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Joachim Poß SPD

Joachim Poß SPD

Plenarprotokoll 14/6

Deutscher

Stenographischer Bericht

6. Sitzung

Bonn, Freitag, den 13. November 1998

I n h a l t :

Änderung einer Ausschußüberweisung ...... 319 A Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN...... 333 C Tagesordnungspunkt 1: Dr. F.D.P...... 336 C Fortsetzung der Aussprache zurRegie- rungserklärung des Bundeskanzlers ...... 319 B Dr. PDS ...... 338 C in Verbindung mit Carl-Ludwig Thiele F.D.P...... 341 D Tagesordnungspunkt 10: CDU/CSU ...... 345 A a) Erste Beratung des von den Fraktionen Klaus Wolfgang Müller (Kiel) BÜND- SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NIS 90/DIE GRÜNEN ...... 346 D NEN eingebrachten Entwurfs eines Dr. , Staatsminister (Bayern) . 348 B Steuerentlastungsgesetzes 1999/2002 (Drucksache 14/23) ...... 319 B Carl-Ludwig Thiele F.D.P...... 350 B b) Antrag der Fraktionen SPD und Hans Georg Wagner SPD ...... 352 A BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Joachim Poß SPD ...... 353 A Zur Kindergeldauszahlung und zur Peter Harald Rauen CDU/CSU...... 354 D Erstellung der Lohnsteuertabellen 1999 (Drucksache 14/28) ...... 319 B Dr. Barbara Höll PDS...... 356 C c) Antrag der Fraktion der PDS Tagesordnungspunkt 11: Wiedererhebung der Vermögen- Beschlußempfehlung des Auswärtigen steuer (Drucksache 14/11) ...... 319 C Ausschusses zu dem Antrag der Bundes- in Verbindung mit regierung Zusatztagesordnungspunkt 3: Deutsche Beteiligung an der NATO- Luftüberwachungsoperation über dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Kosovo (Drucksachen 14/16, 14/32) ...... 357 C Höll, Dr. Christa Luft, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der PDS Hans-Ulrich Klose SPD...... 357 D Besteuerung von Luxusgegenständen Joseph Fischer, Bundesminister AA...... 358 B, 364 D (Drucksache 14/27) ...... 319 C CDU/CSU...... 360 A , Bundesminister BMF ...... 319 C , Bundesminister BMVg...... 361 C CDU/CSU ...... 326 D, 333 A Ulrich Irmer F.D.P...... 363 B Joachim Poß SPD ...... 331 A, 331 D, 336 D Heidi Lippmann-Kasten PDS ...... 364 A Dr. Hermann Otto Solms F.D.P...... 331 C Volker Rühe CDU/CSU ...... 366 A Ingrid Matthäus-Maier SPD...... 332 D, 340 D Ernot Erler SPD...... 366 D II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. , Freitag, den 13. November 1998

Dr. F.D.P...... 367 C NATO-Luftüberwachungsoperation über dem Kosovo (Tagesordnungspunkt 11)...... 373 B BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . 368 B Wolfgang Gehrcke PDS...... 369 A Anlage 3 Namentliche Abstimmung ...... 369 D Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten , , Ker- Nächste Sitzung ...... 372 A stin Müller (Köln), Gila Altmann (Aurich), Angelika Beer, (Köln), Hans- Anlage 1 Josef Fell, Klaus Wolfgang Müller, Claudia Liste der entschuldigten Abgeordneten ...... 373 A Roth (Augsburg), Christian Sterzing, Sylvia Ingeborg Voss (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Anlage 2 NEN) zur Abstimmung über die Be- schlußempfehlung des Auswärtigen Aus- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten schusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Annelie Buntenbach, Monika Knoche, Chri- Deutsche Beteiligung an der NATO- stian Simmert, Hans Christian Ströbele und Luftüberwachungsoperation über dem Koso- Irmingard Schewe-Gerigk (alle BÜND- vo (Tagesordnungspunkt 11) ...... 374 A NIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Auswärti- Anlage 4 gen Ausschusses zu dem Antrag der Bundes- regierung: Deutsche Beteiligung an der Amtliche Mitteilungen...... 375 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 319

(A) (C)

6. Sitzung

Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Beginn: 10.30 Uhr

Präsident : Meine Damen und c) Beratung des Antrags der Fraktion der PDS Herren, die Sitzung ist eröffnet. Wiedererhebung der Vermögensteuer Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, habe ich Ihnen noch folgendes mitzuteilen. In der gestrigen Sit- – Drucksache 14/11 – zung wurde der Antrag der Fraktion der PDS zum Überweisungsvorschlag: Vermögenszuordnungsgesetz auf Drucksache 14/17 Finanzausschuß (federführend) zur federführenden Beratung an den Ausschuß für An- Ausschuß für Wirtschaft und Technologie gelegenheiten der neuen Länder und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft und Technologie, an den ZP3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Bar- Rechtsausschuß und an den Haushaltsausschuß überwie- bara Höll, Dr. Christa Luft, Heidemarie Ehlert, sen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Federführung jedoch beim Rechtsausschuß liegen. Sind Sie mit dieser Änderung einverstanden? – Das ist offen- Besteuerung von Luxusgegenständen (B) (D) bar der Fall. Dann ist so beschlossen. – Drucksache 14/27 – Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf: Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß Fortsetzung der Aussprache zur Regierungserklä- rung des Bundeskanzlers Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache drei Stunden vorgesehen. – Ich höre kei- Die Themenbereiche sind jetzt Finanzen und Steuern. nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Außerdem rufe ich die Tagesordnungspunkte 10 a bis Es wird mir gerade mitgeteilt, daß das Plenum nach 10 c sowie den Zusatzpunkt 3 auf: dieser Debatte für zirka 30 Minuten wegen einer Frakti- 10. a) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD onssitzung der SPD unterbrochen werden soll. Ich bitte und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge-um Ihr Einverständnis. brachten Entwurfs eines Steuerentlastungsge- (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU], zur setzes 1999/2000/2002 SPD gewandt: Habt ihr Probleme?) – Drucksache 14/23 – Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bun- Überweisungsvorschlag: desminister der Finanzen, Oskar Lafontaine. Finanzausschuß (federführend) Ausschuß für Wirtschaft und Technologie (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das ist Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten die Abschiedsrede!) Aussschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuß für Bildung und Forschung Ausschuß für Tourismus Oskar Lafontaine, Bundesminister der Finanzen: Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! b) Beratung des Antrags der Fraktionen SPDDer Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das wichtigste Ziel der Bundesregierung deutlich ge- macht: Das ist dieBekämpfung der Arbeitslosigkeit. Zur Kindergeldauszahlung und zur Er-Ich glaube, daß alle in diesem Hause zustimmen werden, stellung der Lohnsteuertabellen 1999 wenn ich sage, daß wir, solange die Arbeitslosenzahl im – Drucksache 14/28 – Jahresdurchschnitt etwa 4 Millionen beträgt, nicht von 320 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Bundesminister Oskar Lafontaine (A) einer zufriedenstellenden Situation, nicht von einemVerstößt man gegen den Grundsatz der Steuergerechtig- (C) wohlbestellten Haus sprechen können. keit im Steuerrecht, dann ist das nicht in erster Linie eine ökonomische Frage, sondern betrifft in erster Linie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die Gesamtgesellschaft. Es geht hier um den Zusam- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der menhalt einer Gesellschaft. Der Zusammenhalt einer PDS) Gesellschaft wird gestärkt und gefestigt, wenn die Steu- Ich möchte ausdrücklich feststellen, daß wir uns auch erzahlerinnen und Steuerzahler den Eindruck haben: Es mit den Oppositionsparteien in dem Ziel einig sind, die geht in unserem Staate gerecht zu. Arbeitslosigkeit zurückzuführen. Diese Feststellung ist (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mir wichtig. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Diskussion geht also lediglich um die Frage: Welche Maßnahmen müssen ergriffen werden, um die Deshalb haben die Meinungsforschungsinstitute ins- Arbeitslosigkeit zurückzuführen? Eine der Maßnahmen, gesamt von der Gerechtigkeitslücke gesprochen, und die wir ergreifen wollen, ist eineVeränderung des diese hat die Diskussion im Vorfeld der Bundestags- Steuerrechts. Ich möchte aber zu Beginn darauf hin-wahlen bestimmt. Sie haben festgestellt, daß es Auftrag weisen, daß ich nicht der Auffassung bin, daß man allein der Wählerinnen und Wähler war, diese Gerechtigkeits- oder auch nur in erster Linie mit dem Steuerrecht dielücke zu schließen. Die Regierung Schröder nimmt diese Aufgabe bewältigen kann, die Arbeitslosigkeit zurück- Aufgabe an und setzt sie jetzt in die Tat um. zuführen. Das kann man auch nicht ausschließlich mit (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Maßnahmen zur Senkung der Lohnnebenkosten. Viel- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) mehr braucht man, wenn man die Arbeitslosigkeit zu- rückführen will, ein ganzes Bündel von Maßnahmen, die Unsere Steuerrechtsvorschläge zielen darauf ab, die aufeinander abgestimmt sein müssen. Eine dieser Maß- große Mehrheit der Bevölkerung zu entlasten. Es ist kei- nahmen ist die Reform des Steuerrechts. ne Aussage, die nur aus dem Dialog der Parteien ent- standen ist, wenn wir feststellen, daß die Arbeitnehme- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten rinnen und Arbeitnehmer in den letzten Jahren überpro- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) portional belastet worden sind, während andere Gruppen Ich sage das deshalb, weil – sicherlich aus Überzeu- unserer Bevölkerung überproportional entlastet worden gung – von Vertretern der jetzigen Oppositionsparteien sind. Das gilt nach der Statistik insbesondere für die im Bundestagswahlkampf immer wieder geäußert wur- Belastung der Arbeitnehmerschaft im Verhältnis zu de, das Steuerrecht sei der Schlüssel zur BekämpfungBeamten, zu Selbständigen, zu Unternehmern und ande- der Arbeitslosigkeit. Ich werde nachher noch im einzel- ren Gruppen der Bevölkerung. Deshalb war es notwen- (B) (D) nen darauf eingehen. dig, gezielt die Arbeitnehmerschaft und die Familien zu entlasten. Wir sind der Auffassung, daß das Steuerrecht eine wichtige Rolle spielt. Aber wir würden das Steuerrecht (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS insbesondere angesichts der Tatsache, daß wir in90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Heidemarie Deutschland die niedrigste Steuerquote in Europa haben, Ehlert [PDS]) überfordern, wenn wir glaubten, das Steuerrecht bieteDiesem politischen Anliegen trägt dieser Gesetzentwurf die Möglichkeit, ganz entscheidende Impulse zu geben, Rechnung. mit denen die Arbeitslosigkeit zurückgeführt werden kann. Dieser Gesetzentwurf unterscheidet sich an einer wichtigen Stelle von den üblichen Verhaltensweisen von Die unterschiedlichen Steuerkonzepte standen bei der Regierungen – nicht nur in Deutschland, sondern in Bundestagswahl zur Diskussion. Die ehemaligen Regie- vielen Staaten der Welt. Häufig sind vor den Wahlen rungsparteien haben ebenso für ihre Konzepte geworben, Steuersenkungen versprochen worden, während nach wie SPD und Grüne für die ihren geworben haben; die den Wahlen die Steuern erhöht wurden. Konzepte unterscheiden sich deutlich voneinander. Inso- fern kann man wirklich davon sprechen – da die Steuer- ( [CDU/CSU]: Bei Ihnen politik ein Hauptthema der Bundestagswahl war –, daß auch!) die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler die Steuerkon- zeption befürwortet und gutgeheißen hat, die wir IhnenEine solche Vorgehensweise bevorzugte auch die alte jetzt in Form eines Gesetzentwurfes vorstellen. Koalition. Nicht zuletzt deshalb haben Sie in der Bevöl- kerung soviel Vertrauen verloren. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS Unsere Steuerpolitik hat einen Ansatz, von dem wir 90/DIE GRÜNEN) glauben, daß er in den letzten Jahren viel zuwenig be- achtet worden ist, nämlich den Ansatz, daß das Steuer- Wir setzen mit diesem Steuerreformentwurf genau das recht auch Steuergerechtigkeit herstellen muß, um von um, was wir den Wählerinnen und Wählern vor der der großen Mehrheit der Bevölkerung angenommen zu Wahl versprochen haben. Das ist, so glaube ich, tatsäch- werden. lich ein Neuanfang der Politik in Deutschland. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS GRÜNEN und der PDS) 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 321

Bundesminister Oskar Lafontaine (A) Diese Steuerreform ist arbeitnehmerfreundlich, sie ist dige Schwächung der Nachfrage zum Verlust von Ar-(C) aber auch familienfreundlich. Ich habe kein Verständ- beitsplätzen führt. nis dafür gehabt, daß im Vorfeld der Auseinander- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten setzungen immer wieder, auch von Industrieverbänden, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der behauptet wurde – von der Sache her im übrigen fälsch- PDS) licherweise –, die Erhöhung des Kindergeldes schaffe keinen einzigen Arbeitsplatz. Der ökonomische Zu- Ihr Vorwurf der Umverteilung trifft uns mitten ins sammenhang ist die eine Sache – klar ist, daß die Fami- Herz. Sie haben recht: Ihre Umverteilung haben wir lien, die auf jede Mark angewiesen sind, diese auch aus- rückgängig gemacht. Die Umverteilung von unten nach geben, und somit wird sie in Nachfrage umgesetzt –, oben ist gestoppt. Jetzt wird der großen Mehrheit des Volkes gegeben. Das ist unser Wählerauftrag; und genau (Beifall bei Abgeordneten der SPD) den setzen wir um. aber uns geht es um etwas anderes: Es genügt nicht, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten immer nur die Bedeutung der Familie zu beschwören; des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wir müssen auch die materiellen Grundlagen dafür schaffen, daß die Familien in unserem Staate gefördert Bei der sogenanntenGegenfinanzierung, meine werden. Damen und Herren, sind natürlich auch die Vertei- lungswirkungen und die ökonomischen Auswirkungen (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE zu beachten. Wir haben Ihrem Steuerkonzept widerspro- GRÜNEN und der PDS) chen, weil es einen systematischen Fehler hatte; daß Entlastungswirkungen zwar immer wieder angepriesen Deshalb haben wir kein Verständnis dafür, daß die Op- worden sind, aber zuwenig darauf geachtet wurde, was positionsparteien so hartnäckig Widerstand gegen die die Entlastung für den einzelnen bedeutet. Verbesserung der Stellung der Familien im Steuerrecht Es hat keinen Sinn, von Steuerentlastungen zu reden, ( [CDU/CSU]: Kappung des wenn dabei – wie das in der Debatte immer wieder ge- Ehegattensplittings!) schehen ist – die Begriffe völlig durcheinandergemengt und die Erhöhung des Kindergeldes geleistet haben. werden. Steuerentlastung für die Gesamtheit, also Net- toentlastung, sagt zunächst noch gar nichts darüber aus, (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sehr wahr!) wer der Nutznießer und wer der Benachteiligte einer solchen Entlastung ist. Wir haben das durchgerechnet. Ich bin der Auffassung: Es wäre auch in Ihrem Interesse, Im Gegensatz zu Ihrem Steuerkonzept werden bei uns diese Haltung zu korrigieren. Es ist nicht übertrieben, die Leistungsträger der aktiven Arbeitnehmerschaft wenn die Familienverbände und die Kirchen feststellen, (B) nicht belastet, sondern entlastet. Das ist der Unterschied (D) daß die Familien auch im Steuerrecht in den letzten Jah- zwischen Ihrem und unserem Konzept. ren zu schlecht gestellt worden sind. Deshalb wollen wir das korrigieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS PDS) 90/DIE GRÜNEN) Sie haben – das ist ja nicht zu bestreiten – mit steuer- Im Zusammenhang mit einer Steuerreform, die ar-systematischen Gründen dafür geworben, die Schichtar- beitnehmerfreundlich und familienfreundlich ist, wird beiter zu besteuern. Sie haben – das ist ja nicht zu be- von Ihrer Seite, meine Damen und Herren, immer derstreiten – mit steuersystematischen Gründen dafür ge- Vorwurf der Umverteilung erhoben. Dies ist ein ganz worben, die Kilometerpauschale drastisch zu reduzieren. und gar spaßiger Vorwurf, und zwar deshalb, weil das Sie haben – das ist ja nicht zu bestreiten – auch dafür Steuerrecht stets – in welcher Form auch immer – einegeworben – von der Steuerwissenschaft, wie ich meine, Umverteilung darstellt. Die Frage ist nur, wem gegeben falsch beraten –, den Arbeitnehmerpauschbetrag deut- und wem genommen wird, wer der Nutznießer und wer lich zu reduzieren. Aber Sie haben versäumt, durchzu- der Benachteiligte der Umverteilung ist. rechnen, was dies im einzelnen heißt. Dies korrigiert die (Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Bundesregierung. Die Facharbeiter, die Krankenschwe- Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE stern, die Fernfahrer, die Busfahrer, sie dürfen nicht die GRÜNEN) Verlierer einer Steuerreform sein; sie sind bei uns die Gewinner der Steuerreform. Wenn also die einen Umverteiler die anderen Um- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten verteiler Umverteiler nennen, dann mag das zwar ganz des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der spaßig sein; aber hier wird auch der Unterschied deut- PDS) lich: Man kann von unten nach oben umverteilen in dem Glauben, daß damit die Wachstumskräfte und die Inve- Natürlich, meine Damen und Herren, würden wir stitionskräfte gestärkt würden; man kann aber auch für gern auch bei der Nettoentlastung noch größere Schritte mehr Steuergerechtigkeit sorgen und Ungerechtigkeiten machen. Obwohl sich die Vorurteile hartnäckig halten, abbauen im Hinblick darauf, daß wir in der Wirtschafts- obwohl viele meinen, Deutschland sei ein Hochsteuer- politik zwei Augen haben müssen, Angebot und Nach- land, sind die Tatsachen ganz, ganz andere. Tatsache ist, frage, und unter Beachtung der Tatsache, daß eine stän- daß wir die niedrigste Steuerquote in der Europäischen 322 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Bundesminister Oskar Lafontaine (A) Gemeinschaft haben. Wer in einer solchen Situationschrittweise in dem Maße senken, in dem der Staat(C) sagt, wir müßten die Steuerquote noch weiter zurückfüh- Mehreinnahmen hat. ren, der ist damit auch für schlechtere Schulen, schlech- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS tere Forschung, schlechtere Straßen, schlechtere Ausbil- 90/DIE GRÜNEN) dung, schlechtere Krankenhäuser, schlechtere Kinder- gärten usw. Man darf den Leuten doch nicht Dinge er- Im übrigen haben wir 70Subventionstatbestände in zählen, die nicht zusammenpassen! den Gesetzentwurf geschrieben. Selbstverständlich kann an diesen Listen einiges geändert werden. Die Bundes- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) regierung hätte ein ganz falsches Verständnis von par- Wer für ein weiteres Absenken der Steuerquote plä- lamentarischer Beratung, wenn wir der Auffassung wä- diert, plädiert auch für ein deutliches Zurückfahren der ren: Wir bringen ein solch umfangreiches Gesetz in die öffentlichen Infrastrukturleistungen. Das muß einmalAusschüsse ein, und es kommt genauso aus den Aus- gesagt werden, um die Debatte wieder auf eine rationale schüssen, wie es in die Ausschüsse hineingegangen ist. Grundlage zu stellen. Es gibt eine ganze Reihe von sachbezogenen Argumen- ten, bei denen wir nicht sicher sind, ob sie nicht eine (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Überprüfung bestimmter Streichtatbestände erfordern. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) Aber eines möchte ich für die Bundesregierung sa- gen: Das Gesamtkonzept muß insoweit durchgehalten Wenn ich höre, meine Damen und Herren, wie vor- werden, als nicht in unvertretbarem Ausmaße Einnah- bildlich die Holländer sind, wie vorbildlich die Dänen meausfälle beschlossen werden. Denn es ist klar: Steuer- sind, dann bin ich manchmal versucht, in Deutschland senkungen will jeder, aber bei der Gegenfinanzierung die Steuer- und Abgabenquote Hollands oder Däne-sind dann viele zurückhaltend und zögerlich. marks einzuführen. Dann möchte ich das Geschrei der- jenigen hören, die Holland und Dänemark immer als (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des große Vorbilder in der Europäischen Gemeinschaft dar- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) stellen. Insoweit glauben wir, eine in sich ausgewogene Vor- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS lage gemacht zu haben, die wir immer auch – das sage 90/DIE GRÜNEN) ich auch bei allen anderen Maßnahmen, die ich anspre- che – im Hinblick auf dieEuropäische Gemeinschaft Natürlich entlasten wir nicht nur Arbeitnehmer und sehen müssen. Das ist vielleicht noch zuwenig bedacht Familien. Vielmehr greifen wir Vorschläge der Wirt-worden. Aber wir müssen uns angewöhnen, fast alle schaftsverbände auf, die darauf abzielten, die nominalen Vorlagen, die wir zu Steuer-, Sozial- und ähnlichen Ge- (B) (D) Steuersätze der Wirtschaft zu senken, sie aber gegenzu- setzen machen, immer auch auf die Vereinbarkeit mit finanzieren durch eine Verbreiterung derBemessungs- den Zielsetzungen der Europäischen Gemeinschaft hin grundlage. Darüber diskutieren wir jetzt viele Jahre.durchzuchecken. Denn die Europapolitik wird mehr und Interessanterweise haben eine Reihe von Vorschlägenmehr zur Innenpolitik, und das verlangt eine schrittweise zur Verbreiterung der Bemessungsgrundlage, die insbe- Harmonisierung der jeweiligen Vorschriften in den ein- sondere in Nordrhein-Westfalen entwickelt worden sind, zelnen Ländern. auch in das Steuerkonzept der ehemaligen Regierung Eingang gefunden. Daran ist nichts Verwerfliches. (Beifall bei der SPD) Wenn wir da einer Auffassung sind, ist das in Ordnung. Hier genau ergibt sich auch die Verbindung zu den Nur besteht hier ein Konflikt, den man mit den Wirt- Lohnnebenkosten. Auch bei den Lohnnebenkosten ha- schaftsverbänden austragen muß. Die Wirtschaftsver-ben wir ein anderes Konzept als Sie. Im ersten Punkt des bände wollen nämlich in einem falschen VerständnisKonzeptes stimmen wir sicherlich überein. Dieser lautet: von Lobbyismus die Öffentlichkeit glauben machen,Die Lohnnebenkosten sind zu hoch; sie müssen auch man könnte amerikanische Steuersätze und deutschedurch strukturelle Reformen gesenkt werden. Ich möchte Abschreibungsmöglichkeiten haben. Das geht nicht. Das hier ganz klar sagen – der Bundeskanzler hat es in seiner ist unehrlich. Deshalb bitten wir hier um etwas mehrRegierungserklärung angesprochen –: Wer bei der Höhe Wahrhaftigkeit. der Lohnnebenkosten glaubt, man komme ohne struktu- relle Reformen aus, der macht einen Fehler. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall des Abg. Volker Kröning [SPD]) Meine Damen und Herren, es ist immer wieder kriti- Worüber wir wieder streiten müssen, ist, wie das im siert worden, daß wir dieSteuersätze erst schrittweise einzelnen aussehen soll. Das hatte ich hier an Hand der senken. Aber das ergibt sich aus der Systematik: Wenn Rentenformel erläutert. Ich will es wiederholen, damit wir Steuersubventionen abbauen, dann bauen sich dieman mir nicht den Vorwurf macht: Der redet nur so all- Mehreinnahmen des Staates erst langsam auf. Wenn wir, gemein daher. Wir haben bei der Rentenformel kritisiert, wie wir überall lesen, bei der niedrigsten Steuerquote in daß die Kürzungen über den gesamten Rententarif vor- Europa – ich wiederhole das – Haushaltsprobleme ha-genommen worden sind. Dann wurden wir mitten im ben, wäre es fahrlässig und nicht verantwortbar, Steuer- Wahlkampf mit der jetzt vielleicht schon wieder ver- senkungen weiterhin auf Pump zu finanzieren. Deshalb gessenen Tatsache konfrontiert, daß die Unionsparteien mußten wir diesen Weg gehen und die Steuersätzeinsbesondere vor der bayerischen Landtagswahl die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 323

Bundesminister Oskar Lafontaine (A) Rentenkürzung für die Rentnerinnen und Rentnerrung gewählt werden, um jetzt diese Reform in Angriff(C) mit mindestens 45 Versicherungsjahren zurücknehmenzu nehmen. wollten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS Das macht nun im Rahmen von Reformvorstellungen 90/DIE GRÜNEN) gar keinen Sinn, nämlich daß die höheren Renten von Auch bei den Lohnnebenkosten und der Energiever- Kürzungen ausgenommen werden und die kleinsten brauchsbesteuerung möchten wir auf die Notwendigkeit Renten gekürzt werden. Solche Wege können wir nicht der europäischen Harmonisierung hinweisen. Es ist gehen. Deshalb mußten wir hier Ihre sogenannte Reform schlicht und einfach eine Tatsache, daß wir auch bei zurücknehmen, dem Vergleich unserer Steuern und Abgaben mit ande- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS ren immer wieder die europäischen Nachbarn im Auge 90/DIE GRÜNEN) haben müssen und daß wir bei der Harmonisierung ei- nen Bedarf haben. Hier ergibt sich insgesamt eine große zumal Sie selbst – das möchte ich bei der öffentlichenAufgabe für die Europäische Gemeinschaft, die heute Diskussion der Redlichkeit halber sagen – Ihre soge-angesprochen werden muß. Der Steuerwettbewerb, wir nannte Reform zurücknehmen wollten, allerdings an der sagen: Steuersenkungswettlauf zwischen den einzelnen falschen Stelle. europäischen Mitgliedstaaten, ergänzt um die soge- Bei der Senkung der Lohnnebenkosten wollen wirnannten Steueroasen, hat zu einem nicht haltbaren Zu- einem weiteren Prinzip unserer Regierungsarbeit Rech- stand der Ungerechtigkeit innerhalb der Europäischen nung tragen; das ist das Prinzip der Gerechtigkeit. Die- Gemeinschaft geführt. Man kann es nicht oft genug sa- ses gilt auch für das Steuerrecht. Was meine ich da-gen: Während sich diejenigen, die Geld, hohe Einkom- mit? Auf Grund der Struktur der Zusammensetzung der men und Gewinne haben, durch Wohnsitzverlagerung, Sozialversicherungsbeiträge nimmt derjenige, der dieKontoverlagerung, Firmensitzverlagerung oder Gewinn- Sozialkassen über Gebühr in Anspruch nimmt, auchverlagerung der nationalen Besteuerung entziehen Umverteilungseffekte in Kauf. Er belastet nämlich über konnten und noch immer können, mußten die Arbeit- Gebühr den Teil der Arbeitnehmerschaft, der nehmer die in ganz Europa immer höhere Lohnsteuern, Hauptlast der Sozialversicherungsbeiträge trägt. Insofern Verbrauchsteuern und Sozialabgaben zahlen. Das müs- war es ein Fehler von Ihnen, zurFinanzierung der sen wir ändern, um Gerechtigkeit auch auf europäischer deutschen Einheit nicht in erster Linie die Steuer, son- Ebene herzustellen. dern die Sozialabgaben heranzuziehen. Das war eine (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten falsche Umverteilung, die wir schrittweise korrigieren des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der müssen. PDS) (B) (D) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Im übrigen sind uns bei der Verwirklichung dieses des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Prinzips andere Staaten vorangegangen, Staaten, die Das Gerechtigkeitsempfinden unseres Volkes besagt, – ich nenne Holland und Dänemark als Beispiele; ich daß die Finanzierung des Aufbaus Ost nicht in erstererwähne auch den extrem hohen Benzinpreis in Groß- Linie eine Aufgabe desjenigen Teils der Bevölkerungbritannien – uns immer wieder als Vorbilder hingestellt ist, der Sozialversicherungsbeiträge zahlt, natürlich er- wurden. Diese Staaten sind bei der Veränderung der gänzt um die Beiträge der Unternehmerschaft; vielmehr Steuer- und Abgabenstruktur in bezug auf Lohnneben- ist dies eine Aufgabe der Allgemeinheit, also aller Steu- kosten und die Belastung durch Energieverbrauchsteu- erzahlerinnen und Steuerzahler in Deutschland, nachern vorangeschritten. Insofern sehen wir eine Maßnahme dem Prinzip der Leistungsfähigkeit. Deshalb war diesvor, die sich sehr wohl in den Kontext der europäischen eine Fehlentscheidung, die Sie getroffen haben, derenZusammenarbeit einbetten läßt. Ursache und Entstehen wir verfolgen konnten. IchNeben der Steuerpolitik und der Politik bei den Sozi- wollte das hier noch einmal anmerken. alversicherungsausgaben ist natürlich auch dieHaus- haltspolitik stets heranzuziehen, wenn wir über die Be- Neben der Gerechtigkeit haben wir bei der Senkung kämpfung der Arbeitslosigkeit reden. Nur, meine Da- der Lohnnebenkosten noch ein anderes Ziel im Auge, men und Herren, es ist mittlerweile unstreitig in ganz das darin besteht, Arbeit und Umwelt miteinander zu Europa, daß auf Grund des hohen Schuldenaufbaus der versöhnen. Es ist in der ganzen Europäischen Gemein- letzten Jahre – das gilt nicht nur für Europa, das gilt schaft nicht mehr streitig, daß es richtig ist, die Besteue- auch für die großen Industrienationen außerhalb Europas rung der Arbeitsplätze zurückzuführen und die Besteue- – die Möglichkeiten der Haushaltspolitik, die Arbeitslo- rung des Umweltverbrauchs schrittweise und maßvoll zu sigkeit zu bekämpfen, immer mehr reduziert worden erhöhen. Deshalb sehen wir diese beiden Reformvor- sind. stellungen im Zusammenhang. Sie dienen der Gerech- tigkeit. Sie entlasten die Arbeit, und sie dienen auch län- Auch hierzu noch einmal etwas zur Debatte der letz- gerfristig bei der Neuordnung des Abgabenrechts dem ten Tage. Es mag ja sein, daß der eine oder andere die Umweltschutz. Insofern handelt es sich um eine wirkli- gegenwärtige Haushaltssituation als außerordentlich be- che Reform, die wir auf den Weg bringen mußten, von friedigend ansieht. Darüber will ich mich gar nicht der wir wußten, daß viele von Ihnen hier ähnliche Vor- streiten. Nur, eine Kennziffer jeden Haushalts ist die haben umsetzen wollten, aber Sie konnten sich nichtZins-Steuer-Quote. Bei einer Zins-Steuer-Quote von 26 darauf verständigen. Deshalb mußte eine neue Regie-Prozent sind wir der Auffassung, daß der Haushalt im 324 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Bundesminister Oskar Lafontaine (A) Ungleichgewicht ist und daß die Spielräume der Haus- rungsstrukturen und die Möglichkeiten der Haushalts-(C) haltspolitik so gering sind, wie sie in der Bundesrepublik politik zwar gegeben, aber begrenzt sind? Es wäre fahr- Deutschland noch nie waren. Das ist doch eine Tatsache. lässig, zu sagen, allein wegen des Vorhandenseins der Möglichkeiten könnte ein deutlicher und dramatischer (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS Abbau der Arbeitslosigkeit eingeleitet werden. 90/DIE GRÜNEN) Wenn man sich solche Fragen stellt, dann blickt man Ich wurde in früheren Jahren – wenn Sie mir dieseeben auch über den Zaun zu anderen Ländern. Ich hatte Reminiszenz gestatten – immer mit dem Einwurfvorhin gesagt: Wer das Heil in der Steuerpolitik sucht, „Saarland“ konfrontiert. Das Erbe, das ich dort angetre- der muß schlicht und einfach von der Sache her beant- ten hatte, war noch relativ gemäßigt, weil die Zins-worten, warum in früheren Jahrzehnten bei höheren Steuer-Quote nur bei 19 Prozent lag. Es ist leider nicht Grenzsteuersätzen, etwa bei der privaten Einkommen- gelungen, sie deutlich zu senken – sie liegt jetzt bei 21 steuer, und bei einer höheren Besteuerung der Unter- Prozent. nehmen gleichwohl ein größeres Wachstum und ein (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) stärkerer Abbau der Arbeitslosigkeit oder gar ein Auf- wuchs der Beschäftigung vorzufinden waren. Dieser Aber Ihr Marsch bei der Zins-Steuer-Quote von 12Sachfrage muß er sich zunächst einmal stellen. Prozent auf 26 Prozent ist beachtlich und sollte keine Selbstzufriedenheit in Ihren Reihen hervorrufen. Bei den Lohnnebenkosten ist es ohne Zweifel so, daß sie auf Grund der Entscheidungen im Zusammenhang (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS mit der Vereinigung ein Rekordniveau erreicht haben. 90/DIE GRÜNEN) Dies ist eine strukturelle Fehlentwicklung, insbesondere Die Haushaltspolitik hat also keine großen Spielräume. im Hinblick auf die personalintensiven Betriebe im Ein- zelhandel, im Mittelstand und im Handwerk. Aber eines wollen wir im Bundeshaushalt wirklich wieder einführen, nämlich daß wir uns darum bemühen, Bei der Haushaltspolitik sind die Spielräume nicht auch dem Prinzip der Haushaltswahrheit und der mehr vorhanden. Das muß man in aller Klarheit sagen. Haushaltsklarheit wieder zum Durchbruch zu verhel- Also: Wo und wie kann angesetzt werden, um wieder fen; denn dieser Wust von Schatten- und Nebenhaus-zu mehr Beschäftigung zu gelangen? halten führt doch dazu, daß die wahre Verschuldung in Deutschland überhaupt nicht mehr bekannt ist. Wenn wir beispielsweise auf dieVereinigten Staa- ten blicken, dann sehen wir, daß dort eine selbstver- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS ständliche Diskussion im Gange ist, von der ich mir 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten wünschen würde, daß sie auch in Deutschland in dersel- (B) (D) der PDS) ben Sachbezogenheit und Unaufgeregtheit in Gang Immer wieder geistern unterschiedlichste Zahlen über kommen könnte. Es handelt sich um eine Diskussion die Verschuldung, die Zins-Steuer-Quote und anderedarüber, was die Fiskalpolitik, also die Haushalts- und Meßziffern des Haushaltes durch die Gegend, weil im Steuerpolitik, was die Lohn – und Einkommenspolitik Haushaltsbuch nicht mehr das steht, was eigentlich inund was die Geldpolitik – vielleicht koordiniert – tun das Haushaltsbuch hineingehört, nämlich die gesamtekönnen, um Wachstum und Beschäftigung zu erreichen Last der Schulden, die gesamte Last der Ausgaben und und die Arbeitslosigkeit langsam abzubauen. natürlich auch das gesamte Bündel der Einnahmen. Ich möchte Sie mit einem Zitat konfrontieren, um Wenn wir darüber streiten, ob denn die Strukturenauch hier einmal etwas von der Debatte, die in anderen des Haushaltes so, wie Sie ihn übergeben, in OrdnungLändern stattfindet, einzuführen. Im Hinblick auf das seien, dann ist ein ganz einfacher Sachverhalt BeweisZusammenwirken von Haushaltspolitik und Geldpolitik dafür, daß sie eben nicht in Ordnung sind: Sie habenhat mein französischer Kollege Dominique Strauss- sowohl im Haushalt 1998 als auch im Haushalt 1999Kahn kürzlich in einem Vortrag gesagt: Veräußerungen von Bundesvermögen in einer Grö- Wir stehen doch vor verschiedenen Konzepten, ßenordnung von über 20 Milliarden DM angesetzt. Das entweder das Konzept Reagan/Volcker oder Clin- ist genau das strukturelle Defizit, das wir festgestellt ha- ton/Greenspan, was das Zusammenwirken von ben; denn das Tafelsilber steht nicht grenzenlos zur Ver- Haushaltspolitik und Geldpolitik angeht. fügung. Was soll also die Diskussion? Bleiben wir doch bei den Tatsachen. Diese Defizite sind schlicht und ein- Er hat sich dafür ausgesprochen, daß wir in Zukunft ver- fach vorhanden. suchen sollten, eher dem Konzept Clinton/Greenspan zu folgen als dem Konzept Reagan/Volcker. Was ist damit (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gemeint? Damit ist gemeint, daß der Irrglaube, es sei des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nicht notwendig, die Haushaltspolitik und die Geldpoli- Mittlerweile wird dies nicht nur in Deutschland sotik zu koordinieren, zu erheblichen Beschäftigungsver- gesehen, sondern in ganz Europa. Diese Erkenntnislusten führt. führte zu der Frage, die auch in der letzten Zeit die Ge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) müter beschäftigt hat: Welche Politik kann zur schritt- weisen Zurückführung der Arbeitslosigkeit gemachtDieser Irrglaube hat nicht nur in Amerika dazu geführt, werden, wenn die Möglichkeiten der Steuerpolitik, die sondern auch in Deutschland, wie ich gleich ausführen Möglichkeiten der Neuordnung der Sozialversiche-werde. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 325

Bundesminister Oskar Lafontaine (A) Reagan hat eineexpansive Haushaltspolitik mit sich schon, daß es daneben weitere Ziele der Geldpolitik (C) großer Staatsverschuldung betrieben. Die Geldpolitikgeben muß. Genau darüber diskutiert man in Amerika konnte darauf nur mit Zinsen im zweistelligen Bereich und in Gesamteuropa. Die Antwort, die die Mehrheit reagieren. Eine solche Konstellation ist auf Grund der mittlerweile gibt, ist einfach: In dem Maße, in dem die Haushaltsentwicklung nicht machbar. Sie ist auch garPreisstabilität gewahrt bleibt und gesichert ist – ich nen- nicht wünschenswert, weil ein solches Bremsen derne einmal die deutschen Zahlen: jetzt beträgt die Inflati- Geldpolitik längerfristig zu Beschäftigungsverlustenonsrate 0,7 Prozent; die Bundesbank sagt: davon sind führen muß, wie sie Anfang der 90er Jahre in den Verei- 0,75 auf Grund von Qualitätssteigerungen überzeichnet; nigten Staaten zu verzeichnen waren. Auf der anderen demnach hätten wir, wenn man das so rechnet, ein Mi- Seite besteht jetzt in Amerika eine Situation, in dernus von 0,05 –, ist die Geldpolitik gehalten, Wachstum Haushaltspolitik – in den USA gibt es sogar leichteund Beschäftigung zu unterstützen. Das kann man für Überschüsse – und Geldpolitik so aufeinander abge-richtig oder falsch halten; es ist unsere Auffassung. stimmt sind, daß, abgesehen von der Rezession zu Be- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS ginn der 90er Jahre, ein langsames und schrittweises 90/DIE GRÜNEN – Ingrid Matthäus-Maier Wachstum mit ständig zunehmenden Beschäftigungser- [SPD]: Das steht auch im Vertrag!) folgen stattgefunden hat. Was hindert uns eigentlich daran, in der Zukunft eine ähnliche Abstimmung, und – Das steht wörtlich auch im Vertrag, Frau Kollegin zwar nicht mehr auf nationalstaatlicher Ebene – das geht Matthäus-Maier, das ist richtig. In der jetzigen Situation jetzt nämlich nicht mehr –, sondern auf europäischerstellt sich die Frage: Was kann die Geldpolitik tun? Ebene, zu versuchen? Ich möchte noch einen Irrtum ansprechen. Meine (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Damen und Herren, es hat keinen Sinn mehr, sich in die- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der sen drei, vier Wochen noch über die deutsche Geldpoli- PDS) tik zu streiten. In diesem Zusammenhang möchte ich ein paar Be- (Widerspruch bei der F.D.P.) merkungen zur Geldpolitik machen, wobei ich wirklich – Sie müssen zuhören und nachlesen. Ich sage Ihnen darum bitten möchte, mich wörtlich zu zitieren und nicht noch einmal: Wenn Sie nicht in der Lage sind, wörtlich irgendwelche Dinge in die Welt zu setzen, die von der zu zitieren, zuzuhören und nachzulesen, dann laufen Sie Sache her nicht gedeckt sind. Gefahr, irgendwelche Märchen in die Welt zu setzen, Erstens. Niemand stellt die Unabhängigkeit der Geld- weil Sie die Zusammenhänge nicht verstanden haben. politik in Frage. Das liegt dann aber an Ihnen; es tut mir leid. (B) (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS (D) 90/DIE GRÜNEN – Dr. – Es kann sein, daß Sie nicht lesen oder nicht zuhören; [CDU/CSU]: Das ist die Arroganz eines das ist dann Ihre Sache. Oberlehrers!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deshalb ist die Frage, ob wir jetzt in Europa Spiel- Ich muß Ihnen noch einmal sagen: Niemand stellt die räume haben, um über die Geldpolitik die Beschäftigung Unabhängigkeit der Geldpolitik in Frage. Die Unab- und das Wachstum zu unterstützen. Diese Frage wird in hängigkeit der Geldpolitik hat einen einfachen Grund, Gesamteuropa beantwortet, und zwar auch ohne die De- der in den Schwächen all derjenigen liegt, die hier batte – hier. Acht europäische Banken sind dabei, die rechts und links – jetzt zuhören. Wenn die Unabhängig- Geldmarktzinsen Schritt für Schritt zurückzunehmen. keit der Geldpolitik nicht gegeben wäre und die Politik (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Weil sie über die Geldpolitik zu entscheiden hätte, dann bestünde höher liegen!) vor Wahlen immer die Gefahr, daß sachgemäße Ent- scheidungen im Interesse des Hauptziels der Geldpolitik, – Ja, sie liegen höher; ich will das ja gerne aufgreifen. der Wahrung der Preisstabilität, nicht getroffen würden; Aber daß es mittlerweile zu einer Veränderung der ge- deshalb ist es richtig, die Geldpolitik einer unabhängi- samteuropäischen Geldpolitik gekommen ist, können gen Instanz zu übertragen und dem politischen Zugriff Sie daran erkennen, daß es ursprünglich einmal hieß – zu entziehen. Daran gibt es keinen Zweifel. das können Sie überall nachlesen –, daß sich die Geld- politik, was die Geldmarktzinsen angeht, schrittweise (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten einem höheren Niveau als dem deutschen annähern des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der müsse. Ursprünglich war einmal ein Ziel von 5 Prozent CDU/CSU) in der Diskussion. Dann kam ein Ziel von 4 Prozent in Wenn wir darin einig sind, dann ist das in Ordnung. die Diskussion. Dann kam vor vielen Monaten die Ent- scheidung, den Repro-Satz um 0,3 Prozent anzuheben. Kein Zweifel besteht auch daran, daß das vorrangige Mittlerweile ist die Preisstabilität so stark, daß man ins- Ziel der Geldpolitik – so heißt es überall in Amerika und gesamt eine Annäherung nach unten vertreten kann. Ge- in Europa – diePreisstabilität ist, weil alle ökonomi- nau das ist doch gewollt: daß bei Wahrung der Preissta- schen Untersuchungen der letzten Jahrzehnte gezeigtbilität sinkende Geldmarktzinsen in Europa günstigere haben, daß ohne Einhaltung des Ziels der Preisstabilität Bedingungen für Wachstum und Beschäftigung schaf- Wachstum und Beschäftigung nicht in Gang kommenfen. Meine Damen und Herren, es war an der Zeit, dies können. Aber aus dem Begriff „vorrangiges Ziel“ ergibt hier noch einmal klarzustellen. 326 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

