Plenarprotokoll 16/220

Deutscher

Stenografischer Bericht

220. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- ter und der Fraktion DIE LINKE: neten , Dr. , Bundesverantwortung für den Steu- Dr. h. c. , Dr. h. c. Hans ervollzug wahrnehmen Michelbach und Rüdiger Veit ...... 23969 A – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- Barbara Höll, Dr. , nung ...... 23969 B Dr. , und der Fraktion DIE LINKE: Steuermiss- Absetzung des Tagesordnungspunktes 38 f . . . 23971 A brauch wirksam bekämpfen – Vor- handene Steuerquellen erschließen Tagesordnungspunkt 15: – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. a) Erste Beratung des von den Fraktionen der Barbara Höll, Wolfgang Nešković, CDU/CSU und der SPD eingebrachten Ulla Lötzer, weiterer Abgeordneter Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämp- und der Fraktion DIE LINKE: Steuer- fung der Steuerhinterziehung (Steuer- hinterziehung bekämpfen – Steuer- hinterziehungsbekämpfungsgesetz) oasen austrocknen (Drucksache 16/12852) ...... 23971 A – zu dem Antrag der Abgeordneten b) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- Christine Scheel, , nanzausschusses , weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE – zu dem Antrag der Fraktionen der GRÜNEN: Keine Hintertür für Steu- CDU/CSU und der SPD: Steuerhin- erhinterzieher terziehung bekämpfen (Drucksachen 16/11389, 16/11734, 16/9836, – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. 16/9479, 16/9166, 16/9168, 16/9421, , Dr. Hermann Otto 16/12826) ...... 23971 B Solms, Carl-Ludwig Thiele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der () (SPD) ...... 23971 D FDP: Steuervollzug effektiver ma- Dr. (FDP) ...... 23973 A chen (CDU/CSU) ...... 23974 B – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Oskar Lafontaine (DIE LINKE) ...... Hermann Otto Solms, Dr. Volker 23976 A Wissing, Frank Schäffler, weiterer Ab- Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ geordneter und der Fraktion der FDP: DIE GRÜNEN) ...... 23978 C Umstellung der Umsatzsteuer von Peer Steinbrück, Bundesminister der Soll- auf die Istbesteuerung BMF ...... 23980 B – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Frank Schäffler (FDP) ...... 23983 B Herbert Schui, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, weiterer Abgeordne- Manfred Kolbe (CDU/CSU) ...... 23984 B II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. , Donnerstag, den 7. Mai 2009

Lydia Westrich (SPD) ...... 23986 A Tagesordnungspunkt 38: (CDU/CSU) ...... 23987 B a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Neuregelung des Rechts des Na- Tagesordnungspunkt 16: turschutzes und der Landschaftspflege a) Zweite und dritte Beratung des von der (Drucksache 16/12785) ...... 24003 A Bundesregierung eingebrachten Entwurfs b) Erste Beratung des von der Bundesregie- eines Gesetzes zur Beschleunigung des rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Ausbaus der Höchstspannungsnetze zes zur Neuregelung des Wasserrechts (Drucksachen 16/10491, 16/12898) . . . . . 23989 D (Drucksache 16/12786) ...... 24003 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des c) Erste Beratung des von der Bundesregie- Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- gie zes zur Regelung des Schutzes vor nicht- – zu dem Antrag der Abgeordneten Hans- ionisierender Strahlung Kurt Hill, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. (Drucksache 16/12787) ...... 24003 B , weiterer Abgeordne- d) Erste Beratung des von der Bundesregie- ter und der Fraktion DIE LINKE: rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Stromübertragungsleitungen bedarfs- zes zur Bereinigung des Bundesrechts gerecht ausbauen – Bürgerinnen- und im Geschäftsbereich des Bundesminis- Bürgerbeteiligung sowie teriums für Umwelt, Naturschutz und umfassend berücksichtigen Reaktorsicherheit (Rechtsbereinigungs- – zu dem Antrag der Abgeordneten Hans- gesetz Umwelt – RGU) Josef Fell, Kerstin Andreae, Bärbel (Drucksache 16/12788) ...... 24003 B Höhn, weiterer Abgeordneter und der e) Erste Beratung des von der Bundesregie- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Stromnetze zukunftsfähig ausbauen zes zu der Satzung vom 26. Januar 2009 –zu dem Entwurf einer Entschließung der Internationalen Organisation für in der Beschlussempfehlung des Aus- erneuerbare Energien schusses für Umwelt, Naturschutz (Drucksache 16/12789) ...... 24003 C und Reaktorsicherheit zu dem Ge- g) Erste Beratung des von den Fraktionen der setzentwurf der Bundesregierung CDU/CSU und der SPD eingebrachten zur Neuregelung des Rechts der Er- Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Än- neuerbaren Energien im Strombe- derung des Treibhausgas-Emissionshan- reich und zur Änderung damit zu- delsgesetzes sammenhängender Vorschriften (Drucksache 16/12853) ...... 24003 C (Drucksachen 16/10842, 16/10590, 16/8148, h) Antrag der Abgeordneten , 16/8393, 16/9477 Ziffer II, 16/12898) . . . 23989 D Patrick Meinhardt, , weiterer Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär Abgeordneter und der Fraktion der FDP: BMWi ...... 23990 B HIV/AIDS-Forschung vorantreiben (Drucksache 16/11673) ...... 24003 C Gudrun Kopp (FDP) ...... 23991 C i) Antrag des Bundesministeriums der Fi- Rolf Hempelmann (SPD) ...... 23993 A nanzen: Entlastung der Bundesregie- rung für das Haushaltsjahr 2008 Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) ...... 23994 C – Vorlage der Haushalts- und Vermö- Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ gensrechnung des Bundes – (Jahres- DIE GRÜNEN) ...... 23995 D rechnung 2008) (Drucksache 16/12620) ...... 24003 D Dr. (CDU/CSU) ...... 23997 B j) Antrag der Abgeordneten , Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) ...... 23998 D Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) ...... 23999 A weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Verbraucherinformations- Marko Mühlstein (SPD) ...... 23999 A gesetz umgehend überarbeiten Franz Obermeier (CDU/CSU) ...... 24000 B (Drucksache 16/12847) ...... 24003 D Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) ...... 24001 A k) Antrag der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg), , Ulrike Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ Höfken, weiterer Abgeordneter und der DIE GRÜNEN) ...... 24001 C Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 III

Einführung einer Positivliste zur Hal- rung der Märkte in Entwicklungslän- tung von Tieren im Zirkus dern verhindern (Drucksache 16/12864) ...... 24003 D (Drucksache 16/12308) ...... 24004 C l) Antrag der Abgeordneten Dr. Anton h) Antrag der Abgeordneten Gisela Piltz, Hofreiter, , Winfried Dr. , , weite- Hermann, weiterer Abgeordneter und der rer Abgeordneter und der Fraktion der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: FDP: Gemeinsames Internetzentrum Carsharing-Stellplätze baldmöglichst pri- auf gesetzliche Grundlage stellen vilegieren (Drucksache 16/12471) ...... 24004 D (Drucksache 16/12863) ...... 24004 A i) Antrag der Abgeordneten Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Gisela Piltz, Dr. Max Zusatztagesordnungspunkt 4: Stadler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Europarechtskonfor- a) Erste Beratung des von der Bundesregie- mes und nachvollziehbares Nachzugs- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- recht schaffen – Metock-Urteil des zes zur Stärkung der Rechte von Ver- EuGH sofort gesetzlich verankern letzten und Zeugen im Strafverfahren (Drucksache 16/12732) ...... 24004 D (2. Opferrechtsreformgesetz) (Drucksache 16/12812) ...... 24004 A j) Antrag der Abgeordneten , Marie-Luise Dött, , weiterer b) Erste Beratung des von den Fraktionen der Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Än- CSU sowie der Abgeordneten Mechthild derung des Gesetzes zur Regelung der Rawert, Christoph Pries, Marco Bülow, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Rechtsverhältnisse der Helfer der Bun- desanstalt Technisches Hilfswerk der SPD: Delfinschutz voranbringen (Drucksache 16/12868) ...... 24005 A (Drucksache 16/12854) ...... 24004 A c) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Tagesordnungspunkt 39: Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung a) Zweite und dritte Beratung des vom Bun- des Assistenzpflegebedarfs im Kran- desrat eingebrachten Entwurfs eines Ge- kenhaus setzes zur Änderung der Bundesnotar- (Drucksache 16/12855) ...... 24004 B ordnung und anderer Gesetze d) Erste Beratung des von den Abgeordneten (Drucksachen 16/8696, 16/12896) ...... 24005 A Josef Philip Winkler, (Köln), b) Zweite und dritte Beratung des von der Ekin Deligöz, weiteren Abgeordneten und Bundesregierung eingebrachten Entwurfs der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eines Ersten Gesetzes zur Änderung des eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung zur Streichung des Optionszwangs aus Deutsche Geisteswissenschaftliche Insti- dem Staatsangehörigkeitsrecht tute im Ausland, (Drucksache 16/12849) ...... 24004 B (Drucksachen 16/12229, 16/12829) . . . . . 24005 B e) Antrag der Abgeordneten Horst Meierhofer, c) Zweite Beratung und Schlussabstimmung Frank Schäffler, , weiterer des von der Bundesregierung eingebrach- Abgeordneter und der Fraktion der FDP: ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- Steuerprivilegien öffentlich-rechtlicher kommen vom 6. November 2008 zwi- Unternehmen abschaffen – Fairen Wett- schen der Bundesrepublik Deutschland bewerb auch in der Abfallwirtschaft er- und der Republik Österreich zur Ver- möglichen meidung der Doppelbesteuerung auf (Drucksache 16/5728) ...... 24004 C dem Gebiete der Erbschaftsteuern bei f) Antrag der Abgeordneten Gisela Piltz, Erbfällen, in denen der Erblasser nach Detlef Parr, Dr. Max Stadler, weiterer Ab- dem 31. Dezember 2007 und vor dem geordneter und der Fraktion der FDP: Da- 1. August 2008 verstorben ist tei „Gewalttäter Sport“ auf verfas- (Drucksachen 16/12236, 16/12899) . . . . . 24005 D sungsmäßige Grundlage stellen d) Zweite und dritte Beratung des von der (Drucksache 16/11752) ...... 24004 C Bundesregierung eingebrachten Entwurfs g) Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, eines Gesetzes zur Verbesserung der Thilo Hoppe, Ute Koczy, weiterer Abge- Absicherung von Zivilpersonal in inter- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ nationalen Einsätzen zur zivilen Krisen- DIE GRÜNEN: Milch-Exportsubventio- prävention nen sofort stoppen – Weitere Zerstö- (Drucksachen 16/12595, 16/12889) . . . . . 24006 A IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 e) Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Zusatztagesordnungspunkt 5: Frank Schäffler, , weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der FDP: In- a) Antrag der Abgeordneten Monika Grütters, terventionistische Industriepolitik bei Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Peter der Verwertung von indirektem Bun- Albach, weiterer Abgeordneter und der desvermögen wie der Deutschen Post- Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordne- bank AG wirksam unterbinden ten (Cottbus), Monika (Drucksache 16/8411) ...... 24006 B Griefahn, Dr. Herta Däubler-Gmelin, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der f) Beschlussempfehlung und Bericht des SPD sowie der Abgeordneten Hans- Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- Joachim Otto (), Christoph Waitz, gie zu dem Antrag der Abgeordneten Burkhardt Müller-Sönksen, weiterer Ab- Dr. , Dr. , Cornelia geordneter und der Fraktion der FDP: Hirsch, weiterer Abgeordneter und der Schutz des Klosters Mor Gabriel sicher- Fraktion DIE LINKE: Energieverbrauch stellen von Computern senken (Drucksache 16/12866) ...... 24007 D (Drucksachen 16/8374, 16/9089) ...... 24006 B b) Antrag der Abgeordneten Dr. Lukrezia g) Beschlussempfehlung und Bericht des Jochimsen, Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch, Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- weiterer Abgeordneter und der Fraktion gie zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla DIE LINKE: Dauerhaften Schutz des Lötzer, Katrin Kunert, Dr. Barbara Höll, Klosters Mor Gabriel sicherstellen weiterer Abgeordneter und der Fraktion (Drucksache 16/12848) ...... 24008 A DIE LINKE: Fördergelder nur als Un- ternehmensbeteiligung c) Antrag der Abgeordneten (Drucksachen 16/8177, 16/9090) ...... 24006 C (), Ekin Deligöz, , weiterer Abgeordneter und der Fraktion h) Beschlussempfehlung und Bericht des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Schutz des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu Klosters Mor Gabriel sicherstellen dem Antrag der Abgeordneten Werner (Drucksache 16/12867) ...... 24008 A Dreibus, Dr. Barbara Höll, Ulla Lötzer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion d) Beschlussempfehlung und Bericht des DIE LINKE: Tarifflucht verhindern – Rechtsausschusses zu der Unterrichtung Geltung des Günstigkeitsprinzips bei durch die Bundesregierung: Vorschlag Betriebsübergängen nach § 613 a BGB für eine Verordnung des Europäischen sicherstellen Parlaments und des Rates über die (Drucksachen 16/10828, 16/11984) . . . . . 24006 C Fahrgastrechte im Kraftomnibusver- kehr und zur Änderung der Verord- i) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- nung (EG) Nr. 2006/2004 über die Zu- schusses für Bildung, Forschung und sammenarbeit zwischen den für die Technikfolgenabschätzung zu der Unter- Durchsetzung der Verbraucherschutz- richtung durch die Bundesregierung: Mit- gesetze zuständigen nationalen Behör- teilung der Kommission an das Euro- den (inkl. 16933/08 ADD 1 und 16933/ päische Parlament, den Rat, den 08 ADD 2) (ADD 1 in Englisch) Europäischen Wirtschafts- und Sozial- KOM(2008) 817 endg.; Ratsdok. 16933/08 ausschuss und den Ausschuss der Regio- (Drucksachen 16/11721 Nr. A.10, 16/12897) 24008 C nen Ein aktualisierter strategischer Rah- Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) men für die europäische Zusammenar- (Erklärung nach § 31 GO) ...... 24008 B beit auf dem Gebiet der allgemeinen und beruflichen Bildung (inkl. 17535/08 ADD 1 und 17535/08 ADD 2) (ADD 1 in Zusatztagesordnungspunkt 6: Englisch) Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktio- KOM(2008) 865 endg.; Ratsdok. 17535/08 nen der CDU/CSU und der SPD: Gemeinsam (Drucksachen 16/11819 Nr. A.28, 16/12827) 24006 D gegen Gewalt – Ächtung der Ausschreitun- j) – q) gen und schweren Gewaltstraftaten am 1. Mai ...... 24008 D Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 553, 554, Hartmut Koschyk (CDU/CSU) ...... 24009 A 555, 556, 557, 558, 559 und 560 zu Peti- tionen Markus Löning (FDP) ...... 24010 A (Drucksachen 16/12701, 16/12702, 16/12703, (SPD) ...... 24011 A 16/12704, 16/12705, 16/12706, 16/12707, 16/12708) ...... 24007 B Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) ...... 24012 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 V

Dr. Kristina Köhler (Wiesbaden) Lutz Heilmann (DIE LINKE) ...... 24042 C (CDU/CSU) ...... 24013 D Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 24043 D DIE GRÜNEN) ...... 24014 D Ernst Kranz (SPD) ...... 24045 C Marco Bülow (SPD) ...... 24016 A Patrick Döring (FDP) ...... 24046 D Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) ...... 24017 B Dr. (CDU/CSU) ...... 24047 C Dr. (SPD) ...... 24018 C Gabriele Groneberg (SPD) ...... 24048 D (CDU/CSU) ...... 24019 C Dr. Günter Krings (CDU/CSU) ...... 24050 A (SPD) ...... 24021 A

Clemens Binninger (CDU/CSU) ...... 24022 B Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP Tagesordnungspunkt 17: und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Humani- Antrag der Abgeordneten Frank Spieth, Dr. täre Katastrophe in Sri Lanka verhindern , Dr. Ilja Seifert, weiterer Ab- (Drucksache 16/12869) ...... 24051 C geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für Johannes Jung (Karlsruhe) (SPD) ...... 24051 D eine solidarische Gesundheits- und Pflege- absicherung Harald Leibrecht (FDP) ...... 24053 A (Drucksache 16/12846) ...... 24023 C Jürgen Klimke (CDU/CSU) ...... 24054 A Frank Spieth (DIE LINKE) ...... 24023 D (DIE LINKE) ...... 24055 C Hermann-Josef Scharf (CDU/CSU) ...... 24025 C Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ Dr. (FDP) ...... 24027 A DIE GRÜNEN) ...... 24056 C Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) ...... 24028 B Elke Ferner (SPD) ...... 24029 A Tagesordnungspunkt 20: Dr. Konrad Schily (FDP) ...... 24029 D Antrag der Abgeordneten Wolfgang Wieland, , (), Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE GRÜNEN) ...... 24031 C BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Europäische (CDU/CSU) ...... 24032 B Innenpolitik rechtsstaatlich gestalten (Drucksache 16/11918) ...... 24057 C Frank Spieth (DIE LINKE) ...... 24034 A Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 24057 D DIE GRÜNEN) ...... 24034 B (Altötting) (CDU/CSU) . . . . 24058 D Marion Caspers-Merk, Parl. Staatssekretärin BMG ...... 24034 C Christian Ahrendt (FDP) ...... 24060 D Dr. Carola Reimann (SPD) ...... 24036 A Michael Roth (Heringen) (SPD) ...... 24061 D Heinz Lanfermann (FDP) ...... 24037 A (DIE LINKE) ...... 24063 A (CDU/CSU) ...... 24037 D Tagesordnungspunkt 21: Tagesordnungspunkt 18: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Menschenrechte und Humanitäre Unterrichtung durch den Parlamentarischen Hilfe zu der Unterrichtung durch die Bundes- Beirat für nachhaltige Entwicklung: Bericht regierung: EU-Jahresbericht 2008 zur Men- des Parlamentarischen Beirats für nach- schenrechtslage haltige Entwicklung Ratsdok. 14146/08 (Berichtszeitraum 6. April 2006 bis 25. März (Drucksachen 16/10958 A.43, 16/12729) . . . 24064 A 2009) (Drucksache 16/12560) ...... 24038 C Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD) ...... 24064 B Dr. Matthias Miersch (SPD) ...... 24038 D Burkhardt Müller-Sönksen (FDP) ...... 24066 A Michael Kauch (FDP) ...... 24040 A Holger Haibach (CDU/CSU) ...... 24067 B (CDU/CSU) ...... 24041 A Michael Leutert (DIE LINKE) ...... 24069 A VI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/ Vorlage eines Prüfberichts zu Folgen der DIE GRÜNEN) ...... 24070 A Urteile des Bundesverfassungsgerichts zur Online-Durchsuchung (Drucksache 16/8981) ...... 24081 D Tagesordnungspunkt 22: Jan Korte (DIE LINKE) ...... 24082 A Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich L. (CDU/CSU) ...... 24083 B Kolb, Dr. , Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Gisela Piltz (FDP) ...... 24085 B FDP: Absicherung für das Erwerbsunfä- Frank Hofmann (Volkach) (SPD) ...... 24086 D higkeitsrisiko verbessern (Drucksache 16/10872) ...... 24071 C Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 24088 A in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 25:

Zusatztagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe- Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie im Gerigk, Markus Kurth, Brigitte Pothmer, wei- Gewerberecht und in weiteren Rechtsvor- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- schriften NIS 90/DIE GRÜNEN: Erwerbsminderungs- (Drucksache 16/12784) ...... 24088 D rente gerechter gestalten (Drucksache 16/12865) ...... 24071 D Lena Strothmann (CDU/CSU) ...... 24088 D Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) ...... 24072 A (SPD) ...... 24090 A (FDP) ...... Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . 24073 A 24091 B Ulla Lötzer (DIE LINKE) ...... Volker Schneider (Saarbrücken) 24092 D (DIE LINKE) ...... 24074 C Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 24093 D Anton Schaaf (SPD) ...... 24075 C Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 24077 B Tagesordnungspunkt 26: Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Tagesordnungspunkt 23: weiterer Abgeordneter und der Fraktion – Zweite und dritte Beratung des von der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Landrechte Bundesregierung eingebrachten Entwurfs stärken – „land grabbing“ in Entwick- eines Vierten Gesetzes zur Änderung lungsländern verhindern von Verbrauchsteuergesetzen (Drucksache 16/12735) ...... 24094 B (Drucksachen 16/12257, 16/12675, 16/12878, Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 24094 C 16/12903) ...... 24078 B Dr. (CDU/CSU) ...... 24095 C – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Hellmut Königshaus (FDP) ...... 24096 D (Drucksache 16/12895) ...... 24078 C Dr. (SPD) ...... 24097 C (CDU/CSU) ...... 24078 C Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE) ...... 24098 D Ingrid Arndt-Brauer (SPD) ...... 24079 B Dr. (SPD) ...... 24099 C Frank Schäffler (FDP) ...... 24080 B Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) ...... 24080 C Tagesordnungspunkt 27: Dr. (BÜNDNIS 90/ Antrag der Abgeordneten Klaus Brähmig, Jürgen DIE GRÜNEN) ...... 24081 B Klimke, Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Annette Faße, Renate Gradistanac, Siegmund Ehrmann, Tagesordnungspunkt 24: weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Wolfgang SPD: Tourismuskooperation und Jugend- Nešković, Sevim Dağdelen, weiterer Abge- austausch mit den neuen EU-Staaten för- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ein dern Moratorium für Sicherheitsgesetze bis zur (Drucksache 16/12730) ...... 24100 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 VII

Jürgen Klimke (CDU/CSU) ...... 24100 D Tagesordnungspunkt 31: Renate Gradistanac (SPD) ...... 24102 C Antrag der Abgeordneten Cornelia Behm, Peter Hettlich, Nicole Maisch, weiterer Abge- (FDP) ...... 24103 B ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) ...... 24104 A GRÜNEN: Verkehrsprojekt 17 Deutsche Einheit jetzt beenden – Kein Ausbau des Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/ Sacrow-Paretzer-Kanals DIE GRÜNEN) ...... 24105 A (Drucksache 16/12116) ...... 24119 C (CDU/CSU) ...... 24119 D Tagesordnungspunkt 28: Jörg Vogelsänger (SPD) ...... 24121 C Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Hans-Michael Goldmann (FDP) ...... 24122 A Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abge- Diana Golze (DIE LINKE) ...... 24122 B ordneten Dr. Christel Happach-Kasan, Hans- Michael Goldmann, Dr. Edmund Peter Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ Geisen, weiterer Abgeordneter und der Frak- DIE GRÜNEN) ...... 24123 A tion der FDP: Schutz der Bienenvölker si- cherstellen (Drucksachen 16/10322, 16/12267) ...... 24105 C Tagesordnungspunkt 32: Dr. (CDU/CSU) ...... 24105 D Antrag der Abgeordneten Martin Zeil, Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, weiterer Abge- Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) ...... 24107 C ordneter und der Fraktion der FDP: Kompe- Dr. (DIE LINKE) ...... 24108 D tenzen des Bundeskartellamts weiterentwi- ckeln Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ (Drucksache 16/8078) ...... 24123 D DIE GRÜNEN) ...... 24109 D Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) ...... 24123 D

Tagesordnungspunkt 29: Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD) . . . . . 24124 D Große Anfrage der Abgeordneten Volker Beck Gudrun Kopp (FDP) ...... 24125 A (Köln), Marieluise Beck (Bremen), Alexander Dr. Herbert Schui (DIE LINKE) ...... 24125 C Bonde, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zur Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ Menschenrechtssituation in den Ländern DIE GRÜNEN) ...... 24126 A der Andengemeinschaft und Venezuela (Drucksachen 16/9866, 16/11297) ...... 24110 D Tagesordnungspunkt 33: (CDU/CSU) ...... 24111 A Antrag der Abgeordneten Hans-Josef Fell, Wolfgang Gunkel (SPD) ...... 24111 D Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, weiterer (FDP) ...... 24113 A Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Vorbildlich und im- Michael Leutert (DIE LINKE) ...... 24114 C portunabhängig Ökostrom und Biogas ein- Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . 24115 B kaufen (Drucksache 16/11964) ...... 24126 C (CDU/CSU) ...... 24126 D Tagesordnungspunkt 30: Marko Mühlstein (SPD) ...... Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, 24127 C Markus Löning, Dr. Karl Addicks, weiterer Michael Kauch (FDP) ...... 24128 A Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Wettbewerbspolitik als Fundament der So- Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) ...... 24128 C zialen Marktwirtschaft stärken Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ (Drucksache 16/7522) ...... 24116 C DIE GRÜNEN) ...... 24129 A Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) ...... 24116 C Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD) . . . . . 24117 B Tagesordnungspunkt 34: Rainer Brüderle (FDP) ...... 24117 D Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie zu Dr. Herbert Schui (DIE LINKE) ...... 24118 B dem Antrag der Abgeordneten Martin Zeil, Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/ Paul K. Friedhoff, Frank Schäffler, weiterer DIE GRÜNEN) ...... 24118 D Abgeordneter und der Fraktion der FDP: VIII Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Eigenkapitalbildung fördern – Deutsch- Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abge- lands Mittelstand fit machen ordneten Hans-Michael Goldmann, Dr. (Drucksachen 16/3841, 16/5952) ...... 24129 C Christel Happach-Kasan, Dr. Edmund Peter Geisen, weiterer Abgeordneter und der Frak- Dr. (CDU/CSU) ...... 24129 D tion der FDP: Chancen am Weltmarkt Andrea Wicklein (SPD) ...... 24131 C durch marktwirtschaftliche Weiterent- wicklung der Gemeinsamen Agrarpolitik Paul K. Friedhoff (FDP) ...... 24132 A und Subventionsabbau nutzen Sabine Zimmermann (DIE LINKE) ...... 24132 C (Drucksachen 16/4185, 16/9800) ...... 24142 C Christine Scheel (BÜNDNIS 90/ Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU) ...... 24142 D DIE GRÜNEN) ...... 24133 A Manfred Zöllmer (SPD) ...... 24144 B

Tagesordnungspunkt 35: Hans-Michael Goldmann (FDP) ...... 24145 B Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) ...... 24146 A schusses für Wirtschaft und Technologie zu Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ dem Antrag der Abgeordneten Martin Zeil, DIE GRÜNEN) ...... 24146 C Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Deminimis-Beihilfen mittelstandsfreundli- Nächste Sitzung ...... 24147 D cher ausgestalten (Drucksachen 16/3149, 16/7730) ...... 24134 C Anlage 1 Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) ...... 24134 D Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 24149 A Andrea Wicklein (SPD) ...... 24135 D Paul K. Friedhoff (FDP) ...... 24136 C Anlage 2 Sabine Zimmermann (DIE LINKE) ...... 24137 A Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ Dr. Hans Georg Faust, Jochen-Konrad Fromme DIE GRÜNEN) ...... 24137 C und Hans Peter Thul (alle CDU/CSU) zur Ab- stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung des Ausbaus der Höchst- Tagesordnungspunkt 36: spannungsnetze (Tagesordnungspunkt 16 a) . 24149 C Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz und Reak- torsicherheit zu dem Antrag der Abgeordne- Anlage 3 ten Dr. Christel Happach-Kasan, Michael Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Kauch, , weiterer Abge- Claudia Roth (Augsburg) und Dr. Thea ordneter und der Fraktion der FDP: Biologi- Dückert (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sche Kohlenstoffsenken für den Klima- NEN) zur Beschlussfassung über den Antrag: schutz nutzen Schutz des Klosters Mor Gabriel sicherstellen (Drucksachen 16/2088, 16/7147) ...... 24138 B (Zusatztagesordnungspunkt 5 c) ...... 24149 D (Konstanz) (CDU/CSU) ...... 24138 C (SPD) ...... 24139 A Anlage 4 Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) ...... 24140 B Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) ...... 24141 A Beschlussempfehlung und des Berichts: Schutz der Bienenvölker sicherstellen (Tagesord- Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ nungspunkt 28) DIE GRÜNEN) ...... 24141 C Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) ...... 24150 C

Tagesordnungspunkt 37: Anlage 5 Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Amtliche Mitteilungen ...... 24152 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 23969

(A) (C) Redetext

220. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Beginn: 9.02 Uhr

Präsident Dr. : Regelung der Rechtsverhältnisse der Helfer Die Sitzung ist eröffnet. der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich – Drucksache 16/12854 – begrüße Sie alle herzlich. Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Wie meistens am Donnerstagvormittag gibt es einige Rechtsausschuss Mitteilungen, bevor wir in unsere Tagesordnung eintre- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ten. c) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge- Zunächst möchte ich den Kollegen Walter Kolbow, setzes zur Regelung des Assistenzpflegebe- Dr. Hermann Scheer und Dr. Gernot Erler zu ihren darfs im Krankenhaus 65. Geburtstagen gratulieren, die sie vor einigen Tagen begangen haben. – Drucksache 16/12855 – (B) (D) (Beifall) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Es gibt auch zwei 60. Geburtstage, und zwar der Kol- Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Bildung, Forschung und legen Dr. und Rüdiger Veit. Im Na- Technikfolgenabschätzung men des ganzen Hauses gratuliere ich den Jubilaren nachträglich auch auf diesem Wege herzlich und wün- d) Erste Beratung des von den Abgeordneten Josef sche alles Gute. Philip Winkler, Volker Beck (Köln), Ekin Deligöz, weiteren Abgeordneten und der Fraktion (Beifall) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Streichung des Op- Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Ta- tionszwangs aus dem Staatsangehörigkeits- gesordnung um die in der weiteren Zusatzpunktliste auf- recht geführten Punkte zu erweitern: – Drucksache 16/12849 – ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver- Überweisungsvorschlag: fahren Innenausschuss (f) (Ergänzung zu TOP 38) Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend a) Erste Beratung des von der Bundesregierung Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Stärkung der Rechte von Verletzten und Meierhofer, Frank Schäffler, Michael Kauch, Zeugen im Strafverfahren (2. Opferrechtsre- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP formgesetz) Steuerprivilegien öffentlich-rechtlicher Unter- – Drucksache 16/12812 – nehmen abschaffen – Fairen Wettbewerb auch Überweisungsvorschlag: in der Abfallwirtschaft ermöglichen Rechtsausschuss (f) Innenausschuss – Drucksache 16/5728 – Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Überweisungsvorschlag: b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ Finanzausschuss (f) Innenausschuss CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ers- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit 23970 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gisela Überweisungsvorschlag: (C) Piltz, Detlef Parr, Dr. Max Stadler, weiterer Ab- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und geordneter und der Fraktion der FDP Verbraucherschutz Datei „Gewalttäter Sport“ auf verfassungsmä- ZP 5 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus- ßige Grundlage stellen sprache (Ergänzung zu TOP 39) – Drucksache 16/11752 – a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Grütters, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Peter Sportausschuss Albach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Rechtsausschuss der CDU/CSU, der Abgeordneten Steffen Reiche (Cottbus), , Dr. Herta Däubler- g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Gmelin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Höfken, Thilo Hoppe, Ute Koczy, weiterer Abge- der SPD ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE sowie der Abgeordneten Hans-Joachim Otto GRÜNEN (Frankfurt), Christoph Waitz, Burkhardt Müller- Sönksen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Milch-Exportsubventionen sofort stoppen – der FDP Weitere Zerstörung der Märkte in Entwick- lungsländern verhindern Schutz des Klosters Mor Gabriel sicherstellen – Drucksache 16/12308 – – Drucksache 16/12866 – Überweisungsvorschlag: b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Petra Sitte, Cornelia Verbraucherschutz (f) Finanzausschuss Hirsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und DIE LINKE Entwicklung Dauerhaften Schutz des Klosters Mor Gabriel h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gisela sicherstellen Piltz, Dr. Max Stadler, Christian Ahrendt, weite- – Drucksache 16/12848 – rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Claudia (B) Gemeinsames Internetzentrum auf gesetzliche Roth (Augsburg), Ekin Deligöz, Kai Gehring, (D) Grundlage stellen weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 16/12471 – Schutz des Klosters Mor Gabriel sicherstellen Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) – Drucksache 16/12867 – Rechtsausschuss d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hartfrid richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu Wolff (Rems-Murr), Gisela Piltz, Dr. Max der Unterrichtung durch die Bundesregierung Stadler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Vorschlag für eine Verordnung des Europäi- schen Parlaments und des Rates über die Europarechtskonformes und nachvollziehba- Fahrgastrechte im Kraftomnibusverkehr und res Nachzugsrecht schaffen – Metock-Urteil zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/ des EuGH sofort gesetzlich verankern 2004 über die Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Verbraucherschutz- – Drucksache 16/12732 – gesetze zuständigen nationalen Behörden Überweisungsvorschlag: (inkl. 16933/08 ADD 1 und 16933/08 ADD 2) Innenausschuss (f) (ADD 1 in Englisch) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend KOM(2008) 817 endg.; Ratsdok. 16933/08 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union – Drucksachen 16/11721 Nr. A.10, 16/12897 – j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ingbert Liebing, Marie-Luise Dött, Peter Bleser, weiterer Berichterstattung: Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Abgeordnete Michael Grosse-Brömer sowie der Abgeordneten , Dirk Manzewski Christoph Pries, Marco Bülow, weiterer Abge- Mechthild Dyckmans ordneter und der Fraktion der SPD Sevim Dağdelen Delfinschutz voranbringen ZP 6 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen – Drucksache 16/12868 – der CDU/CSU und der SPD: Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 23971

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Gemeinsam gegen Gewalt – Ächtung der Aus- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE (C) schreitungen und schweren Gewaltstraftaten LINKE am 1. Mai Bundesverantwortung für den Steuervollzug ZP 7Beratung des Antrags der Abgeordneten wahrnehmen Irmingard Schewe-Gerigk, Markus Kurth, – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordneter und der Höll, Dr. Axel Troost, Dr. Gregor Gysi, Oskar Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE Erwerbsminderungsrente gerechter gestalten Steuermissbrauch wirksam bekämpfen – – Drucksache 16/12865 – Vorhandene Steuerquellen erschließen Überweisungsvorschlag: – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Höll, Wolfgang Nešković, Ulla Lötzer, weiterer Finanzausschuss Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Steuerhinterziehung bekämpfen – Steuer- Haushaltsausschuss oasen austrocknen Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so- – zu dem Antrag der Abgeordneten Christine weit erforderlich, abgewichen werden. Scheel, Kerstin Andreae, Birgitt Bender, weite- Der Tagesordnungspunkt 38 f wird abgesetzt. rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sind Sie damit einverstanden? – Das sieht so aus. Dann ist das so beschlossen. Keine Hintertür für Steuerhinterzieher – Drucksachen 16/11389, 16/11734, 16/9836, Wir kommen dann zu den Tagesordnungspunkten 16/9479, 16/9166, 16/9168, 16/9421, 16/12826 – 15 a und 15 b: Berichterstattung: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ Abgeordnete Manfred Kolbe CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Lothar Binding (Heidelberg) Gesetzes zur Bekämpfung der Steuerhinterzie- hung (Steuerhinterziehungsbekämpfungsge- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für setz) die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. – Ich (B) höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. (D) – Drucksache 16/12852 – Überweisungsvorschlag: Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu- Finanzausschuss (f) nächst dem Kollegen Lothar Binding für die SPD-Frak- Auswärtiger Ausschuss tion. Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (Beifall bei der SPD) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Sehr verehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Damen richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele Bürgerinnen und Bürger in Deutschland brauchen keine – zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU Steuern zu zahlen. Von den Bürgerinnen und Bürgern, und der SPD die Steuern zahlen müssen, sind viele sehr fair; denn sie Steuerhinterziehung bekämpfen zahlen ihre Steuern korrekt. Es gibt aber einzelne Steuer- bürger, die denken, sie brauchten sich nicht daran zu er- – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Volker innern, dass sie, nachdem sie Gewinne gemacht und Wissing, Dr. Hermann Otto Solms, Carl- hohe Einkommen erzielt haben, auch Steuern zu zahlen Ludwig Thiele, weiterer Abgeordneter und der haben. Diesem unfairen Verhalten und der daraus entste- Fraktion der FDP henden Ungerechtigkeit wollen wir mit diesem Gesetz zur Steuerhinterziehungsbekämpfung begegnen. Steuervollzug effektiver machen Wir glauben, dass es sehr gut ist, dass unser Staat – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hermann Doppelbesteuerungsabkommen zum Schutz der Bürger Otto Solms, Dr. Volker Wissing, Frank trifft. Wenn jemand zum Beispiel in den USA ein Ein- Schäffler, weiterer Abgeordneter und der Frak- kommen hat, soll er es dort versteuern. Wenn es dort ver- tion der FDP steuert wird, ist dieses Einkommen des Deutschen in Umstellung der Umsatzsteuer von der Soll- Deutschland steuerfrei gestellt. Oder: Wenn er in den auf die Istbesteuerung USA eine Steuer von zum Beispiel 10 Prozent zahlt, es bei uns aber 30 Prozent wären, dann soll er hier – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Herbert 20 Prozent nachversteuern, sodass insgesamt immer die Schui, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, wei- Steuern gezahlt werden sollen, die auch derjenige zu 23972 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Lothar Binding (Heidelberg) (A) zahlen hat, der in dem Land wohnt, in dem derjenige, der Für jemanden, der mit den Einzelheiten nicht sehr (C) auch im Ausland Steuern zahlen muss, steuerpflichtig vertraut ist, möchte ich es an einem Beispiel klarmachen. ist. Wenn zum Beispiel eine GmbH in München Gewinnan- teile von einer ausländischen Tochter in einer Steueroase Jetzt können sich vor dem Hintergrund dieser bekommt, dann ist es üblicherweise so, dass diese Ge- 100 Abkommen aber manche Länder so verhalten, dass winnanteile, also die Dividenden, in Deutschland steuer- sie sich mit Menschen verbünden, die die Zahlung von frei gestellt sind. Jetzt kann man fragen: Wieso ist die Steuern hintergehen, die Steuern hinterziehen wollen. Dividende eigentlich steuerfrei gestellt? Das ist eine Nun kann man sagen: Das ist kein Problem. Man könnte Frechheit. Dividenden müssen doch besteuert werden. – mit diesen Ländern ja einfach einen Informationsaus- Das stimmt, aber erst dann, wenn die Dividenden in die tausch verabreden und damit die Steuerbürger zu einer private Sphäre übernommen werden. Solange diese korrekten Steuerzahlung motivieren. Dividenden oder Gewinnanteile in der unternehmeri- Jetzt stoßen wir auf das erste Problem, wenn manche schen Sphäre verbleiben – wir befürworten es ja, wenn Länder sagen: „Lasst uns den Betrug bekämpfen! Betrug die Unternehmer investieren –, werden diese Gewinne ist schlecht“ und wir feststellen: Da betrügt jemand, weil steuerfrei gestellt. er Steuern hinterzieht. – Wenn man nun das andere Land Das neue Gesetz funktioniert ganz einfach: Wenn ein bittet, zu helfen, diesen Steuerbetrug zu bekämpfen, Steuerbürger mit den deutschen Steuerbehörden koope- dann wird in diesem Land gesagt: Da habt ihr Pech; riert und ihnen sagt, zu welchem Zweck er in einem an- denn Steuerbetrug ist bei uns kein Betrug. Auch Steuer- deren Land engagiert ist und wie seine Geschäftsbezie- hinterziehung ist bei uns kein Betrug. Erst in Verbindung hungen mit diesem Land organisiert sind, bleibt die mit einer Urkundenfälschung zum Beispiel wird es zu ei- Steuerfreiheit erhalten. Wenn der Steuerbürger aber nem Betrug. – Der Steuerbürger zieht sich glücklich zu- meint, er müsse das alles geheim halten und alles solle rück und sagt: In diesem Land halte ich mich gerne auf, unter der Decke bleiben – das wird ja von vielen als Ka- weil dort etwas kein Betrug ist, was in Deutschland Be- valiersdelikt bezeichnet –, dann ist die Idee dieses Geset- trug ist. zes, dass gesagt wird: Wenn das so ist, dann fällt die Steuerfreiheit weg. Es wird also ein Vorteil genommen, So etwas macht die Sache extrem kompliziert. Des- wenn man nicht kooperiert. halb können wir Peer Steinbrück nur gratulieren, dass er im Rahmen der G 20 und auch in Zusammenarbeit mit Das ist natürlich eine sehr gute Sache. Das ist ähnlich der OECD Regeln gefunden hat, wie wir Steuerbetrüger der Situation, dass ein Dieb befürchten muss, dass er in- international in ihre Schranken weisen und sie motivie- haftiert wird. Ein Mensch aber, der nicht stiehlt, braucht ren, in ihren eigenen Ländern ihre Steuern fair zu zahlen. (B) diese Befürchtung nicht zu haben. Insofern ist es völlig (D) klar: Wer keinen Diebstahl begeht, hat nichts zu befürch- (Beifall bei der SPD) ten. Wir bezeichnen die von mir geschilderte Situation so, Im anderen Fall wollen wir allerdings nicht nur dro- dass Staaten ihren Auskunftspflichten nicht nachkom- hen, sondern auch ernst machen, allerdings nicht unmit- men und nicht mit unseren Steuerbehörden kooperieren. telbar sofort und per Gesetz, sondern wir wollen die Re- Tatsächlich ist es aber so, dass es diese Staaten ganz be- gierung ermächtigen, im richtigen Zeitpunkt den wusst darauf anlegen, deutsche Steuerbürger mit be- richtigen Erlass zu formulieren, um dieser Drohung bei stimmten Einkünften in ihr Land zu locken, um sie steu- Bedarf Wirkung zu verschaffen. Das ist natürlich eine erfrei zu stellen. Damit lassen sie den anderen sehr gute Sache, Steuerbürgern aus Deutschland Unfairness angedeihen. Das wollen wir natürlich nicht. Deshalb sind wir sehr (Dr. [FDP]: Das ist eine froh, dass uns die OECD jetzt intensiv unterstützt. sehr gute Sache; denn dann braucht das Parla- ment überhaupt nicht mehr gefragt zu werden! Gelegentlich wird Kritik an dem vorgelegten Gesetz- Na ja, es sind noch fünf Monate!) entwurf geübt. Erst kürzlich hat ein Kollege von der FDP gesagt, er sei überflüssig, weil die OECD-Liste in- weil wir damit niemanden unter Generalverdacht stellen. zwischen sehr kurz sei und die schwarze Liste gar keine Die Exekutive kann sehen, ob die Kooperation mit ande- Staaten mehr enthalte. Wer aber genauer hinsieht, merkt, ren Staaten funktioniert oder nicht, und die Steuerbehör- dass auch andere Länder unserer Meinung sind. Nehmen den können unmittelbar sehen, wer kooperiert und wer Sie Griechenland, Italien, nicht. Bei Bedarf können sofort Maßnahmen in Kraft ge- setzt werden, um die Steuerbürger ehrlich zu machen. (Jörg van Essen [FDP]: Oje, das sind ja große Vorbilder bei der Steuerzahlung!) Ich glaube, ein Gesetzentwurf, mit dem den Men- schen geholfen wird, sich ehrlich zu machen, ist ein sehr Kanada, Spanien, Polen und Portugal. All diese Länder guter Gesetzentwurf. Deshalb bin ich auch sehr optimis- gehen einen ähnlichen Weg, weil sie das gleiche Pro- tisch, dass wir einen großen Schritt auf dem Weg zur Be- blem haben und Steueroasen diesen Ländern einen gro- kämpfung der Steuerhinterziehung weitergekommen ßen Schaden zufügen. Wer diesen Schaden bekämpfen sind. Ich glaube, dass es schon lange an der Zeit war, das will, muss sich überlegen, ob er anders kooperiert als zu tun. Manche Skandale, durch die den Bürgern die bisher. 17 OECD-Mitgliedstaaten verfolgen übrigens die Dringlichkeit verdeutlicht wurde, sind uns dabei sehr zu- gleiche Idee wie wir. passgekommen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 23973

