorisch ver- NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! kündet, in Deutschland bewege sich etwas, dann Meine Fraktion wird dem Ergebnis zur Umfinanzie- muß man einmal ganz nüchtern bilanzieren: Es be- rung bei der Rentenversicherung nicht zustimmen. wegt sich etwas, nämlich die Mehrwertsteuer, und Was der Vermittlungsausschuß hier zur Mehrwert- zwar nach oben. Dagegen bleibt der Rentenbeitrag steuer und zum Rentenbeitrag beschlossen hat, das auf dem Höchststand. Die wirklichen Reformen sind ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, aus unserer Sicht vertagt worden. keine Reform. Man kann es höchstens als eine Art Placebo bezeichnen. Zum großkoalitionären Kompromiß gehört auch das Zugeständnis an die F.D.P. An einem Punkt hat Der Rentenbeitrag bleibt danach auf der Rekord- die F.D.P. erfolgreich blockiert - das ist, finde ich, höhe von 20,3 Prozent. Nur um zu erreichen, daß der wirklich der absurdeste Punkt von allen -: Das Aus-

Rentenbeitrag zum 1. Januar 1998 nicht weiter steigt ufern der 610 - DM - Verträge und der Scheinselbstän- - nicht etwa um eine Entlastung oder eine längerfri- digkeit wird nicht gestoppt. Selbst der Herr Bundes- stige Stabilisierung oder gar eine Senkung des Ren- kanzler hat auf dem CDU-Parteitag mitgeteilt - Herr tenbeitrags zu erreichen -, erhöhen Sie die Mehr- Schreiner hat eben darauf hingewiesen -, daß das so wertsteuer ab dem 1. Ap ril 1998 um 1 Prozent. Diese nicht weitergehe. An diesem Punkt ist aber leider Steuererhöhung hat keinerlei ökologische Lenkungs- nichts passiert. Wir haben hier kein echtes Vermitt- wirkung. Sie waren hier noch nicht einmal zu einem lungsergebnis zustande gebracht. Einstieg in die Mineralölsteuererhöhung bereit. Vor allen Dingen deshalb können wir diesem Ergebnis Hier liegt aber eine wesentliche Ursache dafür, nicht zustimmen. daß die Beitragssätze immer weiter steigen. Hier be- steht dringender Handlungsbedarf. Der Vermitt- Die Mehrwertsteuererhöhung bedeutet einfach: lungsausschuß hat wenigstens einen ersten Schritt Fast alle Preise steigen. Das belastet Studierende ge- dazu vorgeschlagen: Zusatzjobs neben einer festen nauso wie Rentnerinnen und Rentner, das kleine Stelle sollen sozialversicherungspflichtig werden. Sparguthaben genauso wie das Kindergeld, Sozial- Das wäre wenigstens ein erster Schritt in die richtige hilfebezieher und -bezieherinnen genauso wie Ar- Richtung. beitslose. Deren Geld wird ab dem 1. April 1998 we- niger wert sein. Sie alle haben nämlich nichts von der Eigentlich haben wir hierfür in diesem Parlament Entlastung der Rentenversicherung, weil sie keine eine große Mehrheit. Liebe Kolleginnen und Kolle- Beitragszahler sind. Das heißt, bei den sozial Schwa- gen von der CDU/CSU, Sie wissen, daß das richtig chen wird nur genommen und nicht gegeben. Das ist und sehr dringend ist. Selbst Herr Solms hat dem zu- sozial ungerecht. Deshalb lehnen wir diesen Kompro- gestimmt, konnte sich aber in seiner Fraktion nicht miß ab. durchsetzen. Ich appelliere an Sie: Lassen Sie sich von der F.D.P. in diesem Punkt nicht länger blockie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) - ren! Stimmen Sie dem Vermittlungsergebnis in die- Vor allem aber ist das Ganze, glaube ich, ein lehr- sem Punkt zu! reicher Vorgeschmack auf eine große Koalition. Danke schön. (Zurufe von der SPD: Ah! - Peter Hintze [CDU/CSU]: Keine Sorge!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Was für einen Tumult haben Sie um dieses Minimal- ergebnis gemacht! Nach den Spitzengesprächen im Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die Frühjahr, nach dem ganzen Sommertheater, nach Kollegin Dr. Gisela Babel, F.D.P. diesen superwichtigen Geheimtreffen der letzten Woche, nach endlosen Verhandlungen gestern im (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Vermittlungsausschuß gibt es am Ende eine kümmer- Dr. Gisela Babel Damen und Herren! Die F.D.P. begrüßt den Kompro- liche, sozial ungerechte, minimale Umfinanzierung. miß zur Rentenreform: Es bleibt dabei, die Renten- An wirklichen Reformen wurde bei diesem Kom- strukturreform tritt, wie beschlossen, 1999 in Kraft. promiß nichts erreicht: kein Schritt zur dauerhaften Und es bleibt dabei, daß die Rentenkasse durch die Stabilisierung und Modernisierung der Rentenversi- Anhebung der Mehrwertsteuer im Umfang von 1 Pro- cherung, kein Schritt zur Steuerreform, nicht einmal zentpunkt entlastet wird. zum Schließen von Steuerschlupflöchern, kein Ein- stieg in eine ökologische Steuerreform. Das alles ist (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Was heißt mit einer großen Koalition offensichtlich nicht zu „Es bleibt dabei"?) machen. Sie bedeutet Stillstand. Wir meinen, so Die Mehrwertsteuererhöhung tritt bereits zum sind die Probleme unseres Landes nicht zu lösen. 1. April 1998 in Kraft. Dadurch bleibt der Rentenbei- Die kann man nur mit energischen Reformen an- trag im nächsten Jahr bei 20,3 Prozent und steigt packen. nicht auf 21 Prozent. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich möchte den parteiübergreifenden Frieden jetzt sowie bei Abgeordneten der PDS) nicht stören, Herr Schreiner, mit der Erinnerung an Wenn der Kollege Scharping sagt, das werde sich die Debatte, die wir hier im Hause über die Renten- auf den Arbeitsmarkt positiv auswirken, frage ich: strukturreform geführt haben, in der von seiten der Wie sollte es? Der Rentenbeitrag sinkt doch um kei SPD gesagt wurde, sie würde niemals einer Mehr- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Dr. Gisela Babel wertsteuererhöhung wegen der Rentenversicherung abgeschafft werden. Eine Einschränkung dieser zustimmen. würde in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit ein Signal ge- gen die Beschäftigung und gegen die Möglichkeit ei- (Ottmar Schreiner [SPD]: Wenn es zeitgleich nes zusätzlichen Verdienstes darstellen, meine Da- läuft!) men und Herren. Ich sage vielmehr: Ich begrüße es, daß Sie in diesem (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Sie ist Punkt Ihre Auffassung geändert haben, vor allem un- unbelehrbar, die F.D.P.!) ter dem Eindruck des drohenden schockierenden Anstiegs des Rentenversicherungsbeitrags auf 21 Pro- - Ich darf Sie einmal daran erinnern, daß wir gestern zent. den ganzen Tag lang eine Anhörung zu diesem Thema hatten. Sie scheinen das völlig zu verdrängen. Die SPD hat durch die Mehrwertsteuererhöhung Diese Anhörung im Deutschen Bundestag auf Antrag am Ende die Hand gereicht zu einer Entlastung der der SPD hat doch klar gezeigt, wie unsicher die Da- Rentenversicherung. Ich weiß, daß die Anhebung tenlage ist, wie unklar die Belastungen der Sozialver- der Mehrwertsteuer keineswegs überall begrüßt sicherungen jetzt, aber auch mittel- und langfristig wird. und wie unklar auch die Auswirkungen auf den Ar- (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Ach so!) beitsmarkt sind. Die Behauptung, es habe eine Um- wandlung von versicherungspflichtigen Beschäfti- Es wird auch Kritiker geben. Wir haben es aber be- gungsverhältnissen in 610-DM-Verträge gegeben, ist schlossen, um die gesetzlichen Lohnnebenkosten zu vom wissenschaftlichen Institut klar widerlegt wor- senken den. Es ist keineswegs alles so eindeutig, wie Sie es (Dr. Gregor Gysi [PDS]: Zu halten, nicht zu hier darlegen. senken!) (Beifall bei der F.D.P. - Zuruf von der SPD: und den Faktor Arbeit zu entlasten. Hierdurch sind Sind Sie in einer anderen Anhörung gewe wir einer schädlichen Entwicklung des Arbeitsmark- sen? - Weiterer Zuruf von der SPD: Selek tes begegnet. tive Wahrnehmung!) Da eine Einigung im Vermittlungsausschuß für Breite Zustimmung aber hat bei den Fachleuten beide Seiten Nehmen und Geben bedeutet, möchte zumindest eine These gefunden, nämlich die, daß es ich deutlich darauf hinweisen, daß die Koalition ih- gerade die hohen Lohnzusatzkosten, die hohen Ab- rerseits von dem Beschluß im August 1997 abgerückt gabenbelastungen in Deutschland sind, die diese ist, die Rentenstrukturreform und die Anhebung der Flucht, wenn es sie denn geben sollte, in 610-DM- Mehrwertsteuer zur Umfinanzierung zeitgleich in Verträge geradezu nahelegen. Der richtige Ansatz liegt in Maßnahmen, die die Senkung der Abgaben- Kraft treten zu lassen. So sinnvoll dies im Grundsatz - gewesen wäre, so wenig Auswirkungen hat es aber belastung mit sich führen. in der Praxis. Es handelt sich im Grunde um einen (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Zeitraum von sechs Monaten. ten der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, daß eine Rentenstruk- Insofern sollten wir eigentlich an den Wurzeln des turreform mit ihren Sparelementen unbedingt not- Problems ansetzen. wendig ist, zeigt der gerade noch abgewendete Bei- tragsanstieg auf 21 Prozent. Es wird in Zukunft aber Ich fasse zusammen: Es gibt sicher allerorten eine nicht möglich sein, die Rentenleistungen durch per- Erleichterung über den gefundenen Kompromiß. Ich manent steigende Beiträge oder durch höhere Steu- glaube, daß er Zustimmung verdient hat. ern zu finanzieren. Ich bedanke mich. (Ottmar Schreiner [SPD]: Mehr Beschäfti (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne gung!) ten der CDU/CSU) Den anstehenden Problemen müssen wir durch Re- formen innerhalb des Systems begegnen. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Kollegin Petra Bläss, PDS. ten der CDU/CSU - Ottmar Schreiner [SPD]: Allerdings durch mehr Beschäfti Petra Bläss (PDS): Herr Präsident! Liebe Kollegin- gung!) nen und Kollegen! Ein Kompromiß ist geschlossen; aber es gibt überhaupt keinen Grund zum Feiern. Sie werden es mir nach den sehr kontroversen De- batten zu den 610 - DM - Verträgen nicht verdenken, (Beifall bei der PDS) daß ich die unveränderte Beibehaltung dieser ge- ringfügigen Beschäftigungsverhältnisse als einen Mit diesem Kompromiß hilft die SPD mit, die voraus- großen Erfolg der Vernunft feiere. sehbaren Folgen der Deregulierungspolitik dieser Regierungskoalition zu reparieren. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU - Lachen bei der SPD) Aber die Reparatur ist mehr schlecht als recht. Statt die Ursachen der Einnahmeverluste zu beheben, Gegen den Willen der SPD und großer Teile unseres wird nur an den Symptomen herumlaboriert. Allein Koalitionspartners haben wir verhindert, daß diese die Absenkung der Bruttolohnsumme durch den Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Petra Bläss Sozialabbau der letzten drei Jahre und der rasante Damit bleibt Ihr Entschließungsantrag letztlich eine Anstieg der versicherungsfreien Beschäftigungen Rechtfertigung für Ihre unsoziale Politik. brachten wenigstens 10 Milliarden DM weniger in Meine Damen und Herren, es ist höchste Zeit, daß die Rentenkasse. Diese 10 Milliarden DM wollen Sie hier in Bonn ein Kräfteverhältnis entsteht, das sich an jetzt durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer herein- den Interessen der Lohnabhängigen orientiert. holen. Die PDS lehnt eine solche Erhöhung der Mehrwertsteuer ab, weil sie unsozial ist. (Beifall bei der PDS) (Beifall bei der PDS) Reformen sind nötig, aber nicht solche, wie sie ge- genwärtig in diesem Hause verhandelt werden, weil Meinen Sie wirklich, daß der Verlust von 10 Mil- sie Gewinne und Reichtum unangetastet lassen. liarden DM Kaufkraft weniger Arbeitsplätze gefähr- det als die Erhöhung der Beiträge? Das ist doch nur Zur Reform von Steuern und Renten hat die PDS eine Schönheitskorrektur und eine unsoziale noch ihre alternativen Angebote vorgelegt. Ich kann Ihnen dazu. an dieser Stelle versichern: Wir werden darum kämp- fen, daß diese Alternativen hier im Parlament wieder Dazu wurde hier ein parlamentarisches Prozedere Gehör bekommen. inszeniert, das jeder Beschreibung spottet. Wochen- lang fand in den Medien ein Schlagabtausch statt, (Beifall bei der PDS) danach eine Geheimsitzung nach der anderen. Nun soll auch noch die Handlungsfähigkeit des Parla- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der ments beklatscht werden. Acht Wochen hat dieses Bundesminister Dr. Norbe rt Blüm. Hin und Her gedauert. Viel mehr Zeit einschließlich Sommerpause wurde der ganzen Rentenreform, die Bundesminister für Arbeit und Wirkungen bis weit in das nächste Jahrtausend hat, Dr. Norbert Blüm, Sozialordnung: Herr Präsident! Meine Damen und nicht gegeben. Unter enormem Kräfteverschleiß Herren! Ich gebe es zu: Ich freue mich. Ich freue kreißte der Berg und gebar ein Mäuschen. Wozu, mich am heutigen Tage für die Rentenversicherung. meine Damen und Herren, ist diese parlamentarische Demokratie hier verkommen? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Erst gestern befragte der Ausschuß für Arbeit und Dies ist ein guter Tag. Wir haben eine gute Ent- Sozialordnung den ganzen Tag Dutzende Sachver- scheidung für die Rentenversicherung getroffen. Un- ständige zum Thema geringfügige Beschäftigung. sere Rentenpolitik hatte und hat zwei Ziele: Rente si- Der Tenor war einhellig. Es hat nämlich nicht nur das chern und Beitragszahler entlasten. Das ist eine Poli- eine Institut, Frau Kollegin Babel, gesprochen, son- tik für jung und für alt. Diese beiden Ziele haben wir dern viele andere, darunter viele Gewerkschafterin- auf zwei Wegen erreicht: Erstens durch eine Renten- nen und Gewerkschafter. Die so Beschäftigten, über- reform und zweitens durch- Umfinanzierung. Daß wir wiegend Frauen, brauchen dringend sozialen auf beiden Wegen heute, vor Weihnachten, ins Ziel Schutz. kommen, das hätte ich vor einem Jahr nicht erwartet. (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU ten der SPD) und der F.D.P.) Mit den Beiträgen könnten sich nicht nur die Sozial- Es zeigt, daß wir zu Veränderungen fähig sind, daß versicherungskassen erholen, sondern es würden Entscheidungen möglich sind. Wenn sie notwendig Wettbewerbsverzerrungen in der Wirtschaft und im sind, müssen sie auch getroffen werden, selbst wenn Dienstleistungsbereich beseitigt werden. Wäre die- sie unpopulär sind. ses Votum zur Kenntnis genommen worden, käme es Die Rentenreform ist eine interne Entlastung, aus Ihnen nicht in den Sinn, heute vorzuschlagen, einzig eigener Kraft. Sie hat etwas mit Generationengerech- die Nebenbeschäftigungen in die Sozialversiche- tigkeit zu tun. rungspflicht einzubeziehen. Das ist lächerlich ange- sichts des riesigen Schutzbedürfnisses derer, die aus- Herr Schreiner, hören Sie doch auf mit „Rentenkür- schließlich auf geringfügige Beschäftigung angewie- zungen" . Wenn es eine Rentenkürzung wäre, dann sen sind. müßte die Rentenreform ja sofort wirken. Sie wirkt aber nicht sofort; sie wirkt in ihrer Entlastung ganz Und liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, langsam. was soll die Bagatellgrenze von 200 DM? Soll das etwa die Weichenstellung für eine neue Geringver- (Lachen bei Abgeordneten der SPD) dienergrenze oder gar ein weiteres Einfallstor für den - Sonst würde sie doch direkt wirken; das ist eine sogenannten Kombilohn sein? Frage der Mathematik. Sie müssen eine Antwort dar- auf geben, daß demographische Veränderungen nicht In dem heute von den Koalitionsparteien vorgeleg- nur von den Jungen bezahlt werden können. Kein ten Entschließungsantrag werden zwar etliche Großvater und keine Großmutter ist so egoistisch, daß Punkte, bei denen ein dringender Handlungsbedarf er oder sie nicht auf Enkel Rücksicht nimmt. besteht, benannt; diese hätten aber bitte schön längst erledigt sein können, wenn es hier in diesem Hause (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU eine wirklich seriöse Rentenreform gegeben hätte. und der F.D.P.) (Beifall bei der PDS) Soviel zu diesem Punkt. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997 Bundesminister Dr. Norbert Blüm Der andere Punkt ist die Umfinanzierung. Die Ent- Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- lastung um 0,7 Prozentpunkte im nächsten Jahr er- ßungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und zielt nicht die volle Wirkung, doch damit stabilisieren F.D.P. auf Drucksache 13/9439. Wer stimmt für diesen wir den Beitrag. Im darauffolgenden Jahr erzielen Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Enthal- wir die volle Wirkung durch die Senkung um einen tungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stim- Prozentpunkt. Damit haben wir alle Chancen, den men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Beitragssatz zu senken. gesamten Opposition angenommen. Meine Damen und Herren, das ist nicht nur Repa- ratur, sondern das ist auch eine Antwort auf eine Ver- Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 14 auf: schiebung, die man so nicht hinnehmen kann. Die Beratung der Beschlußempfehlung des Aus- Entwicklung, daß Soziallasten immer mehr von Bei- schusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes tragszahlern bezahlt werden und immer weniger von (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Fi- Steuerzahlern, muß umgedreht werden, auch um der nanzierung eines zusätzlichen Bundeszu- Arbeitsplätze willen. schusses zur gesetzlichen Rentenversiche- (Elke Ferner [SPD]: Wer hat das denn ver rung anlaßt?) - Drucksachen 13/8704, 13/8869, 13/9327, 13/ 9419 - Mein Appell lautet: Jetzt lassen Sie einmal das Thema Fremdleistungen weg. Das, was Sie als Berichterstattung: Fremdleistungen bezeichnet haben, wird ja erstattet. Abgeordneter Wolfgang Vogt (Düren) Die pauschale Entlastung, die Umfinanzierung, ist höher als das, was Sie als Fremdleistung bezeichnet Wir kommen gleich zur Abstimmung. Vorher darf haben. Von einer Beitragssenkung profitieren auch ich Ihnen mitteilen, daß die Kollegen Merz und Zöller die Rentner, weil damit ihre Anpassung höher ist. Zu sowie die Kollegen Maß und Weiermann Erklärun- dem Thema geringfügige Beschäftigung: Die Ar- gen zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsord- beitswelt hat sich verändert. Auf diese Entwicklung nung zu Protokoll geben. kann man nicht einfach mit alten Antworten reagie- Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 ren. Flexibilisierung - die wollen wir ja. Privatisie- Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im rung - die darf doch nicht zum großen Umweg um Deutschen Bundestag über die Ziffern 1 und 2 ge- Solidarpflichten führen. Auf diese Fragen müssen trennt, jedoch über die Änderungen in Anlage 1 und doch neue Antworten gefunden werden: Was ist die Fassung in Anlage 2 jeweils insgesamt abzustim- Hauptbeschäftigung? Was ist Nebenbeschäftigung? men ist. Deshalb muß hier eine Klärung herbeigeführt wer- Wir stimmen jetzt zunächst über die Nr. 1 der Be- den. schlußempfehlung des -Vermittlungsausschusses auf Wenn wir das heute nicht schaffen, bedaure ich Drucksache 13/9419 ab. Das ist das Gesetz zur Finan- das zwar; aber so ist ein Kompromiß. Ich verteidige zierung eines zusätzlichen Bundeszuschusses zur ge- ihn in beide Richtungen, „alles oder nichts" ist keine setzlichen Rentenversicherung mit der Berichtigung, vernünftige Politik. Auch diese Frage muß geklärt die vorhin vorgetragen worden ist. Ich bitte diejeni- werden um unserer Solidarität, um der neuen For- gen, die der Nr. 1 der Beschlußempfehlung des Ver- men der Arbeit willen, die wir wollen. Flexibilisie- mittlungsausschusses auf Drucksache 13/9419 zuzu- rung und auch Privatisierung dürfen nicht auf Kosten stimmen wünschen, um das Handzeichen. - Die Ge- der Solidarität gehen. genprobe! - Enthaltungen? - Nr. 1 der Beschlußemp- fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen Der langen Rede kurzer Sinn: Ich danke allen, die und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von daran mitgewirkt haben, daß dieses Ergebnis zu- Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen. stande kam. Der Koalition danke ich für die Renten- strukturreform. Der Opposition, jedenfalls der SPD, Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Nr. 2 danke ich für ihre Mitarbeit bei der Umfinanzierung ; der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschus- insofern ist es ein zurückgenommener Dank, weil er ses auf Drucksache 13/9419. Das ist das Gesetz zur noch nicht einmal die Hälfte des Vorhabens bet rifft. Stabilisierung der Finanzen der Rentenversicherung durch Einbeziehung geringfügig Nebenbeschäftigter Laßt uns den Tag als eine gute Nachricht für die in die Rentenversicherungspflicht. Die Fraktion der Rentenversicherung würdigen. Sie braucht mehr SPD verlangt namentliche Abstimmung. Vertrauen, sie braucht Unterstützung, und ohne Re- formen geht es nicht. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Wir stehen zu zwei Zielen: Rentensicherheit und Urnen besetzt? - Das scheint der Fall zu sein. Dann Beitragsentlastung. Zwei Wege führen dahin: Ren- eröffne ich die Abstimmung. - tenreform und Umfinanzierung. Beides bringen wir Ist noch jemand anwesend, der seine Stimmkarte vor Weihnachten ins Ziel. Deshalb ist das ein guter nicht eingeworfen hat? - Das scheint nicht der Fall zu Tag für die Rentenversicherung. sein. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später be- kanntgegeben.*) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich schließe die Aussprache. *) Seite 19154 B Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Wir setzen jetzt die Beratungen fort. weil ich sonst möglicherweise auf der Seite der Koali- tion jemanden vergessen könnte und auf der Seite Ich darf diejenigen, die an der nun folgenden De- der Opposition vielleicht dem einen oder anderen batte nicht teilnehmen wollen, bitten, uns alleine zu schaden würde. Beides möchte ich heute nicht riskie- lassen. ren. Ich rufe Zusatzpunkt 15 auf: (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD) Vereinbarte Debatte zum Thema „Post" Die Investoren am Postmarkt haben jetzt Planungs- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für sicherheit, und die Post AG kann sich schrittweise die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Er- auf den vollen Wettbewerb ab dem Jahre 2003 ein- hebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der stellen. Sie muß dies aber auch; denn daß wir mit Fall. Dann ist so beschlossen. dem, was dort zum Teil für den Kunden erbracht Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Bun- wird, nicht immer einverstanden sein können, zeigt desminister Dr. Wolfgang Bötsch. unser gemeinsamer Posteinlauf. Ich habe dem Vor- standsvorsitzenden der Post AG kürzlich die Frage gestellt, ob er die Beschwerdebriefe broschiert, ge- Dr. Wolfgang Bötsch, Bundesminister für Post und bündelt oder einzeln haben will. Ich könnte sie ihm Telekommunikation: Herr Präsident! Meine sehr ver- in jeder gewünschten Form liefern. ehrten Damen und Herren Kollegen! Nach langwieri- gen Verhandlungen auf verschiedenen Ebenen, zu- Meine Damen und Herren, wir haben jetzt die Si- nächst zwischen Bundestag und Bundesrat, wurde cherheit, daß der Börsengang für die Post AG auf nun gestern im Vermittlungsausschuß ein Kompro- Grund einer gesicherten Rechtsgrundlage vorberei- miß erreicht, so daß Ihnen heute empfohlen werden tet werden kann, weil dessen Erlöse zur Finanzie- kann - und zwar von den beteiligten Fraktionen -, rung der Lasten, die wir der Post AG mit der Postre- diesem Ergebnis zuzustimmen. form II und der Verfassungsänderung im Jahre 1994 auferlegt haben, verwendet werden können. Ich bin (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sehr gut!) der Auffassung, daß die Beschäftigten von diesem Damit gibt es für das zum 31. Dezember 1997 aus- Gesetz profitieren, weil durch dieses Gesetz ein so- laufende Postgesetz eine Anschlußregelung. Der un zial abgefederter Übergang in den Wettbewerb mög- regulierte Postmarkt mit seinen Unabwägbarkeiten lich wird. tritt deshalb nicht ein. Als ich heute mittag die seit zehn Tagen vor mei- Man hat mir in den vergangenen Tagen nachge- nem Ministerium mahnwachenden Postgewerk- sagt, ich habe ein Horrorszenario entworfen für den schaftler gesehen und gehört habe, hat mich nur die Fall, daß es keine Anschlußregelung zu dem Postge- etwas aggressive Musik- gestört, nicht aber, daß do rt setz gibt, das am 31. Dezember ausläuft. Einer hat so- erklärt worden ist, man sei mit unserem Ergebnis zu- gar gesagt: Der Bötsch ist doch eigentlich nicht einer, frieden. der Omas erschreckt. - Das tue ich wirklich nicht. Ich (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) habe lediglich den Vorteil - manche meinen viel- leicht auch, den Nachteil -, die Rechtslage zu ken- Denn die Arbeitsteilung, die uns manche einreden nen. wollten, daß der Postminister oder gar die F.D.P. nur für das Ergebnis des Wettbewerbs und für das posi- Deshalb habe ich nichts angekündigt, sondern nur tive Ergebnis von schwarzen Zahlen für die Unter- Möglichkeiten aufgezeigt, die denkbar gewesen wä- nehmen verantwortlich sei, die SPD für die Kunden ren, wenn es keine Anschlußregelung gegeben und die Postgewerkschaft für die Beschäftigten, habe hätte. Ich gestehe durchaus, daß ich dabei vielleicht ich nie anerkannt. Ich habe das wiederholt gesagt. etwas übertrieben habe. Zumindest habe ich etwas Ich persönlich habe mich immer für alle drei Aspekte überzeichnet. Aber Überzeichnungen und Übertrei- dieser Veranstaltung verantwortlich gefühlt, und ich bungen gehören, so glaube ich, zum politischen Ge- darf das sicherlich zumindest für alle Mitglieder der schäft. Wenn sich einer etwas getäuscht gefühlt hat, Koalition sagen. dann wird er es mir sicher verzeihen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Bei mir überwiegt heute eigentlich mehr der Dank ordneten der F.D.P.) zunächst an die Mitglieder des Vermittlungsaus- schusses, die sich gestern abend bis weit nach Mitter- Zum Ende meiner Amtszeit ist es mir zusammen nacht der Mühe unterzogen haben, eine einver- mit Ihnen buchstäblich in der letzten Minute gelun- nehmliche Regelung zu gestalten. gen, alle politischen und gesetzgeberischen Wei- chenstellungen vorzunehmen, die sich die Koalition (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. zu Beginn der Legislaturperiode für die Politikberei- sowie bei Abgeordneten der SPD) che Post und Telekommunikation vorgenommen hat. Ich bedanke mich bei den postpolitischen Spre- chern der Fraktionen des Deutschen Bundestages, Die Grundlagen wurden im Sommer 1994 mit der bei den Mitgliedern des Bundesrates, bei den Partei- Verfassungsänderung gelegt. Ich sage Ihnen von der und Fraktionsvorsitzenden, die im Hintergrund - si- SPD mit großem Respekt, daß 123 Abgeordnete der cherlich nicht für alle sichtbar, aber doch bemerkbar Sozialdemokratischen Partei damals, wenige Wochen - mitgewirkt haben. Ich nenne bewußt keine Namen, vor der Bundestagswahl, der Verfassungsänderung Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997 Bundesminister Dr. Wolfgang Bötsch zugestimmt haben, mit der es möglich war, den Endgültiges Ergebnis Klaus Hasenfratz postalischen Bereich aus dem öffentlich hoheitlichen Dr. Ingomar Hauchler Verhältnis in die privatrechtliche Organisationsform Abgegebene Stimmen: 641; Dieter Heistermann überzuführen und gleichzeitig die Weichen für die davon Reinhold Hemker Liberalisierung zu stellen. Das war nicht selbstver- ja: 286 Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks nein: 336 ständlich, und ich will mich heute dafür noch einmal Monika Heubaum bei allen Damen und Herren des Hauses ganz herz- enthalten: 19 Uwe Hiksch lich bedanken. Reinhold Hiller (Lübeck) Stephan Hilsberg Meine Damen und Herren, ich betrachte das, was Ja Gerd Höfer in dieser Legislaturperiode in diesem Bereich mög- Jelena Hoffmann (Chemnitz) Frank Hofmann (Volkach) lich war, nicht nur als persönlichen Erfolg. Ich be- SPD trachte es auch als persönlichen Erfolg, Ingrid Holzhüter Erwin Horn Brigitte Adler Eike Hovermann (Beifall bei der CDU/CSU) Gerd Andres Wolfgang Ilte Robert Antretter Brunhilde Irber aber ich betrachte es zunächst als ein Zeichen der Hermann Bachmaier Gabriele Iwersen Handlungsfähigkeit dieser Koalition, die sich auch in Ernst Bahr Renate Jäger anderen Politikfeldern zeigt. Ich betrachte es auch Doris Barnett Jann-Peter Janssen Klaus Barthel Ilse Janz als Zeichen dafür, daß es, wenn die Notwendigkeit Ingrid Becker-Inglau erkannt wird, immer noch möglich ist, über Partei- Dr. Uwe Jens Wolfgang Behrendt Volker Jung (Düsseldorf) und Fraktionsgrenzen hinweg Kompromisse zu Hans Berger Sabine Kaspereit Hans-Wern schließen. er Bertl Susanne Kastner Friedhelm Julius Beucher Ernst Kastning Rudolf Bindig Ich darf mich bei allen Mandatsträgern - auf wel- Hans-Peter Kemper Lilo Blunck cher Ebene auch immer -, die zu diesem Sieg der Klaus Kirschner Arne Börnsen (Ritterhude) Marianne Klappert Vernunft beigetragen haben, ganz herzlich bedan- Anni Brandt-Elsweier Siegrun Klemmer ken. Tilo Braune Hans-Ulrich Klose Dr. Eberhard Brecht Dr. Hans-Hinrich Knaape Ich bedanke mich zum Ende meiner Amtszeit als Edelgard Bulmahn Bundesminister für Post und Telekommunikation - Ursula Burchardt Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper als Abgeordneter werden Sie mich noch etwas ertra- Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury Nicolette Kressl gen müssen - bei allen Mitgliedern des Hauses, die Volker Kröning in den vergangenen Jahren die Zusammenarbeit mit Hans Büttner (Ingolstadt) Marion Caspers-Merk Thomas Krüger mir gepflegt haben. Wolf-Michael Catenhusen Horst Kubatschka Peter Conradi Eckart Kuhlwein (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und Christel Deichmann Helga Kühn-Mengel der SPD) Karl Diller Konrad Kunick Dr. Marliese Dobberthien Dr. Uwe Küster Ich drücke diesen Dank auch im Namen der bei- Peter Dreßen Werner Labsch Freimut Duve Brigitte Lange den Staatssekretäre, des Parlamentarischen Staatsse- Detlev von Larcher kretärs Dr. Laufs und des Staatssekretärs Pfeffer- Ludwig Eich Peter Enders Waltraud Lehn mann, sowie im Namen der Mitarbeiter meines Mi- Gernot Erler Robert Leidinger nisteriums aus, bei denen ich mich in der nächsten Petra Ernstberger Klaus Lennartz Woche noch in besonderer Weise bedanken darf. Annette Faße Dr. Elke Leonhard Elke Ferner Klaus Lohmann (Witten) Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Lothar Fischer (Homburg) Christa Lörcher Gabriele Fograscher Erika Lotz (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und Iris Follak Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß (Herne) der F.D.P. - Beifall bei der SPD sowie bei Norbert Formanski Dagmar Freitag Winfried Mante Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Anke Fuchs (Köln) Ulrike Mascher GRÜNEN) Katrin Fuchs (Verl) Christoph Matschie Arne Fuhrmann Ingrid Matthäus-Maier Monika Ganseforth Heide Mattischeck Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bevor ich dem Konrad Gilges Markus Meckel nächsten Redner das Wo rt erteile, gebe ich das von Iris Gleicke Ulrike Mehl Günter Gloser Herbert Meißner den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Uwe Göllner Angelika Mertens Ergebnis der namentlichen Abstimmung zu dem Ge- Angelika Graf (Rosenheim) Dr. Jürgen Meyer (Ulm) setzentwurf zur Finanzierung eines zusätzlichen Dieter Grasedieck Ursula Mogg Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversiche- Achim Großmann Siegmar Mosdorf rung - Drucksache 13/9419 Nr. 2 - bekannt. Abgege- Karl Hermann Haack Michael Müller (Düsseldorf) bene Stimmen: 641. Mit Ja haben 286 Abgeordnete (Extertal) Christian Müller (Zittau) gestimmt, mit Nein 336. Enthaltungen: 19. Damit ist Hans-Joachim Hacker Volker Neumann (Bramsche) Klaus Hagemann Gerhard Neumann (Gotha) Nr. 2 der Beschlußempfehlung abgelehnt. Manfred Hampel Dr. Edith Niehuis Christel Hanewinckel Dr. Rolf Niese (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das Alfred Hartenbach Doris Odendahl wundert uns bei dieser Koalition nicht!) Dr. Liesel Hartenstein Günter Oesinghaus Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Leyla Onur Franz Thönnes Helmut Wilhelm (Amberg) Ulf Fink Manfred Opel Uta Titze-Stecher Margareta Wolf (Frankfurt) Dirk Fischer (Hamburg) Adolf Ostertag Adelheid Tröscher Leni Fischer (Unna) Kurt Palis Hans-Eberhard Urbaniak Klaus Francke (Hamburg) Albrecht Papenroth Siegfried Vergin PDS Herbert Frankenhauser Dr. Willfried Penner Ute Vogt (Pforzheim) Dr. Gerhard Friedrich Dr. Martin Pfaff Karsten D. Voigt (Frankfurt) Wolfgang Bierstedt Erich G. Fritz Georg Pfannenstein Hans Georg Wagner Maritta Böttcher Hans-Joachim Fuchtel Dr. Eckhart Pick Hans Wallow Eva Bulling-Schröter Michaela Geiger Joachim Poß Dr. Konstanze Wegner Heinrich Graf von Einsiedel Norbert Geis Rudolf Purps Wolfgang Weiermann Ulla Jelpke Dr. Heiner Geißler Hermann Rappe Reinhard Weis (Stendal) Dr. Uwe-Jens Rössel Michael Glos (Hildesheim) Matthias Weisheit Klaus-Jürgen Warnick Wilma Glücklich Karin Rehbock-Zureich Gert Weisskirchen (Wiesloch) Dr. Reinhard Göhner Margot von Renesse Jochen Welt Peter Götz Renate Rennebach Hildegard Wester Fraktionslos Dr. Wolfgang Götzer Bernd Reuter Lydia Westrich Joachim Gres Dr. Edelbert Richter Inge Wettig-Danielmeier Kurt Neumann (Berlin) Kurt-Dieter Grill Günter Rixe Dr. Norbert Wieczorek Wolfgang Gröbl Reinhold Robbe Helmut Wieczorek Hermann Gröhe Gerhard Rübenkönig (Duisburg) Nein Claus-Peter Grotz Dr. Hansjörg Schäfer Heidemarie Wieczorek-Zeul Manfred Grund Gudrun Schaich-Walch Dieter Wiefelspütz Horst Günther (Duisburg) Dieter Schanz Berthold Wittich CDU/CSU Carl-Detlev Freiherr von Rudolf Scharping Dr. Wolfgang Wodarg Hammerstein Bernd Scheelen Verena Wohlleben Ulrich Adam Gottfried Haschke Dr. Hermann Scheer Hanna Wolf (München) Peter Altmaier (Großhennersdorf) Siegfried Scheffler Heidi Wright Anneliese Augustin Gerda Hasselfeldt Horst Schild Uta Zapf Jürgen Augustinowitz Otto Hauser (Esslingen) Otto Schily Dr. Christoph Zöpel Dietrich Austermann Hansgeorg Hauser Dieter Schloten Peter Zumkley Heinz-Günter Bargfrede (Rednitzhembach) Günter Schluckebier Franz Peter Basten Klaus-Jürgen Hedrich Horst Schmidbauer Dr. Wolf Bauer Helmut Heiderich (Nürnberg) BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Brigitte Baumeister Manfred Heise Ulla Schmidt (Aachen) Meinrad Belle Detlef Helling Dagmar Schmidt (Meschede) Gila Altmann (Aurich) Dr. Sabine Bergmann-Pohl Dr. Renate Hellwig Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Elisabeth Altmann Hans-Dirk Bierling Ernst Hinsken Regina Schmidt-Zadel (Pommelsbrunn) Dr. Joseph-Theodor Blank Peter Hintze Heinz Schmitt (Berg) Marieluise Beck (Bremen) Renate Blank Josef Hollerith Dr. Emil Schnell Volker Beck (Köln) Dr. Heribert Blens Elke Holzapfel Walter Schöler Angelika Beer Peter Bleser Dr. Karl-Heinz Hornhues Ottmar Schreiner Matthias Berninger Dr. Norbert Blüm Siegfried Hornung Gisela Schröter Annelie Buntenbach Friedrich Bohl Joachim Hörster Dr. Mathias Schube rt Amke Dietert-Scheuer Dr. Maria Böhmer Hubert Hüppe Schuhmann Richard Franziska Eichstädt-Bohlig Jochen Borchert Peter Jacoby (Delitzsch) Andrea Fischer (Berlin) Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Susanne Jaffke Brigitte Schulte (Hameln) Rita Grießhaber Wolfgang Bosbach Georg Janovsky Reinhard Schultz Gerald Häfner Dr. Wolfgang Bötsch Helmut Jawurek (Everswinkel) Antje Hermenau Klaus Brähmig Dr. Dionys Jobst Volkmar Schultz (Köln) Kristin Heyne Paul Breuer Dr.-Ing. Rainer Jork Ilse Schumann Ulrike Höfken Monika Brudlewsky Ulrich Junghanns Dr. R. Werner Schuster Michaele Hustedt Georg Brunnhuber Dr. Egon Jüttner Dietmar Schütz (Oldenburg) Dr. Manuel Kiper Klaus Bühler (Bruchsal) Dr. Harald Kahl Dr. Angelica Schwall-Düren Monika Knoche Hartmut Büttner Bartholomäus Kalb Ernst Schwanhold Dr. Angelika Köster-Loßack (Schönebeck) Steffen Kampeter Rolf Schwanitz Steffi Lemke Dankward Buwitt Dr.-Ing. Dietmar Kansy Bodo Seidenthal Dr. Helmut Lippelt Manfred Carstens (Emstek) Manfred Kanther Horst Sielaff Oswald Metzger Peter Harry Carstensen Irmgard Karwatzki Erika Simm Kerstin Müller (Köln) (Nordstrand) Volker Kauder Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Winfried Nachtwei Wolfgang Dehnel Peter Keller Dr. Cornelie Christa Nickels Hubert Deittert Eckart von Klaeden Sonntag-Wolgast Egbert Nitsch (Rendsburg) Gertrud Dempwolf Dr. Bernd Klaußner Wieland Sorge Cern Özdemir Albert Deß Ulrich Klinkert Wolfgang Spanier Gerd Poppe Renate Diemers Dr. Helmut Kohl Dr. Dietrich Sperling Simone Probst Wilhelm Dietzel Hans-Ulrich Köhler Jörg-Otto Spiller Dr. Jürgen Rochlitz Werner Dörflinger (Hainspitz) Antje-Marie Steen Halo Saibold Hansjürgen Doss Manfred Kolbe Ludwig Stiegler Christine Scheel Dr. Alfred Dregger Norbert Königshofen Dr. Peter Struck Irmingard Schewe-Gerigk Maria Eichhorn Eva-Maria Kors Joachim Tappe Albert Schmidt (Hitzhofen) Wolfgang Engelmann Manfred Koslowski Jörg Tauss Ursula Schönberger Rainer Eppelmann Thomas Kossendey Dr. Bodo Teichmann Marina Steindor Heinz Dieter Eßmann Rudolf Kraus Margitta Terborg Christian Sterzing Horst Eylmann Wolfgang Krause (Dessau) Jella Teuchner Manfred Such Anke Eymer Andreas Krautscheid Dr. Gerald Thalheim Dr. Antje Vollmer Ilse Falk Heinz-Jürgen Kronberg Wolfgang Thierse Ludger Volmer Jochen Feilcke Dr.-Ing. Paul Krüger Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Reiner Krziskewitz Klaus Dieter Reichardt Matthäus Strebl Ulrich Irmer Dr. Hermann Kues (Mannheim) Michael Stübgen Dr. Klaus Kinkel Werner Kuhn Dr. Bertold Reinartz Egon Susset Detlef Kleinert (Hannover) Dr. Karl A. Lamers Erika Reinhardt Dr. Rita Süssmuth Roland Kohn (Heidelberg) Hans-Peter Repnik Michael Teiser Dr. Heinrich L. Kolb Karl Lamers Roland Richter Dr. Susanne Tiemann Jürgen Koppelin Dr. Norbert Lammert Dr. Norbert Rieder Dr. Klaus Töpfer Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Helmut Lamp Dr. Erich Riedl (München) Gottfried Tröger Dr. Otto Graf Lambsdorff Armin Laschet Klaus Riegert Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Sabine Leutheusser Herbert Lattmann Dr. Heinz Riesenhuber Gunnar Uldall Schnarrenberger Dr. Paul Laufs Franz Romer Wolfgang Vogt (Düren) Uwe Lühr Karl-Josef Laumann Hannelore Rönsch Dr. Horst Waffenschmidt Jürgen W. Möllemann Vera Lengsfeld (Wiesbaden) Dr. Theodor Waigel Günther Friedrich Nolting Werner Lensing Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Alois Graf von Waldburg-Zeil Dr. Rainer Ortleb Christian Lenzer Dr. Klaus Rose Dr. Jürgen Warnke Lisa Peters Peter Letzgus Kurt J. Rossmanith Kersten Wetzel Dr. Klaus Röhl Editha Limbach Adolf Roth (Gießen) Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Helmut Schäfer (Mainz) Walter Link (Diepholz) Norbert Röttgen Gert Willner Cornelia Schmalz-Jacobsen Eduard Lintner Dr. Christian Ruck Bernd Wilz Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Klaus W. Lippold Volker Rühe Willy Wimmer (Neuss) Dr. Irmgard Schwaetzer (Offenbach) Dr. Jürgen Rüttgers Matthias Wissmann Dr. Hermann Otto Sohns Dr. Manfred Lischewski Roland Sauer (Stuttgart) Dr. Fritz Wittmann Dr. Max Stadler Dagmar Wöhrl Wolfgang Lohmann Ortrun Schätzle Carl-Ludwig Thiele Dr. Wolfgang Schäuble Michael Wonneberger (Lüdenscheid) Dr. Dieter Thomae Julius Louven Hartmut Schauerte Elke Wülfing Jürgen Türk Sigrun Löwisch Heinz Schemken Peter Kurt Würzbach Dr. Wolfgang Weng Heinrich Lummer Karl-Heinz Scherhag Cornelia Yzer (Gerlingen) Dr. Michael Luther Gerhard Scheu Wolfgang Zeitlmann Dr. Guido Westerwelle Erich Maaß (Wilhelmshaven) Norbert Schindler Benno Zierer Dr. Dietrich Mahlo Dietmar Schlee Wolfgang Zöller Erwin Marschewski Ulrich Schmalz Günter Marten Bernd Schmidbauer Enthalten Dr. Martin Mayer Christian Schmidt (Fürth) F.D.P. (Siegertsbrunn) Dr.-Ing. Joachim Schmidt PDS Wolfgang Meckelburg (Halsbrücke) Ina Albowitz Rudolf Meinl Andreas Schmidt (Mülheim) Dr. Gisela Babel Petra Bläss Dr. Michael Meister Hans-Otto Schmiedeberg Hildebrecht Braun Dr. Ludwig Elm Friedrich Merz Hans Peter Schmitz (Augsburg) Rudolf Meyer (Winsen) (Baesweiler) Günther Bredehorn Dr. Dagmar Enkelmann Dr. Ruth Fuchs Hans Michelbach Michael von Schmude Jörg van Essen - Meinolf Michels Birgit Schnieber-Jastram Dr. Olaf Feldmann Dr. Gregor Gysi Dr. Gerd Müller Dr. Andreas Schockenhoff Gisela Frick Hanns-Peter Hartmann Elmar Müller (Kirchheim) Dr. Rupert Scholz Paul K. Friedhoff Dr. Uwe-Jens Heuer Engelbert Nelle Reinhard Freiherr von Horst Friedrich Dr. Barbara Höll Bernd Neumann (Bremen) Schorlemer Rainer Funke Gerhard Jüttemann Johannes Nitsch Dr. Erika Schuchardt Hans-Dietrich Genscher Dr. Heidi Knake-Werner Claudia Nolte Wolfgang Schulhoff Dr. Wolfgang Gerhardt Rolf Kutzmutz Dr. Rolf Olderog Dr. Dieter Schulte Joachim Günther (Plauen) Dr. Christa Luft Friedhelm Ost (Schwäbisch Gmünd) Dr. Karlheinz Guttmacher Heidemarie Lüth Eduard Oswald Gerhard Schulz (Leipzig) Dr. Helmut Haussmann Dr. Günther Maleuda Norbert Otto (Erfurt) Frederick Schulze Ulrich Heinrich Manfred Müller (Berlin) Dr. Gerhard Päselt (Sangershausen) Walter Hirche Rosel Neuhäuser Dr. Peter Paziorek Diethard Schütze (Berlin) Dr. Burkhard Hirsch Christina Schenk Hans-Wilhelm Pesch Clemens Schwalbe Birgit Homburger Steffen Tippach Ulrich Petzold Dr. Christian Schwarz Dr. Werner Hoyer Dr. Winfried Wolf Anton Pfeifer Schilling Angelika Pfeiffer Wilhelm Josef Sebastian Das Wort hat jetzt Kollege Hans Ma rtin Bury, SPD. Dr. Gero Pfennig Horst Seehofer Dr. Friedbert Pflüger Marion Seib Beatrix Philipp Wilfried Seibel Hans Martin Bury (SPD): Herr Präsident! Liebe Kol- Dr. Winfried Pinger Heinz-Georg Seiffert leginnen und Kollegen! Die Auseinandersetzung um Ronald Pofalla Rudolf Seiters das Postgesetz war spannend bis zum Schluß. Zwar Dr. Hermann Pohler Johannes Selle Ruprecht Polenz Bernd Siebert hatte ich stets vermutet, daß Herr Bötsch nicht als Marlies Pretzlaff Jürgen Sikora Outlaw seinen Ministersessel räumen möchte, aber Dr. Albert Probst Johannes Singhammer es hat sehr lange gedauert, bis in der Koalition der Dr. Bernd Protzner Bärbel Sothmann Funke übersprang. Es gibt Leute, die sagen, er sei Dieter Pützhofen Margarete Späte umgefallen, aber ich glaube, schon aus rein physika- Thomas Rachel Carl-Dieter Spranger lischen Gründen kann ein Funke nicht umfallen, son- Hans Raidel Wolfgang Steiger dern nur überspringen. Dr. Peter Ramsauer Erika Steinbach Roll Rau Dr. Wolfgang Freiherr von (Zuruf von der CDU/CSU: Ein brillantes Helmut Rauber Stetten Wortspiel!) Peter Rauen Dr. Gerhard Stoltenberg Otto Regenspurger Andreas Storm Wenn man ein echtes Vermittlungsergebnis einstim Christa Reichard (Dresden) Max Straubinger mig erzielt, dann muß man, glaube ich, allen Seiten Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Hans Martin Bury die Möglichkeit geben, das Gesicht zu wahren, auch tragsfreiheit, ein wirksamer Schutz vor der Auswei- wenn die eine Seite deutlich mehr hat durchsetzen tung ungeschützter Beschäftigungsverhältnisse, vor können als die andere Seite. Sozialdumping und damit vor unfairem Wettbewerb. Wenn wir beim Postgesetz nicht zu einer Einigung Wir haben eine flexible Entgeltregulierung vorge- gekommen wären, hätte das Scheitern des Regie- sehen und damit einen chancengleichen Wettbe- rungsentwurfs für Arbeitnehmer und Verbraucher werb. Der Marktbeherrscher wird sich gefallen las- keine gravierend negativen Auswirkungen gehabt. sen müssen, daß er einer besonderen Aufsicht unter- Für die SPD war stets klar: Besser kein Gesetz als der liegt. Aber wir binden ihm keinen Klotz ans Bein; Regierungsentwurf, besser kein Gesetz als ein fauler denn wir alle wissen, wir werden für eine gute, flä- Kompromiß. chendeckende Versorgung eine starke Post AG brau- chen. (Beifall bei der SPD) So hat die Regierungskoalition jetzt nach dem Motto (Beifall bei der SPD) entschieden: Besser dieses Gesetz als keines. Wir haben es geschafft, die Finanzierung der Das neue Postgesetz trägt jetzt deutlich sozialde- postalischen Infrastruktur dauerhaft zu gewährlei- mokratische Handschrift. Das ist gut so. sten: über einen besseren reservierten Bereich, als ursprünglich vorgesehen, und danach durch Aus- (Beifall bei der SPD) gleichsmechanismen aller Lizenznehmer, die eventu- Wir sichern gute Postdienstleistungen zu erschwing- ell entstehende Defizite ausgleichen werden. lichen Preisen in ländlichen Räumen ebenso wie in Dazu kommt eine Fülle weiterer Punkte, die ich den Ballungszentren. Wir sorgen dafür, daß dieser so- nicht einzeln nennen will. Wichtig erscheint mir un- genannte Universaldienst auch dauerhaft finanziert ter anderem die Protokollnotiz, daß sich die Bundes- werden kann, und wir verhindern, daß es in einem regierung verbindlich bereit erklärt hat, im Rahmen Sektor, den wir jetzt erst öffnen für den Wettbewerb, des Ratifizierungsgesetzes zum Weltpostvertrag zu Fehlentwicklungen kommt, wie wir sie bei 610- Wettbewerbsverzerrungen durch Remailing zu La- DM-Jobs und Scheinselbständigkeit ansonsten be- sten deutscher Unternehmen zu unterbinden. Wir klagen. nehmen Sie da beim Wort. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Wir schaffen außerdem Wettbewerb. Das wäre ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ohne Gesetz nur auf dem Papier der Fall gewesen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, daß wir uns heute Für die SPD war immer klar: Wir wollen Wettbewerb. nacht beim Postgesetz geeinigt haben, ist mir auch Aber Wettbewerb muß den Kunden und Beschäftig- deshalb wichtig, weil angesichts der Reformunfähig- ten dienen und nicht umgekehrt. - keit dieser Regierungskoalition insgesamt langsam (Beifall bei der SPD) bei vielen Leuten, die nicht so genau differenzieren, der Eindruck von Handlungsunfähigkeit der Politik Die Hartnäckigkeit der SPD in den Verhandlungen allgemein entsteht. hat sich gelohnt: für Arbeitnehmer und Verbraucher. Wir haben unsere zentralen Ziele im Interesse von (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das ist allerdings Postkunden und -beschäftigten erreicht. Die wichtig- richtig!) sten Verbesserungen aus meiner Sicht sind: die klare Universaldienstdefinition, dynamisch, der techni- Ich denke, es ist wichtig, die Unterschiede deutlich schen Entwicklung und der Nachfrage angepaßt, zu machen, aber do rt, wo man sich einig ist, dann wobei wir um die Fragen des Filialnetzes und des auch gemeinsam zu handeln. Ich würde mir wün- Postzeitungsdienstes bei der Verordnung, die auf der schen, daß das auch bei anderen Punkten, die heute Grundlage des Gesetzes noch zu erlassen ist und die zur Abstimmung standen, möglich gewesen wäre. der Zustimmung des Bundestages sowie des Bundes- (Beifall bei der SPD - Detlev von Larcher rates bedarf, noch einmal hart ringen werden. Wir [SPD]: Das können die ja nicht!) sind der Überzeugung, daß der Postzeitungsdienst zum Universaldienst gehören muß: im Interesse einer Liebe Kolleginnen und Kollegen, die F.D.P. ist beim vielfältigen Zeitungslandschaft, im Interesse von Salto postale auf den Bauch gefallen. Sie sollten jetzt Meinungsvielfalt und von Zeitungslesern gerade nicht das Ergebnis zerreden, sondern zu Ihrer Nie- auch in ländlichen Räumen. derlage stehen. Es gibt zu viele Themen, bei denen Sie sich in den letzten Jahren durchgesetzt haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Die Resultate sind danach. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD - Ul rich Heinrich Wir werden auch in der Zukunft für ein flächendek- [F.D.P.]: Wie meinen Sie denn das, Herr Kol kendes Netz von Postfilialen kämpfen. lege? Führen Sie das doch einmal näher (Beifall bei der SPD) aus! - Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Erläutern Sie das doch ein bißchen!) Ein wichtiger Punkt ist die Sicherung der sozialen Mindeststandards in der Weise, wie sie der Bundes- - Wenn Sie noch irgendwelchen Kontakt zu den rat und die SPD-Fraktion vorgeschlagen haben: un- Menschen hätten, die von den Folgen Ihrer Politik ter Wahrung von Tarifautonomie, Gewerbe- und Ver betroffen sind - angesichts von Massenarbeitslosig- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den i 1. Dezember 1997

Hans Martin Bury keit, angesichts stets sinkender Kaufkraft -, dann ben mehr für die Flächenpräsenz der Post gegeben. würden Sie diese Frage nicht stellen müssen. Zum Glück allerdings ist mit dem jetzt erzielten Kom- promiß die turbokapitalistische Blockadepolitik der (Beifall bei der SPD) F.D.P. gestoppt worden. Die F.D.P. sollte die drei Punkte ihres Parteilogos (Lachen und Widerspruch bei der F.D.P.) auf einer gelben Binde am Arm tragen, so blind ist sie für die sozialen Folgen ihrer Politik geworden. Die Absicherung der Mindeststandards im Sozial- (Beifall bei der SPD) bereich wurde zum Knackpunkt im Postgesetz. Wir brauchen eine umfassende soziale Regelung hin- Meine Damen und Herren, es ist bezeichnend, sichtlich der „McJobs". Auch die Post AG - das muß daß der einzige Minister im Kabinett Kohl, der we- man an dieser Stelle deutlich sagen - hat keine nigstens in zwei Sektoren Reformen mitgestaltet hat, weiße Weste hinsichtlich Billigjobs mehr und stützt die den Titel Reform verdienen, nun aus der Bun- sich immer mehr auf Unternehmen, die nur noch desregierung ausscheidet. Ich wünsche Ihnen per- Turnschuhbrigaden beschäftigen. Das Postgesetz ist sönlich, Herr Bötsch, alles Gute. Trösten Sie sich: Es damit ein erster Erfolg, um die Erosion der Sozial- ist ehrenvoller, dieser Bundesregierung nicht an- standards zu stoppen. Die F.D.P. wurde in ihrer so- zugehören. zialen Kälte auf der ganzen Linie ausgebremst. Das ist ein Glück. Das Postgesetz ist ein branchenspezifi- (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie scher Einstieg in die Sicherung von sozialen Min- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ deststandards. Eine grundsätzliche Regelung dieser DIE GRÜNEN) Fragen steht aber noch aus. Die politischen Mehr- Mein Dank gilt all denen, die das Postgesetz und heiten in diesem Lande jenseits der F.D.P. müssen die Einigung mit ermöglicht haben, den Mitarbeite- jetzt umfassend dafür sorgen, daß die soziale Grund- rinnen und Mitarbeitern auf beiden Seiten, auch all sicherung nicht durch Billigjobs kaputtgemacht denen, die uns mit ihren öffentlichen Aktionen in wird. den letzten Wochen und Monaten den Rücken ge- stärkt haben Das Postgesetz sichert die Grundversorgung zu- nächst bis zum Jahre 2002, wie es jetzt im Gesetz (Beifall bei der SPD) festgeschrieben ist. Aber die Regulierungsbehörde überprüft, ob weiterhin eine Exklusivlizenz notwen- und die deutlich gemacht haben, wie ernst es ihnen dig ist. Mit dieser Regelung kann die Grundversor- mit dem Kampf um ihre Arbeitsplätze ist, aber nicht gung langfristig sichergestellt werden. nur um ihre Arbeitsplätze, sondern auch um eine gute Postversorgung der Bevölkerung insgesamt und (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Antje Vollmer) um ordentliche Arbeitsplätze bei den Wettbewer- - bern, die neu entstehen sollen. Ich wünsche insbe- Ich möchte aber auch auf einen Punkt hinweisen, sondere denen, die trotz der schwierigen Lage ange- der noch nicht angesprochen worden ist: Zum Glück sichts des in Auflösung befindlichen Ministeriums bis ist in § 41 des Postgesetzes eine Schnüffelforderung zuletzt sehr engagiert ihre Arbeit gemacht haben, des Bundesrats abgelehnt worden. Datenschutz und auch in den jeweils neuen Verantwortungsbereichen vertrauliche Kommunikation sind grundrechtlich alles Gute. geschützt. Es ist bedauerlich, daß in der gesamten Post- und Telekommunikationsgesetzgebung nicht Vielen Dank. nur Herr Kanther den Abbau der Grundrechte betrie- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ben hat, sondern auch die Innenminister der Länder. DIE GRÜNEN - Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Je Erfreulicherweise konnte beim Postgesetz eine Ver- frecher und inhaltsleerer die Reden, desto schärfung verhindert werden. größer der Beifall!) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS SES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Kollege Dr. Kiper, Bündnis 90/Die Grünen. Wir können nicht die Augen davor verschließen, daß es Unzufriedenheit mit der Post gibt. Wir brau- chen eine bürgerfreundliche Post in diesem Lande. Dr. Manuel Kiper (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir brauchen ein besseres Dienstleistungskonzept. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen Von daher ist es erfreulich, daß mit diesem Gesetz und Kollegen! Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nunmehr dem Wettbewerb die Tür weiter aufge- begrüßt die Einigung beim Postgesetz. Hätte es kein macht wird. Das Postgesetz sichert die Grundversor- Postgesetz gegeben, wären - das sehe ich etwas an- gung. Das Postgesetz öffnet den Wettbewerb weiter. ders als Kollege Bury - die Bürgerinnen und Bürger Das Postgesetz garantiert aber noch nicht die die Verlierer gewesen. Dienstleistungsorientierung. Hier werden die Post (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) AG und die Konkurrenten noch weiter lernen müs- sen. Noch ist der Postkunde in diesem Lande leider Es hätte nämlich keine Investitionssicherheit für Kon- nicht König. kurrenten gegeben, aber die Post AG hätte freie Hand zur Rationalisierung und zum Rückzug aus der Dieses Gesetz, meine Damen und Herren, ist ein Fläche gehabt. Insofern, Kollege Bury, ist es gut, daß wichtiger und richtiger Schritt: weg vom Monopol, wir ein Postgesetz haben. Es hätte sonst keine Vorga hin zum Wettbewerb, hin zur Dienstleistungsorien- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Dr. Manuel Kiper tierung auf dem Postsektor. Deshalb stimmen wir die- sozialer Standards, zur Verhinderung von Filial- sem Gesetz zu. schließungen und von 610/520-DM-Jobs keinesfalls ausreichend. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der PDS) (Beifall des Abg. Matthias Berninger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wäre er es gewesen, hätte die F.D.P. niemals zuge- stimmt. Er bietet keine Gewähr für die Beibehaltung der Tarifeinheit im Raum und auch nicht gegen neue Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jüttemann. Preissteigerungen. Freuen dürfen sich allenfalls Großkunden - und das nicht zum erstenmal. Wer also zu diesem Gesetz ja sagt, sollte auch deutlich sagen, Gerhard Jüttemann (PDS): Frau Präsidentin! Meine daß er damit einem großen Schritt in Richtung Zwei Damen und Herren! Nach monatelangem Tauziehen klassenpost zustimmt. hinter den Kulissen haben wir nun tatsächlich noch ein Postgesetz. Es sieht sogar besser aus als das vor Die Hauptleidtragenden aber werden einmal mehr zwei Monaten an dieser Stelle von der Koalition die Beschäftigten im Postbereich sein. durchgedrückte Gesetz. Aber ist es deswegen gleich Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ein gutes, ein vernünftiges Gesetz, wie es Tausende von Postlerinnen und Postlern in den vergangenen (Beifall bei der PDS) Wochen mit ihren Protestaktionen erstrebt haben?

Ich sage nein. Dem seit letzter Nacht ausgebroche- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat nen Jubel kann ich mich beim besten Willen nicht jetzt der Kollege Stadler. anschließen. Ich kann nicht ein Ergebnis, das auch nur ein wenig besser ist als gar nichts, deswegen gleich ein gutes Ergebnis nennen. Die besonders von Dr. Max Stadler (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine der SPD hier zur Schau getragene Eupho rie hat für Damen und Herren! Die F.D.P.-Fraktion wird dem Er- mich Alibicharakter. Wir wissen doch alle, daß das gebnis des Vermittlungsverfahrens zum Postgesetz Wahljahr begonnen hat. Ich möchte daran erinnern, zustimmen. daß am 9. Oktober unser Antrag auf Festschreibung sozialer Standards im Postwesen hier rundweg abge- (Zurufe von der SPD: Nein!) lehnt wurde, auch von dieser SPD. Wie allgemein bekannt ist, war das neue Postgesetz (Hans Martin Bury [SPD]: Weil wir einen keine leichte Geburt. Das war nicht weiter verwun- eigenen, besseren hatten!) derlich, weil ja die Grundpositionen der Beteiligten weit auseinanderlagen. -Der F.D.P. kam es vor allem - Einen eigenen? Sie hätten unserem Antrag zustim- darauf an, auch im Sektor der sogenannten gelben men können; dann wäre der Entwurf wenigstens ein Post so rasch wie möglich den Wettbewerb einzufüh- bißchen besser als das, was Sie jetzt abgegeben ha- ren. Wir waren immer der Überzeugung, daß die Än- ben. derung der Organisationsform allein nicht ausreicht. Ein privates Monopol ist nicht besser als ein staatli- Dabei hätten diese Sozialstandards glasklar in die- ches Monopol. Dagegen sorgt der Wettbewerb für ses Gesetz gehört, ebenso wie eine Exklusivlizenz für neue Dienstleistungen, besseren Se rvice und niedri- bis zu 350 Gramm Briefgewicht einschließlich Info- gere Preise. Dies liegt im Interesse der Verbraucher, post für die Deutsche Post, damit sie in der Lage ist, um die es uns beim neuen Postgesetz in erster Linie ihre Pensionslasten zu tragen, ohne massenhaft Ar- geht. beitsplätze abzubauen. Damit hätten Sie, Herr Mi- nister Bötsch, sinngemäß wenigstens das in Deutsch- (Beifall bei der F.D.P. - Lachen bei der SPD) land erfüllt, was Sie im Ausland als zweckdienlich er- klärt haben. Die SPD verfolgte dagegen die Zielsetzung, den Übergang vom Monopol zum Wettbewerb so zöger- Schon bald wird sich die harte Realität dieses Ge- lich und vorsichtig zu gestalten, daß sich möglichst setzes einstellen - nicht hier auf diesen Bänken, son- lange möglichst wenig ändert. dern bei den Beschäftigten der Deutschen Post AG. Lassen Sie uns heute in einem Jahr Bilanz ziehen! (Beifall bei der F.D.P.) Wieviel Arbeitsplätze werden dann bei der Post wie- der abgebaut sein? 10000? 20000? 40 000 oder noch Bei dieser Ausgangslage war klar, daß ein erfolg- mehr? Und was werden Sie dann denen sagen, die reicher Abschluß des Vermittlungsverfahrens die Be- sich im „freien Wettbewerb" der Turnschuhbrigaden reitschaft zum Kompromiß in besonders hohem Maße tummeln müssen, um ein Minimum an Verdienst zu vorausgesetzt hat. Niemand konnte ernsthaft ein In- ergattern? Glauben Sie wirklich, daß diese Menschen teresse am Scheitern der Verhandlungen haben. Wir dann auch noch sagen: Wir haben zwar wenig in der brauchen - ähnlich wie im Telekommunikationsbe- rischen Lohntüte, sind auch kaum sozial abgesichert, aber reich - zunächst den sogenannten asymmet wenigstens ist Deutschland der Vorreiter bei der Li- Wettbewerb, der nur entstehen kann, wenn der bis- beralisierung der Postmärkte? Glauben Sie das? herige Monopolist Deutsche Post AG für eine Über- gangszeit gewissen Regulierungen unterworfen Deshalb ist der hier vorgelegte Kompromiß für die wird, die für die privaten Wettbewerber nicht be- Arbeitsplätze bei der Deutschen Post zur Sicherung stehen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Dr. Max Stadler Ohne ein neues Postgesetz hätte die Gefahr be- richtshofes im Rahmen der nach dem Ratifizie- standen, daß der unregulierte bisherige Monopolist rungsgesetz zum Weltpostvertrag zu erlassenden den Marktzugang neuer Firmen auf längere Dauer Verordnung (Art. 3 Abs. 3) Regelungen erlassen, verhindert hätte. Aus diesem Grund ist es vorzuzie- die Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten deut- hen, auf einen Kompromiß einzugehen, auch wenn scher Unternehmen verhindern. wir die ursprüngliche Gesetzesfassung, so wie sie vom Deutschen Bundestag beschlossen worden war, Ich bedanke mich. für besser gehalten haben. (Beifall bei der CDU/CSU) So begegnet etwa die neue Klausel, wonach Lizen- zen verweigert werden können, obwohl sich der An- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich schließe da- tragsteller arbeitsrechtlich zulässiger Gestaltung von mit die Aussprache und rufe den Zusatzpunkt 16 auf: Arbeitsverhältnissen bedient, weiterhin erheblichen Bedenken. Beratung der Beschlußempfehlung des Aus- (Beifall bei der F.D.P.) schusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Postgesetz Unserer Meinung nach kann die Problematik der (PostG) 610-DM-Beschäftigungsverhältnisse so nicht ange- - Drucksachen 13/7774, 13/8702, 13/8800, 13/ packt werden. Das neue Postgesetz erscheint uns an 9420 - dieser Stelle daher nicht als Vorbild für die künftige Gesetzgebung in anderen Sektoren geeignet. Berichterstattung: (Beifall bei der F.D.P.) Abgeordneter Dr. Peter Struck Der Übergang zum Wettbewerb ist nach dem Ver- Hier ist als Berichterstatter der Abgeordnete Peter mittlungsergebnis für den bisherigen Monopolisten Struck benannt worden, aber der ist, denke ich, jetzt Deutsche Post AG noch stärker abgefedert worden, im Ältestenrat. als dies in der Ursprungsfassung des Gesetzes ohne- hin schon der Fall war. Entscheidend bleibt aber, daß Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Vermitt- das Postgesetz auch in der Fassung des Vermitt- lungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner lungsausschusses den Weg in den Wettbewerb ein Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen für allemal unumkehrbar festlegt. Die Gewinner die- Bundestag über die Änderung gemeinsam abzustim- ser Entwicklung werden die Verbraucher sein, und men ist. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des zwar sowohl die gewerbliche Wirtschaft als auch die Vermittlungsausschusses auf Drucksache 13/9420? - Privatkunden. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußemp- fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio- Sehr geehrter Herr Minister, lieber Herr Dr. Bötsch, nen, der SPD und des Bündnisses- 90/Die Grünen ge- auf Grund dieser Überlegungen können wir dem gen die Stimmen der PDS bei einer Enthaltung bei Vermittlungsergebnis doch zustimmen. Es freut mich der F.D.P. und zwei Enthaltungen bei der PDS ange- für Sie persönlich, daß Sie Ihre Tätigkeit als Minister nommen worden. mit einem politischen Erfolg beenden. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Ich rufe den Zusatzpunkt 17 auf: Sie haben damit ein umfassendes und wichtiges Re- Beratung der Bechlußempfehlung des Aus- formwerk abgeschlossen. Dafür gilt Ihnen Dank und schusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes Anerkennung der F.D.P.-Fraktion. (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU) - Drucksachen 13/4386, 13/6721, 13/7234, 13/ 9421-

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Als Berichter- Berichterstattung: statter erteile ich jetzt dem Abgeordneten Elmar Mül- Abgeordneter Otto Schily ler das Wort. Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungs- Elmar Müller (Kirchheim) (CDU/CSU): Frau Präsi- ausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Ge- dentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! schäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen Bun- Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist nur eine destag über die Änderung gemeinsam abzustimmen formale Erklärung, die ich als Berichterstatter na- ist. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ver- mens der anderen Berichterstatter entgegengenom- mittlungsausschusses auf Drucksache 13/9421? - Ge- men habe. Sie wird Teil der Berichterstattung zum genprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfeh- schwierigen Thema Remailing sein, die vor allem an- lung ist damit einstimmig angenommen worden. gesichts der bevorstehenden Entscheidungen deut- scher Gerichte, aber auch des EuGH ansteht. Fol- Ich rufe den Zusatzpunkt 18 auf: gende Erklärung der Bundesregierung habe ich ent- gegengenommen: Beratung der Beschlußempfehlung des Aus- schusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes Die Bundesregierung wird unter Berücksichti (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur gung der Entscheidung des Europäischen Ge Fortentwicklung des Haushaltsrechts von Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Bund und Ländern (Haushaltsrechts-Fortent- Überweisungsvorschlag: wicklungsgesetz) Innenausschuß (federführend) Rechtsausschuß - Drucksachen 13/8293, 13/8875, 13/9326, 13/ Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 9422 - Haushaltsausschuß Berichterstattung: h) Erste Beratung des von der Bundesregie- Abgeordnete Ing ri d Matthäus-Maier rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungs- zes zur Änderung des Sprengstoffgesetzes ausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Ge- und anderer Vorschriften (SprengÄndG schäftsordnung auch hier beschlossen, über die Än- 1997) derung gemeinsam abzustimmen. Wer stimmt für die - Drucksache 13/8935 Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses —Überweisungsvorschlag: auf Drucksache 13/9422? - Gegenstimmen? - Enthal- Innenausschuß (federführend) tungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stim- Ausschuß für Wirtschaft men der Koalitionsfraktionen, der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen worden. i) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- Die PDS hat nicht mitgestimmt. brachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur (Dr. Gregor Gysi [PDS]: Das Problem ist, Änderung der Strafprozeßordnung und an- daß die PDS nicht im Vermittlungsausschuß derer Gesetze ist! Wir kennen die Vorlagen nicht!) (Strafprozeßanpassungsgesetz - StpAnpG) - Ich verstehe Ihr Problem. Meine Aufgabe im Mo- - Drucksache 13/8939 ment aber ist es, zu registrieren, wie abgestimmt wor- —Überweisungsvorschlag: den ist. Rechtsausschuß

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20e bis 20n und j) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- 20p sowie die Zusatzpunkte 6 a und 6 b auf: brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- derung des Gesetzes über Ordnungswid- 20. Überweisungen im vereinfachten Verfahren rigkeiten e) Erste Beratung des von der Bundesregie- - Drucksache 13/8940 rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- —Überweisungsvorschlag: zes zu dem Abkommen vom 19. März 1997 Rechtsausschuß (federführend) zur Änderung des Vertrags vom 23. Novem- Innenausschuß ber 1964 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eid- k) Erste Beratung des von der Bundesregie- genossenschaft über die Einbeziehung der rung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gemeinde Büsingen am Hochrhein in das Gesetzes zur Änderung der Gewerbeord- schweizerische Zollgebiet (Büsinger Staats- nung und sonstiger gewerberechtlicher vertrag) Vorschriften - Drucksache 13/9040 — - Drucksache 13/9109 — Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- heit f) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- l) Erste Beratung des von der Bundesregie- zes zur Änderung der Rechtsgrundlagen für rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- die Vergabe öffentlicher Aufträge zes zur Änderung des Agrarstatistikgeset- (Vergaberechtsänderungsgesetz - VgRÄG) zes und anderer Gesetze - Drucksache 13/9340 — - Drucksache 13/9110 Überweisungsvorschlag: —Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Rechtsausschuß (federführend) Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Innenausschuß Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- heit Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau m) Erste Beratung des von den Abgeordneten Haushaltsausschuß Christina Schenk, Dr. Heidi Knake-Werner, Heidemarie Lüth, weiteren Abgeordneten g) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- und der Gruppe der PDS eingebrachten brachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Entwurfs eines Gesetzes über Rahmenbe- Änderung des Beamtenrechtsrahmengeset- dingungen für die Vereinbarkeit von Beruf zes und anderer dienstrechtlicher Vor- und Kinderbetreuung für Frauen und Män- schriften ner (Vereinbarkeitsgesetz - VereinbG) - Drucksache 13/8934 - - Drucksache 13/9380 - Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Überweisungsvorschlag: Tagesordnungspunkt 21 a: Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (fe- Zweite und dritte Beratung des von der Bun- derführend) Rechtsausschuß desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Gesetzes zur Neuordnung des Eheschlie- ßungsrechts (Eheschließungsrechtsgesetz - n) Beratung des Antrags der Abgeordne- EheschlRG) ten Dr. R. Werner Schuster, Tilo Braune, - Drucksache 13/4898 - Dr. Wolfgang Wodarg, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der SPD (Erste Beratung 116. Sitzung) Reform der ärztlichen Ausbildung Beschlußempfehlung und Bericht des Rechts- ausschusses (6. Ausschuß) - Drucksache 13/8901 — - Drucksache 13/9416 - Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Gesundheit (federführend) Berichterstattung: Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Tech- Abgeordnete Wolfgang Bosbach nologie und Technikfolgenabschätzung Margot von Renesse Volker Beck (Köln) p) Beratung des Antrags der Gruppe der PDS Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Feminine und maskuline Sprachform in Ausschußfassung zuzustimmen wünschen, um das Rechtsvorschriften des Bundes Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - - Drucksache 13/8865 — Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit Überweisungsvorschlag: den Stimmen des ganzen Hauses angenommen wor- den. Rechtsausschuß (federführend) Innenausschuß Wir kommen zur Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend dritten Beratung ZP6 Weitere Überweisungen im vereinfachten und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die Verfahren dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- (Ergänzung zu TOP 20) ben. - Stimmt jemand dagegen? - Gibt es Enthaltun- gen? - Der Gesetzentwurf ist damit auch in dritter Le- a) Erste Beratung des von den Fraktionen der sung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenom- CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Ent- men worden. wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ge- setzes zur vorläufigen Regelung des Rechts Tagesordnungspunkt 21 b: der Industrie- und H andelskammern (IHK- GÄndG) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- - Drucksache 13/9378 desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirt- —Überweisungsvorschlag: schaftsplans des ERP-Sondervermögens für Ausschuß für Wirtschaft (federführend) das Jahr 1998 (ERP-Wirtschaftsplangesetz Rechtsausschuß Finanzausschuß 1998) - Drucksache 13/8833 - b) Erste Beratung des von den Fraktionen (Erste Beratung 203. Sitzung) CDU/CSU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und F.D.P. eingebrachten Entwurfs ei- Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- nes Gesetzes zur Änderung des Grundge- schusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) setzes (Artikel 39 GG) - Drucksache 13/9409 - - Drucksache 13/9393 — Berichterstattung: Überweisungsvorschlag: Abgeordnete Dagmar Wöhrl Rechtsausschuß (federführend) Innenausschuß Der Ausschuß für Wirtschaft empfiehlt auf Druck- sache 13/9409, den Gesetzentwurf unverände rt an- Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach- zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem zustimmen ten Verfahren ohne Debatte. wollen, um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstim- Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen men? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Hauses angenommen worden. Dann sind diese Überweisungen so beschlossen. Wir kommen zur dritten Beratung Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a bis 21 q auf. Es handelt sich um Beschlußfassungen zu Vorlagen, und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer ben. - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? bezüglichen Aktionen in den internationalen - Das ist nicht der Fall. Der Gesetzentwurf ist damit Organisationen und eines Genehmigungsver- in dritter Lesung mit den Stimmen des ganzen Hau- fahrens für Seeverkehrsabkommen ses angenommen worden. - Drucksachen 13/7959 Nr. 2.4, 13/9383 - Tagesordnungspunkt 21 c: Berichterstattung: Beratung der Beschlußempfehlung und des Abgeordneter Konrad Kunick Berichts des Ausschusses für Raumordnung, Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Ge- Bauwesen und Städtebau (18. Ausschuß) zu genstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlußemp- dem Antrag der Abgeordneten Helmut Wil- fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen helm (Amberg), Franziska Eichstädt-Bohlig, und der SPD bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Gila Altmann (Aurich), weiterer Abgeordneter Grünen und PDS angenommen worden. und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Richtlinie für ökologisches Bauen bei Bau- Tagesordnungspunkt 21f bis 211: maßnahmen des Bundes f) Beratung der Beschlußempfehlung des Haus- - Drucksachen 13/7089, 13/8966 - haltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unter- Berichterstattung: richtung durch die Bundesregierung Abgeordnete Wilma Glücklich Haushaltsführung 1997 Norbert Formanski Außerplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 09 02 Titel 671 22 Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Druck- sache 13/7089 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- - Kosten im Zusammenhang mit der Veräuße- schlußempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltun- rung der Bundesrohölreserve - gen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen - Drucksachen 13/8535, 13/8594 Nr. 1.4, 13/ der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von 9042 - Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung von SPD und PDS angenommen worden. Berichterstattung: Abgeordnete Dankward Buwitt Tagesordnungspunkt 21 d: Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Manfred Hampel Beratung der Beschlußempfehlung und des Antje Hermenau Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch den Bundesbeauf- - tragten für den Datenschutz g) Beratung der Beschlußempfehlung des Haus- haltsausschusses (8. Auschuß) zu der Unter- Tätigkeitsbericht 1993 und 1994 des Bundes- richtung durch die Bundesregierung beauftragten für den Datenschutz Haushaltsführung 1997 - 15. Tätigkeitsbericht - Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 10 02 gemäß § 26 Abs. 1 des Bundesdatenschutzge- Titel 656 58 setzes - Drucksachen 13/1150, 13/7699 - - Zuschüsse zur Förderung der Einstellung der landwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit - Berichterstattung: bis zur Höhe von 110 Mio. DM Abgeordnete Wolfgang Bosbach - Drucksachen 13/8546, 13/8594 Nr. 1.5, 13/ Dorle Marx 9043 - Manfred Such Dr. Max Stadler Berichterstattung: Abgeordnete Carl-Detlev Frhr. v. Hammerstein Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gibt Jürgen Koppelin es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschluß- Ilse Janz empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfrak- Kristin Heyne tionen und der SPD bei Enthaltung von Bündnis 90/ Die Grünen und der PDS angenommen worden. h) Beratung der Beschlußempfehlung des Haus- haltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unter- Tagesordnungspunkt 21 e: richtung durch die Bundesregierung Beratung der Beschlußempfehlung und des Haushaltsführung 1997 Berichts des Ausschusses für Verkehr (15. Aus- schuß) zu der Unterrichtung durch die Bun- Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 11 13 desregierung Titel 656 04 Vorschlag für eine Entscheidung des Rates - Zuschüsse zu den Beiträgen zur Rentenver- zur Einführung eines Konsultationsverfah- sicherung der in Werkstätten beschäftigten rens betreffend die Beziehungen zwischen Behinderten - den Mitgliedstaaten und dritten Ländern auf - Drucksachen 13/8806, 13/8893 Nr. 5, 13/ dem Gebiet des Seeverkehrs sowie die dies 9044 - Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Berichterstattung: Berichterstattung: Abgeordnete Karl Diller Abgeordnete Peter Jacoby Hans-Joachim Fuchtel Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Antje Hermenau Karl Diller Ina Albowitz Kristin Heyne

i) Beratung der Beschlußempfehlung des Haus- 1) Beratung der Beschlußempfehlung des Haus- haltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unter- haltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unter- richtung durch die Bundesregierung richtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 1997 Haushaltsführung 1997 Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 25 02 Einwilligung in überplanmäßige Ausgaben Titel 893 01- Prämien nach dem Wohnungs- bei Kapitel 23 02 Titel 836 02, 836 04 und bau-Prämiengesetz - 836 05 - Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland - Drucksachen 13/8807, 13/8893 Nr. 6, 13/ 9106 - - an Einrichtungen der Weltbankgruppe Berichterstattung: (Internationale Entwicklungsorganisation - IDA) Abgeordnete Dieter Pützhofen Jürgen Koppelin - am Kapital der Afrikanischen Entwick- Dr. Rolf Niese lungsbank (AfDB) und am Afrikanischen Kristin Heyne Entwicklungsfonds (AfDF) Wer stimmt für diese sieben Beschlußempfehlun- - Drucksachen 13/8749, 13/8893 Nr. 4, 13/ gen? - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - 9091 - Diese Beschlußempfehlungen sind mit den Stimmen Berichterstattung: des ganzen Hauses angenommen worden. Abgeordnete Dr. Emil Schnell Michael von Schmude Tagesordnungspunkt 21 m: Antje Hermenau Beratung der Beschlußempfehlung des Haus- Jürgen Koppelin haltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unter- richtung durch die Präsidentin des Bundes- j) Beratung der Beschlußempfehlung des Haus- rechnungshofes als Vorsitzende des Bundes- haltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unter- schuldenausschusses richtung durch die Bundesregierung Bericht des Bundesschuldenausschusses über Haushaltsführung 1997 seine Tätigkeit sowie die Verwaltung der Bundesschuld im Jahre 1996 Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 17 04 - Bundesamt für den Zivildienst - - Drucksachen 13/7748, 13/9107 - a) Kapitel 17 04 Titel 681 23 (Sonderleistun- Berichterstattung: gen) Abgeordnete Kristin Heyne b) Kapitel 17 04 Titel 671 42 (Zuschüsse an Be- Michael von Schmude schäftigungsstellen zur Entlastung vom Karl Diller Aufwand für Unterkunft, Verpflegung und Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Arbeitskleidung der Dienstleistenden) Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Ge- - Drucksachen 13/8843, 13/9066 Nr. 4, 13/ genstimmen? - Enthaltungen? - Auch diese Be- 9092 - schlußempfehlung ist einstimmig angenommen wor- den. Berichterstattung: Abgeordnete Wilfried Seibel Tagesordnungspunkt 21 n: Ina Albowitz Siegrun Klemmer Beratung der Beschlußempfehlung des Rechts- Kristin Heyne ausschusses (6. Ausschuß) Übersicht 8 k) Beratung der Beschlußempfehlung des Haus- über die dem Deutschen Bundestag zugeleite- haltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unter- ten Streitsachen vor dem Bundesverfassungs- richtung durch die Bundesregierung gericht Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 60 04 - Drucksache 13/9053 - Titel 661 02 - Zinszuschüsse im Rahmen des Berichterstattung: Gemeindeprogramms der Kreditanstalt für Wiederaufbau - Abgeordneter Horst Eylmann - Drucksachen 13/8648, 13/8752 Nr. 1.4, 13/ Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Ge- 9093 - genstimmen? - Enthaltungen? - Auch diese Be- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer schlußempfehlung ist einstimmig angenommen wor- chern, Außenfassaden oder Heizungsanlagen zu- den. ständig. Allein diese Tatsache ist für sich genommen schon ein beachtlicher Skandal. Tagesordnungspunkt 21 o: (Beifall bei der PDS - Wolfgang Lohmann Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das stimmt!) tionsausschusses (2. Ausschuß) Die Bundesregierung erwies sich trotz mehrfacher Sammelübersicht 258 zu Petitionen Anläufe als nicht in der Lage, dieses Problem im Zu- - Drucksache 13/9255 - sammenwirken mit den Ländern zu lösen. So hat sie im Zuge der dritten Stufe der Gesundheitsreform nur Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltun- das getan, was ihr immer einfällt, wenn sie in Sachen gen? - Die Sammelübersicht 258 ist mit den Stimmen Finanzierung des Gesundheitswesens nicht weiter der Koalitionsfraktionen und der SPD bei Enthaltung weiß: Sie hat dieses Problem einfach in der Form ei- von Bündnis 90/Die Grünen und PDS ohne Gegen- nes sogenannten Notopfers Krankenhaus auf die stimmen angenommen worden. Versicherten abgewälzt. Dieses Vorgehen ist aus mehreren Gründen völlig unhaltbar. Obwohl selbst- Tagesordnungspunkt 21 p: verständlich alle Bürgerinnen und Bürger die Kran- kenhäuser in Anspruch nehmen, erhalten nur die Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung tionsausschusses (2. Ausschuß) die zusätzlichen Zahlungsaufforderungen; für Selb- Sammelübersicht 259 zu Petitionen ständige, Beamte und generell für die Mitglieder der - Drucksache 13/9256 - privaten Krankenversicherung übernimmt diese Ko- sten ganz selbstverständlich deren Kasse. So werden Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltun- ausgerechnet die tendenziell Besserverdienenden er- gen? - Sammelübersicht 259 ist mit den Stimmen der neut geschont, aber diejenigen, die ohnehin schon Koalitionsfraktionen, des Bündnisses 90/Die Grünen jeden Pfennig umdrehen müssen, werden wiederum und der SPD gegen die Stimmen der PDS ohne Ent- zusätzlich belastet. Genau das ist in höchstem Maße haltungen angenommen worden. ungerecht und außerdem unsozial.