(A) Präsident Wolfgang Thierse: Herr Minister La- genhalten. Dieses unabgestimmte Vorgehen, aus dem(C) fontaine, ich muß Sie darauf hinweisen, daß die für Sie Sie offensichtlich immer noch nichts gelernt haben, hat vereinbarte Redezeit schon überschritten ist. Das weitere dann zu einem deutlichen Wiederanstieg der Arbeitslo- geht auf das Konto der SPD-Fraktion. sigkeit geführt. Ich bitte Sie, einmal über diese Zusam- menhänge nachzudenken und dann vielleicht auch zu (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: So ist es den entsprechenden Schlußfolgerungen zu kommen. richtig! Auf deren Konto wird noch viel ge- hen!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU) Oskar Lafontaine, Bundesminister der Finanzen: Vielen Dank, Herr Präsident. Die Fraktion hat mir in ih- Meine Damen und Herren, ich bitte um Entschuldi- rer Großzügigkeit freigestellt, ruhig zwei, drei Minuten gung, daß ich die Redezeit etwas überzogen habe. länger zu sprechen. ( [CDU/CSU]: Es wurde (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Die wird nicht besser!) das noch bereuen!) – Das überlassen wir immer den Wählerinnen und Ich bin jetzt bei der vierten Minute und werde versuchen Wählern, verehrter Herr, und da haben Sie in letzter Zeit alsbald zum Ende zu kommen. ein bißchen schlecht ausgesehen. (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das ist (Beifall bei der SPD) doch seine Abschiedsrede! Laßt ihn doch noch Wir stellen fest, daß die Wählerinnen und Wähler uns zehn Minuten reden!) den Auftrag gegeben haben, die Wirtschafts- und Fi- Meine Damen und Herren, das Entscheidende ist, daß nanzpolitik zu ändern. wir Fehler der 70er und 80er Jahre und auch Fehler, die (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Nein!) zu Beginn der 90er Jahre gemacht wurden, nicht wie- derholen. Hier wurde beispielsweise von Herrn Wiss-Sie haben uns den Auftrag gegeben, die Steuerpolitik zu mann – ich sehe ihn im Moment nicht – gesagt, wir sei- ändern. Sie haben uns den Auftrag gegeben, die Lohn- en jetzt dabei, die alten Hüte der 70er Jahre wieder her- nebenkosten zu senken und dabei Fehlentwicklungen vorzunehmen und eine veraltete Politik zu machen. Sol- aus der deutschen Einheit zu korrigieren, und sie haben che Äußerungen finden sich auch in vielfältigen Stel-uns den Auftrag gegeben, eine Wirtschafts- und Finanz- lungnahmen, die leider eine Auseinandersetzung mit den politik zu machen, um die Arbeitslosigkeit abzubauen. Fakten und Daten vermissen lassen. Ich will an einem Satz noch einmal deutlich machen, (B) (D) Genau die Konstellation, die wir in den 70er Jahren warum Ihre Ablösung notwendig war. Wie oft haben Sie hatten, als nämlich die Lohnpolitik weit über das Pro- hier gestanden und gesagt: Beschäftigungspolitik ma- duktivitätsziel hinausschoß – jeder erinnert sich an die chen wir zu Hause! Die Regierung Schröder sagt: Be- zweistelligen Forderungen der ÖTV –, die Geldpolitik schäftigungspolitik machen wir zu Hause, aber mehr mit einem ganz harten Kurs gegenhalten mußte und da- und mehr auch auf europäischer Ebene. Deshalb wartete mit eben auch Wachstum und Beschäftigung ausbrem- ganz Europa auf eine neue deutsche Regierung. ste, müssen wir in Zukunft vermeiden. Deshalb müssen (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD wir über die Frage diskutieren, wie die wesentlichen und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Bei- Politikbereiche in Deutschland und Europa zusammen- fall bei Abgeordneten der PDS – Zurufe von spielen müssen. der CDU/CSU: Das war eine billige Vorle- sung! – Steuerpolitik sechs!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort Meine Damen und Herren, gerade weil es für unsere dem Kollegen Friedrich Merz, CDU/CSU-Fraktion. Diskussion wichtig ist, möchte ich noch die Situation zu Beginn der 90er Jahre ansprechen. Zu Beginn der 90er Jahre haben Sie exakt den gleichen Fehler gemacht, na- Friedrich Merz (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine türlich gestützt durch eine besondere Situation, ohne aus sehr verehrten Damen und Herren! Herr Lafontaine, Sie den früheren Konstellationen die immer zu Beschäfti-haben viel über Europa gesprochen. Das hatte durchaus gungseinbrüchen geführt haben, zu lernen. Sie habeneinen Sinn. Aber wir hätten doch erwartet, daß Sie heute gegen den Rat auch der Bundesbank und der Sachver- morgen einmal zu den Spekulationen, die Sie selbst in die ständigen den Aufbau Ost über Gebühr kreditfinanziert, Welt gesetzt haben, ein Wort sagen, nämlich ob Sie nun also eine expansive Finanzpolitik betrieben. Auf Grund hier in Deutschland ein Finanzminister auf Abruf sind, von Plakaten, die ich in Berlin gesehen habe – man hört (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – diesen Quatsch ja schon wieder: gleicher Lohn für glei- Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- che Arbeit –, setzte man dann auch noch eine Lohndrift NEN]: Ihr seid es, die jetzt abberufen sind!) in Gang, die weit über das Produktivitätsziel hinaus- schoß. Man hatte genau die Konstellation der 70er Jahre, ob Sie also die Lage, in der Sie jetzt sind, nämlich die und die Geldpolitik konnte nur durch scharfes Treten auf Nummer zwei zu sein, eben nicht so lange ertragen und 3 die Bremse mit einem Diskontsatz von 8/4 Prozent ge- wieder die Nummer eins werden wollen. Herr Lafontai- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 327

Friedrich Merz (A) ne, dazu hätte von Ihnen heute morgen durchaus ein klä- In diesem Buch schreibt Herr Hombach: (C) rendes Wort kommen können. Langfristig darf es aber nicht einfach bedeuten, daß (Zurufe von der SPD – Rezzo Schlauch beitragsfinanzierte Lasten nun auf steuerfinanzierte [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hier ist doch Lasten umgewälzt werden. keine Pressekonferenz!) Wörtlich heißt es weiter: – Die Tatsache, daß Sie so unruhig werden, zeigt doch, Das hieße, von einer Tasche in die andere zu wirt- daß Sie sich offensichtlich mit dem Gedanken anfreun- schaften. den, Ihren Parteivorsitzenden zu verlieren. Herr Lafontaine, mit der Umfinanzierung aus dem Steu- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) erhaushalt in die Sozialhaushalte beginnen Sie genau mit Meine Damen und Herren, ich will zu Beginn aufdiesen Umfinanzierung von einer Tasche in die andere. einige Punkte zu sprechen kommen, die Sie, Herr La- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – fontaine, in Ihrer Einführung dargelegt haben. Lassen Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Er hat Sie mich zunächst zu dem Thema derZinsquote im auch noch ein Loch in der Tasche!) Bundeshaushalt etwas sagen. Es ist wahr, die Zinsquote des Bundeshaushaltes ist relativ hoch. Sie ist aber auch Nachdem Sie, Herr Bundeskanzler, am Dienstag in deshalb so hoch, weil wir die finanziellen Lasten, dieIhrer Regierungserklärung – man mußte schon ziemlich mit der Überwindung der deutschen Teilung verbunden aufmerksam zuhören, um das auch wahrzunehmen – zu waren, ganz überwiegend über den Bundeshaushalt fi- Recht einen Hinweis darauf gegeben haben, daß die nanziert haben. Dazu, Herr Lafontaine, haben Sie nicht Staatsquote in Deutschland weiter sinken müsse, hätten ein einziges Wort gesagt. wir nun von Ihnen, Herr Lafontaine, als dem dafür zu- ständigen Bundesfinanzminister erwartet, daß Sie dieses (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) etwas konkreter darlegen. Denn aus der Summe von Beim Bundeshaushalt haben wir schon eine etwas ande- Abgabenquote und Sozialleistungsquote, also aus dem re Lage als beim Haushalt des Saarlandes, den Sie bisStaatsverbrauch, ergibt sich die Staatsquote. Gegenwär- vor kurzem noch zu verantworten hatten, Herr Lafontai- tig sinkt die Staatsquote in der Bundesrepublik ne. Ich werde auch auf die Geldpolitik gleich noch zuDeutschland – richtigerweise. sprechen kommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Lassen Sie mich vorweg etwas zu versiche- den Wenn Sie weitere Umfinanzierungen vornehmen, wird rungsfremden Leistungen sagen, die Sie angesprochen die Staatsquote steigen. Nun sagen Sie bitte nicht, dies haben. Herr Lafontaine, richtig ist, daß auch die Sozial- (B) sei nur eine akademische Größe, über die sich vielleicht (D) versicherungssysteme in der Bundesrepublik Deutsch- irgendwelche Finanzpolitiker unterhalten, die aber ge- land über eine gewisse Zeit – wie alle öffentlichen samtwirtschaftlich keine Bedeutung habe. Das Gegenteil Haushalte – von den Konsequenzen aus der Überwin- ist richtig. dung der deutschen Teilung betroffen waren. Aber Sie selbst, die SPD-Bundestagsfraktion, wir alle haben in Die Bundesregierung unter hat in den diesem Jahr gemeinsam eine Mehrwertsteuererhöhung Jahren von 1982 bis 1991 die Staatsquote in der Bundes- beschlossen. republik Deutschland von den gut 51 Prozent, die sie von übernommen hatte, auf gut 46 Pro- (Dr. Barbara Höll [PDS]: Wir nicht! Wir wa- zent abgesenkt. Das Ergebnis war, daß in diesen Jahren ren dagegen!) in Deutschland 3,2 Millionen neue Arbeitsplätze entste- Diese ist am 1. April 1998 in Kraft getreten. Der Bun- hen konnten. desrat hat dem mit der Mehrheit der SPD-geführten (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Bundesländer zugestimmt. Mit Leistungen aus dem Bundeshaushalt von jetzt insgesamt gut 100 Milliar-Wenn Sie, Herr Lafontaine, ohne Rückführung der ge- den DM im Jahr 1999 sind sämtliche sogenannten versi- samten Abgabenbelastung eine reineUmfinanzierung cherungsfremden Leistungen, die die Rentenversiche- durch Umschichtung von Geldern aus den Steuerhaus- rung zu tragen hat, abgegolten. Das Thema versiche-halten in die Sozialhaushalte vornehmen, werden Sie das rungsfremde Leistungen, Herr Lafontaine, ist erledigt. Ziel, das Sie sich gesetzt haben und das wir teilen, näm- lich die Absenkung der Arbeitslosigkeit, nicht erreichen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Damit schon zu Beginn – wir reden ja über die Das, was Sie jetzt beginnen, ist eine Umverteilung aus Schluß- und die Eröffnungsbilanz – die richtigen Zahlen dem Steuerhaushalt in die Sozialhaushalte. Ich zitiere hier unserer weiteren Diskussion zugrunde gelegt werden, einmal aus dem Buch Ihres Ministerkollegen Bodo Hom- will ich nicht nur die Arbeitslosenzahlen, sondern vor- bach – der jetzt gerade nicht da ist –, einem Buch, das ich dringlich noch einmal die Beschäftigtenzahlen nennen. mit großem Interesse gelesen habe, das ich mir beinahe In der Zeit zwischen Dezember 1982 – das war der Be- sogar gekauft hätte, um einen Beitrag dazu zu leisten, daß ginn der 16jährigen Amtszeit von Helmut Kohl – und er irgendwann einmal sein Haus bezahlen kann. Herbst 1992 – das war der Höhepunkt des Aufbaus an (Detlev von Larcher [SPD]: Typisch Merz! So neuer Beschäftigung – haben wir eine Zunahme der Zahl ist er eben! – Klaus Lennartz [SPD]: Christlich der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von 20,1 ist dein Name!) Millionen auf 23,3 Millionen erlebt. Die Zahl der sozi- 328 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Friedrich Merz (A) alversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland Das ist in der Tat für die neue rotgrüne Regierung(C) ist also um 3,2 Millionen gestiegen. Von diesen 3,2unter Oskar Lafontaine eine Erblast, die Sie mit nach Millionen zusätzlichen sozialversicherungspflichtigen Bonn bringen. In Bayern liegt die Jugendarbeitslosigkeit Beschäftigungsverhältnissen gibt es heute in den alten bei 5,8 Prozent und in Baden-Württemberg bei Bundesländern immer noch 1,8 Millionen. 7 Prozent. Damit wir von den richtigen und den gleichen Zahlen (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: So ist es!) ausgehen, Herr Lafontaine, wenn wir uns in den näch- sten Jahren hier im Hause häufiger über Mißerfolge und In diesen Ländern gibt es das Problem in dem von Ihnen Erfolge der Politik Ihrer Regierung unterhalten, halte ich so emotional beschriebenen Umfang nicht, Herr Bun- fest: Wir haben heute in den alten Bundesländern immer deskanzler. noch 21,9 Millionen Beschäftigte. Ich nenne diese Zah- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) len deswegen und lasse sie auch im Protokoll festhalten, damit Sie nicht in einem Jahr herkommen und sagen: Lassen Sie mich noch einmal auf die Ausgangslage Wir haben dadurch, daß wir mehrere hunderttausendzu sprechen kommen, die Sie vorfinden. Zur Schlußbi- Menschen in die Frühverrentung oder in die Rente ge- lanz der Regierung Helmut Kohl und zur Eröffnungsbi- schickt und ein paar hunderttausend Jugendlichen neue lanz der Regierung Lafontaine Arbeit verschafft haben, das Problem der Arbeitslosig- (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.) keit gelöst. Herr Lafontaine, das Problem der Arbeitslo- sigkeit in Deutschland werden Sie nur lösen, wenn die – Entschuldigung: der Regierung Schröder – gehört: Arbeitslosenquote sinkt und die Beschäftigtenquote in (Michael Glos [CDU/CSU]: Eine Entschuldi- Deutschland steigt. Anderes lassen wir nicht durchge- gung ist doch nicht nötig!) hen. Die Währung ist stabil, die Arbeitslosigkeit sinkt, die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Gesamtverschuldung ist rückläufig, dasStaatsdefizit Sie haben erfreulicherweise – ich sage das wirklichwird in diesem Jahr weit unter dem Maastricht- ohne irgendwelche Hintergedanken – im wesentlichenKriterium von 3 Prozent, nämlich bei ungefähr 2,5 Pro- darauf verzichtet, eine Rede über die Erblast zu halten, zent liegen. Damit liegen alle gesamtwirtschaftlichen die Sie von Helmut Kohl und übernommen Rahmendaten und Plandaten für den Bundeshaushalt auf haben. dem Tisch – und nicht erst seit dieser Woche, Herr La- fontaine, sondern schon seit drei oder vier Wochen. Es (Joachim Poß [SPD]: Das machen wir beim gab zu keinem Zeitpunkt irgendeine Zahl, die Sie nicht Bundeshaushalt! Das kommt noch!) kennen konnten und die Ihnen die Beamten Ihres Hauses (B) (D) – Herr Poß, ich komme auf die Haushaltszahlen gleich – Sie haben aus der gesamten Führungsetage nur einen noch zu sprechen. Aber, Herr Bundeskanzler, diesenBeamten übernommen – nicht vorgelegt haben. Alle Hinweis kann ich mir nicht verkneifen: Der einzige Teil Rahmendaten und alle Plandaten liegen Ihnen vor. ihrer Regierungserklärung, den Sie am Dienstag in freier (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Rede gehalten haben und in dem eine gewisse Emotion bei Ihnen zu erkennen war – ansonsten war Ihre RedeDas Fazit lautet: Die neue Bundesregierung übernimmt völlig emotionslos, wie das die Presse zutreffend be-nicht eine Erblast, sondern sie trifft auf alle Vorausset- schrieb –, war der Teil, in dem Sie sich mit Ju- der zungen für einen dauerhaften wirtschaftlichen Auf- gendarbeitslosigkeit beschäftigt haben. schwung in Deutschland in den nächsten Jahren. (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) NEN]: So ein Emotionsbolzen sind Sie auch Dies wird durch die gestern veröffentlichteSteuer- nicht!) schätzung eindrucksvoll belegt. Herr Schröder und Herr Lafontaine, es ist in der Tat (Joachim Poß [SPD]: Sie hat überhaupt nichts wahr: Wir haben in Deutschland ein Problem im Bereich belegt! Es hat sich doch überhaupt nichts ver- der Jugendarbeitslosigkeit. ändert!) (Zurufe von der SPD: Ach!) Im Jahre 1998, im ersten Jahr eines beginnenden Dieses Problem stellt sich in den einzelnen Bundeslän- wirtschaftlichen Aufschwungs in Deutschland, werden dern aber höchst unterschiedlich dar. die Staatseinnahmen aller Gebietskörperschaften, also des Bundes, der Länder und der Gemeinden, um (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 7,8 Milliarden DM höher sein, als noch im Mai dieses Ich will Ihnen die Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit Jahres geschätzt. Davon entfallen – ich will diesen Punkt nicht vorenthalten: Wir haben im Saarland eine Ju-nur der Vollständigkeit halber erwähnen, weil an uns gendarbeitslosigkeit von 11,2 Prozent, in Niedersachsen häufig die Kritik geübt worden ist, wir ließen die Ge- von 11,5 Prozent, in Hamburg von 14,2 Prozent, meinden in allein – über 5 Milliarden DM auf die Kommu- Brandenburg von 15,7 Prozent und in Sachsen-Anhalt, nen. Dies ist ein großartiger Erfolg der Finanz- und wo jetzt die DVU im Landtag sitzt – das eine hat etwas Wirtschaftspolitik des Jahres 1998, die wir noch zu ver- mit dem anderen zu tun –, von 16,5 Prozent. antworten hatten. (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 329

Friedrich Merz (A) Herr Lafontaine, es gibt im nächsten Jahr nicht etwa schaftliche Steuerquote überhaupt nichts darüber aus-(C) eine große Lücke und Defizite auf Grund der Verhält- sagt, wie hoch die tatsächliche Steuerbelastung der ein- nisse, die Sie vorgefunden haben. Vielmehr werden die zelnen Steuerzahler ist. Ich will Ihnen auch sagen, war- Gebietskörperschaften insgesamt im nächsten Jahr höhe- um die Steuerquote kein Parameter für eine gute und re Steuereinnahmen von insgesamt 38 Milliarden DMvernünftige Steuerpolitik ist. Wir haben durch die An- gegenüber dem laufenden Jahr 1998 haben. Davon ent- hebung bzw. Verdoppelung des Grundfreibetrages, die fallen mehr als 26 Milliarden DM auf den Bund. Sie fin- im Jahre 1996 – ich gebe zu, durch das Bundesverfas- den einen Haushaltsplan und einen Etat für das nächste sungsgericht erzwungen – vom Gesetzgeber durchge- Jahr vor, Herr Lafontaine, der Ihnen 26 Milliarden DM setzt worden ist, und durch die Neuregelung beim Kin- höhere Einnahmen als im laufenden Haushaltsjahr 1998 dergeld rund 30 Prozent der Arbeitnehmerhaushalte in bringt. Das heißt im Klartext: Der Bund hat gegenüber Deutschland steuerfrei gestellt. Das betrifft die von Ih- dem laufenden Jahr 1998 um 7,5 Prozent höhere Steuer- nen immer wieder zitierten unteren Einkommen. einnahmen. Ich komme auf dieses Thema noch zu spre- chen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Diese Zahlen zeigen zweierlei: Erstens. Die von Ih- Herr Lafontaine, Arbeitnehmer mit niedrigen Einkom- nen häufig zitierte Steuerquote steigt. Zweitens. Sie fin- men zahlen also seit 1996 praktisch keine Steuern mehr. den im Bundeshaushalt den Spielraum für eine durch- (Bundesminister Oskar Lafontaine: Außer greifende Steuerreform mit Nettoentlastungen bei Mehrwertsteuer und Verbrauchsteuern! Es ist gleichzeitiger Verbreiterung der steuerlichen Bemes- unglaublich!) sungsgrundlage vor. Ich will Ihnen in diesem Zusammenhang noch etwas (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – zu Ihrer im wesentlichen nachfrageorientierten Steuer- Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr richtig!) und Finanzpolitik sagen: Wenn Ihre Theorie stimmen Herr Minister Lafontaine, wenn Sie jetzt bestreiten, würde, daß durch eine Stärkung derMassenkaufkraft, daß Sie bei diesen Steuermehreinnahmen des kommen- wie Sie das im Wahlkampf immer ausgeführt haben, die den Jahres den Spielraum für eine durchgreifende Steu- Probleme auf dem Arbeitsmarkt zu lösen seien, dann erreform haben, dann haben Sie mit den Steuereinnah- hätte es im Jahre 1996 eine durchgreifende Veränderung men, die Sie im nächsten Jahr zusätzlich haben werden, auf dem Arbeitsmarkt geben müssen. etwas anderes vor als eine vernünftige Steuerpolitik. (Zuruf von der F.D.P.: So ist es! Genau richtig!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Denn, Herr Lafontaine, im Jahre 1996 hat es durch Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Genau das die Verdoppelung des Grundfreibetrages und durch die (B) ist der richtige Rückschluß!) Anhebung des Kindergeldes eine Entlastung der Arbeit- (D) Ich sage Ihnen vorsorglich – denn es gab heute in den nehmer in Deutschland in Höhe von netto 12 Milliarden Zeitungen wieder Hinweise auf Art. 115 des Grundge- DM gegeben. Die Wahrheit ist – wir haben das nicht an- setzes, der die Grenze der Neuverschuldung des Bun-ders erwartet –, daß im Jahre 1996 durch diese Maß- deshaushaltes bestimmt –: nahmen praktisch keine Veränderungen auf dem Ar- beitsmarkt eingetreten sind. Sie sagen jetzt ja noch nicht (Joachim Poß [SPD]: Das ist voll an der Sache einmal eine Nettoentlastung für die Jahre 1999 ff. vor- vorbei!) aus, sondern Sie nehmen eine reine Umfinanzierung vor, Die steigenden Steuereinnahmen, die sich langsam ab- wobei für die Steuerzahler netto keine D-Mark mehr bauende Arbeitslosigkeit in Deutschland, die zurückge- herauskommt. hende Verschuldung der öffentlichen Haushalte und die Wir sagen Ihnen, Herr Lafontaine, voraus: Diese ein- anhaltende Preisstabilität verbieten Ihnen schon jetzt für seitig auf die Nachfragekraft konzentrierte Steuerpolitik das gesamte nächste Jahr die Feststellung derStörung der Bundesregierung wird auf dem Arbeitsmarkt keine des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. positiven Ergebnisse bringen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Herr Lafontaine, es gibt jetzt im übrigen überhauptWenn Sie sich einmal über die Wirkungen einer so ein- keinen Grund mehr dafür, daß Sie dem Bundestag den seitig nachfrageorientierten Steuer- und Finanzpoli- Entwurf des Haushaltsplanes für das Jahr 1999 vorent- tik informieren wollen, dann können Sie meinetwegen halten. Wir erwarten, daß Sie spätestens in der erstendarauf verzichten, alle diesbezüglichen Dokumente der Dezemberwoche den Etatentwurf für das Jahr 1999alten Regierung zu lesen. Sie brauchen nur ein Doku- vorlegen. ment der neuen Regierung heranzuziehen. Ich zitiere (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) noch einmal aus dem Buch Ihres Kabinettskollegen Bo- do Hombach, der richtigerweise darauf hingewiesen hat Nun lassen Sie mich noch einmal auf die Steuerpoli- – ich habe es gestern noch einmal nachgelesen, daß bei tik im engeren Sinne zurückkommen und auf einigeeiner Zunahme des verfügbaren Einkommens einer Ar- grundlegende Unterschiede hinweisen, die uns in der Tat beitnehmerfamilie um 100 DM für den Binnenmarkt trennen. Zunächst zu dem von Ihnen immer wieder an- 27,23 DM übrigbleiben. gesprochenen Begriff der Steuerquote. Herr Lafontaine, Sie wissen genauso gut wie wir, daß die volkswirt- (Zuruf von der F.D.P.: So ist es!) 330 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Friedrich Merz (A) Er weist zudem darauf hin, daß aus der Sicht des Unter- Deutschland gegenwärtig die Chance, 0,5 bis 1 Prozent (C) nehmers eigentlich nicht 100 DM, sondern 121 DM auf- mit Arbeit mehr zu verdienen, als wenn er es – ohne Ar- gewendet werden müssen, weil der Arbeitgeber natür- beit – auf der Bank ließe. lich einen zusätzlichen Anteil an Sozialversicherungs- beiträgen zu zahlen hat. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.) (Michael Glos [CDU/CSU]: Er scheint ein kluges Kerlchen zu sein!) Die Risikoprämie in den wichtigsten Wettbewerbs- ländern der Bundesrepublik Deutschland – ich nenne nur Also, Herr Lafontaine, die Arbeitskosten und dieeinmal zwei: Großbritannien und die Vereinigten Staa- Steuerquote und damit die Steuerbelastung in Deutsch- ten von Amerika – beträgt 10 Prozent. land müssen gesenkt werden, damit wir zu einer durch- greifenden Entlastung der Familien und der Betriebe Jetzt lassen Sie mich, weil Sie es angesprochen ha- kommen. ben, noch ein Wort zu Amerika sagen. Sie können sich natürlich nicht immer nur die Rosinen herauspicken und Damit hier gar keine Mißverständnisse auftreten:sagen: „Was dort in Amerika so gut ist, übernehmen Niemand von uns widerspricht der Anhebung des Kin- wir,“ aber den Rest verschweigen Sie großzügig. Herr dergeldes. Lafontaine, Sie wissen es, – und der Bundeswirt- (Bundesminister Oskar Lafontaine: Das ist schaftsminister wird es vielleicht aus eigener Anschau- schon mal gut! – Ingrid Matthäus-Maier ung noch besser wissen –, daß die Amerikaner die not- [SPD]: Sie waren immer dagegen!) wendige Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, die wir hier von dieser Stelle aus immer wieder angemahnt und Jeder von uns wünscht sich, daß wir noch höhere Lei-die Sie immer wieder blockiert haben, längst hinter sich stungen an die Familien zahlen könnten. Aber was nützt haben. es einem Familienvater, wenn er am 1. Januar 1999 ein höheres Kindergeld bekommt und am 1. Juli 1999 ar- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – beitslos wird? Das nützt ihm überhaupt nichts, Herr La- Joachim Poß [SPD]: Wo haben wir bei der fontaine. Flexibilisierung blockiert?) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Herr Lafontaine, das konnten Sie jetzt nicht sehen. Ich will fair bleiben, aber beim Bundeswirtschaftsmi- Entscheidend ist, daß wir die strukturellen Probleme nister war ein leichtes Nicken zu erkennen. auf dem Arbeitsmarkt – das sind die strukturellen Pro- bleme unseres Steuersystems und unserer Sozialversi- Die Amerikaner haben die strukturellen Reformen des Arbeitsmarktes und der Sozialversicherungssysteme (B) cherung – lösen. Hier sage ich Ihnen noch einmal: Wir (D) vertreten eine völlig andere Philosophie. – soweit man in Amerika überhaupt von Sozialversiche- rung sprechen kann – längst gemacht. Wenn Sie also mit Das Problem, das die Bundesrepublik Deutschland im Amerika vergleichen, Herr Lafontaine, dann bitte doch international sich verschärfenden Wettbewerb hat, istnur dann, wenn Sie gleichzeitig zugestehen, daß wir ei- nicht in erster Linie eine Nachfrageschwäche, sondern nige grundlegende Reformen unseres Sozial- und Steu- das Problem, das wir in der Bundesrepublik Deutschland ersystems zusätzlich brauchen. haben, ist eine trotz aller Bemühungen der letzten Jahre anhaltende Investitions- und Wachstumsschwäche der Da offensichtlich Tony Blair – lassen Sie mich nun deutschen Volkswirtschaft. etwas zu Großbritannien sagen – eines Ihrer großen Vorbilder ist, lassen Sie mich anmerken, daß der Pre- Ich will Ihnen das an einem ganz einfachen Beispiel mierminister von Großbritannien bereits zweimal nach nachweisen, einem Beispiel, das nun wirklich nichts mit seiner erfolgreichen Wahl die Körperschaftsteuersätze ungezügeltem Shareholder-Kapitalismus zu tun hat,gesenkt hat. Herr Lafontaine, Sie stellen die Senkung sondern es sind Fakten, die noch nicht einmal Ihre Ehe- der Körperschaftsteuersätze für das Jahr 2002 in Aus- frau in Frage stellen dürfte, Herr Lafontaine. sicht. (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Zurufe von (Joachim Poß [SPD]: Das ist doch unwahr! der SPD: Oh!) Schon für das Jahr 99 auf 40 Prozent! Lesen Wir in der Bundesrepublik Deutschland haben im in- Sie das Gesetz! Das ist nicht die Wahrheit! ternationalen Vergleich mit die geringsteRisikoprämie Das ist eine Lüge!) für eingesetzes Eigenkapital. Diese Risikoprämie, die Bis dahin werden Sie durch die Verbreiterung der sich als der Abstand zwischen den Zinsen definiert, die steuerlichen Bemessungsgrundlage die Unternehmen in Sie für risikolose Staatsanleihen bekommen, und dender Bundesrepublik Deutschland mit höheren Steuern Zinsen, die Sie für risikobehaftetes Eigenkapital in un- massiv belasten. Das ist die Wahrheit in Deutschland. ternehmerischer Tätigkeit bekommen, beträgt in der Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig zwischen 0,5 (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – und 1 Prozent. Joachim Poß [SPD]: Der erste Schritt erfolgt 99! Das ist eine Lüge!) Das heißt im Klartext: Ein Unternehmer in Deutsch- land, der sein Geld nicht zur Bank trägt, sondern es als Ich will wegen der Kürze der Zeit darauf verzichten, Investitionskapital in das Unternehmen steckt – risiko- zu einzelnen Aspekten – wir werden dazu noch Gele- behaftet, mit vollem persönlichen Risiko – hat genheit in haben – Ihrer steuerpolitischen Vorschläge Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 331

Friedrich Merz (A) Stellung zu nehmen. Ich hätte gerne noch etwas zumEr hat sich ausdrücklich dazu bekannt, daß die Steuer-(C) Thema steuerliche Bemessungsgrundlage, Teilwertab- belastung für die Betriebe steigen und für die Arbeit- schreibung und all diesen Dingen gesagt. Sie haben aber nehmer sinken muß. Das ist seine Philosophie. zugesichert – dafür bedanke ich mich –, daß darüber im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens noch einmal geredet (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: So ist es!) werden kann. Darüber muß geredet werden, weil es eine Reihe von höchst problematischen Vorschlägen gibt, die Das ist die Wahrheit, Herr Poß. Sie hier gemacht haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Lassen Sie mich noch etwas Grundsätzliches sagen.

Präsident Wolfgang Thierse: Herr Kollege Merz, Präsident Wolfgang Thierse: Herr Poß möchte gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Poß? noch einmal nachfragen.

Friedrich Merz (CDU/CSU): Das tue ich deswegen Friedrich Merz (CDU/CSU): Nein, ich möchte jetzt gern, weil er dann aufhören kann, zu schreien. gern zum Schluß kommen. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Präsident Wolfgang Thierse: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Solms? Joachim Poß (SPD): Herr Kollege Merz, ich höre gern auf, zu schreien, wenn Sie aufhören, die Unwahr- heit zu sagen. Friedrich Merz (CDU/CSU): Dann lasse ich auch noch eine weitere Zwischenfrage von Herrn Poß zu. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Herr Solms, bitte schön. Könnten Sie dem Hohen Hause bitte bestätigen – Sie sind doch sicher in der Lage, Gesetzentwürfe zu lesen –, Dr. Hermann Otto Solms (F.D.P.): Herr Kollege, daß die Körperschaftsteuer nach unserem Gesetzentwurf würden Sie bitte, um die Fakten richtigzustellen, dem im ersten Schritt schon im Jahre 1999 von 45 Kollegen auf Poß mitteilen, daß von der rotgrünen Regie- 40 Prozent gesenkt wird? Das Ziel von 35 Prozent ist für rung geplant ist, den Körperschaftsteuersatz erst zum das Jahr 2002 – wenn möglich, schon früher – angepeilt. 1. Januar 2000 in einer ersten Stufe zu senken. (B) Könnten Sie dem Hohen Hause bitte bestätigen, daß da- (D) durch eine nachhaltige Entlastung der Wirtschaft er- (Heiterkeit bei der F.D.P. und der CDU/CSU) folgt? Ich habe es hier: Die gewerblichen Einkünfte für Perso- nengesellschaften werden zum 1. Januar 1999 gesenkt, Friedrich Merz (CDU/CSU): Herr Poß, wenn es zu die Körperschaftsteuersätze zum 1. Januar 2000 in einer Ihrer Beruhigung beiträgt, bestätige ich Ihnen gern, daß ersten Stufe. Sie eine marginale Absenkung (Heiterkeit bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Lachen bei der SPD – Joachim Poß [SPD]: Ich habe es nun wirklich schriftlich hier. Ich bitte, es Was? Um 5 Prozent! – Peter Dreßen [SPD]: entgegenzunehmen. Das ist die Hälfte des Ziels, das Sie selbst ver- folgen!) – lassen Sie mich doch wenigstens aussprechen – des Friedrich Merz (CDU/CSU): Herr Poß, möchten Sie Steuersatzes für die betrieblichen Einkünfte im Ein-eine weitere Zwischenfrage stellen? kommensteuergesetz und eine geringfügige Absenkung des Körperschaftsteuersatzes zum 1. Januar 1999 vor- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) schlagen. Gleichzeitig treten fast alle Maßnahmen in Kraft, die zur Verbreiterung der Steuerbemessungs- grundlage herangezogen werden. Dies heißt im Klartext: Präsident Wolfgang Thierse: Bitte, Herr Poß. Sie werden in den Jahren 1999, 2000 und 2001 die Be- triebe in Deutschland mit erheblich höheren Steuern be- lasten, als sie im laufenden Jahr 1998 belastet wurden. Joachim Poß (SPD): Herr Kollege Merz, Das ist die Wahrheit. (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Ohne An- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) walt würde ich mich nicht mehr melden, Herr Herr Poß, wenn Sie uns nicht glauben, dann lesen Sie Poß! Nehmen Sie sich einen Anwalt!) doch die frei gehaltene Rede des Bundesfinanzministers, können Sie dem Hohen Hause bestätigen, daß Sie vorhin dem ich gut zugehört habe! wahrheitswidrig behauptet haben, wir würden die Un- (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Er hat ternehmensteuersätze nicht vor dem Jahre 2002 senken? das bestätigt!) Das können wir ja dann dem Protokoll entnehmen. 332 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

(A) Friedrich Merz (CDU/CSU): Herr Kollege Poß,daß die zwei neuen beamteten Staatssekretäre Ihres(C) wenn es denn zur Klarheit beiträgt Hauses ständig über Deflation in Deutschland reden, und damit eine höhere Geldentwertung in Deutschland (Klaus Lennartz [SPD]: Zur Wahrheit vor al- für die Zukunft billigend in Kauf nehmen. Mit uns wird len Dingen!) ein solcher Weg nicht zu machen sein. – und zur Wahrheit –, will ich Ihnen gerne noch einmal (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) bestätigen, daß Ihre steuerpolitische Konzeption vorsieht – das ist auch gar nicht ehrenrührig; Herr Präsident, meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß etwas sagen, weil es notwendig ist, in (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das ist einer solchen grundsätzlichen ersten Aussprache über nicht ehrenrührig, aber falsch!) die zukünftige Wirtschafts- und Finanzpolitik darüber zu das haben Sie ausdrücklich so gewollt, ich habe Sie nur sprechen. Sie werden sich auch mit der Flucht in eine, auf die Konsequenzen hingewiesen –, daß die Steuerbe- wie Sie es formuliert haben, Politik der Wechselkurs- lastungen zuerst eintreten und die Steuerentlastungenzielzonen nicht den Erfordernissen in der Bundesrepu- später. Das ist die Konsequenz. blik Deutschland entziehen können. Ich sage es sogar umgekehrt: Die Erfahrungen, die die asiatischen Länder (Joachim Poß [SPD]: Das ist falsch! Sie blei- gemacht haben – Indonesien, Malaysia, Korea, Thailand ben bei der Unwahrheit!) –, Länder, die zum Teil seit Anfang der 80er Jahre eine Das, was der Kollege Solms gerade zitiert hat, ist die feste Wechselkursbindung an den Dollar vorgenommen Wahrheit. Sie planen zuerst die Steuererhöhungen und haben, sind genau andersherum gewesen. Dort, wo es stellen für das Wahljahr 2002 geringfügige Steuerentla- eine zu lange Bindung an Währungen gegeben hat, sind stungen in Aussicht. Das ist die Wahrheit. Spekulationsblasen entstanden. Es war mit eine Ursache für die Finanzkrise in Asien, daß die Wechselkurse nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) die realen Austauschverhältnisse dargestellt haben. Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluß (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- noch einmal auf die Geld- und Zinspolitik zu sprechen ordneten der F.D.P.) kommen. Herr Lafontaine, die Zeit reicht jetzt nicht mehr aus, um ausführlich über diese Frage zu diskutie- Dies ist der falsche Weg. Die Ursachen für Krisen ren. Ich will nur den wesentlichen Kernpunkt unsererinternationaler, europäischer und auch nationaler Art Kritik an Ihren Äußerungen der letzten Wochen wieder- liegen nicht in den Wechselkursentwicklungen, sondern holen. Man kann sich über die Funktion von Geldpolitik in den entscheidenden politischen Weichenstellungen in und Notenbankentscheidungen durchaus unterhalten.den nationalen Volkswirtschaften. Zu diesen Weichen- (B) Aber wenn Sie ein Ergebnis in Ihrem Sinne gewolltstellungen, im Sinne des Arbeitsmarktes, im Sinne der(D) hätten, dann hätten Sie nicht mit diesen maßlosen An-gesunden Entwicklung der Volkswirtschaft der Bundes- griffen die Deutsche Bundesbank in die Rolle hinein- republik Deutschland, Herr Lafontaine, fordern wir Sie versetzen sollen, überhaupt nicht anders entscheiden zu auf. Wenn Sie auf dem Weg, den Sie heute morgen be- können, als sie in der letzten Woche entschieden hat.schrieben haben, weiter voranschreiten, wird es nicht Herr Lafontaine, das Ergebnis Ihrer Attacken – Sie ha- mehr Beschäftigung, sondern weniger Beschäftigung, ben in Wahrheit die Europäische Zentralbank und nicht und nicht weniger Arbeitslose, sondern mehr Arbeitslose die Deutsche Bundesbank gemeint – ist heute in denin Deutschland geben. Dies wird unseren entschiedenen Zeitungen nachzulesen. Das erste Ergebnis ist nicht, daß Widerspruch zu jeder Zeit herausfordern. die Geldmarktzinsen sinken, sondern das erste Ergebnis (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und ist, daß es einen massiven Vertrauensschwund der Öf- der F.D.P.) fentlichkeit in die Stabilität des Euro gibt. Das ist das Ergebnis Ihrer Attacken auf die Notenbank. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Präsident Wolfgang Thierse: Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin Ingrid Matt- Geldwertstabilität ist kein Selbstzweck und ist nicht häus-Maier, SPD. etwas, was irgendwo in den Büchern steht und was dun- kel gekleidete Herren in den Elfenbeintürmen der No- tenbanken für sich entscheiden. Geldwertstabilität – das Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Meine sehr verehrten ist die Erfahrung von 50 Jahren Geldpolitik in der Bun- Damen und Herren, der Kollege Merz hat behauptet, im desrepublik Deutschland – ist die Grundlage für dieJahr 1999, also im nächsten Jahr, werde der Körper- Dauerhaftigkeit und Verläßlichkeit von Investitionen,schaftsteuersatz nicht gesenkt, sie ist die Grundlage für wirtschaftliches Wachstum und (Zurufe von der CDU/CSU: Nein! Nein!) neue Arbeitsplätze, und, Herr Lafontaine, sie ist die Grundlage für die Sicherheit von Renten, von kleinensondern erst im Jahre 2002. Der Kollege Solms hat dies Einkommen und von kleinen Ersparnissen. Inflation ist noch ausdrücklich unterstützt. Ich weise darauf hin: In der Taschendieb des kleinen Mannes. dem hier auf den Tischen liegenden Gesetzentwurf steht auf Seite 2: Senkung des Körperschaftsteuersatzes für (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) einbehaltene Gewinne auf 40 Prozent ab 1. Januar 1999. Wir werden Ihnen nicht durchgehen lassen, daß Sie Das gleiche steht im Gesetzestext auf Seite 137, und es ein Ablenkungsmanöver starten, indem Sie es zulassen, steht in der Begründung zum Gesetzestext auf Seite 278. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 333

Ingrid Matthäus-Maier (A) Ich gehe davon aus, daß Sie vielleicht nicht bewußt die Solms! Er hat noch nicht einmal den Gesetz- (C) Unwahrheit gesagt haben. Allerdings kommt es mir vor, entwurf gelesen! Er hat lesen lassen! Herr als wäre es so, weil der Kollege Poß Sie darauf hinge- Solms, lesen Sie mal selbst!) wiesen hat. Ich fordere Sie hiermit offiziell auf, (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sie haben Präsident Wolfgang Thierse: Liebe Kolleginnen gar nichts zu fordern!) und Kollegen, um die Atmosphäre ein wenig zu besänf- hier heute morgen Ihre unwahre Behauptung zurückzu- tigen, erlaube ich mir, der Kollegin Kerstin Müller herz- nehmen und zu bestätigen, daß der Körperschaftsteuer- lich zu ihrem 35. Geburtstag zu gratulieren. satz sinkt. (Beifall) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich freue mich, daß Sie Ihren Geburtstag mit uns zu- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sammen verbringen. Alles Gute für Sie! Nun erteile ich das Wort der Kollegin Christine Präsident Wolfgang Thierse: Herr Kollege Merz, Scheel, Bündnis 90/Die Grünen. Sie haben Gelegenheit zu einer Antwort.

