<<

Plenarprotokoll 14/201

Deutscher

Stenographischer Bericht

201. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001

Inhalt:

Nachträgliche Glückwünsche zum Geburtstag Tagesordnungspunkt 4: der Abgeordneten Klaus Kirschner und Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- Ingrid Holzhüter ...... 19663 A nanzausschusses zu dem Antrag der Abge- Erweiterung der Tagesordnung ...... 19663 A ordneten Dr. Barbara Höll, Dr. , Absetzung von Tagesordnungspunkten . . . . . 19663 D weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Einführung einer Steuer auf speku- Abwicklung der Tagesordnung ...... 19663 D lative Devisenumsätze (Tobinsteuer) Nachträgliche Ausschussüberweisung ...... 19663 D (Drucksachen 14/840, 14/2546) ...... 19681 D Dr. PDS ...... 19681 D Tagesordnungspunkt 5: Detlev von Larcher SPD ...... 19682 D CDU/CSU ...... a) Erste Beratung des von den Fraktionen 19684 D der SPD und des BÜNDNISSES 90/ Detlev von Larcher SPD ...... 19685 B DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Terrorismusbekämpfungsgeset- Kristin Heyne BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 19687 A zes Dr. FDP ...... 19688 B (Drucksache 14/7386) ...... 19664 A SPD ...... 19689 D Dieter Wiefelspütz SPD ...... 19664 B CDU/CSU ...... 19690 C Hans-Peter Repnik CDU/CSU ...... 19664 C Ursula Lötzer PDS ...... 19691 B Sylvia Bonitz CDU/CSU ...... 19665 D CDU/CSU ...... 19666 D Tagesordnungspunkt 14: (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ...... 19669 B – Zweite und dritte Beratung des von den CDU/CSU ...... 19669 D Fraktionen der SPD und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrach- Dr. FDP ...... 19671 C ten Entwurfs eines Gesetzes zur Neure- PDS ...... 19673 A gelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege und zur , Bundesminister BMI ...... 19674 B Anpassung anderer Rechtsvorschrif- (Recklinghausen) ten (BNatSchGNeuRegG) CDU/CSU ...... 19677 B (Drucksachen 14/6378, 14/7469, 14/7490, 14/7481) ...... 19692 B Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 19679 A – Zweite und dritte Beratung des von der Alfred Hartenbach SPD ...... 19679 D Bundesregierung eingebrachten Ent- Norbert Geis CDU/CSU ...... 19680 A wurfs eines Gesetzes zur Neuregelung 19664 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. , Donnerstag, den 15. November 2001

Präsident (A) Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und des Oder wollen Sie widersprechen (C) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zur Bestim- (Norbert Geis [CDU/CSU]: Ich sage ja: Es mung der Schwankungsreserve in der Renten- kommt darauf an!) versicherung der Arbeiter und Angestellten – Drucksache 14/7284 – und damit sagen, dass Sie Terrorismus nicht bekämpfen überwiesen: wollen? Das kann ich nicht glauben. Ich denke, dass die- Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f) ses Terrorismusbekämpfungsgesetz eine breite Zustim- Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und mung im Deutschen Bundestag finden wird. Landwirtschaft Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Wir reagieren damit auf die Herausforderungen des 11. September, die uns alle weltweit erschüttert haben. Am Freitag soll als einziger Tagesordnungspunkt die Wir müssen in Deutschland innere Sicherheit nicht neu Beschlussempfehlung zum so genannten - erfinden. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein sehr Antrag der Bundesregierung in Verbindung mit dem An- freies, weltoffenes und auch sehr sicheres Land. Das kann trag des Bundeskanzlers gemäß Art. 68 des Grundgeset- nicht im Streit stehen. Wir wollen dieses Land nicht ver- zes beraten und abgestimmt werden. ändern. Wir wollen es vor dem Hintergrund der Heraus- Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? – forderungen des 11. September ein gutes Stück sicherer Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. machen. Das ist sachgerecht, das ist notwendig.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 a auf: Präsident Wolfgang Thierse: Gestatten Sie eine Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD Zwischenfrage des Kollegen Repnik? und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge- brachten Entwurfs eines Terrorismusbekämp- Dieter Wiefelspütz (SPD): Bitte, gern. fungsgesetzes – Drucksache 14/7386 – Hans-Peter Repnik (CDU/CSU): Herr Kollege Überweisungsvorschlag: Wiefelspütz, wie beurteilen Sie die Tatsache, dass bei der Innenausschuss (f) Beratung über einem der wichtigsten Gesetze, die wir in Auswärtiger Ausschuss dieser Legislaturperiode zum Thema „Terrorismus- Rechtsausschuss Finanzausschuss bekämpfung“ behandeln, der dafür zuständige Innen- Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung minister nicht zugegen ist? Ausschuss für Gesundheit (B) Verteidigungsausschuss (D) Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Dieter Wiefelspütz (SPD): Herr Kollege Repnik, die- Ausschuss für Tourismus ses Gesetz trägt die Handschrift des Bundesinnenministers. Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO (Lachen bei der CDU/CSU) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Der Bundesinnenminister ist auf dem Wege hierher und Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich höre steht, wie mir gerade gesagt worden ist, im Verkehrsstau. keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich bitte um Verständnis; er wird in wenigen Minuten hier eintreffen. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass der Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Minister an dieser Debatte teilnimmt. Herr Repnik, er Dieter Wiefelspütz, SPD-Fraktion, das Wort. wird zweifelsfrei auch nachher in dieser Angelegenheit ( [CDU/CSU]: Die Regierungs- das Wort ergreifen. bank ist wieder eindrucksvoll besetzt! Kein ein- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen in ziger Bundesminister ist da!) Deutschland Sicherheit nicht neu erfinden. Aber wir ha- ben Veranlassung, uns in dem einen oder anderen Bereich Dieter Wiefelspütz (SPD): Herr Präsident! Meine besser aufzustellen und das eine oder andere Defizit ab- sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Bundes- zustellen. Deswegen schlagen wir Ihnen vor, eine Reihe regierung bringt heute ein Terrorismusbekämpfungs- von Gesetzen zu verändern, um die Sicherheit in unserem gesetz ein, das das umfassendste Verbrechensbekämp- Lande zu erhöhen. fungsgesetz ist, das jemals eine Bundesregierung im Es ist viel über das Spannungsverhältnis von Sicher- Deutschen Bundestag vorgestellt hat. heit und Freiheit diskutiert worden. Man darf Sicherheit (Beifall bei der SPD – Dr. und Freiheit nicht gegeneinander ausspielen: Es gibt [CDU/CSU]: Hemmungslose Übertreibung!) keine Sicherheit ohne Freiheit und keine Freiheit ohne Si- cherheit. Deshalb sollten wir hier miteinander auch kei- Herr Marschewski und Herr Geis, das mag Ihnen ja nen Popanz aufbauen. peinlich sein: Aber Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, werden diesem Gesetzeswerk sicher sehr (Bundesminister Otto Schily betritt den Sit- zungssaal – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] gern zustimmen. [SPD]: Vielleicht entschuldigen Sie sich mal, (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das kommt Herr Repnik! – Zurufe von der CDU/CSU: darauf an!) Guten Morgen, Herr Minister! – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19665

Dieter Wiefelspütz (A) [CDU/CSU]: Wir haben Sie schon im Fern- der Herausforderungen des 11. September werden wir (C) sehen gesehen, Herr Minister! Sie verstehen aber genauer hinschauen, wer aus dem Ausland nach viel von Fußball, aber wenig von innerer Si- Deutschland kommt. Auch hier muss sich niemand cherheit! Das ist ein Skandal!) Sorgen machen, dass wir nun Deutschland abzuschotten begännen. Wir würden uns selbst am meisten schaden, – Können wir die Debatte vielleicht weiterführen? wenn wir dies täten. Wir werden aber genauer hinschauen, (Michael Glos [CDU/CSU]: Das hätte Cicero welche Menschen aus Problemzonen der Welt zu uns nicht gemacht! Cicero wäre da gewesen!) kommen. Ich sage unmissverständlich und zugegebener- maßen etwas verkürzt: Wir wollen nicht, dass Extre- Das Spannungsverhältnis von innerer Sicherheit und misten nach Deutschland kommen. Freiheit wird durch das Terrorismusbekämpfungsgesetz nicht beeinträchtigt. Die Bundesrepublik Deutschland ist (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ein freier und sehr sicherer Staat; daran wird sich selbst- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) verständlich nichts ändern. Wir werden alle rechtsstaatlichen Register ziehen, um si- Wir müssen die Sicherheitsarchitektur unseres Landes cherzustellen, dass keine Extremisten nach Deutschland nicht infrage stellen. Wir brauchen auch keine neuen Struk- kommen, die die Sicherheit unserer Gesellschaft und un- turen, sollten aber die bestehenden Strukturen stärken. Wir seres Landes gefährden. brauchen keine neuen Behörden, sondern sollten die beste- ( [CDU/CSU]: Es geht auch henden, effektiv arbeitenden Behörden personell und säch- darum, ob Sie alles tun, um politische Extre- lich dort noch besser ausstatten, wo dies geboten ist. misten rauszuschmeißen!) (Erwin Marschewski [Recklinghausen] – Wir werden, Herr von Klaeden, zuerst dafür Sorge tra- [CDU/CSU]: Dann mal ran!) gen müssen, dass sie in unser Land nicht hereinkommen. Genau dies wird geschehen. Ich füge hinzu: Diejenigen, die schon da sind, werden die- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ses Land verlassen müssen. Wir werden dafür Sorge tra- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) gen, dass dies im Rahmen rechtsstaatlicher Verfahren ge- schieht. Wir haben es zuwege gebracht, für die innere Sicher- heit nur auf der Ebene des Bundes 500 Millionen DM Im Übrigen, lieber Herr Kollege Marschewski, ist das zusätzlich bereitzustellen, damit wir uns in den verschie- längst geltendes Recht. Schauen Sie doch bitte einmal in densten Bereichen personell und sachlich besser aufstel- das Ausländergesetz hinein! Ein Ausländer, der die innere len und Strukturen verbessern können. Sicherheit Deutschlands gefährdet, kann selbstverständ- (B) lich schon jetzt ausgewiesen werden. Diese Möglichkeit (D) Ich sage sehr deutlich, dass wir vonseiten der SPD- besteht längst. Auch in dem vorliegenden Gesetz sind ei- Bundestagsfraktion überhaupt nichts davon halten, die in- nige zusätzliche Möglichkeiten zur Ausweisung ge- nere Sicherheit zu militarisieren. schaffen worden. Zuständig für das Umsetzen der Ge- (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das will auch setze, auch derjenigen, die wir jetzt machen, sind die keiner!) Bundesländer. Es ist völlig abseitig, zu glauben, dass unsere tüchtige (Dr. [FDP]: Es hapert nur etwas leisten solle und könne, wozu sie bei der Abstimmung!) überhaupt nicht da ist. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Wiefelspütz, DIE GRÜNEN) gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bonitz? Sie ist dazu da, äußere Sicherheit zu gewährleisten. Dort Dieter Wiefelspütz (SPD): Gerne, bitte. wird sie auch Aufgaben bei der Terrorismusbekämpfung haben, soweit diese eine internationale Dimension hat. Darüber werden wir morgen in diesem Hause zu reden ha- Sylvia Bonitz (CDU/CSU): Herr Kollege ben. Aber im Bereich der inneren Sicherheit gibt es über Wiefelspütz, wie wollen Sie gerade in Anbetracht zahlrei- das hinaus, was die Verfassung vorsieht, keine weiteren cher Abschiebehemmnisse sicherstellen, dass kriminelle Aufgaben für die Bundeswehr. Wir sollten die bestehen- Ausländer das Land tatsächlich verlassen müssen? Das ist den Strukturen – ich wiederhole es – stärken und keine doch momentan die Kernfrage. Geisterdebatten über Fragen führen, die sich gar nicht stellen. Es gibt im Hinblick auf Amtshilfe da und dort Dieter Wiefelspütz (SPD): Frau Bonitz, wir sollten Möglichkeiten. Aber das ist nicht der Kern der Ausei- uns zuerst darauf verständigen – ich glaube, zwischen Ih- nandersetzung, wenn es darum geht, die innere Sicherheit nen und mir besteht darüber Einigkeit –, dass diejenigen, zu stärken. Das weiß auch jeder, der sich fachlich damit die – ich sage das verkürzt – nachweislich eine Gefahr für beschäftigt. die Sicherheit unseres Landes und unserer Gesellschaft Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik darstellen, dieses Land, soweit es sich um Ausländer han- Deutschland ist ein sehr weltoffenes Land. Auch daran delt, verlassen müssen. Ich denke, hier sind wir einer Auf- wollen wir überhaupt nichts ändern. Vor dem Hintergrund fassung. 19666 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001