Tageordnungspunkt 21 q: (Beifall bei der PDS - Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wenn es so wäre!) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuß) Hinzu kommt: Der Einzug des Notopfers Kranken- haus verursacht nach Aussagen der Krankenkassen Sammelübersicht 260 zu Petitionen einen unvertretbar hohen Verwaltungsaufwand. - - Drucksache 13/9257 - (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Eine Mark!) Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltun- gen? - Sammelübersicht 260 ist mit den Stimmen der Allein seine Eintreibung verschlingt einen erhebli- Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der SPD bei chen Teil der etwa 880 Millionen DM, die es jährlich Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und PDS an- einbringen soll. Überdies kommt das Notopfer nicht genommen worden. in erster Linie jenen Krankenhäusern zugute, bei de- nen dringendster Instandhaltungsbedarf besteht, sondern es wird nach dem Gießkannenprinzip ver- Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf: teilt. Das ist schlichtweg unsinnig. Aktuelle Stunde Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie auf Verlangen der Gruppe der PDS wissen genau, daß sich bei der Anhörung zum Haltung der Bundesregierung zu Reaktionen 2. Neuordnungsgesetz die gesetzlichen Krankenkas- in der Öffentlichkeit zum Eintreffen der Be- sen energisch und mit klar nachzuvollziehenden Ar- scheide zum Krankenhausnotopfer gumenten gegen die Einführung der Sonderzahlung gewehrt haben. Ich eröffne die Aussprache. Als erste hat die Abge- ordnete Dr. Ruth Fuchs das Wo rt. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Das ist doch logisch!) Dr. Ruth Fuchs (PDS): Frau Präsidentin! Meine Da- Jetzt sind es ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, men und Herren! Bereits seit Anfang 1993 ist die Zu- die völlig unverschuldet zuerst dem Unmut und Är- ständigkeit für die Finanzierung der Krankenhausin- ger der aufgebrachten Versicherten ausgesetzt sind. standhaltung nicht mehr eindeutig geregelt. Ein we- gen eines Formfehlers ergangenes Urteil des Bun- (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ desverwaltungsgerichts veranlaßte die Bundesländer CSU]: 30 Prozent haben schon gezahlt!) - mit der rühmlichen Ausnahme von Bayern -, Es erweist sich, daß die Sinnhaftigkeit dieses Notop- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) fers Krankenhaus den Bürgerinnen und Bürgern nicht zu vermitteln ist. ihre bis dahin bestehenden finanziellen Verpflichtun gen aufzukündigen. Seitdem fühlt sich niemand (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ mehr für die Instandhaltung von Krankenhausdä CSU]: Das stimmt doch gar nicht!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Dr. Ruth Fuchs Die Menschen können - und dies völlig zu Recht - ben in dieser Größenordnung für die Krankenkassen keine Notstandssituation erkennen, die eine solche beitragsrelevant wären. Ebenso klar ist dann, daß Maßnahme rechtfertigen würde. Man braucht sich in sich dies auf die Lohnnebenkosten und damit auch diesem Zusammenhang ja nur an die Milliardensum- auf die Sicherheit der Arbeitsplätze auswirken men zu erinnern, die für die Beschaffung des Euro- würde. fighters sehr wohl vorhanden sind, obwohl kein Feindbild mehr zu erkennen ist. (Zuruf von der F.D.P.: So ist es!) (Beifall bei der PDS) Es gibt Krankenhäuser, wo es durch die Dächer regnet. Bei mehr als 2300 deutschen Krankenhäusern Viele Versicherte sind auch nicht mehr gewillt, einem können seit 1993 keine Instandhaltungsmaßnahmen derart oberflächlichen und verantwortungslosen poli- mehr durchgeführt werden. Geht das so weiter, wer- tischen Handeln der Regierung weiter Vorschub zu den diese Krankenhäuser baulich bald so verfallen leisten. So haben Verbände und Organisationen be- sein - so, wie uns übrigens einige von der Vorgänger- reits den Rechtsweg beschritten, und der Deutsche partei der PDS übergeben worden sind -, daß eine Gewerkschaftsbund wi ll Musterklagen seiner Mit- Versorgung der Patienten nicht mehr sichergestellt glieder bis zum Bundesverfassungsgericht unterstüt- werden kann. Dies ist kein Horrorszenario meiner zen. Phantasie, sondern die Aussage von Jörg Robbers (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ von der Deutschen Krankenhausgesellschaft vom CSU]: Rechtsbrecher!) 8. Dezember dieses Jahres. Hochrangige Vertreter der Krankenkassen haben ih- (Zurufe von der PDS) ren Mitgliedern schon zugesagt, überwiesenes Geld sofort zurückzuzahlen, wenn das Notopfer für verfas- Wer auch immer - seien es Gewerkschaften oder sungswidrig erklärt wird bzw. wenn es zu seiner er- Ärztefunktionäre oder auch einzelne Kassenvertreter warteten Aufhebung kommt. - die Versicherten zum Zahlungsboykott aufruft, trägt in unverantwo rtlicher Weise dazu bei, daß die Die Gruppe der PDS hat einen Antrag auf den par- Beiträge erhöht werden müssen, oder er gefährdet lamentarischen Weg gebracht, in dem wir die Bun- die hohe Qualität und Funktionsfähigkeit unserer desregierung auffordern, erstens unverzüglich die Krankenhäuser in massivster Weise. rechtlichen Grundlagen für eine sofortige Abschaf- fung des Notopfers Krankenhaus vorzulegen, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ All diese Proteststürme und Verärgerungen wären CSU]: Das fehlte noch!) nicht notwendig gewesen, wenn die Länder die zweitens zum Zusammenwirken mit den Ländern in Krankenhäuser nicht im- Stich gelassen hätten. Wir der Gesundheitspolitik zurückzukehren und drittens haben zu jeder Zeit unsere Verantwortung wahrge- wieder eine sachgerechte, das heißt aus Steuermit- nommen. Ich erinnere an das GKV-Anpassungsge- teln getragene, Finanzierung der Krankenhausin- setz und an das Gesetz zur Änderung des Kranken- standhaltung zu gewährleisten. hausfinanzierungsgesetzes. Beide Gesetze haben die Zuständigkeit für die Krankenhausinstandhaltungs- Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. kosten klar geregelt, und zwar so, wie es sich gehört. (Beifall bei der PDS - Wolfgang Lohmann Sie haben sie dorthin getan, wo sie hingehören, näm- [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das müssen Sie lich zu den Ländern. Beide Gesetzentwürfe sind von den Ländern erzählen!) der SPD-Mehrheit im Bundesrat abgelehnt worden. Die Folgen dieser Ablehnung wären für unsere deut- schen Krankenhäuser verheerend gewesen. Wer Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat zum Boykott aufruft, trifft letztlich nicht den Bundes- die Abgeordnete Eva-Ma ria Kors. gesetzgeber - das möchte ich hier einmal ganz deut- lich sagen -, sondern die Patienten in unseren Kran- Eva-Maria Kors (CDU/CSU): Frau Präsidentin! kenhäusern. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer auch immer zur Zeit öffentliche Boykottaufrufe oder politische (Beifall bei der CDU/CSU) Kampagnen - wie auch eben wieder geschehen - ge- gen die gesetzliche Regelung der Finanzierung der Für die Proteststürme der Versicherten habe ich ein Instandhaltungsaufwendungen für Krankenhäuser gewisses Verständnis. Aber die richtigen Adressaten inszeniert, verschleiert dabei nur allzugern und allzu- sind weder der Bundesgesundheitsminister noch die oft die eigentlichen Fakten. Tatsache ist, daß sich die Krankenkassen, sondern einzig und allein die Län- Länder, mit Ausnahme von Bayern, durch eine juristi- der. sche Spitzfindigkeit 1993 aus ihrer Verantwortung (Zustimmung bei der CDU/CSU) gestohlen haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir haben eine Lösung gefunden. Wir müssen we- gen der Verweigerung der Länder den Versicherten Seitdem sind Kostenrückstände für die Instandhal- diese 20 DM zumuten. tung von mehreren Milliarden aufgelaufen, deren Übernahme die Länder verweigern. Jeder aber in (Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Immer auf die Klei diesem Hohen Hause weiß, daß zusätzliche Ausga nen!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Eva-Maria Kors - Das geht nicht auf die Kleinen, das zahlen alle. Ihre Dazu - hören Sie gut zu - Aussage war falsch! Auch die Privatversicherten zah- (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ len über ihre Prämie, Frau Fuchs. CSU]: Sie sprechen ja laut genug!) (Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Ich habe gesagt: Da hat es eine Reihe von Lösungsvorschlägen gegeben. übernehmen das die Krankenkassen! Die Auch die SPD hat Ihnen im vergangenen Jahr zu bezahlen die 20 DM nicht extra!) einer sinnvollen Gesundheitsreform die Hand ge- reicht, - Sie wissen es ganz genau. (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Lachen Ich sage hier noch einmal ganz deutlich: Der Bun- bei der CDU/CSU) desgesundheitsminister dieser Koalition hat seine Verantwortung für die deutschen Krankenhäuser in deren Gesamtpaket die Krankenkassenfinanzie- und damit auch für die Patienten übernommen. Jetzt rung vernünftig und solide hätte geregelt werden müssen die Länder endlich ihre Pflicht erfüllen. können, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der SPD) Sie haben damals die ausgestreckte Hand der SPD ausgeschlagen und statt dessen lieber krampfhaft die Das Wort hat Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Hand Ihres liberalen Koalitionspartners ergriffen. jetzt die Abgeordnete Regina Schmidt-Zadel. Unter liberaler Federführung ist dann die sogenannte Gesundheitsreform III entstanden, die das Ende der solidarischen, paritätisch finanzierten Krankenversi- Regina Schmidt-Zadel (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister Seehofer, cherung eingeleitet hat. es gibt nichts, was das von Ihnen im Gesundheitswe- (Zustimmung bei der SPD) sen angerichtete Chaos und die von Ihnen eingeleite- ten Fehlentwicklungen so deutlich macht wie das so- Es sind diese Gesetze, mit denen Sie fast unverfro- genannte Notopfer Krankenhaus. ren sämtliche Belastungen einseitig den Versicherten aufbürden; das ist das Schlimme. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne - ten der PDS - Klaus Kirschner [SPD]: Not (Klaus Kirschner [SPD]: Sehr wahr! opfer Seehofer!) Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Wir haben eine Härtefallregelung!) Man muß sich nur einmal die Meldungen der letzten Und es war eines dieser unseligen Gesetze, das uns Tage ansehen. Berliner Ärztepräsident ruft zum Boy- jetzt auch noch dieses Notopfer beschert hat. Statt kott der Zahlungen auf. Krankenkasse A kündigt an, eine vernünftige Finanzierung- der Investitionskosten auf Mahnverfahren zu verzichten. Krankenkasse B bei vertretbarem Verwaltungsaufwand zu entwickeln will zwangsvollstrecken. Krankenkasse C rechnet vor, daß von 20 DM nur 12 DM bei den Krankenhäu- (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Wie ist das mit sern ankommen. Krankenkasse D rechnet sogar mit den Ländern? Wie ist das mit Nordrhein Verwaltungskosten von bis zu 19 DM. Westfalen?) (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Die können - Sie dürfen nachher etwas sagen -, haben Sie zu nicht rechnen!) dem absurden Mittel des Notopfers gegriffen (Beifall bei der SPD und der PDS) Der DGB will gar klagen. und damit einen wichtigen Teil der Krankenhausfi- Die Versicherten sitzen derweil zu Hause um den nanzierung finanztechnisch auf das Niveau einer Ba- Adventskranz herum, warten, daß ihnen ein Licht nanenrepublik heruntergeschraubt. aufgeht, und fragen ratlos, ob sie zahlen sollen oder nicht, ob sie befreit sind oder nicht, lesen, was die (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ Kassen sagen, registrieren Boykottaufrufe und Kla- CSU]: Einen solchen Quatsch kann man nur geankündigungen. Herr Minister Seehofer, meine aufgeschrieben bekommen!) Damen und Herren, bei Ihnen herrschen Chaos und Aber diese Methode hat System. Natürlich war Ih- Verunsicherung, wohin man auch blickt. nen klar, daß die Eintreibungskosten in keinem Ver- (Zuruf von der CDU/CSU: Das glauben Sie hältnis zu der Summe stehen, die bei den Kranken- doch nur alleine!) häusern tatsächlich ankommt. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts CSU]: 1 DM!) vom Januar 1993 mußte eine Regelung für die Finan- zierung der Investitionskosten der Krankenhäuser Wenn Sie, Herr Minister Seehofer, und Sie, meine durch die GKV gefunden werden. Damen und Herren, dennoch zum Mittel des Notop- fers gegriffen haben, dann vor allem aus einem (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ Grund: CSU]: Das ist wahr! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Jawohl! - Der erste wahre (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Was sagt Rau Satz !) dazu?) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Regina Schmidt-Zadel Es bot Ihnen die Möglichkeit, auch noch die Instand- Monika Knoche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): haltung der Krankenhäuser aus der paritätischen Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und Finanzierung durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber Damen! Das Notopfer ist absurd, und es muß sofort herauszulösen. Das „Notopfer Krankenhaus", so ab- aus der Welt! surd es sich auch darstellt, ist für die Koalition nur ein weiteres Instrument zur Aushöhlung der solidari- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schen Krankenversicherung. und bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der PDS) Wir haben volles Verständnis für die Leute, die sa- gen: Es reicht; ich lasse mir nicht jeden gesetzgeberi- Ich rufe in Erinnerung: Bereits mit dem Beitrags- schen Blödsinn aufdrücken. entlastungsgesetz ist die Finanzierung der Gesund- heitsförderung fast völlig auf die Arbeitnehmerinnen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Arbeitnehmer übergegangen. Ab dem Geburts- sowie bei Abgeordneten der SPD und der jahrgang 1979- Sie wissen das - unterliegen fast alle PDS) Kosten für Zahnersatz nicht mehr der paritätischen Es sind gar nicht mal so sehr die 20 DM für sich, son- Finanzierung der GKV, sondern sind reine Privatsa- dern es ist die offenkundige Absurdität, die das Faß che der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das zum Überlaufen bringt. gleiche gilt für Brillengestelle. Seit den beiden Neu- ordnungsgesetzen werden alle Präparate mit Preisen (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne unterhalb der Zuzahlungen allein aus der Tasche der ten der SPD) Versicherten bezahlt, meine Damen und Herren. Wenn einer bankrotten Regierungspolitik nur noch (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ die Zwangskollekte einfällt, dann ist die Schmerz- CSU]: Das ist ja auch richtig! - Wolfgang grenze erreicht. Die Versicherten zahlen hohe Bei- Zöller [CDU/CSU]: Sollen die denn mehr träge; sie zahlen hohe Steuern. Sie haben die Kran- bezahlen?) kenhäuser bereits bezahlt, und damit ist es dann bitte genug. Die drastisch angehobenen Zuzahlungen in ande- ren Bereichen haben dazu geführt, daß beinahe jeder (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Es geht doch Versicherte künftig an die Überforderungsgrenze um die Instandhaltung, nicht um die Bezah stößt. Faktisch zahlen die versicherten Arbeitnehme- lung der Krankenhäuser!) rinnen und Arbeitnehmer einen um 2 Prozent hö- heren Beitrag zur GKV als die Arbeitgeber. Zu Recht hat der DGB aufgerufen, Widerspruch ein- zulegen. Wir unterstützen diese Kampagne aus vol- Stück für Stück, Gesetz für Gesetz, sogenannte Re- lem Herzen. - form für sogenannte Reform macht die Koalition die Hier noch einige Fakten: gesetzliche Krankenversicherung zu einer reinen Pri- vatveranstaltung der Arbeitnehmer. Mit dem Notop- Erstens. Es ist diese Regierung, die an den Bundes- fer, Herr Seehofer, treiben Sie diese Entwicklung ländern vorbei dieses Notopfer erfunden und gegen nochmals voran; weitere Vorschläge liegen bereits deren Widerspruch zum fraglichen Recht erhoben auf dem Tisch. hat. (Klaus Kirschner [SPD]: Zöllers Notopfer!) (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Auch das ist falsch!) Sie opfern ohne Not die solidarisch bewährte Kran- kenversicherung. Das ist die wahre Definition des Zweitens. Es ist aber auch diese Regierung, die Notopfers, und genau das ist es, worum es Ihnen in schon mit der Sonderegelung für Bayern die bundes- Wirklichkeit geht. Ich bin gespannt, was Ihnen noch gesetzlichen Regelungen in der Republik ungleich alles einfallen wird. handhaben läßt und damit die Versicherten ungleich stellt. (Klaus Kirschner [SPD]: Ja, die sind kreativ! Das muß man schon zugestehen! - Wolf (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sollen wir gang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: den Bayern verbieten, daß sie sich rechtmä Das, was Sie hier sagen, hört alles das ßig verhalten?) Christkindchen!) Das darf nicht sein. Ein bundeseinheitliches Gesetz Vielleicht zwingen Sie demnächst die Arbeitnehmer gilt überall. Wenn es aber in Bayern nicht gilt, dann und Arbeitnehmerinnen zur Teilnahme an einer Re- darf es insbesondere deswegen auch sonst nir- halotterie, mit deren Einnahmen dann die von Ihnen gendwo gelten, zumal es insgesamt nichts taugt. ruinierten Kurorte saniert werden. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Was machen Danke. Sie denn in den Ländern, in denen Sie mit regieren?) (Beifall bei der SPD und der PDS) Mit der Sonderregelung Bayern beim Notopfer fing der ganz spezifische Regionalismus, Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt die Kollegin Monika Knoche. (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Monika Knoche gegen den sich Minister Seehofer an anderer Stelle regeln Sie denn, daß genau die Kliniken das Geld be- empört, überhaupt erst an. kommen, die es am notwendigsten brauchen?

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie können auch (Zuruf von der SPD: Gar nicht! - Wolfgang nicht ernst dabei bleiben!) Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Es wird eben nicht geplant! Sie entscheiden - Mir ist es sehr ernst, entschuldigen Sie, Frau Kolle- selbst!) gin. Wenn man ein Bundesgesetz macht, dann muß Wer entscheidet strukturpolitisch, über wem bei die- es auch Gültigkeit haben. Es darf nicht sein, daß Ver- ser Form der ungeregelten Monistik der Klingelbeu- sicherte einer Kasse in einem Bundesland dieses Not- tel ausgeschüttet wird? Schauen Sie sich Berlin an. opfer berappen müssen und in einem anderen Bun- Dort herrscht eine etwas merkwürdige Situation. desland nicht. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Da haben Sie recht!) CSU]: Doch, steht ausdrücklich d rin! - Wolf gang Zöller [CDU/CSU]: Steht im Gesetz Ich sehe, die meisten Versicherten haben den Un- drin!) sinn begriffen.

Das ist nicht die Schuld der Versicherten. Entweder (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne haben Sie das Verständnis dafür, daß es einer Rechts- ten der SPD) einheit bedarf, oder Sie haben es nicht. Sie weigern sich, gehorsam zu zahlen, und damit ha- ben sie recht. (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne ten der SPD - Wolfgang Lohmann [Lüden (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das stimmt scheid] [CDU/CSU]: Es steht im Gesetz doch gar nicht!) drin, jedes Land kann es ablösen!) Ich fordere: Nehmen Sie das Notopfer zurück, und Denn schließlich ist es doch so, daß jede Kasse das kommen Sie bitte nicht mit der immer gleichen alten Zwangsopfer anders handhabt. Sie tun das, weil sie Masche, den Ländern die Schuld zuzuschreiben! in dem Zwangsopfer ohnehin keinen Sinn sehen. Die Kassen haben sich vehement gegen diese marode (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: So ist es!) Monistik gewehrt. Was die Regierungspolitik ord- Sie selber haben im Entwurf des Krankenhaus- nungspolitisch nicht zu leisten in der Lage ist, wird finanzierungsgesetzes 1995 noch vorgeschlagen, die den gesetzlichen Kassen als Chaos aufgebürdet. Die- Länder auf die Instandhaltung festzulegen, was rich- ser bürokratische Kropf kostet am Ende mehr, als er tig gewesen wäre. bringt. - (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wer hat das (Zustimmung bei der PDS) denn abgelehnt?) Was bedeutet die Regelung denn eigentlich kon- Aber dann haben Sie den Konsens mit den Ländern kret? Die Arbeitgebersolidarität ist den gesetzlich blockiert, als Sie die Spargesetze eingeführt haben. Versicherten genommen. Bei den privat Versicherten ist es allerdings anders. Erstens bekommen sie den (Klaus Kirschner [SPD]: Sehr war!) Arbeitgeberanteil via Beitragssatz, und zweitens Bitte verdrehen Sie nicht, wie die Entwicklung tat- werden sie nur dann von der Kollektivlast ereilt, sächlich gewesen ist! wenn sie tatsächlich krankenhausbettlägerig wer- den. Das heißt, die Masse der gesetzlich Versicherten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, zahlt doppelt; das ist eine Vorhaltefinanzierung. Die bei der SPD und der PDS) Minderheit der privat Versicherten zahlt eine be- darfsbedingte Objektnutzungsgebühr. Man möge Jetzt sitzen Sie, meine Herren, in der Sackgasse, in mir bitte diesen Irrwitz erklären. die Sie sich selbst manövriert haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne bei der SPD und der PDS) ten der SPD - Wolfgang Lohmann [Lüden scheid] [CDU/CSU]: Das ist doch in den Beiträgen der privat Versicherten enthalten! Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Haben Sie das nicht begriffen?) jetzt der Abgeordnete Jürgen Möllemann.

Es sind also nicht nur kleine Mängel, sondern im Kleinen zeigt sich, wie sehr Sie dem großen System Jürgen W. Möllemann (F.D.P.): Frau Präsidentin! der Solidargemeinschaft die Glaubwürdigkeit neh- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt Debatten, men. in denen man ein gewisses Maß an Verblüffung nicht verbergen kann. Ein souveränes Bundesparlament (Zuruf von der SPD: So ist es!) sollte doch in der Lage sein, einvernehmlich festzu- halten, daß es ein starkes Stück ist, daß die Bundes- Die Krankenhäuser haben letztlich noch nicht einmal länder ihre Zuständigkeit für den Krankenhausbe- einen wirklichen Nutzen davon. Ich frage Sie: Wie reich weiter reklamieren, aber nicht bereit sind, den Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Jürgen W. Möllemann sich daraus ergebenden finanziellen Verpflichtungen Jetzt kann man füglich darüber streiten, ob man zu entsprechen. Das ist nicht in Ordnung. die Finanzierung der Instandhaltung einfach hätte aussetzen und sagen sollen: Wir lassen die Kranken- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - häuser weiter verkommen und zeigen mit dem Fin- Widerspruch bei der SPD) ger auf die Länder. Dieses Vorgehen haben wir mit Bis 1993 haben die Bundesländer ihrer Verpflich- unserer Verantwortung nicht vereinbaren können. tung entsprochen. Seither tut es nur noch Bayern. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Frau Kollegin Knoche, dem Land Bayern - ich finde, daß nicht alles, was die Bayerische Staatsregierung Wir haben gesagt: Es muß etwas geschehen, denn macht, zu loben ist - einen Vorwurf zu machen, weil man kann kranken Menschen nicht zumuten, daß sie es sich in diesem Zusammenhang pflichtbewußt ver- sich in maroden Bauten aufhalten müssen. hält, ist nun wirklich absurd. Es galt dann abzuwägen: Finanziert man die Ko- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - sten über die Kassen hälftig durch die Beiträge der Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ Arbeitgeber und der Arbeitnehmer - mit all den Kon- CSU]: Ja!) sequenzen in bezug auf das Ziel, irgendwann den Ich wünschte mir, daß sich die Bundesländer ent- Mechanismus, daß jede Veränderung in den Kosten scheiden würden, ob sie entweder weiterhin die Zu- immer die Lohnkosten hochtreibt, zu durchbrechen -, ständigkeit im bisher definierten Bereich des Kran oder mutet man einen solchen Betrag den Versicher- kenhauswesens haben wollen - dann müssen sie ten selbst zu? Es geht um 20 DM. auch zahlen - oder ob sie die Zuständigkeit abgeben (Zuruf von der SPD: Es geht um mehr!) wollen, so daß sie nicht mehr zahlen müssen. Hier wird geredet, als ginge es darum, daß die (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Menschen ihr Dezembergehalt abtreten müßten. Wir Die Diskussion um die Frage der Monistik, also der reden hier darüber, daß eine notwendige Maßnahme, alleinigen Finanzierung der Aufgaben durch die Kas- die zu finanzieren die Länder sich weigern, auf die- sen, wird dann unehrlich geführt, wenn man von sei- sem - deutlich erkennbar - zweitbesten Weg finan- ten der Länder sagt: Wir wollen weiterhin Zuständig- ziert werden soll. keiten bis hin zur Bedarfsplanung behalten und mit- (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ entscheiden, wo Kapazitäten gehalten werden und CSU]: 1,66 DM pro Monat!) wo nicht, aber wir wollen nicht zahlen. Die Dimension der Aufgeregtheit, die hier erzeugt (Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Wer hat das denn ins werden soll, steht da im umgekehrten Verhältnis zur Gesetz geschrieben?) Dimension der Finanzierung. Ich will in diesem Zusammenhang ein Zweites sa- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.- gen. Vor wenigen Tagen hatten wir - das muß uns allmählich hellhörig machen - eine recht eindrucks- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) volle Demonstration von ungefähr 40 000 Studieren- den gegen die Mißstände an deutschen Hochschu- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat len. Ich habe seinerzeit als Bundesminister für Bil- jetzt Herr Bundesminister Horst Seehofer. dung und Wissenschaft mit den Kolleginnen und Kol- legen, die in den Ländern zuständig sind, darüber gesprochen, daß es doch bemerkenswert ist, in wel- Horst Seehofer, Bundesminister für Gesundheit: cher Weise die Bundesländer auf ihre - von ihnen im- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und mer wieder betonte - nahezu alleinige Zuständigkeit Herren! Im Zusammenhang mit dem Sonderbeitrag im Wissenschafts- und Bildungsbetrieb pochen, wie von 20 DM, den alle Versicherten zur Instandhaltung wenig sie aber bereit sind, der Verantwortung für der Krankenhäuser bezahlen müssen, sind in den den Zustand eben dieses Bet riebs gerecht zu werden. letzten Tagen ungeheuer viele falsche Meldungen verbreitet worden. Deshalb zunächst einmal zum Hintergrund: Für die Krankenhausinvestitionen sind Es darf nicht Usus werden - verstehen Sie: wenn es eindeutig die Länder zuständig. einmal einreißt, wird es immer so weitergehen, egal wer hier oder dort regiert -, daß man auf die verfas- (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) sungsmäßigen Strukturen des Föderalismus pocht, Die Länder haben nie bestritten, daß sie für die gro- dann aber sagt: Zahlen soll immer Bonn. Das kann so ßen Instandhaltungsmaßnahmen bei den Kranken- nicht gehen! häusern verantwortlich sind. Sie haben sogar zwei- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) mal, 1977 und 1985, im Bundesrat der sogenannten Abgrenzungsverordnung, in der die Zuständigkeit In dieser Frage müßte der Bundestag doch einver- für diese Instandhaltungsmaßnahmen geregelt war, nehmlich feststellen, daß er nicht bereit ist, das hin- zugestimmt. Auf dieser Rechtsgrundlage haben die zunehmen. Frau Fuchs hat immerhin am Anfang Bundesländer jahrelang anstandslos bezahlt. schon darauf hingewiesen, daß sie das nicht akzep- tiert. Das jetzt mit einem eleganten Schlenker „ja, Als dann das Bundesverwaltungsgericht 1993 in aber die Finanzverfassung, und die Länder stehen dieser Abgrenzungsverordnung aus den 70er Jahren sowieso nicht so gut da" abtun zu wollen ist nicht in einen Formfehler feststellte, haben die Länder die Ordnung. Gunst der Stunde genutzt, um sich aus dieser jahr- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Bundesminister Horst Seehofer zehntelangen gemeinsamen Geschäftsgrundlage - Weltspitze bleibt und daß sie do rt, wo sie es nicht kompromißlos zu verabschieden. ist, Weltspitze wird. Dies bet rifft gerade die neuen Bundesländer. Das möchte ich für die PDS hinzufü- (Ulf Fink [CDU/CSU]: Genauso war es!) gen. Wer dies heute mit Krokodilstränen beklagt, dem (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) muß man die Frage stellen - Frau Knoche, die Grü- nen regieren beispielsweise in Nordrhein-Westfalen Meine Damen und Herren, wir mußten diesen un- und Hessen mit -, warum nicht eine einzige Initiative konventionellen Weg wegen der Mehrheit im Bun- unternommen wurde, daß sich die Länder - gerade desrat gehen. Sonst hätte es keine Lösung gegeben. diese beiden - ihrer verfassungsrechtlichen Verant- wortung stellen. Wenn sich der Deutsche Gewerkschaftsbund eine Adresse für seine Beschwerden aussucht, dann sollte (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - er also die richtige wählen. Die Bundesregierung ist Zurufe der Abg. Monika Knoche [BÜND es nicht. Die Kritik muß an die große Mehrheit der NIS 90/DIE GRÜNEN]) Bundesländer gerichtet werden. Um es hier noch einmal mit aller Deutlichkeit zu Falsch ist es im übrigen auch, wenn immer wieder sagen: Das Bundesverwaltungsgericht hat nicht ent- behauptet wird, nur die Versicherten in der gesetzli- schieden, daß die Länder nicht mehr zahlen dürfen. chen Krankenversicherung müßten für die Instand- Es gibt kein gerichtliches Verbot - dies wird jedoch haltung der Krankenhäuser aufkommen. Richtig ist: immer wieder behauptet -, daß die Länder die In- Die Mehrausgaben entstehen bei allen Krankenkas- standhaltungsaufwendungen finanzieren. sen, bei den gesetzlichen und den privaten. (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: So ist es!) (Klaus Kirschner [SPD]: Bei den P rivaten zahlen nur die Kranken!) Die Tatsache, daß Bayern als einziges Land weiter bezahlt, bestätigt ja diese Auffassung. In der gesetzlichen Krankenversicherung erfolgt die Refinanzierung über die 20 DM; in der p rivaten Kran- Es gab seit 1993 zwei Initiativen der Bundesregie- kenversicherung fließen die Mehrkosten über höhere rung - da haben wir mit der SPD gesprochen -, diese Pflegesätze in die Beiträge der Versicherten mit ein. Instandhaltungsaufwendungen auf eine verfassungs- Auf diese Weise werden auch die Beamten und die rechtlich unbestrittene Rechtsgrundlage zu stellen. Selbständigen an der Aufbringung der Mittel für die Die Länder haben mit ihrer Bundesratsmehrheit zwei Krankenhäuser beteiligt. Es kann also keine Rede Versuche abgeblockt. Auch das faire Angebot der von einer unsolidarischen Finanzierung sein, die die Bundesregierung, die Zahlungsverpflichtung der einen belastet und andere zu Profiteuren macht. Da- Länder auf die Zeit bis 1999 zu begrenzen, um bis da- von kann auch deshalb keine Rede sein, weil wir hin vielleicht eine neue Finanzierungsform für die eine Lösung gewählt haben,- die eben nicht einseitig Krankenhausinvestitionen zu finden, wurde von der zu Lasten der Patienten in den Krankenhäusern geht. Bundesratsmehrheit abgelehnt. Wer das jetzt, wie zum Beispiel Frau Engelen-Ke- (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So ist es!) fer, kritisiert und darauf hinweist, daß auch diejeni- Da die Blockade im Bundesrat eine Lösung über gen zahlen müssen, die möglicherweise nie ins Kran- die Länder ausschloß, mußte die Belastung der ge- kenhaus kommen, muß sich die Frage gefallen las- setzlichen Krankenversicherung begrenzt werden. sen: Was ist das für ein Verständnis von Solidarität? Ich hätte es mit unserer und meiner politischen Ver- (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Die SPD-Solida antwortung nicht vereinbaren können, nur deshalb, rität!) weil der Bundesrat blockiert, die Krankenhäuser in ihrer Substanz verfallen zu lassen - mit allen Nach- Zu Ende gedacht heißt dies nichts anderes, als den teilen, die damit für die Patienten verbunden sind. Kranken allein die Kosten aufzubürden. Es fällt mir schwer zu glauben, daß der DGB zum Vorkämpfer (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) für einen Einstieg in die Privatisierung der Krank- Es mußte verhindert werden, daß der gesamte, seit heitsrisiken werden will. Das würde in Wahrheit be- 1993 aufgestaute Betrag von 3,5 Milliarden DM auf deuten, meine Damen und Herren, daß man nur von einen Schlag die Beitragszahler belastet. denen Krankenversicherungsbeiträge verlangen darf, die ganz sicher krank werden. Das ist doch ein Deshalb haben wir uns dazu entschlossen, die aberwitziges Verständnis von Solidarität in der ge- Mehrausgaben der gesetzlichen Krankenkassen setzlichen Krankenversicherung. über einen Zeitraum von drei Jahren auf jeweils jähr- lich 880 Millionen DM zu begrenzen. Weil wir uns (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - eine Steigerung der Lohnnebenkosten nicht leisten Widerspruch bei der SPD) können - ich erinnere an die Debatte über einen Wir haben auch die soziale Verantwortung für die Rentenversicherungsbeitrag von 21 Prozent -, mußte Geringverdiener wahrgenommen. Familienversi- eine Finanzierung außerhalb des regulären Kranken- cherte, Geringverdienende und Jugendliche bis zur versicherungsbeitrages gefunden werden. Deshalb Vollendung des 18. Lebensjahrs sind von diesem kam es zu dem Sonderbeitrag, der niemanden finan- Sonderbeitrag befreit. ziell überfordert, aber einen entscheidenden Beitrag dazu leistet, daß die Bausubstanz der deutschen Nun zu den Verwaltungskosten. Wir haben immer Krankenhäuser - auch in den neuen Bundesländern gesagt: Die Verwaltungskosten werden zwischen 1 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Bundesminister Horst Seehofer und 2 DM liegen. Ich bin den Krankenkassen dank- der, um größere Instandhaltungskosten auch wirklich bar, daß sie mittlerweile genau diese Beträge für die aufbringen zu können. Was ist damit gemeint? Das Verwaltungskosten nennen, daß die politischen Paro- heißt, wenn beispielsweise die Heizung leckt, wenn len der letzten Monate verschwunden sind. Beson- der Brandschutz nicht in Ordnung ist oder wenn im ders bin ich zum Beispiel der Technikerkrankenkasse Operationssaal der Anstrich nicht in Ordnung ist, dankbar, die mir heute noch einmal zugefaxt hat, daß dann haben die Krankenhäuser seit dem Jahre 1993 sie diesen Sonderbeitrag mit einem Verwaltungsauf- dafür kein Geld bekommen. wand von unter 1 DM erhebt. Wir haben durch zwei Gesetzesinitiativen - ich (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - wiederhole: durch zwei Gesetzesinitiativen - den Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Das kostet doch Versuch unternommen, zu erreichen, daß diejenigen, schon die Briefmarke!) die das eigentlich zahlen müßten, nämlich die Län- der, ihren Verpflichtungen auch wirklich nachkom- - Liebe Frau Fuchs, dann würde ich mich mit dem men. Beide Gesetzesinitiativen sind gescheitert, und noch amtierenden Bundespostminister zusammen- zwar insbesondere am Widerstand der Länder, die setzen, damit Sie einmal mitbekommen, was es wirk- üblicherweise von der Opposition regiert werden. lich heißt, wenn man Massengeschäfte bei der Post erledigt, etwa bei Mitgliederzeitschriften, die man (Zuruf von der SPD: Berlin!) ohnehin versandt hätte. In dieser Situation mußte sich der verantwortliche Meine Damen und Herren, erstens ist der Beitrag Gesundheitsminister entscheiden. Er mußte sich ent- sehr gering: 20 DM jährlich, auf drei Jahre begrenzt. scheiden, ob er auf der einen Seite der Reinheit der Finanzierungsprinzipien den Vorrang geben oder auf Zweitens. Kleinverdiener sind ausgenommen. der anderen Seite den Interessen der Menschen den Drittens. Die Verwaltungskosten sind auf 1 bis 2 Vorrang einräumen will, die hoffen, in den Kranken- DM begrenzt, sie liegen bei vielen Krankenkassen häusern Deutschlands ordentlich versorgt zu werden. sogar unter 1 DM. Ich muß sagen: Ich finde es hoch anerkennenswert, daß sich diese Koalition und dieser Bundesgesund- Viertens. Meine Damen und Herren, ich werde heitsminister klar zugunsten der Interessen der kran- mich an den Präsidenten der Landesärztekammer ken Menschen in den Krankenhäusern entschieden Berlin wenden, ob er diese Aussage zum Boykott ge- haben. Daran ist nichts zu kritisieren, sondern das ist troffen hat. Wenn er sie so getroffen hat, werden wir zu belobigen. dagegen aufsichtlich vorgehen, denn es kann nicht sein, daß eine Körperschaft des öffentlichen Rechts (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) öffentlich zum Rechtsbruch auffordert. Ich will einen Punkt ansprechen, der von Ihnen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Frau Schmidt-Zadel, -nicht erwähnt wurde. Es ist doch ganz klar: Jeder, der als Mieter irgendwo ein- Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum zieht, weiß ganz genau, daß der Hauseigentümer für Abschluß noch folgendes sagen: Nicht diese Diskus- das Haus und mögliche Schäden, zum Beispiel wenn sion ärgert mich; da geht es ja mehr darum, daß in ei- es durch das Dach leckt, verantwortlich ist. Der Mie- ner Wochenendzeitung eine Meldung erscheint. Das ter ist nur für die Schönheitsreparaturen verantwort- ist nämlich der wahre Grund. Wenn ich in den letzten lich. Insofern ist es ein Bubenstreich, daß Sie immer acht Tagen die öffentliche Diskussion über das Ge- wieder mit Ihrer Mehrheit verhindert haben, daß die sundheitswesen verfolge: Auf der einen Seite haben Länder ihrer Verpflichtung nachkommen. wir versucht, eine Motivationskampagne für Organ- transplantation mit Vertretern des öffentlichen Le- Ich will ein Zweites sagen. Es wird ständig der Ein- bens zu starten. Dies hat kaum eine Beachtung bei druck erweckt, als ob die privat Krankenversicherten Politikern, bei Medien und bei Verbänden gefunden. nichts zahlen müßten, sondern ausschließlich die ge- Dort aber geht es um wirkliche Schicksalsfälle. setzlich Krankenversicherten. Sie wissen ganz ge- nau, daß diese Aussage falsch ist. Sie lügen, wenn (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Sie das behaupten. Auf der anderen Seite wird mit 20 DM die ganze Re- (Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Das hat doch publik bewegt. Ich fordere uns selbst als Politiker keiner gesagt!) auf, daß wir die Prioritäten in der Sozialpolitik wieder richtig setzen und nicht auf jeden Mist in der öffentli- - Aber Sie lassen es in manchen ihrer Veröffentli- chen Diskussion hereinfallen. chungen sehr klar durchscheinen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich will es noch einmal klar sagen: Genauso wie die gesetzlich Krankenversicherten zahlen auch die privat Krankenversicherten ihren Beitrag für die gro- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ulf Fink. ßen Instandhaltungskosten. (Monika Knoche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Ulf Fink (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr NEN]: Eigentlich nicht! Sie zahlen anders!) verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, Daran ist nichts zu kritisieren; denn das ist richtig liebe Kollegen! Die Situation seit dem Jahre 1993 war und gerecht. doch für alle, die politische Verantwortung tragen, klar: Seit 1993 fehlten den Krankenhäusern die Gel (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Ulf Fink Sie nennen immer wieder gern die Verwaltungsko- - Ja, mit der Frage, warum es nicht reicht, werden sten. Ich finde, Horst Seehofer hat sich nach den ur- wir uns noch in sachlicher Form auseinanderzusetzen sprünglichen massiven Unkenrufen, die auch aus haben. dem Bereich der Krankenversicherung gekommen (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Sie wollen sind, zu Recht dazu geäußert. ein größeres!) (Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Auch! Vorrangig!) - Ja, und zwar mit einer anderen Finanzierung. Aber dazu fehlt Ihnen der Mut. Sie hatten in den letzten - Gut. Schauen Sie aber: Manches wird zunächst ein- Wochen nie den Mut, sich mit den Ländern auseinan- mal so ausgedrückt, aber wenn später Erfahrungen derzusetzen. Statt dessen haben Sie gekniffen und gesammelt wurden, sieht das anders aus. Gesetze vorgelegt, die zustimmungsfrei waren, Intelligente Krankenkassen können die Verwal- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) tungskosten in der Tat auf 1 bis 2 DM begrenzen. Ich finde, Sie sollten keine Behauptungen in die Welt weil Sie den Mut zu anderem nicht hatten. setzen, die nicht stimmen. Wenn die Verwaltungsko- (Beifall bei der SPD) sten höher sind oder bei einzelnen Kassen höher an- fallen, dann ist das nicht zuletzt deshalb so, weil Sie Wir stehen jetzt hier und sollen die Suppe mit Ihnen ein ganz unverantwo rtliches Spiel betreiben. Sie kri- auslöffeln, indem wir uns anhören sollen, wie Sie die tisieren auf der einen Seite die Höhe der Verwal- Länder - tungskosten, auf der anderen Seite ermuntern Sie die (Zuruf des Abg. Jürgen W. Möllemann Menschen fälschlicherweise, den Betrag, den sie [F.D.P.]) nach dem Gesetz zahlen müssen, nicht zu zahlen, und zwar mit der Konsequenz, daß Kosten für Mahn- - Ich höre Ihnen jetzt nicht zu, jetzt hören Sie zu! verfahren und dergleichen mehr entstehen. Wenn es am Schluß sogar so weit kommt, daß die Menschen (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Woher soll vor Gericht verurteilt werden müssen, dann tragen ich denn den Mut haben, wenn Sie mich so Sie dafür eine hohe Verantwortung, weil Sie den anschreien?) Menschen völlig falsche Ratschläge erteilen. - Ja, ich hoffe, daß er Ihnen endlich einmal verloren- geht. (Beifall bei der CDU/CSU) (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Sie schüch Deshalb sage ich zum Schluß - der Bundesgesund- tern mich jetzt so ein!) heitsminister hat es bereits gesagt - noch einmal: Es ist schon unglaublich, daß sich die Menschen in ei- Der Minister fragt, warum die Menschen so aufge- nem Land wie der Bundesrepublik Deutschland mit regt sind. Sie müssen sich- einfach einmal die Tatsa- einem Bruttosozialprodukt in Höhe von über 3 Billio- che vergegenwärtigen: Wir sind an den Punkt ge- nen DM darüber aufregen, daß sie 20 DM für die In- kommen, wo diese Zuweisung von Rechnungen das standsetzung von Krankenhäusern geben sollen. Faß zum Überlaufen gebracht hat. (Beifall bei der SPD und der PDS) Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Die Leute zahlen zu und zahlen zu, und Sie führen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) hier im Bundestag Debatten, als würde kein Mensch eine müde Mark Krankenversicherung zahlen,

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der jetzt die Abgeordnete Gudrun Schaich-Walch. PDS) als bekämen die Menschen das andere alles ge- schenkt. Das ist nicht so. Gudrun Schaich-WalCh (SPD): Verehrte Präsiden- tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Mölle- Die Situation ist doch folgende: Die Versicherten mann, die Aufgeregtheit soll nicht herbeigeführt wer- sind unzufrieden, weil weitere Zahlungen von ihnen den, die Aufgeregtheit herrscht bei uns im Land be- verlangt werden. Die Krankenversicherungen sind reits. unzufrieden, weil sie nicht wissen, ob sie die 880 Mil- lionen DM, die sie jährlich ausgeben müssen, über- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ haupt hereinbekommen werden. Die Krankenhäuser DIE GRÜNEN) sind unzufrieden, weil sie sagen: Wenn der Zustand so miserabel ist, wie vom Minister beschrieben, dann Sie können in die Presse schauen, dann lesen Sie im reichen 880 Millionen DM ganz einfach nicht aus. „Tagesspiegel": „Absurdität des Notopfers". Die „Ärztezeitung" - sie steht nicht immer auf der Seite (Widerspruch bei der CDU/CSU) der Opposition - schreibt: „Das 20-DM-Notopfer: ein Der Presse konnte ich entnehmen, daß auch der Mi- Schildpolitikerstreich". Die „Rheinzeitung" schreibt: nister über das ganze Unternehmen unglücklich ist. „Notopfer reicht beileibe nicht" . Da frage ich mich, wieso; denn letztlich hat er dieses Desaster ange richtet. (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Das ist etwas anderes!) (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Gudrun Schaich-Walch Sie haben ein Desaster ange richtet, und es gibt ben im Prinzip an allen Ecken und Enden ein ange- handwerkliche Pannen, mit denen wir jetzt zu kämp- nagtes System zur Verfügung. Das haben Sie zu ver- fen haben. antworten. Einer der ersten Schritte, den wir im nächsten Jahr gehen werden, ist die Abschaffung Ich möchte einmal in die Vergangenheit zurückge- dieses unsinnigen Notopfers. hen. Als das Bundesverwaltungsgericht 1993 die Ver- ordnung, von der Sie hier reden, kassiert hat, ist tat- (Beifall bei der SPD und der PDS) sächlich das Chaos ausgebrochen. Einige Kassen in einigen Ländern wehrten sich gegen die Mehrbela- stung, einige Kostenträger, beispielsweise in Hessen, Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat haben die Instandhaltungskosten über die Pflege- jetzt der Abgeordnete Gregor Gysi. sätze mitgetragen. Bayern ist einen Sonderweg ge- gangen. Das ist ja auch anerkennenswert. Aber wo Dr. Gregor Gysi (PDS): Frau Präsidentin! Meine war denn, wenn das eine so tolle Lösung ist, Baden Damen und Herren! Frau Kors, ich habe Ihnen mit In- Württemberg, wo war Berlin, wo sind denn die Koali- teresse zugehört. Sie haben davon gesprochen, daß tionspartner der F.D.P. gewesen? sich die Länder auf eine juristische Spitzfindigkeit (Beifall bei Abgeordneten der SPD) zurückgezogen hätten. Diese Länder konnten nicht zahlen. Letztendlich ist (Eva-Maria Kors [CDU/CSU]: Ja, so nenne es der Bund, der die Länder in die Situation gebracht ich das!) hat, daß sie nicht mehr zahlen können. Dann müssen Sie aber Millionen von Versicherten zu (Widerspruch bei der CDU/CSU und der erklären versuchen - wobei ich jetzt einmal die Ge- F.D.P.) wichtung im Streit zwischen Bund und Ländern weg- lasse -, weshalb eine juristische Spitzfindigkeit, eine Sie haben ab 1993 zugeschaut, wie sich das Chaos Nichteinigung zwischen Bund und Ländern dazu in diesem Bereich letztendlich verstetigt hat, und nun führt, daß sie drei Jahre lang jährlich 20 DM mehr soll das Notopfer Krankenhaus diese Fehler heilen zahlen sollen. und den Karren aus dem Dreck ziehen. (Beifall bei der PDS und der SPD) ' Sie wollen, daß 44 Millionen Menschen jetzt einer Zahlungsaufforderung nachkommen. Der Verwal- Das ist doch den Bürgerinnen und Bürgern über- tungsaufwand ist auch da, wenn Sie versuchen, ihn haupt nicht zu vermitteln. Eine juristische Spitzfin- wegzureden. Es werden nicht die Beträge zur Verfü- digkeit kann man beseitigen. Ein Problem zwischen gung stehen, die eingezogen werden. Bund und Ländern ist zu lösen, aber doch nicht zu Lasten der gesetzlich Versicherten. Ich finde, daß der Es hat sich inzwischen auch herumgesprochen, - Ansatz völlig falsch ist. daß der Betrag von den Kassen nicht unbedingt ein- klagbar ist. Das hätten Sie nämlich im Gesetz regeln (Beifall bei der PDS) müssen. Das ist im Gesetz nicht geregelt; Sie haben bei der Erarbeitung dieses Gesetzes - wie bereits bei Herr Bundesminister Seehofer hat davon gespro- dem Gesetz, das Beitragserhöhungen mit Zuzah- chen, wie es früher war und später geregelt worden lungserhöhungen verknüpft hat - letztendlich wieder ist und welche Schwierigkeiten Sie diesbezüglich mit Murks abgeliefert. Es ist nicht durchsetzbar, nicht den Ländern hatten. Ich darf Sie aber an eines erin- umsetzbar. Letztendlich haben Sie das preisgegeben, nern. Es gab ein Gesundheits-Reformgesetz von Ih- und ich denke, es wäre vernünftig, wenn Sie auch nen, in dem für alle Zeiten geregelt werden sollte, das hier jetzt preisgeben würden. daß die Instandsetzung Pflicht der Länder ist. Sie selbst haben diese Bestimmung in der Koalition wie- (Beifall bei der SPD) der herausgenommen, und zwar aus einem einzigen Wir haben Ihnen einen Ausweg aus dieser Misere Grunde: weil Sie verhindern wollten, daß das Gesetz angeboten, der schlicht und einfach monistische Fi- der Zustimmung des Bundesrats bedarf. nanzierung der Krankenhauslandschaft heißt. (Beifall bei der PDS, der SPD und dem (Widerspruch bei der CDU/CSU) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.) Dabei tragen letztendlich die Länder die Investitions- kosten. Über die monistische Finanzierung können - Sie sagen, daß das stimmt. Dazu sage ich Ihnen fol- die Krankenhäuser schrittweise in die Finanzierung gendes: Wenn Sie das nicht hätten verhindern wol- eingeführt werden, sie können dann auch endlich len, dann wären Sie zur Kooperation mit den Ländern Mitspracherechte bekommen. Über die Krankenkas- verpflichtet gewesen, und dann wäre auch eine Lö- sen erhalten auch die Versicherten Mitsprache- sung gefunden worden. Genau das haben Sie abge- rechte. lehnt. Warum haben Sie das abgelehnt? - Weil in die- sem Gesetz ein so breiter sozialer Kahlschlag zusätz- Wir erreichen auf die von uns vorgeschlagene A rt lich vorgesehen war, den Sie nicht gefährdet sehen und Weise eine vernünftige und sinnvolle Ausgestal- wollten und bei dem Sie befürchteten, daß der Bun- tung der Krankenhauslandschaft. Wir gehen nicht in desrat dazu nein sagen könnte. der Art und Weise heran, wie Sie es jetzt getan ha- ben. Wir haben keine hälftige Finanzierung mehr. (Beifall bei der PDS, der SPD und dem Wir haben den Ausstieg aus diesem System, wir ha BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Dr. Gregor Gysi Meine nächste Bemerkung. Sie versuchen hier den Sie sagen, die privat Versicherten werden dadurch Eindruck zu vermitteln, daß der Bund gleich CDU indirekt zur Kasse gebeten werden, daß die Privat- und F.D.P. ist und daß die Länder gleich SPD sind. versicherungen irgend etwas zahlen müssen und die Ich will mich dazu nicht weiter auslassen, ob das Mitglieder der Privatversicherungen dies irgend- meine Traumvariante ist; auf jeden Fall stelle ich zu- wann, irgendwie, in irgendeiner Form bei den Bei- nächst einmal fest, daß das falsch ist. In Baden-Wü rt tragszahlungen zu spüren bekommen werden. -temberg regiert zum Beispiel die CDU, in Sachsen re- giert die CDU, in Bremen, Berlin, -Vor- (Widerspruch bei der CDU/CSU und der pommern, Thüringen regiert sie überall zumindest F.D.P.) kräftig mit. Also können Sie das nicht parteipolitisch - Ja natürlich, das ist Ihre Theo rie. Ich sage: So läuft ordnen; vielmehr müssen Sie für die Versicherten an- es nicht. In dem einen Fall müssen alle Versicherten dere Lösungsansätze finden. zahlen, und in den anderen Fällen gibt es ganz viele (Beifall bei der PDS) Ausnahmeregelungen, je nach sozialer Situation der privat Versicherten. Besonders ärgert mich die Sache mit Baye rn. Auf der einen Seite muß man nun einmal akzeptieren, (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Stimmt ja gar daß sich Bayern aus der diesbezüglichen Verantwort- nicht!) lichkeit nicht hat entpflichten lassen, auch nicht Es gibt große Unterschiede: Die einen Privatversiche- durch ein bestimmtes Urteil. Bayern hat die entspre- rungen sind ziemlich reich; die anderen sind nicht so chenden Zahlungen den Krankenhäusern weiterhin reich. Da individualisieren Sie plötzlich auf eine be- zur Verfügung gestellt. stimmte Art und Weise, was Sie bei den gesetzlich (Ulf Fink [CDU/CSU]: Das ist doch prima!) Versicherten unterlassen. Dann kommen noch die Beamten dazu; dann kommen noch die Minister - - - Das ist völlig in Ordnung, das ist keine Kritik. Den- noch: Wenn Sie eine bundesrechtliche Regelung ein- (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Sie haben doch führen und sagen, daß alle Versicherten unabhängig gar keine Ahnung!) von dem Zustand in ihrem jeweiligen Bundesland - - Na, haben Sie Ihre 20 Mark gezahlt? Sie nicht, ich Sie haben ja auch nicht geprüft, wie die Situation nicht. Aber die Bürgerinnen und Bürger, die wesent- beispielsweise in Bremen im Vergleich zu Baden- lich weniger verdienen als wir beide, müssen das al- Württemberg ist etc. - einen gleichen Betrag zahlen, les zahlen. Das ist die Realität, mit der wir es hier zu angeblich mit dem Ziel, die Instandsetzung überall in tun haben. der Bundesrepublik Deutschland zu gewährleisten, dann können Sie nicht mit der Begründung, daß sich (Beifall bei der PDS) die Staatsregierung in Bayern anders verhalten hat als die Regierungen in anderen Ländern, eine große Sie haben das Problem der- Bürokratie völlig unter- Bevölkerungsgruppe herausnehmen. schätzt. Es geht nicht nur um 1 oder 2 DM. Es gibt Bereiche, in denen sehr viel mehr gezahlt werden (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne muß. ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb sage ich Ihnen eines: Ich unterstütze den Boykott, der übrigens rechtlich völlig zulässig ist. Ge- Das geht nicht. Dann müssen diese für die Tatsache pfändet werden darf erst ab 50 DM. Man kann also mithaften, daß Sie mit allen anderen Ländern keine getrost erst einmal zwei Jahre lang abwarten. Lösung gefunden haben. Anders ist dieses Problem meines Erachtens bundesrechtlich nicht zu lösen. (Beifall bei der PDS) (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne Dann kann man sich das im dritten Jahr immer noch ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) überlegen. Vielleicht ist diese Regelung bis dahin aus der Welt. Warum sollen die Leute heute zahlen, Da setzen Sie, Herr Bundesminister, sich doch sel- wenn nachher festgestellt wird, sie hätten gar nicht ber dem Verdacht aus, daß Sie eine Regelung einfüh- zu zahlen brauchen? Auch das ist ein bürokratischer ren, von der Sie sich wünschen, daß sie Ihnen im Aufwand, den man bleibenlassen kann. Wahlkampf in Bayern nicht schaden soll. Das ist doch das eigentliche Problem. Das Schlimmste ist: Sie haben selber davon gespro- chen, wie reich dieses Land ist. Sie haben von den (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne Billionen gesprochen. Ein Land, das so reich ist, soll ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE nicht in der Lage sein, seine Krankenhäuser über GRÜNEN - Zurufe von der CDU/CSU) Steuern und Beiträge instandzusetzen, - Ich spreche den Verdacht aus. Sie wissen doch, daß Verdächtigungen zulässig sind. (Beifall bei der PDS) Ich sage noch etwas anderes. Natürlich ist es so, sondern muß an die Versicherten herantreten, die in daß Sie außerdem etwas machen, was überhaupt den letzten Jahren schon soviel dazuzahlen mußten. nicht vertretbar ist: Sie brechen an dieser Stelle das (Das Mikrophon wird abgeschaltet) Solidaritätsprinzip, das für die gesamte Bevölkerung gilt. Vergessen Sie mal nicht die vielen Kranken - - (Beifall bei der PDS) (Beifall bei der PDS) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Entschuldi- Zu dem, was Sie eben gesagt haben, Frau Schaich gung, ich wollte Ihnen nur das Signal geben. Dabei Walch: Sie sprachen von der Umfinanzierung wegen bin ich auf den falschen Knopf gekommen. der Abschaffung der Mischfinanzierung. Sie wissen doch genau: Die Länder haben über eine Änderung Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgang Loh- des Mehrwertsteuerverteilungsschlüssels das Geld mann. bekommen. Sie haben gesagt: „Schönen Dank" und haben es in die Tasche gesteckt, aber es nicht mehr Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) (CDU/CSU): für die Zwecke ausgegeben, für die sie es bekommen Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und haben. So ist die Wahrheit. Herren! Herr Dr. Gysi, Sie mögen ein cleverer Ju rist (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sein. Das gestehe ich Ihnen zu, auch wenn Sie sicher in Ihrer beruflichen Laufbahn gelegentlich Dinge ge- Jetzt möchte ich aus einer Zeitung vom 9. Dezem- macht haben, die mit dem Berufsethos eines Rechts- ber zitieren, einer Zeitung, die uns bekanntlich nicht anwaltes nicht in Einklang zu bringen sind. nahesteht, der „Süddeutschen Zeitung" . Überschrift: „Die Notopfer-Show". Do rt heißt es: (Dr. Gregor Gysi [PDS]: Das können Sie gar nicht beurteilen!) Das Krankenhaus-Notopfer wird eingetrieben und plötzlich regen sich alle auf. Skandal schreit - Das ist nur eine Verdächtigung. Verdächtigungen der Deutsche Gewerkschaftsbund und wi ll das sind ja erlaubt, haben Sie eben gesagt. Bundesverfassungsgericht bemühen - wegen (Dr. Gregor Gysi [PDS]: Ich habe auch zwanzig Mark, die jeder Versicherte ... bezahlen nichts anderes von Ihnen erwartet!) muß ... Seit vier Jahren sind Bundesregierung und Länder (Bayern ausgenommen) unfähig, Aber von der Mate rie verstehen Sie überhaupt eine Lösung zu finden. Das ist der Skandal und nichts. nicht die zwanzig Mark... (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Die Länder haben alle unsere Anläufe bisher ver- und der F.D.P.) hindert, wie wir alle wissen. - Dann heißt es über den Deutschen Gewerkschaftsbund - ich will Ihnen das Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich jeden Mor- meiste ersparen und zitiere nur die Schlußsätze - : gen einen orientalischen Gebetsteppich vor mein Bett rollen, darauf niederknien - und zwar nicht nach Selbst der DGB verliert sein soziales Gewissen. Osten, sondern nach Westen gerichtet - und mich da- Nur die Show zählt. für bedanken, daß die Krankenhauslandschaft in den Darum geht es hier heute, um nichts anderes. Kein neuen Bundesländern heute so ist, wie sie ist; denn Mensch hätte sich darüber aufgeregt. Alle haben ver- sie ist nur durch die Wende möglich geworden. standen, daß den Krankenhäusern- geholfen werden (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - muß. Zurufe von der PDS: Buh!) Wenn Sie noch Zitate haben wollen: Ich kann Ih- Sie wissen übrigens noch nicht einmal Bescheid, nen auch vorlesen, was die Deutsche Krankenhaus- was Sie in den Fraktionen Ihrer eigenen Partei wol- gesellschaft zum Beispiel an den famosen Ärztekam- len. Sie haben gerade erst im von Branden- merpräsidenten Ellis Huber geschrieben hat: burg den Antrag gestellt, daß sich das Land Branden- Sie sprechen sich öffentlich dafür aus, ein demo- burg bitte so verhalten möge wie Bayern. Insofern kratisch beschlossenes Gesetz zu unterlaufen. steht Ihnen sicherlich nicht das Recht zu, das zu kriti- Überdies dürften Sie als Arzt den baulichen Sub- sieren. stanzverlust vieler deutscher Krankenhäuser aus (Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Das wird in allen eigener Anschauung kennen. Ländern so gemacht! - Dr. Gregor Gysi - Das ist allerdings nicht wahr, denn er hat nie prakti- [PDS]: Ich habe nichts anderes gesagt!) ziert; deswegen kann er das nicht wissen. - - Können Sie einmal zuhören, damit Sie etwas ler- Wenn Sie die überfällige Regelung der Instand- nen. Ich versuche das auch immer, bloß gelingt es haltungsfinanzierung attackieren, handeln Sie mir meistens nicht: letztlich gegen die Interessen der Patienten. ... In der Folge ist in den mehr als 2300 Krankenhäu- Sie haben uns gefragt - ich habe mich jedenfalls sern bis heute ein Investitionsstau von minde- angesprochen gefühlt -, ob wir die 20 DM zahlen stens vier Milliarden Mark aufgelaufen. wollen. Meine Mutter, 87 Jahre alt, hat die Aufforde- rung von der Barmer Ersatzkasse bekommen. Auch Ich sehe, meine Zeit ist abgelaufen. - Herr Robbers ich habe die Aufforderung bekommen. Wir haben von der Deutschen Krankenhausgesellschaft sagt beide bezahlt. Ich habe für meine Mutter mitbezahlt; zum Schluß: aber das ist ein anderes Thema. Jedenfalls haben wir sofort bezahlt. Ich sage das, damit Sie eine Antwort Uns wäre es im Ergebnis auch lieber gewesen - auf Ihre Frage bekommen. wie uns allen -, wenn der Rechtsstand der Zeit vor 1993 wiederhergestellt worden wäre. Bundes- Bisher haben auf Ihren Boykottaufruf nur sehr we- minister Seehofer gebührt dennoch Respekt, daß nige Menschen reagiert. 40 Prozent der Bevölkerung er diesen unpopulären und deshalb mutigen Weg haben bereits gezahlt. beschritten hat, um das seit 1993 bestehende Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) Kernproblem zu lösen und dem Substanzverfall Ohne Zweifel sind Finanzspritzen für die Instand- der Krankenhäuser Einhalt zu gebieten. haltung der Krankenhäuser notwendig. Den Bür- gern, die aus Verständnis, aus Rechtschaffenheit Genauso ist es, und deswegen haben wir das Ganze oder weil sie es finanziell leisten können, den Betrag richtig gemacht. per Überweisung den Kassen zustellen, sei Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Alle Bürger werden dafür in den deutschen Kranken- häusern sachkundige ärztliche und pflegerische Lei- stungen auf hohem Niveau auch weiterhin gewähr- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat leistet haben. jetzt der Abgeordnete Hans-Hinrich Knaape. Die Proteste gegen das Notopfer halte ich aber für berechtigt, und zwar die Proteste der Bürger, nicht Dr. Hans-Hinrich Knaape (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der bundesweite Protest- die der Funktionsträger im Gesundheitswesen und besonders auch der Ärzte. Nicht notwendig sind Kla- sturm gegen das Krankenhausnotopfer signalisiert eines: Die Bundesregierung und die Regierungsko- gen vor den Gerichten gegen das Gesetz, das in sei- alition sind zu weitsichtigen Entscheidungen nicht ner Grundstruktur allerdings absurd ist. Ein nüchter- nes Nachdenken würde ergeben: Keine Kasse wird mehr fähig. den Betrag zwangsweise über den Gerichtsvollzieher (Beifall bei der SPD - Widerspruch von der eintreiben; denn die Reaktion wäre ja, daß der Be- CDU/CSU und der F.D.P.) troffene die Kasse wechselt. So programmieren Sie Ihre Abwahl selbst. Bei alldem fragt man sich: Welchen Unsinn hat die Politik hier wieder verzapft? Eines können Sie doch nicht bestreiten: Der Zwist zwischen Ihnen als Koalitionspartnern läßt Sie keine (Beifall bei der SPD) Gesetze mehr formulieren, die zu tragfähigen Kom- promissen mit der SPD-Opposition führen könnten. Aber dieser Unsinn ist nun einmal geltendes Recht. Die Kassen müssen es umsetzen, und die Zeitungen (Klaus Kirschner [SPD]: So ist es!) und Medien haben ihre Story. Sie wollen mit dem Kopf durch die Wand, und nun ste- Jedem Politiker hier in der Runde sollte inzwischen hen Sie am Pranger. Im Gesundheitsausschuß waren klar sein, daß man so die Probleme nicht lösen kann. Sie ja nicht einmal bereit, sich darüber zu unterhalten, Jeder von uns weiß, daß man den Ländern die Kom- wie die finanzielle Sicherung der gesetzlichen Kran- petenz für die Krankenhausplanung und auch die kenversicherung sein sollte und wie die Investitions- Krankenhausinvestitionen nicht einfach wegnehmen kosten der Krankenhäuser gedeckt werden sollten. kann und auch nicht sollte, wenn wir das deutsche Heute aber verkünden Sie im Brustton der Überzeu- Gesundheitswesen auf internationalem- Höchststand gung, dies sei richtig und dem Bürger zuzumuten. halten wollen. Ohne steuerfinanzierte Zuschüsse des Bundes und der Länder kann dies auf Dauer nicht Sicher, das Krankenhauswesen wird dual finan- gewährleistet werden. Den Bürgern wird auf Dauer ziert. Die Investitionskosten haben die Länder zu tra- dann nicht die medizinisch notwendige Versorgung gen. Die laufenden Kosten müssen solidarisch über die Kassen eingebracht werden. Folglich ist es not- zu sichern sein. wendig, mit der Opposition und auf Grund des Föde- Schließlich wird, wie die Regierungskoalition dies ralismus allemal auch mit den Ländern zu reden. in letzter Zeit häufig tut, die ausquetschende Dies wurde umgangen, und dem Bürger mit dem Schraube mal wieder beim kleinen Mann angesetzt, kleinen Lohn aus abhängigen Arbeitsverhältnissen beim unselbständig Beschäftigten. Dies widersp richt geht es mal wieder ans Portemonnaie. Da ist es doch der Solidarität und auch der Vernunft. Es ist auch verständlich, daß sich Empörung bis zum Haß auf- sachlich nicht qualifiziert und politisch gesehen ein staut. Schnellschuß, wieder einmal ausgelöst von der Re- (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Na, na!) gierungskoalition, wobei aber alle Politiker die Be- troffenen sind, auch die Opposition. Die Politikverdrossenheit steigert sich sprunghaft, Insofern ist dies heute wahrlich keine Sternstunde (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: im Deutschen Bundestag, und der Verdruß über die Sie sind in einer SPD-Versammlung gewe Politiker wird auch über den deutschen Weihnachts- sen!) bäumen schweben und die Stimmung aller Bürger trüben. Sie, meine Damen und Herren von der CDU/ dies auch, da der Durchschnittsbürger die Zusam- CSU und F.D.P., sind dafür verantwortlich. Dafür menhänge auf Grund seines Wissens nicht mehr kann man Ihnen wahrlich nicht danken, wohl aber durchschaut. fürs Zuhören. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ (Beifall bei der SPD und der PDS) CSU]: Und Sie erzählen das Gegenteil!) In der Anhörung ist vor diesen Zusammenhängen Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat gewarnt worden. Dies haben Sie in den Wind ge- der Abgeordnete Wolfang Zöller. schlagen. Sicherlich ist nicht eingetreten - schon gar nicht bei den Technikerkrankenkassen -, daß die (Zuruf von der SPD: Jetzt hören wir die Eintreibungskosten sehr hoch sind. bayerische Lösung!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Lassen Sie mich wenigstens stichpunktartig auch Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vielleicht noch dies ansprechen: Die Kritik erfolgt nicht nur an gestatten Sie mir, zunächst mit einem Argument auf- der falschen Stelle, zuräumen, das hier immer wieder gebraucht wird, und zwar daß mit den Gesundheitsgesetzen die Pa- (Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Aber in rität verlassen wurde. Vielleicht wären Sie so Rheinland-Pfalz! - Gegenruf des Abg. freundlich, wesentliche Zahlen zur Kenntnis zu neh- Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Denken Sie an men. Nordrhein-Westfalen!) sondern sie ist auch fachlich falsch, wenn nämlich Erstens. Wenn ich die Zahl von 1996 nehme, so die Gewerkschaftsführerin behauptet, die P rivaten hatten wir sage und schreibe 234 Milliarden DM zahlten nicht. Es ist ja erläutert worden, die Aussage Ausgaben bei hälftiger Finanzierung, bei einer mit ist schlicht und ergreifend falsch. der SPD beschlossenen Selbstbeteiligung von 9 Mil- liarden. Das heißt, die Parität hat sich von 51,9 Pro- Die Widersprüchlichkeit dieser Dame ist auch zent auf 48,1 Prozent verschoben. daran zu erkennen, daß sie das nur denen zumutet, die ins Krankenhaus kommen. Auch hier sieht man Wenn ich jetzt die fünf Prozent und die fünf D- die wirklich ausgesprochen solidarische Haltung die- Mark Zuzahlung dazurechne, verschiebt sich die Pa- ser Dame. rität von 51,9 auf 53 Prozent. Dann davon zu spre- Wenn sie hergeht und Musterprozesse bis Karls- chen, daß die ganze Parität in Frage gestellt wurde, ruhe fordert, dann würde ich ihr lieber empfehlen, gibt mir zumindest zu denken, wie manche hier mit auch hier die Energie zu benutzen, um die Länder zu Zahlen umgehen. bewegen, die Ursachen für den Mißstand zu beseiti- gen. (Beifall bei der CDU/CSU - Widerspruch bei der SPD - Zuruf der Abg. Dr. Ruth (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Fuchs [PDS]: Es gibt keine kleinere Hälfte!) Der größte Hammer für mich ist allerdings die Ge- schmacklosigkeit des Boykottaufrufs des Präsidenten Zweitens. Ich stelle zunächst einmal fest, daß die der Berliner Ärztekammer, Huber. Wenn er sich öf- jetzt festgelegte Notlösung bestimmt nicht befriedi- fentlich dafür ausspricht, ein demokratisch beschlos- gend ist. Aber ich hätte mir gewünscht, daß sich die, senes Gesetz zu boykottieren, dann frage ich mich, die sich heute hier über diese Notlösung so aufregen, nachdem 40 Prozent schon bezahlt haben: Sind die auch nur mit halbem Engagement an den Stellen auf- Anständigen dann wieder die Dummen? geregt hätten, die dafür zuständig sind, daß diese Si- tuation eingetreten ist. (Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Die zahlen nächstes Jahr nicht!) (Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Haben wir!) Oder wie würde sich Herr Huber dazu stellen, wenn Wenn Sie rufen „Handeln!", dann kann ich Ihnen ich hergehen und sagen würde: Alle Patienten, die sagen: Wenn wir hier zum Beispiel zwei Gesetzesvor- bei Ärzten in Behandlung sind, die von Herrn Huber lagen einbringen, mit unserer Mehrheit beschließen, unterstützt werden, sollten die 20 DM bei der näch- sie dann im Bundesrat abgelehnt werden und Sie sten Rechnung einfach abziehen, die könnte man sich dann hier - ich benutze das Wo rt bewußt - dann für die Krankenhausfinanzierung nehmen? Die scheinheilig hinstellen und die nicht in Kraft getre- Ärzte werden sowieso nicht klagen, denn wegen tene Lösung kritisieren, dann tut es mir leid, das 20 DM klagt niemand. kann ich dann nicht nachvollziehen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir einreißen lassen, daß man Gestzestreue in (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Deutschland einfach als Bagatelle abtut und sagt: Ihr Widerspruch bei der SPD und der PDS) braucht nicht, ihr könnt euch verhalten, wie ihr wollt, dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn im Deshalb ist die berechtigte Kritik hier an der fal- Großen ähnlich gehandelt wird, weil im Kleinen schen Adresse angebracht. Sie sollten den Mut ha- keine gerade Linie gefahren wird. ben, die richtige Adresse für Ihre Kritik zu benut- zen. (Beifall bei der CDU/CSU - Widerspruch bei der SPD und der PDS) Ich habe selbstverständlich keine Probleme, weil Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn ich hier das Beispiel Bayern vorführen kann. In Bay- wir das Problem sauber und dauerhaft lösen wollen, ern ist man nämlich seiner Verpflichtung nachge- gibt es nur einen Weg: Die Länder müssen sich ihrer kommen, und jedem anderen Land steht es frei - ich Verpflichtung bewußt werden, für die Instandhal- hätte gewünscht, daß Sie mit den Mitgliedern Ihrer tungskosten in den Krankenhäusern aufzukommen. Partei Druck auf die Länderregierungen ausüben -, diesem guten Beispiel zu folgen. Die ganze Diskus- Ich danke Ihnen. sion über das Notopfer wäre dann in unserem Land überhaupt nicht notwendig gewesen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Zurufe von der SPD und der PDS) jetzt der Abgeordnete Wolfgang Wodarg. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Dr. Wolfgang Wodarg (SPD): Frau Präsidentin! - Wegen sogenannter Fehlbelegung haben Sie de- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe heute nen erst einmal per Gesetz 1 Prozent weggenommen. viele neue Dinge gelernt. Ich habe gehört, daß unser Gesundheitsminister genauso wie ein ehemaliger (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ Wirtschaftsminister dieser Republik nicht zwischen CSU]: Das ist eine Folge der Pflegeversiche Investitionen auf der einen Seite und Instandset- rung, die wir zusammen beschlossen zungskosten auf der anderen Seite unterscheiden haben!) kann. Das wird einfach gleichgesetzt. Das ist genauso ein Gießkannenprinzip. (Widerspruch des Abg. Jürgen W. Mölle (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das hat mit mann [F.D.P.]) der Pflegeversicherung zu tun!) Sie haben immer nur von den Investitionen gespro- - Natürlich hat das etwas damit zu tun; das ist das- chen. Diese tätigen die Länder weiter, das ist richtig selbe Budget, Herr Zöller! so und auch legal. Man hat 1 Prozent weggenommen - rin in die Kar- (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Wir meinen tüffeln - jetzt bekommen sie 1,1 Prozent wieder. Das doch die Instandhaltungskosten!) sind doch die Verknüpfungen, die Hin-und Herschie- bereien, die Sie veranstalten. Das ist dasselbe Geld. - Er meinte die Instandhaltungskosten, hat aber hier von Investitionen gesprochen. Deshalb halte ich das, (Zuruf von der CDU/CSU: Das Geld ist was er sagte, für irreführend. doch zweckgebunden!)

Die Absurdität dessen, was dieser Gesundheitsmi- Sie kommen überhaupt nicht auf die Idee, Ihre Ge- nister hier eingebracht hat und jetzt umsetzen muß, setze so zu formulieren, daß solche Schlingerkurse vermieden werden. Das kann keiner mehr verstehen. (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Jetzt wird es Die Öffentlichkeit schüttelt mit Recht den Kopf über kleinkariert!) eine so chaotische Politik. wird besonders deutlich, wenn man sich die Auswir- (Beifall bei der SPD - Wolfgang Lohmann kungen anschaut. Eine neugebaute orthopädische [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Über Sie! Zum Fach- oder Augenklinik, die um ihrer Attraktivität Beispiel über die Einstellung von Leuten, willen sehr gut ausgestattet ist, zum Beispiel mit ei- die gar keine Ärzte sind!) nem Marmoreingang und neuesten Betten, die super Ich denke, daß es richtig ist, Blödsinn auch beim in Schuß ist, bekommt genauso einen Anteil vom Namen zu nennen. Ihre Maßnahmen stoßen bei der Notopfer, wie eine Klinik, die es zum Beispiel wegen Bevölkerung auf Unverständnis- und führen zu Ärger, kaputter Dächer wirklich nötig hat. aus dem der Unwillen entsteht, bei so etwas nicht mitmachen zu wollen und sich dagegen zu wehren. (Bundesminister Horst Seehofer: Das ist Ich habe Verständnis dafür, wenn Leute in diesem falsch!) Punkt ungehorsam sind. Wer jetzt gleich zivilen Un- - Das Notopfer richtet sich einzig und allein nach der gehorsam in die Nähe von Kriminalität rückt, der Höhe des Budgets des Krankenhauses; davon be- schadet unserer Demokratie. kommt es einfach anteilig prozentuale Leistungen (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie ausbezahlt. Das ist eine Gießkannenpolitik, die über- bei der PDS) haupt nichts nützt. Menschen, die das nicht zahlen wollen und dage- (Bundesminister Horst Seehofer: Absolut gen demonstrieren, nehmen ein Risiko und mögli- falsch!) cherweise auch Kosten auf sich. Sie müssen Mahnge- bühren bezahlen und möglicherweise prozessieren. Sie machen sich nicht einmal die Mühe, zu ermitteln, Aber das ist ihnen das wert. Sie sagen, dieser Staat wo Bedarf besteht und etwas zu tun ist, sondern Sie macht Mist. Mist muß auch Mist genannt werden geben das Geld einfach aus. dürfen. Das ist in Ordnung. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie haben (Beifall bei der SPD und der PDS - Ulf Fink sich nicht die Mühe gemacht, das Gesetz zu [CDU/CSU]: Ihre Rede war aber nicht in lesen!) Ordnung!)