Lothar Binding (Heidelberg) (A) Ich möchte jeden Steuerbürger, der seine Steuern ehr- Im Übrigen: Im internationalen Umgang und im Um- (C) lich zahlt, beglückwünschen. Nun sind wir mit diesem gang mit Nachbarstaaten, also mit befreundeten Staaten Gesetzentwurf dabei, auch alle anderen in diese Rich- wie Österreich, Luxemburg, der Schweiz, Liechtenstein tung zu bewegen. usw., Schönen Dank. ( [SPD]: Die sind alle auf der grauen Liste!) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Eduard Oswald [CDU/CSU]) ist es doch besser – das war immer unsere gemeinsame Politik –, zu verhandeln, um zu Ergebnissen zu kommen, statt mit Kraftmeierei zu drohen und Verbalradikalismus Präsident Dr. Norbert Lammert: an den Tag zu legen, Dr. Hermann Otto Solms von der FDP-Fraktion ist der nächste Redner. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) der dem Bundesfinanzminister leider zu eigen ist. Das Bedauerliche an seiner Wortwahl ist, dass dahinter häu- fig ein völlig unklares Geschichtsbild steht. Dr. Hermann Otto Solms (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Er hat zum Beispiel gesagt, die 7. Kavallerie in Fort Herren! Die Bundesregierung legt uns heute den Ent- Yuma solle man ausreiten lassen. Die Indianer müssten wurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Steuerhinter- wissen, dass es sie gibt. – Mit den Indianern meinte er ziehung vor. Wer wollte etwas dagegen haben? Natürlich offenkundig die Schweizer und mit der 7. Kavallerie die muss Steuerhinterziehung bekämpft werden. deutschen Ermittlungsbehörden. Wenn Sie die Ge- schichte richtig in Erinnerung haben würden, dann wüss- (Thomas Oppermann [SPD]: Dann stimmen ten Sie, dass die 7. Kavallerie unter General Custer am Sie ja zu!) Little Big Horn in eine Falle der Indianer gegangen und vernichtet worden ist. Wollen Sie also, dass die Schwei- – Einen Moment! Sie müssen auf den Inhalt achten. zer den deutschen Ermittlungsbehörden Fallen bauen, Wenn man sich den Inhalt ansieht, muss man sagen: um sie zu vernichten? Wollen Sie sie in das Unglück hi- Das ist kein Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Steuer- neinreiten lassen? hinterziehung, sondern ein Gesetzentwurf zur Bekämp- Jetzt haben Sie einen anderen Vergleich gebracht, fung von Steueroasen. Das genau ist der Inhalt. Steuer- nämlich den mit Burkina Faso. Sie haben gesagt, Lu- oasen sind Länder, die sich nicht bereit erklären, den xemburg, Liechtenstein, die Schweiz, Österreich und (B) (D) Steuerstandards der OECD zu folgen. So ist es definiert. Ouagadougou stünden unter Verdacht. Nun sollten Sie Sie müssen dann in der Liste der OECD nachschauen, aufgrund Ihrer Geografiekenntnisse wissen, dass Ouaga- welche Länder gemeint sind. Diese Liste aus dem Inter- dougou kein Land, sondern die Hauptstadt von Burkina net können Sie sich ausdrucken lassen. Sie stellen dann Faso ist. Dieses Land steht überhaupt nicht auf der Liste fest, dass auf der sogenannten schwarzen Liste kein ein- der OECD und auch nicht auf der grauen Liste. Wahr- ziges Land steht. Alle Länder, die früher draufstanden, scheinlich haben Sie es mit Liberia verwechselt; denn haben offiziell erklärt und zugesagt, dass sie sich diesen das steht auf der grauen Liste. Dieses Land liegt aller- Standards unterwerfen und dass sie mitarbeiten und bei dings tausend Kilometer entfernt. der Verfolgung von Steuerhinterziehung kooperieren. ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an den Abg. Dr. Guido Westerwelle [FDP] ge- ( [SPD]: Und das glauben Sie?) wandt: Der will auch Außenminister werden, Sie haben also einen Gesetzentwurf zur Bekämpfung Herr Westerwelle!) von etwas gemacht, was gar nicht vorhanden ist. Es wäre gut, wenn Sie Ihre Bilder richtigstellen und (Beifall bei der FDP – Lachen bei der SPD – von diesen Verbalradikalismen Abstand nehmen wür- Thomas Oppermann [SPD]: Das ist doch nicht den. Es wäre besser, Sie würden mit befreundeten Län- Ihr Ernst! Das glauben Sie doch selber nicht! – dern verhandeln, statt sie zu bedrohen. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei der FDP) Und die 480 Milliarden Euro sind auch nicht mehr vorhanden!) Das gilt insbesondere gegenüber der Schweiz, die ihren Demokratieprozess bereits 1291 begonnen hat, also ge- Ich habe gelernt, dass man Gesetzentwürfe dann vorle- genüber einem Land mit einer langen demokratischen gen soll, wenn es notwendig ist. Wenn es nicht notwen- Tradition. Die Schweiz könnte auch heute noch Vorbild dig ist, soll man keine Gesetzentwürfe vorlegen, weil für uns sein; denken Sie nur an die Instrumente der di- man sie nicht braucht. rekten Demokratie in der Schweiz. Wir haben den Schweizern keine Vorschriften zu machen. Wir haben sie (Thomas Oppermann [SPD]: Das glauben Sie nicht zu belehren, sondern im Zweifelsfall mit ihnen zu doch selber nicht! – Gegenruf des Abg. verhandeln, um zu gemeinsamen Ergebnissen zu kom- Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Können die men. Fischstäbchen einmal ein bisschen ruhiger sein?) (Beifall bei der FDP) 23974 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Dr. Hermann Otto Solms (A) Entscheidend ist aber nicht der Umgang – auch wenn Wer keine Steuern zahlt, beteiligt sich nicht an der Fi- (C) er eine unschöne Sache ist –, sondern die Frage nach den nanzierung der Gemeinschaft. Ursachen der Steuerhinterziehung und der Steuerflucht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ( [CDU/CSU]: Zu hohe Steu- der SPD) ern!) Ohne Steuern ist kein Staat zu machen. Das Zusammen- Warum entziehen sich deutsche Steuerbürger der deut- leben der Menschen in einer Gemeinschaft wäre nicht zu schen Besteuerung? organisieren. (Dr. [CDU/CSU]: Gute Steuerhinterziehung zu bekämpfen, ist auch ein An- Frage! – Lothar Binding [Heidelberg) [SPD]: liegen, wenn es darum geht, Wettbewerbsverzerrun- Weil sie charakterlos sind! – Weitere Zurufe gen zu beseitigen. Mit den Mehreinnahmen können die von der SPD) Steuersätze für ehrliche Steuerbürger gesenkt werden. Sie tun das, weil das deutsche Steuerrecht unsäglich (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und kompliziert, unüberschaubar und unverständlich ist. der SPD) (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Peter Davon würde der ehrliche Steuerbürger also profitieren. Ramsauer [CDU/CSU] – Lachen bei der SPD Steuerhinterziehung führt zu Wettbewerbsverzerrungen. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Unternehmen, die ihre Einnahmen nicht ordnungsgemäß versteuern, haben einen Wettbewerbsvorteil, und Staa- Wenn Sie erreichen wollen, dass die deutschen Bürger ten, die Steuerhinterziehung ermöglichen, haben einen auf Schwarzarbeit und Steuerflucht verzichten, wenn Standortvorteil. Diese ungerechtfertigten Vorteile sollen Sie wollen, dass sie darauf verzichten, Investitionen ins durch die Bekämpfung der Steuerhinterziehung beseitigt Ausland zu verlagern, dann müssen Sie in Deutschland werden. ein Steuerrecht schaffen, das vom Bürger akzeptiert wird; denn der Bürger ist der Souverän des Staates. Der (Joachim Poß [SPD]: So weit sind wir uns ei- Staat hat den Bürger nicht zu bevormunden, sondern Ge- nig!) setze zu erlassen, die der Bürger zu akzeptieren bereit Die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger ist be- ist. reit, Steuern zu zahlen. Sie wollen – und das zu Recht –, (Lachen bei der SPD) dass der Staat mit den Einnahmen verantwortungsbe- wusst umgeht und dass die Steuermittel sinnvoll für die Deswegen ist eine große Steuerreform in diesem Land Gemeinschaft eingesetzt werden. Darum muss das Steu- (B) überfällig. errecht so gestaltet sein, dass es von den Menschen als (D) gerecht empfunden wird. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/ Wir dürfen nicht zulassen – auch das muss klar sein –, DIE GRÜNEN]: Das ist so peinlich!) dass Bürgerinnen und Bürger mit einem höheren Ein- kommen automatisch im Verdacht stehen, Steuern hin- Sie ist dringend notwendig. Dabei geht es nicht in erster terziehen zu wollen. Wir gehen vom ehrlichen Bürger Linie um die Steuersätze, sondern darum, ein einfaches und vom ehrlichen Steuerzahler aus. und verständliches Steuerrecht zu schaffen, welches be- wirkt, dass die Bürger auf einen fairen Steuerstaat ver- (Beifall bei der CDU/CSU) trauen. Wenn Sie das geschaffen haben, werden Sie mit Wir werden es auch keinesfalls zulassen, dass ein Unter- die Steuerbekämpfung nur noch die geringste Mühe ha- nehmer, der mit dem Ausland Geschäfte macht, schon ben. allein deswegen der Steuerhinterziehung verdächtigt Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. wird. Wer eine Antipathie gegen die sogenannten Rei- chen entwickelt und suggeriert, sie würden Steuern hin- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten terziehen, spaltet unsere Gesellschaft. Das wäre ver- der CDU/CSU – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/ hängnisvoll. DIE GRÜNEN]: Neues aus der Anstalt!) (Beifall bei der CDU/CSU) Präsident Dr. Norbert Lammert: Christlich-demokratische und christlich-soziale Poli- Das Wort erhält nun der Kollege Eduard Oswald für tik ist, sich für ein Steuersystem einzusetzen, das ein- die CDU/CSU-Fraktion. fach, gerecht und, wenn es die Finanzlage zulässt, mit möglichst niedrigen Sätzen gestaltet ist. Trotzdem ist (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) klar: Ohne Steuereinnahmen kann kein Staat, kein Ge- meinwesen existieren; ohne Steuern kann eine ausrei- Eduard Oswald (CDU/CSU): chende Daseinsfürsorge für all unsere Bürgerinnen und Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Je- Bürger nicht zur Verfügung gestellt werden. Es ist aber dem muss klar sein: Steuerhinterziehung ist kein Kava- auch immer Aufgabe von uns, den politisch Handelnden, liersdelikt. deutlich zu machen, wofür die Steuereinnahmen in Kommunen, Ländern und Bund – wiederum im Interesse (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: So ist es!) der Gemeinschaft – verwendet werden. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 23975

Eduard Oswald (A) Wir stehen inmitten einer sehr schweren und dramati- Für meine Fraktion sage ich aber: Es muss gewähr- (C) schen weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise. Alle Be- leistet sein, dass die Bundesregierung mit Zustimmung teiligten betonen immer wieder, wie wichtig es ist, aus des Bundesrates von den Verordnungsermächtigungen Fehlern zu lernen, die die aktuelle Finanzkrise verur- nur Gebrauch macht, wenn die Anwendung der mit dem sacht haben. Daher hat die Schaffung einer neuen Fi- Gesetz angedrohten Maßnahmen das letzte noch erfolg- nanzmarktarchitektur Priorität. Es ist eine Chance in versprechende Mittel ist. der Krise, dass hier zusammensteht. Eine bessere Regulierung und Überwachung der Finanzmärkte, -pro- (Beifall bei der CDU/CSU) dukte und -akteure ist dringend erforderlich, um die Zuvor müssen alle, insbesondere auch internationale und Wiederholung einer solchen Krise zu verhindern. Nie- bilaterale Möglichkeiten ausgeschöpft worden sein, um mand darf sagen: Nach der Krise gehen wir wieder zur die Staaten dazu zu bewegen, einen hinreichenden Infor- Tagesordnung über und machen es wie vorher. mationsaustausch zu gewährleisten. Also: miteinander reden, nicht übereinander! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zu diesem Thema gehört auch die gemeinsame – ich Sanktionsmaßnahmen können nur dann vorgenom- betone: gemeinsame – strenge Ahndung von Steuer- men werden, wenn der Steuerpflichtige seinen erhöhten flüchtlingen und Staaten, die möglicherweise die Steuer- Mitwirkungs- und Nachweispflichten nicht nachgekom- hinterziehung begünstigen. Im Umgang mit unseren be- men ist. Diese treffen den Steuerpflichtigen bei der Er- freundeten Ländern empfehle ich aber allen, sprachlich mittlung von steuerlich relevanten Sachverhalten des abzurüsten. Steuerpflichtigen im Zusammenhang mit Geschäftsbe- ziehungen zu Staaten und Gebieten, mit denen kein Aus- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) kunftsaustausch durchgeführt werden kann, der dem OECD-Standard entspricht. Es wird also nicht das Un- Auch die Lebenserfahrung wohl von uns allen zeigt terhalten von Geschäftsbeziehungen in unkooperativen nicht nur, dass man sich immer zweimal begegnet, Staaten und Gebieten sanktioniert, sondern das unkoope- (Jörg van Essen [FDP]: So ist es!) rative Verhalten der Steuerpflichtigen. Dies ist übrigens auch europarechtlich gut vertretbar. sondern auch, dass es besser ist, mehr miteinander zu re- Wir haben heute Punkte in einem Bereich zu verab- den als übereinander. schieden, in dem wir bereits Maßnahmen auf den Weg gebracht haben, um Verbesserungen bei der Bekämp- (B) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (D) Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Wen meint die fung der Steuerhinterziehung zu erreichen. So wurden Union?) die Möglichkeiten einer Telefonüberwachung beim ban- denmäßigen Umsatzsteuerbetrug eingeführt und bei der Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung in besonders schweren Fällen – ge- Steuerhinterziehung soll die Hinterziehung von Steuern rade auch im Bandenbereich – die Frist für die straf- durch Nutzung von Staaten und Gebieten erschwert wer- rechtliche Verjährung auf zehn Jahre verdoppelt. Mit den, die die Standards der OECD möglicherweise nicht diesen Maßnahmen geben wir den Bürgerinnen und Bür- akzeptieren. Zugleich wollen wir die Akzeptanz der gern das Signal: Niemand darf sich der gesellschaftli- OECD-Standards im Bereich des Steuervollzugs för- chen Pflicht, sich am Gemeinwesen zu beteiligen, ent- dern. Damit werden die Möglichkeiten eines zeitnahen ziehen. und flexibleren Handelns im Rahmen eines international Globale Finanzströme haben das Thema Steuer und abgestimmten Vorgehens verbessert. Wir beschäftigen Steuerhinterziehung zu einem globalen Problem ge- uns heute mit diesem Gesetzentwurf in erster Lesung. macht. Unsere Maßnahmen signalisieren auch: Der Ehr- Diese Maßnahmen stehen nunmehr umfassend – Kol- liche darf nicht der Dumme sein. lege Lothar Binding hat dies gesagt – unter dem Vorbe- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) halt einer später noch zu verabschiedenden Rechts- verordnung. Der Bundesregierung ist es hierdurch Der ehrliche Steuerzahler darf nicht geschädigt werden. möglich, vor Erlass der Rechtsverordnung zu prüfen, in Wir werden im Rahmen des Gesetzgebungsverfah- welchem Zeitraum und Umfang die Staaten ihre Ankün- rens über den heute vorliegenden Gesetzentwurf aus- digungen umsetzen, den OECD-Standard beim Informa- führlich in einer öffentlichen Anhörung mit den Sach- tionsaustausch einzuführen. Die mit diesem Gesetz an- verständigen diskutieren. Einzelne Regelungen müssen gedrohten Maßnahmen werden dazu führen, dass die ohne Zweifel überprüft und auf ihre Angemessenheit hin Staaten ihre Ankündigungen nun auch in die Tat umset- abgeklopft werden. zen. Einerseits wird also der internationale Druck auf- rechterhalten; andererseits kann den Staaten, die sich Das Ziel der Union ist, erstens das Steuerrecht einfach erst kürzlich bereit erklärt haben, den OECD-Standard und gerecht zu gestalten, zweitens die Steuerbelastun- einzuführen, die Zeit eingeräumt werden, diesen einzu- gen, wo immer dies möglich ist, abzusenken, um den führen. Ebenso bleibt es möglich, die angedrohten Maß- Steuerwiderstand zu vermeiden und Steuerbetrug zu ver- nahmen dann und so anzuwenden, wie es möglicher- hindern, und drittens es zu einer Daueraufgabe zu ma- weise international noch konkreter abgesprochen wird. chen, den Steuervollzug so zu gestalten, dass ihn die 23976 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Eduard Oswald (A) Bürgerinnen und Bürger nachvollziehen können. Das ist, (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert (C) glaube ich, eine Daueraufgabe, der sich alle in diesem Winkelmeier [fraktionslos]) Parlament stellen sollten. Es geht aber nicht nur um diese Steuerpolitik, sondern Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. auch um die Behandlung einzelner Themen. Ich habe vorhin Herrn Solms genau zugehört, als er gefragt hat, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wer etwas gegen die Bekämpfung der Steuerhinterzie- neten der SPD) hung haben wollte. Es ist klar: Wenn wir einen Antrag gegen Steuerhinterziehung einbringen, werden alle zu- Präsident Dr. Norbert Lammert: stimmen. Die entscheidende Frage ist aber, wie glaub- Ich erteile das Wort dem Kollegen Oskar Lafontaine würdig das verbale Bekenntnis ist und ob entsprechend für die Fraktion Die Linke. gehandelt wird. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Winkelmeier [fraktionslos]) In der Diskussion über das Bankgeheimnis wird so- Oskar Lafontaine (DIE LINKE): fort klar, dass zumindest Teile dieses Hauses überhaupt Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- nicht bereit sind, Steuerhinterziehung zu bekämpfen. ren! Der Gesetzentwurf sieht bescheidende Verbesserun- gen zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung vor. Dies (Zuruf von der LINKEN: Genau!) ist zu begrüßen. Der Normalbürger versteht unter Bankgeheimnis, dass (Thomas Oppermann [SPD]: Nur beschei- der Nachbar nicht einfach nachschauen kann, was man dende? Ein Paradigmenwechsel!) auf dem Konto hat, um dies in der ganzen Nachbarschaft Die Verbesserungen sind zwar nur sehr bescheiden; herumzuerzählen oder sonst etwas mit dieser Informa- gleichwohl sind sie zu unterstützen. Dass die Verbesse- tion zu tun. Dem Normalbürger kommt aber nicht in den rungen so bescheiden ausfallen, ist ein Ergebnis der Sinn, dass das Bankgeheimnis bedeutet, dass man es Fi- koalitionsinternen Auseinandersetzungen. Die Presse nanzbeamten verbietet, im Zuge ihrer Pflichten Steuer- schreibt, dass hier eine abgespeckte Form vorgelegt wor- ehrlichkeit zu überprüfen, und dass man ihnen keine In- den ist. Dies ist sicherlich keine unsachgemäße Beurtei- formationen über das Bankkonto gibt. Für uns sind lung. Leute, die unter Bankgeheimnis verstehen, dass das Fi- nanzamt keine Kontrollmöglichkeit hat, Hehler der Steu- (B) Im Übrigen ist hinzuzufügen, dass wir es nicht für gut erhinterziehung. (D) halten, dass hier im Grunde genommen nur eine Rechts- verordnung der Regierung erlaubt wird. Wir sind der (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Auffassung, dass der ständige Drang, das Parlament Winkelmeier [fraktionslos]) nicht an wichtigen Entscheidungen zu beteiligen, auch An der Situation hat sich noch nichts geändert, um das an dieser Stelle falsch ist. Es wäre besser gewesen, das einmal in aller Klarheit zu sagen. Parlament direkt zu beteiligen. Insofern möchte ich sagen: Wenn der Finanzminister (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert beispielsweise verbale Attacken gegen die Länder reitet, Winkelmeier [fraktionslos]) die Hehler der Steuerhinterziehung sind, dann hat er un- Für uns ist das Thema Steuerhinterziehung ein Un- sere Unterstützung. Wir würden uns nur wünschen, dass terthema des allgemeinen Themas Steuergerechtigkeit. die kräftigen Worte auch von kräftigem Handeln beglei- Wer Steuerhinterziehung glaubwürdig und glaubhaft be- tet werden. Dann würden wir Ihnen noch viel mehr zu- kämpfen will, muss glaubwürdig und glaubhaft sein, stimmen, Herr Bundesfinanzminister. wenn es darum geht, Steuergerechtigkeit in diesem (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Lande herzustellen. Winkelmeier [fraktionslos] – Dr. Guido (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Westerwelle [FDP]: Was denn sonst als Kaval- Winkelmeier [fraktionslos]) lerie?) Wenn man die Bilanz der Großen Koalition an dieser Was die Steuerpolitik betrifft, fand allerdings nicht Stelle betrachtet, dann sieht man, dass die Mehrwert- nur eine leidige Diskussion über das Bankgeheimnis steuererhöhung rund 25 Milliarden Euro ausmacht, dass statt. Bis vor einiger Zeit gab es sogar noch eine Amnes- die Absenkung der Beiträge zur Arbeitslosenversiche- tie für Steuersünder. Wer vor einiger Zeit eine Amnestie rung rund 25 Milliarden Euro ausmacht – davon entfällt für Steuersünder befürwortet hat, der ist wenig glaub- die Hälfte auf die Unternehmerseite – und dass eine Un- haft, wenn er ihnen jetzt auf einmal mit Strafe droht. Wir ternehmensteuerreform durchgeführt worden ist; unter- begrüßen diesen Gesinnungswandel. Daran, dass es schiedliche Schätzungen beziffern hier Entlastungen überhaupt einmal eine Amnestie für Steuersünder gab, zwischen 8 und 10 Milliarden Euro. Das ist keine Steu- die natürlich weit weniger gebracht hat, als damals er- ergerechtigkeit, sondern eine Umverteilung von unten wartet worden ist, wird aber deutlich, dass hier einiges in nach oben. Daran hat sich überhaupt nichts geändert. Schieflage geraten ist. Aufgrund einer jahrzehntelang Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache. verfehlten Politik ist das Empfinden für Steuergerechtig- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 23977

Oskar Lafontaine (A) keit insbesondere bei denjenigen, die dieses Empfinden Denn es ist wahr, dass alle Länder, um die es geht, in- (C) eigentlich haben müssten, verloren gegangen. zwischen von dieser Liste verschwunden sind. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Mit Blick auf diejenigen in der SPD-Fraktion, die Winkelmeier [fraktionslos]) noch zweifeln, möchte ich auf einen Aufsatz des ehema- ligen Bundesfinanzministers Eichel, der heute erschie- Wenn wir Steuerhinterziehung und Steueroasen be- nen ist, aufmerksam machen. Herr Eichel stellt darin zu kämpfen wollen, dann dürfen wir beim Steuerdumping Recht fest: Wer glaubt, dass durch die wenigen verbalen in Europa nicht Vorreiter sein. Davon, dass dies der Fall Bekundungen, die abgegeben worden sind, schon irgend- ist, ist aber nie die Rede. Zugespitzt formuliert könnte etwas gewonnen sei, der irrt gewaltig. Die Methode, man sagen: Bei der Vermögensteuer und der Körper- nach der derzeit vorgegangen wird, lautet: Man erklärt schaftsteuer ist Deutschland in Europa eine Art Steuer- freundlich, man wolle sich bemühen. In Wirklichkeit oase. Hinzu kommt, dass wir die anderen europäischen passiert aber so gut wie gar nichts. – Der ehemalige Bun- Länder praktisch zwingen, diesen Weg auch zu gehen desfinanzminister hat recht. und die Vermögenden immer weniger zu besteuern. Das ist ein Widerspruch: Wer die Steuerhinterziehung von Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung kommt zu Personen mit hohem Einkommen bzw. großem Vermö- dem Ergebnis, dass sich zwar gewisse Anfangserfolge gen bekämpfen will, der darf bei der Vermögensteuer einzustellen scheinen; ob sie dauerhaft sein werden, nicht an der Spitze der Steuerdumper in Europa stehen. bleibe aber völlig offen. Außerdem schreibt die FAZ, dass die Bundestagswahl wohl der Hauptgrund für den (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert von Steinbrück veranstalteten Lärm ist. Winkelmeier [fraktionslos]) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Meine Damen und Herren, nun nenne ich Ihnen die Winkelmeier [fraktionslos]) neuesten Zahlen, die jedermann zugänglich sind. Der Ich möchte es etwas anders formulieren: Lassen Sie Ih- Anteil der Einnahmen aus der Vermögensteuer am Brut- ren kräftigen Worten Taten folgen, Herr Bundesfinanz- tosozialprodukt beträgt in Deutschland 0,9 Prozent, in minister. Dann haben Sie die Linke auf Ihrer Seite. An Großbritannien 4,6 Prozent. Wenn man diese Differenz Ihren Taten mangelt es leider. auf das deutsche Bruttosozialprodukt umrechnet, stellt man fest: Allein aufgrund der laxen Vermögensbesteue- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert rung entgehen dem deutschen Staat, wie die internatio- Winkelmeier [fraktionslos]) nale Statistik zeigt, über 90 Milliarden Euro pro Jahr. Das wird auch deutlich, wenn man sich ansieht, wie Sie Steueroasen bekämpfen wollen. Natürlich kann man (B) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (D) mit viel Temperament und vollmundig vortragen, dass Auch das muss in dieser Debatte, die immer völlig los- man mit der Insel Jersey ein Abkommen getroffen hat. gelöst von Zahlen und Fakten geführt wird, einmal er- Wenn man dabei aber unterschlägt, dass dieses Abkom- wähnt werden. men überhaupt nichts wert ist, weil die Informationen, die erforderlich sind, überhaupt nicht vorliegen, da es Jetzt komme ich auf die Körperschaftsteuer zu spre- keine Bücher und keine Unterlagen gibt, dann täuscht chen; denn auch dieses Thema ist von Bedeutung. In der man die Öffentlichkeit. Tabelle, in der die Körperschaftsteuersätze ausgewiesen sind, steht Deutschland fast ganz unten. Etwas geringere (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Körperschaftsteuersätze gibt es nur in der Schweiz, in Winkelmeier [fraktionslos]) Bulgarien, Zypern und Irland. In allen anderen Staaten Wer bei der Bekämpfung der Steueroasen auf diese Art wird eine viel höhere Körperschaftsteuer als in Deutsch- und Weise vorgeht, der ist nicht besonders glaubwürdig. land erhoben. Auf diesem Gebiet haben Sie Steuerdum- ping betrieben. Solange Sie hier nach wie vor an vor- Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gibt noch derster Front stehen, sind Sie unglaubwürdig, wenn Sie eine andere Methode, wie man gegen Steueroasen vorge- vom Austrocknen der Steueroasen sprechen. hen kann – wir haben immer wieder gefordert, diesen Weg einzuschlagen –: Man muss sicherstellen, dass im (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Inland, also hier in Deutschland, keine kriminellen Ge- Winkelmeier [fraktionslos]) schäfte, wie Herr Eichel sie in seinem Aufsatz bezeich- Abgesehen von der Politik, die man im Inland be- net, getätigt werden können. Wäre der Bundesfinanzmi- treibt, gibt es zwei verschiedene Vorgehensweisen, um nister auf diesem Gebiet genauso tapfer und mutig, wie Steueroasen trockenzulegen. Die erste Methode besteht er es in verbaler Hinsicht gegenüber der Schweiz und ge- darin, auf internationaler Ebene entsprechende Bemü- genüber Luxemburg ist, dann würden wir ihn erst recht hungen anzustoßen. Herr Solms hat recht, dass der Hin- unterstützen. Hier fehlt es ihm aber an jeglichem Elan. weis auf die OECD-Liste natürlich lächerlich ist, weil (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert mittlerweile alle entsprechenden Länder von dieser Liste Winkelmeier [fraktionslos]) verschwunden sind. Wer also unter Verweis auf diese Liste einen Gesetzentwurf einbringt, der macht sich zu- Einen einfachen Weg, wie man hier vorgehen kann, hat mindest etwas unglaubwürdig. der ehemalige Bundeskanzler Schmidt vorgezeichnet. Er hat – wir haben das als Antrag eingebracht – schlicht und (Beifall bei der LINKEN) einfach gesagt: Wenn jemand krumme Geschäfte, krimi- 23978 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Oskar Lafontaine (A) nelle Geschäfte – ich zitiere den ehemaligen Bundes- Euro Abfindung, wenn man so will, auch noch prämiert (C) finanzminister Eichel – in großem Umfang macht, dann wird. ist das strafzubewehren. Das ist der sicherste und verläss- (Joachim Poß [SPD]: Er ist doch nicht prä- lichste Weg. Wer kriminelle Geschäfte mit Steueroasen miert worden! Da ist ein Vertragsanspruch er- macht, muss bestraft werden. füllt worden!) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert – Sie mögen das so sehen, Herr Poß. – Auf der anderen Winkelmeier [fraktionslos]) Seite ist eine Frau, die angeblich 1,30 Euro unterschla- Sie lehnen das ab und deuten hier nur bescheidene gen hat, entlassen worden. Das ist eine Ungerechtigkeit. Sanktionen an, zum Beispiel eine verschärfte Nachweis- Wir sehen das so, und die große Mehrheit der Bevölke- pflicht. Mit der Nachweispflicht sind ja in den vergange- rung sieht das ganz genauso. nen Jahrzehnten Erfahrungen gesammelt worden. Jetzt (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert heißt es – ich formuliere das einmal so, dass es einiger- Winkelmeier [fraktionslos]) maßen verständlich ist –: Wenn ihr der Nachweispflicht nicht nachkommt, könnt ihr bestimmte Dinge nicht mehr Das ist die Lage in unserem Lande: Der Steuerhinterzie- absetzen. Im Grundsatz ist das – ich wiederhole es – her lebt in Schlössern, während einer Frau, die angeblich durchaus zu begrüßen; aber ob das der entscheidende 1,30 Euro unterschlagen hat, die Existenz vernichtet Schlag gegen diese Praktiken ist, daran haben wir ernst- wird. hafte Zweifel. Hier stellt sich die Frage nach der Gerechtigkeit. Nur Im Übrigen komme ich nicht daran vorbei, darauf hin- wenn Gerechtigkeit in unserem Lande wieder Grundlage zuweisen, dass, wer solche krummen Geschäfte ernsthaft des Handelns wird, kann man Steuerhinterziehung untersagen will, auch bei den Hedgefonds glaubwürdig glaubwürdig bekämpfen. handeln sowie Zweckgesellschaften, mit denen Ge- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert schäfte außerhalb der Bilanz getätigt werden, und den Winkelmeier [fraktionslos]) Handel mit Giftpapieren verbieten müsste. Was nützen große Ankündigungen, dass man Steueroasen bekämpfen wolle, wenn beispielsweise die mit 18 Milliarden Euro Präsident Dr. Norbert Lammert: gesponserte Commerzbank weiterhin mit Giftpapieren Jürgen Trittin ist der nächste Redner für die Fraktion handeln, Geschäfte außerhalb der Bilanz tätigen und Bündnis 90/Die Grünen. krumme Geschäfte mit Hedgefonds und anderem unter- stützen kann? Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (B) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber (D) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Herr Solms, ich habe Ihnen aufmerksam zugehört. Wenn Winkelmeier [fraktionslos]) man die Konsequenz aus Ihrer Rede zieht, dann heißt Entscheidend ist letztendlich, dass die Bestimmungen das: Die Ursache der Steuerhinterziehung ist, dass Steu- auch auf der internationalen Ebene eher in die andere ern erhoben werden. Mit dieser Logik, lieber Herr Richtung gehen. Ich habe schon bei der Diskussion über Solms, haben Sie sich außerhalb der Seriosität katapul- den Europavertrag, den sogenannten Lissabon-Ver- tiert. Das wäre eher eine Bewerbungsrede als Honorar- trag, mehrfach darauf hingewiesen, dass nach diesem konsul in Hessen für das Fürstentum Liechtenstein. Vertrag Beschränkungen des Kapitalverkehrs mit Staa- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- ten der Europäischen Gemeinschaft, aber auch mit Dritt- wie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Guido staaten untersagt sind. Das ist doch völlig unzeitgemäß. Westerwelle [FDP]: Sie bringen uns auf Ideen!) Wie passt diese Passage zu dem Vorhaben, Steueroasen auszutrocknen? Lieber, Herr Binding, auch Ihnen habe ich aufmerk- sam zugehört. Sie haben gesagt, dass gegen Steuerhin- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) terziehung etwas geschehen soll. Wir kennen diese An- Wenn man Steueroasen austrocknen will, indem man kündigung schon aus der Debatte um den G-20-Gipfel Geschäfte mit Steueroasen verbietet, darf man nicht ei- Anfang April. Wir haben allerdings festzustellen, dass nem Vertrag zustimmen, der Beschränkungen des Kapi- sich an der Praxis in Guernsey oder auf den Cayman-In- talverkehrs mit Drittstaaten ausschließt. Das alles ist völ- seln bis heute nichts geändert hat. Das ist das Problem, lig widersprüchlich; doch dazu hören wir kein einziges wenn man den Versuch macht, mit Gordon Brown Steu- Wort. eroasen trockenzulegen: Das ist ungefähr so erfolgver- sprechend, als versuchte man, mit die Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich fasse zu- Mafia zu bekämpfen. sammen: Steuerhinterziehung zu bekämpfen, ist sicher- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – lich eine ehrenvolle Absicht. Aber Glaubwürdigkeit ver- Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – mittelt sich nicht über Worte, sondern ausschließlich Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Was hat der ita- über Taten. Man muss die Praxis sehen, wie wo was in lienische Regierungschef mit der Mafia zu diesem Lande sanktioniert wird. Eine Gegenüberstellung tun? Das müssen Sie uns mal erklären!) des Falls Zumwinkel und des Falls Emmely zeigt die wirkliche Situation in unserer Gesellschaft: Auf der ei- – Außer Herrn Westerwelle mit seinen großen internatio- nen Seite ist ein Steuerhinterzieher, der mit 20 Millionen nalen Kenntnissen hat das hier jeder verstanden. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 23979

