Titel Herr und Knecht Kohl und Schäuble – wie sich eine politische Freundschaft im Schatten schwarzer Kassen entwickelte

m Anfang stand Dankbarkeit. Der 41-jährige Ministerprä- dierte der Badener als Erster Parlamentarischer Geschäftsführer sident war im Oktober 1971 auf dem Partei- den Vorsitzenden Alfred Dregger zum Statisten. „Dregger macht Atag in Saarbrücken bei der Wahl des CDU-Chefs gegen die Reisen, Schäuble die Arbeit“, feixte Kohl. Beim Gang ins angetreten und hatte krachend verloren: 344 gegen Bundeshaus schaute der Kanzler häufig auf eine halbe Stunde 144 Stimmen. Der robuste Kohl, Leitfigur für die Jüngeren in der bei Schäuble vorbei. Helmut Kohl gefiel es, dass er über seinen Union, merkte sich jeden, der an diesem desaströsen Tag für ihn „leitenden Kompaniefeldwebel“ Schäuble auch die Fraktion im war. Wolfgang Schäuble zum Beispiel, den schmächtigen Be- Griff hatte. zirksvorsitzenden der Jungen Union von Südbaden, einen kecken Doch zugleich gab es schon damals die dunkle Stelle dieser Ver- jungen Mann von 29 Jahren. bindung, die schließlich beide in äußerste Bedrängnis brachte Als der zwei Jahre später in Singen auf einem Parteitag der und an der die Beziehung endgültig zerbrach: das System der Jungen Union seinen Vorsitz abgab, reiste Kohl, inzwischen schwarzen Kassen. Unter den Fraktionsgeldern, die Schäuble doch zum CDU-Bundesvorsitzenden gewählt, in die südlichste nach eigenen Worten von dem Kohl-Spezi Wilhelm Rawe über- Ecke Deutschlands, um Schäuble zu preisen. Loyalität hat Kohl nahm, fand er Beträge in Millionenhöhe vor. Deren Herkunft ist immer honoriert. Und Schäuble war mit solchen Gesten leicht bis heute nicht geklärt. zu gewinnen. Fortan war er, wie ein Wegbegleiter bemerkte, für lange Jahre „180-prozentig Kohl, und noch mal Kohl“. So entstand die kalkulierte Zu- sammenarbeit zweier Männer, die unterschiedlicher nicht sein konnten und doch eines gemeinsam hatten: Sie wollten Macht. Der zwölf Jahre ältere Kohl, gefühlsgelenkt, von sich selbst überzeugt, provinziell und misstrauisch, nutzte die „messer- scharfen Analysen“ des effizienten politischen Kampfsportlers Schäuble von Anfang an als Waffe. Wolfgang Schäuble war Vollstrecker, Schutz- schild und Ideengeber. Diese Rangfolge blieb klar. Nie wäre Kohl, dessen politische Energien sich nicht zuletzt aus seiner physi- schen Masse speisen, auf die Idee ge- kommen, den aggressiven, schnell denkenden, aber körperlich kleinen Schäuble als einen Rivalen zu be- trachten. Auf politischer Ebene ak- zeptierte der Ältere den Jungen, der Große den Kleinen als gleichberech- tigt, intellektuell wohl sogar als über-

legen. Aber Chef war Kohl. R. SCHULZE-VORBERG Es sollte ein Vierteljahrhundert Kanzler Kohl, CDU-Fraktionsgeschäftsführer Schäuble (1984): Emanzipation in Stufen sowie dramatische persönliche und historische Veränderungen brauchen, bis nach einer vorsichti- Der smarte Jurist ließ sich von seinem Chef auch dazu verlei- gen, stufenweisen Emanzipation Schäubles ein Eindruck von ten, die nun aufbrechende Flick-Parteispenden-Affäre mittels ei- Ebenbürtigkeit entstehen konnte, den Kohl nicht ertrug: Aus sen- ner Amnestie für alle Beteiligten zuzuschütten. „Da hat er sich von timental verklärter Freundschaft wurde kalter Hass. Kohl zum Knecht machen lassen“, sagt ein Weggefährte. 