Dann kommt noch etwas besonders Absurdes hinzu, was den Arger, der jetzt in der Bevölkerung Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Die Aktuelle entsteht und auf die Krankenkassen zukommt - ne- Stunde ist damit beendet. ben den Kosten -, in einem ganz anderen Licht er- scheinen läßt. Gerade in diesem Jahr haben Sie be- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: schlossen, daß die Budgets der Krankenhäuser um 1 Prozent gekürzt werden. Erste Beratung des von den Abgeordneten Hans Martin Bury, Lilo Blunck, E rnst Schwan- (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ hold, weiteren Abgeordneten und der Fraktion CSU]: Wegen Fehlbelegung!) der SPD eingebrachten Entwurfs eines Geset- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer zes zur Reform des Versicherungsvertragsge- Überschusses, der an die Kunden auszuzahlen ist, setzes sind die Versicherungsunternehmen an die Rech- nungslegungsvorschriften des Handelsgesetzbuches - Drucksache 13/8163 - gebunden. Diese Vorschriften sind nicht ausrei- Überweisungsvorschlag: chend, um die angemessene Beteiligung der Versi- Rechtsausschuß (federführend) cherungssparer an den mit ihren Einzahlungen er- Finanzausschuß Ausschuß für Wirtschaft wirtschafteten Erträgen sicherzustellen. Denn das HGB bietet den Unternehmen eine Fülle von Gestal- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für tungsmöglichkeiten für die Bilanzierung, insbeson- die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre dere zur Bildung stiller Reserven. Fachleute schätzen keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. den Marktwert der aus den Kundengeldern ange- Als erster hat der Abgeordnete Hans Ma rtin Bury häuften stillen Reserven der Versicherer auf bis zu das Wort. 300 Milliarden DM. Unser Gesetzentwurf stellt klar: Die mit den Spar- Hans Martin Bury (SPD): Frau Präsidentin! Liebe geldern der Kunden erwirtschafteten Überschüsse Kolleginnen und Kollegen! Vor dem Hintergrund der gehören vollständig den Versicherungskunden. Ex- Probleme in der gesetzlichen Rentenversicherung perten schätzen, daß jeder Lebensversicherungs- wird die private Altersvorsorge immer wichtiger. Ich kunde durchschnittlich zusätzlich 15 000 DM erhal- glaube, Herr Kollege Weng, darin sind sogar wir uns ten würde, wenn der SPD-Gesetzentwurf umgesetzt einig. wird. Wir werden nicht hinnehmen, daß die Kunden von Kapitallebensversicherungen weiterhin mit ma- Eine wachsende Zahl privater Anbieter wirbt um geren Renditen abgespeist werden, während sich die die Spargelder der Bürgerinnen und Bürger. Im Ge- Versicherungsunternehmen mit den eingezahlten schäft mit der Angst hatten in den letzten Jahren die- Beiträgen ihre Bilanzen vergolden. jenigen die besten Karten, die „Sicherheit mit Divi- dende" verkaufen, nämlich die Lebensversicherun- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gen. Bei rund 80 Millionen abgeschlossenen Lebens- DIE GRÜNEN) versicherungen kommt statistisch gesehen auf jeden Deutschen eine Police. Bei der Beratung über unseren Gesetzentwurf wird sich zeigen, ob Sie sich als Volksvertreter oder als Auch wenn die Versicherungsunternehmen in ih- Versicherungsvertreter verstehen. ren Werbespots unverblümt das Blaue vom Himmel versprechen: Bei dieser Form der Altersvorsorge er Damit hier kein Mißverständnis aufkommt: Wir halten die Menschen, die in treuem Glauben an den sind sehr dafür, daß Unternehmen in Deutschland honorigen Herrn Kaiser und seinesgleichen satte Prä- Geld verdienen, Gewinne- ausweisen und auch ver- mien an die Versicherungskonzerne bezahlen, in der steuern. Praxis nur einen Teil dessen, was ihnen eigentlich zu- steht. (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Es ist aber bitter nötig, das zu sagen!) (Lilo Blunck [SPD]: So ist das!) Diese Gewinne müssen aber auch in der Versiche- Denn die Versicherungskonzerne lassen sich die Si- rungswirtschaft, Herr Kollege Weng, Resultat unter- cherheit einer meist mageren Mindestverzinsung nehmerischer Leistungen sein und dürfen nicht aus durch fette Beiträge bezahlen. Wir wollen die Rechte dem Griff in die Kundenkasse resultieren. der Versicherungskunden stärken, die Transparenz von Angeboten verbessern und die Rendite für die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Versicherungsnehmer erhöhen. DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die separate Ausweisung des Sparanteils bei Kapi- Der von der SPD-Bundestagsfraktion vorgelegte tallebensversicherungen folgt dem bewäh rten Vor- Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Versiche- bild von Kapitalanlagegesellschaften. Damit wird die rungsvertragsgesetzes sieht die Neufassung des § 1 bisher gängige Praxis der unkontrollie rten Vermö- VVG vor. Danach sollen Versicherer künftig ver- gensvermischung wirkungsvoll unterbunden. Zu- pflichtet werden, Beiträge in ihren Dienstleistungs-, künftig müssen Versicherungsunternehmen die für Risiko- und Sparanteil aufzuschlüsseln. Das schafft die Versicherten verwalteten Spargelder als Sonder- Transparenz für die Kunden und macht unterschied- vermögen behandeln. Diese Regelung ist sachge- liche Angebote überhaupt erst vergleichbar. Trans- recht, denn entgegen der von der Versicherungs- parenz und Information sind Voraussetzungen für lobby erfolgreich gestreuten Fiktion handelt es sich einen funktionierenden Wettbewerb. In der Versi- beim Sparanteil der Kapitallebensversicherung um cherungswirtschaft funktioniert dieser Wettbewerb eine reine Kapitalanlage. Untersuchungen haben bislang nicht, weil den Verbrauchern alle relevanten eindrucksvoll nachgewiesen, wie absurd die von der Informationen über die Zusammensetzung der Prä- Branche verkaufte Behauptung ist, einzig die Kapi- mie vorenthalten werden. tallebensversicherung könne über lange Zeiträume eine Mindestverzinsung von 4 Prozent garantieren. Nach geltendem Recht werden die Sparprämien der Versicherungskunden bei den Versicherern voll- Selbst diejenigen, die ihr Geld in Bundesschatz ständig als Umsatz verbucht. Bei der Ermittlung des briefen investierten, haben in den letzten Jahrzehn- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Hans Martin Bury ten im Durchschnitt eine höhere Rendite erhalten als cherungsvermittlung vorsieht - ein dringend notwen- die Kunden von Kapitallebensversicherungen; diger Schritt. (Lilo Blunck [SPD]: So ist das!) Wir schaffen die klassische Kapitallebensversiche- rung mit garantierter Verzinsung nicht ab, aber sie ganz zu schweigen von Aktiensparern, die ein Vielfa- wird sich dem Wettbewerb stellen müssen. Denn wir ches dessen einstreichen konnten. Wer diese Anlage sorgen dafür, daß die Zahlen auf den Tisch kommen noch mit einer vernünftigen Risikolebensversiche- und die Vermögensvermischungen zu Lasten der rung kombiniert hat, hat nicht nur mehr Geld im Al- Kunden ein Ende haben. Die Versicherer werden ter, sondern seine Familie auch viel besser gegen Ri- dann beweisen müssen, ob ihr Produkt auch bei vol- siken abgesichert. Denn bei der durchschnittlichen ler Transparenz hält, was sie versprechen. Die Versi- Kapitallebensversicherung ist der darin enthaltene cherungslobby scheint da selbst skeptisch zu sein. Todesfallschutz regelmäßig viel zu niedrig bemessen. Denn anders lassen sich die wiederholt vorgebrach- ten Zweifel an den Zukunftschancen der klassischen (Lilo Blunck [SPD]: Richtig!) Kapitallebensversicherung kaum erklären. Die von uns vorgeschlagene Änderung des VVG Unser Gesetzentwurf beseitigt auch die bestehen- wird den Wettbewerb in der Versicherungswirtschaft den Mißstände bei den sogenannten Rückkaufswer- erheblich verbessern. Völlig lächerlich, Herr Funke, ten. Die dubiose Praxis, Kunden von Kapitallebens- ist daher der Vorwurf, unser Gesetzentwurf führe zu versicherungen bei einer vorzeitigen Kündigung der einem „Einheitsprodukt" in der Versicherung. Daß Police selbst nach mehrjähriger Versicherungsdauer ein Mehr an Wettbewerb zur Beschränkung der Pro- lediglich einen Bruchteil der eingezahlten Beiträge duktvielfalt führen soll und damit zu Lasten der Ver- zurückzuerstatten, wird nach dem SPD-Gesetzent- braucher geht, ist eine ausgesprochen ungewöhnli- wurf bald der Vergangenheit angehören. Die Kunden che Einschätzung. Herr Funke, wenn ich an die lang- sollen ein jederzeitiges Rücktrittsrecht erhalten, bei wierigen Diskussionen, die wir beide miteinander dessen Inanspruchnahme ihnen der Gegenwert ihrer über die Liberalisierung der Telekommunikations- Anteile zu Marktpreisen abzüglich anteiliger Ab- märkte oder - bis heute mittag - auch der Postmärkte schluß- und Verwaltungskosten zusteht. geführt haben, denke, muß ich sagen: Da habe ich von Ihnen ganz andere Positionen gehört. Die Versicherungslobby tut gerne so, als wenn nur eine verschwindende Minderheit der Versicherten (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: ihren Vertrag vorzeitig kündigt. Mittlerweile ist je- Das kann gar nicht sein! Ausgerechnet doch belegt, daß fast jeder zweite seinen Vertrag vor- Funke!) zeitig kündigen muß, weil er die Beiträge nicht mehr zu zahlen vermag. Für diese Menschen bietet die Ka- Fakt ist, daß wir derzeit in Deutschland ein Ein- - heitsprodukt im Bereich der Lebensversicherungen pitallebensversicherung in der Praxis nicht einmal haben, nämlich die vermögensvermischende Kapi- die garantierte Mindestverzinsung, geschweige denn tallebensversicherung. Die Gründe hierfür liegen in die versprochene „Dividende". Für sie ist die Kapital- dem mangelnden Wettbewerb in der Versicherungs- lebensversicherung ein Kapitalvernichtungsprodukt. wirtschaft und der einseitigen steuerlichen Privile- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne gierung der vermögensvermischenden Kapitalle- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) bensversicherung, gegenüber allen anderen Anlage- formen, auch gegenüber der fondsgebundenen Le- „Schön wär's", überschrieb das „Handelsblatt" bensversicherung. Graf Lambsdorff, zweifellos ein seinen Kommentar zum SPD-Gesetzentwurf zur Re- Kenner der Mate rie, hat ja bereits öffentlich einge- form des Versicherungsvertragsgesetzes. Liebe Kol- räumt, die Kapitallebensversicherung werde es ohne leginnen und Kollegen, es liegt jetzt an uns, ob es ihr Steuerprivileg nicht mehr geben. Nun plant die endlich einen funktionierenden Wettbewerb in der Bundesregierung sogar, die Risikolebensversiche- Versicherungswirtschaft gibt, rungen zusätzlich zu besteuern - ein skandalöser Vorschlag. Schließlich zählt die Risikolebensversi- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) cherung neben der Haftpflicht zu den wenigen Versi- ob die Versicherungskunden zukünftig eine deutlich cherungen, die wirklich fast jeder zur Absicherung verbesserte Rechtsposition gegenüber den Versiche- existentieller Risiken braucht. rungsunternehmen haben und ob sie endlich eine Neben den steuerlichen Fehlanreizen spielt die angemessene Rendite aus ihren Lebensversiche- reine Provisionsorientierung bei der Versicherungs- rungspolicen erhalten. vermittlung eine entscheidende Rolle für den Ver- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ kaufserfolg der Kapitallebensversicherung. Bei kei- DIE GRÜNEN) ner anderen Versicherung - abgesehen von der pri- vaten Krankenversicherung - kann der Vermittler Zu Zeiten der sozialdemokratischen Regierung un- eine so hohe Provision einstreichen wie beim Verkauf ter Bundeskanzler war die Praxis einer Kapitallebensversicherung. Als direkte Folge der unkontrollie rten Vermögensvermischung bei des provisionshungrigen Vertriebs sind heute immer Versicherungen bereits erkannt. In einem Gesetzent- mehr Menschen fehl- oder überversichert. Das Land wurf zum Versicherungsrecht aus dem Jahre 1982 Niedersachsen hat einen Gesetzentwurf in den Bun- wurde die Gefahr hieraus resultierender Schädigun- desrat eingebracht, der die Schaffung vernünftiger gen von Versicherten aufgegriffen. Es wird Zeit, daß Standards zum Schutz der Verbraucher bei der Versi- in Deutschland eine sozialdemokratisch geführte Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Hans Martin Bury Bundesregierung das anpackt, was diese „Still- - Sie müssen es nur in § 8 Abs. 5 und 6 des Versiche- standsregierung" seit 1982 versäumt hat. rungsvertragsgesetzes nachlesen. Dort ist das Rück- trittsrecht normiert. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Lilo Blunck [SPD]: Ich weiß es! Ich muß es DIE GRÜNEN) nicht nachlesen! Sie sollten es nachlesen!) Es gibt also erstens im Versicherungsvertragsge- setz eine Sicherung gegen die Überrumpelung ge- Das Wort hat Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: nau in dem Fall der sofortigen Versicherungsschutz- jetzt der Kollege Norbe rt Röttgen. zusage. (Lilo Blunck [SPD]: Nein! - Detlef Kleine rt (CDU/CSU): Frau Präsidentin! [Hannover] [F.D.P.]: Schade, daß Alex Möl Norbert Röttgen ler nicht mehr da ist!) Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kollege Bury, ich finde, das Auffälligste an dem Gesetzent- Zweitens würde Ihr Vorschlag sogar zu einer Ver- wurf, den Sie gerade vorgestellt haben, ist, daß er schlechterung der Rechtsposition des Versicherungs- wirklich nicht durchdacht ist und daß seine Unzu- nehmers führen; denn das Rücktrittsrecht, das es länglichkeit bis ins Handwerkliche geht. Vielleicht heute gibt, hat keine weiteren Voraussetzungen. Es nutzen wir diese vertraute Runde im Plenarsaal dazu, muß innerhalb der ersten vierzehn Tage davon Ge- uns nicht gegenseitig mit Sprüchen zu begegnen brauch gemacht werden. Daran sind keine weiteren und auf der Ebene das Problem abzuhandeln, son- Voraussetzungen geknüpft. Ihr Rücktrittsrecht, das dern - ich meine diese Feststellung gar nicht pole- Sie konstruieren, teilt die Voraussetzung des Wider- misch, sondern ganz sachlich - die wirklich hand- spruchsrechts und ist darum viel enger. Deshalb werklichen, aber auch inhaltlichen Mängel vorzutra- wäre Ihr Gesetz sogar mit einer Verschlechterung der gen und nachzuweisen. Rechtsposition der Verbraucher und der Versiche- rungsnehmer verbunden. Das wäre im übrigen auch (Hans Martin Bury [SPD]: Im Ziel sind wir EG-rechtswidrig. uns also einig?) Ich unterstelle Ihnen gar nicht, daß Sie das wollen und anstreben. Das, was ich damit nur sagen will, ist, - Mit dem Gesetzentwurf, den Sie vorgeben, errei- daß es ein unzulänglicher, nicht durchdachter und chen Sie das Ziel nicht. Aber ich gehe im einzelnen unausgegorener Gesetzentwurf ist. Wir haben jetzt darauf ein. Ich glaube, das ist auch Sinn dieser Dis- die Weihnachtspause. Dann kann man das alles noch kussion. einmal nachlesen. Sie werden dann feststellen, daß Sie den Versicherungsnehmern- einen Bärendienst er- Im wesentlichen sind es zwei Ziele, die Sie verfol- weisen, nämlich ihre Rechtsposition verschlechtern, gen, Gefahren, denen Sie mit diesem Gesetz entge- anstatt sie zu verbessern, so wie Sie vorgeben. genwirken wollen. Das eine - damit möchte ich an- fangen - ist die Gefahr der Überrumpelung, die Sie (Hans Martin Bury [SPD]: Lesen Sie doch nach geltendem Recht sehen, nämlich in den Fällen, nicht nur Lobbypapiere vor!) in denen das Versicherungsunternehmen eine sofor- - Ich bin nicht in irgendwelche Interessen involvie rt, tige Versicherungsschutzzusage macht. In diesem sondern ich habe mir Ihren Gesetzentwurf durchge- Fall nämlich hat der Versicherungsnehmer aus- lesen. Ich habe mir das geltende Versicherungsver- nahmsweise kein Widerspruchsrecht. Sie sagen: tragsgesetz durchgelesen. Wenn man das tut, kommt Dann wird er überrumpelt. Darum wollen Sie an die man zu dieser nüchternen Feststellung. Sie sollten Stelle des fehlenden Widerspruchsrechts eine Rück- sich nicht versperren, sondern einfach einmal Ihren trittsmöglichkeit setzen. Das ist der Vorschlag, den Gesetzentwurf und das geltende Recht lesen. Dann Sie in dem Gesetzentwurf machen. kommt man zu diesem Ergebnis. Dabei verkennen Sie allerdings die gegenwärtige Das zweite Ziel, das Sie mit diesem Gesetzentwurf Rechtslage in eklatanter Weise; denn im gegenwärti- verfolgen, ist, der Gefahr entgegenzuwirken, daß die gen Versicherungsvertragsgesetz gibt es bereits ge- Versicherungsunternehmen - das ist der Vorwurf, rade für diesen Fall, in dem der Versicherte kein Wi- den Sie erheben - die Versicherten in zu geringem derspruchsrecht hat, ein Rücktrittsrecht. Das heißt, Umfang am Überschuß teilhaben lassen. Dafür ma- Sie wollen das in § 8 Abs. 5 und 6 des Versicherungs- chen Sie bilanzrechtliche Gründe aus. Sie sagen: Die vertragsgesetzes bereits heute existente Rücktritts- Versicherungsunternehmen schütten zuwenig aus, recht streichen und wollen an die Stelle des Wider- das hat seine Ursache in der bilanzrechtlichen Situa- spruchsrechts ein neues Rücktrittsrecht setzen. Es tion, die wiederum ihre Ursache in der Kumulation bringt also keinen Fortschritt, weil das Rücktritts- von Risiko und Sparelementen in der Kapitallebens- recht bereits heute vorhanden ist, wie sich aus § 8 versicherung hat. Das ist Ihre Argumentation. Abs. 5 und 6 ergibt. Über die Gefahr, daß die Versicherungsunterneh- men zuwenig ausschütten, kann man schon streiten. (Lilo Blunck [SPD]: Nein, das stimmt einfach Das ist äußerst fraglich. nicht, weil man vorher keine Informationen bekommt! - Hans Martin Bury [SPD]: (Lilo Blunck [SPD]: Das kann man nicht! Schlimmer Unsinn!) Das hat die Bundesregierung festgestellt!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Norbert Röttgen Sie wissen, daß durch Rechtsverordnung bestimmt haftigkeit wirklich peinlichen Gesetzentwurf zu ver- ist, daß die Versicherungsunternehmen mindestens gessen, so daß wir uns im nächsten Jahr nicht mehr 90 Prozent der Kapitalerträge ausschütten müssen. damit beschäftigen müssen. Ziehen Sie ihn am be- sten einfach zurück! (Hans Martin Bury [SPD]: Das ist doch naiv!) (Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Das wäre schon was!) Sie wissen, daß es in der Praxis darüber sogar hinaus- geht. Auch muß man natürlich berücksichtigen, daß Ansonsten lehnen wir ihn natürlich in jedem Falle die Kapitalerträge durch die Prämien entstehen, die ab; denn er ist einfach schlecht. eingezahlt werden, aber daß sie auch das Ergebnis einer unternehmerischen Aktivität sind. Darum halte Herzlichen Dank. ich diese Regelung, so wie sie im gegenwärtigen (Beifall bei der F.D.P. - Hans Martin Bury Recht vorhanden ist, für vernünftig, also eine Min- [SPD]: Versicherungsvertreter!) destausschüttung von 90 Prozent. In der Wirklichkeit ist es mehr. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Auch wenn Sie es anders bewerten: Sie sind in je- die Abgeordnete Uli Höfken. dem Fall auf dem Holzweg, wenn Sie bilanzrechtli- che Probleme, die Sie ausgemacht haben, versiche- rungsvertragsrechtlich lösen wollen. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Viel- leicht sollten wir einmal von der oberlehrerhaften Be- (Beifall des Abg. Detlef Kleinert [Hannover] lehrung durch einen Juristen zu der politischen In- [F.D.P.]) tention des Gesetzentwurfs der SPD übergehen, den Sie wollen diese lösen, indem Sie die Kapitallebens- wir ganz ausdrücklich begrüßen, der Reform des Ver- versicherungen bisherigen Zuschnitts abschaffen sicherungsvertragsgesetzes. Hierbei geht es um eine wollen. Auf die Idee muß man erst einmal kommen. eigentlich überfällige Begrenzung der Versiche- rungs- und auch der Bankenmacht zugunsten des (Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Die sind Verbrauchers und der Verbraucherin in Form einer nicht darauf gekommen! Darauf ist Herr gesetzlichen Regelung. Meyer gekommen!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das führt übrigens auch zu völlig abstrusen Formu- und bei der SPD) lierungen. Man muß sich die bilanzrechtlichen For- mulierungen im Versicherungsvertragsgesetz einmal Das ist die politische Intention. Wenn Sie juristische zu Gemüte führen. Das sind deplazierte Regelungen. Ratschläge geben wollen, dann werden diese mögli- Wenn Sie etwas regeln wollen, dann müssen Sie es cherweise freundlich angenommen. - bilanzrechtlich regeln, aber nicht im Versicherungs- (Beifall der Abg. Lilo Blunck [SPD]) vertragsgesetz. Selbstverpflichtungen sind, wie wir an Hand der Sie schränken die Vertragsfreiheit ein. Sie wollen Girokonten gesehen haben, nicht hinreichend effizi- die Kapitallebensversicherung jetziger Art abschaf- ent. Zur Einschränkung der Versicherungs- und Ban- fen, obwohl Millionen von Bürgern sie abgeschlossen kenmacht sind Maßnahmen nötig, die über den Ver- haben. Sie wollen die Produktfreiheit einschränken braucherschutz, der heute zur Debatte steht, hinaus- und nehmen für sich auch noch in Anspruch, daß so gehen. die Wettbewerbsposition unseres Landes im europäi- schen Binnenmarkt verstärkt wird. Natürlich wird Der vorliegende Gesetzentwurf umfaßt den verbes- das glatte Gegenteil der Fall sein. Dieses Produkt, serten Schutz der Verbraucherinnen und Verbrau- das Sie in Deutschland verbieten wollen, nämlich die cher im wesentlichen in drei Punkten und betrifft vor Kapitallebensversicherung, wird dann nämlich nicht allem, wie Sie bereits gesagt haben, die Kapitalle- mehr von deutschen Versicherungsunternehmen an- bensversicherung. Aber bei aller Interpretation: Von geboten, sondern von anderen europäischen Versi- einer Tendenz zur Abschaffung der Kapitallebens- cherungsunternehmen. Das heißt, Sie werden eine versicherung oder auch von einer Verdrängung EU Verdrängung dieses Produktes zugunsten der euro- weit kann man in diesem Entwurf weiß Gott nichts päischen Wettbewerber verursachen und dadurch feststellen. die Wettbewerbsposition unseres Landes schwächen. (Beifall bei der SPD) Insofern ist dies ein unausgegorener, handwerklich unzulänglicher Gesetzentwurf. Ich denke, wenn dieser Entwurf realisiert wird und damit die Verbesserung, die die SPD hier einfordert, (Hans Martin Bury [SPD]: Das Verbandspa dann ist das ein eindeutiger Wettbewerbsvorteil, der pier kenne ich!) Kunden aus Deutschland sicher nicht abschreckt, - Ich kenne es nicht; ich werde es mir anschließend sondern ganz im Gegenteil, das europäische Ausland einmal durchlesen. - Er sieht inhaltlich dirigistische möglicherweise dazu animiert, der verbesserten Si- Maßnahmen vor und führt zu einer Verschlechterung cherheit mit einer entsprechenden Regelung zu fol- der Wettbewerbsposition. Darum lehnen wir ihn ab. gen. Denn die Lösung, die angestrebt wird, befaßt sich auch mit dem Problem der mangelnden Transpa- Ich glaube, wir sollten die bevorstehende Weih- renz. Das wird hier angegangen, nicht bilanzrechtli- nachtspause dafür nutzen, diesen in seiner Mangel che Probleme. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Ulrike Höfken Wie schon gesagt wurde, wird die eingezahlte Prä- Sie gesagt, in dem Entwurf sei eine Schlechterstel- mie bislang nicht aufgeschlüsselt; über die Verwen- lung der Rechtsposition der Versicherten vorgesehen. dung des Geldes erhält der Versicherte keinerlei In- Ich bin keine Juristin und kann das nicht in dieser formationen. Diese Aufschlüsselung ist jedoch zur Si- Form beurteilen. Wir unterstützen aber, daß dem cherstellung der Verbraucherrechte zwingend not- Mißbrauch, der zur Zeit mit der Einräumung des ei- wendig. Sie wird folgerichtig in diesem Entwurf ver- gentlich selbstverständlichen sofortigen Versiche- langt. Es handelt sich dabei um die Aufschlüsselung rungsschutzes betrieben wird - das ist eine Überrum- nach der Dienstleistung, dem Risikoanteil und dem pelung -, die rechtlichen Grundlagen entzogen wer- Sparanteil. Dies ist dann gesondert auszuweisen. Für den sollen. den Sparanteil soll ein entsprechendes Sondervermö- gen gebildet werden. Vielen Dank. Bei vorzeitiger oder auch bei vertragsgemäßer Be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN endigung des Versicherungsvertrages erhält der Ver- und bei der SPD) sicherungsnehmer dann eine Auszahlung in Höhe seines Guthabens auf das auf seinen Namen geführte Konto. Das ist doch etwas, was den Transparenzan- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat forderungen genügt. Damit wird endlich die Situa- jetzt der Kollege Detlef Kleinert. tion beendet, daß die Versicherungssparer um ihre Spareinlagen betrogen werden und daß ihnen statt Detlef Kleine rt (Hannover) (F.D.P.): Frau Präsiden- dieser Spareinlagen ein ominöser und immer viel zu tin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! niedriger Rückkaufswert ausgezahlt wird, den das Herr Bury, Frau Blunck, Frau Fuchs, schön Sie zu se- Versicherungsunternehmen nach versicherungsma- hen - die Versicherungsriege der SPD! Ich habe un- thematisch völlig undurchsichtigen Formeln berech- ter Ihrem Antrag eine Reihe bedeutender Namen ge- net hat, und zwar ganz bestimmt nicht im Sinne des funden: Herr Jens, Herr Rappe, Herr Struck und ver- Verbraucherschutzes. Mit der Änderung wird das er- schiedene andere. Wenn die wirklich auf das ge- reicht, was Herr Bury schon betont hat, nämlich eine guckt hätten, was Sie vorgelegt haben, dann hätten bessere Vergleichbarkeit, ein verbesserter Wettbe- sie - die Behauptung wage ich, wobei ich einmal werb, für den Sie doch immer eintreten, Sicherheit ganz schüchtern sein möchte - das nicht unterschrie- für die Verbraucher und vor allem eine seriöse und ben. angemessene Auszahlung der entsprechenden Spar- einlagen. (Lilo Blunck [SPD]: O doch!) Ein zweiter Punkt, der angesprochen wurde und - Nein, sie hätten es wirklich nicht unterschrieben. den wir unterstützen: Die Banken und Versicherun- Denn es ist eine groteske Verkennung der Vertrags- gen haben bislang Guthaben, wo die Begünstigten - freiheit, es ist eine groteske Verkennung des Versi- meistens Erben - nicht mehr in Erscheinung traten, cherungsgedankens, und es ist eine groteske Ver- oder Guthaben auf vergessenen Konten stillschwei- kennung der Marktwirtschaft überhaupt, was Sie gend und klammheimlich in ihr Vermögen überführt sich an neuen Erfindungen zur Erschwerung eines - übrigens mit Billigung und Unterstützung des Fis- am Markt transparenten Geschäftes ausdenken. kus. Das ist ein Unding. Normalerweise geht das Ver- mögen, wenn keine Erben ausfindig gemacht wer- (Vorsitz : Vizepräsident Hans-Ulrich Klose) den, an den Staat. Bei Banken und Versicherungen gilt das plötzlich nicht. Es ist absolut zu begrüßen, Ein gewisser erfolgloser Versicherungsvertreter namens Meyer - ein schöner deutscher Name, nichts daß der Entwurf einer Nachforschungs - und Benach- richtigungspflicht auf Kosten des Versicherungsun- dagegen zu sagen! - ist, weil sein Geschäft mit der ternehmens und, falls diese Bemühungen erfolglos Versicherung nicht lief, einmal auf die Idee gekom- bleiben, die Überführung dieses Vermögens an den men, einen Verein zu gründen, von dessen Vereins- Staat vorsieht. Wenn das geschieht, sind die Begün- beiträgen er endlich das Einkommen erzielt hat, das stigten dennoch sicher, weil sie 30 Jahre lang einen ihm als Versicherungsvertreter nicht zugewachsen Rückerstattungsanspruch an den Staat haben. ist. Aus lauter Ärger über das Versagen in seiner er- sten Lebenshälfte hat er dann tolle Theo rien erfun- Bei diesem Ansatz ist übrigens ein zweiter Schritt den. Darunter sind die Theo rien, die die Grundlage notwendig, damit davon nicht nur die Versicherungs- Ihres Antrages bilden. unternehmen, sondern auch die Banken erfaßt wer- den. Es ist erwähnt worden, daß riesige Summen in (Abg. Lilo Blunck [SPD] meldet sich zu die Guthaben der Banken überführt werden. Eine einer Zwischenfrage) unglaubliche Situation anderen Unternehmen ge- - Nein danke. - Das mag ja eine gewisse Entschuldi- genüber, die sich so etwas weiß Gott nicht leisten gung dafür sein, daß Sie hier so etwas vorlegen. Aber können! Eine überaus peinliche Situation auch für schauen Sie sich die Leute, von denen Sie sich solche die Banken selber, die sich am Vermögen ihrer Kun- genialen, neuen Einfälle holen, in Ruhe an. den bereichern! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Lilo Blunck [SPD]: Sie wissen, daß das Ihr und bei der SPD) und unser Kollege Alfred Emmerlich war, der das konzipiert hat! Das ist eine Lüge, Zum letzten Punkt, dem bisherigen Ausschluß des die Sie hier verbreiten! Das war Alfred Widerrufsrechts bei sofortiger Schutzwirkung, haben Emmerlich!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Detlef Kleinert (Hannover) Alex Möller wäre sehr traurig, wenn er diese „Versi- Den zweiten Punkt, den kleinen Sachpunkt - die cherungsversammlung" auf Ihrer Seite betrachten angeblich erschlichenen Verträge über sofortige könnte. Ich kann ihm das wirklich nachfühlen; denn Deckung -, den Sie noch neben dieses großartige Ihr Gesetzentwurf ist sehr traurig. Monument - Beseitigung der Lebensversicherung al- ter Art, Schaffung der Sparkassenlebensversiche- Warum wollen Sie denn Leute daran hindern, ei- rung neuer Art unter Beaufsichtigung von Herrn nen Vertrag anzubieten, in dem gegen einen zu zah- Meyer, von Ihnen und von den Verbraucherverbän- lenden Beitrag zum Schluß nach genau vorgelegten den - gestellt haben, sollten wir uns ganz genau an- Plänen die und die Leistungen zu dem und dem gucken. Ich bin der Meinung, daß jeder Rücktritt von Stichtag erbracht werden? Wo nehmen Sie obendrein einem Versicherungsvertrag gespartes Geld für den den Gedanken her, daß eines der bestorganisierten Versicherer und für den Versicherungsnehmer ist. Versicherungsaufsichtsämter dieser Welt, nämlich Ein sehr kleines und sehr spezielles Unternehmen - das am Ludwigkirchplatz, seine Pflichten bisher ver- weit entfernt von jeder Art von Lebensversicherung; nachlässigt hätte? Wo nehmen Sie denn den Gedan- leider, leider - sagt: Wir nehmen jede Kündigung so- ken her, daß irgend jemandes Geld durch das uralte fort an, weil der erste Schaden der kleinste ist. So und immer wieder auf den neuesten Stand gebrachte denken auch die großen Unternehmen. Das ist Versicherungsaufsichtsgesetz bei uns nicht so gut ge- Marktwirtschaft. schützt wäre wie anderswo? Wenn Sie uns sagen, daß in diesem Bereich eine Jetzt möchten Sie Herrn Meyer in die Lage verset- Lücke zwischen dem Betrugsversuch - heute Scha- zen, mehr Mitglieder und mehr Beiträge einzuwer- denersatz, morgen kündigen - und dem besteht, was ben, indem er einmal mehr unter Beweis stellt, was wir jetzt haben und was ich für das Beste halte - Pa- er alles für die tut, denen er ihre Probleme selbst ein- piere, Versicherungsschein und Verbraucherbeleh- geredet hat. Das ist der traurige Hintergrund eines rung zuschicken, dann 14 Tage Zeit haben und in Antrages, der mit Vertragsfreiheit, mit Marktwirt- Ruhe kündigen -, dann muß ich sagen: Ich habe schaft, mit Transparenz, mit Sicherheit der Verträge nichts dagegen; ich bin vielmehr sehr dafür, weil es nichts zu tun hat. Das Aufsichtsamt am Ludwigkirch- eine Reihe von Problemen im Vorfeld der Antragstel- platz ist wirklich tadellos ausgestattet. Es wird nun lung lösen hilft. Wir zeigen uns für jede unbürokrati- wirklich alles getan, um für die Sicherheit der Anle- sche Verbesserung des Verbraucherschutzes aufge- ger zu sorgen. Aber nein, Sie müssen noch eine - schlossen. wahrscheinlich mehrere - zusätzliche bürokratische Kontrollen einschieben. (Lilo Blunck [SPD]: Prima! Das ist gut!) (Lilo Blunck [SPD]: Das Gegenteil ist der Wir wollen aber nicht denjenigen, die helfen wollen, Fall!) damit auch Ihnen geholfen ist, helfen. - Frau Blunck, ich habe Ihnen das schon bei früheren Danke. Gelegenheiten gesagt: Immer wenn Sie etwas für die (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Verbraucher tun wollen, wird es für die Verbraucher teuer. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der (Lilo Blunck [SPD]: Sonst machen es die Kollege Dr. Uwe-Jens Heuer. Gerichte für den Einzelfall! Das ist schlecht für den Standort Deutschland!) Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS): Herr Präsident! Meine Das ist unabweislich, weil nämlich all das, was Sie an Damen und Herren! Herr Kleinert hat eben von gro- Kontrollen erfinden, Leute in Arbeit und Brot setzt, tesker Verkennung der Marktwirtschaft gesprochen. die normalerweise der SPD angehören. Das zieht Mir scheint, er will uns vormachen, daß Marktwirt- sich quer durch die gesamte Verbraucherschutzland- schaft nichts mit Macht zu tun hat. Es gibt ja auch schaft. Bei den Grünen haben Sie inzwischen eine Marktmacht. Aus diesem Grund wurde uns dieser leichte Konkurrenz. Das wird nicht verkannt. Gesetzentwurf vorgelegt. (Lilo Blunck [SPD]: Bei Ihnen sind es die Die private Versicherungswirtschaft ist heutzu- Versicherungsvertreter und Anwälte!) tage ein gigantischer Komplex - Herr Kleine rt, davon profitieren Sie nur zu einem kleinen Teil -, mit dem - Die Anwälte der Verbraucherverbände, Frau es jedermann mehrfach und bis ans Lebensende zu Blunck, gehören zu einer ganz besonderen Katego- tun hat. Im „Versicherungsreport 1996" ist für das rie. Sie sind fast festangestellt, was mit der Kategorie vorangegangene Jahr bei den Beitragseinnahmen der freien Berufe schlecht verträglich ist. eine Summe von 232 Milliarden DM ausgewiesen - davon 92,8 Milliarden DM für Lebensversicherungen Dieser Gesetzentwurf beinhaltet eine solche Ver- und 96,1 Milliarden DM für Schadens- und Unfallver- kennung der tatsächlichen Lage der Versicherungs- sicherungen. wirtschaft, daß ich nicht zu hoffen wage, daß wir im Verlauf der Beratungen in der Lage sind, Ihnen den Die Allianz, das größte Versicherungsunterneh- Fehler klarzumachen. Sie werden wahrscheinlich mit men, das aus dem Anschluß der DDR immense Ge- dem Fehler weiterleben müssen. Wir werden aber winne erzielt hat, konnte bei der Lebensversicherung versuchen - offen und gesprächsbereit wie wir sind -, die Beitragseinnahmen von 1994 auf 1995 um 5,8 Pro- Ihnen zu erklären, warum dieser Entwurf wirklich zent auf 11,5 Milliarden DM steigern. Ich will damit nichts taugt. illustrieren, daß es bei dem Gesetzentwurf der SPD- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Dr. Uwe-Jens Heuer Fraktion um sehr viel Geld, und zwar um das Geld dienen so horrende Summen, daß ihnen eine solche der Versicherungsnehmer, geht. Pflicht zugemutet werden kann. Es ist nicht weniger recht und billig, daß sie im Falle unzumutbaren und Wir unterstützen den Entwurf der SPD-Fraktion für ergebnislosen Nachforschens die angesammelte Ver- ein Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsge- sicherungssumme nicht selbst behalten, sondern an setzes, weil wir meinen, daß er berechtigten Interes- den Staat abführen. sen der Versicherungsnehmer dient. Beim Abschluß von Versicherungsverträgen stehen sich meist un- Über die Frage der Ausgestaltung im einzelnen gleiche Partner gegenüber: auf der einen Seite ein muß man sprechen. Aber ich meine, daß allein der professionelles, auf Profit bedachtes Versicherungs- Appell an das Wirken des Marktes nicht ausreicht. unternehmen mit seinen ausgefuchsten Vertretern - Warum sollten wir nicht auch in diesem Falle ernst- die wir hier heute auch gehört haben - und auf der hafte Anstrengungen unternehmen, um Verbrau- anderen Seite der Versicherungsnehmer, für den le- cherschutz zu gewährleisten? benswichtige Fragen auf dem Spiel stehen, der aber Gefahr läuft, aus Unkenntnis übervorteilt zu werden. Danke schön. Der Schutz des Versicherungsnehmers muß ausge- (Beifall bei der PDS) baut werden. In dem Gesetzentwurf wird das als Ziel gestellt. Er könnte die rechnergestützte Profitgier der Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Unternehmen und die Kunst der Übervorteilung der Parlamentarische Staatssekretär Rainer Funke. Kunden ein wenig eindämmen. Der Name „Reform" ist allerdings ein bißchen zu hoch gegriffen. Aber was wird heute nicht alles als Reform verkauft. Rainer Funke, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- nister der Justiz: Herr Präsident! Meine Damen und (Beifall bei der PDS) Herren! Entgegen seinem Titel handelt es sich bei dem von der SPD vorgelegten Entwurf nicht um ein Im bisherigen § 1 des Versicherungsvertragsgeset- Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsgeset- zes sind die Pflichten des Versicherers nicht hinrei- zes, sondern um einen Gesetzentwurf zur Ersetzung chend geregelt. Es ist nur festgelegt, daß der Vermö- der traditionellen Kapitallebensversicherung durch gensschaden zu ersetzen bzw. der vereinbarte Betrag ein neues gesetzliches Kapitalanlagesystem. Das an Kapital oder Rente zu zahlen ist. Wie der Versiche- können Sie doch gar nicht bestreiten. rer mit den eingezahlten Beiträgen umgeht, bleibt ungeregelt und damit im dunkeln. Nun sollen die Die Kapitallebensversicherung, so wie sie jährlich Versicherungsunternehmen gezwungen werden, das von über 3 Millionen Bürgern nachgefragt wird, soll Ganze durchschaubarer zu machen, indem die Versi- zu einem versicherungsfremden Sparvorgang um- cherungsbeiträge in verschiedene Verwendungs- funktioniert werden. Ich kann diesen Entwurf nicht zwecke aufgegliedert, getrennt und zeitgenau abge- gutheißen. Er entspricht- überhaupt nicht dem Wett- rechnet werden. bewerbsgedanken, dem Sie, Herr Bury, heute mor- gen beim Postgesetz ziemlich fremd gegenüberge Auf den ersten Blick, meine ich, ist das ein gangba- standen haben. rer Weg, der Übervorteilungen der Kunden schwieri- ger macht und es ihnen ermöglicht, zwischen ver- (Ernst Schwanhold [SPD]: Na, na!) schiedenen Unternehmen genauer zu vergleichen - wenn dieser Weg nur nicht zu bürokratischen Auf- Transparenz und Wahrung der Belange der Versi- blähungen führt. Ein Fortschritt an Rechtsklarheit cherungsnehmer sind wichtige Anliegen des Ver- und Transparenz wird allemal erzielt. Über Einzelhei- braucherschutzes; diese Meinung wird von uns im- ten wird man in beiden Ausschüssen diskutieren mer geteilt. müssen. (Lilo Blunck [SPD]: Das hat man bei der Einverstanden sein kann man auch mit der gesetz- jährlichen Kündigungsfrist gemerkt!) lichen Klarstellung, daß das vom Versicherungsneh- - Können Sie nicht einmal Ihren Mund halten? Ent- mer eingezahlte Sparkapital und dessen Erträge den schuldigen Sie, aber das ist wirklich unerträglich. Versicherungskunden zustehen. Das Versicherungs- unternehmen hat dieses Kapital zu verwalten, aber (Zuruf von der PDS: Was ist denn hier los? - nicht zu vereinnahmen. Ernst Schwanhold [SPD]: Hat der hier zu maßregeln? Wir sind doch nicht in der Ich meine auch, daß bisher echte Probleme in be- Schule!) zug auf die Ausgestaltung des Widerspruchs - bzw. Rücktrittsrechts jedenfalls für solche Verträge be- Versicherungsnehmer sind durch die bestehende stehen, bei denen der sofortige Versicherungsschutz Gesetzeslage jedenfalls besser abgesichert als durch vereinbart worden ist. Die Behandlung als „Haustür- den vorgelegten Gesetzentwurf. Der von der SPD be- geschäft" ist nach meiner Ansicht sachgerecht. fürchteten Gefährdung der Vermögensinteressen von Versicherungskunden wird durch zahlreiche Neu ist auch die Einführung einer Nachfor- rechtliche Maßnahmen bereits jetzt vorgebeugt. schungspflicht. Das Versicherungsunternehmen soll den Versicherungsnehmer oder den Begünstigten Die Lebensversicherer werden von Gesetzes we- auf eigene Kosten ausfindig machen und ihm die gen zu einer vorsichtigen Kalkulation angehalten, Höhe seines Anspruchs mitteilen. Auch in meinen damit die langfristige Erfüllbarkeit sämtlicher Le- Augen ist das recht und billig. Die Unternehmen ver bensversicherungsverträge gewährleistet ist. Zum Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Parl. Staatssekretär Rainer Funke Ausgleich dafür enthalten alle Lebensversicherungs- die Erwartung einer soliden Absicherung für die verträge Überschußbeteiligungsklauseln. Wechselfälle des Lebens. Die SPD hingegen will die Lebensversicherung zu einem versicherungsfremden (Lilo Blunck [SPD]: Da spricht der blanke Sparvorgang und damit zu einer bloßen Kapitalan- Lobbyist!) lage umfunktionieren. Dieser Entwurf bewirkt keine Eine Verordnung der Bundesregierung, die Herr Transparenz. Ich will sogar sagen: Er betreibt Augen- Röttgen schon erwähnt hat, schreibt vor, daß 90 Pro- wischerei. zent der Überschüsse an die Versicherungsnehmer (Beifall des Abg. Detlef Kleine rt [Hannover] auszuschütten sind. Die Praxis ist - Herr Bury, wenn [F.D.P.]) Sie sich gelegentlich einmal eine Bilanz ansehen würden, wäre das vielleicht auch ganz hilfreich -, Folge dieses Gesetzentwurfs wird sein, daß der daß bis zu 98 Prozent ausgeschüttet werden. Versicherungsbedarf ins europäische Ausland ab- wandert. Ob dem Verbraucherschutz damit gedient (Hans Martin Bury [SPD]: Haben Sie sich ist, Frau Blunck, ist eine andere Frage. schon einmal die Bilanz Ihres Hauses ange schaut?) (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Das ist der egal!) - Ja, natürlich. Ich habe auch große Zweifel, ob ein solches Korsett Das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswe- für die Kapitallebensversicherung überhaupt mit den sen kann eingreifen, wenn erwirtschaftete Über- europäischen Liberalisierungsvorgaben vereinbar ist. schüsse nicht zeitnah und verursachungsgerecht an die Versicherungsnehmer ausgekehrt werden. Ich Im Rahmen des Binnenmarktes liegt es im Inter- kann Detlef Kleine rt in seiner Aussage nur unterstüt- esse der Versicherungsnehmer, zu einer möglichst zen, daß das Bundesaufsichtsamt für das Versiche- breiten Palette von Versicherungsprodukten Zugang rungswesen durchaus eine ordentliche Kontrolle aus- zu haben, um die ihren Bedürfnissen am besten ent- übt. sprechenden Angebote auswählen zu können. Ein- griffe der Mitgliedstaaten in die Produktgestaltung (Lilo Blunck [SPD]: Das hat doch gar keine der Versicherer sind daher nur noch dann zulässig, Kompetenz!) wenn sie zur Sicherung eines wichtigen Allgemeinin- Hinsichtlich der Rechnungslegung sind Versiche- teresses unbedingt erforderlich sind. rungsunternehmen an das Handelsgesetzbuch und Meine Damen und Herren, das vorgesehene Wi- an die Verordnung über die Rechnungslegung von derrufsrecht ist bereits mehrfach erwähnt worden. Versicherungsunternehmen gebunden. Wo Mängel Es ist dargelegt worden - das brauche ich nicht wei- vorhanden sein könnten, weisen Sie in keiner Weise ter zu ergänzen -, daß dieses bereits geltendes Recht nach. ist. Manchmal kann man- sagen: Ein Blick ins Gesetz Eine solide Absicherung der Versicherungsnehmer erspart wissenschaftliche Ausführungen. und ihrer Überschußbeteiligung ist durch die vorge- (Beifall des Abg. Detlef Kleine rt [Hannover] schlagene Bildung einer bloßen Schwankungsre- [F.D.P.] und bei Abgeordneten der CDU/ serve nicht zu erreichen. Hier besteht die Gefahr, daß CSU - Hans Martin Bury [SPD]: Schauen außerordentliche Verluste von Versicherungsunter- Sie mal rein!) nehmen in Zukunft nicht oder nur noch sehr be- schränkt durch Realisierung stiller Reserven ausge- - Ich schaue da hinein, das wissen Sie ganz genau. glichen werden können. Hierin sehe ich im Ergebnis Sie haben es leider unterlassen. eine Gefährdung der Kundenvermögen. Auch die Ich möchte mit den Worten eines der Miturheber Garantie eines Mindestzinssatzes wäre auf diese A rt und Verfechter Ihres Entwurfs, Herrn Professor und Weise nicht mehr zu erzielen. Adams, schließen, daß das hier vorgeschlagene Ge- Transparenz wird mit Ihrem Entwurf, lieber Herr setz „noch viele praktische Fragen aufwirft und un- Bury, nicht geschaffen. Er geht davon aus, daß sich beantwortet läßt" . Diesen Ausführungen kann ich Risikovorgang und Sparvorgang in der Kapitalle- mich im Ergebnis nur anschließen. bensversicherung ohne weiteres voneinander tren- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. nen lassen. Dem ist nicht so. Die Kapitallebensversi- cherung ist ein einheitliches Produkt, eine Versiche- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne rung auf den Todes- und den Erlebensfall, bei der ten der CDU/CSU) der Sparvorgang der Deckung der Erlebensfallei- stung dient. Die vorgesehene Trennung von Risiko- Das Wort hat die tragung und Sparanteil hätte zur Folge, daß das Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Grundprinzip der Übernahme eines fest umrissenen Kollegin Lilo Blunck, SPD. Risikos zu einem bestimmten Betrag gegen gleich- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: bleibende Prämie aufgegeben werden müßte. Jetzt zieht sie zurück!) Eine Lebensversicherung ist aber mehr als ein blo- ßer Sparvorgang, zu dem Sie den Lebensversiche- Lilo Blunck (SPD): Herr Präsident! Meine Damen rungsvertrag degenerieren wollen. Der Verbraucher und Herren! Herr Kollege Funke, ich möchte eigent- verbindet mit diesem Versicherungstyp neben einer lich nicht auf Ihre Rede eingehen, weil ich es als gut gewissen Rentabilitätserwartung vor allen Dingen empfunden hätte, wenn Sie wenigstens die Quelle Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Lilo Blunck Ihrer Rede genannt hätten. Das ist nämlich das „Jahr- ist als harsche Kritik an unserem Gesetzentwurf zu buch 1997: Die deutsche Versicherungswirtschaft", lesen, Lebensversicherer müßten in Zukunft für je- das vom Gesamtverband der Versicherungswirt- den Kunden ein getrenntes Konto führen und Ver- schaft herausgegeben wird. waltungskosten, Risikokosten sowie Sparanteile ge- trennt ausweisen. Na und, frage ich. Im Zeitalter der (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Elektronik ist das doch wohl selbstverständlich; und PDS) es wird heute zum Teil auch schon so gemacht. Inso- Das erinnert mich fatal an die Diskussion, die wir fern ist daran, denke ich, nichts Besonderes. in der letzten Legislaturperiode geführt haben. Ihr Mich interessiert schon, ob die Versicherung, und Haus hatte sich sogar den Text des Gesetzes von der zwar die größte, die hier vorhin namentlich genannt Versicherungswirtschaft schreiben lassen. Das finde worden ist, von einer Unfallversicherungsprämie in ich nicht in Ordnung. Höhe von 1000 DM 250 DM in den Schadenstopf (Beifall bei der SPD und der PDS - Detlef steckt und 750 DM als Dienstleistungsanteil Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Verleumdung!) (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das ist - Das ist keine Verleumdung, sondern das ist sehr unglaublich!) leicht nachweisbar, weil sogar die Schreibmaschi- - er besteht aus den Verwaltungskosten und dem nentype und der Fehler in dem Bereich nachzuwei- Gewinn - ein- oder abkassiert, wie ich in diesem Fall sen ist. Ich habe das noch vorliegen. Sie können gern besser sagen würde. Ich persönlich suche mir da in mein Büro kommen und sich das abholen. gerne eine andere Versicherung. Ich weiß nicht, wie (Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Sher Ihnen das geht. lock Holmes alias Blunck! - Gegenruf des (Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Das ist Abg. Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: ja der Markt!) Überschätzen Sie die Kollegin nicht!) - Das müssen die Kunden aber wissen! Dem Kollegen Röttgen möchte ich gern antworten, und zwar mit folgendem Zitat: (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Davon versteht die F.D.P. nichts!) Da in der Lebensversicherung Dinge miteinander vermengt sind, die getrennt werden sollten, und Ohne Transparenz gibt es keinen Wettbewerb. weil das Wissen darüber, was bei einem solchen (Beifall bei der SPD) Vertrag eigentlich vor sich geht, nur auf einer Seite vorhanden ist, und weil dadurch die Mög- Gläsern sind wirklich nur die Bürotürme. Ansonsten lichkeit des Schwindels so groß ist, muß man sich verfahren die Versicherungen frei nach Lehár: „Im- fragen, ob Lebensversicherungen jemals mit ei- mer nur lächeln, immer- vergnügt! " Wie es drinnen nem gewissen Grad von Ehrlichkeit betrieben aussieht, geht keinen etwas an. werden. Vergleichbarkeit von Versicherungsangeboten ist Das hat der amerikanische Versicherungsaufsichts- ein absolutes Muß. Versicherungsnehmer müssen beamte Wright in seinem Buch „Fallen, geködert mit darüber informiert werden, was mit ihrer Prämie pas- Waisenkindern" vor 100 Jahren geschrieben, und es siert. Natürlich sollen sie wissen, wieviel von ihrem gilt leider noch immer. Ich kann dazu gerne noch Ge- Geld angespart wird, wieviel als Risikoanteil erfaßt richtsurteile zitieren. wird und wieviel als Entgelt für den Dienstleistungs- anteil verbucht wird. Diese Bundesregierung hat Transparent - nämlich gläsern - sind ausschließ- übrigens schon vor 15 Jahren festgestellt, daß die lich die Fassaden der hochaufgerichteten Bürotürme Überschüsse der Unternehmen den Versicherten ei- der Versicherungsunternehmen in unseren Metropo- gentlich ungeschmälert zugute kommen müßten. len. Transparent - nämlich durchschaubar, also glas- Nur hat sie es leider nicht in ein Gesetz gekleidet. klar - sollten eigentlich auch die Versicherungsver- träge sein, die Verbraucherinnen und Verbraucher (Beifall bei der SPD) abschließen und auf die sich Verbraucherinnen und Verbraucher verlassen können; denn es geht um Sie - die Versicherungsnehmer -, aber auch Sie weiß Gott viel Geld. hier im Saal sollten wissen, wie viele der gläsernen Etagen des Hochhauses einer Versicherungsgesell- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) schaft Sie mit Ihren Prämien mitfinanziert haben. Es geht um 1,5 Billionen DM, die verwaltet werden. (Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Das ist Das ist eine Zahl mit zwölf Nullen, falls das hier nicht so wie mit Verbraucherverbänden!) bekannt sein sollte. Ganz toll fände ich es dann noch, wenn ich wüßte, (Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Ja, wie hoch die Erfolgsprämien - wie nennt man es vor- nicht 1,5 Millionen!) nehm? -, die Tantiemen der Vorstandsmitglieder aus- fallen, die übrigens zusätzlich zum Gehalt gezahlt Durch mangelnde Transparenz, nämlich Undurch- werden. sichtigkeit, ist das gekennzeichnet, was sich bisher in der Versicherungswirtschaft abspielt. Im aktuellen Die persönliche Absicherung von Risiken des Le- Jahrbuch von 1997, das - allerdings nicht mit Quel- bens setzt die Wahl der richtigen Versicherung vor- lenangabe - von Ihnen schon so oft zitiert worden ist, aus. Hier ist eine der wesentlichen Voraussetzungen Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Lilo Blunck die umfassende Information, ohne die eine Entschei- Es muß Schluß sein mit der verdeckten Treuhandver- dung über die für den Einzelfall richtige Absiche- waltung der Kundenvermögen. Dem Versicherten rung, also richtige Versicherung, für den Verbraucher stehen sowohl das von ihm aufgebrachte Sparkapital und die Verbraucherin unmöglich ist. wie auch die Erträge zu. (Beifall des Abg. Wolf-Michael Catenhusen Mit unserem Gesetzentwurf werden Versicherte in [SPD]) ihren Rechten gestärkt. Dem Versicherer obliegt es, die Informationspflicht, und zwar vor Vertragsab- Blanker Unsinn, Herr Kleinert, ist schließlich, daß schluß, schriftlich darzulegen. Diese Informations- wir in die Vertragsfreiheit von Anbietern und Nach- pflicht gilt auch für die von den Versicherungskun- fragern eingreifen werden. Jeder hat das Recht, sich den in den letzten zehn Jahren erzielten Renditen. Es die Versicherung nach seinem Geschmack und sei- muß dem Kunden klarwerden, ob er sein Geld einer nen Bedürfnissen auszusuchen. Damit man das aber seriösen Gesellschaft gibt oder einer Gesellschaft, machen kann, muß das heutige System reformiert die etwas dubios ist. Wir wollen, daß die EG-Vermitt- werden. lerrichtlinie endlich umgesetzt wird, so daß der Versi- cherungsvermittler für eine Falschberatung haftet. (Detlef Kleine rt [Hannover] [F.D.P.]: Das ist nun wieder der blanke Unsinn!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die junge Familie ist mit der niedrigen Prämie Das Gespräch muß dokumentiert werden. Es muß für die Risikolebensversicherung des sogenannten eine um die Verbraucherbank erweiterte wirkliche Ernährers im Ernstfall sicherlich besser gestellt als staatliche Kontrolle geben. Diese staatliche Kon- mit einer Kapitallebensversicherung, die bei glei- trolle muß nicht immer nur mit dem Rückgrat des je- cher Prämie sehr viel geringer ausfällt. Gerade bei weiligen Präsidenten des Bundesaufsichtsamtes ver- den von der Versicherungswirtschaft mit Vorliebe bunden sein. angebotenen Kapitallebensversicherungen gilt es, Nur dann wird wahr, was der Verband in seinem künftig namentliche Treuhandkonten für jeden ein- Buch „Altern mit Zukunft" schreibt. Do rt hat er näm- zelnen Versicherten zu führen; denn nur sie schaf- lich folgendes geschrieben: fen die Voraussetzungen für die reguläre Kündi- gung und auch vorzeitige Kündigungsmöglichkeit Versicherungen sind Dienstleister in Sachen Zu- des Lebensversicherungsvertrages ohne immensen kunft, nicht mehr und nicht weniger. Ihr Zweck Verlust - selbstverständlich unter Abzug von Ab- ist es, ihren Kunden und deren Angehörigen den schluß- und Verwaltungskosten - sowie die Mög- Umgang mit absehbaren wie unabsehbaren Er- lichkeit der Umwandlung einer Kapitallebensversi- eignissen der vor ihnen liegenden Monate und cherung in eine reine Ablebens- oder eine Risiko- Jahre soweit wie möglich zu erleichtern. lebensversicherung oder eine beitragsfreie Kapital- - forderung. Wenn das richtig ist, dann stimmen Sie unserem Gesetzentwurf bitte zu. Wir sind für jede Form der Der SPD-Gesetzentwurf - so steht es in dem er- Verbesserung offen, aber dieser unqualifizierte Lob- wähnten Jahrbuch der Versicherungswirtschaft - byismus, der von Ihnen betrieben wird, ist unerträg- habe für die Kunden nur Nachteile. Das haben auch lich. Er hat mich schon in der vergangenen Legisla- Sie gesagt. turperiode maßlos geärgert. (Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Das ist (Beifall bei der SPD und der PDS - Detlef bei Ihren Entwürfen immer so! - Wolf Kleinert [Hannover] [F.D.P.]: Wenn Sie ein Michael Catenhusen [SPD]: Der Kollege mal mit etwas Sachlichem kämen, wäre es sitzt im Vorstand einer Versicherung!) gut!)

Weder die „hohe Verzinsung" noch die „garantierte Rentenleistung" - bitte hören Sie die Tüttelchen mit, Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich schließe die die die Ironie bezeichnen, mit der ich das ausdrücke Aussprache. - könnte, wenn unser Entwurf Gesetzeswirklichkeit Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- würde, noch geleistet werden. Hohe Verzinsung - wurfs auf Drucksache 13/8163 an die in der Tages- daß ich nicht lache! Zirka 4 Prozent auf einen unbe- ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. kannten Sparanteil Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Beim Sparbuch Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. gibt es nur 2 Prozent!) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8a bis 8c auf: - jeder zweite Vertrag wird vorzeitig gekündigt - und 1 Prozent der Rendite erst nach vielen Jahren: Wie- a) Beratung der Beschlußempfehlung und des viel schlechter kann es eigentlich noch kommen? Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- schuß) zu dem Antrag der Abgeordneten An- Es muß Schluß sein mit der Vermischung von Kun- gelika Beer und der Fraktion BÜNDNIS 90/ dengeldern mit dem Vermögen der Versicherungsge- DIE GRÜNEN sellschaften. Ächtung von Landminen (II) (Beifall bei der SPD und der PDS) - Drucksachen 13/3748, 13/7870 - Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Berichterstattung: Herr Kinkel, der nun doch nicht lauscht, hat ange- Abgeordnete Dr. Friedbert Pflüger kündigt, daß noch im ersten Halbjahr 1998 der Ver- vom Bundestag ratifiziert werden Gert Weisskirchen (Wiesloch) trag von Ottawa Angelika Beer soll. Wir unterstützen ihn in dieser Absicht, weil auch Dr. Olaf Feldmann wir wollen, daß dieser Vertrag möglichst rasch wirk- sam wird und so eine weitere Sogwirkung auf jene Staaten entsteht, die noch zögern. b) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuß) Ich möchte den Außenminister fragen - diese Sammelübersicht 230 zu Petitionen Frage muß ich zu einem späteren Zeitpunkt wieder- holen -, was er in Zukunft unternehmen möchte. Wir (Weltweites Verbot von Landminen) haben mit Interesse vernommen, daß er sich, am - Drucksache 13/8497 - 3. Dezember im Südwestfunk, grundsätzlich dem Ziel verschrieben hat, auch andere Landminentypen c) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- abzuschaffen, also nicht nur Antipersonenminen, tionsausschusses (2. Ausschuß) sondern - das hat er ausdrücklich betont - auch Anti- panzerminen. Sammelübersicht 231 zu Petitionen (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Aber irgend (Verzicht auf Landminen bzw. Qualitätsstan- wann muß man doch anfangen! Loben Sie dards für Selbstzerstörungseinrichtungen) doch den ersten Schritt!) - Drucksache 13/8498 - Dies sollte der nächste Schritt sein. Wir werden ihn Es liegen drei Änderungsanträge der Fraktion massiv unterstützen. Bündnis 90/Die Grünen vor. Ich würde mich noch mehr freuen, wenn er schon Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für heute sagen könnte, wie er sich diesen Schritt kon- die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wo- kret vorstellt, weil doch die andere Seite des Kabi- bei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minu- netts, nämlich die Verteidigungsseite, darauf beharrt, ten erhalten soll. - Ich sehe keinen Widerspruch. Es Antipersonenminen weiterhin zu entwickeln, weiter- ist so beschlossen. hin einzusetzen und die Möglichkeit eines dynami- schen Minenkampfs aufrechtzuerhalten. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle- gin Angelika Beer, Bündnis 90/Die Grünen. (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Nein, Antiper sonenminen wollen wir vernichten! - Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Sie Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr haben sich- verplappert!) geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich hoffe, daß das Auswärtige Amt gleich Erst wenn diese Bundesregierung ein weiterfüh- vertreten sein wird. rendes Konzept entwickelt hat - die sich jetzt schon wieder aufregt, obwohl ich mich nur dafür einsetze, Gestern wurde der „Internationalen Landminen- daß auch Antipersonenminen, wie es der Minister kampagne" und deren Koordinatorin, Jody Williams, gesagt hat, geächtet werden -, könnte sie ihren An- der Friedensnobelpreis überreicht. Bis jetzt haben spruch rechtfertigen, Vorreiter in diesem weiteren 125 Staaten den Vertrag unterzeichnet. Das ist ein Prozeß zu sein. Bis jetzt kann man davon allerdings großartiger Erfolg. Ich möchte mich bei allen Men- nicht sprechen. Die Bundesregierung mußte von den schen und insbesondere bei allen Kollegen bedan- Nichtregierungsorganisationen, aber auch von den ken, die dazu beigetragen haben. Mitgliedern des Unterausschusses für Abrüstung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, und Rüstungskontrolle zu der heutigen Position ge- bei der CDU/CSU und bei der PDS) tragen werden. Ich glaube, daß auch der kanadischen Regierung (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Das ist doch besonderer Respekt gezollt werden muß; denn sie ist total falsch!) es gewesen, die die Initiative zum Ottawa-Prozeß er- In der Petition und in unserem Antrag sind einige griffen und die es ermöglicht hat, diesen Vertrag ab- weiterführende Vorschläge gemacht, die die Mängel zuschließen. der bisherigen deutschen Landminenpolitik beheben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen. Der Petent forde rt die Bundesregierung auf, und bei der SPD) mit den ihr gegebenen Möglichkeiten international für die Verwirklichung folgender Ziele einzutreten: Vertreter und Vertreterinnen der internationalen Erstens: weltweites Verbot der Entwicklung, der Pro- Kampagne gegen Landminen betonten am Montag duktion und des Exportes inklusive des Technologie- auf einer Bundespressekonferenz hier in Bonn, daß transfers einschließlich jener mit einem Selbstzerstö- ihr Engagement gegen die tödliche Waffe natürlich rungs- oder Neutralisationsmechanismus; zweitens: weitergehen werde, daß die Kampagne mit diesem Offenlegung aller Forschungsprojekte und Exporte, Vertrag nicht beendet sei, weil das erreichte Ziel, die- aller militärischen Einsatzplanungen und aller Mi- ser Vertrag, nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zur nenbestände und -lager auf deutschem Boden; drit- vollständigen Ächtung aller Landminen sein könne. tens: die nachweisbare Vernichtung aller existieren- Ich unterstütze diese Auffassung. den Minen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Angelika Beer Ich möchte dazusagen: Wir möchten wirklich die auf die Politik der Bundesrepublik Deutschland zu- Auskunft haben, welche ausländischen Minen noch rückgehen. auf deutschem Boden gelagert werden. Wir brauchen Erstens. Schon 1993 hat Bonn ein Minendokumen- eine umfassende Unterstützung für die humanitäre tationszentrum gegründet, in dessen Datenbank In- Minenräumung und für die Rehabilitation der Op- formationen über Landminen, Sprengmittel und Zün- fer. Dies ist einer der wichtigsten humanen Aspekte, der gespeichert sind. Diese Informationen werden die wir bei allen Debatten über die Minen nicht ver- den Vereinten Nationen zur Unterstützung bei der gessen dürfen. Minenräumung zur Verfügung gestellt. In der Realität sieht es auch hier anders aus. Für Zweitens. Als einer der ersten Staaten hat Deutsch- 1998 sind immerhin 99,1 Millionen DM für Forschung land im Juni 1994 einen zunächst auf drei Jahre be- und Entwicklung sowie Beschaffung von Landminen fristeten Exportstopp für Antipersonenminen be- und militärischer Minenräumung schlossen, der am 11. Januar 1996 unbefristet verlän- (Bundesaußenminister Dr. Klaus Kinkel gert worden ist. betritt den Plenarsaal) Drittens. Meine Fraktion hat als erste im Bundestag - guten Abend, Herr Außenminister, ich bin fast fer- das Landminenproblem überhaupt thematisiert, und tig - vorgesehen, für die Folgejahre über 300 Millio- wir haben in diesem Haus einen umfassenden An- nen DM. Für die humanitäre Minenräumung sind im trag zu Lösungsvorschlägen eingebracht gegen die Haushalt des Auswärtigen Amtes, zusammen mit an- humanitäre Katastrophe und in diesem Antrag vor al- deren Titeln, 28 Millionen DM vorgesehen. Dieses len Dingen bereits ein vollständiges Verbot von Anti- Ungleichgewicht und die erklärte politische Absicht, personenminen gefordert. langfristig nicht auf alle Minentypen verzichten zu (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Das war eine wollen, ist das Problem. Das ist die Mißachtung, die gemeinsame Koalitionsleistung!) wir empfinden, die die Opfer empfinden und die die 72 Länder empfinden, die nicht wissen, wie sie mit Dieser Antrag, der letztlich eine interfraktionelle Fas- der Minenplage fertig werden sollen. sung erhielt, also von F.D.P. und SPD unterstützt wor- den ist, ist am 29. Juni 1995 im Bundestag von allen Wer humanitäre Politik nicht nur im Munde mit drei Fraktionen - SPD, F.D.P., CDU/CSU - verab- sich herumtragen, sondern sie auch umsetzen will - schiedet worden und war ein wesentliches Signal Herr Kinkel, wir begrüßen Ihren Vorschlag, Antiper- dieses Hauses gegen Antipersonenminen. sonenminen zu ächten -, der kann fest mit unserer Unterstützung und sicherlich auch mit der jener über Viertens. Deutschland ist Mitinitiator der Nichtver- 1000 Organisationen rechnen, die die internationale breitungsaktion der Europäischen Union gegen Anti- Kampagne gegen Landminen führen. personenminen, welche seit dem 12. Mai 1995 in Kraft ist. - Herzlichen Dank. Fünftens. Deutschland hat bei der Überprüfungs- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN konferenz zum Minenprotokoll in Wien und Genf und bei der PDS - Dr. Olaf Feldmann 1995/96 weitgehende Beschränkungen und Verbote [F.D.P.]: Dann loben Sie doch die Bundesre gefordert und hatte erheblichen Anteil an den Ver- gierung mal!) schärfungen des Protokolls, die uns in der Tat nicht weit genug gehen, aber ein klarer Fortschritt waren. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Sechstens. Nachdem die Verhandlungen zum Mi- Kollege Dr. Friedbert Pflüger, CDU/CSU. nenprotokoll nicht die Fortschritte erbrachten, die wir angestrebt hatten, haben wir uns von Anfang an für den sogenannten Ottawa-Prozeß eingesetzt. Das Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): Herr Präsident! Mein Damen und Herren! Ich glaube, wir sind uns in 7-Punkte-Aktionsprogramm zu Antipersonenminen diesem Haus alle einig, daß das Landminenproblem vom Juli 1996, von Außenminister Kinkel vorgelegt, von ganz großer Bedeutung ist und daß es eine hu- ist ein deutliches Zeichen für das deutsche Engage- manitäre Katastrophe darstellt, wenn diese Waffen ment. schleichender Massenvernichtung morden und ver- Siebtens. Durch den Verzicht von Bundesverteidi- stümmeln. Deshalb bin ich froh und dankbar, daß die gungsminister Rühe auf Antipersonenminen bei der Bundesrepublik Deutschland beim Kampf gegen An- Bundeswehr, am 16. April 1996 ausgesprochen, hat tipersonenminen wirklich der absolute Vorreiter auf Deutschland als einer der ersten Staaten überhaupt der Welt ist. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, weltweit erklärt: Wir haben in unseren Planungen nicht nur der Landminenkampagne zum Nobelpreis keine Antipersonenminen mehr. Ich finde, das ist ein zu gratulieren - auch das tun wir -, sondern vor allem ganz wesentlicher und entscheidender Punkt gewe- dem Bundesaußenminister und seinen Beamten ganz sen, ein wirkliches Signal. herzlich dafür zu danken, daß wir hier eine ganz we- sentliche und wichtige Rolle einnehmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Zuruf der Abg. Angelika Beer [BÜND (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und NIS 90/DIE GRÜNEN]) der SPD) - Wir sollten dieses Signal jetzt nicht gering bewer Es gibt bei der Bekämpfung der Minenkatastrophe ten. - Ich sehe Herrn Dehnel vom Petitionsausschuß; elf wichtige konkrete Erfolge, die ganz wesentlich ich weiß, der Petitionsausschuß hat sich von Anfang Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Dr. Friedbert Pflüger an in dieser Richtung verwendet. Der Unterausschuß nicht in unseren Beständen und hat es da nie gege- Abrüstung hat sich einheitlich dafür eingesetzt. In ben. diesem Punkt hat dieses Parlament wirklich Druck gemacht. Dieser Druck ist in der Bundesregierung Ich möchte einmal sagen: Die Antiminenkampa- umgesetzt worden und ist weltweit zu einem wirklich gne der Grünen wäre weitaus glaubwürdiger, wenn wichtigen Zeichen und Symbol geworden. sie einmal solche humanitären Skandale anprangern und nicht immer gegen die Bundesregierung stän- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - kern würde. Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Wo er recht hat, hat er recht!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Achtens. Hinzu kommt, daß die Bundeswehr bis Ich habe hier - und möchte auch das zeigen - ei- Ende 1997 1,7 Millionen Antipersonenminen aus den nen Ausschnitt aus einem ganz aktuellen russischen eigenen Beständen und 1,3 Millionen Antipersonen- Waffenkatalog, in dem diese Form von Minen zum minen aus den Beständen der früheren NVA einfach Kauf angepriesen wird. Ich kann nur sagen: Ehe wir zerstört haben wird. Wir haben im Jahr 1997 drei Mil- hier mit unserer Politik angegriffen und in die Ecke lionen Antipersonenminen in Deutschland weniger, gestellt werden, sollten sich doch einmal die interna- als wir sie vor wenigen Jahren hatten. Das ist ein tionale Landminenkampagne wie auch die Grünen wirklicher humanitärer Erfolg, auf den wir stolz sein in Richtung der Kritik an dieser Art von Waffen be- können. Das sollen andere, die sonst das große Wo rt wegen, die wirklich dringend notwendig ist. schwingen, erst mal nachmachen! (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich bin sehr froh darüber, daß es bei uns viele hu- manitäre Organisationen gibt, die sich in dieser Mi- Neuntens. Die Ausgaben der Bundeswehr - da nenkampagne engagieren. Es gibt die Stiftung möchte ich auf das eingehen, was die Kollegin Beer „St. Barbara", Rupert Neudecks Initiativen, das Rote gesagt hat - für Antipanzerminen - die es noch gibt, Kreuz, UNICEF, Caritas, „Brot für die Welt". Sie alle die völkerrechtlich noch nicht geächtet sind - sind im tragen mit dazu bei, daß dieses schlimme Thema in Zeitraum von 1994 bis 1998 um über 90 Prozent ge- unser Bewußtsein kommt. Ich möchte ausdrücklich sunken. Es ist richtig: Antipanzerminen kann man allen Aktivisten dafür danken, aber auch sagen: Ich nicht einfach bannen. Erstens ist kaum jemand auf habe mich gefreut, daß die sich bei uns, bei der Bun- der Welt dafür, und zweitens muß man sich, solange desregierung, bei der Bundesrepublik Deutschland es die Panzerwaffe und die Bedrohung durch Panzer bedankt haben. gibt, gegen diese Panzer auch wehren können. Die Abschaffung ist eine langfristig wichtige Perspektive. In einer Erklärung von „Brot für die Welt" vom Aber jetzt die Erfolge bei den Antipersonenminen 24. März 1997 heißt es:- Wir wissen, daß die Bundes- dadurch kaputtreden zu wollen, daß man sagt: aber regierung bei der Bekämpfung der Antipersonenmi- Ihr habt noch nicht alles geschafft, das ist wirklich nen zu den Vorreitern gehört. ein falscher, ich würde sogar sagen, ein fataler An- satz. Caritas teilte am 21. Oktober dieses Jahres mit: Zehntens. Das Bundesverteidigungsministerium Der kürzlich auf der Landminenkonferenz in Oslo gibt im nächsten Jahr 63 Millionen DM für Minen erreichte Durchbruch, an dem auch die deutsche räummittel aus, unter anderem den Keiler, und für Politik wesentlichen Anteil hatte, war ein wichti- die Erforschung von Minensuch- und Minenräum- ger Meilenstein. techniken. Und UNICEF schreibt uns am 30. Oktober 1997: Elftens. Ungeachtet dieses Betrages hat die Bun- Es ist besonders die konstruktive Rolle der Bun- desregierung im Zeitraum von 1993 bis 1998, also in desregierung hervorzuheben. Denn mit dem Ver- fünf Jahren, insgesamt 132 Millionen DM für huma- zicht der Bundeswehr auf Antipersonenminen im nitäres Minenräumen zur Verfügung gestellt - für Jahr 1996 wurde ein wichtiges politisches Signal Minen wohlgemerkt, die nicht wir gelegt haben. gesetzt. Deutschland hat auch die schwierigen Auch das ist ja einer dieser, wie ich finde, etwas Verhandlungen für das Ottawa-Abkommen mit hinterhältigen Versuche: Da wird ein Kind - in Kam- vorangetrieben und damit große internationale bodscha, in Angola - gezeigt, dem eine Mine die Anerkennung erworben. Beine abgerissen hat, und im nächsten Moment heißt Es ist also nicht so, daß wir hier von den humanitä- es, dafür seien Volker Rühe, die Amerikaner und ren Organisationen kritisiert würden, sondern diese diese schlimmen Leute in der NATO verantwortlich. Bundesregierung, dieser Außenminister, der Vertei- Nein, da sind keine Minen von uns. Wir haben digungsminister und auch wir im Parlament finden keine solchen Tötungsinstrumente wie zum Beispiel Anerkennung für unseren Kampf gegen Antiperso- dieses Tötungsinstrument, das ich Ihnen hier einmal nenminen. Und darüber freuen wir uns. zeige. Ich habe hier eine Schmetterlingsmine russi- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) scher Produktion. Diese Schmetterlingsminen wer- den aus einem Hubschrauber abgeworfen, dann von Kindern, von Zivilisten gefunden, die darauf drücken Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der und in die Luft fliegen. Solche Minen gibt es gar Kollege Volker Kröning (SPD): Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Volker Kröning (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verabredet, uns auf die Antipersonenminen zu kon- verehrten Damen und Herren! Der Anlaß dieser De- zentrieren. Dies war erfolgreich, auch wenn erst ein batte ist nicht die Rechenschaft über unsere Arbeit in Anfang gemacht ist. dieser Legislaturperiode, Herr Kollege Pflüger. Ich will und muß deshalb auch nicht mit Ihnen und Ihrer (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Darstellung konkurrieren. NEN]: Mit uns haben Sie sich nicht verabre det!) Der Anlaß unserer Debatte sind zwei Beschlußem- pfehlungen des Petitionsausschusses und ein vor an- Erstens geht es uns nun vor allem um die schnellst- derthalb Jahren eingereichter Antrag von Bünd- mögliche Ratifizierung des Übereinkommens durch nis 90/Die Grünen. 40 Staaten, damit das Übereinkommen von Oslo bald in Kraft treten kann. Der Grund der Debatte ist jedoch ein anderer. Ge- stern ist der Internationalen Kampagne zum Verbot Zweitens muß es um eine Universalisierung des von Landminen und ihrer amerikanischen Vorkämp- Übereinkommens gehen. Zu den 120 Unterzeichner- ferin Jody Williams der Friedensnobelpreis 1997 ver- staaten gehören noch nicht so bedeutende Staaten liehen worden. Teil dieser Kampagne sind die Orga- wie Rußland, China, die USA und die meisten Staa- nisationen aus Deutschland, die sich zum bundes- ten des Nahen und Mittleren Ostens, leider auch deutschen Initiativkreis für das Verbot von Landmi- noch nicht so wichtige und uns geographisch und nen zusammengeschlossen hatten, lange geleitet von politisch nahestehende Länder wie Finnland oder Is- dem Jesuitenpater Jörg Alt. Ihnen allen gilt der No- rael. belpreis, und ihnen allen gratulieren die SPD-Frak- tion und die Sozialdemokratische Partei Deutsch- Drittens geht es um die Implementierung des lands. Übereinkommens von Ottawa bzw. von Oslo, um das noch einmal in den Mittelpunkt unserer Aussprache (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem zu rücken. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. - Abg. Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Den größten Fortschritt dieser Konvention stellt ihr Wir auch!) umfassendes Konzept dar. Deshalb kann man vor diesem Hintergrund inzwischen von einem Totalver- Der zweite Grund ist das vorige Woche in Ottawa bot reden. Dieses Konzept behandelt die gesamte unterzeichnete Übereinkommen über das Verbot Spanne von der Produktion bis zum Expo rt, von der des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und Lagerung bis zum Einsatz, übrigens auch von zwi- der Weitergabe von Antipersonenminen und über schenstaatlichen bis hin zu innerstaatlichen bewaff- deren Vernichtung. Dieses Übereinkommen, das neten Konflikten, von der Räumung bis zur Hilfe für über ein Jahr ausgehandelt und vor einigen Wochen die Opfer, von der Kooperation im allgemeinen bis in Oslo fertiggestellt worden ist, hätte am Anfang hin - diesen Punkt möchte- ich besonders betonen - dieser Legislaturperiode keiner von uns für möglich zu der Zusammenarbeit bei der Verifikation. gehalten. Der österreichischen Regierung, die dieses Kon- Die Konvention kehrt die Darlegungs- und Beweis- zept entworfen hat, ist ebenso zu danken wie der ka- last im humanitären Völkerrecht auf dem Gebiet der nadischen Regierung, die den gesamten Prozeß in Minen um. Wer weiter Minen verwendet, muß in Zu- Gang gesetzt hat. Ich kann mich noch sehr gut an an- kunft gegen ihre rechtliche Diskriminierung Argu- fängliche Reserviertheiten bei diesem Schritt zur Lö- mente anführen. Die Konvention stellt zudem weit sung der Minenproblematik in Deutschland erinnern. über das neue Minenprotokoll im Rahmen des UN Das Konzept hat sich auch darin bewährt, diesen Pro- Waffenübereinkommens hinaus eine Innovation auf zeß in Gang zu halten und einen immer größeren dem Gebiet der konventionellen Rüstungskontrolle Teilnehmerkreis zu erreichen. Dieser abrüstungspoli- und Abrüstung dar, weil sie zum erstenmal seit dem tische sowie humanitär- und völkerrechtliche Erfolg Verbot von Dumdumgeschossen vor mehr als einem setzt neue Maßstäbe. Diesen muß die Bundesrepu- Jahrhundert eine ganze Waffenart ächtet und ab- blik Deutschland weiter genügen. schafft. Außerdem ist die Konvention ein einzigarti- ger Erfolg der Zusammenarbeit zwischen nichtstaat- Wir Sozialdemokraten konzentrieren uns deshalb lichen und staatlichen Stellen auf dem Gebiet des auf drei Forderungen: Völkerrechts und der Abrüstung. Auch dazu gratu- liert die SPD allen Beteiligten. Erstens. Das deutsche Gesetz zur Ratifikation des Übereinkommens muß noch in dieser Legislaturpe- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der riode vorgelegt und verabschiedet werden. F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜND NISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/ Meine Damen und Herren, die Debatte sollte sich DIE GRÜNEN und der F.D.P.) hier und heute auf das wesentliche konzentrieren. Dies wird unseres Erachtens mit dem Antrag von Wenn es noch etwas Zeit braucht, ist das kein Nach- Bündnis 90/Die Grünen nicht erreicht, auch nicht im teil. Wir hoffen nämlich, daß es wiederum so solide Änderungsantrag zur Beschlußempfehlung des Aus- erläutert wird, wie schon das neue Minenprotokoll. wärtigen Ausschusses. Es nützt nichts, ständig auf Das hilft bei der weiteren Arbeit. Aber hoffentlich dem Totalverbot von Landminen herumzureiten. Wir wird es rechtzeitig vor dem endgültigen Ausbruch haben vor drei Jahren zwischen Koalition und SPD des Wahlkampfes verabschiedet, um der Bundesre- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Volker Kröning publik Deutschland auch in diesem Falle eine Vorrei- Thema die Bundesrepublik Deutschland und unsere terrolle zu sichern. Sicherheits- und Abrüstungspolitik weiter beschäfti- gen muß. (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Darin sind wir uns doch einig!) Aber das ist ein neues, komplexes Thema, das nicht mit dem, was hier und heute anzuerkennen ist, - Das darf ich doch unterstreichen, Herr Feldmann, verwechselt werden darf. Mit der Annahme der Be- dann geht das nicht zu Lasten Ihrer Redezeit. schlußempfehlung, wenn es die Petition aus der Zweitens. Die Bundesrepublik Deutschland sollte Sammelübersicht 230 an die Bundesregierung über- ihre Zusammenarbeit mit Nicht-Teilnehmerstaaten weist, macht sich das Parlament diese Absicht zu ei- überprüfen. Ich meine damit: keine Hilfe bei der gen. Ich glaube, der Stil des Hauses gebietet es, daß Räumung und keine Hilfe für Opfer, die nicht bereit man dies, was praktisch und prozedural geschieht, sind, sich dem Übereinkommen zu unterwerfen. deutlich anspricht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Ich will damit abschließen, daß dies sicher auch und der F.D.P.) dem deutschen Initiativkreis und dem Pater Alt zu- gänglich gemacht werden wird. Er wird daran able- Dies ist - das lassen Sie mich als Mitglied des Präsi- sen können, daß es sich lohnt, dicke Bretter zu boh- diums des Deutschen Roten Kreuzes sagen - kein ren. Verstoß gegen essentielle humanitäre Gebote, denn - so schlimm es klingt - die Hilfe muß sich nach dem Vielen Dank. Maß der Not richten. Das Verhältnis zwischen der Not und unserer Bereitschaft und Fähigkeit zu hel- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE fen, ist tatsächlich so, daß die Not über die Maßen GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.) groß und unsere Hilfe nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Deshalb bleibt die SPD auch bei ihrer Auffassung, Kollege Dr. Olaf Feldmann, F.D.P. daß sich die „Mine action" nicht, wie es in Ottawa diskutiert worden ist, auf das beschränken kann, was Dr. Olaf Feldmann (F.D.P.): Herr Präsident! Liebe die Bundesregierung und der Bundestag bisher ge- Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank, Herr Kol- leistet haben, nämlich die Abschaffung dieser Waf- lege Kröning, für diesen wirklich konstruktiven Bei- fenart bei der Bundeswehr und die Bereitstellung trag, der sonst von seiten der Opposition nicht immer von rund 50 Millionen DM in den Jahren von 1995 kommt. bis 1998 für das humanitäre Minenräumen, lieber Kollege Pflüger. Mehr war das nicht. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - Volker Kröning [SPD]: Wen meinen Sie (Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Das damit?) BMZ kommt mit dazu, das ist mehr, Herr Kollege! ) - Ich meine Ihren konstruktiven Beitrag, den wir auf diese Art und Weise würdigen wollen. - Nein, das sind insgesamt 50 Millionen DM. Das hat eine kürzlich gegebene Antwort der Bundesregie- (Beifall bei der F.D.P.) rung auf eine von mir gestellte Frage ergeben. Herr Kollege, es ist richtig: Die Unterzeichnung Ich stelle klar: Die Beiträge der Minister Kinkel des Ottawa-Abkommens ist ein Erfolg für die Abrü- und Rühe und besonders Ihrer Mitarbeiter, Herr stung und für das humanitäre Völkerrecht. Diesen Dr. Kinkel, können sich innenpolitisch und außen- Durchbruch, der in Ottawa erzielt wurde, lassen wir politisch sehen lassen, doch sie müssen weiter gehen. uns nicht kleinreden, schon gar nicht von Ihnen, liebe Frau Kollegin Beer. (Beifall bei der F.D.P.) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Nach unserer Auffassung müssen die Haushaltsmit- sowie des Abg. Volker Kröning [SPD]) tel auf 30 Millionen DM jährlich aufgestockt und in Wieder hat sich gezeigt: Abrüstung ist nur in klei- einen eigenen Titel eingestellt werden. nen Schritten und durch Konzentration auf das (Bundesminister Dr. Klaus Kinkel: Na, ja!) Machbare zu erreichen. Unrealistische Forderungen, wie sie immer von Ihrer Seite gestellt werden, brin- Sie müssen auf die am meisten geprüften Länder, das gen nichts. Wir haben in kurzer Zeit, Frau Kollegin, sind die Länder der Dritten Welt, konzentriert wer- sehr viel erreicht. Erstmals ist eine ganze Waffenka- den. Bosnien erfordert eine gesonderte, von diesem tegorie geächtet worden, und Sie verlieren darüber Thema zu trennende Aktion. überhaupt kein Wort. Wir werden deshalb den Leitfaden der „Mine ac- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und tion" von Ottawa weiterverfolgen. Wir werden auch der CDU/CSU) die Gesamtproblematik, einschließlich der Antipan- zerminen, weiterverfolgen. Der Verteidigungsaus- Ich möchte von dieser Stelle aus stolz feststellen: schuß hat in seiner Stellungnahme im Rahmen der Deutschland ist Vorreiter auf dem Wege zur Achtung Beschlußempfehlung zu dem Antrag von Bündnis 90/ von Antipersonenminen. Gerade Außenminister Kin- Die Grünen immerhin auch anerkannt, daß dieses kel hat durch sein hartnäckiges Engagement ent- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Dr. Olaf Feldmann scheidend dazu beigetragen, daß wir diese Vorreiter- sten Staaten gehören, die dieses Abkommen ratifizie- rolle übernommen haben. ren.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und ten der CDU/CSU) der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Natürlich hat auch die Empfängerin des Friedensno- Ich gehe davon aus, daß wir das noch vor der Som- belpreises ein großes Lob verdient. merpause 1998 schaffen werden. Anerkennung verdient aber auch die Bundeswehr. Herr Minister, liebe Kolleginnen und Kollegen, Denn sie hat rechtzeitig und als eine der ersten Trup- Deutschland muß weiterhin treibende Kraft bei der pen auf die Antipersonenminen verzichtet und ver- weltweiten Achtung der Antipersonenminen bleiben. nichtet sie. In diesem Monat, im Dezember 1997, werden die letzten der insgesamt 1,7 Millionen Anti- personenminen vernichtet. Danke sehr. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Andere Länder dagegen hinken weit hinterher. Es sowie bei Abgeordneten der SPD - ist unverständlich, daß die USA, Rußland und China Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Ein sowie andere Staaten die Antiminenkonvention nicht bärenstarker Auftritt!) unterzeichnet haben. Es gibt keine militärischen, mo- ralischen und politischen Gründe, die dies rechtferti- gen. Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Das Wort hat der Kollege Steffen Tippach. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU) Steffen Tippach (PDS): Herr Präsident! Sehr ge- Das Auswärtige Amt verdient Lob für die bisherige ehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Unterzeich- finanzielle Unterstützung des humanitären Minen- nung des Ottawa-Abkommens ist in jedem Falle ein räumens. Die deutsche Stiftung „St. Barbara" wurde Erfolg. Ich glaube, das hat in diesem Haus niemand vom Kollegen Pflüger bereits erwähnt. Diese Stiftung bestritten. Insofern ist Ihre Besorgnis, Herr Feld- wird von einem Förderkreis der deutschen Wirtschaft mann, völlig fehl am Platze. Es ist ein Erfolg, und vor finanziell aktiv unterstützt. In den letzten fünf Jahren allem ist es ein Erfolg für diejenigen Millionen Men- - auch das möchte ich von dieser Stelle aus sagen - schen, die sich weltweit engagiert haben und die wurden von dieser Regierung für die Minenräumung weltweit tätig waren, um ihre Regierungen dahin zu und für die Aufklärung über die Gefahren der Minen bringen, daß sie sich bewegen. Daß dieses Abkom- - insgesamt über 130 Millionen DM ausgegeben. Trotz men unterzeichnet werden konnte, gibt vielen Men- knapper Kassen werden in den Haushalt 1998 Mittel schen überall auf der Welt wieder die Kraft, sich poli- in einer Höhe von 20 Millionen DM eingestellt wer- tisch zu engagieren, weil sie gesehen haben, daß den. man etwas bewegen kann, wenn man sich engagiert. Ich glaube, das ist eine der positiven Aussagen, die Die bisherige Handräum-Methode, die von Ihnen, man anläßlich dieses Abkommens treffen kann. Herr Minister Kinkel, zutreffend und plastisch immer mit dem Abtragen einer Sanddüne mit einem Finger- Daß sich die Bundesregierung auf die Schulter hut verglichen wird, muß durch mechanische Räum- klopft und sagt, sie habe eine Vorreiterrolle gehabt, verfahren ergänzt werden. Wir müssen die Räumge- kann ich zwar menschlich verstehen, weil diese Re- schwindigkeit und auch die Räumsicherheit erhöhen. gierung ja mit Erfolgen nicht so gesegnet ist. Politisch Das geht wahrscheinlich nur durch eine verstärkte halte ich es jedoch für völlig abwegig. Ich werde Ih- Förderung des mechanischen Minenräumens. nen auch erklären, warum das so ist. (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Ach, Landminen sind Entwicklungsverhinderungswaf- das muß nicht sein!) fen. Minenräumen ist daher der erste Schritt zu einer wirkungsvollen Entwicklungshilfe. Ich halte es für Zum einen ist die Bundesregierung eine treibende richtig und stimme in diesem Punkt dem Herrn Kolle- Kraft dabei gewesen, überhaupt zu definieren, was gen Kröning zu, daß bei denjenigen Ländern, die Mi- Antipersonenminen sind. Zum Beispiel hat die Bun- nen legen und gleichzeitig Entwicklungshilfe bean- desregierung bei der Verhandlung zum Landminen- spruchen, die Unterstützung überprüft werden sollte. protokoll bei der Revisionskonferenz als führende Unterzeichnung und Ratifizierung des Ottawa-Ab- Kraft darauf hingewirkt, daß Minen als Antiperso- kommens müssen die neue Meßlatte sein. nenminen definiert werden, die sich in erster Linie gegen Personen richten. Was dabei herausgefallen Ich möchte zusammenfassend feststellen: Die Ot- ist, sind zum Beispiel die Minen, die mit Räumschutz tawa-Konvention ist ein wichtiger Schritt zur Lösung versehen sind. Das heißt, daß perfiderweise gerade der Minenproblematik. Natürlich ist das Ziel erst die Minen nicht als Antipersonenminen gelten, die dann erreicht, wenn alle Staaten das Abkommen un- das Räumpersonal, also diejenigen, die sie räumen terzeichnet und ratifiziert haben. Deutschland hat als sollen, als erstes angreifen. Das ist ein Beitrag, an einer der ersten Staaten das Abkommen unterzeich- dem nicht allein die Bundesregierung beteiligt ist, net, und, Herr Minister, wir wollen auch zu den er aber sie hat es im wesentlichen Maße mit bet rieben. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege nämlich nicht der humanitäre Aspekt, sondern der Tippach, gestatten Sie dem Kollegen Dehnel eine militärische, ist das eigentliche Problem. Deswegen, Zwischenfrage? sage ich, ist es keine Vorreiterrolle.

Nicht zuletzt kann man auch am aktuell verab- Steffen Tippach (PDS): Selbstverständlich. schiedeten Haushalt die Gewichtung erkennen, was für humanitäres Minenräumen - das ist angeführt Wolfgang Dehnel (CDU/CSU): Herr Kollege Tip- worden - und für die Minenentwicklung ausgegeben pach, ich habe in Kürschners Volkshandbuch gele- wird. Auch wenn Sie immer noch den Keiler hinein sen, daß Sie - wahrscheinlich freiwillig - von 1986 bis rechnen, obwohl Sie selber wissen, daß es dabei um 1989 in der NVA gewesen sind. Sie sind während militärisches Minenräumen geht, was mit humanitä- dieser Zeit in die SED eingetreten. Dann ist Ihnen rem Minenräumen nur sehr bedingt etwas zu tun doch sicher bekannt, daß an der Grenze zu Tausen- hat, und sie sich damit irgendwelche Sachen schön den Personenminen lagen, die praktisch gegen die rechnen, macht es das Ganze nicht besser. Die Ge- eigene Bevölkerung gerichtet waren, und daß es die wichtung ist völlig unverhältnismäßig. Wenn Sie Bundesregierung war, die in einem langjährigen nach wie vor derartig geringe Summen für den Haus- Aufwand diese Personenminen jetzt beseitigt hat. halt einstellen, wird es noch tausend Jahre dauern, Wollen Sie jetzt die Bundesregierung vorführen, sie selbst wenn keine einzige Mine neu verlegt wird, bis wäre kein Vorreiter gewesen? Ich glaube, Sie sollten diese Welt minenfrei ist. Wollen Sie so lange warten? sich an die eigene Nase fassen. Ich nicht! Deswegen sage ich: Das reicht nicht aus.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) An dieser Stelle - ich muß leider schließen, meine Redezeit ist zu Ende - möchte ich dem Antrag von Steffen Tippach (PDS): Herr Kollege, Sie können Bündnis 90/Die Grünen meine Unterstützung aus- es abenteuerlicherweise immer wieder versuchen, drücken, weil ich finde, daß die Forderungen darin mir die Verantwortung für alles Schlimme auf dieser hochgradig berechtigt sind, auch auf Grund dessen, Welt anzuhängen: von den Minen an der Grenze bis was ich gerade ausgeführt habe, und weil jede Mine hin zu Pol Pot. Das lade ich mir alles auf. auf dieser Welt eine zuviel ist. (Wolfgang Dehnel [CDU/CSU]: Nicht für Vielen Dank. alles! Aber wenn Sie hier hintreten und der Regierung Vorwürfe machen!) (Beifall bei der PDS) - Herr Kollege, lassen Sie auch mich bitte ausreden, so wie ich Sie bei Ihrer Frage habe ausreden lassen Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der und Ihnen zugehört habe. Bundesaußenminister Dr.- Kinkel. Ich will Ihnen eines klar sagen: Wir reden hier kon- kret von einem Fakt, und zwar über das Ottawa-Ab- kommen. Ich sage Ihnen, was ich von diesem Ab- Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister des Auswärtigen: kommen und der Haltung der Bundesregierung dazu Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor halte. Ich habe keine Lust, in Ihrer Biographie her- einer Woche konnte ich dank Ihrer wesentlichen umzukramen. Das halte ich für ziemlich kleinlich, Hilfe in Ottawa das Verbotsabkommen für Antiperso- auch wenn Sie bei mir damit ankommen. nenminen für Deutschland unterschreiben. Es war im übrigen ein berührendes Ereignis. Ich will deutlich (Beifall bei der PDS - Lachen bei der CDU/ und klar sagen: Ich habe selten eine internationale CSU) Konferenz erlebt, die so stark von positiven Emotio- Das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, daß Sie Sachen nen getragen war. Wir sollten in der Tat vor dem miteinander verbinden und diese mir noch vorwer- Sommer ratifizieren. fen, die damit überhaupt nichts zu tun haben. Sie Der Erfolg unseres jahrelangen Kampfes gegen können das immer wieder versuchen, aber Sie wer- diese Minen ist übrigens auch ein Erfolg des kanadi- den mich damit nicht aus dem Konzept bringen, vor schen Außenministers, eines Freundes von mir, näm- allem werden Sie damit die Kritik, die ich äußere, lich von Lloyd Axworthy. Man sollte das nicht verges- nicht unwirklicher machen. sen; denn er hat diesen Prozeß so schnell durchgezo- (Beifall der Abg. Angelika Beer [BÜND gen. NIS 90/DIE GRÜNEN] - Günther F riedrich Nolting [F.D.P.]: Frage nicht beanwortet! Deutschland war Gründungsmitglied des Ottawa Setzen!) Prozesses. Wir haben einen Sieg der Menschlichkeit errungen. Es ist so, daß die Bundesregierung die Antiperso- nenminen-Abschaffung letztendlich aus einer militä- Seit meinem Amtsantritt im Jahr 1992 habe ich für rischen Logik heraus begreift. Volker Rühe hat in das Verbot dieser Minen gekämpft. Allen, die mitge- diesem Parlament gesagt: Wir haben die Militärs ge- holfen haben, auch hier im Haus, allen Nichtregie- fragt, und die sagen, wir brauchen sie nicht mehr; rungsorganisationen und allen P rivaten, möchte ich deswegen können wir jetzt dem Abkommen zustim- sehr herzlich danken, vor allem den engagierten Bür- men. Okay. Die Hauptsache ist, daß es dieses Ab- gern in der Internationalen Kampagne zur Ächtung kommen gibt. Aber die Logik, die dahintersteht, von Landminen. Sie alle kannten gemeinsam mit Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel uns nur ein Ziel: Dieses Teufelszeug muß weg, und Erstens. Wir müssen das Abkommen unverzüglich zwar möglichst schnell und ein für allemal. in Kraft setzen und dem Verbot weltweite Geltung verschaffen. Ich appelliere vor allem an die großen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Staaten, die bis jetzt noch nicht dabei sind, an China, sowie bei Abgeordneten der SPD und des Rußland und die USA, sich dem Minenverbot anzu- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) schließen.

Jetzt gibt es endlich Hoffnung für Millionen von (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der Menschen, daß diese heimtückischen Mordwerk- SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zeuge vielleicht doch in absehbarer Zeit verschwin- sowie des Abg. Steffen Tippach [PDS]) den. Zweitens. Wir müssen in den betroffenen Ländern Ich habe im übrigen Jody Williams in Ottawa ge- noch mehr aufklären. troffen und ihr von Herzen gratuliert. Ich freue mich, Drittens. Wir müssen die Opfer versorgen, von der daß diese Nichtregierungsorganisation, die immerhin Prothese bis hin zur sozialen und medizinischen Be- aus tausend unterstützenden Unterorganisationen treuung. besteht, den Friedensnobelpreis bekommen hat. (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. sowie NEN]: Viertens. Dafür brauchen wir mehr der Abg. Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE Geld!) GRÜNEN]) Viertens. Wir müssen mehr in das Aufspüren und Ist es nicht toll, daß ein solcher Zusammenschluß so Räumen der Minen investieren. Was wir finanziell etwas mit bewegen kann? tun konnten, verdanken wir auch der Unterstützung hier im Deutschen Bundestag. Ich sage es zum zwei- Meine Damen und Herren, ich habe mir wie auch ten Mal: Ich danke Ihnen allen. Gerade in dieser viele von Ihnen das Leid vieler Minenopfer angese- Frage konnte ich mich als Außenminister parteiüber- hen: in Kambodscha, in Mosambik, in Bosnien. Es greifend immer darauf verlassen. Herzlichen Dank! waren schlimme Eindrücke. Jedes Jahr gibt es über 20 000 Opfer, viele davon sind kleine Kinder, die Wieviel Minen in den über 65 Ländern noch liegen, eben besonders sorg- und arglos sind. Sie haben wissen Sie. Was mich jetzt am meisten bewegt, ist, schreckliche Verstümmelungen. Ihr Lebensweg ist daß wir diese wegbekommen . müssen. Dafür brau- zerstört, bevor er eigentlich richtig begonnen hat, chen wir eine einsatzfähige Maschine. Es kann doch durch ein mörderisches Erbe eines eigentlich längst wohl nicht richtig sein, daß wir Satelliten um die beendeten Konflikts. Diese Bilder vergißt man sein Erde schicken, Hochtechnologie entwickeln, aber für Leben lang nicht. Diejenigen, die es erlebt haben, die 30 Prozent maschinell räumbarer Minen kein se- werden mir recht geben. rienreifes Gerät haben. Es- wird immer wieder von dieser Krohnschen Fräse gesprochen. Sie ist leider Wir haben gehandelt, politisch und praktisch: seit nicht serienreif; ich habe sie mir in Kambodscha an- 1993 mit der Hilfe bei der Minenräumung und der gesehen. Wir haben Herrn Krohn unterstützt. Ich Opferversorgung in Kambodscha, Nicaragua, Geor- kann leider nicht qua Bundesregierung sozusagen gien, Irak, Angola, Bosnien, insgesamt in 16 Regio- die Entwicklung von Maschinen fördern; ich würde nen; mit Tests von Minenräummaschinen in Mosam- es gerne tun. bik, Bosnien und demnächst in Kambodscha; 1994 mit einem Exportmoratorium für Antipersonenminen Was das Handminenräumen anbelangt, so haben - das wurde schon erwähnt -, seit 1996 unbef ristet; Sie ihre eigenen Erfahrungen gemacht, wenn Sie es mit einem EU-Moratorium auf unsere Initiative hin, gesehen haben. Das kann so nicht bleiben. mein 7-Punkte-Aktionsprogramm 1996; mit meiner Nun ist es in der Tat so, daß das unermeßliche Initiative im UNO-Sicherheitsrat und in der OSZE; menschliche Leid weltweit fast ausschließlich durch mit zwei großen Expertenkonferenzen hier in Bonn Antipersonenminen verursacht wird. Deshalb sollte und der dritten im nächsten Jahr. niemand den Erfolg von Ottawa kleinreden. Daß wir Wir haben als einer der ersten Staaten vollständig es mit den Panzerminen nicht geschafft haben, liegt auf Antipersonenminen verzichtet. Noch in diesem daran, daß einfach kein Konsens herzustellen war. Jahr wird die letzte Mine der Bundeswehr vernichtet. Wenn man das Abkommen auch auf Panzerminen Es waren immerhin 1,7 Millionen Minen plus der bezogen hätte, dann wäre es in Ottawa eben nicht 1,3 Millionen Minen der ehemaligen NVA. Ich zustande gekommen. Wir müssen also mit dem Spatz glaube, diese Bilanz kann sich sehen lassen. in der Hand an Stelle der Taube auf dem Dach Vor- lieb nehmen. Wenn es irgendwie geht, müssen wir - (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) sehend, daß Panzerminen heute noch, übrigens auch von Nicht-Regierungsorganisationen anerkannt, ih- Mit dem Vertrag von Ottawa verbieten wir den ren Sinn haben - uns natürlich langfristig darauf kon- Einsatz, die Herstellung, die Weitergabe und die La- zentrieren, irgendwann einmal ohne Panzerminen zu gerung dieser Minen. Wir verpflichten uns, die Be- sein. stände zu vernichten. Meine Damen und Herren, wir haben das Teufels- Ottawa war ein Erfolg in Rekordzeit. Wir müssen zeug geächtet; jetzt muß es verschwinden. Der Sta rt aber noch einige Dinge tun; denn dies war erst der ist geglückt; das Rennen läuft noch. Um durch das Beginn. Ziel zu kommen, brauchen wir noch ein paar An- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel strengungen mehr. Auf Deutschlands Vorreiterrolle Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Für die ganze setzen viele. Ich bin dankbar, daß das auch hier im Fraktion. Dann halten wir das so im Protokoll fest. Bundestag so gesehen wird. Sammelübersicht 231 auf Drucksache 13/8498. Wir haben eine große Verantwortung übernom- Auch dazu liegt ein Änderungsantrag der men. Es geht in der Tat um eine Aufgabe, bei der Bündnis 90/Die Grünen vor. Wer stimmt für den Än- man sichtbar eine Geißel der Menschheit beseitigen derungsantrag auf Drucksache 13/9398? - Die Ge- kann, wenn man sich engagiert. Wir haben es getan. genprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag Das ist des Schweißes der Edlen we rt . Helfen Sie ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen weiter mit, daß wir über diesen ersten Schritt hinaus die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS bald noch mehr gemeinsam zustande bekommen! bei Stimmenthaltung der SPD abgelehnt. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Petiti- sowie bei Abgeordneten der SPD) onsausschusses? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 231 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die

Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Ich schließe die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS ange- Aussprache. nommen.