Jürgen Trittin (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist übrigens nichts Skandalöses. Das erwarten wir von (C) und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten jedem normalen Lohnsteuerpflichtigen. der SPD) (Joachim Poß [SPD]: So ist es!) Wenn Sie jetzt etwas für die Bekämpfung der Steuer- hinterziehung tun wollen, dann frage ich Sie, Herr Fi- Ich verstehe die Aufregung an dieser Stelle nicht. nanzminister, warum es so lange gedauert hat, bis dieser (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gesetzentwurf den Weg in den Bundestag gefunden sowie bei Abgeordneten der SPD) hat. Ich habe einige Regierungserfahrung; aber ich habe es noch nie erlebt, dass ein Gesetzentwurf so oft auf der Man kann doch nicht auf der einen Seite zu Recht mit Tagesordnung stand und wieder abgesetzt worden ist wie erhobenem Zeigefinger anmahnen, dass Menschen, die dieser. Wie erklären Sie sich das? Wie erklären Sie es Unterstützung vom Staat bekommen – etwa Arbeits- sich, dass Herr Kauder an vorderster Stelle für die CDU/ losengeld II –, wahrheitsgemäß über ihre Vermögensver- CSU darangegangen ist, etwas, das angeblich in diesem hältnisse Auskunft geben müssen, aber auf der anderen Hause Common Sense ist – nämlich die Bekämpfung der Seite bei solchen Fällen für Intransparenz plädieren. Das Steuerhinterziehung –, mit Unterstützung der Kanzlerin ist in der Tat extrem ungerecht und verletzt das Gerech- mehrfach bzw. regelmäßig von der Tagesordnung des tigkeitsgefühl vieler Menschen. Kabinetts abzusetzen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dabei sagen Sie, Herr Oswald, dass Steuerhinterzie- Oskar Lafontaine [DIE LINKE]) hung kein Kavaliersdelikt ist. Wenn es ein ernstes Pro- Wird dieser Gesetzentwurf jemals in die Praxis umge- blem ist, dann dürfen Sie es nicht in dieser Form des setzt werden? Sie haben die Anwendung des Gesetzes Vertagens, Verzögerns und Verwässerns behandeln, wie für jeden Einzelfall explizit daran gebunden, dass es eine Sie es praktiziert haben. Rechtsverordnung gibt. Diese Rechtsverordnung muss (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit Zustimmung des Bundesrates verabschiedet werden. sowie bei Abgeordneten der SPD und der Das ist eine interessante Konstruktion, wenn man be- LINKEN) denkt, wie einzelne Bundesländer mit der Steuerkon- trolle und Steuereintreibung gerade in diesem Bereich Ich verstehe, dass dem Finanzminister angesichts der umgehen. Langsamkeit irgendwann der Geduldsfaden gerissen ist. Anders kann ich mir die verbalen Entgleisungen an Wir wissen heute, dass in bestimmten Bundesländern, (B) dieser Stelle nicht erklären. Dazu zählen Vergleiche wie insbesondere südlich der Mainlinie – also dort, wo Herr (D) der mit einem Land, das übrigens nicht auf der grauen Seehofer die Verantwortung trägt –, insbesondere bei Liste steht, oder der Vergleich mit der Kavallerie, mit der Einkommensmillionären außerordentlich zurückhaltend man die Schweizer wie einst die Indianer erschrecken mit der Prüfung von Einkommen vorgegangen wird. Wir wollte. Das ist übrigens eine Beleidigung – nicht für die wissen, dass in diesem Bereich – weil man diesen Perso- Schweizer Banken, sondern für die Indianer. nenkreis am Starnberger See halten möchte – schlicht und ergreifend lasch kontrolliert wird. Das ist einer der (Peer Steinbrück, Bundesminister: Wieso?) Gründe, warum wir sagen: Wir hätten schon längst eine Die Indianer haben immer versucht, im Einklang mit den wirkliche Bundessteuerverwaltung schaffen müssen, um natürlichen Ressourcen zu leben. Mir ist kein Indianer be- aus diesem Mechanismus herauszukommen. kannt, der dadurch richtig groß Geld gemacht hat, dass er allein bei den Schweizer Banken Vermögen aus der Bun- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN desrepublik Deutschland im Wert von ungefähr 120 Mil- und bei der SPD) liarden Euro dem Fiskus entzogen hätte. Beides auf eine Lieber Herr Steinbrück und liebe Christdemokraten, Stufe zu stellen, war in der Tat beleidigend für die India- das hieße, mit einer Politik gegen Steuerhinterziehung ner, aber nicht für die Schweizer Banken, Herr Steinbrück. Ernst zu machen und Steueroasen im eigenen Land auf- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zuheben. Wir könnten das übrigens auch ohne Bundes- steuerverwaltung schaffen. Wir müssten den Ländern Denn deren Geschäftsmodell ist in der Tat Hehlerei mit dann zugestehen, dass ihnen die Ergebnisse der Steuer- Schwarzgeld. Diese Praxis muss beendet werden. fahndungen uneingeschränkt zur Verfügung stehen. Deswegen ist es, denke ich, richtig, dass wir einen Lassen Sie uns hier doch einen föderalen Wettbewerb solchen Gesetzentwurf diskutieren. Dabei stellt sich aber machen und tatsächlich dafür sorgen, dass diejenigen, die Frage, ob dieser Gesetzentwurf geeignet ist, der Pra- die über große Vermögen und Einkommen verfügen und xis der legalen Steuerkürzungen der Müllermilchs und nicht der Quellenbesteuerung unterliegen wie jede nor- Boris Beckers in der Schweiz und der illegalen Steuer- male Arbeitnehmerin und jeder normale Arbeitnehmer hinterziehung der Zumwinkels und anderer wirklich ei- und jeder Beamter in diesem Land, vom Fiskus anstän- nen Riegel vorzuschieben. Daran habe ich Zweifel. Ich dig kontrolliert werden! habe Zweifel an einer Gesetzeskonstruktion, die vor- Letzte Bemerkung. sieht, dass Steuervergünstigungen nur dann in Anspruch genommen werden können, wenn kooperiert wird. Das (Volker Kauder [CDU/CSU]: Es reicht auch!) 23980 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Jürgen Trittin (A) Lieber Herr Steinbrück, Sie haben gesagt, Sie wollten denn er hat sich zum ersten Mal positiv mit den Roten (C) das sehr ernst nehmen und dagegen vorgehen. Ich habe befasst. Allerdings hat er dabei die Indianer gemeint. aber gelegentlich den Eindruck: Manchmal spielen Sie Genauso freue ich mich, dass dieses die Beiträge auch selber gerne Indianer und sind nicht die Kavallerie. meiner Vorredner durchgängig begleitet hat. Insofern ist Es gibt inzwischen eine Reihe von Banken in diesem das ein Bild, mit dem sich viele befassen. Ich gebe gerne Land, die mit massiven Bürgschaften von Steuergeldern zu: Das Steuerhinterziehungsphänomen war bei den In- daran gehindert werden, in die Insolvenz oder in Kon- dianern nicht sehr verbreitet. Daher habe ich damit nicht kurs zu gehen. Es gibt inzwischen auch Banken, die teil- die schlechteste Gruppe ausgewählt. verstaatlicht sind, darunter zum Beispiel die Commerz- bank. Sie gehört uns zu 25 Prozent plus einer Aktie. Es Was den Hinweis von Herrn Solms betrifft, dass Steu- ist interessant, zu sehen, was die Commerzbank zusam- erhinterziehung und Steuerbetrug in Deutschland betrie- men mit ihrer leidenden Tochter Dresdner Bank macht. ben würden, weil die Steuergesetzgebung hier zu scharf Diese Bank findet es nach wie vor hoch attraktiv, mit und zu komplex sei, so ist dies, wie ich finde, eine Ver- Standorten und Tochterunternehmen in der Schweiz, in harmlosung des Phänomens. Luxemburg, auf den Kanalinseln und den Cayman-In- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten seln aktiv zu sein. Das alles sind Orte, die auf der grauen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liste der OECD stehen. Lieber Herr Steinbrück, wo ist denn da Ihre Kavallerie? Habe ich die an dieser Stelle Das erklärt auch nicht, warum Deutschland von anderen schon einmal gesehen? Ländern maßgeblich unterstützt wird, in denen nach Ih- rer Wahrnehmung das Steuergesetzgebungssystem of- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fenbar sehr viel weniger komplex und einfacher ist. und bei der LINKEN) Ich weise auf die Unterstützung hin, die wir innerhalb Ist schon einmal ein Beamter des Bundesfinanzministe- der OECD von Ländern wie den USA bekommen. Ähn- riums an dieser Stelle aktiv geworden? Die Commerz- liches gilt auch für Frankreich: gleiche Phänomene und bank gehört Ihnen doch quasi. Stattdessen wird in den gleiche Erscheinungsformen. Offenbar ist weltweit die Prospekten dieser Bank mit „attractive tax laws“ um ver- Besteuerung so hoch, dass deshalb Steuerhinterziehung mögende Privatkunden geworben. Es wird beteuert: „All und Steuerbetrug betrieben werden. Ich glaube, dass bank employees in the Principality of Monaco are re- man dieses Phänomen nicht damit entschuldigen oder quired to observe strict banking secrecy.“ In einer teil- verharmlosen kann, indem man auf die Steuergesetzge- weise bundeseigenen Bank werden solche Produkte an- bung in Deutschland verweist. Im Übrigen bewegt sich geboten. Lieber Herr Steinbrück, Sie sind bei der die Steuerquote in Deutschland im Durchschnitt der Commerzbank gegen unsere Empfehlung nur stiller Ge- OECD- und der 27 EU-Länder. (B) sellschafter. Das heißt aber für mich, zurzeit sind Sie (D) trotz aller Lautstärke, die Sie in der Politik an den Tag Wenn Sie darauf hinweisen, dass die Bundesregie- legen, stiller Gesellschafter an Geschäftsmodellen, die rung hier tatenlos sei, dann verstehe ich nicht die Aufre- deutschen Steuerzahlern Milliarden erlassen. Das, lieber gung und die Reaktion im Ausland auf unsere Aktivitä- Herr Steinbrück, macht Ihren Kampf gegen Steueroasen ten. unglaubwürdig. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Es ist maßgeblich diese Bundesregierung gewesen, die und bei der LINKEN) innerhalb der OECD, der G 7 und der G 20 tätig gewor- Ich empfehle Ihnen eines: leiser sprechen, strikter und den ist. Es ist maßgeblich dieser Bundesregierung und konsequenter handeln. Dann müssen Sie sich nicht dem ihren Aktivitäten zu verdanken, dass sich inzwischen Vorwurf aussetzen, zu langsam, zu laut und zu lax zu eine ganze Reihe von Steueroasen, Jurisdiktionen und sein, und das alles zugleich. auch Nationalstaaten mit uns in Verbindung setzen, die den Art. 26 des OECD-Musterabkommens anerkennen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen. Insofern lasse ich mir nicht vorwerfen, dass hier sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Tatenlosigkeit oder Laxheit vorherrscht, wie auch immer Herr Trittin das genannt hat. Wir sind in den letzten Mo- Präsident Dr. Norbert Lammert: naten mit Blick auf die Bekämpfung von Steuerhinter- Das Wort erhält nun der Bundesfinanzminister Peer ziehung und Steuerbetrug vielmehr deutlich vorange- Steinbrück. kommen; das freut mich. (Beifall bei der SPD) Ich nenne es beim Namen: Steuerhinterziehung und erst recht Steuerbetrug sind schlicht und einfach krimi- Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen: nell. Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Eduard ren! Zuerst möchte ich mich bei Herrn Solms bedanken, Oswald [CDU/CSU]) dass er weite Teile seiner Redezeit dazu genutzt hat, sich mit mir zu befassen. Ich habe mich ein bisschen darüber Schätzungen des Internationalen Währungsfonds wei- gewundert, wie wenig er sich mit dem eigentlichen Phä- sen aus, dass sich die verlorenen Einnahmen für die nomen oder Problem der Steuerhinterziehung bzw. des verschiedenen Fisci weltweit in der Größenordnung Steuerbetruges befasst hat. Aber ich danke ihm herzlich; von 2 bis 12 Billionen US-Dollar bewegen dürften. Ge- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 23981

Bundesminister Peer Steinbrück (A) mäß den Schätzungen für Deutschland verlieren die öf- Anschauen von irgendwelchen Filmen, insbesondere (C) fentlichen Haushalte durch Steuerhinterziehung und von Western, zum Besten zu geben. Sehr nüchtern ge- Steuerbetrug wahrscheinlich weit über 100 Milliarden sprochen: Wir wollen nicht verharmlosend darüber hin- Euro. Das ist der Punkt. Darüber reden wir diplomatisch weggehen, dass es Jurisdiktionen, Steueroasen und Na- nicht mehr hinweg. Vielmehr ist dieses Phänomen beim tionalstaaten gibt, die nicht nur billigend in Kauf Namen zu nennen und zu bekämpfen. nehmen, sondern vorsätzlich dazu einladen, dass deut- sche Steuerzahler ihr Geld mit der klaren Absicht dort (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Eduard hintransferieren, Steuerhinterziehung und Steuerbetrug Oswald [CDU/CSU]) zu betreiben. Das darf man diesen Ländern auch sagen. Sie haben recht, Herr Trittin: Das gilt auch für die Ak- (Beifall bei der SPD – Dr. Guido Westerwelle tivitäten von deutschen Banken, allerdings nicht nur [FDP]: Welche?) dort, wo der Bund beteiligt ist, etwa bei der Commerz- bank, sondern insbesondere auch bei staatseigenen Ban- – Ich behaupte, dass das im Fall der Schweiz ganz klar ken. der Fall ist. Gleiches gilt für Liechtenstein. ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Frank Schäffler [FDP]: Unglaublich!) NEN]: Da kann man doch etwas machen!) – Selbstverständlich ist es das. Deshalb bin ich sehr dankbar, wenn die Grünen dort, wo sie in der Regierung sind und wo Landesbanken eben- (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Luxemburg falls betroffen sind, dieselben Aktivitäten wie wir entfal- auch?) ten. – Luxemburg ist zusammen mit Österreich dabei, das zu (Beifall bei der SPD – Dr. Thea Dückert tun, was wir für richtig erachten: Diese Entwicklung ha- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht ablen- ben wir mit ausgelöst, indem wir diese Länder gebeten ken! Was ist mit der Commerzbank?) haben – dem werden sie entsprechen –, dass sie auf der Basis des Art. 26 des OECD-Musterabkommens mit uns Insofern sollte man immer vorsichtig sein, mit einem verhandeln. Mit Luxemburg und Österreich führen wir Finger auf jemanden zu zeigen, wenn drei Finger auf ei- bereits solche Gespräche. Damit haben wir den Informa- nen selbst zeigen. tionsaustausch, den wir herbeiführen wollen; und in die- (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sen Fällen ist das Problem beseitigt. Im Fall der Schweiz NEN]: Sagen Sie etwas zur Commerzbank!) warte ich darauf, dass wir über Sondierungen hinaus, die wir bereits durchgeführt haben, konkrete Verhandlungen Warum ist der Verlust von Einnahmen von so großer (B) aufnehmen. Ich werde den Standpunkt einnehmen, dass (D) Bedeutung? Erstens. Man könnte mit diesen Einnahmen diese nicht jahrelang dauern dürfen, sondern dass sie re- in der Tat – ich glaube, Herr Oswald hat das gesagt – in lativ schnell zum Abschluss gebracht werden müssen, Deutschland die Steuersätze senken. Zweitens. Wenn und zwar auf der Basis des Musterabkommens der wir diese Einnahmen hätten, dann könnten wir in OECD, und ich hoffe, dass der Informationsaustausch Deutschland Investitionen in die Zukunft tätigen. dann erfolgt. (Dr. Peter Struck [SPD]: Richtig!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Drittens. Viele Menschen – das ist noch wichtiger – füh- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) len sich, wenn sie ihre Steuern ehrlich zahlen, als die Im Übrigen beobachte ich sehr genau, wie andere Dummen. Das berührt in der Tat – das will ich nicht vom Staaten, insbesondere die USA, damit umgehen, Herr Tisch wischen – die Steuergerechtigkeit und die Not- Westerwelle. Mit einer gewissen Bewunderung stelle ich wendigkeit, dass der Staat die Anerkennung und Erfül- fest, wie weit die Amerikaner in der Schweiz vorange- lung der Steuergesetzgebung in Deutschland herbeiführt. kommen sind, um die Informationen über US-Steuerbür- Das ist der Grund, warum dieses Thema sehr hochrangig ger zu bekommen, die sie benötigen, um Steuerhinterzie- zu veranschlagen ist. hung zu bekämpfen. Ich denke insbesondere an eine Mein Eindruck ist auch, dass nicht zuletzt vor dem konkrete Bank. Ich wäre sehr dankbar, wenn auch Sie Hintergrund der derzeitigen Finanz- und Wirtschafts- persönlich bei Ihren Besuchen in der Schweiz mich darin krise viele Menschen umso eher erwarten, dass wir Steu- unterstützen würden, dass wir diesen Fortschritt bei der erbetrug und Steuerhinterziehung sehr ernsthaft und ehr- Schweiz erreichen. geizig verfolgen. Das spielt in der Wahrnehmung von (Beifall bei der SPD – Joachim Poß [SPD]: Gerechtigkeit, Balance und Ausgleich in dieser Situation Genau! Bei den regelmäßigen Besuchen und eine große Rolle. Ohnehin haben schon viele Menschen Vorträgen! – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: den Eindruck, dass Verluste sozialisiert werden, nach- Dem Wunsch kann ich leider nicht entspre- dem vorher exorbitante Gewinne privatisiert worden chen, Herr Minister!) sind, und dass darüber eine Unwucht in unser Wirt- schafts- und Sozialsystem hineingekommen ist. Ich denke dabei gerade auch an Ihre Vorträge, wo immer in der Schweiz diese stattfinden. Es wäre gut, wenn Sie (Beifall bei der SPD) sich weniger in Bezug auf meine Person mit Stilfragen Darüber hinaus habe ich keine Veranlassung, meine aufhalten würden – über die kann ich gerne reden –, wir Bilder zu wiederholen oder meine Erfahrungen aus dem sollten vielmehr zur Substanz dieses Themas kommen, 23982 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Bundesminister Peer Steinbrück (A) und die Substanz heißt: Steuerhinterziehung und Steuer- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (C) betrug. Es geht vielmehr darum, dass diejenigen, die Ge- (Beifall bei der SPD – Joachim Poß [SPD]: schäftsbeziehungen zu einem Staat haben, der den Darüber redet Herr Westerwelle nicht in der OECD-Standards nicht entspricht, besondere Mitwir- Schweiz!) kungs- und Informationspflichten haben. Wenn je- mand diesen Mitwirkungs- und Informationspflichten Mit Blick auf das, was in London und auf OECD- entspricht, hat er nichts zu befürchten. Wenn er diesen Ebene verabredet worden ist, bedanke ich mich aus- besonderen und erhöhten Nachweis- und Mitwirkungs- drücklich bei meinem französischen Kollegen Éric pflichten allerdings nicht entspricht, dann gibt es Sank- Woerth, der verantwortlich dafür ist, dass wir im Herbst tionsmechanismen, auf die ich im Einzelnen nicht ein- letzten Jahres eine folgenreiche Konferenz zusammen gehe. Insofern glaube ich, dass dieses abgestufte mit der OECD in Paris haben veranstalten können. Ich Verfahren völlig richtig ist. Es gilt: Je mehr ein anderer werde eine Nachfolgekonferenz im Juni in Deutschland Staat kooperiert und für die Besteuerung notwendige einberufen. Selbstverständlich werden die Länder einge- Auskünfte erteilt, umso weniger Nachweise muss der laden, die OECD-Mitglieder sind. Bei der Pariser Veran- betroffene Geschäftspartner hier in Deutschland erbrin- staltung sind leider einige von diesen nicht gekommen, gen. aber sie waren herzlich eingeladen. Sie hätten sich gerne an dem Prozess beteiligen können. Es ist ihre souveräne Im Übrigen sage ich mit Blick auf diejenigen, die uns Entscheidung, das nicht getan zu haben. Ich bitte aber außerhalb Deutschlands zuhören: Das betrifft aus- darum, sich nicht hinterher zu beklagen, dass keine ein- schließlich deutsche Staatsbürger, deutsche Steuerbür- ladende Offerte ihnen gegenüber gemacht worden sei. ger, nicht etwa die Bürger in anderen Ländern, die selbstverständlich einer anderen souveränen Sphäre zu- Ich strebe, wie ich unterstreichen möchte, die maß- zuordnen sind. gebliche Unterstützung aus anderen Ländern an, insbe- sondere aus den USA. Ich freue mich über die inzwi- (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das ist schon schen ergriffene Initiative der EU-Kommission, auch die einmal eine unglaubliche Erleichterung!) EU-Zinsrichtlinie zu erweitern, und zwar materiell wie Besteht mit dem jeweiligen Staat bzw. Gebiet ein Ab- auch geografisch. Das soll dahin gehend erfolgen, dass kommen, das die Übermittlung der Auskünfte nach dem wir uns nicht nur auf die Zinseinkünfte beziehen, son- Standard der OECD gewährleistet, oder ist sonstige Aus- dern auf Kapitaleinkünfte jedweder Art, angefangen bei kunftsübermittlung sichergestellt, entstehen keine beson- Veräußerungsgewinnen über Dividenden bis hin zu den deren Mitwirkungs- und Informationspflichten für die Zinsen. Weiterhin sollen nicht nur persönliche Stiftun- (B) Bürgerinnen und Bürger in Deutschland. Dies halte ich (D) gen, sondern auch juristische Stiftungen ins Visier ge- für richtig und notwendig. nommen werden. Mit der EU-Zinsrichtlinie soll allen EU-Mitgliedstaaten zur Auflage gemacht werden, dass Ich will abschließend darauf hinweisen, dass diese sie bei den Verhandlungen über Doppelbesteuerungsab- OECD-Liste in dieser Debatte etwas unvollkommen, je- kommen mit Drittstaaten, will sagen: mit außereuropäi- denfalls nicht vollständig dargestellt worden ist. Sie be- schen Staaten, den Art. 26 des OECD-Musterabkom- steht aus drei Kategorien. In der einen Kategorie sind mens zugrunde legen. Ich wäre sehr dankbar, wenn diese Nationalstaaten aufgeführt, die darüber teilweise sehr Bemühungen der EU-Kommission auch vom Europäi- verwundert, aufgeregt oder erbost sind. Insofern kann schen Parlament, namentlich von der EVP, unterstützt ich Ihre Bewertung über die Wirkungskraft dieser Liste würden; denn das ist wichtig, um zu Steuerehrlichkeit in nicht nachvollziehen, Herr Trittin. Deutschland beizutragen. (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das war Herr (Beifall bei der SPD) Solms! Herr Trittin ist da drüben!) Insofern kann ich den Vorwurf des Attentismus, der – Ja. Nehmen wir es mit Humor, Herr Westerwelle. Der indirekt von Herrn Trittin, massiv von Herrn Lafontaine ist Ihnen doch auch zu eigen. – das gehört offenbar zu seinem Auftritt – kam, keines- (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Bei Ihnen wegs nachvollziehen. Ich weise den Vorwurf mit Blick muss man aufpassen! Nicht dass Sie die Ka- auf die Anstrengungen der Bundesregierung, die in den vallerie schicken!) vergangenen Monaten gemacht worden sind, zurück. Richtig ist, dass wir uns nicht nur auf internationaler – Sie müssen es wieder bemühen. Keine Frage, man Ebene einsetzen können; wir müssen uns vielmehr auch kann es auch anders ausdrücken, aber wir wollen hier auf nationaler Ebene einsetzen. Das ist der Grund des nicht alles so gestanzt von uns geben. vorliegenden Gesetzentwurfes, von dem jeder steuerehr- Ich war stehen geblieben bei der Bemerkung, dass liche Bürger in Deutschland nichts zu befürchten hat, diese Liste aus drei Kategorien besteht. Ich gestehe den rein gar nichts. Kritikern außerhalb Deutschlands gern zu, dass diese (Joachim Poß [SPD]: Genau so ist es!) Liste nicht widerspruchsfrei und an manchen Stellen nicht vollzählig ist. Andere Gebiete hätten auch mit auf- Insofern sind der Vorwurf des gläsernen Steuerbürgers geführt werden müssen. Aber mir war wichtig, dass und diese ganzen Horrorgemälde völlig unangebracht. diese Liste eine Wirkungskraft entfaltet, und das tut sie. Sie haben mit den Fakten nichts zu tun. Das sage ich übrigens auch mit Blick auf die von jeman- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 23983

Bundesminister Peer Steinbrück (A) dem – ich glaube, von Herrn Trittin – zitierten Jurisdik- (Beifall bei der FDP – Joachim Poß [SPD]: So (C) tionen im Bereich des Vereinigten Königreiches in Be- ein Quatsch!) zug auf die Inseln Jersey und Guernsey. Eine dieser Inseln hat bereits den OECD-Standard akzeptiert, andere Auf die Länder, die Sie genannt haben, wirkt es beleidi- sind dazu bereit, haben sich dementsprechend erklärt. gend, wenn Sie sie mit den ärmsten Ländern dieser Welt auf eine Stufe stellen. Das ist in diesen Ländern mit Bei diesem Thema geht es um alles andere als ein Recht kritisiert worden. Nachdem Sie das afrikanische Räuber-und-Gendarm-Spiel der Politik. Ich glaube, es ist Land Burkina Faso als Beispiel genannt hatten, habe ich die unbedingte Pflicht der Politik, gegen diejenigen vor- gestern im Finanzausschuss nachgefragt, ob Ouagadougou zugehen, die in Deutschland Steuern hinterziehen; denn tatsächlich auch zu dieser Konferenz eingeladen wird. Steuerhinterziehung – da stimme ich dem zu, was Herr Da hat Ihnen Ihre eigene Staatssekretärin widerspro- Oswald gesagt hat – ist kein Kavaliersdelikt. Jeder in chen: Ouagadougou bekommt keine Einladung zu Ihrer Deutschland hat die Pflicht, Steuern zu zahlen, auch und Konferenz. Man ist sich also innerhalb Ihres eigenen Mi- gerade diejenigen, die am ehesten in der Lage sind, Ka- nisteriums nicht einig, wen man zu dieser Konferenz pital in andere Länder zu transferieren. Das ist erkennbar einladen will. Das zeigt die Zerrissenheit in Ihrem eige- nicht der Metallarbeiter in der untersten Tariflohn- nen Ministerium. gruppe, das ist erkennbar nicht die alleinerziehende Ver- käufern, die mit 1 000 Euro netto oder weniger nach (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Hause kommt, sondern die Forderung richtet sich in der Man darf nicht immer nur herausposaunen, sondern man Tat an andere Bevölkerungs- und Einkommensschich- muss am Ende auch zu dem stehen, was man öffentlich ten. Auch dies darf beim Namen genannt werden, ohne gesagt hat. dass daraus immer wieder eine Neiddebatte geboren wird. (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Herr Präsi- dent, die Fischstäbchen sind zu laut!) (Beifall bei der SPD) Herr Minister, Sie messen mit zweierlei Maß. Sie tun Gerade diesen Einkommensschichten, sehr stark ver- so, als wenn Sie als Minister und Ihre Regierung sauber treten auch in den Funktionseliten unserer Gesellschaft, und ehrlich gegenüber dem Steuerbürger in Deutschland verlange ich gerade in dieser Zeit eine besondere Vor- wären. Das Gegenteil ist der Fall – das will ich Ihnen bildfunktion ab. Je stärker sie glauben, dass Steuerhin- ganz deutlich sagen –: In dieser Legislaturperiode hat terziehung und Steuerbetrug Kavaliersdelikte sind, desto diese Bundesregierung allein 51 Nichtanwendungs- stärker tragen sie in dieser Krise dazu bei, dass das erlasse veröffentlicht. bewährte Ordnungsmodell der sozialen Marktwirtschaft (B) in seinen Legitimationsgrundlagen hinterfragt wird. Es (Beifall bei Abgeordneten der FDP) (D) sind nicht diejenigen, die dieses System verändern wol- len, sondern es sind die Protagonisten selber, die durch Höchstrichterliche Urteile zur betrieblichen Altersvor- Steuerhinterziehung und Steuerbetrug, durch Korruption sorge, zu Dienstwagen etc. wurden nicht in Rechtskraft und andere Erscheinungsformen wie Maßlosigkeit, Ex- umgesetzt. Diese Urteile sind also nicht auf die Allge- zesse, Übertreibungen dieses Wirtschafts- und Sozial- meinheit angewandt, sondern nur im Einzelfall berück- modell infrage stellen. sichtigt worden. Herr Minister, Sie haben die Finanz- behörden angewiesen, den Menschen nicht zu gewähren, Herzlichen Dank fürs Zuhören. was ihnen zusteht. Das ist ein Skandal, der an dieser (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Stelle ebenfalls diskutiert werden muss. der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Sie können nicht immer nur auf andere zeigen, sondern Nächster Redner ist der Kollege Frank Schäffler für müssen auch in Ihrem eigenen Haus aufräumen und Ver- die FDP-Fraktion. trauen unter den Steuerbürgern schaffen. Das Miss- trauen, das Sie – mit Recht – beklagen, haben Sie teil- (Beifall bei der FDP) weise selbst erzeugt. Der Bundesrat hat Ihnen ins Stammbuch geschrie- Frank Schäffler (FDP): ben, dass Sie mit diesem Gesetz über das Ziel hinaus- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- schießen. Davon betroffen sind nämlich nicht nur dieje- ren! Herr Finanzminister, es geht nicht darum, dass wir nigen, die Sie erreichen wollen; vielmehr greifen Sie nicht gegen Steuerbetrug sind. Es geht hier um den Stil, ganz massiv in die Angelegenheiten von Unternehmen den Sie an den Tag legen. Der eigentliche Skandal ist, und Bürgern ein, die mit den genannten Ländern ganz dass die Bundeskanzlerin daneben sitzt und nichts dazu normale Geschäfte betreiben. Ich will aus der Empfeh- sagt und dass der Außenminister, also Ihr Kanzlerkandi- lung der Ausschüsse des Bundesrates zitieren: dat, ebenfalls schweigt, Die erhöhten Mitwirkungspflichten treffen auch (Thomas Oppermann [SPD]: Der Außenminis- den steuerehrlichen Unternehmer, der Geschäftsbe- ter hat alles Notwendige gesagt!) ziehungen zu einem Staat unterhält, der der deut- während Sie gleichzeitig einen Flurschaden in Europa schen Steuerverwaltung keine Auskünfte in Steuer- und international anrichten. Das ist der Skandal. sachen erteilt. 23984 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Frank Schäffler (A) Sie sehen, selbst die Landesregierungen sind skep- das zum Teil auch schon getan. Wir haben eine interna- (C) tisch, was das von Ihnen avisierte Maß angeht. tional wettbewerbsfähige Abgeltungsteuer und eine Steuerentlastung für thesaurierte Gewinne eingeführt. Meine große Sorge ist, dass Sie an dieser Stelle das Dies gilt es fortzusetzen. Ein einfaches und verständli- Kind auch insofern mit dem Bade ausschütten, als Sie ches Steuerrecht sowie international wettbewerbsfähige eine Politik des Protektionismus befördern. Ähnliches Steuersätze sind notwendige Bestandteile eines Kon- machen Sie schon bei den Staatsfonds, indem Sie poten- zepts zur Vermeidung der Steuerflucht. zielle ausländische Investoren dadurch abschrecken, dass Sie deren Investitionen von der Zustimmung der je- Nun ist aber keiner von uns so naiv, zu glauben, dass weiligen Regierung abhängig machen. Hinzu kommt, Herr Zumwinkel deshalb nach Liechtenstein gegangen dass Sie durch dieses Gesetz auch die inländischen Un- ist, weil ihm das deutsche Steuerrecht zu kompliziert ternehmen abschrecken, weil Sie sie dazu zwingen, hier, war. in unserem Land, Geschäfte zu betreiben. (Beifall bei der SPD) Meine Erkenntnis ist: Sie haben aus der Weltwirt- schaftskrise der 30er-Jahre des vergangenen Jahrhun- Das sagt auch niemand. Es gibt leider auch Bürgerinnen derts nichts gelernt. Diese Weltwirtschaftskrise wurde und Bürger, die bewusst Steuern hinterziehen und die nämlich durch Abschottung, durch Steuererhöhungen Lasten der Gemeinschaft nicht mittragen wollen. Das und durch Protektionismus unnötig verlängert. können wir nicht tolerieren. Deshalb muss das Risiko, dass Steuerdelikte aufgedeckt und geahndet werden, er- Hören Sie endlich auf, eine Symbolpolitik zu betrei- höht werden. Der ehrliche Steuerzahler darf nicht der ben, die letztendlich auf den Wahlkampf im Inland aus- Dumme sein. gerichtet ist! Dadurch hinterlassen Sie außenpolitisch ei- nen Scherbenhaufen. Die Kanzlerin muss Einhalt (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) gebieten, wenn es der Finanzminister selbst nicht merkt. Es ist Zeit, dass sowohl die Kanzlerin als auch der Außen- Herr Bundesminister, bei allen gesetzgeberischen minister, der ja Ihr Kanzlerkandidat ist, den politischen Notwendigkeiten: Die Steuerfahndung in Deutschland Amoklauf des Finanzministers stoppen. war grundsätzlich erfolgreich. Wir haben Jahr für Jahr 40 000 Verfahren, 17 000 Strafverfahren und Mehrein- (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Na, na, nahmen in Milliardenhöhe. na! Sie haben doch gerade über Stil gespro- chen, oder?) Steuerhinterziehung kann auch hart bestraft werden, nämlich mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren. Ich Vielen Dank. glaube nicht, dass wir diesen Strafrahmen erhöhen müs- (B) (D) (Beifall bei der FDP – Thomas Oppermann sen. Das Problem liegt vielleicht eher in der Ausschöp- [SPD]: Eine etwas missglückte Rede!) fung dieses Strafrahmens durch die Gerichte. Der Bun- desgerichtshof hat in einem Grundsatzurteil vom 2. De- Präsident Dr. Norbert Lammert: zember 2008 klargestellt, dass bei einer Steuerhinter- Manfred Kolbe ist der nächste Redner für die CDU/ ziehung die Höhe des Hinterziehungsbetrags ein ganz CSU-Fraktion. entscheidendes Strafzumessungskriterium ist. Das heißt klipp und klar: Diejenigen, die Steuern in Millionenhöhe (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) hinterziehen, wandern künftig tatsächlich ins Gefängnis, und das ist auch gut so. Manfred Kolbe (CDU/CSU): (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und der SPD) Kollegen! Steuerehrlichkeit und Bekämpfung der Steuer- hinterziehung stehen seit der spektakulären Verhaftung Wir waren bei der Gesetzgebung aktiv. Diese Große des Exvorstandsvorsitzenden der Post, Klaus Zumwinkel, Koalition war erfolgreicher als ihre rot-grüne Vorgänge- im Mittelpunkt des öffentliches Interesses, und – das rin, was die gesetzgeberische Bekämpfung der Steuer- sage ich ganz deutlich – das ist auch gut so. hinterziehung betrifft. Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt. Steuer- (Beifall bei der CDU/CSU) hinterziehung muss von uns energisch bekämpft werden. Deshalb verabschieden wir heute den Antrag der Koali- Wir haben den verunglückten § 370 a der Abgabenord- tionsfraktionen mit dem Titel „Steuerhinterziehung be- nung abgeschafft, der nicht rechtsstaatlich fassbar war, kämpfen“. Wir bringen zudem den Koalitionsentwurf ei- und haben die Qualifizierungen rechtsstaatsfest neu ge- nes Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetzes ein. regelt. Wir haben die Verjährungsfrist für besonders schwere Fälle der Steuerhinterziehung von fünf auf zehn Ich sage aber auch deutlich an beide Seiten des Hau- Jahre verlängert. Wir haben erstmals die Möglichkeit der ses: Wie bei jeglicher Kriminalitätsbekämpfung besteht Telekommunikationsüberwachung bei Steuerhinterzie- die Bekämpfung auch hier aus Prävention und Repres- hung geschaffen: Bei der bandenmäßigen Umsatz- und sion. Das eine geht nicht ohne das andere. Das gilt für Verbrauchsteuerhinterziehung ist künftig eine Telekom- Drogendelikte genauso wie für Steuerhinterziehung. munikationsüberwachung möglich. Diese Bundesregie- Deshalb müssen wir durch unsere Steuergesetzge- rung war also aktiv, und sie wird das auch in Zukunft bung präventiv die Steuerehrlichkeit fördern. Wir haben sein. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 23985

Manfred Kolbe (A) Wir haben gemeinsam den Antrag „Steuerhinterzie- ertrag- oder Kapitalabzugsteuer oder eine Steuerbefrei- (C) hung bekämpfen“ eingebracht, der eine Vielzahl von ung für Dividenden zu versagen. Maßnahmen enthält. Ich greife einmal die wichtigsten heraus. Wir wollen eine Überarbeitung und umfassende Auch hierzu ist klar zu sagen: Die Union weiß, dass Erweiterung der Europäischen Richtlinie zur Zinsbe- maßgebliche Teile der Steuerhinterziehung im interna- steuerung. Diese Richtlinie muss für alle Kapitalein- tionalen Bereich stattfinden. Wir müssen deshalb hier künfte gelten, und sie muss alle Personen erfassen. Wir aktiv werden. Beachtliche Erfolge, Herr Bundesminister brauchen einen verbesserten Informationsaustausch auf Steinbrück, sind auf dem letzten G-20-Gipfel und da- internationaler Ebene. Wir können nur international er- rüber hinaus erzielt worden. folgreich sein. Wir sagen aber auch ganz klar: Die Bekämpfung der Herr Bundesminister Steinbrück, deshalb frage ich internationalen Steuerhinterziehung darf nicht auf dem Sie auch: Waren Äußerungen, wie ich sie vor zwei Tagen Rücken derer ausgetragen werden, die im grenzüber- gelesen habe, in denen Luxemburg, Liechtenstein, die schreitenden Waren- und Dienstleistungsverkehr tä- Schweiz, Österreich sowie Ouagadougou sozusagen auf tig sind. Dies muss in den kommenden Beratungen noch eine Stufe gestellt wurden, wirklich nötig? Der alte in der einen oder anderen Hinsicht verifiziert werden. Cicero hat einmal gesagt: Suaviter in modo, fortiter in re. Hier gilt das Struck’sche Gesetz: Der Deutsche Bundes- Das heißt: Moderat im Ton, hart in der Sache. Ich tag entscheidet souverän. glaube, das ist der richtige Weg, um bei der Bekämpfung Zu diesem Gesetzentwurf mache ich deshalb noch der Steuerhinterziehung mehr Erfolge zu erzielen. drei Anmerkungen: Zunächst war dessen Einbringung in (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) die politische Diskussion ungewöhnlich. Im Herbst ha- ben wir über viele Wochen den gemeinsamen Antrag Herr Trittin, als stellvertretender Vorsitzender der „Steuerhinterziehung bekämpfen“ beraten; er stand kurz deutsch-italienischen Parlamentariergruppe muss ich vor der Verabschiedung. Völlig überraschend und unab- Ihre Äußerung von vorhin aufgreifen. Ich habe das so gestimmt kam dann über Weihnachten der Referenten- verstanden: Mit XY die Steuerhinterziehung zu bekämp- entwurf aus dem Bundesfinanzministerium. Dies kann fen ist genauso vergeblich, wie mit Berlusconi die Ma- man so machen; aber man setzt sich dann dem Verdacht fia zu bekämpfen. Vielleicht können Sie sich dazu noch aus, dass es einem eher um die Publicity als um Inhalte einmal erklären. Ich halte diese Äußerung für äußerst geht. Uns geht es um die Inhalte. problematisch. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Er hat (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – uns in der Sache unterstützt!) Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (B) (D) Ich kann Ihnen da ein italienisches Buch ge- Zweitens zäumt der Gesetzentwurf das Pferd von hin- ben! Das hat gerade einen Preis gewonnen!) ten auf. Er geht den indirekten Weg über die Ausübung von Druck auf den Steuerpflichtigen. Das, was man auf – Wir werden uns darüber noch unterhalten. Ich bin auf politischem Wege mit nicht auskunftswilligen Staaten Ihre Erklärung sehr gespannt. noch nicht erreicht hat, versucht man auf dem Wege über In unserem Antrag geht es neben internationalen Maß- Druck auf die Steuerpflichtigen zu reparieren, die mit nahmen aber auch um Maßnahmen auf nationaler Ebene. diesen Staaten Handel und Dienstleistungsaustausch Wir wollen eine wohl bestehende gesetzgeberische Lü- treiben. Dies ist nicht der Königsweg. cke bei den Hinterziehungszinsen schließen. Bisher Drittens halten wir es für nicht ganz unproblematisch, wird der Hinterzieher mit einem Strafzins von 6 Prozent vom Einkommensteuergesetz gewährte Abzüge – Wer- bestraft. Derjenige, der brav seine Steuererklärung ab- bungskosten, Betriebskosten – durch Rechtsverordnung gibt, dann aber vergisst, pünktlich zu bezahlen – seine einzuschränken. Auch dies werden wir uns in der Anhö- Überweisung geht zwei Tage später heraus –, zahlt 1 Pro- rung genau anschauen müssen. zent Zinsen pro Monat, also 12 Prozent per annum. Dies ist unserer Ansicht nach ein Wertungswiderspruch. Auch Trotzdem werden wir diesen Weg mitgehen und prü- dies werden wir prüfen und gegebenenfalls ändern. fen, was möglich ist. Die internationale Steuerhinterzie- Lassen Sie mich abschließend zum Steuerhinterzie- hung muss genauso energisch bekämpft werden wie die hungsbekämpfungsgesetz kommen. Dieser Gesetzentwurf Steuerhinterziehung auf nationaler Ebene. Deshalb wer- soll die Steuerhinterziehung durch Nutzung von Staaten, den wir diesen Gesetzentwurf beraten und sicherlich die nicht die OECD-Auskunftsstandards akzeptieren, er- auch noch verbessern. schweren bzw. verhindern. Insbesondere will es die Danke. Informationsdefizite der Finanzverwaltung bei der Auf- klärung grenzüberschreitender Besteuerungssachver- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- halte beseitigen. Hierzu sieht es zweierlei vor: erstens neten der SPD) verbesserte Möglichkeiten der Finanzverwaltung zur Aufklärung grenzüberschreitender Sachverhalte durch Präsident Dr. Norbert Lammert: erweiterte Mitwirkungs- und Aufklärungspflichten, und Das Wort erhält nun die Kollegin Lydia Westrich, zweitens die Eröffnung der Sanktionsmöglichkeit durch SPD-Fraktion. Rechtsverordnung, nicht kooperativen Steuerpflichtigen den Betriebsausgabenabzug, die Entlastung von Kapital- (Beifall bei der SPD) 23986 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

(A) Lydia Westrich (SPD): ureigenen Art. Die Wege sind verschieden; wir haben (C) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mir uns hier im Plenum über das eine oder andere schon sehr ist in dieser Debatte wichtig, deutlich zu machen, dass heftig gestritten. Aber wichtig ist, dass wir ein gemeinsa- Deutschland ein Land mit einer relativ hohen Steuermo- mes klares Ziel haben. Die Koalitionsfraktionen haben ral ist. Ich bin Finanzbeamtin und habe sehr viele Bür- sich in einem sehr intensiven Prozess auf einen wirklich gerinnen und Bürger im Laufe meines Berufslebens be- guten Antrag geeinigt. Das war teilweise ein bisschen gleitet, mühsam; Herr Binding kann dazu etwas erzählen. (Jörg van Essen [FDP]: Es soll ja auch Finanz- (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Spricht der beamtinnen geben, die keine hohe Steuermoral noch einmal?) haben!) Nun hoffe ich, dass aus diesem Antrag, den Herr Kolbe die zwar nicht gerade freudig, aber doch pflichtbewusst hier vorgestellt hat, tatsächlich Gesetzesinitiativen er- ihre Steuern gezahlt haben. wachsen. Denn nur dann ist ein solcher Antrag, der müh- sam erarbeitet worden ist, wirklich glaubhaft. Die meisten unserer Bürgerinnen und Bürger erbrin- gen – das müssen wir konstatieren – steuerehrlich ent- Der zweite für mich wichtige Punkt ist, dass die Re- sprechend ihrer Leistungsfähigkeit ihren Beitrag zum gierung einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, der sehr Gemeinwohl. Steuermoral und Steuerehrlichkeit haben selbstbewusst, wie ich finde, die internationale Solida- einen hohen Stellenwert in unserem Land, das sich als rität einfordert und der Steuerverwaltung endlich ein Sozialstaat versteht und für alle Bürgerinnen und Bürger scharfes Schwert in die Hand gibt, wie es die Deutsche einen guten Weg in die Zukunft gestalten will. Das heißt, Steuer-Gewerkschaft schon lange fordert. Die Koali- wir brauchen einen starken Staat. tionsfraktionen haben sich diesen Gesetzentwurf zu ei- gen gemacht. Er darf im anstehenden parlamentarischen (Beifall bei der SPD) Beratungsprozess nicht verwässert werden. Was ich hier Umso sensibler müssen wir Politiker mit der Pflanze gehört habe, macht mir ein bisschen Sorgen. Steuerehrlichkeit und Steuermoral umgehen. Es gibt bei Die Liechtenstein-Affäre hat in unserer Bevölkerung uns natürlich auch die anderen; über die haben wir schon einen tiefen Eindruck hinterlassen. Wenn Sie mit den gesprochen. Wenn unsere ehrlichen Steuerzahler in stär- Menschen reden, zeigt sich immer wieder Unverständnis kerem Maße davon ausgehen müssen, dass diese ande- darüber, dass die Politik nicht in der Lage ist, dieser kri- ren, eventuell ihre Nachbarn, ihre Chefs, die Eliten unse- minellen Praktiken Herr zu werden. Steuerbetrug ist res Landes, relativ problemlos Steuern hinterziehen Diebstahl an uns allen. So sehen es die meisten unserer können, ohne dass sie nennenswert bestraft bzw. ohne Bürgerinnen und Bürger, die sich aufgrund ihrer Ehrlich- (B) (D) dass sie überhaupt erwischt werden, dann können wir keit unfair behandelt fühlen. Gerade sie erwarten von Politiker zusehen, wie die Steuermoral in diesem Land uns Politikerinnen und Politikern, dass wir das Anrecht rapide sinkt. Das können wir uns einfach nicht erlauben. auf eine gerechte Besteuerung für alle durchsetzen und (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Eduard keine Schlupflöcher lassen, auch nicht, wenn sie in be- Oswald [CDU/CSU]) freundete Staaten führen. Deshalb sind für mich zwei Dinge in dieser Debatte Ich als Sozialdemokratin kann es nicht akzeptieren, äußerst wichtig. Der erste Punkt ist: Alle Fraktionen ha- wenn Länder ihre Wirtschaftskraft dahin gehend entwi- ben sich in Anträgen dem Ziel verschrieben, Steuerhin- ckeln, Bürger anderer Staaten beim Steuerbetrug zu un- terziehung zu bekämpfen. Das ist auch verbal gesche- terstützen und zu beschützen. Hehlerei nennt es der hen; selbst Herr Schäffler hat es hier noch einmal Deutsche Gewerkschaftsbund. Von Oskar Lafontaine ha- deutlich gemacht. ben wir Ähnliches gehört. Das ist starker Tobak. Aber es ist konsequent, wenn Steuerhinterziehung als Diebstahl (Joachim Poß [SPD]: Ja, unerwartet!) am Gemeinwohl betrachtet wird, wie das von allen be- stätigt worden ist. Deshalb muss der Gesetzentwurf der Das ist ein klares Signal an die Bürgerinnen und Bürger, Koalition in die parlamentarischen Beratungen als star- dass wir Steuerhinterziehung als Diebstahl an uns allen kes Schwert der Steuerverwaltung einfließen und diese ansehen. Dabei geht es nicht um eine Stilfrage, Herr auch wieder als starkes Schwert verlassen. Wir dürfen Schäffler, sondern um mehr. Wir alle verurteilen Men- diesen Gesetzentwurf nicht verwässern lassen. schen, die alles nutzen, was der Staat an Infrastruktur zur Verfügung stellt, aber nicht daran denken, sich an der Fi- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nanzierung dieser Infrastruktur zu beteiligen, ob das der LINKEN) Straßen, Schulen oder Krankenhäuser sind, ob das die innere oder äußere Sicherheit oder unser Rechtssystem Wir haben in den letzten Jahren viele Kontrollmög- betrifft. Dass all das zur Verfügung steht, ist selbstver- lichkeiten zur Verhinderung und Bekämpfung von Steu- ständlich, und deswegen müssen es auch alle mitbezah- erkriminalität in Gang gesetzt. Die Sozialdemokraten, len. Herr Kolbe, haben sich immer an die Spitze dieser Be- wegung gestellt. Von uns gingen die meisten Initiativen Wir stellen in den vorliegenden Anträgen, die Herr aus. Jede einzelne Maßnahme, Herr Schäffler, die wir Kolbe zum Teil beschrieben hat, parteiübergreifend der Finanzverwaltung und der Steuerfahndung an die Überlegungen an, wie wir dem Diebstahl am Allgemein- Hand gegeben haben, mussten wir gegen den teilweise gut begegnen können. Jede Fraktion tut das nach ihrer sehr erbitterten Widerstand von Fraktionen, aber auch Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 23987