1976 gab Kohl nach seiner knappen Niederlage gegen Helmut Im November 1981 waren Ermittler bei einer Durchsuchung Schmidt bei der Bundestagswahl sein Mainzer Ministerpräsiden- der Zentrale des Flick-Konzerns in Düsseldorf auf das Kassen- tenamt auf und ging als Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion buch für Schwarzgeld gestoßen. Damit geriet eine Affäre ins nach Bonn. Da war der ehrgeizige Schäuble schon vier Jahre im Licht der Öffentlichkeit, bei der am Ende in 1860 Verfahren Parlament. Der unsichere Neu-Bonner Kohl zog den cleveren, zu- wegen Bestechung und Bestechlichkeit gegen Politiker und In- packenden Schäuble sofort als Zuarbeiter an sich heran. dustrielle wie den Flick-Manager Eberhard von Brauchitsch er- Als der Pfälzer 1982 Kanzler wurde, war Schäuble, dessen kal- mittelt wurde. tes Strebertum gefürchtet war, sein engster Mitarbeiter außerhalb In geheimer Kommandosache beschlossen die Parteichefs von des Kanzleramts. Zwar konnte Kohl Schäuble nicht – wie ver- CDU, CSU und FDP – Kohl, Franz Josef Strauß und Hans-Diet- sprochen – zum Fraktionschef machen, aber tatsächlich degra- rich Genscher – einen zweiten Amnestieplan für Parteispender,

36 der spiegel 38/2000 nachdem ein erster 1981 am Widerstand der Hamburg am 1. Oktober 1990 dankten Öffentlichkeit und dann der SPD gescheitert die Delegierten ihm mit Ovationen. Jetzt war. Kohl gab Weisung, den Kreis der Mit- verfügte er über eine eigene politische wisser so klein wie möglich zu halten. Autorität. Schäuble sollte die Ausführung erledigen. Knapp zwei Wochen später, am 12. Ok- Am Ende scheiterte das Vorhaben im Mai tober 1990, schien dann alles vorbei. Ein 1984 am Aufruhr der FDP-Basis. Schäuble geistesgestörter Mann schoss Schäuble un- nannte dieses Ergebnis „einen meiner größ- mittelbar nach Beendigung einer Wahlver- ten Flops, eine der bittersten Stunden mei- sammlung in der Nähe seines Wohnorts ner parlamentarischen Arbeit“. Gengenbach mit mehreren Schüssen nie- Nach einer Falschaussage vor dem Main- der. Den Rest seines Lebens wird Schäuble zer Parteispendenausschuss war Kohl dem mit Querschnittslähmung an den Rollstuhl Ende seiner Karriere gefährlich nahe. Jah- gefesselt bleiben. re später offenbarte sein Helfer Uwe Lüthje, Für die Familie Schäuble wurde in der dass der Kanzler damals sogar an Rücktritt Nacht der Operation klar, dass Helmut gedacht habe. Nur weil er, Lüthje, vor den Kohls Freundschaft zu seinem Getreuen Staatsanwälten gelogen habe, sei Kohl an ei- nicht so innig sein konnte, wie er mit nem Gerichtsverfahren vorbeigekommen. seinen erschütterten Worten von der Als CDU-Generalsekretär Heiner Geißler „furchtbaren Heimsuchung“ vorgab. Die versuchte, die Falschaussagen des Kanzlers ganze Nacht bangte die Familie vor der als „Black-out“ zu verharmlosen, hielt Intensivstation, während im Radio stündlich Schäuble dagegen: „Totaler Quatsch.“ Nicht gemeldet wurde, der Bundeskanzler halte