(Zurufe von der SPD: Auf nach Canossa! – Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Auf die Knie!) Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Nachdem wir ja jetzt geklärt haben, wer lesen oder wer nicht lesen Friedrich Merz (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine kann, Herr Solms, denke ich, daß wir zur Senkung von sehr verehrten Damen und Herren! Es ist immer so,Unternehmensteuern 1999 an dieser Stelle zumindest wenn man frei spricht und kein ausformuliertes Manu- keine so klaren Aussagen mehr zu machen brauchen. Ich skript hat brauche das alles nicht noch einmal vorzulesen. Ich den- ke, Sie wissen jetzt mittlerweile, wo es steht. (Zurufe von der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) – Entschuldigung –, daß man Gefahr läuft, mißverstan- den zu werden. Ich will das noch einmal ausdrücklich Herr Merz, ich finde es allerdings etwas eigenartig, klarstellen: Ich bezweifle nicht, daß Sie nach dem Ge- wenn Sie sagen, Sie hätten hier in freier Rede natürlich setzestext, der uns gegenwärtig vorliegt – das ändert sich Schwierigkeiten gehabt, die Zuordnung der Steuersatz- ja immer wieder –, senkungen auf die nächsten Jahre klar vorzutragen oder das klar im Hinterkopf zu haben. Wir waren ja auch lan- (Widerspruch bei der SPD) (B) ge genug in der Opposition. Jetzt sind wir Regierungs-(D) die Absicht haben, die Steuersätze des Körper-parteien. Man sollte doch einmal von folgendem ausge- schaftsteuergesetzes bereits im nächsten Jahr zu senken. hen – das muß man wirklich einmal sagen, gerade an die (Klaus Lennartz [SPD]: Ist das so schwer, Adresse der Steuerfachleute; das gilt für Herrn Solms einen Fehler zuzugeben?) genauso, wie es für Herrn Merz gilt –: Die Leute, die sich hier hinstellen und zu einer Steuerreform reden, die Ich lege aber Wert auf die Feststellung – ich bleibejetzt von SPD und Bündnis 90/Die Grünen vorgelegt dabei –, daß die Bilanz zwischen Entlastung und Bela- worden ist und die in kürzester Zeit zuwege gebracht stung – – worden ist, sollten wenigstens wissen, wie die Steuersät- (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das hat ze in den nächsten Jahren aussehen. er gesagt! Das ist der Punkt!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wir können das ja gemeinsam, Frau Matthäus-Maier, und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der im Protokoll noch einmal nachlesen. Ich habe gesagt PDS) und bleibe auch dabei, daß für das Jahr 1999, für das Mit einem Punkt, Herr Merz, ist es mir als Frau – ich Jahr 2000 und für das Jahr 2001 – vor dem Zeitpunkt,sage das wirklich bewußt – sehr ernst: Sie haben in Ih- für den Sie eine weitere Absenkung der Körper-ren Ausführungen Herrn Lafontaines Ehefrau, Christa schaftsteuersätze vage in Aussicht stellen; das steht nicht Müller, angesprochen. Anscheinend ist es für Sie uner- in diesem Gesetzentwurf –, für diese drei Jahre, für die träglich, daß eine Frau so denken kann. Wirtschaft und damit für die Arbeitsplätze in Deutsch- land nicht eine geringere, sondern eine höhere Steuer- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN belastung kommt. Das ist die Konsequenz Ihres Gesetz- und bei der SPD) entwurfes. Eine weitere Bemerkung vorab: Ich dachte eigentlich, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) die CDU habe gelernt, daß die Vergleiche der Bundes- länder, mit denen Sie durch alle Lande gezogen sind, Davon, Frau Matthäus-Maier, habe ich nicht nur nichts zurückzunehmen, sondern den Nachweis, daß dies so ist, (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Die tun weh, werden wir Ihnen Jahr für Jahr in den nächsten drei Jah- Frau Scheel!) ren von dieser Stelle aus führen. Ihnen im Wahlkampf nicht dienlich waren. Denn (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- schließlich haben sie nicht dazu geführt, daß Sie die ordneten der F.D.P. – Joachim Poß [SPD]: Wahl gewonnen haben. Ich glaube, auch in dieser De- 334 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Christine Scheel (A) batte nutzen sie nichts; denn sie bringen uns in keinervon mehr als 10 Milliarden DM aus, und den Ländern(C) Weise weiter. und Kommunen geht es – ich denke, ich kann das be- urteilen – auch nicht besser. Zum Gesetzentwurf selbst: Dieser Gesetzentwurf ist solide durchgerechnet und sauber finanziert. Das ist der Eine alte Mär, mit der wir vielleicht endlich einmal große Unterschied zu den Entwürfen, mit denen wir es aufräumen sollten, ist: Wir haben die Finanzierung des- in der Vergangenheit, in der letzten Legislaturperiode, wegen so geplant, weil wir den öffentlichen Kassen – zu tun hatten. wie es in den Petersberger Beschlüssen der alten (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES Koalition vorgesehen war – Einnahmeausfälle in Höhe 90/DIE GRÜNEN und der SPD) von 57 Milliarden DM ersparen wollten. Herr Waigel hat damit – das ist das Problem – immer wieder Mit diesem Gesetzentwurf wird die Investitionskraft der Begehrlichkeiten geweckt, die in keiner Weise erfüllt Unternehmen gestärkt, und die Binnennachfrage wirdwerden konnten. Es waren schlicht unseriöse entsprechend nachhaltig belebt. Es ist, Herr Merz, inVorschläge, mit denen er und auch andere aus der CDU, keiner Weise richtig, wenn Sie sagen, damit werde nur CSU und F.D.P. durch den Wahlkampf gezogen sind. Nachfragepolitik betrieben. In diesem Gesetzentwurf ist Die Finanzpolitik steht jetzt endlich wieder auf einer vielmehr ein ausgewogenes Verhältnis von angebots-soliden Grundlage. und nachfrageorientierter Politik verankert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir haben im Wahlkampf immer gesagt, daß wir die sowie bei Abgeordneten der SPD) Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen entlasten wollen, daß wir das Zusammenleben mit Kindern be- Meine Damen und Herren, auch im Wirtschaftsbe- günstigen wollen. Das haben wir hier umgesetzt. Zudem reich haben wir insgesamt gute Ergebnisse erzielt. Der wurde – dies ist für die Ländervertreter, Herr Faltlhau- Spitzensteuersatz für gewerbliche Einkünfte wird im ser, sehr wichtig – der sehr schwierigen Situation der öf- nächsten Jahr, wie gesagt – das haben wir jetzt alle ge- fentlichen Haushalte Rechnung getragen. Auf Grundlernt –, auf 45 Prozent und im Jahr 2000 auf 43 Prozent dieser angespannten Haushaltslagen mußte in der ersten gesenkt. Die Körperschaftsteuer – das ist jetzt klar – und zweiten Stufe eine strikte Aufkommensneutralität wird im nächsten Jahr von 45 auf 40 Prozent gesenkt. gewahrt werden, und erst in der dritten Stufe konnte eine Nettoentlastung von rund 15 Milliarden DM vorgesehen Natürlich streben wir eineUnternehmensteuerre- werden. Das ist richtig und finanzpolitisch äußerst ver- form an. Demnächst wird dafür eine Arbeitsgruppe ein- nünftig. gesetzt. Diese Unternehmensteuerreform hat als Ziel die rechtsformunabhängige Besteuerung von Unternehmen, Nun zu dem Punkt, der immer wieder angesprochen (B) und zwar mit einem Steuersatz von etwa 35 Prozent. Es (D) wird, nämlich inwiefern die Entlastung bei der Ein-wäre natürlich wunderbar – dafür werden wir uns ge- kommensteuer mit dem Ziel der Senkung der Lohnne- meinsam einsetzen –, wenn diese Reform nicht erst im benkosten und der Erhebung von Ökosteuern vereinbar Jahr 2002, sondern schon im Jahr 2000 umgesetzt wer- ist. Ich finde, diese Bereiche müssen zumindest punktu- den könnte. ell in Verbindung gesehen werden. Schließlich kommt es doch darauf an, was den Leuten am Schluß bleibt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das ist es, was interessiert. Die Zahlen aus bestimmten sowie bei Abgeordneten der SPD) Teilbereichen, die irgendwo herumschwirren, verunsi- chern die Leute nur. Wir gehen auch einen Schritt in Richtung Gleichbe- handlung aller Einkunftsarten, indem wir zukünftig zum Alleinerziehende mit zwei Kindern und 2 500 DMBeispiel – das ist ein heikles Thema, das weiß ich; ich brutto im Monat werden, Stand 1998, insgesamt mit 277 nenne es trotzdem – Einkünfte in der Landwirtschaft DM an Steuern und Abgaben belastet. Nach der Umset- über einen bestimmten Sockel ähnlich bzw. gleich be- zung der ökologisch-sozialen Steuerreform und der handeln wie gewerbliche Einkünfte. Wir haben hier na- Einkommensteuerreform wird ebendiese alleinerzie- türlich auch eine soziale Komponente eingeführt: Klei- hende Mutter oder dieser alleinerziehende Vater mitnen bäuerlichen Familienbetrieben bis zu 15 Hektar soll zwei Kindern um monatlich 127 DM entlastet. Ich den- die Durchschnittsbesteuerung erhalten bleiben. Das ist ke, das ist ein Schritt in die richtige Richtung; damitauch in Ordnung so. wird – unter Einbeziehung der Erhebung der Ökosteuern und der Senkung der Einkommensteuern – in diesen Insgesamt – auch das muß man einmal zur Kenntnis Einkommensgruppen der richtige Effekt erzielt. nehmen – gehen wir einen sehr mutigen Schritt in (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES Richtung Steuervereinfachung und Abbau von Steuer- 90/DIE GRÜNEN und der SPD) vergünstigungen. Es gibt über 70 Maßnahmen zur Be- reinigung der Bemessungsgrundlage. Das ist vom Um- Um der Kritik vorzubeugen, wir hätten die Tarifefang, von der Dimension her die größte Steuerreform, weiter senken sollen: Natürlich wäre dies wünschens-die in der Geschichte der Bundesrepublik jemals mit wert gewesen; das wissen alle. Aber das Erbe der Kohl- einer solch affenartigen Geschwindigkeit – positiv gese- Regierung – das muß auch in diesem Zusammenhanghen – und so gut durchgerechnet vorgelegt worden ist. betont werden – hat uns im Haushalt keinen Spielraum gelassen. Der Bundeshaushalt weist allein für 1999 ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN genüber der Waigelschen Vorstellung Risiken in Höhe und bei der SPD) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 335

Christine Scheel (A) Außerdem ist es gelungen – da hatten Sie angeblich Es ist auch für die Arbeitgeber sinnvoll, daß wir vom (C) immer Ihre Probleme –, durch eine frühzeitigeEinbin- 1. Januar an dieKindergeldauszahlungen nicht mehr dung der Bundesländerin die Beratungen sicherzu- über die Arbeitgeber vornehmen. Dies wird nach Be- stellen, daß im Bundesrat die nötigen Abstimmungser- rechnungen des Deutschen Industrie- und Handelstages gebnisse erzielt werden können, um diese Reform sehr eine Entlastung von 60 Millionen DM bei den Verwal- schnell auf den Weg zu bekommen. tungskosten bringen. Das ist, finde ich, ein gutes Ange- bot an die Arbeitgeber. Es gibt einen negativen Begleiteffekt der Diskussio- nen, die in den letzten Tagen, in den letzten Wochen ge- (V o r s i t z : Vizepräsident ) führt worden sind. Man muß feststellen, daß die Erar- beitung dieses Konzeptes teilweise regelrecht zu einem Wenn hier von der Opposition immer wieder der Spießrutenlaufen geworden ist. Ich meine, es ist ziem- Topf aufgemacht wird, wir würden die Unternehmen in lich einmalig, daß, bevor ein Gesetz im Entwurf vor-der Bundesrepublik Deutschland über Gebühr schröp- liegt, von allen möglichen Gruppen und Kreisen aus der fen, so möchte ich Ihnen in Erinnerung rufen, Herr Dr. Opposition, aus der Bevölkerung und vor allen Dingen Waigel, daß in den – – von einigen wenigen aus der Wirtschaft Kritik geübt (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Ich habe wurde, Nebelkerzen ins Blaue geworfen wurden. In den gar nichts gesagt!) laufenden Beratungen müssen sie aber feststellen, daß sich einige der Vorbehalte und auch Teile der Kritik er- – Ich sagte ja: Ich rufe in Erinnerung. Ich habe nicht ge- übrigen. Dies ist natürlich etwas schwierig, weil so be- sagt, daß Sie etwas gesagt haben. Ich möchte nur bitten, stimmte Stimmungen erzeugt werden. daß Sie sich in Erinnerung bringen, daß die alte Regie- rung Es ist auch unwahr, daß insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen die Hauptlast dieser Reform zu (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: So alt wa- tragen haben. Kleine und mittlere Unternehmen werden ren wir nicht! – Detlev von Larcher [SPD]: entlastet, und zwar in einer Größenordnung von etwa Die abgewählte Regierung!) 4 Milliarden DM. Belastet werden Großunternehmen und Konzerne. Das sind genau die, die in den letztenin den Petersberger Steuerbeschlüssen zum Beispiel Jahren einen Gestaltungsspielraum genutzt haben. Das Regelungen zum Thema außerordentliche Einkünfte hatte mit Steuergerechtigkeit und mit leistungsgerechter hatte. Das hatten Sie in gleicher Form vorgesehen, wie Besteuerung überhaupt nichts mehr zu tun. Das fahren wir es jetzt tun: Wegfall des halben durchschnittlichen wir zurück, um die Gerechtigkeit auch innerhalb desSteuersatzes, statt dessen progressionsmildernde Be- Unternehmensbereiches wiederherzustellen. steuerung durch rechnerische Verteilung auf fünf Jahre. Deswegen braucht es hier von seiten der jetzigen Oppo- (B) (D) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES sition überhaupt kein Geschrei zu geben. Das ist das, 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Dr. Peter was damals sinnvoll war; das haben wir übernommen. Ramsauer [CDU/CSU]: Dünner Beifall! Viel Was nicht sinnvoll war, haben wir eben anders gestaltet. zu spät!) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES Die Gesamtgewinnbelastung der Unternehmen wird 90/DIE GRÜNEN und der SPD) übrigens nicht geschmälert; es gibt eine zeitliche Ver- schiebung bei der Besteuerung. Heute werden sehr früh Aus bündnisgrüner Sicht sind die wesentlichen Re- stille Reserven gebildet, die am Ende der Besteuerung formziele bei der Einkommensteuer erreicht worden: die irgendwann wieder aufgelöst werden. Dies wollen wir in dringende Entlastung von Durchschnittsverdienern, der nächsten Zeit verhindern. Das ist auch richtig. Aufkommensneutralität, Lichtung des Steuerdschungels. Aber in einigen Punkten wären wir – das müssen wir der So zeigt dieser Entwurf, daß die meisten Befürchtun- Ehrlichkeit halber sagen; ich finde es gut, daß wir das so gen auch in der Frage der Unternehmensbesteuerunghandhaben können – natürlich gern weitergegangen. Das unbegründet sind und daß gerade im Bereich des Mittel- ist klar. standes einiges getan wird. Wir hätten gerne eine stärkere Erhöhung des Kinder- Ich sage Ihnen noch ein Beispiel. Unternehmerische geldes gehabt, um den Kinderfreibetrag überflüssig zu Verluste bleiben trotz neuer Mindestbesteuerung voll machen. Aber wir denken, daß wir in den nächsten Jah- verrechenbar. Der Verlustrücktrag wird für Verluste ren noch Zeit genug haben, um gemeinsam einen Schritt bis 2 Millionen DM auf ein Jahr begrenzt. Bis En- weiterzukommen. de 2000 bleibt dies erhalten; dann haben wir sehr niedri- ge Steuersätze, dann ist das in Ordnung. Der Verlust- (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: 2010!) vortrag bleibt weiter unbegrenzt möglich. Die Mär, daß die kleinen und mittelständischen Unternehmen von den Nachbesserungsbedarf gibt es aus unserer Sicht auch Möglichkeiten, die sie heute haben, nicht mehr Ge-bei der Kilometerpauschale. Nach wie vor setzen wir brauch machen können, ist einfach falsch. Deswegen ist uns für eine verkehrsmittelunabhängigeEntfernungs- es notwendig und richtig, hier zu sagen, daß wir selbst- pauschale ein, die auch den Benutzern öffentlicher Ver- verständlich die ganze Zeit vor allem an die kleinen und kehrsmittel gerecht wird. mittelständischen Unternehmen gedacht haben. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 90/DIE GRÜNEN – Walter Hirche [F.D.P.]: und bei der SPD) Durchsetzen muß man sich in der Regierung!) 336 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Christine Scheel (A) Wir wissen ja, daß die heutige Kilometerpauschale miß- Dr. Hermann Otto Solms (F.D.P.): Herr Präsident! (C) brauchsanfällig ist und weit über den realen KostenMeine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedanke liegt. mich bei Frau Scheel, daß sie so sehr an den Mittelstand gedacht hat. Nur, das hilft dem Mittelstand, der soge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nannten Neuen Mitte, nichts. Sie hätten dafür etwas sowie bei Abgeordneten der SPD – Carl- durchsetzen müssen. Ludwig Thiele [F.D.P.]: Setzen Sie doch ein- mal etwas durch!) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Wir wollen uns auch weiterhin für eine weitere Ab- ten der CDU/CSU) senkung des Spitzensteuersatzes stark machen, um ver- Der ganze Erfolg der Grünen bei der steuerpolitischen stärkt Impulse für ausländische Unternehmen, die hier Konzeption war, daß sie die SPD gezwungen haben, den investieren und bei denen es auch darum geht, was der Spitzensteuersatz von 49 Prozent auf 48,5 Prozent zu Manager verdient und wie hoch er besteuert wird, zusenken. Ein toller Erfolg, immerhin ein halber Prozent- setzen. punkt. Das wird den mittelständischen Unternehmen Zusammenfassend möchte ich sagen, daß vom vor- nicht helfen. gelegten Steuerentlastungsgesetz mit Sicherheit Impulse Ich bestätige ausdrücklich, Herr Poß und Frau Mat- für mehr Beschäftigung und Binnennachfrage ausgehen thäus-Maier, daß Sie bereits ab 1999 damit beginnen, werden. Daß die bisher in der Bundesrepublik Deutsch- die Tarife zu senken. Nur, Sie beginnen vorsichtig zu land geäußerten Befürchtungen im Ausland so über-senken. Aber Sie setzen die Gegenfinanzierung sowie haupt nicht gesehen werden, wie Sie das immer gernden Abbau von Steuersubventionen und Abschreibungs- darstellen, zeigt ein Artikel aus der „Financial Times“bedingungen in der Wirtschaft sehr schnell durch. vom 13. Oktober 1998. Dort steht geschrieben: (Joachim Poß [SPD]: Das war doch bei Herrn Dieser Steuerplan gibt einigen Grund zur Hoff- Waigel auch der Fall: in der ersten Stufe ge- nung. Er ist ziemlich vernünftig und stufenweise genfinanziert!) vielleicht unvermeidbar angesichts des ungünstigen globalen Wirtschaftsklimas. Aber seine Betonung Das Ergebnis wird sein, daß gerade in der Neuen auf Transparenz ist ein definitiver Schritt in dieMitte, die dazu beigetragen hat – während des Wahl- richtige Richtung. Die Entscheidung, den Plan fis- kampfes auf vielfältige Weise vom Bundeskanzler ge- kalisch neutral zu halten, ist ebenso begrüßens-ködert –, daß anders gewählt wurde, die Betrogenen zu wert. Mit einer Staatsverschuldung von immerhin finden sein werden. Sie müssen die Zeche bezahlen. Die 2,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts hat Deutsch- Belastung für die mittelständischen Unternehmen steigt. (B) land nicht viel Spielraum für Neuverschuldung. Das ist das Ergebnis. Das wird den Investitionsprozeß, (D) (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sehr gut!) den wir brauchen, um Arbeitsplätze zu schaffen, eben nicht in Gang setzen. Das ist eine Aussage, die deutlich macht, wie wir im Ausland wahrgenommen werden. Ich finde es sehr (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) schön, daß das so ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsident Rudolf Seiters: Herr Kollege und bei der SPD) Solms, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord- Außerdem scheint die Börse die Aufregung der kon- neten Poß? servativen Kreise nicht ganz zu teilen. Der DAX hat sich soweit konsolidiert; die Baisse ist überwunden. Dr. Hermann Otto Solms (F.D.P.): Bitte schön. (Michael Glos [CDU/CSU]: Aber nicht mehr lange! Noch so eine Rede, und der DAX bricht ab!) Joachim Poß (SPD): Herr Kollege Solms, würden Sie bestätigen, daß auch bei den Plänen von Herrn Wai- Das hat sicherlich damit zu tun, Herr Glos, daß im Un- gel, die erste Stufe voll gegenfinanziert war, weil der ternehmensbereich jetzt das nachgeholt wird, was woan- Steuersenkungsspielraum auch nach Meinung von ders längst üblich ist, nämlich eine objektivierte Gewinn- Herrn Waigel nicht gegeben war, höchstens in einem ermittlung mit reeller Ausweisung der tatsächlichen Ge- Umfang von 1,5 Milliarden DM? Diese Zahl hat er je- winnsituation der Unternehmen. Das ist eine Anpassung denfalls in der Haushaltsdebatte und in seiner Vorlage an internationale Standards, die sonst von der Industrie zur symmetrischen Finanzplanung genannt. immer eingefordert wurde. Dies tun wir. Ich sage: Die Sache ist rund und schafft Steuergerechtigkeit in diesem Land. Wir sind auf einem verdammt guten Weg. Dr. Hermann Otto Solms (F.D.P.): Der ursprüngli- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN che Plan war, die erste Stufe aufkommensneutral zu ge- und bei der SPD) stalten. Ihre erste Stufe ist gerade für die mittelständi- schen Unternehmen nicht aufkommensneutral, sondern führt zu einer erheblichen Mehrbelastung. Vizepräsident Rudolf Seiters: Das Wort hat für die F.D.P.-Fraktion der Abgeordnete Dr. Hermann Otto (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Solms. ten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 337

Dr. Hermann Otto Solms (A) Der frühere Bundesfinanzminister Theo Waigel hatte Wissen Sie, was Ihr zentraler Fehler ist? – Wie Sie(C) auf Grund der guten Entwicklung bei den Steuerein-die Menschen hinters Licht führen wollen. Sie rechnen nahmen vor der Wahl in Aussicht gestellt, daß wir bei Steuerbelastung und -entlastung undKindergeld zu- der ersten Stufe schon eineNettosteuerentlastung von sammen. Nur, das Kindergeld nützt den Familien mit 10 Milliarden DM ermöglichen könnten. Kindern. (Joachim Poß [SPD]: Das ist nicht richtig!) (Zuruf von der SPD: Richtig!) Das ist alles bekannt. Die Haushaltszahlen und die Steu- Das ist aber ein kleinerer Prozentsatz. ermehreinnahmen, wie es Herr Merz auch dargestellt hat, würden das auch für Sie zulassen. Aber Sie brau- Die große Masse der Arbeitnehmer, die zu einem gut chen ja das Geld, um Ihre Wahlgeschenke zu finanzie- Teil nicht vom Kindergeld begünstigt wird, wird da- ren. Deswegen bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als den durch nicht entlastet. Deren Steuerbelastung bleibt hoch. Steuerzahler, der zu hoch belastet ist, nicht zu entlasten. Gerade die vom Bundesfinanzminister angeführten Facharbeiter – Krankenschwestern, Fernfahrer und wer (Joachim Poß [SPD]: Herr Solms hat ein dabei alles zu nennen ist – werden eben fast nicht entla- schwaches Gedächtnis!) stet, weil Sie den Tarif zwischen dem entlasteten Ein- Ich bin dem Bundesfinanzminister ausgesprochengangssteuersatz und dem gesenkten Spitzensteuersatz dankbar, daß er hier bestätigt hat – es ist ja erst ein ande- kaum korrigieren. In diesem Bereich schlägt der Tarif rer Eindruck erweckt worden –, daß er Systemkorrektu- zu. ren und -reformen im Sozialsystem für notwendig hält. Ich bin dankbar, daß Sie das bestätigen. (Joachim Poß [SPD]: Grundfreibeträge, Ein- gangssteuersätze!) Nur, was Sie angekündigt haben, ist doch das genaue Gegenteil von dem, was Sie tun. Sie wollen die Renten- Daher müssen die Facharbeiter weiterhin die hohen reform mit dem Einbau eines Altersfaktors aussetzen.Grenzsteuersätze in Kauf nehmen. Sie wollen eine Frühverrentung einführen. Irgendein (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Fonds soll das finanzieren. Natürlich müssen das Ar- ten der CDU/CSU) beitnehmer und Arbeitgeber bezahlen – das wird dazu nicht gesagt. Sie wollen die Gesundheitsreform wieder Das führt dazu, daß es nicht nur die kleinen und so korrigieren, daß Mehrbelastungen herauskommen.mittleren Unternehmen sind, die diese Last zu tragen Sie wollen die Lohnfortzahlung korrigieren. Sie wollen haben, sondern daß es eben auch die Facharbeiter sind, den Kündigungsschutz rückabwickeln. die diese Last zu tragen haben. Das sind die beiden Gruppen, die die Wirtschaft in Gang halten und den Lei- All das wird die Belastungen erhöhen und nicht sen- (B) stungsprozeß voranbringen. Um deren Entlastung wäre(D) ken, wird weniger Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt er- es in Wirklichkeit gegangen. möglichen und wird ihn belasten. Wenn schon Struktur- reformen, dann richtige! (Detlev von Larcher [SPD]: Deswegen wollten (Beifall bei der F.D.P.) Sie die Zuschläge besteuern!) Ich würde von Ihnen erwarten, daß Sie IhrenHaus- Das Steuerrecht wird durch Ihre Vorschläge auch haltsplan, den Sie längst vorgelegt haben müßten – so nicht einfacher. Sie führen zwei neue Steuerarten ein. wie wir unseren Haushaltsplan vor der Bundestagswahl Wann hat es das gegeben? Wir haben in den letzten Jah- vorgelegt haben –, jedenfalls vor der hessischen Land- ren viele Steuerarten beseitigt. Eine Mindeststeuer und tagswahl vorlegen, damit nicht der Eindruck eineseine Stromsteuer sind die zwei neuen Steuerarten. Wahlbetrugs oder Wahlmanövers entsteht. Bei der Mindeststeuer ist sowieso die Frage, ob sie (Beifall bei der F.D.P.) verfassungsrechtlich möglich ist. Sie wollen die soge- nannten passiven Einkünfte besteuern, obwohl bei- Das heißt: spätestens im Januar des nächsten Jahres. spielsweise die Tätigkeit im Immobilienbereich keine Nein, die Tarifreform, die Sie vorlegen, ist nicht aus- passive Tätigkeit ist. Damit erreichen Sie außerdem eine reichend. Sie erreichen nämlich nicht die notwendigezusätzliche Steuerungerechtigkeit, weil Einkünfte unter- Senkung der Steuerbelastung, die Voraussetzung dafür schiedlich behandelt werden: die einen mit Mindeststeu- ist, daß der Leistungsprozeß angeregt und finanzierter, die anderen ohne Mindeststeuer. Überlegen Sie sich wird und daß Investitionen in Gang kommen. noch einmal, ob Sie dabei bleiben wollen. Sie vergessen dabei – darüber ist kein Wort gesagt Die Stromsteuer führt uns zu dem Thema Einstieg in worden –, daß Sie denSolidaritätszuschlag nicht ab- die ökologische Steuerreform. Was ist darüber alles ver- schaffen oder senken wollen. Wenn Sie ihn zum Spit-breitet worden, und was ist dabei herausgekommen? Die zensteuersatz addieren, bleiben Sie bei über 50 Prozent. Grünen, ruhmreich wie häufig, sind angetreten mit Das ist eine viel zu hohe Besteuerung, die eine entspre- 5 DM pro Liter Benzin und sind bei 6 Pfennig mehr ge- chende Abwehr in der Öffentlichkeit erzeugen wird. landet. Tolle Leistung! 6 Pfennig Erhöhung derMine- (Joachim Poß [SPD]: Das haben Sie doch im- ralölsteuer wird das Verhalten der Verbraucher in kei- mer gefordert, aber nicht durchgesetzt, weil ner Weise ändern. das nicht zu finanzieren ist!) (Michael Glos [CDU/CSU]: Reines Abkas- Das kann so nicht weitergehen. siermodell!) 338 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Dr. Hermann Otto Solms (A) Das wird also keine ökologische Wirkung auslösen. Das Ergebnis der Steuerreform wird sein, daß dieje- (C) Wegen eines um 6 Pfennig höheren Benzinpreises wird nigen, auf die es ankommt, nämlich die Facharbeiter, die niemand einen Kilometer weniger fahren. Das zeigt, daß Leistungsbereiten, die Leistungsträger der Gesellschaft, die ökologische Steuerreform nichts anderes als einedie Ingenieure, aber auch die kleinen und mittleren Un- gute Begründung für mehr Steuereinnahmen ist. Darum ternehmen – zum Beispiel die Handwerker –, die die geht es Ihnen ja auch. Arbeitsplätze anbieten müssen, die Geld in die Hand nehmen müssen, um etwas auf den Weg zu bringen und (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) zu investieren, enttäuscht sind, sich abwenden werden Sie brauchen diese Steuereinnahmen eben, um dieund möglicherweise ins Ausland gehen werden. Genau verschiedenen Wahlgeschenke zu finanzieren. das ist die Gefahr, die damit verbunden ist. (Detlev von Larcher [SPD]: Wieso Wahlge- Das Hinausschieben auf neue Kommissionen führt schenke?) dazu, daß wir wichtige Jahre verlieren, in denen wir im Wettbewerb mit den Konkurrenzländern in Europa und – Die Wahlgeschenke, mit denen Sie die Wähler der in der Welt zurückfallen werden. Ich kann nur an Sie Mitte geködert haben, beispielsweise die Kindergelder- appellieren: Überprüfen Sie Ihre Pläne, machen Sie mit höhung, die Gesundheitspolitik, die Senkung der Ren- uns eine Steuerreform, die für niedrigere Steuersätze tenversicherungsbeiträge, sorgt und das Steuersystem einfacher und gerechter (Detlev von Larcher [SPD]: Das nennt der macht. Nur dann erzielen wir die notwendige Wirkung. „Wahlgeschenke“!) Wir müssen uns an den Konkurrenzländern und deren Steuersystemen messen. Wenn wir deren Niveau nicht aber auch der interessante neue Vorschlag vom Bundes- erreichen, dann fallen wir zurück. Ihre Pläne taugen finanzminister – den ich mit Interesse zur Kenntnis ge- nichts. nommen habe –, die Pflegeversicherung durch Steuern zu finanzieren. Das ist ein interessanter Vorschlag. Vielen Dank. Herr Lafontaine, wo waren Sie als Ministerpräsident des Saarlandes, als es um die Einführung der Pflegever- sicherung ging? Die F.D.P. hat damals händeringend ge- Vizepräsident Rudolf Seiters: Das Wort hat für die fordert und nach Unterstützung gesucht, die Pflegeversi- PDS-Fraktion Frau Dr. Christa Luft. cherung einzuführen. Sie sollte allerdings anders finan- ziert werden, nicht im Umlageverfahren, sondern im Kapitaldeckungsverfahren. Dr. Christa Luft (PDS): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn es wirklich so wäre, (B) (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Was? – wie die Abgeordneten der Fraktionen von CDU/CSU(D) Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr in- und F.D.P., die hier gesprochen haben, gesagt haben, teressant!) daß eine sinkende Steuerbelastung der Wirtschaft zu Man hätte natürlich die Lösung finden können, diemehr Arbeitsplätzen führt, dann hätte es in der Zeit der Regierung Kohl geradezu einen Beschäftigungsboom Pflegeversicherung für die pflegenahen Jahrgänge vor- geben müssen. übergehend steuerzufinanzieren und für die jüngeren Jahrgänge ein eigenständiges, kapitalgedecktes Versi- (Beifall bei der PDS) cherungssystem aufzubauen. Aber, Herr Bundesfinanz- minister, auch das Saarland hat damals einem AntragDenn es war die Regierung Kohl, die die Vermögen- des Bundesrates zugestimmt – 16 : 0 Stimmen –, steuer die ausgesetzt hat. Sie hat die Körperschaftsteuer re- umlagefinanzierte Pflegeversicherung einzuführen. Ich duziert. Sie hat den Solidarbeitrag für die Unternehmen will keine alten Wunden wieder öffnen. Ich sage nur:gesenkt, und sie hat die Gewerbekapitalsteuer abge- Wir sehen jetzt, daß diese Entscheidung falsch war, weil schafft. Der Anteil derUnternehmensteuern am Ge- sie dazu beigetragen hat, daß die Arbeitsplätze durchsamtsteueraufkommen in diesem Lande beträgt noch höhere Lohnzusatzkosten auf Grund der Beiträge zurganze 18 Prozent. Pflegeversicherung belastet werden. Wir erkennen, daß wir von diesem Weg herunterkommen müssen. Ich habe aber nicht vernommen, daß die Wirtschaft inzwischen ihre nicht unerheblichen Ansprüche an die (Beifall bei der F.D.P. – Ingrid Matthäus- Finanzierung öffentlicher Leistungen zurückgenommen Maier [SPD]: Die Hälfte wird doch über den hat. Ich denke beispielsweise an eine exzellente öffent- Feiertag bezahlt!) lich finanzierte Infrastruktur, die wir in diesem Lande haben und die ein hervorragender Wettbewerbsfaktor ist. Insofern bin ich gern bereit, in der Zukunft über diese Ich denke an Kultur und an eine gute Schulbildung der Frage mit Ihnen zu diskutieren. Aber das muß im Sinne Lehrlinge, die die Arbeitgeber aufzunehmen haben. Es einer Übergangsregelung durch Steuerfinanzierung ge- wird immer wieder verlangt, daß die Lehrlinge, wenn sie schehen, die zu einer individuellen, kapitalgedeckten in die Ausbildung kommen, mehr Schulbildung mitbrin- Pflegeversicherung hinführen muß. gen müssen. Dies alles stellt höhere Anforderungen an Ihre Pläne zu einer Steuerreform sind so chaotisch und die Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen. Das alles ist wirr, weil Sie versucht haben, die unterschiedlichsten In- teuer, das alles muß die öffentliche Hand bezahlen. Die- teressen miteinander zu verbinden. Dabei herausgekom- sen Zusammenhang zwischen dem, was man von der öf- men ist eben nur der kleinste gemeinsame Nenner. fentlichen Hand fordert, und dem, was man in den öf- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 339