Lydia Westrich (A) von Interessenverbänden durchsetzen. Aber wir haben es Fraktionen des Deutschen Bundestages der Meinung (C) mithilfe unseres Partners, der CDU/CSU-Fraktion, ge- sind, dass Steuerhinterziehung eine kriminelle Handlung tan. Dies war der Mühe wert. ist und mit allen Mitteln bekämpft werden muss. Die Große Koalition hat in dieser Richtung manches getan; (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Auch mit die Kollegen haben darauf hingewiesen. Zum Beispiel Duldung!) wurde die Verjährung von Steuerhinterziehung auf zehn Wir werden nicht lockerlassen. Zuerst muss die dem Staat Jahre verdoppelt und bei besonders schwierigen Fällen zustehende Steuerbasis gesichert werden, bevor man sogar die Telefonüberwachung zugelassen, was eine neue Einkommensquellen erschließt oder neue Schulden- wirklich sehr harte Maßnahme ist. berge aufhäuft. Das sind wir auch den Kindern schuldig. Der Bundesgerichtshof hat als Maßstab formuliert, Steuerkriminalität hat ganz gravierende Auswirkun- dass ab einer Steuerhinterziehung von 50 000 Euro ent- gen auf die Volkswirtschaft. Sie führt häufig zu Wettbe- sprechende Freiheitsstrafen zu erteilen sind – in der Re- werbsverzerrungen und vernichtet damit reguläre Ar- gel ab 1 Million Euro sogar nicht mehr zur Bewährung. beitsplätze. In der Wirtschaftskrise können wir es uns Das zeigt, wir haben es hier mit einem Phänomen zu tun, überhaupt nicht erlauben, keine Maßnahmen zu ergrei- das für die Gemeinschaft natürlich schädlich ist. Ich fen, um Arbeitsplätze zu erhalten. Das können und wol- stimme allen Rednern zu, die gesagt haben: Jeder, der len wir nicht hinnehmen. Ihren Antrag zur Umstellung seine Steuer nicht ordnungsgemäß zahlt, belastet damit der Umsatzsteuer von der Soll- auf die Istbesteuerung, die anderen Steuerzahler. der zwar ein Tor zum Steuermissbrauch schließt, aber gleichzeitig ein Scheunentor zum Missbrauch öffnet, Zugleich muss man natürlich auch sehen – das gilt können wir leider nicht annehmen. auch bei diesem Thema –, dass die Wege, um ein Ziel zu erreichen, unterschiedlich sein können. Ich sage auch (Beifall bei der SPD) das mit aller Deutlichkeit. Denn Sie wollen natürlich nicht, dass die Istbesteuerung von einem bürokratischen Monstrum wie dem Cross- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!) Check-Verfahren begleitet wird, sondern wollen dies der Der Tatbestand, dass zwar schon im Januar ein Refe- Beliebigkeit anheimfallen lassen. Das ist der falsche rentenentwurf vorgelegt wurde, aber erst heute die erste Weg. Deswegen werden wir Ihren Antrag, so gut er auch Lesung stattfindet, ist darauf zurückzuführen, dass wir gemeint ist, ablehnen müssen. den Ansatz des Referentenentwurfes für nicht richtig Wir sehen den Föderalismus in Deutschland sehr po- hielten. Ich glaube, es ist nicht der richtige Ansatz, wenn sitiv. Deswegen können wir dem Antrag der Linken zur man zunächst einmal alle Bürger, die mit Ländern, die (B) (D) Bildung einer Bundessteuerverwaltung ebenfalls nicht bestimmte Standards nicht erfüllen, in einen wirtschaftli- zustimmen. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen und chen Kontakt treten, unter einen Generalverdacht stellt. ich würden eine Bundessteuerverwaltung gerne sehen. Das kann nicht unsere Lösung sein. Ich respektiere aber die Ablehnung der Länder, die ihre (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Verwaltungshoheit behalten wollen und gut mit uns zu- neten der FDP) sammenarbeiten. Deshalb ist der Antrag der CDU/CSU und der SPD Die Union geht von dem ehrlichen Steuerzahler aus. Zu der praktikabelste. Wenn wir das alles in Zukunft durch- einem Generalverdacht sagen wir Nein. setzen könnten, was wir in diesem Antrag formuliert ha- Mit dem Weg, der jetzt gefunden worden ist, können ben, dann wären wir im Kampf für Steuergerechtigkeit wir leben. Es wird nämlich gesagt: Für Länder, die den ein gutes Stück weitergekommen. Ich appelliere an die OECD-Standard nicht einhalten, können Verordnungen, Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, dass sie die- die bestimmte Auflagen enthalten, erlassen werden. sen Kampf mit uns fortführen. Die sozialdemokratische Diese Auflagen können die Betroffenen etwa durch die Fraktion ist da der beste Partner. Gewährung von Informationsrechten erfüllen, sodass Vielen Dank. entsprechende Strafmaßnahmen nicht durchgeführt wer- den. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN – Jörg van Ich vermisse einen Ansatz, den die Vereinigten Staa- Essen [FDP]: Das ist offensichtlich nicht die ten verfolgen und den ich für viel wichtiger halte. Viel- Meinung der CDU/CSU-Fraktion!) leicht lebt er im Rahmen der parlamentarischen Beratun- gen noch auf. Man sollte sich die Kreditinstitute ein Präsident Dr. Norbert Lammert: bisschen mehr als andere Unternehmen anschauen. Ich Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der sage nur: Der Tatbestand, dass fast alle großen Kredit- Kollege Otto Bernhardt, CDU/CSU-Fraktion. institute in Deutschland und, um auch das deutlich zu sa- gen, alle Landesbanken in diesen Steueroasen Töchter (Beifall bei der CDU/CSU) haben, sollte uns zumindest nachdenklich stimmen; denn irgendwann müssen dem ja Politiker zugestimmt haben. Otto Bernhardt (CDU/CSU): In den Verwaltungsräten sitzen ja Politiker aller Fraktio- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und nen. Ich halte fest: Der Ansatzpunkt Kreditinstitute Herren! Der Verlauf dieser Debatte hat gezeigt, dass alle scheint mir ein sehr wichtiger zu sein. 23988 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Otto Bernhardt (A) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- Ob das Gesetz angewendet werden muss, ist also frag- (C) wie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] lich; dennoch brauchen wir dieses Gesetz. [SPD]) Herr Minister, Sie wissen, dass ich Sie sehr schätze, Es gibt allerdings einen Dissens, der einer der Gründe aber die Art und Weise, wie Sie sich öffentlich zu eini- dafür ist, dass das Thema so schwer zu behandeln ist. gen unserer Freunde äußern, macht mir zu schaffen und Zunächst einmal bin ich froh, dass dieser Gesetzentwurf ist nicht in Ordnung. erst nach dem G-20-Gipfel in London diskutiert wird; denn dort hat sich einiges verändert. In London hat man (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – sich darauf geeinigt, dass für alle Länder dieser Welt der Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Die Art OECD-Standard Maßstab sein soll. Das heißt ganz der Länder geht auch nicht!) schlicht: Wenn ein Land konkrete Anhaltspunkte dafür hat, dass einer seiner Bürger über ein entsprechendes Ich habe mich vor kurzem in einem Interview mit dem Land Steuern hinterzieht, dann muss die Steuerverwal- Schweizer Fernsehen für das Verhalten „meines Minis- tung dieses Landes behilflich sein. ters“ – so habe ich das gesagt – entschuldigt. Das kam in der Schweizer Tagesschau. Ich habe unwahrscheinlich (Zuruf von der SPD: Früher war das nicht so?) viele Briefe bekommen, in denen stand: Endlich einmal! Die meisten Länder in der Welt tun das – völlig klar –, Die Äußerungen des Ministers stellen nämlich eine einige wenige aber nicht. Mein Eindruck ist nun, Herr enorme Belastung dar. Sie werden sehen: Insbesondere Minister, dass Sie gerne weitergehen wollten und Ihr für die Bürger in Bayern und Baden-Württemberg, die Haus nicht in den gleichen Bahnen wie die anderen euro- sehr enge Beziehungen zu Österreich, zur Schweiz päischen Länder denkt. Ich glaube, Sie hätten am liebs- und zu Liechtenstein haben, ten weltweit ein solches Kontoabfrageverfahren, wie wir es in Deutschland haben. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Manch- mal zu eng!) In Deutschland gibt es ja nur noch ein sehr begrenztes Bankgeheimnis. Schweden kennt gar keines mehr. Wir ist das eine unerträgliche Belastung. müssen aber berücksichtigen, dass es Länder gibt, die (Dr. Hermann Otto Solms [FDP]: Sehr rich- hinsichtlich des Bankgeheimnisses eine andere Erwar- tig!) tung haben. In Österreich hat es nun einmal Verfassungs- charakter, und auch in der Schweiz hat es eine besondere Ich finde, diesen Weg darf man nicht gehen. Bedeutung. Das heißt, wir werden es nicht erreichen, dass die Schweiz anhand einer Liste der deutschen Ich sage an dieser Stelle ganz deutlich: Wir werden (B) Staatsbürger nachschauen wird, wer dort ein Konto hat. das Gesetz verabschieden, aber es ist nicht hilfreich, (D) Das bekommen wir nicht hin. Wer das Ziel erreichen wenn Sie, Herr Steinbrück, jetzt schon wieder in Zeitun- will, der ist auf dem Holzweg. Wir haben nur eine gen und nicht in internen Gesprächen sagen, dass Sie, Chance über den OECD-Standard. sobald das Gesetz verabschiedet ist, die Verordnung in Gang setzen werden. Das können Sie gar nicht, Herr Mi- Sie von der FDP haben natürlich recht: All die Betrof- nister. fenen haben inzwischen erklärt, dass sie das tun. Einige haben mir erklärt, sie würden das sogar sehr schnell tun, (Thomas Oppermann [SPD]: Dafür machen aber die Verhandlungen mit dem Ministerium über Dop- wir das Gesetz!) pelbesteuerungsabkommen – es stehen dafür ja nur we- nige Mitarbeiter zur Verfügung – würden relativ lange Wir müssen diesen Ländern ein paar Monate Zeit geben, dauern. Das kann ich verstehen. Die Verhandlungen lau- um sich anzupassen. fen. (Lydia Westrich [SPD]: Das hat er doch ge- (Jörg van Essen [FDP]: Ach Gott, nein!) sagt! – Thomas Oppermann [SPD]: Da ist Die Frage, ob wir das Gesetz nachher überhaupt noch Klartext doch genau das Richtige!) brauchen, ist jetzt also offen. Ich argumentiere hier aber Gott sei Dank haben wir den Bundesrat, und diese Ver- ähnlich wie beim Enteignungsgesetz: Wir werden das ordnungen bedürfen der Zustimmung des Bundesrates. Enteignungsgesetz Gott sei Dank wohl nicht anwenden Ich sage sehr deutlich: Es macht doch keinen Sinn, Staa- müssen, weil wir die notwendige Mehrheit bei der Hypo ten, mit denen wir seit Jahrhunderten freundschaftlich Real Estate wahrscheinlich auch ohne eine Enteignung zusammenarbeiten, mit solchen Drohungen zu kom- erreichen. men. (Jörg van Essen [FDP]: Dass man das über- haupt gemacht hat!) (Lydia Westrich [SPD]: Wo ist denn die Freundschaft zu uns? – Thomas Oppermann Aber ohne das Gesetz wären wir vielleicht nicht so weit [SPD]: Klartext sprechen!) gekommen. Deshalb müssen wir auch hier weiterma- chen, damit die Ankündigung der Länder, sie würden In diesem Sommer werden sehr viele Deutsche Ur- den OECD-Standard beachten, dann auch wirklich Rea- laub in Österreich und der Schweiz machen. Sie sollen lität wird. dort weiterhin freundlich aufgenommen werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Gabriele Frechen [SPD]: Otto, lass die Kirche der SPD) im Dorf!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 23989

Otto Bernhardt (A) Voraussetzung dafür ist, dass wir mit diesen Ländern hält sich? – Auch diese Beschlussempfehlung ist mit (C) weiterhin anständig und diplomatisch umgehen. Darauf breiter Mehrheit angenommen. legen wir größten Wert. Unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung emp- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frank Schäffler [FDP]: Sehr richtig! Gute Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/9479 mit dem Ti- Rede, Otto!) tel „Bundesverantwortung für den Steuervollzug wahr- nehmen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Abschließend sage ich für meine Fraktion in aller Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be- Deutlichkeit: Wir werden weiterhin alles tun, schlussempfehlung ist angenommen. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Des Weiteren empfiehlt der Ausschuss unter NEN]: Um den Geldtourismus aufrechtzuer- Buchstabe e seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung halten!) des Antrages der Fraktion Die Linke auf der Druck- um den ehrlichen Steuerzahler vor dem Steuerhinterzie- sache 16/9166 mit dem Titel „Steuermissbrauch wirk- her zu schützen, aber wir werden uns nicht dazu hinrei- sam bekämpfen – Vorhandene Steuerquellen erschlie- ßen lassen, andere Länder und deren Bürger zu beleidi- ßen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – gen, und wir werden auch nicht zulassen, dass andere Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be- schlussempfehlung ist angenommen. Länder unter Druck gesetzt werden. Ich habe den Eindruck, dass wir international auf ei- Unter Buchstabe f der Beschlussempfehlung wird die nem vernünftigen Weg sind. Wir werden in diesem Zu- Ablehnung des Antrages der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/9168 mit dem Titel „Steuerhinterziehung sammenhang unseren Beitrag leisten. Aber bitte keine bekämpfen – Steueroasen austrocknen“ empfohlen. Drohungen gegenüber befreundeten Staaten und kein Auch über diese Beschlussempfehlung lasse ich abstim- Generalverdacht gegen unsere Bürger! men. Wer ist dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Danke schön. hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mehrheitlich angenommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe g der genannten Beschlussempfehlung die Präsident Dr. Norbert Lammert: Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Ich schließe die Aussprache. Grünen auf Drucksache 16/9421 mit dem Titel „Keine Hintertür für Steuerhinterzieher“. Wer stimmt für diese (B) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- (D) wurfs auf der Drucksache 16/12852 an die in der Tages- Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit Mehr- es dazu andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. heit angenommen. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Damit haben wir diesen Tagesordnungspunkt abge- Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Finanz- schlossen. ausschusses auf der Drucksache 16/12826. Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 16 a Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner und 16 b: Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- Fraktionen von CDU/CSU und SPD auf der gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Drucksache 16/11389 mit dem Titel „Steuerhinterzie- zur Beschleunigung des Ausbaus der Höchst- hung bekämpfen“. Wer stimmt für diese Beschlussemp- spannungsnetze fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist diese Beschlussempfehlung mit der Mehrheit – Drucksache 16/10491 – der Koalitionsfraktionen bei Stimmenthaltung der Oppo- sitionsfraktionen angenommen. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- ses für Wirtschaft und Technologie (9. Aus- Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp- schuss) fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/11734 mit dem Ti- – Drucksache 16/12898 – tel „Steuervollzug effektiver machen“. Wer stimmt für Berichterstattung: diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Abgeordneter Hans-Josef Fell Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit angenommen. b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- Weiter empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c nologie (9. Ausschuss) seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf der Drucksache 16/9836 mit – zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Kurt dem Titel „Umstellung der Umsatzsteuer von der Soll- Hill, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, auf die Istbesteuerung“. Wer stimmt für diese Be- weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- LINKE 23990 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Stromübertragungsleitungen bedarfsgerecht Die Verbrauche finden aber im Süden und in der Mitte (C) ausbauen – Bürgerinnen- und Bürgerbeteili- des Landes statt. Sie können sich vorstellen, dass wir gung sowie Energiewende umfassend be- deswegen neue Übertragungskapazitäten brauchen. rücksichtigen Daneben nimmt EU-weit der grenzüberschreitende Stromhandel zu. Auch hierauf müssen wir unsere Netze – zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Josef ausrichten. Fell, Kerstin Andreae, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Was bedeutet das für Deutschland? Wir müssen das DIE GRÜNEN bestehende Netz optimieren; das ist eine Daueraufgabe. In einigen Bereichen brauchen wir einen Ausbau des Stromnetze zukunftsfähig ausbauen Netzes. Die ehrliche Botschaft an die Menschen ist: Wer – zu dem Entwurf einer Entschließung in der die Klimaschutzziele erreichen will, muss auch für den Beschlussempfehlung des Ausschusses für Netzausbau sorgen. Damit auch das klar ist: Die Kosten, Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit die hier entstehen, sind nicht normale Kosten eines zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung wachsenden Strommarkts, die aufgrund steigenden zur Neuregelung des Rechts der Erneuerba- Stromverbrauchs über den normalen Kilowattstunden- ren Energien im Strombereich und zur Än- preis finanziert werden könnten – es findet also keine derung damit zusammenhängender Vor- messbare Erhöhung statt –, sondern sind Zusatzkosten, schriften die im Prinzip über das bestehende Mengengeschäft fi- nanziert werden müssen. Deswegen ist große Sorgfalt – Drucksachen 16/10842, 16/10590, 16/8148, darauf zu lenken, dass dieser Ausbau kostengünstig er- 16/8393, 16/9477 Ziffer II, 16/12898 – folgt; denn er führt – das muss man immer im Auge ha- Berichterstattung: ben – zu einer Verteuerung des Stroms für alle Endab- Abgeordneter Hans-Josef Fell nehmer. Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen ein Allein für die Integration des Stroms aus Windenergie Änderungsantrag der Fraktion der FDP sowie ein Ent- in die Netze brauchen wir nach den Berechnungen der schließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Deutschen Energie-Agentur 850 Kilometer neue Leitun- gen, und zwar bis zum Jahr 2015. Darüber hinaus hat die Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Europäische Union in ihren Leitlinien den transeuropäi- Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen schen Energienetzen einen erheblichen und dringenden Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Ausbaubedarf attestiert. (B) Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst für Unser Gesetzentwurf sieht nun vor, für 24 dringliche (D) die Bundesregierung das Wort dem Parlamentarischen Vorhaben die energiewirtschaftliche Notwendigkeit im Staatssekretär Hartmut Schauerte. Sinne der Planfeststellung und -genehmigung durch Ge- setz festzustellen. Das ist der entscheidende Punkt. Für Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun- die durch Gesetz festgestellten Notwendigkeiten wollen desminister für Wirtschaft und Technologie: wir ein verkürztes Verfahren. Das können wir verant- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und worten; denn wir haben die Notwendigkeit dieser Maß- Kollegen! Gestern haben wir in erster Lesung über das nahmen in gesetzlicher Beratung vorweggenommen. CCS-Gesetz beraten. Heute beraten wir über ein Ener- Das erleichtert die Durchführung und Durchsetzung. gieleitungsausbaugesetz, das den Ausbau der Hochspan- Das Ob dieser dringlichen Maßnahmen ist damit ge- nungsnetze beschleunigen soll. Das zeigt: In Zeiten der klärt. Die Behörden werden hiermit entlastet und können Finanz- und Wirtschaftskrise gibt es keinen Stillstand in sich auf das Wie konzentrieren, also auf die Fragen der der Energiepolitik. Im Gegenteil: Wir handeln und tun konkreten Trassenführung, der angewandten Methodik alles für eine sichere, nachhaltige und bezahlbare Strom- und der Ausbauqualität. So wird dies seit langem im versorgung. Rahmen des Fernstraßenausbaugesetzes und des Bun- Insbesondere im Hinblick auf die Versorgungssi- desschienenwegeausbaugesetzes praktiziert. Diese Vor- cherheit sind der Ausbau und die Modernisierung der gehensweise ist angesichts der Eilbedürftigkeit geboten. Netze wichtige Themen. Die Zukunft wird sehr wahr- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) scheinlich zeigen, dass der Energiemix bei der Stromer- zeugung eine noch größere Rolle spielen wird als heute. Ferner gilt für die 24 Vorhaben eine Rechtswegver- Auch deswegen haben wir allen Anlass, rechtzeitig zu kürzung auf eine Instanz, nämlich das Bundesverwal- handeln. Wir brauchen moderne und leistungsfähige tungsgericht. Ich weiß, dass wir mit einer Rechtswegver- Netze. In diesem Bereich stehen wir vor besonderen kürzung behutsam umgehen müssen. Aber wir halten sie Notwendigkeiten. angesichts der Dringlichkeit der Vorhaben für geboten. Im Norden Deutschlands entstehen große, leistungs- Wir sind uns der Belastungen bewusst, die sich aus fähige Windparks; gerade die Offshore-Windenergie dem Bau neuer Hochspannungsleitungen für die Betrof- wird massiv ausgebaut. Viel neuer Strom wird im Nor- fenen vor Ort ergeben können. Deswegen experimentie- den hergestellt, der bisher nicht zentraler Standort für ren wir beim Netzausbau zum Beispiel mit der immer Energiegewinnung war. Nordrhein-Westfalen wird hier wieder geforderten Ausbauvariante Erdkabel. Das ist – wenn ich das so sagen darf – ein Stück weit abgelöst. sicherlich konfliktfreier, aber ganz eindeutig viel teurer. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 23991

Parl. Staatssekretär Hartmut Schauerte (A) Damit bin ich wieder bei der Preisrelevanz, die wir bei hat, braucht keine intelligente Regulierung; denn er (C) diesen Ausbaumaßnahmen sorgfältig im Auge haben könnte es selbst regulieren. Wer in diesem Zusammen- müssen. hang auf private Netze setzt, braucht eine intelligente und wirkungsvolle Regulierung. Wir ermöglichen im Rahmen von vier Pilotprojek- ten den Einsatz von Erdkabeln. Das geschieht auf der Der nun vorliegende Gesetzentwurf fügt einen weite- 380-kV-Ebene. Diese vier Musterpilotprojekte, auf die ren Baustein in dieses Gesamtpaket ein. Er beschleunigt wir uns verständigt haben, kosten immerhin über die Investitionen in die Netze, was dringend nötig ist. 1 Milliarde Euro mehr, als wenn normale Hochspan- Zum Schluss: Immerhin rechnen wir damit, dass mit nungstechnik verwendet würde. Die Kosten sind ein diesem Maßnahmenpaket Investitionen in Höhe von wichtiger Grund, warum wir bei den Erdkabeln eine Pi- etwa 30 Milliarden Euro in einem überschaubaren Zeit- lotphase vorschalten. Diese haben nämlich erhebliche raum auf den Weg gebracht werden. Das ist in Zeiten der Relevanz für den Strompreis in Deutschland. Wir sind Finanz- und Wirtschaftskrise sicherlich eine gute Bot- uns aber auch der Wirtschaftslage bewusst. Ich darf nur schaft an alle, die in diesen Unternehmungen in Brot und an die NE-Metallindustrie erinnern. Hier stehen viele Arbeit sind oder in diesem Bereich Geschäfte machen Betriebe kurz vor der Schließung, wenn wir nicht be- und Umsatz erzielen wollen. stimmte Maßnahmen einleiten. Das ist also eine hochre- levante Fragestellung. Deswegen wollen wir die Erdka- Herzlichen Dank. bel in Pilotmodellen ausprobieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es gibt daneben eine große Anzahl von technischen Problemen, die noch nicht erkannt und gelöst sind. Da Präsident Dr. Norbert Lammert: die Stromnetze im Grunde der Kreislauf der deutschen Das Wort hat nun die Kollegin Gudrun Kopp, FDP- Volkswirtschaft sind, hätte eine fahrlässige Operation Fraktion. und Veränderung in diesem Kreislaufsystem existen- zielle Auswirkungen auf den Standort Deutschland. Des- (Beifall bei der FDP) wegen brauchen wir eine vorsichtige Herangehensweise. Gudrun Kopp (FDP): Wir wollen darüber hinaus regeln, dass neue Leitun- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Da- gen auf der 110-kV-Ebene unter bestimmten Vorausset- men! Lieber Herr Schauerte, Sie haben richtig darge- zungen als Erdkabel errichtet werden können. Das war stellt, wie wichtig es gerade in Zeiten der Finanz- und insbesondere ein Anliegen der SPD. Wir haben uns aller- Wirtschaftskrise ist, all jene privaten Investitionen zu tä- dings auch hier unter Kostengesichtspunkten darauf ver- (B) tigen, die, ohne einen einzigen Cent Steuergelder auszu- (D) ständigt, dass das nur dann gemacht wird, wenn diese geben, allein dadurch möglich sind, dass die Politik die Art der Leitungsverlegung nicht mehr als das 1,6-Fache, notwendigen Rahmenbedingungen, auch die notwendi- also bis zu 60 Prozent, der normalen Struktur kostet. gen rechtlichen Rahmenbedingungen, schafft. Darum Wir müssen uns in der Politik ein bisschen zurückhal- ging es in der gestrigen Debatte über die CO2-Abschei- ten. Wir neigen ja dazu, Maßnahmen, die am Ende nicht dung bei der Kohleverstromung, und darum geht es über Steuern, sondern durch Preiserhöhungen, also heute bei der Diskussion über das Gesetz zur Beschleu- durch die Bürger, bezahlt werden, etwas großzügiger zu nigung des Ausbaus der Höchstspannungsnetze. Eigent- behandeln als steuerfinanzierte Maßnahmen. lich hätte dieses Ziel auch mit der Umsetzung des Ener- gieeffizienzgesetzes verfolgt werden sollen. In diesem ( [] [CDU/CSU]: Leider! Fall konnten sich die beiden beteiligten Häuser, das Bun- Leider! – Jörg van Essen [FDP]: Guter Punkt! desumweltministerium und das Bundeswirtschaftsminis- Wichtiger Hinweis!) terium, aber wieder einmal nicht einigen. Das ist bedau- Deswegen ist hier allergrößte Vorsicht geboten. Die erlich. Deckelung der Mehrkosten ist absolut notwendig. Wir (Beifall bei der FDP) verlieren die Wirtschaftlichkeit in der Stromversorgung nicht aus dem Auge. Immerhin liegt jetzt, ein Jahr nach dem entsprechen- den Kabinettsbeschluss, endlich der Entwurf eines Geset- Wir wollen moderne Netze, die den Strom aus erneu- zes zum Ausbau der Höchstspannungsnetze vor. Dieses erbaren Energiequellen und aus neuen hocheffizienten Gesetz ist auch notwendig. Im Grunde genommen han- konventionellen Kraftwerken abtransportieren können. delt es sich dabei um ein Strukturpaket – nicht um ein Wir müssen sie zudem fit für den EU-weiten Stromhan- Konjunkturpaket, sondern um ein Strukturpaket –, mit dem del machen. Hierzu ist keine Staatsbeteiligung an den die notwendigen milliardenschweren Investitionen in Netzen nötig – ich komme zum Schluss meiner Rede –, die Netze ermöglicht werden. Herr Schauerte hat bereits so willkommen auch eine einheitliche Netzgesellschaft darauf hingewiesen, dass es in den nächsten Jahren um ei- für die Übertragungsnetze wäre. Wir setzen auf vertrag- nen Betrag in der Größenordnung von 10 Milliar- liche Gestaltung und auf unternehmerische Lösung, aber den Euro geht. Insgesamt werden mittelfristig Investitio- nicht auf Staatsbeteiligung. nen in einem Umfang von 30 Milliarden Euro getätigt; auch das ist notwendig. Wir haben bereits durch das Energiewirtschaftsgesetz und durch Anreizmaßnahmen für entsprechende Regu- Wir stellen ja fest, dass die Energie- bzw. Strompro- lierung gesorgt. Dies ist die Alternative. Wer Staatsnetze duktion mittlerweile verstärkt im Norden Deutschlands 23992 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Gudrun Kopp (A) stattfindet, während zugleich im Süden des Landes im- Wir hätten uns allerdings gewünscht, dass die Bun- (C) mer mehr Kernkraftwerke abgeschaltet werden. desregierung angesichts des Ausbaubedarfs, den wir ha- ben, nicht nur für den Bau neuer Stromleitungen, son- ( [SPD]: Wo denn?) dern auch – auch das ist wichtig – für die Ertüchtigung Auch diese Entwicklung impliziert, dass neue Leitungen und den Ausbau von wichtigen bestehenden Stromlei- gebaut werden müssen. Hier besteht unserer Meinung tungen ein verkürztes Verfahren ermöglicht hätte. nach ein Ungleichgewicht. So möchte ich das Augen- merk darauf richten, dass der Netzausbau auch deswegen (Beifall bei Abgeordneten der FDP) erforderlich ist, da die Bundesregierung in der Vergan- Als Beispiel für die Mehrkosten nenne ich die Trasse genheit eine unausgewogene Energiepolitik betrieben Lauchstädt–Redwitz an der Rodach als Teil der Trasse hat und – das tut sie leider nach wie vor – selektiv vorge- von Halle (Saale) nach Schweinfurt. Diese Trasse würde gangen ist. in konventionellem Freileitungsbau rund 220 Millionen (Beifall bei der FDP) Euro kosten. Bei kompletter Erdverkabelung betrügen die Kosten circa 1 Milliarde Euro. Das nur, um einmal Darüber hinaus muss man bedenken, dass die Verfah- die Relationen darzustellen. Wir Liberale wollen Bürger- ren zur Genehmigung von Fernstromleitungen derzeit akzeptanz gewinnen und die Bürger beteiligen. Wir wol- acht bis zwölf Jahre dauern; das ist nicht akzeptabel. len die Rechte der Bürger nicht willkürlich beschneiden. (Jörg van Essen [FDP]: So ist es!) Aber wir sehen auch die Notwendigkeit, kostengünstig, also wirtschaftlich vorzugehen. Gleichzeitig müssen wir Auch auf diesem Gebiet müssen wir vorankommen. dafür sorgen, dass es hier keinen Investitionsstau gibt. Ebenso sind größere Kapazitäten bei den Grenzkuppel- Deshalb warnen wir an dieser Stelle vor enormen Kos- stellen erforderlich. Wir müssen sie weiter ausbauen und ten. Die Bundesnetzagentur ist ja seit zwei Jahren dabei, dabei auch die Entwicklungen auf europäischer Ebene die Netzkosten nach unten zu regulieren. Wir aber tref- berücksichtigen. fen jetzt politische Entscheidungen, die hier wieder ei- Die FDP-Bundestagsfraktion begrüßt deshalb, dass nen Kostenaufwuchs nach sich ziehen werden. Das ist wir beim Ausbau der Energienetze vorankommen. Dabei nicht unproblematisch. Dennoch werden wir dem dies- handelt es sich quasi um eine Operation am Rückgrat un- mal zustimmen. serer Wirtschaft; denn wo keine Energie fließt, kann Herr Schauerte, Sie haben gesagt, dass Sie sich auch nicht gewirtschaftet werden. Insofern ist dieses Thema bei Mittelspannungsleitungen eine häufigere Erdverka- sehr wichtig. belung vorstellen könnten. Wir prüfen das und behalten (B) (Beifall bei der FDP) das im Auge. Aber ich sage Ihnen: Wenn die Bundesnetz- (D) agentur jetzt gezwungen wird, 60 Prozent der entstehen- Wie hoch die Mehrkosten sind, die durch die im vor- den Mehrkosten auf die Netzentgelte umzulegen, wird liegenden Gesetzentwurf aufgeführten vier Pilotpro- das die Kosten enorm in die Höhe treiben. Ob die Bürger jekte zur Erdverkabelung entstehen, wurde bereits er- das akzeptieren werden, ist fraglich. Ich gebe nur noch wähnt. Sie betragen circa 1 Milliarde Euro. Wir sind einmal zu bedenken: Die Netzkosten machen ein Drittel gespannt, was diese Pilotprojekte bringen. In der Tat ist des Strompreises aus. Das ist keine Petitesse, sondern es so: Wir wollen keinen Automatismus. Wir wollen sehr wohl relevant. nicht, dass künftig alle Leitungen, selbst die Mittel- und Niederspannungsleitungen, in der Erde verbuddelt wer- (Beifall bei der FDP) den, weil wir auch die Kosten im Blick haben. Wir müs- sen jedoch zur Kenntnis nehmen, dass für den Neubau Ich komme zum Schluss: Wir sind gegen jegliche Ver- oberirdischer Stromleitungen nicht genug Akzeptanz staatlichung, wie sie in den Anträgen der Linken gefor- vorhanden ist. Um in diesem Bereich Erfahrungen ma- dert wird. Wir möchten vorankommen mit Investitionen. chen zu können, ist es erforderlich, die vier aufgeführten Wir wollen Deutschland strukturell nach vorne bringen. Pilotprojekte durchzuführen. Deswegen sagen wir zu Deshalb sehen wir das Gesetz zur Beschleunigung des den geplanten Erdverkabelungen Ja. Zu gegebener Zeit Ausbaus der Höchstspannungsnetze positiv und werden werden wir Bilanz ziehen und entscheiden, ob sie sich ihm zustimmen – in der Hoffnung, dass die Kostensitua- bewährt haben oder nicht. tion und die Versorgungssicherheit weiterhin auf der Ta- gesordnung bleiben. Wir werden jedenfalls sehr genau Schließlich gibt es nach wie vor große technische darauf achten, dass es hier nicht zu einer Kostenexplo- und ökologische Probleme. Noch ist nicht alles hun- sion kommt. dertprozentig ausgereift. Vielen Dank. (Ernst Burgbacher [FDP]: Richtig!) (Beifall bei der FDP) Man muss bedenken, dass für unterirdische Stromleitun- gen ab einem Steigungsgrad des Geländes von 20 Pro- zent massive Betonpisten gebaut werden müssen, die die Präsident Dr. Norbert Lammert: Grundwasserproblematik berücksichtigen usw. Ich will Rolf Hempelmann ist der nächste Redner für die jetzt nicht alles erwähnen, aber festhalten, dass wir diese SPD-Fraktion. Erprobung mitbestimmen möchten. Deshalb werden wir dem Gesetzentwurf zustimmen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 23993