Kohl habe falsch ausgesagt, der Ausschuss DPA sich auf dem Laufenden. Als aber Schäubles habe falsch gefragt. Flick-Manager Brauchitsch* Bruder Thomas morgens um sieben im Die Wahrheit über Kohls Verwicklung in Die Amnestie war ein Flop Kanzleramt anrief, wurde er schnöde ab- das System der schwarzen Kassen kannte gewimmelt. Schäuble jedoch. Er hatte nach dieser Krise die erste Stufe der Das ungleiche Verhältnis zwischen den beiden Männern blieb Emanzipation von Helmut Kohl erreicht. Bei aller Loyalität – bestehen, es änderte sich auch nach dem Anschlag nur die Form. jetzt wusste er, dass der schwarze Riese sterblich war. Kohl schlüpfte nun gegenüber Schäuble, dem er gelegentlich Kohl reagierte instinktsicher. Er holte Schäuble als „Bundes- schon „badische Hinterfotzigkeit“ bescheinigt hatte, in die Rolle minister für besondere Aufgaben“ ins Kanzleramt. Auf dem Ti- des väterlichen Beschützers. Natürlich ist auch das eine Art von tel, verbunden mit seiner Machtfülle, hatte Schäuble bestanden. subtiler Abhängigkeit, in die Kohl alle versetzt, die er in seiner Schäuble machte sich seinem Chef unentbehrlich. Anfang 1987 Nähe duldet. erzählte Kohls getreuer Berater Eduard Ackermann: „Der wirk- Schäuble, der sich bis zum Attentat gegen allzu große Verein- liche Überberater ist Schäuble. Der sitzt schon morgens, bevor die nahmung zu wehren gewusst hatte, mobilisierte die letzten kleine Lage beginnt, bei Kohl, ist abends auch der Letzte und sieht Reste seiner Kräfte, um seine Eigenständigkeit zu behaupten. ihn noch zwischendurch.“ Nur einen Monat später saßen die SPIEGEL-Redakteure Dirk Schäuble verlangte, verkörperte und vertrat unbedingte Loya- Koch und Klaus Wirtgen am Krankenbett des Schwerbehinderten. lität zu Kohl. Als CDU-Generalsekretär Heiner Geißler Anfang Mit ihrer Hilfe schrieb er, wie vor den Schüssen vereinbart, sei- 1989 offen auf Konfrontationskurs zu Kohl ging und der baden- nen Anteil am Zustandekommen der deutschen Einheit in einem württembergische Ministerpräsident Lothar Späth zum Kohl- Buch nieder. Gleichwohl war er berührt von Kohls Bemühungen Rivalen wurde, ermutigte Schäuble seinen Chef zum scharfen um ihn. Kohl habe das „ohne jeden Eigennutz“ getan, „einfach Schnitt. Er selbst wurde statt Geißler Innenminister. aus seinem Gefühl und seiner Betroffenheit heraus“, sagte Vom CDU-Parteitag in Bremen, im September 1989, kehrten so- Schäuble damals. wohl Kohl als auch Schäuble triumphierend zurück. Der Kanzler Zunächst hatte sich Schäuble, wie seine Frau erzählte, ein Le- war gegen die zagenden Putschisten erfolgreich geblieben. ben im Rollstuhl gar nicht vorstellen können. „Warum habt ihr Schäuble hatte bei der Wahl zum Parteivorstand das zweitbeste mich nicht sterben lassen?“ Jetzt bezog er aus den ermunternden Ergebnis erhalten. Reden des Kanzlers, der ihn plötzlich öffentlich seinen Freund und Im Innenministerium wurde registriert, dass Wolfgang Schäuble Nachfolger nannte, eine Art Ersatz-Lebenssinn. seither mit verändertem Selbstbewusstsein auftrat. Plötzlich war Kohl schenkte Schäuble im Krankenhaus eine Biografie des er einer, „der sich nicht mehr auf brüchigem Eis vortastete, früheren US-Präsidenten Franklin Roosevelt, der ebenfalls zeit- sondern ein Mann, der sich der Trümpfe in der Hand bewusst weilig an den Rollstuhl gefesselt gewesen war. Die wichtigsten Stel- geworden war“, schreiben seine Biografen Werner Filmer und len hatte er unterstrichen, zum Beispiel, dass dem Präsidenten sei- Heribert Schwan. Mit dem Fall der Mauer begann für Schäuble die zweite Etap- pe auf dem Weg zur Ebenbürtigkeit. Denn noch vor dem „Kanz- ler der deutschen Einheit“ gab es den „Architekten der Einheit“, und der hatte die harte Kleinarbeit geleistet. Tatsächlich wirkte Helmut Kohl nach dem Fall der Mauer am 9. November 1989 weitaus verunsicherter als sein Macher Wolf- gang Schäuble. Nach Schäubles eigener Darstellung war er es, der den zögerlichen Kanzler vor seiner Dresden-Reise zum DDR-Ministerpräsidenten zu klaren Entscheidun- gen drängte. In diesen Monaten wuchs Schäuble zum zentralen Macher der inneren Einheit heran. Auf dem CDU-Vereinigungsparteitag in