Dr. Christa Luft (A) fentlichen Topf hineinzutun bereit ist, muß die Wirt-Eigentums, die die Verfassung dieses Landes vorsieht,(C) schaft natürlich erkennen und beachten. einzufordern. (Beifall bei der PDS) (Beifall bei der PDS) Trotz der erheblichen Steuerentlastungen in den ver- Es muß doch aufhören, daß das Steuerrecht für eine Ge- gangenen Jahren beobachteten wir aber einen ganz rigi- sellschaftspolitik zielgebend ist, wie es die alte Bundes- den Personalabbau. Insbesondere die Großunterneh- regierung vorhatte. Es muß doch umgekehrt sein: Ge- men haben Scheinselbständige produziert, um sich von sellschaftspolitische Ziele müssen Steuerpolitik und Sozialabgaben zu entlasten. Ihre wachsenden Gewinne Steuerrecht bestimmen. aber investierten sie nicht in die Produktion, um damit (Beifall bei der PDS) Beschäftigung zu schaffen, sondern sie nutzten wach- sende Gewinne für Finanzanlagen und Immobilienge- Insofern unterstützen wir die Intention des neuen Bun- schäfte. Wie man diese spekulativen Geschäfte bekämp- desfinanzministers. fen oder zumindest begrenzen kann, davon habe ich von der CDU/CSU und vom F.D.P.-Sprecher leider nichts Aber, Herr Bundesfinanzminister, es gibt auch vernommen. Schritte in Ihrem uns vorgelegten Paket, das ja ziemlich umfangreich ist, die uns auf dem Wege zu mehr sozialer (Beifall bei der PDS) Gerechtigkeit viel zu kurz ausgefallen sind. Ich nenne zum Beispiel die Senkung des Eingangssteuersatzes und Insofern ist das jetzt einsetzende Standortverschlechte- die Kindergelderhöhung. rungsgeschrei der Vertreter der Großindustrie wirklich fehl am Platze. Hoffentlich läßt sich die neue Bundesre- Die marginale Senkung desEingangssteuersatzes gierung davon auch nicht beeindrucken. 1999 wird – das vermute ich – durch Mieterhöhungen, durch Erhöhung von Abgaben und von Tarifen aufge- Als durchsichtig empfinde ich es auch, wenn sich die fressen werden, wie sie sich in den Kommunen und Großindustrie nun zum Fürsprecher desMittelstandes überall in diesem Lande anbahnt. macht. Bei dem Schrittmaß, mit dem Sie dieKindergelder- (Beifall bei der PDS) höhung angehen – Sie wollen es in vier Jahren um Wenn sie wirklich mit dem Mittelstand solidarisch sein 40 DM anheben –, bräuchten wir mehr als eine Genera- wollte, dann hätte sie ihn längst entlastet, indem sie sich tion, um an das Existenzminimum von Kindern heran- an den erheblichen Kosten für die Ausbildung jungerzukommen. Das ist keine akzeptable Aussicht, Menschen beteiligt hätte. Damit läßt sie jedoch den (Beifall bei der PDS) (B) Mittelstand, Handwerk und Gewerbe, allein. Gleichwohl (D) macht sie sich jetzt zum angeblichen Fürsprecher deszumal diese Regierung bei der Familienpolitik neue Mittelstandes; das ist schon ziemlich zynisch. Maßstäbe setzen will, was wir natürlich ausdrücklich unterstützen. Frau Scheel, wir werden Sie an das erin- Wir jedenfalls halten den vorgesehenen Abbau dernern, was Sie eben gesagt haben: daß auch Sie sich ein steuerlichen Bevorzugung von Großunternehmen für ge- höheres Schrittempo bei der Erhöhung des Kindergeldes rechtfertigt. Wir halten das auch für fair gegenüber dem vorstellen könnten. Wir werden darauf zurückkommen Mittelstand, der die meisten Arbeitsplätze und Ausbil- und meinen, daß im Laufe dieser Legislaturperiode da- dungsplätze in diesem Lande schafft. für noch Nachbesserungen notwendig sind. (Beifall bei der PDS) Warum könnte man nicht, Herr Bundesfinanzminister Wir könnten uns eine stärkere Förderung des Mittel-– auch das sollte in dem Katalog der Überlegungen ei- standes vorstellen, indem insbesondere eine direktenen Platz finden können –, einen ermäßigten Mehrwert- Wirtschaftsförderung und nicht nur eine Förderung auf steuersatz für Kinderbekleidung und Kinderschuhe ins dem indirekten Wege, also über Steuerentlastungen er- Auge fassen? folgt. (Beifall bei der PDS) (Beifall bei der PDS) Wer Kinder oder Enkelkinder hat, der weiß, wie viele Wir brauchen hier einen anderen Ansatz; den sollten wir Hundertmarkscheine jeden Monat herausgehen, vor al- nicht aus dem Auge verlieren. lem bei Kindern, die sich noch in der Wachstumsphase befinden. Vorbehaltlos ja sagen wir ebenfalls zur stärkeren Be- steuerung von Veräußerungsgewinnen beim Handel (Dr. [PDS]: Das ist sehr wahr! mit Wertpapieren und privaten, nicht selbstgenutzten Wir beiden wissen das, Herr Finanzminister!) Grundstücken. Das ist endlich der Einstieg in die Spe- Auf jeden Fall – das ist unsere grundsätzliche Kritik kulationsbekämpfung. Auch wir haben das lange gefor- an Ihrem Entwurf –: Mit den vorgesehenen richtigen, dert, und diese Tendenz unterstützen wir ausdrücklich. aber doch sehr marginalen Verbesserungen für untere (Beifall bei der PDS) Einkommen und Familien läßt sich nicht kaschieren, daß Sie die Wurzeln der in 16 Jahren Kohl-Regierung ent- Meine Damen und Herren, das hat nichts mit Sozial- standenen sozialen Schieflage in diesem Lande nur sehr, neid zu tun, sondern das ist ein Gebot sozialer Gerech- sehr zaghaft anpacken. Der Zustand wird doch eher ein- tigkeit. Es ist unsere Verpflichtung, die Sozialpflicht des gefroren. Ich nenne den Grundfreibetrag. 340 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Dr. Christa Luft (A) Die Erhöhung des steuerfreien Existenzminimums Eine weitere Kritik: Die Steuerreformpläne erwecken (C) auf 13 000 DM im Jahre 1999 läßt sich nun wahrlichüber weite Teile den Eindruck, als habe man bei der nicht als große Errungenschaft verkaufen. Die SPD war SPD nicht so richtig mit dem Wahlsieg gerechnet. Denn in der vergangenen Legislaturperiode der Auffassung, sonst müßten Sie doch schon viel mehr ausgearbeitete daß dieser Grundfreibetrag bereits 1996 auf 13 000 DM Konzepte in der Schublade haben. Aber hier wird vieles zu erhöhen sei. Die Bündnisgrünen sprachen damals von auf dem Verschiebebahnhof verschoben, mindestens 14 000 DM, um dem Gebot des Bundesver- (Beifall bei der PDS) fassungsgerichtes nach Steuerfreistellung des Existenz- minimums gerecht zu werden. Berücksichtigt man die indem man eine Kommission hierfür, eine Kommission Erhöhung der Lebenshaltungskosten seit 1996, danndafür bildet. Früher haben wir in der DDR gesagt: Wenn sind 13 000 DM und auch die 14 000 DM, die ab demdu nicht mehr weiterweißt, bilde einen Arbeitskreis! Jahr 2002 als steuerfreies Existenzminimum vorgesehen sind, zu gering. (Erneuter Beifall bei der PDS) Ich denke, die SPD hatte Zeit genug, ihre Pläne ausgear- Die Nationale Armutskonferenz hat sich Anfang beitet in der Schublade zu haben. dieses Monats dafür ausgesprochen, den Grundfreibe- trag auf etwa 17 000 DM anzuheben, und das ist auch Ich komme zum Schluß und sage Ihnen, meine Da- unsere Forderung. men und Herren: Der Bundeskanzler hat in seiner Regie- rungserklärung mehr Mut zum Ausprobieren neuer Mo- (Beifall bei der PDS) delle gefordert. Auf steuerpolitischem Gebiet, meinen Den Spitzensteuersatz wollen Sie, beginnend mitwir, könnte ein Weg dafür sein, beispielsweise über eine dem Jahr 2000, senken. Wir sehen, ehrlich gestanden,Wertschöpfungsabgabe nachzudenken, mit der nicht dafür keine Spielräume. Auch das ist kein Ausdruck von nur die Personalkosten mit Sozialversicherungsausgaben Sozialneid. Ich kann daran erinnern, daß es erst wenige belegt werden, sondern die gesamte Wirtschaftsleistung. Monate her ist, daß die Finanzexpertinnen und -experten Das würde die personalintensiven kleinen und mittleren der SPD-Bundestagsfraktion ebenfalls keine Spielräume Unternehmen entlasten. Die PDS wurde bei der Bun- für eine Absenkung des Spitzensteuersatzes gesehen ha- destagswahl 1998 von 30 Prozent der Selbständigen in ben. Ich frage mich: Wo ist denn dieser Spielraum inden neuen Ländern gewählt. Sie können uns glauben – den wenigen Monaten hergekommen? wir sind dort mit vielen im Gespräch –, daß diese sich einen solchen Weg sehr wünschen. Was tatsächlich an Vergünstigungen für Besserver- dienende und Unternehmen abgebaut wird, bleibt bis- (Beifall bei der PDS) lang noch unklar. Jeden Tag gelingt es mal diesem, mal (B) jenem Minister, mal auch den Unternehmerverbänden, (D) Vizepräsident Rudolf Seiters: Ich muß Sie bitten, die Streichliste weiter schrumpfen zu lassen. Herr Bun- zum Schluß zu kommen. desfinanzminister, Sie werden sich, wenn das mit der Schrumpfung der Streichliste so weitergeht, bei gleich- bleibender Wirtschaftsentwicklung ganz erhebliche Fi- Dr. Christa Luft (PDS): Ja. nanznöte organisieren. Man könnte auch neue Modelle ausprobieren. So Unsere Forderung ist, daß die Mehreinnahmen durch könnte eine Debatte über eine Devisentransaktionssteu- die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage nicht zur er, zunächst zwischen den Ländern der Europäischen Finanzierung der Senkung der Spitzensteuersätze bei der Union und schließlich darüber hinaus, angeschoben Einkommen- und Körperschaftsteuer, sondern zur Erhö- werden. All das wären aus unserer Sicht angemessene hung des Grundfreibetrages und zur Senkung des Ein- Innovationen. gangssteuersatzes genutzt werden. Wir werden an Ihrer Seite stehen, Herr Bundes- (Beifall bei der PDS) finanzminister, wenn es darum geht, durch die Steuer- politik soziale Gerechtigkeit zu befördern, Anreize für Damit könnte ein wirksamer Beitrag zur Entlastung ge- die Schaffung neuer Arbeitsplätze zu stimulieren und die rade unterer und mittlerer Einkommen und auch derBinnennachfrage anzufachen. kleinen und mittleren Unternehmen geleistet werden. Ein darüber hinausgehendes freies Finanzierungsvolu- Danke schön. men sollte für eine steuerbegünstigteInvestitionsrück- (Beifall bei der PDS) lage verwendet werden, die aus unserer Sicht für den Mittelstand ebenfalls unendlich wichtig wäre. Vizepräsident Rudolf Seiters: Das Wort hat für die Wenn ich sage, daß Sie soziale Ungerechtigkeit eher SPD-Fraktion die Kollegin Frau Ingrid Matthäus-Maier. einfrieren als spürbar abbauen, dann meine ich damit beispielsweise, daß Sie unverständlicherweise auf die sofortige Wiedererhebung derVermögensteuer ver- Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Sehr geehrter Herr zichten. Milliarden lassen Sie sich auf diese Weise ent- Präsident Seiters! Meine sehr verehrten Damen und Her- gehen. Wir können das nicht verstehen und stoßen heute ren! Eine Bemerkung vorweg: Auch Herr Merz hat eine mit einem entsprechendem Antrag dazu die Debatte in süffisante Bemerkung darüber gemacht, daß sich Christa diesem Hause wieder an. Müller, die Frau des Finanzministers, zur Wirtschafts- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 341

Ingrid Matthäus-Maier (A) und Finanzpolitik äußert. Das geht nun schon die ganze cher, Steuervergünstigungen und Rückstellmöglichkei-(C) Woche so. Ich habe mir das angehört. Es begann mitten auf ein international übliches Niveau. Herrn Schäuble und ging mit anderen weiter, so kam das Drittens. Wir steigen in eine ökologische Steuerre- zum Beispiel gleich mehrfach in der Rede von Herrn form ein, in der die Entlastung der Arbeit durch eine Wissmann vor, der ja ein ausgewiesener Spezialist für Verteuerung der Energie finanziert wird. Wir beginnen das partnerschaftliche Zusammenleben von Mann und damit schon 1999. Der Rentenversicherungsbeitrag, so Frau ist. hat es Herr Riester vorgestern gesagt, wird am 1. Januar (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) 1999 auf 19,5 Prozent abgesenkt, nachdem Sie ihn dau- ernd angehoben haben. Ich sage Ihnen – ich hoffe, daß damit die Debatte dar- über in dieser Woche ein Ende hat, Drei Wochen, nachdem wir die politische Mehrheit erhalten haben, haben wir in drei wichtigen Fragen das, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS was wir versprochen haben, eingehalten. Darauf sind wir 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der stolz, meine Damen und Herren. CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS – wer austeilt, muß auch einstecken, meine Damen und 90/DIE GRÜNEN) Herren, ich war dabei, als Herr Wissmann hier geredet hat: Die Zeiten, in denen Ehepartner von führenden Zum ersten Schwerpunkt gehören die Anhebung des Politikern Denk- und Diskussionsverbot hatten, sindGrundfreibetrages und die Absenkung des Eingangs- endgültig vorbei. Und das ist gut so. steuersatzes. Beides, besonders aber die Anhebung des Grundfreibetrages, ist geboten, – vor allen Dingen ver- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS fassungsrechtlich. Meine Damen und Herren von der 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten Opposition, ich habe nie verstanden, warum Sie nicht der PDS) mit uns zusammen den Grundfreibetrag, also das steu- erfreie Existenzminimum, auf 14 000 DM im Jahr erhö- Wenn Sie meinen, daß Sie mit solch einem Macho-hen wollen. Sie haben doch immer das Thema Lohnab- Gerede Wähler und Wählerinnen zurückgewinnen, lie- standsgebot, also einen ausreichenden Abstand zwischen gen Sie schief. Deswegen bitte ich Sie, das zu lassen. Sozialhilfe und niedrigen Einkommen, in die Debatte (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gebracht. Sie reden doch so gerne davon, daß sich Lei- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der stung lohnen muß. Dies ist ein guter Satz; er darf aber PDS) nicht auf Ihre Weise interpretiert werden. Sie argumen- tieren nämlich folgendermaßen: Leistung muß sich loh- (B) Die SPD hält Wort: Keine drei Wochen nach dernen! Frage: Wer leistet etwas? Antwort: Derjenige lei-(D) Kanzlerwahl liegt dem Deutschen Bundestag der Ge-stet etwas, der viel verdient. Folge: Derjenige, der viel setzentwurf zur großen Steuerreform vor. Die SPD ist verdient, muß noch etwas oben draufgelegt bekommen. von der Opposition in die Regierungsverantwortung in Sie wollen daher die Steuersätze insbesondere für Spit- einem Tempo durchgestartet, von dem die heutige Op- zenverdiener senken. position nur träumen kann. Das ist nicht unsere Philosophie. Für uns ist derjenige (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS Leistungsträger, der eine Familie ernährt, der Kinder 90/DIE GRÜNEN) großzieht, der morgens ins Büro oder an die Werkbank geht. Diese Menschen sind bei Ihnen und Ihrer Steuer- Aber nicht nur das Tempo der Politik hat sich geändert, politik schmählich unter die Räder gekommen. Das hört auch der Inhalt der Politik und schließlich auch noch – auf. das ist ganz wichtig – der Stil der Politik. Nachdem es vorher jede Menge Steuerlügen gegeben hat, können wir (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS nämlich ein Gesetzespaket vorlegen, in dem genau das 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten verwirklicht wird, was wir vor der Wahl versprochen der PDS) haben. Das hat es in diesem Lande in steuerpolitischen Fragen selten gegeben. Es ist gut, daß wir das ändern. Vizepräsident Rudolf Seiters: Frau Kollegin Matt- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS häus-Maier, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge- 90/DIE GRÜNEN) ordneten Thiele? Wir haben versprochen, drei Schwerpunkte anzuge- hen: Erstens. Wir stoppen die bisherigen Umverteilun- Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Bitte. gen zu Lasten der Arbeitnehmer und ihrer Familien und entlasten eine Familie mit zwei Kindern und durch- schnittlichem Einkommen stufenweise. Im nächsten Carl-Ludwig Thiele (F.D.P.): Frau Kollegin Matt- Jahr werden es 1 000 DM sein, im Jahre 2002 sogarhäus-Maier, würden Sie dem Hohen Haus bestätigen, 2 700 DM. daß in der letzten Periode das Existenzminimum für alle Steuerpflichtigen, auch für Kinder, von der alten Koali- Zweitens. Wir senken die Steuersätze für die Unter- tion erheblich erhöht wurde, daß der Familienleistungs- nehmen, für die großen, aber auch für den Mittelstand, ausgleich komplett neu geregelt wurde und daß das Kin- und reduzieren dafür Ausnahmeregelungen, Schlupflö- dergeld von seinerzeit 70 DM auf derzeit 220 DM er- 342 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Carl-Ludwig Thiele (A) höht wurde? Wir haben also erhebliche Leistungen für Ich darf Ihnen einmal § 31 des Einkommensteuergeset- (C) die Familien erbracht. zes vorlesen, damit dieser Quatsch, von einem Wahlge- schenk zu reden, aufhört. (Widerspruch bei der SPD) Die steuerliche Freistellung eines Einkommensbe- Und können Sie bestätigen, daß durch das Jahressteu- trags in Höhe des Existenzminimums eines Kindes ergesetz 1996 und durch den Fortfall des Kohlepfennigs wird durch den Kinderfreibetrag . . . oder durch das im Jahre 1996 die Bürger in unserem Lande mit etwa Kindergeld . . . bewirkt. 30 Milliarden DM entlastet wurden und daß insbesonde- re die niedrigen Einkommen diese Entlastung erfahren Sie sehen, ein Blick in das Gesetz erleichtert manchmal haben? die Rechtsfindung. (Beifall bei der SPD) (Zurufe von der SPD: Oh! – Joachim Poß [SPD]: Sie stehen doch noch auf der Redner- Wir werden im Jahre 2002 die Höhe des Kindergel- liste, Herr Thiele!) des auf 260 DM anheben. Wir finanzieren das durch eine wirklich maßvolle Reduzierung desEhegatten- splittings, beginnend oberhalb eines zu versteuernden Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Herr Kollege, esEinkommens von 170 000 DM. steht fest, daß nicht Sie, die alte Koalition, sondern wir, (Walter Hirche [F.D.P.]: Wir werden noch se- der Bundestag, zusammen mit dem Bundesrat und dem hen, ob das verfassungsgemäß ist!) Vermittlungsausschuß das Kindergeld erhöht haben. Ich darf daran erinnern, daß Herr Waigel bis zum letzten Ich habe in diesem Hause oft darüber gesprochen, aber Tag dagegen war, das Kindergeld von 70 DM weiter an- lassen Sie mich eines dazu sagen: Wir gelten steuerlich zuheben. Wir haben es gegen Ihren Widerstand durch- auf der ganzen Welt als ein besonders ehefreundliches gesetzt. Land, nicht aber als ein kinderfreundliches. Denn wenn Sie sechs Kinder haben und großziehen, erhalten Sie (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS keine so hohe Steuerentlastung wie ein Ehepaar mit 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten einem hohen Einkommen, das keine Kinder hat. Wo der PDS) sind wir eigentlich hingekommen? Bis zum letzten Tag in diesem Wahlkampf haben Sie (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS gesagt: 250 DM Kindergeld ist nicht drin. Viele von 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten Ihnen haben die Erhöhung des Kindergeldes herab- der PDS) würdigend als eine Art Steuergeschenk bezeichnet, was (B) (D) man besser sein lasse, womit man sich Wähler kaufenErst ab dem siebten Kind haben Sie mehr Kindergeld, würde. Ist Ihnen nicht klar, daß nicht nur der normaleals im Vergleich dazu der maximale Splittingvorteil er- Steuerzahler das Recht auf ein steuerfreies Existenz-geben würde. Wenn wir das ein wenig umschichten, minimum hat – das erreichen wir über den Grundfreibe- dann ist das eine maßvolle, richtige Reform. trag –, sondern daß auch die Familien mit Kindern das Frau Eichhorn sagte in diesen Tagen, sie habe Zwei- Recht auf Steuerfreiheit in Höhe der Kosten für diefel an der Wirksamkeit der Kindergelderhöhung. Denn Ausgaben für die Kinder haben? Die Steuerfreistellung das Kindergeld für das erste und das zweite Kind sei geschieht in Deutschland zu 95 Prozent über das Kin-nicht so wichtig. Wichtiger sei die Höhe des Kindergel- dergeld. Deswegen ist es notwendig, daß wir entgegen des für Familien mit mehr Kindern. Liebe Frau Eich- Ihren dauernden Äußerungen das Kindergeld horn, auf vielleicht ist Ihnen entgangen, daß eine Familie 250 DM anheben. mit vier oder fünf Kindern auch ein erstes und ein zweites Kind hat. Auch diese Familie wird also eindeu- Auch den Grundfreibetrag wollen Sie nicht auf tig entlastet. 14 000 DM anheben. Wenn sich Ihre Meinung in dieser Frage geändert hat – nach Ihrer Zwischenfrage zu (Beifall bei der SPD) schließen, könnte das der Fall sein –, dann kann ich nur sagen: Machen Sie mit uns mit! Das Angebot liegt vor. Herr Merz sagte in seiner Rede, eine Erhöhung des Es ist nichts einfacher, als daß Sie zustimmen. Kindergeldes sei nicht in Ordnung. (Widerspruch des Abg. Friedrich Merz (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS [CDU/CSU]) 90/DIE GRÜNEN) – Also gut, es ist doch in Ordnung. – Eigentlich finde er Daß auch Spitzenforscher – ich will das einmal so sa- es nicht so gut. Denn was habe der Familienvater davon, gen – nicht vor Torheit in dieser Frage geschützt sind,wenn er mehr Kindergeld habe, aber arbeitslos werde? sieht man daran, daß in ihrem Herbstgutachten die sechs wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute mei- Das führt zu einer grundsätzlich unterschiedlichen nen, man könnte auf die Erhöhung des Transfers – ge- Betrachtungsweise dessen, was wir hier tun. Meine Par- meint war das Kindergeld – verzichten, um etwas ande- tei war immer der Ansicht, es sei ein vernünftiges Mit- res mit dem Geld zu finanzieren. einander von Nachfragepolitik und Angebotspolitik er- forderlich. Klar ist auch: Wenn ein Familienvater nicht (Zuruf von der F.D.P.: Arbeitsplätze!) genug Geld in der Tasche hat, um einzukaufen, dann Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 343

Ingrid Matthäus-Maier (A) kann auch die Wirtschaft nicht die Produkte verkaufen, ziert. Dafür haben wir den Wählerauftrag. Das werden(C) die sie gerne verkaufen möchte. wir tun. Ich weiß, daß Sie das nie glauben, wenn die SPD das (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS sagt. Das betrifft das alte Wort von Ford: Autos kaufen 90/DIE GRÜNEN) keine Autos. Aber ich las in diesen Tagen ein Wort des BMW-Chefs Pischetsrieder; vielleicht überzeugt Sie das Ein weiterer Schwerpunkt: Senkung derUnterneh- eher. Er sagte: mensteuersätze, nicht nur für die Großen, sondern auch für Mittelstand, Handwerk und Einzelhandel auf 35 Pro- Arbeitsplätze werden nicht von Unternehmen ge- zent in Stufen und dafür Beseitigung bzw. Reduzierung schaffen, von Ausnahmen und Rückstellungsmöglichkeiten. – das ist eben ein weitverbreiteter Irrtum – Das Feldgeschrei, das entstanden ist, hatte ich erwar- sondern von Kunden. Nur wenn wir Kunden fin-tet. Ich will nicht verhehlen: Ich habe meine Partei im- den, die unsere Produkte oder Dienstleistungen so mer gewarnt, daß die Steuersenkungen sehr schnell ein- attraktiv finden, daß sie bereit sind, Teile ihres Ein- kassiert würden, aber bei jeder Gegenfinanzierungsmaß- kommens dafür auszugeben, dann können wir mehr nahme ein großes Wehklagen anheben würde. Aber hier Arbeitsplätze schaffen. handelt insbesondere die Wirtschaft nach dem System der Rosinenpicker. Sie sagt: Steuersätze wie in Amerika Deswegen sage ich Ihnen: Eine richtige Mischung von und die Ausnahmen weg. Tatsächlich aber wollen sie Angebots- und Nachfragepolitik zu schaffen, diese Poli- sich die Rosinen aus beiden Systemen herauspicken, tik unterscheidet uns von Ihrer. Dafür hat uns der Wäh- nämlich niedrige Steuersätze wie in Amerika und viele ler eine Mehrheit gegeben. Denn Ihre Politik war abge- Ausnahmen wie in Deutschland. Beides geht aber nicht wirtschaftet. zusammen. Das werden wir auch nicht tun. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 90/DIE GRÜNEN) Wir werden die Steuerreform in Stufen durchführen. Drei Argumente, warum dieses Wehklagen nicht be- Im Jahre 2002 wird es zu einer Nettoentlastung in Höhe sonders glaubwürdig ist. Erstes Argument: Hätten wir von 15 Milliarden DM kommen. der Steuerreform von CDU/CSU und F.D.P. im letzten In den Zeitungen ist zu lesen, daß man uns mehr Mut Jahr zugestimmt – wozu uns die Wirtschaftsverbände gewünscht hätte, daß wir kleinmütig seien. Mein Ein-aufgefordert hatten –, dann würde der Großteil der Ge- druck ist, daß viele, die so vornehm von „mehr Mut“genfinanzierungsmaßnahmen, über die sie jetzt klagen, (B) sprechen, mehr Schulden meinen. bereits im Gesetzblatt stehen. Es kann ja wohl nicht sein, (D) daß Gegenfinanzierung bei Schwarzgelb besser als bei (Dr. Barbara Höll [PDS]: Nein!) Rotgrün ist. Manche sagen es auch. Ich habe zum Beispiel ein In- Zweitens. Sie finden bei denen, die uns sagen, wir terview mit Herrn Wohlers, einem Vertreter der For-sollten die Steuersätze senken und vieleAusnahmen schungsinstitute, gelesen. Er sagte zur Steuerreform un- abschaffen, dann, wenn es um Ihren persönlichen ge- serer Koalition, ein etwas höheres Staatsdefizit kollidie- schäftlichen Bereich geht, immer wieder genau die ent- re nicht mit den Stabilitätskriterien des Maastricht-gegengesetzte Haltung. Vertrages. Ich hätte eigentlich erwartet, daß dieser Herr nicht nur den Maastricht-Vertrag kennt, sondern auch Mir kommt ein neues Buch in die Hand: „Aktie, Ar- Art. 115 des Grundgesetzes. Nachdem Herr Waigel uns beit, Aufschwung“ mit einem Vorwort von Rolf E. einen Haushalt lieferte, der bei den Ausgaben für Inve- Breuer. Beredte Forderung, daß die Steuersätze gesenkt stitionen nur 1 Milliarde DM über dem Betrag der Ver- und keine Ausnahmen gemacht werden sollen. Dann le- schuldung liegt, wäre es wirklich fahrlässig zu meinen, se ich auf Seite 153: hier könnte man netto noch etwas drauflegen. Weiteren Auftrieb könnte der Finanzplatz durch ei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ne andere steuerliche Ausnahmebestimmung er- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) halten: eine zeitlich befristete Senkung der Steuer- sätze für ausländische Experten. Dabei sollte man Oder ein von mir wirklich geschätzter Journalist nicht bei Halbherzigkeiten bleiben. Das Beste wäre schreibt in der „Süddeutschen Zeitung“ noch offener: eine vollständige Steuerfreiheit auf fünf Jahre. Das Es ehrt Rotgrün, daß es keine Schuldenwirtschaft hätte mit den sonstigen Ausnahmebestimmungen, betreiben will. Auf dem Wege zu einer durchschla- etwa Verlustzuweisungen und Sonderpauschbeträ- genden Steuerreform aber ist soviel Seriosität hin- ge für einzelne Berufsgruppen, nichts gemein. derlich. Es wäre besser, die Steuersätze kompro- mißlos zu drücken und dafür steigende Haushalts- Nein, es ist unglaubwürdig, das Prinzip zu fordern und defizite in Kauf zu nehmen. bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit von uns Politikern dann eine Sondervorschrift für die eigene Nein, ich antworte: Finanzpolitische Seriosität ist nieKlientel zu verlangen. hinderlich. Gerechte Steuern und solide Finanzen gehö- ren zusammen. Wir haben vor der Wahl versprochen: (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS Unsere Steuerreform ist bescheidener, aber solide finan- 90/DIE GRÜNEN) 344 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Ingrid Matthäus-Maier (A) Drittes Beispiel – ich muß zugeben, ich wußte nicht vielen Gesprächen in meinem Wahlkreis, daß die Masse (C) recht, ob ich mich nun ärgern sollte oder ob es geradezu der Einzelhändler, der Handwerker, des Mittelstandes, unverschämt ist –: Heute morgen steht in der Zeitung, nicht 214 000 DM zu versteuerndes Einkommen im Jahr wie sich die Versicherungswirtschaft über unsere Pläne hat. Deswegen ist eines klar: Wer etwas für den Mittel- beschwert. Eigentlich hatte ich erwartet, es kämen Dan- stand tun will, der muß auch den Mut haben, mittel- kesschreiben. Ich erinnere mich daran, daß im Steuerre- standsfreundliche Sonderregelungen zu machen. Das tun formpaket der alten Koalition zum Beispiel eine scharfe wir mit unserem Paket, und dabei bleibt es. Besteuerung der Lebensversicherung vorgesehen war, Wissen Sie, woran es mich erinnert, wenn sich zum und zwar im Bestand. So etwas gibt es bei uns nicht. Beispiel Herr Henkel als Schutzpatron des Mittelstandes Trotzdem beschwert sich die Versicherungswirtschaft. aufführt? Ich habe noch die Zeiten miterlebt, in denen Ich lese Ihnen einmal einen Kommentar von meiner ört- Herr von Heereman der Präsident des Bauernverbandes lichen Zeitung, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, vor. Sie war, ein Großgrundbesitzer – den Hof im Münsterland schreibt: hätten Sie einmal sehen sollen. Wenn es darum ging, die Jammern gehört zum Geschäft, das ist beim Versi- Subventionen für die großen Bauern zu streichen oder cherungsverband nicht anders als bei anderen Lob- anzutasten, dann setzte er die kleinen Bauern in Hessen byisten. Doch sollten die Versicherer bei ihrer Kri- und Bayern in Gang, damit sie für ihn die Kartoffeln aus tik an den Bonner Steuerplänen die Kirche im Dorf dem Feuer holen. So kommt es mir vor, wenn sich Herr lassen. . . . Viele Konkurrenten im Ausland benei- Henkel zum Mittelstand äußert. Nein, die Bedrohung den die hiesigen Unternehmen seit langem um die kommt nicht durch das Steuerrecht, sondern durch die üppigen Abschreibungs- und Rückstellungsregeln . . . großen Konzerne, die die kleinen schlucken. Platte Drohungen, man werde Stellen abbauen, (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Ausbildungsplätze kürzen oder gar ins Ausland GRÜNEN und der PDS) abwandern, sind vor diesem Hintergrund ziemlich fehl am Platze. Rationalisieren wird die Branche, Letzter Punkt: Herr Solms, Sie haben gesagt, wir er- die in den letzten sechs Jahren bereits rund 20 000 fänden neue Steuern, und nannten die sogenannteMin- Stellen strich, weiterhin, auch ohne die Bonnerdeststeuer. Pläne. (Walter Hirche [F.D.P.]: Die Ökosteuer hat er Daß Sie uns deswegen angreifen und uns den Ar- auch genannt!) beitsplatzabbau, den die Unternehmen zwecks Rationa- Nein, wir führen keine neue Steuer ein. Wir begrenzen lisierung ohnehin vorhatten, in die Schuhe schiebendie Möglichkeit der Verrechnung von Verlusten. Ge- wollen, weise ich zurück. Manche bekommen den Hals stern habe ich in der Zeitung die Anzeige gelesen: (B) nicht voll. (D) „Hohe Verlustzuweisungen locken – Flugzeugleasing“. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Darin ist von Verlustzuweisungen in Höhe von GRÜNEN und der PDS) 198 Prozent in vier Jahren die Rede. Dazu kann ich nur sagen: Wir verhindern, daß Einkommensmillionäre Nun zum Mittelstand. Viele vergessen, daß sowohl durch die Verrechnung der Verluste aus anderen Ein- von der Verbesserung des Grundfreibetrages als auchkunftsarten überhaupt keine Steuern mehr zahlen, wäh- von der Senkung des Eingangssteuersatzes und der Er- rend die Edeka-Verkäuferin enorm zur Kasse gebeten höhung des Kindergeldes selbstverständlich auch derwird. Mittelstand, Handwerker und Einzelhändler, profitiert. Da gesagt wird, es gebe diese und jene Mehrbelastung: (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Wenn es Mittelständler gab – und vereinzelt muß es die- GRÜNEN und der PDS) se gegeben haben –, die exzessiv von Ausnahmevor-Das ist keine Steuer. Wir stellen eine Mindestbemes- schriften Gebrauch gemacht haben, die wir abschaffen, sungsgrundlage her. Wer will, mag sich an solchen dann kann es sein, daß diese stärker belastet werden.Verlustzuweisungsgesellschaften gerne auch in Zukunft Tatsache aber ist: Auch der Mittelstand wird durch unser beteiligen. Aber die Gewinne, die er daraus zieht, wer- Konzept entlastet. den wir kräftig reduzieren. (Beifall des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgit- Das, meine Damen und Herren, hat der Wähler ge- ter] [SPD]) wollt. Ihre Politik, die empirisch, durch Erfahrung ge- Wir haben gerade die Frist für Sonderregelungen zugun- scheitert ist, wollte er nicht mehr. Er hat uns die Chance sten des Mittelstandes verlängert. gegeben, all das, was wir vor der Wahl zur Steuerpolitik gesagt haben, umzusetzen. Das werden wir tun. Damit Diese – ich darf es einmal etwas frech formulieren – werden Sie sich abfinden müssen. Spitzensteuersatzfetischisten, die so tun, als käme in al- (Anhaltender Beifall bei der SPD und dem ler erster Linie dem Mittelstand die Spitzensteuersatz- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei der senkung zugute, darf ich einmal darauf aufmerksam ma- PDS) chen, daß der Spitzensteuersatz für die gewerblichen Betriebe – und darum geht es –, der 47 Prozent beträgt, von einem Mittelständler, zum Beispiel Handwerker, Vizepräsident Rudolf Seiters: Das Wort hat für die dann erreicht wird, wenn er als Verheirateter im JahrCDU/CSU-Bundestagsfraktion die Kollegin Gerda Has- mehr als 214 000 DM zu versteuern hat. Ich weiß ausselfeldt. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 345

(A) Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU): Herr Präsident!men vorgesehen. Wir brauchen die Senkung nicht erst(C) Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Lobes- irgendwann, sie darf nicht nur in Aussicht gestellt wer- hymne, Frau Matthäus-Maier, auf das, was Sie uns als den. Wir brauchen sie als erstes. Die Senkung der Steu- Steuerreform vorgelegt haben, war völlig unangebracht. ersätze ist der zentrale Punkt. In Wahrheit ist es nichts anderes als ein Finanzierungs- (Beifall bei der CDU/CSU) manöver, ein Umverteilungsmanöver, ein Abkassie- rungsmanöver. Sie haben sie nur in Trippelschritten vorgesehen; beim Eingangssteuersatz ganz minimal und beim Spitzensteu- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ersatz nur als Kosmetik. Es belastet zusätzlich diejenigen, die Arbeitsplätze zur Wenn Sie von 35 Prozent Steuersatz bei Unterneh- Verfügung stellen sollen. Es belastet die Betriebe, die men sprechen, so wollen wir das erst einmal sehen. Unternehmen, es belastet die Wirtschaft zugunsten des Konsums. Das kann es nicht sein, wenn es darum geht, (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr richtig!) Herr Lafontaine, daß diese Steuerreform auch – natür- lich nicht alleine – dazu beitragen soll und muß, dieDas sind nichts als vage Versprechungen. Die Gegenfi- wirtschaftliche Situation zu verbessern und für mehr In- nanzierung haben Sie ohnehin schon verbraten. Sie ver- vestitionen und für mehr Arbeitsplätze zu sorgen. braten sie schon jetzt zu Lasten derjenigen, die die Ar- beitsplätze zur Verfügung stellen sollen, um das Kinder- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) geld zu erhöhen. Das nämlich ist Ihre Finanzierungs- quelle. Einen Steuersatz von 35 Prozent haben wir also Daß mit diesem Vorhaben ein Umverteilungsmanö- noch nicht. ver verbunden ist, hat der Finanzminister selbst zugege- ben. Er hat zugegeben, daß diejenigen, die die Arbeits- Im übrigen ist das Problem, das sich verfassungs- plätze zur Verfügung stellen sollen, in der Vergangen- rechtlich zeigt, noch gar nicht gelöst. Herr Lafontaine heit schon entlastet wurden und jetzt nicht mehr entlastet sprach heute davon, es müsse gerecht zugehen, es müse werden müssen. Er hat völlig außer acht gelassen, wie Steuergerechtigkeit herrschen. Wie ist es – vorausge- die Situation im internationalen Vergleich ist. Herr La- setzt, Sie schaffen die 35 Prozent wirklich – denn mit fontaine, wir müssen uns dort orientieren, wo wir sind. der Gerechtigkeit, wenn Einkommen aus unselbständi- Wir sind nicht auf einer Insel der Seligen. Wir haben uns ger Arbeit um vieles höher besteuert wird als Einkom- an die Bedingungen in den anderen Ländern anzuglei- men aus selbständiger Arbeit? Diese Spreizung der chen. Steuersätze müssen Sie nicht nur dem Verfassungsge- richt, sondern auch den Betroffenen erst einmal erklä- (Beifall bei der CDU/CSU) ren! (B) Wir können nicht einfach zusehen, daß wegen der besse- (D) (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr richtig!) ren steuerlichen Bedingungen in anderen Ländern um uns herum die Arbeitsplätze aus Deutschland weg verla- Mit Gerechtigkeit hat dies überhaupt nichts zu tun. gert werden und die Arbeitslosen, diejenigen, die drin- gend auf Arbeit angewiesen sind, dann die Leidtragen- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) den sind. Notwendig wäre es, neben niedrigeren Steuersätzen Ich weiß sehr wohl, daß die Steuerreform dies nicht und durch sie eine Nettoentlastung zu erreichen. alles alleine schultern kann, aber sie ist ein ganz wichti- (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr wahr!) ges, wenn nicht sogar das wichtigste Instrument zur Be- kämpfung der Arbeitslosigkeit. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Von Ihnen wird immer wieder argumentiert: Das können wir uns nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) leisten, weil die Haushaltsspielräume nicht so sind. – Deshalb muß sich jede Steuerreform daran messen las- Erst vor wenigen Wochen haben Wirtschaftsfor- sen: Ist sie dazu geeignet, Wachstumskräfte zu stimulie- schungsinstitute deutlich gemacht, daß für das Jahr 1999 ren, ist sie dazu geeignet, das Steuerrecht an die interna- Entlastungsspielräume von 20 bis 30 Milliarden DM tionalen Bedingungen anzugleichen, ist sie dazu geeig- möglich seien. net, Arbeitsplätze und Investitionen zu schaffen? (Joachim Poß [SPD]: Die kennen den Art. 115 Da stellt sich natürlich die zentrale Frage: Brauchen nicht, aber Sie müßten den doch kennen!) wir dazu mehr Nachfrage, oder brauchen wir mehr Inve- – Von derSteuerschätzung , deren Ergebnis in die- stitionen? Diese Frage ist von den Fachleuten beant-sen Tagen bekanntgegeben wurde, Herr Poß, hat Herr wortet, die brauchen wir uns gar nicht erneut zu stellen. Lafontaine bei seinen Ausführungen überhaupt nicht ge- Wir haben nicht in erster Linie ein Nachfrageproblem. sprochen; er hat sie einfach totgeschwiegen. Eine der Unser Problem liegt auf der Angebotsseite. Die Bedin- wichtigsten Nachrichten in diesen Tagen, wenn wir über gungen für die Unternehmer müssen verbessert werden. Steuerpolitik diskutieren, ist doch, daß die Steuerschät- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zung ergeben hat, daß in diesem Jahr 7,8 Milliarden DM mehr zu erwarten sind, als dies Anfang des Jahres zu- Da steht an allererster Stelle die Senkung der Steuer- nächst einmal angenommen werden mußte. Herr Lafon- sätze. In unserem Konzept war eine deutliche Senkung taine, da können Sie nicht einfach zur Tagesordnung auf 15 Prozent Eingangssteuersatz, 39 Prozent Spitzen- übergehen und das totschweigen. Das ist eine Tatsache. steuersatz und 35 Prozent Steuersatz für die Unterneh- Das ist nicht von allein gekommen, sondern das ist das 346 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Gerda Hasselfeldt (A) Ergebnis der vernünftigen, soliden, sparsamen Haus- Es wird einem dann gelegentlich gesagt, man habe ja (C) halts- und Finanzpolitik von Theo Waigel. viele Nachbesserungen vorgenommen. Welche Nach- besserungen haben Sie, gerade für denMittelstand , (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- denn vorgesehen? Sie haben nur etwas verschoben; Sie ordneten der F.D.P. – Detlev von Larcher haben nur Anspar- und Sonderabschreibungen nicht [SPD]: Herr Waigel klatscht vorsichtshalber gleich abgeschafft, sondern wollen das erst in ein paar nicht! – Gegenruf des Abg. Dr. Theodor Wai- Jahren tun. Beim Verlustrücktrag genauso. Sie haben gel [CDU/CSU]: Herr von Larcher, seien Sie hier nur minimale Korrekturen vorgenommen; Sie haben sofort still!) nichts Substantielles gemacht. Sie haben vor allem zu Die Spielräume, die wir haben, müssen genutzt wer- keiner Zeit – das ist meines Erachtens ein ganz wichtiger den, um die Steuerpflichtigen zu entlasten, nicht, um Ih- Punkt – über die Verringerung der Staatsquote disku- re Haushaltslöcher zu schließen, die daraus entstanden tiert. Bei Ihnen waren weder die Verringerung der sind, daß Sie das Geld schon verbraten haben. Es geht Staatsquote und der Staatsausgaben noch Ausgabenkür- darum, diese Entlastungsspielräume den Steuerpflichti- zungen ein Thema. Wir haben diese Trendwende bei den gen, den Frauen und Männern in unserem Land, zugute Staatsausgaben eingeleitet; Sie verspielen sie wieder. kommen zu lassen; es geht darum, Spielräume fürAr- Meine Damen und Herren, Sie hätten die gute Gele- beitsplätze und Investitionen zu schaffen. genheit gehabt, am Anfang Ihrer Regierungszeit durch (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Vorlage eines vernünftigen, ausgewogenen, vor allem zielgerichteten Steuerreformkonzeptes dazu beizutragen, Sehr wichtig ist dabei auch, das Ganze gerecht zu ge- mehr Arbeitsplätze und mehr Investitionen in Deutsch- stalten, es solide zu finanzieren und dabei natürlich die land zu ermöglichen. So aber, wie Sie sich in der ver- Bemessungsgrundlage zu verbreitern. Auch das hatten gangenen Legislaturperiode einer sinnvollen Lösung wir vorgesehen. Allerdings hatten wir vorgesehen – das verweigert haben, sind Sie auch heute zu einer richtigen ist ein ganz entscheidender Unterschied –, das nur in Lösung nicht bereit. Sie haben damit schon am Anfang Verbindung mit deutlichenSteuersatzsenkungen zu Ihrer Regierungszeit eine große Chance selbst vertan. machen. Das haben Sie so nicht vorgesehen. Wir haben es auch vom zeitlichen Ablauf her anders vorgesehen als (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Sie. Sie machen es nämlich so, daß Sie die steuerliche Entlastung weit in die Zukunft hinein verschieben; erst in einigen Jahren soll sie kommen. Vizepräsident Rudolf Seiters: Ich gebe das Wort für Bündnis 90/Die Grünen dem Kollegen Klaus Müller. (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr wahr!)