Wir kommen zu den Abstimmungen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschus- auf: ses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- a) Erste Beratung des von den Fraktionen der nen zur Ächtung von Landminen. Das ist die CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Ent- Drucksache 13/7870. Der Ausschuß empfiehlt, den wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung Antrag auf Drucksache 13/3748 abzulehnen. Es liegt der Handwerksordnung und anderer hand- ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die werksrechtlicher Vorschriften Grünen vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer - Drucksache 13/9388 stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 13/ 9402? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Än- —Überweisungsvorschlag: derungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitions- Ausschuß für Wi rtschaft (federführend) fraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen Rechtsausschuß Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau von Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt. Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technolo- gie und Technikfolgenabschätzung Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Aus- wärtigen Ausschusses? - Die Gegenprobe! - Enthal- b) Erste Beratung des von der Abgeordneten tungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit denselben Margareta Wolf (Frankfu rt) und der Fraktion Mehrheitsverhältnissen angenommen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Wir kommen zu den Beschlußempfehlungen des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Petitionsausschusses, Sammelübersicht 230 auf Handwerksordnung Drucksache 13/8497. Dazu liegt ein Änderungsan- - Drucksache 13/8846 - trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck- Überweisungsvorschlag: sache 13/9397 vor. Wer stimmt für diesen Änderungs- Ausschuß für Wi rtschaft (federführend) antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Ände- Rechtsausschuß rungsantrag ist mit denselben Mehrheitsverhältnis- Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sen abgelehnt. Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technolo- gie und Technikfolgenabschätzung Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Petiti- onsausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für gen? - Die Sammelübersicht 230 ist mit den Stimmen die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Wider- der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von spruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist es so be- SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenom- schlossen. men. Ich eröffne die Aussprache. Das Wo rt hat der Kol- Herr Kröning, bitte. lege Karl-Heinz Scherhag, CDU/CSU.

- (CDU/CSU): Herr Präsident! (SPD): Ich bitte, unser Abstim- Karl Heinz Scherhag Volker Kröning Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kol- mungsverhalten zu der Beschlußempfehlung - leginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf zur No- Sammelübersicht 230 - korrigieren zu dürfen: Wir fol- vellierung der Handwerksordnung, der Anlagen A gen der Empfehlung des Petitionsausschusses. und B, den wir eingebracht haben, hört sich für Au- ßenstehende so an, als ob es sich hier um ein reines Gesetz für das Handwerk handele. In Wirklichkeit Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Gilt das für die gesamte Fraktion oder nur für Sie persönlich? steht aber hinter diesem Gesetz und seinen Verände- rungen Deutschlands größter Wirtschaftsbereich. Deshalb möchte ich zu Beginn meiner Rede mit eini- Volker Kröning (SPD): Für die Fraktion. gen Zahlen aufwarten. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Karl-Heinz Scherhag 830 000 Handwerksbetriebe, in denen mehr als deutsche Handwerk in das neue Jahrtausend hinein 6,6 Millionen Menschen beschäftigt sind, erwirt- auswirken. schaften einen jährlichen Umsatz von 1 000 Milliar- den DM. All den Diskussionen um die Infragestellung des großen Befähigungsnachweises kann deshalb entge- (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das sind Zah gengetreten werden, weil der Wegfall dieses großen len!) Befähigungsnachweises in Deutschland eine totale Systemveränderung bedeuten würde. In dem Wirtschaftsbereich Handwerk werden rund 630 000 Lehrlinge ausgebildet. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr wahr!) (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Noch besser!) Wenn wir von der klassischen Einteilung - Lehrling, Sieht man sich die Entwicklung der letzten 20 Jahre Geselle, Meister - abkehren, werden wir die positi- im Vergleich zur Entwicklung in der Industrie an, so ven Chancen nicht mehr nutzen können, die das stellt man fest, daß sich das Handwerk in rasanter duale System im Handwerk mit sich bringt. Weise zum größten Arbeitgeber der Bundesrepublik (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) entwickelt hat. Doch nun zur eigentlichen Handwerksordnung. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Wohl wahr!) Wir haben auf Grund der Diskussion aus der letzten Zwischen 1987 und 1996 sind allein in mittelständi- Legislaturperiode und der im Raum stehenden Dere- schen Unternehmen 2 Millionen neue Arbeitsplätze gulierungswut ein Eckwertepapier geschaffen, entstanden, während Großunternehmen im gleichen durch das alle Berufe einer Prüfung unterzogen wur- Zeitraum über 500 000 Arbeitsplätze abgebaut ha- den, bevor wir die Neuordnung vorgenommen ha- ben. ben. Wesentliche Punkte bei der Neuordnung waren der Bestand der Bet riebe und Berufe, die Arbeits- (Dr. Dionys Jobst [CDU/CSU]: Leider wahr!) platz- und Lehrstellenentwicklung, die Zukunfts- Im Zeitraum von 1991 bis 1996 hat sich allein die chancen und die Tradition der Berufe. Zahl der Lehrlinge im Handwerk um 100 000 erhöht, Dabei kamen wir schnell zu der Erkenntnis, daß je- während die Lehrverträge im gewerblich-techni- der einzelne der 80 Millionen Bürger der Bundesre- schen Bereich der Industrie- und Handelskammern publik vom Handwerk berührt wird: im gleichen Zeitraum von 385 000 auf 257 000 zurück- gegangen sind. Das ist ein Minus von genau 128 000. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist es!) (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Hört! Hört!) ob im Nahrungsmittelhandwerk das Brot, die Bröt- Auch in diesem Jahr waren bis zum Stichtag chen und die Fleischwaren, im Baugewerbe der Roh- 30. September bereits 211 000 neue Lehrverträge im bau und der Innenausbau,- im Gesundheitswesen der Handwerk abgeschlossen. Zahntechniker, der F riseur und der Orthopädieme- chaniker oder im Sicherheitsbereich die Gas-, Was- (Jürgen Türk [F.D.P.]: Absolute Spitze!) ser- und Lüftungsinstallateure, die Elektrohand- Das heißt: Das Handwerk wird auch 1997 seiner Ver- werke oder das Kfz-Gewerbe mit all seinen sicher- antwortung gerecht, junge Menschen für die Zukunft heitsrelevanten Aspekten. auszubilden und ihnen sichere Arbeitsplätze zu ga- Immer wieder mußten wir feststellen, daß gut aus- rantieren. gebildete Handwerker benötigt werden und daß dies (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - in der ganzen Bundesrepublik, von Kiel bis Passau, Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr gut! - gewährleistet ist. Ernst Schwanhold [SPD]: Ernst, wie viele (Zurufe von der CDU/CSU: Sehr wahr!) bildest du denn aus?) Das deutsche Handwerk muß in Zukunft verstärkt Sieht man sich die Zahlen genauer an, so stellt man dem europäischen Wettbewerb standhalten und sein fest, daß 70 Prozent aller Lehrlinge im gewerblich hohes Niveau zu vergleichsweise wettbewerbsfähi- technischen Bereich im Handwerk ausgebildet wer- gen Preisen anbieten, um im gemeinsamen Markt den. - Ich komme noch darauf zurück, Herr Kollege bestehen zu können. Schwanhold. (Ernst Schwanhold [SPD]: Ich habe den (Beifall des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU]) Hinsken gefragt!) Wir haben auch die Forderung der Kunden nach Deshalb war es mit Beginn der Arbeiten an den möglichst vielen Gewerken aus einer Hand erfüllt. Anlagen A und B zunächst einmal besonders wich- (Ernst Schwanhold [SPD]: Ja, bei den Bäk tig, daß die bestehenden Betriebsstrukturen des kern und den Konditoren!) Handwerks beachtet wurden. Unser Hauptaugen- merk galt deshalb der Entwicklung der einzelnen Be- Hier waren Handwerkszusammenlegungen, aber rufe, der Betriebszahlen der einzelnen Gewerke, den auch Verwandtschaften untereinander zu schaffen. Mitarbeiterzahlen und den auch in Zukunft zur Ver- Auch die steigende Nachfrage nach mehr Lehrstellen fügung stehenden Ausbildungsplätzen. In den ge- wurde berücksichtigt. Wir gehen davon aus, daß mit nannten Bereichen sollte sich die neue Handwerks- der neuen Handwerksordnung mehr Lehrstellen an- ordnung in ihrer Entwicklung positiv für das gesamte geboten werden können. In Zukunft können in ei- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997 Karl-Heinz Scherhag nem Beruf noch mehr unterschiedliche Ausbildungs- Auf der Suche nach Leitbildern für nachhaltiges berufe als bisher angeboten werden. Wirtschaften im Sinne vernünftigen Umgangs mit Rohstoffen, Energie und Umwelt fällt jetzt neuer (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Glanz auf alte Tradition: Seit der „Agenda 21", Ich bringe hier ein Beispiel: In den zusammenge- der Konferenz von Rio 1992, gilt das Handwerk faßten Berufen wie beispielsweise im Kfz-Gewerbe als sozioökonomischer Königsweg aus der Krise gibt es 55 255 Kfz-Betriebe, aber nur 2 600 Kfz-Elek- der Industriegesellschaft. trobetriebe. Da sich aber die Entwicklung der Auto- (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das mer mobile so verändert hat, daß heute in jedem Kfz-Be- ken Sie sich einmal!) trieb auch mindestens ein Kfz-Elektriker benötigt wird, ist es für jedermann nachvollziehbar, daß die „Regionalentwicklung statt Globalisierung", 2 600 Kfz-Elektrobetriebe nicht den Nachwuchs für „Maßanfertigung statt Massenproduktion", „Wo- 55 255 Kfz-Betriebe ausbilden können. Hier fehlen chenmarkt statt Welthandel", „Reparatur statt Meister und Gesellen. Entsorgung" heißen die Schlagworte für postin- dustrielles Wirtschaften. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist es!) (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr gut!) Mit der neuen Anlage A geht dies in vielen ande- ren Berufen in ähnlicher Form. Ich bin davon über- Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß zeugt, daß wir damit einen großen Schritt in Richtung und fasse zusammen: Das Gesetz zur Handwerksord- Bewältigung des Schülerberges in den nächsten Jah- nung ist ein in die Zukunft gerichtetes Gesetz. Es ren getan haben. wird neue Arbeitsplätze schaffen. Es wird Existenz- gründern neue Chancen eröffnen. (Ernst Schwanhold [SPD]: Was meint er mit Schülerberg?) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das brauchen Dieser Gesetzentwurf wird heute in Gemeinsamkeit wir auch!) der Fraktionen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD einge- bracht. Für Ihren Einsatz, Herr Kollege Schwanhold, Es bietet jungen Menschen durch die Schaffung herzlichen Dank. neuer Berufe mehr Lehrstellen, also Chancen für die Zukunft, und es wird die Einmaligkeit des deutschen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Handwerks und des damit verbundenen dualen Sy- Jürgen Türk [F.D.P.]: Konstruktive Arbeit!) stems auf der Welt noch einmal bekräftigen. Die Grünen haben sich nach der ersten Zusam- Meine Damen und Herren, ich bitte Sie: Stimmen menkunft aus der gemeinsamen Verantwortung zu- Sie diesem Gesetzentwurf zu. - rückgezogen und einen eigenen Gesetzentwurf vor- gelegt. Hier, meine Damen und Herren, zeigt sich (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - wieder, daß die wirtschaftlichen Traumtänzer dieses Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Da hat einer Parlaments die Grünen sind. Denn betrachtet man ih- gesprochen, der von der Materie etwas ver ren Gesetzentwurf, so stellt man fest, daß jede Art steht!) von Sachkenntnis und wirtschaftlicher Kompetenz fehlt. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Kollege Ernst Schwanhold, SPD. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Der Gesetzentwurf ist fehlerhaft und entspricht nicht Ernst Schwanhold (SPD): Herr Präsident! Meine der Wirklichkeit. sehr verehrten Damen und Herren! Es war notwen- (Ernst Schwanhold [SPD]: Das stimmt!) dig, über die Novellierung der Handwerksordnung miteinander zu diskutieren. Ich will gleich am An- Ich würde der Fraktion der Grünen empfehlen, ih- fang sagen: Ich halte es auch für notwendig, daß wir ren Gesetzentwurf zurückzuziehen. Bis zur zweiten dies möglichst ohne Parteienstreit tun, weil wir damit und dritten Lesung des Gesetzes besteht ja noch die den Problemen des Handwerks nicht gerecht werden Möglichkeit, meine liebe Frau Wolf, sich das Buch würden. „Das Handwerk der Zukunft - Leitbilder für nachhal- tiges Wirtschaften" aus einem Verlag in Berlin zu be- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) schaffen. Das kann ich Ihnen empfehlen. Gleichwohl will ich schon eine Vorbemerkung ma- chen. Wenn Sie einmal Ihren Entwurf aus der Koali- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - tion anschauen und mit dem vergleichen, was heute Margareta Wolf [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ im Ausschuß zustande gekommen ist, dann müssen DIE GRÜNEN]: Das habe ich gelesen!) Sie erkennen, daß Sie auf den Sachverstand der Op- Auch den Artikel vom 8. Dezember 1997 aus der position nicht haben verzichten können. „Frankfurt er Allgemeinen Zeitung" mit der Über- (Jürgen Türk [F.D.P.]: Deshalb sind Sie ja schrift „Große Zukunft für das Handwerk" sollte sich eingeladen worden!) die Fraktion der Grünen einmal zu Gemüte führen. Hier heißt es - ich zitiere nur einen kurzen Teil dar- Wir hätten uns blamiert, wenn wir Ihren Entwurf hier aus -: vorgelegt hätten. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Ernst Schwanhold Die großen Leistungen des Handwerks will ich trennen. Dies ist uns gelungen, und es war auch not- nicht kleinreden. Ich will ausdrücklich unterstützen, wendig. welche besondere Bedeutung das Handwerk in der Bundesrepublik Deutschland nicht nur als Wi rt Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege -schaftsfaktor, sondern auch als stabilisierendes ge- Schwanhold, gestatten Sie Ihrem Kollegen Tauss sellschaftliches Element hat. Diese Rolle muß auch eine Zwischenfrage? für die Zukunft gestärkt werden. 30 Prozent der Be- schäftigten, inklusive derjenigen, die vom Handwerk leben, sind mit 100 Milliarden DM Wirtschaftslei- Ernst Schwanhold (SPD): Ja, ich gestatte sie ihm. stung vom Handwerk abhängig. Diese Zahlen hat der Kollege Scherhag genannt. Mir haben eifrige Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte. Mitarbeiter dies auch alles aufgeschrieben. Deshalb lasse ich diesen Teil einmal weg und Jörg Tauss (SPD): Herr Kollege Schwanhold, Sie werde ein paar Fragen stellen, die wir zu beantwor- haben gerade berechtigt darauf hingewiesen, daß ten haben: Welche Rolle wird der Große Befähi- hier auch im Zusammenhang mit der Novellierung gungsnachweis in der Zukunft spielen? Weshalb ist der Handwerksordnung Bedenken geäußert werden. die Diskussion über die Handwerksordnung notwen- Mir wurden solche Bedenken immer wieder bei- dig geworden? spielsweise von kleinen Computerläden und jungen Existenzgründern vorgetragen, die befürchten, daß Ich sage für die SPD: Wir werden am Großen Befä- im Zusammenhang mit einer Novellierung und der higungsnachweis festhalten, Verpflichtung zur Beschäftigung von Meistern ihre (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Existenz gefährdet wäre. Inwieweit wurde - wenn ich an das anknüpfen darf, was Sie eben ausgeführt weil damit die Zahl der Ausbildungsleistungen, eine haben - diesen Bedenken nun tatsächlich Rechnung qualitativ hochstehende Dienstleistung oder qualita- getragen? Können wir diese Befürchtungen, die ja tiv hochstehende Produkte und in besonderem Maße vehement geäußert worden sind, zerstreuen? auch Gesamtverantwortung für die regionale We rt -schöpfung, die durch das Handwerk viel besser ge- Ernst Schwanhold (SPD): Herr Kollege Tauss, die währleistet ist als durch alle anderen Bereiche, un- Darstellung, die Sie gegeben haben, ist exemplarisch trennbar verbunden sind. für eine Reihe von Berufen. Ich will sie aber im Be- (Beifall bei der F.D.P. - Zurufe von der reich der Elektroberufe gerne konkret beantworten. CDU/CSU: Sehr richtig! - Auch das Dort hat sich aus dem Beruf des Büromaschinenme- stimmt! ) chanikers und des Radio- und Fernsehtechnikers heraus ein komplettes Feld von Informations- und Wenn wir diesen Punkt einmal völlig unangetastet Kommunikationsgeschäften- entwickelt, die zum Bei- lassen, dann gibt es Veränderungen innerhalb des spiel erstens handeln, die zweitens Software anbie- Handwerks, die auch die Handwerksverbände zur ten, die drittens die Montage von Computern vorneh- Kenntnis zu nehmen haben. Es macht keinen Sinn, men, die viertens auch Einrichtungen innerhalb von den Versuch zu unternehmen, etwas, was sich vom Betrieben und in Privathäusern vornehmen. Handwerk wegentwickelt, über Klagen wieder zum Handwerk zurückzuholen. Man kann den Verbän- Können wir jetzt diese Entwicklung, die zu 30 000 den, den Kreishandwerkerschaften, den Handwerks- und mehr Betrieben geführt hat, dadurch bremsen, kammern und dem ZDH nur empfehlen, den Wettbe- daß wir einen neuen Vorbehaltsbereich in den bishe- werb in den unterschiedlichen Formen, in denen er rigen Berufen schaffen, damit es keine Anschlußre- sich entwickelt hat, offensiv anzunehmen und nicht gelungen für die Bet riebe der Informations- und einerseits so zu tun, als ob man nach Freiheit rufen Kommunikationstechnologie geben kann, ohne daß dürfe, und andererseits für sich selbst Schutzzäune ein Meister eingestellt wird? Ich glaube, dieser Be- zu reklamieren. reich hat sich so weit vom Handwerk entfernt ent- wickelt, daß wir ihn nicht zerschlagen dürfen und wir Dies ist ein Punkt, der in der Diskussion bei uns im- darauf achten müssen, daß die bisher bestehenden mer wieder eine Rolle gespielt hat. Ich will dies als Betriebe eine Zukunftschance bekommen. Gleichzei- Appell an das Handwerk weitergeben - nicht, um tig darf der Büromaschinenmechaniker, der in Zu- den großen Befähigungsnachweis in Frage zu stel- kunft Informationsmechaniker heißen wird len -, weil ich glaube, daß derjenige, der klagt und sich seine Reservate erhalten will, letzten Endes dem (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Informations Erhalt des großen Befähigungsnachweis am wenig- techniker!) sten dient. - Informationstechniker -, den Wettbewerb aufneh- (Beifall bei der SPD) men und sich in diesen Bereich vorwagen. Aber er bekommt keinen Vorbehaltsbereich. Der große Befähigungsnachweis muß sich auch zu- künftig verändern. Er muß sich sehr viel mehr an den (Zuruf von der CDU/CSU) Wünschen der Kunden orientieren, er muß sich auch - Entschuldigung, ich antworte jetzt dem Kollegen sehr viel mehr mit neuen technischen Veränderun- Tauss. gen auseinandersetzen und muß diese aufnehmen. Dadurch gibt und gab es eben die Notwendigkeit, Lassen Sie mich eine Bemerkung dazu machen: die Ausbildungsinhalte vom Vorbehaltsbereich zu Man kann sich auch über einzelne Elemente solch ei- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Ernst Schwanhold nes Berufes neue Berufsfelder erarbeiten. Zum Bei- nigen, die Kosmetikdienstleistungen in Anspruch spiel kann die strukturierte Verkabelung als ein Ele- nehmen, durch eine gute, gesicherte, auf eine ver- ment, das im Vorbehaltsbereich des Büromaschinen- nünftige Basis ausgedehnte Ausbildung gewährlei- mechanikers aufgeführt ist, nicht auch im Informati- stet wird und daß andererseits nicht jeder Bet rieb, ons- und Kommunikationssektor mit einem solchen der Kosmetikdienstleistungen anbietet, in Zukunft Vorbehalt belegt werden. Deshalb müssen wir in der einen Meister einstellen muß. Das wäre unverant- Begründung nachschauen, ob wir ausreichend Si- wortlich gewesen gegenüber den Ausbildungsstruk- cherheit geschaffen haben, daß beide, einerseits die turen, gegenüber den Betrieben und insbesondere bei den Industrie- und Handelskammern organisier- auch gegenüber denen, die in dieses Berufsfeld ein- ten Händler mit dem Dienstleistungsangebot, wel- steigen wollen. ches ich eben angesprochen habe, andererseits die Handwerker, ihre eigenen Chancen entwickeln, An diesem Beispiel habe ich exemplarisch deutlich ohne daß es gegenseitige Behinderungen gibt. gemacht, daß es bei der Novellierung zu Schmerzen kommt. Deshalb wollen wir sie möglichst nicht im (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Richtig!) Streit vornehmen. Es gibt weitere Berufe: die Bestat- ter, die Stuhlbauer und andere. Das ist auch für den Bereich des Druckers so zu se- hen. Dort haben wir den Buchdrucker, der auf das (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Wenn die SPD Hochdruckverfahren festgeschrieben worden ist. auf anderen Gebieten auch so vernünftig Gleichzeitig hat sich das Druckhandwerk in den Be- wäre, wäre es super!) reich des Offsetdrucks hinein entwickelt. Dieser ist Wir sind mit der Ausweitung der Vorbehaltsbereiche nicht als Bereich des Handwerks geschützt worden. sehr vorsichtig umgegangen. Wir haben nur einen Es war die Frage: Machen wir zugunsten von 1500 einzigen neuen Beruf in die Anlage A zur Hand- Betrieben, die bisher noch mit dem Hochdruckver- werksordnung aufgenommen; das ist der des Gerüst- fahren arbeiten, einen Vorbehalt, der 15 000 Offset- bauers. druckereien langfristig Schwierigkeiten bereiten und ihnen Wettbewerbschancen nehmen würde? Ich (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Und das glaube, es war verantwortlich, den Entwicklungen, mit guten Gründen!) die in diesem Bereich eingeleitet worden sind, in der Weise Rechnung zu tragen, daß wir in die Ausbil- - Dafür gibt es gute Gründe. dung des Buchdruckers, in die Ausbildung des Hoch- Ich will deshalb noch eine generelle Bemerkung druckers den Offsetdruck aufnehmen, aber nicht zur Frage machen, ob es eigentlich notwendig gewe- gleichzeitig daraus einen Vorbehaltsbereich mit dem sen wäre oder eine Chance geboten hätte, einfache Erfordernis eines Großen Befähigungsnachweises Dienstleistungen von komplizierten Handwerkslei- entwickeln. stungen dadurch zu trennen, daß wir einen Beruf in die Handwerksrolle A -und gleichzeitig einen ähnli- Meine Damen und Herren, damit sind wir in einem chen Beruf in die Handwerksrolle B aufnehmen. Wir Kernbereich, der für das Handwerk in Zukunft von haben dies als einen nicht gangbaren Weg angese- Interesse ist. Wir müssen den handwerklichen Betrie- hen, weil dadurch zwangsläufig bisher geschaffene ben dynamische Entwicklungsmöglichkeiten eröff- Strukturen zerstört und Ausbildungsplätze vernichtet nen, so daß sie sich neue Techniken erschließen. Je worden wären. eher Handwerksbetriebe diese von sich aus aufneh- men, desto weniger entsteht der Wettbewerb, den Ich mache dies am Beispiel des Gebäudereinigers wir gelegentlich durch einen Schutzzaun vermieden deutlich. Wir sind mit großen Schmerzen daran ge- haben. Ich möchte, daß die Handwerker ihre Chan- gangen und haben versucht, die völlig unsortierten cen offensiv annehmen und begreifen und daß wir 610-DM-Arbeitsverhältnisse im Bereich der Gebäu- die Vorteile, die das Handwerk in Ausbildung, in dereiniger aufzudröseln und in vernünftige Arbeits- Qualifizierung und in Verbraucherschutz bietet, verhältnisse zu überführen. Vor einiger Zeit ist der durch exzellente Leistungen aufrechterhalten und Beruf des Gebäudereinigers in die Handwerksrolle A das Handwerk im Wettbewerb und nicht durch übernommen worden. Noch immer sind 60 Prozent Schutzzäune verteidigen. Das ist die erste Bemer- der Beschäftigten des Gebäudereinigerhandwerks in kung genereller Art, die ich machen will. 610-DM-Arbeitsverhältnissen. Ich weise ausdrück- lich darauf hin, daß die Handwerker dies anders wol- Eine zweite Bemerkung: Wir haben auch eine Ver- len. pflichtung gegenüber Traditionen des Handwerks. Da hat es in den letzten 50 Jahren eine unterschiedli- (Zustimmung bei der CDU/CSU) che Entwicklung gegeben: In Ostdeutschland haben Sie wollen fest Beschäftigte. Das ist außerordentlich sich andere Berufe entwickelt als in Westdeutsch- positiv und zu begrüßen. land. Wir hatten abzuwägen, ob es unser Recht und unsere Verpflichtung ist, zugunsten einiger weniger Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Betriebe, die sich innerhalb Ostdeutschlands, inner- Koalition, ich bitte Sie sehr herzlich, diesen Wün- halb der alten DDR, zum Beispiel als handwerkliche schen der Handwerker Rechnung zu tragen, damit Kosmetikbetriebe, entwickelt haben, eine gewach- wir dort sozialversicherungsverpflichtige Arbeits- sene Struktur von einigen zehntausend Kosmetik- verhältnisse bekommen. Das aber geht nur, wenn instituten und -betrieben zu zerstören. Wir haben wir Einschränkungen bei den 610-DM-Arbeitsver- uns dafür entschieden, daß einerseits die Verbrau- hältnissen machen, damit sich nicht einzelne Unter- chersicherheit und der Verbraucherschutz für dieje nehmen, die damit relativ verantwortungslos umge- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Ernst Schwanhold hen, über Wettbewerbsverzerrungen Vorteile gegen- Meister-BAföG wieder eingeführt. Sie hatten es ge- über den Unternehmen verschaffen können, die killt; Herr Kollege Hinsken weiß dies sehr genau. gerne sozialversicherungspflichtige Beschäftigungs- (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das haben wir verhältnisse haben. Hätten wir aber in B- und A-Be- aus eigenem Antrieb wieder eingeführt! - rufe aufgeteilt, dann wäre daraus folgendes ent- Zuruf des Abg. Hartmut Schauerte [CDU/ standen: Kaum jemand hätte einen Angehörigen ei- CSU]) nes A-Berufes und damit einen Meister angestellt. Vielmehr wären die Unternehmen in Betriebe nach - Warum regen Sie sich denn so auf? Wir haben doch der Handwerksrolle B aufgesplittet worden, was einen gemeinsamen Gesetzentwurf vorgelegt. Ich dazu geführt hätte, daß die Ausbildung von vielen möchte der staunenden Öffentlichkeit nur deutlich tausend Menschen zurückgegangen wäre und daß machen, welche Krokodilstränen Sie gelegentlich man insbesondere komplett in die 610-DM-Arbeits- über Nachfolgeregelungen vergießen, obwohl Sie verhältnisse gegangen wäre. selbst dafür gesorgt haben, daß es nicht so gelaufen ist, wie es hätte laufen können. (Zurufe von der CDU/CSU: Sehr richtig!) (Beifall bei der SPD) Dies ist aus sozialpolitischen und aus handwerkspoli- tischen Gründen nicht vertretbar gewesen. Deshalb Lassen Sie mich bei den Gesellen bleiben: Es gibt haben wir auf die Aufsplittung in A- und B-Hand- Betriebe, die seit Jahren von Altgesellen geführt werksrollen verzichtet. werden, weil ein alter Meister nur formell Betriebsin- haber, aber nicht mehr in der Lage ist, den Bet rieb (Beifall bei der SPD) selbst zu führen, und dieser Meister keinen Nachfol- ger hat. Teilweise handelt es sich um Bet riebe mit 20 In diesem Zusammenhang möchte ich eine Bemer- oder 30 Beschäftigten. Die Kolleginnen und Kolle- kung zum Antrag der Grünen machen. Der Antrag gen, die dort arbeiten, leisten eine vorzügliche Ar- der Grünen ist eine Verkleisterung der tatsächlichen beit, und die Kunden sind damit zufrieden. Ist es Aufgabe des Großen Befähigungsnachweises. richtig, wenn dieser Meister nun stirbt oder sich zu- rückzieht, daß die Handwerkskammern dem Gesel- (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Da hat er len dann sagen, er könne diesen Bet rieb nicht weiter- recht!) führen, obwohl sich dafür kein Meister findet? Oder Frau Kollegin Wolf, Sie wissen dies sehr genau. Sie müssen wir nicht eine Brücke bauen, damit solche wollen ihn für einige Berufe, nämlich die gefahren- Betriebe, auch gebunden an diesen Gesellen, weiter- bewehrten Berufe, aufrechterhalten, wobei Sie ganz geführt werden? genau wissen, daß die Gefahrenbewehrung schon in (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD]) der Vergangenheit überhaupt kein Kriterium der Handwerksordnung gewesen ist. Anderenfalls müßte Diese Brücke haben wir- gebaut, und dennoch sieht man da noch ganz andere Berufe hineinnehmen. Sie die Praxis der Handwerkskammern und der Kreis- wollen über dieses Vehikel verkleistern, daß Sie ins- handwerkerschaften anders aus. Wir haben uns gesamt die Handwerksordnung aushebeln wollen. über viele Bereiche gerade aus Ihrem Gebiet, Herr Hinsken, dem Trockenbau, unterhalten. Ich will des- (Beifall bei der CDU/CSU - Ernst Hinsken halb noch einmal den Appell an diejenigen richten, [CDU/CSU]: Genauso ist es!) die dort tätig sind: Geben Sie auch denen eine Chance, die qualifiziert sind und denen man nicht Dies werden wir aus den Gründen, die ich anfangs mehr zumuten kann, die Meisterprüfung abzulegen, genannt habe, nicht mitmachen. Aber ich bin ziem- eine Chance für den Fortbestand des Bet riebes und lich sicher, daß wir bis zum Herbst 1998 - dann wer- für den Fortbestand der Arbeitsplätze. den wir intensiver darüber zu reden haben - soviel Einsicht produziert haben werden, daß Sie unseren (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Weg mitgehen werden. 300 000 kleine und mittlere Bet riebe werden in den Lassen Sie mich noch auf die Fragen eingehen, wie nächsten drei Jahren einen Betriebsnachfolger wir eigentlich im europäischen Kontext mit der suchen. Eine Umfrage bei den Handwerksbetrieben Handwerksordnung umgehen und welche Möglich- in Bayern hat ergeben, daß sehr viele natürliche keiten wir schaffen, daß sich auch langjährig er- Nachfolger, nämlich die Söhne oder die Töchter, die probte Gesellen, die über ein hohes Fachwissen ver- Handwerksbetriebe nicht übernehmen wollen. fügen, in bestimmten Bereichen selbständig machen (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Wegen können und wir nicht Betriebe in den Ruin hinein- Ihrer Steuern!) treiben, weil es keinen Meister gibt, zumal die von Ihnen zwischenzeitlich einmal abgeschaffte Förde- rung für den Meister zu einer Meisterlücke geführt Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Gestatten Sie hat, so daß wir heute nicht genügend Meister haben. dem Kollegen Hinsken eine Zwischenfrage?

(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Wir haben Ernst Schwanhold (SPD): Aber selbstverständlich. das Meister-BAföG überhaupt erst einge führt!) Ernst Hinsken (CDU/CSU): Herr Kollege Schwan- - Herr Kollege Schauerte, regen Sie sich nicht auf! hold, darf ich Sie bitten, sich daran zu erinnern, daß Auf Grund unserer Interventionen haben Sie das wir im Jahre 1993 bei der Neufassung der Hand- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997 Ernst Hinsken werksordnung mit Ihrer Mithilfe erreicht haben, daß ein Gesetz so engstirnig interpretiert werden kann, Altgesellen, die gewisse Voraussetzungen erfüllen, daß gut funktionierende Bet riebe kaputtgemacht in die Lage versetzt werden, einen Bet rieb weiterzu- werden. führen, ohne die Meisterprüfung absolvieren zu müs- sen? Wir haben schon damals richtig gehandelt, und (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ich weise es entschieden zurück, wenn hier behaup- Dies scheint ein wirklich ernstes Problem zu sein, tet wird, das würde von einigen Kammern unterlau- und die Handwerkskammern wären gut beraten, fen. wenn sie uns für die nächste Legislaturperiode oder (Beifall bei der CDU/CSU) für eine fernere Zukunft Vorschläge dazu unterbrei- ten würden, wie wir auf einen sicheren Pfad kom- men, damit auch Betriebsübergänge möglich sind Ernst Schwanhold (SPD): Lieber Kollege Hinsken, und Arbeitsplätze erhalten werden. Sie wissen sehr genau - ich bin gern bereit, Ihnen diese Fälle vorzulegen -, daß das, was den Gesetzes- (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Die Vorschläge text angeht, zwar richtig ist, aber daß wir im Richter- liegen vor! Sie und Ihre Kolleginnen und recht andere Entwicklungen haben. Ich kann Ihnen Kollegen müssen sie nur umsetzen!) Belege dafür bringen, daß Bet riebe, die so geführt Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen, worden sind, wie ich es gerade beschrieben habe, verehrter Herr Kollege Hinsken: St ringent sind wir in auf Grund einer richterlichen Anordnung stillgelegt unserer Argumentation nicht gewesen, und dennoch worden sind. stehen wir dazu. Wir haben zum Beispiel im Bereich Ich appelliere an die Handwerkskammern und an des Daches zugelassen, daß Dachdecker und Zim- die Handwerker, mit mehr Toleranz an diese Pro- merleute in etwa die gleiche Arbeit ausführen. Das bleme heranzugehen, weil sie sonst am Ende ihren war gut und richtig, weil sich das regional so heraus- eigenen Berufsstand und ihre eigene Zukunft gefähr- gebildet hat und weil in bestimmten Bereichen auch den. die Technik soweit ist, daß man dafür nicht einen ei- genen ausschließlichen Befähigungsnachweis benö- (Beifall bei der SPD) tigt. Sie werden mir in diesem Zusammenhang aber Das ist der Punkt, auf den ich hinweisen möchte. Daß auch die Frage gestatten, ob es wirklich sinnvoll war, Sie, Herr Kollege Hinsken, das politisch wollen, steht im Zuge dieser Debatte den Bäcker und den Konditor außer Frage. als zwei getrennte Handwerke zu belassen. Lassen Sie mich noch bei der Nachfolgeregelung (Heiterkeit - Ernst Hinsken [CDU/CSU]: bleiben. Es gehört zur Verantwortung eines jeden Das war sehr wichtig!) Unternehmers, in seinem Unternehmen seinen eige- Ich danke Ihnen für die Geduld, meine sehr verehr- nen Nachfolger heranzuziehen. Das steht außer - ten Damen und Herren. Frage. Aber eine Umfrage bei den bayerischen Handwerkern hat ergeben, daß 70 Prozent der Kin- (Beifall bei der SPD) der den Betrieb nicht übernehmen wollen. (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Wegen der Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die hohen Steuern!) Kollegin Margareta Wolf, Bündnis 90/Die Grünen. Wir werden bis zum Jahre 2001 noch rund 1 Million Arbeitsplätze verlieren, weil wir nicht in genügender Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE Zahl Betriebsnachfolger haben. GRÜNEN): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da- men und Herren! Herr Kollege Scherhag, als ich Sie (Karl-Heinz Scherhag [CDU/CSU]: Ihr dis vorhin gehört habe, habe ich gedacht, es ist wirklich kriminiert doch dauernd die Selbständigen! gut, daß ich nicht im Mittelalter geboren bin und wir Das ist doch das Problem!) nicht im Mittelalter diskutieren; denn sonst hätten Das gilt nicht nur für das Handwerk, sondern für die Sie mich wahrscheinlich zur Hexenverbrennung kleinen und mittleren Betriebe insgesamt, aber es ist empfohlen. ein ganz besonderes Problem des Handwerks. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Dafür sind Sie (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Leider wahr!) viel zu hübsch!) Wir werden in diesem Zeitraum durch Neugründun- - Danke, Herr Hinsken. - Aber, Herr Scherhag, Sie gen nicht annähernd so viele Arbeitsplätze schaffen haben vorhin auf die positive Resonanz der Medien können, weil auch noch ein paar Pleiten hinzukom- hingewiesen. Ich kann Ihnen aus dem Gedächtnis sa- men. gen - ich habe das jetzt leider nicht dabei -: Die Zei- tung „Impulse" hat sich in einem Titelthema damit Angesichts von 4,5 Millionen Arbeitslosen zum ge- beschäftigt und gesagt, Ihr Gesetzeswerk sei ver- genwärtigen Zeitpunkt - wenn man richtig hin- staubt. Der BDI, der DIHT und die „FAZ" haben sich schaut, stellt man fest, daß es neben den registrierten damit beschäftigt, und alle haben sie in ein ähnliches Arbeitslosen noch ein paar mehr gibt - müssen wir, Horn gestoßen. liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, schon sehr viel mehr Gehirnschmalz darauf verwenden, (Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: wie wir Arbeitsplätze in diesem Land erhalten, und Danach müssen Sie sich aber auch sonst dürfen nicht ausschließlich darüber nachdenken, wie richten!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Margareta Wolf (Frankfurt) - Behalten Sie mal die Ruhe! - Auch damit muß man ausgerechnet das Beispiel mit Südafrika an? Ich wi ll sich einmal auseinandersetzen. Ihnen ganz offen sagen: Natürlich kommen aus der ganzen Welt Leute zu uns, die sagen, daß sie ir- Zu Ihnen, verehrter Herr Kollege Schwanhold: Sie gendwo einen Meisterbetrieb geführt haben. Aber es sagen, ich wolle durch die Hintertür den Meister- gibt ja anderswo keine Meisterbetriebe in der Form, brief abschaffen. Ich will überhaupt nichts durch die wie wir sie in Europa haben. Deswegen erzählen Sie Hintertür! Aber ich nehme doch an, daß wir beide zu- hier bitte keine Dinge, die nicht in Ordnung sind. sammen in 1998 eine größtmögliche europäische Harmonisierung von Gesetzen, Verordnungen und (Otto Schily [SPD]: Ist das eigentlich eine auch von Gewerberecht und Steuern anstreben. Ich Frage oder eine Kurzintervention?) bin da ganz guten Mutes, daß wir einen Weg finden werden. - Das ist keine Inte rvention. - Ich frage Sie, ob Sie Noch ein Stichwort zum Anfang. Herr Hinsken, Sie das wirklich nicht wissen oder ob Sie das wider bes- haben vorhin gesagt, seit 1993 sei der Übergang von seres Wissen hier verkündet haben. alteingesessenen Gesellen in die Rolle der Leiter von Betrieben möglich. Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das haben wir GRÜNEN): Herr Kollege Scherhag, ich habe über- ins Gesetz geschrieben!) haupt kein Interesse daran, hier etwas wider besse- res Wissen zu verkünden. Dieser von mir angespro- - Das haben Sie ins Gesetz geschrieben, wunderbar. chene Herr - ich kann Ihnen morgen gerne die - Aber Sie glauben gar nicht, wie viele Anrufe ich in Adresse und die Telefonnummer geben, und Sie kön- den letzten Wochen und Monaten bekommen habe. nen ihn anrufen - hat mir seinen Fa ll schriftlich und Ich nehme auch an, daß Herr Schwanhold nicht ohne mündlich geschildert. Ich weiß in der Tat, daß seit Grund gesagt hat, daß die Realität eine andere sei. 1966 Handwerker, die im europäischen Ausland Ich habe heute morgen - dieses Beispiel ist mir sechs Jahre am Stück gearbeitet haben und dann jetzt noch präsent - einen Anruf von einem Fliesenle- nach Deutschland zurückkommen, sich hier selb- ger bekommen, der 59 Jahre alt ist. 44 Jahre war die- ständig machen können, ohne daß der Meisterbrief ser Mann Fliesenleger, in Amerika und in Südafrika. die Voraussetzung dafür ist. Das finde ich gut, richtig Dieser Fliesenleger hat zum Beispiel das Haupthaus und wichtig. Sie weiten das jetzt in Ihrem Gesetzent- der Firma VW mit Marmorfliesen belegt. wurf auch auf Nicht-EU-Ausländer aus. Aber, Herr Kollege Scherhag, haben Sie sich auch schon einmal (Zuruf von der F.D.P.) überlegt, daß das Inländerdiskriminierung ist und - „VW" hätte ich nicht sagen dürfen; ist in Ordnung. - daß das viele Gesellen, die keinen Meisterbrief ha- ben, verärgert? (Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: VW ist immer in Ordnung!) (Zuruf des Abg. Karl-Heinz Scherhag [CDU/CSU]) Jetzt ist er seit fünf Jahren zurück in Hofgeismar. Für das gesamte nächste Jahr hat er Angebote von vielen - Doch, das wird so begriffen. Diskutiert doch einmal Automobilfirmen in Hessen. Nun hat man ihn damit mit den Leuten! - Sie sagen: Wir stehen unter hohem konfrontiert, daß er seinen Bet rieb nicht weiter leiten Wettbewerbsdruck; die dürfen hier was, was wir dürfe. Man hat ihm gesagt, er müsse eine Hand- nicht dürfen. Das sagen mir gerade jüngere Hand- werksmeisterprüfung nachmachen. Das hat er auch werker. Diese Geschichte stimmt. Ich faxe Ihnen das versucht und ist durchgeflogen. Jetzt stehen sie bei morgen zu, und Sie können dann gerne mit dem ihm vor der Tür und sagen: Den Laden mußt du Herrn reden. Ich habe an die Handwerkskammer dichtmachen. Dieser Mann bezieht heute Sozialhilfe. Kassel geschrieben und hoffe, daß man dort eine Er ist 59 Jahre alt. Das geht - das wissen wir alle - Ausnahmegenehmigung erwirken kann. Menschen in diesem Alter tatsächlich an die Ehre. Jetzt möchte ich gerne zusammenhängend vortra- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Kollegin gen, weil ich nur noch vier Minuten habe. Sie, ver- Wolf, gestatten Sie dem Kollegen Scherhag eine Zwi- ehrte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition schenfrage? und von der SPD, würden doch mit mir dahin gehend übereinstimmen, daß der Prozeß der Erarbeitung Ih- res Gesetzentwurfs überaus große Erwartungen nach Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE sich zog. Sie würden vielleicht auch mit mir überein- GRÜNEN): Gerne. stimmen, daß man nach zwei Jahren - es war sehr mühselig -, in denen Sie Verbände angehört haben Karl-Heinz Scherhag (CDU/CSU): Frau Kollegin und in denen Sie unzählige Sitzungen hatten, tat- Wolf, Sie wissen doch, daß wir nach EG-Recht die sächlich mehr Ergebnisse erwarten könnte. Aufwand Möglichkeit haben, daß jemand, der nachweist, fünf und Ertrag, so möchte ich behaupten, stehen hier in Jahre einen Betrieb geführt zu haben, hier ohne Mei- keinem vernünftigen Verhältnis mehr. Sie beschrän- sterprüfung arbeiten kann. Wir haben innerhalb der ken sich auf kleine Strukturveränderungen - die ich EG und in der Bundesrepublik auch die Regelung, übrigens in der Tat richtig und sinnvoll finde - und daß jemand, der das 50. Lebensjahr vollendet hat, die Zusammenlegung von Gewerken. Das ist alles eine Meisterprüfung nicht nachmachen muß. Das hat schon erwähnt worden. Aber im Endeffekt, Herr Kol- Herr Hinsken eben schon gesagt. Warum führen Sie lege Schwanhold, bleibt eigentlich alles so, wie es ist. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Margareta Wolf (Frankfurt) Auf Grund der Zwischenfrage des Kollegen Tauss mit die Grundlage geschaffen ist, für das spätere Le- haben Sie die Computerbranche angesprochen. Ich ben auch das notwendige Fundament zu haben? fand es bemerkenswert, daß Sie auf diese Frage sehr lange geantwortet haben. Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Er hat aber kor GRÜNEN): Herr Kollege Hinsken, ich bin immer rekt geantwortet!) gerne bereit, von Ihnen etwas zur Kenntnis zu neh- men. Sie spielen jetzt vermutlich auf den betriebs- Das ist auch wirklich ein riesengroßes Problem. In wirtschaftlichen Aspekt an, Stichwort Insolvenzrate. dem ursprünglichen Entwurf war vorgesehen, auch Können Sie mir umgekehrt erklären - das beantwor- in der Computerbranche den Meistertitel vorzu- tet, glaube ich, auch Ihre Frage -, warum Sie sich als schreiben. Das wären 30 000 bis 50 000 Bet riebe ge- Bäcker nur mit einem Meistertitel selbständig ma- wesen, von denen wir immer sagen, sie bilden für die chen können, der Koch hingegen ohne Meistertitel Zukunft aus. Der Kollege Kolb hat sich, wie ich weiß, ein Restaurant aufmachen kann, in dem er minde- mit dieser Branche einige Scharmützel im Internet stens ebenso hohe betriebswirtschaftliche Anforde- geliefert. Diese Scharmützel haben Sie offensichtlich rungen erfüllen muß wie Sie als Bäcker? Koch ist bei dazu veranlaßt, diese Branche wieder herauszuneh- uns heute kein meisterpflichtiger Beruf. Sie können men. Denn Sie konnten auf die Fragen der Compu- sich einfach nach der Lehre selbständig machen. Da- terleute tatsächlich keine Antwort geben. Sie sind bei haben Sie mindestens so hohe betriebswirtschaft- immer davon ausgegangen, daß es eine Trennung liche Aufwendungen wie der Bäcker. Im übrigen ist und nicht einen fließenden Übergang zwischen Soft- die Insolvenzrate in Frankreich, wo wir nicht diesen ware und Hardware gibt. Diesen aber gibt es ständig, Zwang haben, sondern die Freiwilligkeit der Meister- wie Sie merken, wenn Sie mit den Leuten reden. - prüfung, auch die Freiwilligkeit für den Zugang zu Ich bin ja immer froh, wenn man etwas einsieht. dieser Ausbildung, nicht überproportional hoch. Aber ich denke, das schlagendste Argument ist tat- (Ernst Schwanhold [SPD]: Mit unserer sächlich das des Kochs. Hilfe!) (Zuruf von der CDU/CSU: Das mit Frank - Ach, bitte, Ernst! Die Koalition hat schon so viel von reich stimmt nicht!) dir gelernt; warum muß ich jetzt auch noch etwas von dir lernen? - Natürlich stimmt das. Koch ist kein meisterpflichti- ger Beruf, und es gibt viele Starköche, etwa Herrn (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ Witzigmann - Sie gehen dort doch vermutlich auch DIE GRÜNEN und bei der SPD) essen -, die wunderbare Restaurants führen, wo man nicht nur gut essen kann, sondern die sich auch rech- Unsere These ist, daß die Voraussetzungen für die nen. Zulassung zum deutschen Handwerk zu hoch sind. - In keinem anderen europäischen Land ist der Zu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - gang zum Handwerk so schwierig wie in der Bundes- Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU] meldet sich republik. Sie wollen mir doch nicht sagen, daß in an- zu einer Zwischenfrage) deren europäischen Ländern, etwa in der Schweiz - wir können sie alle durchgehen -, die Voraussetzun- - Sie reden ja noch, Herr Hinsken. gen so hoch sind! Ausschließlich in Luxemburg und (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Aber Sie neh in Deutschland haben wir so hohe Voraussetzungen men mir soviel von meiner Zeit weg, wenn für den Zugang zum Handwerk. ich das alles beantworten muß!) (Zuruf von der F.D.P.: Aber die beste Quali Meine sehr verehrten Damen und Herren, würde tät!) sich von den rund 6 Millionen unselbständig Be- schäftigten im Handwerk, die wir heute haben, nur Wir behaupten, daß das tatsächlich Existenzgrün- jeder Hundertste selbständig machen und jeweils 3 dungen erschwert. In Zeiten so hoher Arbeitslosig- bis 4 Leute einstellen, könnten im Handwerk bis zu keit - Sie haben darauf hingewiesen - muß man auch 250 000 neue Arbeitsplätze entstehen. einmal eine Antwort auf die OECD-Studie geben. Die OECD-Studie besagt, 500000 neue Selbständige Die Zulässigkeit der Meisterpflicht im Handwerk wären tatsächlich möglich, wenn in Deutschland das wird von ihren Befürwortern immer mit dem Urteil Gewerberecht nicht so überreguliert wäre. des BVG von 1961 begründet. Das Bundesverfas- sungsgericht hat allerdings schon 1961 darauf hinge- wiesen, daß die Meisterpflicht Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Kollegin Wolf, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage? - nur so lange gerechtfertigt ist, wie einfachere Bitte, Herr Hinsken. Möglichkeiten zur Sicherung dieses besonders wichtigen Gemeinschaftsgutes nicht bestehen, nicht geschaffen werden können oder zu seiner Ernst Hinsken (CDU/CSU): Frau Kollegin Wolf, Sicherung nicht ausreichen. wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die