Dieter Wiefelspütz (A) Wir wissen, dass es Abschiebeprobleme gibt, weil im- Lange und zum Teil sehr grob ist über die wichtige (C) mer ein Staat gefunden werden muss, der die abgeschobe- Schnittstelle Bundeskriminalamt – Generalbundes- nen Ausländer aufnimmt. Das ist das Problem. Aber das an-walt diskutiert worden. Das ist ein sensibler Bereich. ist kein Problem des deutschen Rechtes. Das ist vielmehr Ich sage hier sehr deutlich: Es war überhaupt kein Pro- das Problem des Landes, das die Betreffenden aufnimmt. blem – überhaupt kein Problem! –, gemeinsam mit Bun- Weder kann ich Ihnen oder den von Ihrer Partei geführten desinnenminister Schily klarzustellen, dass diese wich- Landesregierungen dieses Problem vorhalten noch können tige Schnittstelle zwischen den Befugnissen der Polizei Sie das Problem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten einerseits und den Befugnissen der Justiz andererseits oder Landesinnenministern vorhalten. Dieses Problem ist nicht verschoben wird, weder in die eine noch in die an- schwierig zu bewältigen. Aber auch hier gibt es Fort- dere Richtung, was im Übrigen schon unser Verfas- schritte, weil wir, liebe Kollegin Bonitz, einen Bundesin- sungsrecht verbietet. nenminister haben, der auch die internationale Dimension seiner Arbeit sieht. Wir sorgen dafür – so schwer das auch Wir sind allerdings der Auffassung, dass das Bundes- ist –, dass Rückführungsübereinkommen geschlossen wer- kriminalamt in seiner bereits bestehenden Funktion als den, dass also vertragliche Verpflichtungen eingegangen Zentralstelle noch einmal zusätzlich gestärkt werden werden. Diesen Weg werden wir – hoffentlich, Frau muss und soll. Das halten wir für richtig. Deswegen sehen Bonitz – auch gemeinsam weitergehen. wir eine maßvolle Änderung des Bundeskriminalamtge- setzes vor. Auch insoweit gibt es eine große Diskussion, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) die da und dort nicht immer von Sachkenntnis getrübt ist. Lassen Sie mich noch ein, zwei Bemerkungen zum Ich bin der festen Überzeugung, dass auch dies rechts- Datenschutz machen, über den in letzter Zeit – zum Teil staatlich ganz, ganz sauber und korrekt ist. sehr zugespitzt – immer wieder geredet worden ist. Ich sage Ich komme zum Schluss. Ich hoffe auf eine breite Ihnen sehr deutlich: Der Datenschutz ist eine Errungen- Mehrheit für dieses Gesetz. Es wird die Sicherheit unse- schaft des Verfassungsstaates. Er wird von Jahr zu Jahr res Landes erhöhen, aber die Freiheit nicht beeinträchti- nicht unwichtiger, sondern wichtiger, weil wir alle in einer gen. Der Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland ist ein Gesellschaft leben, in der jeder privat und persönlich im- reifer Rechtsstaat, der willens ist und befähigt werden mer mehr Daten produziert. Ich sehe auch überhaupt muss, sich den terroristischen Bedrohungen zu stellen und keinen Gegensatz zwischen effektiver Verbrechensbe- ihnen kämpferisch und entschlossen zu begegnen – mit kämpfung und Datenschutz. Das Grundrecht auf informa- Tatkraft, mit Entschiedenheit, gleichzeitig aber auch mit tionelle Selbstbestimmung bleibt geschützt. Sein Schutz dem gebotenen rechtsstaatlichen Augenmaß. muss und darf kein Gegensatz zu einer effektiven Verbre- (B) chensbekämpfung sein. Wir werden an der einen oder an- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (D) deren Stelle genau hinschauen müssen, ob unter dem Ge- sichtspunkt Sicherheit und Verbrechensbekämpfung die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Verhältnisse richtig austariert sind. Aber im Kern, denke DIE GRÜNEN) ich, will niemand den Datenschutz infrage stellen. Es ist da und dort heftige Kritik an der Rechtsstaat- Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort lichkeit des vorliegenden Gesetzeswerkes geäußert wor- dem Kollegen Wolfgang Bosbach, CDU/CSU-Fraktion. den. Ich bin mir sicher, dass das, was wir hier tun, rechts- staatlich bedenkenfrei ist. Ich bin sehr dafür, dass die Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Herr Präsident! Öffentlichkeit an der Diskussion über diesen Gesetzent- Meine Damen und Herren! Seit den mörderischen An- wurf beteiligt wird. Wir wollen eine öffentliche An- schlägen in den USA vom 11. September, die auch uns ge- hörung. Wir haben überhaupt nichts zu verbergen. Ganz troffen haben, hat der Innenminister eine ganze Reihe von im Gegenteil: Die geplanten Maßnahmen sollen und müs- schneidigen Reden gehalten. Mit markigen Worten, die er sen auf den Prüfstand der Öffentlichkeit. Aber wir haben allerdings besser schon vor diesem Datum hätte benutzen den Wunsch, dass man genau hinschaut, was wir machen, sollen, hat er den zu laschen Umgang mit Kriminellen und und dass man dann kompetente Kritik äußert. Extremisten beklagt sowie einen entschlossenen Kampf Wir haben nach den Beratungen einige Kritikpunkte gegen den Terror gefordert. Kaum ein Bild wurde öfter aufgegriffen. Wir befristen zum Beispiel eine Reihe von publiziert als das des Schutzhelm tragenden und Schlag- besonders sensiblen Gesetzen. Sie bekommen sozusagen stock schwingenden Innenministers. Er lässt sich seit dem ein Verfallsdatum. Nach fünf Jahren muss geprüft werden, 11. September gern als „roter Sheriff“ feiern. Nicht we- ob die entsprechenden Gesetze verlängert werden sollen. nige Bürger haben sich in den vergangenen Wochen von Soweit Nachrichtendienste in sensiblen Bereichen not- diesen Auftritten beeindrucken lassen – dies sicherlich wendige, zusätzliche Befugnisse bekommen sollen, ist deshalb, weil sie zunächst davon ausgingen, dass den die umfassende parlamentarische Kontrolle durch das starken Worten auch starke Taten folgen würden. Davon PKG, das Parlamentarische Kontrollgremium, und durch kann jedoch keine Rede sein. die G-10-Kommission gewährleistet. Die Bürger werden (Beifall bei der CDU/CSU) nachträglich benachrichtigt, wenn die Gefahr vorbei ist, damit auch sichergestellt ist, dass niemand befürchten Leider gilt auch in der Innen- und Sicherheitspolitik muss, dass er ins Visier von Nachrichtendiensten kommt das, was für die gesamte rot-grüne Regierungsarbeit ty- und niemals davon erfährt. pisch ist: Es gibt keinen Mangel an starken Worten, son- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19667

Wolfgang Bosbach (A) dern es gibt einen erkennbaren Mangel an notwendigen unser Mitleid hält sich in Grenzen. Die bisherige Aufga- (C) und längst überfälligen Entscheidungen. benverteilung, wonach der Innenminister für die starken Worte und die Koalition für die schwachen Taten zustän- (Beifall bei der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] dig ist, lassen wir Ihnen nicht länger durchgehen. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], den Gesetzent- wurf zeigend: Und was ist das?) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) Die Diskrepanz zwischen den Worten und den Taten des Innenministers ist ebenso unübersehbar wie seine Was ist eigentlich aus Ihrem famosen Vorschlag ge- mangelnde Bereitschaft, in der rot-grünen Koalition das worden, durch die Aufnahme eines Fingerabdrucks so- durchzusetzen, was zum Schutz unserer Bürger dringend wohl in den Personalausweis als auch in den Reisepass die notwendig ist. In einer Koalition muss man gelegentlich Dokumente praktisch fälschungssicher zu machen? Die- Kompromisse machen; das mussten wir früher auch. sen Vorschlag haben Sie noch vorgestern auf einer Tagung (Zuruf von der SPD: Ach nein!) des Bundeskriminalamtes wiederholt. Aber es ist nicht hinnehmbar, wenn, wie hier geschehen, (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) zugunsten der Koalition und zulasten der Bürger unseres Warum sieht dieser Gesetzentwurf nur abstrakt-theore- Landes Kompromisse in puncto innere und äußere Si- tisch die Möglichkeit vor, diese Maßnahme einzuführen? cherheit gemacht werden. Warum werden dafür nicht sofort die gesetzlichen Voraus- (Beifall bei der CDU/CSU) setzungen geschaffen? Wenn Sie, Herr Innenminister, von der Notwendigkeit (Erwin Marschewski [Recklinghausen] einer Maßnahme überzeugt sind, dann dürfen Sie bei Wi- [CDU/CSU]: Sehr gut!) derstand nicht einknicken, sondern müssen diese Maß- Sie wissen doch selber ganz genau, dass die dagegen vor- nahme durchsetzen. Der vorliegende Gesetzentwurf getragenen Argumente nicht stichhaltig sind. bleibt nicht nur weit hinter dem zurück, was für eine wirklich effektive Bekämpfung der Kriminalität, des Ter- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) rorismus und des politisch oder religiös motivierten Ex- In einem ersten Akt wurde beklagt, dass durch den Fin- tremismus notwendig ist, sondern auch hinter dem, was gerabdruck ein ganzes Volk unter Generalverdacht ge- Sie selber noch bis vor kurzem als richtig und wichtig stellt werde. Mit der gleichen Logik könnte man auch be- proklamiert haben. haupten, dass durch ein Porträtfoto oder die Merkmale Schon ein einziges Beispiel verdeutlicht das merkwür- Größe und Augenfarbe jeder Bürger unter Generalver- (B) dige Treiben der Koalition in puncto Sicherheit. Das Fern- dacht stehe. (D) meldeanlagengesetz gibt den Strafverfolgungsbehörden Als Nächstes wurde dann von einem grünen Experten die Befugnis, bei Telekommunikationsdienstleistern Ver- behauptet, dass man aus einem Fingerabdruck eine gene- bindungsdaten abzufragen, zum Beispiel: Wann hat der tische Disposition ablesen könne. Verdächtige mit wem wie lange telefoniert oder auf an- dere Art und Weise kommuniziert? Das sind für Strafver- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – folgungsbehörden sehr wichtige Informationen für die Friedrich Merz [CDU/CSU]: Schwachsinn!) Überführung von Straftätern. Wohlgemerkt, es geht nur Weil jedoch bis heute kein einziger Humanbiologe gefun- um die Erhebung von Verbindungsdaten, nicht etwa um den werden konnte, der bereit und in der Lage ist, diese das Mithören von Gesprächen. Die Regelung ist befristet Behauptung zu bestätigen, wurde das Argument wieder und läuft am 31. Dezember, also in sechs Wochen, aus. Sie eingesammelt. hat sich bewährt, ist unverzichtbar und muss auf Dauer er- halten bleiben. Nun wird behauptet, diese Maßnahme sei in natio- nalem Rahmen nicht sinnvoll, man müsse das europaweit Noch am 1. Oktober, also 20 Tage nach den Anschlägen lösen. Warum aber sollen wir in Deutschland darauf ver- vom 11. September, leitete der Bundeskanzler diesem Haus zichten, wenigstens unsere eigenen Ausweise fälschungs- einen Gesetzentwurf zu, mit dem den Strafverfolgungs- sicher zu machen, wenn andere Staaten noch nicht so weit behörden der Zugriff auf diese Daten zukünftig erschwert sind? Das macht doch keinen Sinn. und nicht etwa erleichtert werden soll. Für die Arbeit der Ermittler soll also eine neue Hürde errichtet werden. (Beifall bei der CDU/CSU – Alfred Hartenbach [SPD]: Das kommt doch! Was hat das mit Ter- Aber selbst die abschließende Beratung dieser Rege- rorismusbekämpfung zu tun?) lung, die heute stattfinden sollte, wurde von der Koalition abgesetzt. Wenn es dabei bleibt, stehen die Strafverfol- Das im wahrsten Sinne des Wortes letzte Argument gungsbehörden am 1. Januar mit leeren Händen da und lautet: Wenn der Staat einmal alle Fingerabdrücke gespei- haben überhaupt keine Möglichkeit mehr, diese Daten zu chert habe, dann werde er sie ganz sicher nicht nur im ge- erheben. setzlichen Rahmen nutzen, nämlich zur Feststellung der Identität, sondern für andere Zwecke, also rechtswidrig. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Hinter dieser Argumentation verbirgt sich ein tiefes Miss- Abgeordneten der FDP) trauen gegenüber unserem Staat und seinen Institutionen, Herr Schily, Ihre Probleme mit den Grünen, aber auch denen wir alle unsere Sicherheit anvertrauen. Dieses mit Teilen Ihrer eigenen Partei sind uns ja bekannt. Aber Misstrauen haben die Mitarbeiter der Justiz und der 19668 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001