(B) Selbst die Kindergelderhöhung zum jetzigen Zeit- Klaus Wolfgang Müller (Kiel) (BÜNDNIS 90/DIE (D) punkt führt nicht zu einer Nettoentlastung. Das Ausmaß GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine ver- dieser Entlastung ist eigentlich lächerlich. Sie finanzie- ehrten Damen und Herren! Auch ich kann es mir nicht ren obendrein das Ganze über Belastungen, verkneifen, noch einmal auf den Kollegen Merz zurück- (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Der Wirt- zukommen. Ich habe heute morgen gelernt, daß es ihm schaft!) leider nicht möglich war, sich das Buch des Herrn Staatsministers Hombach zu leisten. Nun ist es ja so, daß und zwar nicht erst dann, wenn die Entlastung eintritt, auch Bundestagsabgeordnete von Steuersatzsenkungen sondern schon jetzt, nämlich über zusätzliche Belastun- profitieren. Ich schlage vor, daß Sie das Geld, das ab gen für diejenigen, die Arbeitsplätze zur Verfügungdem 1. Januar 1999 auch bei Ihnen mehr im Geldsäckel stellen sollen. Das machen Sie, um konsumtive Ausga- ist, für dieses Buch ausgeben und so die Wirtschaft för- ben zu finanzieren. dern. Es gibt noch mehrere andere Bücher – eines von (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: So ist das!) dem Herrn Finanzminister, eines von den Herren Mos- dorf und Kleinert –, bei denen das Geld sicherlich gut Das führt nicht nur nicht zu zusätzlichen Arbeitsplätzen, angelegt ist. sondern es ist darüber hinaus kontraproduktiv. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Walter Hirche [F.D.P.]: Das ist Gift für Ar- beitsplätze!) Aber jetzt zum Thema: Neben der Ökosteuer und der Einkommensteuerreform werden wir in dieser Legisla- Es wird mit Sicherheit dazu führen, daß wir einen Ver- turperiode noch ein drittes Reformpaket anschieben: ei- lust von Arbeitsplätzen haben. Alles, was sich in den ne wirtschafts- und finanzpolitisch sinnvolleUnter- letzten Wochen und Monaten auf Grund unserer Politik nehmensteuerreform. Dabei stehen wir vor einer etwas am Arbeitsmarkt positiv getan hat, nämlich daß die Ar- paradoxen Situation: Einerseits klagen Unternehmen, beitslosenzahlen zurückgegangen sind und daß die Verbände und demnächst bestimmt auch die Opposition Staatsquote zurückgegangen ist, all das, was wir in den – Herr Solms hat damit heute schon angefangen – über vergangenen Jahren trotz schwierigster Ausgangspositi- die hohen Steuersätze für Unternehmen. Andererseits on durch die Wiedervereinigung geleistet haben, wird hat man sich im Zuge der größten Fusion der jüngeren durch Ihre einseitige nachfrageorientierte Steuerpolitik deutschen Geschichte, der von Daimler und Chrysler, si- wieder aufs Spiel gesetzt. cherlich nicht aus ideologischen Gründen für den Steu- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wil- erort Deutschland entschieden. Ich bin sicher, das hat helm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unsinn!) etwas mit der steuerpolitischen Realität in diesem Lande Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 347

Klaus Wolfgang Müller (Kiel) (A) zu tun. Auch daran, daß der Anteil des Steueraufkom- Internationale Vergleichbarkeit und Vereinfachung ist (C) mens der deutschen Wirtschaft von 1980 bis 1996 von unser Ziel. Die internationale Vergleichbarkeit ist insbe- 27 Prozent auf 15 Prozent gesunken ist, erkennen wir, sondere auch deshalb von Bedeutung, da in der Wirt- daß die Realität anscheinend anders ist, als es die Kla- schaftspolitik die Zeit der Nationalstaaten längst vorbei gen glauben machen wollen. Wie kann das sein ange-ist. Wenn wir wirksam politisch gestalten wollen, dann sichts der vielzitierten hohen Tarife? im europäischen Rahmen. Das Problem des deutschen Steuerrechtes im Bereich In einer europäischen Steuerharmonisierung liegt der Unternehmen ähnelt dem Dilemma bei der Einkom- die politische Aufgabe der kommenden Jahre. mensteuer: Die Steuertarife sind vergleichsweise hoch, die Bemessungsgrundlage aber, also der ausgewiesene (Zustimmung beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Gewinn der Unternehmen, ist im Vergleich zu anderen NEN) Ländern auffällig gering. Für eine seriöse Debatte in den kommenden Wochen und Monaten müssen wir alsoSelbstverständlich gehören dazu ein stabiler Euro und zwischen den nominellen Steuersätzen und der realeneine unabhängige und transparente Europäische Zentral- Steuerbelastung unterscheiden. bank. Wenn wir jetzt die Steuerreform im Unternehmensbe- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES reich durchführen wollen, sind wir, so glaube ich, gut 90/DIE GRÜNEN) beraten, aus der Debatte um die Einkommensteuerre- Eine europäische Einigung über die steuerliche Be- form zu lernen. Kollegin Christa Luft, wir setzen nicht handlung von Kapital und Gewinnen eröffnet auch den umsonst Arbeitskreise ein – nicht weil wir nicht wüßten, was wir sonst tun sollten, sondern weil wir die Wissen- nationalen Regierungen neue Gestaltungsmöglichkeiten. schaftlerinnen und Wissenschaftler, die Unternehmerin- Kapitalflucht und Betriebsverlagerungen verlieren dann nen und Unternehmer und ihre Funktionäre von Anfang einen Teil ihres Schreckens. Ich gehe davon aus, daß die an dabeihaben wollen. Ob in einer Bund-Länder-europäische Steuerpolitik und -harmonisierung ein we- Kommission oder im Rahmen des Bündnisses für Ar-sentliches Thema der deutschen Ratspräsidentschaft sein beit, es sind sicherlich verschiedene Möglichkeitenwird. denkbar. Aber wichtig ist eben, daß man dies nicht le- Im Hinblick auf die Europäische Union ist noch ein diglich von oben herab vorschlägt und durchsetzt, son- anderer Punkt von Bedeutung. Spätestens mit der EU- dern es gemeinsam diskutiert. Osterweiterung wird die Weiterentwicklung des euro- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) päischen Finanzsystems auf der Tagesordnung stehen. Trotz des Shareholder-value-Gedankens gilt Auch in wenn die Fragen einer europäischen Steuerhoheit verfassungsrechtlich und die Diskussion eines Finanz- (B) Deutschland der handelsrechtliche Bilanzierungsgrund- (D) satz: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Deswe- ausgleichs politisch nicht ganz einfach sind, sollten wir gen sollten wir gemeinsam diskutieren, wie wir es inuns dieser Debatte stellen. Zukunft mit der Bewertung von immateriellem Vermö- Aber auch auf deutscher Ebene ist die Finanzverfas- gen, materiellem Anlagevermögen, Wertpapieren, Ver- sung reformbedürftig. Gerade die Gemeinden haben bindlichkeiten und mit der Rückstellungsbildung halten unter dem steuersystematisch sinnvollen Wegfall der wollen. Fragen der Bilanzierungsvorschriften und das Gewerbekapitalsteuer gelitten. Auch wenn die Einnah- Verhältnis von Steuer- und Handelsrechtwerden wir meausfälle durch höhere Umsatzsteueranteile teilweise sehr sorgsam diskutieren müssen, da das sehr viele Un- kompensiert worden sind – ein Autonomieverlust war es ternehmen betrifft. Sinnvoll wäre hier eine Umkehr der allemal. In unseren Augen sind Städte und Gemeinden Beweislast. Das heißt, je breiter wir die Bemessungs-im Hinblick auf die Agenda 21 wichtige Träger des grundlage machen, je realitätsnäher die Bilanzierung,Nachhaltigkeitsprozesses. Hier müssen wir wieder desto weiter können die Grenzsteuersätze sinken. Ich bin Handlungsspielräume schaffen. Deshalb haben wir uns froh, daß sowohl Bundeswirtschaftsminister Müller ge- im Koalitionsvertrag entschlossen, die Finanzkraft der stern als auch Finanzminister Lafontaine heute ausge- Gemeinden zu stärken und das Gemeindefinanzsystem führt haben, daß unser Ziel eine schrittweise Reduzie- rung der Sätze auf 35 Prozent ist. Mit konstruktiver Un- einer umfassenden Prüfung zu unterziehen. terstützung der Verbände und vielleicht sogar der Oppo- Wir haben uns vorgenommen, die Neuordnung der sition werden wir dieses Ziel, so glaube ich, erreichen. Finanzverfassung für das Jahr 2005 vorzubereiten. Dafür Zumindest in dem Ziel müßten wir uns mit dem ehe- wollen wir eine Enquete-Kommission einrichten. Im maligen Finanzminister Herrn Dr. Theo Waigel eigent- Vordergrund stehen dabei natürlich finanzpolitische lich einig sein, der im August letzten Jahres an dieserFragen, insbesondere, wie es für alle Länder wieder at- Stelle ausführte: traktiv sein kann, zusätzliche Einnahmen zu erzielen. Wir brauchen das Stopfen der Schlupflöcher, damit Ich möchte den Bogen aber gerne noch etwas weiter mehr Geld zur Schaffung von arbeitsplatzschaffen- spannen und an die Antrittsrede des neuen Bundesrats- den Investitionen eingesetzt wird als zur Suche nach präsidenten, Herrn Ministerpräsident Eichel, vor einer dem günstigen Steuersparmodell. Woche anknüpfen. Ich stimme ihm ausdrücklich zu, daß Ich kann nur sagen: Dieses Ziel, Herr Waigel, verfolgen die Bundesländer nicht zu „regionalen Verwaltungskör- auch wir. perschaften des Bundes absinken“ dürfen. Ich kann mir vorstellen, daß das auch auf die Unterstützung der CDU (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) trifft. 348 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Klaus Wolfgang Müller (Kiel) (A) Wir sollten deshalb neu über die Verzahnung undBundeskanzler, der jetzt hier in den Reihen sitzt, mit ei- (C) Aufgabenverteilung von Bund und Ländern und über ner Steuerreform angetreten, die in drei Stufen umge- die Funktion der Mischfinanzierungen und Gemein-setzt wurde und ein Entlastungsvolumen von schaftsaufgaben nachdenken. Die Rahmen- und die kon- 44 Milliarden DM umfaßte, 44 Milliarden DM in einer kurrierende Gesetzgebung dürfen die Länder nicht zuZeit, in der das Steueraufkommen insgesamt etwas mehr gefesselten Tigern machen. Es geht bei der Diskussion als die Hälfte von heute ausmachte. Sie müssen das auch um eine größere Transparenz und um erweiterteGanze also etwa auf 88 Milliarden DM Nettoentlastung parlamentarische Spielräume für unsere Kolleginnenverdoppeln. Dann wollen Sie das, was Sie heute vorle- und Kollegen in den Länderparlamenten. gen, damit vergleichen? Aufgabenzuweisungen seitens des Bundes dürfen in Was wichtiger ist: Gestartet wurde diese Steuerre- Zukunft nicht mehr allein zu Lasten von Ländern undform damals schon mit einem ersten Schritt von Gemeinden gehen und diese mit den Kosten belasten.11 Milliarden DM Nettoentlastung. Wir erinnern uns nur ungern an die Nebenwirkungen des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz oder die (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Verpflichtungen aus dem Bundesnaturschutzgesetz. Das NEN]: Da war der Haushalt aber noch besser!) Konnexitätsprinzip – auf deutsch: „Wer bestellt, der be- Der Kollege Uldall hat erst neulich noch einmal eine zahlt“ – muß gelten, insbesondere solange Länder undZusammenstellung gemacht. Die würde ich Ihnen emp- Gemeinden nicht über eigene Einnahmespielräume ver- fehlen. Danach gab es mehr als 10 Milliarden DM fügen. Steuerentlastung für die Wirtschaft. Das Ergebnis: In Im Rahmen der Enquete-Kommission sollten wir uns einer langanhaltenden wirtchaftlichen Wachstumsent- Gedanken über das steuerpolitische Trennsystem ma-wicklung wurden Arbeitsplätze geschaffen. Das war in chen, ohne dabei allerdings die berechtigten Interessen den 80er Jahren das Resultat der drei Stufen einer – auch der Länder an stabilen Steuereinnahmen zu ignorieren. systematisch – vernünftigen Steuerreform. Wir werden uns Gedanken über die Gratwanderung der (Beifall bei der CDU/CSU) Länder zwischen Pluralität und Wettbewerb untereinan- der machen müssen. Jetzt sagt der neue Finanzminister Lafontaine: Mit Steuern alleine kann man ja letztlich keineArbeitsplät- Ich gehe davon aus, daß wir hier über Fraktionsgren- ze schaffen; das wird die wirtschaftliche Entwicklung zen hinweg eine konstruktive Debatte erleben werden, inklusive der Beiträge der Ministerpräsidentin und Mini- nicht entsprechend beeinflussen. Herr Lafontaine – Herr Schlauch, unterbrechen Sie einmal kurz die Unterhal- sterpräsidenten von Bayern bis Schleswig-Holstein. tung, dann kann er zuhören –, genau das Gegenteil ha- (B) Rotgrün hat sich für die kommenden vier Jahre viel ben aber alle wirtschaftswissenschaftlichen Gutachten in (D) vorgenommen. Wie heißt es so schön: Packen wir's an! den 80er Jahren bestätigt: Durch die vernünftig gestal- tete Nettoentlastung der Bürger wurden damals tatsäch- Vielen Dank. lich Arbeitsplätze geschaffen. Sogar das Institut von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herrn Flaßbeck, das DIW, hat damals bestätigt, daß dies und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der das Ergebnis der Steuerpolitik war. Heute wollen Sie PDS) gewissermaßen zur Steuerpolitik sagen, sie könne so- wieso nicht helfen, aber nur, weil Sie einen Vorschlag gemacht haben, der völlig unzureichend ist. Das Wort hat der Vizepräsident Rudolf Seiters: Natürlich haben Sie, Frau Matthäus-Maier, 5 Prozent bayerische Staatsminister der Finanzen, Professor Senkung der Körperschaftsteuersätze für 1999 ange- Dr. Kurt Faltlhauser. kündigt. Haben wir denn vergessen, daß die Bundesre- gierung, die am 27. September abgelöst wurde, die Kör- Staatsminister Dr. Kurt Faltlhauser (Bayern): Herr perschaftsteuer um 16 Prozentpunkte gesenkt hat? Das Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt nicht nur waren noch Zeiten: 16 Prozent! Das sind große Schritte. in Kirchen und in barocker Umgebung Weihrauchfaß- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und schwenker. Die gibt es auch – das wissen wir alle – in der F.D.P.) der Politik: Genau das wurde damals gemacht: Entlastung der (Detlev von Larcher [SPD]: Das haben wir Wirtschaft zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Und heute 16 Jahre erlebt!) – wir haben es genau nachgerechnet – das Gegenteil: Ih- Die neugewählte Finanzausschußvorsitzende, Fraure Steuerreform führt zu einerBelastung der Wirt- Scheel, hat sich heute in die Reihe der politischen Weih- schaft von insgesamt 16,5 Milliarden DM. rauchschwenker eingereiht, indem sie verkündet hat: Damit wollen Sie die Konjunktur und die Wettbe- Diese Steuerreform ist die größte, die bisher in der Bun- werbsfähigkeit dieses Landes fördern? Ich glaube, es ist desrepublik Deutschland vorgelegt wurde, sozusagen die der gegenteilige Weg, den Sie gehen. Ich habe von Ge- GröStaZ. rechtigkeit gehört. Vor den Wahlen, Herr Lafontaine, Das fordert natürlich einen Vergleich heraus. Wirhabe ich immer gehört, Sie wollen Arbeitsplätze schaf- müssen in das Jahr1982 zurückgehen. Damals ist der fen! Hätten Sie doch das Instrument des Steuerrechts Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 349

Staatsminister Dr. Kurt Faltlhauser (Bayern) (A) genutzt, um Arbeitsplätze zu schaffen! Sie haben die Sa- Gespräche führen, bitten, diese Gespräche draußen zu(C) che hier völlig verfehlt. führen. – Herr Staatsminister, Sie haben das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – (Michael Glos [CDU/CSU]: Im hinteren Teil, Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: So spricht der das ist der Mob! – Dr. Peter Ramsauer Mann an Stoibers Seite!) [CDU/CSU]: Schlauch ist das hintere Teil!) Die große Reform in den 80er Jahren, die ich gerade erwähnt habe, und die Petersberger Beschlüsse verdie- Staatsminister Dr. Kurt Faltlhauser (Bayern): Ich nen vom Volumen und vom Konzept her den Begriffmöchte fortfahren, indem ich noch einmal anfange, den „groß“, Frau Scheel. Das, was hier vorgelegt wird, kön- letzten Satz des Artikels 108 des Maastrichter Vertrags nen Sie bestenfalls als Mickymausreform darstellen. zu zitieren: (Detlev von Larcher [SPD]: Diese undankba- Die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft ren Wähler! Ihr wart so gut und seit nicht ge- sowie die Regierungen der Mitgliedstaaten ver- wählt worden!) pflichten sich, diesen Grundsatz Lassen Sie mich noch etwas zur Unausgewogenheit – der Nichtbeeinflussung – des Konzeptes sagen. Wir haben errechnet, Herr Lafon- taine, daß die Unternehmer, die vom Steueraufkommen zu beachten und nicht zu versuchen, die Mitglieder insgesamt 21 Prozent erbringenen, 77 Prozent der ge- der Beschlußorgane der EZB oder der nationalen samten Gegenfinanzierung tragen. Im übrigen – das sage Zentralbanken bei der Wahrnehmung ihrer Aufga- ich insbesondere als Bayer –: Die Landwirtschaft, die ben zu beeinflussen. bisher 1 Prozent des Steueraufkommens erbringt, wird Jetzt frage ich einmal: Was bedeutet „abstimmen“ denn jetzt durch die Gegenfinanzierung mit 3 Prozent bela-anderes als beeinflussen? stet. Eine Verdreifachung der steuerlichen Belastung – das nenne ich Bauernlegen, meine Damen und Herren. (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Genau!) Mir ist aber jetzt eine zweite Anmerkung zum neuen Dieser Vorschlag und diese Rede des Bundesfinanzmi- Finanzminister noch wichtiger. Herr Lafontaine, Sie ha- nisters waren nichts anderes als ein Angriff auf die Un- ben heute hier ausdrücklich noch einmal betont: Sieabhängigkeit des Systems der europäischen Zentralban- wollen die Unabhängigkeit der Bundesbank und des ken. künftigen Systems der europäischen Zentralbanken nicht antasten. Gleichzeitig haben Sie gesagt – ich habe genau (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der F.D.P.) (B) mitgeschrieben –, daß Sie in ZukunftHaushalts- und (D) Geldpolitik abstimmen wollen. Lassen Sie mich noch eine Anmerkung zu dem Wort (Bundesminister Oskar Lafontaine: Ja und?) machen, das dem Finanzminister offenbar so sehr ge- fällt, die Zins-Steuer-Quote. Die Zins-Steuer-Quote, die Die Haushaltspolitik ist Aufgabe der Exekutive, dieses Sie mit 23 Prozent angegeben haben, beträgt nach mei- Finanzministeriums und dieser Regierung, und des Bun- nen Unterlagen – die Zahl kann jedermann aus der Bi- destages. Sie ist Aufgabe der Politik. Die Philosophiebliothek dieses Hauses herausholen – 17 Prozent. der Geldpolitik in diesem Land und jetzt auch in Europa ist, daß Geldpolitik alleine von der Bundesbank und in (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: 26!) Zukunft von der Europäischen Zentralbank gemacht– 17 Prozent. Ich gebe es dem Finanzminister dann wird, alleine und unbeeinflußt. Wer abstimmen will, will weiter. – Wichtig sind jedoch nicht Ihre 23 Prozent im beeinflussen. Wer abstimmen will, will die Unabhän-Saarland oder die 4 Prozent in Bayern. Wichtig ist die gigkeit dieses Systems gezielt aushöhlen. Das ist derSteigerungsrate. Von 1969 bis 1982 – das ist die Zeit der Punkt! Sie haben es hier gesagt. Regierungen von Brandt und Schmidt – ist diese Quote (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- von 2,8 Prozent auf 12,1 Prozent gestiegen. Während ordneten der F.D.P.) der Regierungszeit von Stoltenberg und Waigel ist sie lediglich von 12,1 Prozent auf 17 Prozent gestiegen, Dieser Punkt verstößt auch gegen den Artikel 108 des obwohl die Lasten der deutschen Einigung bewältigt Maastrichter Vertrages, in dem es ausdrücklich heißt – werden mußten. ich erlaube mir, Herr Lafontaine, das vorzulesen –: (Bundesminister Oskar Lafontaine: Da haben Die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft – – Sie die falschen Zahlen!) (Bundesminister Oskar Lafontaine: Ich kenne Das ist der entscheidende Unterschied. Trauen Sie sich ihn!) ja nicht, hier mit irgendwelchen Zahlen anzukommen; da schauen Sie schlecht aus. – Offenbar nicht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der F.D.P.) Vizepräsident Rudolf Seiters: Herr Staatsminister, darf ich Sie kurz unterbrechen? – Ich möchte die Kolle- Zum Abschluß möchte ich – ich bitte Sie, daß Sie mir ginnen und Kollegen, die im hinteren Teil des Saalesdiese Zeit noch gönnen – etwas zu einer Angelegenheit 350 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Staatsminister Dr. Kurt Faltlhauser (Bayern) (A) zwischen Bund und Ländern sagen, Herr Finanzmi- Schon der Titel dieses Gesetzes ist falsch und irrefüh- (C) nister. Sie haben mit diesem Steuergesetz vorgeschla-rend. Es handelt sich nämlich um ein Steuererhöhungs- gen, das Kindergeld zu erhöhen. Wir widersprechen gesetz. dem nicht. Nur, man muß das finanzieren, und vor allem (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- muß man in dem Gesetz auch festlegen, wer das bezah- ten der CDU/CSU) len soll. Das steht in keiner Zeile in diesem Gesetz. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich – der ehema- Denn obwohl in den nächsten vier Jahren die Steuerein- lige Finanzminister Waigel wird das sicherlich auchnahmen nach der Steuerschätzung ohne die Steuererhö- tun – an folgendes: Damals saßen uns in der nordrhein- hung durch die Ökosteuer um 160 Milliarden DM stei- westfälischen Vertretung unter anderem Herr Schleußer gen werden, will die neue rotgrüne Koalition lediglich und Frau Matthäus-Maier im vierten Jahr, im Jahr 2002, die Bürger um 15 Milliar- den DM entlasten. Selten hat es eine solch drastische (Zuruf von der CDU/CSU: Was wollte die Steuererhöhung gegeben, die ohne entsprechende Ent- denn da?) lastungen der Bürger zu einer weiteren Strangulierung gegenüber. Sie haben uns damals gesagt, daß unbedingt der Wirtschaft unseres Landes führen wird. ins Grundgesetz hineingeschrieben werden muß – ein (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) ungewöhnlicher Vorgang –, daß bei der Umstellung der Kindergeldzahlungen die Länder tatsächlich entlastet Viele Bürger haben nach dem Wahlsieg der neuen Ko- werden müssen. Die Länder sollten also ihren entspre- alition gehofft, daß diese neue Koalition zu neuen Ufern chenden Anteil haben. Das wurde ungewöhnlicherweise aufbrechen würde und daß eine Steuerreform vorgelegt in Art. 106 Abs. 3 des Grundgesetzes festgelegt. In § 1würde, die diesen Namen tatsächlich verdient. Das Ge- des Finanzausgleichsgesetzes wurde nach langen Ver- genteil ist der Fall. Dies haben wir insbesondere Ihnen, handlungen die Quote von 74 Prozent zu 26 ProzentHerr Bundesfinanzminister Lafontaine, zu verdanken; festgelegt. Wenn dies rechtlich so klar ist, Herr Lafon- denn diese Koalition kennt einen Kanzler – der in den taine, dann müssen Sie Ihren Haushalt so gestalten, daß Koalitionsverhandlungen nicht anwesend war – und einen die 1,8 Milliarden DM, um die die Kindergelderhöhung Regierungschef, nämlich Sie, Herr Bundesfinanzminister die Länder über diese Quote hinaus belastet – insgesamt Lafontaine. Deshalb ist es gut, daß diese Debatte als zen- kostet die Kindergelderhöhung 5,7 Milliarden DMtrale –, Debatte auch ohne Anwesenheit des Kanzlers, aber den Ländern unmittelbar weitergegeben werden; sonst mit Ihrer Anwesenheit hier geführt werden kann. machen Sie sich eines Gesetzesbruchs und eines Verfas- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) sungsbruchs schuldig. Nach Ihrem Selbstverständnis, Herr Minister Lafon- (B) (Beifall bei der CDU/CSU) taine, hatte in den vergangenen Jahren nicht (D) nur Deutschland, sondern letztlich auch Europa auf den Ma- Das hat nichts zu tun mit dem üblichen Streit um die kroökonomen Oskar Lafontaine gewartet. Ich habe den Deckungsquote, der durch alle Regierungen hindurch- Eindruck, daß Ihr persönliches Ziel nicht die Bundesre- geht. Das ist ein abgekoppeltes Geschäft. Das müssen publik Deutschland, sondern Europa ist. Sie sind hier Sie den Ländern zugestehen. Darüber hinaus müssen Sie auf der Durchreise und wollen zukünftig weite Teile Eu- übrigens auch weitere Beträge – ich habe das auf der Fi- ropas mit Ihrer Auffassung von Politik und Wirtschaft nanzministerkonferenz entsprechend vorgetragen – von beglücken. insgesamt 9,5 Milliarden DM vorsehen. Ihre Auffassung von Politik vertraut eben nicht den Ich komme – in einem letzten Schlußsatz, Herr Präsi- Bürgern in unserem Lande. Ihre Auffassung von Politik dent – noch einmal auf etwas zurück: Ich hatte eigent- vertraut nur auf den allmächtigen, alles regelnden Staat: lich nach so langer Ablehnung eines guten Steuerkon- Steuerung der Konjunktur durch Nachfrage, Beschädi- zeptes, der sogenannten Petersberger Beschlüsse, er-gung der Unabhängigkeit der Bundesbank und der Eu- wartet, daß eine neue Regierung mit Mut und mit Ge-ropäischen Zentralbank, Aufweichen der Stabilitätskrite- staltungskraft eine Steuerreform vorlegt, die Arbeits-rien. Damit gehen Sie das Risiko ein, die Stabilität des plätze schaffen kann. Das Gegenteil ist der Fall. Es ist Euro langfristig zu gefährden. Das ist die falsche Politik bitter enttäuschend. zur Lösung der Probleme unseres Landes. Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Das jetzt vorgelegte Steuerkonzept trägt eindeutig die Handschrift einer strukturkonservativen SPD. Die Grü- nen mit ihren ursprünglichen Vorstellungen fanden so- Vizepräsident Rudolf Seiters: Das Wort hat für die wieso nicht statt. Wenn Frau Scheel erklärt, Sie wollten F.D.P.-Fraktion der Kollege Carl-Ludwig Thiele. sich jetzt bemühen, dann muß ich dazu sagen: Das reicht nicht, Sie werden sich durchsetzen müssen! Sie haben sich nicht durchgesetzt, und Sie werden sich auch zu- Carl-Ludwig Thiele (F.D.P.): Sehr geehrter Herrkünftig nicht durchsetzen, weil Ihre Politik der SPD Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir ziemlich egal ist. beraten heute in erster Lesung ein Gesetz, welches die (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Überschrift „Steuerentlastungsgesetz“ trägt. ten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 351

Carl-Ludwig Thiele (A) Denn – das möchte ich noch einmal in die Diskussion benseite findet nicht statt. Deshalb wird nach Ihrem Re- (C) bringen – wo bleibt eigentlich die drastische Vereinfa- zept die Staatsquote nicht sinken. Das ist der Punkt, der chung des Steuerrechts? Wo bleibt die Umsetzung des allerorts vermißt wird. Es kann doch nicht angehen, daß Bareis-Gutachtens, nämlich die Streichung aller Aus-der Sozialstaat weiter ausufert. Diejenigen, die Vorsorge nahmen, die die Grünen ursprünglich vorgesehen haben? betreiben, werden höher belastet, während diejenigen, Wo bleiben die deutlichen Steuersenkungen über dendie keine Vorsorge betreiben, durch einen ausufernden gesamten Tarif? Sozialstaat zu Lasten der Leistungsfähigen in unserem Land belohnt werden. Nichts ist vom Steuerkonzept der Grünen übrigge- blieben. Das einzige, was in diesem Steuergesetz übrig- Zugleich entdecken Sie neue Mehrbelastungen in geblieben ist, ist eine massive steuerliche Mehrbela-Ihrem Haushalt in Höhe von 10 Milliarden DM im stung, die für die Wirtschaft seitens der neuen Koalition Jahr 1999. Wenn man sich die Pressemeldungen genauer auch eingeräumt wird. anschaut – den Haushaltsentwurf haben wir ja bis heute nicht –, dann kann man feststellen, daß von den Den einfachen Bürgern wird vorgegaukelt, daß eine 10 Milliarden DM angeblicher Mehrbelastung allein Steuerentlastung für sie stattfinde. Aber nicht einmal das 3 Milliarden DM dadurch entstehen, daß und ist richtig. In der Steuertabelle der Koalition wird das zu das Saarland zusätzlich mit 3 Milliarden DM beglückt versteuernde Einkommen in D-Mark miteinander vergli- werden sollen. chen. Dabei unterschlagen Sie die schleichende Steuer- erhöhung durch den Progressionstarif. Eine Familie mit (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Selbstbe- zwei Kindern und 60 000 DM zu versteuerndem Ein- diener!) kommen wird in drei Jahren ein erheblich höheres steu- erpflichtiges Einkommen haben als in diesem Jahr. Bei Sie, Herr Finanzminister Lafontaine, haben sich einer Steigerung der Bruttolohns um 4 Prozent hat eine schon in Ihrer Zeit als Ministerpräsident des Saarlandes Familie mit zwei Kindern bei erhöhtem Kindergeld im vom Bund die Kosten Ihrer politischen Führung bezah- Jahr 2001 300 DM mehr Steuern zu zahlen als derzeit.len lassen. Daß Sie nun auch als neuer Finanzminister Wenn ein Ehepaar keine Kinder hat, dann haben diese eine Morgengabe in dieser Größenordnung Ihrem Nach- Bürger in unserer Gesellschaft sogar 1 000 DM mehrfolger im Saarland – zu Lasten aller anderen Steuerzah- Steuern zu zahlen, als sie es derzeit tun müssen. Das ist ler, zu Lasten der neuen Bundesländer, die dringend auf keine Entlastung der Bürger; das ist ein schamloses Ab- Hilfe angewiesen sind, und zu Lasten von Investitionen kassieren der Bürger durch den Staat. im neuen Haushalt – zukommen lassen, das ist schon ei- ne besondere Form der Vetternwirtschaft. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- (B) In den nächsten vier Jahren steigen die Steuerein- ten der CDU/CSU) (D) nahmen um 160 Milliarden DM, um etwa 20 Prozent des derzeitigen Steueraufkommens. Davon lediglich Die F.D.P. bekennt sich zur freien und zur sozialen 15 Milliarden DM zurückzugeben bedeutet mehr Staats- Marktwirtschaft. Aber Leistung muß sich in unserem einnahmen, Abzocken der Bürger. Die Neue Mitte wird Lande auch lohnen, und das kann nicht dadurch erfol- von Ihnen als Melkkuh der Nation betrachtet. gen, daß für diejenigen, die Leistung erbringen, die Steuerlast erheblich erhöht wird. Die F.D.P. hat in der (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- vergangenen Legislaturperiode darauf gedrängt, daß die ten der CDU/CSU – Detlev von Larcher Bürger um 30 Milliarden DM netto entlastet werden. [SPD]: Herr Thiele, Herr Thiele!) Das, Frau Matthäus-Maier, hat – ebenso wie die Erhö- hung des Kindergeldes – nicht die SPD durchgesetzt. Herr Bundesfinanzminister, ich frage Sie: Wie sollen Wenn Sie ehrlich sind, dann werden Sie zugeben müs- auf diesem Wege die von Ihrer Regierung propagierten sen, daß die Mehrheit in den letzten vier Jahren bei der neuen Arbeitsplätze entstehen? Wie sollen mit diesem Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. und nicht bei Ihnen Steuerreformkonzept die Weichen für die Zukunft unse- war. res Landes so gestellt werden, daß mehr in zukünftige Arbeitsplätze investiert wird? Wie sollen bei diesem (Detlev von Larcher [SPD]: Was haben wir Steuerkonzept ausländische Investoren ermutigt werden, kämpfen müssen im Finanzausschuß!) in Deutschland und nicht in anderen – auch europäi- schen – Mitbewerberländern zu investieren? Das wird Diese Koalition hat den Familienleistungsausgleich mit diesem Konzept nicht passieren! durchgesetzt und die Leistungen für Kinder in unserer Gesellschaft von 70 DM auf 220 DM erhöht. Sehr geehrter Herr Finanzminister, das Problem in Deutschland besteht nach wie vor nicht darin, daß wir (Beifall bei der F.D.P.) zuwenig Staatseinnahmen haben; vielmehr besteht das Problem darin, daß wir zu viele Staatsausgaben haben. Vizepräsident Rudolf Seiters: Herr Kollege Thie- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- le, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten ten der CDU/CSU) Wagner? Ein ernster Sparwille ist bei Ihnen nicht vorhanden. Die Sanierung der öffentlichen Haushalte über dieAusga- Carl-Ludwig Thiele (F.D.P.): Ja. 352 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

(A) Hans Georg Wagner (SPD): Herr Kollege Thiele, Haushaltsentwurf des jetzigen Abgeordneten und dama- (C) wären Sie bereit, zuzugeben, daß das, was Sie als Be-ligen Bundesfinanzministers Dr. Waigel erklärt hat, er glückungsaktion des Herrn Lafontaine für das Saarland sei so gut, daß er von der SPD neu in den Bundestag bezeichnet haben, auf einem Urteil des Bundesverfas-eingebracht werden könne. sungsgerichts beruht und daß Ihre Regierung die weite- ren Hilfen für Bremen und das Saarland im Haushalt (Widerspruch des Abg. Detlev von Larcher 1999 – zwar ohne Zahlen, aber dem Grunde nach – vor- [SPD]) gesehen hatte, über den wir in erster Lesung beraten ha- In diesem Haushalt des ehemaligen Bundesfinanzmi- ben? nisters Dr. Waigel gibt es keine Leistung für das Saar- land und Bremen. Es ist überhaupt nichts beziffert. Inso- fern soll diesen beiden Ländern eine Morgengabe über- Carl-Ludwig Thiele (F.D.P.): Herr Kollege Wagner, Sie werden mir vermutlich zustimmen, daß im derzeitreicht werden. Wir werden darüber diskutieren müssen. geltenden Finanzausgleichsgesetz geregelt ist, welcheAber es ist ganz interessant, daß eine solche – nicht un- Mittel die Länder Bremen und Saarland bis zum Jahrwichtige – Information derzeit zwischen den Zeilen aus 1998 erhalten. Mir ist aber kein Gesetz bekannt, welches der Presse herausgelesen werden kann. Dies zeigt, daß den Bundestag und den Bundesfinanzminister zwingt,es Ihnen nicht darum geht, zu sparen und über die Aus- entsprechende Sonderzuweisungen für Bremen und gabenseite die öffentlichen Haushalte zu sanieren, son- das Saarland in den Haushalt 1999 einzustellen. Eine dern daß es Ihnen nur um Umverteilung und stärkere gesetzliche Grundlage gibt es also nicht. Es gibt dasBelastung der Bürger und der Wirtschaft unseres Landes Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Ich vermute, daß geht. der Herr Finanzminister irgendwann einen Entwurf zur (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Änderung des Finanzausgleichsgesetzes vorlegen wird, weil er ja eine gesetzliche Grundlage für diese Morgen- Der wirtschaftswissenschaftliche Sachverstand hat gabe braucht. Dann werden wir darüber diskutierenfestgestellt, daß die Bürger schon im nächsten Jahr ent- können, ob diese Mittel seitens des Saarlandes und sei- lastet werden könnten. Aber Sie tun es nicht. Sie könn- tens Bremens tatsächlich zum Schuldenabbau verwandt ten die Bürger entlasten, aber Sie wollen es nicht. Sie wurden, wie es das Bundesverfassungsgericht verlangt brauchen das Geld, um es in Ihrem Sinne umzuverteilen. hatte, oder nur dazu, den Spardruck von den Haushalten Dann aber erzählen Sie den Bürgern nicht, daß Sie sie in Bremen und dem Saarland zu nehmen. entlasten wollten. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Bleiben Sie bitte einfach bei der Wahrheit! (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Detlev von Larcher [SPD]: Ach, Herr Thiele, Diese Diskussion werden wir noch führen. Eine gesetz- (B) reden Sie nicht von der Wahrheit!) (D) liche Grundlage für die 3 Milliarden DM ist derzeit nicht vorhanden. Ich möchte hier abschließend feststellen: Die neue rotgrüne Koalition will mehr Staat, mehr Bürokratie, mehr Umverteilung zu Lasten der Leistungswilligen. Vizepräsident Rudolf Seiters: Gestatten Sie eine Das ist der falsche Weg. Deshalb werden Sie von den weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wag- gesamten Medien und dem gesamten wissenschaftlichen ner? Sachverstand kritisiert. Es kommt doch nicht von unge- fähr, daß sich diejenigen, die Sie im Wahlkampf positiv Carl-Ludwig Thiele (F.D.P.): Gern, ja. begleitet haben, enttäuscht abwenden, weil sie etwas an- deres erwartet haben. Es kommt auch nicht von unge- fähr, daß viele Bürger, die möglicherweise durch Wäh- Hans Georg Wagner (SPD): Herr Kollege Thiele, len der SPD eine große Koalition wollten, sich jetzt ge- können Sie mir sagen, welche Beweggründe der ehema- täuscht sehen und von den Reformkonzepten, die Sie lige Bundesfinanzminister Dr. Waigel hatte, Hilfen für tatsächlich vorgelegt haben, enttäuscht sind. Nehmen Bremen und das Saarland in den Haushaltsentwurf 1999 Sie einfach diese Kritik auf, orientieren Sie sich an dem hineinzuschreiben? Steuerkonzept der F.D.P., (Widerspruch des Abg. Dr. Theodor Waigel (Lachen bei der SPD – Detlev von Larcher [CDU/CSU]) [SPD]: Dafür haben Sie 6 Prozent bekom- Außerdem ist doch von allen Finanzministern in unserer men!) Republik festgestellt worden, daß beide Bundesländer das von allen gelobt worden ist. Dann können wir Sie ihre Aufgaben erfüllt haben, was den Schuldenabbauauf diesem Wege auch positiv begleiten. angeht. Ich verstehe Ihre jetzige Haltung nicht, wenn Sie behaupten, das sei für Schönwetterzeiten des Saarlandes Herzlichen Dank. oder Bremens gedacht. Das ist unzutreffend; das müssen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Sie mir bitte zugeben. Zuruf von der SPD: Der 11. 11. ist vorbei!)