Insolvenz - oder Betriebsaufgaberate gerade im Wir meinen, daß dieses einfachere und genauso wir- Handwerksbereich deshalb so niedrig ist, weil die kungsvolle Mittel bereits existiert. Es ist die Gesel- Meisterprüfung zu erbringen ist, um überhaupt den lenprüfung. Mit ihr werden Kenntnisse erworben, die Weg in die Selbständigkeit gehen zu können, und so für die sichere und qualitativ hochwertige Ausfüh- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Margareta Wolf (Frankfurt) rung zumindest einfacher Arbeiten völlig ausrei- beitsgerüste von den jeweiligen Gewerken natürlich chend sind. Wir wollen den Meisterbrief, wie ich weiterhin selbst aufgestellt werden können. finde, stärken. Wir wollen, daß es ihn weiter gibt, aber auf freiwilliger Basis. Daß die Kosmetik - mein Spezialthema, das darf ich nicht vergessen - entsprechend den ostdeutschen (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Wie soll das Erfahrungen nicht in die Anlage A aufgenommen denn funktionieren?) wird, bedauere ich. Nicht weil es mir und anderen um den Aufbau einer weiteren Hürde gegangen - Sie kommen ja noch zu Wort. wäre, sondern weil es in diesem Bereich immerhin Ich denke, daß die französische Entwicklung, wo um die Haut und unter die Haut geht und damit um Handwerker die freiwillige Meisterausbildung zu- Qualitätsarbeit und Nachwuchssicherung. Aber ge- nehmend als Gütesiegel nutzen, tatsächlich ein posi- nau das kann und muß jetzt durch eine einheitliche tives Beispiel ist. Ich meine, Handwerker sollten ent- Ausbildungsordnung unter Einbeziehung der Kos- scheiden können, ob sie die Meisterausbildung metikschulen aller Eigentumsformen, worauf wir uns durchlaufen. Das gilt nicht für die gefahrengeneigten verständigt haben, erreicht werden. Dadurch wird Handwerke, damit wir uns nicht falsch verstehen. Sie dieser Bereich auch für jüngere Auszubildende ge- sollten selber entscheiden, ob sie das umfassende öffnet. Qualitäts- oder Gütesiegel „Meisterbrief" tragen Richtig war auch, die ostdeutschen Glasbläser ein- oder ob sie sich auf einfachere handwerkliche Tätig- zuordnen, genau wie die Pfefferküchler in das Bäk- keiten konzentrieren und spezialisieren. Wir wissen kerhandwerk, die auch weiter den Titel „Pfeffer- alle, daß diese einfachen Tätigkeiten tatsächlich im- küchler" führen dürfen, sozusagen als Markenzei- mer mehr zunehmen. chen. Damit tragen wir bewußt auch der Tradition Meine Damen und Herren, abschließend möchte Rechnung. Sinnvoll ist meines Erachtens auch, daß ich sagen: Wir werden ja vermutlich in den Aus- innerhalb der verbreiterten Handwerke eine Schwer- schüssen noch darüber diskutieren. Ich glaube, daß punktsetzung bei der Meisterprüfung zugelassen nicht durch Abschottung, sondern nur durch Öffnung wird. das deutsche Handwerk vor dem Hintergrund des Ebenfalls wichtig ist die Klarstellung, daß durch europäischen Binnenmarktes tatsächlich bestehen die Zusammenlegung des Büroinformationselektro- kann. nikers und des Radio- und Fernsehtechnikers zum (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Genau das Informationstechniker der Vorbehaltsbereich nicht machen wir!) auf den EDV- und Datenverarbeitungsbereich ausge- dehnt wird. Ich wünsche uns weiter eine so leidenschaftliche De- batte. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Richtig, ja wohl!)- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS) Der Existenzgründer, der mich kürzlich anrief, kann also getrost sein Gewerbe PC-Service und -Handel wie bisher anmelden und ausüben. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat jetzt der Kollege Jürgen Türk von der F.D.P. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist es!) Im Bereich des Drucks und der Erstellung von Jürgen Türk (F.D.P.): Sehr geehrter Herr Präsident! Druckvorlagen wird es ebenfalls nicht zu einer Aus- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die F.D.P. kann dehnung des Vorbehaltsbereiches auf den Offset- und will ich sagen: Die intensive Arbeit der parla- druck und die neuen Medienberufe kommen. mentarischen Arbeitsgruppe aus Koalition und SPD hat sich gelohnt, (Vorsitz : Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch) (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr wahr!) Ich glaube, das ist auch vernünftig so. Die Begrün- dung dafür ist folgende: Diese Tätigkeiten, zum Bei- und zwar für das Handwerk und für den Kunden. spiel auch die strukturierte Verkabelung von Compu- Das möchte ich hier als verbraucherpolitischer Spre- teranlagen, sind für ein bestimmtes Handwerk nicht cher betonen. wesentlich - so ist das definiert -, und deshalb ist hier (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) auch keine Meisterprüfung erforderlich. Es ging darum, die Struktur der Handwerksberufe Ansonsten steht die F.D.P. zum Großen Befähi- den wirtschaftlichen und technischen Entwicklungen gungsnachweis. Begründet wurde das heute schon anzupassen - das ist ja nichts Ehrenrühriges - die Be- genug. Warum soll abgeschafft werden, was sich zur weglichkeit am Markt zu erhöhen und das Leistungs- Qualitätssicherung und Lehrausbildung bestens be- angebot aus einer Hand zu verbreitern. Im Ergebnis währt hat? dessen konnte von derzeit 127 Handwerken in der (Beifall bei der F.D.P.) Anlage A eine Konzentration auf 93 erreicht werden, insbesondere auch durch Verbreiterung des Lei- Das Handwerk hat gerade hier Überdurchschnittli- stungsangebots. Neu aufgenommen wird lediglich ches geleistet. Ich glaube, daß diese Leistungen ei- das Gerüstbauhandwerk - es wurde schon gesagt: nen positiven Faktor für den Standort Deutschland aus guten Gründen -, wobei gesichert bleibt, daß Ar darstellen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Jürgen Türk Noch ein Wort zum Antrag von Bündnis 90/Die hebbaren 93. Verordnung zur Änderung der Aus- Grünen - Frau Wolf hat sich offenbar schon verab- fuhrliste. Wir reden über einen Bereich, der im Ar- schiedet -, in nicht gefahrengeneigten Berufen auf beits- und Lebensstandort Deutschland eine große den Großen Befähigungsnachweis zu verzichten: Im Rolle spielt. Die Zahlen sind vorhin genannt worden, Antrag wird vorgeschlagen, daß Gesellen sich nach ich muß sie nicht wiederholen. Ich sage aber auch: dreijähriger Berufsausübung in die Handwerksrolle Genau diese Schlamperei, die gestern abend mit die- eintragen können und nach zwei Jahren selbständi- ser zu späten Auslieferung eingetreten ist, ist nur der ger Arbeit und einem Ausbildungseignungsnach- vorläufige Höhepunkt einer konsequenten Fortset- weis Lehrlinge ausbilden dürfen. Hier stellt sich die zung der monatelangen Diskriminierung der PDS Frage, warum der geforderte Nachweis nicht mit Gruppe. dem Meisterabschluß enden kann, wie wir es derzeit Ich möchte hervorheben: Auch wir haben vielfäl- haben. tige Kontakte zu den Betroffenen; auch wir hätten (Zuruf des Abg. Jörg Tauss [SPD]) konkrete Anregungen zur Anpassung der Berufszu- lassungsbilder geben können: erstens zu bereits ein- Auf keinen Fall darf die bet riebswirtschaftliche getretenen und weiter absehbaren Veränderungen Ausbildung unter die Räder kommen, denn ohne in der Arbeitswelt, zweitens zur größeren Flexibilisie- diese wird die gerade gegründete Existenz wenig rung von Dienstleistungsangeboten aus einer Hand Chancen haben. Ich nenne hier das Stichwort Insol- sowie drittens zur Vermittlung von in unterschied- venzrate. Wir brauchen also eine gute Ausbildung, lichsten späteren Tätigkeitsfeldern anwendbaren Fä- um die Insolvenzrate nicht in die Höhe schnellen zu higkeiten und Fertigkeiten im Rahmen der Berufs- lassen. ausbildung in Handwerksbetrieben. Daß für die Industriemeister der Weg in die Selb- Anders als die Kolleginnen und Kollegen von den ständigkeit vereinfacht wird, wird ebenfalls zu mehr Bündnisgrünen, die einen eigenen Gesetzentwurf Existenzgründungen führen. Allerdings sollte sich vorgelegt und deshalb nicht mitgearbeitet haben, das Handwerk, gerade weil jetzt unweigerlich der hätten wir uns dieser Aufgabe auch nicht entzogen. europäische Binnenmarkt auf uns zukommt, Gedan- Aber wir wurden nicht gefragt. Ich fordere Sie auf, ken darüber machen, ob Ausbildungsinhalte den meine Damen und Herren: Nennen Sie mir einen ver- jeweiligen Anforderungen entsprechen und Ausbil- nünftigen Grund, warum wir als Gruppe der PDS in dungszeiten gestrafft werden können. Wir wollen diesen Fragen nicht mitberaten durften. diese Zeiten verkürzen, damit Leute schneller Exi- stenzen gründen können. Die Novellierung der Hand- (Dr. Dagmar Enkelmann [PDS]: Ja, das werksrolle ist dafür jedenfalls eine gute Grundlage. möchte ich auch einmal wissen!) Vielen Dank. Nennen Sie mir einen vernünftigen Grund, warum wir jede Information tröpfchenweise- aus dem Wi rt (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - -schaftsministerium abrufen mußten und so immer im Ernst Schwanhold [SPD]: Frau Wolf ist übri Rückstand waren. Ich bin der Auffassung: Es gibt gens wieder da!) keinen vernünftigen Grund. - Soll ich es deswegen wiederholen? - Ich denke, (Beifall bei der PDS - E rnst Hinsken [CDU/ nein. CSU]: Ihr konntet ja im Ausschuß gut mitar beiten!) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das Fakt ist jedenfalls, Herr Kollege Hinsken, daß sich Wort dem Abgeordneten Rolf Kutzmutz. der Zentralverband des Deutschen Handwerks uns gegenüber wesentlich kooperativer zeigte als die Rolf Kutzmutz (PDS): Herr Präsident! Meine Da- Fraktionen des Hauses oder das zuständige Ministe- men und Herren! Vor dem Hintergrund des Wo rt rium. -wechsels der Einbringer dieser Vorlage - sofern ich (Ernst Schwanhold [SPD]: Sie haben mich ihn vorhin richtig mitbekommen habe - empfinde ich nicht einmal gefragt in den zwei Jahren, es als Skandal, daß diese große Koalition, die über Herr Kollege Kutzmutz!) Monate an dieser Sache gearbeitet hat, - Herr Kollege Hinsken ist mein Zeuge; auch ihn (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Über Monate? habe ich gefragt. Wir haben erst durch die Veröffent- Zwei Jahre!) lichung erfahren, daß diese Sache überhaupt läuft. - Jahre, das ist ja noch schlimmer, Herr Hinsken - (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Was haben Sie erst gestern abend um 17 Uhr in der Lage war, den mich gefragt?) Gesetzentwurf auszuliefern. - Ich habe Sie gefragt, warum wir nicht mitarbeiten (Zuruf von der CDU/CSU: Was?) dürfen. Da haben Sie mich auf Herrn Kolb verwiesen - Ja, gestern um 17 Uhr; vielleicht war es auch 35 Mi- - Sie werden sich sicherlich daran erinnern - und ge- sagt, daß ich die Informationen ja do rt abrufen nuten früher. könne. (Zuruf von der CDU/CSU: Montag!) (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Hier waren die Wir reden hier nicht über die Festsetzung der Ver- großen Fraktionen beteiligt! Sie sind eine marktungsnormen für Avocados im Rahmen der auf Gruppe!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Rolf Kutzmutz - Ja, die großen Fraktionen waren beteiligt, aber das und Orthopädieschuhmacher erweitert werden. Fer- ändert nichts an der Tatsache, daß eine Gruppe nicht ner ist für uns die eindeutige Festschreibung der be- beteiligt war. standenen Ausbilder-Eignungsprüfung als Voraus- setzung für den Eintrag in die Handwerksrolle bei Ich erwarte, daß die anstehenden Beratungen in den übrigen Gewerken unverzichtbar. den Ausschüssen nicht nur als Formalität zur Abseg- nung der Ergebnisse einer außerparlamentarischen Wir befürworten den Vorschlag der Bündnisgrü- interfraktionellen Arbeitsgruppe benutzt werden, nen, im übrigen die Ausbildungsberechtigung für sondern daß wirklich beraten wird. Nicht-Meisterbetriebe an deren zweijährige ununter- Aus den gegebenen Gründen waren wir natürlich brochene Existenz zu koppeln. noch nicht in der Lage, den Antrag der großen Koali- tion bis in alle Einzelheiten durchzuarbeiten. Aufge- fallen ist mir, daß Ihre plötzliche Eile offenkundig Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege! dem Auslaufen der Zulassungsfrist für DDR-Indu- striemeister als Handwerker zum Jahresende ge- schuldet ist. Da es bei der künftigen Unbefristung so- Rolf Kutzmutz (PDS): Letzter Satz , Herr Präsident! wieso eine rückwirkende Regelung geben muß, er- scheint es mir nicht als ein Beinbruch, die Novelle im Auf diesem Wege könnten sich Potenzen im Hand- werk für mehr Beschäftigung und qualitativ hoch- übrigen nicht wie geplant im April, sondern erst im wertige Dienstleistungen viel besser als bisher er- Juni 1998, dann aber nach ordentlicher parlamentari- schließen lassen. Heute früh wurde gemeldet: Die scher Beratung, in Kraft zu setzen. Novelle steht. Ich glaube aber, daß wir in den Aus- Ein Hauptstreitpunkt in dieser Debatte ist offen- schüssen noch genügend Zeit haben, sie weiter zu kundig die Bestimmung von Grenzen des Hand- beraten. werk-Vorbehaltes. Wir lassen uns dabei in erster Li- nie von der Notwendigkeit einer Qualitätssicherung Danke schön. für Ausbildung und Leistungsangebot in nichtindu- strieller gewerblicher Tätigkeit leiten. Dies scheint (Beifall bei der PDS - Ernst Hinsken [CDU/ uns ein Gebot sowohl der Erhaltung und des Aufbaus CSU]: Donnernder Applaus!) des Arbeitsstandortes Deutschland als auch des Ver- braucherschutzes zu sein. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe nun (Beifall bei der PDS) dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Hein rich Ich betone aber nochmals: Für uns geht es um nicht- Kolb das Wort . industrielle gewerbliche Tätigkeit. Die Meisterschaft soll für das Werk der Hände beurkundet werden und Parl. Staatssekretär beim Bun- für nichts anderes. Dr. Heinrich L. Kolb, desminister für Wirtschaft: Herr Präsident! Liebe Kol- Auf ein zweites Problem, welches meines Erach- leginnen und Kollegen! Wir gehen mit der heute vor- tens im Mehrheitsentwurf noch nicht berücksichtigt liegenden Novelle den zweiten Schritt auf dem Weg ist, machte Frau Kollegin Wolf aufmerksam: die ge- zu einem modernen und zukunftsfähigen Handwerk. genwärtig noch vorhandene Diskriminierung von Den ersten Schritt sind wir 1994 gegangen, als wir Deutschen gegenüber EU-Ausländern bei der Eintra- damals dem Handwerk im Rahmen einer Novellie- gung in die Handwerksrolle. rung des § 5 Handwerksordnung ermöglicht haben, anläßlich der Erledigung eines Auftrages dem Kun- (Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt doch gar den ein breites Angebot aus einer Hand zu unterbrei- nicht!) ten. Dies ist ein Problem, das sich nach Vollendung des Binnenmarktes massiv zuspitzen könnte. Ich denke Mit der zweiten Novelle, mit der 98er Novelle - dabei nur beispielhaft an Filialisten ausländischer wenn ich so sagen darf -, werden wir diese Entwick- Augenoptiker. lung fortsetzen. Wir greifen damit auch einen Restan- ten aus der 12. Legislaturperiode auf. Damals hat uns Die Lösungen dieser beiden Probleme sind für uns der Wirtschaftsausschuß aus Anlaß der 94er Novelle Schlüsselfragen einer Novellierung der Handwerks- ins Stammbuch geschrieben, die Bearbeitung der ordnung. Gerade sie scheint mir aber im Mehrheits- Anlage A der Handwerksordnung anzugehen. Es entwurf noch auszustehen. Grundsätzlich können war nur folgerichtig, daß sich seit Beginn dieser Le- wir uns dabei Veränderungen im Sinne des von gislaturperiode eine Arbeitsgruppe mit dieser Novel- Bündnis 90/Die Grünen vorgelegten Gesetzentwur- lierung befaßt hat. fes vorstellen: Außer in gefahrgeneigten Gewerken sind die bestandene Gesellenprüfung und minde- Ich kann mich übrigens noch gut daran erinnern - stens drei Jahre ununterbrochene Tätigkeit in diesem es muß im September 1994 gewesen sein -, daß sich Handwerk Voraussetzung für den Eintrag in die der 12. Deutsche Bundestag in seiner letzten Sitzung Handwerksrolle. Allerdings müßte unseres Erachtens mit der Anlage A der Handwerksordnung und insbe- der Kreis der von dieser Öffnung ausgeschlosse- sondere mit dem Beruf des Glasbläsers befaßt hat. nen Handwerke über die von den Bündnisgrü- Ich freue mich schon, wenn wir heute den Glasblä- nen benannten hinaus auch auf Chirurgiemechani- sern in Thüringen zurufen können: Das Anliegen ist ker, Zweiradmechaniker, Landmaschinenmechaniker aufgenommen worden. Wir werden mit dem Beruf Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb Glasbläser und Glasapparatebauer zukünftig eine wenige gefahrengeneigte Berufe unverände rt erhal- angemessene Regelung haben. ten bleiben. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Es war nicht der CDU/CSU sowie des Abg. Ernst einfach, hier einen Konsens zu finden!) Schwanhold [SPD]) Die Struktur der Handwerksberufe wird verbes- sert. Die Flexibilität der Handwerker am Markt wird Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, erhöht. Ein breites Leistungsangebot aus einer Hand die Abgeordnete Wolf möchte eine Frage stellen. durch Zusammenfassungen und Verwandtschaften wird ermöglicht. Impulse für Beschäftigung und Aus- Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär beim Bun- bildung werden geschaffen, und nicht zuletzt wird desminister für Wirtschaft: Bitte sehr, Frau Kollegin. die Attraktivität der handwerklichen Existenzgrün- dungen erhöht. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bitte schön. Das griffigste Ergebnis ist sicherlich, daß die Anlage A der Handwerksordnung künftig statt 127 Berufen nur noch 93 Berufe umfassen wird. Das heißt Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE aber nicht, daß der Geltungsbereich der Meisterprü- GRÜNEN): Herr Kollege Kolb, die Deregulierungs- fung verkleinert wird, sondern es wird im wesentli- kommission, die von der Bundesregierung eingesetzt chen - bei Überführung von sechs Handwerken aus worden ist, kam zu dem Ergebnis, daß der Meister- Anlage A in Anlage B, das sind der St ricker, der brief nicht unbedingt ein Garant für eine Versteti- Handschuhmacher, der Schirmmacher, der Gerber, gung bei der Ausbildung ist. Ohne Zweifel gibt es ei- der Steindrucker und der Bürsten- und Pinselmacher nen sehr hohen Ausbildungsstand im Handwerk. - eine Konzentration auf weniger, aber dafür breitere Würden Sie vielleicht bereit sein, zur Kenntnis zu Handwerke erfolgen. nehmen, daß 1926 - ohne Großen Befähigungsnach- weis - mehr ausgebildet wurde als heute? Konkret Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Arbeits- gab es 1926 bei knapp 4 Millionen Beschäftigten im gruppe, der ich vorsitzen durfte, hat sich zweieinhalb Handwerk 767 000 Lehrlinge, und 1980 lag diese Jahre lang mit der komplexen Mate rie der Hand- Zahl um etwa 100 000 niedriger - bei gut 4 Millionen werksordnung intensiv befaßt. Ich möchte die Gele- Beschäftigten im Handwerk. genheit nutzen, allen Kollegen und natürlich auch den Fachbeamten, die mitgewirkt haben, ganz herz- (Ernst Schwanhold [SPD]: Es gibt auch Pro lich für diese Arbeit zu danken. duktionsfortschritte, liebe Kollegin!) (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und -Parl. Staatssekretär beim Bun- der CDU/CSU) Dr. Heinrich L. Kolb, desminister für Wirtschaft: Frau Kollegin Wolf, ich Ich denke, daß wir auf das, was wir erreicht haben wundere mich doch etwas darüber, daß Sie diese De- und was wir heute vorlegen, durchaus stolz sein kön- batte hier jetzt so rückwärtsgewandt führen wollen. nen. Ich glaube, die Verhältnisse der Jahre 1926 und 1997 kann man schon deswegen nicht miteinander ver- Ich will drei Kernpunkte unserer Arbeit nennen. gleichen, weil 1926 viele Handwerksbetriebe noch Erstens wird der Große Befähigungsnachweis ge- sehr viel leichter geeignetes, qualifiziertes Personal stärkt. Das war ein wichtiger Punkt unserer Arbeit. finden konnten. Ich glaube, allein die Tatsache, daß sich der Deutsche (Ernst Schwanhold [SPD]: 1926 haben auch Bundestag zum zweitenmal innerhalb von vier Jah- die Radio- und Fernsehtechniker viel ausge ren mit dem Großen Befähigungsnachweis befaßt bildet! - Heiterkeit) und sich auch bei der Überarbeitung der Anlage A zum Großen Befähigungsnachweis bekennt, stellt ei- - Wahrscheinlich ist auch das, Herr Kollege Schwan- nen Wert an sich dar. Wir sprechen damit ein klares hold, eine Erklärung, nämlich daß neue Berufe hin- Votum für die Struktur des deutschen Handwerks zugekommen sind. und für den Großen Befähigungsnachweis aus. Wir haben ja unlängst miteinander diskutiert, als (Zustimmung bei der F.D.P.) es um die Frage ging: Haben wir genug Ausbil- dungsplätze in Deutschland? Ich will nur noch ein- Der Vorschlag, der auf dem Tisch liegt, verbindet mal darauf hinweisen, daß das Handwerk in den letz- das Anliegen, mehr Liberalisierung zu bekommen, ten zehn Jahren den Bestand an Ausbildungsplätzen mit dem Erhalt der traditionell bewährten Qualifika- um 100 000 erhöht hat. Es hat in dieser Beziehung, tions- und Ausbildungsstrukturen im Handwerk. Es obwohl es schon eine große Last trug, weiter zuge- muß hier noch einmal gesagt werden: Das Handwerk legt. Gerade die Tatsache, daß das Handwerk so aus- trägt die Hauptlast der Ausbildung in Deutschland. bildungsbereit ist, ist ein starkes Argument dafür, in Deswegen sind wir im Gegensatz zu den Vorstellun- diesem Bereich auch in Zukunft die bewäh rte Struk- gen der Grünen der Ansicht, daß sich radikale Expe- tur beizubehalten. rimente mit den Grundsätzen der Handwerksord- nung prinzipiell verbieten. Deshalb muß der Meister- Der zweite Punkt. Die Novelle bringt das Hand- brief als Großer Befähigungsnachweis für alle Hand- werk in eine bessere Wettbewerbsposition. Durch werksberufe der Anlage A und nicht nur für einige breit angelegte Gewerbe ermöglichen wir dem Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb Handwerk, flexibler, schneller und kostengünstiger erweitern sollten, waren ein besonders schwieriges als bisher am Markt zu agieren. Feld unserer Arbeiten. Die Arbeitsgruppe hat sich hierbei an die verfassungsrechtlichen Vorgaben ge- Drittens. Die Novelle wird für die Ausbildung, die halten, die wir bereits vor anderthalb Jahren in unse- Beschäftigung und die Arbeitsplätze im Handwerk ren Eckwerten dargestellt haben. neue Impulse geben. Insbesondere können unter dem Dach eines breiten Handwerksberufes jetzt Das aus wohlerwogenen Gründen durchgehaltene mehrere Ausbildungsberufe angeboten werden. Die Konsensprinzip in der Arbeitsgruppe hat auf Grund breiter angelegten Handwerke werden auch attrakti- der verfassungsrechtlichen Vorgaben und der wi rt ver für junge Menschen sein, die sich für einen Aus- -schaftspolitischen Erfordernisse keine weiterreichen- bildungsberuf entscheiden müssen. Aus meiner Sicht den Schritte zugelassen. Es mußten viele Kompro- ist es wichtig, daß wir nach einem Inkrafttreten der misse gemacht werden. Unter dem Strich kann man Novelle am 1. April dann auch sehr schnell eine sagen, daß die Gruppe eine recht hohe Hürde ange- Überarbeitung der Ausbildungsordnungen und der legt hat, die nur der Gerüstbauer überspringen Meisterprüfungsverordnung vornehmen. Es geht konnte, und das nicht zuletzt wegen seiner beispiel- darum, daß die angebotenen Chancen möglichst haften Ausbildungsleistung. Diese strenge Auswahl schon zum nächsten Einstellungstermin und beim macht aber meines Erachtens das Ergebnis unserer Beginn des nächsten Ausbildungsjahres genutzt wer- Arbeit plausibel und die Handwerksordnung insge- den können. samt konsistent. Ich möchte die Kernüberlegungen unserer Novelle Ein anderer Punkt ist hier schon genannt und auch noch einmal an einigen Beispielen aus dem Baube- vom Kollegen Tauss nachgefragt worden. Ein in der reich untermauern. Dort, am Bau, wird durch Bünde- Öffentlichkeit immer wieder verquer dargestelltes lung von Gewerken ermöglicht, daß zukünftig der Problem - das ist eine Frage, die uns in der Arbeits- Rohbau, der technische Ausbau und das Dach je- gruppe bis zuletzt beschäftigt hat - ist das Verhältnis weils weitgehend „aus einer Hand" angeboten wer- des Handwerks zur PC-Branche. Sie haben gesagt, den können. Das ermöglicht günstigere Angebote Frau Kollegin Wolf, ich hätte im Internet Scharmützel der Handwerker, reduziert die Zahl der Schnittstellen ausgetragen. So weit würde ich nicht gehen. Richtig und verbessert die Konkurrenzsituation gegenüber ist, daß ich mich mit vielen Betroffenen - das sind der Industrie. nicht nur die PC-Händler, sondern auch Betroffene in vielen Handwerksbereichen - intensiv unterhalten Das Zimmerergewerbe - das ist hier schon gesagt habe: mit den Klempnern, den Wachsziehern, den worden, aber ich halte es für wichtig, es hier noch Gerüstbauern, mit wem auch immer. einmal zu verdeutlichen - wird zum Beispiel auch das Decken von Ziegeldächern vornehmen können. (Ernst Schwanhold [SPD]: Das haben wir Dem Dachdecker wird die Erstellung von Lehrstüh- alle!) len ermöglicht werden. - Ja, ebenso die Kollegen. Das will ich hier ausdrück- (Heiterkeit) lich sagen. Wir haben uns viele Stunden Zeit genom- men, jeden, der mit uns sprechen wollte, zu Wo rt - „Lehrstühlen" ist gut! Natürlich von Dachstühlen! kommen zu lassen. Da ich in einem anderen Zusammenhang Initiator ei- ner Lehrstuhlinitiative bin, Herr Kollege Tauss, bitte Ich habe mich durchaus einsichtig gezeigt. ich mir nachzusehen, daß ich von Dachstühlen auf Lehrstühle gekommen bin. (Ernst Schwanhold [SPD]: Das hat lange gedauert!) (Ernst Schwanhold [SPD]: Im Moment sehen wir Leerstühle bei der Regierung!) Wir hatten zuerst erwogen, den Klempner aus der Anlage A in die Anlage B zu überführen. Wenn Sie Die Erstellung von Dachstühlen wird also dem sich jetzt den Vorschlag ansehen, so stellen Sie fest, Zimmerer ermöglicht, und zwar nach einer Ausbil- daß dies nicht mehr der Fall ist. dung in dem künftig jeweils neu hinzukommenden Bereich. Natürlich haben wir uns auch mit den Argumenten aus der PC-Branche auseinandergesetzt. Aber man Den technischen Ausbau aus einer Hand wird muß auch einmal sehen, daß das Handwerk in diesen künftig das neue Handwerk Installateur und Hei- Bereich nicht neu vordringt, sondern do rt bisher zungsbauer leisten, das Wasserleitung und Heizung schon, vor allem durch den Büroinformationselektro- jetzt zusammen anbieten kann. Im Bereich der Elek- niker, vertreten war. Dieses Handwerk soll jetzt mit troinstallation haben wir drei der sechs Elektrohand- dem Radio- und Fernsehtechniker zum Informations- werke zu einem breiten Handwerk Elektrotechniker techniker zusammengelegt werden, da sich auf zusammengefaßt. Diese Zusammenführung, vor al- Grund der schnellen technischen Entwicklung die len Dingen des bisherigen Elektroinstallateurs mit Grenzen zwischen den beiden Gewerken zuneh- dem Fernmeldeanlagenelektroniker, wird von allen mend verwischt haben und künftig sicherlich noch Betroffenen, mit denen ich bisher gesprochen habe, mehr verwischen werden. ausdrücklich begrüßt. In diesem Bereich sind aber neben den Handwer- Die Prüfung der vorliegenden Vorschläge für neue kern eine Vielzahl von Bet rieben nichthandwerkli- Handwerke - auch das muß ich hier noch einmal cher Art tätig. Die rasante technische Entwicklung deutlich sagen - wie auch die Frage, ob und wie wir führt zu immer neuen Fragen, wo hier der Ke rn des bei bestimmten Handwerken den Vorbehaltsbereich Handwerks liegt. Für viele der immer weiter verein- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb fachten Reparaturen von Elektronikgeräten, soweit wegen, weil wir die neuen Regelungen möglichst sie überhaupt noch vorgenommen werden, soll auch schon zum nächsten Herbst für die Ausbildung in künftig kein großer Befähigungsnachweis verlangt Deutschland nutzbar machen wollen. werden, Herr Kollege Tauss. Andererseits kann man nicht leugnen, daß auch in der Elektronik bestimmte Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Bereiche zum Handwerk gehören. Ich meine, daß die (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Arbeitsgruppe wohlberaten war und eine weise Ent- sowie des Abg. Ernst Schwanhold [SPD]) scheidung getroffen hat, hier keine neuen Grenzen zu Lasten der einen oder anderen Seite zu ziehen, sondern es beim Status quo zu belassen. Das ist im Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Nun gebe ich Gesetzentwurf durch eine Übergangsregelung aus- dem Abgeordneten Ernst Hinsken das Wo rt . drücklich so bestimmt. (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Ich will noch zum Vorschlag von Bündnis 90/Die Ernst Hinsken Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Grünen sagen, daß meine Partei, die Bundesregie- „Ende gut, alles gut", sagte ich am 2. Dezember rung und - ich denke, das sagen zu können - auch 1993, also vor vier Jahren, als wir die Novelle zur die parlamentarische Arbeitsgruppe diesen Vor- Handwerksordnung einstimmig - ich betone „ein- schlag ablehnt. Ihm liegt ein völlig anderes Verständ- stimmig", Frau Kollegin Wolf - hier im Deutschen nis des Großen Befähigungsnachweises zugrunde. Bundestag beschlossen haben. Ergänzend fügte ich Sie haben damit den, wenn ich mich recht erinnere, damals hinzu, daß wir damit einen weiteren Meilen- bei den Eckwerten noch vorhandenen Konsens der stein zur Fortentwicklung des Handwerksrechts set- Fraktionen dieses Hauses aufgegeben. Ich frage zen. mich, Frau Kollegin Wolf, was Sie dazu bewogen hat. Sie haben gesagt, unser Vorschlag sei verstaubt. Ich weise jetzt noch einmal darauf hin, daß gerade Wenn Sie denn jetzt so modernistisch sind, dann muß von einem Handwerksmeister in der heutigen Zeit ich Sie fragen, wie Sie unter diesem Gesichtspunkt viel verlangt wird: Er muß etwas vom Marketing ver- die Position der Grünen etwa bei der Steinkohle oder stehen und von Personalführung, und wenn er im Ihre Haltung zum Ladenschlußgesetz - das ist doch grenznahen Bereich tätig ist, dann soll er möglichst gerade einmal eineinhalb Jahre her - erklären wol- auch noch Sprachen beherrschen. Er soll sich im Ver- riebswirtschaft et- len. tragsrecht auskennen und von Bet was verstehen. - Das ist eine große Bandbreite, die (Margareta Wolf [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ den Handwerksberuf auf der anderen Seite sehr DIE GRÜNEN]: Das können Sie mir gerade schön macht. Das möchte ich hier als Handwerksmei- nicht vorwerfen!) ster besonders herausstellen. Nein, meine Damen und Herren, Bündnis 90/Die Aus Zeitgründen klammerten- wir vor vier Jahren Grünen gefährden mit ihrem Entwurf, so liberal er die Neufassung der Anlage A aus. Und nun, nach bei oberflächlicher Betrachtung auch sein mag, das fast zwei Jahren Beratungszeit, legt die hierfür einge- Ziel der Sicherung des qualifizierten Nachwuchses setzte Arbeitsgruppe einen Vorschlag vor. Wir haben für die gesamte gewerbliche Wirtschaft und damit jeden Beruf auf die Waagschale gelegt. auch ein ganz wichtiges Ziel im Interesse der Allge- meinheit. (Ernst Schwanhold [SPD]: Stimmt nicht!) Machen wir uns doch nichts vor, Frau Kollegin Wir haben uns intensiv damit auseinandergesetzt. Wolf: Wer würde den mühsamen Weg zum Meister Wir haben lange Zeit beraten. auf sich nehmen, wenn die Verknüpfung mit der Be- Ich möchte an dieser Stelle schon feststellen, daß rechtigung zur Berufsausübung entfiele und der Mei- ich mich besonders darüber gefreut habe, daß es sterbrief nur noch Voraussetzung für die Lehrlings- einen breiten Konsens gab und daß man, um das ausbildung bliebe, so wie Sie es vorschlagen. Im Er- Ganze gemeinsam bündeln zu können, in den einzel- gebnis würde die Ausbildungsbereitschaft der Be- nen Bereichen auf Egoismus verzichtet hat, daß also triebe und auch die Ausbildungswilligkeit der Ju- das Gemeinsame in den Vordergrund gestellt wurde. gendlichen erheblich zurückgehen. Das trifft vor allen Dingen auf Sie, Herr Kollege (Ernst Schwanhold [SPD]: Das stimmt! Da Scherhag, aber auch auf den Kollegen Dr. Pohler und hat er recht!) die Kollegen Türk und Schwanhold zu. Letzterem möchte ich ausdrücklich dafür danken, daß er hier Das ist etwas, was wir gerade in der heutigen Zeit bereit war, das eine oder andere mitzutragen, obwohl nicht gebrauchen können. Man kann nicht auf der es ihm nicht ganz paßte, weil auch unsererseits ein einen Seite den Mangel an Lehrstellen beklagen und gewisses Entgegenkommen gezeigt wurde. auf der anderen Seite den Großen Befähigungsnach- weis abschaffen. (Zuruf von der CDU/CSU: So war es!) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Eines sei besonders lobend hervorgehoben, näm- ten der CDU/CSU und der SPD) lich die exzellente Führung, Herr Staatssekretär Dr. Kolb, die Sie hier an den Tag legen. Meine Damen und Herren, wir gehen jetzt mit der Novelle in die Ausschußberatung. Ich hoffe, daß wir (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU weiterhin konstruktiv miteinander arbeiten können. und der F.D.P. - Ernst Schwanhold [SPD]: Ziel bleibt das Inkrafttreten zum 1. April, auch des Oh, oh! Eine Katastrophe war das!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Ernst Hinsken Sie waren nicht müde. Sie haben immer angeregt nächste Jahrtausend die Zukunftsperspektive, von und wurden vor allen Dingen von tüchtigen Beamten der ich eben gesprochen habe, gegeben werden. Ihres Hauses unterstützt. Ich bedaure sehr, daß heute Herr Ministerialrat Schulze nicht da ist, der großar- Mit dieser Novelle legalisieren wir einige Bereiche tige Arbeit geleistet hat, auch wenn wir oftmals an- im Handwerk, die bisher illegal ausgeführt wurden. derer Meinung als er waren. Deshalb Ihrem Haus Deswegen ist dem Grundgedanken Rechnung getra- und Ihnen persönlich ein herzliches Wo rt des Dan- gen worden, mehr Leistungen aus einer Hand erbrin- kes! gen zu können. Diese Arbeit wurde vom deutschen Handwerk positiv begleitet. In die Entscheidungsfin- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) dung haben wir auch den DGB und die Kolpingfami- lie eingebunden. Wir haben uns vom DIHT beraten Wir haben allen Anlaß, gerade das Handwerk fit lassen; wir haben auch Industrieverbände herange- zu machen - für das Jahr 2000 und die dann folgen- zogen, um vernünftige und sachgerechte Entschei- den Jahre, für die offenen Grenzen und für das ge- dungen zu Papier bringen und heute vorlegen zu meinsame Europa. Wir können mit besonderem Stolz können. vermerken, daß wir in der Bundesrepublik Deutsch- land 830000 Betriebe haben, die 6,7 Millionen Mit- Ich meine, daß der Präsident des Deutschen Hand- bürger beschäftigen. Das ist der Wi rtschaftsbereich werks recht hat, wenn er feststellt, daß sich diese Nummer eins. Das sollte besonders herausgehoben Gruppe von dem alten Grundsatz „Ausbildungsberuf werden - vor allem vor dem Hintergrund, daß Ar- ist gleich Ausbildungsberuf " abwendet. Denn unter beitsplatzabbau im handwerklichen Bereich ein dem Dach eines Ausbildungsberufes werden in Zu- Fremdwort ist und daß sich gerade dieser mittelstän- kunft mehrere Ausbildungsberufe möglich sein. Ich dische Bereich in den letzten Jahren trotz aller Wir- kann mir ersparen, näher darauf einzugehen, weil ren und trotz Rezession behauptet hat und weiter das der Kollege Scherhag bereits in hervorragender nach vorne entwickelt. Weise getan hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Statt der 127 Handwerke - Herr Kollege Türk, Sie haben das bereits gesagt - wird es zukünftig 63 ge- Das Handwerk ist ein Wi rtschaftszweig, in dem ben. nicht nur Qualitäts- und Meisterarbeit erbracht wird, sondern in dem auch das Verhältnis von Arbeitge- (Ernst Schwanhold [SPD]: 93!) bern und Arbeitnehmern stimmt. Man weiß, daß man in einem Boot sitzt. Man ist sich bewußt: Wenn es Davon bleiben 48 Handwerke gänzlich unverände rt, dem einen gut geht, geht es auch dem anderen gut. und zwar entweder, weil auf Grund der einschlägi- Man ergänzt sich gegenseitig. Das ist ein hoher We rt, gen Strukturdaten kein Änderungsbedarf gegeben der bei dieser Diskussion nicht unter den Tisch fallen war oder weil seitens der Verbände keine Vorschläge darf und der uns bei der Neufassung der Anlage A vorgelegt wurden. unserer Handwerksordnung beflügelt hat. Sechs Handwerke wurden von der Anlage A in die Kollege Scherhag hat schon darauf hingewiesen, Anlage B überführt. Ich kann mir ersparen, sie zu aber es ist meines Erachtens so wichtig, daß man es nennen, weil sie bereits von Herrn Staatssekretär Dr. noch einmal sagen darf: Im handwerklichen Bereich Kolb genannt worden sind. Gerade in diesen sechs werden 40 Prozent aller Lehrlinge beschäftigt. Frau Fällen erschien es auf Grund der Strukturdaten, ins- Kollegin Wolf, man stelle sich einmal vor, es gäbe das besondere auf Grund der seit Jahren geringen Aus- Handwerk nicht. Wie viele junge Leute würden auf bildungsleistung, als unverhältnismäßig, diese Be- der Straße stehen und würden nicht entsprechend rufe in der Anlage A zu belassen. ausgebildet, um die Zukunft bewältigen und be- stehen zu können! Deshalb ein herzliches Wo rt des Ich gebe zu, daß es mich traurig stimmt, daß es Dankes speziell an das Handwerk! diese Traditionshandwerke künftig nicht mehr geben wird. Um so mehr freue ich mich aber darüber, daß (Beifall im ganzen Hause) einige kleine, aber regional wichtige Berufe, Frau Kollegin Wolf, zum Beispiel der Pfefferküchler und Es wurde schon darauf verwiesen, daß alle Hand- auch der Wachszieher - ich bedanke mich für den werksberufe in vielen mehrstündigen Sitzungen Hinweis - gerettet werden konnten. Die Pfefferküch- überprüft wurden. Ich meine sagen zu dürfen, daß ler sollen künftig unter die Fittiche der Bäcker wir uns von der Frage leiten ließen, ob es Verwandt- schlüpfen und ihren Meistertitel behalten können. schaften zwischen den Berufen gibt und ob die Be- rufe deshalb zusammengefaßt werden können, um Ich glaube, daß wir richtig gehandelt haben, nur damit dem Handwerk die Möglichkeit zu geben, fle- einen Beruf in die Anlage A aufzunehmen, nämlich xibler und schneller am Markt zu agieren. Außerdem den des Gerüstbauers. Hierfür spricht die starke Auf- haben wir geprüft, ob neue Handwerksberufe ge- wärtsentwicklung, insbesondere bei der Ausbil- schaffen werden sollen. Bei der Anlage A erschien dungsleistung, aber auch die erhöhten Schwierig- uns vor allen Dingen folgender Grundsatz von Be- keitsgrade und die zunehmenden sicherheitstechni- deutung: Einerseits sollen im Interesse des Hand- schen Anforderungen. Wir haben allerdings sicher- werks und des Verbrauchers ohne Abwertung des gestellt, daß all diejenigen Handwerke, die bisher Großen Befähigungsnachweises vermehrt Leistun- zur Ausübung ihrer Tätigkeiten Gerüste gebaut ha- gen aus einer Hand angeboten werden können, und ben, dies auch weiterhin tun dürfen. Wir wollen das andererseits soll dem deutschen Handwerk für das Rad der Zeit nicht zurückdrehen. Das war ein bestim- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Ernst Hinsken tuendes Element bei der Entscheidungsfindung für Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wo rt dem die einzelnen Berufe. Abgeordneten Hans-Peter Kemper. Andere Gewerbe, zum Beispiel Kosmetikerinnen - Herr Kollege Türk hat es bereits angesprochen -, Be- Hans-Peter Kemper (SPD): Herr Präsident! Meine statter, Bodenleger oder der Handy-Man, wurden Damen und Herren! Der Antrag der SPD-Fraktion nach intensiver Diskussion und Abwägung aller Ge- richtet sich an den Bundesinnenminister und forde rt sichtspunkte nicht in die Anlage A aufgenommen. ihn auf, das vorliegende Konzept zur Neuorganisa- tion des Bundesgrenzschutzes zurückzuziehen und Ich wollte eigentlich noch etwas zu dem Drucker- zu einer grundlegenden Neubewertung zu gelan- wesen und zu den Offsetdruckern sagen. Meine Re- gen. dezeit ist aber abgelaufen. Ich will mich dieser Tatsa- che fügen und nur noch zum Schluß darauf verwei- Es ist klar - das will ich ganz deutlich sagen -: Dies sen, daß es insbesondere bei den sechs Elektrohand- ist ein ungewöhnlicher Vorgang. Denn auch die werken - Elektroinstallateure, Elektromechaniker, SPD-Fraktion ist sich darin einig, daß sie mit diesem Fernmeldeanlagenelektroniker, Elektromaschinen- Antrag in die Organisationszuständigkeit des Bun- bauer, Radio- und Fernsehtechniker und Büroinfor- desinnenministeriums eingreift. Wir sehen uns aber mationselektroniker - gelungen ist, sie zu drei Hand- wegen der massiven Mängel, die diese Reform, die werksberufen zusammenzufassen. Ich bin gerne be- massiv in die Sicherheitsinteressen der Länder ein- reit, zu einem späteren Zeitpunkt noch näher darauf greift, im Bereich der inneren Sicherheit mit sich einzugehen. bringt, gezwungen, diesen Antrag zu stellen. Ich will vorweg in aller Deutlichkeit sagen - daran soll es Verehrte Kolleginnen und Kollegen, eine letzte Be- auch gar keinen Zweifel geben -: Auch die SPD- merkung. Lassen Sie uns jetzt dieses Ergebnis im Fraktion ist der Meinung, daß es eine Strukturreform Ausschuß zügig beraten, so daß nicht eintrifft, was im Bundesgrenzschutz geben muß. Die Notwendig- Sie, Herr Kutzmutz, prophezeien, daß das Gesetz erst keit wird auch von uns anerkannt. später in Kraft tritt, sondern dieses Gesetz bereits zum 1. April kommenden Jahres in Kraft treten kann. Die Veränderungen in Osteuropa sowie die Verän- Das Handwerk braucht es, und wir wollen es. derungen durch die Wiedervereinigung der Bundes- republik Deutschland haben dazu geführt, daß sich Herzlichen Dank. neue Kriminalitätsformen, neue kriminalgeographi- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sche Brennpunkte gebildet haben, die sich ständig verändern. An dieser Situation hat sich die Neuorga- nisation des Bundesgrenzschutzes in enger Abstim- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich schließe mung mit den Ländern zu orientieren, wie es in der die Aussprache. Fortschreibung des Programms zur inneren Sicher- Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzent- heit 1994 festgelegt worden ist. Hierzu ist festzustel- würfe auf den Drucksachen 13/9388 und 13/8846 an len, daß es eine Abstimmung mit den Ländern nur in die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse einem völlig unzureichenden Maße gegeben hat. Ich vorgeschlagen. Der Gesetzentwurf der Fraktionen darf, um es abzukürzen, einfach auf die Stellungnah- der CDU/CSU, SPD und F.D.P. soll allerdings nicht men der Länder Schleswig-Holstein, Bayern und an den Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Niedersachsen, um nur einige zu nennen, verweisen. Jugend überwiesen werden. Gibt es andere Vor- Ganz abgesehen von mangelnder Abstimmung mit schläge? - Das ist nicht der Fall. - Dann ist die Über- den Ländern hat es der Bundesinnenminister natür- weisung so beschlossen. lich versäumt, den Sachverstand der Führungskräfte Interfraktionell ist vereinbart, den Tagesordnungs- des Bundesgrenzschutzes in seine Reformüberlegun- punkt 10 - Beratung der Großen Anfrage der Frak- gen einzubeziehen, was viele Äußerungen und tionen der CDU/CSU und F.D.P. zur internationalen Schreiben deutlich machen. Herr Minister, es reicht Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit des Hoch- nicht aus, den Berufsvertretungen Gelegenheit zu schulstandortes Deutschland als Aufgabe deutscher geben, Stellung zu nehmen, wenn Sie das Konzept Politik - von der Tagesordnung abzusetzen. - Dazu schon fix und fertig im Schreibtisch liegen haben. erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so be- (Beifall bei der SPD) schlossen. Die Beteiligung ist eine Pflichtaufgabe, die Sie zwar Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: wahrgenommen haben, ohne jedoch inhaltlich auf die Argumentation der Berufsvertretung einzugehen. Beratung des Antrags der Abgeordneten Gün- ter Graf (Friesoythe), Hans-Peter Kemper, (Uwe Hiksch [SPD]: Gar nicht zugehört Klaus Barthel, weiterer Abgeordneter und der wahrscheinlich!) Fraktion der SPD Wenn wir schon bei den Einsatzkräften sind, so Reform des Bundesgrenzschutzes will ich in diesem Zusammenhang auch die Frage - Drucksache 13/8977 - der Motivation stellen. Es ist völlig unbestritten, daß Sie der inneren Sicherheit mit der Neuorganisation, Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Sie da auf den Weg gebracht haben, einen Bären- die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre dienst erwiesen haben. Denn die Belange der Be- keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. diensteten - das ist auch unsere Meinung - müssen Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Hans-Peter Kemper nicht in jedem Fall ausschließlich im Vordergrund Ländern - sprich: zwischen Bundesgrenzschutz und stehen. Man kann von ihnen Flexibilität erwarten. Länderpolizei - kommen kann. Das erfordert aller- Ich glaube, alle sind auch bereit, diese Flexibilität dings ein sehr differenziertes Gespräch zwischen den aufzubringen. Innenministern des Bundes und der Länder. Sie müssen bei dieser Beratung allerdings auch Was die Einrichtung von Inspektionen und die mitgenommen werden. Ich denke, es ist unter dem Neustrukturierungen der Ämter angeht, so will ich Aspekt der inneren Sicherheit sehr wichtig, daß wir hierzu nur einige wenige Bemerkungen machen. Si- eine hochmotivierte Polizei haben. Innere Sicherheit cherlich ist die Konzeption, Inspektionen einzurich- kann auf Dauer nur mit einer hochmotivierten Polizei ten, um die unterschiedlichen Aufgaben in einer gewährleistet werden und nicht - lassen Sie mich Hand erledigen zu können, sinnvoll. Aber diese Kon- das, Herr Kollege Kanther, in einem Schlenker sagen struktion hat einen entscheidenden Fehler: Die Zu- - mit einem sicherheitspolitischen Schnellschuß à la ständigkeitsbereiche der Inspektionen decken sich Kanther, der bei der Polizei jetzt Zivildienstleistende nicht mit denen der Länder. Verschiedene Länder einsetzen und dadurch die innere Sicherheit gewähr- sind für eine Inspektion, für ein Grenzschutzamt zu- leisten will. ständig. Auch hier wäre es aus polizeitaktischen Ge- sichtspunkten wichtig, eine räumliche Deckungs- (Beifall bei der SPD und der PDS) gleichheit der Präsidien, Ämter und Inspektionen mit Die jahrelange Verunsicherung der BGS-Bedien- den Länder- und Behördenstrukturen anzustreben. steten über ihre Verwendung, ihren künftigen Auf- enthaltsort muß beendet werden. Ein erster vernünf- (Beifall bei der SPD) tiger Schritt wäre es gewesen, hier um Verständnis Ein Wort zur Küstenwacht, die erst vor einigen Jah- bei den BGS-Bediensteten zu werben, sie mitzuneh- ren ins Leben gerufen wurde. Wer sich heute einmal men und sie an der Suche nach dem künftigen vor Augen führt, was daraus geworden ist, der wird Standort zu beteiligen. ernüchtert feststellen müssen, daß sich, abgesehen Lassen Sie mich nur einige wenige Bemerkungen von einer einheitlichen Flagge, der einheitlichen zu den inhaltlichen Reformüberlegungen machen. Kennzeichnung der Boote mit dem Wo rt „Küsten- Ein wesentlicher Bestandteil der Reform ist der wacht" und dem Austausch von Dienstplänen in den Aspekt Grenzsicherheit. Ich stimme Ihnen zu: Es ist unterschiedlichen Organisationseinheiten, im opera- eine Verstärkung des grenzpolizeilichen Einzeldien- tiven Bereich nichts verbessert hat. Das Gerangel um stes insbesondere im Bereich der Ostgrenze notwen- Kompetenzen und Zuständigkeiten geht nach wie dig. Allerdings haben sich derartige Überlegungen vor weiter. Sinn würde es machen, zu einer einheitli- an den mittel- und langfristigen politischen Verände- chen Fach- und Dienstaufsicht zu kommen, die dem rungen, die sich unter anderem durch den Beitritt Po- Bundesgrenzschutz übertragen werden sollte. Das lens und Tschechiens zur NATO ergeben werden, zu wäre effektiv und würde- Geld sparen. orientieren. Diesem Anspruch wird der Bundesin- (Beifall bei der SPD) nenminister nicht gerecht. (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, viel Unmut hat es hinsichtlich der Auflösung von zehn der 21 Einsatz- Einer Verfestigung der grenzpolizeilichen Strukturen standorte in den Bundesgrenzschutzverbänden ge- durch hohe Investitionen ist insoweit durch den Ein geben. satz mobiler Kräfte der Verbände entgegenzuwirken. (Zurufe von der SPD: Wie wahr! - Das kann Was den Bereich der Bahnpolizei angeht, so ist es man wohl sagen!) sicherlich gut, wenn die bahnpolizeiliche Präsenz er- höht wird. Das ist auch richtig. Grundlegende Fehler Ich will hier nicht näher auf die Standortfragen im der Konzeption sind aber der Abzug der bahnpolizei- einzelnen eingehen und vor allen Dingen die Diskus- lichen Kräfte aus der Fläche und die Konzentration in sion nicht an einzelnen Standorten festmachen; denn Ballungszentren. es gibt viele gute Gründe für den Erhalt jedes einzel- nen Standortes. (Beifall bei der SPD) Der bayerische Innenminister Beckstein hat ge- Vielmehr müssen - auch unter dem Aspekt des sub- sagt: Bei uns darf kein Standort wegfallen; wir brau- - jektiven Sicherheitsempfindens der Bevölkerung chen jeden. Das mag aus seiner Sicht verständlich die Bahnpolizeiwachen aufrechterhalten werden. sein. Aber wenn man sich dem anschließen würde, Notwendig erscheint mir auch eine Klärung des würde sich natürlich nichts ändern. Verhältnisses zwischen Bahnpolizei und Länder- polizei. Es muß hier zu einer klaren Kompetenzab- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das grenzung kommen, um Kompetenzkonflikte und gilt auch für Niedersachsen!) Doppelarbeit zu vermeiden. Letztlich erscheint mir Wir können uns allerdings des Eindrucks nicht er- das auch deshalb zwingend notwendig, weil sich die wehren, daß bei der Auswahl der Standorte die Für- Bahnhöfe in der letzten Zeit wesentlich mehr zu sprache politischer Schwergewichte in der Union in Dienstleistungs- und Einkaufszentren entwickeln, als vielen Fällen die Argumente ersetzt hat. das in der Vergangenheit der Fall war. Man sollte ge- gebenenfalls darüber nachdenken, ob es hier nicht (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Leider zu einer Aufgabenverlagerung zwischen Bund und kommt das öfter vor!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Hans-Peter Kemper Nicht nur die Reduzierung der Standorte um jeden Bemerkenswert finde ich auch die Auswahlkrite- Preis, sondern mehr Mobilität und Flexibilität muß rien, die der Bundesinnenminister dafür herangezo- die richtige Antwort in dieser Situation sein. Wirt- gen hat, ob bestimmte Standorte erhalten oder auf- schaftlichkeit darf keinen Vorrang vor Sicherheitsin- gelöst werden. Der Innenminister weist darauf hin, teressen haben. daß die Weg - Zeit - Berechnung eine ganz wesentliche Komponente für die Auswahl des Standortes gewe- (Beifall bei der SPD) sen sei. Diese Weg-Zeit-Berechnung geht von völlig Was die Diskussion vor Ort um die einzelnen falschen Voraussetzungen aus. Da werden Kolonnen- Standorte angeht, so haben die Kollegen der Koali- fahrten auf der Bundesautobahn mit Durchschnitts- tion, insbesondere der Union, lautstark gegen die geschwindigkeiten von 110 km/h zugrunde gelegt. BGS-Reform Stellung bezogen. Sogar ein Kabinetts- Kolleginnen und Kollegen, ich kann aus langer Er- mitglied hat sich an die SPD gewandt mit dem Hin- fahrung, da ich Kolonnenfahrten mitgemacht habe, weis und der Bitte, alles zu tun, um den Bundesin- sagen: Wer solch einen Unsinn zu Papier bringt und nenminister von diesen seinen falschen Überlegun- dies auch noch zu einem wesentlichen Bestandteil ei- gen abzubringen. ner Standortentscheidung macht, der weiß nicht, wo- von er redet. (Dr. Peter Struck [SPD]: Aber leider erfolg los!) (Beifall bei der SPD) Das ist ein bemerkenswerter Vorgang, wie ich meine. Ein weiteres Kriterium für die Auswahl der Stand- orte der Einsatzverbände waren die allgemeinen Ar- (Beifall bei der SPD - Zuruf von der SPD: beitsmarkt- und strukturpolitischen Daten. Das ist si- Hört! Hört!) cher vernünftig; das würden auch wir unterstützen. Wenn man sich aber anschaut, welche Schlußfolge- Heute haben allerdings die Kolleginnen und Koll rungen der Bundesminister aus seinen eigenen Über- gen, die sich in der Vergangenheit lautstark vor Ort legungen gezogen hat, dann kann man schon ins gegen diese Konzeption ausgesprochen haben, Grübeln kommen. Ich will das nur an einigen weni- durch Zustimmung zu unserem Antrag zu beweisen, gen Beispielen deutlich machen. Ratzeburg bleibt er- daß sie es ehrlich gemeint und nicht Schaugefechte halten. Arbeitslosigkeit Ende 1996: 9,5 Prozent. geführt haben. Neustrelitz - im übrigen sehr nahe an Berlin ge- (Beifall bei der SPD) legen und auch daher noch einmal zu diskutie- ren - wird aufgegeben. Arbeitslosigkeit Ende 1996: Der Bundestagsfraktion - das hatte ich gesagt - 20,9 Prozent. geht es nicht darum, eine Standortdiskussion zu füh- ren und für oder gegen einen Standort zu sprechen. Vorderhünfeld wird erhalten. Arbeitslosigkeit Ende Die Ergänzung der Einsatzverbände um eine mobile 1996: 10,3 Prozent. - Einsatzkomponente würde sicherstellen, daß der Bundesgrenzschutz auch künftig sehr flexibel und Gifhorn wird geschlossen. Arbeitslosigkeit Ende kurzfristig auf entstehende polizeiliche Lagen reagie- 1996: 15,8 Prozent. ren kann. Mit der Reduzierung des Verbandskräfte wird geschlossen. Arbeitslosigkeit Ende potentials von zirka 12 000 auf zirka 5600 wird es 1996: 13,9 Prozent. künftig kaum noch möglich sein, polizeiliche Großla- gen im Zusammenwirken mit den Ländern zu berei- Bad Bergzabern wird erhalten. Arbeitslosigkeit nigen. Ende 1996: 9,3 Prozent. Es ist schon bemerkenswert, was im „Behörden- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage dies spiegel" vom Mai 1997 zu lesen war. Ich zitiere - mit nicht, um für den einen oder anderen Standort zu re- Genehmigung des Herrn Präsidenten -: den; das habe ich mehrfach gesagt. Ich will nur deut- lich machen, wie oberflächlich der Bundesinnenmini- Der Wegfall von elf Abteilungen, jetzt sind es ster mit den von ihm selbst festgelegten Standortkri- zehn, mit etlichen Hundertschaften wird aber, so terien umgegangen ist, meinen selbst Experten im Bundeskanzleramt, (Beifall bei der SPD) gegebenenfalls ein Risiko für die innere Sicher- heit darstellen. ganz abgesehen davon, daß viele Standorte, die be- reits durch die Aufgabe oder Teilaufgabe von Ein- (Beifall bei der SPD) richtungen der Bundeswehr oder Alliierter betroffen Zwar könnten die Bedürfnisse an den Ostgrenzen sind, so gut wie keine Berücksichtigung gefunden - in diesem Jahr weitere 1500 Grenzbeamte - und haben. Dies macht keinen Sinn. Ich unterstütze hier die vermutlich deutlich höheren Personalbedürf- ausdrücklich den Kollegen Olderog, der kürzlich im nisse der Regierung in Berlin gegenüber Bonn Innenausschuß den Bundesinnenminister darauf auf- damit noch befriedigt werden, doch vermag sich merksam gemacht hat, daß der Bund, was die Be- unter den Sicherheitsexperten keiner richtig vor- rücksichtigung der strukturschwachen Gebiete im zustellen, was bei Großlagen passieren soll. Hinblick auf Bundeseinrichtungen angeht, in der Pflicht stehe. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe dem nichts hinzuzufügen. Wenn diese Reform, wie sie vom Bundesinnenmi- nister nun angegangen werden soll, durchgeführt (Beifall bei der SPD) wird, wird es zu den größten Personalverschiebun- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Hans-Peter Kemper gen innerhalb des Bundesgrenzschutzes kommen. Hier legt die Regierung Kohl nach 15 Jahren eine Das wird zur Folge haben, daß zirka zehn- bis zwölf- verheerende Bilanz vor. Sie hat in 15 Jahren hor- tausend Beschäftigte quer durch die Bundesrepublik rende Defizite im Bereich der inneren Sicherheit und gejagt werden. der Sozialpolitik geschaffen. Dramatische Arbeitslo- sigkeit, zunehmende Obdachlosigkeit und steigende (Dr. Peter Struck [SPD]: Unsinn!) Armut bestimmen das Bild. Angesichts dessen ist Ihr Ansatz falsch, Herr Minister Kanther, wenn Sie auf Sicher ist es richtig und unbest ritten, daß man von Obdachlosigkeit, Armut und fehlende Perspektiven Beamten Flexibilität erwarten muß. Jedoch darf man mit verstärkter Polizeipräsenz reagieren. Obdachlose dabei nicht übersehen, unter welchen Bedingungen Menschen benötigen nicht starke Polizei, sondern eine Vielzahl dieser Beamten in den Bundesgrenz- bezahlbare Wohnungen und vernünftige Unter- schutz eingetreten ist. Sie sind vor dem Hintergrund künfte. einer heimatnahen Verwendung eingetreten, wie es ihnen der Bundesinnenminister in farbigen Prospek- (Beifall bei der SPD) ten versprochen hat. Es gehört auch zur Fürsorge- pflicht und Dienstpflicht des Bundesinnenministers, Die Menschen, die aus Armut betteln, benötigen kei- seine Versprechen, die er den Beamten gegeben hat, nen verstärkten BGS, sondern verstärkte Hilfen und einzuhalten. So wie er es macht, wird er seinem eige- Zuwendungen. Diese an sich selbstverständlichen nen Anspruch nicht gerecht. Erkenntnisse scheinen dieser Regierung völlig ab- handen gekommen zu sein. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Die vielen Tarifbeschäftigten, die im Grunde genom- BGS- und Polizeikräfte sind wichtig in der Frage men kaum eine Möglichkeit haben, eine anderwei- der inneren Sicherheit. Aber sie sind es nicht allein, tige Verwendung zu finden, werden in die Arbeitslo- sondern das zweite Standbein, das ich gerade ge- sigkeit entlassen. nannt habe, muß stärker nach vorne gebracht und Einem Anliegen tragen Sie, Herr Minister Kanther, auch in einer konservativen Regierung stärker be- mit Ihrer BGS-Reform absolut keine Rechnung; das rücksichtigt werden. Das ist bisher unterblieben. ist die Stärkung und Verbesserung des subjektiven Lassen Sie mich noch eines sagen: In den verschie- Sicherheitsgefühls der Bevölkerung. Ich habe eben denen Gesprächen sind Sie ein schlüssiges Konzept auf die verheerenden Auswirkungen im Bereich von hinsichtlich der Finanzierung schuldig geblieben. In Bahnhöfen, von Zügen und des öffentlichen Perso- den Zeiten, in denen diese Regierung an der Macht nennahverkehrs hingewiesen. Unter diesem Aspekt ist, haben wir gelernt, daß Reformen nicht mehr das ist die Schließung von Wachen an Bahnhöfen kontra- sind, was sie einmal waren. Früher stellten sie Ver- produktiv. besserungen her; aber Sie haben dieses Wo rt ver- Ich habe mit Interesse gehört, daß Sie immer wie- dreht. der die Aktion „Saubere und sichere Städte" planen: (Dr. Peter Struck [SPD]: Genau!) „null Toleranz ", um nach amerikanischem Vorbild - das liegt ja dieser Überlegung zugrunde - „broken Die Menschen erwarten Nachteile, wenn sie von Ih- windows" zu verhindern. Hierzu wollen Sie punktu- nen das Wort „Reform" hören, auch finanzielle Nach- ell starke Kräfte des BGS den Landespolizeien für teile. ganz bestimmte Städte zur Verfügung stellen. Herr Kanther, wir gehen ja noch liebevoll mit Ih- Das kann Sinn machen, besonders unter dem nen um. Wir sind ja nicht die einzigen, die Zweifel Aspekt der öffentlichen Präsenz, die das subjektive an Ihren Zahlen und an Ihrem Finanzierungskon- Sicherheitsgefühl der Menschen positiv beeinflussen zept haben. Ich möchte Ihnen nur einmal die Kritik könnte. Das ist unbest ritten. Ein solcher Einsatz darf eines CSU-Kollegen vorhalten. Mein Freund Otto dann aber nicht punktuell, sondern muß großflächig Regenspurger vermutet, daß sich im Bundesinnen- erfolgen, da sonst massive Verdrängungseffekte auf- ministerium eine „Fälscherwerkstatt" breitgemacht treten. Hier bekämpft man dann nicht mehr wirklich habe. die Kriminalität, sondern man verdrängt sie lediglich, (Beifall bei der SPD) und zwar in andere Bereiche, die nicht so stark von Polizeikräften besetzt sind. Ich zitiere wörtlich: Da komme ich zu einer ganz entscheidenden Rolle, Eine Fälscherwerkstatt wi ll MdB Otto Regenspur- die die Sozialpolitik im Bereich der inneren Sicher- ger im Bundesinnenministerium ausgemacht ha- heit eigentlich spielen müßte, in dieser Regierung ben ... Da in diesem Zusammenhang im Bundes- aber nicht spielt. Armut, Obdachlosigkeit und Ar- innenministerium immer wieder neue Zahlen beitslosigkeit, fehlende Perspektiven bei jungen auftauchen, mutmaßt Otto Regenspurger do rt Menschen begünstigen unzweifelhaft die Entste- eine Fälscherwerkstatt. hung von Kriminalität. Alle Kriminologen bis hin zum ehemaligen BKA-Präsidenten Zachert sind sich einig, Ich sagte eben, daß wir mit Ihnen noch liebevoll daß die beste Kriminalpolitik immer noch eine gute umgegangen sind, und tun dies auch in Zukunft, Sozialpolitik ist. weil wir ja trotz aller Kritik in Ihnen noch einen Fach- mann vermuten. Ihr CSU-Kollege sagt Ihnen aber, (Beifall bei der SPD) daß das, was der Innenminister in der BGS-Reform Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Hans-Peter Kemper macht, eine „Unverschämtheit bis zum Geht-nicht- gen sollten. Aber wenn man es so macht, wie Sie es mehr" sei. Ich zitiere wieder wörtlich: gemacht haben, indem Sie Arbeitslosenstatistiken aufgestellt und miteinander verglichen haben, dann Der Betonkopf Kanther hat nicht auf die Argu- schlage ich Ihnen vor, den ganzen BGS nach Ost- mente reagiert, die man ihm an die Hand gege- friesland zu schicken; denn dort sind die Arbeitslo- ben hat. senzahlen fast am höchsten, und dort können Sie (Beifall bei der SPD) dann Arbeitsplätze schaffen. Nur, das hat mit den Aufgaben, die der BGS in Zukunft wahrzunehmen Reagieren Sie auf unsere Argumente, ziehen Sie hat, überhaupt nichts mehr zu tun. dieses Reformkonzept zurück, das den Namen Re- formkonzept nicht verdient, und legen Sie ein schlüs- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) siges BGS-Konzept vor, daß sich an den Anforderun- gen der inneren Sicherheit, an den Belangen der Be- Wir wissen aus dem Innenausschuß, daß Sie diese diensteten und an finanzieller Zuverlässigkeit orien- Strukturreform in den Beratungen so lange positiv tiert! begleitet haben, bis Sie festgestellt haben, daß sich Schönen Dank. vor Ort - dafür haben wir durchaus Verständnis - an einzelnen Standorten Widerstand regt. Aus partei- (Beifall bei der SPD) politischen Überlegungen - das ist auch für mich nachvollziehbar - haben Sie diesen Widerstand auf- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe dem gegriffen, um daraus für das bevorstehende Wahljahr Abgeordneten Michael Teiser das Wort. parteipolitischen Vorteil zu schlagen. Das verstehe ich schon. Das widerspricht auch nicht der Tatsache, daß einzelne Kollegen auch aus den Koalitionsfrak- Michael Teiser (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine tionen sowie auch einige wenige Bundesländer aus Damen und Herren! Lieber Kollege Kemper, jetzt ver- genau diesen Gründen der Gefährdung des Stand- stehe ich, warum Sie Ihren Beitrag nicht zu Protokoll orts am eigenen Heimatort und im eigenen Wahlkreis geben wollten. Sie wollten nämlich gar nicht zum diese Kritik aufgenommen haben. Das ändert aber BGS reden, sondern den üblichen parteipolitischen nichts an der Tatsache, daß das nicht die Grundkrite- Rundumschlag ausführen rien sein können, unter denen wir diese BGS-Reform (Widerspruch bei der SPD) durchführen. und haben dazu hier einen Exkurs in die Sozialpoli- (Zuruf von der SPD: Wo sitzt denn jetzt die tik, in Arbeitslosenzahlen und in Obdachlosigkeit Fälscherwerkstatt?) unternommen, der nur dann, wenn man sehr weite Brücken schlägt, überhaupt etwas mit dem Thema zu Die neuen Kriterien- - daran können Sie gar nicht tun hat. vorbei, bei jedem Konzept müssen Sie sie berück- Sie haben eben gesagt, der Bundesinnenminister sichtigen - sind der Wegfall der innerdeutschen möge auf Argumente reagieren und sein Konzept zu- Grenze, die Entstehung neuer grenzpolizeilicher rückziehen. Wenn Sie Argumente vorgebracht hät- Aufgabenschwerpunkte, die Übernahme der Aufga- ten, die nachvollziehbar und stichhaltig wären, hätte ben der Bahnpolizei und der Luftsicherheit und das es sicherlich auch in der CDU/CSU-Fraktion einen Erfordernis eines wirksamen Grenzsicherheitssy- Überlegungsprozeß gegeben, um diesem Wunsch stems. Wenn Sie all diese Kriterien einbeziehen, wer- nachzukommen. Aber bei dem, was Sie vorgetragen den Sie zu dem Ergebnis kommen, daß diese Struk- haben - das werde ich Ihnen gleich zeigen -, ist das turreform polizeifachlich überhaupt nicht bestritten nicht der Fall. werden kann, und sie wird auch nicht bestritten. Wer die Debatten verfolgt, sieht, daß es nicht um polizei- Im übrigen, Herr Kemper, würde ich Ihnen raten, fachliche Überlegungen geht, sondern in der Regel diejenigen ein bißchen zurückzuhalten, die hier stän- nur um die Standorte. dig dazwischenblöken. Ich vermute, daß diese Herr- schaften zu den 70 Leuten gehören, die hier unter- Sie haben den Eindruck erweckt, der Bundesin- schrieben haben, ohne zu wissen, worum es geht. nenminister und die Koalition im Bundestag setzten sich über die Interessen aller Bundesländer hinweg (Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist eine Unver und die Reform wäre mit ihnen nicht abgestimmt. Ich schämtheit! - Weitere Zurufe von der SPD) werde insbesondere Ihren Kollegen, die das nicht Das würde die ganze Debatte vielleicht etwas ver- wissen können, sagen, wie sich die Bundesländer sachlichen. eingelassen haben. Sie haben sich hier so verhalten, wie Sie es bei an- deren Reformvorhaben auch machen: Eine Reform wollen Sie schon, aber nicht diese. Ferner sagen Sie, Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Eine Sekunde, Sie wollten keine Standortdiskussion führen; Sie füh- Herr Kollege. Gestatten Sie eine Zwischenfrage? ren diese dann aber, und zwar an Hand von Kriterien, die mit einer solchen Reform eigentlich nichts oder höchstens sehr weitläufig zu tun haben dürften. Na- Michael Teiser (CDU/CSU): Nein. türlich sind Arbeitslosenzahlen Kriterien, die bei je- der Maßnahme und jeder Reform mit zu Buche schla (Zuruf von der SPD: Warum denn nicht?) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Michael Teiser - Weil das mehr Schärfe hineinbringt; wir sind aber kerung - das ich durchaus nachvollziehen kann - in der Vorweihnachtszeit und wollen uns hier freund- müsse dazu führen, daß diese Beamten dableiben. lich unterhalten. Das können Sie nicht im Ernst meinen. Das ist nichts anderes, als aus Ortsgegebenheiten Probleme aufzu- (Lachen bei der SPD - Zuruf von der SPD: greifen, um sie dann wahltaktisch zu verwenden. Wer hat denn die Schärfe hineingebracht?) Sie erklären dann, bei der Einrichtung von Inspek- Also: Baden-Württemberg stimmt zu, Berlin be- tionen und der Neustrukturierung der Ämter sei grüßt, Brandenburg begrüßt ausdrücklich, Mecklen- eine Orientierung an den Organisationsstrukturen burg-Vorpommern ist einverstanden, Nordrhein- der Länderpolizeien erforderlich, und tun so, als Westfalen hat keine grundsätzlichen Bedenken, wenn das nicht geschehen wäre. Die neue Ämter- Rheinland-Pfalz stimmt grundsätzlich zu, das Saar- struktur orientiert sich an diesen Länder- und Ge- land begrüßt, Sachsen begrüßt insgesamt, Sachsen bietsgrenzen. Es gibt nur vier Ausnahmen, die aber Anhalt begrüßt, Thüringen begrüßt. kriminalgeographisch erforderlich waren und deswe- (Zuruf von der SPD: Wie ist das mit Nieder gen im Prinzip unter allen Fachleuten mehr oder sachsen und mit Bayern?) minder unstrittig waren. Einwände machten geltend: Bayern, Bremen - ist in- Zum Thema Verbandsstruktur erklären Sie - ich zwischen erledigt -, Hessen, Niedersachsen und darf das zitieren -: Schleswig-Holstein. An denen, die Einwände gel- Die Änderung der Verbandsstruktur darf nicht tend machen, können sie sehr genau sehen, daß das dazu führen, daß der gesetzliche Auftrag, Rechts-, jeweils diejenigen sind, die an bestimmten Stand- Amts- und Katastrophenhilfe (Artikel 35 GG) ge- orten Probleme haben. genüber den Ländern zu leisten und im Falle des Machen wir uns doch nichts vor: Selbstverständlich ... Notstandes ... eingesetzt zu werden, nicht macht es jedem Probleme, wenn in seinem Standort mehr erfüllt werden kann. irgend etwas aufgelöst wird. Wir haben auch bei uns Das heißt, Sie versuchen, der Bevölkerung und de- Bundeswehrstandorte verloren. In unserer Stadt sind nen, die sich damit beschäftigen, zu suggerieren, der Tausende von amerikanischen Dienststellen abgezo- BGS werde seinen gesetzlichen Aufgaben künftig gen worden. Sie brauchen mir doch nicht zu erzäh- nicht mehr nachkommen und nicht mehr nachkom- len, daß das nicht nachvollziehbar sei. Die Frage, die men können. Das ist schlichte Polemik. Es ist zwar wir uns stellen müssen, ist: Können subjektive, orts- die Zahl der Verbandsstandorte reduziert worden, bezogene Gründe ausschlaggebend für ein Konzept aber es ist keine Reduzierung der Einsatzstärke der sein, das bundesweit greifen und den neuen Auf ga- Verbände herbeigeführt worden, so daß eine Gefähr- ben nachkommen muß? Da muß ich Ihnen sagen: dung der Aufgabenwahrnehmung nicht möglich ist Diese müssen zurückstehen. und ihre Behauptung schlicht- falsch ist. Sie haben deutlich gemacht, daß sich die Grenzsi- Zur Personalsituation brauche ich hier nichts vor- cherheit an mittel- und langfristigen politischen Ver- zutragen; diesen Absatz kennen Sie. Zu Nr. 3 sage änderungen orientieren müsse. Sie wissen sowenig ich Ihnen nur: Dieser Forderung wird mit diesem wie wir, wie insbesondere diese langfristigen Ent- Konzept voll nachgekommen. Insofern erübrigt sich wicklungen endgültig aussehen würden, erwarten das durch Wegfall. aber, daß sich schon zum heutigen Zeitpunkt ein Konzept an diesen langfristigen Überlegungen aus- Bei der Konversion wird es die üblichen Wege ge- richten soll. Wie man das machen soll, werden Sie ben, die es auch in anderen Bereichen gab, zum Bei- mir nicht sagen können. Ich kann Ihnen nur sagen: spiel bei der Bundeswehrverwaltung, wo Standorte Die heutige Wahrnehmung der Aufgaben der Grenz- aufgelöst worden sind. Die Bundesvermögensverwal- sicherheit muß gewährleistet sein, und nicht theore- tung wird sich natürlich in ihrem Rahmen darum be- tisch mögliche Entwicklungen in den nächsten 10 mühen, diese Standorte, die frei werden, letztendlich oder 15 Jahren. zu verwerten. Das ist natürlich - allein auf Grund der Tatsache, daß es vor Ort die besseren Kenntnisse und Beim Thema Bahnpolizei erwecken Sie den Ein- Möglichkeiten gibt - für die Bundesvermögensver- druck, als werde diese reduziert, zusammengezogen, waltung nicht ohne die entsprechenden Kommunen, in den Aufgaben eingeengt. Die Wahrheit ist - wenn die zuständig sind, möglich. Da muß man Hand in Sie hier schon so einen Vortrag halten, nennen Sie Hand arbeiten, um zu einer Verwertung zu kommen. wenigstens auch Zahlen -: Die Bahnpolizei wird um Es wird nicht ausbleiben, daß das eine Zeitlang dau- annähernd 1000 Beamte verstärkt. Die Inspektionen ert. Jeder kennt Beispiele aus der Republik, wo Ka- werden flächendeckend durchgeführt, so daß sie je- sernen über Monate, teilweise sogar über ein, zwei den Bereich abdecken. Jahre leer gestanden haben. Aber sie werden letzt- Nun sage ich Ihnen in aller Deutlichkeit: Sie kön- endlich einer Verwertung zugeführt. Jeder weiß: nen nicht auf Grund des subjektiven Sicherheitsge- Zum Schluß reguliert der Markt den Preis. Das ist fühls, bezogen auf Bahnhöfe in kleinen Städten, in eine Frage, inwieweit das zu machen ist. kleinen Orten, das aber nicht durch Fakten und Zah- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So ein len von dem, was die Bahnpolizei dort bisher ge- fach ist das!) macht hat, belegt wird, erklären, die Beamten hätten zwar nichts zu tun und es gebe auch kaum Kriminali- - Bei Ihnen ist immer alles einfach. Dem Einfachen tät, aber das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevöl ist alles einfach; das ist Ihr Problem. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Michael Teiser Unter Nr. 5 sagen Sie, die Kostenanalysen seien Hier müßten die Zahlen auf den Tisch des Haushalts- nicht vorgelegt worden. Wir sagen Ihnen - das wis- ausschusses, und zwar die genauen Zahlen. sen Sie auch -: Das Finanzkonzept liegt vor. Am 10. Dezember 1997 hat der Haushaltsausschuß des (Beifall der Abg. Ulla Jelpke [PDS]) Deutschen Bundestages dies gebilligt. Drittens. Ein zentrales Prinzip des BMI-Konzeptes (Uta Titze-Stecher [SPD]: Zur Kenntnis ist der geplante Rückzug des BGS aus der Fläche. genommen!) Das bedeutet, der BGS zieht aus der zunehmenden europäischen Integration, der politischen Entspan- - Ja, die sozialdemokratischen Vertreter haben das nung im Ost-West-Verhältnis sowie aus der deut- mit Augenzwinkern zur Kenntnis genommen: Wir schen Vereinigung - allerdings sieben Jahre verspä- müssen aus grundsätzlichen Erwägungen nein sa- tet - organisatorische Konsequenzen. Dies wirft wei- gen. Das sagen selbst eigene Kollegen von Ihnen. tere Fragen auf. (Uta Titze-Stecher [SPD]: Waren Sie dabei? a) Seinen gesetzlichen Aufgaben, Grenzen zu si- Ich habe nicht gezwinkert!) chern, braucht der BGS nicht mehr an der ehemali- Ich sage Ihnen abschließend: Es gibt nicht einen gen innerdeutschen Grenze nachzukommen, son- einzigen rechtfertigenden Grund, die Reform des dern primär dort, wo die deutsche Grenze zugleich BGS nicht so voranzutreiben, wie sie vom Innenmi- Außengrenze der EU bzw. des Schengener Abkom- nister vorgelegt worden ist. Wir werden Ihren Antrag mens ist. Liegt es da nicht nahe, BGS-Standorte an ablehnen, weil er inhaltlich durch nichts begründet der einstigen Demarkationslinie, zumal solche mit ist. ähnlichen Aufgaben, abzubauen oder zusammenzu- legen? Klare Antwort aus unserer Sicht: Ja, ebenso (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Sie wie das bei BGS-Standorten an der Westgrenze, haben ihn offenbar gar nicht gelesen!) beim Zoll und bei der Bundeswehr bereits geschehen ist, um schlanke, ökonomische Strukturen zu schaf- Vielen Dank. fen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) b) Die vorgesehene Konzentration des BGS an den Grenzen zu Polen und zu Tschechien erscheint eben- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe dem falls aus heutiger Sicht des BGS als sinnvoll, aber ab- Abgeordneten Manfred Such das Wo rt. sehbar nicht auf Dauer. Denn diese Staaten haben mit der EU bereits Verträge abgeschlossen und stre- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: ben ihre Aufnahme an. Danach stünde der BGS do rt Das ist der PKK-Such!) an der EU-Binnengrenze. Deshalb darf der Personal- einsatz an der Ostgrenze strukturell nicht zementiert Manfred Such (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr werden, sondern muß flexibel bleiben. Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD hat recht. Ich betone das eingangs deshalb, weil die SPD (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ja gerade in der Innenpolitik manchmal mächtig sowie bei Abgeordneten der SPD) schiefliegt, wie etwa bei der Zustimmung zu Europol c) Eine wichtige Frage nach den Auswirkungen oder zum Lauschangriff. der BGS-Reform lautet: Hat die Konzentration von (Beifall bei der PDS) BGS-Standorten Sicherheitsdefizite für die Bürgerin- nen und Bürger oder steigende Kriminalität zur Aber diesmal hat sie in einem wirklich recht: Das Folge, wie dies in den Standortgemeinden gelegent- vom Bundesminister des Innern vorgelegte Konzept lich ins Feld geführt wird? Klare Antwort: Nein. Denn zur Reform des Bundesgrenzschutzes wirft eine zunächst kann gar nicht oft genug betont werden, Reihe gewichtiger Fragen und Probleme auf. Ich daß, entgegen allen Trends zu einer allzuständigen streiche hier nur beispielhaft die folgenden heraus: Bundespolizei, von deren Existenz vielfach auch die Bürgerinnen und Bürger ausgehen, die polizeiliche Erstens. Die Beschäftigten des BGS sind bisher Gewährleistung von Sicherheit grundsätzlich Län- nicht so in die Erarbeitung eines Konzepts einbezo- dersache ist und bleibt. gen worden, wie dieses wünschenswert und notwen- dig ist. Außer im 30-km-Grenzstreifen, auf Bahnhöfen so- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wie auf einzelnen Flughäfen hat der BGS regelmäßig und der SPD) keine Aufgaben in der täglichen Gefahrenabwehr und Deliktsverfolgung. Aus all diesen Einsatzräumen Denn Strukturreformen können erfolgversprechend soll der BGS nach dem Reformkonzept des BMI aber nur zusammen mit den Betroffenen entwickelt und nicht abgezogen werden. Der BGS behält also grund- umgesetzt werden, jedoch nicht gegen oder ohne sätzlich seine Tagesaufgaben an den bisherigen Ein- diese. satzorten in unverändertem Umfang. Sicherheitsver- luste für die Bürgerinnen und Bürger entstehen do rt Zweitens. Die Kalkulation und Finanzierung des nicht. Konzeptes stehen bisher augenscheinlich auf töner- nen Füßen. Bei der Dimension des Vorhabens kann d) Auch für geschlossene Einsätze des BGS in Son- es allerdings auch kaum verwundern, daß hier zu- derlagen brauchen dessen Standorte nicht mehr nächst mit zahlreichen unbekannten Größen kalku- kleinräumig verteilt, sehr nahe an möglichen Ein- liert und mit Schätzungen gerechnet werden muß. satzräumen zu liegen. Denn selbst bei kurzfristiger Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Manfred Such Verstärkungsanforderung durch die Länderpolizei nach dem Motto „Alles bleibt am besten, wie es ist". kann der BGS mit seinen modernen Lufttransportka- Ich denke, daß das nicht der Fall sein kann. pazitäten jederzeit schnell auch an entfernteste Ein- satzorte verlegt werden. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das hat keiner erklärt!) e) Eine wichtige Frage ist die, welche Auswirkun- gen Standortschließungen für die Standortgemein- Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren, für den haben. Können Standortschließungen, die durch die Aufmerksamkeit. die genannten politischen Veränderungen geboten sind, wegen der wirtschaftlichen Auswirkungen auf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die betroffenen Gemeinden unterbleiben? Die Ant- wort ist aus unserer Sicht ein klares Nein. Es kann keine Ewigkeitsgarantie für einst gewählte BGS- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Nun gebe ich Standorte ungeachtet aller sicherheitspolitischen das Wort dem Abgeordneten Dr. Max Stadler. Veränderungen geben. Hier muß die Politik so ehr- lich sein und den betroffenen Gemeinden reinen Wein einschenken, statt entgegengesetzte Hoffnun- Dr. Max Stadler (F.D.P.): Herr Präsident! Meine gen zu schüren oder gar an einem Sankt-Florians- sehr geehrten Damen und Herren! Die politischen Wettstreit unter den Standorten mitzuwirken. Nach- Veränderungen zu Beginn dieses Jahrzehnts haben teilige Auswirkungen der Organisationsreform für dazu geführt, daß umfassende Änderungen beim Gemeinden müssen durch Ausgleichsmaßnahmen Bundesgrenzschutz unumgänglich notwendig ge- durch die Länder soweit wie möglich aufgefangen worden sind. Die BGS-Reform von 1992 war lediglich werden. die Vorstufe für eine dauerhafte Neuorganisation. Diese hat der Bundesinnenminister nunmehr in An- f) Im Zuge der Standortveränderungen und Kräfte- griff genommen. verlegungen wird auch von BGS-Mitarbeitern und gegebenenfalls deren Familien mehr Mobilität er- Die damit verbundenen Einzelmaßnahmen lösen wartet. naturgemäß bei den Betroffenen nicht nur Zustim- mung aus. Es wird in die Lebensverhältnisse Tausen- Viertens. Ein letztes Problem des BMI-Konzeptes der Bediensteter des Bundesgrenzschutzes und ihrer ist die vorgesehene Ausdünnung der geschlossenen Familien einschneidend eingegriffen. Der Bundesin- BGS-Verbände bei nur 11 von 21 Einsatzabteilungen. nenminister verdient Anerkennung dafür, daß er Das geht Bündnis 90/Die Grünen nicht weit genug. dennoch diese unbequeme Arbeit auf sich genom- Hier sollte die vorgesehene Stärkung der einzel- men hat. Denn die Umstrukturierung des BGS durfte dienstlichen Komponente des BGS noch weiterge- nicht länger auf sich warten lassen. Die Betroffenen führt werden, wodurch der BGS auch im Tagesdienst haben auch einen Anspruch darauf, Klarheit zu er- vermehrt für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bür- langen, wie es weitergeht. ger tätig werden könnte. (Beifall bei der F.D.P.) Ich komme damit zu meiner Eingangsfeststellung zurück. Die SPD hat mit ihrem Antrag und mit ihrer Es konnte aber nicht so weitergehen wie bisher - Kritik am Reformkonzept des BMI recht. Meine Frak- das hat auch Kollege Such gerade festgestellt -, tion kann diesem Antrag in nahezu allen Punkten zu- stimmen, bis auf dessen zentraler Aussage. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Der kommt aber zu einem anderen Ergebnis!) (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was?) weil sich die Rahmenbedingungen für den BGS Die SPD kritisiert nämlich in ihrem Antrag - ich zi- grundlegend geändert haben. Mit der deutschen tiere - „die vorgesehene massive Reduzierung der Wiedervereinigung und den Umwälzungen in Osteu- Verbandsstruktur" . Genau diese Reduzierung der ropa sowie mit dem Inkrafttreten des Schengener einst im kalten Krieg aufgebauten und überkomme- Durchführungsübereinkommens haben sich die Ein- nen Truppenpolizei, die uns noch nicht weit genug satzschwerpunkte des Bundesgrenzschutzes verän- geht, ist jedoch Voraussetzung dafür, den Einzel- dert. dienst des BGS zu stärken. Wenn die SPD dieses zen- trale Anliegen in Frage stellt, kann sie nicht erwar- Dies mußte zu Auswirkungen auf die Standorte ten, daß Bündnisgrüne einem solchen bleiernen des BGS führen. Die Festlegung der verringerten Strukturkonservatismus Beifall klatschen. Daher Zahl von Standorten hat in der Öffentlichkeit erwar- kann sich meine Fraktion in der Abstimmung über tungsgemäß zu einer breiten und kontroversen Dis- Ihren Antrag nur enthalten. kussion geführt. Seitens des Parlaments ist darauf hinzuweisen, daß es sich bei der Auswahl der Stand- Das läßt unsere sonstigen Einwände gegen das Re- orte um eine Entscheidung handelt, die ausschließ- formkonzept des Bundesinnenministers unberührt, lich in der Organisationszuständigkeit der Bundesre- welches in manchen Punkten überprüft, nachgebes- gierung liegt. sert und präzisiert werden müßte. Doch Zielrichtung dabei kann aus bündnisgrüner Sicht nicht sein, den (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So Reformstau beim Bundesgrenzschutz fortzuschreiben kann man sich auch herausreden!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Dr. Max Stadler Nach Auffassung der F.D.P.-Fraktion sollten die kla- Ulla Jelpke (PDS): Herr Präsident! Meine Damen ren Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten nicht und Herren! Schon einige Kolleginnen und Kollegen verschoben oder verwischt werden. vor mir haben gesagt - darin stimmen wir, wie ich glaube, alle überein -, daß nach dem Zusammen- (Walter Hirche [F.D.P.]: Dennoch werden bruch des realen Sozialismus die Schließung von wir weiter nach Gifhorn fragen!) Standorten des BGS unumgänglich war bzw. eine Es steht dem Bundestag gut an, in der Kommentie- Neukonzeption entwickelt werden mußte. Ich habe rung von Organisationsentscheidungen der Bundes- mich aber gefragt, warum das Innenministerium bei- regierung Zurückhaltung zu üben. Es kann daher spielsweise nicht die Forderungen der Bürgerrechts- auch in der heutigen Debatte nicht darum gehen, ei- bewegung in Westdeutschland aufgegriffen hat, eine gene Standortüberlegungen an die Stelle des Kon- Grenze auch in bezug auf die Präsenz von Polizisten zepts des Innenministers zu setzen. Vielmehr sollten wirklich abzurüsten. Statt dessen haben wir es an der wir uns auf die Feststellung beschränken, daß das Ostgrenze, wie es Innenminister Kanther selber ge- vorgelegte Konzept sagt hat, mit der höchsten Polizeidichte in ganz Eu- ropa zu tun. (Uwe Hiksch [SPD]: Unvertretbar ist!) Die Mauer, die 1989 gefallen ist, wurde meines Er- eine denkbare und vertretbare Lösung unter mehre- achtens nur 200 Kilometer weiter östlich in anderer ren möglichen ist. Form neu errichtet.

Bei Standortentscheidungen fließen in die rein (Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Sie fachlichen Überlegungen in legitimer Weise struktur- wissen ja gar nicht, was die Mauer ist! So politische Gesichtspunkte ein. Da schon bisher die etwas Dämliches überhaupt zu sagen!) meisten Standorte in strukturschwachen Regionen Mit einer einzigartigen Menschen- und Mate rial- angesiedelt waren, konnten in der Diskussion na- schlacht - Herr Such hat ja hier schon gefordert, der hezu von allen von Schließung bedrohten Standorten Haushaltsausschuß sollte einmal offenlegen, was beachtliche strukturpolitische Argumente angeführt diese Grenzsicherung kostet - werden an der deut- werden. Daher wäre es eine Illusion gewesen anzu- schen Ostgrenze, die eigentlich in allernächster Zeit nehmen, daß die Abwägung aller für die Standort- eine Binnengrenze werden sollte, Festungsmauern wahl relevanten Faktoren zu Entscheidungen hätte der EU errichtet. Wie hier schon gesagt wurde, be- führen können, die man als die einzig denkbaren be- trifft das Länder, die mit der EU assoziiert sind, wie werten könnte. Das gilt für Niedersachsen, Herr Kol- Polen oder die Tschechische Republik. lege Hirche - ich spreche mit Gifhorn hier nur einen Problemfall an -, Ich nenne hier noch ein paar Zahlen, damit Sie noch ein wenig lauter schreien können: An dieser (Zuruf von der SPD: Coburg!) Grenze sind 10 000 Beamtinnen- und Beamte statio- und genauso für die Standorte Nabburg und Coburg niert, die sich zum Teil auch aus Zoll und bayerischer in Bayern, für deren Erhalt es zum Beispiel sehr wohl Grenzpolizei zusammensetzen; aber es sind immer- vertretbare und gute Argumente gegeben hat. Aber hin 10 000 Beamte nur an der polnischen und der es gab eben auch einen gewissen Beurteilungsspiel- tschechischen Grenze. Das hat - das sage ich hier raum für den Innenminister. Er hat diesen Spielraum ganz bewußt - schlimme Folgen nicht nur in bezug in seiner Verantwortung wahrgenommen und ein mit auf die wirtschaftliche Struktur. Um diese Probleme vertretbaren Argumenten begründetes Standortkon- zu erläutern, habe ich gar nicht die Zeit. Ich möchte zept vorgelegt. aber darauf aufmerksam machen, daß die Bundesre- gierung in der Beantwortung von Anfragen schon Jetzt kommt es darauf an, die Umsetzung der Re- heute bestätigt hat, daß sich 56 Todesfälle an der form so durchzuführen, daß die Fürsorgepflicht ge- Oder-Neiße-Grenze entweder durch Erfrieren, Er- genüber den von Versetzung betroffenen Beamten sticken oder Ertrinken ereignet haben. und ihren Familien eingehalten wird. Es sollte eine Rahmenregelung zwischen dem Bundesministerium (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ des Innern und dem Hauptpersonalrat für die Umset- CSU]: Das sind die, die um Asyl bitten wol zung der Reform getroffen werden. Neben der Be- len! - Heinrich Wilhelm Ronsöhr [CDU/ achtung der sozialen Belange der BGS-Bediensteten CSU]: Die Schlepperbanden!) erwarten wir, daß die Reform mittelfristig zur Einspa- Ich meine, wenn man hier über Tote an der ehemali- rung von nicht unbeträchtlichen Haushaltsmitteln gen DDR-Grenze spricht, sollte man die Augen nicht führt. davor verschließen, daß an dieser Grenze erneut Menschen sterben, weil sie versuchen, in unser Land Eine weitere Verzögerung erscheint uns bei dem zu kommen. erreichten Diskussions- und Entscheidungsstand nicht verantwortbar. Den darauf abzielenden Antrag (Zuruf von der F.D.P.) der SPD-Fraktion lehnen wir daher ab. - Nein, nicht durch Schüsse - da haben Sie recht - (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne aber auch auf brutale Art und Weise. Ich habe mir ten der CDU/CSU) selbst angeschaut, wie die Grenze abgeschottet wird. Mit Menschenfreundlichkeit hat das nichts zu tun.

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das Das ist nicht alles. Mein Kollege Such hat hier be- Wort der Abgeordneten Ulla Jelpke. reits deutlich gemacht, daß es hier, wie Herr Kanther Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Ulla Jelpke zu seinem Konzept gesagt hat, um eine Raumsiche- Grenze gebraucht werden. Es geht uns nicht um eine rung geht. Meiner Meinung nach ist es eine bedenk- Abschottungspolitik. liche Entwicklung, daß Beamte des Bundesgrenz- Danke. schutzes - man kann sich selbst anschauen, wie es dort aussieht - diese Gegenden weit über die 30-Ki- (Beifall bei der PDS sowie des Abg. Man lometer-Zone hinaus kontrollieren. Innenminister fred Such [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Kanther will dort nun einen sogenannten Sicherheits- schleier ausbreiten. Dieser wird sich letztlich aber Ich gebe dem nicht nur über den Grenzraum, sondern wie Nebel Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bundesminister des Innern, Manfred Kanther, das tendenziell über das ganze Land legen. Wort. Der Raum, den der BGS gerne kontrollieren möchte, geht schon heute weit über die 30-Kilo- Manfred Kanther, Bundesminister des Innern: Herr meter-Zone hinaus. Der BGS führt gerade im Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Der Bun- Osten der Bundesrepublik in gemeinsamen Einhei- desgrenzschutz macht die wichtigste Reform seiner ten mit den Länderkollegen bereits flächendek- Geschichte durch, und zwar in doppelter Hinsicht. kende Kontrollen durch, und zwar bei allen, die nicht deutsch sind, bzw. zur Abwehr von Flucht (Uwe Hiksch [SPD]: Und die falscheste!) und Migration. Der erste Aspekt ist, daß seine Hauptaufgabe an An den Schengener Binnengrenzen finden offiziell der bisherigen Demarkationslinie zwischen den keine Kontrollen aus Gründen des Grenzübertritts Blöcken, besonders an der innerdeutschen Grenze, statt. Aber sollen polizeiliche Schnüffelei und Mas- entfallen ist. senkontrollen gleich hinter dem Schlagbaum wirk- (Manfred Such [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ lich der Preis der Reisefreiheit sein? Ich erinnere an NEN]: Schon vor sieben Jahren!) die vielen Debatten im Zusammenhang mit der Rei- sefreiheit in der ehemaligen DDR. Reisefreiheit be- Infolgedessen muß der Bundesgrenzschutz zu neuen steht an dieser Grenze nicht mehr. Aufgaben, auch in neuen Regionen, geführt werden. Das hat Einfluß auf die Standorte, in denen er bisher Entlang der Schengener Binnengrenzen schließt war. das BMI derzeit mit allen in Frage kommenden Bun- desländern Abkommen für eine umfassende Zusam- Der zweite Aspekt ist die Veränderung des Bildes menarbeit von BGS und Landespolizei ab. Außer der von stationären, noch an früheren Truppenorganisa- Verfolgung von Parksündern wird in diesen Ländern tionsüberlegungen der Herkunftszeit orientierten faktisch nichts mehr ohne den BGS laufen. Ich frage Funktionen hin zum Einzeldienst. mich allen Ernstes, was da von der Hoheit der Län- Das sind die beiden zentralen- Aspekte. Jeder weiß derpolizeien übrigbleibt. das, jeder akzeptiert das, auch beim Bundesgrenz- (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ schutz. Noch einfacher: Wenn die Grenze weg ist, CSU]: Soviel dummes Zeug!) wird sich auch die Grenzpolizei verändern müssen. So einfach kann das sein, wenn man es auf den Doch das ist noch längst nicht alles. Wir haben hier Punkt bringt. bereits von Herrn Kanther gehört bzw. konnten in (Beifall bei der CDU/CSU) seinem Konzept nachlesen - alles O-Ton -, wie sein Sicherheitskonzept aussieht, daß er nämlich so etwas Ich werde jetzt nicht eine vorgefertigte Rede hal- wie ein Sicherheitsnetz errichten will. Er sagt: Im ten, sondern ich wende mich den Ausführungen des Kampf gegen Rücksichtslosigkeit und Unsauberkeit, Kollegen Kemper und dem Antrag der SPD zu. Ich Unordnung und - das finde ich besonders nett - Fer- weiß sehr wohl, Herr Kollege Kemper - das sage ich keleien - wie er das nennt - soll zukünftig der BGS jetzt vorweg, weil ich Ihren Sachverstand schätze -, die bemitleidenswerten Länderpolizeien unterstüt- daß Sie nichts von dem, was Sie gesagt haben, glau- zen. ben. Noch einen abschließenden Satz zum Antrag der (Lachen bei der SPD - Zurufe von der SPD: SPD: Wir werden uns bei der Abstimmung über die- Das ist ja unglaublich! - Unfaßbar!) sen Antrag enthalten. Herr Such hat viele Argu- Herr Kollege Kemper, wenn jemand, der etwas von mente genannt. Aber, Herr Kollege Kemper, meiner Polizei versteht, die Standorte in Bad Bergzabern Meinung nach geht es hier um sehr viel mehr als und Ratzeburg unter funktionalen Aspekten in einen um die Standorte. Ich meine, daß man ermitteln Topf wirft, dann kann man das doch nicht ernst neh- muß, welcher Bedarf für die Grenzpolizei wirklich men. besteht. Herr Kollege Kemper, wenn Sie einfordern, daß es eine enge Abstimmung mit den Ländern geben Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin, müsse - der Kollege Teiser Ihnen eben die einschlä- Sie müssen zum Schluß kommen. gigen Zitate gebracht -, wenn sich die Front der Län- der aufteilt in eine überwältigende Mehrheit, die zu- Ulla Jelpke (PDS): Uns geht es nicht um die Ab- stimmt, und in eine Minderheit von fünf, die wider- schaffung, aber um eine ernsthafte Ermittlung des- sprechen, weil sie von den Standortfragen betroffen sen, wieviel Polizei und welche Konzeption an der sind, dann ist doch offenkundig, wo die Musik spielt. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Bundesminister M anfred Kanther Wenn in allen Stellungnahmen der Länder, die ich sten. Sagen Sie mir doch einmal, wofür ich die do rt eingeholt habe, keine polizeifachliche Kritik am Kon- vielleicht in Zukunft brauchen könnte, wenn es gele- zept geübt wird, sondern wenn der strukturpolitische gentlich um die einzeldienstliche Sicherung der östli- Aspekt des Bundesgrenzschutzes im Hinblick auf die chen oder auch nördlichen Landesgrenze, der See- betroffenen Standorte betont wird, dann kann man grenze, geht und wenn ein wahrscheinlich erforderli es den Ländern ja nicht vorwerfen, aber es ist doch cher Einsatz von größeren Einheiten in Berlin durch offenkundig, daß es sich nicht um Argumente aus Kräfte aus Blumberg abgedeckt werden kann? Wo dem Bereich der inneren Sicherheit, sondern um sol- sind denn überflüssige Investitionen für den neuen che der regionalen Wi rtschaftspolitik handelt. Aufgabenbereich Ostgrenze getätigt worden? Nichts von alledem ist wahr. Sie sagen, die Personalvertretungen seien nicht hinreichend beteiligt worden. Das ist doch ein Witz Sie erklären, die Bahnpolizei verlasse die Fläche. auf Rädern. Ich persönlich habe doch allein drei Be- (Uwe Hiksch [SPD]: Sie haben doch damals gegnungen mit Vertretern des Hauptpersonalrats ge- die Bahnpolizei beleidigt!) habt Was für ein Unfug! 880 Bahnpolizisten mehr sieht (Uwe Hiksch [SPD]: Begegnet, aber nicht das neue Konzept vor. Das neue Konzept macht mit zugehört!) dem Unfug von Kleinstposten Schluß, in denen es so und habe Mitarbeiter zahllose Male zu jeder Einzel- gut wie keine Arbeit gibt. frage angehört. Kein Vertreter der Personalräte (Uwe Hiksch [SPD]: Das ist ein Skandal! Sie macht doch geltend, sie seien nicht hinreichend ge- haben keine Ahnung! Schauen Sie sich hört worden. Sie machen geltend, daß sie anderer Ihren Posten doch an!) Meinung sind. Sie sind in Ihrem Antrag betrüblicher weise der Betonpolitik, die einige in der GdP machen - Wir kommen der Sache im Detail ganz nah. Das er- wollen, aufgesessen. klären Sie dann alles. (Zuruf von der SPD: Das ist doch skandalös! Erklären Sie doch einmal, warum in einem Bahn- „Betonkopf" ist über Sie gesagt worden, polizeiposten mit 16 Polizeivollzugsbeamten 416 Straf- Herr Kanther, von Herrn Regenspurger!) taten im Jahr bearbeitet werden. Das sind 26 pro Mann und Jahr. In einem anderen Posten werden Sie folgen einer Betonpolitik nach dem Motto: Nichts 22 Straftaten pro Mann und Jahr bearbeitet. In einem darf sich verändern, egal, wie die Verhältnisse sind. weiteren Posten sind im Jahr 1996 von 17 Polizeibe- Das ist eine untaugliche Politik, die man zwar in der amten 111 Straftaten bearbeitet worden: 7 pro Mann Opposition, nicht aber als Regierung machen kann. und Jahr. (Bodo Seidenthal [SPD]: Fragen Sie doch (Uwe Hiksch [SPD]:- Haben Sie schon ein einmal Herrn Hirche und Herrn Sikora!) mal was von Vorbeugung gehört? Diffamie Sie behaupten, die Maßnahmen seien nicht hinrei- rung!) chend beziffert. Lieber Himmel, gestern haben Sie Das sind noch die uralten Strukturen aus der Reichs- eine 14 Seiten lange Vorlage im Haushaltsausschuß bahnzeit und aus der Vorkriegszeit. Diese Strukturen zur Kenntnis genommen und dabei keine Kritik an werden jetzt verändert. dem Zahlenwerk geäußert. Eine Sperre für 1000 Per- sonalstellen, die der Haushaltsausschuß vor vier Wo- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge chen vorgesehen hat, ist gestern mit Ihrer Zustim- ordneten der F.D.P. - Uwe Hiksch [SPD]: mung aufgehoben worden. Ich muß doch diese Auf- Das ist eine Beleidigung!) hebung der Sperre der Personalstellen nicht gerade Die Bahnpolizei wird dort gebraucht, wo die Krimi- als Mißtrauensvotum gegen dieses Konzept ansehen. nalität vorhanden ist, und nicht do rt, wo sie nicht vor- Detaillierter konnte das gar nicht gerechnet wer- handen ist. den. Wenn man von 21 Standorten jetzt mindestens (Uwe Hiksch [SPD]: Wenn ein Chef schlecht 10 aufgibt, dann folgt doch nach Adam Riese, daß über seine Leute redet, muß er zurücktre man wesentliche Unterhaltungs- und Investitionsko- ten!) sten einsparen wird. Sehen Sie, das alles ist Ihnen doch auch vollkommen klar. - Ich rede hier nicht über meine Leute schlecht, son- dern ich rede davon, daß ein überholtes Konzept re- Sie behaupten, es gebe eine Verfestigung grenz- formiert werden muß. polizeilicher Strukturen auf Grund von hohen, mit Blick auf die Ostgrenze getätigten Investitionen. Wo (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ist denn diese Verfestigung? Ich begründe doch flächendeckender Bahnpolizei. keine einzige neue Einsatzabteilung an der Ost- Sie sprechen von Meine verehrten Kollegen von der Opposition, ich grenze. Ich hebe die Einsatzabteilung in Neustrelitz glaube, Sie wissen gar nicht, von welchen Zahlen Sie auf. Sie halten sich bei dieser Aufhebung auf, aber Sie sagen nichts dazu, daß das Aus- und Fortbil- sprechen. In Deutschland gibt es 6000 Haltepunkte der Bahn. Bisher gibt es 65 ständig besetzte Bahn- dungszentrum Ost do rt verbleibt und eher mehr als polizeiwachen und 103 gelegentlich besetzte Wa- weniger Beamte haben wird. chen. Das sind 168 Bahnpolizeistationen bei 6000 Hal- Es ist eine sachgerechte Neuformation erfolgt. tepunkten. Da sprechen Sie von einem flächendek- Denn wir brauchen in Neustrelitz keine 500 Polizi kenden Konzept! Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Bundesminister Manfred Kanther In Zukunft wird es 125 ständig besetzte Posten ge- Die Zukunftsperspektive des BGS ist völlig ein- ben. Das sind knapp doppelt soviel wie bislang. Die deutig. Diese Koalition und diese Regierung hat in Bahnpolizei gehört auf Bahnhöfe und in Züge, wo die den letzten Jahren die Aufwendungen für die Bun- Zentren der Kriminalität in diesem Bereich sind. Dort despolizei um rund 40 Prozent gesteigert. Wenn man werden wir sie hinbringen. das von allen Ländern, insbesondere von den von So- zialdemokraten regierten Ländern, sagen könnte, Niemand kann den Ehrgeiz haben, an jedem Hal- wären wir bei der inneren Sicherheit besser dran. tepunkt der Deutschen Bahn AG einen Bahnpolizei- posten zu haben. Oder Sie müßten sich vielleicht ein- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - mal mit der Frage auseinandersetzen, warum mir die Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Tun Sie Bundesbahn ausdrücklich mitteilt, daß sie mit dem doch nicht so! Das ist doch einheitsbedingt!) Bahnpolizeikonzept, das mit ihr zusammen entwik- Die Bundespolizei hat 3200 neue Stellen geschaffen. kelt worden ist, einverstanden ist und keine Ände- Wenn man das von allen Landespolizeien sagen rungswünsche hat. Wieso weiß die SPD-Fraktion/ könnte - aber insbesondere in den von Ihnen regier- GdP es besser als die Bahn AG, wenn es um Bahnsi- ten Ländern werden die Polizeistärken vermindert cherheit geht? Die Bahnpolizei ist der große Gewin- und die Stellenpläne eingedrückt -, stünde es um die ner dieser Reform, sowohl durch Neuorganisation innere Sicherheit besser. wie auch durch eine Verstärkung des Personals. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Zur räumlichen Deckungsgleichheit. In weiten Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Völliger Teilen des Binnenlandkonzeptes richten sich die Unfug!) Strukturen der Inspektionen nach bahnpolizeilichen Aspekten. Diese sind mit Kreis- oder Landesgrenzen Wir haben mit den Personalräten ein Personalver- nicht deckungsgleich. Die Bahn hat es an sich, daß wendungskonzept erarbeitet; sie haben ihm zuge- sie über Landesgrenzen hinwegfährt. Die Bahnstruk- stimmt. In Zukunft weiß jeder, welchen Berufsweg turen werden dementsprechend neu begründet. Sie im BGS er gehen wird. Wir haben mit dem Reform- waren auch bisher mit Landesgrenzen nicht dek- konzept einen Organisations- und Dienstplan veröf- kungsgleich. fentlicht, damit sich jeder auf den Platz bewerben kann, auf den er gerne möchte, zum Beispiel wenn Sie fordern ein BGS-Präsidium See. Was für ein sein Standort aufgelöst wird. Wir haben eine Rund- bürokratischer Unfug! Wie kann man auf so einen umreform vorgelegt, die umfassender gar nicht sein Gedanken kommen? Wir bilden ein Grenzschutzamt könnte. See, weil es sinnvoll ist, alle grenzpolizeilichen Auf- Die Fragen der Umsetzung im einzelnen werden gaben an der See in einem Amt zu erledigen. Wir ha- noch sehr schwierig sein, auch die Umsetzung von ben an einem einzigen wichtigen Punkt Landesgren- Personal. zen in Westniedersachsen geringfügig überschritten, - weil es die Meinung aller Sachverständigen ist, daß (Günter Verheugen [SPD]: Das werden Sie die westliche Landesgrenze beim Grenzschutzamt nicht mehr machen müssen!) Kleve in einer Hand sein und nicht zwischen Nord- - Doch, das werden wir ganz sicher machen, und rhein-Westfalen und Niedersachsen geteilt werden zwar aus vielen Gründen. Erstens werden wir gleich soll. Mit meinem Kollegen in Niedersachsen habe ich anfangen. Zweitens werden wir, weil für die Umset- abgesprochen, daß der BGS für die Niedersächsische zung des Konzepts etwa zwei bis drei Jahre gedacht Landesregierung selbstverständlich einen Ansprech- sind, partner darstellen wird. Darüber gibt es keinen Streit. (Uwe Hiksch [SPD]: Dann sind Sie nicht mehr im Amt!) Sie rügen die massive Reduzierung der Verbands- struktur und somit der Standorte. An der Stelle das in dieser Zeit so weiterführen, wie wir es geplant kommt dann der opportunistische Pferdefuß ganz haben. Da brauchen Sie keine Sorge zu haben. deutlich zum Ausdruck. Aber bleiben wir bei der Re- (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Sie duzierung der Verbandsstruktur. Können Sie mir er- unterliegen einem Irrtum!) klären, warum die Bundespolizei, subsidiär zustän- dig für die Bereitschaftspolizei, 19 Prozent ihrer Be- Insbesondere die Fragen der inneren Sicherheit amten für den bereitschaftspolizeilichen Dienst in sind bei dieser Koalition in so guten Händen, daß Sie Einsatzabteilungen vorhält und die Landespolizei, sich da auch in kommenden Auseinandersetzungen originär zuständig für die Bereitschaftspolizei, 9 Pro- keine Sorge machen müssen. zent? Wir halten das Doppelte an bereitschaftspoli- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - zeilicher Kapazität vor wie die Landespolizeien bei Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Völlig genau derselben Manpower wie in der Vergangen- lächerlich!) heit. Wenn Sie davon nicht überzeugt sind, dann emp- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist fehle ich Ihnen immer neu die Hamburger Wahl- dann aber Absicht!) kampferfahrungen. Dann ist mir nicht bange um un- ser Ansehen. Infolgedessen leisten wir einen ganz hohen Beitrag zur bereitschaftspolizeilichen Präsenz in Deutsch- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge land. ordneten der F.D.P.) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Bundesminister Manfred Kanther Ich sage es noch einmal: Die Fragen der Konver- Das ist nicht meine Meinung. So etwas ist nach dem sion, die Sie ansprechen, gehören zu den schwieri- Motto: Unten toben, oben loben! gen Fragen; das ist bei keiner Behördenveränderung anders. Dies gilt ganz besonders für die Aufgabe von Als Mitglied des Haushaltsausschusses will ich auf Standorten. Dies war und ist bei manchen Grund- das Bezug nehmen, was Sie gesagt haben, nämlich stücken des Bundeswehrnachlasses oder auch der daß eine 14 seitige Vorlage ohne Kritik zur Kenntnis Alliierten schwierig. Dies wird auch beim Bundes- genommen worden sei. Sie erinnern sich sicher noch grenzschutz schwierig sein. an gestern abend.

Nur, es wäre doch keine vernünftige Politik, einen (Zuruf von der SPD: Da kann man sich nie Standort besetzt und somit kostenträchtig offenzu- so sicher sein!) halten, mit Polizei an Plätzen, wo man sie nicht braucht, nur weil man vielleicht Schwierigkeiten hat, Ich habe mich gegen den Ausdruck „zustimmende einen richtigerweise aufgegebenen Standort an- Kenntnis" verwahrt, weil es - wie Herr Stadler zu schließend grundstücksmäßig zu verwerten. Ich be- Recht sagte - durchaus unterschiedliche Vorstellun- streite nicht, daß es diese Schwierigkeiten geben gen von der notwendigen neuen Konzeption des kann; sie sind unvermeidlich. Es wird eine Weile BGS geben mag. Dabei besteht ein sehr großer Un- dauern, bis diese überwunden werden können. Das terschied zu dem, was die Gewerkschaft der Polizei- ist der Punkt, der gestern im Haushaltsausschuß an- vorgelegt hat. Deswegen finde ich es nicht nur diffa- klang: Es obliegt uns, nachzulesen und ständig zu mierend, sondern auch unse riös, daß Sie - den ich im berichten. Diese Pflicht werden wir selbstverständ- Haushaltsausschuß als sehr sachlichen Gesprächs- lich erfüllen. Das ist auch etwas, was mich sehr inter- partner kennengelernt habe; was Sie heute vorge- essiert. führt haben, ist für mich völlig neu -,

Wir werden mit der Umsetzung des Personals un- (Beifall bei der SPD) verzüglich beginnen. Wir werden uns insbesondere dem Tarifpersonal zuwenden müssen - das hat auch sich erlauben zu sagen, es handele sich um einen An- Herr Kollege Kemper angesprochen -, weil es vor al- trag „SPD/GdP". Damit tun Sie beiden Seiten un- lem für die einfachen Dienstgrade schwierig sein recht; das ist Ihrer eigentlich unwürdig. wird, in den strukturschwachen Gebieten, in denen die Standorte überwiegend liegen, anderweitig Ar- Zur haushaltsmäßigen Beurteilung. Die qualifi- beit zu finden. zierte Sperre, Herr Minister, habe selbst ich als nicht logisch mit dem Konzept im Zusammenhang stehend (Zuruf von der SPD: Das stört Sie ja nicht!) betrachtet. Wir im Haushaltsausschuß sind nicht die- Es besteht kein Zweifel daran, daß dies schwierig ist. jenigen, die sich fachlich, innenpolitisch mit dem Aber auch dies ist kein Grund, Standorte, die man Konzept befassen. Wir haben die Implikationen und nicht mehr braucht, aufrechtzuerhalten. Auswirkungen auf den Haushalt zu beraten. Wir ha- ben zu diesem Instrument nur gegriffen, um eine Es kann eigentlich auch nicht Ihre Meinung sein, kurze Debatte zu ermöglichen, weil dieses Problem daß man die Bundespolizei zuerst als Kaufkraftfaktor bei der Bereinigungssitzung - wie Sie wissen - nicht in der Region versteht in seiner gebührenden Breite angesprochen werden (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das konnte. hat doch keiner getan!) Sie erinnern sich sicher an folgendes: Diese Sperre und nicht zuerst unter dem Gesichtspunkt sieht: Wo erging selbstverständlich einvernehmlich, aber nur sind ihre Aufgabenschwerpunkte, und wie ist ihre weil diese tausend Leute ja schon arbeiten und wir Zukunftsstruktur, mit der sie ihren Sicherheitsbeitrag sie ordentlich etatisieren - das heißt auf Planstellen erbringen kann? Dieser Sicherheitsbeitrag wird in setzen - wollten. Es ist doch etwas Selbstverständli- Zukunft bevorzugt im Einzeldienst erbracht, und ches, den Menschen gerecht zu werden - haushalts- zwar an der Grenze - an der östlichen, aber auch an mäßig gesehen. der westlichen -, auf den Bahnhöfen und im Bereich Luftsicherheit. Das ist ein zukunftsfähiges Konzept Gestern abend habe ich mehrere Kritikpunkte an- für eine ganz mode rne Bundespolizei von höchstem gebracht. Von der rechten Seite des Hauses wird im- Leistungsstandard. Das werden wir durchsetzen. mer wieder betont, das Ganze sei toll durchgerech- net. Selbstverständlich wird auf die Dauer gesehen - (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) das bestreitet niemand; auch SPDIer können rechnen - eine Ersparnis herausspringen, wenn Sie große Lie- genschaften aufgeben; denn Bewirtschaftungskosten Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Mir liegen die Wortmeldungen zu zwei Kurzinterventionen vor. Zu- fallen weg. Die Erlöse allerdings gehen ins allge- nächst gebe ich das Wort der Abgeordneten Titze- meine Bundesvermögen über. Stecher. Die Höhe der Erlöse ist unbekannt; die Höhe der Trennungsgeld- und Reisekosten ist unbekannt. Da- Uta Titze-Stecher (SPD): Herr Minister, ich will Sie bei ist auf den Dissens zwischen dem, was die Ge- nicht mit solchen Schoten langweilen, wie sie Herr werkschaft der Polizei an Bewegungen als nötig er- Regenspurger gemacht hat, der mit dem unsäglichen achtet - Größenordnung von bis zu 11000 DM -, und Ausdruck „Fälscherwerkstatt im BMI" zitiert wurde. dem, was Sie behaupten -4000 DM -, hinzuweisen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin, schaft der Polizei von innerer Sicherheit fünfmal Ihre Redezeit ist zu Ende. mehr Ahnung hat als Sie.