* Oben: vor dem Flick-Untersuchungsausschuss in Bonn 1984; unten: in der Freiburger DPA Universitätsklinik am 15. Oktober 1990. Attentatsopfer Schäuble*: „Furchtbare Heimsuchung“

der spiegel 38/2000 37 Titel ne Behinderung infolge einer Kinderlähmung durchaus auch wahlkampf 1994 konfrontierte den Kanzler erstmals unumwunden politische Vorteile gebracht habe. mit der Frage nach dem Ende seiner Amtszeit. Im Fernsehen er- Es habe ihn, markierte Kohl, „zu gelassenem Denken in länger- klärte er, im Falle seiner Wiederwahl sei dies „mit Sicherheit die fristigen Perspektiven“ gezwungen und ihm eine „unangreifbare letzte Amtsperiode“ als Bundeskanzler. Er habe nicht den „Ehr- Entschuldigung“ geboten, „dort nicht zu erscheinen, wo er es po- geiz, bis 1998“ im Amt zu sein. Mit Schäuble hatte er über seine litisch für inopportun hielt“. Vor allem aber: „Sein tapferer Kampf Rücktrittsabsichten nicht gesprochen. brachte ihm eine Welle von Mitleid und Sympathie entgegen.“ Als am 16. Oktober die christliberale Koalition wieder gewählt Kaum verhüllt trug Kohl dem Rekonvaleszenten Schäuble an, wurde, verfügten CDU/CSU und FDP gerade noch über vier sein Nachfolger zu werden. Damit hätte der die dritte Stufe der Stimmen mehr als die Kanzlermehrheit. Kohl wirkte resigniert und Emanzipation erreicht. Nicht, dass Kohl, 1,93 Meter groß, min- müde. Arbeitsminister Norbert Blüm erinnert sich genau: „Er destens 150 Kilogramm schwer, seinen blessierten Freund hatte die Schnauze voll.“ Sollte Kohl also aufstecken und Schäuble Schäuble – knapp 1,70 Meter groß, 65 Kilo schwer und dazu noch sein Amt übergeben? Bei nur vier Stimmen über der Kanzler- im Rollstuhl – wirklich als Gleichrangigen betrachtet hätte. Ver- mehrheit? „Das Risiko, mit einer Niederlage zu enden, war ihm mutlich hat er nie daran geglaubt, dass der ihm wirklich den Rang damals zu groß“, sagte Kohl-Berater Ackermann später. Kohl streitig machen könnte. traute Schäuble nicht zu, die nötigen 337 Stimmen im zusammenzubringen. Deshalb habe Kohl den Wechsel zu Schäuble gescheut. Wie- der einmal. Die Zeichen der Entfremdung zwischen den beiden Männern wurden in der Folge- zeit unübersehbar. Schäuble gab sich fest davon überzeugt, dass die CDU die Wahl 1998 verlieren würde, sollte es zu keinem Personalwechsel während der Legislatur- periode kommen. Er versicherte jedoch, dass er nicht hinter Kohls Rücken agieren werde. Mit Kohl vereinbarte er eine Ar- beitsteilung, die ihn faktisch zum Neben- kanzler machte. Während der Chef sich seinen außenpolitischen Interessen zu- wandte, kümmerte sich Schäuble um die Innenpolitik. Ärger blieb nicht aus. Im kleinen Kreis warf Schäuble dem Kanzler vor, er ver- wässere, verzögere und verschleppe Ent- scheidungen. Er sei unschlüssig und zu nachgiebig gegenüber der FDP. Schäuble wollte Führung demonstrieren: „Wenn Kohl es treiben lässt, treiben wir es eben allein