Carl-Ludwig Thiele (F.D.P.): Herr Kollege Wagner, ich möchte Sie doch bitten, sich einmal mit dem neuen Vizepräsident Rudolf Seiters: Ich gebe das Wort Finanzstaatssekretär Diller zu unterhalten, der zu dem für die SPD-Fraktion dem Kollegen Joachim Poß. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 353

(A) Joachim Poß (SPD): Herr Präsident! Meine Damen Bundestagswahl noch einmal gewonnen hätten, was der (C) und Herren! Weil hier einige mit Zahlen, Daten, Fakten Wähler ja Gott sei Dank verhindert hat, dann hätten Sie und Wahrheiten auf Kriegsfuß stehen, möchte ich zu-erst noch die Entscheidung über die Finanzierung treffen nächst einmal etwas zu denSteuersenkungsspielräu- müssen. Dabei hätten Sie dann die Mehrwertsteuererhö- men sagen, die wir auf Grund der neuen Steuerschät-hung ins Auge fassen müssen, die Sie ja schon angekün- zung haben. Sie hat gegenüber der Mai-Schätzung fest- digt hatten, die bereits im Konzept enthalten war. Ich gestellt, daß wir in diesem Jahr unter anderemfrage mich nur, was Herr Philipp vom Handwerksver- 900 Millionen DM weniger an die EU abführen müssen, band, der Bund 700 Millionen DM mehr zu erwarten hat, bei den Ländern 2,4 Milliarden DM mehr eingehen sollen (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Philipp hat und die Gemeinden insbesondere als Nachzahlung aus recht!) der Gewerbesteuer 4,9 Milliarden DM mehr erhalten.der unser Konzept so kritisiert, dazu sagt. Natürlich Das ergibt Schätzabweichungen von insgesamthätten Sie das nur mit einer Mehrwertsteuererhöhung 7,8 Milliarden DM. Für 1999 kommen die Steuerschät- finanzieren können, was im Moment, wie wir wissen, zer zu folgendem Ergebnis: für den Bund minus 1 Mil- für die Binnenkonjunktur Gift wäre. liarde DM, für die Länder minus 1,2 Milliarden DM, für die Gemeinden plus 1,1 Milliarden DM. Das heißt im (Beifall bei der SPD) Klartext: Der Steuersenkungsspielraum beim Bund für Sie hätten Ausgaben streichen müssen, ohne konkret sa- 1998 und 1999, den der frühere Bundesfinanzminister gen zu können, welche. Waigel, auf das Jahr bezogen, noch mit rund 1,5 Milli- arden DM beziffert hat, wird durch die Steuerschätzung Nein, meine Damen und Herren, der wesentliche keineswegs vergrößert, sondern eher verringert. Das ist Unterschied zwischen alter und neuer Regierung ist der: die Feststellung, die hier zu treffen ist. Bei Kohl, Waigel & Co. galt nur das Versprechen, das gebrochene Wort. Wir halten unser Wort. Das ist der (Beifall bei der SPD) wesentliche Unterschied. Von Abgeordneten dieses Hauses – nicht von Kon- (Beifall bei der SPD) junkturforschern, auch wenn sie Professoren sind, die offensichtlich die Zusammenhänge nicht kennen –, ob Deswegen werden wir unsereSteuerreform in drei sie jetzt Hasselfeldt oder Thiele heißen, muß ich dieStufen in den Jahren 1999, 2000 und 2002 umsetzen. Kenntnis des Art. 115 des Grundgesetzes verlangen. Was erreichen wir damit? Damit nähern wir uns dem (Carl-Ludwig Thiele (F.D.P.): Er meint Flaß- Verfassungsgebot der Besteuerung nach der wirtschaft- beck!) lichen Leistungsfähigkeit, das bei Ihnen in den letzten (B) (D) Jahren und Jahrzehnten unter die Räder gekommen ist. Danach haben wir den Spielraum von 20Die alte bis Bundesregierung und insbesondere die F.D.P. 30 Milliarden DM für Steuersenkungen eben nicht. Das haben das Steuerrecht verwüstet, aber hier spielen sie ist die Wahrheit, meine Damen und Herren, die hiersich als große Reformer auf. So sind die Tatsachen. festzustellen ist. Wir haben diesen Steuersenkungsspiel- raum nicht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD) Jetzt ist es an der Zeit, die wahrenLeistungsträger Historische Wahrheit ist aber, Herr Kollege Thiele, der Gesellschaft zu entlasten: Arbeitnehmer und Fami- daß die alte Koalition ein umsetzungsfähiges Steuerre- lien, aber auch den Mittelstand. Es darf doch nicht so formkonzept nicht vorgelegt hat. weitergehen, daß die Finanzierung unserer Gemein- (Zuruf von der CDU/CSU: Doch!) schaftsaufgaben nur noch von Arbeitnehmern, Verbrau- chern und Teilen des Mittelstandes vorgenommen wird. Ihre Vorschläge waren unfinanzierbar. Wir dürfen nicht akzeptieren, daß Krankenschwestern, (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Stimmt nicht!) Handwerker, Industriefacharbeiter und Ingenieure weiter die Lastesel der Nation sind, die sie bei Ihnen waren. Sie haben aus wahltaktischen Gründen der Bevölkerung eine Schaufensterauslage ohne Preisauszeichnung prä- (Beifall bei der SPD – Carl-Ludwig Thiele sentiert. [F.D.P.]: Deshalb muß man sie auch entla- sten!) (Beifall bei der SPD – Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Das war eine gute Steuerreform!) Unsere Steuerreform ist auch mutig. Darauf ist schon hingewiesen worden. Steuersubventionen von mehr als Für diese Absicht hatte Waigel in seinem Haushalt kei- 40 Milliarden DM abzubauen, gegen den Widerstand nerlei Vorsorge getroffen. der Betroffenen, ist ein mutiger Schritt. Bei Stoltenberg waren es 18 Milliarden DM, Herr Kollege Faltlhauser. (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Wir haben die Bürger entlastet!) Unser Entwurf unterscheidet sich in entscheidenden Punkten von Ihrer Vorlage: Das hat er doch am 2. September in seiner Haushaltsre- de, in seinen Ausführungen zur „symmetrischen Finanz- (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Deshalb jubeln politik“ hier festgestellt. Das heißt: Wenn Sie bei der auch alle!) 354 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Joachim Poß (A) Unsere Steuerreform führt zu mehr Steuergerechtigkeit, Meine Damen und Herren, es muß endlich Schluß(C) sie ist solide finanziert, sie ist wirtschaftspolitisch ver- damit sein, daß Sie denStandort schlechtreden. Erin- nünftig – alles Anforderungen, die Ihr Konzept nicht er- nern wir uns: Das Bundeswirtschaftsministerium hat erst füllt hat. Ihr Konzept hätte – was Sie genau wissen – da- vor wenigen Monaten – fast verschämt – gemeldet, daß zu geführt, daß Bund, Länder und Kommunen eine un- Deutschland aus der Sicht internationaler Investoren gedeckte Finanzierungslücke von über 50 Milliardenkonkurrenzfähig ist und die ausländischen Investitionen DM hätten hinnehmen müssen. Sie hätten hier denin Deutschland kräftig gestiegen sind. Staatsruin beschlossen. Das war doch unsolide bis zum gehtnichtmehr, was Sie sich geleistet haben. (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Wer hat das denn hingekriegt?) (Beifall bei der SPD) Unsere Steuerreform wird einen geeigneten Beitrag so- Die Kritik der Verbände nehmen wir doch locker wohl zur dauerhaften Stabilisierung der wirtschaftlichen hin. Was hat denn der BDI zu dem Gesetzentwurf derEntwicklung als auch zur Wiederherstellung einer ge- alten Regierung geschrieben? „Im Unternehmensbereich ordneten Finanzwirtschaft leisten. Darauf lege ich gro- sehen wir nur Verlierer“, hat der BDI 1997 geschrieben, ßen Wert: Unsere Steuerreform ist ein Beitrag zur Wie- wobei er die Vorschriften zur Objektivierung der Ge-derherstellung des inneren Friedens in unserem Volke, winnermittlung meinte, die Abschaffung des halbenindem endlich mehr Steuergerechtigkeit verwirklicht durchschnittlichen Steuersatzes für außerordentlichewird. Gewinne. Das hat er angesprochen, aber auch die Be- schneidung des Verlustvortrages, was Sie vorhatten. Das (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten haben wir gar nicht vor. Eine Verschlechterung der Be- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) dingungen bei der degressiven Abschreibung wollten Sie durchsetzen. Dagegen haben wir uns gewehrt. In un- serem Konzept hat die degressive Abschreibung Be- Vizepräsident Rudolf Seiters: Das Wort für die stand. Das heißt, unser Entwurf, wenn man die Sicht des CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Peter Rauen. BDI zugrunde legt, ist in diesen Teilbereichen wirt- schaftsfreundlicher als Ihr Entwurf. Ich bedauere nur, (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Endlich daß der BDI, der zu den Wahlverlierern gehört, und spe- jemand, der aus der Praxis kommt! – Zuruf ziell Herr Henkel nicht die Kraft aufbringen, das auch von der SPD: Jetzt wird wieder die Mittel- einmal sachlich festzustellen. standsarie gesungen!) (Beifall bei der SPD) (CDU/CSU): Herr Präsident! (B) Im übrigen ist eine wie auch immer geartete Steuer- Peter Harald Rauen (D) und Abgabenreform kein Wundermittel zur Bekämpfung Meine sehr verehrten Damen und Herren! Trotz einer der Arbeitslosigkeit und auch keine Jobmaschine. Das Ankündigung von Bundeskanzler Schröder, in den Ko- gilt für jedes Konzept. alitionsvereinbarungen Nachbesserungen für den Mittel- stand vorzunehmen, ist das Gesetz noch schlimmer ge- (Zuruf von der SPD: Das haben wir immer ge- worden, als ursprünglich anzunehmen war. sagt!) (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: So ist es!) Herr Lafontaine hat heute morgen zu Recht darauf hin- gewiesen. Seriöse wirtschaftswissenschaftliche Untersu- Dieses Gesetz kassiert den Mittelstand ab; es entlastet chungen haben ergeben – egal, ob man Ihr Konzept, das ihn nicht, sondern belastet ihn ganz massiv. Herr La- nicht finanzierbar ist, fontaine, Sie haben vor ein paar Tagen gesagt, daß nur (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Doch!) die Verbände gegen das Gesetz seien und die Unter- nehmer selbst nichts dagegen sagen würden. Frau Matt- oder unseres zugrunde legt –, daß man, wenn es gutgeht, häus-Maier, für mich braucht nicht Herr Henkel zu spre- 150 000 bis 250 000 Arbeitsplätze schaffen kann. chen. Ich bin seit 32 Jahren selbständiger Bauunterneh- (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Ist das denn mer und habe alle Höhen und Tiefen eines Unterneh- nichts?) mers erlebt. Das ist gut für die Menschen, die davon profitieren, aber ( [SPD]: Tiefen gab es bei Kohl! das geht auch nicht von heute auf morgen. Unserem Jetzt gibt es wieder Höhen!) Konzept werden dieselben Qualitäten zugetraut. Ich Ich habe Geld verdient, war aber auch in Gefahr, in kann Ihnen da eine einschlägige RWI-Untersuchung Konkurs zu gehen und vor dem Nichts zu stehen. Ich zeigen. weiß also sehr genau, wovon ich hier rede. Wenn Sie, (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Von Herrn Herr Poß, sagen, daß die Gewinnermittlungsvorschriften Flaßbeck!) in aller Regel die kleinen und mittleren Unternehmen nicht betreffen würden, dann ist dieses ausweislich des – Nein, die wäre dann vom DIW. Sie kennen sich da of- Gesetzentwurfes unwahr, irreführend und fast schon zy- fenbar nicht so gut aus. nisch. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Carl- Ludwig Thiele [F.D.P.]: Ich kenne mich gut (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- aus!) ordneten der F.D.P.) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 355

Peter Harald Rauen (A) Welchen Begriff haben Sie überhaupt vom Mittel- Erstes Beispiel: Mit der Streichung der Teilwertab- (C) stand? Der Mittelstand in Deutschland umfaßt schreibung die legen Sie nicht nur die Axt an das Steuer- Eigentümer-Unternehmer, vom Einzelhändler bis hinrecht, Sie gefährden damit auch die Existenz vieler Be- zum modernen 500-Mann-Betrieb im Maschinen- und triebe. Anlagenbau. Das sind 98 Prozent aller Unternehmen, sie erwirtschaften über 50 Prozent des Bruttoinlandspro- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) duktes, in ihnen arbeiten zwei Drittel aller Menschen, Sie zwingen Betriebe nicht nur, sich in der Steuerbi- und sie bilden über 80 Prozent unserer jungen Menschen lanz besser darzustellen, als sie sind – wenn Sie dies in aus. Es sind die Betriebe, die von 1983 bis 1990 in den der Handelsbilanz täten, würden Sie sich strafbar ma- alten Bundesländern 3 Millionen und von 1991 bis 1996 chen, sogar möglicherweise wegen Konkursverschlep- – ebenfalls in den alten Bundesländern – über 1 Million pung ins Gefängnis gehen –, Sie zwingen sie sogar, auf zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen haben; auch in den Waren oder Betriebsanlagen, die nichts mehr wert sind, neuen Bundesländern tragen diese Betriebe maßgeblich Steuern zu zahlen. Was muß demnächst ein Textilhänd- zur Beschäftigung bei. ler mit Modeartikeln tun, die nicht mehr zu verkaufen (Beifall bei der CDU/CSU) sind und daher nichts mehr wert sind? Sie zwingen ihn, die Ware zum Einkaufspreis zu bilanzieren und damit Wer diese Betriebe be- und nicht entlastet, vernichtetSteuern zu zahlen, obwohl er durch diese Waren keine mittelfristig Arbeitsplätze. Genau das tut diese Reform. Einnahmen hat. Ausweislich Ihrer Zahlen im Gesetzentwurf entlasten (Detlev von Larcher [SPD]: Stimmt doch gar Sie die Wirtschaft in der dreistufigen Reform durch Ta- nicht!) rifsenkungen um ca. 13 Milliarden DM, während Sie gleichzeitig durch veränderte Gewinnermittlungsvor- Was soll ich als Bauunternehmer mit genormten Ge- schriften die Wirtschaft um ca. 35 Milliarden DM bela- rüst- und Schalungsteilen tun, die auf drei Jahre abge- sten. Sie holen sich dieses Geld teilweise bei den großen schrieben werden, die aber nach einem Jahr kaputt sind? Konzernen, vor allem aber – trotz aller Dementis, Be-Ich muß sie weiter bilanzieren, Steuern zahlen und nach teuerungen und Täuschungen – überwiegend beim Mit- Liquidität suchen, um die neuen Gerüst- oder Scha- telstand. Die Abschaffung des hälftigen Steuersatzes bei lungsteile zu kaufen, damit meine Leute arbeiten kön- Betriebsveräußerungen trifft den Mittelstand ins Mark, nen. (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Ohne Senkung (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: So ist es! – des Steuersatzes!) Detlev von Larcher [SPD]: Stimmt doch gar nicht!) vor allem die Hunderttausende von Unternehmern, die (B) (D) alles in den Betrieb gesteckt haben, um Arbeitsplätze zu Das ist schlicht und einfach die Wahrheit über das, was schaffen und zu sichern, und die den Betriebswert alsSie mit der Teilwertabschreibung bewirken. Altersversorgung angesehen haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – (Joachim Poß [SPD]: Schauen Sie sich die Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Die Wahrheit Verteilungswirkung mal an!) wollen die nicht hören!) – Herr Poß, auch wir hatten die Abschaffung des hälfti- Zweites Beispiel: Begrenzung des Verlustrücktrags gen Steuersatzes des § 34 Einkommensteuergesetz vor- auf ein Jahr, Rückführung auf 2 Millionen DM und Ab- gesehen, jedoch mit der Maßgabe, daß sich der durch- schaffung ab dem Jahr 2001. Das ist ein Frontalangriff schnittliche Steuersatz dann zwischen den Grenzen von auf die Existenz moderner mittelständischer Betriebe. 15 und 39 Prozent bewegt und nicht zwischen 23,9 und Ich habe einen Betrieb in Baden-Württemberg vor 53 Prozent liegt. Augen, den ich kürzlich besucht habe. Er wurde vor (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Er- 16 Jahren gegründet; er hat 280 hochbezahlte Speziali- neuter Zuruf des Abg. Joachim Poß [SPD]) sten als Mitarbeiter und beschäftigt sich mit modernstem Anlagenbau und der Entwicklung von Prototypen, die in – Halten Sie jetzt einmal den Mund, Herr Poß! der ganzen Welt reißenden Absatz finden. Der Gründer Auch der ab 2002 vorgesehene Tarif von 19,9 Pro-und Firmenchef nannte mir als die beiden Probleme für zent Eingangssteuersatz und 48,5 Spitzensteuersatz mil- seine Firma, erstens qualifizierte Mitarbeiter zu finden dert diese Zumutung für den Mittelstand nur unwesent- und zweitens – auf Grund überbordender Gewährlei- lich. Mit der Abschaffung der Sonderabschreibungenstungs- und Bürgschaftsverpflichtungen – Kapital zu be- und der Ansparabschreibung ab dem Jahr 2000 bzw.schaffen. Dieser Betrieb verdient gutes Geld, bezahlt 2001 treffen Sie die Kleinbetriebe mit einem Einheits- viel Steuern, läuft aber auch permanent Gefahr, auf wert unter 400 000 DM zutiefst in ihrer Liquidität, ohne Grund der Produktenhaftpflicht – zum Beispiel in Ame- sie andererseits maßgeblich zu entlasten. Für den Mittel- rika – ein oder zwei Geschäftsjahre total „in den Sand zu stand sind jedoch vor allem die Maßnahmen der Gegen- setzen“. Dieser Betrieb soll nun nicht mehr – ansonsten finanzierung gravierend, die bei der alten Bundesregie- verkraftbare – Verluste auf ein oder zwei Jahre zurück- rung nicht vorgesehen waren. Ich kann den Sachverhalt tragen können, um sich Liquidität beim Finanzamt zu aus zeitlichen Gründen nur an zwei Beispielen deutlich besorgen, Liquidität, die er möglicherweise bei den machen: Kreditinstituten nicht mehr bekommt. Das gilt glei- 356 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Peter Harald Rauen (A) chermaßen für Hunderttausende von mittelständischen Ich bleibe dabei: Dieser Gesetzentwurf zur Steuerre- (C) Betrieben. form ist ein Mittelstands- und Arbeitsplatzvernichtungs- programm. (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Genau so!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wer solche Gewinnermittlungsvorschriften durchsetzen will, hat vom Mittelstand in Deutschland keine Ahnung. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Vizepräsident Rudolf Seiters: Das Wort für die PDS-Fraktion hat Frau Dr. Barbara Höll. Meine Damen und Herren, viel aufschlußreicher im Rahmen der Gegenfinanzierung ist aus meiner Sicht eine Maßnahme, die Sie nicht durchführen, obwohl die alte Dr. Barbara Höll (PDS): Herr Präsident! Meine Da- Bundesregierung den Mut dazu hatte. Ich spreche vonmen und Herren! Der Bundeskanzler pries in seiner Re- der Begrenzung der Verlustvorträge auf 50 Prozent gierungserklärung die Steuerreform als Einsicht in öko- der Gewinne bei einem Freibetrag von 2 Millionen DM nomische Notwendigkeiten, in welcher sich moderner für mittelständische Betriebe. Ihr Verzicht auf diese Ge- Pragmatismus mit einem starken Sinn fürsoziale Fair- genfinanzierung begünstigt nicht den Mittelstand. Imneß verbindet. Frau Professor Luft sagte schon, daß wir Gegenteil: Er begünstigt ausschließlich die Großindu- viele Maßnahmen der Steuerreform begrüßen. Aber die strie, die es verstanden hat, durch Mantelkäufe nach dem soziale Fairneß vermissen wir an einigen Stellen. Oder Umwandlungssteuerrecht unter anderem große Verluste meinen Sie, daß betroffene Arbeitnehmerinnen und Ar- preiswert einzukaufen. Daß es in Deutschland zur Zeit beitnehmer die Halbierung der Freibeträge im Rahmen Verlustvorträge in Höhe von zirka 400 Milliarden DM von Abfindungen als sozial fair empfinden werden und gibt, hat nur zum Teil mit operativen Verlusten zu tun, daß die bereits ab 1. Januar 1999 vorgesehene Strei- in hohem Maße aber mit diesen Mantelkäufen. Mit die- chung des Vorkostenabzuges bei eigenheimzulagebe- sen Verlustvorträgen ist in Deutschland teilweise eingünstigten Wohnungen den Häuslebauern Freude ma- schwunghafter Handel getrieben worden, weil man sich chen wird? Wo ist die Individualisierung des Steuer- damit leicht Liquidität verschaffen konnte. rechtes, wo seine größere Transparenz? (Joachim Poß [SPD]: Da können wir uns viel- Es gibt auch viel Diskussionsstoff bezüglich der Öko- leicht noch einigen!) steuer. Ein großes deutsches Unternehmen hatte – Stand En- Ich sage aber auch: Wir unterstützen Ihren Antrag be- de 1996 – einen Verlustvortrag in Höhe von 16,6 Milli- züglich der Kindergeldauszahlung und der Erstellung arden DM. Dieses Unternehmen hat in 1997 ausweislich der Lohnsteuertabellen. Hier tut Eile tatsächlich not. Aber ich frage Sie: Warum lassen Sie sich andererseits (B) des eigenen Geschäftsberichtes einen Gewinn von 4,3 (D) Milliarden DM gemacht. Zahlung von Körperschaft-bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag Zeit? Wer mehr soziale und Gewerbeertragsteuer: null DM. Stünde das Gesetz Gerechtigkeit will, wer Armut bekämpfen will, muß der alten Bundesregierung im Gesetzblatt, würde dieser Reichtum begrenzen. Konzern 1998 bei einem gleichen Gewinn 2,15 Milliar- (Beifall bei der PDS) den DM mit Verlusten verrechnen können, aber von den anderen 2,15 Milliarden DM Körperschaft- und Gewer- Gerade weil die alte Regierung von Christdemokraten beertragsteuer in Höhe von über 1 Milliarde DM zahlen. und Liberalen eine große finanzielle Erblast hinterlassen Ich kann Ihnen aus der Erinnerung fünf ähnlich gela-hat, reicht es nicht aus, nur erste kleine Entlastungs- gerte Fälle großer deutscher Konzerne nennen. schritte zu machen, die zum Teil schon gesetzlich ver- ankert waren und nur erste Schritte sein können. Es Von dieser Maßnahme läßt die neue Bundesregierung reicht nicht aus, in der Regierungserklärung die alte Lei- die Finger. Es ist ja auch einfacher, Zehntausende klei- er der staatlichen Ausgabenbeschränkung und der Miß- ner Betriebe mit der Novellierung der Sonder- und An- brauchskontrolle – nur neu arrangiert – weiter zu spie- sparabschreibung um Liquidität zu bringen, len. Es gilt, den Mut aufzubringen, tatsächliche Einnah- (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das hat Sy- meerhöhungen anzustreben. stem!) Hier sind wir bei dem StichwortVermögensteuer. als sich mit den Interessen derjenigen anzulegen, mitIm Koalitionsvertrag stellen Sie in Aussicht, eine Sach- denen man jahrelang im gleichen Aufsichtsrat gesessen verständigenkommission einzuberufen, die die Grundla- hat. ge für eine wirtschafts- und steuerpolitisch sinnvolle Vermögensbesteuerung schaffen soll. Ich frage Sie: Was (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) soll denn das, meine Damen und Herren von der Regie- Ich muß zum Schluß kommen. Die rund 3 Millionen rungskoaltion? Ein elegantes Begräbnis? – Damit sind selbständigen Unternehmen des Mittelstandes werdenwir von der PDS nicht einverstanden. dies alles sehr genau beobachten. Wer in Deutschland Wir fordern Sie deshalb mit unserem Antrag auf, bis gegen den Mittelstand Arbeitslosigkeit abbauen will,zum 30. März nächsten Jahres einen Gesetzentwurf für mag bei der Arbeitsbewirtschaftung möglicherweise Er- die Wiedererhebung der Vermögensbesteuerung auf der folge vorweisen können, nicht aber bei der ZunahmeBasis einer reformierten Bemessungsgrundlage vorzule- von Arbeitsplätzen bzw. von Beschäftigung, was zugen. mehr Zahlungen von Steuern und Abgaben führen wür- de, wodurch letztlich der Staat finanziert wird. (Beifall bei der PDS) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 357

Dr. Barbara Höll (A) Ich muß Ihnen sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen werden. Der Haushaltsausschuß soll diesen Gesetzent-(C) von der SPD und von den Grünen: Sie scheinen verges- wurf zur Mitberatung gemäß § 96 der Geschäftsordnung sen zu haben, daß Sie selber schon fix und fertige Ge- erhalten. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der setzentwürfe dazu hatten: Drucksache 13/5504 undFall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Drucksache 13/4838. Nehmen Sie sie, schauen Sie, wo Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag Ihre Berührungspunkte sind. Sie sind zu finden. Sie von der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die der SPD haben unter anderem noch vor zwei Jahren fast Grünen zur Kindergeldauszahlung und zur Erstellung einheitliche Tarife für natürliche und juristische Perso- der Lohnsteuertabellen 1999 auf Drucksache 14/28. Wer nen gefordert. stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Sie legten Vorschläge für die Neugestaltung der Frei- Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen der beträge vor. Von den Grünen gab es dazu ein Ände-Koalition und der PDS bei Enthaltungen der Fraktionen rungsgesetz. Sie können also sofort handeln. Ich verste- von CDU/CSU und F.D.P. angenommen. he nicht, warum sich die Regierung berechtigterweise Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die sozialdemo- den Vorwurf von Matthias Geis gestern in der „Zeit“ kratische Bundestagsfraktion beabsichtigt die Durchfüh- machen läßt: rung einer kurzen Fraktionssitzung. Daher unterbreche Wir warten auf Reformkonzepte, die diesen Namen ich die Sitzung für etwa 30 Minuten. Der Wiederbeginn verdienen. In den Schubladen jedenfalls liegt we- wird rechtzeitig durch Klingelsignal angekündigt. nig. (Unterbrechung von 14.04 bis 14.36 Uhr) Herr Bundeskanzler, seien Sie froh, daß die PDS als linke Opposition im Bundestag ist. Wir werden Sie ver- Die unterbrochene anlassen, ruhig ein bißchen tiefer in Ihren Schubladen zu Vizepräsidentin Petra Bläss: Sitzung ist wieder eröffnet. kramen und auch die alten Gesetzentwürfe hervorzuho- len. Auf dieser Basis soll ein Neuvorschlag zur Vermö- gensbesteuerung bis zum 30. März vorgelegt werden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: (Beifall bei der PDS) Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärti- gen Ausschusses (3. Ausschuß) zu dem Antrag Im Grundgesetz ist nicht nur der Schutz des Eigen- der Bundesregierung tums verankert. Im Grundgesetz ist eben auch dasSozi- alstaatsprinzip verankert, die Verantwortung des Staa- Deutsche Beteiligung an der NATO-Luft- tes für den Ausgleich sozialer Gegensätze und für eine überwachungsoperation über dem Kosovo gerechte Sozialordnung. Diese Verantwortung muß er (B) – Drucksachen 14/16, 14/32 – (D) unserer Meinung nach vor allem auch mit der Erhebung von Steuern wahrnehmen. Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Christoph Zöpel Wir unterbreiten Ihnen noch einen zweiten Vor- schlag. Herr Poß hat zu Recht darauf hingewiesen, daß Dr. Helmut Lippelt es notwendig ist, zum Prinzip der Besteuerung nach der Ulrich Irmer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zurückzukehren. Wolfgang Gehrcke Deshalb schlagen wir Ihnen vor: Erarbeiten wir gemein- sam ein Gesetz zur Besteuerung des Erwerbs von Lu- Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die xusgütern; denn die Menschen, die sich zum Beispiel Aussprache über diese Vorlage namentlich abstimmen ein Schmuckstück im Wert von 10 000 DM kaufen kön- werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist nen, können auch auf die 16 Prozent Mehrwertsteuer die für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich 6 Prozent einer erhöhten Verbrauchssteuer drauflegen. höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. (Beifall bei der PDS) Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? – Ich erteile das Wort dem Vorsitzenden des Auswärtigen Lassen Sie uns hier anfangen. Dann haben wir wirk- Ausschusses, Hans-Ulrich Klose. lich ein Zeichen für soziale Gerechtigkeit und für Aus- gleich gesetzt, auch bei der Steuerreform. Hans-Ulrich Klose (SPD): Frau Präsidentin! Meine Ich danke Ihnen. Damen und Herren! Gemäß § 66 Abs. 1 der Geschäfts- (Beifall bei der PDS) ordnung erstatte ich Ihnen im Einvernehmen mit den Kollegen Vorsitzenden des Rechts-, Haushalts- und Verteidigungsausschusses Bericht über die Beratung des Vizepräsident Rudolf Seiters: Ich schließe die Antrages der Bundesregierung „Deutsche Beteiligung an Aussprache. der NATO-Luftüberwachungsoperation über dem Koso- vo“, „NATO Kosovo Air Verification Mission“, Druck- Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen sache 14/16. auf den Drucksachen 14/23, 14/11 und 14/27 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- Dieser Antrag ist am Dienstag dieser Woche dem gen. Das Steuerentlastungsgesetz auf Drucksache 14/23 Auswärtigen Ausschuß federführend und den genannten soll zusätzlich an den Ausschuß für Tourismus und an Ausschüssen zur Mitberatung überwiesen worden. Un- den Ausschuß für Bildung und Forschung überwiesenmittelbar nach der Konstituierung am heutigen Morgen 358 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Hans-Ulrich Klose (A) haben sich die Ausschüsse in ihren ersten Arbeitssitzung stimmung des Deutschen Bundestages an dieser Opera- (C) eingehend mit diesem Antrag befaßt. tion mit unbewaffneten, unbemannten und ferngesteu- erten Aufklärungsflugzeugen teilzunehmen. Der Rechtsausschuß empfiehlt, dem Antrag zuzu- stimmen. Der Beschluß wurde mit den Stimmen der Für die Bedienung einschließlich des Schutzes dieses Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnissesempfindlichen Geräts sollen bis zu 350 Soldaten einge- 90/Die Grünen sowie der F.D.P. gegen die Stimmen der setzt werden. Darüber hinaus soll deutsches Personal im Fraktion der PDS bei einer Enthaltung seitens der Frak- fliegenden NATO-Frühwarn- und -führungssystem tion Bündnis 90/Die Grünen gefaßt. AWACS eingesetzt werden. Der Haushaltsausschuß hat mehrheitlich mit den Ich möchte nochmals den Zusammenhang zu der Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU-Sondersitzung des 13. Deutschen Bundestagesher- Fraktion und der F.D.P.-Fraktion bei drei Stimmenthal- stellen, der in seiner letzten Sitzung beschlossen hat, an tungen der Fraktion der SPD einer möglichen NATO-Militäraktion teilzunehmen. Die Konsequenz dieses Beschlusses war dann eine in letzter (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Hört! Minute erreichte Einigung zwischen dem US- Hört!) Sondergesandten Richard Holbrooke und der Regierung gegen die Stimmen der Fraktion der PDS empfohlen,in Belgrad. Sie hat eine Militäraktion verhindert. Diese dem Antrag zuzustimmen. geplante Militäraktion hatte zum Zweck, eine humanitä- re Katastrophe im Kosovo angesichts zahlloser Flücht- Der Verteidigungsausschuß hat mit den Stimmen linge, zerstörter Dörfer, zerstörter Wohnungen und des der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses drohenden Winters abzuwehren. 90/Die Grünen und der F.D.P. gegen die Stimmen der Fraktion der PDS ebenfalls den Beschluß gefaßt, dem Heute können wir sagen, daß die humanitäre Kata- Plenum zu empfehlen, dem Antrag der Bundesregierung strophe – alle vor Ort berichten dies – abgewehrt werden auf Drucksache 14/16 seine Zustimmung zu erteilen. konnte. Ich denke, das ist ein erster wichtiger Erfolg. Der Auswärtige Ausschuß hat in Anwesenheit des (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bundesministers des Auswärtigen und des Bundesver- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der teidigungsministers beraten und beschlossen. Beiden F.D.P.) danke ich für die ausführlichen Erläuterungen. Ich stelle fest, daß sich schon in der ersten Sitzung des Ausschus- Die Flüchtlinge sind zum überwiegenden Teil in ihre ses eine gute Zusammenarbeit zwischen Parlament und Dörfer und Häuser zurückgekehrt. Worauf es jetzt an- Regierung gezeigt hat. So soll es sein, und so soll eskommt, ist, die Abwendung der humanitären Katastro- (B) bleiben. phe in eine Verstetigung des friedlichen Zusammenle-(D) bens, des friedlichen Alltags, des Wiederaufbaus, der Der Auswärtige Ausschuß hat in Kenntnis der Voten Hilfe zum Wiederaufbau und einer politischen Lösung der mitberatenden Ausschüsse beschlossen. Er empfiehlt zu führen. dem Hohen Hause mit der großen Mehrheit der Stim- men der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU-Fraktion Holbrooke hatte drei Körbe verhandelt. Die Umset- und der F.D.P.-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion zung von allen drei Körben wird für die Abwendung der der PDS die Annahme des Antrags der Bundesregie-humanitären Katastrophe, für die Beendigung des Krie- rung. Damit verbindet sich unsere Hoffnung auf eine,ges und für eine politische Lösung letztendlich unab- wie es im Antrag heißt, „Stabilisierung der Verhältnisse weisbar sein. Es besteht hier ein Sachzusammenhang; im Kosovo“ und auf die Schaffung eines Umfeldes, wel- deswegen müssen wir den Bundestag heute erneut mit ches zu einer dauerhaften und tragfähigen Friedensre-einem Beschluß beschäftigen und werden ihn in abseh- gelung beiträgt und auf die Abwendung einer humanitä- barer Zukunft mit einem weiteren Beschluß zu beschäf- ren Katastrophe abzielt. In diesem Sinne empfehlen alle tigen haben. Ich füge gleich hinzu: Das liegt nicht an der Ausschüsse die Zustimmung zu dem Antrag. Bundesregierung, sondern allein an den Problemen, die sich aus dem Konsultationsprozeß des NATO-Rates und Ich bedanke mich. der Beschlußfassung dort ergeben. Wir hätten dies gern in einem Beschluß zusammengefaßt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.) Lassen Sie mich in aller Kürze auf die Realisierung der drei Körbe zu sprechen kommen. Vizepräsidentin Petra Bläss: Es spricht jetzt der Zum ersten, dem humanitären Korb: Mit dem nach Bundesaußenminister Joseph Fischer. Meinung westlicher Beobachter und der entsprechenden NATO-Stellen weitestgehend umgesetzten Rückzug der jugoslawischen Truppen und Sondereinheiten ist die Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: Rückkehr der Flüchtlinge ermöglicht worden. Damit ist Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bun- eine humanitäre Katastrophe abgewendet worden. desregierung bittet heute den Deutschen Bundestag, der Entsendung deutscher Kräfte zur Teilnahme an einer Der zweite Korb ist die Überwachung dieses Prozes- NATO-Operation zur Luftüberwachung der ses. VN- Auch dieser Korb ist sowohl für die Sicherheit der Sicherheitsratsresolutionen 1160 und 1199 zuzustim-Menschen im Kosovo als auch für den Fortgang der po- men. Die Bundesregierung beabsichtigt, nach der Zu-litischen Lösung unabweisbar. Dafür hat die Bundesre- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 359

Bundesminister Joseph Fischer (A) gierung in ihrer ersten Kabinettssitzung beschlossen, daß Wir haben hier eine sehr schwierige Situation. Die(C) wir uns mit bis zu 200 zivilen Mitarbeiterinnen und Mit- Haltung des Westens ist klar definiert. Die Haltung des arbeitern an der OSZE-Mission beteiligen. Westens, die der Bundesrepublik Deutschland, die der Vorgängerregierung und auch die dieses Hauses war Ich habe es an anderer Stelle schon gesagt: Hierinimmer die, daß wir Sezession, Unabhängigkeit nicht liegt ein entscheidender Schritt nach vorne für die Rolle unterstützen; vielmehr unterstützen wir die Durchset- der OSZE im Peacekeeping, das heißt im Überwachen zung der Menschenrechte und ein weitgehendes Auto- des Friedens, in der Durchsetzung des Friedens mit zi- nomiestatut, allerdings im Rahmen der Bundesrepublik vilen Mitteln in Europa. Ich sehe hier ebenfalls einenJugoslawien. Dies ist Gegenstand der Holbrooke- großen Fortschritt. Milosevic-Vereinbarung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie des PDS und der F.D.P.) Abg. Ulrich Irmer [F.D.P.]) Der Kollege Scharping und das Auswärtige Amt werden je 80 Personen, das Bundesinnenministerium Gestern habe ich, wie ich heute den Ausschüssen be- wird 40 Personen – jeweils als Höchstgrenze – bereit- richtete – auch hier möchte ich es noch einmal erwähnen stellen und in den Kosovo entsenden. Die Entsendung –, in einem Gespräch im Ministerium mit Vertretern der wird im Dezember, nachdem alle Vorarbeiten getroffen Kosovo-Albaner aus Pristina und auch mit hier lebenden sind und die Einstellungen entsprechend abgeschlossen Exilalbanern auch darauf hingewiesen, daß wir mit gro- wurden, vorgenommen werden. ßer Sorge die Entwicklung von Gewalteinsatz auf alba- nischer Seite sehen. Der Friedensprozeß setzt Gewalt- Wenn man sich dazu durchringt, diesen Schritt zu tun verzicht auf beiden Seiten voraus. – ich sehe in diesem zivilen Peacekeeping einen wirk- lich historischen Durchbruch –, dann wird es entschei- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES dend sein, daß man den Menschen, die man dort hin- 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der SPD, schickt, optimale Bedingungen schafft. Ich weiß, sehr der F.D.P. und der PDS) viele Kolleginnen und Kollegen – auch und gerade auf Damit es in diesem Friedensprozeß im Interesse der der linken Seite des Hauses – haben, als sie in der Son- Bevölkerung tatsächlich zu positiven Ergebnissen kom- dersitzung zugestimmt haben, auf Grund der rechtlichen men kann, brauchen wir jetzt diese OSZE-Mission und Aspekte und auch der politischen Folgen, die sich daraus die dazu notwendige Luftraumüberwachung. Sie ist Be- ergeben können, offene Fragen gehabt. Ich weiß, es gibt standteil dieser Mission. Wir brauchen jetzt vor allen nach wie vor Fragen und Probleme in diesem Zusam-Dingen eine Einigung über das entsprechende Statut, ein (B) menhang. Ich bitte aber alle, die sich mit der Zustim-Autonomiestatut für die Dauer von drei Jahren. Auf(D) mung schwertun, zu bedenken, daß die Verifikation der der Grundlage dieses Statuts kann dann im Kosovo ein OSZE-Mission daran hängt, daß die militärische, aber konstitutioneller Prozeß beginnen, begründend auf frei- unbewaffnete Luftraumüberwachung ebenfalls stattfin- en Wahlen, begründend auf einem aus diesen freien det. Wahlen hervorgegangenen Regionalparlament, begrün- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES dend auf einer eigenen Justiz, begründend auf einer 90/DIE GRÜNEN und der SPD) eigenen Polizei. Ich denke, das ist es, was jetzt angegan- gen werden muß. Hier liegen allerdings noch erhebliche Die Bundesregierung bittet Sie heute um Ihre Zu-Schwierigkeiten. Nur glaube ich nicht, daß wir, ohne stimmung; denn es geht nicht nur um die Verifikationdaß wir hier zu einem positiven Abschluß kommen, tat- am Boden; vielmehr muß diese Verifikation am Boden sächlich eine Entwicklung hin zu dauerhafter Gewalt- durch eine militärische, aber unbewaffnete freiheit Luft- und zu Frieden in dieser Region erleben werden. raumüberwachung gestützt werden. Da es sich hier um An einer solchen Entwicklung haben wir aber großes hochgeheimes Gerät handelt – der Kollege ScharpingInteresse. wird noch auf das Erfordernis einer klaren Vereinbarung mit der Regierung in Makedonien zu sprechen kommen (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES –, wird es hier ebenfalls zum Einsatz von bewaffneten 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Kräften seitens der Bundeswehr zwecks Bewachung des Ich bitte Sie also, dem Antrag der Bundesregierung unbemannten Fluggeräts kommen. Der Fall, der hierzuzustimmen. Ich möchte auch all diejenigen, die aus eingetreten ist, ist konstitutiv. Deswegen muß der Ge- nachvollziehbaren Gründen mit einem Ja Schwierigkei- setzgeber, der Deutsche Bundestag, darüber abstimmen. ten haben, bitten, nochmals über ihre Entscheidung Ich hoffe, Sie werden mit Ja stimmen. nachzudenken. Ich sage Ihnen ganz persönlich – das Lassen Sie mich noch auf den dritten und, ich glaube, gilt für den Kollegen Scharping und für den Kollegen schwierigsten Punkt zu sprechen kommen, den Korb 3, Schily –: die politische Lösung. Wir müssen davon ausgehen, daß (Michael Glos [CDU/CSU]: Was sagen Sie als die beiden beteiligten Konfliktparteien sich ausschlie- Außenminister?) ßende, hochsymbolisch aufgeladene Interessen verfol- gen. Die albanische Seite will die Unabhängigkeit, die Wir schicken unbewaffnete zivile Mitarbeiterinnen und Sezession des Kosovos. Ich kenne keine politische Kraft Mitarbeiter in eine sehr schwierige Mission. Die Bun- in Belgrad, die bereit ist, dies zu akzeptieren. desregierung tut dies als Ganzes; aber ich betone auch 360 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Bundesminister Joseph Fischer (A) die persönliche Seite. Gerade dann, wenn wir politisch nicht eindeutig nachprüfbar ist, inwieweit die Bundesre- (C) von der Notwendigkeit einer stärkeren Rolle der OSZE publik Jugoslawien in allen vereinbarten Teilen die Zu- überzeugt sind, müssen wir den Menschen, die bereitsagen einhält, muß die Drohkulisse der NATO so beste- sind, dieses Risiko in unserem Auftrag einzugehen, op- henbleiben, wie sie besteht. timale Bedingungen schaffen. Dazu gehört ein Ja zur (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und heutigen Beschlußvorlage. der F.D.P.) Ich bedanke mich. Der Abzug der serbischen Sicherheitskräfte, der wohl (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN weitestgehend erfolgt ist – das wurde auch von der Bun- und bei der SPD) desregierung deutlich gemacht –, ist nur der erste Schritt. Vorrangig wird sein, wie rasch die Modalitäten dafür geschaffen werden können, daß alle Flüchtlinge, Vizepräsidentin Petra Bläss: Das Wort hat jetzt die zum Teil nach wie vor in den Wäldern hausen müs- der Abgeordnete Paul Breuer, CDU/CSU. sen, die Angst haben und vom Winter bedroht sind, in ihre zerstörten Dörfer oder andere Liegenschaften zu- Paul Breuer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine rückkehren können. sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU- Ich begrüße ausdrücklich, daß sich die neue Bundes- Fraktion unterstützt den Antrag der Bundesregierungregierung zur, wie sie sagt, Kontinuität deutscherAu- betreffend die Beteiligung der Bundeswehr an ßen- der und Sicherheitspolitikbekennt. Aber es muß NATO-Luftraumüberwachungsoperation über dem Ko- schon erlaubt sein, darauf hinzuweisen, daß es die alte sovo. Es geht uns darum, daß Deutschland seinen ver- Koalition war, die die neue Verantwortungsrolle antwortungsvollen und verantwortungsbewußten Beitrag Deutschlands in der Staatengemeinschaft zu Beginn der dazu leistet, daß die Menschen im Kosovo nicht nur vor 90er Jahre maßgeblich befördert hat, und daß Sie damals der humanitären Katastrophe geschützt werden, die sich auf einer anderen Seite gestanden haben. hier angedeutet hatte und zum Teil schon eingetreten war, sondern auch auf Dauer eine Lebens- und Friedens- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und perspektive im Kosovo erhalten. der F.D.P.) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- Ohne uns hätten das Ansehen Deutschlands in der Welt wie des Abg. Ulrich Irmer [F.D.P.]) und die Berechenbarkeit der deutschen Außen- und Si- cherheitspolitik damals schweren Schaden erlitten. Es wäre natürlich gut gewesen, Herr Minister Fischer, wenn wir heute auch über die Entsendung derSchutz- Wir nehmen die innere und äußere Anpassungsfähig- (B) und Evakuierungstruppe, der sogenannten Extraction keit des neuen Außenministers zur Kenntnis. Der Lernpro- (D) Force, hätten debattieren und entscheiden können. Aber zeß, den Sie, Herr Minister Fischer, vollzogen haben, ist es ist richtig: Die Zeitabläufe bei der NATO ließen dies nun in gleichem Maße auch von Ihren Kolleginnen und nicht zu. Gleichwohl müssen wir heute beides im Zu-Kollegen in der bündnisgrünen Fraktion nachzuvollziehen. sammenhang debattieren und würdigen. Ich möchte darauf hinweisen – weil man es muß –, Meine Damen und Herren, für uns muß feststehen,daß am 16. Oktober bei der Abstimmung des alten Bun- daß Milosevic im Abkommen mit dem US-Sonder-destages immerhin nur 26 von 47 Mitgliedern der Grü- botschafter Holbrooke nicht zu derart weitreichendennen-Fraktion dem Einsatz zugestimmt haben. Das war Zugeständnissen, wie sie zustande gekommen sind, hätte etwas mehr als die Hälfte. Bei so wenig Unterstützung gebracht werden können, wenn nicht auch der Deutsche aus den eigenen Reihen von einer Kontinuität der Politik Bundestag, wenn nicht Deutschland seine Verantwor-zu reden, das, Herr Minister Fischer, ist schon etwas tung in der Art und Weise wahrgenommen hätte, wieverwegen. Auch das muß deutlich gesagt werden. wir es getan haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir werden schon genau darauf achten, und zwar Deswegen ist es für mich unverständlich – wir werden heute wie in Zukunft, ob die neue Bundesregierung in im Laufe der Debatte sicherlich noch einiges dazu hö- der Lage ist, ren –, daß es in diesem Hause nach wie vor Kollegen (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gibt, die meinen, die Debatte von gestern über Rechts- NEN]: Das dürfen Sie auch!) grundlagen usw. erneut führen zu müssen. für Auslandseinsätze hier im Deutschen Bundestag, in Wir müssen heute sagen: Es war ein Erfolg der inter- diesem Hohen Hause, die erforderlichen Mehrheiten si- nationalen Staatengemeinschaft, es war ein Erfolg insbe- cherzustellen. Um es klar zu sagen, Herr Kollege sondere der NATO, Milosevic zu diesen Zugeständnis- Schlauch: Wir stellen uns unserer Verantwortung, gar sen zu bringen. Wir können das, was wir heute einleiten, keine Frage; das wissen Sie auch. Aber wir sind natürlich nur auf der Basis dieses Prozesses, der unter Druck zu- nicht dazu bereit, Unstimmigkeiten bei Ihnen durch unse- stande kam, weiter beraten. re Stimmen zu überdecken. Wir achten genau darauf und werden Sie in namentlicher Abstimmung fordern. Es ist wichtig, daß wir nun den zweiten Schritt tun, indem wir unseren Willen bekunden, die Einhaltung die- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ser Zusagen auch wirkungsvoll zu überwachen. Solange der F.D.P.) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 361