(Beifall bei der SPD) Uta Titze-Stecher (SPD): Ich komme zum Schluß. (Beifall bei der CDU/CSU) Zum zweiten halte ich es geradezu für einen Skan- dal, wenn Sie hier wider besseres Wissen behaupten, - Das glaube ich, daß Sie über diese Geldfragen nicht es habe keine grundsätzlichen sicherheitspolitischen reden wollen. - Die Höhe der Kosten für die Inspek- Bedenken gegen das von Ihnen vorgelegte BGS- tionen und die Mieten ist unbekannt. Konzept gegeben. Sowohl die Gewerkschaft der Poli- zei als auch mehrere Rednerinnen und Redner der Wie Sie selbst sagen, ist der Stellenabbau beim Zi- Sozialdemokratie im Innenausschuß haben mit sehr vilpersonal - sowohl in der Höhe als auch in der A rt - klaren Worten und Stellungnahmen deutlich ge- problematisch. Ich denke, wir haben eine ganze macht, daß wir hier kein innenpolitisches Konzept Menge Gründe aufgelistet, die eine zustimmende vorliegen haben, das mehr Sicherheit schafft, son- Kenntnisnahme einfach nicht möglich erscheinen lie- dern ein Unsicherheitskonzept, das in diesem Land ßen. die innere Sicherheit gefährdet und zum Teil auch (Beifall bei der SPD) kaputtmacht. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Minister, Sie können darauf antworten. Sie wissen, sehr geehrter Herr Kanther - auch das hat mein Kollege aus Coburg sehr deutlich ausge- führt -, daß Sie mit Zahlen gearbeitet haben, die Manfred Kanther, Bundesminister des Innern: Ich falsch sind, und daß Sie zum Teil, wie Kollege Regen- möchte zwei Aspekte erwähnen. We il ich soviel mit spurger gesagt hat, mit gefälschten Zahlen gearbei- den Personalräten und Berufsvertretungen gespro- tet haben, weil sowohl das, was im Bereich der unter- chen habe, kenne ich deren Argumente so gut und schiedlichen Standorte zugrunde gelegt wurde, als weiß deshalb, daß sie deckungsgleich mit den Ihren auch das, was an Fahrzeiten angesetzt wurde, nichts, sind. Gnädige Frau, diese Argumente sind nicht un- aber auch gar nichts mit der Realität zu tun hatte. würdig, aber sie sind der falsche Weg. Im Hinblick auf die Erlöse sind Sie nun ganz und Deshalb, lieber Kollege Kanther, sage ich Ihnen: gar auf dem Holzweg. Ich verweise Sie auf die Wenn es einen gibt, der Beton angewendet hat, dann Seite 11 des Finanzkonzepts: ist es sicher nicht die Gewerkschaft der Polizei. Ich möchte mich ausnahmsweise meinem Coburger Kol- Zu diesen Einsparungen kommen die Einnahmen legen anschließen. Der einzige,- der mit Beton gear- hinzu, die dem Bundeshaushalt aus dem Verkauf beitet hat, sind Sie. Sie scheinen ein Betonkopf zu der aufgegebenen Liegenschaften sowie gegebe- sein, weil all das, was vorgetragen wurde, Sie per- nenfalls des abzugebenden Materials aus diesen sönlich nicht berührt und interessiert hat. A lles, was Liegenschaften zufließen. gesagt wurde, ist an Ihnen abgetropft. Dieses Kon- zept ist eine Schande. Die eventuelle Einnahme ist nicht eingerechnet. Daraus können Sie beim allerbesten Willen kein De- (Beifall bei der SPD - Widerspruch bei der fizit konstruieren. Wir werden jedenfalls etwas erlö- CDU/CSU) sen. Das wird die Bilanz verbessern und nicht ver- schlechtern. Danke. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Mir liegen eine Reihe von persönlichen Erklärungen zur Abstim- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) mung nach § 31 der Geschäftsordnung vor, und zwar von den Kollegen Rudolf Meyer (Winsen), Jürgen Si- kora, Engelbert Nelle, Otto Regenspurger, Dr. Dionys Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Jetzt kommt Jobst und Helmut Heiderich. Wenn kein Wider- die Kurzintervention des Kollegen Hiksch. - Bitte. spruch besteht, geben wir diese Reden zu Proto- koll.*) Uwe Hiksch (SPD): Liebe Kolleginnen und Kolle- gen! Es ist für die Sozialdemokratie durchaus keine Dann kommen wir zur Abstimmung über den An- Schande - wir nehmen es als Lob -, wenn die SPD trag der Fraktion der SPD zur Reform des Bundes- und die Gewerkschaft der Polizei in einem Atemzug grenzschutzes. Das ist die Drucksache 13/8977. Wer genannt werden. dem Antrag der Fraktion der SPD zustimmt, den bi tte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - (Beifall bei der SPD) Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß der Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Eines müssen wir ganz deutlich feststellen: Wenn Stimmen der Fraktion der SPD bei Stimmenthaltung wir das der Gewerk- sicherheitspolitische Konzept der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe schaft der Polizei mit dem vergleichen, was Sie, sehr der PDS abgelehnt worden ist. geehrter Herr Kanther, vorgetragen haben, dann müssen wir eineindeutig feststellen, daß die Gewerk *) Anlage 7 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: fried Nachtwei, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beratung des Antrags der Abgeordneten Elisa bet Altmann (Pommelsbrunn), Marieluise Individualentschädigung für tschechische Beck (Bremen), Matthias Berninger, weiterer Opfer des Nationalsozialismus Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ - Drucksache 13/8871 — DIE GRÜNEN Überweisungsvorschlag: Lebenslanges Lernen (I): Berufliche Weiter- Innenausschuß (federführend) bildung in Deutschl and ausbauen Auswärtiger Ausschuß Haushaltsausschuß - Drucksache 13/8899 — Überweisungsvorschlag: b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Dr. Helmut Lippelt, Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technolo- gie und Technikfolgenabschätzung (federführend) Winfried Nachtwei, weiterer Abgeordneter Ausschuß für Wirtschaft und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung NEN Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Errichtung einer Bundesstiftung „Entschä- Für die Aussprache war eine halbe Stunde vorge- digung für NS-Zwangsarbeit" sehen. Die Reden der Kollegen Werner Lensing, - Drucksache 13/8956 — Franz Thönnes, Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn), Dr. Karlheinz Guttmacher, Maritta Böttcher und der Überweisungsvorschlag: Parlamentarischen Staatssekretärin Elke Wülfing Innenausschuß (federführend) Auswärtiger Ausschuß sind zu Protokoll gegeben.*) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 13/8899 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie c) Beratung des Antrags der Abgeordneten damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Andrea Fischer (Berlin), Volker Beck (Köln) Überweisung so beschlossen. und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN Leistungen der gesetzlichen Rentenversi- Damit rufe ich Tagesordnungspunkt 13 auf: cherung für die osteuropäischen Opfer von Erste Beratung des von den Fraktionen der NS-Zwangsarbeit CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs - Drucksache 13/9218 eines Gesetzes zur Stärkung der Finanzgrund- —Überweisungsvorschlag: lage der gesetzlichen Krankenversicherung in - Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) den neuen Ländern (GKV-Finanzstärkungsge- Innenausschuß setz - GKVFG) Rechtsausschuß Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend - Drucksache 13/9377 Haushaltsausschuß —Überweisungsvorschlag: ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gün- Ausschuß für Gesundheit ter Verheugen, Rudolf Scharping und der Für die Aussprache war nach einer interfraktionel- Fraktion der SPD len Vereinbarung eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Errichtung eines Sozialwerks für tschechi- Die Reden der Kollegin Angelika Pfeiffer, des Sozial- sche NS-Opfer ministers von Baden-Württemberg, Dr. Erwin Vetter, - Drucksache- 13/9395 der Kollegen Klaus Kirschner, Dr. Ma rtin Pfaff, Mo- nika Knoche, Dr. Dieter Thomae, Dr. Ruth Fuchs und Überweisungsvorschlag: von Bundesminister Horst Seehofer sind zu Protokoll Innenausschuß (federführend) gegeben worden.**) - Ich sehe und höre dazu keinen Auswärtiger Ausschuß Widerspruch. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wo- Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetz- bei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sieben Mi- entwurfes auf Drucksache 13/9377 an den Ausschuß nuten erhalten soll. - Ich sehe und höre keinen Wi- für Gesundheit vorgeschlagen. Gibt es andere Vor- derspruch. Dann ist das so beschlossen. schläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Über- weisung so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe der Abgeord- neten Dr. Antje Vollmer das Wort. Dann rufe ich die Tagesordnungspunkte 14 a bis c und den Zusatzpunkt 8 auf: Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zeit 14. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten verrinnt, und zwar besonders grausam für die Opfer Dr. Antje Vollmer, Volker Beck (Köln), Win- des NS-Terrors in den mittel- und osteuropäischen *) Anlage 8 Ländern, die noch immer auf ein Zeichen und eine **) Anlage 9 kleine Entschädigung aus diesem Land warten. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Dr. Antje Vollmer Was die tschechischen Opfer des NS-Terrors be- - Sie können gleich gerne etwas dazu sagen. trifft, so warten sie seit Beginn der Debatte um die In diesen Verwaltungsrat aber - so wie wir es ge- Deutsch-Tschechische Erklärung darauf und wurden hört haben - Vertriebenenfunktionäre zu setzen immer wieder vertröstet. Das ist nun fast drei Jahre heißt, die sehr, sehr schwierige Debatte, die eigent- her. Damals ist ihnen immer gesagt worden: Wir wol- lich schnell und unbürokratisch beendet werden len etwas tun; aber das wollen wir zusammen mit der muß, und die Hilfe, die unbürokratisch bei den Op- Erklärung tun. Der Prozeß um die Erklärung hat zwei fern ankommen muß, unselig zu erschweren. Wir ganze Jahre gedauert. Am Ende stand in bezug auf meinen, daß es an jeder Sensibilität gefehlt hat, die NS-Opfer eine Entscheidung, die von den Büro- wenn man Leute in diesen Verwaltungsrat setzt, von kraten jetzt immer wieder undeutlich interpretiert denen wir wissen, daß sie Gegner der Deutsch wird. Alle Verhandlungspartner wissen aber, daß es Tschechischen Erklärung waren. vorgesehen war, daß die NS-Opfer spätestens zu die- sem Zeitpunkt etwas bekommen sollten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Seit der Verabschiedung der Deutsch-Tschechi- schen-Erklärung, seit nun fast einem Jahr, sind 500 Um es ganz deutlich zu sagen: Ich möchte, daß in tschechische NS-Opfer verstorben. Wir haben jetzt den Prozeß, der durch die Deutsch-Tschechische Er- keine Zeit mehr zu verlieren, die wenigen, die noch klärung begonnen wurde, selbstverständlich auch leben, individuell zu entschädigen. Deshalb hat Vertreter der Sudetendeutschen hineinkommen. Das meine Fraktion dafür plädiert, diesen Antrag, den ist für mich von Anfang an selbstverständlich gewe- wir im Oktober dieses Jahres eingereicht haben, sen. Ich habe immer gesagt, man müsse die Sudeten- heute nicht erst umständlich an die Ausschüsse zu deutschen mit einbeziehen. Sie gehören in das Fo- überweisen, sondern gleich darüber abzustimmen. rum, sie gehören in die Gremien, die miteinander re- Die Sachlage ist völlig klar, und die Zeit drängt. den müssen. Sie gehören aber nicht als erschweren- des Moment in einen Verwaltungsrat, der dafür sor- Die Regierungskoalition hat dies nicht ermöglicht. gen muß, daß die Opfer schnelle Hilfe bekommen Das bedauern wir sehr. Wir fordern Sie aber dringend sollen. auf - ich vermute, Sie werden gleich erklären, daß Sie diesen Antrag unterstützen wollen -, daß der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN letzte Termin, von dem an diese Regelung Gültigkeit sowie bei Abgeordneten der SPD) haben muß, der Holocaust-Gedenktag im Januar ist. Im übrigen ist es auch so, daß die Besetzung des Es ist ja auch nicht einzusehen - Sie müssen sich Verwaltungsrats mit solchen Vertretern der Vertrie- einmal diese Brutalität vorstellen -, daß Opfer und benenverbände schon nach tschechischem Recht Leidensgenossen aus Polen, Rußland, Weißrußland überhaupt nicht möglich ist. Sie wissen, daß die und der Ukraine eine individuelle Entschädigung er- Tschechen ein Stiftungsgesetz erlassen haben, in halten, die tschechischen NS-Opfer aber nicht. Eine dem steht, daß von den Aufgaben- einer solchen Stif- Entschädigung erhalten ab 1998 ebenso die Opfer tung potentiell Bevorzugte nicht in den Verwaltungs- aus der Slowakei, Bulgarien, Rumänien oder aus räten sein dürfen. Die Tschechen könnten es also gar dem ehemaligen Jugoslawien. Alle diese bekommen nicht akzeptieren. Sie könnten keine entsprechen- von Deutschland finanzierte Individualentschädigun- den Leute ihrerseits in diesen Verwaltungsrat setzen. gen. Ausgerechnet die tschechischen Opfer, die die Deswegen muß man, wenn man eine Verständigung ersten Opfer von Hitlers Aggressionskriegen waren, will, darauf achten, daß man in dieser Frage so vor- die in dem Land leben, in dem die ersten KZs ent- geht, daß man zu einem praktischen Ergebnis standen, die nicht auf deutschem Boden gebaut wor- kommt. den sind, sollen leer ausgehen. Das geht nicht. Ich hoffe, daß wir das heute gemeinsam hier bekräftigen. Ich denke, daß der Vorschlag der Sozialdemokra- ten, ein Sozialwerk zu schaffen, ein sehr guter Vor- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schlag ist. Wir unterstützen ihn, weil er mögli- und bei der PDS sowie bei Abgeordneten che schwierige Gesetzesinterpretationen schnell zu der SPD) einem guten Ende bringt. Soviel zu diesem Punkt. Es hat nun eine sehr unselige Debatte über den (Vorsitz: Präsidentin Dr. Rita Süssmuth) Zukunftsfonds und die Besetzung des Verwaltungs- rates gegeben. Sie wissen, daß ein Teil der Schwie- Meine Damen und Herren, wir legen Ihnen heute rigkeiten, die in der Verhandlung aufgetreten sind, auch zwei Anträge zur Entschädigung von NS mit genau der Frage zu tun haben, wer in diesen Ver- Zwangsarbeiterinnen und -arbeitern vor. Das ist ein waltungsrat gehört. Dazu will ich eines sagen: Wer Thema, über das wir hier nun, wie ich glaube, fast wirklich will, daß die Opfer sehr schnell Hilfe bekom- schon seit Jahrzehnten gesprochen haben. Bisher hat men sollen, der muß in diesen Verwaltungsrat kno- die Bundesregierung immer behauptet, die Lohnan- chentrockene Beamte setzen, sprüche der Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter wür- den unter das Reparationsrecht fa llen und könnten (Günter Verheugen [SPD]: Nein!) nicht individuell von den Opfern geltend gemacht werden. Diese Auffassung hat das Bundesverfas- die nach Recht und Gesetz unabhängig handeln. Das sungsgericht im letzten Jahr als irrig bewe rtet. Vor ist meine feste Position. wenigen Wochen hat auch das Bonner Landge richt (Günter Verheugen [SPD]: Sie haben wieder den Gesetzgeber aufgefordert, hierzu endlich eine einmal keine Ahnung!) gesetzliche Regelung vorzusehen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997 Dr. Antje Vollmer Es war schon sehr merkwürdig mit diesen Zwangs- heute abend leider noch einmal aufgeschlagen wer- arbeitern: Sie kamen mit ihren Forderungen immer den muß. Keinem in diesem Haus gereicht es zur zur falschen Zeit. Erst kamen sie zu früh, und man Ehre, daß wir 45 Jahre nach Beginn der Entschädi- hatte immer gesagt, es gebe noch keinen Friedens- gungs- und Wiedergutmachungsgesetzgebung fest- vertrag; man könne sie also nicht berücksichtigen. stellen müssen, daß es immer noch große in- und aus- Jetzt kommen sie zu spät, und man sagt, ihre zivil- ländische Opfergruppen gibt, denen bisher auch die rechtlichen Ansprüche seien nun verfallen. Offen- kleinste humanitäre Geste als Anerkennung für das sichtlich gibt es nie einen richtigen Zeitpunkt, zu Unrecht verweigert worden ist, das ihnen angetan dem Opfer zu ihrem Recht kommen. Dagegen prote- worden ist. Man kann das nicht entschädigen; man stieren wir. kann das nicht wiedergutmachen. Aber wenigstens kann man es anerkennen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall des Abg. Ge rt Weisskirchen [Wies der PDS) loch] [SPD]) Wir schlagen eine Bundesstiftung vor, die anteilig und wenigstens kann man dafür sorgen, daß die von eben jenen Nutznießern der NS-Zwangsarbeit, Menschen, deren Gesundheit durch Zwangsarbeit also vor allem vom Staat auf der einen Seite - denn er und KZ-Aufenthalt ruiniert worden ist, im Alter eine war Nutznießer - und in sehr großem Umfang von Hilfe bekommen, um menschenwürdig leben zu kön- der deutschen Industrie und den großen Konzernen nen. auf der anderen Seite, finanziert wird. Das haben wir schon vor Jahren vorgeschlagen. Wir meinen, daß es (Beifall bei der SPD und der PDS sowie des nach dem letzten Spruch des Bonner Landgerichts Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE jetzt höchste Zeit ist, dieses Gesetz in die Wege zu GRÜNEN]) leiten. Wer die Lebensbedingungen von NS-Opfern in Noch etwas: Zwangsarbeiterinnen haben Geld in den Staaten, in denen wir nichts getan haben, gese- die deutsche gesetzliche Rentenversicherung einge- hen hat, der schämt sich, ein Vertreter des deutschen zahlt. In diesem Fall handelt es sich also nicht um Parlaments zu sein, der mit diesen Menschen reden versicherungsfremde Leistungen - damit das klar ist. muß. Es ist schlimm, daß die Bundesregierung es bis Der Skandal ist nur: Sie können dieses Geld nicht vor wenigen Tagen nicht für nötig gehalten hat, zum wieder herausbekommen. Diese Rechtslage muß Beispiel mit den tschechischen Opferverbänden jetzt wirklich beendet werden. Das will unser Antrag überhaupt ein einziges Wort zu reden, und daß erst erreichen. Hier geht es nicht um zusätzliche Entschä- massiver Druck von diesem Pult aus auf den Bundes- digungszahlungen, hier geht es zumeist um Geld, außenminister dazu geführt hat, daß er bereit war, das von den Opfern eingezahlt wurde und das ihnen die Delegation der tschechischen Opferverbände schon lange zusteht. überhaupt zu empfangen.- Ich kann das nicht verste- hen. Es steht in einem völligen Widerspruch zu den Ich möchte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen Erklärungen aller Bundesregierungen, auch dieser insbesondere auch von den Koalitionsfraktionen, Bundesregierung, was die moralische Verpflichtung herzlich bitten - wir wissen, daß wir Ihre Mehrheit unseres Landes angeht, NS-Opfer gleichzubehan- brauchen -: Helfen Sie uns doch jetzt, daß wir in der deln, ihnen gleiches Recht zuzugestehen und nicht Zeit bis Ende Januar - also bis zu dem Gedenktag, zuzulassen, daß einzelne Opfergruppen gegenüber an dem, wie auch Sie wissen, man wieder auf dieses anderen ausgespielt werden. Land gucken wird und fragen wird, wie es jetzt mit der Entschädigung der NS-Opfer weitergegangen ist Die Anträge, die heute hier vorliegen, muß ich dif- - endlich zu einem Ergebnis kommen, mit dem wir ferenzieren. Die zwei Anträge der Grünen, die sich uns vor den Opfern sehen lassen können, die schon auf Zwangsarbeit und die Anerkennung von Renten- lange darauf warten, daß end lich das kommt, worauf zeiten von Zwangsarbeitern beziehen, entsprechen sie ein Anrecht haben und was sie sich von diesem Vorschlägen, die meine Fraktion in ihrem Antrag Land wünschen. „Wiedergutmachung für die Opfer von NS-Willkür maßnahmen" bereits am 24. September dieses Jahres Vielen Dank. vorgelegt hat. Das, was dazu zu sagen war, ist bereits (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, hier gesagt worden. Auch wir sind der Meinung, daß bei der SPD und der PDS) es jetzt allerhöchste Zeit ist, zu einer Stiftung „Ent- schädigung für NS-Zwangsarbeit" zu kommen.

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster Red- Frau Kollegin Vollmer hat mit Recht darauf hinge- ner der Kollege Günter Verheugen. wiesen: Jeder Tag, den Sie, meine Damen und Her- ren von der Koalition, länger warten, anstatt dieses Der Kollege Wolfgang Zeitlmann hat seine Rede zu Problem zu lösen, wird für Deutschland teuer wer- Protokoll gegeben.*) den. Sie werden von Gerichtsurteilen get rieben wer- den. Sie sehen sich einer Flut von Prozessen gegen- Günter Verheugen (SPD): Frau Präsidentin! Meine über, wenn jetzt nicht end lich gehandelt wird. Es ist sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein auch nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Huma- trauriges und ein beschämendes Kapitel, das hier nität, sondern auch unter dem Gesichtspunkt, was wir selber angesichts der Finanzlage leisten können, *) Anlage 10 notwendig, jetzt schnell etwas zu tun. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Günter Verheugen In bezug auf die Zwangsarbeiter will ich auch nicht biologische Lösung. Natürlich gibt es das Problem in verschweigen, daß die großen deutschen Unterneh- zehn oder 15 Jahren nicht mehr. Aber wer in diesem men - Unternehmen von Weltruf, die strahlendsten Haus wagt es zu verantworten, daß man von uns ei- Adressen der deutschen Industrie, die sich nicht zu nes Tages sagen wird, die Deutschen hätten mit der schade gewesen sind, in ihren Betrieben in Deutsch- Lösung dieses Problems so lange gewartet, bis alle land und in den von den Nazitruppen besetzten, er- Menschen, denen geholfen werden sollte, gestorben oberten Gebieten Zwangsarbeiter einzusetzen, und waren? die ihnen bisher, wenn überhaupt, allenfalls ein Ta- schengeld gezahlt haben, um diese Ausbeutung an- Die in der Erklärung vorgesehene Lösung ist un- zuerkennen und zuzugestehen, daß sie Unrecht ge- brauchbar; ich habe darauf von Anfang an hingewie- tan haben - herangezogen werden sollen, was die Fi- sen. Die Vorstellung, es würde nützen, wenn man nanzierung dieser Stiftung angeht. aus den Mitteln des deutsch-tschechischen Zukunfts- fonds Sanatorien, Altenheime und Altenwohnungen (Beifall bei der SPD) baut, ist absurd. Zum ersten wollen die Menschen überhaupt nicht aus ihrem normalen Lebensumfeld Es wird zu prüfen sein, ob man hier eine gesetzliche heraus, zum zweiten würde es viel zu lange dauern, Vorschrift erlassen kann. Ich fürchte, das wird sehr bis diese Einrichtungen fertig sind - dann wäre der schwierig. Aber ich halte es für dringend notwendig, größte Teil bereits tot -, und zum dritten stellt sich die daß von diesem Hause aus ein starker Druck auf Frage, wer diese Einrichtungen weiter tragen und fi- diese Unternehmen ausgehen muß, mehr zu tun, als nanzieren kann, wenn die Mittel aus dem Fonds sie bisher getan haben, und anzuerkennen, daß sie nicht mehr zur Verfügung stehen. Das ist eine Beton- von einem verbrecherischen System der Zwangsar- lösung, die niemand wollen kann. beit profitiert haben. (Zustimmung der Abg. Dr. Irmgard Die einzig brauchbare und richtige Lösung ist die, Schwaetzer [F.D.P.]) die meine Fraktion vorschlägt. Wenn die Stiftung am 1. Januar 1998 ihre Arbeit aufnehmen wird - der Zur Frage der Anerkennung von Rentenzeiten für Bundesaußenminister hat hier vor 14 Tagen aus- Zwangsarbeiter hat Frau Kollegin Vollmer ebenfalls drücklich zugesichert, daß noch in diesem Jahr die das gesagt, was zu sagen ist. Hier handelt es sich um Vereinbarungen unterschrieben werden -, dann eine unvertretbare Lücke in der bestehenden Gesetz- hoffe ich, daß die Stiftung als ersten Schritt ein So- gebung. Aber Sie müssen wissen, es sind immer zialwerk errichten wird. Das hat den großen Vorteil, Menschen, die durch diese Lücken fa llen: Menschen, daß wir nicht komplizierte Antragsverfahren benöti- die alt geworden sind und nicht verstehen können, gen. Ich muß sagen, mir ist die Vorstellung unerträg- warum in Deutschland die Täter vielfach, ohne daß lich, daß vor der deutschen Botschaft in Prag eine sie zur Verantwortung gezogen worden wären und Schlange von Hunderten oder vielleicht Tausenden ohne daß die Frage gestellt worden wäre, wie ihre von 70- oder 80jährigen Männern und Frauen, die Versorgung aussieht, neben ihnen leben; Menschen, jahrelang im KZ gewesen sind oder Zwangsarbeit die auch nicht verstehen können, warum noch Unter- leisten mußten, steht, um einen Antrag auf eine be- schiede zwischen Opfern, die in westlichen Staaten scheidene Beihilfe zu ihrem Lebensunterhalt zu stel- leben, und solchen, die in ost- und mitteleuropäi- len. schen Staaten leben, und auch noch zwischen diesen Staaten gemacht werden. Ein Sozialwerk, das die Stiftung errichtet, könnte hier ganz anders vorgehen. Es könnte unbürokra- Hier sind wir nun bei dem aktuellen Problem der tisch und schnell handeln. Der Kreis der Betroffenen tschechischen NS-Opfer. Meine Damen und Herren, ist bekannt. Es muß hier nicht erst noch geprüft wer- es ist wirklich schlimm: Als 1992 der deutsch-tsche- den. Die moralische und auch die rechtliche Berech- chische Nachbarschaftsvertrag abgeschlossen wur- tigung dieser Ansprüche kann nicht bezweifelt wer- de, hat der damalige Bundesaußenminister - ich den. Die Mittel stehen zur Verfügung. Der Bundestag kann das dokumentieren - in der damaligen Tsche- hat 20 Millionen DM für das Jahr 1998 bereitgestellt, choslowakei Erwartungen erweckt, im übrigen ohne zu wissen, was mit diesen 20 Millio- nen DM geschehen soll. Es war sehr großzügig von (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ der Mehrheit des Hauses, so zu entscheiden. Aber CSU]: Das ist Ihr früherer Chef gewesen, nun sind die Mittel da, und nun besteht die Möglich- Herr Verheugen!) keit, in einem schnellen Schritt zu helfen. Es kommt mit diesem Vertrag werde das Problem der Entschä- nicht darauf an, jeden Einzelfall lange zu prüfen, digung geregelt werden. Diese Erwartungen sind große Differenzierungen vorzunehmen, sondern es nicht erfüllt worden. Dann ist es unter den Umstän- kommt darauf an, daß ein moralischer Anspruch so den, die Frau Vollmer bereits geschildert hat, zu die- schnell wie möglich erfüllt wird. ser Erklärung gekommen. Das wird auch dazu führen, daß das größte Hinder- Ich habe in der Haushaltsdebatte des Bundestages nis zur Normalisierung - ich sage ganz bewußt: zur vor 14 Tagen hier an dieser Stelle darauf hingewie- Normalisierung - der deutsch-tschechischen Bezie- sen, daß nun schon wieder ein Jahr vergangen ist, hungen aus dem Weg geräumt wird; denn diese Be- daß in diesem Jahr von den NS-Opfern in der Tsche- ziehungen sind immer noch nicht normal. Wir haben chischen Republik 500 gestorben sind und daß jeder das immer noch nicht erreicht, und verantwortlich Tag, den wir länger warten, uns mehr und mehr dem dafür ist eine Haltung, die gegenüber den Opfern Vorwurf aussetzt, in Wahrheit warteten wir auf eine des Nationalsozialismus in der Tschechischen Repu- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Günter Verheugen blik hartherzig und gleichgültig ist, eine Haltung, die über 1,5 Milliarden DM, und ich glaube, das macht in meinen Augen vor allen Dingen deshalb so ver- einige grundsätzliche Bemerkungen notwendig. werflich ist, weil sie Dinge miteinander verbindet, die nichts miteinander zu tun haben. Die Verpflich- (Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ tung unseres Landes, Opfern des Nationalsozialis- NEN]: Das ist doch völliger Quatsch, das mus zu helfen, egal wo sie leben, hat nichts mit der wissen Sie doch!) Frage eventueller Vermögensansprüche von Sude- Wir sind für eine individuelle Entschädigung, weil tendeutschen zu tun. Das sind zwei völlig verschie- Leiden und Schäden individuell erlitten wurden. Wir dene Fragen. wollen auch, daß niemand seine Heimat verlassen und emigrieren muß, nur um eine angemessene Ent- Wenn die Koalition bereit ist, die Vermögensfrage schädigung zu bekommen. anzugehen, habe ich nichts dagegen und wünsche ihr viel Glück dabei. Das ist jedoch ein ganz anderes (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ Thema. Aber das miteinander zu verbinden und des- CSU]: Sehr richtig!) halb, weil die Vermögensfrage für die Sudetendeut- Wir glauben auch, daß sich die Unternehmen, die im schen nicht geregelt werden kann, darauf zu verzich- Krieg, freiwillig oder gezwungen, sogenannte ten, die andere Frage zu lösen, halte ich für verwerf- Fremdarbeiter beschäftigt haben, an angemessenen lich, meine Damen und Herren. Leistungen beteiligen müssen. Ich stimme Ihnen völ- Aus diesem Grunde bitte ich darum und schlage lig zu, daß die bisher erbrachte Summe von rund ich vor, weil keine Zeit mehr zu verlieren ist und die 75 Millionen DM insgesamt kein angemessener Bei- Verhandlungen über die Implementierung der trag ist. deutsch-tschechischen Erklärung unmittelbar vor (Cornelia Schmalz-Jacobsen [F.D.P.]: Das dem Abschluß stehen, der Bundesregierung den Auf- sind Peanuts ! ) trag mit auf den Weg zu geben, der in unserem An- trag niedergelegt ist, und darüber heute zu entschei- Das ist die eine Seite. den. Wenn man aber in den Fragen der Wiedergutma- chung zu einem gerechten Ergebnis kommen will, (Beifall bei der SPD und der PDS) muß man auf der anderen Seite auch daran denken, daß wir über millionenfach begangenes schwerstes Unrecht sprechen, das die überlebenden Opfer bis Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster nimmt heute bewegt. Man muß aber ebenso daran denken - Kollege Dr. Burkhard Hirsch das Wort. so unangenehm es ist, das auszusprechen -, daß heute, nach über 50 Jahren, die meisten lebenden Deutschen erst nach dem- Krieg geboren wurden und Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Frau Präsidentin! keine eigene Erinnerung mehr an ihn haben. Das än- Meine Damen und Herren! Wenn man der Wieder- dert rechtlich und moralisch nichts, ändert aber den gutmachung gerecht werden wi ll, dann kann man inneren Zugang zu diesem Problem. Die Welt hat nicht alles niedermachen, was geschehen ist. Ich sich grundlegend verändert. kann heute dem Haus mitteilen, daß wir eine Arbeit praktisch abgeschlossen haben, nämlich einen Fonds (Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ von 80 Millionen DM einzurichten, der mit Hilfe des NEN]: Aber die Probleme liegen doch nicht Roten Kreuzes an individuelle Härtefälle in den mit- bei den Jungen, sondern bei den Alten!) telosteuropäischen Staaten ausgezahlt wird, unbüro- - Frau Kollegin Vollmer, ich habe Ihnen in aller Ruhe kratisch und schnell, mit Zahlungen bis zu 1000 DM zugehört, und ich bitte Sie, einen Augenblick zu ver- in jedem Einzelfall. Mein besonderer Dank dafür gilt suchen, meinen Gedankengängen zu folgen. der Parlamentarischen Staatssekretärin Frau Kar- watzki und den Kollegen der Koalitionsfraktionen, Das Londoner Schuldenabkommen wollte einen die an diesen Arbeiten mit Energie, Geduld und neuen Anfang ermöglichen. Alle Beteiligten wußten ohne öffentliches Getöse beteiligt waren. damals, daß eine Wiedergutmachung im eigentlichen Sinne überhaupt nicht möglich ist, daß wir auf sym- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne bolische Akte beschränkt waren. Den Deutschen ten der CDU/CSU) sollte ein neuer Anfang ermöglicht werden, indem man auf Entschädigungsansprüche auf unabsehbare Wir werden zu den notwendigen abschließenden Zeit verzichtete oder sie zurückstellte. Wir haben in Regelungen nur dann kommen können, Herr Kollege der Folgezeit mit zahllosen Staaten Abkommen ge- Verheugen, wenn wir uns gemeinsam auf verblie- schlossen, in denen auf Reparationsleistungen ver- bene Härtefälle konzentrieren, wenn wir Leistungen zichtet wurde, in denen Globalleistungen erbracht nicht für Organisationen, sondern für einzelne Men- wurden und es den Einzelstaaten überlassen blieb, schen erbringen, wenn wir Leistungen für Opfer mit sie auf die einzelnen Opfer zu verteilen: für Länder demselben Schicksal erbringen, ohne Rücksicht dar- der westlichen Welt über 1 Milliarde DM; für Polen, auf, welcher Rasse sie angehören, welchen Glauben Rußland, Weißrußland und die Ukraine Fonds in sie haben, und wenn wir vor allem nicht mehr ver- Höhe von 1,5 Milliarden DM; nach der Wiederverei- sprechen, als wir tatsächlich leisten können. Wenn nigung der Artikel-2-Fonds mit weiteren 1,5 Milliar- ich die Leistungen der Anträge summiere, die heute den DM und im übrigen Ansprüche aus dem Bundes- auf den Tisch gelegt worden sind, komme ich auf entschädigungsgesetz und dem Allgemeinen Kriegs- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Dr. Burkhard Hirsch folgengesetz mit Leistungen von insgesamt über Kollege Verheugen - nicht dadurch beeinträchtigt 120 Milliarden DM, die auch an Zwangsarbeiter ge- werden, daß es auch deutsche Opfer gibt, die keine leistet wurden, wie wir aus dem Verfahren wissen, Entschädigung erhalten haben. das Sie, Frau Kollegin Vollmer, hier eben erwähnt ha- (Beifall des Abg. Dr. Gerhard Päselt [CDU/ ben. CSU]) Die Aufrechnerei, die man von manchen Vertriebe- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Hirsch, ge- statten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Vollmer? nenfunktionären in diesem Zusammenhang hört, ist moralisch und historisch nicht akzeptabel.

Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Ja, natürlich. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der SPD) Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Noch eine abschließende Bemerkung an die Herr Kollege Hirsch, Sie haben eben als Begründung Adresse der deutschen Indust rie: Ich appelliere in für die Schwierigkeit des Zugangs zu dieser Frage diesem Zusammenhang ausdrücklich an die namhaf- gesagt, daß viele nach 1945 geboren seien und die ten Unternehmen, sich mehr als bisher an befriedi- Zeit deswegen für sie so weit zurückliege, daß ihnen genden Lösungen der noch bestehenden Härtefälle der Zugang schwer sei. Glauben Sie wirklich, daß zu beteiligen. die Hindernisse, hier zu Regelungen zu kommen, in (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne der jüngeren Genera tion liegen? Glauben Sie nicht, ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE daß das eher in der älteren Genera tion begründet ist? GRÜNEN) Die Leistungen von 75 Millionen DM sind absolut Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Sie denken allein an die Tschechei. Wenn ich die Zeit noch bekomme, unzureichend. Das völlige Ausklinken namhafter würde ich sehr gerne etwas zu Tschechien sagen. Ich deutscher Unternehmen aus diesem Prozeß schädigt glaube, daß wir auch gegenüber der Zukunft eine das deutsche Ansehen im Ausland. Es geht hier nicht Verantwortung haben und daß es deshalb notwendig um verspätete Lohn- und Gehaltszahlungen oder ist, an das zu denken, was uns, und zwar alle Völker, was auch immer. Vielmehr fordern wir die Beteili- egal, ob sie auf der Seite der Täter oder der Opfer gung der Unternehmen der deutschen Industrie an standen - ich weiß nicht, ob Sie sich daran erinnern -, der Lösung verbliebener Härtefälle von alten Men- damals erfüllt hat: daß wir am Ende eines 30jährigen schen, die sich heute in Not befinden. Diese Unter- Krieges stehen, der Europa vernichtet hat, daß wir nehmen stehen in derselben Verantwortung wie wir ein gemeinsames Schicksal haben, daß wir nach alle, die Folgen des Krieges auf uns zu nehmen und vorne gucken und aufbauen müssen. Das war der sie geduldig zu tragen. große Gedanke des Londoner Schuldenabkommens. Deswegen beantragen- wir unverände rt - wie das Je weiter wir uns von dieser Zeit entfernen, um so verabredet war -, die Anträge den Ausschüssen zu mehr verschwindet, wie ich spüre, dieses gemein- überweisen, damit sie do rt beraten werden können same Bewußtsein auf beiden Seiten und in allen Ge- und damit wir, wie ich hoffe, letzten Endes zu einem nerationen. Das macht mir für die Zukunft Sorgen. gemeinsamen Ergebnis kommen. Ich möchte etwas zur Tschechoslowakei sagen, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) weil das mit zur Geschichte der Wiedergutmachung gehört - das ist von Ihnen beiden leider ausgeblendet Als letzte spricht worden: Die kommunistischen Machthaber hatten Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: zu diesem Tagesordnungspunkt die Kollegin Ulla nach dem Krieg aus dem hinterlassenen deutschen Jelpke. Vermögen in der Tschechei einen Fonds gebildet mit dem Versprechen, daraus die Opfer zu entschädigen. Dieses Versprechen haben sie schmählich gebro- Ulla Jelpke (PDS): Frau Präsidentin! Meine Damen chen. Dann hat der tschechische Staat an dortige Op- und Herren! Es ist schon darauf hingewiesen wor- fer nach eigenen Kriterien individuelle Entschädi- den, daß seit der Verabschiedung der deutsch-tsche- gungsleistungen von rund 105 Millionen DM er- chischen Deklaration die Zahl der NS-Opfer von bracht. Wir bemühen uns, diese Leistungen dadurch 9000 auf 8300 gesunken ist und daß eine individuelle zu respektieren, daß wir in den gemeinsamen Zu- Entschädigung der NS-Opfer längst überfällig ist. kunftsfonds einen Betrag von 140 Millionen DM ein- Herr Dr. Hirsch, natürlich wissen wir, daß dieser stellen, einen Betrag, der die Fondsleistungen der Zukunftsfonds über Projekte entscheiden soll, die ge- tschechischen Seite entsprechend überragt. Dabei meinsame Interessen der NS-Opfer berücksichtigen, wollen wir, daß die Leistungen des Fonds insbeson- also Gesundheitseinrichtungen oder Altersheime. dere Opfern zugute kommen, wobei über die Einzel- Aber ich glaube, daß es wichtig ist, zu respektieren, heiten geredet werden muß. daß es etwa 40 Prozent der jüdischen Gemeinden, (Günter Verheugen [SPD]: Das ist der sprin aber vor allem 60 Prozent der befragten NS-Opfer gende Punkt!) ablehnen, in diese soziale Einrichtung zu ziehen. Auch hier hat es individuelle Entschädigungen ge- Ich will Ihnen einmal die NS-Opfer zitieren: Sie sa- geben. Unser Wunsch, Leistungen zu erbringen, die gen selber, sie seien nicht bereit, „in ein weiteres bei den einzelnen Menschen ankommen, darf nach Ghetto" umzuziehen. Ich meine, daß der Respekt vor unserer Überzeugung - da stimme ich Ihnen zu, Herr den NS-Opfern ein ganz, ganz entscheidender Punkt Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Ulla Jelpke ist, der von der Bundesregierung mitberücksichtigt kirchen (Wiesloch), Lisa Peters und weiterer werden muß. Die Opfer selber fordern individuelle Abgeordneter Renten. Diese, so sagen sie selber jedenfalls, würden Visumfreiheit für die baltischen Staaten ihnen am meisten helfen. - Drucksache- 13/9390 Meine Damen und Herren, der deutsch-tschechi- Überweisungsvorschlag: sche Zukunftsfonds ist schon von der Kollegin Voll- Innenausschuß (federführend) mer angesprochen worden. Wie Sie wissen, wurde Auswärtiger Ausschuß Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union dafür ein achtköpfiger Verwaltungsrat bestellt. Ich meine schon, daß der „Spiegel" mit dem Titel „Bonn Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für provoziert Prag" nicht ganz unrecht hat angesichts die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Wir der Tatsache, daß in ihn Vertriebenenfunktionäre wie verfahren so. Fritz Wittmann von der CSU, aber auch Volkmar Ga- Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner der bert von der SPD berufen worden sind. Kollege von Stetten. Ich möchte Sie an die Schärfe der Auseinanderset- (Vorsitz : Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer) zung erinnern, die gerade der BdV und die Sudeten- deutsche Landsmannschaft in die Verhandlung der Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU): deutsch-tschechischen Deklaration hineingebracht Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf haben. Ich habe nicht allzuviel Zeit, um hier länger heute im Namen der Deutsch - Baltischen Parlamen- zu zitieren. Aber es ist Fakt, daß die Sudetendeut- tariergruppe sprechen; die anderen Damen und Her- sche Landsmannschaft, voran der ehemalige Staats- ren geben wegen des späten Zeitpunkts ihre Reden minister Franz Neubauer, deutlich erklärt hat, man zu Protokoll. werde diese Erklärung nicht anerkennen. Es ist schon gesagt worden, daß diese Worte den deutsch- Mein Appell ist: Visafreiheit jetzt, weil Visafreiheit tschechischen NS-Opfern natürlich immer noch im für die Bürger der drei baltischen Staaten Litauen, Ohr sind. Lettland und Estland die endlich ersehnte und er- hoffte Anerkennung als gleichberechtigte Bürger in Ich meine, daß man gerade, was die Sensibilität in Europa bringt - diesen Fragen angeht, den Gärtner nicht zum Bock (Beifall bei der SPD) machen sollte. Es sollte darauf geachtet werden, daß diese Frage nicht einer biologischen Lösung zuge- unabhängig vom Ausgang der Verhandlungen um führt wird, das heißt, daß die Opfer letztendlich ver- die Mitgliedschaft in der Europäischen Union, die sterben, bevor es tatsächlich zu konkreten Entschei- jetzt am Wochenende die Weichen stellt. Ich dungen und Beschlüssen kommt. wünschte, daß die deutsche Regierung auch bei die- sen Verhandlungen alle- drei baltischen Staaten als Zum Abschluß muß ich noch einmal mein Befrem- gleichberechtigte Verhandlungspartner anerkennt, den darüber zum Ausdruck bringen, daß die CDU zu unabhängig davon, ob sie zugleich die Verhandlun- diesem Tagesordnungspunkt nichts beiträgt. Herr gen beginnen. Zeitlmann, wenn Sie schon hier sitzen, verstehe ich Mindestens aber muß den Beitrittswilligen die Ge- ehrlich gesagt nicht, warum Sie sich jetzt nicht auch wißheit gegeben werden, daß derjenige, der die wirt- an der Debatte beteiligen. Ich finde, es ist ein zu schaftlichen und politischen Voraussetzungen am ernstes Thema, um es so zu quittieren und einfach ehesten erfüllt, auch am ehesten der Gemeinschaft die Rede zu Protokoll zu geben. beitreten kann. Dies akzeptieren übrigens die drei Danke. Staaten, weil auch sie innerhalb ihrer Länder unter- schiedliche Entwicklungen sehen. (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne Wer die drei baltischen Staaten bereist, die Men- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) schen kennengelernt hat und die letzten Jahrhun- derte der Geschichte kennt, weiß, daß diese Staaten zu Europa gehören und über Jahrhunderte mit einem Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ich schließe die starken Anteil an deutscher Bevölkerung die Ver- Aussprache. bundenheit mit der Hanse, die deutsche europäische Kultur in Nordosteuropa verbreitet und erhalten ha- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen ben. Riga und Tallin sind typische Ostseestädte mit auf den Drucksachen 13/8871, 13/8956, 13/9218 und dem pulsierenden Handelsleben von Hafenstädten. 13/9395 an die in der Tagesordnung aufgeführten Vilnius als älteste Universitätsstadt war immer Zen- Ausschüsse vorgeschlagen. trum europäisch-deutschen jüdischen Geistes und ist zur Weltkulturstadt ernannt worden. Wie ich höre, sind Sie damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir alle haben gejubelt, als es zur Wende kam und der Kommunismus zerbrach. Wir alle haben es mehr als herzlich begrüßt, daß die drei baltischen Staaten Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Litauen, Lettland und Estland im August 1991 nach 50jähriger Unterdrückung durch die Sowjetunion Beratung des Antrags der Abgeordneten wieder freie Staaten wurden, und wir haben über alle Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten, Gert Weiss Parteigrenzen hinweg nicht nur mögliche, sondern Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten auch tatsächliche Hilfe versprochen und geleistet. Es Sphäre der Sowjetunion überlassen und dieser 1940 wurde geholfen, angefangen von den Deutsch-Bal- zwangsweise als Sowjetrepubliken eingegliedert ten, die ihre ehemalige Heimat oder die Heimat ihrer wurden. Die Verantwortung dafür trägt nicht allein Vorfahren unterstützten, über die Bundesregierung, Deutschland, weil die anderen europäischen Länder die Länderregierungen bishin zu vielen Firmen und und Amerika dazu schwiegen. Aber wir sind do rt privaten Institutionen und Verbänden. rt als Be- 1941 einmarschiert. Zunächst wurden wir do freier bejubelt, dann merkten diese Länder sehr Ich möchte in dem Zusammenhang vielleicht noch schnell, daß sie besetzte Länder waren. einen Irrtum ausräumen. Ich habe mit dem Baltikum nichts zu tun, sondern war lediglich damals nach Auch 1945 wurden diese drei Länder wiederum dem „blutigen Januar" als erster Abgeordneter für von der westlichen Welt und Amerika verraten - wir zwei Tage in Litauen. Ich habe den ersten Litauer konnten sie nicht verraten, weil wir die Besiegten kennengelernt, als ich auf dem Flughafen war. Das waren -, als man die Rückeroberung Litauens, Lett- hat also nur damit zu tun, daß diese Unrechtzeiten lands und Estlands akzeptierte, den noch jahrelang von vor 50 oder 70 Jahren geschichtlich auch für uns bis 1949 bzw. in Litauen bis 1954 dauernden Frei- ein Interesse haben. heitskampf ignorierte und sogar Ostseeanrainerstaa- ten geflohene Freiheitskämpfer an die Sowjetunion Der Bundestag hat sich mit der deutsch - baltischen auslieferten. Parlamentariergruppe aktiv an diesen Hilfen betei- ligt. Die Parlamentariergruppe, damals mit 103 Mit- Es ist auch nicht auf westliche, erst recht nicht auf gliedern eine der stärksten, ist auch heute mit fast deutsche Bemühungen zurückzuführen, daß die drei 80 Mitgliedern noch eine der starken Gruppen im Staaten 1991 wieder frei wurden, sondern sie haben Deutschen Bundestag. - wie wir bei der Wiedervereinigung - den Zipfel des Mantels der Geschichte ergriffen, die Unstimmigkei- Neben all diesen Hilfen ist es aber nicht gelungen, ten zwischen Gorbatschow und Jelzin ausgenutzt die in den Anfangsjahren noch relativ leicht mögliche und nach dem Augustputsch in Moskau ihre Freiheit Visafreiheit durchzubringen, weil durch die uner- verlangt und erhalten. freuliche Entwicklung mit den von organisierten Schlepperbanden eingeschleusten kriminellen Asy- Aber gerade deswegen ist es unsere Pflicht und lanten aus allen möglichen Ländern die Sorge wuchs, Schuldigkeit, diesen Menschen die Möglichkeit der mit der Visafreiheit ein neues Tor zu öffnen. ungehinderten Einreise nach Deutschland zu ermög- lichen, weil wir immer wieder unsere besondere Ver- Diese Besorgnis ist aber falsch, weil in den Ländern antwortung betont haben und auch zu dieser stehen nicht einmal fünf Millionen Berechtigte leben, denn müssen. nur Staatsbürger dieser Länder könnten die Visafrei- heit in Anspruch nehmen, und trotz der oft unwürdi- Keiner der drei Staaten hat eine gemeinsame gen Zustände von tagelangem Warten sind zirka Grenze mit Deutschland. Illegale Einreisende könn- 140 000 Visa allein von Litauen nach Deutschland be- ten lediglich auf Grund unzureichender Paßkontrol- antragt und genehmigt worden. Viele Zehntausende len in Häfen oder Flughäfen nach Deutschland kom- Deutsche müssen bis zu 100 DM Visagebühren be- men. Hier haben sich die Staaten bereit erklärt, fäl- zahlen, um in die drei baltischen Staaten reisen zu schungssichere Pässe mit entsprechenden Lesema- können. schinen von Siemens oder anderen einzuführen, Rücknahmeabkommen zu schließen und somit die Meine Damen und Herren, Gangster, Gauner, Ga- Voraussetzungen zu erfüllen. Die Sorge, daß durch noven, Schlepperbanden und organisierte Kriminelle eventuell unzureichende Grenzkontrollen, die wir im haben sich, sofern sie überhaupt über eines dieser übrigen bei keiner unserer Grenzen zu Nachbarlän- Länder einreisen wollten, diese Visa erkauft oder dern haben, greift nicht, da keiner ohne gültigen li- sind schlichtweg mit gefälschten Pässen über Polen tauischen, lettischen oder estnischen Paß in Deutsch- eingereist. Die Sicherheit der Bundesrepublik land aus einem Flugzeug oder von einem Schiff stei- Deutschland ist daher von diesen wenigen Menschen gen kann. nicht gefährdet. Die Aussage von Außenminister Kinkel, daß die Vi- Ebensowenig gibt es litauische, lettische oder est- safreiheit möglichst früh im Jahre 1998 eingeführt nische Asylbewerber in Deutschland. A lle, die bisher werden muß, kann ich daher im Namen der deutsch- nach Deutschland eingereist sind, sind ohne Rück- baltischen Parlamentariergruppe nur voll unterstüt- nahmeabkommen und ohne Zwangsmaßnahmen in zen und darf das Innenministerium bitten, eventuell ihre Länder zurückgekehrt. Das sollte allen Beden- bestehende Bedenken zurückzustellen. Auch Staats- kenträgern zu denken geben, weil dies ein Beweis sekretär Schelter war in den drei baltischen Staaten dafür ist, daß diese Länder zu Europa gehören und und hat die Sicherheitsprüfung selber vorgenommen. von ihnen keine Auswanderer oder Asylbewerber zu befürchten sind. Es sind die einen oder anderen Mängel noch vor- handen, jedoch muß auch hier die politische Vergan- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. genheit berücksichtigt werden. Im Gegensatz zu an sowie bei Abgeordneten der SPD) -deren Staaten des Ostblocks, die als Satellitenstaaten Wir haben auch - ich darf dies immer wieder beto- eigene Grenzen, eigene Polizei und eigenes Paß- nen - eine besondere Verantwortung für Litauen, und Meldewesen hatten, waren die drei baltischen Lettland und Estland, weil diese drei Länder -1918/ Staaten sowjetische Republiken ohne Grenzen und 19 unabhängig vom zaristischen Rußland geworden haben daher ein gewisses Defizit an Grenzkontroll-

- 1939 durch den Molotow - Ribbentrop - Pakt der kenntnissen aufzuweisen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Mit Recht mahnen wir immer wieder die baltischen Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Danke schön. - Staaten an, keine innerstaatlichen Grenzen aufzu- Die Abgeordneten Reinhold Hiller, Gert Weisskir- bauen. Aber man kann doch jetzt nicht sagen: Weil chen, Gerd Poppe, Ul rich Irmer, Ulla Jelpke und der der eine Staat bessere Grenzsicherungen gegenüber Parlamentarische Staatssekretär Eduard Lintner ha- Rußland und Weißrußland hat als der andere und ins- ben gebeten, ihre Reden zu Protokoll geben zu dür- gesamt eine Durchlässigkeit zwischen den drei balti- fen.*) Sind Sie damit einverstanden? - Danke schön. schen Staaten besteht, wird nunmehr insgesamt Dann schließe ich jetzt die Aussprache zu diesem keine Visafreiheit erteilt. Umgekehrt wird ein Schuh Punkt. daraus: Wenn ein Land die Bedingungen erfüllt, ist Es ist beantragt worden, den `Antrag der Abgeord- die Visafreiheit zu geben, da ein Litauer, Lette oder neten Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten, Ge rt Weiss- Este - je nachdem, welches Land die Visafreiheit hat kirchen, Lisa Peters und weiterer Abgeordneter auf - nicht mit seinem Paß in die Bundesrepublik Drucksache 13/9390 zur federführenden Beratung an Deutschland einreisen kann. Ich sehe die Grenzfrei- den Auswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung an heit zwischen den Staaten daher nicht als Hindernis, den Innenausschuß, den Rechtsausschuß und an den sondern als Ansporn der einzelnen Staaten, ihre Au- Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen ßengrenzen gegenüber Rußland und Weißrußland Union zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? entsprechend dem Standard zu sichern. - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so be- In diesem Zusammenhang begrüße ich sehr, daß schlossen. der Bundeskanzler im Januar nach Riga fährt. Auf diesen Besuch hat man im Baltikum lange gewartet. Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf: Es wäre sehr gut - ich appelliere hier erneut an die Bundesregierung, das Bundeskanzleramt und das Beratung des Antrags der Abgeordneten Hohe Haus -, wenn er in seinem Gepäck konkrete Dr. Uwe-Jens Rössel, Dr. Christa Luft, Rolf Vorschläge zur Visafreiheit mitbringt. Deswegen Kutzmutz, weiterer Abgeordneter und der sollte heute keine Überweisung, sondern die Emp- Gruppe der PDS fehlung durch den Bundestag erfolgen. Novellierung des Gesetzes über die Feststel- lung der Zuordnung von ehemals volkseige- Wenn wir - dies ist die Absicht der Bundesregie- nem Vermögen (Vermögenszuordnungsge- rung und des Bundestages - eine stabile Ostseere- setz - VZOG) gion schaffen wollen - dazu hätte sicherlich der Kol- lege Hiller einiges gesagt -, muß die Bundesrepublik - Drucksache 13/9068 - Deutschland diesen drei Staaten mit der Anerken- Überweisungsvorschlag: nung der Gleichwertigkeit den Rücken stärken, ihren Rechtsausschuß (federführend) schwierigen Weg in die politische und wi rtschaftliche Innenausschuß Finanzausschuß Freiheit durchzuführen. Ausschuß für Ernährung,- Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß Es ist auch nicht richtig, wenn gesagt wird, die Schengen-Staaten müßten der Visafreiheit zustim- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für men. Die drei baltischen Staaten sind ausdrücklich die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wo- ausgenommen. Die drei baltischen Staaten haben Vi- bei die Gruppe der PDS fünf Minuten erhalten soll. safreiheit mit England, Nordirland, Polen, Ungarn, Ich höre dazu keinen Widerspruch. der Tschechei, Slowenien, Bulgarien, Dänemark, Ko- Die Kollegen Dr. Michael Luther, Wolfgang Ilte, rea, Irland, Singapur, Schweden, Finnland, Norwe- Christine Scheel, Hildebrecht Braun und der Parla- gen, Grönland und der Ukraine. Ich könnte noch ein mentarische Staatssekretär Rainer Funke haben Dutzend weiterer Länder aufzählen, bis hin nach Ve- darum gebeten, ihre Reden zu Protokoll geben zu nezuela. dürfen. * *) Sind Sie damit einverstanden? - Das Das heißt, wir müssen uns zu einem konkreten po- scheint der Fall zu sein. litischen Schritt durchringen. Dazu sind wir ver- Dann spricht jetzt nur noch - und ihm gebe ich da- pflichtet, weil wir immer wieder als Anwälte dieser mit das Wort - der Abgeordnete Dr. Rössel. drei Staaten aufgetreten sind. Wir dürfen und kön- nen nicht die letzten mit einem solchen Schritt sein. Ich appelliere daher noch mal an alle, die Bedenken Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS): Frau Präsidentin! zurückzustellen, mutig den politischen Schritt zu ge- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ende 1996 betru- hen und die Bundesregierung aufzufordern, Ver- gen die aufgelaufenen kommunalen Kreditmarkt- handlungen ohne Vorbehalte in Gedenken an die ge- schulden in Ostdeutschland insgesamt 28,1 Milliar- schichtliche Verantwortung für die drei Staaten den DM. Der Schuldendienst verschlang im Vorjahr durchzuführen und das Jahr 1998 zum Jahr der Visa- gut 2 Milliarden DM, Tendenz stark steigend. Dieses freiheit zu machen. Geld fehlt vor Ort für Soziales, es fehlt für Jugend- freizeiteinrichtungen und Sportstätten, und es fehlt Ich bin der Meinung, es bedarf keiner weiteren Be- für dringend notwendige kommunale Infrastruktur- ratung. Es kostet nichts, nur ein wenig guten Willen. investitionen - und das bei einem riesigen Hand- lungsbedarf in der Infrastruktur vor allem auf sozia- Danke schön. lem und soziokulturellem Gebiet.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Anlage 11 *) ten der SPD) **)Anlage 12 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997 Dr. Uwe-Jens Rössel Aber nicht genug damit. Zugleich wird den 5500 nehmen. Diese Definition soll so umfassend sein, daß ostdeutschen Städten und Gemeinden sowie den die ostdeutschen Kommunen Anspruch auf alle Ver- 86 Landkreisen von der Treuhandnachfolgerin BvS mögenswerte haben, die zwischen 1945 und 1989 in bzw. den Oberfinanzdirektionen ein Großteil der ih- ihrem Eigentum standen und in Volkseigentum über- nen zustehenden Vermögenswerte vorenthalten. Das führt wurden. Das betrifft ebenfalls Bodenreform- betrifft Kindertagesstätten, Flurstücke und ähnliches. grundstücke, worauf ich ausdrücklich hinweisen möchte. (Zuruf von der PDS: Unerhört!) Zweitens soll bezüglich ehemals kommunaler Un- - Jawohl, unerhört! Dem ist nur zuzustimmen. ternehmen eine solche Regelung eingefügt werden, (Beifall bei der PDS) die die Kommunen mit anderen ehemaligen Besitze- rinnen und Besitzern enteigneter Unternehmen nach Dies ist unverantwortlich und unerhört und läßt kom- der Unternehmensrückgabeverordnung gleichstellt. munale Selbstverwaltung in der Tat zu einer Farce verkommen. (Beifall bei der PDS) Im Jahre 8 der staatlichen Einheit warten die Kom- Damit würden Kommunen in die Lage versetzt wer- munen noch immer auf 40 Prozent des ihnen zuste- den, alle Unternehmen zurückzuerhalten, die unter henden Vermögens. Die Gemeinde Naundorf im dem ersten Aspekt genannt worden sind. Landkreis Oschatz-Torgau in Sachsen mußte zur Drittens sollen in das Gesetz Regelungen zur Ent- Durchführung von Flurbereinigungsverfahren auf schädigung der Kommunen eingefügt werden, wenn Grund des Mangels an eigenen Kapazitäten Grund- Vermögenswerte im Rahmen von Unternehmensver- stücke kaufen, um für einen dabei notwendigen Flä- käufen durch die Treuhandanstalt bzw. ihre Nachfol- chentausch eine entsprechende Austauschfläche geeinrichtungen veräußert wurden. Das war leider überhaupt anbieten zu können. Auf der anderen wiederholt der Fall. Ich nenne nur das Beispiel eines Seite wartet die Kommune noch immer auf eine Zu- Unternehmens aus Sachsen-Anhalt, das für einen ordnung der ihr zustehenden Vermögenswerte in ei- Appel und ein Ei einschließlich des Kinderferienla- nem Umfang von mehreren hunderttausend DM. Das gers an einen ehemaligen Ministerpräsidenten, der ist leider kein Einzelbeispiel. der CDU angehört, veräußert worden ist. Die Verzögerungen bei der Vermögenszuordnung (Zuruf von der SPD: Wie heißt der Mann in Ostdeutschland lassen sich auch nicht vordergrün- denn?) dig mit der unerhört großen Anzahl von Anträgen be- gründen. Allein bei den Oberfinanzdirektionen gin- - Der Mann heißt Albrecht. gen über 600 000 Anträge ein. Unter den Anträgen Ich bitte die Fraktionen des Bundestages, bei den ist eine beträchtliche Anzahl, die sich auf vollkom- kommenden Ausschußberatungen alles in ihren men unstrittige Sachverhalte wie die Zuordnung Kräften Stehende zu tun,- damit das Vermögenszu- kommunaler Straßen bezieht. Eine Regelung, daß ordnungsgesetz rasch in diesem Sinn geändert wird. Vermögensgegenstände als zugeordnet gelten, wenn nicht innerhalb einer bestimmten F rist entschieden (Beifall bei der PDS) wird, würde vermutlich Tausende und aber Tausende Die ostdeutschen Kommunen, ihre Einwohnerinnen von Anträgen mit einem Schlag erledigen und den und Einwohner brauchen dringend Hilfe. Kommunen helfen. Die Bundesregierung sperrt sich Vielen Dank. selbst gegen eine solche Regelung. Außerdem wer- den wegen nicht klar abgegrenzter Zuständigkeiten (Beifall bei der PDS) Anträge zwischen den Oberfinanzdirektionen und der BvS hin- und hergeschoben - immer zu Lasten Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich schließe da- der Städte und Gemeinden. Auch hier ist dringend mit die Aussprache. Abhilfe geboten. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf (Beifall bei der PDS) Drucksache 13/9068 an die in der Tagesordnung auf- Es ist spät, aber nicht zu spät, diese Probleme an- geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit zugehen. Die PDS hat nach Beratung der Großen An- einverstanden? - Das ist der Fa ll. Dann ist die Über- frage zur Vermögenszuordnung im Frühjahr dieses weisung so beschlossen. Jahres jetzt einen Antrag zur Novellierung des Ver- Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tages- mögenszuordnungsgesetzes eingebracht. Dieser An- ordnung. trag soll die Bundesregierung verpflichten, bis zum Februar 1998 einen Gesetzentwurf zur Änderung des Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- Vermögenszuordnungsgesetzes vorzulegen. Dabei destages auf Freitag, den 12. Dezember 1997, soll vor allem von den im Antrag der Gruppe benann- 8.00 Uhr ein. Das ist vermutlich die letzte Sitzung vor ten Eckpunkten ausgegangen werden. Ich nenne an der Weihnachtspause. Ich wünsche allen Kollegin- dieser Stelle nur drei. nen und Kollegen einen schönen Abend. Erstens ist in das Gesetz eine klare und eindeutige Die Sitzung ist geschlossen. Definition des Begriffs „Finanzvermögen" aufzu (Schluß der Sitzung: 21.44 Uhr) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Telekommunikation und in der Gemeinsamen For- schungsstelle, fällt der starke deutsche Personalanteil Liste der entschuldigten Abgeordneten ins Auge. Das besetzungsgebundene Interessenprofil wird fortlaufend überprüft; wo wichtige Positionen zu entschuldigt bis besetzen sind, werden entsprechende Schritte einer

Abgeordnete(r) einschließlich qualitativ hochwertigen Besetzung unternommen. Der Beitritt Schwedens, Finnlands und Österreichs, Braun (Auerbach), Rudolf CDU/CSU 11. 12. 97 die ihrerseits erst einen eigenen Personalanteil auf- Dr. Däubler-Gmelin, Herta SPD 11. 12. 97 bauen mußten, reduzierte zwar die zahlenmäßige Dreßler, Rudolf SPD 11. 12. 97 deutsche Präsenz ebenso wie jene der anderen Mit- Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 11. 12. 97 gliedstaaten - die für Deutschland bedeutsamen Posi- 90/DIE tionen und Bereiche konnten jedoch gehalten werden. GRÜNEN Die gleichen Zielsetzungen gelten - mit jeweils Homburger, Birgit F.D.P. 11. 12. 97 institutionsbedingten Prämissen - für den Rat, den Ibrügger, Lothar SPD 11. 12. 97 Europäischen Gerichtshof, den Rechnungshof und Imhof, Barbara SPD 11. 12. 97 die Europäische Investitionsbank. Bezogen auf die in Kriedner, Arnulf CDU/CSU 11. 12. 97 den EU-Institutionen insgesamt tätigen 9 561 Beam- Kurzhals, Christine SPD 11. 12. 97 ten der Laufbahngruppe A (vergleichbarer Höherer Marx, Dorle SPD 11. 12. 97 Dienst) stellt Deutschland 1 220 (12,76 %), Frankreich Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 11. 12. 97 1326 (13,87 %), Großbritannien 1091 (11,41 %) und Müller (Völklingen), Jutta SPD 11. 12. 97 Italien 1 192 (12,47 %). Damit entfällt bei den EU-In- Dr. Probst, Albert CDU/CSU 11. 12. 97 * stitutionen im Bereich des Höheren Dienstes auf Reschke, Otto SPD 11. 12. 97 Deutschland der zweithöchste Personalanteil. Bezo- Rupprecht, Marlene SPD 11. 12. 97 gen auf die jeweiligen nationalen Personalanteile bei Schoppe, Waltraud BÜNDNIS 11. 12. 97 den einzelnen Institutionen liegt Deutschland auf 90/DIE GRÜNEN Platz 2 im Europäischen Parlament (14,35 %), im Ge- neralsekretariat des Rates (12,23 %), in der Kommis- Seuster, Lisa SPD 11. 12. 97 sion (12,40 %) und in der Europäischen Investitions- Vosen, Josef SPD 11. 12. 97 bank (14,18 %). Der vergleichsweise geringere deut- Zwerenz, Gerhard PDS 11. 12. 97 sche Personalanteil beim Europäischen Gerichtshof (10,30 % und damit Platz 3) und dem Europäischen * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Ver- Rechnungshof (10,77 % und damit Platz 4) hängt vor sammlung des Europarates allem damit zusammen, daß do rt überwiegend Spe- zialisten nachgefragt werden, die auf dem freien Ar- beitsmarkt, besonders in Deutschland, günstigere Anlage 2 Berufsmöglichkeiten finden. Antwort Der zahlenmäßige deutsche Anteil korrespondiert des Staatsministers Dr. Werner Hoyer auf die Fragen - unter Berücksichtigung gewisser jahrgangs- und des Abgeordneten Wolfgang Schulhoff (CDU/CSU) institutionsbedingter Schwankungen - mit jenem der (Drucksache 13/9352 Fragen 50 und 51): anderen großen EU-Mitgliedstaaten. Insgesamt ent- Wie hoch ist der deutsche Anteil an Führungspositionen in spricht die Besetzung von EU-Führungspositionen der EU im Vergleich zu den anderen Mitgliedstaaten (relativ (A1-A3) mit deutschem Personal dem politischen und absolut)? und wirtschaftlichen Interessenprofil der Bundes- Ist nach Meinung der Bundesregierung Deutschland personell republik Deutschland. Andererseits hat die laufende in den EU-Institutionen mit Führungskräften unterrepräsentiert, Überprüfung unserer Personalpräsenz gezeigt, daß und wenn ja, wie plant sie den deutschen Anteil zu erhöhen? Deutschland in Einzelbereichen der EU-Kommission Als einer der großen Mitgliedstaaten der Euro- unverkennbar Aufholbedarf hat. Dies gilt vor allem päischen Union ist die Bundesrepublik Deutschland für die Bereiche Personal und Verwaltung. Indirekte daran interessiert, in den EU-Institutionen personell so Steuern und Zölle, Beschäftigung und Soziales sowie vertreten zu sein, wie es ihren politischen und wirt- Finanzkontrolle. Um hier zu einer Verbesserung zu schaftlichen Interessen entspricht. Deutsches Perso- kommen, wurden, vorausschauend auf die Personal- nal soll daher vor allem in jenen Bereichen tätig sein, in entwicklung der nächsten Jahre, wichtige Stellen für denen unser Land einen wichtigen sachpolitischen eine Besetzung mit deutschen Beamten identifiziert. Beitrag leisten kann, wie er sowohl national als auch in Darüber hinaus wird gerade in diesen Bereichen anderen internationalen Organisationen zum Tragen deutsches Nachwuchspersonal gefördert und der kommt. Für die EU-Kommission als personalstärkster Mittelbau mit Blick auf die Übernahme künftiger EU-Institution bedeutet dies: Umfangreiche deutsche Führungsfunktionen gestärkt. Im Zuge der ressort- Präsenz, in erster Linie auf Leitungsebene, in den übergreifenden Koordinierung sind Bestrebungen im Bereichen Außenbeziehungen, Wi rtschaft und Finan- Gange, namentlich für den Europäischen Gerichts- zen, Industrie, Verkehr, Landwirtschaft, aber auch bei hof und den Europäischen Rechnungshof qualifizier- Entwicklungspolitik und Umweltschutz. Besonders tes Personal zu gewinnen, um den Abstand zu ande- in den zukunftsorientierten Bereichen, z. B. bei der ren Mitgliedstaaten zumindest zu verringern. Deutscher Bundestag - 13 .Wahl periode - 21 0. Sitzung. Bonn,Donne rstag, den 11 . Dezember 1997 19239 * 44 57 195 141 165 515 620 278 1 781 100 % 5 765 100,0 % 100,00 % SUMME SUMME 100,00 % 100,00 % SUMME 100,00 % SUMME SUMME 100,00 % 100,00 % 100,00 % 100,00 % SUMME SUMME SUMME SUMME SUMME 0 0 0 0 0 4 3 0 9 11 4. Dezember 1997 4. Dezember AND AND AND AND AND AND AND AND AND AND 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,00 % 0,78 % 0,48 % 0,00 % 0,62 % 0,16 % 1 1 1 S 4 S 4 S 4 S S S S 8 S S S 19 79 112 1,75 % 2,05 % 0,71 % 1,94 % 2,42 % 2,27 % 0,78% 3,06 % 2,88 % 4,44 %

1 1 1 8 3 IN IN IN IN 3 IN 8 IN IN 13 94 77 F F F F F FIN F F FIN FIN 1,82 % 1,75 % 0,71 % 1,34 % 2,27 % 4,10 % 0,58 % 2,10 % 2,88 % 5,28 % 1 1 2 2 5 4 8 A A A A A A A A A A 15 14 87 1,42 % 1,75 % 1,51 % 2,42 % 0,51 % 0,45 % 0,97 % 4,55 % 2,42 % 5,04 % 2 3 4 2 P P P P P P P P P P 13 14 12 25 132 234 1,82 % 2,84 % 6,67 % 2,72 % 3,51 % 4,55 % 4,32 % 4,06 % 7,41 % 4,03 % 9 2 3 7 11 16 84 20 26 NL NL NL NL NL NL NL NL NL NL 298 6,38 % 5,64 % 3,88 % 5,26 % 4,55 % 5,76 % 5,17 % 4,72 % 4,24 % 4,19 % 1 2 6 6 L L 5 L 0 L L L L 5 L 9 L L 10 54 1,42 % 1,75 % 1,45 % 1,80 % 3,08 % 3,64 % 0,94 % 0,56 % 0,97 % 0,00 % 1 1 8 6 4 11 18 11 20 194 IRL IRL IRL IRL IRL IRL IRL IRL IRL IRL 1,12 % 1,75 % 4,26 % 2,27 % 6,67 % 2,90 % 4,10 % 3,96 % 3,37 % 0,78 % 7 3 3 10 15 10 28 32 GR GR GR 142 GR GR GR GR GR GR GR 329 4,96 % 5,40 % 6,06 % 5,16 % 5,13 % 5,71 % 7,97 % 5,44 % 6,82 % 5,26 % 6 7 E E E E E E E E E E 15 12 11 27 27 52 167 566 7,69 % 8,39 % 8,51 % 9,71 % 9,82 % 9,38 % 5,24 % 6,67 % 12,28 % 13,64 % DEUTSCHES PERSONAL IN DEN EU-INSTITUTIONEN IN DEN EU-INSTITUTIONEN PERSONAL DEUTSCHES 2 5 5 2 12 14 10 24 DK DK DK 170 134 DK DK DK DK DK DK DK 2,56 % 2,95 % 2,72 % 6,06 % 3,87 % 3,55 % 4,32 % 7,52 % 3,51 % 4,55 % 9 4 4 B B B B B B B B B B 21 25 22 62 42 183 616 6,77 % 6,38 % 7,02 % 7,55 % 9,09 % 15,15 % 11,28 % 10,69 % 10,28 % 12,04 % I I I I I I I I I I 3 9 17 17 12 81 35 184 122 712 6,82 % 6,15 % 12,35 % 13,06 % 12,59 % 12,06 % 10,30 % 10,33 % 15,79 % 23,69 % 6 4 13 73 20 56 27 25 GB GB 194 GB GB GB GB GB GB GB GB 673 9,09 % 7,88 % 9,71 % 11,77 % 10,89 % 11,67 % 10,87 % 10,53 % 14,18 % 12,82 % F 7 F F F F F F F F F 10 99 33 26 24 34 62 112 919 6,29 % 15,97 % 15,91 % 15,94 % 11,87 % 17,44 % 18,44 % 14,55 % 17,54 % 12,04 % 6 6 D D D D D D D D D D 17 89 34 20 85 21 227 715 14,35 % 12,75 % 12,40 % 12,23 % 13,64 % 16,50 % 10,77 % 14,18 % 10,30 % 10,53 % GENERALSEKRETARIAT DES RATES DER EU GENERALSEKRETARIAT EUROPÄISCHE KOMMISSION EUROPÄISCHE KOMMISSION EUROPÄISCHES PARLAMENT PARLAMENT EUROPÄISCHES LA-Beamte Gemeinsame Forschungsstelle A-Beamte EUROPÄISCHE INVESTITIONSBANK EUROPÄISCHER RECHNUNGSHOF GERICHTSHOF DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN GERICHTSHOF DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS AUSSCHUSS DER REGIONEN Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Anlage 3 Anlage 5

Erklärung des Abgeordneten Erklärung nach § 31 GO Christian Müller (Zittau) (SPD) des Abgeordneten Wolfgang Zöller (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Antrag zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P.: des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur gegen das Gesetz zur erbrechtlichen Gleichtellung Finanzierung eines zusätzlichen Bundeszuschusses nichtehelicher Kinder (Seite 19144 C) zur gesetzlichen Rentenversicherung - Drucksache 13/9382 - (Zusatztagesordnungspunkt 14) (Tagesordnungspunkt 5 b) Dem vorgelegten Gesetzentwurf kann ich zum jet- Bei der namentlichen Abstimmung habe ich ver- zigen Zeitpunkt nicht zustimmen, da erst gestern sehentlich mit Ja gestimmt. Ich erkläre, daß mein -10. Dezember 1997 - die Anhörung zu den „610 DM Votum Nein lautet. Arbeitsplätzen" stattgefunden hat. Die Auswertung liegt noch nicht vor, die aus meiner Sicht jedoch für eine sachgerechte Bewe rtung notwendig ist.

Anlage 4 Anlage 6

Erklärung nach § 31 GO Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Friedrich Merz (CDU/CSU) der Abgeordneten Dieter Maaß (Herne) zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung und Wolfgang Weiermann (beide SPD) des Ausschusses nach Artikel 77 zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Finanzierung (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur eines zusätzlichen Bundeszuschusses Finanzierung eines zusätzlichen Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversicherung zur gesetzlichen Rentenversicherung (Zusatztagesordnungspunkt 14) (Zusatztagesordnungspunkt 14) Der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Hiermit möchten wir feststellen, daß wir in der Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) offenen Abstimmung zur Gegenfinanzierung zur zum Gesetz zur Finanzierung eines zusätzlichen Beitragssenkung der Renten (Drs. 13/9419, Anlage 1) Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversiche- mit Gegenstimme votierten. rung - Drucksachen 13/8704, 13/8869, 13/9327 - ver- - mag ich aus folgenden Gründen nicht zuzustimmen: 1. Der ursprüngliche Gesetzentwurf der Bundesre- Anlage 7 gierung ging von einem zeitlichen Zusammentref- fen von Rentenstrukturreform und Umfinanzierung Erklärung nach j 31 GO durch 1 Punkt Mehrwertsteuer zugunsten eines zur Abstimmung über den Antrag: höheren Bundeszuschusses in die Rentenversiche- Reform des Bundesgrenzschutzes rung aus. Dieser notwendige und richtige zeitliche (Tagesordnungspunkt 11) Zusammenhang wird durch die jetzt vorgesehene Anhebung der Mehrwertsteuer zum 1. April 1998 Helmut Heiderich (CDU/CSU): Als Bundestagsab aufgelöst. geordneter, in dessen Wahlkreis sich ein Bundes- grenzschutzstandort befindet, der aufgelöst werden 2. Die isolierte Mehrwertsteuererhöhung zum 1. April soll, gebe ich nach § 31 Geschäftsordnung folgende em Renten-Beitrags- 1998 bei allenfalls unverände rt Erklärung ab: satz von 20,3 % im Jahr 1998 erhöht die Steuer- und Abgabenlast und damit die Staatsquote wei- Seit dem Jahr 1995 bin ich unablässig für den Erhalt ter, obwohl die schwierige wi rtschaftliche Lage der in meinem Wahlkreis liegenden BGS-Standorte der Bundesrepublik Deutschland das Gegenteil eingetreten. In einer Vielzahl von Gesprächen und dringend erfordert. Interventionen beim zuständigen Bundesminister des Innern habe ich die Probleme dargestellt, die sich aus 3. Die Mehrwertsteuererhöhung verteuert ohne Ent- den vorgesehenen Auflösungen für die Standortge- lastung bei den Sozialabgaben die im Inland ange- meinde und die weiteren Betroffenen ergeben. botenen Waren und Dienstleistungen. Damit wer- den das Handwerk, der Dienstleistungssektor, der Der heutige Antrag der SPD, das Strukturkonzept gewerbliche und indust rielle Mittelstand sowie des Bundesministers des Innern zurückzuziehen und der Handel erneut weiter belastet. Gerade do rt zu überdenken, ist jedoch keine tragfähige und noch wären schnellst mögliche Kostenentlastungen an- weniger eine bessere Alterna tive zum jetzigen Re- gezeigt gewesen. formkonzept. Er ist ganz offensichtlich aus rein par- teitaktischen Überlegungen gestellt worden. Außer- Diese Erklärung gebe ich gleichzeitig im Namen dem macht der SPD-Antrag keinerlei Aussage für meines Kollegen Gerhard Schulz (Leipzig) ab. den Erhalt von BGS-Standorten. Vielmehr erkennt Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997 19241*

der Antrag „die Notwendigkeit einer Strukturreform Nabburg - erhalten bleiben, denn auch er beinhaltet des BGS durchaus an". die Schließung von BGS-Standorten, „ausschließlich an Sicherheits- und Wirtschaftslichkeitsaspekten" Das einzige Ziel des Antrags ist es, trotz Kenntnis orientiert. aller Initiativen den Anschein zu erzeugen, die SPD tue mehr für die betroffenen Standorte als wir. Dies Aus diesem Grunde werde ich, trotz meiner nach- ist nachweislich nicht der Fall. Im Gegenteil, auch haltigen Ablehnung der Einzelentscheidung gegen- der SPD-Antrag geht davon aus, daß Standorte auf- über dem Standort Nabburg, gegen den SPD-Antrag gelöst werden. stimmen. Aus diesem Grunde werde ich, trotz der vorgetra- genen Bedenken zum Reformkonzept des Bundesmi- Rudolf Meyer (Winsen) (CDU/CSU): Dem Antrag nisters des Innern, den Antrag der SPD-Fraktion ab- der SPD-Fraktion stimme ich nicht zu. Ich bin der lehnen. Auffassung, daß das vorliegende Konzept des Bun- desinnenministers zur Neuorganisation des BGS schlüssig ist. Es trägt den zukünftigen Anforderun- Dr. Dionys Jobst (CDU/CSU): Als Bundestagsabge gen der Aufgabengebiete des BGS Rechnung. ordneter, in dessen Wahlkreis der Bundesgrenz- schutzstandort Nabburg aufgelöst werden soll, gebe Gleichwohl bin ich bis heute der festen Überzeu- ich nach § 31 der Geschäftsordnung folgende Erklä- gung, daß der bisherige Standort Winsen/Luhe auf- rung ab: grund seiner vielfältigen Vorzüge einen gewichtigen Platz im neuen BGS-Konzept hätte einnehmen kön- Die Auflösung des BGS-Standortes Nabburg ist nen. Die diese Position belegenden Argumente sind falsch und nicht gerechtfertigt. Er erfüllt alle fachlichen dabei von allen Beteiligten offensiv in die Diskussion Kriterien, die für eine Beibehaltung sprechen. Der eingebracht worden. Ich nehme jedoch zur Kenntnis Standort liegt im Vergleich zu den anderen BGS- und erkenne auch an, daß alterna tive Lösungen Standorten in Bayern am nächsten zur tschechischen ebenso zu einem erfolgreichen Zukunftskonzept des Grenze. Er hat einen unmittelbaren Autobahnan- BGS führen können. Ich bin der Auffassung, daß das schluß. Auch die strukturpolitischen Gründe rechtfer- vorliegende Konzept einschließlich der dazugehöri- tigen und fordern seinen Erhalt. Nabburg ist eine gen Abwicklung der nicht mehr benötigten St and- Kleinstadt mit 6 300 Einwohnern in einem struktur- orte konsequent und weitsichtig erarbeitet wurde. schwächeren Gebiet. Die Standorte in Bayern, die fo rt -bestehen sollen, befinden sich in Oberzentren. Im Falle Der Antrag der SPD bietet dagegen keine Alte rna- tive. Er ist offensichtlich aus rein parteitaktischen des Standortes Oerlenbach mit seinen 5 700 Einwoh- nern hat man strukturpolitische Gründe berücksich- Überlegungen gestellt worden. Er zielt darauf ab, tigt, was verständlich ist. Warum nicht bei Nabburg? Koalitionsabgeordnete, die sich durch das neue BGS- Konzept benachteiligt fühlen, eine Möglichkeit der In einer Reihe von Gesprächen und Interventionen weiteren und für alle Beteiligten- schädlichen Zeitver- beim zuständigen Bundesminister des Innern habe zögerungen zu eröffnen und dabei der Bundesregie- ich auf die gravierenden Probleme hingewiesen, die rung eine Abstimmungsniederlage zuzufügen. sich aus einer Auflösung des BGS-Standortes Nab Ein solches Vorgehen trage ich nicht mit. Ich lehne burg für die Stadt und die Region ergeben. Die Ent- daher den Antrag der SPD ab. scheidung ist weder den BGS-Angehörigen noch der Bevölkerung dieser Region zu vermitteln. Sie wird als unbegründet und ungerecht empfunden. Otto Regenspurger (CDU/CSU): Als Abgeordneter des Bundeswahlkreises Coburg gebe ich folgende Der Antrag der SPD-Fraktion, das Strukturkonzept Erklärung ab: Ich werde dem vorliegenden Antrag des Bundesministers des Innern zurückzuziehen und nicht zustimmen und begründe es wie folgt: durch ein neues zu ersetzen, ist aber keine Alterna- tive zum jetzigen 'Reformkonzept und ist offensicht- Der Antrag der SPD, das Strukturkonzept des Bun- lich aus parteitaktischen Überlegungen gestellt wor- desministers zurückzuziehen, ist ein reiner Schaufen- den. Die SPD-Fraktion erkennt in ihrem Antrag die sterantrag. Er will nur Unruhe in die Wahlkreise tra- Notwendigkeit einer Strukturreform des Bundes- gen und die örtlichen Abgeordneten erwecken den grenzschutzes durchaus an. „Durch die politischen Eindruck, als ob durch die Annahme des Antrags Veränderungen in Osteuropa und durch die Wieder- Standorte gerettet werden könnten. Im Gegenteil! Er vereinigung Deutschlands hat sich die Sicherheits- enthält nicht einen einzigen Vorschlag, welcher lage in der Bundesrepublik Deutschland nachhaltig Standort erhalten bleiben soll. So ist auch kein An- verändert", wird in dem Antrag ausgeführt. Eine trag zum Erhalt des Standortes Coburg erkenntlich. Verstärkung des grenzpolizeilichen Einzeldienstes, Im Antrag der SPD steht: insbesondere im Bereich der Ostgrenze, sowie die Einrichtung von Inspektionen seien derzeit notwen- Der Deutsche Bundestag erkennt die Notwen- dig. Außerdem müsse die bahnpolizeiliche Präsenz digkeit einer Strukturreform des Bundesgrenz- bei der Zugbegleitung und auch in den Bahnhöfen schutzes durchaus an. Durch die politischen Ver- intensiviert werden. änderungen in Osteuropa und durch die Wieder- vereinigung Deutschlands hat sich die Sicher- Der SPD-Antrag gibt, auch wenn örtliche Opposi- heitslage in der Bundesrepublik Deutschland tionspolitiker einen anderen Eindruck zu vermitteln nachhaltig verändert. Neue Kriminalitätsformen suchen, außerdem keine Garan tie, daß die zur Auf- und kriminalgeographische Brennpunkte haben lösung vorgesehenen BGS-Standorte - und so auch sich entwickelt und verändern sich ständig. 19242 * Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Diese SPD-Feststellung erlaubt dem Innenminister Anlage 8 Konsequenzen für eine Standortauswahl nach seinen Kriterien. Er hat hier die alleinige Organisationszu- Zu Protokoll gegebene Reden ständigkeit. Den jetzt vorliegenden Schlußfolgerun- zu Tagesordnungspunkt 12 gen des BMI zur Standortauswahl kann ich aller- (Antrag: Lebenslanges Lernen (I): dings nicht folgen. Zumindest die Aus- und Fortbil- Berufliche Weiterbildung in Deutschland ausbauen) dung kann zum Beispiel in Coburg verbleiben. Sie findet hier Arbeits- und Lebensbedingungen, die an Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn) (BÜNDNIS 90/ anderer Stelle erst noch geschaffen werden müssen, DIE GRÜNEN): Lebenslanges Lernen ist heute in bzw. überhaupt nicht realisiert werden können. aller Munde. 1996 fand das Jahr des lebensbegleiten- tt, im Juli 1997 eine weltweite In Oerlenbach zum Beispiel, wohin eine Verlage- den Lernens der EU sta Konferenz zum Lifelong Learning der UNESCO in rung der Aus- und Fortbildung erfolgen soll, müssen Hamburg. 150 Nationen dieser Erde waren vertreten. die Voraussetzungen erst mit großem finanziellen Auch Bundespräsident Herzog betonte die Bedeu- Aufwand geschaffen werden. Ich habe deshalb den tung des Lebenslangen Lernens. Gleichzeitig hat das Bundesrechnungshof eingeschaltet, um eine Ver- Weiterbildungssystem in Deutschland einen rasanten schwendung von Steuergeldern zu verhindern. Dies Boom erlebt. ist niemandem zumut- und vermittelbar. Das hat seine Gründe: Immer rascher gewinnen Ich wiederhole nochmals: Im Antrag der SPD wird neue Erkenntnisse Eingang in unsere Arbeitswelt. nicht ein einziger Erhalt eines Standortes gefordert, Schon heute werden jährlich 10 Prozent der Arbeits- auch nicht für Coburg, sondern sogar attestiert, daß plätze durch neue mit höherer oder anderer Quali- Standorte aufgegeben werden könnten. Für mich ist fikation ausgetauscht. Die Folge ist ein verändertes es besonders wichtig, daß notwendige Veränderun- Verhältnis von Aus- und Weiterbildung. Der schnelle gen sinnvoll, nachvollziehbar und für das betroffene Innovationsrythmus entwe rtet die Erstausbildung. Personal sozialverträglich gestaltet werden müssen. Man ist heute mit einer beruflichen Erstausbildung nichts mehr - man kann nur etwas werden. Jürgen Sikora, Engelbert Nelle (beide CDU/CSU): Der „Beruf fürs Leben" gehört der Vergangenheit Als Bundestagsabgeordnete, in deren Wahlkreisen an. Der alte Spruch „Was Hänschen nicht lernt, lernt sich Bundesgrenzschutzstandorte befinden, geben Hans nimmermehr" gilt nicht mehr. Richtig muß es wir nach § 31 Geschäftsordnung folgende Erklärung heißen: „Grete und Hans lernen ihr Leben lang." ab: Es ist schön, wenn Herr Röttgers „Lernfeste" zum Aus unterschiedlichen Gründen sind wir für den lebenslangen Lernen veranstaltet und die Wichtig- Erhalt der in unseren Wahlkreisen liegenden BGS- keit der Weiterbildung betont. Doch das ist auf unse- Standorte eingetreten. In einer Vielzahl von Gesprä- rem Weg in die Lerngesellschaft zu wenig. Die ge- chen und Interventionen beim zuständigen Bundes- samte Weiterbildung muß endlich auf eigene Füße minister des Innern haben wir auf die gravierenden gestellt werden. Wir müssen dafür sorgen, daß nicht Probleme hingewiesen, die sich aus den vorgese- nur über Weiterbildung geredet wird. Lebenslanges henen Auflösungen für die Standortgemeinden er- Lernen muß für möglichst viele Menschen möglich geben. Darüber hinaus ist im Fa lle des Standortes werden. Von der Regierungskoalition gehen hier Goslar der Bundesrechnungshof eingeschaltet wor- keine Impulse aus. Es hat sich genügend Handlungs- den, um die Wirtschaftlichkeit der vorgesehenen druck aufgestaut. Veränderungen zu überprüfen. Ich nenne sechs Entwicklungen, an denen die ver- Der Antrag der SPD, das Strukturkonzept des Bun- fehlte Weiterbildungspolitik deutlich wird. desministers des Innern zurückzunehmen und durch ein neues zu ersetzen, ist keine tragfähige und noch Erstens. Die wildwüchsige Expansion hat zu einem weniger eine bessere Alterna tive zum jetzigen Re- unüberschaubaren Weiterbildungsmarkt geführt. Für formkonzept und ist ganz offensichtlich aus rein par- die Menschen bedeutet dies: Sie wissen häufig nicht, teitaktischen Überlegungen gestellt worden. Außer- wo sie welchen Kurs besuchen können, wie die dem gibt der SPD-Antrag keine Garan tie für den Er- Schulung finanziert werden kann und ob das erwor- halt der in unseren Wahlkreisen liegenden BGS- bene Zertifikat überhaupt anerkannt wird. Die Ver- Standorte. Vielmehr erkennt die SPD in ihrem An- suche der Bildungsträger, einheitliche Qualitätsstan- trag die Notwendigkeit einer Strukturreform des dards zu entwickeln, sind bisher fehlgeschlagen. Bundesgrenzschutzes an, die ebenfalls die Aufgabe Zweitens. Bei den Fortbildungsordnungen sollten von BGS-Standorten beinhaltet. Das einzige Ziel des Sie Dampf machen. Wie kann es sein, daß wir heute Antrags ist es, in Kenntnis unserer Initia tive und in über 2 000 Rechtsvorschriften für 350 Weiterbil- der Hoffnung unserer Zustimmung zu diesem An- dungsberufe haben? Lediglich beim Handwerk gibt trag, der Bundesregierung eine Abstimmungsnieder- es hier Vereinheitlichungen. lage beizubringen. Drittens. Die Studenten und Studen tinnen demon- Aus diesem Grunde werden wir, trotz unserer strieren - und auch die Regierungsparteien bekun- vorgetragenen Bedenken zum Reformkonzept des den ihre Sympathie. Gleichzeitig haben Sie die Wei- Bundesministers des Innern, den Antrag der SPD- terbildung an den Hochschulen aus ihrem HRG-Ent- Fraktion ablehnen. wurf weitgehend fallen lassen. Der Weiterbildungs- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997 19243* paragraph 21 soll einfach gestrichen werden. Wie bei eines modernen Weiterbildungsmarktes überholt der ganzen Hochschulmisere wollen Sie auch hier worden sind. Der schon vom Grundsatz her falsche das nötige Geld nicht einstellen. Ansatz, der sich im übrigen ebenso in der Großen An- frage der SPD-Fraktion zu Stand und Perspektive der Viertens. Rekordarbeitslosigkeit forde rt breite beruflichen Weiterbildung widerspiegelt, geht von Qualifizierungskonzepte. Die Bundesregierung aber der irrigen Vorstellung aus, daß sich Lernen angeb- tut alles, diese zu verhindern. Sie hat die Mittel für lich nur in der traditionellen institutionalisierten Form Fortbildung und Umschulung dieses Jahr um mehr möglichst unter staatlicher Aufsicht vollziehen kann. als 2,5 Milliarden DM gekürzt. Sie verurteilen damit viele Arbeitslose zum Nichtstun. Gleichzeitig betrei- Mit Staatsdirigismus und Planwirtschaft lassen sich ben Sie Kahlschlag im Sektor der beruflichen Weiter- jedoch die realen Entwicklungen einer hochkomple- bildung. Bis zu 20 000 Weiterbildner und Weiterbild- xen und global vernetzten Industriegesellschaft auf nerinnen werden ihren Arbeitsplatz verlieren. Das keinen Fall in den Griff bekommen. Die Verzahnung traurige Fazit Ihrer Politik: Mehr Arbeitslose - weni- von Tätigkeit und Lernen hat dera rt an Bedeutung ger Qualifizierung. gewonnen, daß derzeit zu Recht von einem Paradig- menwechsel innerhalb der Weiterbildung gespro- Fünftens. Das anfangs hochgelobte Meister-BAföG chen werden muß. ist inzwischen ein Meister-Flop. Statt der erwarteten 90 000 Teilnehmer werden es auch 1997 kaum mehr Dieser Wechsel vollzieht sich bereits in vielen Be- als 30 000. Geringe Freibeträge, die Anrechnung reichen. Betriebliche Weiterbildung: Neue Formen selbst von kleinen Vermögen und die geringen Un- des „Lernens im Arbeitsprozeß" entwickeln sich terhaltszahlungen wirken kaum motivierend. Doch durch eine Neugestaltung der Beziehungen zwi- was macht die Regierungskoalition? Sie macht aus schen Arbeitsorganisation und Personalentwicklung. dem Meister-BAföG ein Meister-SparföG. Der Bil- Bildungsinstitutionen: Berufliche Weiterbildungsein- dungsminister hat den Etat 1997 um 16 Millionen richtungen, die auf dem Markt agieren, verstehen DM gekürzt und die Regierungskoalition den Etat für sich zunehmend als Dienstleister. Qualifikations- 1998 um 20 Millionen. Sie sparen die Bildung kaputt. erhalt: Auch hier entwickeln sich beispielsweise im Falle von Arbeitslosigkeit neue Strategien. Das Ar- Sechstens. Auch der sogenannte Bildungsurlaub beitsförderungsreformgesetz - AFRG - eröffnet neue gilt am Standort Deutschland bis heute als Luxus. Von Wege des Verzahnens von Arbeiten und Lernen. den Anspruchsberechtigten nehmen jährlich nur Wissenschaftliche Diskussion: Hinter der zunehmen- knapp 3 Prozent überhaupt an einer Weiterbildung im den Begriffsvielfalt von Weiterbildung, lebensbeglei- Rahmen der Freistellungsmöglichkeiten teil. Für die tenden oder selbstorganisiertem Lernen, von Perso- Zukunftsminister ist das aber scheinbar kein Thema. nal- und Kompetenzentwicklung wird das Bemühen Hier müssen wir endlich handeln. Der Reformstau erkennbar, den gestiegenen und weiter steigenden bei der beruflichen Weiterbildung ist zu lösen. Un- Anforderungen in Wirt-schaft und Gesellschaft durch sere Vorschläge liegen auf dem Tisch. neue Formen des Lernens gerecht zu werden. Notwendig sind die Einführung einer Bundesrah- Mit einer Konzentration auf institutionalisierte For- menordnung für die Weiterbildung, die Durchset- men der Weiterbildung allein kann aber den notwen- zung übersichtlicher Qualitätsstandards für den Wei- digen Anpassungsprozessen an wirtschaftliche und terbildungsbereich, die Schaffung von modularen gesellschaftliche Veränderungen bei weitem nicht Weiterbildungsabschlüssen, die bundesweite Rege- entsprochen werden. Viele Bet riebe haben bereits lung des sogenannten Bildungsurlaubes und schließ- erkannt, daß eine hohe Lernkultur ein Wettbewerbs- lich die solide finanzielle Absicherung der Weiterbil- faktor ersten Ranges ist. Deshalb experimentieren sie dung einschließlich des Meister-BAföGs. mit neuen Formen des arbeitsintegrierten Lernens. Unser Ziel ist es, den Weiterbildungsmarkt auf zu- Nach einer Untersuchung des Institutes der deut- kunftsweisende Fundamente zu stellen. schen Wirtschaft Köln zur betrieblichen Weiterbil- dung mit zirka 1 400 Unternehmen aus Indust rie, Es ist nun an Ihnen, vom Reden zum Handeln zu Handwerk und Dienstleistungssektor steht das Ler- kommen. Tun sie etwas dafür! nen in der Arbeitssituation mit 91,4 Prozent aller Wei- terbildungsmaßnahmen deutlich im Mittelpunkt. Werner Lensing (CDU/CSU): Angesichts der globa Durch eine moderne Schwerpunktsetzung entsteht len Herausforderungen, vor denen unsere Wi rtschaft auf Grund der Politik der Bundesregierung ein brei- und Gesellschaft stehen, wird keine gewissenhafte tes Netzwerk unterschiedlichster Lernmöglichkeiten, Politik die Notwendigkeit eines lebensbegleitenden das dem einzelnen vielfältige Op tionen für die per- Lernens bestreiten wollen. Ist doch die Weiterent- sönliche und berufliche Entwicklung durch Lernen wicklung von Qualifikation und Kompetenzen eine eröffnet. entscheidende bildungspolitische, aber zugleich auch wirtschafts- und gesellschaftspolitische Auf- Folgerichtig läßt sich unsere Weiterbildungspolitik gabe. Der vorliegende Antrag der Fraktion von von den Prinzipien der Eigenverantwortung, der Bündnis 90/Die Grünen wird allerdings dem gebote- Selbstorganisation, der dezentralen Steuerung durch nen Anspruch nicht gerecht. Ich will das begründen. den Weiterbildungsmarkt sowie der Subsidiarität lei- ten. Nur mit diesen Prinzipien kann den hochgradig Neben den sattsam bekannten Phrasen bezieht vernetzten und sich immer weiter differenzierenden sich dieser Antrag auf die veralteten Vorstellungen Lernbedürfnissen in Wirtschaft und Gesellschaft ent- der 70er Jahre, die freilich längst von der Realität sprochen werden. 19244* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Bei der Gestaltung der politischen Rahmenbedin- wüßten sie, daß wir - übrigens im Konsens mit der gungen setzt die Bundesregierung bewußt auf diese SPD - von vornherein kein allumfassendes und für Schwerpunkte: Verstärkung des gesellschaftlichen den Staat unbezahlbares Weiterbildungsförderungs- Dialogs, um bei steigender Bedeutung kontinuier- gesetz einrichten wollten. licher Qualifikations- und Kompetenzentwicklung eine möglichst breite Bewußtseinsbildung in allen Eine zweite wichtige Entscheidung in Sachen Auf- Teilen der Gesellschaft über das veränderte Ver- stiegsfortbildung ist mit der „Vereinbarung zur be- ständnis von Weiterbildung entscheidend zu fördern; ruflichen Fortbildung gemäß § 42 Berufsbildungsge- Entwicklung neuer Bewertungssysteme, um die setz bzw. gemäß § 42 Handwerksordnung" gefallen. Lernintensität von Arbeitssystemen wie auch die Be- Diese so wichtige Entscheidung wird von den Grü- urteilung individueller Berufstätigkeiten unter eige- nen in ihrem Antrag überhaupt nicht erwähnt. Soll- nen Kompetenzkriterien hinreichend bewe rten zu ten sie diese nicht kennen? Manchmal - ich muß es können; Umbau der wissenschaftlichen Infrastruk- hier einmal sagen dürfen - habe ich tatsächlich den tur weil Qualifikations- und Kompetenzentwicklung Eindruck, als seien die letzten zehn Jahre Weiterbil- nicht mehr ohne kontinuierliche wissenschaftliche dungspolitik an den Grünen vorbeigegangen. Beobachtung und Entwicklung auskommen; Weiter- Ich erwähne diese Vereinbarung hier deshalb so entwicklung der institutionalisierten beruflichen ausführlich, weil ihr Zustandekommen bester Beweis Weiterbildung unter fairen Wettbewerbsbedingun- dafür ist, daß sich Weiterbildung als öffentliche Auf- gen, weil diese ein wesentlicher Bestandteil im Netz- gabe, aber gleichwohl offener Weiterbildungsmarkt werk unterschiedlicher Lernmöglichkeiten darstel- nicht gegenseitig ausschließen müssen. Vorausset- len; Weiterentwicklung von Qualitätsstandards für zung für das Gelingen des marktwirtschaftlich ge- die Weiterbildungsangebote, um unsere Verbraucher steuerten Weiterbildungsmarktes ist allerdings, daß wirksam vor unseriösen Angeboten zu schützen; Ent- öffentliche Verantwortung für die Weiterbildung nicht wicklung neuer Informa tions- und Kommunikations- notwendigerweise mit der Einordnung in die Staats- technologien, weil diese immense Chancen für die verwaltung gleichgesetzt wird, wie dies die Grünen Erweiterung der Lernmöglichkeiten auch von Er- fordern. Die Anzahl der regionalen Fortbildungsrege- wachsenen bieten. lungen, die bereits im Jahr 1996 auf 2608 angewach- Aus dem großen Katalog der Maßnahmen, die sen war, kann nun endlich auf ein für alle Beteiligten nicht zuletzt durch die Vorgaben der Koalitionsfrak- überschaubares Volumen reduziert werden. tionen initiiert wurden, möchte ich nur auf zwei rich- Zusammen mit der steuerfinanzierten Förderung tungsweisende Entscheidungen hinweisen, die der des Erwerbs von Weiterbildungsabschlüssen durch Aufstiegsweiterbildung im Jahr 1996, dem „Euro- das Meister-BAföG stellen die beiden genannten päischen Jahr des lebensbegleitenden Lernens", Rahmenbedingungen für den Ausbau von Weiterbil- wichtige Impulse gegeben haben. dungsabschlüssen im Konsens von Staat und Sozial- parteien so etwas wie Fixpunkte der öffentlichen Die erste Entscheidung bet rifft das Aufstiegsfort- Verantwortung dar - im Netzwerk einer weitgehend bildungsförderungsgesetz - AFBG -, das im Ap ril „ungeregelten" Weiterbildung. 1996 verabschiedet wurde. Dieses AFBG setzt einen vollständig neuen bildungspolitischen Akzent, in- Die Weiterentwicklung unserer Lernkultur ist eine dem es zum einen Rechtsanspruch auf staatliche För- eminent wichtige Aufgabe. Sie ist zu wichtig, um ihr derung einräumt und zum anderen durch die Steuer- mit den alten Konzepten des Obrigkeitsstaates zu be- finanzierung des sogenannten Meister-BAföG ein gegnen. deutliches Signal für die Gleichwertigkeit von beruf- licher und allgemeiner Bildung gibt. Franz Thönnes (SPD): Wir debattieren heute über Ganz im Gegensatz zu dem im Grünen-Antrag ver- eines der wichtigsten Themen in einem rohstoffar- mittelten Eindruck ist das Meister-BAföG ein absolu- men Land. Wir sprechen erneut über die berufliche tes Erfolgsmodell, finanzieren doch immer mehr Bildung, diesmal nicht über die Erstausbildung, son- Fachkräfte und Techniker ihre Weiterbildung durch dern über die berufliche Weiterbildung. Damit be- das AFBG. Nicht von ungefähr wurden in An- handeln wir ein Themenfeld, das herausragende Be- erkennung des ungebrochenen Interesses für Mei- deutung für die Beschäftigungschancen a ller Arbeit- sterqualifikationen als Voraussetzung für eine profes- nehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland hat. sionelle Unternehmensführung die Mittel im Haus- Die lebensbegleitende Weiterbildung ist die bil- halt 98 um weitere 4 Millionen DM auf insgesamt dungspolitische Herausforderung des 21. Jahrhun- 120 Millionen DM erhöht. Trotz Sparzwängen alleror- derts. ten konnten wir hier eine Steigerung von immerhin 3,4 Prozent durchsetzen. Für die SPD-Fraktion war klar, daß mit der Ver- abschiedung des unzureichenden Aufstiegsfortbil- Der Vorschlag von Bündnis 90/Die Grünen, eine dungsförderungsgesetzes das Thema „Berufliche staatliche Förderung bereits bei einem Volumen von Weiterbildung" nicht erledigt sein durfte. Unter dem nur 200 Stunden einsetzen zu lassen, ist erstens nicht Aspekt der tiefgreifenden Veränderungen der Wi rt finanzierbar und führt zweitens zu einer Vielzahl -schaft und der Arbeitswelt, der Globalisierung von schwieriger und oft diskriminierender Beurteilungen Produktion und Märkten sowie der fortschreitenden über die Förderwürdigkeit einzelner Projekte. Wenn technischen und der demographischen Entwicklung die Grünen die Diskussion während der Entstehung kommt diesem Thema eine ganz besondere Bedeu- der Aufstiegsfortbildungsförderung verfolgt hätten, tung zu. Deshalb hat die SPD-Fraktion mit ihrer Gro- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997 19245*