Wolfgang Bosbach (A) Sicherheitsbehörden nicht verdient. Sie haben gerade in trag zu mehr Sicherheit leisten können. Darunter sind (C) dieser ausgesprochen schweren Zeit einen Anspruch darauf, auch solche, die von Ihnen bisher immer abgelehnt wur- dass wir ihnen vertrauen und dass wir sie in ihrer verant- den und deswegen längst überfällig sind. Aber Sie sprin- wortungsvollen Arbeit unterstützen und nicht behindern. gen zu kurz: Es fehlt Entscheidendes. (Beifall bei der CDU/CSU) Beispiel Kronzeugenregelung. Gerade beim Kampf gegen die organisierte Kriminalität oder gegen ethnisch Natürlich müssen wir jede einzelne Maßnahme darauf- hin überprüfen, ob sie sinnvoll ist, geschlossene Tätergruppen ist sie ein unverzichtbares Mittel, weil leider oft nur mit der Hilfe von Täterzeugen (Alfred Hartenbach [SPD]: Richtig, Herr andere Täter überführt und vor allen Dingen neue Strafta- Bosbach!) ten verhindert werden können. Rot-Grün hat die alte ob sie zur Abwehr von Gefahren oder zur Aufklärung von Kronzeugenregelung 1999 ersatzlos auslaufen lassen. Straftaten, zur Überführung von Tätern notwendig ist. Das war ein kapitaler Fehler, wie Ihnen erst vor wenigen Tagen im Rahmen einer Sachverständigenanhörung von (Alfred Hartenbach [SPD]: Sehr gut, Herr Fachleuten ausdrücklich vorgehalten wurde. Bosbach!) Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb am 8. Januar die- Wir müssen die Grundrechte und das Verhältnismäßig- ses Jahres: keitsprinzip beachten. Justizministerin bestätigt Vorhaben der Koalition (Alfred Hartenbach [SPD]: Auch richtig!) Regierung plant neue Kronzeugenregelung. Aber es ist einfach falsch, wenn nunmehr schon wieder Das umstrittene Rechtsinstitut soll nach einjähriger behauptet wird, dass durch die notwendigen Maßnahmen Unterbrechung für Neonazis wieder eingeführt wer- beim Kampf gegen den Terror der demokratische Rechts- den. staat in Gefahr ist. Unsere Mitbürger haben doch heute keine Angst vor einem zu starken Staat, sondern sie haben Wahrscheinlich war gemeint: gegen Neonazis. Wieso Angst vor einem zu schwachen Staat, eigentlich nur gegen Neonazis und nicht auch zum Kampf gegen die organisierte Kriminalität oder gegen (Beifall bei der CDU/CSU) den Terror? der nicht alles Zumutbare unternimmt, um die Bürger (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wirksam vor Kriminalität zu schützen. neten der FDP) Die Argumente sind doch nicht neu. Wir alle kennen Wenn es richtig ist, dass die Regierung seit Anfang des (B) die Argumente, die heute vorgetragen werden, und zwar Jahres an einer neuen Kronzeugenregelung herumbastelt, (D) aus der Zeit der Notstandsgesetzgebung: Wenn die Not- warum war es dann in den vergangenen zehn Monaten standsgesetze kommen, dann ist der demokratische nicht möglich, einen Gesetzentwurf vorzulegen? Welche Rechtsstaat am Ende. Sie kamen und er war nicht am unsichtbaren Mächte in diesem Lande hindern die Regie- Ende. Dann kam die nächste Welle. Beim Kampf gegen rung eigentlich daran, das zu tun, was notwendig und den RAF-Terror wurde behauptet: Wenn wir bestimmte längst überfällig ist? Maßnahmen gegen die RAF ergreifen, dann ist der demo- kratische Rechtsstaat in Gefahr. Wir haben sie ergriffen (Beifall bei der CDU/CSU) und der demokratische Rechtsstaat wurde gestärkt. Dann, Die Identitätsfeststellung bei der Einreise von Auslän- Anfang der 80er-Jahre, kam die Volkszählungshysterie: dern ist eine wichtige, dringend notwendige Maßnahme. Wenn die Volkszählung kommt, dann haben wir den glä- 80 Prozent aller Asylbewerber, die nach Deutschland sernen Bürger und den Überwachungsstaat. Die Volks- kommen, haben keinen Ausweis. Wir können ihre Anga- zählung ist gekommen und wir haben heute einen demo- ben zur Nationalität und Identität lediglich glauben; ob sie kratischen Rechtsstaat, auf den wir stolz sein können. Es wahr sind, das wissen wir nicht und das können wir auch gibt keine Veranlassung, ihn infrage zu stellen. nicht nachprüfen. Wie können wir einen Kriminellen, ei- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nen rechtskräftig abgelehnten Asylbewerber oder wen neten der FDP) auch immer abschieben, wenn wir gar nicht wissen, wer er ist und woher er kommt? In vielen Fällen werden die Wir wollen auch weiterhin ein freiheitliches Land und Betroffenen aber zuvor bei der Auslandsvertretung ein Vi- eine tolerante Gesellschaft sein. Aber wenn wir das auf sum erhalten und danach, nach erfolgter Einreise, ihren Dauer bleiben wollen, dann müssen wir jene entschlossen Pass vernichtet haben. Hätten wir in der Auslandsvertre- bekämpfen, die diese Toleranz dazu nutzen, unser Land tung den Pass kopiert und einen Fingerabdruck genom- und unsere Gesellschaftsordnung anzugreifen. Recht und men, könnten wir bei der Asylantragstellung in Deutsch- Gesetz – and order – sind jedenfalls für die rechts- land nachprüfen, ob, unter welchem Namen und mit treuen Menschen in unserem Land – das ist die überwäl- welcher Nationalität der Antragsteller zuvor ein Visum tigende Mehrheit – keine Bedrohung, keine Fesseln, son- beantragt und erhalten hat. dern die unabdingbare Voraussetzung für ein Leben in Sicherheit und Freiheit. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir verkennen keineswegs, dass in diesem Gesetzent- Der Regierungsentwurf sieht jetzt die Möglichkeit vor, wurf Maßnahmen enthalten sind, die einen wichtigen Bei- biometrische Merkmale zu erfassen, allerdings nur Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19669

Wolfgang Bosbach (A) dann, wenn ein Ausländer längerfristig nach Deutschland gesetz heute von der Tagesordnung genommen wird. Ich (C) übersiedeln will. kann Sie beruhigen: Sie wird rechtzeitig kommen und am 1. Januar in Kraft treten. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das andere geht wieder nur über Schen- (Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Was steht gen!) denn drin?) Diese Erfassung gilt nicht bei kurzfristigen Aufenthalten Es waren die von Ihnen regierten Länder, die uns dabei unter drei Monaten. Das ergibt überhaupt keinen Sinn. Es behindert haben, das, was wir vorhatten, durchzusetzen, offenbart auch nach wie vor vorhandene Sicherheits- nämlich die Regelungen in § 100 a StPO zur Telefon- lücken. Wieso können nur solche Extremisten gefährlich überwachung und die Regelung des § 100 g miteinander sein, die sich länger als drei Monate in Deutschland auf- zu harmonisieren. halten? (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist etwas ganz (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) anderes!) Wenn die Bundesregierung meint, diese Sicherheitslücke Herr Beckstein und Herr Bouffier haben die notwendigen allein national nicht schließen zu können, dann muss sie Daten für die Untersuchung, die wir in Auftrag gegeben dafür sorgen, dass dies im Schengen-Verbund geschieht. haben, nicht geliefert. Allein diese wenigen Beispiele zeigen, dass die Koali- (Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ tion nicht das vorschlägt, was notwendig ist, sondern nur CSU]: Sie haben doch keine Ahnung!) das, worauf man sich in der Koalition noch so eben eini- Sie haben damit die Arbeit der Koalition behindert, ob- gen konnte, und das ist erkennbar zu wenig. wohl es uns allen darum geht, auch bei der Telekommu- (Beifall bei der CDU/CSU) nikationsüberwachung in einem rechtsstaatlich vernünf- tigen Sinne die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Das Maßnahmenpaket ist notwendig, aber bei weitem nicht ausreichend. Die Bürger haben einen Anspruch da- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- rauf, dass nicht nur etwas geschieht, sondern dass alles wie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Wolfgang Notwendige geschieht. Sie bleiben auf halber Strecke ste- Gerhardt [FDP]: Ihr behindert euch doch hen und wer das tut, der wird sein Ziel nicht erreichen. selbst!) Danke fürs Zuhören. Zum Thema Kronzeugenregelung haben Sie auf die Anhörung Bezug genommen. Herr Bosbach, im Gegen- (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Bei- satz zu Ihnen war ich dort. (B) fall bei Abgeordneten der FDP) (D) (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort Dort wurde zwar von einigen Vertretern, die schon immer dem Kollegen Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen. ein Fan der Kronzeugenregelung waren, gesagt, dass sie dieses Baby gerne wieder haben würden – wir diskutieren in der Koalition in der Tat auch über eine Strafzu- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) messensregelung für Präventions- und Aufklärungsgehil- (vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit Beifall begrüßt): fen –, aber alle waren der Meinung, dass sie im Kampf Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man merkt an gegen den Terrorismus, gegen diese geschlossenen den schrillen Tönen des Herrn Bosbach, islamischen Fanatikergruppen, überhaupt nicht helfe. (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Deshalb hat sie mit dieser Debatte auch gar nichts zu tun. dass Sie doch sehr darunter leiden, dass diese Koalition (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- innenpolitisch handlungsfähig ist, wie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das stimmt ja gar nicht! – (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist ja gar nicht dass sie es geschafft hat, mit diesem Sicherheitspaket die wahr!) notwendige Balance zwischen den Erfordernissen der – Herr Geis, Sie haben es doch selber gehört. Selbst Ihre Sicherheit und der Rechtsstaatlichkeit zu finden. Sachverständigen haben gesagt: Hier hilft die Kronzeu- ( [SPD]: Sehr wahr!) genregelung nicht. Deshalb können Sie hier nur mit unsinnigen und absurden Argumentationen versuchen, den Eindruck zu erwecken, Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Beck, gestat- es würde noch irgendetwas fehlen. Wir haben alles Not- ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Geis? wendige gemacht, aber wir haben es auf das rechtsstaat- lich Vertretbare beschränkt, und das ist auch gut so. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aber gerne. sowie bei Abgeordneten der SPD) Herr Bosbach, Sie haben sich besorgt darüber gezeigt, Norbert Geis (CDU/CSU): Herr Beck, würden Sie dass die Nachfolgeregelung zum Fernmeldeanlagen- mir zugeben, dass das, was Sie eben gesagt haben, dass 19670 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001

Norbert Geis (A) die Kronzeugenregelung für den Kampf gegen den Terro- wohl auch von entzündet hatte. In dem (C) rismus ungeeignet sei, nicht stimmt, sondern dass dies nur überholten, etwas flapsig „Otto-Katalog“ genannten Ent- für den verdeckten Ermittler zutrifft? – Sie haben dieses wurf fanden sich Vorschläge, die die Prädikate verhältnis- verwechselt. – Würden Sie mir ebenfalls zugeben, dass mäßig oder gar bürgerrechtsfreundlich aus Sicht meiner gerade auch die von der SPD bestellten Sachverständigen Fraktion in der Tat nicht verdient hatten. Aber – auch das uns dringend geraten haben, die Kronzeugenregelung so sei ehrlicherweise in dieser Debatte gesagt – es handelte schnell wie möglich wieder einzuführen? sich um einen Arbeitsentwurf der Beamten und stellte nur eine Diskussionsgrundlage für die Koalition dar. Wir ha- ben gemeinsam mit dem Innenminister das politisch Ver- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nünftige hier in der Koalition formuliert. Herr Geis, ich kann Ihnen das leider nicht bestätigen. Ich biete Ihnen aber als Folge dieser Debatte eine gemein- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- same Lektüre des Ausschussprotokolls an, sobald es vor- SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) liegt. Dann werden wir uns austauschen und wahrschein- Auch die Tauglichkeit hinsichtlich des Gesetzeszweckes lich gemeinsam feststellen, dass genau das gesagt wurde, wurde bei manchen Maßnahmen berechtigterweise in- was ich hier dargestellt habe. Dann sind vielleicht wenigs- frage gestellt. Diese Einwände sind nun bei dem hier vor- tens die Grundlagen klar. liegenden Entwurf obsolet. Meine Damen und Herren, die Anschläge vom Das heute vorliegende Terrorismusbekämpfungsgesetz 11. September stellen quantitativ wie auch qualitativ eine hat in manchen Punkten mit den ursprünglichen Vor- neue Form des Terrorismus dar. Sie haben uns Gefahren schlägen nicht mehr viel gemein. Seriöse Kritiker müssen von einem ungeahnten Ausmaß vor Augen geführt. Mit anerkennen: Die unverhältnismäßigen Spitzen der Ur- dem heutigen Entwurf reagiert die Koalition angemessen sprungsfassung sind gekappt. Zu den wohl umstrittensten und in rechtsstaatlich vertretbarer Weise auf diese Bedro- Maßnahmen im alten Entwurf gehörte eine verdachts- hung. Dieses umfangreiche Maßnahmenpaket – es sind unabhängige Vorermittlungskompetenz des Bundes- über 100 Seiten Gesetzestext, Herr Kollege Bosbach – ga- kriminalamtes. Es wäre wahrlich ein Albtraum, wenn das rantiert ein Optimum an Sicherheit für die Bürgerinnen BKA künftig ohne jeden Anlass Personen befragen und und Bürger. Gleichzeitig aber bleiben Rechtsstaatlichkeit Daten erheben hätte können. Aber dieser Vorschlag ist und Bürgerrechte gewahrt. Wir haben die Balance gefun- nun vom Tisch. Es bleibt bei der geltenden Regelung. den. Es ist nichts geschehen, was als Entwicklung hin zu einem orwellschen Überwachungsstaat gedeutet werden (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) könnte. Es handelt sich um verhältnismäßige Maßnahmen Das BKA kann in seiner Funktion als Zentralstelle nur zur Wahrung der Sicherheit der Bevölkerung. Günter (B) über andere Stellen Daten erheben. Personenbefragungen (D) Grass hat kürzlich gemahnt, jetzt rechtsstaatliche Posi- sind auch künftig nur bei einem konkreten Anfangsver- tionen in unserem Land zu schmälern bedeute quasi, das dacht im Rahmen von strafrechtlichen Ermittlungen Geschäft der Terroristen zu betreiben. Er hat damit im zulässig. Prinzip Recht. Diese Art von Gefallen dürfen und werden wir den Terroristen nicht tun. (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Unfug!) Es ist jedem klar, dass es in unserer offenen Gesell- schaft niemals lückenlose Sicherheit geben kann. Trotz- Wir verwischen damit nicht die Grenzen zwischen den dem haben die Ereignisse vom 11. September neu die Aufgaben der Strafverfolgung und der Gefahrenabwehr. Frage aufgeworfen, wie viel Sicherheit wir brauchen und Beseitigt werden aber bürokratische Hindernisse, die mit welchen Instrumenten wir sie gewährleisten können. während Ihrer Regierungszeit nicht beseitigt wurden. Es geht um mehr Sicherheit für und nicht gegen die Bür- Das BKA muss künftig nicht mehr bei jeder Anfrage den gerinnen und Bürger. Der Verhältnismäßigkeitsgrund- Umweg über die Länderpolizeien gehen. Rechtsstaatlich satz gehört zu den Kerngedanken des Rechtsstaates. Für vertretbar und sicherheitspolitisch geboten ist auch die den Gesetzgeber bedeutet dies: Wir dürfen nicht mit Ka- Erweiterung der Kompetenzen der Behörde um be- nonen auf Spatzen schießen. Angesichts der neuen Be- stimmte Bereiche der Hochtechnologiekriminalität. Da- drohungslage sind aber auch Maßnahmen erforderlich, zu mit tragen wir dem Umstand Rechnung, dass die Län- denen man unter normalen Umständen, ohne diese Be- derpolizeien hierfür in der Regel nicht die technischen drohung, nicht gegriffen hätte. Das hat der von mir sonst Fähigkeiten haben. sehr geschätzte Ex-Kollege Burkhard Hirsch in seinem In der Öffentlichkeit wurde auch lebhaft die Frage dis- Beitrag in der „Süddeutschen Zeitung“ mit der Über- kutiert, ein so genanntes biometrisches Merkmal wie schrift „Abschied vom Grundgesetz“ leider verkannt. Un- zum Beispiel den Fingerabdruck künftig als zwingend in ser Grundgesetz kennt ja nicht nur Abwehrrechte der Bür- das Personalausweis- und in das Passgesetz aufzuneh- ger gegenüber dem Staat. Es beinhaltet auch den men. Wir haben diese Frage in der Koalition vor dem Hin- Schutzauftrag an den Staat, die Ausübung der verfas- tergrund diskutiert, dass es Mohammed Atta gelungen sungsrechtlich garantierten Freiheitsrechte durch seine war, unter drei verschiedenen Identitäten in die Bun- Bürger zu gewährleisten. desrepublik einzureisen. Vor diesem Hintergrund müssen Dieser Entwurf unterscheidet sich ganz erheblich von wir sagen: Fälschungssichere Ausweise und Personaldo- älteren Diskussionsvorschlägen, an denen sich zu Recht kumente sind ein wichtiges sicherheitspolitisches Anlie- die Kritik von Bürgerrechtlern und Datenschützern und gen. Deshalb unterstützen wir die Ankündigung des In- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19671