(A) Rolf Hempelmann (SPD): geln, brauchen wir den Netzausbau bzw. den Ausbau (C) Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir sind uns of- von Kuppelkapazitäten, Interkonnektoren und Höchst- fenbar einig, dass Investitionen in den Ausbau unserer spannungsleitungen, um den Stromtransit zu ermögli- Stromnetze dringend nötig sind. Die Tatsache, dass die chen. FDP dem Gesetzentwurf zustimmen wird, macht das Wir haben dazu auf der EU-Ebene prioritäre Trassen noch einmal deutlich. Offenbar wird damit auch aner- – die transeuropäischen Energienetze – identifiziert, und kannt, dass wir mit diesem Gesetz einen Beitrag leisten wir haben in der dena-Netzstudie prioritäre Strecken be- zu mehr Versorgungssicherheit, zu einer umwelt- und stimmt. Diese werden jetzt in einem Bedarfsplan zu- klimaverträglicheren Energieversorgung, zu mehr Wett- sammengefasst. bewerb und letztlich, durch die technischen Innovatio- nen, die geplant sind, auch zu einer Erneuerung unserer Wir haben dabei nicht nur die in den Bedarfsplan auf- Energieinfrastruktur. Insofern ist es in der Tat gut – das genommenen prioritären Projekte definiert, sondern ist auch der Koalition zu verdanken –, dass dieses Gesetz auch – das ist bereits angesprochen worden – den noch vor Ende der Legislaturperiode fertiggestellt wurde Rechtsweg auf eine Instanz, das Bundesverwaltungsge- und nun hier und heute zur Verabschiedung ansteht. richt, verkürzt. Außerdem haben wir ein Planfeststel- lungsverfahren für Offshore-Anbindungsleitungen und Das erste Stichwort war ein Beitrag zu einer klima- für Seekabel vorgesehen. und umweltfreundlichen Energieversorgung. Ich erin- nere daran: Eine der Grundlagen für das Energielei- Ich glaube, dass das zusammen mit der Verkürzung tungsausbaugesetz war die Einigung auf sehr ehrgeizige der Überprüfungsfrist hinsichtlich des Bedarfsplans auf Ausbauziele im Bereich der erneuerbaren Energien. Mit drei Jahre dazu beitragen wird, dass wir auch auf die der EEG-Novelle haben wir attraktive Rahmenbedin- kommenden Entwicklungen rechtzeitig reagieren kön- gungen insbesondere für den Ausbau der Windkraft ge- nen. Die dena-Netzstudie II kündigt sich bereits an. Wir schaffen. Dieser Ausbau wird vorrangig an küstennahen werden in der Zukunft wahrscheinlich noch vor weiteren Standorten in Nord- und Ostdeutschland sowie offshore Herausforderungen stehen. Das ist noch deutlicher, als vor der Küste erfolgen. es in der ersten Studie zum Ausdruck gekommen ist. Die Energieverbrauchszentren – das ist angesprochen Wir gehen davon aus, dass die Beschleunigungswir- worden – liegen eher im Süden und im Westen. Des- kung, die wir durch den Gesetzentwurf beabsichtigen, wegen brauchen wir die zusätzlichen Kapazitäten auf der eintreten wird. Wir glauben, dass dabei ein erster Schritt Höchstspannungsebene, um den Stromtransport von den hin zur Erdverkabelung auf der 380-kV-Ebene hilf- Erzeugungs- zu den Verbrauchsstandorten zu gewähr- reich sein kann. Das Stichwort Akzeptanz ist in diesem leisten. Das derzeitige Netz, das in den vergangenen Jahr- Zusammenhang genannt worden. Ich glaube, dass wir (B) (D) zehnten im Wesentlichen von verbrauchsnaher Strom- uns durchaus auch darin einig sind, dass es sehr auf die erzeugung geprägt war, ist darauf nicht vorbereitet. Dies Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger gegenüber sol- hat die dena-Netzstudie bestätigt, die 2005 einen erhebli- chen Leitungsprojekten ankommt. chen Ausbaubedarf des Höchstspannungsnetzes zur Ableitung des Windstroms ermittelt hat. (Beifall bei der SPD) Ich gebe aber auch denen recht, die in dem Zusam- Bis 2015 müssen für die Integration des Anteils er- menhang das Kostenargument anführen. Natürlich hat neuerbarer Energien an der Stromversorgung von die Akzeptanz zwei Seiten. Der Bürger akzeptiert das, 20 Prozent in das Verbundnetz 850 Kilometer Höchst- was nach seiner Auffassung ökologisch, aber auch op- spannungsleitungen neu gebaut und weitere 400 Kilo- tisch vernünftig ist. Er akzeptiert aber auch das, was sei- meter verstärkt werden. Wir müssen aufpassen, dass die- nen Geldbeutel nicht überstrapaziert. Es ist unsere Auf- ser ambitionierte Zeitplan realisierbar bleibt. Deswegen gabe, hier eine entsprechende Abwägung vorzunehmen. haben wir darauf zu achten, dass der Ausbau der Netze Das war einer der Gründe, warum wir uns zunächst auf zügig erfolgt. vier Pilotprojekte auf der Höchstspannungsebene be- Es gibt viele weitere Gründe, warum der Ausbau der schränkt haben. Aber das ist nur einer der Gründe. Ne- Netze notwendig ist. Wir haben es mit einem überalter- ben den Kosten spielte vor allem die Tatsache eine ten Kraftwerkspark zu tun, und zwar nicht nur verbun- Rolle, dass die Verkabelungstechnologie auf der 380-kV- den mit der anstehenden Schließung von Kernkraftwer- Ebene noch nicht ausgereift ist und dass wir hier noch ken, sondern auch mit der notwendigen Erneuerung des Erfahrungen sammeln müssen, insbesondere in Sachen fossilen Kraftwerkparks. Auch hier gilt, dass die neuen Zuverlässigkeit und Versorgungssicherheit; denn in der Kraftwerke nicht unbedingt immer an den alten Stand- Tat gibt es bisher weltweit – das war vielen von uns neu – orten gebaut werden. Insofern ist klar, dass diese Investi- kaum Erfahrungen mit längeren Verkabelungsstrecken. tion in die Netze nicht nur für die Netze selbst, sondern Wir haben einen Schritt – dieser war ursprünglich im für die gesamte Wertschöpfungskette notwendig ist. Gesetzentwurf nicht vorgesehen – auf der 110-kV- Eine weitere Aufgabe des Stromnetzes ist es – das hat Ebene gemacht. Das ist die Ebene, die uns allen auf- eine zunehmende Bedeutung –, die Bereitstellung von grund unserer Wohnorterfahrung am bekanntesten ist. Kapazitäten für den europaweiten Stromhandel und Wir sind es gewohnt, dass hier in der Regel Erdverkabe- Stromtransport sicherzustellen. Damit komme ich, wie lung stattfindet. Allerdings gibt es noch eine Menge Sie merken, zu dem zweiten Ziel: mehr Wettbewerb. Ge- Spielraum für zusätzliche Erdverkabelungen. Interessan- rade um den Wettbewerb innerhalb Europas zu beflü- terweise ist der Kostenabstand auf der 110-kV-Ebene 23994 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Rolf Hempelmann (A) wesentlich geringer. Das heißt, die Erdverkabelung ist Ministerien, insbesondere mit dem Wirtschaftsministe- (C) nicht so viel teuerer als die Freileitung. Aber es gibt rium. – das muss man eingestehen – Kostenunterschiede. Wir haben deswegen – um einen abgewogenen Ansatz zu Ich mache nur darauf aufmerksam, dass insbesondere wählen – den Regulierungsrahmen für die Bundesnetz- durch Aluminiumerzeugung mittels Elektrolyse – diese agentur konkretisiert und deutlich gemacht, dass dann, Unternehmen können jederzeit vom Netz genommen wenn der Kostenabstand 60 Prozent nicht überschreitet, werden – Regelenergiekraftwerke in einer unglaublichen die Mehrkosten durch die Bundesnetzagentur anzuer- Größenordnung ersetzt werden können. Sie können sie kennen sind. Wir versprechen uns davon, dass eine sogar mehr als ersetzen. Sie sind sogar besser als Regel- Reihe von Projekten schneller von den Netzbetreibern in energiekraftwerke, weil sie unmittelbar abgeschaltet Angriff genommen wird, weil sie erkennen, dass der werden können und sich die Auswirkung sofort einstellt, Return on Investment für sie gesichert ist. Gleichzeitig was auch bei den besten Regelenergiekraftwerken so haben wir mit der Begrenzung der Mehrkosten auf nicht der Fall ist. Das müssen wir im Auge behalten. Das 60 Prozent das Interesse des Verbrauchers an bezahlba- kann man auch honorieren. Darüber sollten wir zeitnah rer Energie im Auge gehabt. ins Gespräch kommen. (Beifall bei der SPD) Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Um dem Thema Innovation ein paar Sätze zu wid- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten men: Es ist deutlich geworden, dass wir uns gerade auf der CDU/CSU) dem Gebiet der Erdverkabelung technologische Fort- schritte versprechen. Wir haben aber auch Rahmenbe- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: dingungen für die Einführung der Hochspannungs- Der nächste Redner ist Hans-Kurt Hill für die Frak- Gleichstrom-Übertragungs-Technologie, HGÜ, geschaf- tion Die Linke. fen. Wir gehen davon aus, dass bald erste Pilotprojekte im deutschen Stromübertragungsnetz auf der Basis des- (Beifall bei der LINKEN) sen, was wir hier formuliert haben, realisiert werden können. Insofern ist sichergestellt, dass wir Anreize für Hans-Kurt Hill (DIE LINKE): technologische Entwicklungen schaffen, die wir in den Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! nächsten Jahren im Netzbereich benötigen. Die Chance, die Energienetze zukunftsgerecht auszu- Sie sehen also: Wir haben in der Tat einen Beitrag für richten, wurde nach meiner Meinung von Ihnen vertan. mehr Umwelt- und Klimaverträglichkeit, Versorgungs- Sie greifen dabei mit der Gesetzesvorlage massiv in die (B) sicherheit, Wettbewerb und Innovation mit diesem Ge- Mitbestimmungsrechte der Bürgerinnen und Bürger ein. (D) setz im Auge gehabt. (Lachen des Abg. Franz Obermeier [CDU/ Der letzte Punkt, den ich ansprechen will, betrifft die CSU]) stromintensive Industrie. Wir alle, denke ich, haben Es wundert mich, Herr Obermeier, dass sich die das Ziel, dass die Industrie in unserem Land eine Per- CDU/CSU und die SPD in der Großen Koalition über- spektive, eine Zukunft hat. Wir stellen gerade in diesen haupt noch auf sachliche Inhalte einigen konnten. Bei Zeiten fest, dass industrielle Arbeitsplätze, die eine der Entwicklung der Energienetze haben Sie offensicht- ganze Wertschöpfungskette und Arbeitsplätze in anderen lich erkannt, dass wir nicht alles den Stromkonzernen Bereichen – auch im Dienstleistungssektor – quasi nach überlassen dürfen. Ich sage Ihnen voraus, liebe Kollegin- sich ziehen, wichtiger sind, als man das möglicherweise nen und Kollegen: So wie Sie sich mittlerweile viele An- noch vor Jahren eingeschätzt hat. Deswegen ist es wich- träge der Linken zu eigen machen und eins zu eins über- tig, dass wir bei allem, was wir tun, darauf achten, dass nehmen, die Energiekosten gerade der energieintensiven Unter- nehmen im Rahmen bleiben. Wir haben daher die Strom- (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und netzentgeltverordnung angepasst, und zwar so, dass der SPD) grundsätzlich der Kreis der Begünstigten erweitert wer- zum Beispiel bei der Enteignung von wild gewordenen den kann und dass das Instrument krisenfest ist. Die Un- Banken, so werden Sie über kurz oder lang unserer For- ternehmen können dieses Instrument also auch in Jahren derung nach Überführung der Energienetze in die öffent- der Rezession in Anspruch nehmen. Ich denke, dieser liche Hand ebenfalls folgen. Schritt ist in der Branche ausgesprochen positiv aufge- nommen worden. (Beifall bei der LINKEN) Ich mache dennoch zum Abschluss darauf aufmerk- Einzelne Inhalte des Entwurfs zeigen durchaus in die sam, dass all dies nicht ausreichen wird, um sicherzustel- richtige Richtung. Erdkabel werden bei Hochspannungs- len, dass stromintensive Unternehmen in diesen schwie- trassen gegenüber Freileitungen bei den Netzentgelten rigen Zeiten durchhalten und auch in der Zukunft in bessergestellt. Das macht die unterirdische Verlegung Deutschland weiter produzieren. Deswegen werden wir bei 110 000-Volt-Leitungen wirtschaftlich. Neu errich- uns in den nächsten Tagen weiter damit beschäftigen tete Stromspeicher werden für den Zeitraum von zehn müssen, wie wir die Rahmenbedingungen für diese sehr Jahren von den Netzentgelten befreit, und die Anbin- stromintensiven Industrien weiter verbessern. Dazu gibt dung von Offshorewindparks wird vereinfacht. Das es Gespräche zwischen den Fraktionen und auch mit den war es aber leider schon. Das reicht einfach nicht aus. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 23995

Hans-Kurt Hill (A) Ich habe es anfangs bereits gesagt: Sie haben die Scheitern im Bereich Klimaschutz und weiter steigende (C) Chance, die Energienetze zukunftsgerecht auszurichten, Strompreise, haben Sie zu verantworten. Da ich gerade absolut vertan. Sie reden davon, Deutschland sei ein von den Strompreisen rede: Natürlich entlasten Sie noch Stromtransitland, ignorieren dabei aber Zukunftstechni- einmal die stromintensive Industrie mithilfe des hier ken wie Gleichstromübertragungen komplett. Immerhin vorliegenden Gesetzentwurfes bei den Netzgebühren. redet man schon davon. Dabei ist bekannt, dass gerade diese Technologien bei der Übertragung über weite Stre- (Gudrun Kopp [FDP]: Das ist auch richtig!) cken die höchste Effizienz aufweisen. Sie haben sich der Das tun Sie auf Kosten der übrigen Netzkunden und Stromlobby gebeugt. So dürfen im Prinzip Hochspan- ohne jede Gegenleistung für mehr Energieeffizienz. nungstrassen mit 380 000 Volt weiter uneingeschränkt Stichwort Gegenleistung – auch das sollten die Bürge- als Freileitung gebaut werden. Sie nehmen keine Rück- rinnen und Bürger wissen –: Damit die Union das Ener- sicht auf die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger gieleitungsausbaugesetz überhaupt mitträgt, musste die und die Natur. Dabei ist gerade hier der Elektrosmog SPD vollständig auf die Einbringung eines Energieeffi- sehr hoch, und riesige Masten zerschneiden die Land- zienzgesetzes verzichten. Noch schlimmer aber ist in schaft. diesem Zusammenhang, dass die zwingend erforderliche Verbesserung der Energieeffizienz in Deutschland damit (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) von der Bundesregierung selbst blockiert wird. Pilotvorhaben für die Erdverkabelung von (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Eine Ver- 380 000-Volt-Trassen werden nicht nach fachlichen Kri- schwörungstheorie! Das ist abwegig!) terien ausgewählt. Es ist für mich nicht zu erkennen, wa- rum die Uckermarkleitung, wie von uns und auch von Um die Defizite in der Gesetzesvorlage der Bundesre- den Kolleginnen und Kollegen der CDU vor Ort gefor- gierung zu heilen, hat die Linke einen Antrag zum be- dert, nicht in das Vorhaben aufgenommen wird. darfsgerechten Ausbau der Energienetze eingebracht. Der Energieleitungsausbau muss den Anforderungen (Beifall bei der LINKEN) einer klimafreundlichen und dezentralen Energieversor- Die Linke fordert deshalb eine grundsätzliche Prüfung gung Rechnung tragen. Dazu müssen bestehende Strom- der Erdkabelverlegung in jedem Einzelfall. trassen zügig dem neuesten Stand der Technik angepasst werden. Ein Leitungstemperaturmonitoring für das Es ist ein Skandal, dass die Beteiligungsrechte be- Übertragungsnetz ist gesetzlich festzuschreiben. Für den troffener Bürgerinnen und Bürger und Gemeinden mas- Verbundbetrieb mehrerer Erneuerbare-Energien-Anla- siv eingeschränkt werden und sie somit der Willkür der gen über das Leitungsnetz, sogenannte virtuelle Kraft- Energieversorger ausgesetzt sind. Deshalb ist dieses Ge- (B) werke, müssen die Netzgebühren entfallen, um eine in- (D) setz vom Grundsatz her nicht zustimmungswürdig. telligente und dezentrale Stromproduktion zu fördern. (Beifall bei der LINKEN) Zur weiteren Entlastung der Übertragungsnetze sind de- zentrale Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen gegenüber Sie arbeiten Hand in Hand mit den Energiekonzernen neuen fossilen Großkraftwerken besserzustellen. gegen die Bürgerinnen und Bürger, und das ist in vielen Fällen typisch für diese Koalition. (Beifall bei der LINKEN) Es gibt weitere Lücken im Gesetz. Es fehlen Vor- Der Netzausbau auf 110 000-Volt-Ebene ist ausschließ- schriften, die den Netzausbau auf das erforderliche Maß lich in Form der Erdverkabelung durchzuführen. Dem mindern. So könnten bestehende Stromleitungen durch Netzausbau auf 380 000-Volt-Ebene muss eine Erforder- besseres Management und technische Modernisierung lichkeitsprüfung vorausgehen, bei der die Erdkabelvari- bis zu 50 Prozent mehr Strom, erzeugt auch aus Wind ante verpflichtender Teil der Betrachtung sein muss. und Sonne, aufnehmen. Auffällig ist, dass an den jetzt Fazit: Der vorgelegte Gesetzentwurf der Bundesregie- geplanten Stromtrassen – Herr Hempelmann hat es eben rung ist Flickschusterei, vernichtet Rechte von Bürgerin- angesprochen – zufällig auch riesige Kohlekraftwerke nen und Bürgern und beinhaltet deutlich zu wenig, um geplant sind. Damit bremsen die Energiekonzerne den den künftigen Anforderungen im Energiebereich gerecht schnell wachsenden Ausbau der Nutzung erneuerbarer zu werden. Wir werden ihn deswegen ablehnen. Energien gezielt aus. Erklären Sie, Herr Hempelmann, den Thüringern, wieso Kohlestrom aus Lubmin oder Vielen Dank. Stendal durch den Thüringer Wald bei Zerstörung des (Beifall bei der LINKEN) Naturraums nach Bayern oder weiter transportiert wer- den soll! Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Beifall bei der LINKEN) Der nächste Redner ist Hans-Josef Fell für das So können Sie in der Bevölkerung keine Akzeptanz für Bündnis 90/Die Grünen. Stromtrassen erreichen. Das ist ein Gesetz, das die Rechte der Bürgerinnen und Bürger massiv beschneidet Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): und nur den Energiebossen dient. Ginge es nach Vatten- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und fall und Co., würden riesige Strommasten durch das Herren! Der Ausbau erneuerbarer Energien kann und Land gezogen, um noch mehr Kohlestrom in die Nach- muss beschleunigt werden. Die erfolgreiche industrielle barstaaten zu exportieren. Die Folgen, nämlich ein Entwicklung ist ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung 23996 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Hans-Josef Fell (A) der Wirtschaftskrise. Der Ausbau ist dynamisch und mit rem heute zur Abstimmung vorgelegten Antrag haben (C) exponentiellen Wachstumsraten sehr wohl in der Lage, wir die notwendigen Bedingungen dazu formuliert. Lei- bis 2030 eine hundertprozentige Versorgung mit er- der bleibt der Gesetzentwurf der Koalition weit hinter neuerbaren Energien im Stromsektor zu realisieren. den erforderlichen Notwendigkeiten und Möglichkeiten zurück. Vor allem kritisieren wir, dass er die Handschrift Den vielen Zweiflern in der Großen Koalition und in der Interessen der großen Stromerzeuger trägt. der FDP sei deutlich vor Augen geführt, dass auch in an- deren industriellen Zweigen solche Ausbaugeschwindig- Viele Bürgerinitiativen, die vor Ort gegen den Ausbau keiten zunächst für unmöglich gehalten, dann aber den- der Höchstspannungsleitungen kämpfen, sind nicht ge- noch realisiert wurden. Noch vor 20 Jahren hatte gen den Ausbau der Netzinfrastruktur. Zu Recht verlan- faktisch niemand einen Laptop, und in 15 Jahren erober- gen sie Erdverkabelungen, womit den Aspekten des ten Mobilfunkgeräte die Welt. Können Sie mir einen ver- Landschaftsschutzes und den Bürgerängsten vor Elek- nünftigen Grund nennen, warum die Branchen Wind- trosmog Rechnung getragen werden könnte. energie, Fotovoltaik, Biogas oder Geothermie nicht ähnliche industrielle Erfolgsgeschichten schreiben könn- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ten? Doch statt Erdverkabelungen flächendeckend zu er- möglichen, wollen Sie nur fünf willkürlich ausgewählte (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Pilotregionen zulassen. Es gibt überhaupt keinen Der Bundesverband Erneuerbare Energien hat ange- Grund, warum Sie beispielsweise die Uckermark nicht kündigt, bis 2020 47 Prozent der Stromerzeugung mit er- in die Liste der Pilotregionen aufgenommen haben. neuerbaren Energien abzudecken. Statt diese gigantische (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Chance für Klimaschutz und zur Sicherung unserer und bei der LINKEN) Energieversorgung zu ergreifen, hält die Bundesregie- rung ängstlich an ihrem nicht ambitionierten Ziel von Statt den Forderungen von berechtigten Bürgerinteres- 30 Pro-zent bis 2020 fest. Die SPD setzt lieber auf den sen entgegenzukommen, setzen Sie in Ihrem Gesetzent- Ausbau der klimaschädlichen Kohlekraftwerke und die wurf auf den Abbau von Bürgerbeteiligungsrechten. Union auf die Laufzeitverlängerung von Atomreaktoren. Meine Damen und Herren von Union und SPD, Sie soll- Beides wird den Ausbau erneuerbarer Energien bremsen ten sich nicht beschweren, wenn in diesen Regionen die statt beschleunigen. Politikverdrossenheit erneut zunimmt. Ihre Argumente gegen Erdkabel gleichen denen, die von den großen Aber immerhin haben wir von Frau Kopp heute etwas Stromversorgern vorgetragen werden. Sie behaupten, Neues gehört. Sie hat gesagt: Wenn die Atomreaktoren Erdkabel seien zu teuer und technisch nicht ausgereift. im Süden abgeschaltet werden – dort trägt die FDP ja (B) In der Anhörung des Wirtschaftsausschusses wurde das (D) Regierungsmitverantwortung –, dann brauchen wir den vom Verband der europäischen Kabelhersteller ganz an- Ausbau neuer Netze. – Gut, dass Sie endlich die Not- ders dargestellt. wendigkeit des Atomausstiegs anerkennen. (Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt doch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nicht!) Meine Damen und Herren, ein beschleunigter Ausbau Oftmals können die wesentlich niedrigeren Betriebskos- erneuerbarer Energien ist natürlich nur dann möglich, ten von Erdkabeln die höheren Investitionskosten aus- wenn die entsprechenden politischen Rahmenbedin- gleichen. Ihre Blockade gegen die flächendeckende Zu- gungen geschaffen werden. Dazu gehört unter anderem lassung von Erdkabeln ist damit ein erneuter Beweis für die Anpassung der Netzinfrastruktur an die Erforder- Ihre Politik des Schutzes der Interessen der Kohle- und nisse einer Vollversorgung mit Strom aus erneuerbaren Atomkonzerne. Energien. Notwendig sind zum Beispiel Speichersys- teme zum Ausgleich der Angebotsschwankungen bei (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sonne und Wind und der Ausbau neuer Hoch- und Zuruf der Abg. Gudrun Kopp [FDP]) Höchstspannungsnetze, um das reichliche Windstroman- gebot aus Nord- und Ostdeutschland mit den städtischen Mit den Kampagnen pro Atom und für neue Kohlekraft- Regionen in der Mitte, im Süden und im Westen zu ver- werke haben diese Konzerne längst bewiesen, dass sie binden. den schnellen Ausbau erneuerbarer Energien behindern wollen. Längst haben sich die Blockaden der großen Netzbe- treiber beim Ausbau der Netze als Bremse für den Wir verkennen nicht, meine Damen und Herren von schnellen Ausbau der Ökostromerzeugung erwiesen. der Koalition, dass Sie als Parlamentarier durchaus wich- Zum Teil blockieren sie, um die ungeliebte Konkurrenz tige Verbesserungen am Regierungsentwurf vorgenom- der erneuerbaren Energien zurückzuhalten, zum Teil men haben. Die Möglichkeiten für Erdkabel in 110-kV- scheitern sie aber auch an langwierigen Genehmigungs- Leitungen finden unsere Zustimmung. Auch begrüßen verfahren für den Ausbau von Höchstspannungsnetzen wir, dass Pumpspeicherkraftwerke von Netzentgelten und an Widerständen in Teilen der betroffenen Bevölke- befreit werden. Leider soll diese Befreiung aber nur für rung. neue Projekte und nur für zehn Jahre gelten. Das reicht als Anreiz für den dringend erforderlichen Bau von Spei- Wir Grünen stehen hinter dem Ziel der Beschleuni- chern bei weitem nicht aus. Sinnvoll ist auch die Mög- gung des Ausbaus der Höchstspannungsnetze. In unse- lichkeit des Anschlusses an moderne HGÜ-Leitungen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 23997

Hans-Josef Fell (A) Dies alles darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Wir stehen vor Herausforderungen bei der Integration (C) dieses Gesetz die Handschrift der Stromkonzerne trägt des Systems der erneuerbaren Energien. Es ist ganz klar: und wegen des Abbaus der Bürgerbeteiligungsrechte Wer Ja zu erneuerbaren Energien sagt, der muss auch Ja eine bedenkliche antidemokratische Komponente auf- zu einem beschleunigten Netzausbau sagen. weist. Den Ausbau der erneuerbaren Energien wird die- (Beifall bei der CDU/CSU) ses Gesetz nicht beflügeln; vielmehr bleibt das Problem bestehen, dass Investoren für Windparks weiterhin jahre- Nur so wird die Nutzung erneuerbarer Energien gestärkt. lang auf Leitungen warten müssen, und das nicht wegen der Proteste der Bürger, sondern weil die Energiekon- Wir stehen auch vor einer bisher nie dagewesenen zerne wenig Interesse haben, die Konkurrenten ans Netz Veränderung der Erzeugungsstruktur. Durch die Nut- anzuschließen. zung der Windkraft onshore und zukünftig offshore wer- den zusätzlich Zehntausende Megawatt Strom erzeugt Hier liegt das Kernproblem. Die Koalition blendet und ins Netz eingespeist; darüber hinaus entstehen zu- völlig aus, dass die Energiekonzerne selber die dringend nehmend konventionelle Kraftwerke, beispielsweise notwendigen Investitionen in die Stromnetze verzögern. Steinkohlekraftwerke in Küstennähe. Man wird so unab- hängig von Stromimporten, etwa aus dem Ruhrgebiet. (Beifall bei Abgeordneten des BÜND- Ich betone: Wir brauchen in Deutschland den Netzaus- NISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. bau. [SPD]) (Beifall bei der CDU/CSU) Dieses Problem muss gelöst werden, und zwar durch die baldige Gründung einer unabhängigen Netzgesellschaft. Was tun wir? Wir stellen einen Bedarfsplan auf – er Nur mit „neutralen“ Netzen wird es die erforderlichen ist dem ähnlich, den wir von der Schiene und von der Investitionen in den zukunftsfähigen Ausbau der Strom- Straße her kennen –, in dem wir die von mir beschriebe- netze geben. nen Entwicklungen antizipieren, um so einen strukturier- ten Netzausbau vornehmen zu können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Verkürzung des Instanzenwegs hat sich in den Aber dazu ist in der Koalition keine Aktivität erkennbar. neuen Bundesländern bewährt, Stichwort „Infrastruktur- So werden Sie den Anforderungen an Klimaschutz und beschleunigung“; das Bundesverwaltungsgericht ist nun- Versorgungssicherheit leider nicht gerecht. mehr die einzige, also gleichermaßen erste und letzte In- stanz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (B) (D) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Wir beschleunigen mit diesem Gesetz die Planfest- stellung für internationale Seekabel, um die Interkon- Der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer hat jetzt das Wort nektoren zu schaffen. Wir ermöglichen mit diesem für die CDU/CSU-Fraktion. Gesetz Pilotprojekte im Höchstspannungsnetz, um (Beifall bei der CDU/CSU) Stromautobahnen in Deutschland zu bekommen. Dazu gibt es aber noch viele offene Fragen. Neben der Kosten- frage – zum Teil sind die Kosten bis zu zehnmal höher Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): als sonst üblich – stellen sich auch die Fragen der Tech- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und nologie und der Landschaftsverträglichkeit; es geht um Herren! Netze sind nicht alles; aber ohne Netze ist fast Eingriffe in die Natur. Deshalb müssen wir Erfahrungen alles nichts, weil dann nämlich nichts funktioniert. Wir sammeln. bekommen das leider öfter vorgeführt, wenn es – aus verschiedenen Gründen – zu Blackouts kommt. Die Von manchen, von Herrn Fell und Konsorten, wird Wahrscheinlichkeit, dass es zu Blackouts kommt, wird hier der Eindruck erweckt, als wären Erdkabel die Lö- steigen, wenn wir nicht schnell und engagiert reagieren. sung aller Probleme. Das Gegenteil ist der Fall. Ich will Genau das tun wir mit diesem Gesetz zur Beschleuni- das am Beispiel der Uckermarkleitung darlegen. Es gung des Ausbaus der Höchstspannungsnetze. wird gesagt, wir seien gegen die Erdverkabelung in der Uckermark. Jawohl, wir sind dagegen, aber nicht des- Wir stehen, was das Stromnetz angeht, vor Herausfor- halb, weil wir gegen die Bürger oder gegen den Schutz derungen, die sich in den letzten 50 Jahren in Deutsch- der Landschaft sind; das Gegenteil ist der Fall. Wir ha- land und in Europa so nicht gestellt haben. Deutschland ben uns das ganz genau angeschaut. Was wäre, wenn wir ist mittlerweile Stromtransitland Nummer eins in Eur- in der Uckermark ein 380-kV-Erdkabel verlegen wür- opa. Wir wollen den europäischen Binnenmarkt. Wenn den? Das Ergebnis wäre ein 20 Meter breiter Straßen- wir den europäischen Binnenmarkt im Bereich Strom und Steppenstreifen durch das Biosphärenreservat. Ist genauso wie in den Bereichen Schiene und Straße wol- das die Landschaftsverträglichkeit, die Sie wollen? len – dort knüpfen wir transeuropäische Netze –, dann (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- müssen wir Interkonnektoren, also Verbindungen zwi- neten der FDP) schen den Ländern, schaffen. Ich verweise auch auf die Möglichkeit, Seekabel, beispielsweise durch die Nord- Durch die 380-kV-Freileitung in der Uckermark see, zu legen, und zwar schnell, damit der binnenökono- könnte die 220-kV-Freileitung von 37 Kilometern mische Blutkreislauf funktionieren kann. Länge, die bisher durch das Gebiet geht, abgebaut wer- 23998 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Dr. Joachim Pfeiffer (A) den. Das wäre beim Erdkabel nicht möglich. Das ist bringen die Integration der erneuerbaren Energien nach (C) praktizierter Landschaftsschutz. vorn. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Wir haben uns das sehr genau angeschaut. Dabei sind nicht allein die Kosten entscheidend. Beim Erdkabel Herr Kollege, können Sie sich vorstellen, zum Ende wäre der Eingriff in die Landschaft weitaus größer und zu kommen? wäre auch die zusätzliche Belastung für das Biosphären- reservat größer als bei einer Freileitung, die über 400 bis Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): 500 Meter sozusagen an der Ecke des Biosphärenreser- Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin; vielen vats vorhanden wäre. Dank für den freundlichen Hinweis. (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: 40-Me- Die Große Koalition beweist auch heute wieder ter-Schneise!) Handlungsfähigkeit. Wir machen also nicht nur Wahl- kampf, sondern wir regieren. Der Gesetzentwurf zu CCS – Erzählen Sie hier nichts wider besseres Wissen! wurde gestern eingebracht. Auch das werden wir noch (Beifall bei der CDU/CSU) abschließen. Mit der zweiten und dritten Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Beschleunigung des Aus- Wir haben im parlamentarischen Verfahren beispiels- baus der Höchstspannungsnetze machen wir den Weg weise auch noch das Verursacherprinzip gestärkt. Wir frei. Wir legen den Grundstein für einen beschleunigten haben den Umlageschlüssel geändert, sodass die Ge- Netzausbau. Ich hoffe auf große Zustimmung – nicht nur samtkosten für die Pilotprojekte nicht bundesweit umge- der Koalitionsfraktionen –, sodass die Stromautobahnen legt werden. Nur die Mehrkosten, die für die Pilotpro- mit Energie ausgebaut werden können. jekte zur Erdverkabelung verursacht werden, werden Herzlichen Dank. umgelegt. Das führt auch zu mehr Effizienz im gesamten Verfahren. Das ist der richtige Weg, den wir nicht nur bei (Beifall bei der CDU/CSU) den Pilotprojekten, sondern auch bei anderem beschrei- ten müssen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Das Thema „110 kV“ ist angesprochen worden. Wir Zu einer Kurzintervention, der Kollege Hill. wollen mit einer moderaten Begrenzung von 60 Prozent (Zurufe von der SPD) (B) arbeiten. Das ist nicht nichts; wir reden unter Umständen (D) über Milliardenbeträge. Die fallen nicht vom Himmel, Hans-Kurt Hill (DIE LINKE): sondern die muss über eine Umlage der Stromverbrau- Keine Angst, Herr Hempelmann! – Herr Kollege cher aufbringen. Pfeiffer, sind Sie mit mir einer Meinung, dass eine (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 70 Meter breite Schneise durch ein Biosphärenreservat einen starken Eingriff in die Naturlandschaft darstellt, Wir sind aber bereit, diesen Weg zu gehen, wenn wir hier dass sich die Bevölkerung dort mit Recht dagegen wehrt zu einer Beschleunigung kommen. und dass es unverständlich ist, dass sich die CDU vor Zu dem 20 Kilometer breiten Küstenstreifen gibt es Ort für die Erdverkabelung ausspricht und selbst die eine Klarstellung, sodass das dort schneller und besser SPD sich dafür aussprach, meine Ausschussvorsitzende geht. dann aber gesagt hat, weil die CDU nicht mitmache, werde man unserem Antrag nicht zustimmen? Ich Wenn wir hier nicht schneller vorankommen, liegt das meine, hier wurde die Unwahrheit gesagt. Dies hat daran, dass über Gerichtsverfahren, Einsprüche usw. nichts mit Wahlkampf zu tun, sondern das ist eine sachli- verzögert wird. Da sind die Opportunitätskosten oftmals che Feststellung von Fakten. höher als einmalig höhere Investitionskosten im 110-kV- Zweitens haben Sie davon gesprochen, dass Kraft- Bereich. Auch dazu schlagen wir eine Lösung vor. werke an der Küste gebaut werden sollen. Sprechen Sie Anders als im Höchstspannungsbereich brauchen wir einmal mit den Menschen vor Ort, die insbesondere vom im 110-kV-Bereich keine großen Erfahrungen mehr zu Tourismus leben und auf saubere Luft angewiesen sind. sammeln. Auch der Eingriff in die Natur ist nicht so Sie aber sagen, wir brauchten Kohlekraftwerke an der groß. Sie sollten hier nicht Äpfel mit Birnen vergleichen Küste, weil wir Importkohle verfeuern müssten. Hier und nicht wider besseres Wissen reden. verstehe ich Ihre energiepolitischen Vorstellungen nicht. (Beifall bei der CDU/CSU) Danke schön. Wir befreien die neuen Speicher, und zwar technolo- (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder gieoffen – denkbar sind nicht nur Pumpspeicher, sondern [CDU/CSU]: Aber aus Ihrer Tasche kommt auch Druckluftspeicher und anderes im Bereich der er- die Energie nicht, damit das klar ist!) neuerbaren Energien –, für zehn Jahre von den Netznut- zungsentgelten, um Anreize zu setzen. Neben den Net- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: zen verbessern wir gleichzeitig die Speicherung und Herr Pfeiffer, zur Antwort! Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 23999

(A) Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): ben und im Jahre 2030 die Hälfte, 50 Prozent, der (C) Herr Kollege Hill, unser Bundestagskollege, der dort Stromproduktion in der Bundesrepublik durch erneuer- seinen Wahlkreis hat, hat sich vor Ort ganz klar gegen bare Energien zur Verfügung zu stellen. die Erdverkabelung ausgesprochen. Insofern weiß ich nicht, wie sich die CDU vor Ort anders verhalten haben Um diesen erfolgreichen Weg fortsetzen zu können, sollte, als sie es hier im Plenum tut. brauchen wir in Deutschland nicht nur gut ausgebaute Ver- kehrsadern und leistungsfähige Datenautobahnen – übri- Die von Ihnen genannten 70 Meter kann ich über- gens auch im ländlichen Raum –, sondern hierfür ist auch haupt nicht nachvollziehen. Die Freileitung überbrückt ein zukunftsfähiges Stromnetz auf allen Spannungsebe- diesen Naturraum mit Masten. Im Gegensatz dazu zer- nen notwendig. Dafür ebnen wir heute mit der Verab- schneidet das Erdkabel das Biosphärenreservat mit ei- schiedung des Gesetzes zur Beschleunigung des Ausbaus nem 20 Meter breiten Streifen. der Höchstspannungsnetze den Weg. (Dr. [DIE LINKE]: In der (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Erde!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wissen, – Ja, in der Erde; das wird aber nicht per Tunnel hin- dass besonders für den Transport von Wind- und Solar- durchgebohrt. Es wird eine Schneise durch das Biosphä- strom der Ausbau der 110-kV-Ebene eine große Bedeu- renreservat angelegt, und hinzu kommen Sonderbau- tung hat. Ich will nicht verschweigen – Herr Schauerte hat werke wie Tunnel und Brücken über Straßen und Flüsse. das ebenfalls ausgeführt –, dass sich die SPD dafür in vie- Der Eingriff in die Natur ist hundertfach höher als bei ei- len Verhandlungsrunden starkgemacht hat. Ich kenne die ner Freileitung. Das sind die Fakten, nicht das, was Sie Herausforderung vor allem deshalb besonders gut, weil hier behaupten, Herr Hill. ich aus einem Land, nämlich Sachsen-Anhalt, komme, (Beifall bei der CDU/CSU) das gelegentlich von der Bundesregierung als das Land der erneuerbaren Energien bezeichnet wird und in dem heute bereits 20 Prozent der Stromerzeugung durch er- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: neuerbare Energien bereitgestellt werden. Jetzt gebe ich Marko Mühlstein das Wort für die SPD- Fraktion. Ich denke, es ist sehr sinnvoll, dass wir uns über den Regierungsentwurf hinaus auf die Erdverkabelungsrege- Marko Mühlstein (SPD): lung für 110 kV einigen konnten. Ich glaube, es macht Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle- auch Sinn, dass die Mehrkosten, die übrigens in der Zu- ginnen und Kollegen! Als im Jahre 2000 in diesem Ho- kunft von der Bundesnetzagentur anrechenbar sind, auf (B) hen Hause das Erneuerbare-Energien-Gesetz verabschie- den Kostenfaktor 1,6 begrenzt werden. (D) det wurde, hat man sich zum Ziel gesetzt, im Jahre 2010 Gerade im Bereich der 110-kV-Ebene liegen uns zahl- einen Anteil der erneuerbaren Energien an der Strompro- reiche Erfahrungswerte aus 25 Jahren vor, die wir in der duktion von 12,5 Prozent zu haben. Im Jahr 2008 hatten Zukunft im Blick haben müssen, um die weiteren gesetz- wir bereits einen Anteil von 15 Prozent am Stromver- lichen Regelungen in diesem Bereich sinnvoll zu gestal- brauch. ten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hans- Ich bin mir sicher, dass die Beschleunigung des Netz- Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ausbaus aufgrund einer höheren Akzeptanz in Bezug auf Das ist erfolgreiche grüne Politik!) Erdkabel gegenüber Freileitungen erfolgen kann. Mit den vier Pilottrassen im Bereich der 380-kV-Ebene ma- Im ersten Quartal 2009 lag der Anteil schon bei chen wir einen guten Anfang. Ich will nicht verschwei- 17 Prozent. Die Kritiker von damals reiben sich die Au- gen, dass – da möchte ich an die Diskussion von eben gen, Herr Fell. anschließen – die SPD sich durchaus für die Ucker- markleitung ausgesprochen hat und wir durchaus einen Im Bereich der erneuerbaren Energien haben wir bis Sinn in dieser Leitung als zusätzliche Pilottrasse sehen. heute über 275 000 Arbeitsplätze geschaffen. Im Jahre Regierungshandeln ist aber immer auch von Kompro- 2020 – so sind die Prognose und unser Ziel – werden so- missen geprägt. Das kann eine Oppositionspartei nicht gar 500 000 Arbeitsplätze durch unsere gute Klimapoli- verstehen; aber Sie befinden sich ja noch in einem Lern- tik geschaffen sein. prozess. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Deutschland ist Exportweltmeister auch im Bereich GRÜNEN) der Umwelttechnologie nicht zuletzt durch die erneuer- baren Energien. Ich hoffe zumindest, dass Sie sich in einem Lernprozess befinden, Herr Hill. (Beifall der Abg. Dr. Thea Dückert [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) (Christoph Pries [SPD]: Die Hoffnung stirbt zuletzt!) Unser Ziel ist es, im Jahre 2020 einen Anteil der erneu- erbaren Energien von 30 Prozent im Strombereich zu ha- – Die Hoffnung stirbt zuletzt, genau. 24000 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Marko Mühlstein (A) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Wind- ten und Süden und die Erzeugung im Norden konzen- (C) kraft auf See, die sogenannte Offshorewindkraft, ist in triert hat. Ich kann mich an einen Fall aus den 90er-Jah- Zukunft eine wichtige Säule der erneuerbaren Energien. ren erinnern. Da hat ein Stromversorgungsunternehmen Nach der Offshorestrategie der Bundesregierung sollen versucht, eine Höchstspannungsleitung in Schleswig- im Jahre 2020 10 000 Megawatt Leistung offshore in- Holstein zu bauen. Nach einem zehnjährigen Prozess hat stalliert sein. Im Jahre 2030 können das sogar 25 000 es aufgegeben und diese Leitung nicht gebaut. Megawatt sein. Mit der Konkretisierung der Anbin- dungspflicht des Energiewirtschaftsgesetzes durch die Aufgrund dieser Situation hat die Bundesregierung Bundesnetzagentur wird eine Initiative der Koalition be- einen Gesetzentwurf vorgelegt, den wir schleunigst be- rücksichtigt, nämlich die Erleichterung der Anbindung schließen sollten. Wir sollten möglichst alle Hemmnisse von Offshoreanlagen zu gewährleisten. Dank dieser Ini- im Vollzug ausräumen; denn in den zurückliegenden tiative und der Konkretisierung ist es möglich, die Off- Jahren hat sich die Situation durch die verstärkte Erzeu- shorestrategie umzusetzen und zu realisieren. gung von Strom über Windkraft und fossile Energien dramatisch verändert. Wenn es wirklich so weit kommen Die temporären Energiequellen Sonne und Wind stel- sollte, dass die Stromerzeugung für die Grundlast im Sü- len uns vor Herausforderungen. Wir wissen, dass wir den stillgelegt werden muss, dann muss jemand die auch in Zukunft einen hohen Bedarf an Speicherkapazi- Frage beantworten, wie der hohe Stromverbrauch in täten und Pufferung im Gesamtnetz haben werden. Des- Bayern und Baden-Württemberg zumindest in der wegen ist es eine wichtige Entscheidung, Pumpspeicher- Grundlast – dies betrifft weniger die Mittel- und Spitzen- kraftwerke und andere Speicher vom Netzentgelt zu last – gewährleistet werden soll. befreien. Das ist ein bedeutender Schritt, um in Zukunft die Speicherkapazitäten ausbauen zu können. (Beifall bei der CDU/CSU) Um ein modernes und leistungsfähiges Stromnetz in Wir sollten uns nicht die Köpfe darüber zerbrechen, Deutschland zu schaffen, brauchen wir ein europäisches wie schnell der Ausbau der Erdverkabelung stattfindet. Verbundnetz. Dafür legen wir heute den Grundstein. Klar ist – das richte ich an Sie, Herr Fell –: Jeder Lei- Mit der heutigen Verabschiedung des Energieleitungs- tungsbau hat einen erheblichen Eingriff in die Natur zur ausbaugesetzes werden unabdingbare Weichen auf dem Folge. Allen, die hier sehr locker davon gesprochen ha- Weg zu mehr Versorgungssicherheit, Netzstabilität und ben – insbesondere Herr Hill –, empfehle ich, sich ein- einem kontinuierlichen Ausbau der erneuerbaren Ener- mal die Erdverkabelung in Berlin anzusehen, damit sie gien in Deutschland gestellt. Kurzum, es ist ein wichti- wissen, welche Bauwerke in die Natur gestellt werden ger Baustein für eine nachhaltige, dezentrale und zu- müssen und dass bestimmte Streifen nicht bebaut, nicht kunftsweisende Energieversorgung. genutzt und nicht bepflanzt werden dürfen, weil sie un- terhalten werden müssen. (B) (Beifall bei der SPD) (D) Ich möchte die verbleibende Zeit nutzen, um den Kol- Unabhängig davon müssen wir natürlich berücksich- legen Rolf Hempelmann und Herrn Dr. Pfeiffer für die au- tigen, dass die Erdverkabelung erheblich teurer ist. Herr ßerordentlich konstruktive Zusammenarbeit zu danken. Hill, ich habe an der gleichen Anhörung zur Erdverkabe- Um mit den Worten eines Fußballfreundes zu sprechen, lung teilgenommen wie Sie. Ich habe nicht gehört, dass lieber Rolf Hempelmann: Ich denke, die Beratungen wa- einer der Vertreter der Protagonisten der Erdverkabelung ren ein faires Spiel mit zahlreichen Verlängerungsrunden; gesagt hätte – sie waren anwesend; selbstverständlich aber am Ende gibt es einen Sieger, und das ist die zukünf- möchten sie ihre Kabel verkaufen –, dass sich die bei der tige Energieversorgung Deutschlands. Investition entstehenden Mehrkosten durch geringere Unterhaltungskosten aufheben würden. Fest steht – das Ganz herzlichen Dank. steht auch in der Begründung des Gesetzentwurfes –, dass wir bei der Erdverkabelung mit nicht unbeträchtli- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Joachim chen Mehrkosten zu rechnen haben. Deswegen ist es Pfeiffer [CDU/CSU]) sehr wohl gerechtfertigt, in Form von Pilotprojekten an die Sache heranzugehen, um entsprechende Erfahrungen Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: zu sammeln. Franz Obermeier hat jetzt das Wort für die CDU/ CSU-Fraktion. Ich sage dies auch deswegen, weil wir, gerade was Gleichstromleitungen betrifft, sehr geringe Erfahrungen (Beifall bei der CDU/CSU) haben. Da ist es sehr wohl angebracht, behutsam an die Sache heranzugehen, um nicht mehr Geld als unbedingt Franz Obermeier (CDU/CSU): notwendig zu verbrauchen. Denn das alles – darauf muss Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! man immer wieder hinweisen – zahlt der Verbraucher. Bis vor einigen Jahren galt das bundesdeutsche Strom- netz sowohl in der Niederspannungsebene als auch in Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: der Hoch- und Höchstspannungsebene als vorbildlich in Europa. Die Veränderungen in der Erzeugungsstruk- Herr Kollege, Sie hätten die Chance, eine Zwischen- tur haben uns schon in den 90er-Jahren vor Augen ge- frage des Kollegen Hill zuzulassen. führt, dass ein Leitungsausbau dringend notwendig ist. (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Er will Dieser Leitungsausbau muss möglichst rasch vollzogen wieder lernen!) werden, weil sich völlig veränderte Strukturen dadurch ergeben, dass sich der Verbrauch überwiegend im Wes- Möchten Sie das? Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24001