Paul Breuer (A) Spielen Sie also bitte nicht – da möchte ich Sie per- der Sprache, in der die SPD-Opposition – jetzt in der(C) sönlich ansprechen, Herr Minister – die Qualität desRegierung – in der Vergangenheit mit uns geredet hat. heute und in der kommenden Woche zu beratenden Ein- Sie haben den damaligen Finanzminister, den Kollegen satzes herunter! Sie sprachen eben von einemzivilen Dr. Waigel, ständig dazu aufgefordert, daß er das Geld Peacekeeping. Dieser Einsatz, und zwar sowohl dieaus dem Gesamthaushalt geben solle. Ich fordere auch Luftverifikation wie der Einsatz am Boden, der Einsatz Sie jetzt dazu auf. Sollten Sie, Herr Minister Scharping, der 2 000 OSZE-Beobachter ist eine höchst gefährliche damit Schwierigkeiten haben: Unsere Unterstützung ist Unternehmung und kein Weihnachtsspaziergang. Ihnen sicher. Wenn ich heute in der „Bild“-Zeitung lese – sicher Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. etwas falsch, etwas überzogen dargestellt –, daß die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Bundesrepublik Jugoslawien Waffeneinkäufe bei der Russischen Föderation tätige – ich denke, ich weiß es richtig einzuschätzen; da besteht nach wie vor ein Rü- Vizepräsidentin Petra Bläss: Es spricht jetzt der stungsabkommen –, dann weiß ich, daß deutsche Streit- Bundesminister der Verteidigung, Rudolf Scharping. kräfte dort auch modernsten Waffensystemen begegnen können. Rudolf Scharping, Bundesminister der Verteidi- Wenn man weiß, daß es ständig – täglich – Provoka- gung: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die tionen zwischen UCK und serbischen Sicherheitskräften Maßnahmen, die die internationale Staatengemeinschaft gibt – wir sehen beide Seiten –, dann weiß man, in wel- trifft, müssen im Zusammenhang gesehen werden. Dar- ches schwierige Szenario jeder einzelne OSZE-auf hat mein Kollege Fischer hingewiesen. Der Aufbau Beobachter dort jeden Tag kommen kann, dann weißmilitärischen Drucks hat zu dem Abkommen zwischen man, wie notwendig es ist, daß bewaffnete Streitkräfte Herrn Milosevic und Herrn Holbrooke geführt. Ich will als Schutz- und Evakuierungstruppe, und zwar gut aus- an dieser Stelle sagen, damit das auch für die weiteren gebildet, bestausgebildet, zur Verfügung stehen. HierDebatten klar ist: Die Bundesrepublik Deutschland hat dann von einem zivilen Peacekeeping zu reden, könnte, keine Schwierigkeiten mit dem serbischen Volk und wenn man es so verstehen will, schon dazu dienen, daß hegt keine Animositäten und schon gar nicht Feindschaft Sie Ihren Leuten, insbesondere in der Grünen-Fraktion, gegen das serbische Volk; sie bedauert aber, daß das verkaufen wollen, daß das alles einfach sei, und daß Sie serbische Volk eine diktatorische Regierung hat, die das eine hohe Zustimmungsrate bekommen wollen. Das ist eigene Land und andere unter Druck setzt. nicht zugelassen. Wir müssen den Menschen in unserem Lande, den Beobachtern und den Soldaten, schon klar (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (B) sagen, daß es um eine gefährliche Operation geht. Nur des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der (D) wenn wir dies feststellen, besteht auch mental die Si- CDU/CSU und der F.D.P.) cherheit, daß diese Menschen wohlbehalten wieder nach Mit diesem Abkommen und den Folgevereinbarun- Hause kommen können. gen ist erstens die Verifikation am Boden, also die Mis- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und sion durch die OSZE, und zweitens die bemannte und der F.D.P.) unbemannte Verifikation in der Luft geregelt. Hierfür gibt es mehrere Rechtsgrundlagen, über die ich Sie jetzt Das ist verantwortliche Politik, meine Damen und Her- informiere: Neben diesem Abkommen, das häufig er- ren. wähnt wird, gibt es ein zweites zwischen dem NATO- In diesem Zusammenhang will ich eines sagen: Wenn Oberbefehlshaber und dem jugoslawischen General- es darum geht, diedeutschen Truppenteile für die stabschef; außerdem gibt es einen entsprechenden Be- Schutz- und Evakuierungstruppe festzustellen, zu identi- schluß des Ständigen Rates der OSZE und schließlich fizieren – das wird ja in der kommenden Woche gesche- auch die Resolution des Weltsicherheitsrates mit der hen –, dann fordern wir schon, daß es die Besten sind,Nummer 1203, die all dies aufgreift und bekräftigt und die die Bundeswehr hat. Das heißt dann, daß in der Ein- die Staatengemeinschaft ermuntert, in diesem Sinne zu satzreserve – die braucht man nicht nach Mazedonien zu verfahren. schicken – das Kommando Spezialkräfte vorgehalten Hinsichtlich der Bedenken gegenüber einer Verifika- wird. Das sind die in bestimmten Szenarien am besten tion am Boden kann ich das Haus darüber informieren, ausgebildeten Soldaten. Es kann nicht sein, daß deshalb, daß mittlerweile alle Staaten begonnen haben, ihre Be- weil die Grünen-Fraktion in der Vergangenheit etwasobachter zu notifizieren, also anzumelden. Das gilt übri- dagegen hatte, daß diese Truppen aufgestellt werden,gens für alle europäischen Staaten, einschließlich Ruß- möglicherweise davon abgesehen wird. Auch das willlands und der Ukraine, sowie für die Vereinigten Staaten ich hier deutlich feststellen. von Amerika. Ich sage das deshalb, damit sich einzelne (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Mitglieder des Hauses oder möglicherweise eine Frakti- der F.D.P.) on nicht hinstellen und sich für klüger halten kann als die internationale Staatengemeinschaft, Rußland und die Ein letztes Wort zurFinanzierung des Einsatzes. Ukraine eingeschlossen. Dieser Einsatz kostet viel Geld. Er wird – so schreiben Sie es ja in der Vorlage – in diesem Jahr das Geld des (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS Verteidigungsetats kosten; das soll aus dem Einzelplan 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten 14 erwirtschaftet werden. Ich spreche jetzt einmal mit der CDU/CSU) 362 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Bundesminister Rudolf Scharping (A) Im übrigen unterliegen diese 2 000 Beobachter einer Denn für eine demokratische Entwicklung braucht man (C) Gefahr. Es hat keinen Sinn, daran vorbeizureden. Diemehreres, darunter auch eine unabhängige und freie Gefahr ergibt sich daraus, daß in dem Abkommen zwar Presse. geregelt ist, daß die Bundesrepublik Jugoslawien für die Sicherheit der OSZE-Beobachter die Gewährleistung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zu übernehmen hat, daß aber die UCK eigene Interessen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) verfolgt. Im Kosovo gibt es nicht nur von beiden Seiten Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund des verursachte Scharmützel, sondern auch den Anspruch, engen Zeitfensters, eines nicht sehr konsistenten Ver- bestimmte Gebiete mit angemaßter ziviler Autoritäthaltens einzelner Staaten und der Risiken, die dadurch zu kontrollieren. Aus diesem Widerstreit einerseits zwi- entstehen, wird es um so wichtiger sein, auch die Ent- schen den Garantien des Abkommens und anderer-scheidungen sorgfältig vorzubereiten, die sich mit der seits den Ansprüchen, die die UCK stellt, ergeben sich sogenannten Notfalltruppe ergeben werden. Ich will Sie Risiken. Es gibt leider auch andere, aber ich wolltedarüber informieren, daß im Militärausschuß der NATO das an diesem einen Beispiel deutlich machen. Es sollte die entsprechenden Operationspläne abgeschlossen sind. uns also bewußt sein, daß wir mit der EntsendungDas geschah gestern abend und ist heute dann folgerich- der Verifikateure auch ein gewisses Risiko eingehen,tig im Verteidigungsausschuß wie im Auswärtigen Aus- das für diese Menschen erheblich werden kann. Das ist schuß berichtet worden. – ich stimme dem Kollegen Breuer ausdrücklich zu – kein Spaziergang, sondern ein mit Risiko behafteter Ein- Ich greife diesen Gesichtspunkt deshalb auf, weil aus satz. den Planungen der NATO und aus den Absichten aller Mitgliedstaaten ganz eindeutig hervorgeht, daß mit Um so wichtiger wird es sein, daß die Verifikation in dieser Notfalltruppe nichts verbunden ist, was militäri- der Luft funktioniert. Da wird eine Drohnenbatterie der sche Intervention bedeuten würde. Der Auftrag ist viel- Bundeswehr entsandt; diese Informationen haben Sie mehr absolut klar: den OSZE-Beobachtern im Falle alle. Deswegen will ich mich jetzt auf den Hinweis be- eines Risikos, das sehr verschieden eintreten kann, die schränken, daß die Stationierung dieser Batterie erst er- Hilfe zu geben, die sie brauchen, und sie notfalls aus den folgen wird, wenn es zu einer entsprechenden Vereinba- Gebieten, in denen sie bedroht sind, herausholen zu rung mit der mazedonischen Regierung gekommen ist. können. Dazu konnte es wegen des Regierungswechsels in die- sem Lande nicht kommen. Er hat nicht so gut funktio- Ich weiß, welche Diskussionen hier und da darum niert wie hier. Aber das ist eine eher scherzhafte Bemer- herumgeflochten werden. Ich will deswegen in aller kung am Rande. Deutlichkeit sagen: Es ist eine Notfalltruppe, die helfen (B) Ich möchte darauf aufmerksam machen – damitsoll, gegebenenfalls auch zu evakuieren. Sie hat aber(D) komme ich auf eine Bemerkung zurück, die ich in derkeinen Auftrag, die OSZE-Mission in dem Sinne durch- ersten Debatte am Dienstag schon gemacht habe –, daß zusetzen, daß militärisch interveniert würde. wir für politische Lösungen nur ein sehr engesZeitfen- (Zuruf des Abg. Kurt J. Rossmanith ster haben. Auch wenn das Abkommen eine Zeit von [CDU/CSU]) drei Jahren vorsieht und wenn jetzt für ein halbes Jahr Entscheidungen innerhalb der OSZE oder der NATOIch sage das in aller Deutlichkeit, weil hier im Hause getroffen werden, für die politische Lösung gibt es ver- häufiger einmal das Wort der militärischen Intervention mutlich nur ein sehr enges Zeitfenster. Es gibt hier eine eine Rolle gespielt hat. gegenseitige Verantwortung. Man muß das auf mehreren Seiten klarmachen. Deswegen will ich in diesem Zu- Mit Blick auf aktuelle Berichterstattung und weil Sie sammenhang sagen, daß Waffenlieferungen gleich wel- schon etwas dazwischenrufen, Herr Kollege Rossma- chen Staates – das gilt auch für Rußland – und aus wel- nith, will ich auch sagen: Es gibt jetzt Gerüchte über ei- chen Motiven auch immer in dieses Gebiet hinein ange- nen angeblichen Geheimbericht. Das Bundesministeri- sichts der Chance eines Friedensprozesses ein unver-um der Verteidigung pflegt nicht nur in diesem Jahr, antwortliches Verhalten darstellen. Dabei ist es ganzsondern seit vielen Jahren die gute Praxis, die Ausschüs- egal, von wem es kommt. se regelmäßig über die Umstände des Einsatzes der Sol- daten im Rahmen von SFOR zu informieren. In diesem (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Zusammenhang ist dem Verteidigungsausschuß bzw. GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P. so- seinem damaligen Vorsitzenden am 15. Oktober ein Be- wie bei Abgeordneten der PDS) richt zur Verfügung gestellt worden, der referiert, was Diplomaten aus den Kreisen Moskauer Militärattachés Ich will auch deutlich machen, daß beispielsweise in- beispielsweise in Belgrad hören. Das wird heute öffent- nerhalb der OSZE die Weigerung Rußlands, im Rahmen lich als ein angeblicher Geheimbericht dargestellt. Das der OSZE-Maßnahmen auch eine unabhängige Bericht- ist er nicht. Diese Darstellung könnte man noch hinneh- erstattung durch Journalisten aus dem Kosovo heraus zu men. Aber die Prüfung von Fragen, die sich mit mögli- ermöglichen, die Situation ebenfalls eher erschwert als chen Luftschlägen der NATO ergeben, die Gott sei erleichtert. Dank nicht erforderlich geworden sind, in einen Zu- (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie sammenhang mit der Aufstellung einer Notfalltruppe zu beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bringen, die die OSZE-Beobachter schützen soll, was Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 363

Bundesminister Rudolf Scharping (A) etwas Grundverschiedenes und etwas ganz anderes ist, Wenn ich höre, wie Herr Außenminister Fischer das(C) ist in jeder Hinsicht unzulässig vorschlägt und gut begründet, überkommt mich ein we- nig die Erinnerung (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Die Wehmut!) und erweckt übrigens auch in der Öffentlichkeit den Eindruck, als wolle man gewissermaßen herbeischrei-an eine Zeit, die noch gar nicht so lange zurückliegt. ben, was von keinem der NATO-Partner gewollt ist,Was haben wir uns in diesem Hause alles anhören müs- nämlich militärische Intervention gewissermaßen „auf sen! Ich will einmal daran erinnern, daß wir seinerzeit, Teufel komm raus“. als die Rechtsgrundlage für die Beteiligung der Bun- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS deswehr an friedenserhaltenden Maßnahmen noch unge- 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten klärt war, der SPD vorgeschlagen haben, man möge der CDU/CSU und der F.D.P.) durch eine Klarstellung im Grundgesetz diese Zweifel beseitigen, und daß die SPD dies abgelehnt hat, nicht Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn man weil sie rechtliche Bedenken hatte, sondern weil sie es diese Maßnahmen alle im Zusammenhang sieht, dannpolitisch nicht wollte. Das ist erst wenige Jahre her. bleibt am Schluß nur eine einzige Feststellung: Wenn wir es mit der Verifikation und mit dem Schutz der Men- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) schen, die sie in unserem Auftrag übernehmen, ernst mei- Ich habe noch im Ohr, wie insbesondere eine Kolle- nen, wenn wir es mit dem Friedensprozeß, der eine Chan- gin und ein Kollege aus der Fraktion Bündnis 90/Die ce, aber noch längst keine Gewißheit ist, ernst meinen,Grünen – ich nenne sie mit Namen –, Frau Kollegin wenn wir es mit den über 50 000 Menschen, die die Wäl- Beer – sie nickt zustimmend; danke, Frau Kollegin – der verlassen konnten, aber noch keine dauerhafte Sicher- und der Kollege Ludger Volmer, uns, als wir die Betei- heit in ihren Wohngebieten haben, ernst meinen, dann ist ligung Deutscher an den AWACS-Einsätzen beschlos- es dringend erforderlich, daß wir neben den Maßnahmen, sen haben, vorgehalten haben, wir täten dies nicht aus die unter Begleitung des Militärs getroffen werden undhumanitären Gründen, wir täten dies nicht, um den Frie- auch getroffen werden müssen, die politischen Bemühun- den zu erhalten, sondern wir täten dies ganz bewußt und gen unterstützen und verstärken, damit das – so befürchte bösartig, um die deutsche Außenpolitik zu militarisieren. ich – leider nur sehr schmale Zeitfenster, das uns zur Ver- fügung steht, genutzt wird und die eingesetzten Menschen (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Und heute nicht länger als unbedingt erforderlich einem Risiko aus- klatschen sie!) gesetzt sind, das sie jetzt eingehen. Und heute steht der frühere Fraktionssprecher und jetzi- (B) Vielen Dank. ge Außenminister, Joseph Fischer, vor uns und emp-(D) fiehlt uns dringend – in Richtung seiner Fraktion fast be- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS schwörend – die Zustimmung zu dem Vorschlag der 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten Bundesregierung. Ich kann nur sagen: Ich freue mich der F.D.P. und der PDS) über diese Entwicklung. Aber ich sage in Abwandlung eines alten Spruches: Welch eine Wendung durch Vizepräsidentin Petra Bläss: Das Wort hat der Joschkas Fügung. Abgeordnete Ulrich Irmer, F.D.P. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch et- was sehr Ernstes sagen. Herr Fischer hat auf den dritten Korb der Vereinbarungen Holbrooke-Milosevic hinge- Ulrich Irmer (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine Da- wiesen. Wir müssen uns über eines klar sein: Wir haben men und Herren! Die F.D.P.-Fraktion wird dem Antrag immer betont, militärische Maßnahmen können nur das der Bundesregierung zustimmen. Dieser Antrag ist die letzte Mittel sein, wenn politische Maßnahmen nicht ge- logische Folge des Beschlusses, den der 13. Deutsche fruchtet haben. Ich beschwöre alle Beteiligten, eine Bundestag am 16. Oktober gefaßt hat. Friedenslösung für den Kosovo zu suchen. Ich rege an, Ich möchte auf eines hinweisen: Das Beste an demdaß die Staatengemeinschaft ein zweites Dayton- Beschluß vom 16. Oktober ist jetzt, in der Rückschau, Abkommen initiiert und vorbereitet. In diesen Prozeß daß die damals als möglich beschlossene militärischemüssen alle Interessen eingebunden werden. Die Posi- Zwangsmaßnahme bisher nicht ergriffen werden mußte. tionen stehen sich heute unversöhnlich gegenüber. Die Richtig ist es aber, daß die Drohkulisse aufrechterhalten einen wollen nicht Autonomie, sondern Unabhängigkeit, bleiben muß, weil wir nicht wissen, wie sich ein unbere- die anderen sagen: An unserem Staatsverband wird kei- chenbares Regime wie das von Milosevic in Zukunftnen Deut gerüttelt. Hier muß, auch durch äußeren verhalten wird. Druck, eine Vereinbarung politischer Natur zustande kommen. Ansonsten werden wir Jahr für Jahr, auch in (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- ferner Zukunft, hier stehen und werden immer wieder ten der CDU/CSU) solche Beschlüsse zu fassen haben wie heute. Manchmal erlebt man ja Situationen, die einen etwas gespenstisch anmuten. Auch das Völkerrecht muß weiterentwickelt werden. Das Völkerrecht ist nicht darauf eingestellt, daß es Kon- (Dr. Helmut Kohl [CDU/CSU]: Sehr wahr! flikte innerhalb von Staaten gibt. Wir müßten im Völ- Sehr gut!) kerrecht für Situationen wie im Kosovo Regeln entwik- 364 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Ulrich Irmer (A) keln, wonach eine Bevölkerung ihre legitimen RechteMilosevic unterzeichnet hat, mit dem man die Apart-(C) wahrnehmen kann, ohne sich aus einem Staatsverband heids- und Vertreibungspolitik gegen die Kosovo- zu lösen. Albaner unterstützte. Denkbare Sanktionen unterhalb ei- nes militärischen Einsatzes wurden nicht ausreichend Ich wiederhole: Die F.D.P.-Fraktion stimmt der Vor- genutzt, und auch im Dayton-Vertrag wurde die Koso- lage der Bundesregierung zu. vo-Frage ausgeklammert. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Die PDS-Fraktion hat die Entsendung einerOSZE- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Beobachtermission begrüßt. ten der CDU/CSU) ( [SPD]: Aha!) Nicht einverstanden sind wir mit der Stationierung von Vizepräsidentin Petra Bläss: Es spricht jetzt die Bundeswehrkräften im Rahmen eines NATO-Einsatzes. Abgeordnete Heidi Lippman-Kasten, PDS. Denn dadurch wird der zunächst positiv erscheinende Ansatz der Einbeziehung der OSZE, die Ausweitung und Stärkung ihrer Rolle bei der zivilen Konfliktbear- Heidi Lippmann-Kasten (PDS): Frau Präsidentin! beitung, konterkariert. Meine Damen und Herren! Die Entscheidung des bereits abgewählten 13. Bundestages vom 16. Oktober, durch Meine Damen und Herren, das bleibt, auch wenn sich einen völkerrechtswidrigen Einsatz der Bundeswehr im die UN-Resolution 1203 als Mandat für die Überwa- Rahmen der NATO Jugoslawien gegebenenfalls zuchungs- und sogenannten Notfallmaßnahmen interpre- bombardieren, stellte einen tiefen Einschnitt in die deut- tieren lassen sollte, ein falscher Weg. Meine Fraktion sche Geschichte dar. wird dem vorliegenden Antrag nicht zustimmen. (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das ist die- Ich warne ausdrücklich davor, daß die heutige Ent- selbe Rede wie heute morgen im Ausschuß!) scheidung zu einem Präzedenzfall dafür wird, künftige humanitäre, zivile Missionen generell durch das Militär Wer allerdings erwartet hatte, daß Rotgrün neue frie-zu unterstützen. An die neue Regierung appelliere ich: denspolitische Wege beschreiten würde, der wurde arg Verzichten Sie auf eine bellizistisch ausgerichtete Poli- enttäuscht. Der unter Mißachtung des Völkerrechts zu- tik, und beenden Sie Ihre Politik militärischer Interven- stande gekommene Beschluß wurde, nachdem Abkom- tionen! Dann werden Sie auch unsere Unterstützung be- men über die Entschärfung des Konflikts erzielt wurden, kommen. nicht etwa zurückgenommen, sondern der Angriffsbe- fehl wurde aufrechterhalten. (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Darauf legen wir kei- (B) nen Wert!) (D) Durch die Entsendung von Kampftruppen nachMa- zedonien, über die wir in den nächsten Tagen beraten Danke. werden, wird Mazedonien als bisher unbeteiligtes Land (Beifall bei der PDS) in den Strudel des Konfliktes hineingezogen, (Beifall bei der PDS) Vizepräsidentin Petra Bläss: Frau Kollegin Lipp- und zwar ohne daß Mazedonien bis heute einer Statio- mann-Kasten, das war Ihre erste Rede in diesem Hohen nierung zugestimmt hat. Man hofft lediglich darauf, daß Hause. Ich gratuliere Ihnen dazu. die neue Regierung zustimmen wird. (Beifall bei der PDS – Lachen bei der Die aktuelle Debatte und auch die Koalitionsverein- CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Peter Ram- barung beweisen, daß die neue Regierung nicht den ver- sauer [CDU/CSU]: Ist total daneben gegan- sprochenen Wechsel bringen wird, sondern die altbe- gen!) kannte Machtpolitik der Regierung Kohl nahezu nahtlos In Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit und im Sinne von Kanzler Schröder und Außenminister Fischer fort- eines flüssigen Ablaufs der namentlichen Abstimmung gesetzt wird und die Dominanz des Militärischen in der bitte ich um Ruhe in diesem Haus. Außenpolitik unseligerweise fortbesteht. Jetzt hat noch einmal Bundesminister Joseph Fischer (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE das Wort. GRÜNEN]: Völliger Blödsinn!) Statt sich auf den Verfassungsauftrag des Grundgesetzes Bundesminister des Auswärtigen: rückzubesinnen, wonach die Bundeswehr nur zu Vertei- Joseph Fischer, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrte digungszwecken eingesetzt werden darf, machen Sie Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung wurde sich durch Ihre Zustimmung zu Kampfeinsätzen im vor- von der CDU/CSU-Fraktion nachdrücklich gebeten – da auseilenden Gehorsam zu Befehlsempfängern der USA wir keinen Formalstreit wollen und es aus unserer Sicht und der NATO. darüber nichts zu streiten gibt, komme ich diesem An der Verschärfung der Situation im Kosovo trägt Wunsch im Einverständnis mit den anderen Fraktionen die bisherige deutsche Außen- und Innenpolitik ein Teil gerne nach –, eine aktuelle Unterrichtung über die Irak- Mitverantwortung, zum Beispiel auf Grund des Rück- Krise zu geben. Wir haben darüber heute morgen im nahmeabkommens, das 1996 Herr Kinkel mit HerrnAuswärtigen Ausschuß bereits ausführlich unterrichtet Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 365

Bundesminister Joseph Fischer (A) und diskutiert. Ich will in der gebotenen Kürze was die der Wunsch nach Unterrichtung in diesem Hause(C) wichtigsten Punkte hier vortragen. wirklich soll. Wir sehen die Zuspitzung der Lage im Irak als sehr, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS sehr ernst an. Alle Anzeichen sprechen dafür, daß es in 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der kommenden Woche zu einer sehr ernsten Konfron- der PDS) tation kommen könnte. Ich dachte, Sie wollten eine ernsthafte Unterrichtung Die Bundesregierung unterstützt vorbehaltlos diehaben. Position des Sicherheitsrates. Alle Mitglieder des Si- Ich wollte Ihnen nochmals klarmachen, daß es nun cherheitsrates verurteilen das Vorgehen des Irak undvor allem beim Irak liegt, der Arbeit der UN- fordern den Irak auf – der Sicherheitsrat vertritt, wennAbrüstungsbehörde entgegenzukommen, sie aktiv zu man die jetzige Situation mit der Situation in der letzten unterstützen, um die Aufhebung der schwer auf dem Irak-Krise vor etwa einem halben Jahr vergleicht, eine Land lastenden Maßnahmen des Boykotts und der Isola- sehr einmütige Haltung –, die Resolution des Sicher-tion, die vor allen Dingen die Bevölkerung treffen, zu heitsrates und die Vereinbarung zwischen dem UN-erreichen. Hier betreibt die irakische Regierung ein zy- Generalsekretär Kofi Annan und der irakischen Regie- nisches Spiel mit den Schwächsten in der eigenen Be- rung vollständig und rückhaltlos zu erfüllen. völkerung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten Ich möchte vor der Abstimmung in aller Kürze, es ist der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS) wirklich nur im Telegrammstil möglich, – – Die Aufhebung dieser Maßnahmen ist gebunden an die volle Erfüllung derUN-Sicherheitsratsresolution. (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sie schleu- Das ist die Haltung der Bundesregierung. Ich möchte dern ja!) hier noch einmal klarmachen, warum. Die Haltung des – Ich schleudere nicht. Sie wollten die Unterrichtung.Irak ist nicht akzeptabel. Wir unterstützen die Haltung Ich wußte ganz genau, daß es nicht um eine Unterrich- des Sicherheitsrates. Die Präsidentschaft des Sicher- tung geht. Ich dachte mir, daß wir uns in einer solch zu- heitsrates haben gegenwärtig die USA inne. Insofern gespitzten Situation, in einer solchen Krise zumindestunterstützen wir selbstverständlich alle Bemühungen, darin einig sind, daß wir die Position des Sicherheitsra- um einen Zusammenprall zu verhindern. Wir haben mit tes inhaltlich voll unterstützen. Frau Albright und mit Präsident Clinton gesprochen, der Bundeskanzler hat gestern noch mit Präsident Clinton (B) (D) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS telefoniert. Ziel der US-Regierung ist es, eine militäri- 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten sche Konfrontation zu verhindern. Das bedeutet, daß der der PDS) Irak auf die Grundlage der Erfüllung der Sicherheitsrats- Ich weiß gar nicht, wo es da ein Schleudern gibt. resolution zurückgehört. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS Wenn es am Ende zu einem Zusammenprall kommt, 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten ist es, so sage ich Ihnen, allein die Schuld der irakischen der CDU/CSU und der PDS) Regierung Sie werden hieraus keine kleinliche parteipolitische (Beifall bei Abgeordneten der SPD, des Münze schlagen können. Das verspreche ich Ihnen. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich möchte hier nochmals klarmachen, meine Damen und Herren: Das atomare Potential des Irak ist weitest- und eines, wie ich finde, verbrecherischen Regimes, gehend erfaßt und zerstört. Das sogenannte atomare (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Dossier kann nach Meinung der UN-Abrüstungskom- GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P. so- mission geschlossen werden. Beim Lenkwaffen-Dossier wie bei Abgeordneten der PDS) gibt es noch Probleme, gibt es noch offene Fragen, auch wenn sie weitestgehend abgearbeitet sind. Bei den Che- dessen Vorgehensweise von der Völkergemeinschaftmiewaffen gibt es noch sehr ernste Fragen, die aller- und auch von der Volksrepublik China, von Rußland,dings nach Meinung von Herrn Butler, dem Leiter der von Frankreich, von allen ständigen und nichtständigen UN-Abrüstungskommission für den Irak, innerhalb von Mitgliedern abgelehnt wird. drei bis vier Monaten hätten abgearbeitet werden kön- nen. Dann wäre in der Tat die Möglichkeit eröffnet ge- (Zuruf) wesen, zumindest eine teilweise Aufhebung des von den – Dies ist eine ernsthafte Unterrichtung in einer Situa- Vereinten Nationen angeordneten Boykotts gegenüber tion, in der es unter Umständen in der nächsten Woche dem Irak zu beraten und dann auch zu beschließen. Bei eine militärische Konfrontation geben kann, die das, was den biologischen Waffen sind nach wie vor noch sehr seit dem Golfkrieg im Bereich des Denkbaren ist, durch- viele ernste Fragen offen. Das ist die Situation. Der Irak aus übersteigen kann. Solch eine Unterrichtung quittie- hat sich aus dieser Zusammenarbeit verabschiedet, ob- ren Sie – seien Sie mir nicht böse – mit nicht gerade sehr wohl die UN-Abrüstungsbehörde seinen Vorstellungen kompetenten Zwischenrufen. Deshalb frage ich mich,immer wieder entgegengekommen ist. Daß er sich dar- 366 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Bundesminister Joseph Fischer (A) aus verabschiedet hat, ist die eigentliche Ursache derwir von der Bundesregierung in dieser Situation erwar- (C) Krise. ten. Ich sage Ihnen nochmals: Wenn es auch manchmal Im Februar hat der damalige Bundeskanzler, Helmut schwierig ist, die Dinge zu Ende zu denken, kann esKohl, – wir waren in München zusammen auf der Si- nicht akzeptiert werden – niemand im UN-Sicherheits- cherheitskonferenz; Herr Kollege Scharping hat sich rat, weder ein ständiges noch ein nicht ständiges Mit-damals schon sehr eindeutig geäußert – gesagt: Wenn es glied, ist bereit, das zu akzeptieren – daß Massenver-zur Anwendung von Waffengewalt kommt, dann stehen nichtungsmittel in den Händen von Saddam Husseinwir an der Seite unserer amerikanischen Verbündeten. verbleiben. Das kann nicht akzeptiert werden. Wir werden alle Möglichkeiten nutzen – auch logistisch, was die Basen angeht –, um sie zu unterstützen. Herr (Beifall im ganzen Hause) Außenminister Fischer und Herr Bundeskanzler, das ist Hier muß die irakische Führung wissen, daß die Völker- das, was wir gerne auch von Ihnen hören möchten. gemeinschaft – ich betone nochmals: alle Mitglieder des Bis zur letzten Minute muß versucht werden, den Irak UN-Sicherheitsrates – nicht bereit ist, dieses zu akzep- wieder in die Weltgemeinschaft und in die Verabredung tieren. Ich entnehme Ihrem Beifall, daß Sie hier diezurückzuführen. Haltung der Bundesregierung unterstützen. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das hat Vielen Dank. er doch gesagt!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS Falls das scheitert, muß klar sein: Deutschland steht an 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Seite unserer Freunde und Verbündeten, auch wenn der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS) es zu einer militärischen Aktion kommt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Vizepräsidentin Petra Bläss: Der letzte Redner in ordneten der F.D.P.) der Debatte ist der Abgeordnete Volker Rühe.

Vizepräsidentin Petra Bläss: Liebe Kolleginnen Volker Rühe (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe und Kollegen, die Debatte wird fortgesetzt. Deswegen Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es ist in einererteile ich jetzt das Wort dem Abgeordneten Gernot Er- Situation, in der nicht ausgeschlossen werden kann, daß ler, SPD. es bis zum nächsten Zusammentreten des Deutschen Bundestages zu schwerwiegenden militärischen Hand- Ich bitte, daß die Kolleginnen und Kollegen vielleicht (B) lungen kommt, angemessen, daß die CDU/CSU-doch noch einmal die Plätze einnehmen. (D) Fraktion um diese Unterrichtung gebeten hat und daß (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wir uns hier im deutschen Parlament abstimmen. Unser Interesse muß sein, daß die deutsche Stimme in dieser zugespitzten Situation klar, deutlich und von einem Gernot Erler (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr möglichst breiten Konsens getragen wird. verehrten Damen und Herren! Ich sehe einen Unter- schied, Herr Kollege Rühe, zwischen Ihrer Position und (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so- der, die der Bundesaußenminister dargelegt hat. Der wie bei Abgeordneten der SPD) Bundesaußenminister hat deutlich gemacht, daß es auch Nur dann haben wir auch einen Einfluß auf die Ent-in einer solchen prekären Situation vernünftiger ist, noch wicklung. einmal in einem Restoptimismus auf eine Lösung zu setzen, die eben nicht zu einem militärischen Einsatz Wir stimmen dem zu, was hier gesagt worden ist:führt. Sie dagegen machen hier nichts weiter als einen natürlich die Unterstützung für den Weltsicherheitsrat, Appell, der darauf abzielt, einer anderen Lösung zuzu- natürlich weiterhin alle Bemühungen. Aber die Frage ist stimmen. Dazu muß ich sagen: Ich finde das, was Herr offengeblieben: Was passiert – und das zeichnet sichFischer hier vorgetragen hat, sympathischer ab –, wenn das nicht zu einem Erfolg führt? (Paul Breuer [CDU/CSU]: Hier geht es nicht Saddam Hussein hat einseitig die Kooperation mit der um Sympathie!) Weltgemeinschaft aufgekündigt. Tony Blair, der engli- sche Premierminister, hat heute gesagt: Dies und hat konstruktiver, und ich finde, daß das in einer besse- schwerwiegende Konsequenzen für die ganze Welt.ren deutschen Tradition steht. Wenn es nötig ist, mit Waffengewalt – und das kann in den nächsten Tagen erfolgen – durch die amerikanischen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Freunde, durch die Engländer auf einer klaren rechtli- chen Grundlage der Vereinten Nationen zu handeln, Wir haben in den letzten Stunden und Tagen durch- dann ist meine herzliche Bitte, damit der deutsche Ein- aus noch Signale bekommen, die anzeigten, daß es eine fluß zum Tragen kommt, daß wir uns darüber verständi- Möglichkeit gibt, in letzter Minute noch ein Einlenken gen, daß Deutschland an der Seite derjenigen steht, die der irakischen Führung zu erreichen. Herr Fischer hat dafür sorgen, daß dem Irak nicht durchgehen kann, sich mit aller notwendigen Deutlichkeit hier zum Ausdruck aus der Weltgemeinschaft durch die Aufkündigung die- gebracht, daß es keine andere Möglichkeit gibt. Unsere ser Vereinbarung zu entfernen. Das ist eine Haltung, die Appelle richten sich an niemand anderen als an die ira- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 367

Gernot Erler (A) kische Führung, als an Saddam Hussein selbst. Er hat es Deswegen müssen wir gemeinsam darüber nachdenken. (C) in der Hand, Unheil von seinem Land und seiner Bevöl- Solche Fragen, wie es überhaupt zu solchen Fallen kerung abzuwenden. Darüber sind wir uns doch hof-kommen kann, in der Außenpolitik mitzubedenken, ist fentlich einig. wichtiger, als einseitige Forderungen zu stellen, die meines Erachtens spekulativ sind. Wir sind uns auch darüber einig – das hat Herr Fi- scher deutlich gesagt –, daß es einfach nicht akzeptabel Vielen Dank. ist – es ist vor allem deshalb nicht akzeptabel, weil hier (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die Autorität der Vereinten Nationen, der Weltorgani- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. sation, auf dem Spiel steht –, daß sich der Irak einseitig Theodor Waigel [CDU/CSU]: Schlechteste aus seinen Verpflichtungen verabschiedet hat. Aber es Rede des Tages!) gab auch Signale in den letzten Stunden, die darauf hin- deuteten, vielleicht durch eine Vermittlung, um die ge- radezu gebeten wurde, einen Ausweg aus der Falle, die Vizepräsidentin Petra Bläss: Das Wort hat jetzt hier entstanden ist, zu finden. der Abgeordnete Klaus Kinkel, F.D.P. Herr Rühe, leider haben Sie dazu gar nichts gesagt. Das heißt, ich hab den Eindruck, daß Sie eher wünschen, Dr. Klaus Kinkel (F.D.P.): Frau Präsidentin! Liebe daß es hier zu einer solchen Auseinandersetzung kommt. Kolleginnen und Kollegen! Auch ich bin in der Tat der Meinung, daß wir eine sehr zugespitzte Situation in der (Lebhafter Widerspruch bei der CDU/CSU – Region haben. Anders als im Februar, wo es relativ lan- Paul Breuer [CDU/CSU]: Unglaublich! – Dr. ge danach aussah, daß die Situation durch politisch- Theodor Waigel [CDU/CSU]: Eine bodenlose diplomatische Gespräche bereinigt werden könnte, ist Unterstellung! Setzen Sie sich hin! – Weitere die Situation diesmal komplizierter, weil eben Saddam Zurufe von der CDU/CSU: Pfui! – Schäm Hussein zum wiederholten Male das, was er dem Gene- dich!) ralsekretär der Vereinten Nationen fest zugesagt hatte, nicht eingehalten hat. Das ist der entscheidende Unter- Herr Rühe, warum haben Sie denn dem Außenmini- schied. ster nicht zugestimmt, daß bis zum letzten Moment – ich habe darauf gewartet, daß Sie, Herr Rühe, das sagen – Trotzdem glaube ich, daß wir uns hier im Haus ge- hier verhandelt wird? Ich habe nur festgestellt, daß eine meinsam – deshalb bin ich an das Rednerpult gegangen solche Äußerung nicht gekommen ist. – über folgende Verfahrensweisen einig sein sollten: (Paul Breuer [CDU/CSU]: Peinlich! – Dr. Erstens. Es muß alles, aber auch wirklich alles ver- (B) Theodor Waigel [CDU/CSU]: Blamabel!) sucht werden, um auf politisch-diplomatischem Wege zu (D) einer Lösung zu kommen. Deshalb fordere ich Kofi Ich möchte noch etwas Grundsätzliches zu der gan- Annan nochmals auf – ich habe das heute schon an an- zen Politik gegenüber dem Irak anmerken. Wir habenderer Stelle getan –, unverzüglich in den Irak zu reisen heute morgen hier eine sehr akzeptable und sehr ver-und genau wie im Februar den Versuch zu machen, doch nünftige Diskussion mit dem Außenminister im Aus-noch in letzter Minute zu einer politisch-diplomatischen wärtigen Ausschuß geführt. Wir müssen auch darüberLösung zu kommen, zumal der Irak erklärt hat, daß er zu nachdenken, daß die bisherige Politik des Embargos den solchen Gesprächen mit Kofi Annan bereit ist. Das ist Irak in eine Situation von individueller Ausweglosigkeit Aufgabe des Generalsekretärs. Der Sicherheitsrat sollte geführt hat. Es ist eine grundsätzliche Überlegung, ob es nicht nur darüber reden, sondern ihm den Auftrag ertei- richtig ist, eine solche Situation aufrechtzuerhalten. Es len, hinzureisen und diese letzte politisch-diplomatische muß auch in Zukunft wieder die Möglichkeit geben, ein Anstrengung zu machen, um doch noch zu einer friedli- politisches Mittel in der Hand zu haben. chen Lösung zu kommen. Wir haben eine ganz ähnliche Situation bei Milosevic (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) in der Bundesrepublik Jugoslawien. Zweitens. Wenn das nicht gelingt, dann allerdings (Zurufe von der CDU/CSU: Aufhören!) glaube ich, daß es diesmal wirklich zwingend notwendig ist, Saddam Hussein zu zeigen, wohin die Reise zu ge- Hier haben wir kein politisches Mittel mehr in der Hand. hen hat. Denn – ich habe mich mit der Materie auch – Ich sehe Herrn Kinkel. Sie haben uns einmal im Aus- selbst sehr beschäftigt; was der Kollege Fischer vorhin wärtigen Ausschuß über Gespräche mit Milosevic be-erklärt hat, ist zutreffend – wir haben nach wie vor ab- richtet. Sie haben gesagt: Er hat mir geantwortet: Ihrsolute Unsicherheit im Bereich derbiologischen Waf- könnt machen, was ihr wollt, ihr könnt mir nicht mehr fen. Was das für die Region und für die Welt bedeuten weh tun; ihr könnt mich mit nichts mehr bedrohen. –kann, brauche ich hier nicht auszumalen. Deswegen waren auch die Möglichkeiten reduziert, mit Das würde bedeuten, daß wir, wenn die Amerikaner ihm überhaupt ein Agreement, einen Konsens zu finden. Leider verhält es sich ähnlich – das ist eine grundsätzli- bereit sind und die notwendige Rechtsgrundlage gege- ben ist – ich glaube, daß sie gegeben ist; ich habe mich che Frage – in bezug auf den Irak. gestern noch einmal damit beschäftigt –, auf Grund der (Zurufe von der CDU/CSU: Es reicht! – Sicherheitsratsresolution 687 – vor allem der alten, Schwätzer!) aber auch der neuen Resolution vom 5. November – 368 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Dr. Klaus Kinkel (A) politische und logistische Unterstützung zu leistenum hier jetzt – zu einem Zeitpunkt, zu dem wir die in-(C) haben. Zu mehr werden wir nicht gefordert werden, aber ternationale Unterstützung und Verurteilung Saddams das ist notwendig; die alte Bundesregierung hat es imbenötigen, um klarzumachen, daß dieser Diktator, dieser Februar zugesagt. Vernichter der Zivilisation im Irak, international auf der Anklagebank sitzt – mit einer Bundesregierung, die ge- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) nau diesen diplomatischen Weg unterstützt, eine militä- Dazu sollten wir uns in einer so ernsten Situation dann rische Diskussion zu führen, die uns aus dem Dilemma, aber gemeinsam bereit finden. das doch offensichtlich ist, nicht herausführt. Deshalb nochmals mein Appell – ich glaube, es sollte Es ist nun einmal so, Herr Kollege Rühe – als Vertei- unser aller Appell sein –, alles politisch und diploma-digungsminister haben Sie sehr viel zurückhaltender ge- tisch Mögliche zu versuchen. Für meine Begriffe hat ne- redet, als Sie das eben getan haben –, ben Rußland und Frankreich, die Einfluß haben, im (Widerspruch bei der CDU/CSU) Grunde – wenn überhaupt – nur Kofi Annan die Chance, die Sache nochmals zu wenden. daß Luftangriffe allein keine politische Lösung für diese Situation im Irak sind. Wir wissen doch, daß die Men- Sicherheitsrat Deshalb der Appell an den : Gebt ihm schen zu leiden haben und daß wir in der fatalen Situa- den Auftrag! Redet nicht immer nur darüber, sonderntion sind, daß Saddam glaubt, sich in dieser Notsituation gebt ihm in der Funktion als Sicherheitsrat den klarenauch noch selbst stärken zu können, und daß er Luft- Auftrag, dorthinzureisen! Im Sicherheitsrat wird näm- schläge deshalb fast schon provoziert. Das ist doch das lich immer herumgeredet – heute kann ich das einmalZynische an dieser Politik des – man kann es eigentlich deutlich sagen. Gebt ihm den Auftrag, als Generalse-nicht mehr so nennen – irakischen Regimes. Eigentlich kretär dorthinzureisen und eine diplomatische, politische müßte man von einem Amoklauf sprechen, der geradezu Lösung zu suchen. Wenn das allerdings keinen Erfolg eingefordert wird. Die Herausforderung an die interna- hat, müssen diejenigen, die handeln, wissen, daß sie un- tionale Staatengemeinschaft besteht doch darin, nicht sere politische und logistische Unterstützung haben. einfach zu sagen: „Wir hauen jetzt drauf“, sondern nach Vielen Dank. einer Lösung in dieser Region zu suchen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wie bei Abgeordneten der SPD und des sowie bei Abgeordneten der SPD) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das heißt, daß wir jede Sekunde nutzen müssen, die Diplomatie zu unterstützen, zu stärken, um die Arbeit der UNSCOM nicht leichtfertig – wie etwa durch einen (B) Vizepräsidentin Petra Bläss: Nächste Rednerin ist (D) die Abgeordnete Angelika Beer, Bündnis 90/Die Grü- Luftangriff – aufs Spiel zu setzen. Wir müssen vielmehr nen. mit allen Mitteln versuchen, die UNSCOM dort wieder arbeiten zu lassen – auch im Sinne der Bevölkerung im (Paul Breuer [CDU/CSU]: Jetzt ist der Bär Irak – und müssen in sehr engen Kontakten mit den los!) Partnern und den Verbündeten in genau diese Richtung wirken. Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Wenn das geschieht, Herr Kollege Rühe, dann wird – Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine da bin ich zuversichtlich – unsere Regierung rechtzeitig Fraktion sieht die aktuelle Entwicklung im Irak mitverantwortlich diskutieren und unterrichten; denn das, allergrößter Sorge. Wir wissen wohl, daß die Situation was dort bei einem Militärschlag passiert, wird schlim- noch ein Stückchen ernster und gefährlicher ist als zumere Folgen als alles andere zusammen haben. dem Zeitpunkt, zu dem wir sie im Frühjahr hier disku- tieren mußten. Ich will hier betonen: Unsere Sorge gilt auch Israel und der Bevölkerung dort. Fahrlässige Militärschläge Gerade in dieser Minute, in diesen Stunden laufen die könnten auf Grund des unberechenbaren und verant- letzten diplomatischen Bemühungen, um zu erreichen, wortungslosen Regimes im Irak eine Eskalationsspirale daß Kofi Annan überhaupt noch einen Vermittlungsver- hervorrufen. Das heißt, daß wir dort mit Fingerspitzen- such starten kann. gefühl und nicht mit Parteipolitik zu agieren haben. Die Ich finde es richtig, daß wir in dieser Situation vom können wir jetzt nicht gebrauchen. Bundesaußenminister Fischer über die aktuelle Situation (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unterrichtet wurden. sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Vizepräsidentin Petra Bläss: Letzter Redner ist Ich finde es vollkommen fahrlässig, Herr Kollege Rühe, der Abgeordnete Wolfgang Gehrcke, PDS. wenn diese Situation parteipolitisch mißbraucht wird, (Zuruf: Das fehlt uns gerade noch! – Gegenruf (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES des Abg. Wolfgang Gehrcke [PDS]: Ja, das 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Lebhafter fehlt Ihnen auch noch! – Zuruf von der Widerspruch bei der CDU/CSU und F.D.P.) CDU/CSU: Was hat er gesagt?) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 369