Volker Beck (Köln) (A) nenministers, Pässe und Personalausweise künftig mit das für die Sicherheit Notwendige in unserem Land. (C) fälschungssicheren Hologrammen zu versehen. Dies hat (Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Zeigen Sie jedoch nichts mit erkennungsdienstlicher Behandlung im nicht immer mit dem Finger auf uns!) Rahmen von Strafverfahren zu tun. Sie verblüfft es enorm, dass beides zusammen geht, weil (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Ihre Sicherheitspolitik immer von dem Grundgedanken Der Fingerabdruck tut doch nicht weh!) gekennzeichnet war: Wenn es der Freiheit und der Rechts- Der Fingerabdruck eines Bürgers würde diesen schon staatlichkeit schadet, dann wird es der Sicherheit schon zu einem Tatverdächtigen machen, wenn er sich durch gut tun. Das ist aber eine falsche These. Zufall in der Nähe eines Tatortes befindet. Das wollen wir nicht. Eine zentrale Fingerabdruckdatei aller Bürgerinnen Es gibt ein Spannungsverhältnis. Wenn man aber wie und Bürger wäre der Traum so manches Kriminalisten. diese Koalition sorgfältig arbeitet und diskutiert, dann Für Bürgerrechtler und Datenschützer wäre es in der Tat kann man dieses Spannungsverhältnis vernünftig auflö- ein Albtraum. sen. Weil uns dies gelungen ist, verdient dieser Gesetz- entwurf die Unterstützung des ganzen Hauses. (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Lauter Unsinn, den Sie hier reden!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wolfgang Zeitlmann Wir werden in diesem Parlament beim Passgesetz und [CDU/CSU]: Ihre Rede muss man einmal nach- beim Personalausweisgesetz noch einmal gründlich disku- lesen! Eine Witzrede! – Dr. Wolfgang Gerhardt tieren, welches biometrische Merkmal gespeichert werden [FDP]: Habe ich mich verhört? „Sorgfältig“?) soll, wie es gespeichert werden soll und wie wir diese Spei- chermöglichkeiten nutzen. Wenn man aber wirklich Si- cherheit schaffen will, dann muss man dieses Thema seriös Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile dem Kolle- diskutieren. Es macht doch angesichts der Verhältnisse im gen Max Stadler das Wort für die FDP-Fraktion. heutigen Europa, im Schengen-Sicherheitsraum, keinen Sinn, in Deutschland – gemäß Ihrem Wunsch – den Fin- Dr. Max Stadler (FDP): Herr Präsident! Meine sehr gerabdruck als biometrisches Merkmal zu nehmen. geehrten Damen und Herren! Die FDP sieht den Gesetz- (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ entwurf der Koalition differenziert. Ich finde, es zeichnet CSU]: Wir fangen einmal damit an!) ein Parlament aus, sich bei komplizierten neuen Gesetzen des Sachverstandes von Praktikern und anderer Experten Die Franzosen nehmen die Handbiometrie und die Bel- zu bedienen. Deshalb wird die FDP-Fraktion ihr Abstim- gier die Gesichtsbiometrie. Es würde also Pässe mit drei (B) mungsverhalten erst nach der Anhörung zu diesem Ge- (D) unterschiedlichen biometrischen Merkmalen geben. Weil setz, die wir alle gemeinsam wollen, endgültig festlegen. wir aber nur die technische Ausrüstung zur Erfassung unseres Merkmals haben, können wir die Merkmale, die (Beifall bei der FDP) in anderen Ländern verwandt werden, nicht lesen. Aber, Herr Minister Schily, es gilt weiterhin die Zusage (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ der FDP: Wir stimmen den Maßnahmen zu, die notwen- CSU]: So viel Unsinn gibt es nicht noch einmal, dig sind, die sich als tauglich für die Terrorismusbekämp- Herr Beck!) fung zeigen und die dem Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Sicherheit ist ein Frei- Dafür sollen wir 10 Milliarden DM investieren? Wir heitsthema und damit ein Thema für eine liberale Partei; könnten sie genauso gut in den Papierkorb werfen. Man denn ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit. Die innere Si- muss hier überlegt und abgestimmt handeln. Wir werden cherheit zu gewährleisten ist eine Kernaufgabe des Staa- die entsprechende Diskussion seriös führen. tes. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP) Mit dem Sicherheitspaket muss es jetzt schnell gehen. Weiterhin gilt aber auch das, was wir in den vergangenen Wir haben nicht die Zeit für eine gründliche Diskussion. Debatten im Plenum schon ausgeführt haben: Die wir- Wir haben die Grundlagen für die Einführung der biome- kungsvollste Maßnahme zur Erhöhung der inneren Si- trischen Merkmale bei den Visaunterlagen in dem Bereich cherheit ist die bessere personelle, finanzielle und techni- geschaffen, in dem wir nationale Regelungen einführen sche Ausstattung der Sicherheitsbehörden, insbesondere können. Mit den Ländern im Schengen-Raum werden wir der Polizei und der Dienste. die Regelungen für die anderen Bereiche diskutieren. (Beifall bei der FDP) Diese Koalition – das tut Ihnen als Union natürlich be- sonders weh –, Wir haben in den letzten Wochen in unseren Debatten mit konkreten Beispielen wiederholt auf die Vollzugsde- (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ fizite in der Praxis aufmerksam gemacht. Wenn bei den CSU]: Dem Herrn Schily tut das weh! – öffentlichen Haushalten jetzt endlich ein neuer Schwer- Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Niemand punkt innere Sicherheit gesetzt wird und wenn die Poli- nimmt Sie ernst!) zeikräfte sowie die anderen Sicherheitsbehörden wirklich schafft es, die Notwendigkeiten von Bürgerrechten und in die Lage versetzt werden, die schon bestehenden Ge- Rechtsstaatlichkeit zu respektieren. Sie unternimmt aber setze konsequent anzuwenden, dann könnte man guten 19672 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001

Dr. Max Stadler (A) Gewissens etwas zurückhaltender mit neuer Gesetzge- Zweitens. Reicht es aus, dass bei der Überprüfung zum (C) bung sein. Beispiel von Kontobewegungen eine vorrangige Kon- trolle lediglich über das parlamentarische G-10-Gremium (Beifall bei der FDP) stattfinden soll statt der wesentlich effektiveren und dich- Leider sind Bundesregierung und Koalition unserem teren staatsanwaltschaftlichen und richterlichen Kon- Rat nicht gefolgt. Sie konnten der Versuchung nicht wi- trolle? derstehen, die Fachabteilungen des Bundesinnenministeri- Drittens. Ist die Regelung über die nachträgliche Be- ums ihre Zettelkästen leeren zu lassen nachrichtigung Betroffener, so wie sie jetzt vorgesehen (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das machen ist, bei den neuen geheimdienstlichen Maßnahmen wirk- die gern!) lich ausreichend oder bedeutet die Neuregelung in Wahr- heit einen Verlust an Rechtsschutz? und in einer Art Stoffsammlung neben richtigen und not- wendigen Vorschlägen auch viele Maßnahmen zusam- Viertens. Warum wird in dem Gesetzentwurf hinsicht- menzutragen, die in der Vergangenheit aus guten, immer lich der Aufnahme von Fingerabdrücken in Ausweis- noch gültigen Gründen abgelehnt worden sind und die mit papiere nicht klipp und klar die Errichtung einer so Terrorismusbekämpfung im engeren Sinne auch gar nichts genannten Referenzdatei oder einer zentralen Datei zu tun haben. ausgeschlossen? Die FDP-Bundestagsfraktion hat be- kanntlich ihre Zustimmung dazu signalisiert, dass neue (Beifall bei der FDP) Identifizierungsmerkmale wie etwa Fingerabdrücke in Nicht umsonst hat Herr Kollege Wiefelspütz gestern in ei- Ausweispapiere aufgenommen werden, aber eben nur ner Besprechung selber gesagt: Das war ein hastig zusam- zum Zweck der Identifizierung von Personen. Eine zen- mengestellter erster Entwurf. Daraus ist nun ein immer trale Datei birgt die Gefahr der Verwendung solcher Da- noch umfangreicher Gesetzentwurf geworden. ten über den eigentlichen Zweck hinaus und damit die Ge- fahr des Missbrauchs. Das muss ausgeschlossen werden. Bei einem solchen Vorgehen der Regierung und der Re- Das fehlt bisher in Ihrem Gesetzentwurf. gierungskoalition besteht die Pflicht des Parlaments darin, die Fülle der Vorschläge kritisch zu sichten. Wir wollen zü- (Beifall bei der FDP) gig Entscheidungen treffen, dabei aber die üblichen An- Fünftens. Sind die Tatbestände bei den im Prinzip be- forderungen an eine sorgfältige Beratung einhalten. Des- rechtigten Versagungsgründen für eine Visaerteilung und wegen gehört für uns eine Sachverständigenanhörung damit korrespondierend für Ausweisungsgründe von Ih- dazu mit der ernsthaften Zielsetzung, die Erkenntnisse, die nen wirklich hinreichend präzise formuliert, sodass sie sich daraus ergeben, konkret auszuwerten und in das end- rechtsstaatlichen Anforderungen genügen? (B) gültige Gesetz einfließen zu lassen. (D) Das sind Fragen, die man sorgfältig erörtern muss. Ich (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Wolfgang betone aber noch einmal: Alle sinnvollen Maßnahmen Zeitlmann [CDU/CSU]) werden von uns mitgetragen. Ich nenne etwa die ver- Dies ist nur möglich, wenn dafür ausreichend Zeit vor- stärkte Sicherheitsüberprüfung des Personals, das auf gesehen wird. Wer es mit den Rechten und Pflichten des Flughäfen arbeitet. Ich nenne auch den Austausch von Vi- Parlaments ernst meint, kann es nicht akzeptieren, dass saentscheidungen. Wenn ein Visumsantrag abgelehnt – und so ist bisher Ihr Zeitplan – bereits eine Woche nach wird, dann ist nicht einsichtig, warum diese Ablehnungs- dieser umfangreichen Anhörung die Beratungen abge- entscheidung nicht auch anderen Behörden, die damit schlossen werden sollen, zu einem Zeitpunkt, zu dem noch wieder befasst werden, mitgeteilt werden soll. Ich nenne nicht einmal das Protokoll der Anhörung vorliegen wird. auch die Anfrage beim Verfassungsschutz vor Einbürge- Zu Recht läuft die gesamte Opposition dagegen Sturm. rungen. Das alles dient der Erhöhung der inneren Si- cherheit und dem werden wir die Zustimmung nicht ver- (Beifall bei der FDP – Alfred Hartenbach [SPD]: sagen. Hingehen und zuhören, Herr Stadler! – Ludwig Stiegler [SPD]: Da muss man hingehen!) Aber Kollege Bosbach hat Recht: In der Vergangenheit ist einiges versäumt worden. Hinsichtlich der Regelung in – Herr Stiegler, wir können es den Sachverständigen nicht § 12 des Fernmeldeanlagengesetzes, wann Strafverfol- zumuten, dass wir sie hierher einladen und ihnen dann nur gungsbehörden Telekommunikationsdaten bekommen die Funktion eines Feigenblattes zukommt. Das wollen wir können, hat der Bundestag schon im Jahr 1997 den Auf- als FDP nicht. trag erteilt, diese neu zu fassen, weil sie ausläuft. Es kam (Beifall bei der FDP) in der alten Koalition aus Zeitgründen nicht mehr dazu. Meine Damen und Herren, wir werden in den weiteren (Alfred Hartenbach [SPD]: Haha!) Beratungen vor allem auf folgende kritische Fragen eine Die rot-grüne Regierung hat für eine Neuregelung drei Antwort suchen: Jahre Zeit gehabt und ist jetzt noch immer nicht in der Lage, das Problem zu lösen. Ich bin neugierig, ob Sie Ihr Erstens. Bedeutet es nicht einen Systembruch, wenn Versprechen, das gerade gegeben wurde, wirklich einhal- erstmals private Unternehmen verpflichtet werden, Kun- ten können. dendaten, Telekommunikationsdaten, Daten über Flug- verbindungen, aber auch Daten von Bankkunden an Ge- Es zeigt sich also ein unterschiedliches Bild von sinn- heimdienste hinauszugeben? vollen Maßnahmen, die die Sicherheit erhöhen, aber auch Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19673