(A) Franz Obermeier (CDU/CSU): Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (C) Selbstverständlich. Bitte schön. Das wird hier jetzt quasi ein Bayern-Du- ell. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bitte schön. Herr Kollege Obermeier, ich spreche von Bayer zu Bayer oder von Franke zu Bayer. Hans-Kurt Hill (DIE LINKE): Herr Obermeier, ich gebe Ihnen vollkommen recht, Franz Obermeier (CDU/CSU): dass der Ausbau der Erdverkabelung teurer ist. Die Ge- Das ist auch Bayern. lehrten streiten sich ja über die Schaffung eines Aus- gleichs für die Wartung und die Verluste. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie haben hier mit Ihrem bayerischen Akzent gespro- Ist Ihnen bekannt, dass mit den modernen großen chen und geben mir doch bestimmt recht, dass es für die Windrädern, die eine Nabenhöhe von über 120 Meter Energieversorgung – insbesondere die in Bayern – wich- haben, auch in Bayern 90 Prozent des Windangebotes tig wäre, dass man dort mit Windenergie endlich richtig geerntet werden können, das mit der gleichen Anlage an „pushen“ würde. der norddeutschen Küste geerntet werden kann? Es gibt beim Windangebot Bayerns nur einen kleinen, zehnpro- Zweiter Punkt. Sie geben mir doch bestimmt auch zentigen Unterschied im Vergleich mit dem der nord- vollkommen recht, dass es wesentlich weniger Ein- deutschen Tiefebene. schnitte in die Natur geben würde, wenn wir mit HGÜ- Leitungen arbeiten würden. Wir könnten die vorhande- (Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Hört! Hört!) nen Leitungen entsprechend optimieren. Durch ein Tem- Dass dies nicht ausgenutzt wird, liegt an einer verfehlten peraturmonitoring könnten wir wesentlich mehr Strom Genehmigungspraxis in Bayern, wo vielfach nur Naben- über die vorhandenen Netze leiten. Warum setzen wir höhen bis 100 Meter zugelassen werden, wodurch man denn nicht dort an? eben nicht in der Lage ist, das hohe bayerische Wind- angebot ausnutzen zu können. Franz Obermeier (CDU/CSU): Stimmen Sie nicht mit mir überein, dass wir diese Ge- Ich gebe Ihnen insofern recht, als die HGÜ-Leitun- nehmigungspraxis in Bayern endlich beenden sollten, gen, nach allem, was wir jetzt wissen, hinsichtlich des damit auch dort der CO2-freie Strom der Windkraft end- (B) gesamten Unterhaltungsaufwandes erheblich günstiger lich stark ausgebaut werden kann? Das entsprechende (D) sind. Bei den Gleichstromleitungen haben wir aber so Windpotenzial ist sehr wohl vorhanden. gut wie keine Erfahrungen hinsichtlich großer Übertra- gungsnetze. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt doch (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: überhaupt nicht! Das war doch absurd!) Dann schauen Sie einmal nach China!) Das führt uns dazu, zu sagen: Das probieren wir. Franz Obermeier (CDU/CSU): Herr Fell, ich stimme Ihnen überhaupt nicht zu. Wenn Herr Hill, ich habe mir bei Ihrer Rede im Übrigen no- Sie sich den Windatlas von Bayern anschauen – unab- tiert, dass Sie meinen, wir sollten in Bayern auf Wind- hängig von Nabenhöhen, neuen Techniken und Ähnli- kraft setzen. Dafür müssten Sie schon den Wind dorthin chem – und ihn mit dem Windkataster für die norddeut- bringen. sche Tiefebene und die Nordsee vergleichen, dann sehen Sie auch als Laie, dass hier völlig andere Verhältnisse (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gelten. Wenn Sie es mit Ihrer linken Politik schaffen, dass der (Zuruf von der CDU/CSU: Aber nur, wenn Wind in Bayern so wie in der norddeutschen Tiefebene man es will!) oder an der Nordsee- oder Ostseeküste bläst, dann bauen wir die Windkraftanlagen auch in Bayern, ohne dass wir Im Übrigen will ich Ihnen Folgendes sagen: Ich unser schönes Land dort verschandeln. kenne sehr viele Regionen in Bayern – im Übrigen auch in Ihrem schönen Franken –, die es sich überhaupt nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) vorstellen können, dass Windkraftanlagen mit hohen Na- benhöhen und großen Durchmessern bei ihnen errichtet Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: werden. Sie wollen das nicht und setzen auf andere Herr Kollege, es gibt einen weiteren Wunsch, eine Dinge. Zwischenfrage zu stellen, und zwar den des Kollegen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hans-Josef Fell. Möchten Sie die auch noch zulassen? Stromtrassen sind etwas anderes als Windparks im schö- nen Frankenland. Viele Leute wollen das nicht, und wir Franz Obermeier (CDU/CSU): richten uns schon nach dem Nutzen und dem Schaden. Ja, selbstverständlich. Das ist für meine Begriffe die richtige Politik. 24002 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Franz Obermeier (A) (Beifall bei der CDU/CSU – Gudrun Kopp mung durch CDU/CSU, SPD und FDP, Gegenstimmen (C) [FDP]: Tourismus!) der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke sowie einer Gegenstimme aus den Reihen der SPD und Zum Abschluss noch ein paar Sätze zu Ihnen, Herr einer Enthaltung aus den Reihen der SPD angenommen. Hill, weil Sie sich über die Gesundheit und den Schutz der Gesundheit der Menschen ausgelassen haben. Wir kommen zur (Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: So ist es!) dritten Beratung Ich weiß, dass Sie Saarländer sind, und ich werfe Ihnen und Schlussabstimmung. Wer für diesen Gesetzentwurf Ihren Dialekt nicht vor, aber wenn Sie studieren wollen, ist, möge sich bitte erheben. – Die Gegenstimmen? – Die wie man den Schutz der Gesundheit der Menschen miss- Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in dritter achten kann, dann führen Sie sich vor Augen, was im Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zu- Ursprungsland Ihrer kommunistischen Partei stattgefun- vor angenommen. den hat. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- (Beifall bei der CDU/CSU) ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache Ich habe 1990 in ein paar Gemeinden in der Nähe von 16/12902. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? Lauchhammer gesehen, wie man im kommunistischen – Die Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Ursprungssystem mit der Gesundheit der Menschen um- Entschließungsantrag bei Zustimmung durch Bünd- gegangen ist. Sie sollten dieses Beispiel nicht bringen. In nis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke bei Ge- Deutschland wird auf die Gesundheit der Menschen sehr genstimmen im übrigen Haus abgelehnt. wohl Rücksicht genommen. Unter Nr. 1 Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung Herzlichen Dank. auf Drucksache 16/12898 empfiehlt der Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be- (Beifall bei der CDU/CSU) schlussempfehlung? – Die Gegenstimmen? – Enthaltun- gen? – Damit ist die Entschließung bei Zustimmung Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: durch die Koalition angenommen. Dagegen hat die Frak- Ich schließe die Aussprache. tion Die Linke gestimmt. Die Fraktion der FDP hat sich enthalten. Als Thüringerin stelle ich fest, dass hier Dialekte je- der Art erlaubt sind, soweit sie für andere verständlich Wir setzen jetzt die Abstimmungen zu der Beschluss- bleiben. empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Techno- (B) logie auf Drucksache 16/12898 fort. Der Ausschuss (D) (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie sitzen aber empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung die nicht als Thüringerin da oben, sondern als Prä- Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf sidentin!) Drucksache 16/10842 mit dem Titel „Stromübertra- Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- gungsleitungen bedarfsgerecht ausbauen – Bürgerinnen- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Be- und Bürgerbeteiligung sowie Energiewende umfassend schleunigung des Ausbaus der Höchstspannungsnetze. berücksichtigen“. Wer stimmt für diese Beschlussemp- Zur Abstimmung liegen drei Erklärungen nach § 31 un- fehlung? – Die Gegenstimmen? – Die Enthaltungen? – serer Geschäftsordnung vor, und zwar von den Kollegen Die Beschlussempfehlung ist bei Zustimmung durch Dr. Hans Georg Faust, Hans Peter Tuhl und Jochen- CDU/CSU, SPD und FDP bei Gegenstimmen der Frak- Konrad Fromme.1) tion Die Linke und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen angenommen. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie emp- fiehlt unter Nr. 1 Buchstabe a seiner Beschlussempfeh- Unter Nr. 3 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung lung auf Drucksache 16/12898, den Gesetzentwurf der des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Bundesregierung auf Drucksache 16/10491 in der Aus- Drucksache 16/10590 mit dem Titel „Stromnetze zu- schussfassung anzunehmen. kunftsfähig ausbauen“. Wer stimmt für diese Beschluss- empfehlung? – Die Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Hierzu liegt ein Änderungsantrag der FDP vor, über Die Beschlussempfehlung ist bei Zustimmung durch den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Ände- CDU/CSU, SPD und FDP angenommen. Dagegen hat rungsantrag auf Drucksache 16/12901? – Die Gegen- die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gestimmt. Die stimmen? – Die Enthaltungen? – Damit ist der Ände- Fraktion Die Linke hat sich enthalten. rungsantrag bei Zustimmung durch die einbringende Fraktion, bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Wir kommen nun zu Nr. 4 der Beschlussempfehlung Grünen und Ablehnung im übrigen Haus abgelehnt. des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu der Entschließung des Ausschusses für Umwelt, Natur- Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in schutz und Reaktorsicherheit unter Ziffer II auf Druck- der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- sache 16/9477. Die Fraktionen Die Linke und Bünd- zeichen. – Die Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit nis 90/Die Grünen haben im Ausschuss der vorgeschla- ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei Zustim- genen Erledigterklärung widersprochen, sodass wir inso- weit nicht über die Beschlussempfehlung abstimmen. In- 1) Anlage 2 terfraktionell wird Abstimmung in der Sache über den Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24003

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) Entschließungsvorschlag des Ausschusses für Umwelt, Überweisungsvorschlag: (C) Naturschutz und Reaktorsicherheit gewünscht. Wer Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Rechtsausschuss stimmt für den Entschließungsvorschlag des Ausschus- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit? – Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Dafür stimmen Verbraucherschutz Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke, dagegen stim- Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung men CDU/CSU, SPD und FDP, Enthaltungen gibt es Haushaltsausschuss keine. Dann ist der Entschließungsvorschlag abgelehnt. e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Sat- Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 38 a bis e so- zung vom 26. Januar 2009 der Internationalen wie 38 g bis l sowie die Zusatzpunkte 4 a bis 4 j auf: Organisation für erneuerbare Energien 38 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- – Drucksache 16/12789 – gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neu- Überweisungsvorschlag: regelung des Rechts des Naturschutzes und Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) der Landschaftspflege Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz – Drucksache 16/12785 – g) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Sportausschuss Ersten Gesetzes zur Änderung des Treibhaus- Rechtsausschuss gas-Emissionshandelsgesetzes Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und – Drucksache 16/12853 – Verbraucherschutz Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Tourismus b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Haushaltsausschuss gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neu- regelung des Wasserrechts h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Pieper, Patrick Meinhardt, Uwe Barth, weiterer – Drucksache 16/12786 – Abgeordneter und der Fraktion der FDP Überweisungsvorschlag: HIV/AIDS-Forschung vorantreiben (B) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) (D) Innenausschuss – Drucksache 16/11673 – Sportausschuss Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Ausschuss für Gesundheit Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung i) Beratung des Antrags des Bundesministeriums Haushaltsausschuss der Finanzen c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Entlastung der Bundesregierung für das gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Rege- Haushaltsjahr 2008 – Vorlage der Haushalts- lung des Schutzes vor nichtionisierender Strah- und Vermögensrechnung des Bundes – (Jah- lung resrechnung 2008) – Drucksache 16/12787 – – Drucksache 16/12620 – Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Innenausschuss j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin Rechtsausschuss Binder, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Verbraucherschutz LINKE Verteidigungsausschuss Verbraucherinformationsgesetz umgehend Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit überarbeiten Haushaltsausschuss – Drucksache 16/12847 – d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Überweisungsvorschlag: gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bereini- Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f) gung des Bundesrechts im Geschäftsbereich Ausschuss für Wirtschaft und Technologie des Bundesministeriums für Umwelt, Natur- schutz und Reaktorsicherheit (Rechtsbereini- k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Undine gungsgesetz Umwelt – RGU) Kurth (Quedlinburg), Cornelia Behm, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion – Drucksache 16/12788 – BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 24004 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) Einführung einer Positivliste zur Haltung von e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst (C) Tieren im Zirkus Meierhofer, Frank Schäffler, Michael Kauch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 16/12864 – Überweisungsvorschlag: Steuerprivilegien öffentlich-rechtlicher Unter- Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und nehmen abschaffen – Fairen Wettbewerb auch Verbraucherschutz (f) in der Abfallwirtschaft ermöglichen Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit – Drucksache 16/5728 – Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Überweisungsvorschlag: l) Beratung des Antrags der Abgeordneten Finanzausschuss (f) Dr. , Bettina Herlitzius, Winfried Innenausschuss Hermann, weiterer Abgeordneter und der Frak- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Carsharing-Stellplätze baldmöglichst privile- f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gisela gieren Piltz, Detlef Parr, Dr. Max Stadler, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 16/12863 – Überweisungsvorschlag: Datei „Gewalttäter Sport“ auf verfassungs- Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) mäßige Grundlage stellen Ausschuss für Wirtschaft und Technologie – Drucksache 16/11752 – ZP 4a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Überweisungsvorschlag: gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stär- Innenausschuss (f) kung der Rechte von Verletzten und Zeugen Sportausschuss im Strafverfahren (2. Opferrechtsreformgesetz) Rechtsausschuss – Drucksache 16/12812 – g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Überweisungsvorschlag: Höfken, Thilo Hoppe, Ute Koczy, weiterer Abge- Rechtsausschuss (f) ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Innenausschuss GRÜNEN Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ Milch-Exportsubventionen sofort stoppen – CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Weitere Zerstörung der Märkte in Entwick- lungsländern verhindern (B) Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes (D) zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Hel- – Drucksache 16/12308 – fer der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk Überweisungsvorschlag: – Drucksache 16/12854 – Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f) Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss Innenausschuss (f) Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Rechtsausschuss Entwicklung Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend c) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gisela CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Piltz, Dr. Max Stadler, Christian Ahrendt, weite- Gesetzes zur Regelung des Assistenzpflege- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP bedarfs im Krankenhaus Gemeinsames Internetzentrum auf gesetzliche – Drucksache 16/12855 – Grundlage stellen Überweisungsvorschlag: – Drucksache 16/12471 – Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Innenausschuss (f) Technikfolgenabschätzung Rechtsausschuss d) Erste Beratung des von den Abgeordneten Josef i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hartfrid Philip Winkler, Volker Beck (Köln), Ekin Wolff (Rems-Murr), Gisela Piltz, Dr. Max Deligöz, weiteren Abgeordneten und der Fraktion Stadler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- der FDP wurfs eines Gesetzes zur Streichung des Op- tionszwangs aus dem Staatsangehörigkeits- Europarechtskonformes und nachvollziehba- recht res Nachzugsrecht schaffen – Metock-Urteil des EuGH sofort gesetzlich verankern – Drucksache 16/12849 – – Drucksache 16/12732 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss (f) Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss Innenausschuss (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24005

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ingbert richtung einer Stiftung Deutsche Geisteswis- (C) Liebing, Marie-Luise Dött, Peter Bleser, weiterer senschaftliche Institute im Ausland, Bonn Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Mechthild Rawert, – Drucksache 16/12229 – Christoph Pries, Marco Bülow, weiterer Abge- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- ordneter und der Fraktion der SPD ses für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung (18. Ausschuss) Delfinschutz voranbringen – Drucksache 16/12829 – – Drucksache 16/12868 – Überweisungsvorschlag: Berichterstattung: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Abgeordnete Monika Grütters Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und (Spandau) Verbraucherschutz Cornelia Pieper Es handelt sich hier um Überweisungen im verein- Dr. Petra Sitte fachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik- die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu folgenabschätzung empfiehlt in seiner Beschlussemp- überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der fehlung auf Drucksache 16/12829, den Gesetzentwurf Fall. Dann ist so beschlossen. der Bundesregierung auf Drucksache 16/12229 anzu- nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu- Wir kommen zu den Beschlussfassungen zu Vorla- stimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim- gen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD Tagesordnungspunkt 39 a: und FDP angenommen. Gegenstimmen gab es keine. Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat Enthalten haben sich die Fraktionen Bündnis 90/Die eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- Grünen und Die Linke. derung der Bundesnotarordnung und anderer Dritte Beratung Gesetze und Schlussabstimmung. Diejenigen, die dem Gesetz- – Drucksache 16/8696 – entwurf zustimmen möchten, bitte ich, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus- (B) ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmverhältnis (D) schusses (6. Ausschuss) wie vorher angenommen. – Drucksache 16/12896 – Tagesordnungspunkt 39 c: Berichterstattung: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des Abgeordnete Markus Grübel von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Dr. Carl-Christian Dressel eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 6. November 2008 zwischen der Bundesrepu- Mechthild Dyckmans blik Deutschland und der Republik Österreich Sevim Dağdelen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf Jerzy Montag dem Gebiete der Erbschaftsteuern bei Erbfäl- Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- len, in denen der Erblasser nach dem 31. De- empfehlung auf Drucksache 16/12896, den Gesetzent- zember 2007 und vor dem 1. August 2008 ver- wurf des Bundesrates auf Drucksache 16/8696 in der storben ist Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die – Drucksache 16/12236 – dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent- Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus- haltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung schusses (7. Ausschuss) einstimmig angenommen. – Drucksache 16/12899 – Dritte Beratung Berichterstattung: und Schlussabstimmung. Wer möchte für den Gesetzent- Abgeordnete Manfred Kolbe wurf stimmen? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Lothar Binding (Heidelberg) Gesetzentwurf ist in dritter Beratung einstimmig ange- Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- nommen. empfehlung auf Drucksache 16/12899, den Gesetzent- Tagesordnungspunkt 39 b: wurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/12236 an- zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf angenom- Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Er- men. 24006 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) Tagesordnungspunkt 39 d: Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- (C) lung auf Drucksache 16/9089, den Antrag auf Drucksa- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- che 16/8374 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschluss- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes empfehlung? – Die Gegenstimmen? – Enthaltungen? – zur Verbesserung der Absicherung von Zivil- Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von personal in internationalen Einsätzen zur zivi- CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Frak- len Krisenprävention tion Die Linke angenommen. Bündnis 90/Die Grünen – Drucksache 16/12595 – haben sich enthalten. Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärti- Tagesordnungspunkt 39 g: gen Ausschusses (3. Ausschuss) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- – Drucksache 16/12889 – nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge- Berichterstattung: ordneten Ulla Lötzer, Katrin Kunert, Dr. Barbara Abgeordnete Holger Haibach Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Dr. Fördergelder nur als Unternehmensbeteiligung Dr. Kerstin Müller (Köln) – Drucksachen 16/8177, 16/9090 – Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt in seiner Be- Berichterstattung: schlussempfehlung auf Drucksache 16/12889, den Ge- Abgeordnete Doris Barnett setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/ Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- 12595 anzunehmen. Ich möchte diejenigen, die dem Ge- lung auf Drucksache 16/9090, den Antrag der Fraktion setzentwurf zustimmen wollen, um ihr Handzeichen bit- Die Linke auf Drucksache 16/8177 abzulehnen. Wer ten. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent- stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Gegen- wurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen. stimmen? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschluss- empfehlung gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke Dritte Beratung mit den Stimmen des übrigen Hauses angenommen. und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zu- Tagesordnungspunkt 39 h: stimmt, möge sich bitte erheben. – Die Gegenstimmen? – Die Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Be- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- (B) ratung einstimmig angenommen. richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (D) (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Tagesordnungspunkt 39 e: Werner Dreibus, Dr. Barbara Höll, Ulla Lötzer, Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Brüderle, Frank Schäffler, Martin Zeil, weiterer LINKE Abgeordneter und der Fraktion der FDP Tarifflucht verhindern – Geltung des Günstig- keitsprinzips bei Betriebsübergängen nach Interventionistische Industriepolitik bei der § 613 a BGB sicherstellen Verwertung von indirektem Bundesvermögen wie der Deutschen Postbank AG wirksam un- – Drucksachen 16/10828, 16/11984 – terbinden Berichterstattung: – Drucksache 16/8411 – Abgeordnete Brigitte Pothmer Wer stimmt für diesen Antrag? – Die Gegenstimmen? – Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- Enthaltungen? – Damit ist der Antrag gegen die Stim- lung auf Drucksache 16/11984, den Antrag der Fraktion men der Fraktionen FDP und Bündnis 90/Die Grünen Die Linke auf Drucksache 16/10828 abzulehnen. Wer mit den Stimmen des übrigen Hauses abgelehnt. stimmt für die Beschlussempfehlung? – Die Gegenstim- men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist Tagesordnungspunkt 39 f: mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP ange- nommen. Dagegen haben die Linke und Bündnis 90/Die Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Grünen gestimmt. Es gab keine Enthaltungen. richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge- Tagesordnungspunkt 39 i: ordneten Dr. Lothar Bisky, Dr. Petra Sitte, Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Cornelia Hirsch, weiterer Abgeordneter und der richts des Ausschusses für Bildung, Forschung Fraktion DIE LINKE und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) Energieverbrauch von Computern senken zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung – Drucksachen 16/8374, 16/9089 – Mitteilung der Kommission an das Europäi- sche Parlament, den Rat, den Europäischen Berichterstattung: Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Abgeordnete Kerstin Andreae Ausschuss der Regionen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24007

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) Ein aktualisierter strategischer Rahmen für Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- (C) die europäische Zusammenarbeit auf dem Ge- tungen? – Einstimmig angenommen. biet der allgemeinen und beruflichen Bildung (inkl. 17535/08 ADD 1 und 17535/08 ADD 2) Tagesordnungspunkt 39 n: (ADD 1 in Englisch) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- KOM(2008) 865 endg.; Ratsdok. 17535/08 ausschusses (2. Ausschuss) – Drucksachen 16/11819 Nr. A.28, 16/12827 – Sammelübersicht 557 zu Petitionen Berichterstattung: – Drucksache 16/12705 – Abgeordnete Carsten Müller (Braunschweig) Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Patrick Meinhardt tungen? – Die Sammelübersicht ist gegen die Stimmen Cornelia Hirsch der Fraktion Die Linke mit den Stimmen des übrigen Priska Hinz (Herborn) Hauses angenommen. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrich- Tagesordnungspunkt 39 o: tung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthal- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim- ausschusses (2. Ausschuss) men von CDU/CSU, SPD und FDP angenommen. Die Sammelübersicht 558 zu Petitionen Linke hat dagegengestimmt. Bündnis 90/Die Grünen ha- ben sich enthalten. – Drucksache 16/12706 – Tagesordnungspunkte 39 j bis 39 q. Wir kommen zu Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. tungen? – Die Sammelübersicht ist angenommen. Zuge- Tagesordnungspunkt 39 j: stimmt haben CDU/CSU, SPD und FDP. Dagegenge- stimmt hat die Fraktion Die Linke. Bündnis 90/Die Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Grünen haben sich enthalten. ausschusses (2. Ausschuss) Tagesordnungspunkt 39 p: Sammelübersicht 553 zu Petitionen Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- – Drucksache 16/12701 – ausschusses (2. Ausschuss) (B) Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- (D) Sammelübersicht 559 zu Petitionen tungen? – Einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 39 k: – Drucksache 16/12707 – Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- ausschusses (2. Ausschuss) tungen? – Die Sammelübersicht ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP angenommen. Dagegen haben Sammelübersicht 554 zu Petitionen die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen – Drucksache 16/12702 – gestimmt. Enthaltungen gab es nicht. Wer stimmt dafür? – Dagegen? – Enthaltungen? – Tagesordnungspunkt 39 q: Einstimmig angenommen. Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Tagesordnungspunkt 39 l: ausschusses (2. Ausschuss) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Sammelübersicht 560 zu Petitionen ausschusses (2. Ausschuss) – Drucksache 16/12708 – Sammelübersicht 555 zu Petitionen Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- – Drucksache 16/12703 – tungen? – Die Sammelübersicht ist mit den Stimmen von Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- CDU/CSU und SPD angenommen. Dagegen haben die tungen? – Die Sammelübersicht ist mit den Stimmen von übrigen drei Fraktionen gestimmt. CDU/CSU, SPD und FDP angenommen. Die Linke hat Zusatzpunkt 5 a: dagegengestimmt. Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten. Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika Grütters, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Peter Tagesordnungspunkt 39 m: Albach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- der CDU/CSU, der Abgeordneten Steffen Reiche ausschusses (2. Ausschuss) (Cottbus), Monika Griefahn, Dr. Herta Däubler- Gmelin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Sammelübersicht 556 zu Petitionen der SPD sowie der Abgeordneten Hans-Joachim – Drucksache 16/12704 – Otto (Frankfurt), Christoph Waitz, Burkhardt 24008 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) Müller-Sönksen, weiterer Abgeordneter und der haben ja durch die Einladung an FDP und Bündnis 90/ (C) Fraktion der FDP Die Grünen den fraktionsübergreifenden Charakter des Antrags betont. Ich frage mich allerdings: Warum wer- Schutz des Klosters Mor Gabriel sicherstellen den wir ausdrücklich ausgeschlossen? Warum wurde ein – Drucksache 16/12866 – vollkommen gleichlautender Antrag von uns, der sich in nichts von dem Antrag der Großen Koalition unterschei- Wer stimmt für diesen Antrag? – Gegenstimmen? – det, in diesem Hause abgelehnt? Ich habe dem Antrag Enthaltungen? – Der Antrag ist einstimmig angenom- zugestimmt, obwohl ich mich frage, welche parlamenta- men. rische Kultur hier eigentlich zum Ausdruck kommt. Zusatzpunkt 5 b: Wieso grenzt man diejenigen aus, deren Idee und Text man sich zu eigen macht? Die drei Anträge hätten gut ei- Beratung des Antrags der Abgeordneten ner sein können, gerade um der Hilfe für Mor Gabriel Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Petra Sitte, Cornelia willen. Ein schlechtes Schauspiel. Hirsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Dauerhaften Schutz des Klosters Mor Gabriel des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sicherstellen Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: – Drucksache 16/12848 – Zusatzpunkt 5 d: Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage- gen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist gegen die Stim- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- men von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu Linke mit den Stimmen des übrigen Hauses ablehnt. der Unterrichtung durch die Bundesregierung Zusatzpunkt 5 c: Vorschlag für eine Verordnung des Europäi- schen Parlaments und des Rates über die Beratung des Antrags der Abgeordneten Claudia Fahrgastrechte im Kraftomnibusverkehr und Roth (Augsburg), Ekin Deligöz, Kai Gehring, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/ weiterer Abgeordneter und der Fraktion 2004 über die Zusammenarbeit zwischen den BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für die Durchsetzung der Verbraucherschutz- Schutz des Klosters Mor Gabriel sicherstellen gesetze zuständigen nationalen Behörden (inkl. 16933/08 ADD 1 und 16933/08 ADD 2) – Drucksache 16/12867 – (B) (ADD 1 in Englisch) (D) Hierzu liegt eine Erklärung zur Abstimmung der Kol- KOM(2008) 817 endg.; Ratsdok. 16933/08 leginnen Claudia Roth und Dr. Thea Dückert vor.1) Eine weitere Erklärung der Kollegin wird – Drucksachen 16/11721 Nr. A.10, 16/12897 – mündlich vorgetragen. Die mündliche Erklärung werden Berichterstattung: wir nach der Abstimmung hören. Abgeordnete Michael Grosse-Brömer Jetzt bitte ich diejenigen, die für diesen Antrag stim- Dirk Manzewski men wollen, die Hand zu heben. – Gegenstimmen? – Mechthild Dyckmans Enthaltungen? – Damit ist der Antrag gegen die Stim- Sevim Dağdelen men von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Jerzy Montag Linke mit den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrich- abgelehnt. Die FDP hat sich enthalten. tung eine Entschließung anzunehmen. Wer ist für diese Frau Jochimsen, bitte. Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun- gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE): von CDU/CSU, SPD und FDP angenommen. Dagegen Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! gestimmt hat niemand. Enthalten haben sich Bündnis 90/ Ich habe dem Antrag der Koalitionsfraktionen zuge- Die Grünen und die Fraktion Die Linke. stimmt, weil er wichtig und richtig ist und obwohl ich Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf: mich und die Arbeit meiner Fraktion durch diesen An- trag auf das Äußerste diskriminiert sehe. Ich habe zuge- Aktuelle Stunde stimmt, obwohl der Antrag der Koalitionsfraktionen ur- auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und sprünglich von mir initiiert und zum großen Teil verfasst der SPD worden ist, nachdem ich mich zusammen mit den Kolle- ginnen Claudia Roth und Monika Griefahn im Kloster Gemeinsam gegen Gewalt – Ächtung der Aus- Mor Gabriel erkundigt habe. schreitungen und schweren Gewaltstraftaten am 1. Mai Ich habe dem Antrag zugestimmt, weil wir uns in der Sache vollkommen einig sind. Die Koalitionsfraktionen Das Wort als erster Redner in dieser Debatte hat der Kollege Hartmut Koschyk für die CDU/CSU-Fraktion.

1) Anlage 3 (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24009

(A) Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Es ist interessant, sich die Biografien und Lebensläufe (C) Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! derjenigen, deren Identität bei den Aufgriffen und Ver- Die CDU/CSU-Fraktion hat auf der Durchführung dieser haftungen festgestellt wurde, anzusehen. Die wenigsten Aktuellen Stunde bestanden, weil es für uns nicht erklär- sind Berliner; es sind Gewalttouristen und Chaoten, die bar und nicht akzeptabel wäre, wenn sich die Menschen aus der ganzen Republik zusammenkommen und mei- in ganz Deutschland über die Eskalation der Gewalt am nen, den 1. Mai für eine solche Eskalation der Gewalt 1. Mai hier in Berlin und anderenorts zu Recht empören, missbrauchen zu dürfen. im Deutschen Bundestag aber kein Wort darüber verlo- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ren wird. Wir müssen aber auch diejenigen zur Verantwortung (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ziehen, die solche Demonstrationen mit anmelden und befürworten. Das gilt auch für Kirill Jermak, der für die Deshalb ist es richtig, dass diese Aktuelle Stunde heute Linke Mitglied der Bezirksverordnetenversammlung ist stattfindet. und diese Demonstration angemeldet hat. Gestern Abend hat die Berliner Polizei das traurige (Zuruf von der CDU/CSU: Ungeheuerlich!) vorläufige Resümee dieser Maikrawalle mitgeteilt: Ins- gesamt wurden 479 Polizeibeamte zum Teil schwer ver- Verehrte Frau Kollegin Lötzsch – Sie werden eben- letzt. 27 von ihnen sind bis heute nicht wieder dienstfä- falls in dieser Aktuellen Stunde sprechen –, Sie können hig. An Verletzungen haben die Polizeibeamten schwere es sich nicht so einfach machen, lapidar festzustellen, die Prellungen erlitten; sie haben schwere Hämatome an den Anmeldung dieser Demonstration durch Herrn Jermak Beinen und am Oberkörper, verursacht durch Treffer von sei dessen Privatangelegenheit gewesen und es handele Wurfgeschossen. Die schwereren Verletzungsbefunde sich um einen noch sehr jungen Mann, mit dem man reichen von Bänderrissen am Fuß über Kopfplatzwun- jetzt mal richtig reden müsse. den, Brüche, Augenverletzungen durch Glassplitter bis Dieser junge Mann ist 21 Jahre alt. Er ist von Ihrer hin zu Knalltraumata durch Böller. Fraktion aufgestellt worden und Mitglied einer Bezirks- Den verletzten Polizistinnen und Polizisten und ihren verordnetenversammlung in Berlin. Sie können dessen Angehörigen gehört unser Mitgefühl. Wir danken ihnen Agitation im Hintergrund nicht als die Privatsache eines dafür, dass sie hier in Berlin und anderenorts, Leib und verirrten jungen Menschen abtun, der erst auf den richti- Leben gefährdend, ihren Dienst für Rechtsstaatlichkeit gen Weg gebracht werden muss. und Demokratie geleistet haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) (B) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (D) neten der SPD und der FDP und der Abg. Wer Wind sät, wird Sturm ernten. Ich habe in Spiegel Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]) Online vom 24. April dieses Jahres ein interessantes Zi- tat von Oskar Lafontaine gefunden: „Wenn die französi- Wir danken der Berliner Staatsanwaltschaft, die klar schen Arbeiter sauer sind, dann sperren sie Manager mal ausspricht, was Sache ist, und Verfahren wegen versuch- ein.“ Dann sagt er weiter: Das würde ich mir auch hier ten Mordes eröffnet. Ich sage sehr deutlich: Wir hätten wünschen. uns eine so klare Benennung der Sachverhalte nicht nur von der Berliner Staatsanwaltschaft, sondern auch von (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – anderen, von den politisch Verantwortlichen, gewünscht. Volker Kauder [CDU/CSU], an die LINKE ge- wandt: Ihr habt einen Vogel da drüben!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Es ist der Kernauftrag moderner Staatlichkeit, Gewalt Herr Kollege, Sie müssen dringend zum Ende kom- und vor allem die Eskalation von Gewalt durch das staat- men. liche Gewaltmonopol verlässlich zu unterbinden. Im Rechtsstaat darf es keine rechtsfreien Räume geben. Die Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Demokratie, der Rechtsstaat darf den öffentlichen Raum Verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Linken, auch nicht ansatzweise extremistischer Randale überlas- wer einen Vorturner hat, der solche Äußerungen macht, sen. der muss sich nicht wundern, wenn manche aus Ihren Rei- hen meinen, Demonstrationen anmelden zu müssen, – (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Es ist völlig egal, ob bei solchen Eskalationen und Ge- Herr Kollege. waltausbrüchen rechte oder linke Parolen gebrüllt wer- den: Gewalteskalationen dieser Art müssen mit allen le- Hartmut Koschyk (CDU/CSU): gitimen Mitteln des Rechtsstaates entschieden bekämpft – die in einem solchen Gewaltchaos enden wie am werden. 1. Mai dieses Jahres in Berlin. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- bei Abgeordneten der SPD) neten der FDP) 24010 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Kolleginnen und Kollegen die besten Genesungswün- (C) Markus Löning hat das Wort für die FDP-Fraktion. sche übermitteln. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Markus Löning (FDP): Ich möchte all denjenigen Polizisten Anerkennung aus- Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Las- sprechen, die an diesem sehr schweren Einsatz teilge- sen Sie mich mit Ihrer Genehmigung, Frau Präsidentin, nommen haben. einige Aussagen von beteiligten Polizisten zitieren. Zwei Polizisten der Bereitschaftspolizei haben Fol- Eines ist klar: Die Gewalttäter meinen uns alle. Sie gendes vorgetragen: zielen auf Demokratie, sie zielen auf Rechtsstaatlichkeit, und sie zielen auf Freiheit. Was wir dort erleben muss- Die Nacht des 1. Mai in gehört mit zu ten, ist ein Angriff auf unseren freiheitlichen Rechtsstaat den schlimmsten Einsätzen unserer Laufbahn.... Es und offenbart ein menschenverachtendes Denken. flogen Steine und Flaschen. Vor uns waren Berliner Kollegen, die in kleinen Gruppen vorgehen muss- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) ten. Das war wie ein Opfergang. Die hatten keine Rückendeckung, wurden von allen Seiten bewor- Wer Steine wirft, wer in Kauf nimmt, dass Menschen fen. Uns fehlten die Wasserwerfer. Es gab keinen verletzt werden, und wer letzten Endes das Risiko ein- Schutz an den Flanken. Neben mir fielen Kollegen geht, dass Menschen getötet werden, offenbart totalitäres um, die von Wurfgeschossen getroffen wurden … Denken. Dem treten wir mit aller Entschiedenheit entge- Feuerwerksraketen wurden auf uns abgeschossen… gen. Der Einsatz in Berlin war eine Frechheit. Wir wur- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie den verheizt. Die Festnahmen sind kein Erfolg. Sie bei Abgeordneten der SPD) sind wegen der Planlosigkeit und der Inkonsequenz der Polizeiführung teuer erkauft. Frau Lötzsch, Sie kommen hier nicht so billig davon. Es ist mir unverständlich, dass Sie mit großer Empörung Ein weiterer Polizist: auf die Straße gehen, wenn Rechtsradikale Gewalt aus- Wir kamen uns vor wie ein Bauernopfer … Die üben; Sie empören sich zu Recht darüber. Aber was ma- Stimmung auf der Demo war aufgeladen, bald flo- chen Sie, wenn ein Mitglied und ein Mandatsträger Ihrer gen die ersten Steine und Flaschen. Über Funk rie- Partei nicht nur eine solche Versammlung anmeldet, wis- fen Kollegen bereits um Hilfe, doch es gab die An- send, was dann dort passieren wird, sondern das hinter- (B) weisung, keine Festnahmen zu machen … Kollegen her auch noch legitimiert? Er sagte im Fernsehen: Es ist (D) von mir flüchteten über einen Zaun, ich habe es schade, wenn Unbeteiligte betroffen sind. – Was heißt nicht geschafft und rannte um mein Leben. denn das? Das heißt doch, dass er es in Ordnung findet, wenn Polizisten verletzt werden. Ich frage mich, wie die Ein anderer Polizist: Linkspartei damit leben kann und umgehen will. Sie Als der Umzug bei uns auftauchte, wurden wir so- wollen nun ein pädagogisches Gespräch mit diesem fort bespuckt, beleidigt, beworfen, bedroht. Plötz- Mann führen. Das ist doch nicht in Ordnung. lich flogen Steine auf uns … Der Einsatzleiter gab (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie den Befehl: Umzug passieren lassen! Keine Fest- bei Abgeordneten der SPD) nahmen! Wir waren entsetzt. Die Straftäter mar- schierten an uns vorbei und lachten uns aus. Ver- In Ordnung wäre es gewesen, wenn Sie gesagt hätten: letzte Kollegen wurden nach 20 bis 30 Minuten Der Mann fliegt aus unserer Partei. – Das wäre eine behandelt … deutliche Distanzierung gewesen. Ich vermisse Ihre Dis- tanzierung von diesem totalitären und menschenverach- Die Feuerwehr musste warten. Weiter sagt dieser Poli- tenden Denken in Ihrer Partei. zist: Die Polizei hat an diesem Tag rechtsfreie Räume Wir, die Liberalen, verteidigen unseren Rechtsstaat. zugelassen … Ich habe keine Lust mehr, für politi- (Frank Spieth [DIE LINKE]: Heuchler! – Wei- sche Idioten den Hampelmann zu spielen! terer Zuruf von der LINKEN: Neoliberale!) (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Wir stellen uns gegen jeden – egal ob Gewalt und totali- Ich könnte weitere Zitate vortragen. Das, was wir hier täres Denken mit rechten oder linken Parolen verbrämt hören, ist erschütternd. Es ist die Frage nach der politi- werden –, der den Rechtsstaat, die Freiheit und die De- schen Verantwortung zu stellen. Es ist ganz klar, wer mokratie angreift. Ich fordere alle anderen Demokraten hier die politische Verantwortung trägt: Das ist der Berli- auf, dies ebenfalls zu tun und ohne Unterschied Gewalt ner Innensenator. und Angriffe auf Freiheit und Rechtsstaatlichkeit zu ver- urteilen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vielen Dank. Er hat dieses verfehlte Einsatzkonzept zu vertreten. Wir hören, dass 479 Kolleginnen und Kollegen von der Poli- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie zei verletzt sind. Ich möchte von dieser Stelle aus diesen bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24011