(A) Wolfgang Gehrcke (PDS): Frau Präsidentin! Liebe Bevor wir zur Abstimmung kommen, gebe ich be-(C) Kolleginnen und Kollegen! Der Zwischenruf war: „Das kannt, daß es zwei schriftliche Erklärungen zur Ab- fehlt uns gerade noch“. Darauf habe ich geantwortet:stimmung nach § 31 der Geschäftsordnung gibt. Es han- „Ja, das fehlt Ihnen auch noch.“ delt sich zum einen um eine schriftliche Erklärung der Kollegin Annelie Buntenbach und anderer1) und zum Man hätte diese Debatte nach der sehr ernsthaftenanderen um eine schriftliche Erklärung des Kollegen und differenzierten Information durch den Bundesau-Winfried Nachtwei und anderer.2) ßenminister vermeiden können, wenn es nicht die maß- lose und, wie ich fand, schamlose Rede von Volker Rü- Wir kommen damit zur Abstimmung über die Be- he gegeben hätte – maßlos und schamlos! schlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur deutschen Beteiligung (Beifall bei der PDS – Widerspruch bei der an der NATO Luftüberwachungsoperation über dem CDU/CSU) Kosovo, Drucksachen 14/16 und 14/32. Der Ausschuß empfiehlt, dem Antrag zuzustimmen. Die Fraktion der Der Bundesaußenminister hat hier das Gefühl signali- CDU/CSU verlangt namentliche Abstimmung. siert, daß in der Tat auch die Bundesregierung versuchen wird, ihren Einfluß geltend zu machen, so daß nicht auf Bevor ich die Abstimmung eröffne, bitte ich um Ihre die Ultima ratio, den Militärschlag, gesetzt wird, son-Aufmerksamkeit für folgenden Hinweis: Es sind sechs dern daß alle Möglichkeiten zur Verhandlung, Urnen die aufgestellt; jeder Urne ist eine bestimmte Buch- Saddam Hussein dazu zwingen, die Resolution des UN- stabengruppe zugeordnet. Sie dürfen Ihre Stimmkarte Sicherheitsrates einzuhalten und die übrigens auch das ausschließlich in diejenige Urne werfen, deren Buchsta- Leiden der Zivilbevölkerung im Irak mildern können,bengruppe den Anfangsbuchstaben Ihres Nachnamens genutzt werden, um diesen Militärschlag zu verhindern. umfaßt. Achten Sie bitte darauf, daß die von Ihnen be- Für diesen Militärschlag gibt es ein Wort, das man hier nutzte Abstimmungskarte Ihren Namen trägt. im Bundestag auch ansprechen sollte: Krieg. Es handelt sich um Krieg, bei dem Menschen in großer Zahl um- Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftfüh- kommen werden. Wenn man dies zu einer scharfmache- rer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle rischen Rede nutzt, in der nicht gesagt wird: „Nutzt alle Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Ab- Verhandlungen!“, sondern die Losung ausgegeben wird: stimmung. „Jetzt Augen zu und durch!“, dann versündigt man sich an der Sicherheitspolitik und macht das eigene Anliegen Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine unglaubwürdig. Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Damit schließe ich die Abstimmung. (B) (Beifall bei der PDS – Paul Breuer [CDU/ (D) CSU]: Sie können nicht zuhören!) Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Ich möchte auch darauf aufmerksam machen, daß vor dem Hintergrund der komplizierten Situation, die wir in Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen der europäischen Region, im Kosovo und anderswo, ha- Abstimmung unterbreche ich die Sitzung. ben, ein solcher Militärschlag nicht ohne Auswirkungen (Unterbrechung von 15.50 bis 15.57 Uhr) bleiben wird. Der Bundesaußenminister hat deutlich gemacht, daß sich der UN-Sicherheitsrat, was die Verurteilung der Vizepräsidentin Petra Bläss: Die unterbrochene Politik von Saddam Hussein angeht, einig ist. Er mußSitzung ist wieder eröffnet. aber gleichzeitig sagen, daß in der Frage eines Militär- Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift- schlages die Meinungen im UN-Sicherheitsrat sehr un- führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Ab- terschiedlich sein werden. Auch das mahnt zur Beson- stimmung über die Beschlußempfehlung des Auswär- nenheit, zu Verhandlungen und zur Vernunft. Dieses tigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung Zeichen sollte von diesem Hause ausgehen und nicht zur deutschen Beteiligung an der NATO-Luftüber- solche Reden wie die, wie wir sie uns hier anhören wachungsoperation über dem Kosovo auf den Druck- mußten. sachen 14/16 und 14/32 bekannt. Abgegebene Stim- Danke sehr. men 582. Mit Ja haben gestimmt 540, mit Nein haben gestimmt 30, Enthaltungen 12. (Beifall bei der PDS)

—————— Vizepräsidentin Petra Bläss: Ich schließe damit 1) Anlage 2 die Aussprache. 2) Anlage 3 370 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Vizepräsidentin Petra Bläss (A) (C) Endgültiges Ergebnis Freitag, Dagmar Küster, Dr. Uwe Scharping, Rudolf Friedrich (Mettmann), Lilo Kumpf, Ute Scheelen, Bernd Friedrich (Altenburg), Peter Kunick, Konrad Scheer, Dr. Hermann Abgegebene Stimmen: 582; davon: Friese, Harald Labsch, Werner Scheffler, Siegfried ja: 540 Fuchs (Köln), Anke Lafontaine, Oskar Schild, Horst nein: 30 Fuhrmann, Arne Lambrecht, Christine Schily, Otto enthalten: 12 Ganseforth, Monika Lange, Brigitte Schloten, Dieter Gleicke, Iris Lange (Backnang), Christian Schmidbauer (Nürnberg), Gloser, Günter Larcher von, Detlev Horst Ja Göllner, Uwe Lehder, Christine Schmidt (Meschede), Gradistanac, Renate Lehn, Waltraud Dagmar SPD Graf (Friesoythe), Günter Leidinger, Robert Schmidt (Eisleben), Silvia Adler, Brigitte Graf (Rosenheim), Angelika Lennartz, Klaus Schmidt (Aachen), Ulla Andres, Gerd Grasedieck, Dieter Leonhard, Dr. Elke Schmidt (Salzgitter), Arnold, Rainer Großmann, Achim Lewering, Eckhart Wilhelm Bachmaier, Hermann Grotthaus, Wolfgang Lörcher, -Zadel, Regina Bahr, Ernst Haack (Extertal), Lohmann (Neubrandenburg), Schmitt (Berg), Heinz Barnett, Doris Karl-Hermann Götz-Peter Schneider, Carsten Bartels, Dr. Hans-Peter Hacker, Hans-Joachim Lotz, Erika Schnell, Dr. Emil Barthel (Berlin), Eckhardt Hagemann, Klaus Lucyga, Dr. Christine Schöler, Walter Barthel (Starnberg), Klaus Hampel, Manfred Maaß (Herne), Dieter Scholz, Olaf Becker-Inglau, Ingrid Hanewinckel, Christel Mante, Winfried Schönfeld, Karsten Behrendt, Wolfgang Hartenbach, Alfred Manzewski, Dirk Schösser, Fritz Berg, Dr. Axel Hasenfratz, Klaus Marhold, Tobias Schreiner, Ottmar Bertl, Hans-Werner Heil, Hubertus Mark, Lothar Schröder, Gerhard Beucher, Friedhelm Julius Hemker, Reinhold Mascher, Ulrike Schröter, Gisela Bierwirth, Petra Hempel, Frank Matschie, Christoph Schubert, Dr. Mathias Bindig, Rudolf Hempelmann, Rolf Matthäus-Maier, Ingrid Schütz (Oldenburg), Dietmar Binding (Heidelberg), Lothar Hendricks, Dr. Barbara Mattischeck, Heide Schuhmann (Delitzsch), Bodewig, Kurt Herzog, Gustav Mehl, Ulrike Richard Brandner, Klaus Heubaum, Monika Merten, Ulrike Schulte (Hameln), Brigitte Brandt-Elsweier, Anni Hiller (Lübeck), Reinhold Mertens, Angelika Schultz (Everswinkel), Brase, Willi Hilsberg, Stephan Moosbauer, Christoph Reinhard Brecht, Dr. Eberhard Höfer, Gerd Mosdorf, Siegmar Schultz (Köln), Volkmar (B) Brinkmann (Hildesheim), Hoffmann (), Iris Müller (Völklingen), Jutta Schumann, Ilse (D) Bernhard Hoffmann (), Müller (Düsseldorf), Michael Schurer, Ewald Brinkmann (Detmold), Jelena Müntefering, Franz Schuster, Dr. R. Werner Rainer Hoffmann (Darmstadt), Neumann (Bramsche), Schwall-Düren, Dr. Angelica Bruckmann, Hans-Günter Walter Volker Schwanhold, Ernst Bulmahn, Edelgard Hofmann (Volkach), Frank Neumann (Gotha), Gerhard Schwanitz, Rolf Burchardt, Ursula Holzhüter, Ingrid Niehuis, Dr. Edith Seidenthal, Bodo Bürsch, Dr. Michael Humme, Christel Niese, Dr. Rolf Simm, Erika Bury, Hans Martin Ibrügger, Lothar Nietan, Dietmar Skarpelis-Sperk, Dr. Sigrid Büttner (Ingolstadt), Hans Imhof, Barbara Ohl, Eckhard Sonntag-Wolgast, Caspers-Merk, Marion Irber, Brunhilde Onur, Leyla Dr. Cornelie Catenhusen, Wolf-Michael Iwersen, Gabriele Opel, Manfred Sorge, Wieland Däubler-Gmelin, Dr. Herta Jäger, Renate Ortel, Holger Spanier, Wolfgang Danckert, Dr. Peter Janssen, Jann-Peter Ostertag, Adolf Spielmann, Dr. Margrit Deichmann, Christel Janz, Ilse Palis, Kurt Spiller, Jörg-Otto Diller, Karl Jens, Dr. Uwe Papenroth, Albrecht Staffelt, Dr. Ditmar Dreßen, Peter Jung (Düsseldorf), Volker Penner, Dr. Willfried Steen, Antje-Marie Dreßler, Rudolf Kahrs, Johannes Pfannenstein, Georg Stiegler, Ludwig Dzembritzki, Detlef Kasparick, Ulrich Pflug, Johannes Stöckel, Rolf Dzewas, Dieter Kaspereit, Sabine Pick, Dr. Eckhart Streb-Hesse, Rita Eckardt, Dr. Peter Kastner, Susanne Poß, Joachim Struck, Dr. Peter Edathy, Sebastian Kirschner, Klaus Rehbock-Zureich, Karin Stünker, Joachim Eich, Ludwig Klappert, Marianne Renesse von, Margot Tappe, Joachim Elser, Marga Klemmer, Siegrun Rennebach, Renate Tauss, Jörg Enders, Peter Klose, Hans-Ulrich Reuter, Bernd Teuchner, Jella Erler, Gernot Körper, Fritz Rudolf Robbe, Reinhold Thalheim, Dr. Gerald Ernstberger, Petra Kolbow, Walter Rossmann, Dr. Ernst Dieter Thierse, Wolfgang Faße, Annette Kramme, Anette Roth (Speyer), Birgit Thönnes, Franz Fischer (Homburg), Lothar Kressl, Nicolette Roth (Heringen), Michael Titze-Stecher, Uta Fograscher, Gabriele Kröning, Volker Rübenkönig, Gerhard Tröscher, Adelheid Follak, Iris Krüger-Leißner, Angelika Rupprecht, Marlene Urbaniak, Hans-Eberhard Formanski, Norbert Kubatschka, Horst Sauer, Thomas Veit, Rüdiger Fornahl, Rainer Küchler, Ernst Schäfer, Dr. Hansjörg Violka, Simone Forster, Hans Kühn-Mengel, Helga Schaich-Walch, Gudrun Vogt (Pforzheim), Ute Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 371

Vizepräsidentin Petra Bläss (A) Wagner, Hans Georg Diemers, Renate Letzgus, Peter Seiters, Rudolf (C) Wegener, Hedi Dörflinger, Thomas Lietz, Ursula Siemann, Werner Wegner, Dr. Konstanze Dött, Marie-Luise Link (Diepholz), Walter Späte, Margarete Weiermann, Wolfgang Doss, Hansjürgen Lischewski, Dr. Manfred Stetten Freiherr von, Weis (Stendal), Reinhard Eppelmann, Rainer Lohmann (Lüdenscheid), Dr. Wolfgang Weisheit, Matthias Eymer, Anke Wolfgang Störr-Ritter, Dorothea Weißgerber, Gunter Falk, Ilse Luther, Dr. Michael Storm, Andreas Weisskirchen (Wiesloch), Faust, Dr. Hans Georg Maaß (Wilhemshaven), Straubinger, Max Gert Fink, Ulf Erich Strobl, Thomas Weizsäcker von, Fischbach, Ingrid Marschewski, Erwin Süssmuth, Dr. Rita Dr. Ernst Ulrich Fischer (Karlsruhe), Axel E. Mayer (Siegertsbrunn), Tiemann, Dr. Susanne Welt, Hans-Joachim Frankenhauser, Herbert Dr. Martin Töpfer, Edeltraut Wend, Dr. Rainer Friedrich (Erlangen), Meckelburg, Wolfgang Uhl, Dr. Hans-Peter Wester, Hildegard Dr. Gerhard Meister, Dr. Michael Vaatz, Arnold Westrich, Lydia Friedrich (Hof), Merz, Friedrich Volquartz, Angelika Wettig-Danielmeier, Inge Dr. Hans-Peter Michels, Meinolf Voßhoff, Andrea Wetzel, Dr. Margrit Fritz, Erich G. Müller (Jena), Bernward Waigel, Dr. Theodor Wieczorek, Dr. Norbert Fromme, Jochen-Konrad Müller (Kirchheim), Elmar Weiß (Groß-Gerau), Gerald Wieczorek (Duisburg), Gehb, Dr. Jürgen Müller, Dr. Gerd Weiß (Emmendingen), Helmut Geis, Norbert Nooke, Günter Peter Wieczorek (Böhlen), Jürgen Geißler, Dr. Heiner Obermeier, Franz Widmann-Mauz, Annette Wiefelspütz, Dieter Girisch, Georg Ost, Friedhelm Wiese (Ehingen), Heinz Wiese (Hannover), Heino Glos, Michael Oswald, Eduard Wilhelm (Mainz), Hans-Otto Wiesehügel, Klaus Göhner, Dr. Reinhard Otto (Erfurt), Norbert Willner, Gert Wimmer (Karlsruhe), Grill, Kurt-Dieter Paziorek, Dr. Peter Willsch, Klaus-Peter Brigitte Gröhe, Hermann Pfeifer, Anton Wittlich, Werner Wistuba, Engelbert Grund, Manfred Pflüger, Dr. Friedbert Wöhrl, Dagmar Wittig, Barbara Hasselfeldt, Gerda Philipp, Beatrix Wolf, Aribert Wodarg, Dr. Wolfgang Hauser (Rednitzhembach), Pofalla, Ronald Wülfing, Elke Wohlleben, Verena Hansgeorg Pretzlaff, Marlies Würzbach, Peter Kurt Wolf (München), Hanna Hauser (Bonn), Norbert Protzner, Dr. Bernd Zeitlmann, Wolfgang Wolff (Zielitz), Waltraud Heinen, Ursula Pützhofen, Dieter Zöller, Wolfgang Wright, Heidemarie Heise, Manfred Rachel, Thomas Zapf, Uta Helias, Siegfried Raidel, Hans Zöpel, Dr. Christoph Henke, Hans Jochen Ramsauer, Dr. Peter BÜNDNIS 90/ Zumkley, Peter Hinsken, Ernst Reichard (Dresden), Christa DIE GRÜNEN (B) Hintze, Peter Reiche, Katherina (D) Hörster, Joachim Reinhardt, Erika Altmann (Aurich), Gila CDU/CSU Hofbauer, Klaus Repnik, Hans-Peter Beck (Bremen), Marieluise Hohmann, Martin Riegert, Klaus Beck (Köln), Volker Adam, Ulrich Holetschek, Klaus Romer, Franz Beer, Angelika Aigner, Ilse Hollerith, Josef Ronsöhr, Heinrich-Wilhelm Berninger, Matthias Barthle, Norbert Hornhues, Dr. Karl-Heinz Rossmanith, Kurt Deligöz, Ekin Bauer, Dr. Wolf Hornung, Siegfried Röttgen, Norbert Dückert, Dr. Thea Baumann, Günter Hüppe, Hubert Ruck, Dr. Christian Eichstädt-Bohlig, Franziska Baumeister, Brigitte Jaffke, Susanne Rühe, Volker Eid, Dr. Uschi Belle, Meinrad Janovsky, Georg Rüttgers, Dr. Jürgen Fell, Hans-Josef Bernhardt, Otto Jork, Dr.-Ing. Rainer Schäfer, Anita Fischer (Berlin), Andrea Blank, Renate Kansy, Dr. Dietmar Schäuble, Dr. Wolfgang Fischer (Frankfurt), Blens, Dr. Heribert Karwatzki, Irmgard Schauerte, Hartmut Joseph Bleser, Peter Kauder, Volker Schemken, Heinz Göring-Eckardt, Katrin Blüm, Dr. Norbert Klaeden von, Eckart Scherhag, Karl-Heinz Grießhaber, Rita Böhmer, Dr. Maria Klinkert, Ulrich Scheu, Gerhard Hermann, Winfried Bonitz, Sylvia Königshofen, Norbert Schlee, Dietmar Hermenau, Antje Borchert, Jochen Kohl, Dr. Helmut Schmidbauer, Bernd Heyne, Kristin Börnsen (Bönstrup), Kolbe, Manfred Schmidt (Mühlheim), Höfken, Uli Wolfgang Kors, Eva-Maria Andreas Hustedt, Michaele Bosbach, Wolfgang Koschyk, Hartmut Schmidt (Fürth), Christian Köster-Loßack, Dr. Angelika Brähmig, Klaus Kossendey, Thomas Schmidt (Halsbrücke), Lippelt, Dr. Helmut Brauksiepe, Dr. Ralf Kraus, Rudolf Dr.-Ing. Joachim Loske, Dr. Reinhard Breuer, Paul Krogmann, Dr. Martina Schnieber-Jastram, Birgit Müller (Köln), Kerstin Brudlewsky, Monika Krüger, Dr. Paul Schockenhoff, Dr. Andreas Müller (Kiel), Brunnhuber, Georg Kues, Dr. Hermann Scholz, Dr. Rupert Klaus Wolfgang Bühler (Bruchsal), Klaus Lamers, Karl Schorlemer Freiherr von, Nachtwei, Winfried Büttner (Schönebeck), Lamers (Heidelberg), Reinhard Özdemir, Cem Hartmut Dr. Karl A. Schuchardt, Dr. Erika Probst, Simone Buwitt, Dankward Lammert, Dr. Norbert Schwarz-Schilling, Roth (Augsburg), Claudia Caesar, Cajus Laumann, Karl-Josef Dr. Christian Scheel, Christine Deittert, Hubert Lengsfeld, Vera Seehofer, Horst Schlauch, Rezzo Deß, Albert Lensing, Werner Seiffert, Heinz Schmidt (Hitzhofen), Albert 372 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Vizepräsidentin Petra Bläss (A) Sterzing, Christian Lenke, Ina PDS Seifert, Dr. Ilja (C) Vollmer, Dr. Antje Niebel, Dirk Wolf, Dr. Winfried Voß, Sylvia Ingeborg Nolting, Günter Friedrich Balt, Monika Wilhelm (Amberg), Helmut Otto (Frankfurt), Bläss, Petra Wolf (Frankfurt), Margareta Hans-Joachim Fink, Dr. Heinrich Parr, Detlef Fuchs, Dr. Ruth Pieper, Cornelia Gebhardt, Fred Enthaltungen F.D.P. Rexrodt, Dr. Günter Gehrcke-Reymann, Wolfgang Braun (Augsburg), Schmidt-Jortzig, Dr. Edzard SPD Grehn, Dr. Klaus Hildebrecht Schüßler, Gerhard Schwaetzer, Dr. Irmgard Gysi, Dr. Gregor Gilges, Konrad Brüderle, Rainer Hauer, Nina Burgbacher, Ernst Sehn, Marita Hübner, Carsten Solms, Dr. Hermann Otto Jelpke, Ulla Kortmann, Karin van, Jörg Nahles, Andrea Flach, Ulrike Stadler, Dr. Max Jünger, Sabine Thiele, Carl-Ludwig Jüttemann, Gerhard Oesinghaus, Günter Frick, Gisela Röspel, René Friedhoff, Paul K. Thomae, Dr. Dieter Kenzler, Dr. Evelyn Friedrich (Bayreuth), Horst Türk, Jürgen Knake-Werner, Dr. Heidi Funke, Rainer Westerwelle, Dr. Guido Kutzmutz, Rolf Gerhardt, Dr. Wolfgang Lippmann-Kasten, Heidi CDU/CSU Lötzer, Ursula Goldmann, Hans-Michael Carstens (Emstek), Manfred Guttmacher, Dr. Karlheinz Nein Lüth, Heidemarie Wimmer (Neuss), Willy Haupt, Klaus Marquardt, Angela Heinrich, Ulrich Müller (Berlin), SPD Manfred Hirche, Walter BÜNDNIS 90/ Naumann, Kersten Homburger, Birgit Hiksch, Uwe DIE GRÜNEN Hoyer, Dr. Werner Neuhäuser, Rosel Ostrowski, Christine Irmer, Ulrich BÜNDNIS 90/ Buntenbach, Annelie Rössel, Dr. Uwe-Jens Kinkel, Dr. Klaus DIE GRÜNEN Schewe-Gerigk, Irmingard Kolb, Dr. Heinrich Leonhard Schenk, Christina Simmert, Christian Kopp, Gudrun Knoche, Monika Schur, Gustav-Adolf Ströbele, Hans-Christian

Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAV, der (B) OSZE oder der IPU (D) Abgeordnete(r)

Verheugen, Günter, SPD Zierer, Benno, CDU/CSU

Damit ist die Beschlußempfehlung und zugleich der Antrag der Bundesregierung angenommen. Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- tages auf Mittwoch, den 18. November 1998, 13 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluß der Sitzung: 15.58 Uhr) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 373

(A) (C) Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Mandat aufgebauten Drohszenarios gegenüber der Bun- desrepublik Jugoslawien, über dessen deutsche Beteili- Liste der entschuldigten Abgeordneten gung noch der 13. Deutsche Bundestag am 16. Oktober 1998 abgestimmt hat. Wir haben diese Selbstmandatie- entschuldigt bis rung der NATO als Verstoß gegen internationale Völ- Abgeordnete(r) einschließlich kerrechtskonventionen abgelehnt. Bombardierungen wären sicherlich kein geeignetes Mittel gewesen, die Dr. Bötsch, Wolfgang CDU/CSU 13.11.98 Situation der Flüchtlinge zu verbessern. Selbstverständ- Bohl, Friedrich CDU/CSU 13,11,98 lich begrüßen wir jede Verbesserung ihrer Situation Bulling-Schröter, PDS 13.11.98 nachdrücklich, insbesondere daß sie vor dem Winter Eva-Maria noch aus den Wäldern zurückkehren konnten. Geiger, Michaela CDU/CSU 13.11.98 Der Einsatz der OSZE-Beobachter zur Überwachung Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 13.11.98 ist ein Schritt ziviler Konfliktbewältigung – auch nach Hartnagel, Anke SPD 13.11.98 unserer Auffassung sind die eingesetzten multinationa- Hovermann, Eike SPD 13.11.98 len Peace-keeping-Einheiten unter Leitung der OSZE Jacoby, Peter CDU/CSU 13.11.98 die geeigneten Kräfte für die Schaffung eines Sicher- Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 13.11.98 heitssystems auch im Kosovo. Aber wir können nicht Kemper, Hans-Peter SPD 13.11.98 übersehen, daß mit dem heute zur Abstimmung anste- Meckel, Markus SPD 13.11.98 henden Beschluß über den „Einsatz bewaffneter Streit- Dr. Meyer (Ulm), SPD 13.11.98 kräfte mit dem deutschen Beitrag zu der NATO- Jürgen Luftüberwachungsoperation“ die Fortsetzung der völ- Michelbach, Hans CDU/CSU 13.11.98 kerrechtswidrigen militärischen Drohung vom Oktober ist und eine Militäraktion der NATO. Dies gilt genauso Müller (Zittau), SPD 13.11.98 für den für kommende Woche geplanten Beschluß über Christian die Stationierung einer NATO-Interventionstruppe. Dr. Pfaff, Martin SPD 13.11.98 Auch für diese Militäraktionen in und gegen Serbien Polenz, Ruprecht CDU/CSU 13.11.98 gibt es kein UNO-Mandat. Der Resolution des Sicher- Sebastian, CDU/CSU 13.11.98 heitsrates 2203/98 vom 24. Oktober 1998 ist ein solches Wilhelm-Josef Mandat nicht zu entnehmen. Außerdem handelt es sich (B) Dr. Seifert, Ilja PDS 13.11.98 nach unserer bisherigen Kenntnis bei der geplanten(D) Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ 13.11.98 Bundeswehrbeteiligung an dieser Interventionstruppe DIE GRÜNEN um einen Out-of-area-Einsatz von Krisenreaktionskräf- Verheugen, Günter SPD 13.11.98 ten, was wir aus grundsätzlichen Erwägungen ablehnen. Dr. Volmer, Ludger BÜNDNIS 90/ 13.11.98 Nicht die Bundeswehr, der der frühere Verteidigungs- DIE GRÜNEN minister Rühe gegen unsere Überzeugung und unser Wieczorek-Zeul, SPD 13.11.98 Votum immer mehr Aufgaben im Zusammenhang mit Heidemarie der deutschen Außenpolitik zugewiesen hat, ist die rich- Wissmann, Matthias CDU/CSU 13.11.98 tige Instanz, um solchen Schutz sicherzustellen. Zierer, Benno CDU/CSU 13.11.98 * Hinzu kommt, daß die friedlichen Mittel zur Kon- —————— flikteindämmung, auf die wir seit Jahren bei der leider * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates absehbaren Eskalation des Konflikts hingewiesen haben, von der vergangenen Bundesregierung, bei weitem nicht ausgeschöpft worden sind – von effektivem Embargo konnte keine Rede sein. Stattdessen wurden weiter Anlage 2 Flüchtlinge in die Krisenregion abgeschoben. Die Auf- rüstung der UCK wurde und wird nicht effektiv unter- Erklärung nach § 31 GO bunden. Von Teilen der Öffentlichkeit wird dies als Signal internationaler Unterstützung nicht nur der Auto- der Abgeordneten Annelie Buntenbach, Monika nomiebestrebungen, sondern auch deren gewaltsamer Knoche, Christian Simmert, Hans-Christian Durchsetzung interpretiert. Dies hat konfliktverschär- Ströbele und Irmingard Schewe-Gerigk (alle fende Wirkung. Hier besteht dringender Handlungsbe- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) darf, dem die alte Bundesregierung nicht nachgekom- zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung men ist und dessen sich die neue Regierung jetzt an- des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag nehmen muß. der Bundesregierung: Deutsche Beteiligung an Da wir zwar vom Grundsatz her den Einbezug der der NATO-Luftüberwachungsoperation über OSZE in die Konfliktbewältigung begrüßen, den Kon- dem Kosovo (Tagesordnungspunkt 11) text von NATO-Aktionen und Strategie, in dem dieser Die Entscheidung heute kann nicht herausgelöst wer- Einbezug steht, ablehnen, werden wir diesem Antrag den aus dem Kontext des von der NATO ohne UNO-nicht zustimmen. 374 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

(A) (C) Anlage 3 Auch wenn sich die humanitäre Lage inzwischen ent- spannt hat, ein Großteil der Binnenflüchtlinge wieder in Erklärung nach § 31 GO Dörfern lebt und humanitäre Organisationen sich frei bewegen können, so bleibt der Waffenstillstand doch der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Winfried brüchig und das Konfliktpotential hoch brisant. In Hermann, Kerstin Müller (Köln), Gila Altmann schlimmer Erinnerung ist die Vergeiselung von UN- (Aurich), Angelika Beer, Volker Beck (Köln), PROFOR-Soldaten in Bosnien im Jahr 1995, die zu Hans-Josef Fell, Klaus Wolfgang Müller (Kiel), einem Markstein bei der Diskreditierung und Schwä- (Augsburg), Christian Sterzing, chung der UN in Bosnien wurde. Angesichts dieser Sylvia Ingeborg Voß (alle BÜNDNIS 90/DIE hohen Risiken ist die militärische Notfallvorsorge im GRÜNEN) Interesse der Beobachter und der Autorität der sie ent- sendenden internationalen Staatengemeinschaft unver- zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung zichtbar und völkerrechtlich nicht zweifelhaft. Ohne ei- des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag ne solche, nur mit militärischen Mitteln realisierbare der Bundesregierung: Deutsche Beteiligung an Notfallvorbereitung wäre die Entsendung der zweitau- der NATO-Luftüberwachungsoperation über send zivilen Beobachter in das latente Kriegsgebiet nicht dem Kosovo (Tagesordnungspunkt 11) zu verantworten – außer man wollte bewußt das Risiko einer Wiederholung des UNPROFOR-Traumas in Kauf Wir stimmen dem Antrag der Bundesregierung zurnehmen. Ohne die Beobachtermission wäre der Waffen- deutschen Beteiligung an der NATO-Luftüberwa-stillstand und die Flüchtlingsrückkehr ohne Chance, chungsoperation über dem Kosovo trotz ernsthafter Be- wäre ein Wiederaufflammen der Kämpfe spätestens denken zu. im Frühjahr vorprogrammiert. Insofern sind Beobach- termission am Boden, Luftüberwachung und Notfall- Auf Grundlage der VN-Sicherheitsratsresolution vorsorge untrennbare Bestandteile des friedensbe- 1203 und des Beschlusses des Ständigen Rats der OSZE wahrenden und im Kern von der OSZE getragenen Ein- vom 24./25. Oktober wird in den nächsten Wochen eine satzes. OSZE-Verifikationsmission für ein Jahr im Kosovo tätig werden. Aufgabe der unbewaffneten Beobachter ist die Der Antrag der Bundesregierung schließt ausdrück- Überwachung des Waffenstillstandes und militärischer lich an den Beschluß des Bundestages vom 16. Oktober Bewegungen, die Begleitung von Polizeikräften, die(13. Legislaturperiode) an. Unsere Zustimmung zum Unterstützung internationaler Organisationen bei derjetzigen Antrag der Bundesregierung darf allerdings in Flüchtlingsrückkehr, die Wahlüberwachung und Unter- keiner Weise als nachträgliches Einverständnis zur An- stützung beim Aufbau der Selbstverwaltung im Kosovo. (B) drohung eines NATO-Luftangriffes ohne klares UN-(D) Mit 2 000 Beobachtern, darunter jeweils 200 Mandat aus verstanden werden. Wir bleiben dabei, daß ein Deutschland und Rußland, ist es die bisher größte Ope- Mandat von UN bzw. OSZE Mindestvoraussetzung für ration der OSZE. Ihr Gelingen ist die entscheidendeKriseneinsätze von Militär sein sollte und daß alle Be- Voraussetzung für die Einleitung eines stabilen Frie-mühungen in Richtung einer Selbstmandatierung der densprozesses im Kosovo. NATO zersetzend auf die internationale Ordnung wir- ken und einem internationalen Recht der Stärkeren Vor- Zur Ergänzung, Effektivierung und Absicherung der schub leisten. OSZE-Mission auf dem Boden führt die NATO über dem Kosovo eine Luftüberwachungsoperation mit un- Die bevorstehende OSZE-Mission ist nicht nur un- bewaffneten Aufklärungsflugzeugen und unbemannten verzichtbar für einen langfristigen Friedensprozeß und tieffliegenden ,,Drohnen“ durch. Die Bundeswehr soll die Herstellung der Menschenrechte im Kosovo. Sie ist unter anderem eine Drohnenbatterie stellen, die mit ge- zugleich eine Bewährungsprobe für die OSZE als der ringen, bewaffneten Sicherungskräften in Mazedonien einzigen gesamteuropäischen Sicherheitsinstitution, die stationiert sein würde. Grundlage der Luftüberwa-bisher weitgehend im Schatten der NATO und des chungsoperation ist das zwischen der Bundesrepubliköffentlichen Interesses stand. Insofern begrüßen wir die Jugoslawien und der NATO am 15. Oktober abgeschlos- OSZE-Beobachtermission als doppelten Beitrag zum sene Abkommen. Frieden in Europa und zur Zivilisierung der Außen- politik. Die NATO plant darüber hinaus eine Notfalltruppe („extraction force“) von circa 1 200 bis 1 500 Soldaten Die enormen praktischen Anforderungen an die OS- für den Fall, daß die für die Sicherheit der OSZE-ZE-Mission zeigen zugleich, wie hochaktuell die im Beobachter verantwortlichen serbischen Behörden diese Koalitionsvertrag festgelegte Absicht der neuen Bundes- nicht mehr gewährleisten. Wenn Leib und Leben vonregierung ist, die personelle und finanzielle Ausstattung Beobachtern durch eine der Konfliktparteien gefährdet der OSZE zu stärken, Ausbildungsmöglichkeiten im sind, bei Geiselnahme oder wenn eine EvakuierungBereich von Peacekeeping, Peacebuilding und Frie- durch die OSZE nicht mehr möglich ist, soll sie diedensfachdiensten zu schaffen und die Entwicklung des Beobachter herausholen können. Die in MazedonienInstruments internationaler Polizeieinsätze voranzu- stationierte Notfalltruppe hat ausdrücklich keinentreiben. Fortschritte bei der Krisenprävention und zivi- Interventions- und Erzwingungsauftrag. Die Bundes-len Konfliktbearbeitung sind die Voraussetzung wehr soll hierzu zwischen 100 und 200 Soldatendafür, daß sich Bosnien, Kosovo nicht ständig wieder- stellen. holen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 375

(A) (C) Anlage 4 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU- Amtliche Mitteilungen Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen bzw. von einer Be- Der Bundesrat hat in seiner 731. Sitzung am 6. No- ratung abgesehen hat. vember 1998 der vom Deutschen Bundestag am 26. Oktober 1998 beschlossenenunveränderten Weiter- Auswärtiger Ausschuß geltung der Drucksache 13/7017 Nr. 1.6 Drucksache 13/7216 Nr. 2.22 1. Gemeinsamen Geschäftsordnung des Bundestages und Drucksache 13/7867 Nr. 1.3 des Bundesrates für den Ausschuß nach Artikel 77 Drucksache 13/8106 Nr. 1.5 Drucksache 13/9086 Nr. 1.14 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) vom Drucksache 13/9819 Nr. 2.14 5. Mai 1951 (BGBl. II S. 103), zuletzt geändert laut Bekanntmachung vom 16. Mai 1995 (BGBl. I S. 742), Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gemäß Artikel 77 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes, Drucksache 13/6766 Nr. 2.6 Drucksache 13/7017 Nr. 1.5, 2.9, 2.11 2. Geschäftsordnung für den Gemeinsamen Ausschuß Drucksache 13/7216 Nr. 2.3, 2.8 vom 23. Juli 1969 (BGBl. I S. 1102), zuletzt geändert Drucksache 13/7306 Nr. 2.16, 2.20, 2.23 Drucksache 13/7541 Nr. 2.17 laut Bekanntmachung vom 20. Juli 1993 (BGBl. I Drucksache 13/7706 Nr. 2.5 S. 1500), gemäß Artikel 53a Absatz 1 Satz 4 des Drucksache 13/9312 Nr. 1.8, 1.11, 1.13 Grundgesetzes Drucksache 13/9477 Nr. 2.11, 2.12, 2.17, 2.20, 2.24, 2.25 Drucksache 13/9668 Nr. 1.3, 1.5 und der Drucksache 13/11106 Nr. 2.13, 2.14, 2.16 Drucksache 13/11204 Nr. 2.8 3. Geschäftsordnung für das Verfahren nach Artikel 115d des Grundgesetzes vom 23. Juli 1969 (BGBl. I Ausschuß für Post und Telekommunikation S. 1100), gemäß Artikel 115d Absatz 2 Satz 4 des Drucksache 13/3668 Nr. 2.19 Grundgesetzes Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus zugestimmt. Drucksache 13/8615 Nr. 2.59, 2.75

(B) (D)