Dr. Max Stadler (A) von Maßnahmen, hinter die ein Fragezeichen zu setzen In diesem Paket ist in der Tat wenig von der Politik der (C) ist. Manche haben in der öffentlichen Diskussion gemeint, Grünen enthalten. dass die Vielzahl der Maßnahmen, die jetzt vorgeschlagen Worum geht es tatsächlich in der Flüchtlingspolitik? werden – auch wenn jede einzelne für sich betrachtet ak- In Zukunft wird es im Asylverfahren beispielsweise zeptabel ist –, dazu führt, dass der freiheitliche Charak- Sprachanalysen geben. Die Fingerabdrücke von 14-Jähri- ter unseres Rechtsstaats sich verändern könnte, dass so- gen werden gespeichert. Darüber hinaus wird der Verfas- zusagen die Quantität in eine neue Qualität umschlagen sungsschutz bzw. der Geheimdienst Zugriff auf das Aus- könnte. Diese Besorgnis teile ich nicht. Dennoch müssen länderzentralregister haben. Bei Visumsanträgen werden wir die Einwände sehr ernst nehmen, denn wir haben die Regelanfragen durchgeführt. Wenn die Anhörer in einem Pflicht, die innere Sicherheit zu verbessern und den Ter- Asylverfahren den Verdacht haben, dass es sich bei dem rorismus wirksam zu bekämpfen. Aber wir werden dies Betreffenden um einen Extremisten handelt, dann wird ausschließlich mit rechtsstaatlichen Mitteln tun. Dazu, der Verfassungsschutz ebenfalls an die Daten dieses Men- aber auch nur dazu ist die FDP-Bundestagsfraktion bereit. schen herankommen. (Beifall bei der FDP) (Hans-Peter Kemper [SPD]: Das ist auch in Ordnung!) Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile Kollegin Am Anfang ist davon gesprochen worden, dass noch Ulla Jelpke, PDS-Fraktion, das Wort. mehr Extremisten abgeschoben werden sollten. Ich möchte hier klarstellen: In dem vorliegenden Gesetzespa- Ulla Jelpke (PDS): Herr Präsident! Sehr geehrte Kol- ket – die CDU/CSU unterstützt dies – wird die Genfer leginnen und Kollegen! Seit dem 11. September führen Flüchtlingskonvention verletzt, wenn schon auf einen wir die Debatte darüber, wie der Terrorismus am besten Verdachtshinweis hin Menschen aus unserem Land abge- bekämpft werden kann. Aber angesichts des hier vorlie- schoben werden sollen. genden umfassenden Gesetzespaketes muss man in der (Beifall bei der PDS – Hans-Peter Kemper Tat die Frage stellen: Welche Maßnahmen sind im Kampf [SPD]: Wollen Sie die Extremisten hier gegen den Terrorismus wirklich effektiv? lassen?) Wir haben die Situation, dass unser Innenminister seit Herr Stoiber hat gefordert, dass 30 000 Menschen abge- dem 11. September nahezu in Aktionismus verfällt: Wir schoben werden sollen. Wenn wir uns wirklich für Plura- sollen ständig neue Entscheidungen über Maßnahmen lität und Multikulturalität einsetzen wollen, dann halte ich treffen, die meines Erachtens keineswegs etwas mit dem solche Debatten für wenig sinnvoll. In Wirklichkeit ist (B) Kampf gegen den Terrorismus zu tun haben, sondern die kein Kampf der Kulturen, sondern ein Dialog der Kultu- (D) aus der Mottenkiste kommen, die in diesem Haus schon ren angesagt. vor langer Zeit irgendwann einmal andiskutiert worden (Beifall bei der PDS) sind und die jetzt auf die Tagesordnung gesetzt werden. Dazu gehört auch, dass man, wenn man sich mit extremis- Kampf gegen den Terrorismus – das haben wir mehrfach tischen Strömungen des Islamismus kritisch auseinander deutlich gemacht – heißt natürlich Verfolgung der Täter so- setzen will, Toleranz zeigt und in den Schulen islamischen wie deren Bestrafung. Es heißt aber vor allem, den Abge- Religionsunterricht zulässt. ordneten die Gefahrenanalyse vorzulegen, was von den Si- cherheitsbehörden und auch vom Innenminister bisher Zum Datenschutz. Die Deutsche Vereinigung für den keineswegs gemacht wurde. Stattdessen haben wir heute, Datenschutz hat das Paket, über das wir heute diskutieren, wie gesagt, ein umfangreiches Paket zu beraten, in dem der als nichts Geringeres als die Grundsteinlegung eines Ge- Terrorismus instrumentalisiert wird, um Grundrechte und heimdienststaates bezeichnet. Was wird in Zukunft sein? Bürgerrechte abzuschaffen, in dem der Datenschutz massiv Der Verfassungsschutz wird weit gehende Kompetenzen infrage gestellt wird und in dem viele Punkte enthalten erhalten. Er wird zum Beispiel automatisiert auf sind, die von 16 Bürgerrechtsorganisationen massiv kriti- 16 000 Ausländervereine Zugriff nehmen und Gruppenab- siert werden. Diese Auffassung teilen wir. fragen durchführen können. Ebenso dürfen die Geheim- dienste in Zukunft Postbanken, Fluggesellschaften und Unser ehemaliger Kollege Burkhard Hirsch hat zu die- Telekommunikationsunternehmen abfragen und ohne sem Paket Folgendes gesagt: Keine einzige der vorge- richterliche Kontrolle die Daten dieser Kunden erhalten. schlagenen Maßnahmen wäre geeignet gewesen, das At- Personalsicherheitsüberprüfungen werden in Zukunft tentat von New York zu verhindern. Der Gesetzentwurf hat auch in Krankenhäusern, in der Pharmaindustrie, in der keinen Respekt vor der Rechtstradition unseres Landes; er Fernseh-, Rundfunk- und in anderen Branchen üblich verrät totalitären Geist. – Das ist nicht die einzige Kritik; es sein. Damit werden Millionen von weiteren Daten erfasst kommen viele Kritiken aus Bürgerrechtsorganisationen. werden können. Herr Kollege Beck, Sie haben sich heute hier hinge- In den letzten Monaten haben wir in Deutschland die stellt und von einem großartigen Kompromiss gespro- Rasterfahndung erlebt. Millionen unschuldiger Men- chen. Ich habe allerdings vergeblich die Handschrift der schen, deren Daten erfasst worden sind, sind durch das Grünen gesucht, die einstmals als Bürgerrechtspartei in Raster gejagt worden. diesem Lande gegolten haben. (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ ( [FDP]: Haben sie nie!) CSU]: Das tut doch nicht weh!) 19674 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001

Ulla Jelpke (A) Die Absurdität dieser Rasterfahndung möchte ich Ihnen tige Parlamentsdebatte gekommen, mir nicht meine gute (C) an einem Beispiel deutlich machen: Nach den festgeleg- Laune verderben zu lassen. ten Rasterkriterien wurden so viele Menschen durch Da- (Beifall bei der SPD – Wolfgang Bosbach tenstränge erfasst, dass der Brandenburger Verfassungs- [CDU/CSU]: Vom Hauptstadtstudio!) schutz vor anderthalb Wochen berichten musste, dass er ein Rekrutierungsproblem habe. Es besteht darin, dass die Ich möchte zunächst außerhalb der Tagesordnung in Personen, die der Verfassungsschutz in Brandenburg im meiner Eigenschaft als Sportminister noch einmal Rudi Moment neu einstellen möchte, durch das Raster gejagt Völler und der deutschen Nationalmannschaft zu ihrem werden. Denn es sollen Personen eingestellt werden, die großartigen Erfolg gratulieren. die arabische Sprache sprechen, jung und gut ausgebildet (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sind. Hier zeigt sich die Absurdität der Rasterfahndung, DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der die im Übrigen bis heute nicht dazu geführt hat, dass auch CDU/CSU und der FDP) nur ein einziger Schläfer dingfest gemacht werden konnte. Immerhin hat die deutsche Nationalmannschaft auf diese Weise – sozusagen auf dem zweiten Bildungsweg – die Meines Erachtens ist der gesamte Bereich, den Sie im Teilnahme an der nächsten Weltmeisterschaft errungen. Zusammenhang mit dem Datenschutz neu regeln wollen, eine Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbe- (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der stimmung. Ich denke, dass wir dies nach den bevorste- SPD) henden Anhörungen, in denen wir mit den Positionen der Meine Damen und Herren, ich werde nicht den Versuch Datenschützer und der Bürgerrechtsorganisationen kon- unternehmen, Frau Kollegin Jelpke von ihren Vorurteilen frontiert werden, zu hinterfragen haben. zu Fragen der Sicherheit und Freiheit abzubringen. Kollege Beck und andere haben hier dargestellt, dass (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Der Versuch die Kompetenzen und Zugriffsmöglichkeiten des BKA wäre zwecklos!) in rechtsstaatlicher Art und Weise formuliert worden Da halte ich alle Mühen für vergebens. Aber, Frau Kolle- seien. Das vermag ich nicht ganz nachzuvollziehen. Denn gin Jelpke, da Sie hier Argumente der Pluralität und der nach dem Gesetz dürfen nach wie vor Daten von Un- Offenheit gegenüber Kulturen zur Sprache gebracht ha- schuldigen ohne entsprechenden Verdacht gesammelt ben, sage ich Ihnen: Das hat mit der Ausweisung von Ex- werden. Wie absurd das Ganze ist, zeigt sich beispiels- tremisten, die unsere Verfassung nicht achten wollen, weise darin, dass schon jetzt von Energieunternehmen nichts zu tun. Daten über männliche Angestellte zwischen 18 und 40 (B) Jahren beim BKA abgefragt werden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (D) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident Wolfgang Thierse: Kollegin Jelpke, Sie müssen zum Ende kommen. Dies ist keine Frage der Multikulturalität, sondern eine Frage der Achtung vor den Werten, auf die wir gemeinsam verpflichtet sind. Ulla Jelpke (PDS): Ja. – Ich möchte zum Schluss den Gedanken des Kollegen Stadler aufgreifen. Vertreter des (Beifall der Abg. [] Menschenrechtsforums haben gestern in der Anhörung [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) sehr deutlich gesagt, dass wir eine ergebnisorientierte An- Herr Kollege Bosbach, Ihnen muss ich sagen: Ihre hörung und kein Puschen von irgendwelchen Gesetzen Rede hätten Sie vor der Innenministerkonferenz nicht hal- brauchen. Diese Gesetze sind ebenso wie deren Kritik be- ten können. Dort nämlich waren wir uns völlig einig da- reits sehr weit gehend. rüber, dass der Gesetzentwurf, der hier vorliegt, sehr „Der Sinn von Politik ist Freiheit“, wie Hannah wichtig ist und zur Verstärkung der Sicherheit unseres Arendt sagt, und es kann im Moment keineswegs darum Landes beitragen wird. Vorsichtshalber haben Sie zu dem gehen, in einem Schnellverfahren Grundrechte, Bürger- Gesetzentwurf auch so gut wie nichts gesagt, rechte abzubauen und damit die Republik wirklich zu ei- (Lachen bei Abgeordneten der SPD) ner anderen Republik als die, die sie heute ist, zu ma- chen. sondern lediglich den Versuch unternommen, auf andere Rechtsgebiete auszuschwenken. Danke. (Alfred Hartenbach [SPD]: Er war auf dem (Beifall bei der PDS) Irrweg!) Sie haben hier zwei Themen genannt, die mit der heutigen Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile dem Bun- Debatte nun wahrlich nicht unmittelbar verknüpft sind: desminister Otto Schily das Wort. FAG und Kronzeugenregelung. Ich stimme Ihnen aber in- soweit zu, als wir dort etwas zustande bringen müssen. Dies ist ein Appell an die Grünen, sich in dieser Frage et- Otto Schily, Bundesminister des Innern: Herr Präsi- was hurtiger zu bewegen, als dies bisher der Fall war. dent! Meine Damen und Herren Kollegen! Ich bin aus dem Westfalenstadion mit dem festen Vorsatz in die heu- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19675