(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die Polizei schützt den Rechtsstaat, und sie hat umge- (C) Sebastian Edathy spricht jetzt für die SPD-Fraktion. kehrt einen Anspruch darauf, durch den Rechtsstaat ge- schützt zu werden. Sebastian Edathy (SPD): (Beifall bei der SPD) Sehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie mich vor dem Hintergrund der beiden bereits erfolgten Debatten- Die Verantwortung für ein friedliches Demonstra- beiträge zwei Vorbemerkungen machen. Erstens. Ich tionsgeschehen liegt, was das Verhalten der Demon- glaube, es wäre dem Thema nicht angemessen, wenn wir stranten betrifft, in erster Linie bei den Veranstaltern. nun dazu übergingen, es parteipolitisch zu instrumentali- Aufgabe der Polizei ist es im Wesentlichen, Störungen sieren. von außen zu verhindern. Bei Anhaltspunkten dafür, (Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ dass sich gewaltbereite Teilnehmer an einer Demonstra- CSU]: [CDU/CSU]: Das machen wir auch gar tion beteiligen wollen, sind Vorkontrollen von Demon- nicht! Es geht um die Regierung, nicht um die strationsteilnehmern unabdingbar, um zum Beispiel das Partei!) Mitführen gefährlicher Gegenstände zu verhindern. Die Veranstalter müssen für Ordnungskräfte sorgen, die ord- Zweitens. Wir sollten nicht den Eindruck erwecken, nungsgemäße Zustände im Demonstrationszug gewähr- dass der Bundestag aus 612 potenziellen Demonstra- leisten. Sie müssen sich von gewaltbereiten Demon- tionseinsatzführern besteht. Ich habe grundsätzlich Ver- stranten eindeutig und unmissverständlich distanzieren. trauen darin, dass diejenigen, die in der Exekutive und in leitender Polizeifunktion tätig sind, ihrer Verantwortung Einen Bedarf an Gesetzesänderungen, wie er zum Teil durchaus gerecht werden. im Hamburger Senat gesehen wird, kann ich nicht erken- (Volker Kauder [CDU/CSU]: In Berlin habe nen, wohl aber einen Bedarf dafür, das geltende Recht ich kein Vertrauen!) tatsächlich zur Anwendung zu bringen. Klar ist: Wer ei- nen Polizisten angreift, greift das Gemeinwesen insge- Man sollte ihnen nicht Böswilligkeit oder Fahrlässigkeit samt an. unterstellen. (Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ Gemeinsam gegen Gewalt, so lautet der Titel der heu- CSU]: Das ist der erste richtige Satz in Ihrer tigen Aktuellen Stunde. Dieser Satz gilt nicht nur mit Blick auf den 1. Mai, sondern 365 Tage im Jahr. Man Rede! – Markus Löning [FDP]: Sagt das doch muss im Zusammenhang mit dieser Diskussion zwei eurem Koalitionspartner in Berlin!) Dinge klar im Auge behalten. Erstens. Die Demonstra- Der bestehende Strafrahmen reicht allerdings für die (B) tionsfreiheit ist ein fundamentales Grundrecht. Zweitens. Ahndung solcher Straftaten völlig aus. (D) Selbst wenn es manchmal schwerfällt – mir fällt es oft schwer, das zu bejahen –: Dazu gehört, dass auch Extre- (Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU]: Zum misten zunächst einmal Grundrechtsträger sind. Die Thema!) Wahrnehmung der Grundrechte findet natürlich ihre Be- schränkung dort, wo die Rechte anderer verletzt werden. Wichtig erscheint mir, die gerichtliche Aburteilung zeit- Das hat am 1. Mai in Hannover dazu geführt, dass eine nah erfolgen zu lassen. Dazu ist es nicht zuletzt erforder- Demonstration wegen zu erwartender massiver Gewalt- lich, dass vor Ort eine ausreichende Zahl an Staatsan- tätigkeit aus den Reihen von Rechtsextremisten – wie wälten vorhanden ist. ich finde: völlig zu Recht – verboten wurde. Sorge macht mir, dass wir am 1. Mai in , ( [CDU/CSU]: Das ist auch aber auch im Nachgang zu einer Neonazidemonstration eine gute Landesregierung!) in Dresden am 14. Februar gewaltsame Übergriffe von – Darüber entscheiden nicht die Landesregierungen, Rechtsextremisten erleben mussten. Wir hatten es mit sondern die Gerichte in unserem Land. marodierenden Banden zu tun, die zum Teil auf der An- reise oder der Abreise zu oder von einer Demonstration (Zuruf von der CDU/CSU: Erst einmal müssen waren. Es gehört zur Einhaltung rechtsstaatlicher Grund- Anträge gestellt werden!) sätze dazu, dass wir die Polizei in die Lage versetzen, Für Berlin gilt: Das Geschehen vom 1. Mai sollte zum solche umherziehenden Gruppierungen stärker zu be- Anlass genommen werden, künftig möglicherweise obachten und im Einzelfall auch zu begleiten. ebenso zu verfahren, zumindest aber strengere Auflagen zu machen. 1 937 Personen wurden nach der jüngst vorgestellten Polizeilichen Kriminalitätsstatistik im Jahr 2008 Opfer (Beifall des Abg. Klaus Uwe Benneter [SPD]) von politisch motivierten Körperverletzungen. Lassen Mehr als 100 Bundespolizisten wurden am 1. Mai in Sie mich für meine Fraktion zwei Dinge unmissver- der Hauptstadt verletzt. Diese Beamten und ihre Länder- ständlich sagen: kollegen stehen für das Gewaltmonopol des Staates ein. Erstens. Diese Zahlen – auch die Zahl der Opfer, die Es ist unsere Aufgabe als Politikerinnen und Politiker, wir im Nachgang dieser unsäglichen Demonstration vom sicherzustellen, dass sie diese Aufgabe unter zumutbaren 1. Mai in Berlin feststellen mussten – sind Realität. Aber Bedingungen erfüllen können. wir dürfen niemals dazu kommen, diese Zahlen als Nor- (Beifall bei der SPD) malität zu betrachten. 24012 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Sebastian Edathy (A) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Wir sind gegen Gewalt gegen Demonstranten, wir sind (C) bei Abgeordneten der FDP) gegen Gewalt gegen Polizisten, und wir sind natürlich auch gegen Gewalt gegen Unbeteiligte. Wir, Die Linke, Zweitens. Wir feiern in diesem Jahr das 60-jährige sind sogar die einzige Partei im Bundestag, die Gewalt Bestehen unserer Verfassung. Es gilt, immer wieder da- als Mittel der Politik weder im Inland noch im Ausland für zu sorgen, dass die Grundsätze unserer Demokratie billigt. Sie lehnt Gewalt strikt ab. verteidigt und auch durchgesetzt werden können. Dazu gehört zuallererst die Unantastbarkeit der menschlichen (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der Würde. Dazu gehört auch, die Versammlungsfreiheit CDU/CSU) nicht einzuschränken, aber zugleich, ihren Missbrauch nicht zuzulassen. Das gilt in diesem Land nicht nur am Die Bild-Zeitung forderte nun – das klang in der De- 1. Mai. Das gilt in diesem Land an jedem Tag. batte schon an –, dass man den Anmelder der 1.-Mai- Demo sofort wegsperren solle. Damit zeigen die Bild- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Zeitungsredakteure, dass sie das Grundgesetz nicht ken- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nen. (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Was wollen Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie jetzt mit Jermak machen?) Dr. Gesine Lötzsch hat jetzt für die Fraktion Die Linke das Wort. Ich darf Ihnen Art. 8 des Grundgesetzes zitieren: (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmel- [CDU/CSU]: Jetzt wollen wir mal eine Ent- dung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu schuldigung hören!) versammeln. (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): NEN]: Friedlich! Ohne Waffen!) Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Die Anmeldung einer 1.-Mai-Demonstration ist also bei- Herren! Wir führen hier eine Debatte, die eigentlich in leibe kein Grund, jemanden einzusperren, wie es die das Berliner Landesparlament gehört. Bild-Zeitung gefordert hat, sondern ein Grundrecht, das (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein, überhaupt in unserem Grundgesetz festgelegt ist. nicht! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN – Hartmut Koschyk (B) Aber ich habe nach den Beiträgen der Abgeordneten von [CDU/CSU]: Aber wie gehen Sie jetzt damit (D) CDU/CSU und FDP den Eindruck, dass nicht nur der um? Sagen Sie doch mal, wie Sie mit Herrn Bild-Zeitung, sondern auch einigen politischen Vertre- Jermak umgehen!) tern diese Unruhen und Krawalle wie gerufen kommen. Der 21-jährige Kirill Jermak hat diese Demonstration (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Diese Un- weder im Auftrag noch mit Wissen von Gremien der terstellung ist unerhört! – Weitere Zurufe von Partei Die Linke angemeldet. der CDU/CSU) (Enak Ferlemann [CDU/CSU]: Das sagt kein Stellen Sie sich doch nur einen Moment vor, es hätte Mensch!) diese Ausschreitungen nicht gegeben! Dann hätten wir heute über die Sicherung von Arbeitsplätzen bei Opel, Aber, verehrter Kollege Löning, wir lassen uns von der die Forderung der Gewerkschaften und der Linken nach FDP nicht vorschreiben, ob wir jemanden aus unserer einem dringend notwendigen 100-Milliarden-Euro-Kon- Partei ausschließen, um das ganz klar zu sagen. junkturprogramm, (Beifall bei der LINKEN) (Hellmut Königshaus [FDP]: Was ist das denn Herr Jermak hat einen Fehler gemacht, weil er sich so für ein Unding!) verhalten hat, wie es unsere politischen Gegner gewollt die Forderung unserer Fraktion nach einer Millionärsab- haben, um von den Problemen in unserem Land abzulen- gabe oder über die gewalttätigen Ausschreitungen der ken. Er hat für eine Demonstration Verantwortung über- Nazis gegen friedliche Demonstranten am 1. Mai in der nommen, die er nicht tragen konnte. Das ist der Fehler, gesamten Bundesrepublik sprechen müssen. den er gemacht hat. Ich sage Ihnen aber noch einmal klar und deutlich: Wir lassen uns hier im Bundestag keine (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/ Parteiausschlussdebatten aufzwingen. Da sind Sie an der CSU]: Jetzt mal zum Thema Berlin!) völlig falschen Adresse. Um es ganz klar zu sagen: Die Linke ist gegen Ge- (Beifall bei der LINKEN – Markus Löning walt. Das weiß jedes Kind; aber ich sage es hier noch [FDP]: Sie haben Umgang mit solchen Leu- einmal ganz deutlich. ten!) (Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der Ein Skandal sind die Überfälle am 1. Mai in Dort- CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: mund, Rotenburg und vielen anderen Städten auf friedli- Lachnummer!) che Demonstranten. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24013

Dr. Gesine Lötzsch (A) (Markus Löning [FDP]: Versuchen Sie nicht, (Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Sie (C) abzulenken!) sind eine Brandstifterin! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU) In der Dortmunder Innenstand gingen 300 Neonazis mit Holzstangen und Steinen auf Teilnehmer einer DGB- – Ich kann es wiederholen, damit es sich alle merken: Kundgebung los. In Berlin demonstrierten Bürger fried- Die Linke ist für friedliche Mittel, für friedliche Verän- lich und erfolgreich gegen eine Demonstration der NPD derung der Gesellschaft. Da können Sie noch so viel in Treptow-Köpenick. brüllen. Sie werden nicht verhindern können, dass wir diese Position immer und immer wieder vertreten. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder Abgeordnete der Linken waren vor Ort und berichteten [CDU/CSU]: Sie leiden ja an Bewusstseinstrü- über die Brutalität des Polizeieinsatzes. bung!) (Volker Kauder [CDU/CSU]: Die hätten in Die Forderung, jemanden, der das Grundrecht in An- Kreuzberg sein sollen!) spruch nimmt, Es ist für mich völlig unverständlich, dass der Aufstand ( [CDU/CSU]: Es gibt doch der Anständigen, der so oft gefordert wird, niederge- kein Grundrecht auf Krawall! Es geht um knüppelt wird, um die Demonstration einer verfassungs- friedliche Demonstrationen!) feindlichen Partei zu schützen. Demonstrationen anzumelden, einzusperren, ist absurd. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wir als Linke werden das Grundgesetz weiter gegen An- griffe verteidigen. Hier gebe ich nicht allein der Polizei die Schuld, sondern auch denjenigen, die sich seit Jahren gegen ein Verbots- (Widerspruch bei der CDU/CSU) verfahren gegen die NPD stellen. Wir brauchen das Ver- Auch das Demonstrationsrecht ist ein hohes Gut, das ge- botsverfahren jetzt. Dann gibt es nicht solche Situatio- rade in Krisenzeiten genutzt und verteidigt werden muss. nen, in die auch die Polizei getrieben wird. (Beifall bei der LINKEN – Hartwig Fischer (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [Göttingen] [CDU/CSU]: Wie war das? Mit [CDU/CSU]: Selber für eine gewalttätige De- Feuer und Flamme?) monstration verantwortlich sein und dann das! Das ist ja unerträglich! – Weiterer Zuruf von Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und wün- sche uns noch eine erfreuliche Debatte. (B) der CDU/CSU: Peinlich, Ihr Auftritt!) (D) Ich kann Ihnen den Artikel Lob der Unruhe von (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der Heribert Prantl aus der Süddeutschen Zeitung vom letz- CDU/CSU: Unglaublich!) ten Wochenende empfehlen. – Herr Kauder, melden Sie sich doch zur Debatte, und rufen Sie nicht immer dazwi- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: schen. Sie sind immerhin Fraktionsvorsitzender. – Das Die Kollegin Dr. Kristina Köhler hat jetzt das Wort Zitat von Herrn Prantl lautet: für die CDU/CSU-Fraktion. Ordnung ist gut, Freiheit ist schlecht. Das klingt (Beifall bei der CDU/CSU) noch heute in den politischen Debatten durch, mit denen neue Sicherheitsgesetze begründet werden; Dr. Kristina Köhler (Wiesbaden) (CDU/CSU): (Hellmut Königshaus [FDP]: Der hat nicht Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und über Steinewerfer geredet! – Hartwig Fischer Herren! Die Gewalttaten am 1. Mai waren keine Überra- [Göttingen] [CDU/CSU]: Das zeigt doch, wel- schung, sie waren vorher angekündigt. Überrascht ches Geistes Kind Sie sind!) schauten nur die, die sich eigentlich um die Sicherheit in der Stadt hätten kümmern sollen. die Beschränkung der Freiheitsrechte soll mehr Si- cherheit bringen. Ruhe ist die erste Bürgerpflicht, (Zuruf von der CDU/CSU: Wo ist eigentlich Unruhe eine Pflichtverletzung. Körting?) Ich warne alle davor, die sinnlosen und brutalen Kra- Auf jeden Fall hat sich eines erneut bestätigt: Diese Ex- walle am 1. Mai zum Vorwand zu nehmen, um die Men- tremisten beantworten das Prinzip der ausgestreckten schen einzuschüchtern. Die fernsehgerechten Bilder, die Hand mit dem Prinzip des ausgestreckten Mittelfingers. in den Tagen davor herbeigewünscht und heimlich her- Diese Menschen mögen unser Land hassen, sie mögen beigeschrieben wurden, unsere Gesellschaft verachten, und sie mögen immer noch an ihre ewig gestrigen und menschenverachtenden (Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Sie Ideologien glauben; aber lassen Sie uns heute den Extre- sind ja eine richtige Brandstifterin!) misten, und zwar jeglicher Coleur, in aller Deutlichkeit sagen: Sie werden ihren Kampf gegen unsere Demokra- die brennenden Mülltonnen und Autos werden von Ih- tie nicht gewinnen. nen instrumentalisiert, um die Menschen davon abzuhal- ten, ihre Bürgerrechte in Anspruch zu nehmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) 24014 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Dr. Kristina Köhler (Wiesbaden) (A) Nun geistert immer wieder die These herum, in Linkspartei hat ihren Stand auf dem Myfest errichtet, der (C) Kreuzberg habe man es im Grunde mit ein paar Chaoten CDU wurde dies unterbunden. ohne großen politischen Hintergrund zu tun gehabt. Ich (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das ist gebe zu, dass die intellektuelle Kraft der Argumente, die deren Demokratieverständnis! – Hans-Christian man bei dieser Demo gehört hat, etwas zu wünschen üb- Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie rig ließ. bringen das alles durcheinander! Sie hätten (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE mir vorher mal Ihre Rede geben sollen!) GRÜNEN]: Waren Sie denn da?) Wir müssen also feststellen: Es gibt in dieser Stadt No- Wenn man sich aber die Unterstützerliste dieser 18-Uhr- go-Areas für Demokraten. Demonstration anschaut, liest sich das wie das Who’s (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- who des Linksradikalismus und des Linksextremismus neten der FDP) in Berlin. Ich nenne nur exemplarisch die Antifaschisti- sche Linke Berlin, die Antifaschistische Revolutionäre Darüber schmunzeln Sie bei der Linken jetzt viel- Aktion Berlin, die DKP Berlin, die Jugendantifa Berlin, leicht; aber Sie sollten sich einmal an das Zitat Rosa die Sozialistische Deutsche ArbeiterInnenjugend Berlin Luxemburgs erinnern: „Freiheit ist immer die Freiheit und interessanterweise auch die Gruppe „Bildungsblo- der Andersdenkenden.“ Von dieser Erkenntnis sind diese ckaden einreißen“, die Gruppe, die im letzten Jahr die Linksautonomen meilenweit entfernt. angebliche Schülerdemonstration veranstaltet hat, aus (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) deren Mitte heraus dann eine Ausstellung der Humboldt- Universität über jüdisches Leben in Deutschland zerstört Meine Damen und Herren, das waren menschenver- wurde. achtende Anschläge der übelsten Sorte. Die Gewerk- schaft der Polizei berichtet, dass Polizisten mit Molo- (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Hört, hört!) towcocktails, mit Pflastersteinen und mit Gehwegplatten Es zeigt sich also ganz klar: Diese Ausbrüche am 1. Mai beworfen wurden. Schon im Jahr 2008 verübten Links- waren keine Ausbrüche ein paar unpolitischer Chaoten; extremisten in Deutschland 635 politisch motivierte es waren linksextreme Gewalttaten. Straftaten allein gegen die Polizei. Dazu trägt natürlich auch bei, dass autonome Gruppen und Gewalttäter vor (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Selbstbewusstsein inzwischen geradezu strotzen. Sie Dieser 1. Mai mahnt uns daher eindrücklich, auch die glauben, durch die Finanz- und Wirtschaftskrise Rück- linksextremistische Gefahr nicht aus dem Auge zu ver- halt in der Bevölkerung zu genießen. Zu diesem Selbst- lieren. Die wehrhafte Demokratie darf auf keinem Auge bewusstsein haben sicherlich auch diejenigen beigetra- (B) (D) blind sein. gen, die in den letzten Wochen in geradezu unverantwortlicher Weise soziale Unruhen herbeigeredet (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie haben. bei Abgeordneten der SPD) (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Sie darf es nicht auf dem rechten Auge sein – gegen die Richtig! – Sebastian Edathy [SPD]: Wer hat NPD hat man am 1. Mai demonstriert, und das war rich- denn das getan? Wer hat denn soziale Unruhen tig –, sie darf es aber auch nicht auf dem linken Auge herbeigeredet?) sein. Mir ist leider nicht bekannt, dass eine Demonstra- tion gegen die Linksextremisten in Kreuzberg angemel- Wir müssen zeigen, dass der Extremismus keinen det wurde. Wo war denn die Gegendemonstration für die Rückhalt in der Bevölkerung genießt. Das zeigen wir Rechte der Menschen, deren Autos in den letzten Jahren beim Kampf gegen Rechtsextremismus, das zeigen wir abgefackelt wurden? Wo war denn die Gegendemonstra- beim Kampf gegen Islamismus, und das müssen wir tion für die Rechte der Berliner, deren Garagen oder endlich auch beim entschiedenen Kampf gegen Links- Häuser zerstört wurden? Wo war denn die Gegende- extremismus zeigen. monstration für Solidarität mit den Polizisten oder mit (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- den Unbeteiligten, die mit Molotowcocktails und Stra- neten der FDP) ßenplatten malträtiert wurden? Die gab es nicht. Es gab keinen Aufstand der Anständigen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Stattdessen wird einer demokratischen Volkspartei Hans-Christian Ströbele hat jetzt das Wort für wie der CDU ihr Recht auf freie Meinungsäußerung ver- Bündnis 90/Die Grünen. wehrt. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Jetzt kommen (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: So ist es! – Insiderinformationen! – Volker Kauder [CDU/ Mechthild Rawert [SPD]: Sie hat zurückgezo- CSU]: Jetzt kommen Beteiligte! Auf geht’s!) gen!) Die CDU wollte auf dem Myfest einen Informations- Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE stand errichten. Daraufhin wurden die Mitglieder der GRÜNEN): CDU an Leib und Leben bedroht, und der Berliner Poli- Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- zeipräsident ließ verlauten, er könne für ihre Sicherheit gen! Liebe Öffentlichkeit! Ich habe gestern am späten nicht garantieren. Die Kommunistische Plattform der Abend im Berliner Lokalfernsehen einen Bericht über Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24015

Hans-Christian Ströbele (A) den 1. Mai gesehen. Da wurden die Schmerzensschreie gesehen. Außerdem habe ich gesehen, dass sich völlig (C) eines von einem Stein an der Schläfe getroffenen Man- unbeteiligte Zuschauer zu wehren versucht haben, indem nes wiedergegeben. Diese Schreie gingen durch Mark sie Gegenstände zurückgeworfen haben, vor allem zu und Bein. Ich sage deshalb, Herr Kollege Koschyk: später Stunde. Hier ist davon gesprochen worden, dass Nicht nur die Verletzungen der Polizeibeamten, sondern Molotowcocktails und Brandsätze geworfen wurden. auch die der Unbeteiligten – in diesem Fall war es wahr- Nach allem, was ich bisher weiß, waren das Ereignisse, scheinlich ein Journalist – die spätabends im Anschluss an die Demonstration statt- gefunden haben und sich nicht aus der Demonstration ( [CDU/CSU]: Wer hat denn die heraus entwickelt haben. Steine geworfen?) (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Sie und der verletzten Demonstranten sind äußerst zu bedau- schaffen das Umfeld! – Matthäus Strebl ern. Ich wünsche allen Verletzten gute Besserung. Ich [CDU/CSU]: Wie weit sind Sie gesunken!) hoffe, dass sie keine Schmerzen mehr haben und keine bleibenden Schäden zurückbehalten. Ich mache keinen Es gibt Politstrategen in der Szene, die sagen: Ohne Unterschied zwischen Polizisten und anderen. Gewalt nimmt man unsere Proteste, unsere Demonstra- tion nicht wahr. (Beifall im ganzen Hause – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Da haben wir keinen Dissens!) (Patrick Döring [FDP]: Schließen Sie sich dem an?) – Die anderen kamen bei Ihnen nicht vor, Herr Kollege. Ich kann nur sagen: Mit Ihrer Hilfe haben sie es ge- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das haben Sie schafft, in den Deutschen Bundestag zu kommen jetzt ergänzt! Weiter!) (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das ist ja un- Ich war am 1. Mai dabei. glaublich!) (Enak Ferlemann [CDU/CSU]: Das war klar!) und hier zum Thema zu werden, ohne dass eine sachli- Ich war von 13 Uhr bis in die späte Nacht auf zwei Fes- che Auseinandersetzung mit dem Phänomen stattfindet. ten. Frau Kollegin Köhler, es gab zwei Maifeste: ein ( [CDU/CSU]: Sie hätten Myfest und ein Maifest. Ich war auf beiden. wohl gern, dass wir nicht darüber reden!) (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Beide mit Nach all unseren Erfahrungen können wir nicht in die Ströbele!) 80er-Jahre zurückgehen. Nicht verschärfte Strafen, nicht Demonstrationsverbote, nicht Versammlungsverbote (B) Diese Feste waren nicht nur Stätten des Feierns und der (D) politischen Diskussion von 40 000 Menschen, sondern sind die Lösung. sie waren auch ein Mittel der Deeskalation; sie waren ein (Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber bei Rechts- Mittel, um an diesem 1. Mai Gewalttätigkeiten und Aus- radikalen ist das die Lösung, oder?) schreitungen möglichst zu verhindern. All das hat viel mehr Gewalt gebracht, 1987, 1988, (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das hat ja 1989, auch in der Zeit CDU-geführter Senate. Wir haben prima geklappt!) gelernt und praktizieren seit Jahren eine immer erfolgrei- Angesichts der Berliner Geschichte versuchen wir seit chere Strategie der Deeskalation. Mitte der 80er-Jahre, zu erreichen, dass in Kreuzberg (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Wo war denn – auch am 1. Mai – keine Gewalt stattfindet. die Deeskalation? 500 verletzte Polizisten, und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie reden von Deeskalation!) sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- Dieser 1. Mai war leider ein Rückschlag. Wir sollten KEN) uns jetzt im Wahlkampf nicht mit wohlfeilen Parolen zu Sie haben diesen Bemühungen mit dieser Aktuellen Wort melden: Da muss härter zugeschlagen werden. Da Stunde überhaupt nicht gedient. muss verboten werden. – Das sind nicht die richtigen Antworten. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Was ist Herr Kollege Koschyk, ich habe von Ihnen und anderen denn richtig? – Hartmut Koschyk [CDU/ bisher nicht den Hauch eines Vorschlages gehört, wie CSU]: Was ist Ihre Antwort? – Volker Kauder man damit umgeht. [CDU/CSU]: Zurückweichen?) (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Ach, hier – Wir müssen die Deeskalationsstrategie weiterentwi- dürfen wir über Gewalteskalation nicht mehr ckeln. Wir müssen nüchtern analysieren, wieso es an reden?) diesem 1. Mai gerade an den Stellen, möglicherweise auch durch Einsatzfehler der Polizei, Ich habe die revolutionäre Demonstration am 1. Mai von 18.40 Uhr bis etwa 22 Uhr begleitet. Ich war selber (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Aha! Die Po- Augenzeuge – fast wäre ich selber Betroffener gewesen –, lizei ist schuld! – Volker Kauder [CDU/CSU]: als Polizeibeamte mit Steinen beworfen wurden. Ich Aber sich beklagen, wenn das Fahrrad gestoh- habe Flaschenwürfe und auch prügelnde Polizeibeamte len wird!) 24016 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Hans-Christian Ströbele (A) zu solchen Auseinandersetzungen gekommen ist. Da- nur sehr wenigen und schlecht ausgerüsteten Polizisten (C) nach müssen wir Schlussfolgerungen ziehen. waren überfordert, haben aber alles versucht, um die Menschen zu schützen. An dieser Stelle vielen Dank Ich wünsche mir, dass darüber diskutiert wird, und ich noch einmal an die Polizei, die sich dazwischengewor- lade alle ein – das tun wir Jahr für Jahr –: Diskutieren fen hat und danach auch Verletzte zu beklagen hatte! Sie mit uns und arbeiten Sie mit uns weiter an einer De- Auch von unserer Seite gute Besserung für alle, die dort eskalationsstrategie, die irgendwann erreicht, dass am verletzt worden sind, seien es Polizisten oder Bürgerin- 1. Mai auch in Kreuzberg die Aktionen und Demonstra- nen und Bürger! tionen friedlich verlaufen! (Beifall im ganzen Hause) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Löning, Sie haben gerade auf den Innensenator Herr Kollege! von Berlin verwiesen. Wenn das in Berlin so ist, dann stelle ich die Frage, ob die Eskalation der Gewalt in Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE Dortmund nicht der FDP-Innenminister von Nordrhein- GRÜNEN): Westfalen zu verantworten hat. Ich würde nicht so weit Alle Gutwilligen sind dazu eingeladen und sollen mit- gehen, das zu bejahen; man muss differenzieren. Aber es diskutieren. Hier finde ich die Gutwilligen nicht. stellt sich natürlich schon folgende Frage: Nachdem in Hannover die Demonstration der Rechten abgesagt wor- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den war, haben die Gewerkschaften darauf hingewiesen, und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten dass in Dortmund etwas passieren kann. Warum standen der SPD – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Es dann dort nur einzelne unbewaffnete Polizisten, die den ist bezeichnend, dass für Sie nur die Linke Demonstrationszug nicht schützen konnten? Warum wa- klatscht! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Angst- ren wir so hilflos, und warum konnte die rechte Gewalt hasiger, zahnloser Ströbele!) dort so eskalieren? Diese Fragen sollten erlaubt sein.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Man muss im Zusammenhang mit dem, was in Dort- Marco Bülow hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. mund passiert ist, vor allem auf die Auswüchse im Inter- net zurückkommen. Auf den Seiten der Rechten wurde (Beifall bei der SPD) die Eskalation nicht nur begrüßt, sondern als Vorbild für nächste Aktionen dargestellt. Dort werden sogar offene Marco Bülow (SPD): Drohungen gegen Gewerkschaftsfunktionäre ausgespro- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! chen. Dort steht beispielsweise: Schlagt die Gewerk- (B) Um es gleich vorweg zu sagen: Die Gewalteskalation in schaftsbonzen, wo ihr sie trefft! Hier frage ich allen (D) Berlin wird von uns natürlich abgelehnt und muss ent- Ernstes: Können wir als wehrhafte Demokratie dies zu- schieden bekämpft werden. lassen, (Markus Löning [FDP]: Weiß das auch der (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Nein!) Herr Körting?) und was müssen wir unternehmen, um dies zu unterbin- Das gilt aber auch für die Gewalteskalation, die es in an- den? Ich würde mich natürlich freuen, wenn auch die deren Städten gegeben hat. Dazu habe ich von Ihnen bis- bürgerlichen Parteien dieses Thema auf ihre Tagesord- her wenig gehört. nung setzten. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Selbstver- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ständlich!) Leider glauben wohl immer noch zu viele, Faschis- Die Aussagen, die ich gerade genannt habe, stellen mus und rechtsextreme Gewalt, das sei eine Rander- eine neue Dimension der rechten Gewalt dar. Hier gibt scheinung, ein Problem, das es vielleicht da und dort in es einen organisierten Hass gerade gegenüber Gewerk- einigen Regionen gebe, das sehr begrenzt und zu ver- schaftern. Gestern waren es die Migrantinnen und Mi- nachlässigen sei. granten, die Obdachlosen und andere, heute sind es Ge- werkschafter und Polizisten, morgen sind es dann (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: vielleicht Politiker, Unternehmer und engagierte Bürger. Haben Sie vorhin nicht zugehört?) Was muss noch passieren, damit wir die Augen öffnen Dazu kann ich nur sagen: Machen Sie die Augen auf, und uns diesen extremen Rechten entgegenstellen? und richten Sie Ihren Blick nicht nur auf Berlin – so (Beifall bei der SPD und der LINKEN) wichtig das für uns auch ist –, sondern zum Beispiel auch auf meine Heimatstadt Dortmund! Dort gab es eine Es wurde gerade zu Recht angemahnt, dass es keine friedliche Maidemonstration, so wie sie jedes Jahr statt- Demonstrationen gegen linke Gewalt und linke Eskala- findet und an der wir Sozialdemokraten uns immer betei- tion gebe. Es gibt Gott sei Dank genügend Demonstra- ligen. Wir standen dort sehr friedlich und waren ab- tionen gegen Rassismus und Extremismus. Bei denen marschbereit, als mehrere Hundert Rechtsextremisten sehe ich aber die bürgerlichen Parteien nicht. Bei uns in mit Holzlatten einströmten und auf uns, auf unbeteiligte Dortmund sehe ich keine Abgeordneten der CDU und Bürgerinnen und Bürger – dazwischen standen auch der FDP; auch heute sehe ich sie in der Debatte nicht. kleine Kinder hilflos herum – einprügelten. Die leider Auch dort sollten Sie sich sehr stark engagieren. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24017

Marco Bülow (A) (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Kommen Sie Grundgesetz, so will es der Rechtsstaat, und so soll es (C) nach Gräfenberg in Oberfranken, und sehen bleiben. Sie die CSU gegen rechte Aufmärsche! – Wei- Schauen wir uns jetzt die Bilder von Berlin an, und tere Zurufe von der CDU/CSU) denken wir darüber nach, ob das etwas mit den Vorstel- Wir müssen uns diesen Kräften mit allem, was wir ha- lungen, wie sie im Grundgesetz niedergelegt sind, zu tun ben, entgegenstellen. Wir müssen den Gewerkschaftern, hat. Meine Damen und Herren, wir wissen es längst: Ge- den engagierten Kirchenvertretern sowie den engagier- waltbereite Linksextremisten ebenso wie gewaltbereite ten Verbänden und Vereinen zeigen, dass sie in ihrem Rechtsextremisten brauchen sich wechselseitig, um sich Kampf gegen Rechtsextremismus nicht allein sind, son- gegenseitig hochzuschaukeln. Les extrêmes se touchent, dern dass wir an ihrer Seite stehen. Natürlich müssen wir sagt man. Ob linksextrem oder rechtsextrem: Sie brau- die Frage eines NPD-Verbots auf die Tagesordnung set- chen sich, sie suchen sich, sie finden sich. Sie demon- zen und auch die Kampftruppen verbieten, die die NPD strieren häufig zusammen, um Gewalt anwenden zu kön- unterstützen. nen. Das ist nicht im Sinne des Grundgesetzes, sondern gegen den Geist des Grundgesetzes. Das ist zu verurtei- Wir haben jetzt gute Grundlagen auch für die Polizei- len, egal wo es stattfindet. präsidenten in den Regionen – als Beispiel nenne ich noch einmal Dortmund –, dass Demonstrationen der (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Rechten, wie sie beispielsweise für den 5. September Jetzt zum Ergebnis der Berliner Demonstration und wieder angemeldet sind, verboten werden. Für noch viel zu dem, was sich dort abgespielt hat. Frau Lötzsch hat wichtiger halte ich es, dass alle demokratischen Kräfte gefragt, was dieses Thema im Bundestag zu suchen gemeinsam am 5. September überall, wo Demonstratio- habe. Allein die Zahl der verletzten Bundespolizisten nen angemeldet worden sind, selber die Plätze besetzen hätte Sie nachdenklich machen müssen. und für Toleranz und gegen Rassismus demonstrieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie (Beifall bei der SPD und der LINKEN) bei Abgeordneten der SPD) Es geht aber nicht nur um die Kampftruppen, sondern Dieses Thema muss hier besprochen werden. Jeder auch um die geistigen Brandstifter, also um diejenigen, sechste Bundespolizist ist verletzt aus dieser Versamm- die Rechtsextremismus in die Köpfe der Menschen brin- lung herausgekommen. Das waren ja kriegsähnliche Zu- gen wollen. Wir müssen dazu beitragen, dass sich der stände! Rechtsextremismus nicht in den Köpfen der Menschen verhakt. Andernfalls bekämen wir viele Probleme in un- (Sebastian Edathy [SPD]: Herr Uhl, so weit sollte man nicht gehen!) (B) serem Land, mit denen wir uns auseinandersetzen müss- (D) ten. Gemeinsam sollten wir uns dagegen zur Wehr set- Autos in Brand setzen, Menschen durch Steinwürfe und zen. Molotowcocktails schwer verletzen – das sind Handlun- Vielen Dank. gen, bei denen jede Strategie der Deeskalation völlig de- platziert ist, Herr Ströbele. Darüber müssen wir reden. (Beifall bei der SPD und der LINKEN – Wir müssen uns fragen: Wie geht man mit solchen Men- Volker Kauder [CDU/CSU]: Dass immer eine schen um? Gruppe auf einem Auge blind ist! Ich be- kämpfe die Rechten, wo es geht! – Gegenruf (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE des Abg. Marco Bülow [SPD]: In Dortmund GRÜNEN]: Was schlagen Sie denn vor?) habe ich keinen von Ihnen gesehen! Keine Ich glaube, es war gut, dass Sie, Frau Lötzsch, für die Pressemitteilung in Dortmund, nichts! – Ge- Linken gesprochen haben; denn so haben die Menschen genruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: im Lande gesehen und gehört, wes Geistes Kind die Lin- Sie müssen nicht so dummes Zeug reden!) ken sind. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl hat jetzt das Wort für Diese gewalttätige, brutale, rechtsbrecherische Ver- die CDU/CSU-Fraktion. sammlung, die von den Linken angemeldet und durchge- führt worden ist, wurde hinterher trotz der vielen Ver- (Beifall bei der CDU/CSU) letzten von den Linken für gut erklärt. Sie sind die Schutzpatronin dieser Chaoten. Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! der LINKEN – Frank Spieth [DIE LINKE]: So Jedermann – so steht es im Grundgesetz; dies wurde be- ein Quatsch!) reits zitiert, und es ist gut, dass es zitiert wurde, weil es wichtig ist – hat das Recht, sich friedlich und ohne Waf- Wenn selbst Antikonfliktteams, also unbewaffnete fen zu versammeln. Dieses Versammlungsrecht ist ein Polizisten, die für Deeskalation sorgen sollen, Schlüsselgrundrecht für eine lebhafte Demokratie und (Hellmut Königshaus [FDP]: Ohne Helm!) für die politische Willensbildung im Lande von eminen- ter Bedeutung. Es wird gesagt, das Schwungrad der De- von diesen Chaoten zusammengeschlagen werden, wer mokratie sei das Versammlungsrecht. So will es das will da noch von einer Deeskalationsstrategie reden? 24018 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Dr. Hans-Peter Uhl (A) (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Herr roten Senat Rücksicht auf die Umtriebe des Koalitions- (C) Ströbele, dazu haben Sie nichts gesagt, dass partners. Deeskalationsteams zusammengeschlagen worden sind!) (Beifall bei der CDU/CSU – Sebastian Edathy [SPD]: Herr Uhl, Sie sollten sich mäßigen!) Das ist doch Narretei. Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Die Ereignisse waren kein Schicksalsschlag, sondern Wenn es mit der Strategie in Berlin so weitergeht, kön- sie waren öffentlich angekündigt. Am 18. April, zwei nen wir Bundespolitiker es nicht länger verantworten, Wochen vor der Versammlung, war ein Plakat zu sehen, Bundespolizisten nach Berlin zu entsenden. das folgenden Wortlaut hatte: (Sebastian Edathy [SPD]: Herr Uhl, jetzt über- Wir wollen die Bullen aus unserem Kiez vertreiben, treiben Sie aber!) jeden Tag und besonders am 1. Mai! Zerstört ihre Fahrzeuge! Es ist nicht zu verantworten, dass wir Bundespolizisten der Gefahr einer Steinigung aussetzen. Jedermann hat Schande für Ihre Partei! das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versam- meln. Aber für die Berliner Chaoten haben wir Hand- (Beifall bei der CDU/CSU – Frank Spieth schellen und Haftanstalten. [DIE LINKE]: Das ist ungeheuerlich, was Sie da sagen! Es ist eine Schande, wie Sie reagie- (Beifall bei der CDU/CSU) ren! Wo gibt es denn so was? – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Bei euch!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Jetzt geht es um die Frage, wie eine Landesregierung, Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Matthias Miersch in diesem Fall der rot-rote Senat in Berlin, verantwor- von der SPD-Fraktion. tungsbewusst mit solchen Ereignissen umgeht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Frank Spieth [DIE LINKE]: Man kann doch nicht mit dem Finger auf andere zeigen und ih- Dr. Matthias Miersch (SPD): nen Gewalt vorwerfen!) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Herr Ströbele, Sie wollten ja konkrete Vorschläge hören. Hannoveraner Sie haben reichlich Demonstrationserfahrung, ich eben- (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Als SPD-Mann falls; wir kommen nur von verschiedenen Seiten. aus Hannover hat man ja Erfahrung!) (B) (D) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE – hören Sie erst einmal zu und seien Sie ruhig – kann ich GRÜNEN]: Was heißt das?) nur sagen: Diese Debatte befremdet etwas. Was hier geschehen ist, gehört zum kleinen Einmaleins (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie vielleicht!) für die Behörde, die für die Versammlungen zuständig ist, und für den Einsatzleiter der Polizei. Jeder Gewaltbe- Die Aktuelle Stunde hat das Thema: „Gemeinsam gegen reite macht immer dasselbe: Er wird Teil eines sich for- Gewalt – Ächtung der Ausschreitungen und schweren mierenden schwarzen Blockes und umgibt sich mög- Gewaltstraftaten am 1. Mai“. Dieses Thema ist doch viel lichst mit mannshohen Transparenten, um aus dem zu wertvoll, als dass wir uns als Demokraten in diesem Schutz dieser Abgeschlossenheit, dieser Uneinsehbar- Hause gegenseitig vorwerfen sollten, dass wir das eine keit heraus Molotowcocktails und Steine zu werfen, oder andere billigen. Jeder in diesem Haus ist gegen jede ohne dabei gefilmt oder erkannt werden zu können. Form von Gewalt; da bin ich mir sicher. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem GRÜNEN]: Es ist nicht ein einziger Molotow- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hartmut cocktail geworfen worden!) Koschyk [CDU/CSU]: Die Linke nicht, Herr Kollege!) Herr Ströbele, wo sich ein Demonstrationszug sol- chermaßen formiert – und genau so war es –, muss die Mit dem Hinweis auf politische Verantwortungen Polizei von der politischen Leitung den Auftrag bekom- wäre ich sehr vorsichtig. Die Aktuelle Stunde hat nicht men, zu fordern: Runter mit den Plakaten, sonst setzt umsonst das Thema: „Ausschreitungen am 1. Mai“. Es sich der Zug nicht in Bewegung! – Dann muss die Poli- geht dabei nicht nur um den 1. Mai 2009. Jeder, der die zei eine Sperre bilden, damit sich der Demonstrations- Entwicklung der letzten Jahre verfolgt hat, weiß ganz zug keinen Meter bewegen kann. Einen solchen politi- genau, dass der 1. Mai nicht nur in Berlin, sondern auch schen Auftrag hat es nicht gegeben. an anderen Orten in der Bundesrepublik Deutschland häufig Anlass für schwere Ausschreitungen gewesen ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich erinnere nur an den 1. Mai 2008 in Hamburg. Im Versammlungsbescheid steht die Auflage, dass (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Aber es ist konse- Seitentransparente von zwei Metern Höhe verboten sind. quent reagiert worden, Herr Miersch!) Wann ist das von der Polizei durchgesetzt worden? Das wurde von politischer Seite verhindert. Herr Benneter, Dort gab es keinen rot-roten Senat, sondern eine andere das wissen Sie genau. Und warum? Man nimmt im rot- Führung; damit möchte ich aber nicht sagen, dass die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24019