M. DARCHINGER voran.“ Ex-Kanzler Kohl, CDU-Chef Schäuble (1998): Frust und Entfremdung Auch gegenüber dem Koalitionspartner verfolgten Kohl und Schäuble gegensätzli- Und doch hatte Kohl mit seinen unterstrichenen Roosevelt- che Wege: Anders als Kohl, der treu zu den Liberalen hielt, ver- Zitaten den Mann im Rollstuhl zum ernsthaften Rivalen hoch- suchte Schäuble, die Möglichkeit einer Großen Koalition mit der stilisiert. Der Machtkampf war entbrannt, bevor Schäuble nach SPD immer wieder ins Spiel zu bringen, um die FDP zu Zuge- Bonn zurückkehrte. Unermüdlich bedrängte der Kanzler den ständnissen zu bewegen. Kohl fand das „strategisch tölpelhaft“. geschundenen Schäuble weiter. Er solle die Politik nicht aufgeben, Er sagte: „Es gibt keine Bereitschaft für eine Große Koalition, bei weil er, der Kanzler, ihn brauche. Kohl schreckte vor keinem keinem in der Regierung. Die CDU verfügt doch über eine Min- Trick zurück: Er spielte gegenüber Schäuble sogar mit dem Ge- destausstattung an historischem Gedächtnis.“ danken, selbst aus der Politik auszusteigen. Kohl brauchte seinen Helmut Kohl, der große Europäer, fühlte sich umso unersetz- Freund als CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden. licher, je näher der nächste Wahltermin rückte. Ständig erlebe der Fürsorge? Erst Jahre später sprach Schäuble aus, was er damals Kanzler, dass europäische und andere auswärtige Partner ihn als auch empfunden hat: Druck, wenn nicht gar Nötigung. Kohl sei Ratgeber betrachteten, ließen seine Helfer wissen: „Es wirkt auf „gern der Paterfamilias“, sagte Schäuble. Gewiss, er „sorge für die sein Selbstgefühl, gebraucht zu werden und die Entwicklung in Eu- Seinen“. Das bedeute aber auch, „dass sie es alle so machen müs- ropa und der Welt beeinflussen zu können.“ sen, wie er es will“. Der Umgang zwischen den beiden Parteifreunden an der Spit- Schäuble blieb hart. Er brauche noch Zeit, sagte er. Vor allem ze ließ frösteln. Schäuble diente dem Erhalt des Systems Kohl mit aber wolle er die Kontrolle über seine Karriereplanung behalten. immer größerem Frust. Der Regierungschef kümmerte sich der- Also bat er, den Wechsel im Fraktionsvorsitz zwar vorzubereiten, weil demonstrativ um jedes Detail bei der Planung des neuen aber noch nicht zu vollziehen. Erst 13 Monate nach dem Atten- Kanzleramts in Berlin. tat, am 25. November 1991, wurde Schäuble zum Vorsitzenden der Ein seltsames Paar, diese beiden: „Schäuble war daran ge- Bundestagsfraktion gewählt. Davor amtierte er als Innenminister, wöhnt, von Kohl benutzt zu werden“, wie ein scharfer Beob- so wie er es gewollt hatte achter erkannte. „Und Kohl hat gewusst: Der kann sich nicht In Kohls Sicht begann jetzt Schäubles letzter „Härtetest“ auf von mir emanzipieren, und das nicht nur wegen einer Schwarz- dem Weg zum Kanzler. „Die Vorstellung, dieses Amt zu tragen“, spende.“ meinte Schäuble, sei „ein Alptraum, kein Traum“. Der Frak- Kohl, der alles erfühlte, war durchaus klar, was Schäuble nur tionschef Schäuble war nicht mehr in die Kabinettsdisziplin ein- engen Vertrauten verriet: „Ich kämpfe nicht für mich. Das müs- gebunden, und er nutzte die Spielräume. Kohl spürte die latente sen andere tun, wenn sie meinen, dass es nötig sei.“ Konkurrenz, sein Misstrauen wurde erkennbar. Der Bundestags- Ulrich Deupmann, Tina Hildebrandt, Jürgen Leinemann

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