Bundesminister Otto Schily (A) Ich denke, die Fragen, die dort zu debattieren sind, sind In diesem Punkt bin ich in der Tat anderer Auffassung (C) uns geläufig. Deshalb will ich darauf nicht viele Worte als der Kollege Beck. Wenn Sie behaupten, dass der in ei- verwenden. nem Dokument enthaltene Fingerabdruck quasi ein Volk von Tatverdächtigen generiert, dann müssten Sie eben- Herr Kollege Bosbach, ich muss Sie auf einige Irrtü- falls behaupten, dass alle Menschen, die in den Vereinig- mer hinweisen. Bei der Frage der Visaerteilung überse- hen Sie schlicht, dass dabei unterschiedliche Rechts- ten Staaten von Amerika eine Arbeit aufnehmen und eine systeme beachtet werden müssen. Resident Alien Card bekommen – dazu nämlich wird auch der Fingerabdruck genommen –, von den Vereinig- (Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Habe ich ge- ten Staaten von Amerika zu Tatverdächtigen erklärt wer- sagt!) den. Das ist schlichtweg falsch. So ist die Erteilung der kurzfristigen Schengen-Visa eine (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) europäische Angelegenheit. Vielleicht ist Ihnen entgan- gen – ich kann Ihnen nicht zumuten, dass Sie alle Proto- Herr Kollege Beck, ich glaube, Sie müssen Ihre Auf- kolle der Innen- und Justizministerkonferenzen nachle- fassung noch einmal überprüfen. Auch die Tatsache, dass sen –, dass es der deutsche Innenminister war, der eine Spanien bei sämtlichen längerfristigen Visaanträgen Fin- Sonderkonferenz der Innen- und Justizminister zustande gerabdrücke nimmt, macht nicht alle, die auf einen länge- gebracht und dort eine Initiative vorgetragen hat, dass wir ren Aufenthalt in Spanien aus sind – darunter sind übri- gerade auch bei den kurzfristigen Visa biometrische gens auch Deutsche –, zu Tatverdächtigen. Davon müssen Merkmale verwenden sollen. Sie sich einmal lösen. (Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Das habe (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ich gerade gesagt!) Ich weiß, dass wir es hier mit der emotionalen Gewohn- Ich nehme Ihre Unterstützung gerne in Anspruch, um heit zu tun haben. hierbei auf europäischer Ebene voranzukommen. Meine Damen und Herren, wir alle müssen uns die Si- Ich muss aber auch ganz deutlich zum Ausdruck brin- tuation, in der wir uns befinden, noch einmal vor Augen gen, dass man die Fragen auch von der praktischen Seite führen. Die weltweite Bedrohung durch den islamischen her betrachten muss. Es geht hier nicht um Hunderte, Tau- Terrorismus können wir nun wahrlich nicht mit alltägli- sende oder Hunderttausende, sondern um Millionen von chen Mitteln überprüfen und analysieren. Wir haben es Anträgen. Deshalb bedarf es auch gewisser technischer, mit einer Tiefendimension der Gefahr für unsere offene organisatorischer und finanzieller Voraussetzungen. Gesellschaft zu tun, die unser bisheriges Vorstellungsver- mögen übersteigt. (B) Das Gleiche gilt für Ihre Rüge, dass wir nicht sofort ein (D) Gesetz eingeführt haben, mit dem die Verpflichtung zur Ich sage für unsere Sicherheitsinstitutionen und für Abgabe des Fingerabdrucks bei der Beantragung von mich persönlich: Wir haben nicht erst am 11. September Personalausweisen und Pässen geregelt wird. Ich sage Ih- mit der Bekämpfung dieser Art von Terrorismus begon- nen: Dass wir zunächst einmal die Barrieren im Passge- nen, sondern lange davor. Ich muss hoch anerkennen, dass setz und im Gesetz über Personalausweise beseitigt ha- unsere Sicherheitsinstitutionen bei der Bekämpfung er- ben, ist für mich – zum jetzigen Zeitpunkt – ausreichend, folgreich waren. Das ist zum Beispiel an der Tatsache ab- weil das andere erst der zweite Schritt sein darf. Man lesbar, dass im Dezember des vergangenen Jahres eine muss das schließlich auch unter praktischen Gesichts- Gruppe von Terroristen festgenommen werden konnte, punkten betrachten. die kurz davor stand, einen terroristischen Anschlag in Frankreich zu verüben. Die erste Priorität liegt nicht darin, die Ausweise der deutschen Bevölkerung identitätssicher zu machen. Es (Dieter Wiefelspütz [SPD]: So ist es!) geht zunächst einmal um die Fälschungssicherheit. Herr Ich habe hier schon einmal den früheren Präsidenten des Bosbach, das müssen Sie unterscheiden. Bundesamtes für Verfassungsschutz in Köln erwähnt, der (Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Sie haben bereits Anfang 1997 darauf hingewiesen hat, dass diese doch mit dem Ausweis herumgefuchtelt!) Bedrohungen zu den größten Gefahren des 21. Jahrhun- derts gehören werden. – Hören Sie doch einmal zu, ich habe Ihnen auch gedul- dig zugehört und sogar meine gute Laune behalten. Las- (Norbert Geis [CDU/CSU]: Genau!) sen Sie mich jetzt argumentieren! Zuhören gehört auch Wir müssen deshalb sehr ernsthaft darüber debattieren. zum parlamentarischen Stil. – Man muss also diese bei- den Dinge unterscheiden. Wir haben jetzt – lange vor dem Eines müssen wir eingestehen: Weder die amerikani- 11. September haben wir damit begonnen – die Ausweise schen Sicherheitsinstitutionen – CIA, FBI – noch die un- und Pässe in Deutschland fälschungssicher gemacht. Die seren oder die der anderen europäischen Institutionen ha- Merkmale – Hologramm und ähnliches –, die wir berück- ben es vermocht, das, was im Blick auf die Verbrechen in sichtigt haben, schließen so gut wie aus, dass diese Doku- New York und Washington vorbereitet worden ist, zu er- mente gefälscht werden können. Es geht aber auch darum, kennen. Das ist ein Faktum, mit dem wir konfrontiert dass Identitäten nicht verschleiert werden. sind. Deshalb mussten und müssen unsere Bemühungen dahin gehen, daran etwas zu ändern. Das und nichts an- (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) deres ist der Versuch, den wir mit diesem Gesetzespaket Dazu dienen biometrische Merkmale. unternehmen. 19676 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001

Bundesminister Otto Schily (A) Es geht darum einzusehen, dass die Früherkennung Alles, was unter der Regierung von Rot-Grün auf dem (C) solcher Aktionen notwendig ist und dass wir einen Ein- Gebiet der inneren Sicherheit geschehen ist, haben Sie un- blick in die entsprechenden Strukturen gewinnen müssen. terlassen. Sie könnten durchaus ein bisschen bescheidener Aus den bisher durchgeführten Ermittlungen haben wir auftreten, Herr Bosbach, obwohl ich das verstehe: Sie Anhaltspunkte. Um die Hintergründe der verübten An- müssen ein bisschen Trara machen auf dem schwierigen schläge aufzuklären, soweit sie unser Land betreffen, ha- Feld der inneren Sicherheit, wo Sie immer die alleinige ben wir die bislang größte Ermittlungsgruppe eingesetzt. Kompetenz beansprucht haben. Einige der Entführer haben sich ja, wie Sie wissen, zeit- weise in Deutschland aufgehalten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir müssen uns um die Hintergründe kümmern. Es gibt Es tut Ihnen Leid, dass jetzt ein Innenminister amtiert, der Anhaltspunkte; wir sehen Reisebewegungen und Finanz- Fragen der inneren Sicherheit zu seinem Qualitätsmerk- transaktionen. Aus diesen Erkenntnissen können wir ein mal gemacht hat. Das tut Ihnen natürlich Leid, das ver- Profil über das Verhalten der betreffenden Personen bilden stehe ich. und sehen, wie sie im Verborgenen ihre Terroraktionen (Beifall bei der SPD) vorbereitet haben. Wir müssen unsere Sicherheitsinstitu- tionen so ausrüsten, dass sie, dem aufgezeigten Profil fol- Wir müssen die Zentralstellenfunktion des Bundeskri- gend, einen Einblick in diese Strukturen gewinnen können. minalamtes stärken. Das tun wir auf verschiedene Weise, Das ist bisher noch nicht in vollem Umfang möglich. und zwar zum einen dadurch, dass wir ohne den bisheri- Die notwendigen Änderungen vollziehen sich sämtlich gen Umweg über die Länder eine direkte Möglichkeit der in einem rechtsstaatlichen Rahmen. Herr Kollege Beck, ich Informationsgewinnung schaffen, und zum anderen da- verstehe – Sie müssen Ihre Arbeit an Ihre Wählerschaft ver- durch, dass – das ist allerdings nicht Teil dieses Gesetzes- mitteln –, dass Sie sich rühmen, das eine oder andere verän- paktes – wir die Befugnisse des Bundeskriminalamtes bei dert zu haben. Im Grunde sind das, was wir besprochen ha- der Bekämpfung der Geldwäsche erweitert haben. ben, Marginalien. Im Wesentlichen haben wir die Struktur Es geht aber nicht nur darum, eine bessere Früherken- so beibehalten, wie wir sie von Anfang an geplant haben. nung als bisher durch die Verstärkung der Institutionen (Lachen bei der CDU/CSU – Friedrich Merz – Bundesgrenzschutz, Bundesamt für Verfassungsschutz, [CDU/CSU]: Breitseite!) Bundesnachrichtendienst und andere – zu ermöglichen, sondern die bestehenden Daten besser zugänglich zu ma- Ich lasse in diesem Zusammenhang auch keinen Tadel chen. Wir dürfen es nicht länger zulassen, dass einschlä- an meinen Beamten zu. Man darf nicht so tun, als seien gige Dateien nicht für polizeiliche Maßnahmen in An- nennenswerte Veränderungen vorgenommen worden. Es spruch genommen werden können. (B) ist sehr interessant: Herr Beck möchte gern – ebenso wie (D) die Opposition – darauf hinweisen, es sei alles abge- Wir haben auch eine Regelung eingefügt, die es er- schwächt worden. Ich aber halte mich an die Realität, möglicht, besser als bisher im Bereich der Infrastruktur nämlich an das, was im Gesetzentwurf steht. Das wird von die Sicherheit unseres Landes zu gewährleisten. Wie Sie denjenigen, die etwas von Sicherheit verstehen respek- wissen, habe ich nach dem 11. September 2001 begonnen, tiert, anerkannt und gelobt. Darauf verlasse ich mich; ich mit den Leitungen der großen Infrastrukturunternehmen verlasse mich auf den Sachverstand der Institutionen, mit systematisch die Schwachstellen zu überprüfen, die mög- denen ich zu tun habe. licherweise an der einen oder anderen Stelle vorhanden (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Friedrich sind und die eine Einbruchstelle für terroristische Akti- Merz [CDU/CSU]: Eine Ohrfeige nach der an- vitäten sein könnten. deren für die Grünen! Rechts und links fliegt es Dazu gehört natürlich auch, dass wir das Personal ihnen um die Ohren!) überprüfen. Ich bitte um Verständnis, dass diese Maßnah- Das ist für mich der entscheidende Punkt. men durchgeführt werden müssen. Manche überbieten sich in Schreckensszenarien, um darzustellen, wie man im Ich möchte darauf hinweisen, dass wir die Zentral- Kunstflug mehrere Kühltürme umfliegen und dann im stellenfunktion des Bundeskriminalamtes erheblich Steilflug auf die Abdeckung eines Kernkraftwerkes stür- verbessert haben. Übrigens: Was hat denn die Opposition auf diesem Feld gemacht? Herr Bosbach, Sie blasen hier zen könnte. Viel wichtiger ist es, dafür zu sorgen, dass die Backen auf. sich in sicherheitsrelevanten Bereichen von Kernkraft- werken nicht Personen befinden, die von dort möglicher- (Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Da kann ich weise terroristische Aktionen starten könnten. Auch diese Ihnen nicht das Wasser reichen!) Maßnahme ist für die Verstärkung der Sicherheit unseres Was ist denn eigentlich zu Zeiten der Vorgängerregierung Landes wichtig. auf diesem Gebiet geschehen? Nur in Zusammenarbeit Hier ist mehrfach der von mir persönlich sehr ge- mit der damaligen sozialdemokratischen Opposition ist es schätzte Kollege Burkhard Hirsch zitiert worden. Ich Ihnen gelungen, ein vernünftiges Konzept zur Bekämp- glaube, der Kollege Burkhard Hirsch hat sich in seinen fung der organisierten Kriminalität zustande zu bringen. Äußerungen schlicht vergaloppiert. Ich lasse mir bei der Das haben Sie nur mit unserer Hilfe geschafft und sonst Stärkung der inneren Sicherheit nicht vorwerfen, dass haben Sie wenig geleistet. dies der Anfang eines totalitären Staates sei. Ich lasse mir, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wie dies in wirklich unanständiger Weise geschehen ist, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19677