ßen Anfrage „Lebensbegleitendes Lernen: Perspekti- nur auf die Kräfte des Marktes und des Wettbewerbs ven der beruflichen Weiterbildung" vom Januar die- verweist, fördert Verzettelung und Ineffizienz. Des- sen Jahres dafür gesorgt, daß die Thematik weiterhin halb sind Staat und Tarifpartner gefordert, Rahmen- auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestages bedingungen und Möglichkeiten für Weiterbildung bleibt. Nachdem die Bundesregierung auf die ge- und Qualifikation der Arbeitnehmer zu verbessern. stellten 92 Fragen am 17. September 1997 geantwor- In diesem Zusammenhang ist es interessant, daß die tet hat, ist nun eine intensive Auswertung und Be- Bundesregierung in der Beantwortung der Großen wertung ihrer Antworten notwendig. Anfrage der SPD-Fraktion bei der Datenerhebung nahezu ausschließlich auf Fakten von Wirtschafts- Deshalb ist es ein wenig bedauerlich, daß die Frak- instituten und regierungsnahen Stellen zurückgreift, tion Bündnis 90/Die Grünen nun vorschnell mit einem jedoch die Ergebnisse der wissenschaftlichen Unter- Beschlußantrag kommt, dem in Teilbereichen sicher- suchungen von Gewerkschaften bzw. ihrer Archive lich zugestimmt werden kann, dem aber ebenso in keine Berücksichtigung finden. anderen Sektoren Unzulänglichkeit hinsichtlich der Analyse sowie der daraus gezogenen Schlußfolgerun- So sehr die Bundesregierung auch die Notwendig- gen bescheinigt werden muß. Auch ist es bedauer- keit des lebensbegleitenden Lernens betont, so un- lich, daß für dieses wichtige Thema zum jetzigen Zeit- zulänglich bleiben jedoch ihre Aktivitäten. Dies ist punkt nur eine Gesamtdebattenzeit von 30 Minuten angesichts ihrer grundsätzlichen Haltung gegenüber vorgesehen ist, geht es doch unter dem Gesichts- ihrer politischen Verantwortung durchaus nachvoll- punkt von dringend notwendigen Innovationen und ziehbar. Mit der alleinigen Zuweisung der Verant- Verbesserung der Qualifikationen um einen zentra- wortung für Weiterbildung auf den einzelnen unter len Investitionsbereich. dem Deckmäntelchen der Subsidiarität entzieht sich die Bundesregierung ihrer gesamtgesellschaftlichen Wir alle wissen, daß in Zukunft vor allem Umfang, Verantwortung und trägt zu einer Festigung unglei- Qualität und Schnelligkeit, mit der neue Ideen produ- cher Chancen in der beruflichen Weiterbildung bei. ziert und Veränderungen bei Produkten und Prozes- sen realisiert werden, wettbewerbsentscheidend sind. Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage geben deshalb auch keinen Anlaß zur Daher ändern sich auch die Anforderungen an die Zufriedenheit: Zahlreiche wichtige Daten stehen der Menschen. Nicht länger gefragt ist das Vorratslernen Bundesregierung nicht zur Verfügung: Sie kann in der Jugend und im frühen Erwachsenenalter. Nie- nicht einmal Erkenntnisse über die berufliche Wei- mand kann sich heute mehr zurücklehnen und sa- terbildung im Öffentlichen Dienst machen. Es ist gen: „Ich habe jetzt ausgelernt". Die zentrale Schlüs- falsch, wenn die Bundesregierung die Einheitlichkeit selqualifikation ist das „Lernen lernen". Notwendig der Lebensverhältnisse in Deutschland durch die ge- ist die ständige Weiterbildung. Die Basis hierfür muß genwärtigen Realitäten als nicht beeinträchtigt an- in der Erstausbildung geschaffen werden. sieht. So differiert die Beteiligung an beruflicher Wei- Das Erwerbsleben wird in Zukunft nicht mehr in terbildung stark nach Berufspositionen, Bildungs- der starren Abfolge von Bildung und Arbeit organi- und Qualifikationsniveau, Berufsgruppen- und Bran- siert sein. Beide Bereiche werden ineinander überge- chenzugehörigkeit, nach Alter, Geschlecht und hen und sich zunehmend verzahnen. Wir werden zu Wohnorten. Noch immer erhalten die Beschäftigten flexiblen Beschäftigungs- und Bildungsbiographien mit bereits relativ guten Qualifikationen einen we- kommen. Lernen am Arbeitsplatz, Lernen in der Ar- sentlich besseren Zugang zur Weiterbildung als an- beit durch die Arbeit, „learning by doing" und Ler- und ungelernte Arbeitskräfte. Auch sinkt mit abneh- nen mit Unterstützung der neuen Informa tions- und mender Betriebsgröße die Intensität der Weiterbil- Kommunikationstechnologien werden zunehmen. So dung. Der Bund hat keinerlei Absicht von seiner Rah- wird Weiterbildung zu einem lebensbegleitenden mengesetzgebungskompetenz Gebrauch zu machen. Prozeß, der den einzelnen immer wieder erneut her- Es fehlt der Wi lle, mehr Transparenz herzustellen. Der ausfordert und die Gesellschaft auffordert, durch Rah- „Markt" der Weiterbildung bleibt unübersichtlich. Es menbedingungen für Chancengleichheit zu sorgen. fehlen Konzepte zur Sicherung der Qualität und zum Teilnehmerschutz. Die Datenlage hinsichtlich des Die alleinige Reduzierung der Qualifizierungspoli- wichtigen Faktors „Weiterbildungspersonal" ist mehr tik auf die Mechanismen von Angebot und Nach- als dürftig. Von einer organisierten Qualifizierungs- frage im Weiterbildungsmarkt führt zu Brüchen und politik dieser bedeutenden Zielgruppe kann keine Ungleichheiten. So werden Angebotsstrukturen und Rede sein. Vorausschauende Bildungspolitik, die Ant- die Qualität von Weiterbildungsmaßnahmen nicht worten auf die Fragen nach dem Aufbau von Medien- durchschaubar und die nachvollziehbare Vergleich- kompetenz oder der Förderung der IuK-Technologien barkeit von Abschlüssen ist ebenso nicht in einem gibt, wird in Bonn nicht betrieben. Bei der Weiterbil- ausreichenden Maß gewährleistet. dungsforschung erweisen sich die Antworten erneut als Bescheinigung großer bestehender Defizite. Wir stimmen mit der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung überein, So erfreulich es ist, daß die Weiterbildungsbereit- daß die Schaffung moderner Rahmenbedingungen schaft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in eine Grundvoraussetzung für lebensbegleitendes den letzten Jahren gestiegen ist, so kritikwürdig ist Lernen in flexiblen Weiterbildungsstrukturen dar- jedoch die Politik der Bundesregierung, die ungeach- stellt. Weiterbildung braucht verläßliche Rahmenbe- tet einer zunehmenden Undurchschaubarkeit des dingungen, was Finanzierung und Qualitätssiche- Weiterbildungsmarktes nahezu einzig und allein auf rung anbetrifft. Wer hier aus ideologischen Gründen die Kräfte von Angebot, Nachfrage und Wettbewerb 19246* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

setzt. Sind einerseits die Teilnehmeraufwendungen Drittens. Die öffentliche Hand muß ihre Verant- inzwischen auf einen Anteil von 38 Prozent an den wortung für die Weiterbildung in Zusammenarbeit Gesamtaufwendungen gestiegen, so sind die Auf- mit der Wirtschaft, den gesellschaftlichen Gruppen, wendungen für Weiterbildung und Qualifizierung in den Trägern und sonstigen an der Weiterbildung Be- der Arbeitsförderung in letzter Zeit zwischen 20 und teiligten wahrnehmen. Zusammenarbeit von Staat 30 Prozent reduziert worden. und Privaten bedeutet in diesem Zusammenhang, daß der Staat den Rahmen setzt, die Mindestversor- Leider bleibt auch der Antrag von Bündnis 90/Die gung und -qualität sichert und die übrigen Beteilig- Grünen in mehreren Teilen unzureichend gegenüber ten nach definierten Regeln die Verantwortung für den Herausforderungen der Zukunft. Die Strukturen die Durchführung übernehmen. des Lernens und der Weiterbildung wandeln sich ebenfalls immer schneller. Die Weiterbildung der Zu- Viertens. Vor dem Hintergrund bestehender Frei- kunft wird viel stärker mit der Arbeit verzahnt sein. stellungsregelungen durch die Bildungsurlaubs- und Die Weiterbildung der Zukunft wird größere Anteile Freistellungsgesetze der Mehrzahl der Länder ist an- umfassen, die heute noch der beruflichen Erstaus- gesichts neuer orts- und zeitunabhängiger Möglich- bildung zugerechnet werden. Die Weiterbildung der keiten der Qualifizierung über neue und zeitgemäße Zukunft wird stärker auf individuell geplantem, indi- adäquate Weiterbildungsanspruchsregelungen zu viduell gestaltetem, zeit- und ortsunabhängigen Ler- diskutieren. nen beruhen. Die wachsenden Möglichkeiten des Fünftens. Zentral für die Akzeptanz und den Zu- Fernunterrichts durch die neuen Kommunikations- gang zu Weiterbildung ist die Herstellung von mög- technologien finden keinerlei Erwähnung. Weiterbil- lichst großer Transparenz des Weiterbildungsange- dung hat eine europäische und - angesichts der zu- bots auf regionaler Ebene sowohl in inhaltlicher als nehmenden Verflechtung der Wi rtschaft - eine glo- auch in qualitativer Hinsicht. bale Komponente; diese gilt es auszubauen und zu entwickeln und zwar nicht nur für die bereits Hoch- Sechstens. Die konkurrierenden Kompetenzen von qualifizierten. Es fehlt völlig eine Einbindung der Bund und Ländern in Fragen der Weiterbildung müs- Weiterbildungspolitik in eine europäische Beschäfti- sen moderiert werden. Eine wich tige Rolle kann gungs- und Qualifizierungspolitik für einen europäi- dabei die Konzertierte Aktion Weiterbildung spielen. schen Arbeitsmarkt. Und verkannt wird ebenso, daß Siebtens. Eine Schlüsselrolle für den Erfolg von Weiterbildung zunehmend als Instrument der Perso- Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung nimmt nalentwicklung eingesetzt wird. das Weiterbildungspersonal ein. Sind dessen Qualifi- zierung und soziale Absicherung auf hohem Niveau, Wir werden angesichts der Bedeutung des Themas hat dies auch posi tive Rückwirkungen auf die Bil- die Antworten der Bundesregierung sorgfältig aus- werten und die berufliche Weiterbildung im kom- dungsmaßnahmen und den individuellen Nutzen für menden Jahr erneut mit einem angemessenen Zeit- die Teilnehmerinnen und Teilnehmer. budget auf die Tagesordnung setzen. Denn es Achtens. Die Zukunft gehört dem Aufbau regiona- kommt darauf an, Strategien zu entwickeln, die über ler Netzwerke der beruflichen Weiterbildung. den heutigen Tag hinausreichen. Ziel der Bildungspolitik muß es sein, die berufliche Erstens. Moderne Ausbildungsordnungen müssen Weiterbildung zu einem integrativen Bestandteil des die berufliche Erstausbildung und Weiterbildung Bildungswesens in Deutschland zu machen. Die Zahl miteinander verzahnen. Wir wollen die ungünstige der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der beruf- Verteilung der Zeiten der Erstausbildung und der lichen Weiterbildung muß über alle Gruppen hinweg Weiterbildung verändern. Notwendig sind eine ge- wachsen. straffte und reformierte Erstausbildung, die den früh- Dazu bedarf es eines klaren Konzepts, wie Inhalte, zeitigen Berufseinstieg ermöglicht, und diverse über Finanzierungsformen, Träger, Qualitätssicherungs- das Arbeitsleben verteilte Weiterbildungsphasen, die systeme, Zertifizierungsregelungen und Weiterbil- der praxisnahen Auffrischung, der Verbreiterung des dungsforschung aussehen sollen. Wissens und auch der Spezialisierung dienen. Weiterbildungspolitik ist Innovationspolitik. Wei- Zweitens. Es muß sichergestellt werden, daß Ange- terbildungspolitik ist Zukunftspolitik. bote der beruflichen Weiterbildung im Hinblick auf die Inhalte und die fachliche Eignung des Lehrper- Im Zeitalter der sonals hohe und gleichbleibende Qualität bieten. Dr. Karlheinz Guttmacher (F.D.P.): Informationsgesellschaft und Globalisierung wird Darum müssen die Grundlagen der Qualitätssiche- lebenslanges Lernen auch in Deutschland zu einem rung im BBiG, in der HWO, im FernUSG, im AFBG immer wichtigeren Faktor für die Chancen auf dem und im AFG sowie die darauf beruhenden Anord- Arbeitsmarkt. Die Sicherung des Arbeitsplatzes und nungen der Bundesanstalt für Arbeit kontinuierlich der Zugang zu neuen Beschäftigungsfeldern erfor- fortentwickelt werden. Wenn die Bundesregierung in dern die Bereitschaft, sich Neues anzueignen. ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage die Regelun- gen im Fernunterichtsschutz-Gesetz als wirkungsvoll Im Laufe seines Erwerbslebens wechselt der ansieht und dieses Gesetz zu einer Verbesserung der Mensch heute durchschnittlich dreimal seine beruf- Qualitätssicherung beigetragen hat, so ist zu prüfen, liche Tätigkeit. Es ist enorm wich tig, das Bewußtsein inwieweit hier Schlußfolgerungen für die Qualitäts- für die Notwendigkeit lebenslangen Lernens zu sicherungspolitik in anderen Sektoren der Weiterbil- schaffen und die Möglichkeiten für Weiterbildung dung gezogen werden können. transparent und öffentlich zu machen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997 19247*

Das Lernverhalten hat sich in unserer Gesellschaft schiedlichen Bereichen der Weiterbildung, die Spit- bereits verändert und es wird sich in den nächsten zenverbände der Weiterbildung, Sozialpartner, Ver- Jahren noch wesentlich differenzie rter gestalten. Es treter des Bundes, der Länder und Kommunen zu- wird keine „Einmalausbildung" mehr geben, son- sammen, um in einem übergreifenden Dialog ihrer dern die Lernabschnitte verteilen sich auf unser ge- gemeinsamen Verantwortung zu entsprechen, ein samtes Leben. Der Behaltenseffekt des erworbenen umfassendes, qualitativ und quantitativ anspruchs- Wissens wird sich erhöhen. Bei diesem neuen Lern- volles Weiterbildungsangebot zu gewährleisten. verhalten müssen die Ausbildungszeiten flexibilisiert werden. Hierzu gehören bereits flexiblere Einschu- Die jüngste Pressemitteilung des Kuratoriums der lungen, attraktive Abschlüsse nach 9- und 10jähriger Deutschen Wirtschaft für Berufsbildung, in der alle Schulzeit, „Freischußregelung" für Abiturienten als Spitzenverbände vertreten sind, hat mitgeteilt, daß Experimentierklausel, verstärkte Nutzung des Über- die Weiterbildung in den Unternehmen als Instru- springens einer Jahrgangsstufe und Freischußrege- ment der Verbesserung der Innovations- und Wettbe- lung in allen möglichen Studienrichtungen. werbsfähigkeit immer mehr in Anspruch genommen wird. 14 000 Unternehmen haben sich aus Indust rie, Die berufliche Ausbildung muß differenzie rter er- Handwerk, Dienstleistung sowie Land- und Forst- folgen. Leistungsstarken Berufsauszubildenden muß wirtschaft an der beruflichen Weiterbildung beteiligt. in gleicher Ausbildungszeit ein zusätzliches Lehran- Der Analyse zufolge haben sich 75 Teilnehmer pro gebot unterbreitet werden. Die Bildungswege von 100 Beschäftigten weitergebildet. der beruflichen Erstausbildung über die Meister- und Technikerausbildung, über die Fachhochschule bis Um die berufliche Weiterbildung ist es gut bestellt. hin zur Universität müssen durchlässig sein. (PDS): Wie internationale Trend In weiten Abschnitten der Ausbildung wird die Maritta Böttcher analysen zeigen, ist der dramatischen Umbruchsitua- Weiterbildung die Lehr- und Lernmethode sein. Ge- tion, vor der die Menschheit heute steht, mit ihrer rade die berufliche Aufstiegsfortbildung zu Meistern Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen, der und Technikern hat sich über die berufliche Weiter- Verdrängung gemeinwesenbezogener Wertorientie- bildung bewährt. Aber auch die Aufstiegsausbildung rung durch ökonomischen Egoismus und einer zu- als Kompaktausbildung unter Nutzung des Meister- nehmenden stabilitätsgefährdenden strukturellen BAföG wird gut angenommen. Arbeitslosigkeit, mit traditionellen Mitteln nicht mehr Für leistungsschwache Berufsauszubildende ist in zu begegnen. einer verkürzten Zeit ein in sich geschlossener Teil Als Konsequenzen für die Bildungspolitik ergeben der Lehrunterweisungen anzubieten mit der Mög- sich vor allem Schlußfolgerungen für lebenslanges, lichkeit, in einer Weiterbildung den Lehrstoff, der für kompetenzentwickelndes, praxisbezogenes Lernen einen vollständigen Berufsabschluß notwendig ist, zu möglichst aller Menschen - einschließlich der soge- komplettieren. - nannten „bildungsfernen" Gruppen -, die allerdings Bündnis 90/Die Grünen fordern eine bundesein- in der Gesellschaft dann auch verläßliche, lernmoti- heitliche Rahmenordnung der beruflichen Weiterbil- vierende Lebens- und Arbeitsperspektiven finden dung mit dezentraler Organisationsstruktur, die von müssen. regionalen Weiterbildungsräten begleitet werden. Sicher sind wir uns hier alle einig hinsichtlich der Weiterbildung ist in Deutschland weniger staatlich Notwendigkeit, unter den Bedingungen eines sich geregelt als die übrigen Bildungsbereiche. Den viel- ständig verändernden Arbeitsmarktes schnell veral- fältigen und sich rasch ändernden Anforderungen an tende Qualifikationen anzupassen bzw. zu erneuern. die in der Weiterbildung zu vermittelnden Inhalte kann am effektivsten durch eine Struktur entspro- Aus den Umbruchprozessen in den neuen Bundes- chen werden, die sich an den Prinzipien der Vielfalt ländern ist zu lernen, daß es dabei keinesfalls nur um und des Wettbewerbs orientiert. Nur durch die Viel- das Feld einer eng begrenzten, von der Wi rtschaft falt der Angebote und durch die Pluralität der An- organisierten ausschließlich „beruflichen Weiterbil- bieter bzw. Träger der Weiterbildung kann den sehr dung" geht. Vielmehr wurden Weiterbildung und unterschiedlichen Interessen der Teilnehmer an Fo rt Umschulung unter den Bedingungen des Wegbre- - und Weiterbildung entsprochen werden. chens der Industrie und der damit verbundenen Mas- senarbeitslosigkeit weniger betrieblich als AFG-ge- Allerdings erfordert ein solches, nach marktwirt- fördert von überall aus dem Boden schießenden Bil- schaftlichen Prinzipien ausgerichtetes pluralistisches dungs- und Qualifizierungsfirmen organisiert und Weiterbildungssystem eine Ordnung, die von dezen- hatten eine ganze Reihe Funktionen zu erfüllen: tralen Verantwortungs- und Finanzierungsstrukturen Überbrückungsfunktion, um Zeit zu gewinnen; Mit- ausgeht, in der sich Tarifparteien, Betriebe, Ver- tel, um im Beruf zu bleiben; Mittel, ein neues Berufs- bände, Weiterbildungseinrichtungen und öffentlich- feld zu erschließen, weil das alte wegbrach; Mittel rechtliche Institutionen den Markt teilen. Für den Be- zum Aufstieg; Mittel, um selbstbestimmt ein neues reich der Weiterbildung sind auf Bundesebene recht- Berufsfeld zu erschließen. liche Regelungen im Berufsbildungsgesetz der beruf- lichen Aufstiegsweiterbildung - AFBG - im Hoch- Eine besondere Problematik der Qualifizierungs- schulrahmengesetz, im Bundesausbildungsgesetz prozesse in den neuen Bundesländern war das Er- und im Fernunterricht enthalten. Darüber hinaus lernen von Fähigkeiten und Verhaltensmustem für kommen auf Bundesebene in der konzentrierten marktwirtschaftliche Situationen. Insofern hatte Wei- Aktion Weiterbildung alle Beteiligten aus den unter- terbildung mehr zu leisten, als beruflich zu qualifizie- 19248* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997 ren: Sie mußte den sich vollziehenden Kultur-, Wir unterstützen die Forderung nach einem Bun- Werte- und Orientierungswandel unterstützen und desrahmengesetz für Weiterbildung, nach Länderge- ging so auch über die Einübung neuer Technologien, setzen, die auch Qualität zum Thema machen, nach Verwaltungs- und Rechtsvorschriften hinaus. Rechtsverordnungen des Bundes für Fortbildungs- gänge mit überregionaler Bedeutung, einschließlich In Auswertung der Umstrukturierungsprozesse in der Überprüfung der Tausenden von Kammerrege- den neuen Bundesländern unter dem Aspekt der lungen im Hinblick auf eine überregionale Nach- Weiterbildung und Umschulung entwickelte sich frage bei Beibehaltung von Kammerregelungen, eine sogenannte Adäquatheits- und Effizienzdebatte, wenn Fortbildungsbedarf von ausschließlich lokaler in der die Bestimmung der Bedarfslage, die Durch- Bedeutung vorliegt. führung der Qualifizierungsmaßnahmen wie auch Da Weiterbildung immer mehr zum Erfordernis deren Ergebnisse äußerst kritisch bewe rtet wurden. eines jeden Berufslebens wird, setzen wir uns für So wurde festgestellt, daß der Qualifizierungsbe- gleiche Zugangschancen, Weiterbildungsangebote, darf auf der Basis vermuteter Defizite ohne vorherige aus denen persönlicher und gesellschaftlicher Nut- Bedarfs- und Bestandsanalysen und in weitgehender zen gezogen werden kann und die Zurückdrängung Unkenntnis der qualifikatorischen Voraussetzungen kommerzieller Interessen auf dem Weiterbildungs- der Maßnahmeteilnehmer und -teilnehmerinnen markt ein. Insbesondere bei Arbeitslosigkeit ist der bestimmt worden sei. Die AFG-geförderte Weiter- Rechtsanspruch auf Weiterbildung zu garan tieren. bildung sei in stärkerem Maße an den Angeboten Ich möchte einen spezifischen Aspekt des Integra- der freien Träger und Qualifizierungsgesellschaften tionsproblems - Einheit von beruflicher, allgemeiner als am Bedarf orientiert gewesen. Die eingesetzten und politischer Bildung; Kompetenzlernen - anspre- Weiterbildnerinnen seien auf die neuen Aufgaben chen. Wir vertreten die Auffassung, daß Demokratie unzureichend vorbereitet gewesen. Und schließlich politische Bildung braucht, die unter anderem von den habe die ungenügende Bedarfsanalyse zu Überange- Parteien nahestehenden Stiftungen geleistet wird. Die boten in einigen Bereichen geführt, zum Beispiel Stiftungen der im Bundestag vertretenen Parteien er- Wirtschaftskaufleute. halten jährlich Gelder in Millionenhöhe aus dem Bun- deshaushalt. Symptomatisch ist eine Ausnahme: Das Da die Weiterbildung inzwischen sowohl von den Parlament verweigert die Bereitstellung finanzieller Teilnehmerzahlen als auch dem Finanzvolumen her Mittel für die der PDS nahestehende Stiftung „Ge- zum größten Bildungsbereich geworden ist, gewinnt sellschaftsanalyse und Politische Bildung e.V.", der die Auseinandersetzung über dessen Struktur und damit keine den anderen Parteien vergleichbare Entwicklungsweg an Gewicht. Soll der demokra- Chance eingeräumt wird, politische Bildungsarbeit zu tische Anspruch unserer Gesellschaft erhalten blei- leisten. Auch das gehört für mich zum Kapitel: Weiter- ben, dann kann Weiterbildung nicht als Privatsache bildung in einer demokratischen Gesellschaft. der Bürgerinnen und Bürger behandelt und Geschäf- - temachern überlassen werden. Insofern kann sich der Staat nicht aus der Struktursicherung der Grund- Elke Wülfing Parl. Staatssekretärin beim Bundesmi versorgung zurückziehen. Öffentliche Weiterbildung nister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und muß Teil der kommunalen Daseinsvorsorge bleiben. Technologie: Es ist das erklärte bildungspolitische Staatliche Verantwortung ist dabei nicht gleichbe- Ziel der Bundesregierung, das lebensbegleitende deutend mit staatlicher Trägerschaft bzw. Verstaat- Lernen und die berufliche Weiterbildung auszu- lichung. bauen. Wie die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion zu Stand und Um der Tendenz entgegenzuwirken, daß Weiter- Perspektiven der beruflichen Weiterbildung vom bildung die selektiven Wirkungen der Erstausbil- 17. September 1997 ausführlich deutlich gemacht dung verstärkt, ist für ein differenzie rtes, erschwing- hat, hat sie vielfältige Aktivitäten hierzu eingeleitet. liches, erreichbares und zielgruppenorientiertes An- Die Lösungsansätze, die in dem vorliegenden An- gebot zu sorgen. trag eingefordert werden, gehen in die falsche Rich- Es ist die Frage zu klären, welche gesetzlichen Vor- tung. Sie gehören in das bildungspolitische Reper- toire der 70er Jahre, und sind von der Realität über- aussetzungen notwendig sind, um eine kontinuier- holt. Ich hoffe, daß sich die Fraktion von Bündnis 90/ liche Finanzierung der Weiterbildung zu sichern, Die Grünen in ihrer Weiterbildungspolitik zum damit materielle Gründe nicht zu Weiterbildungs- Prinzip des an der Arbeitswirklichkeit orientierten hemmnissen werden, die soziale Polarisierungen för- dern. Die ganzen schönen Ideen vom „lernenden lebensbegleitenden Lernens bekennt. Die Formulie des Antrags läßt leider nicht darauf schließen. Unternehmen" und der „Marktsicherung" der Wei- rung terbildung werden durch gewinnorientiertes „out- Die Bedeutung des lebens- und arbeitsbegleiten- sourcing" genauso ad absurdum geführt wie die be- den Lernens steigt. Innovationen und gesellschaft- reits im Berufsbildungsbericht 1996 genannten Zah- liche Entwicklung sind ohne dieses Lernen nicht len das Gegenteil belegen: Nur 10 Prozent der Unter- denkbar. Aber gerade wegen dieser umfassenden nehmen haben ein spezielles Weiterbildungsbudget, Bedeutung sind die Prinzipien der Eigenverantwor- und in nur 5 Prozent gibt es einen eigenständigen tung, der Selbstorganisation und der Subsidiarität Bereich „berufliche Weiterbildung"; in 67 Prozent unverzichtbar. Es geht um die Integration des Ler- gibt es keine Personal- und Qualifikationsanalysen, nens in den jeweiligen Tätigkeitszusammenhang und nur 3 Prozent beschäftigen Mitarbeiter, die sich und nicht um die Monopolisierung der Weiterbil- hauptamtlich mit Weiterbildung befassen. dung in Staatshand. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997 19249*

Seit den 70er Jahren wird die Weiterbildung als sich in den Betrieben und Regionen abzeichnen, mit vierte Säule des Bildungswesens gefordert. rund 40 Millionen DM (gemeinsam mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds) gefördert. Bei diesen Die reale Entwicklung zeigt jedoch, daß Betriebe Programmen geht es um die Verbesserung der Lern- und Sozialpartner in Selbstverantwortung zum intensität von Arbeitsplätzen und um neue Strate- Ausbau der Weiterbildung zunehmend beigetragen gien des Qualifikationserhalts bei Arbeitslosigkeit. haben. Die Bedeutung der öffentlich verantworteten Weiterbildung geht relativ zurück, insbesondere Das Meister-BAföG orientiert sich an der ord- auch in sozialdemokratisch geführten Ländern. Dies nungspolitischen Grundvorstellung, daß die Auf- ist Folge der zunehmenden Differenzierung und Spe- stiegsfortbildung nicht Aufgabe der Versichertenge- zialisierung der Lerninhalte, die staatliche Weiterbil- meinschaft, sondern eine generelle bildungspoliti- dung überhaupt nicht vorhalten kann. Nicht plan- sche Aufgabe ist. wirtschaftliche Ordnungsvorstellungen für die Wei- Mit der Unterstützung interdisziplinärer Ansätze terbildung sind der richtige Weg, sondern wichtig zur Weiterbildungsforschung tragen wir dem Gedan- und richtig ist die Stärkung des Weiterbildungsmark- ken Rechnung, daß Weiterbildung und kontinuier- tes und die Unterstützung der Eigenverantwortung liches Lernen nicht nur eine pädagogische, sondern der Bürger, der Betriebe und der Sozialpartner. in vielfältiger Weise auch eine arbeitsorganisatori- Beispiel: Ein Logistikunternehmen aus dem Mün- sche, arbeitspsychologische und auch betriebswirt- sterland (Vor 20 Jahren 200-Mitarbeiter-Spedition/ schaftliche Aufgabe ist. heute 2 500 Mitarbeiter: Logistik): Nach dem Unter- In der Qualitätssicherung beruflicher Weiterbil- nehmensgrundsatz „vom Markt her denken, zum dung wurden neue Wege erprobt. Wir benötigen ein Markt hin handeln" sieht es es als seine Aufgabe an, Qualitätssicherungssystem, keine Oberbehörde: Die Mitarbeiter auf die sich ständig ändernden Anfor- Stärkung des Verbraucherbewußtseins etwa durch derungen des Marktes vorzubereiten. Dafür wurde Checklisten des Bundesinstituts für Berufsbildung; Mitte des Jahres ein hochmodernes Schulungszen- Neufassung der Qualitätskriterien der Bundesanstalt trum in Betrieb genommen. für Arbeit; die Förderung der Bildung von Qualitäts- Die Unternehmensleitung verfolgt die Philosophie, ringen auf der Anbieterseite von Weiterbildung. daß nur das breite Wissen der Mitarbeiter das Unter- Versuche, gemeinsam mit der Stiftung Warentest, nehmen zu einem kompetenten Pa rtner im Wettbe- haben darüber hinaus ergeben, daß dieses auf ande- werb macht, eine Philosophie, die von unserem Haus ren Märkten erfolgreiche Instrument der Qualitätssi- ausdrücklich geteilt wird. cherung auch die Weiterbildung wirksam unterstüt- Schulungen werden nicht nur arbeitsspezifisch, zen kann. Im übrigen zeigt gerade die Entwicklung sondern auch zur allgemeinen Weiterbildung ange- in den neuen Bundesländern, daß sich der Markt boten. Von der Größe her ist es auf 2 500 Mitarbeiter selbst vielfach der schwarzen Schafe entledigt. hin ausgerichtet. Es steht aber auch anderen Firmen Mit der Durchführung von Zukunftsforen und der offen. Herausgabe umfangreicher Materialien zur Kompe- Auszüge aus dem Schulungsangebot: Basisveran- tenzentwicklung werden neue Formen der Berichter- staltungen für alle neuen Mitarbeiter und Lehrlinge. stattung über die Qualitätssicherung in der Weiter- Hier erfolgt eine Grundinformation über das Unter- bildung erprobt. Die Bundesregierung wird diese nehmen, die Mitarbeiter, Arbeitsweise und Unter- Erprobungen auch in den nächsten Jahren intensiv nehmensphilosophie. fortsetzen. EDV und Kommunikation (Windows, Internet, Die Forderung nach einer Bundesrahmenordnung E -Mail, spezielle Kundensoftware, Datenbanksy- lehnt die Bundesregierung aus grundsätzlichen in- steme etc.) haltlichen und ordnungspolitischen Erwägungen ab. Sie ist kein geeignetes Instrument, um einen Beitrag Fachreferate/Seminare/Workshops (zum Beispiel zur Verbesserung unserer Lernkultur zu leisten, Gefahrgutschulung, kundenorientiertes Training etc.) denn es geht nicht um Weiterbildungsansprüche an Fremdensprachkurse (Englisch, Französisch, Nie- den Staat, sondern um Lernnotwendigkeiten, die derländisch, Aufbauschulungen) sich aus der individuellen Lernsituation ergeben. Sie müssen selbst organisiert werden. Ein solches Beispiel sollte Schule machen. Die Erfahrungen mit der Teilnahme an gesetzlich Auch die Bundesregierung hat den Aufbau und verbrieften Weiterbildungsveranstaltungen von un- die Weiterentwicklung der Lernkultur in der Gese ll ter 2 Prozent zeigen, daß der Bildungsurlaub offen- -schaft als weiterbildungspolitisches Ziel formuliert. sichtlich kein geeignetes Instrument zum Ausbau der Hierzu wurden eine große Zahl von Maßnahmen Weiterbildung darstellt. Dies zeigt beispielsweise eingeleitet, die im einzelnen in der Antwort auf die auch das Scheitern des Qualifizierungs-Tarifvertra- Große Anfrage nachzulesen sind, ich möchte nur auf ges im Metallbereich von Nordwürttemberg/Nord- folgende Punkte hinweisen: baden. Hier sind neue Ansätze notwendig, um auch Verstärkung der Forschung und Entwicklung in Bildungsbenachteiligte für ein lebensbegleitendes der beruflichen Weiterbildung. Mit den Forschungs- Lernen zu gewinnen. programmen „Standortsicherung durch berufliche Wir müssen Abstand nehmen von der Vorstellung, Kompetenzentwicklung" und „Lernen im sozialen daß das in der Ausbildungsphase erlernte Wissen für Umfeld" werden neue Weiterbildungsansätze, die ein ganzes Arbeitsleben reicht. Dies hat aber zur 19250* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Konsequenz, daß bisherige Vorstellungen über Zerti- Dies entspricht einer Größenordnung von umge- fizierung und Anerkennung überdacht werden müs- rechnet 0,7 Beitragssatzpunkten. Wenn man berück- sen. Internationale Entwicklungen wie zum Beispiel sichtigt, daß das aktuelle Beitragssatzniveau in der der Umgang mit Kompetenzbilanzen, das heißt, Fä- GKV Ost mit 14 Prozent um 0,4 Prozentpunkte über higkeiten, die nicht zertifiziert, aber doch vorhanden dem Niveau der GKV West liegt, dürfte einleuchtend sind, müssen wir sorgfältig beobachten. sein, warum ein Defizitabbau durch Beitragssatz- anhebungen nicht realisierbar ist. In Einzelfällen Aus internationalen Studien ist bekannt, daß müßten Krankenkassen ihren Beitrag um bis zu 80 Prozent der Kompetenzen, die der einzelne benö- 2 Prozent erhöhen, was in dieser Region unve rtretbar tigt, durch Lernen im Prozeß der Arbeit und im sozia- wäre. len Umfeld, aber nicht in Bildungseinrichtungen er- worben werden. „Learning by doing" oder „learning Wir müssen bei unseren aktuellen Überlegungen on the job". einfach davon ausgehen, daß wir eine entscheidende Trendwende bei der Arbeitslosigkeit, die sich positiv Lassen Sie mich abschließend festhalten: Wir wer- auf die Sozialversicherungen auswirken würde, im den beharrlich weiter an der kontinuierlichen Ver- nächsten Jahr nicht erwarten können. Leider! Es be- besserung der Lernkultur in der Gesellschaft arbei- steht also akuter Handlungsbedarf. ten. Die Entmündigung der in der Regel gut qualifi- zierten Bürger durch eine „Verkursung der Gesell- Unser Gesetz sieht zur Entspannung der Situation schaft" ist nicht der richtige bildungspolitische Weg. im Osten ein zeitlich abgestuftes Maßnahmenbündel Deshalb wird die Bundesregierung die Forderungen vor. Schon aus Gründen der Akzeptanz steht dabei des Antrags der Grünen nicht weiterverfolgen. an erster Stelle eine Intensivierung der Sparanstren- gungen. Ich habe durchaus Verständnis für Aussa- gen, daß eine Solidarhilfe nur schwer vermittelbar ist, wenn die Pro-Kopf-Ausgaben im Osten statistisch deutlich die des Westens übersteigen. Dabei wird ins- Anlage 9 besondere auf die Arzneimittelausgaben verwiesen. Zu Protokoll gegebene Reden Aber auch hier können wir im dritten Quartal 1997 zu Tagesordnungspunkt 13 anhand der vorgelegten Zahlen erkennen, daß die (Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung Beteiligten vor Ort sich dieser Aufgabe angenommen der Finanzgrundlage der gesetzlichen haben. So können wir im dritten Quartal einen Rück- Krankenversicherung in den neuen Ländern) gang bei den Arzneimittelausgaben von über 20 Prozent verzeichnen. Zu diesem Stichwort Sofort- maßnahmen gehören auch Bemühungen der Kran- (CDU/CSU): Ich möchte meine Angelika Pfeiffer kenkassen, durch die Vereinbarung von Bonuspro- Rede mit einem Dank beginnen. Mein Dank gilt grammen und einer Überprüfung von Einweisungs- Minister Seehofer, der frühzeitig unter Hinweis auf verordnungen zu Einsparungen zu kommen. Von die schwierige Finanzsituation der gesetzlichen den Landesregierungen wird insbesondere ein wei- Krankenversicherung in den neuen Ländern eine Ar- terer und verstärkter Abbau von Überkapazitäten in beitsgruppe initiiert hat, die ein Konzept erarbeiten der stationären Versorgung erwartet. sollte, mit dem unvermeidliche Beitragssatzanhebun- gen im Jahr 1998 vermieden werden können. Neben dieser Sofortmaßnahme gelten für das Jahr 1998 die sog. Selbsthilfemaßnahmen. Mit diesen soll Es ist insbesondere sein Verdienst, daß diese die Zeit bis zum Inkrafttreten eines gesamtdeutschen Gruppe aus Vertretern der neuen Länder und der Risikostrukturausgleichs überbrückt werden. Die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen Krankenkassen erhalten Gelegenheit, auf freiwilliger schnell zu einem Ergebnis gekommen ist. Diesem Basis innerhalb der jeweiligen Krankenkassen oder Konzept stimmen Sozial- bzw. Gesundheitsminister Kassenart über bereits bestehende Möglichkeiten der neuen Länder ebenso zu wie die Vertreter aller hinaus sich gegenseitig zu unterstützen. Krankenkassen. Auch die überwiegende Zahl der westlichen Bundesländer unterstützt den gefunde- Wesentliches Element dieses Gesetzentwurfs ist nen Lösungsansatz. die Einführung des gesamtdeutschen Risikostruktur- ausgleichs ab dem Jahr 1999. Genau dieser Punkt ist Alle Beteiligten teilen unsere Einschätzung, daß Anlaß für heftige Diskussionen mit einigen Ländern die wirtschafts- und beschäftigungspolitische Situa- gewesen. tion in den neuen Bundesländern dramatischer ist als in den alten. Die jüngst veröffentlichten Zahlen zur Ich möchte auf dieses Thema schon aus Zeitgrün- GKV-Finanzentwicklung der ersten drei Quartale den jetzt nicht weiter eingehen, weise aber aus- 1997 belegen nachdrücklich die Notwendigkeit von drücklich darauf hin, daß wir den Anliegen dieser solidarischen Unterstützungsmaßnahmen. Länder dadurch entgegengekommen sind, daß die Ausgleichstransfers im ersten Jahr auf den Betrag Die westdeutschen Krankenkassen verfügten Ende von 1,2 Milliarden DM begrenzt werden. Dabei han- September 1997 noch über Finanzreserven in einer delt es sich um ein Zugeständnis, das uns nicht Größenordnung von rund 4,1 Milliarden DM. Dem- leichtgefallen ist. gegenüber ist im Osten in den ersten drei Quartalen ein Defizit von rund 0,9 Milliarden DM entstanden, Wegen dieser Begrenzung kann nicht von vorn- das sich mit den aufgelaufenen Altschulden des Jah- herein ausgeschlossen werden, daß es einzelne Kran- res 1996 auf knapp 2,1 Milliarden DM summiert. kenkassen gibt, die ihre Defizite trotz strengster Aus- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997 19251* gabendisziplin und trotz der RSA-Mittel nicht gänz- Wir benötigen für die Kassen in den neuen Län- lich abbauen können. Um in solchen Fällen Beitrags- dern aber eine schnelle und verläßliche Perspektive, satzanhebungen vorzubeugen, haben wir zusätzlich daß ihnen geholfen wird. Eine Belastung dieses Ge- vorgesehen, daß unter Beachtung enger zeitlicher setzes mit Themen, die nichts mit einer schnellen und sachlicher Grenzen eine Darlehensfinanzierung und unkomplizierten Hilfsaktion zu tun haben, darf erlaubt wird. es nicht geben. Regionalisierung ist weder im Bund noch in den Ländern mehrheitsfähig, das heißt, eine Festzuhalten bleibt aber, daß nur mit einem ge- Verknüpfung verhindert das Zustandekommen die- samtdeutschen Risikostrukturausgleich den neuen ses Gesetzes. Das darf nicht sein. Wir können nicht in Ländern eine Perspektive zur dauerhaften Bewälti- Bonn ein Problem erkennen und öffentlich benen- gung ihrer Finanzstrukturprobleme gegeben werden nen, hier die schwierige finanzielle Situation der Ost- kann. GKV, dann dank Minister Seehofer mit den Betroffe- nen schnell eine zufriedenstellende Lösung erarbei- Um allen Beteiligten die Zustimmung zu diesem ten, um anschließend mit der Diskussion über Funda- Gesetz zu erleichtern, haben wir eine zeitliche Be- mentalthemen diese gute Lösung zu verhindern. Wer fristung bis zum Jahr 2001 vorgesehen. Daraus folgt will dies eigentlich den Menschen noch erklären? zwingend, daß wir uns in der nächsten Legislatur- periode mit der Gesamtthematik erneut auseinander- Ich weise darauf hin, daß alle Beteiligten bei die- setzen müssen. Dabei können alle Gesichtspunkte sem Gesetz auf Eigeninteressen schon verzichtet ha- angesprochen werden, kein Thema sollte von vorn- ben oder noch werden verzichten müssen: So zum herein zum Tabu erklärt werden. Beispiel die AOK auf eine Ausweitung des RSA, der VdAK auf eine sofortige Abschaffung des RSA, wir Hier und jetzt geht es allerdings um eine schnelle auf eine Begrenzung des RSA, die SPD auf Forderun- Hilfe für die notleidenden Krankenkassen in den gen nach der Einführung neuer Budgetierungen neuen Ländern. Diese Solidaraktion darf nicht mit sowie eine Absenkung der Arzneimittelpreise in den Themen belastet werden, die ein Zustandekommen neuen Ländern usw. Wir werden davon Abstand neh- dieses Gesetzes verhindern. Ich bitte dies bei der Dis- men müssen, mit diesem Gesetz eine neue Gesund- kussion in den nächsten Wochen zu berücksichtigen heitsreform zu verbinden, weil das Gesetz sonst und schließe mit der Bitte um Unterstützung für scheitert. Das kann aber niemand mit den daraus diesen Gesetzentwurf. folgenden Konsequenzen verantworten. Mit der Befristung bis 2001 haben wir die Voraus- setzung dafür geschaffen, in der nächsten Legislatur- (Lüdenscheid) (CDU/CSU): Ich Wolfgang Lohmann periode über alle streitigen Themen in Ruhe zu re- habe durchaus Verständnis für das Anliegen, stetig den. Ich appelliere jetzt aber an alle, die es angeht: steigende Transferleistungen im Grundsatz zu hinter- Konzentrieren wir uns darauf, die Menschen in den fragen, und zwar egal, ob es sich um solche im Zu- - neuen Ländern vor Beitragssatzanhebungen in der sammenhang mit dem allgemeinen Finanzausgleich GKV zu bewahren. Klammern wir Themen, die dazu der Länder oder solche aufgrund des Risikostruk- keinen unmittelbaren Beitrag leisten, aus. Stimmen turausgleichs, kurz RSA, handelt. So ist es auch nicht Sie bitte letztendlich dem Gesetz in der jetzt vorlie- illegitim, die Frage zu stellen, ob die Empfänger genden Form zu. solcher Transferleistungen alles unternehmen, um durch strukturelle Veränderungen vor Ort diese Transfers zugunsten der „Zahler" zu begrenzen. Dr. Martin Pfaff (SPD): In der letzten Sitzungs woche vor Weihnachten geschehen anscheinend Nun haben die Länder Baden-Württemberg und noch Zeichen und Wunder. Sie liefern uns und auch Bayern allerdings nicht die Exklusivrechte für solche den Versicherten zumindest einige kleine Zeichen Begrenzungsdebatten gepachtet. So habe ich bereits der Hoffnung. vor zwei Jahren erstmals darauf hingewiesen, daß ich den RSA für keine Dauereinrichtung halte. Des- Das erste Zeichen: Mit der teilweisen, in seiner sen Sinn war und ist eigentlich, eine Chancengleich- Höhe begrenzten, und auch zeitlich begrenzten heit zwischen den Kassenarten in der Startphase des Ausweitung des Risikostrukturausgleichs auf die ge- Wettbewerbs herzustellen. Irgendwann muß diese samte Bundesrepublik kehren die Gesundheitspoliti- Phase allerdings schon aus Gründen der Logik been- ker der Regierungskoalition zum Konzept einer bun- det sein. Das heißt für mich, zunächst eine Begren- desweiten Solidarität zurück. zung des Ausgleichvolumens ab dem Zeitpunkt X, dann eine stufenweise Reduzierung auf die Größe Y. Durch diesen Finanztransfer von 1,2 Milliarden Was sich hinter X und Y im einzelnen verbirgt, muß DM für 1999 und 2000 kann der Kollaps der Ostkran- in Ruhe und Sorgfalt mit allen Beteiligten und mit kenkassen verhindert werden. Experten erörtert werden. Nur, weder diese Frage Dies ist prinzipiell zu begrüßen. noch die zu den grundsätzlichen Konsequenzen einer Regionalisierung, die ja weit über regionali- Die finanzielle Sozialmauer zwischen den Kassen sierte Beiträge hinausgeht, können im Zusammen- West und Ost fällt zwar nach so vielen Jahren der hang mit dem Gesetzgebungsverfahren zum GKV- Vereinigung nicht vollständig und sofort, es werden Finanzstärkungsgesetz abschließend behandelt wer- aber breite Schneisen geschlagen. Denn dies zeigt: den. Dafür fehlt uns neben der Zeit eine grundsätz- Die Solidarität zwischen den Starken und den liche Bereitschaft fast a ller, darüber zu diskutieren. Schwachen darf nicht an der Grenze zwischen dem 19252* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Westen und dem Osten Deutschlands und schon gar Was sollte durch den Risikostrukturausgleich ins- nicht an der Grenze der Bundesländer enden. gesamt bewirkt werden? Durch den Ausgleich unter- schiedlicher - historisch bedingter und von den Kas- Wir brauchen eine bundeseinheitliche Absiche- sen so gut wie nicht beeinflußbarer - Versicherten- rung gegen das Krankheitsrisiko. Das Niveau der strukturen erfüllt der Risikostrukturausgleich erfolg- Absicherung darf nicht durch die im jewei ligen Bun- reich zwei unabdingbare Funktionen einer reformier- desland vorherrschende Wirtschafts- und Arbeits- ten GKV-Struktur: Erstens die Schaffung gleicher marktlage bestimmt werden. Und schon gar nicht Startchancen im Wettbewerb der Kassen um Versi- darf die von Bayern und Baden-Württemberg als Al- cherte und zweitens die Vermeidung von bewußten ternative zum bundesweiten Risikostrukturausgleich Risikoselektionen durch die Kassen in diesem Wett- geforderte Regionalisierung des Risikostrukturaus- bewerb. Ein mit Risikostrukturausgleich und Versi- gleichs ab 2001 Wirklichkeit werden. Es wäre das chertenwahlfreiheiten gleichermaßen verbundener Ende der sozialen bundesweiten GKV. Und es zeigt Nebeneffekt ist die Angleichung der Beitragssätze auch: Ein breiter Konsens für gesundheitspolitische innerhalb der GKV. Maßnahmen ist möglich, wenn der sozialpolitische Kurs stimmt: Wenn sich CDU/CSU und F.D.P. nur Der bundesweite kassenartenübergreifende Risi- darauf hätten einigen können, wäre vieles möglich kostrukturausgleich hat sich trotz der von manchen gewesen. Seiten - insbesondere von den Zahlerkassen - geäu- ßerten Kritik in seiner derzeitigen Ausgestaltung be- Und das 2. Zeichen: Für 1998 soll die unselige Kop- währt. Dies gilt sowohl für seine technische Durch- pelung von Beitragserhöhung und höheren Zuzah- führung als auch für den Umfang der im Ausgleich lungen ausgesetzt werden. Kranke Menschen blei- berücksichtigten Faktoren. Ohne den Risikostruktur- ben somit von einem der unsozialsten und skrupel- ausgleich hätte die Abschaffung des rein ausgaben losesten Mechanismen verschont: Sie werden nicht orientierten KVdR-Ausgleichs zu enormen Beitrags für die Folgen von Politikversagen bestraft, die sie satzunterschieden geführt: GKV-Beitragssätze um gar nicht selbst zu verantworten haben oder das sie die 20 Prozent wären bei manchen Kassen zum Bei- mit eigener Kraft gar nicht verhindern können. spiel bei der Bundesknappschaft, die Folge gewesen. Ohne Risikostrukturausgleich bzw. bei seiner Ab- Bisher bleibt es aber allein bei der Ankündigung: schaffung würde die Versicherten- bzw. Risikoselek- eine Gesetzesvorlage gibt es nicht. Jedenfalls ist dies tion der Kassen wirtschaftlich belohnt und somit eine sehr unehrliche Geschichte: Aus Angst vor den einem „Rosinenpicken" Tür und Tor geöffnet. Wählerinnen und Wählern wurde ein unsinniger Me- chanismus nur für 1998 ausgesetzt. Zudem trägt der Risikostrukturausgleich zur Ver- meidung der vielfach als Menetekel an die Wand ge- Der ehrlichere Weg wäre gewesen, einzugestehen, malten Einheitsversicherung bei, indem erst durch wie unsinnig die Kopplung, Beitragshöhe und Zu- ihn alle Kassen - auch solche mit althergebrachten, zahlung ist, und diese ganz zu streichen. Dazu ist von ihnen nicht zu verantwortenden- schlechten Ver- aber dieser Bundesminister, diese Bundesregierung, sichertenstrukturen - eine Chance haben, in Zukunft nicht fähig! im Wettbewerb zu bestehen. Der Risikostrukturaus- gleich ist somit also auch als Grundlage für einen ef- Und ich möchte auch nicht weiter kommentieren, fizienzsteigernden Wettbewerb zwischen den Kassen mit welcher Nonchalance dieser Bundesminister ver- der gesetzlichen Krankenversicherung konzipiert. Es abschiedete Gesetze entweder ganz aushebelt - Bei- gilt: Ohne Risikostrukturausgleich kein Kassenwett- spiel: Positivliste - oder schlicht und einfach aussetzt bewerb. - im Fall der Zuzahlungsorgie der 1. und 2. Neu- ordnungsgesetze im positiven Sinne. - Wie sieht nun eine erste Bilanz des heutigen GKV Finanzstärkungsgesetzes aus? Darüber hinaus darf niemals vergessen werden: Viele der Finanzprobleme der Ostkassen sind von Erstens. Positiv zu bewe rten ist, daß der Grund- der Regierungskoalition zu verantworten: Die An- lohnausgleich konsequent aus der Erkenntnis folgt, satzpunkte der 1. und 2. Neuordnungsgesetze sind daß zwar die Leistungsausgaben je Versichertem völlig falsch gewählt: Sie setzen die Kostendämp- - derzeit in Ostdeutschland 93,8 Prozent des West- fungspolitik fort, die seit Lahnstein eigentlich durch niveaus - sich dem Westniveau annähert, daß aber eine Politik der Strukturreformen abgelöst werden die beitragspflichtigen Einnahmen der ostdeutschen sollte. GKV-Mitglieder - nur 80,5 Prozent des westdeut- schen Niveaus - deutlich darunter liegen, u. a. wegen Der jetzige Handlungsbedarf bei den Ostkassen der hohen Arbeitslosigkeit im Osten. geht auch darauf zurück, daß die Steuerungsinstru- mente des Gesundheitsstrukturgesetzes 1993 vom In anderen Worten: Der Finanzbedarf der ostdeut- zuständigen Bundesminister ausgesetzt, verwässert schen Kassen ist im 1. Halbjahr 1997 lediglich um oder konterkariert worden sind. 0,2 Prozent je Mitglied gestiegen. Dagegen sank die Finanzkraft, das heißt die beitragspflichtigen Einnah- Vor allem aber gehen die Finanzierungsprobleme men, um 0,6 Prozent bei den ostdeutschen Kassen. der Ostkassen auf die Arbeitsmarktprobleme im Ein Grundlohnausgleich ist deshalb für die Über- Osten Deutschlands zurück: Hätte die Wirtschafts- gangsphase 1999 und 2000 das richtige Mittel der und Finanzpolitik dieser Bundesregierung nicht so Wahl. Die mangelnde Finanzkraft muß durch solida- kläglich versagt, wären die Probleme in diesem Um- rische Unterstützung aus dem Westen ausgeglichen fang sicherlich nicht entstanden. werden. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997 19253*

Zweitens. „Mild positiv" zu bewerten ist darüber letztlich aufgegeben worden. Der vorliegende Ge- hinaus der Appell in Richtung einer wirksamen Aus- setzentwurf der Koalitionsfraktionen greift bezüglich gabensteuerung bei den Ausgabenkategorien, bei des Risikostrukturausgleichs zu kurz. denen der Osten deutlich über dem Westniveau liegt, zum Beispiel Arzneimittelkosten, Rettungsdienst etc. Weitere Reformen sind notwendig: Erstens. Ein ge- Allerdings darf die Qualität der erbrachten Leistun- samtdeutscher Ausgleich muß ab 2001 eingeführt gen nicht negativ beeinflußt werden. Und: Ein Steue- werden. Er muß alle Ausgleichsfaktoren des Risiko- rungsmechanismus ist nicht vorgesehen: Die Kassen strukturausgleichs umfassen. der Länder müssen selbst sehen, wie sie die Ausga- Zweitens. Sinnvolle Parameter für den Kassenwett- bensteuerung hinkriegen. bewerb müssen gefunden werden. Drittens. Positiv ist auch - wenn auch von unterge- Drittens. Regionale Beitragssatzkalkulation sollte ordneter Bedeutung -: Der von der Expertengruppe gemäß der tatsächlichen Versorgungsstrukturen er- gemachte - und im Gesetzentwurf aufgenommene - folgen. Vorschlag „Bestehende Möglichkeiten freiwilliger kassenarteninterner Finanzausgleiche und finanziel- Zu eins: Grundsätzlich kann und muß durch die ler Hilfen ... " ist zu erweitern. Sie stellt die system- Umgestaltung des bisher für neue und alte Länder konformere Lösung dar. Ausgabenausgleiche sind getrennt durchgeführten Risikostrukturausgleiches zwar nicht der Weisheit letzter Schluß, angesichts der in einen gesamtdeutschen Ausgleich mittelfristig gebotenen Eile sind sie aber als Übergangslösung zu Finanzkraft und Finanzbedarf aller deutschen Kas- befürworten. sen systemkonform, solidarisch und effizienzfördernd ausgeglichen werden. Bei sich aneinander anpassen- Aber: Rechtskreisübergreifende Ausgleiche haben den Lebensbedingungen zwischen Ost und West nur bei § 265a SGB V Relevanz. Und kassenartenin- nimmt das Transfervolumen des Risikostrukturaus- terne Ausgleiche für aufwendige Ausgaben sollten gleichs automatisch ab. Es handelt sich also beim auf Spitzenverbandsebene und nicht auf Landes- Risikostrukturausgleich insofern um einen system- ebene, wie vorgesehen, ermöglicht werden. Denn konformen Automatismus: Führt eine erfolgreiche wenn sich ein Landesverband verweigert, kommen Wirtschaftspolitik zu einer Angleichung der Lebens- diese Ausgleiche nicht zustande. und Einkommensverhältnisse in West- und Ost- Viertens. Bedenklich dagegen ist: Der Gesetzent- deutschland und führt der Wettbewerb der Kassen wurf der Koalitionsfraktionen sieht eine Lösung des über die von der Bundesregierung propagierte „Ab- gegenwärtigen Defizits über weitere Kreditaufnah- stimmung mit den Füßen" der Versicherten zur er- men der ostdeutschen Kassen vor. Damit wird die ge- wünschten Angleichung der Versichertenstrukturen, genwärtige Praxis legalisiert. Dies kann lediglich als so geht - theoretisch - das Volumen des Risikostruk- kurzfristige Sofortmaßnahme gerechtfertigt werden. turausgleichs gegen Null. Eine Defizitfinanzierung innerhalb der GKV kann Zu zwei: Der Risikostrukturausgleich ist als Grund- immer nur eine zweitbeste Lösung darstellen, da lage für einen effizienzsteigernden Wettbewerb zwi- hiermit Probleme lediglich in die Zukunft verschoben schen den Kassen der gesetzlichen Krankenversiche- werden. Wie sollen die Ostkassen ihre Kredite zu- rung konzipiert. Effizienzsteigerungen wirken selbst- rückzahlen? verständlich primär dort beitragssatzsenkend, wo Fünftens. Problematisch sind des weiteren die Be- über 90 Prozent der GKV-Kosten anfallen: auf der grenzung des Grundlohnausgleichs auf 1,2 Mil- Angebotsseite des Gesundheitswesens. Ein solidari- harden DM - dies ist ein Akt politischer Willkür, kein scher GKV-Wettbewerb ist dementsprechend so aus- Reflex der Systemlogik; er führt zu Wettbewerbsver- zugestalten, daß die Kassen den ihnen durch die er- zerrungen zwischen den Ländern - sowie die zeit- weiterten Versichertenwahlfreiheiten entstehenden liche Befristung auf die Jahre 1999 bis 2001: Wenn Wettbewerbsdruck an die Leistungsanbieter weiter- danach nichts geschähe, würde altes Recht wieder geben können. Voraussetzung hierfür sind sinnvolle gelten. Offensichtlich setzt die Koalition auf einen Wettbewerbsparameter, mit denen die Kassen die Wahlsieg der SPD, die dann den Risikostrukturaus- Art der Leistungserbringung beeinflussen können. gleich in richtiger Form einführen soll. Die gegenwärtige Gesetzeslage bietet diese Mög- lichkeit so gut wie nicht und konzentriert den Kas- Sechstens. „Gemischt" zu beurteilen ist, daß es senwettbewerb so zwangsläufig auf einen ausga- keine Rechtsangleichung geben wird: Ein Anheben bentreibenden Konditionenwettbewerb und uner- der Beitragsbemessungsgrenze ist zwar prinzipiell zu wünschte Risikoselektionen. Das haben Sie, Herr begrüßen, weil damit ein Mehr an Solidarität möglich Bundesminister, und diese Regierungskoalition zu wird. Eine Anhebung der Selbstbeteiligungen auf verantworten. West-Niveau - das heißt, Geringfügigkeitsgrenze wäre auf Westniveau angehoben worden - würde Zu drei: Bereits 1989 hat der Sachverständigenrat aber zu mehr Härtefällen führen. Dies würde eine der Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen fest- zusätzliche Belastung der AOK-Ost mit sich bringen. gestellt, daß - aufbauend auf einem bundesweiten, kassenartenübergreifenden Risikostrukturausgleich Aus dieser gemischten Bilanz ergeben sich die fol- - eine regionale Beitragssatzkalkulation sinnvolle genden Forderungen: Nachdem Herr Minister See- Voraussetzung für einen effizienzfördernden Kassen- hofer sich mit der „dritten Stufe der Gesundheits- wettbewerb ist: Während der Risikostrukturausgleich reform" von den Lahnsteiner Konsenslösungen ver- letztlich Unterschiede in den Nachfragerstrukturen abschiedet hat, sind wesentliche Ziele des GSG ausgleicht, sollen die Anbieterstrukturen „vor Ort" 19254* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997 von den Kassen beeinflußt werden. Auch nach Ein- stattgefunden hat, kann ein wirksames Instrument führung des Risikostrukturausgleichs variieren die zur Steuerung der Angebotssituation sein - wenn die Beitragssätze u. a. in den Regionen. Dies ist wesent- Region richtig gebildet wird. lich auf regional unterschiedliche - vom Risikostruk- turausgleich bewußt nicht ausgeglichene - Versor- gungsstrukturen zurückzuführen. So leiden ins- Klaus Kirschner (SPD): Das, was der Bundesge besondere die Stadtstaaten Hamburg, Bremen und sundheitsminister mit der sozialen Krankenversiche- Berlin mit ihrem dichten, maximalversorgenden und rung veranstaltet, gleicht einem Tollhaus. Vor zwei dementsprechend teueren Angebotsstrukturen unter Monaten meinte der Gesundheitsminister, seine hohen GKV-Beitragssätzen. Reformarbeit zur gesetzlichen Krankenversicherung sei definitiv beendet. Zwei Probleme verbleiben nach dem gesamtdeut- schen Risikostrukturausgleich: Problem 1: Einerseits Herr Minister Seehofer, die heutige Debatte spricht schert in den Flächenstaaten zum Beispiel auch die nicht für Sie. Im Gegenteil, die ohnehin kurzen Halb- AOK mit der Beitragssatzkalkulation auf Länder- wertzeiten Ihrer Gesetze erfahren hier und heute ebene alle Versicherten über einen Kamm, zahlen einen weiteren Höhepunkt. Wo sind Ihre Antworten also die Versicherten der schlechter versorgten länd- in den Neuordnungsgesetzen auf die katastrophale lichen Regionen die Maximalversorgung der Groß- Finanzsituation der Krankenkassen in den neuen städte mit. Bundesländern? Problem 2: Andererseits profitieren aber zum Bei- Ihre Gesetze der sogenannten 3. Stufe der Gesund- spiel die direkten Umlandregionen der Stadtstaaten heitsreform tragen weder zur Lösung der Finanzpro- von der dortigen Maximalversorgung, ohne jedoch bleme- noch zur Lösung der überkommenen Struktur einen angemessenen Beitrag hierfür zu leisten. bzw. Modernisierungsprobleme des Gesundheits- wesens bei. Und erst recht nicht orientieren sie sich Pro regionale Beitragssatzkalkulationen im Ge- an den Gesundheitsproblemen der Bürgerinnen und folge eines bundesweiten kassenartenübergreifen- Bürger. den Risikostrukturausgleichs: Zwar ist eine regionale Beitragssatzkalkulation grundsätzlich zu begrüßen: Ich stelle fest, Sie waren und sind nicht in der Sie entspricht dem Äquivalenzprinzip, stärkt die re- Lage, Lösungen aus einem Guß anzubieten. Das gionalen Zuständigkeiten und ist im Gegensatz zur wäre allerdings jetzt für die Finanzproblematik der bundesweiten Mischkalkulation der Ersatzkassen Ost-Krankenkassen dringend notwendig gewesen. und etlicher Betriebskrankenkassen wettbewerbs- konform. Aber regionale Beitragssätze müssen, um Wie dem auch sei, nachdem Sie erstens einen ver- die genannten Aspekte zu berücksichtigen, gemäß nünftigen Anpassungsprozeß der neuen Länder an den tatsächlichen Versorgungsstrukturen abgegrenzt die West-Länder verhindert haben - ich erinnere hier - werden. Und diese Versorgungsstrukturen korre- auch daran, daß Sie durchaus beachtliche Teile des spondieren eben nicht automatisch mit den Grenzen Versorgungssystems der neuen Länder, wie z. B. der Bundesländer. Gesundheitszentren oder Dispensair-Einrichtungen plattgemacht haben -, nachdem Sie zweitens bei Ih- Die Lösung dieses Dilemmas liegt in einer einheit- rer Krankenbelastungsreform vom Sommer vorsätz- lichen, aber von den Ländergrenzen unabhängigen lich die Hilfe für die Ost-Krankenkassen verweigert Beitragssatzkalkulation a ller Kassen: Der Risiko- haben, muß jetzt dringend eine Lösung für die Ost strukturausgleich gewährleistet einen solidarischen Krankenkassen in den neuen Bundesländern und vor Ausgleich innerhalb der GKV und setzt die Voraus- allem für die Versicherten und Arbeitgeber als Bei- setzungen für einen effizienzsteigernden Kassen- tragszahler gefunden werden. wettbewerb. Der We ttbewerb findet innerhalb der Regionen, und zwar innerhalb der Versorgungsre- Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist gionen, statt. Maßgeblich für die Beitragssatzkalku- längst überfällig: Die Sozialmauer zwischen West lation müssen also die tatsächlichen Versorgungs- und Ost muß fallen. Der Fall der Sozialmauer ist zu strukturen sein, die sich zum Beispiel über Kranken- wichtig, als daß dieses Thema zu einem internen Par- hauseinzugsbereiche oder Raumordnungsregionen teienstreit verkommen darf. Die steigende Beitrags- definieren. Wenn eine solche Regionsabgrenzung belastung für die Versicherten und Arbeitgeber in insbesondere im Falle der Stadtstaaten auch zu wei- den neuen Bundesländern ist nicht mehr länger zu teren Finanzierungsströmen zwischen den Bundes- akzeptieren. ländern führt, so werden durch eben diese Transfers Ich appelliere daher eindringlich an Sie, Herr Mi- die Voraussetzungen für den geforderten Kassen- nister Seehofer: Stoppen Sie als stellvertretender Par- wettbewerb geschaffen. teivorsitzender der CSU den Versuch Ihrer Partei in Als Fazit kann festgehalten werden, daß es sich bei Bayern, sich der jetzt geforderten Solidarität mit den der „Regionalisierung" der Beitragssätze zur GKV Versicherten und Arbeitgebern in den neuen Bun- um zwei Paar S tiefel handelt: Eine Regionalisierung desländern zu entziehen. führt zum Zusammenbruch des Sozialstaats, sie führt zur Kleinstaaterei wie vor Bismarcks Zeiten. Und sie Meine sehr verehrten Damen und Herren von der ist grundsätzlich abzulehnen. CDU und CSU, lassen Sie es nicht zu, daß Sie sich unter dem Druck vor allem Bayerns und Baden-Würt- Eine Regionalisierung, nachdem ein bundesweiter tembergs vom dringend notwendigen bundesweiten kassenartenübergreifender Risikostrukturausgleich Risikostrukturausgleich verabschieden. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997 19255*

Ein Abschied vom bundesweiten Risikostruktur- Versicherten und Arbeitgebern im Westen bei einem ausgleich würde den ohnehin schon eingeleiteten monatlichen Einkommen des Arbeitnehmers von Prozeß der Entsolidarisierung in der Krankenversi- 6 300 DM erklären, es müßten weiter aus 6 300 DM cherung beschleunigen und die von der Verfassung Beiträge an die Krankenkasse gezahlt werden und geforderte Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse der zusätzlich müsse man jetzt solidarisch sein und die Bundesrepublik Deutschland weiter aushöhlen. Hö- Ost-Krankenkassen mit einer Beitragssatzsteigerung ren Sie auf mit Ihrer Kleinstaaterei. von 0,1 Beitragssatzpunkten finanziell unterstützen, wenn gleichzeitig Versicherte und Arbeitgeber bei Die SPD will einen bundesweiten Risikostruktur- einer Ost-Krankenkasse mit dem gleichen Einkom- ausgleich. Wenn Sie den allerdings gemeinsam mit men nur einen Beitrag aus 5 250 DM zahlen? Das der SPD verwirklichen wollen, Herr Minister Seeho- würde bedeuten, daß der Beitrag zu den Ost-Kran- fer, dann muß Ihr Gesetzentwurf Mindestansprüchen kenkassen 12 mal im Jahr aus 1 050 DM weniger ge- genügen: Erstens. Das Gesetz muß Perspektiven für zahlt wird, als es Versicherte und Arbeitgeber mit die Zukunft aufzeigen. Zweitens. Sparziele müssen gleichem Einkommen an die West-Krankenkasse eindeutig im Gesetz formuliert werden. Drittens. So- zahlen. Damit Sie nicht nachrechnen müssen: Es lidarität darf nicht einseitig belasten. macht eine Differenz von 1701 DM jährlich ab dem Zu den Perspektiven: Nachdem schon die vom Jahr 1998 aus. Bundeskanzler versprochenen blühenden Land- schaften nicht kommen, zementieren Sie mit dem Herr Minister Seehofer, hier scheinen Sie ein doch vorliegenden Gesetzentwurf die Sozialmauer. merkwürdiges Verständnis von Solidarität zu haben. Wenn man sich allerdings Ihre Politik betrachtet, Erstens. Sie führen einen abgespeckten Risiko- dann ist klar festzustellen: Sie haben generell ein strukturausgleich ein und manipulieren ihn auch Problem damit, in Deutschland den sozialen Zusam- noch, indem Sie ihn gesetzlich - und das völlig menhalt zu fördern. systemfremd - fixieren. Zweitens. Anstatt konkret Angebotsstrukturen um- Meine sehr verehrten Damen und Herren, für die zubauen, anstatt konkrete Sparziele im Gesetz zu de- SPD-Bundestagsfraktion erkläre ich: Wir wollen den finieren, treiben Sie die Krankenkassen weiter in die sozialen Zusammenhalt fördern. Wir wollen keine Perspektivlosigkeit, wenn Ihre Antwort für das näch- soziale Mauer zwischen den neuen und den alten ste Jahr lapidar lautet: Nehmt weiter Kredite auf. Bundesländern. Notwendig ist ein verbindliches Konzept mit gesetz- lich vorgegebenen st rikten Ausgabenobergrenzen Das, was Sie hier heute vorgelegt haben, Herr für die Ost-Krankenkassen. Denn Solidarität bedingt Minister Seehofer, wird den zu lösenden Problemen auch, daß das Ausgabenniveau je Versicherten in nicht gerecht. Wenn Sie auf der einen Seite den Ost den neuen Bundesländern dem Ausgabenniveau je Krankenkassen und vor- allem den Beitragszahlern Versicherten in den alten Bundesländern entspricht. eine echte Perspektive bieten wollen und auf der an- Deshalb frage ich Sie: Wo ist Ihr konkretes Konzept deren Seite von den West-Kassen und deren Bei- im Gesetzestext, damit insbesondere im Bereich der tragszahlern ein solidarisches Verhalten einfordern Arzneimittel das wesentlich höhere Ost-Ausgaben- wollen, dann muß nachgebessert werden. niveau abgesenkt wird? Zur Erinnerung: Bei den Arzneimitteln liegen die Ost-Ausgaben pro Kopf Die Lösungswege habe ich Ihnen skizziert. Auf rund 13,5 Prozent über dem West-Niveau. dieser Basis können wir uns verständigen. Das gleiche frage ich sie für den Bereich der Fahrt- und Verwaltungskosten der Ost-Krankenkassen. Hier müssen klare Sparziele ins Gesetz. Und damit Monika Knoche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ist wir uns nicht falsch verstehen: Sparziele nicht für die die Bundesregierung oder gar Bundesminister See- kranken Menschen, sondern Sparziele do rt, wo Geld hofer mit dem Finanzstärkungsgesetz der Retter des im System verschwendet wird. Ostens? Je genauer hingeschaut wird, um so deutli- cher wird, daß kein Glorienschein über ihnen glänzt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, uns Das GKV-Finanzstärkungsgesetz ist kein akzep- wird heute ein doch sehr abgespeckter Gesetzent- tabler Kompromiß, wiewohl der Osten eine Lösung wurf präsentiert. Es wurde ja bereits einmal mit Ver- braucht. Aber eben nur eine, die auch „gesamt- tretern der neuen Bundesländer ein Vorschlag erar- deutsch" eine richtige Richtung einschlägt. Die Kri- beitet. Der Titel lautete damals: Rechtsangleichungs- senanalyse der Neuordnungsgesetze war falsch. In gesetz. Jetzt lautet Ihr Titel: Finanzstärkungsgesetz. Wahrheit ist die akute finanzielle Notlage der Ost- Zunächst einmal ein Kompliment für Ihren Erfin- krankenkassen kein Ausdruck einer kurzfristigen dungsreichtum bei Gesetzestiteln. Besser allerdings Finanzierungskrise der Ostkrankenkassen. Sie ist wäre es, Sie würden Ihre Kreativität nicht an irgend- Folge einer völlig verfehlten Regierungspolitik. Die welchen Gesetzestiteln verschwenden, sondern Sie vereinigungsbedingten Lasten sind zu einem großen würden Ihre Kreativität in tragfähige, auf Dauer aus- Teil den sozialen Sicherungssystemen aufgebürdet gerichtete Reformen stecken. worden. Eine Steuerfinanzierung wäre sachgerechter und gerechter gewesen. Die Politik der Bundesregie- Jetzt soll also doch keine vernünftige - ich betone: rung ging entgegen allen realistischen Betrachtun- vernünftige - Rechtsangleichung mehr stattfinden? gen von der Entwicklung „blühender Landschaften" Wie, Herr Minister Seehofer, wollen Sie denn den im Osten aus. 19256* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Noch jetzt ist das GKV-Finanzstärkungsgesetz von Risikostrukturausgleich unter folgenden Vorausset- einer massiven Realitätsverweigerung gekennzeich- zungen fortgeschrieben werden. net. Es schafft spezifische Ostnachteile, weil mit ihm Die Bundesregierung muß der Verpflichtung des weiterhin Disparitäten gegeben sind. Und daraus nährt sich der bayerisch-sächsisch-baden-württem- Grundgesetzes zur Schaffung einheitlicher Lebens- verhältnisse nachkommen und allen Bestrebungen bergische Regionalismus. In Wahrheit hat die Bun- desregierung die neuen Egoismen einzelner Regio- zur Regionalisierung der Sozialversicherungssysteme nen mit zu verantworten. Der Vorschlag, den Wettbe- entgegenwirken. werb auf die Bundesländer auszuweiten, wäre ohne Ein vorläufiger gesamtdeutscher Risikostruktur- die Schleusenöffnung der Neuordnungsgesetze nicht ausgleich ist ab 1. Januar 1999 bis 2001 einzuführen. denkbar. Schon bei der Gesundheitsstrukturgesetz- Er muß neben der Grundlohnsumme auch Einnah- gebung ist der Ausstieg aus der vollen Solidarität menunterschiede gemessen an der Zahl der Mitglie- eingeleitet worden und Wettbewerb als Regelungs- der sowie die Härtefälle mit umfassen, um weiteren instrument implementiert worden. Diese aktuellen Disparitäten entgegenwirken. Der vorläufige Risiko- Bestrebungen zur Regionalisierung der Sozialversi- strukturausgleich ist durch ein Gesetz, welches den cherungssysteme, die beim West-Ost-Transfer auf Übergang zum vollständigen Risikostrukturausgleich die politische Bühne kamen sind nicht mit dem Prin- regelt, abzulösen. Eine vollständige Rechtsanglei- zip des Grundgesetzes nach Einheitlichkeit der Le- chung von Ost und West bedarf eines komplettierten bensverhältnisse in der gesamten Republik verein- Risikostrukturausgleich. bar. Nur eine systemgetreue Lösung, die den überge- ordneten bundespolitischen und gesamtgesellschaft- Für die Krankenkassen ist ein gemeinsamer Über- lichen Anforderungen Rechnung trägt, ist in der brückungsfond vorzusehen, der sie verpflichtet, im Lage die wettbewerbsegoistischen Kleinstaatereien Jahre 1998, die Ostkrankenkassen zu unterstützen. zurückzudrängen. Ansonsten sind weitere Egoismen An einem solchen kassenartenübergreifenden Über- und unsoziale Entwicklungen nicht mehr in Bann zu brückungsfond sind alle Westkrankenkassen zu be- halten. teiligen. Er muß ein wirksamer Beitrag zur Konsoli- dierung der Ostkrankenkassen darstellen. Das sind die Geister des Wettbewerbs, die Sie Die Finanzierungsbasis der Krankenkassen ist zu nicht mehr loswerden. Und noch etwas ist Herrn See- verbessern, indem die Beitragsbemessungs- und hofer nicht durchzulassen: Alle seine Erfolge sind auf Versicherungspflichtgrenze analog der Rentenversi- Treibsand gebaut. Die besagte Stabilität ist nicht er- cherung (Ost und West) anzuheben ist. Darauf hat reicht. Ursächlich für die Finanzierungsnotlage der auch aktuell der Sachverständigenrat für die konzer- GKV in Deutschland sind die hohe Massenarbeits- tierte Aktion hingewiesen. Zusätzlich ist es anzustre- losigkeit und die niedrige Lohnquote. Diese Faktoren ben, daß die 610-DM/520-DM-Jobs angemessen in lösen eine anhaltende Einnahmeimplosion aus. Dies der Versicherungspflicht und der Beitragsbemessung gilt im Westen wie im Osten Deutschlands. Diese miteinbezogen werden. ökonomischen Fakten wurden und werden von ihm geleugnet, sonst sähe das Gesetz ganz anders aus. Alle „Verschiebebahnhöfe" zu Lasten der gesetz- lichen Krankenversicherungen sind offenzulegen Die Arbeitslosenzahlen von fast 20 % in den neuen und tendenziell zurückzuführen. Die Absenkung der Bundesländern und die fast vollständigen Eliminie- Beitragsbemessungsgrenze für Arbeitslose und Rent- rungen ostspezifischer Versorgungsstrukturen haben nerinnen und Rentner durch die Rentenreform im eine kostenintensive Fehlsteuerung hervorgebracht. Jahr 1995 von 100 auf 80 Prozent ist rückgängig zu Den Ostversicherten kosten die Arzneimittel genau- machen. Gesetze wie z. B. das Sechste SGV-Ände- soviel wie den im Westen. Die doppelt so hohe rungsgesetz, welches die Regelung zur Bildung von Erwerbslosenquote bei niedriger Lohnstruktur im Festbeiträgen für patentgeschützte Arzneimitteln Osten verhindert eine Finanzkonsolidierungspolitik. aufhebt sowie die Abgabe von preisgünstig impor- Die Sozialmauer zwischen Ost und West fällt nicht tierten Arzneimittel unterbindet, sind dementspre- von alleine. Im Gegenteil: Für das Jahr 1997 fa llen im chend zu korrigieren. Osten die beitragspflichtigen Einnahmen um zirka Das 1. und 2. NOG sind aufzuheben. Es ist zur soli- 0,8 Prozent. Die Finanzkrise der Ostkrankenkassen darisch finanzierten GKV im Rahmen der beitraghälf- ist hausgemacht, nicht zuletzt durch die gesetzlich tigen Finanzierung durch Arbeitgeber- und Arbeit- vorgegebene Absenkung der Bemessungsgrundlage nehmerseite zurückzukehren; alle Zuzahlungen sind von Rentnerinnen und Rentnern und Arbeitslosen von 100 Prozent auf 80 Prozent. Das heißt zirka tendenziell vollständig zurückzuführen. Das Gesund- heitswesen ist an qualitativen Erneuerungsnotwen- 5 Milliarden DM p.a. Für die Ostkrankenkassen sind das Einnahmeverluste von etwa 0,4 Beitragssatz- digkeiten zu orientieren sowie das Gesundheitsinter- punkten (1,2 Milliarden DM) jährlich. esse der Patientinnen und Patienten in den Mittel- punkt zu stellen. Da fällt Ihnen natürlich der Beitragszuzahlungs- automatismus auf die Füße, so kurz vor der Wahl. Die Dr. Dieter Thomae (F.D.P.): Die finanzielle Situation Kassennot in den neuen Ländern erfordert eine ent- der gesetzlichen Krankenkassen in den neuen Bun- schiedene Parteinahme für den Ausbau der solidari- desländern ist alles andere als rosig. Das Defizit ist schen Finanzierung und die Garantie des Sachlei- mittlerweile auf über 2 Milliarden DM angewachsen. stungsprinzips. Deshalb sagen wir: Um zu einer sach- Eine Änderung der Situa tion ist kurzfristig nicht in gemäßen Lösung zu kommen, muß der spezifische Sicht. Das liegt an den zurückgehenden Einnahmen, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997 19257* die zum einen auf die hohe Arbeitslosigkeit zurück- Die im Zusammenhang mit der Hilfe für die Ost zuführen sind. Zum anderen spiegelt sich hierin aber Krankenkassen ins Gespräch gebrachte Regionalisie- auch die ökonomische Vernunft der Tarifparteien rung der gesetzlichen Krankenversicherung, von wider, auf eine überzogen schnelle Anpassung der bayerischer Seite aus gar die Regionalisierung sämt- Ost-Löhne an die West-Löhne zu verzichten. Man licher Sozialversicherungssysteme, war und ist nicht kann die Krankenkassen in den neuen Bundeslän- gerade hilfreich. Solange man zu den Empfängern dern mit dieser Situation nicht alleine lassen. Mit gehört, nimmt man die Zahlungen gerne mit. Steht Sparen allein ist es hier nicht getan, auch wenn un- Unterstützung für andere an, spricht man auf einmal bestritten ist, daß es hier noch Spielräume gibt, die von der Notwendigkeit individueller Verantwortung. konsequent genutzt werden müssen. Do rt, wo die Natürlich habe ich Verständnis dafür, daß sich Bun- Ausgaben der Ost-Krankenkassen über dem West- desländer wie zum Beispiel Bayern, die nach wie vor niveau liegen, ohne daß dies auf unvermeid lichen die Instandhaltungsinvestitionen in den Kranken- Besonderheiten beruht, müssen diese Ausgaben kon- häusern finanzieren, darüber ärgern, wenn andere sequent zurückgeführt werden. Es gibt allerdings das nicht tun. Aber das kann doch kein Grund sein, auch andere Bereiche, darauf möchte ich hier auch das Kind mit dem Bade auszuschütten. Selbstver- einmal hinweisen, die, deutlich unterhalb des Ni- ständlich habe ich Verständnis dafür, daß man sich veaus liegen. Das gilt zum Beispiel bei den niederge- Gedanken darüber macht, wie man jede einzelne lassenen Ärzten, die mit 78 Prozent des Westniveaus Krankenkasse dazu bringen kann, möglichst wirt- unterhalb dessen liegen, was ansonsten in der ost- schaftlich mit den Versichertengeldern umzugehen deutschen Wirtschaft üblich ist. und wie man jedes Land dazu bringen kann, sich Ge- danken über eine wirtschaftliche und leistungsge- Wir brauchen ein vernünftiges, abgestuftes Ver- rechte Vorhaltung zu machen. Aber die Idee der Re- fahren, um Hilfestellung in den neuen Bundeslän- gionalisierung ist doch überhaupt nicht durchdacht. dern leisten zu können, ohne daß die Westkranken- Wie sähe es denn im Bayerischen Wald aus, wenn es kassen hierdurch übermäßig belastet werden. Mit bei den Ortskrankenkassen keinen landesweit ein- dem vorliegenden Gesetzentwurf und dem do rt vor- heitlichen Beitragssatz gäbe? Warum sollte gerade gesehenen gestuften Verfahren wird es gelingen, die ein landesweiter Risikostrukturausgleich durchge- Krankenkassen in den neuen Bundesländern wir- führt werden mit entsprechend willkürlichen Gren- kungsvoll zu unterstützen und ihnen die Möglichkeit zen? Wenn man will, daß die Ströme, die zwischen zu geben, aus eigener Kraft wieder voll funktions- einzelnen Krankenversicherungsträgern hin und her fähig zu sein. Diese Hilfe basiert auf vier Faktoren: fließen, begrenzt werden, dann muß man den Risiko- strukturausgleich zurückführen und nicht, wie einige 1. Sparen, wo immer das möglich ist. Dazu gehören Bundesländer das vorhaben, regionalsieren und da- für mich auch die Verwaltungskosten der Kranken- mit noch komplizierter machen als es bisher schon der Fall ist, ohne es dadurch gerechter zu gestalten. kassen. Dazu gehört für mich aber ebenso die politi- - sche Verpflichtung der Kommunen, nicht durch un- Ich appelliere deshalb an alle Beteiligten, die drin- verschämte Anhebung der Rettungsdienstgebühren gend benötigte Hilfe für die Ost-Krankenkassen dafür zu sorgen, daß ein Teil der Sparanstrengungen nicht durch eine Überfrachtung der Diskussion zu wieder zunichte gemacht wird. gefährden. Hier müssen wir noch einmal in Ruhe mit- einander reden, welcher Weg der bessere ist im Sinne einer optimalen, möglichst preiswerten Versor- 2. Die Ermöglichung einer Kreditaufnahme hilft, gung unserer Bevölkerung mit Gesundheitsleistun- die schwierige finanzielle Situation zu überbrücken. gen ist. Daß dabei Kredite bevorzugt innerhalb des eigenen Kassensystems aufgenommen werden sollen, ist ein Gebot der Wirtschaftlichkeit und wird von mir aus- Dr. Ruth Fuchs (PDS): Bei allen Unwägbarkeiten, drücklich begrüßt. die mit einem so komplizierten Prozeß natürlicher- weise verbunden sind, wie ihn die deutsche Wieder- 3. Die zur Zeit nur getrennt nach Ost und West vereinigung nun einmal darstellt, sind unter ande- möglichen kassenarteninternen Hilfen sollen ab rem zwei Dinge von unabhängigen Fachleuten stets nächstem Jahr auch bundesweit möglich sein. Ich richtig vorausgesehen worden. Erstens, daß es im gehe davon aus, daß die anderen Krankenkassen nur Osten nicht in Kürze blühende Landschaften geben bereit sein werden, ihren Kollegen in den neuen würde, sondern daß die wirtschaft liche Angleichung Bundesländern zu helfen, wenn erkennbar wird, daß - so, wie sie nun einmal angegangen wurde - ein die Empfängerkasse alle Anstrengungen unter- sehr langer und von Rückschlägen begleiteter Prozeß nimmt, die möglich sind, um die finanzielle Situation werden würde. Zweitens. Wer den neuen Bundeslän- zu stabilisieren. dern das bundesdeutsche Gesundheitssystem ein- fach überstülpt, mußte wissen, daß er früher oder später mit den gleichen Kosten einschließlich der zu- 4. Ab 1999 dann die bundesweite Durchführung ei- gehörigen erheblichen Mittelverschwendungen kon- nes Teils des Risikostrukturausgleichs, indem die un- frontiert sein würde. terschiedlich hohen Grundlöhne ausgeglichen wer- den. Wir gehen davon aus, daß es möglich sein wird, Inzwischen sind beide Voraussagen Wirk lichkeit das Volumen von circa 1,2 Milliarden DM vom geworden. Damit mußte sich auch die Schere zwi- Westen in den Osten umzuschichten, ohne daß es schen Kostenentwicklung und Beitragseinnahmen hierdurch zu merklichen Beitragssteigerungen im der gesetzlichen Krankenkassen immer weiter öff- Westen kommt. nen. Eine Zeitlang wurde die Situation mit Krediten, 19258* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997 das heißt in diesem Zusammenhang mit ebenso frag- Minister Dr. Erwin Vetter (Baden-Württemberg): Es würdigen wie zweischneidigen Instrumenten, noch mag Sie verwundern, daß zu einem Gesetzentwurf kaschiert. Nun aber liegt das Kind tief im Brunnen, zur Stärkung der Finanzgrundlagen der gesetzlichen und im Osten drohen ohne sofortiges Eingreifen Krankenversicherung in den neuen Ländern ein Ver- Beitragserhöhungen von mehreren Prozentpunkten. treter des Landes Baden-Württemberg das Wo rt er- Dies ist zweifellos weder mit der wi rtschaftlichen greift. Ich tue dies deshalb, um einige Mißverständ- Situation in den neuen Bundesländern noch mit der nisse auszuräumen, und auch deshalb, weil wir mehr Verpflichtung zur Angleichung der Lebensverhält- tun sollten, um in der gesetzlichen Krankenversiche- nisse in Gesamtdeutschland zu vereinbaren. rung zu strukturellen Veränderungen zu kommen, die unser anerkannt gutes Gesundheitswesen auch Der Gesundheitsminister steht nun vor der Auf- in Zukunft leistungsfähig und finanzierbar erhalten. gabe, diese Zeitzünderbombe möglichst rasch und unauffällig zu entschärfen - schon um zu vermeiden, Die baden-württembergische Landesregierung un- daß sie mitten im Wahlkampf hochgeht. terstützt den Weg, den das Gesundheitsstrukturge- setz (GSG) und die Neuordnungsgesetze (NOG) ein- Mit dem vorliegenden GKV-Finanzstärkungsge- geschlagen haben: mehr Wettbewerb, mehr Eigen- setz soll im Kern eine in der Sache begrenzte und verantwortung, mehr Selbstverwaltung und Effizienz. zeitlich befristete Ausweitung des in Ost und West Auf diesem Weg sollen weitere Schritte gegangen bisher getrennt bestehenden Risikostrukturaus- werden. gleichs der Krankenkassen auf das ganze Bundes- gebiet vorgenommen werden. Unser Vorschlag beinhaltet folgende Komponen- ten: regionalisierte Beitragssätze, einen regionalisier- Die ursprünglichen Vorstellungen des Ministers ten Risikostrukturausgleich, eine Solidaritätskom- gingen allerdings wesentlich weiter. Natürlich wäre ponente in Höhe von 25 Prozent, eine Soforthilfe für es höchste Zeit und wesentlich wirkungsvoller, jetzt die notleidenden Krankenkassen in den neuen Bun- den vorzeitigen generellen Übergang auf den ohne- desländern. Wir erwarten durch dieses Modell keine hin vorgesehenen gesamtdeutschen Risikostruktur- Sofortentlastung für die Länder die heute die Haupt- ausgleich einzuleiten. last tragen. Wir wollen aber, daß die Weichen gestellt werden und die Richtung der künftigen Entwicklung Von dieser zweifellos richtigen Konsequenz ist stimmt. mittlerweile nicht mehr viel übriggeblieben. Im vor- Bevor ich weitere Ausführungen zu unserem Mo- liegenden Gesetz ist nur noch - im Sinne eines ersten dell mache, möchte ich Mißverständnisse ausräu- Schrittes - vom Ausgleich der unterschiedlichen men. Baden-Württemberg hat noch nie und hat auch Grundlohnsummen und auch dies nur mit einer von jetzt nicht die Regionalisierung der Beitragssätze in vornherein vorgegebenen Obergrenze von 1,2 Mil- der Arbeitslosen- und der- Rentenversicherung gefor- liarden DM jährlich die Rede. Angesichts der starren dert. In diesen Bereichen sind ein bundeseinheit- Ablehnungshaltung der Länder Bayern und Baden licher Beitragssatz und ein bundeseinheitliches Lei- Württemberg wurde das Ganze obendrein auf ledig- stungsrecht für uns systemimmanent und ein wesent- lich drei Jahre befristet. licher Grundpfeiler unseres sozialen Sicherungs- systems. Aber selbst diese Zugeständnisse scheinen den Matadoren von der Lega Süd noch lange nicht zu rei- Was wir jedoch fordern, sind durchgehend regio- chen. Nun haben sie ein neues politisches Junktim nalisierte Beitragssätze in der gesetzlichen Kranken- aufgemacht und forde rn die Regionalisierung des Ri- versicherung auch für die Ersatzkassen. Wir werden sikostrukturausgleiches ab 2002. Abgesehen von der in dieser Forderung vom Sachverständigenrat für die generellen Abenteuerlichkeit dieser Forderung, wäre Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen in seinem die ursprüngliche Absicht des Ministers dann aller- Jahresgutachten 1995 und auch durch das renom- dings endgültig in ihr genaues Gegenteil verkehrt. mierte Institut für Gesundheits- und Sozialforschung in Berlin unterstützt. Regionalisierte Beitragssätze, Vor diesem Hintergrund kann man dieses Gesetz bei denen jede Region über Quantität und Qualität zumindest als einen Schritt in die richtige Richtung ihres Gesundheitswesens selbst entscheidet und bezeichnen. Die Frage wird allerdings sein, wie weit diese dann auch selbst bezahlt, führen zu mehr es dem Minister gelingen wird, die verbliebenen Re- Wettbewerbs- und Beitragsgerechtigkeit und damit ste seines Rettungsversuches überhaupt noch ins Ziel auch zu mehr Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswe- zu bringen. Schon der bisherige Widerstand aus den sen. Länderübergreifende Mischkalkulationen ver- eigenen Reihen läßt nichts Gutes vermuten. wischen diese Verantwortlichkeiten und führen zu unwirtschaftlichen Verhaltensweisen. Das ändert allerdings nichts an der Tatsache, daß die wirkliche Aufgabe der Regierung unverände rt Im übrigen fordern wir damit nichts Neues; regio- darin besteht, endlich ein langfristig tragfähiges Kon- nale Beitragssätze gibt es in der gesetzlichen Kran- zept für die finanzielle Konsolidierung der gesetz- kenversicherung schon seit eh und je. Auch die Ver- lichen Krankenkassen vorzulegen - und zwar in Ost tragsverhandlungen zwischen den Krankenkassen und West gleichermaßen. Statt dessen erleben wir und den Leistungserbringern finden auf regionaler wieder nur eine Neuauflage des von dieser Koalition Ebene statt. Deshalb sind durchgehend regiona- und ihrer Regierung nun schon sattsam bekannten lisierte Beitragssätze für uns nur konsequent und ein Flickwerks in der Gesundheitspolitik. Schritt in die richtige Richtung. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997 19259*