Bundesminister Otto Schily (A) nicht vorwerfen, dass durch die Einführung biometrischer Lauschangriff, Gendatei. Das AZR-Gesetz, vor einem (C) Merkmale der gelbe Stern wieder eingeführt wird. halben Jahr von uns eingebracht, haben Sie abgelehnt. Sie übernehmen richtigerweise jetzt unsere Gedanken in (Dieter Wiefelspütz [SPD]: Empörend!) Ihren Gesetzentwurf. Unsere Innen-, Sicherheits- und Ich lasse mir nicht vorwerfen, dass durch solche Maßnah- Rechtspolitik, Herr Schily, waren im Gegensatz zu Ihrer men die Ausländerfeindlichkeit gefördert wird. All das ist Politik bisher erfolgreich. eine unanständige und polemische Diskussion, die den (Beifall bei der CDU/CSU) Gefahren, denen wir gegenüberstehen, nicht gerecht wird. Jetzt haben Sie einen Gesetzentwurf vorgelegt, der not- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wendige, unseres Erachtens jedoch nicht ausreichende der CDU/CSU) Maßnahmen zur Verbrechensbekämpfung enthält, der Es ist meine tiefe Überzeugung, dass oft ein falscher außerdem den Diensten Erkenntnismöglichkeiten über Gegensatz konstruiert wird. Ich habe das hier mehrfach den Terrorismus verschafft. Das ist ein wichtiges Gesetz. gesagt und betone es sehr bewusst noch einmal: Wer ver- Gerade deswegen, Herr Bundesinnenminister, hätte ich sucht, zwischen Freiheit und Sicherheit einen Gegen- mir gewünscht, dass heute außer Ihnen mehrere Bundes- satz zu bilden, befindet sich auf dem Holzweg. Freiheit minister an dieser Debatte teilnähmen. und Sicherheit sind eng miteinander verbunden. Freiheit (Beifall bei der CDU/CSU) ist die notwendige Garantie für Sicherheit und umgekehrt. Das geht in beide Richtungen. Das muss man wissen. Der Herr Bundesinnenminister, Sie sind der Einzige. Ich halte Schutz des Lebens, der Schutz der körperlichen Unver- das bei diesem so wichtigen Gesetz nicht für richtig. sehrtheit, der Schutz der Freiheit – all das sind Grund- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- rechte, die in die Sicherheit einmünden. Deshalb enthält neten der FDP) die Europäische Grundrechte-Charta, an der wir alle mitgearbeitet haben und die wir als einen großen europä- Eines ist klar, Herr Schily: Gesetze entfalten nur dann ischen Fortschritt bezeichnen, das Grundrecht auf Freiheit volle Wirksamkeit, wenn sie – zum Beispiel durch die und Sicherheit. Dienste – auch tatsächlich umgesetzt werden können, wenn genügend Personal zur Verfügung steht. Herr Diesem Grundsatz folgt der von mir vorgelegte Ge- Dr. Frisch, der ehemalige Präsident des Bundesamtes für setzentwurf. Ich hoffe, dass wir im Rahmen der Beratun- Verfassungsschutz, hatte ja früh gewarnt. Warum fehlen gen in den Ausschüssen zu einem guten Ergebnis kom- denn immer noch Mittel zur strategischen Fernmeldekon- men. Das muss schnell passieren. Ich hoffe, dass es trolle? Denn durch dieses Instrument können die Terrori- gelingt, diesen Gesetzentwurf bis Ende dieses Jahres in (B) sten voll überwacht werden. Was ist mit INPOL neu beim (D) diesem Hohen Haus, aber auch im Bundesrat zu verab- Bundeskriminalamt, Herr Bundesinnenminister? Wann schieden. Ich bitte Sie alle um konstruktive Mitarbeit. kann das denn endlich einmal voll eingesetzt werden? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Günter Graf [Friesoythe] [SPD]: 1992!) DIE GRÜNEN) Die miserable Lage der Dienste muss ein Ende haben, Herr Schily: Nur so können Vollzugsdefizite beseitigt Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile dem Kolle- werden. gen Erwin Marschewski, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU – Günter Graf [Frie- soythe] [SPD]: Ganz ruhig bleiben! Komm wie- Erwin Marschewski (Recklinghausen) (CDU/CSU): der herunter! – Weiterer Zuruf von der SPD: Sie Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! können den Colt stecken lassen!) Herr Bundesinnenminister, ich gönne uns und insbeson- dere Ihnen den 4:1-Sieg der deutschen Fußballnational- Das Bundesamt zur Sammlung von Informationen zu er- mannschaft – schon deswegen, weil Sie uns das letzte mächtigen, die sich gegen die Völkerverständigung oder Mal, als Sie in München waren, kein Glück im Spiel ge- gegen das friedliche Zusammenleben der Völker richten, gen England gebracht haben, das wir leider 5:1 verloren macht doch nur Sinn, wenn das ausgewertet werden kann. haben. Denn dies ist ja gerade der Nährboden für Terrorismus. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ein Weiteres, Herr Schily: Es ist auch dringend vonnö- ten, extremistische Organisationen verbieten zu können Herr Bundesinnenminister, noch immer steht kein ein- – das ist wahr –, wenn sie gewalttätige oder terroristische ziges von Ihnen initiiertes Gesetz zur Verbrechens- Gruppen durch Spenden oder durch Rekrutierung von bekämpfung im Bundesgesetzblatt. Kämpfern unterstützen und wenn sie die Scharia über un- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ser Grundgesetz stellen. Denn dies steht im Widerspruch zum Prinzip der Volkssouveränität, zum Gleichheits- Sie werfen uns vor, dass wir in der Vergangenheit nichts grundsatz, zum Mehrheitsprinzip, zur freiheitlich-demo- getan hätten. Ich werde Ihnen sagen, was wir getan haben: kratischen Grundordnung schlechthin. Deswegen, Herr Verbrechensbekämpfungsgesetz 1992 – SPD: Nein, CDU/ Schily, müssen Sie auch Verbote aussprechen. Es darf kei- CSU: Ja; Verbrechensbekämpfungsgesetz 1994 – CDU/ nen Platz für Terroristen in Deutschland geben! CSU: Ja, SPD: Nein; Geldwäschegesetz 1994 – CDU/ CSU: Ja, SPD: Nein. Ich nenne ferner BKA-Gesetz, (Beifall bei der CDU/CSU) 19678 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001

Erwin Marschewski (Recklinghausen) (A) Wir haben immer gesagt, dass die Einreise von Terroristen Durch Ihren Gesetzesvorschlag wird die Abschiebung (C) verhindert werden muss. Und wer sich hier extremistisch von Terroristen nicht erleichtert. Alle Terroristen werden betätigt, muss ausgewiesen werden. Denn dies geschieht wie nach der bisherigen Rechtslage in Deutschland blei- im Dienste der Freiheit und ist keine Einschränkung von ben. Nach ihrer Haftentlassung müssen sie dann auf Kos- Freiheitsrechten. ten der Steuerzahler von 25 Polizeibeamten rund um die Uhr bewacht werden, damit sie ihr schändliches Treiben Sie haben Herrn Hirsch von der FDP zitiert. Er hat Un- nicht fortsetzen können. recht, wenn er sagt, der Gesetzentwurf habe keinen Respekt vor der Tradition dieses Landes, vor der Würde und Privat- Es reicht eben nicht aus – Herr Wiefelspütz, das wissen heit seiner Bürger. Denn, so Hirsch weiter, Ihr Gesetzent- Sie –, Regelausweisungen einzuführen oder den Abschie- wurf verrate totalitären Geist. Dies ist absurd! Das ist mehr, beschutz nach § 51 Ausländergesetz zu verändern, weil Herr Bundesinnenminister, als ein bloßes Vergaloppieren. wegen § 53 niemand abgeschoben werden darf, wenn ihm erniedrigende Behandlung im Ausland droht, auch dann (Beifall bei der CDU/CSU) nicht, wenn er Morde plant und ausführt, die Menschen- Hat denn dieser FDP-Mann eigentlich nicht begriffen, würde und den Schutz menschlichen Lebens ignoriert. (Zuruf von der CDU/CSU: Das begreift bei (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten der FDP keiner!) [CDU/CSU]: Das ist ein Skandal!) dass die Täter vom 11. September Offenheit und Rechts- Sie wissen, was im Augenblick in England diskutiert staatlichkeit unserer freien Gesellschaft zum Aufbau einer wird. Mit § 23 des dortigen Antiterrorgesetzes soll die Infrastruktur des Terrorismus missbrauchen? Gerade weil Möglichkeit geschaffen werden, verdächtige internatio- wir ein liberales Land und eine tolerante Gesellschaft nale Terroristen festzusetzen. Das ist kein Gesetzentwurf bleiben wollen, müssen wir uns den neuen Herausforde- der Konservativen, sondern ein Gesetzentwurf der La- rungen stellen. Deswegen, Herr Bundesinnenminister, bour-Regierung. Auch hier darf es keine Denkverbote ge- werden wir sicherlich einen Teil Ihres Antiterrorpaketes ben. Großbritannien ist ein Land großer Rechtstradition; unterstützen: weil es eben dem Erkennen von Terrorismus es hat wie wir die Menschenrechtskonvention unterzeich- und Terroristen dient. net. Was in England rechtmäßig ist, kann bei uns nicht un- ter Verwendung falscher Geschichtsbezüge einfach als Aber wir haben insbesondere im ausländerrechtlichen rechtswidrig abgetan werden. Teil Vorbehalte gegen Ihren Gesetzentwurf. Ja, es ist rich- tig: Der Entwurf verschafft den Diensten Erkenntnisse (Beifall bei der CDU/CSU) über den Terrorismus. Er wird aber – ich sage das mit al- Zur Begründung hat die Labour-Regierung ausgeführt, lem Ernst – die Einreise von Terroristen nach Deutsch- (B) die Anforderungen an die innere Sicherheit seien neu zu (D) land kaum verhindern und auch die Abschiebung von Ter- definieren – das sagen wir auch –, der Terrorismus müsse roristen aus Deutschland nicht erleichtern. Warum sind bekämpft werden, ihm müsse jeglicher Nährboden entzo- Sie eigentlich nicht bei Ihrem ursprünglichen Vorschlag gen werden. Auch in Folgendem haben die Briten Recht: geblieben, eine Einreise zu verweigern, wenn Terroris- Selbst wenn Bin Laden unschädlich gemacht worden ist, musverdacht besteht? Wenn tatsächliche Anhaltspunkte ist das Terroristennetzwerk keineswegs zerschlagen. Ich für terroristische Betätigung nicht zu einer Visaverweige- zitiere den englischen Innenminister Blunkett: Terroristen rung ausreichen, werden Terroristen wie ehedem nach dürfen nicht die Sicherheit – er sprach von „safe haven“ – Deutschland kommen. Oder glauben Sie, bei der Visabe- missbrauchen, die wirklichen Flüchtlingen garantiert wird. antragung bei einer deutschen Botschaft – Sie kennen den Betrieb genauso gut wie ich – legt jemand eine Beschei- (Ludwig Stiegler [SPD]: Das steht doch schon nigung vor, aus der hervorgeht, dass er der Hisbollah oder in der UNO-Resolution!) den Volksmudschahedin angehört oder terroristische Ver- Der Labour-Minister Blunkett sagt wörtlich zu diesem einigungen unterstützt? Das ist doch absurd. Wenn der Gesetzentwurf: Verdacht nicht ausreicht, werden all diese Leute nach Deutschland kommen, Herr Bundesinnenminister. Des- Wenn wir jetzt nicht die notwendigen Maßnahmen wegen hat Ihr Gesetzentwurf Mängel. ergreifen, um unsere Bevölkerung zu schützen, wer- den uns künftige Generationen nicht vergeben. (Beifall bei der CDU/CSU) (Ludwig Stiegler [SPD]: Dafür brauchen wir Das Problem besteht darin, dass Sie selbst von der Wir- nicht Labour! Das wissen wir selber!) kungslosigkeit Ihres eigenen Vorschlages überzeugt sind. Sie hatten ja erst einen anderen Vorschlag gemacht. In – Dass Ihnen, Herr Stiegler, dieser Aufruf nicht gefällt, diesem Punkt haben Sie sich nicht als Sachwalter der Bür- weiß ich. gerinnen und Bürger, sondern im Sinne Ihres Kanzlers als (Ludwig Stiegler [SPD]: Das wissen wir alle Sachwalter der brüchigen Koalition von SPD und Grünen selber! Dafür brauchen wir nicht die Englän- erwiesen, mehr nicht. Ihnen als bisher recht unabhängi- der!) gem Minister werfe ich vor allem Folgendes vor: Sie ha- Dass ich aber Minister Blunketts Appell nichts hinzuzu- ben sich zum einfachen Parteisoldaten gemacht, Herr fügen habe, davon sind Sie ohnehin ausgegangen. Minister Schily. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19679

(A) Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile dem Kolle- lich, Ausländer ohne richterliche Überprüfung zwei Wo- (C) gen Cem Özdemir, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. chen lang festzuhalten. Wir haben all dies nicht gemacht. (Dr. Max Stadler [FDP]: Das wird schon noch Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr gefordert werden!) Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beginne gleich – Sie haben Recht, Herr Stadler. Vielleicht habe ich einen mit dem Kollegen Marschewski. Fehler gemacht, als ich die Verhältnisse in den USA ge- (Detlev von Larcher [SPD]: Das lohnt nicht!) schildert habe. Vielleicht habe ich damit den nächsten An- trag der Union schon vorformuliert. Insofern haben Sie – Doch, das ist wichtig; das muss gesagt werden, wenn Recht, Kollege Stadler. hier schon vom Sport die Rede war. – Der Kollege Marschewski hat bei einem Skatturnier in Berlin – wenn Ich glaube, dass die Bundesregierung einen Gesetzent- ich mich richtig erinnere – den ersten Platz gemacht. Dazu wurf vorgelegt hat – das kann ich auch als Grüner ohne möchte ich ihm auch namens meiner Fraktion gratulieren. Probleme sagen –, der ausgewogen ist und der das Span- Ich glaube, davon versteht er wirklich was. Aber Sie wer- nungsverhältnis zwischen Schutz unserer freiheitlichen den mir gestatten, wenn ich hinzufüge, dass der Schutz Grundordnung und Terrorismusabwehr in guter Weise unseres Rechtsstaates und die Terrorismusbekämpfung löst. Insofern kann man diesem Gesetzentwurf guten Ge- beim Bundesinnenminister und bei der rot-grünen Koali- wissens zustimmen. tion in sicheren Händen sind und dort auch bleiben sollten. Mir steht leider nicht viel Redezeit zur Verfügung. Des- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN halb möchte ich es ganz kurz machen. Ich möchte nur und bei der SPD) noch auf einen Punkt hinweisen, der mir Sorgen bereitet. In der Allianz zur Abwehr des Terrorismus befinden sich Herr Marschewski, Schuster bleib‘ bei deinen Leisten! Länder – das muss man sagen –, die innenpolitisch nicht Wir kümmern uns um die innere Sicherheit; Sie spielen unproblematisch sind, in denen Menschenrechte verletzt Skat. werden, und die – das finde ich nicht in Ordnung – Tritt- (Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Das war brettfahrer sind, wenn es um die Unterdrückung der Op- aber primitiv!) position im eigenen Land geht. Das muss auch im Rah- men der Terrorismusabwehr angesprochen werden. Wir Zum Kollegen Stadler: Herr Kollege Stadler hat ge- werden über den Begriff des Terrorismus noch diskutie- sagt, dass die FDP-Fraktion Teilbereiche dessen, was wir ren müssen. Auch in der Bundesrepublik Deutschland hier vorhaben, durchaus begrüße. Aber Sie haben auch brauchen wir eine tragfähige Definition des Terroris- Fragen formuliert. Ich glaube, dass der 3. Dezember und musbegriffs. Es geht nicht, dass wir eine Terroris- (B) die von uns geplante Anhörung der richtige Zeitpunkt und musdefinition von den Staaten übernehmen, die die Men- (D) der richtige Ort sind, um über Ihre Fragen zu diskutieren. schenrechte mit Füßen treten, die Opposition im eigenen Hier gilt das strucksche Gesetz, das besagt, dass Gesetze Land unterdrücken und die Freiheitsbewegungen krimi- nach den Ausschussberatungen eine andere Form haben, nalisieren. Die Terrorismusdefinition solcher Staaten wer- weil sie in dem einen oder anderen Punkt geändert wor- den wir in der Bundesrepublik Deutschland nicht über- den sind. Ich finde, dass die Fragen, die Sie formuliert ha- nehmen dürfen. Sie alle wissen, welche Länder ich meine. ben, es verdienen, geprüft zu werden; denn darunter ist manches, was bedenkenswert ist. Anlässlich des jüngsten Urteils des Berliner Landge- richts im La-Belle-Prozess möchte ich von dieser Stelle Zur Kollegin Jelpke: Wir reden offensichtlich über an- aus – ich glaube, das tue ich im Namen aller – vor allem dere Gesetzentwürfe. Sie haben gesagt, dass der Abschie- den Hinterbliebenen der amerikanischen Soldaten und der beschutz schon bei Verdacht auf terroristische Aktivitäten anderen, die damals umgekommen sind, mein tiefes Mit- nicht mehr gewährleistet sei. Wenn Sie den Gesetzentwurf gefühl aussprechen. Ich finde es gut, dass das Gericht den aufmerksam gelesen hätten, dann hätten Sie festgestellt, Mut hatte, sehr deutliche Worte zu finden und die Verant- dass genau dies nicht der Fall ist. Zu Ihrer Kritik, dass wir wortung Libyens in aller Deutlichkeit anzusprechen. die Genfer Flüchtlingskonvention quasi abschaffen wür- den, sage ich Ihnen: Sie sollten unsere Gesetzentwürfe ge- (Beifall bei der SPD) nauer lesen! Wir haben die Formulierungen der Genfer Letzter Satz – weil ich meine Redezeit schon über- Flüchtlingskonvention nicht nur in den Gesetzen, die zum schritten habe –: Ich hoffe, dass uns unsere amerikani- Sicherheitspaket gehören, sondern auch im Entwurf eines schen Freunde bei der Einrichtung des Internationalen Gesetzes zur Zuwanderung übernommen. Der interna- Strafgerichtshofs helfen werden. Er liegt schließlich tionale Schutz der Menschenrechte wird durch diese Bun- auch in ihrem Interesse. desregierung also nicht ausgehöhlt, sondern, im Gegen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, teil, gestärkt. Wir haben der Versuchung widerstanden, bei der SPD und der FDP) uns von internationalen Verträgen zu verabschieden. Allen Kritikern möchte ich bei dieser Gelegenheit sa- Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile dem Kolle- gen: Vielleicht sollten wir auch einmal über den nationa- gen Alfred Hartenbach, SPD-Fraktion, das Wort. len Tellerrand hinausschauen. In den USA, die sich si- cherlich in einer sehr schwierigen innenpolitischen Situation befinden, wird gegenwärtig über die Einführung Alfred Hartenbach (SPD): Herr Präsident! Meine von Militärgerichten diskutiert. In den USA ist es mög- sehr verehrten Damen und Herren! Die Bewahrung der 19680 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001

Alfred Hartenbach (A) inneren Sicherheit und die Bewahrung der äußeren Si- Land Niedersachsen eine solche Verringerung stattgefun- (C) cherheit sind unabdingbar miteinander verbunden. Wer den hat. die innere Sicherheit auf die leichte Schulter nimmt, läuft (Norbert Geis [CDU/CSU]: Dann müssen Sie Gefahr, dass seine Ordnung auch von außen bedroht wird. es nachlesen!) Wer glaubt, es gäbe nur Freunde in der Welt, findet sich sehr bald in Unfreiheit wieder. Mir ist auch nicht bekannt, dass dort irgendwelche Ver- säumnisse eingetreten sind. In diesem Zusammenhang passt es sehr gut, Herr Marschewski, einmal darauf hinzuweisen, dass 1996 die da- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Max malige Regierung beschlossen hat, das Personal des Bun- Stadler [FDP]: !) desamts für Verfassungsschutz um 20 Prozent zu verrin- Mir ist aber bekannt, dass durch Ihre Maßnahmen – dabei gern. In diesem Zusammenhang passt es, auch einmal bleibe ich – auf der Bundesebene eine gewisse Nachlässig- darauf hinzuweisen, dass erst aufgrund dieser Maßnahme keit eingetreten ist. Erst unter Führung von Minister Schily – Herr Marschewski, hören Sie einmal zu! – Leute wie Atta hat das insofern wieder eine deutliche Verbesserung erfah- einreisen konnten. Das war zu Ihrer Regierungszeit. ren. Erst dadurch, dass das Bundesamt für Verfassungs- Eine Demokratie muss in der Lage sein, ihre Werte zu schutz in unserer Regierungszeit wieder gestärkt worden verteidigen. Freiheit, Gleichheit, Menschlichkeit sind ist, sind die Ermittlungserfolge möglich gewesen. – Also: hohe und wichtige Güter. Sie geraten in Gefahr, wenn wir Bleiben Sie bei Ihren Leisten! Das wäre besser für Sie. nicht ständig zu ihrer Bewahrung und auch Verteidigung (Beifall bei der SPD – Zuruf von der bereit sind. CDU/CSU: Schwache Antwort!) Am 11. September, meine verehrten Damen und Her- Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Hartenbach, ren, haben wir erfahren müssen, dass es Verbrecher in der gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Geis? Welt gibt, denen diese Werte nichts wert sind. Wir haben deshalb heute mit aller Entschlossenheit dagegen vorzu- Alfred Hartenbach (SPD): Zwischenfragen von gehen, um weiteren Schaden von unserem Land abzu- Herrn Geis gestatte ich immer. Halten Sie aber bitte die wenden. Wir haben dazu einen Gesetzentwurf vorge- Uhr an. legt, der sich an den bereits viel zitierten vier Eckpunkten ausrichtet: Ist die Maßnahme erforderlich? Ist das ange- strebte Ziel zu erreichen? Beachten wir das Gebot der Norbert Geis (CDU/CSU): Herr Kollege Hartenbach, Verhältnismäßigkeit? Sind alle Vorschriften mit der Ver- ist Ihnen bekannt, dass der damalige Ministerpräsident fassung im Einklang? Wir unterscheiden uns da deutlich (B) von Niedersachsen, der heutige Bundeskanzler, das Per- (D) von der Vorgängerregierung, in der insbesondere Herr sonal des Verfassungsschutzes in Niedersachsen um Kanther dies nicht immer beachtet hat. 50 Prozent dezimiert hat und dass der damalige Umwelt- minister in Niedersachsen, Herr Trittin, dazu erklärt hat, Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, den man als jetzt habe man den Verfassungsschutz endlich an die Kette weiteren soliden Grundstein einer erfolgreichen und an gelegt? der Verfassung orientierten Sicherheitspolitik der rot-grü- nen Koalition und der von ihr getragenen Regierung be- zeichnen darf. Ich bin sehr sicher, dass wir diesen Gesetz- Alfred Hartenbach (SPD): Verehrter Kollege Geis, entwurf auch gemeinsam verabschieden werden. (Erwin Marschewski [Recklinghausen] Ich will an zwei Punkten des Gesetzentwurfs deutlich [CDU/CSU]: Sagen Sie „ja“!) machen, wie klar wir Erforderlichkeit und Verfassungs- wir diskutieren in diesem Hohen Hause über bundespoli- mäßigkeit in Einklang bringen, und zwar an zwei Punk- tische Fragen ten, die für mich als Rechtspolitiker von Bedeutung sind. (Lachen bei der CDU/CSU) Zunächst zur Änderung des Bundeskriminalamtge- setzes. Es ist notwendig und wichtig, dem Bundeskrimi- und nicht über länderpolitische Fragen. nalamt weitere Aufgaben zuzuweisen. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch Bun- (Zuruf von der SPD: Jawohl! Genau!) despolitik!) Das sehen wir vor. Es ist auch wichtig, dass eine klare Sie müssen schon stehen bleiben, Herr Geis; ich bin noch Trennung zwischen den Diensten, also Verfassungs- nicht fertig. schutz, Bundesnachrichtendienst, und dem Bundeskrimi- (Norbert Geis [CDU/CSU]: Ich dachte, Sie nalamt besteht und dass das Verfahren als solches justiz- wären schon fertig!) förmig bleibt. Auch dies ist in dem Entwurf gelungen. Die Ehre müssen Sie mir schon erweisen, verehrter Kol- (Beifall des Abg. Cem Özdemir [BÜND- lege Geis. NIS 90/DIE GRÜNEN]) (Norbert Geis [CDU/CSU]: Immer, immer!) Damit steht die Änderung auf verfassungsmäßig sicherem Boden. – Wunderbar. – Wir diskutieren hier über die Fragen, die wir zu verantworten haben. Mir ist nicht bekannt, dass im (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19681

Alfred Hartenbach (A) Dort, wo die Dienste weitere Aufgaben nötig haben, ist hoffe auf Ihrer aller Unterstützung –, alsbald den betref- (C) es uns gelungen, diese Aufgaben einzufügen und gleich- fenden Vertrag ebenfalls zu ratifizieren. wohl die Verfassungsmäßigkeit zu wahren. Nach Beendi- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, des gung der Maßnahme – das ist bereits mehrfach erwähnt BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der worden – muss – das ist wichtig – der Betroffene infor- PDS) miert werden.

(Dr. Max Stadler [FDP]: Nicht immer!) Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Hartenbach, Monatlich muss der Bundesinnenminister vor dem G-10- kommen Sie zum Schluss mit Ihren Forderungen. Kontrollgremium einen Bericht abgeben. Kronzeugenregelung und Gesetz über Fernmelde- Alfred Hartenbach (SPD): Einen Satz noch. – Ich anlagen werden von uns in rechtsstaatlicher Weise recht- fordere, verehrter Herr Präsident – das dürfte auch in zeitig eingebracht. Ihrem Sinne sein –, den Präsidenten Bush auf, von sei- nem Sonderweg – das ist ein Irrweg – der Militärge- (Norbert Geis [CDU/CSU]: Hoffentlich!) richtsbarkeit abzugehen. Es geht nicht an, dass man Ter- Ich weise auf eines hin – gerade Sie, verehrter Kollege roristen vor einem Militärgerichtshof anklagt und damit Geis, sollten es wissen –: Hätten nicht einige Innenminis- wiederum einen neuen, unguten Mythos schafft. Terroris- ter der von Ihnen dominierten Länder, die Herren ten dürfen nicht mit Soldaten in einen Topf geworfen Beckstein, Schäuble und Bouffier – er ist Minister in Hes- werden. Terroristen sind Verbrecher und Verbrecher sind sen –, sich geweigert, uns Zahlen zu geben, hätten wir vor einem normalen Gericht anzuklagen – so wie andere diese Entscheidung längst auf sicherer rechtlicher Grund- Verbrecher auch. Ich hoffe da auf Ihre breite Unterstüt- lage treffen können. zung. (Dr. Max Stadler [FDP]: Sie hatten drei Jahre Vielen Dank. Zeit!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Eines möchte ich allerdings auch noch klarstellen: Ei- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nen Einsatz der Bundeswehr im Inneren zur Terrorismus- bekämpfung wird es mit uns nicht geben. Präsident Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aus- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des sprache. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur- (B) An dieser Stelle möchte ich Herrn Bundesminister fes auf Drucksache 14/7386 an die in der Tagesordnung (D) Schily für den guten und sachlichen Dialog mit uns Par- aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu an- lamentariern über das Sicherheitspaket II sehr herzlich derweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist danken. In stundenlangen, sicher manchmal auch, Herr die Überweisung so beschlossen. Minister, für uns alle quälenden Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 4 auf: (Zuruf von der CDU/CSU: Ja!) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Verhandlungen wurde so aus einem guten Gedankenent- richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu wurf ein sehr guter Gesetzesentwurf, der in vollem Um- dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, fang geeignet ist, die innere Sicherheit in unserem Land, Dr. Christa Luft, Heidemarie Ehlert, weiterer Ab- den inneren Frieden und auch unsere Freiheit zu wahren. geordneter und der Fraktion der PDS Wir werden damit Erfolg haben. Einführung einer Steuer auf spekulative Devi- (Ludwig Stiegler [SPD]: Sehr wahr!) senumsätze (Tobin Steuer) – Drucksachen 14/840, 14/2546 – Weil wir damit Erfolg haben werden, müssen wir noch einen weiteren Aspekt ansprechen, der mir schon sehr Berichterstattung: wichtig ist. Wir werden mithilfe dieses Gesetzes, mithilfe Abgeordnete unserer Polizei und auch mithilfe unserer Geheimdienste Dr. Barbara Höll mit Sicherheit internationale Terroristen fassen und ding- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die fest machen. Aber dann müssen diese internationalen Ter- Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen, wobei die roristen auch vor einem internationalen Strafgerichts- PDS 10 Minuten erhält. – Ich höre keinen Widerspruch. hof angeklagt und abgeurteilt werden. Dann ist so beschlossen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, des Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Dr. Dietmar Bartsch, PDS-Fraktion das Wort. PDS – Norbert Geis [CDU/CSU]: Darüber kann man reden!) Dr. Dietmar Bartsch (PDS): Herr Präsident! Verehrte Es sind fast alle 60 Länder beisammen. Nur, es fehlt ein Kolleginnen und Kollegen! Die PDS fordert in dem hier wichtiger Staat; das sind die Vereinigten Staaten. Ich for- zu debattierenden Antrag die Erhebung einer Devisenum- dere die Vereinigten Staaten von dieser Stelle aus auf – ich satzsteuer. Es geht um die Begrenzung spekulativer