In diesem Zusammenhang noch ein Wo rt an die Er- Ich bin nach wie vor überzeugt, daß wir in der satzkassen. Regionalisierte Beitragssätze bedeuten GKV eine weitere Modernisierung brauchen. Ich nicht, daß wir auch eine andere Organisationsstruk- halte unser Modell der regionalisierten Beitragssätze tur der Ersatzkassen wollen. Wie sich diese organi- und des regionalisierten Risikostrukturausgleichs, sieren, ist deren Sache. flankiert von einer gesamtdeutschen Solidaritäts- komponente, für ein innovatives Modell und einen Zum zweiten wird uns im Zusammenhang mit un- grundvernünftigen Kompromiß zwischen nationaler serer Forderung nach Regionalisierung des Risiko- Solidarität und föderaler Verantwortung. Und ich strukturausgleichs der Vorwurf gemacht, wir verhiel- denke, wir werden die Zukunft nicht durch Festhal- ten uns unsolidarisch und dächten nur an unseren ten an Überkommenem, sondern vor allem mit dem eigenen Geldbeutel. Dieser Vorwurf hält einer ge- Mut zu Neuem gewinnen. naueren Betrachtungsweise nicht stand. Wir wollen in der Tat in einer ersten Stufe die Regionalisierung des Risikostrukturausgleichs, also den Ausgleich der Horst Seehofer, Bundesminister für Gesundheit: Es Strukturunterschiede zwischen den Kassen auf der gibt drei überzeugende Gründe, diesen Gesetzent- Ebene des Landes. Der Risikostrukturausgleich ist ja wurf zu unterstützen. zusammen mit der Freigabe des Kassenwettbewerbs Erstens: Angesichts eines neu hinzugekommenen in das Gesetz aufgenommen worden und soll im Defizits der Krankenkassen in den neuen Ländern in Interesse der Wettbewerbsgleichheit strukturelle Un- den ersten drei Quartalen 1997 von knapp 1 Milliarde terschiede zwischen den Kassen ausgleichen. Wett- DM - zusammen mit den Altschulden von 1996 er- bewerb zwischen den Kassen, vor allem bei regiona- reicht es sogar 2,1 Milliarden DM - ist der Hand- lisierten Beitragssätzen, findet jedoch überwiegend lungsbedarf unübersehbar. Die gesamtwirtschaft- in der Region statt. Do rt sind die Strukturunter- liche Entwicklung in den neuen Bundesländern mit schiede zwischen den Kassen also zuerst auszuglei- ihren Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und auf chen. das Lohn- und Gehaltsniveau der Beschäftigten führt zu Beitragsausfällen bei den Krankenkassen. Es Nun sehen wir aber auch, daß es nicht nur in den wäre fatal, wenn es uns nicht gelingt, hier zu helfen. neuen, sondern auch in den alten Bundesländern Wir würden Beitragssatzsteigerungen bis zu 17 Pro- Strukturen wie hohe Arbeitslosigkeit, einen hohen zent und einen weiteren Abbau von Arbeitsplätzen Rentneranteil sowie ein niedriges Lohnniveau gibt, durch dies en Lohnzusatzkostenanstieg erleben. die die Einnahmeseite der gesetzlichen Krankenversi- Wenn wir jetzt nicht handeln, haben wir über kurz cherung wegbrechen lassen. Hier ist natürlich unsere oder lang Probleme, die die Leistungsfähigkeit un- Solidarität gefordert, und hier werden wir selbstver- serer gesetzlichen Krankenversicherung insgesamt ständlich diese Solidarität auch leisten. Wir haben da- in Frage stellen können. Schon deshalb sind wir gut her im Interesse dieser gesamtdeutschen Solidarität beraten, rasch und effizient zu helfen. neben der Regionalisierung des Risikostrukturaus- - gleichs in einer zweiten Stufe eine bundesweite Aus- Zweitens: Das mit diesem Gesetzentwurf vorlie- gleichskomponente vorgeschlagen, über deren Höhe gende Konzept ist zur Lösung der Probleme geeig- und Ausgestaltung noch zu entscheiden sein wird. net. Es ist ausgewogen, ursachenorientiert und kon- Eine von uns durchgerechnete Modellvariante würde sensfähig. Es setzt do rt an, wo die Probleme liegen, zum Beispiel dazu führen, daß der Beitragssatz in den nämlich bei der Einnahmenseite. Niemand wird neuen Bundesländern um 0,4 Prozentpunkte abge- damit über Gebühr belastet. In den alten Ländern senkt, der Beitragssatz in den alten Ländern um halten sich die Belastungen in so engen Grenzen, 0,1 Prozentpunkte angehoben werden müßte. daß voraussichtlich keine Beitragssatzsteigerungen notwendig sind. Ergebnis also: Wir sind durchaus für gesamtdeut- sche Solidarität, aber auf der Grundlage von saube- Und schließlich drittens: Es ist unser gemeinsames ren nachvollziehbaren und wirtschaftlichen Struktu- Ziel, die sozialen und wirtschaftlichen Lebensverhält- ren, die die Aufgaben- und Ausgabenverantwortung nisse in den neuen Bundesländern anzugleichen. Wir klar erkennen lassen. Solidarität gepaart mit Selbst- erleben jetzt eine Situation, in der unsere Bereitschaft verantwortung, das ist unser Ziel. zur Solidarität auf dem Prüfstand steht. Um diese Soli- darität mit den neuen Ländern bitte ich alle Beteiligten. Ich denke, es ist nicht unsolidarisch, wenn wir mei- nen, daß die Anstrengung eines Landes, seine Struk- Ich verstehe das Interesse daran, über neue Finan- turen im Gesundheitswesen so effizient und wirt- zierungsmodelle nachzudenken. Wir werden die Ge- schaftlich wie möglich zu gestalten, letztlich auch zu legenheit haben, in den Ausschüssen darüber zu einem guten Teil den Versicherten und den Arbeitge- sprechen. Aber jetzt brauchen wir schnelle und wirk- bern dieses Landes zugute kommen muß. Wir wün- same Hilfen für die Ost-Krankenkassen: Ich appel- schen uns, jetzt einen kräftigeren Schritt in Richtung here deshalb an alle, sich auf pragmatische Lösungs- Regionalisierung in der gesetzlichen Krankenversi- konzepte zu konzentrieren, wie sie das GKV-Finanz- cherung. Wie verstehen, daß die Krankenkassen in stärkungsgesetz bietet. den neuen Ländern, auch im Interesse der Lohn- Konkret sieht das GKV-Finanzstärkungsgesetz fol- nebenkosten und damit des Arbeitsmarktes, sofort gendes zeitlich abgestuftes Maßnahmenbündel vor: Hilfe brauchen. Wir begrüßen die Bef ristung und ver- stehen sie so, daß durch die vorgesehene Regelung Zunächst sind Sofortmaßnahmen erforderlich, die keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden auf die kurzfristige Vermeidung von Beitragssatzer sollen. höhungen zielen. Die Krankenkassen und die Lan- 19260* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

desregierungen sind in diesem Zusammenhang auf- Anlage 10 gefordert, alle Möglichkeiten der Einsparungen aus- zuschöpfen und im Vergleich zu den alten Bundes- Zu Protokoll gegebene Reden ländern überdurchschnittlich hohe Leistungsausga- zu Tagesordnungspunkt 14 ben wie zum Beispiel bei Fahrtkosten, Arzneimitteln (a - Antrag: Individualentschädigung und Verwaltungskosten abzubauen. Daß solche Ein- für tschechische Opfer des Nationalsozialismus, sparungen möglich sind, zeigen ja die Finanzergeb- b - Antrag: Errichtung einer Bundesstiftung nisse des dritten Quartals 1997. Zusätzlich erhalten „Entschädigung für NS-Zwangsarbeit", die Krankenkassen bis Ende 1998 die Möglichkeit, c - Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung unter engen Voraussetzungen Kredite zum Aus- für die osteuropäischen Opfer von NS-Zwangsarbeit) gleich ihres Defizits aufzunehmen. sowie zu Zusatztagesordnungspunkt 8 (Antrag: Errichtung eines Sozialwerks Für das Jahr 1998 sieht das Gesetz Selbsthilfemaß- für tschechische NS-Opfer) nahmen zwischen den Krankenkassen vor. Das heißt, die Krankenkassen können bereits ab 1998 freiwillig untereinander solidarische Hilfe leisten. Wolfgang Zeitlmann (CDU/CSU): Mit einer Reihe von Anträgen forde rt die Fraktion von BÜNDNIS 90/ Der Schwerpunkt des Konzepts liegt in der teilwei- DIE GRÜNEN wieder einmal zu einer weiteren - bis- sen Aufhebung der Trennung des Risikostrukturaus- lang angeblich vernachlässigten - Aufarbeitung von gleiches zwischen 1999 und 2001. Der Ausgleichs- NS-Unrecht auf. Vor dem Hintergrund, daß bereits in transfer ist im Startjahr finanziell und im übrigen den siebziger Jahren Zweifel gehegt wurden, ob es zeitlich begrenzt und findet nur bezogen auf den zumutbar sei, der seinerzeitigen Nachkriegsgenera- Ausgleich der Finanzkraftunterschiede statt. Damit tion die Finanzlast neuer Kriegs- und NS-Folgerege- wird dem Interesse der Geberkassen und der alten lungen aufzubürden, und angesichts der Anerken- Länder ausreichend Rechnung getragen. -nung der vorbildlichen deutschen Rückerstattungs Die Krankenkassen in den neuen Ländern erhalten und Entschädigungsleistungen auf der internationa- durch die Einführung eines gesamtdeutschen Risiko- len Nazigold-Konferenz in London in der vorigen strukturausgleiches ab 1. Januar 1999 zusätzliche Woche mag dies verwundern. Andererseits zeigt die Mittel in einer Größenordnung von rund 1,2 Mil aktuelle Nazigolddiskussion, daß nicht nur wir Deut- arden DM. Dies entspricht rechnerisch einer Ent- schen von der Vergangenheit-li immer wieder einge- lastung von rund 0,4 Beitragssatzpunkten und einer holt werden. Belastung der Krankenkassen in den alten Ländern Wir wollen und dürfen vor dem vielfältigen Leid, von knapp 0,1 Beitragssatzpunkten. Durch die ge- das in deutschem Namen während des Dritten setzliche Begrenzung der West-Ost-Transfers auf Reichs begangen wurde, nicht die Augen verschlie- höchstens 1,2 Milliarden DM ist 1999 eine höhere Be- ßen. Unsere nationale Verantwortung bleibt unbe- oder Entlastung ausgeschlossen. streitbar. Mit einer zeitlichen Befristung des gesamtdeut- Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sieht schen Finanzkraftausgleichs tragen wir den Progno- seunsicherheiten über die weitere Finanzentwick- Lücken im deutschen Entschädigungsrecht, die es jetzt zu schließen gelte. Das Parlament muß sich die- lung Rechnung. Der Gesetzgeber wird dadurch zu einer zeitnahen Überprüfung der Neuregelung ver- sen Fragen stellen. Wir werden dies in den anstehen- anlaßt. Ich gehe davon aus, daß diese Überprüfung den Ausschußberatungen tun - in ausgewogener Sicht der Dinge. nicht zu einer Beendigung der gesamtdeutschen Solidarität, sondern zu einem weiteren Abbau der Angesichts der unermeßlichen Schäden des Krie- Sozialmauer führen wird. ges und der NS-Verfolgung haben sich der Bundes- Durch diese Regelungen ist der gesamtdeutsche gesetzgeber und alle Bundesregierungen der Auf- Risikostrukturausgleich systemgerecht und vertret- gabe gestellt, angemessen hierfür Ausgleich zu ge- bar. -währen. Die Reihe der deutschen Rückerstattungs und Entschädigungsregelungen und ihrer Novellie- Wir orientieren uns mit diesem Gesetz an den Vor- rungen ist lang. Die internationale Anerkennung die- schlägen der Experten, die eine Anpassung im Risi- ser Maßnahmen auf der Londoner Konferenz habe kostrukturausgleich bereits vor Jahren gefordert hat- ich bereits erwähnt. Das in den zurückliegenden ten. Auch der Sachverständigenrat für die Konzer- Jahrzehnten geschaffene Regelwerk hat immer die tierte Aktion im Gesundheitswesen hat in seinem unterschiedlichen Schädigungstatbestände bei den Sondergutachten von 1995 ausdrücklich einen ge- Opfern des NS-Regimes, aber auch die unterschiedli- meinsamen Risikostrukturausgleich gefordert. chen individuellen Verfolgungsschicksale im Blick gehabt. Bewußt ist der Verfolgung aus rassischen, re- Wir alle haben mit diesem Gesetz die Chance, er- ligiösen und politischen Gründen die zentrale Stelle neute Belastungen der Beitragszahler, der Bürgerin- im Wiedergutmachungsrecht eingeräumt worden. nen und Bürger und ihrer Familien in den neuen Ländern, der Arbeitgeber, Betriebe und Unterneh- Von Zwangsarbeit waren während des Zweiten men im Osten Deutschlands zu verhindern. Wenn Weltkrieges unzählige Personen in vielfältiger Form wir diese Chance jetzt verpassen, kann es bis zum betroffen. Solche Schicksalsschläge des Krieges sind Beginn eines erneuten parlamentarischen Verfahrens daher stets als eine Frage des Reparationsrechts er- in der nächsten Legislaturperiode für eine vertret- achtet worden. Es hätte allen in Frage kommenden bare und ausgewogene Lösung zu spät sein. Staaten selbst oblegen, aus von Deutschland ent- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997 19261* nommenen oder erhaltenen Reparationen die be- liche BEG-Härteleistungen erhält. Unsere Aufgabe sonderen Kriegsschäden für ihre Bevölkerung aus- bleibt es, zu entscheiden, ob ungeachtet der be- zugleichen. stehenden Rechtslage hier politisch Handlungsnot- wendigkeiten gesehen werden (müssen). Wir wer- Über 50 Jahre nach Kriegsende solle aber die Re- den dies vor dem Hintergrund aller maßgeblichen parationsfrage obsolet geworden sein. Die Bundesre- Entscheidungskriterien, aber auch im Bedenken der publik konzentriert seit den 70er Jahren ihre interna- Folgen tun. tionalen Anstrengungen auf die Sicherung zukunfts- gerichteter Zusammenarbeit. Im Verhältnis zu den Lassen Sie mich abschließend wenige Worte zur Staaten des ehemaligen Ostblocks ist sie auf die Forderung sagen, daß Unternehmen, die im Zweiten Festigung demokratischer und marktwirtschaftlicher Weltkrieg Zwangsarbeiter beschäftigt haben, erneut Strukturen gerichtet, um das Wohlergehen der Völ- und möglichst großzügiger zugunsten eines Zwangs- ker zu befördern. arbeiterfonds und zugunsten der Stiftungen „Ver- ständigung und Aussöhnung" in Warschau, Moskau, Gerade die tschechische Regierung hat dies auch Minsk und Kiew - auch diese Forderung steht noch so gesehen. Die amtliche Begründung zum tschechi- im Raum - Beiträge leisten sollen. Bislang summieren schen Gesetz über die Gewährung eines einmaligen sich Leistungen der Unternehmen zwischen 1958 Geldbetrags an einige Opfer nationalsozialistischer und 1988 auf insgesamt 75,5 Millionen DM. Und jede Verfolgung - so der offizielle Titel dieses Gesetzes zusätzliche Leistung zur Milderung der in vielen Fäl- vom 2. 9. 1994 - weist aus: „Nach Februar 1948 hat len noch fortwirkenden Leiden ist hoch willkommen. das kommunistische Regime schrittweise allen Zusa- Aber die Entscheidung bleibt den Unternehmen gen aus der Zeit 1945-1947 über die Hilfe an Opfer überlassen. Werden sie abgelehnt - dies ist bekannt- der nazistischen Verfolgung aus den Finanzmitteln lich jüngst bei einem Firmenjubiläum geschehen -, des damaligen Fonds der nationalen Erneuerung, der sind unsere Einwirkungsmöglichkeiten begrenzt. aus dem nach dem Krieg aufgrund der Dekrete des Bitte bedenken Sie, verehrte Kollegen der Fraktion Staatspräsidenten konfiszierten Vermögen errichtet von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, auch, wie lange wurde, gebrochen." Das tschechische Gesetz hat und wie oft noch Unternehmen, deren heutige Pro- 1994 die lange vernachlässigte Selbstverpflichtung sperität mit Sicherheit keine Folge des Krieges ist, an wieder aufgegriffen und erfüllt. solche moralischen Verpflichtungen erinnert werden Im Verhältnis zur Tschechischen Republik konnte sollen. Auch hier gilt: Über den Forderungen der eine Verständigung vor dem Hintergrund gefunden Vergangenheit darf die Sicherung von Gegenwart werden, daß die tschechische Regierung in den letz- und Zukunft nicht vernachlässigt oder gar vergessen ten Jahren nach dem bereits zitierten Gesetz aus werden. eigenen Mitteln in Höhe von fast . 100 Millionen DM tschechischen Opfern der nationalsozialistischen Be- satzung und Verfolgung individuelle Entschädigun- - gen gewährt hat. Sicherlich hat dieser Sachverhalt die unterschiedliche Bemessung der deutschen und Anlage 11 tschechischen Beiträge zum Zukunftsfonds - hier 140 Millionen DM, do rt rund 25 Millionen DM - be- Zu Protokoll gegebene Reden einflußt. Bewußt hat die deutsch-tschechische Ge- zu Tagesordnungspunkt 15 meinsame Erklärung jedenfalls nicht weitere indivi- (Antrag: Visumfreiheit für die baltischen Staaten) duelle Entschädigungen, sondern beispielhaft auf ge- führte Projekte für NS-Opfer vorgesehen. Reinhold Hiller (Lübeck) (SPD): Der Zusammen Viele Zwangsarbeiter des Zweiten Weltkriegs wa- bruch der Sowjetunion hat den baltischen Völkern ren zugleich Verfolgte im Sinne des Bundesentschä- nach langen schweren Jahren der Unfreiheit, der digungsgesetzes. Sie nahmen an deutschen Wieder- Fremdbestimmung, Unterdrückung und Besetzung gutmachungsleistungen in Höhe von 100 Milliarden erstmals die Möglichkeit gegeben, ihr Schicksal in DM teil. Die Berechtigten können so zwar keinen freier Selbstbestimmung zu gestalten. Die Überwin- Lohn für die geleistete Zwangsarbeit, wohl aber Ent- dung der Teilung unseres Kontinents hat dem Ost- schädigungen für die Zeit der Inhaftierung, für Ge- seeraum wieder die historische Perspektive eröffnet. sundheits- und Berufsschäden erhalten. Der Zusammenbruch des Warschauer Vertrages gibt die Chance, an die Traditionen der Hanse anzuknüp- Derzeit führen 22 ehemalige jüdische Zwangsar- fen. Das Miteinander von Menschen verschiedener beiter einen Musterprozeß gegen die Bundesrepu- Nationalität und der kulturelle Austausch vor dem blik Deutschland. Erst im Verlauf des Prozesses kam Hintergrund eines aufblühenden Handels soll den zutage, daß alle Kläger bereits Einmalleistungen zwi- Norden zu einem Modell für das Gelingen der euro- schen 10 000 und 56 000 DM erhalten haben. Fast alle päischen Integration machen. erhielten darüber hinaus laufende Leistungen von durchschnittlich 900 DM. In 21 Fällen hat das Land- Der demokratische Prozeß im Osten Europas ist ge- gericht Bonn die Klagen abgewiesen. Es hat aner- genwärtig und - da darf man sich trotz der immer kannt, daß die BEG-Leistungen ausdrücklich durch wieder leutselig beschworenen Männer- und Sauna- Gesetz für abschließend erklärt worden sind und da- freundschaft Kohl/Jelzin nicht täuschen - noch nicht bei auch etwaige Zwangsarbeit abgegolten wurde. unumkehrbar geworden. Die jüngste Ankündigung In einem Fall wurde der Klage stattgegeben, weil die Jelzins bei seinem Besuch in Skandinavien, die Klägerin nur - durchaus vergleichbare - außergesetz- Stärke der im Gebiet von Kaliningrad stationierten 19262* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997 russischen Truppen wesentlich zu vermindern und sind bereits da, sie können ohne Schwierigkeiten mit die eher reservierte Reaktion in der Öffentlichkeit, den Visabestimmungen umgehen und wissen die zeigen wie kompliziert die politische Entwicklung ist Wege, die bürokratischen Hindernisse zu überwin- und wie bedroht die jungen Demokratien im Osten den. Sie legen aber den Ehrlichen, dem Schüleraus- auch heute noch sind. tausch, intensiven sportlichen und kulturellen Kon- takten, familiären oder freundschaftlichen Besuchen Die in bestimmten politischen Kreisen begonnene unnötige Steine in den Weg. Die Balten haben be- Diskussion um eine neuerliche „Regermanisierung" reits die Möglichkeit, in ihre benachbarten skandina- des nördlichen Ostpreußens, um eine von Deutsch- vischen Länder visafrei einzureisen. Daran sollten land aus geförderte Neuansiedlung von Deutschen wir uns ein Beispiel nehmen! lassen bei mir als Lübecker Bundestagsabgeordne- ten und besonders an der Geschichte des Ostseerau- Die Menschen in den drei Staaten setzen große mes Interessierten die Alarmleuchten aufblinken. Hoffnungen auf eine Integration in die Europäische Politisches Ziel muß es sein, die Integra tion des ge- Gemeinschaft und in die NATO. Der Weg wird samten Baltikums einschließlich des Gebietes um schwierig und es ist zu befürchten, daß er sehr viel Kaliningrad in Richtung Europa zu fördern. Als stell- langwieriger und steiniger wird als gegenwärtig er- vertretender Vorsitzender der Deutsch-Baltischen hofft. Wir müssen den Balten die Gewißheit geben, Parlamentariergruppe konnte ich in zahlreichen Ge- daß ihr Freiheitskampf gegen das Joch Moskaus sprächen mit Kollegen und Kolleginnen feststellen, nicht vergeblich war, daß sie zu Europa gehören und daß dies auch interfraktionell in diesem Hause Gül- daß wir keine neuen Mauern nach Osten ziehen! tigkeit hat. Deshalb plädiere ich für die gegenseitige Visumfrei- Es ist für mich immer wieder interessant, wenn ich heit mit den baltischen Staaten Litauen, Estland und an der lange Jahre völlig undurchlässigen deutsch- Lettland. deutschen Grenze beobachte, daß trotz aller bürokra- tischen und politischen Hemmnisse der gegenseitige Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Mit diesem kulturelle und wirtschaftliche Austausch zwischen Antrag macht der Deutsche Bundestag deutlich: Wir den baltischen Ländern und der Bundesrepublik in wollen, daß Estland, Lettland und Litauen endgültig Gang kommt. Kulturelle Veranstaltungen, Ausstel- zu Europa gehören. Lange Jahre hatte der Westen lungen, Konzerte und Vorträge helfen, die gegensei- von der Sowjetunion gefordert, seine Einwohner tigen Barrieren des gegenseitigen Nichtkennens und müßten ihr Recht auf Freizügigkeit wahrnehmen Nichtgenugwissens von einander zu schließen und können. Die Schlußakte von Helsinki, die die euro- nie völlig abgerissene Beziehungen wieder zu inten- päischen Staaten auf dieses Menschenrecht ver- sivieren. Schiffe mit den Flaggen der baltischen Staa- pflichtete, wurde als zentrales Ergebnis der Politik ten, das estnische blau-weiß-schwarz oder das litaui- des Friedens und der Entspannung von allen euro- sche gelb-grün-rot sind heute in westlichen Ostsee- päischen Staaten 1975 unterzeichnet.- städten keine seltenen Gäste mehr. Besuche zwi- schen Kirchengemeinden, die Musik von Bach vor- Sieben Jahre ist es nun her, daß die Blockkonfron- tragen, oder von estnischen Künstlern, Straßenmusi- tation zwischen Ost und West ihr Ende fand, weil die ker aus Litauen im weihnachtlichen Straßenbild wä- Menschen im europäischen Osten sich gegen die ren noch vor kurzem unmöglich gewesen. kommunistische Diktatur auflehnten. Seither haben Trotz der beschriebenen Fortschritte ist der Weg zu Estland, Lettland und Litauen ihre Staatlichkeit einer völligen Normalisierung noch weit und be- fortgesetzt und neubegründet. Alle drei Baltischen schwerlich. Die Bundesrepublik Deutschland hat we- Staaten haben sich auf den schwierigen Weg der in- gen ihrer historischen Schuld eine besondere Verant- neren Reformen begeben, der sie nach Europa führt. wortung für den voranschreitenden politischen und Wenn auch Probleme und Konflikte nicht zu über- gesellschaftlichen Entwicklungsprozeß. sehen und auch noch nicht alle überwunden sind, so Der vorliegende und heute zur Abstimmung ste- sind doch die vergangenen sieben Jahre für alle drei hende fraktionsübergreifende Antrag ist ein notwen- Baltischen Staaten eine Erfolgsgeschichte. Sie wird diger Schritt in die richtige Richtung. Bei einer brei- in ihrer Gesamtbilanz auch nicht geschmälert, wenn ten Zustimmung für diesen Antrag, um den ich hier zu bedauern ist, daß die Staatsbürgerschaftsgesetze werbe, bekommt die Bundesregierung von den Ab besonders Lettlands und Estlands minderheiten- geordneten des Deutschen Bundestages für die Ge- freundlicher gestaltet werden könnten. Die gewon- spräche den notwendigen Rückenwind, um im Inter- nene baltische Freiheit sollte für alle Menschen, die esse der Menschen und des friedlichen Zusammen- im Baltikum leben, gelten. Freiheit ist unteilbar. lebens zu vernünftigen Lösungen zu kommen. Der Deutsche Bundestag will mit der Visafreiheit Wer wie ich einmal die Gelegenheit hatte, persön- ein unübersehbares Zeichen für die Integration des lich den Alltag in der Visaabteilung einer deutschen Baltikums nach Europa setzen. Visafreiheit besteht Botschaft in einem der drei baltischen Länder zu erle- bereits mit den Ländern Skandinaviens, Island, Groß- ben, wird in seiner Auffassung bestätigt: Dieser büro- britannien und Irland, Polen, Tschechien, Slowakei kratische Irrsinn muß ein Ende haben! Sicherheitsbe- und Ungarn. Mit Slovenien und der Schweiz sind denken oder die Angst vor der russischen Mafia entsprechende Verträge abgeschlossen worden, die rechtfertigen kein Nein. Ein visafreier Reiseverkehr 1998 in Kraft treten werden. Es wäre gut, wenn hilft nicht den Kriminellen, den Geschäftemachern Deutschland nicht der letzte mitteleuropäische Staat und den Reisenden mit guten Beziehungen. Diese wäre, der einen solchen Schritt vollzieht. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997 19263*

Unsere Verbundenheit mit dem Baltikum, unsere Nachdem die NATO im Juli dieses Jahres entschie- historische Verantwortung gegenüber dem Schicksal den hat, die baltischen Staaten nicht in einer ersten der Menschen, die auch wegen deutscher Schuld zu Welle aufzunehmen und die Europäische Union a ller lange unterdrückt worden sind, macht es notwendig, Voraussicht nach auf ihrem anstehenden Luxem- daß der Bundestag die Bundesregierung auffordert, burger Gipfel lediglich Estland zu Beitrittsverhand- so bald als möglich mit den Regierungen in Tallinn, lungen einladen wird, könnte das Vertrauen in die Riga und Vilnius die Visafreiheit durchzusetzen. westliche Integrationsbereitschaft einen erheblichen Dämpfer erleiden. Aufgrund dieses „doppelten Zu- Eine rasche Realisierung wird mithelfen, daß Lett- rückweisungsschocks" insbesondere für Lettland land und Litauen darin unterstützt werden, auch und Litauen ist die Einführung der Visumfreiheit nach den für sie enttäuschenden Entscheidungen der nicht nur problemlos möglich, sondern auch ein Europäischen Kommission ihre Hoffnungen nicht Signal von besonderer politischer Bedeutung. Sie verlieren, im Integrationsprozeß. eine neue Chance kann und sie soll von den Bürgern in den baltischen zu haben. Staaten verstanden werden als ein Zeichen dafür, daß Deutschland ungeachtet der Entscheidungen der NATO und der EU ein unverändert großes Interesse Gerd Poppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die an der Entwicklung der baltischen Staaten und der historische und kulturelle Zugehörigkeit des Balti- Intensivierung der Beziehungen hat. kums zu Europa ist unbestritten. Dementsprechend verdeutlicht der Abschluß der Assoziierungsverträge zwischen der EU und den drei baltischen Ländern im Ulrich Irmer (F.D.P.): Über sechs Jahre sind seit der Juli 1995 die Bereitschaft beider Seiten, die Zukunft Unabhängigkeit der baltischen Staaten vergangen. gemeinsam zu gestalten. Die Annahme demokrati- In dieser Zeit haben die Balten tragfähige demokra- scher Verfassungen, die Durchführung freier Wahlen tische Strukturen aufgebaut und den schwierigen und die Perspektive einer Einbürgerung auch der Übergang zu einer funktionierenden Marktwirtschaft starken russischen Minderheiten haben darüber hin- weitgehend abgeschlossen. Ihr Mut zur Veränderung aus auch die Aufnahme in den Europarat ermöglicht. und ihre Kraft bei der Neugestaltung ihrer Wi rtschaft Erklärtes Ziel aller drei baltischen Staaten ist es, De- und Gesellschaft verdienen unseren Respekt und un- mokratie und Marktwirtschaft zu errichten und zu sere Anerkennung. stabilisieren. Jeder, der sich heute im Baltikum um- sieht, kann erkennen, daß dieser Prozeß schon weit Wir Deutschen haben aus der Geschichte eine be- fortgeschritten ist. sondere Verantwortung gegenüber den baltischen Staaten. Deutschland hat sich deshalb von Anfang Die baltischen Länder waren im Gegensatz zu den an aktiv für die Einbeziehung Estlands, Lettlands Staaten Mittel- und Osteuropas bis 1991 unmittel- und Litauens in die euroatlantischen Strukturen ein- bare Bestandteile der Sowjetunion. Ihre ökonomische gesetzt. Mit dem Europa-Abkommen hat die Euro- und politische Entwicklung wurde dadurch noch päische Union den Weg für die Aufnahme der mittel- stärker behindert als die ihrer westlichen Nachbarn. und osteuropäischen Reformstaaten freigemacht. Umso bemerkenswerter ist deshalb ihre Entwicklung Wenn es auch so aussieht, daß konkrete Aufnahme- in den letzten sechs Jahren. Gelingt die euro-atlanti- verhandlungen zunächst nur mit Estland aufgenom- sche Einbindung, werden Litauen, Lettland und men werden können, so ist doch sichergestellt, daß Estland auf kurz oder lang ebenso selbstverständ- auch den beiden anderen baltischen Staaten eine liche Mitglieder dieser Gemeinschaft wie Dänemark, konkrete Beitrittsperspektive erhalten bleibt. Sollte Portugal oder Deutschland sein. es ihnen gelingen, die noch bestehenden Defizite schnell abzubauen, so ist es durchaus möglich, daß Vor diesem Hintergrund ist es eigentlich nicht zu alle drei baltischen Staaten noch zum selben Zeit- verstehen, warum Deutschland, das sich selbst gerne punkt Mitglieder der Union werden können. als „Anwalt der Balten" sieht, es bisher im Gegen- satz zu den skandinavischen Staaten, Großbritannien Meine Damen und Herren, im Gegensatz zu unse- und Irland versäumt hat, den Esten, Letten und ren anderen mittel- und osteuropäischen Nachbarn, Litauern die visumfreie Einreise zu ermöglichen. die auch zu Zeiten der Sowjetunion ihre staatliche Deutschland hat eine besondere historisch begrün- Selbständigkeit nie aufgeben mußten, verfügten die dete Verantwortung für das Schicksal des Baltikums baltischen Staaten nicht über ein eigenes souveränes und sollte daher mit Nachdruck für die Eingliede- Staatswesen, sondern standen unter unmittelbarer rung dieser drei Länder in die Europäische Union sowjetischer Herrschaft. Wir haben immer die deut- und die transatlantischen Strukturen 'eintreten. Dies sche Mitverantwortung für diese Entwicklung betont ist auch erklärte Politik der Bundesregierung. Die und unser Verständnis für den besonders ausgepräg- Aufhebung der Visumpflicht ist ein wichtiger Schritt ten Willen der Balten, unabhängige und gleichbe- in diese Richtung. Auf diese Weise wird der Ausbau rechtigte Staaten in Europa zu sein. Sie erwarten zu der zwischenstaatlichen Kontakte und des kulturel- Recht von uns, daß wir diesen Worten auch Taten fol- len Austauschs um ein Vielfaches erleichtert. Hinzu gen lassen. Wir haben uns oft als Anwalt der Balten kommt, daß die jetzige Visumpflicht aufgrund der bezeichnet. Es kann daher von uns erwartet werden, großen Zahl der Anträge kaum Einzelfallprüfungen daß wir uns neben unserem Einsatz für den Beitritt zuläßt. So kommt es nur selten zur Ergreifung von zur Europäischen Union schon jetzt für die Einfüh- Straffälligen und eventueller i llegaler Zugang kann rung der Visumfreiheit für die baltischen Staaten ver- auch bisher kaum verhindert werden. wenden. 19264* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Die Voraussetzungen hierfür sind gegeben: Die freiheit kannten - zumindest nicht nach Westeuropa? baltischen Staaten sind der Genfer Flüchtlingskon- Aber auch hier: Fehlanzeige. Liebe Kolleginnen und vention von 1951 beigetreten und haben innerstaat- Kollegen aus dem Innenausschuß: Sie wissen so gut lich die Voraussetzungen für die Aufnahme von wie ich, wie eindringlich und mit welch langem Flüchtlingen geschaffen. Die Grenzbehörden sind Atem sich zum Beispiel die Vertreter Rumäniens und technisch und tatsächlich zur effektiven Kontrolle an Bulgariens für die Lockerung der rigiden Visumspra- den Übergangsstellen in der Lage, die Ausstattung xis der EU - und damit auch der Bundesrepublik be- des Grenzschutzes wird schrittweise verbessert. Fer- mühen, erinnern Sie sich doch nur an unsere ge- ner sind die technischen Voraussetzungen für die fäl- meinsame Ausschußreise nach Sofia. Immer wieder schungssichere Ausstellung von Reisedokumenten scheitern diese beiden Länder an der unnachgiebi- geschaffen worden. Die baltischen Staaten sind gen Haltung insbesondere des Bundesinnenministe- darüber hinaus bereit, eng mit der Bundesrepublik riums. Deutschland in allen Fragen des bilateralen Reise- verkehrs zusammenzuarbeiten. Rücknahmeüberein- Offenkundig wird gegenüber den baltischen Staa- kommen sind bereits abgeschlossen oder befinden ten ein privilegierender Sonderkurs gefahren. Ich sich im fortgeschrittenen Verhandlungsstadium. Wir frage mich, wo aus deutscher Sicht die Hintergründe sollten in Anbetracht dieser Fortschritte bei der für die Bevorzugung des Baltikums liegen. Können Beurteilung der praktischen Durchführbarkeit des sie möglicherweise bis in die Zeiten zurückreichen, visumsfreien Reiseverkehrs mit den baltischen Staa- wo mit Ostpreußen ein deutscher Vorposten in dieser ten keine strengeren Maßstäbe anlegen als an uns Region existierte? selbst bzw. unsere Schengen-Partner. Sie gehören überdies nicht auch zu den Staaten, bei denen die Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes Aufgabe der Visumspflicht einstimmig mit den minister des Innern: Der Antrag fordert die Bundes- Schengen-Partnern vereinbart werden müßte. Der regierung auf, mit den baltischen Staaten baldige ge- Einführung der Visumfreiheit für Litauen, Le ttland genseitige Visumfreiheit zu vereinbaren. Der Antrag und Estland steht daher auch unter praktischen Er- unterstützt damit die Zielsetzung unserer Politik, wägungen nichts mehr entgegen. denn wir streben für die Zukunft einen visumfreien Das entscheidende Argument ist jedoch das politi- Reiseverkehr zwischen den baltischen Staaten und sche. Gerade weil die Einbindung der baltischen Deutschland an. Die Visumfreiheit halten wir für Staaten in die Europäischen Institutionen bis hin zum einen wichtigen Schritt, die baltischen Staaten an die Beitritt zur Union noch einige Zeit dauern wird, ist Europäische Union heranzuführen. Zugleich wäre sie die Einführung der Reisefreiheit bereits zum jetzigen auch Anerkennung für die Reformbemühungen der Zeitpunkt ein wichtiges europapolitisches Signal an baltischen Regierungen. die Balten, das dazu beitragen wird, die Region zu Die Bundesregierung hat jedoch auch immer dar- stabilisieren und den Reformprozeß weiter zu be- - auf hingewiesen, daß aus der Visumfreiheit keine schleunigen. Sicherheitsrisiken für Deutschland entstehen dürfen. Ich begrüße es deshalb, daß in der Begründung des Ulla Jelpke (PDS): Wir werden dem vorliegenden Antrags die Visumfreiheit unter den Vorbehalt ge- Antrag zustimmen. Die PDS würde es allerdings stellt wird, daß die notwendigen Sicherheitserforder- noch lieber sehen, wenn die Visumspflicht zum Bei- nisse erst gewährleistet sein müssen. Unser Ziel muß spiel auch gegenüber allen übrigen osteuropäischen es deshalb sein, zunächst Sicherheitsdefizite in den Staaten aufgehoben werden würde. Erlauben Sie mir baltischen Staaten zu beheben, um dann anschlie- aber bitte noch zwei Anmerkungen - weil ich ßend zu Rückübernahmeabkommen und Visumfrei- glaube, daß in der Frage der Freizügigkeit mit unter- heit zu kommen. schiedlichem Maß gemessen wird: Um dieses Ziel zu erreichen, hat das Bundesinnen- 1. Wenn die Aufhebung der Visumspflicht gegen- ministerium erhebliche Vorleistungen erbracht und über den baltischen Staaten damit begründet wird, Anstrengungen unternommen. Dazu gehört polizei- daß diese Assoziationsabkommen mit der EU abge- liche Ausstattungshilfe für Estland, Lettland und schlossen haben, dann muß ich darauf hinweisen, Litauen in Höhe von jeweils 3 Millionen DM in den daß zwischen der EU und der Türkei seit 1963 auch Jahren 1995 bis 1998. Damit sollen zum Beispiel ein ein solcher Assoziationsvertrag existiert. Aber im Funk-, Telefon- und Datenverarbeitungsnetz für die Falle der Türkei wurde die Frage der Freizügigkeit Landespolizeien ausgebaut und Ausbildungsmaß- wohlweislich stets ausgeklammert. Im Gegenteil: nahmen durchgeführt werden. Darüber hinaus betei- Erst in diesem Jahr wurde die Visapraxis gegenüber ligt sich das Bundesinnenministerium aktiv an Pro- der Türkei mit der Einführung des Kindervisums jekten, die aus Mitteln der Europäischen Gemein- noch verschärft, und zwar mit den Stimmen einer schaft, aus dem PHARE-Programm finanziert wer- ganzen Reihe von Abgeordneten, die den heutigen den, zum Beispiel führen wir gemeinsam mit dem Antrag unterschrieben haben. schwedischen Innenministerium das Projekt „Tele- kommunikations- und Informationssystem für die 2. Also am Assoziationsstatus kann es nicht liegen, Ostgrenze Lettlands" durch. Daneben unterstützen daß für die baltischen Staaten die Visumspflicht auf- wir die baltischen Regierungen durch Beratung und gehoben werden soll. Vielleicht hat es etwas damit Zurverfügungstellung von technischem Know-how zu tun, daß es sich um Staaten handelt, die jahrzehn- bei der Einführung neuer Paßsysteme und dem Auf- telang Mitglied des Warschauer Paktes keine Reise- bau einer Asyl- und Ausländerverwaltung. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997 19265*

Wir erkennen an, daß die baltischen Staaten bei Lassen Sie mich schließen mit einem Hinweis auf der Bekämpfung der grenzüberschreitenden organi- die Visapolitik der Schengen-Staaten. Alle Staaten, sierten Kriminalität, der Organisa tion und Ausstat- die das Schengener Durchführungsübereinkommen tung des Grenzschutzes und bei den Sicherheits- anwenden und mithin auf Binnengrenzkontrollen standards im Paß- und Ausweiswesen erhebliche verzichten, halten gegenwärtig noch an der Visum- Fortschritte erzielt haben. Im Bereich des Asyl- und pflicht für die baltischen Staaten fest. Eine einseitige Flüchtlingsrechts ist hervorzuheben, daß die balti- Aufhebung der Visumpflicht durch Deutschland schen Staaten der Genfer Flüchtlingskonvention bei- würde Sicherheitsinteressen unserer westlichen getreten sind und Asylgesetze verabschiedet haben, Nachbarstaaten mit berühren. Deshalb empfiehlt es die an westeuropäische Standards ausgerichtet sind. sich, daß die Bundesregierung ihre Visumpolitik - wie Erfreulich ist vor allem, daß Lettland den im Früh- auch sonst - so auch gegenüber dem Baltikum mit sommer dieses Jahres zunächst eingelegten geogra- den anderen Anwenderstaaten des Schengener Ab- phischen Vorbehalt zur Genfer Konvention kürzlich kommen abstimmt. Auch das bedarf noch weiterer aufgehoben hat. Anstrengungen. Ungeachtet aller Fortschritte gibt es aber nach wie vor empfindliche Sicherheitsrisiken. Bei zwei Berei- sungen der Bundesregierung 1996 und im Sommer Anlage 12 dieses Jahres wurden u. a. folgende Defizite festge- stellt: Zu Protokoll gegebene Reden In allen drei Staaten befindet sich der Grenzschutz zu Tagesordnungspunkt 16 organisatorisch und personell noch im Aufbau. Neben (Antrag: Novellierung des Gesetzes Berufspolizisten sind noch Wehrpflichtige im Einsatz. über die Feststellung der Zuordnung von ehemals volkseigenem Vermögen) Die technischen Hilfsmittel für die Kontrollen an den Grenzübergängen und an der Grünen Grenze weiden zwar allmählich internationalen Standards Dr. Michael Luther (CDU/CSU): In dem vorliegen angenähert. Ausreichend leistungsfähige EDV-Netze den Antrag zum Vermögenszuordnungsgesetz offen- und Datenendstationen zu effektiven aktuellen Über- bart die PDS wieder einmal ihre verschobene Sicht prüfungen an der Grenze sind allerdings noch nicht der Dinge. Säßen wir hier in einem Kommunalparla- flächendeckend eingeführt. ment, dann wäre ihnen der Applaus der Stadtverord- neten und vor allem des Stadtkämmerers sicher. In Litauen ist die Grenze zu Weißrußland noch Angesichts knapper Kassen in Bund, Ländern und nicht markiert, und eine nicht markierte Grenze Gemeinden sind Forderungen nach mehr Geld für je- kann auch nicht geschützt werden. den Haushälter, wenn er es denn von übergeordne- Auch die Kriminalpolizei befindet sich noch im ter Stelle einfordern kann,- populär. Wir sind aber hier Aufbau. Dazu hat sie zugleich mit wachsender orga- im Bundestag und müssen solche Fragen aus bun- nisierter Kriminalität zu kämpfen, die zum Teil über despolitischer Verantwortung und vor dem Hinter- Rußland und Weißrußland in die baltischen Staaten grund der gesamtstaatlichen Auswirkung behandeln. eindringt. Die Rechts- bzw. finanzielle Folge dieses Antrags Im Paß- und Dokumentenbereich sind die mit deut- möchte ich angesichts der fortgeschrittenen Stunde scher Hilfe entwickelten technischen Konzepte zur gleich vorwegnehmen, um die Absurdität dieses An- Herstellung fälschungssicherer Dokumente noch trags zu verdeutlichen. nicht umgesetzt. Neben einigen technischen Änderungen würde Als Ergebnis ist festzustellen, daß die baltischen die Umsetzung der PDS Vorschläge für den Bund zu Staaten noch nicht hinreichend gegen i llegale einer kostenträchtigen Verschiebung von Finanzla- Zuwanderung aus den östlichen Nachbarstaaten sten des Bundes auf die Kommunen in Höhe von geschützt sind. Die Gewährung der Visumfreiheit rund 2 bis 3 Milliarden DM bedeuten, ohne daß sie kommt deshalb gegenwärtig noch nicht in Be tracht, in der Sache die bestehenden Probleme tatsächlich denn das Ziel illegaler Zuwanderung sind nicht die lösen würden. baltischen Staaten, sondern die westeuropäischen Trotzdem werde ich kurz auf die Einzelforderun- Staaten, vor allem Deutschland. Es besteht daher die gen des Antrags eingehen. konkrete Gefahr, daß illegale Zuwanderer aus nicht- baltischen Staaten und die organisierten Kriminellen Der Begriff des Finanzvermögens ist bereits im gel- durch Verwendung gefälschter oder sogar echter tenden Recht hinreichend definiert. nach Art. 21 Reisepässe der baltischen Staaten den visumfreien Abs. 3 und Art. 22 Abs. 1 Satz 7 Einigungsvertrag ha- Reiseverkehr mißbrauchen würden. Dabei sind die ben die Kommunen einen Anspruch auf Rücküber- baltischen Staaten hinsichtlich der erreichten Stan- tragung des Vermögens, welches sie unentgeltlich an dards durchaus differenziert zu sehen. So ist zum den Zentralstaat hatten abgeben müssen. Davon sind Beispiel Estland Lettland und Litauen voraus. Aber auch Grundstücke erfaßt, die den Kommunen im es gibt in den baltischen Staaten auf hoher politi- Rahmen der Bodenreform entzogen worden sind. Ich scher Ebene Überlegungen, an den baltischen Bin- räume allerdings ein, daß die kommunalen Boden- nengrenzen auf Grenzkontrollen zu verzichten. Da- oder Gemeindefonds, die seinerzeit zur Verwaltung her muß eine Analyse der Sicherheitsdefizite für die und Verteilung der Bodenreformgrundstücke gebil- drei baltischen Staaten einheitlich ausfallen. det worden sind, nicht dazugehören. 19266*' Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997

Ausgeschlossen ist der Restitutionsanspruch der eine einseitige Belastung des Bundes von rund Kommunen gem. § 11 VZOG insofern, als der an sich 2 Milliarden DM bedeuten. Sieben Jahre nach der zurückzugebende Vermögenswert einer Nutzung Vereinigung würde dies zudem zu einer völligen der Verwaltung oder von Unternehmen zugeführt Umstrukturierung der Unternehmensstruktur vor worden ist. Eine andere Regelung wäre widersinnig allem im Bereich der Energieversorgungsunterneh- und eher kontraproduktiv. men - und auf die zielt ihr Antrag ja wohl in erster Linie ab - führen. Die Restitutionsausschlüsse, die wir seinerzeit im Vermögensgesetz in gleicher Weise festgelegt hat- Die von Ihnen geforderte Umschichtung von Un- ten, fanden im Übrigen damals die Unterstützung ternehmensbeteiligungen zwänge uns in der Folge des PDS. dann natürlich auch dazu, die Vermögenszuordnung im Einigungsvertrag insgesamt in Frage zu stellen. Das Vermögenszuordnungsgestz ist ein Ausfluß Bei allen Unzulänglichkeiten, die damals aufgrund aus dem Einigungsvertrag, der die Zuordnung von der Dringlichkeit schneller Entscheidungen entstan- ehemaligem Volkseigentum regelt. Sie fordern, daß den waren, lassen sich im Rückblick Sachen immer die Kommunen mehr bekommen. Das hätte man besser oder anders regeln. 1990 regeln können. Der Einigungsvertrag hat aber aus meiner Sicht richtigerweise klargestellt, daß der Punkt drei zielt auf die sogenannten Rückholfälle. Kommune das Eigentum zusteht, das sie für die Er- Das von Ihnen Dargelegte ist dem Grunde nach be- füllung ihrer Aufgaben benötigt. Dabei wird nicht rechtigt. Der Bund mußte damals allerdings schnell gefragt, ob oder wie das Grundstück in das Volksei- handeln, um die nötigen Impulse zu geben, damit es gentum gelangt ist. vorangeht. Ich sehe durchaus die Möglichkeit eines Ausgleichs zwischen dem Bund und den Kommunen, Weiterhin steht der Kommune z. B. der kommunale hier zu einer Lösung zu kommen. Wohnungsbestand zu. Der Bund hat z. B. die Kom- munen von den Altschulden auf dem Wohnungsbe- Dies könnte dergestalt sein, daß die Kommunen ei- stand entlastet. Dem Bund obliegen weitere Folgen nen Anspruch auf Rückübertragung der Objekte er- des Vermögensgesetzes. Hier verweise ich auf den halten, die heute noch für öffentliche Zwecke ge- Entschädigungs- und Ausgleichsfonds, der den Bund nutzt werden. Ein solcher Anspruch kann aber nur finanziell erheblich belastet. Zu nennen sind auch objektbezogen sein. Denn würde man, wie die PDS die Aufgaben der Treuhand, die mitunter negative es gerne sähe, ihn auf einen Geldausgleich auswei- Vermögenswerte verwaltet und Altlastsanierung ten, dann wäre doch abzusehen, daß damit manches vorzunehmen hat. Wenn also ehemals volkseigenes Loch gestopft würde, ohne daß der eigentliche Vermögen nach anderen Grundsätzen verteilt wer- Zweck, nämlich die Absicherung einer öffentlichen den soll, müssen, so denke ich, auch diese eben Nutzung, gesichert wäre. aufgeworfenen Fragen mit aufgerufen und neu be- Zu Ihrem vierten Vorschlag. Der Vorschlag einer antwortet werden. Ausschlußfrist klingt gut. Aber was bringt er, frage Lassen Sie mich auf noch einen interessanten ich sie? Er würde uns genau an den Punkt zurück- Aspekt dieses Antrages eingehen. Sie wollen auch werfen, der seinerzeit, 1991, zur Verabschiedung des Bodenreformgrundstücke, sofern sie nach 1949 Vermögenszuordnungsgesetzes geführt hatte. grundbuchrechtlich gesichertes Eigentum der Kom- Ausgangslage war damals, daß Fälle erfaßt werden munen waren, wieder den Kommunen zuordnen. ich sollten, wo die gesetzliche Eigentumszuweisung meine, daß Sie dann die Frage, wer denn heute noch durch den Einigungsvertrag nicht von selbst griff. Eigentümer solcher Bodenreformgrundstücke sein Dies waren überwiegend die Fälle, wo die Eigen- müßte, neu beantworten müßten. Nur wer unter Ein- tumsverteilung nach dem Einigungsvertrag nicht von haltung der Besitzwechselverordnung der DDR 1990 formalen, sondern von inhaltlichen Kriterien abhing. noch Eigentümer dieses als Arbeitseigentum gedach- ten Vermögens war, ist heute Volleigentümer. Wenn Die PDS verkennt bei der Forderung nach einem Sie also wollen, daß die Kommunen auf der Grund- finanziellen Ausgleich für verspätete Zuordnungsbe- lage von Zuordnungen von Bodenreformland heute scheide unter Punkt 5 die Ursachen, warum diese wieder in den alten Stand versetzt werden sollen, manchmal auf sich warten lassen. Häufig fehlen ein- dann müssen Sie auch alle Zurückführungen an den fach wichtige Entscheidungsgrundlagen, die sogar volkseigenen Bodenfonds revidieren. Das ist ein Teil oft von seiten der Kommunen beizubringen wären. der Totalrevision, die wir nicht wollen, weil diese den Zudem stellt sich bei diesem Ansinnen die Frage, wo Aufschwung in den neuen Bundesländern zerstören und in welcher Höhe der Schaden denn bei der Kom- würde. mune liegen soll. Investitionen werden durch verspä- tet ergangene Vermögenszuordnungsbescheide je- Jetzt den Versuch zu machen, noch einmal rück- denfalls nicht verhindert. Hierfür sorgt die Regelung wärtsgewandt, am Punkte Null noch einmal alles an- des § 8 VZOG, die eine entsprechende Verfügungs- ders zu machen, erscheint mir nicht sinnvoll. befugnis immer ermöglicht. Ihre zweite Forderung ist aus der Sicht der Länder Daß Anträge auf Grund unterschiedlicher Verwal- durchaus auch verständlich. Die Erweiterung der tungsvorgänge zwischen der OFD und der BvS im Rückgabe von Unternehmen zugunsten der Länder Verwaltungsgang sind, kennen wir alle aus eigener und Kommunen würde eine massive Vermögensver- Erfahrung. Hier könnte man in der Tat über eine schiebung zu deren Gunsten bedeuten, was aus der Zusammenführung verschiedener Zuständigkeiten Sicht des Bundes nicht leistbar ist; denn dies würde nachdenken. Eine solche Prüfung ließe sich aber un- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997 19267* problematisch auf dem Verordnungswege erledigen durch - was vom Prinzip eigentlich nicht zu bean- und wird meines Wissens zur Zeit auch vom Bundes- standen wäre - wird das inhaltliche Problem nicht ministerium der Finanzen geprüft. richtiger. Das von Ihnen eingeforderte Verteilungsgesetz ist Darüber hinaus ist es natürlich populär, sich für die tatsächlich Bestandteil des Einigungsvertrages und Kommunen einzusetzen, insbesondere dann, wenn wurde bisher noch nicht vorgelegt. Dies hat aber ein- man eine ostdeutsche Splitterpartei ist und auch nur fache und nachvollziehbare Gründe: Oberste P riori in der einen oder anderen Kommune mal kommunal- -tät für uns als Regierungskoalition hatte die Aufgabe, politische Verantwortung übertragen bekommen hat. möglichst schnell für Investitionen zu sorgen und In- Dennoch müssen sie sich natürlich vorhalten lassen, vestoren dafür die nötige Infrastruktur zur Verfügung daß sie hier im Deutschen Bundestag daran gemes- zu stellen. Daß sich die öffentliche Hand über Zu- sen werden, inwieweit ihre politischen Vorstellungen ständigkeiten streitet, während Investoren vor der alle Ebenen des Staates, nämlich Bund, Länder und Tür stehen, ist keinem Menschen vermittelbar. Gemeinden mit einschließen. Zum einen hat natür- lich selbst die Bundesregierung erkannt, daß in die- Zweitens verkennt eine solche Forderung nach ser Frage Regelungsbedarf besteht und ist, wenn ich einem Verteilungsgesetz die finanziellen Lasten, die recht informiert bin, gegenwärtig dabei, eine Novel- der Bund abweichend vom Einigungsvertrag ohne- lierung vorzubereiten. Zum anderen machen sich hin noch zusätzlich zum Aufbau in den neuen Län- natürlich auch Länder und Gemeinden das Problem dern übernommen hat. Man müßte bei einem sol- zu eigen. Deshalb wird gegenwärtig federführend chen Gesetz konsequenterweise diese Leistungen durch die Länder Berlin und Thüringen gemeinsam mit aufnehmen und verrechnen. Dabei würde sich mit den kommunalen Spitzenverbänden ebenfalls die Waagschale sehr eindeutig zugunsten des Bun- ein Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zuord- des verschieben. nungsrechts im Bundsrat erarbeitet, welches genau Daher ist fraglich, ob ein solches Gesetz überhaupt alle die Kriterien berücksichtigt, die ich eben ge- noch Sinn macht. nannt habe. Angesichts der von mir dargelegten Aspekte, bitte Nun zu ihrem Antrag im einzelnen. Und ich gehe ich Sie, den vorliegenden Antrag der PDS abzuleh- das mal der Reihe nach durch. Punkt eins: Das Ver- nen, da er außer wahlkampftaktischen Gesichts- mögenszuordnungsgesetz enthält lediglich die for- punkten lediglich eine einseitige Vermögensver- mellen Regelungen für den Vollzug der im Eini- schiebung vom Bund auf die Kommunen vorsieht gungsvertrag festgelegten materiellen Zuordnung und in der Sache daher nicht weiterfüh rt. des volkseigenen Vermögens der ehemaligen DDR. Art . 21, Abs. 3 und Art. 22 Abs. 1 Einigungsvertrag gewähren einen Rückübertragungsanspruch jedoch Erst gestern im Finanz- Wolfgang Ilte (SPD): nur für solche Vermögenswerte, die am 8. Mai 1945 ausschuß hatten wir eine teils scherzhaft geführte Eigentum der betreffenden Kommune waren. Einen Auseinandersetzung zum Thema „Schaufensteran- Rückübertragungsanspruch für Vermögenswerte, die träge". Ich glaube mich erinnern zu können, Herr nach 1945, insbesondere auf der Grundlage der Bo- Dr. Rössel, daß Sie diesen Terminus benutzen. Nun denreform, den Ländern oder den Kommunen zuge- wissen wir alle, daß auch sogenannte Schaufenster- wiesen worden sind, hat - wie sie wissen - das Bun- anträge, wenn sie denn einen konkreten politischen desverwaltungsgericht mit Urteil vom 30. November Hintergrund haben, durchaus auch zweckmäßig sein 1995, dem sogenannten Hoppegarten-Urteil, abge- können - aber natürlich auch nicht zwangsläufig sein lehnt. Diese „Bodenreform"-Grundstücke stehen müssen. Der heute von Ihnen vorgelegte Antrag je- auch nicht den Ländern zu, wie sie in ihrer Antrags- denfalls ist weder zweckmäßig noch sinnvoll. begründung fälschlicherweise behaupten, und zwar Und da dies bei ihnen ja häufiger vorkommt, brau- auch dann nicht, soweit sie zu DDR-Zeiten in Volks- chen sie sich auch eigentlich nicht zu wundern, daß eigentum überführt worden sind und damit den derartige Anträge von den anderen Fraktionen nur Regelungen des Einigungsvertrages und des Vermö- noch begrenzt ernst genommen werden. Nun hat die genszuordnungsgesetzes unterlegen. Etwas anderes Geschäftsführung den Antrag federführend dem gilt lediglich für Bodenreformgrundstücke, die einem Finanzausschuß überwiesen, deshalb stehe ich jetzt privaten Bodenreformeigentümer zugewiesen wor- hier, obwohl ich - wenn ich ehrlich bin - so recht den sind. Hier hat der Landesfiskus nach den Vor- nicht erkennen kann, daß für diesen Antrag eine schriften über die Abwicklung der Bodenreform un- federführende Zuständigkeit des Finanzausschusses ter bestimmten Voraussetzungen einen Auflassungs- gegeben ist. Ich hätte eher dafür plädiert, daß er in anspruch gegenüber den Erben des verstorbenen Bo- den Rechtsausschuß gehört und die im Antrag ange- denreformeigentümers. (A rt. 233 §§ 11-16 EGBGB) sprochenen steuer- oder finanzpolitischen Fragen vom Finanzausschuß mitberatend zu erledigen sind. Für Punkt zwei gilt zunächst das eben Gesagte. Auch für ehemals kommunale Unternehmen gibt es Die PDS ist seit einiger Zeit dazu übergegangen, keinen Rückgabeanspruch, sofern die Kommune erst Anträge im Deutschen Bundestag einzubringen und nach 1945 Eigentümer geworden ist. Im übrigen um- die gleichen Anträge dann in leicht veränderter Form faßt der Begriff des „Kommunalen Finanzvermö- auch noch mal in jedem einzelnen Landesparlament gens" in Art. 22 Abs. 1 Satz 1 des Einigungsvertrages der neuen Länder zur Diskussion zu stellen mit dem auch Kapitalanteile an ehemals volkseigenen Betrie- Versuch, die Landesregierungen über den Bundesrat ben, soweit diese kommunalen Aufgaben dienten. zum Tätigwerden zu verpflichten. Bloß: Allein da- Das heißt, in diesen Fällen steht den Kommunen 19268* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997 selbstverständlich ein Zuordnungsanspruch auf Un- schließen Oberfinanzdirektion und BvS einvernehm- ternehmensbeteiligung zu. Das kann nach meiner lich eine Zuständigkeitsvereinbarung, oder das BMF Auffassung auch gar nicht anders sein. bestimmt die zuständige Stelle. Deshalb kann ich jetzt nicht erkennen wo hier Regelungsbedarf be- Die von Ihnen in Punkt drei angesprochenen Pro- stehen sollte. bleme sehen wir ähnlich, und die eingangs erwähnte Bundesratsinitiative wird entsprechende Regelungen Und schließlich zu Punkt sieben. Im Punkt sieben beinhalten, nach denen zuordnungswidrige Verfü- sprechen sie ja ein Problem an, welchem sie schon gungen der Treuhandanstalt oder der BvS entweder bereits einen eigenen Antrag im Deutschen Bundes- rückabgewickelt werden oder aber den betroffenen tag gewidmet haben - natürlich ihrer Verfahrens- Kommunen zumindest der Verkehrswert des ihn zu- weise entsprechend auch in den ostdeutschen Lan- stehenden Vermögenswertes gezahlt wird. desparlamenten. Im Bundestag handelt es sich um die Drucksache 13/8656 und nennt sich „Vermögen So, die Punkte vier und fünf fasse ich der Einfach- der DDR entsprechend den Festlegungen des Eini- heit halber zusammen. Insbesondere in diesen Punk- gungsvertrages verwenden" . Im übrigen ist dies ein ten wird nach meiner Auffassung deutlich, daß hier ähnlicher Schaufensterantrag wie der, über den wir der Rechtsausschuß besser federführend hätte tätig heute sprechen. Dazu ist im Prinzip nur folgendes an- werden sollen, denn wie sie wissen - oder wiederum zumerken: Nach Art . 22 Abs. 1 Satz 3 Einigungsver- nicht wissen - gibt es im deutschen Recht bei Ver- trag ist die Verteilung des Finanzvermögens durch waltungsverfahren, zu denen ja das Vermögenszu- Bundesgesetz zu regeln. Dieses steht noch aus. Für ordnungsverfahren ebenfalls zählt, keine Ausschluß eine abschließende Stellungnahme, welches Vermö- fristen für die Bearbeitung von Anträgen. Insbeson- gen nun wem zuzuordnen ist, ist es nach unserer dere schon gar nicht mit der Rechtsfolge, daß der An- Auffassung erforderlich, erst einmal einen Überblick trag nach Ablauf der F rist als positiv beschieden gel- zu erhalten, welche Vermögenswerte überhaupt un- ten soll. ter diesen Vermögensbegriff fallen. Dazu haben die Das wäre auch nach meinem - etwas laienhaften Finanzminister der neuen Länder eine entspre- Rechtsverständnisses - unlogisch. Selbst wenn wir chende Aufforderung an Bundesminister Waigel ge- natürlich dem Bürger gegenüber derar tige Regelun- richtet. Diese ist aber bis heute nicht beantwortet gen kennen, so macht es doch keinen Sinn, daß Ver- worden. Und wenn sich die Bundesregierung be- waltungen untereinander auf dera rtige Regelungen quemt, eines Tages ihre dementsprechenden Haus- zurückgreifen können. Verwaltungen haben nach aufgaben zu machen, wären wir gerne bereit, die Er- § 75 Verwaltungsgerichtsordnung die Möglichkeit, gebnisse zu beurteilen. Heute festzulegen, Länder Untätigkeitsklagen zu erheben, wenn über einen An- und Kommunen machen fifty-fifty, wie sie es hier for- trag ohne zureichenden Grund in angemessener dern, halte ich einfach nicht für sachgerecht. Frist nicht sachlich entschieden worden ist. Insofern Zusammenfassend kann- ich ihnen nur empfehlen, sehe ich hier auch überhaupt keinen Regelungsbe- diesen Antrag zu beerdigen. Selbst eine Überwei- darf. Eine Schadensersatzpflicht für Nachteile, die sung ins Schaufenster hielte ich für völlig unange- auf Grund nicht rechtzeitiger Bescheidung entstan- bracht. Es ist schließlich allzu offensichtlich, daß sie den sind, besteht nach den allgemeinen Verwal- dererlei Anträge lediglich zu populistischen Wahl- tungsrechtsvorschriften ebenfalls nicht. Sie ist auch kampfaktionen in Ostdeutschland benötigen. Leider nicht angemessen, da sie einem ordentlichen Ver- hat allerdings der Bürger im Regelfall nicht die Mög- waltungsverfahren widersprechen würde. Nicht nur lichkeit, mal hinter die Kulissen dera rtiger Behaup- der Antragsteller hat Anspruch darauf, daß sein An- tungen zu schauen. Deshalb ist eine Beerdigung das trag schnellstmöglich bearbeitet wird, sondern auch beste, was diesem Antrag passieren könnte. etwaige durch die Entscheidung Betroffene haben einen Anspruch, an dem Verfahren beteiligt zu wer- Vielen Dank. den. Die Gefahr, bei Zeitverlust schadensersatz- pflichtig zu sein, würde möglicherweise die ord- nungsgemäße Verfahrensdurchführung gefährden. Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im übrigen ist natürlich auch darauf zu verweisen, Das Problem der Vermögenszuordnung beschäftigt daß eine Kommune - soweit sie Träger der Straßen- uns schon seit der Verabschiedung des Einigungs- baulast ist - keinen Vermögenszuordnungsantrag zu vertrages. Das noch von der beschlos- stellen braucht. Nach § 5 Abs. 2 Vermögenszuord- sene Kommunalvermögensgesetz wurde zwar in die nungsgesetz muß sie beim zuständigen Grundbuch- Bundesrepublik übernommen, aber seine Inten tion, amt lediglich einen Antrag auf Berichtigung des die Kommunen angemessen mit Vermögen auszu- Grundbuches stellen, um dort als Eigentümer der statten und damit starke Kommunen als Eckpfeiler Straßenfläche verzeichnet zu werden. Insoweit ist einer demokratischen Entwicklung zu schaffen, der Aufwand für die Vermögenszuordnungsstellen konnte nur sehr eingeschränkt umgesetzt werden. bereits im Einzelfall und im Bereich des Möglichen Die Gesetzgebung nach 1990 war vorrangig bemüht, reduziert worden. die investitionsfeindliche Regelung „Rückgabe vor Entschädigung" praktisch ins Gegenteil umzukeh- Der Punkt sechs ist ebenfalls überflüssig. Soweit ren und den Vorrang von Investoren vor Alteigen- die Zuständigkeiten zwischen den Zuordnungsstel- tümern festzuschreiben. Faktisch legte die Treu- len der Oberfinanzdirektionen oder der BvS strittig handanstalt diese Maxime äußerst großzügig zugun- sind, enthält § 1 Abs. 5 Vermögenszuordnungsgesetz sten der Investoren aus und verkaufte in zahlreichen bereits eine ausreichende Regelung. Entweder Fällen Grundstücke und Gebäude, die eigentlich den Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997 19269*

Kommunen zugestanden hätten, als willkommene gesetzes haben Kommunen Anspruch auf Übertra- Draufgabe an Investoren. gung von Unternehmen, die kommunalen Aufgaben dienen. Ihnen stehen darüber hinaus Restitutionsan- So sind im Zuge der Privatisierung von Unterneh- sprüche auf ehemalige öffentlich-rechtliche Unter- men Erholungsheime, Sportstätten, Straßen oder Ge- nehmen zu. Waren die Kommunen jedoch Anteilseig- sundheitseinrichtungen, die in der Verwaltungsho- ner an Unternehmen des p rivaten Rechts, richten heit der ehemaligen Volkseigenen Bet riebe (VEB) sich Ansprüche allein nach den Vorschriften des Ver- standen, an Unternehmenserwerber übergegangen. mögensgesetzes. Diese Rechtslage ist vom Bundes- Nach Ansicht der Kommunen und ihrer Verbände verfassungsgericht bestätigt worden. hätten diese Vermögenswerte zu einem großen Teil entsprechend den gesetzlichen Regelungen über die Zu Ziffer 3: Hier handelt es sich um die sog. zuord- Vermögenszuordnung an die Kommunen übertragen nungswidrigen Privatisierungen (Rückholfälle). Hier werden müssen. Ungenügend Gesetzesregelungen sind Treuhandunternehmen im Wege des Anteilsver- und eine restriktive Anwendung der Zuordnungs- kaufs privatisiert worden, ohne daß nach dem Eini- vorschriften durch THA und BvS haben zahlreiche gungsvertrag bestehende Restitutions- oder Kommu- kommunale Vermögensansprüche zunichte gemacht. nalisierungsansprüche beachtet wurden. In diesen Hinzu kommt, daß in der Frage der Vermögenszu- Fällen können von der Privatisierung miterfaßte Ver- ordnung, ähnlich wie bei der Finanzverteilung, die mögenswerte den Kommunen nicht mehr mit den Kommunen im föderalen Kräftespiel häufig die Mitteln des Zuordnungsrechts als Eigentum zuge- schwächsten sind. wiesen werden. Das Gesetz sieht auch keine Aus- gleichsansprüche vor. Nach § 6 des Zuordnungser- Dieses Thema wird uns daher im kommenden Jahr gänzungsgesetzes soll der ursprüngliche Restitu- erneut beschäftigen. Im Bundesrat wird derzeit ein tionsanspruch fortbestehen, wenn ein diesbezüg- Gesetzentwurf zur Änderung des Zuordnungsrechts licher Vorhalt in den Privatisierungsantrag aufge- beraten und auch die Bundesregierung wird wohl nommen worden ist. Dies ist allerdings regelmäßig ebenfalls mit neuen Gesetzesinitiativen zur Bereini- nicht der Fall gewesen. gung des Vermögensrechts auf den Plan treten. Meine Damen und Herren, unsere Fraktion hat sich Der PDS muß zugestanden werden, daß nach immer für die Belange der ostdeutschen Kommunen einem vom Land Berlin im April 1996 eingebrachten eingesetzt, wir haben dies im Falle der sogenannten Gesetzentwurf ein Ersatzanspruch, der gegen die Kommunalen Altschulden getan, die sozusagen die BvS gerichtet sein soll, seitens des ursprünglichen Kehrseite der heute zur Debatte stehenden Medai lle Zuordnungsberechtigten geschaffen werden soll, der sind. Wir haben dies auch im Falle der Vermögenszu- auf Auszahlung des Verkehrswerts des zu Unrecht ordnung wiederholt getan und so werden wir es auch privatisierten Vermögenswertes gerichtet ist. Der in den kommenden Beratungen zu diesem Thema Bundesrat wird diesem Gesetzesantrag möglicher- halten. weise folgen. Während- Berlin den Verkehrswert er- setzt haben will, wünscht die PDS gar einen Ersatz Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Die PDS nach dem Wiederbeschaffungswert. Dies ist erkenn- hat einen Antrag gestellt, der sich zum Teil an einem bar illusorisch und von der Sache her falsch. Gesetzesvorhaben orientiert, welches vom Bundesrat Bei dem vorliegenden Antrag geht es um erhebli- eingebracht wurde. Die F.D.P. wird den Antrag ins- che Werte, die von der BvS schwerlich aufgebracht gesamt ablehnen. Ich will einige Anmerkungen zu werden können. Es mag daher eine Regelung erwo- einzelnen Antragsteilen machen: gen werden, die pauschalierte Werte für Flächen un- Zu Ziffer 1: Vermögenswerte sind gemäß Artikel 21 terschiedlicher Qualität ausweist. Gegenwärtig fin- Abs. 1 des Einigungsvertrages einer Kommune zuzu- den in diesem Zusammenhang Besprechungen zwi- ordnen, wenn sie dem Verwaltungs- oder dem kom- schen den beteiligten Ministerien statt. Angesichts munalen Finanzvermögen zugehören. Beides setzt der Schwierigkeit der Mate rie ist aber nicht mit voraus, daß der Vermögensgegenstand kommunalen schnellen Ergebnissen zu rechnen. Zwecken gedient hat. Unabhängig von einer solchen Zu Ziffer 4: Hier wird beantragt, daß beantragte Zweckbestimmung des Vermögensgegenstandes ist Vermögenswerte als zugeordnet gelten sollen, wenn dieser der Kommune zuzuordnen, wenn ein Restituti- ein bestimmter Bescheid nicht ergangen ist. Zuord- onsanspruch nach dem Artikel 21 Abs. 3 oder Arti- nungsfiktionen erscheinen in besonderem Maße aus kel 22 Abs. 1 Satz 7 in Verbindung mit Artikel 21 Rechtsgründen bedenklich. Abs. 3 Einigungsvertrag besteht. Der Restitutionsan- spruch ist aber nach der Rechtsprechung des Bun- Wegen der Kürze der Zeit wird darauf verzichtet, desverwaltungsgerichts für aus Bodenreformland in zu den verbleibenden Punkten 5, 6 und 7 noch Stel- das Eigentum öffentlich-rechtlicher Körperschaften lung zu nehmen. gelangte Vermögenswerte ausgeschlossen. Der Wie- dergutmachungsgedanke schließe die öffentliche Restitution aus, wenn der öffentlich-rechtlichen Kör- Rainer Funke, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi perschaft Vermögenswerte entzogen wurden, die sie nister der Justiz: Die PDS forde rt mit ihrem Antrag selbst auf rechtsstaatswidrige Weise erlangt habe. eine Reihe von Änderungen im Vermögenszuord- Diesem Lösungsansatz wird nicht widersprochen. nungsgesetz. Klares Ziel ist es, im Vermögenszuord- nungsverfahren ausschließlich die Positionen der Zu Ziffer 2: Nach dem als Bundesrecht fortgelten Kommunen zu verbessern. Mit Ausnahme von den Paragraphen 4 Abs. 2 des Kommunalvermögens- Punkt 3 des Antrags — auf den ich später zurück- 19270* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 210. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 11. Dezember 1997 komme - sieht die Bundesregierung in keinem der des Gesetzes, sondern hätte auch erhebliche Rechts- angesprochenen Punkte Handlungsbedarf. unsicherheit zur Folge, da zahlreiche Vermögensge- genstände von mehreren Prätendenten beansprucht Dies gilt zunächst für die geforderte Neudefinition werden. des Begriffs „Finanzvermögen" - gemeint ist offen- bar das kommunale Finanzvermögen. Die Neudefini- Die Bundesregierung hat im übrigen bereits Maß- tion soll so umfassend sein, daß sie auch die zunächst nahmen ergriffen, um die Zuordnung von Vermö- aus der Bodenreform von den Kommunen erlangten genswerten zu beschleunigen, so daß das Abarbei- Grundstücke erfaßt. Tatsächlich strebt die PDS hier tungstempo der Behörden in den letzten Jahren trotz nicht nur eine Klarstellung, sondern eine erhebliche neu eingehender Anträge erheblich gesteigert wer- Ausweitung des Begriffs des kommunalen Finanz- den konnte. vermögens an. Nach Ar tikel 22 Abs. 1 Satz 1 des Einigungsvertrages ist das kommunale Finanzver- Ich sehe auch keinen Raum für einen besonderen mögen auf diejenigen Vermögensgegenstände be- finanziellen Ausgleich für den Fall, daß durch ver- schränkt, die am 3. Oktober 1990 für Zwecke und spätete Vermögenszuordnungsbescheide materielle Aufgaben der kommunalen Selbstverwaltung tat- Nachteile entstehen. Das Vermögenszuordnungs- sächlich genutzt wurden oder für eine solche Nut- recht regelt das Verhältnis zwischen Verfügungsbe- zung konkret vorgesehen waren. Nur dieser kon- rechtigten und Zuordnungsempfängern. Ansprüche krete Bezug rechtfertigt es, kommunales Finanzver- von Zuordnungsprätendenten richten sich gegen die mögen gegenüber dem sonstigen Finanzvermögen Zuordnungsbehörde nach allgemeinen Regelungen, herauszuheben und den Kommunen unmittelbar zu- für weitergehende Regelungen besteht kein Bedarf. zuordnen. Die PDS fordert schließlich eine Festlegung des Daneben ist den Kommunen das Restitutionsver- Anteils der Kommunen an dem den Ländern zuste- mögen zuzuordnen. Hier kommt es zwar auf den henden Teil des Finanzvermögens auf 50 Prozent. konkreten Bezug des Vermögensgegenstandes zur Eine solche Regelung kann aber keinesfalls im Ver- gemeindlichen Selbstverwaltung nicht an. Aus gu- mögenszuordnungsgesetz erfolgen. Nach Artikel 22 tem Grund haben aber die Verwaltungsgerichte - be- Abs. 1 Satz 4 des Einigungsvertrages sind die Ge- stätigt vom Bundesverwaltungsgericht - hier das aus meinden und Gemeindeverbände an dem Länderan- der Bodenreform erlangte Grundvermögen gerade teil angemessen zu beteiligen. Die Länder sind somit aus der öffentlichen Res titution ausgenommen. Der der ausschließliche Adressat des Einigungsvertrages öffentlich-rechtlichen Körperschaft sollen nicht sol- und haben die Beteiligung der Gemeinden in eige- che Vermögenswerte zurückgegeben werden, die sie ner Zuständigkeit und Verantwortung zu regeln. selbst - infolge entschädigungsloser Enteignungen Privater - auf rechtsstaatswidrige Weise erlangt hat. Lassen Sie mich auf Punkt 3 des Antrags zurück- Darüber kann auch nicht durch eine Erweiterung des kommen: Auch die Bundesregierung ist der Auffas- Begriffs „kommunales Finanzvermögen" hinwegge- sung, daß das Problem der privatisierten Kommunal- gangen werden. objekte einer gesetzlichen Regelung zugeführt wer- den sollte. Die Frage kann allerdings nicht im Rah- Auch hinsichtlich der Frage der Rückgabe ehema- men des Zuordnungsrechts bef riedigend gelöst wer- liger kommunaler Unternehmen ist eine Änderung den. Insbesondere wird es nicht möglich sein, den des geltenden Rechts nicht erforderlich. Soweit die Kommunen einen Entschädigungsanspruch auf Ver- Kommunen Anteilseigner an Unternehmen des pri- kehrswertbasis einzuräumen. Den hier beanspruch- vaten Rechts waren, richten sich Ansprüche allein ten Verkehrswert konnte die Treuhandanstalt im nach dem Vermögensgesetz. Dies ist sachgerecht Hinblick auf ihren Umstrukturierungsauftrag und in und vom Bundesverfassungsgericht nicht beanstan- der ihr zur Verfügung stehenden kurzen Zeit für die det worden. Investorensuche gar nicht erzielen. Die Bundesregie- rung bereitet deshalb zur Zeit einen Gesetzesentwurf Darüber hinaus ist auch für die geforderten verfah- vor, der den Kommunen die Möglichkeit einräumt, rensrechtlichen Neuregelungen kein Raum. Die be- noch für Verwaltungszwecke genutzte Einrichtun- antragte Fiktion einer Zuordnung auf den Antrag- gen privatisierter Unternehmen zu Sonderkonditio- steller stünde nicht nur im Widerspruch zum Zweck nen zu erwerben.