Dr. Matthias Miersch (A) Schuld bei den Trägern der politischen Verantwortung Worum wird es zukünftig gehen? Ich glaube, wir (C) liegt. brauchen viele Handlungsstrategien. Wir brauchen zu- nächst einmal Verbote rechtsextremer und linksextremer (Markus Löning [FDP]: Ist denn Herr Körting nicht Organisationen. Wir brauchen vor allen Dingen aber für die Polizei verantwortlich, oder was?) auch eine Bewusstseinsschärfung. Weil hier junge Men- Ich wäre auch vorsichtig, zu sagen: In Niedersachsen schen anwesend sind, ist es mir ganz wichtig, zu sagen: gibt es ja eine gelb-schwarze Landesregierung. Deswe- Wir brauchen das Bekenntnis zur Demokratie. Ich gen ist die Sache da besser abgelaufen. – Schauen Sie glaube, das bekommen wir nur hin, wenn wir auch in sich einmal die entsprechende Gerichtsentscheidung an; diesen Debatten anders miteinander diskutieren. Wir alle ich komme darauf gleich zurück. Ein Argument für das sind Demokraten. Wir sollten an diesem Tag, in dieser Verbot der NPD-Demonstration war, dass der Polizeiprä- Stunde und an jeder Stelle darum werben. sident gesagt hat, er berufe sich auf den polizeilichen Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Notstand, weil die Polizeibehörden angesichts der Kon- stellationen keine Sicherheit mehr gewährleisten könn- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ten. Insofern trägt meines Erachtens auch die politische DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Seite eine große Verantwortung dafür, über Strategien LINKEN) nachzudenken, dass es am 1. Mai weder in Berlin noch in Hamburg oder in Hannover zu einem solchen polizei- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: lichen Notstand kommt. Das Wort hat der Kollege Kai Wegner von der CDU/ Was wir am 1. Mai 2009 in Hannover geschafft ha- CSU-Fraktion. ben, ist, glaube ich, ein wichtiges Zeichen gewesen. Ich sage ganz bewusst: Es ist gemeinsam geschafft worden. (Beifall bei der CDU/CSU) Es ist von Vertretern der CDU, der FDP, der Linken, der Grünen und der SPD geschafft worden. Über 15 000 Kai Wegner (CDU/CSU): Bürgerinnen und Bürger sind aufgestanden und haben Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und sich gegen jegliche Form des Extremismus gewandt. Ich Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie finde, das sollte man auch in diesem Hause honorieren. mich als Berliner Bundestagsabgeordneter zu Beginn meiner Rede ganz herzlich Dank sagen. Ich darf mich (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nicht nur bei der Bundespolizei, die allein über 100 ver- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der letzte Polizisten zu beklagen hat, für ihre Unterstützung CDU/CSU und der FDP) (B) bedanken, sondern ich möchte mich auch ganz herzlich (D) Es hat eine monatelange Vorbereitung seitens des bei den Berliner Kolleginnen und Kollegen der Polizei Deutschen Gewerkschaftsbundes in Zusammenarbeit und natürlich auch bei den Unterstützungskräften aus mit Oberbürgermeister gegeben. Man hat Hamburg, aus Niedersachsen, aus Sachsen-Anhalt und versucht, alle gesellschaftlichen Gruppen zu mobilisie- aus Thüringen für ihren beherzten Einsatz bedanken. Sie ren. Es ist ein bundesweit enorm beachtetes Zeichen ge- haben einen schweren Einsatz erleben müssen. Von da- wesen, dass die palästinensische und die israelische Ge- her gebührt ihnen unser aller Dank. meinde gemeinsam in Hannover demonstriert haben. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Was für ein Zeichen des Miteinanders; was für ein Zei- FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- chen des Friedenswillens! SES 90/DIE GRÜNEN – Dr. h. c. Jürgen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Koppelin [FDP]: Das sehen die Linken nicht des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) so!) Ich empfehle jedem, einmal die entsprechende Ge- Frau Lötzsch, ich wollte gar nicht auf Ihren Beitrag richtsentscheidung zu studieren. Die Entscheidung des eingehen, weil mich das emotional viel zu sehr mit- Verfassungsgerichts wird nicht begründet, weil eine ent- nimmt. Aber nach Ihrem Zwischenruf von vorhin muss sprechende Beschwerde nicht angenommen worden ist. ich doch auf Ihre Einlassung hier eingehen. Ich finde Es gibt dazu jedoch Leitsätze des Oberverwaltungsge- das, was Sie heute an diesem Rednerpult von sich gege- richts Lüneburg. Die sollten wir uns – gerade wir als ben haben, unverantwortlich. Es ist unverantwortlich, zu Rechtspolitiker – einmal sehr genau anschauen. Darin sagen, es gebe einige in diesem Hause, die die Gefahr wird gesagt, es müsse eine gewisse Anforderung an die durch rechtsextreme Demonstranten und durch rechts- Prognosen der Gewaltausschreitung geben. Diese dürf- extremes Gedankengut sowie Gewaltexzesse von rechts ten nicht überhöht sein. Das Versammlungsrecht als herunterspielen wollen. Sie tun so, als ob es nur auf die- wichtigstes Grundrecht müsse erfüllt sein, aber nicht um ser Seite extremes Gedankengut gibt. Wenn ich die Dis- jeden Preis. Die Entscheidung des niedersächsischen kussion in der letzten Dreiviertelstunde richtig verfolgt Oberverwaltungsgerichts hat Signalcharakter. Es ist gut, habe, dann wurde klar, dass CDU/CSU und FDP ganz dass wir diejenigen, die dieses hohe Gut gefährden wol- deutlich gesagt haben, dass es egal ist, von welcher Seite len, ausgrenzen. Gewalt ausgeht. Wer die Freiheit, die Demokratie und unser Rechtssystem bekämpfen will, dem gehört die rote (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Karte gezeigt, Frau Lötzsch. Das erwarte ich endlich CDU/CSU) auch einmal von Ihrer Fraktion. 24020 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Kai Wegner (A) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie spricht für und nicht gegen die Kolleginnen und Kolle- (C) bei Abgeordneten der SPD – Klaus Uwe gen der Unterstützungskräfte. Benneter [SPD]: Das alles haben die Kollegen schon erzählt!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Warum muss über dieses Thema im Bundestag bera- – Nein, lieber Herr Benneter, das hat die Kollegin so ten werden, Frau Lötzsch? Erstens, weil es die Menschen nicht erzählt. in der ganzen Republik bewegt, und zweitens, weil es um (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Nein, nicht sie, nicht weniger als die Sicherheit in der Hauptstadt geht. aber die Kollegen von der SPD!) Wenn Sie die Aussagen der eingesetzten Beamtinnen und Beamten aufmerksam verfolgt haben – Herr Löning hat Ich will auch noch einmal den Fall Jermak aufgreifen. viele Zitate vorgetragen –, dann wissen Sie, was sie Es ist schon viel dazu gesagt worden. Deswegen will ich durchgemacht haben, und dann wissen Sie auch, wie die gar nicht alles wiederholen. Es ist ein Skandal an sich, Motivation der Berliner Polizistinnen und Polizisten und dass ein wichtiger Nachwuchspolitiker Ihrer Partei eine deren Vertrauen in ihre Führung aussieht. Das wundert Demonstration anmeldet, die in den letzten Jahren im- mich übrigens überhaupt nicht, wenn ich mir vor Augen mer mit gewalttätigen Auseinandersetzungen endete. führe, dass die Polizeiführung den Kolleginnen und Kol- Herr Jermak hat gesagt, er stehe natürlich hinter den In- legen gesagt hat: Zieht euch zurück, wenn Straftaten pas- halten dieser Demonstration. Was wurde im Vorfeld ge- sieren. sagt? – Im Vorfeld wurde gesagt, in der Berliner Polizei gebe es einen faschistischen Korpsgeist, und im Vorfeld (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Unerhört!) dieser Demonstration wurde zu Unruhen aufgerufen. Wir schreiten nicht ein. Ihr müsst also nicht das Recht Herr Jermak hat auch unterstützt, dass die „Bullen“ sich durchsetzen, auch wenn das eigentlich Aufgabe der Poli- aus dem Bezirk entfernen sollen. Er hat außerdem geäu- zei ist. Setzt bitte keine Helme auf, die könnten provo- ßert, dass bei gewalttätigen Auseinandersetzungen im zieren. Zweifel natürlich die Polizei schuld ist. Herr Jermak ist hier kein Einzeltäter. Eine Abgeordnete aus dem Landes- (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Unglaub- parlament in Berlin hat das bekräftigt. lich! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die haben alle Helme aufge- Zu behaupten, die Polizei sei schuld an diesen gewalt- habt! Das ist doch alles Unsinn, was Sie erzäh- tätigen Exzessen, die dort vonstatten gehen, ist auch eine len!) Unverschämtheit. Die Kolleginnen und Kollegen der Po- lizei setzen sich für uns alle ein: für Recht und Freiheit, Das hat nicht Herr Jermak gesagt, sondern die Polizei- (B) für unser Rechtssystem. Sie wollen am 1. Mai nicht in führung von Berlin. (D) diese Bezirke. Sie würden am 1. Mai lieber zu Hause bei In diesem Jahr wurden auch keine Wasserwerfer ein- ihren Familien sitzen. Dank solcher Typen müssen sie gesetzt, weil sie provozieren würden. Ich glaube, das sich ohne jegliche politische Unterstützung von diesem war erstmals der Fall; Herr Ströbele, Sie haben mehr Er- Senat dem Steinhagel aussetzen. Das ist eine Unver- fahrung damit. Früher wurden sie eingesetzt, auch unter schämtheit, Frau Lötzsch. Rot-Rot. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Mechthild Rawert [SPD]: Das ist eine Frech- GRÜNEN]: Die haben alle Helme aufgehabt! heit, Herr Wegner!) Es ging um Masken!) – Nein, das ist keine Frechheit. – Dann lesen Sie einmal die Berichte der Kolleginnen Ich hätte mir übrigens auch gewünscht, dass Herr und Kollegen, die vor der Aral-Tankstelle standen. Die Körting heute einmal hier wäre. Hier hätte er nicht, wie kann ich Ihnen nachher gerne zeigen. kurz vor dem 1. Mai aus Kreuzberg, fliehen müssen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall des Abg. Dr. h. c. Jürgen Koppelin GRÜNEN]: Masken!) [FDP]) – Es ging auch darum, dass keine Masken eingesetzt Hier hätte er in Ruhe sitzen und vielleicht einmal einige werden durften. Sachen klarstellen können, liebe Frau Kollegin. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wen wundert es, dass diese Polizistinnen und Polizisten nicht mehr moti- (Sebastian Edathy [SPD]: Fragen Sie einmal viert sind, für Sicherheit zu sorgen? Wen wundert es, Ihren Geschäftsführer! Das ist so abgespro- dass diese Polizisten frustriert und verunsichert sind? Ich chen worden! Sie sind nicht gut informiert!) kann Ihnen nur sagen – ich hätte es Herrn Körting hier Wann hat sich der Innensenator eigentlich einmal bei gerne persönlich gesagt –: den Polizistinnen und Polizisten, die am 1. Mai auf der (Sebastian Edathy [SPD]: Sie wollten doch Straße waren, bedankt? Das Einzige, was ich vom Poli- nicht, dass er kommt! Das ist unverschämt, zeipräsidenten gehört habe, war, dass die Unterstüt- was Sie da erzählen!) zungskräfte aus anderen Ländern nicht mit der Polizei- taktik klargekommen sind. Dass die Unterstützungs- Ein Innensenator, der keine Verantwortung für seine kräfte mit dieser Taktik nicht klargekommen sind, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übernimmt, und ein Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24021

Kai Wegner (A) Polizeipräsident, der ebenfalls keine Verantwortung für Wir wissen noch nicht, was sich im Detail abgespielt (C) seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übernimmt, soll- hat. Herr Kollege Löning, es ist billig, hier einzelne Au- ten sich überlegen, ob sie die richtigen Leute für die Ber- genzeugenberichte von Polizisten vorzutragen. Ich denke, liner Polizei sind. man wird das in der Gesamtschau bewerten müssen: nicht nur das, was die Polizisten sagen, sondern auch das (Sebastian Edathy [SPD]: Sie missbrauchen Verhalten und die Aussagen der Einsatzleiter. Es geht das Thema parteipolitisch, und das ist schä- doch nicht an, dass wir im Bundestag eine Vorverurtei- big!) lung vornehmen. Rot-Rot wird immer mehr zum Sicherheitsrisiko in die- (Sebastian Edathy [SPD]: Wohl wahr! Hört! ser Stadt. Wir brauchen eine motivierte Polizei. Deswe- Hört!) gen ist es richtig, Frau Lötzsch, dass wir hier und heute darüber gesprochen haben. Wir dürfen zwar nichts kleinreden, wir dürfen es aber (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) auch nicht aufbauschen. Das ist unsere Aufgabe im Bun- destag. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus Uwe Benneter des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) von der SPD-Fraktion. Herr Uhl, Sie haben geklatscht, als der Kollege sagte, (Beifall bei der SPD) wir seien alle keine Einsatzleiter. Aber Sie haben auf Ihre Vergangenheit Bezug genommen und hier genau an- Klaus Uwe Benneter (SPD): gegeben, wie Sie eine solche Demonstration geführt hät- ten. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol- lege Wegner, mit Ihren Ausbrüchen haben Sie dieser De- (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Weil er Er- batte nun wirklich keinen Gefallen getan. fahrung hat!) (Kai Wegner [CDU/CSU]: Wahrheit tut weh!) Ihre Parteifreunde Werthebach und Schönbohm, die Was die Polizisten angeht, sind wir uns doch alle einig. vor einigen Jahren Innensenatoren in Berlin waren, hat- ten es damals mit Ihrer Hau-drauf-Strategie probiert; Herr Körting wollte hier sein. aber sie haben üblen Schiffbruch damit erlitten. (Sebastian Edathy [SPD], an die CDU/CSU (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE (B) gewandt: Sie wollten das doch nicht!) GRÜNEN]: Ja! – Reinhard Grindel [CDU/ (D) Er hatte das zugesagt, aber die Fraktionsführungen die- CSU]: Das stimmt doch überhaupt nicht!) ser Koalition, die wir noch gemeinsam stellen, haben Deshalb bin ich dankbar, dass es in Kreuzberg ein großes entschieden, dass es besser wäre, wenn wir die Debatte Volksfest gab, untereinander führen würden. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (Lachen bei der FDP sowie bei Abgeordneten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört! – ein Maifest, wie es wirklich nicht besser sein könnte. Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Das ist ja in- Zehntausende haben sich dort friedlich über den Maibe- teressant! Das ist ja das Stärkste! Das ist ja ginn gefreut, haben den Tag der Arbeit gemeinsam ge- eine ganz heiße Nummer!) feiert; ich selbst war mit Zehntausenden Arbeitnehme- rinnen und Arbeitnehmern hier in Berlin vor dem Und genau das tun wir jetzt. Brandenburger Tor auf einer Maidemonstration. Darüber (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jerzy spricht überhaupt keiner mehr. Das ist der eigentliche Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann Skandal. können wir ja gehen!) (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Alle fragen sich, warum diese Debatte in den Bundes- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tag gehört. Frau Kollegin Lötzsch, sie gehört auch in das Berliner Landesparlament, aber eben nicht nur dorthin. Den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die am Ich denke, dass die Diskussion, die im Berliner Landes- 1. Mai für die Arbeitnehmerrechte eingetreten sind, wid- parlament darüber stattfinden wird, nicht so gruselig sein met man keine Aktuelle Stunde. wird, wie es ein Teil der Beiträge der Berliner Bundes- (Markus Löning [FDP]: Ihr habt das doch be- tagabgeordneten in dieser Debatte war. antragt! Das ist doch eure Aktuelle Stunde!) Ich bin über die Gewaltausbrüche und die blindwüti- Sie kämpfen beispielsweise dafür, dass Opel in Deutsch- gen Angriffe entsetzt. Die traurige Bilanz muss uns alle land gerettet wird. Das wäre es auch wert, hier in einer erschüttern. Dem Dank an die Polizei haben wir uns alle Aktuellen Stunde debattiert zu werden. angeschlossen. Wir alle wünschen uns, dass die Verletz- ten – egal ob Polizisten oder Unbeteiligte – schnellstens (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem wieder gesund werden. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 24022 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Klaus Uwe Benneter (A) Kollege Ströbele ist wirklich ein Kenner der Materie. Herr Bülow, Sie haben die Stadt Dortmund erwähnt; (C) Er weiß: Die Deeskalation hat in den letzten Jahren auch Hannover wurde genannt. Wir müssen uns fragen: wirklich Erfolg gehabt. Wie kann es in Berlin zu solchen Gewaltexzessen kom- men? Woran liegt es? Die Gewalt, die wir erlebt haben (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE und die am Ende viele unschuldige Opfer forderte – fried- GRÜNEN]: Riesenerfolg!) liche Demonstranten, unbeteiligte Bürger, aber auch fast Die Ankündigungen, die man auf Plakaten lesen konnte, 500 Polizeibeamte wurden verletzt, einige davon sogar gab es auch in den letzten Jahren immer. Dennoch war es schwer –, kam nicht aus heiterem Himmel. Man muss richtig, dass die Polizeiführung in ihrem Ermessen und sich schon fragen, warum alle Warnzeichen ignoriert im Rahmen ihrer Möglichkeiten, jeweils abzuwägen, wurden, warum die politische und die polizeiliche Füh- wie im Einzelfall vorzugehen ist, die entsprechenden rung weggesehen haben. Es ist Sinn und Zweck der heu- Anweisungen gegeben hat. tigen Debatte, sich auch mit dieser Frage zu beschäftigen. Alle Polizisten hatten, soweit ich das auf den Bildern (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – gesehen habe, Schutzhelme auf; ich habe keinen ohne ei- Sebastian Edathy [SPD]: Wollen Sie das per nen Schutzhelm gesehen. Es ist also Unsinn, wenn hier Ferndiagnose beurteilen, Herr Kollege?) vorgetragen wird, dass es andere Anweisungen gegeben Es gab die vom Kollegen Uhl angesprochenen Pla- hätte. kate, die gezielt zu Gewalt gegen Polizeibeamte aufrie- Wie gesagt: Die Deeskalation und die Gewaltpräven- fen. Es gab Straßenzüge und Plätze, an denen sich die tion waren erfolgreich, jedenfalls erfolgreicher als das, Polizei aus Angst vor Übergriffen nicht zeigen durfte was die Kollegen Werthebach und Schönbohm in den und konnte. Seit mehreren Jahren brennen durchschnitt- vergangenen Jahren am 1. Mai zu verantworten hatten. lich jede dritte Nacht in Berlin Autos. Es sollte einen Info- stand der CDU geben. Obwohl dieser am helllichten Tag (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das stimmt mitten in der Hauptstadt stehen sollte, sagten die Sicher- doch überhaupt nicht! Solche Sachen haben heitsbehörden: Den können wir nicht genehmigen, weil sich doch damals nicht abgespielt am 1. Mai!) wir nicht für dessen Sicherheit garantieren können. Ich meine, auch am 1. Mai muss das Gewaltmonopol (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE des demokratischen Rechtsstaates durchgesetzt werden, GRÜNEN]: Mitten in der Hauptstadt wäre ge- auch in Kreuzberg und Friedrichshain. Darüber, denke nehmigt worden! Aber nicht in der Oranien- ich, kann es überhaupt keine Diskussion geben. straße!) (B) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Da müssen wir uns doch fragen: Woran liegt das? Wird (D) bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE hier zu viel weggesehen, statt entschieden und konse- GRÜNEN) quent gegen Gewalt vorzugehen? Nur die Polizei, keine wild gewordenen Anarchisten ha- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ben dieses Recht. Das gilt auch in Berlin. Das hat bisher in Berlin gegolten und wird auch weiterhin gelten. Weil es sich immer wiederholt und nicht bessert, ist mein Eindruck, dass die politische Führung in Berlin vor (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Wolfgang der Gewalt kapituliert hat. Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Markus Löning [FDP]: Weiß der Herr Körting (Sebastian Edathy [SPD]: Das stimmt doch gar das auch?) nicht! – Mechthild Rawert [SPD]: Das ist falsch!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Darunter leiden die Männer und Frauen der Polizei. Da- Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt runter leiden unbescholtene Bürger. Darunter leiden erteile ich das Wort dem Kollegen Clemens Binninger friedliche Demonstranten. Darunter leidet am Ende auch von der CDU/CSU-Fraktion. der Rechtsstaat mit all seinen Funktionsträgern. (Beifall bei der CDU/CSU) (Sebastian Edathy [SPD]: Das ist so durch- sichtig! Sie missbrauchen das Thema!) Clemens Binninger (CDU/CSU): Das dürfen wir nicht hinnehmen. Dem müssen wir ent- Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! schieden entgegentreten. Bei aller Unterschiedlichkeit in der Debatte sind wir uns, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – glaube ich, über eines einig: Wir treten jeder Form von Sebastian Edathy [SPD]: Lassen Sie einmal Gewalt, egal ob von links oder rechts, die sich gegen un- die Kirche im Dorf, Herr Binninger!) seren Staat, seine Funktionsträger, gegen Unschuldige und Unbeteiligte richtet, entschieden entgegen. Auch das Wenn der Polizeipräsident von Berlin nach den Kra- ist ein Signal, das von der heutigen Aktuellen Stunde wallen – wohlgemerkt: danach – von einem bewährten ausgeht. Konzept spricht, das ohne Alternative ist, (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE und der LINKEN) GRÜNEN]: Ja, da hat er recht!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24023

Clemens Binninger (A) dann empfinde ich das mehr als Drohung statt als Hilfe. Herr Kollege Benneter sagt, die Fraktionsspitze habe (C) Man kann nur sagen: Hier halten Leute das für ein Kon- entschieden, es sei besser, ohne ihn zu debattieren. zept, was sie jedes Jahr aufs Neue falsch machen. (Widerspruch bei der SPD) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Nein! Nein!) Es spricht Bände, Herr Kollege Benneter, wenn die SPD der Auffassung ist, dass man so etwas besser ohne den Das ist sicher kein Konzept. SPD-Innensenator bespricht. Es ist etwas verräterisch, wie er formuliert. Er wirkt auf mich eher desinteressiert (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – und teilnahmslos. Man muss sich schon fragen, ob er in Sebastian Edathy [SPD]: Haben Sie eine Pa- der Lage ist, die Sicherheit in unserer Hauptstadt zu ge- tentlösung? Herr Binninger hat die Patentlö- sung!) währleisten. (Sebastian Edathy [SPD]: Bei aller Polemik, – Herr Kollege Edathy, wenn Sie dazwischenrufen, ob ich eine Patentlösung habe, dann darf ich – das sei mir werden Sie nicht unverschämt!) gestattet – auf meine Berufserfahrung hinweisen. Es gibt An seine Adresse sage ich nur: Erfolgreiche Innenpolitik keine Patentlösung. Bei schwierigen Einsätzen passieren macht man entweder ganz oder gar nicht. immer Fehler. Aber schauen Sie einmal auf die Häufig- keit und die Art der Fehler, die hier passiert sind. (Beifall des Abg. Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]) Ich habe mich mit Polizeibeamten unterhalten, die am Einsatz beteiligt waren. Der Innensenator hat sich offensichtlich für „gar nicht“ entschieden. Das ist kein Weg. Wir stehen dem entge- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gen. NEN]: Nun ist aber Schluss!) Herzlichen Dank. Ich will nur ein paar wenige unverständliche Fehler nen- nen, die die Einsatzleitung und die politisch Zuständigen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – zu verantworten haben. Sebastian Edathy [SPD]: Das gehört nicht in den Bundestag!) Beispiel eins: Der gewalttätige Demozug, der schon nach wenigen Metern als gewalttätig erkennbar war, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: wurde nur von Antikonfliktteams begleitet, die nicht ge- Die Aktuelle Stunde ist beendet. schützt und schlecht ausgerüstet waren und am Ende um ihr Leben laufen mussten. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: (B) (D) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank GRÜNEN]: Das ist nicht wahr! Das ist Un- Spieth, Dr. Martina Bunge, Dr. Ilja Seifert, weite- sinn! Die Bundespolizei war rechts und links!) rer Abgeordneter und der Fraktion die Linke Beispiel zwei: Wasserwerfer durften nicht gegen Steine- Für eine solidarische Gesundheits- und Pflege- werfer eingesetzt werden, sondern nur zum Löschen be- absicherung reits brennender Barrikaden. – Drucksache 16/12846 – (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Überweisungsvorschlag: NEN]: Weil es polizeitaktisch unsinnig ist!) Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales – Nein, ist es eben nicht. Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Beispiel drei: Auch Sie, Herr Edathy, haben ange- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die sprochen, dass man bei solchen Demos Vorkontrollen Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es Wider- durchführen sollte. spruch dagegen? – Das ist nicht der Fall. (Sebastian Edathy [SPD]: Ja!) Dann eröffne ich die Aussprache und erteile als ers- Vorkontrollen wurden hier ausdrücklich nicht gestattet. tem Redner das Wort dem Kollegen Frank Spieth von Sie wurden nicht durchgeführt. Damit kann man keine der Fraktion Die Linke. Gewaltbereiten im Vorfeld erkennen. (Beifall bei der LINKEN) Deshalb bleibt der Eindruck, dass die politische und polizeiliche Führung der Hauptstadt dieses Problem Frank Spieth (DIE LINKE): nicht nur unterschätzt haben, sondern weggesehen und Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- falsch gehandelt haben. Daher muss man sich fragen, ob gen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wer arm ist, muss sie in der Lage sind, die Sicherheit in unserer Hauptstadt früher sterben. Wenn Sie im wohlhabenden Berliner Be- im Interesse der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleis- zirk Charlottenburg-Wilmersdorf in die U-Bahn steigen ten. und ins ärmere Friedrichshain-Kreuzberg fahren, nimmt die Lebenserwartung von Männern in Ihrer Umgebung Nun zum Innensenator, der heute nicht hier ist. mit jeder Station, an der sie halten, um ein gutes halbes (Sebastian Edathy [SPD]: Weil Sie nicht woll- Jahr ab. In Charlottenburg-Wilmersdorf ist die Lebenser- ten, dass er kommt!) wartung um vier Jahre höher als in Friedrichshain- 24024 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Frank Spieth (A) Kreuzberg. Dies belegt die Berliner Gesundheitsbericht- und Grüne hingegen haben Leistungen gekürzt und Zu- (C) erstattung. zahlungen eingeführt. Diese Armutsfolgen sind nicht nur in Berlin zu beob- (Elke Ferner [SPD]: Nein! Wo denn? – achten. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung Mechthild Rawert [SPD]: Was? Wo denn, Herr hat festgestellt, dass Frauen mit geringem Einkommen Spieth? Beweise!) im Vergleich zu Frauen, die der Gruppe der Bezieher höchster Einkommen angehören, in Deutschland acht Rezeptfreie Arzneimittel muss man komplett selbst zah- Jahre früher sterben. Bei Männern beträgt dieser Unter- len, rezeptpflichtige Medikamente kosten den Patienten schied bundesweit sogar 14 Jahre. Ich meine, das ist ein 5 bis 10 Euro pro Packung, beim Arzt, auch beim Zahn- ungeheuerlicher Skandal. arzt, wird Eintritt fällig, und im Krankenhaus kostet je- der Tag 10 Euro, um nur einige Beispiele zu nennen. (Beifall bei der LINKEN) Diese Zuzahlungen sind ungerecht; denn sie belasten In der Gesundheitsberichterstattung des Bundes wird Geringverdiener über Gebühr. deutlich gemacht, dass diese Unterschiede sogar eher zu- (Beifall bei der LINKEN) als abnehmen. Das darf unmöglich folgenlos bleiben. Die Politik muss endlich Schlussfolgerungen aus dieser Die Linke will diese Zuzahlungen abschaffen. Denn in- Fehlentwicklung ziehen. Wir müssen die Probleme an folge dieser Zuzahlungen lassen Menschen mit geringem der Wurzel packen. Dazu brauchen wir einen anderen Einkommen häufig wichtige Behandlungen ausfallen. gesundheits- und sozialpolitischen Ansatz. Wir müssen Die Zweiklassenmedizin wird auch an einer anderen dort ansetzen, wo die Menschen wohnen, arbeiten und Stelle des Gesundheitswesens deutlich. Selbstzahler und ihre Freizeit verbringen. Gesunde Wohnbedingungen Privatversicherte erhalten sämtliche Leistungen und ei- und gesunde Arbeitsbedingungen – kurz: gesunde Le- nen bevorzugten Zugang zu einem Arzt oder einem bensbedingungen – sind lebenswichtig. Krankenhaus. Für die gesetzlich Krankenversicherten al- (Beifall bei der LINKEN) lerdings werden nicht mehr alle Leistungen bereitge- stellt, und sie müssen lange auf Termine warten. Etwa Der Aldi-Chef kann sie sich leisten, die Aldi-Kassiererin 1 Million sogenannter Illegaler sind von der Gesund- aber nicht. Deshalb muss die Gesundheitsförderung an heitsversorgung in Deutschland völlig ausgeschlossen. dieser Stelle ansetzen. Dies, meine Damen und Herren, ist mit dem UN-Sozial- Das versprochene Präventionsgesetz ist leider in der pakt, dem die Bundesrepublik 1973 beigetreten ist und Koalition gescheitert. Auch die aktuelle Gesundheitspo- den sie vorbehaltlos ratifiziert hat, nicht vereinbar. litik ist nach meiner Auffassung gescheitert. Die Privati- (B) (Beifall bei der LINKEN) (D) sierung und die Kommerzialisierung des Gesundheits- systems zementieren die Zweiklassenmedizin in Noch einmal: Jeder hat das gleiche Recht auf gesund- Deutschland geradezu. heitliche Versorgung. Die Linke lehnt eine Privatisie- rung und Kommerzialisierung des Gesundheitssystems Ein Beispiel: Bei den Hilfsmitteln hat die Koalition ab. den Krankenkassen vorgegeben, dass sie Leistungen ausschreiben können. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (Elke Ferner [SPD]: Ja, sie können!) Wir wollen stattdessen, dass alle Bürger in einer bezahl- baren Bürgerversicherung versichert sind, der Pförtner In einer Ausschreibung steht in der Regel aber nichts wie der Chef, und dass eine umfassende wohnortnahe von Qualität. Der billigste Anbieter erhält den Zuschlag. Versorgung, und zwar unabhängig vom Einkommen, ga- Wenn es um Inkontinenzwindeln geht, hat dies zur Folge rantiert wird. – das haben wir bereits des Öfteren erlebt –, dass die Pa- tientinnen und Patienten über Nacht einnässen, weil bei (Mechthild Rawert [SPD]: Aha! Also eine ihren Windeln ein paar Cent eingespart werden sollen. Zwangsversicherung für alle!) Das ist doch Unfug! Diese Einsparungen werden an an- Dazu brauchen wir Ärzte, die sich wieder weniger mit derer Stelle Mehrkosten auslösen, zum Beispiel bei der der Vergütung und mehr mit dem Patienten beschäftigen dadurch notwendig gewordenen Behandlung von Haut- können. krankheiten. Die dadurch entstehenden Kosten betragen in vielen Fällen ein Vielfaches der Einsparungen. Das ist (Beifall bei der LINKEN) nicht logisch und nicht schlüssig. Wir brauchen öffentliche Krankenhäuser, die wohnort- (Beifall bei der LINKEN) nah qualifizierte Versorgung gewährleisten. Wir brau- chen Apotheken, die nicht nur Arzneimittel verteilen, Fakt ist: Wer es sich leisten kann, kauft sich privat bes- sondern auch gut beraten. sere Windeln. Wer sich das nicht leisten kann, schläft im Nassen. Das ist die Zweiklassenmedizin in Deutschland. Dazu brauchen wir Krankenkassen, die ausreichend Geld zur Finanzierung dieser Aufgaben erhalten. Das ist (Mechthild Rawert [SPD]: Das stimmt doch durch den Gesundheitsfonds nicht dauerhaft gesichert. gar nicht!) Der Gesundheitsfonds ist unterfinanziert, mit der Folge, Die Linke sagt: Jeder hat das gleiche Recht auf die er- dass die Krankenversicherten schon bald flächende- forderliche gesundheitliche Versorgung. Union, SPD ckend Zusatzbeiträge von bis zu 1 Prozent ihres Ein- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24025

Frank Spieth (A) kommens zahlen müssen. Ich rechne damit – ich sage zent vom Arbeitgeber hinzu? Dann ist das ein (C) das ganz offen –, dass selbst die Deckelung von 1 Pro- Beitrag von 20 Prozent!) zent des Einkommens nach der Bundestagswahl fällt. (Elke Ferner [SPD]: Nicht, wenn wir in der Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Regierung bleiben, Herr Spieth!) Das Wort hat jetzt der Kollege Hermann-Josef Scharf von der CDU/CSU-Fraktion. Die Krankenkassen werden gezwungen sein, ihr Leis- tungsangebot immer stärker einzuschränken. Das ist mit (Beifall bei der CDU/CSU) Sicherheit nicht zum Vorteil der Versicherten. Auch die Pflegeabsicherung ist chronisch unterfinan- Hermann-Josef Scharf (CDU/CSU): ziert. Die Pflegeversicherung ist eine Teilkaskoversiche- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und rung. Deshalb können sich arme Menschen keine ausrei- Herren! Wir beschäftigen uns heute mit einem Antrag chende Pflegeassistenz leisten. Die Linke findet es gut, der Fraktion Die Linke, mit dem die Bundesregierung dass jetzt eine Kommission empfohlen hat, die Leistun- aufgefordert wird, die Gesundheits- und Pflegeversiche- gen der Pflegeversicherung zukünftig danach zu bemes- rung zu verstaatlichen und zentralistisch, durch den Ge- sen, wie stark die Selbstständigkeit eingeschränkt ist. setzgeber, zu führen. Die Linke will jeglichen Wettbe- Die jetzige Regelung, in der auf die Minute genau fest- werb unter den Leistungserbringern unterbinden. Sie gelegt ist, wie viel Zeit zum Beispiel für Waschen und stellt eine Forderung nach der anderen auf. Einen Hin- Kämmen aufgewendet werden darf, ist nicht akzeptabel. weis, wie all das finanziert werden soll, findet man je- Es geht um die Pflege von Menschen, nicht um Maschi- doch nicht, Herr Spieth. nen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Beifall bei der LINKEN) Frank Spieth [DIE LINKE]: Doch, mit der Bürgerversicherung! Zu Ende lesen!) Es geht um Zuwendung, und es geht darum, dass pflege- bedürftige Menschen weiter am Leben teilnehmen kön- Ein verstaatlichtes, zentralistisches Gesundheitssys- nen. tem nach dem Motto „Gesundheitsversorgung für alle zum Nulltarif“ hatten wir schon einmal in einem Teil un- Die anderen Fraktionen werden uns jetzt vorwerfen, seres Vaterlandes. dass wir mit unserem Antrag einen Wünsch-dir-was-Ka- talog erstellt hätten, (Frank Spieth [DIE LINKE]: Ja! In West- deutschland!) (B) (Elke Ferner [SPD]: Genau! – Birgitt Bender (D) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) 40 Jahre lang gab es Vollversorgung, allerdings – von den SED-Spitzen abgesehen – auf niedrigem Niveau. der nicht bezahlbar ist. Dieser Vorwurf ist mit Sicherheit Glück hatte der, der nicht auf Gesundheitsversorgung falsch. Würde unser Vorschlag, eine Bürgerinnen-und- angewiesen war. Unterhalten Sie sich einmal mit den Bürger-Versicherung einzuführen, umgesetzt, könnten Menschen, die auf eine notwendige Operation wie den wir die Leistungen mit einem Beitragssatz von Einbau einer künstlichen Hüfte Jahre warten mussten! 10 Prozent gewährleisten, und das bei Abschaffung aller Zuzahlungen. (Frank Spieth [DIE LINKE]: Die gab es doch zu DDR-Zeiten noch gar nicht!) (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/ Oder bedenken Sie, was für eine erbärmliche Situation DIE GRÜNEN – Mechthild Rawert [SPD]: in den wenigen Pflegeheimen herrschte! Die Menschen Ein bisschen mehr Mathematik täte gut! Die konnten froh sein, einen der wenigen Plätze ergattert zu Berechnung müssen Sie uns vorlegen! Erst haben. Meist ging das nur, wenn man die nötigen Bezie- heißt es: „Unterfinanziert“, und dann kommen hungen hatte. Sie mit 10 Prozent an!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Das Gesundheitssystem wird durch die derzeit zu be- neten der SPD und der FDP) obachtende Kommerzialisierung immer mehr auf dieje- Selbst dann war der Stellenschlüssel sehr schlecht. Unter nigen ausgerichtet, die mit der Krankheit der Versicher- erbärmlichen Verhältnissen wurden die Menschen ge- ten Profit machen wollen. Das ist eine absolute pflegt. Oft fehlte es an einfachsten Heil- und Hilfsmit- Fehlentwicklung. Mit unserem Antrag wollen wir das teln. Gesundheitssystem vom Kopf wieder auf die Füße stel- len: Der Patient gehört in den Mittelpunkt des Gesche- (Widerspruch bei der LINKEN) hens – damit jeder, unabhängig von seinem Einkommen, Die Ärzte, Schwestern und Pfleger mussten mit viel Hin- die bestmögliche Versorgung erhalten kann. Darum gilt gabe und Fantasie versuchen, den kranken Menschen es zu streiten. Ich bin gespannt auf die weiteren Beratun- wenigstens das Nötigste zu ermöglichen. gen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der LINKEN – Mechthild Rawert neten der SPD) [SPD]: 10 Prozent, ist das nur der Beitrag der Arbeitnehmer, und es kommen noch 10 Pro- So etwas darf es nie mehr geben. 24026 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Hermann-Josef Scharf (A) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Vielfaches höheren Beitragssatz. Das sparen Sie aber lei- (C) Zuruf von der LINKEN: Stimmt!) der aus und lassen die Menschen im Dunkeln. Eine bes- sere Pflege erreichen Sie damit nicht. Wir, die Koalitionsfraktionen, haben in dieser Legis- laturperiode die Weichen für ein zukunftsfähiges, trans- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) parentes und solidarisches Gesundheitssystem gestellt, das es allen Menschen ermöglicht, an Fortschritt und In- Wer sich mit der sozialen Demontage des rot-roten Sena- novation im Gesundheitsbereich teilzuhaben. Und das ist tes in Berlin befasst, erlebt den Kontrast zwischen lin- gut so. kem Reden und linkem Handeln. (Elke Ferner [SPD]: Wir haben Ihre Kopfpau- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- schale verhindert!) neten der FDP – Mechthild Rawert [SPD]: So ein Quatsch! – Frank Spieth [DIE LINKE]: Die Pflegereform war dabei eine unserer wichtigsten Seit wann sind die Länder für die Pflegeversi- sozialpolitischen Gesetzgebungen. Mit der Pflegere- cherung zuständig?) form 2008 haben wir es geschafft, für rund 2,1 Millionen pflegebedürftige Menschen bessere Leistungen sicherzu- In dieser Legislaturperiode haben wir auch die Hos- stellen und ein tragfähiges Konzept zur Fortentwicklung pizarbeit und die Palliativmedizin gestärkt. Schwerst- der Pflege zu schaffen. Das war seit Jahren überfällig. kranke haben nun einen Anspruch auf eine spezialisierte Wir als Union haben es mit unserem Koalitionspartner ambulante Palliativversorgung, die es ihnen ermöglicht, auf den Weg gebracht. bis zum Tod zu Hause betreut zu werden. Ambulante Hospizdienste können jetzt ihre Dienste neben dem pri- Für uns als Union war dabei ausschlaggebend, dass vaten Bereich auch in Alten- und Pflegeheimen anbie- die zusätzlichen Mittel und Leistungsverbesserungen di- ten, wo sie, wie ich meine, dringend benötigt werden. rekt bei den Betroffenen ankommen, statt in bürokrati- schen Strukturen zu verschwinden. 2,5 Milliarden Euro Ich hoffe sehr, dass die aufgetretenen Probleme bei fließen nun zusätzlich in das System. Dadurch finanzie- der Umsetzung bald gelöst werden; denn viele Schwerst- ren wir erstmalig die Erhöhung des Pflegegeldes seit kranke warten auf diese Dienste. Ich appelliere dringend 1995. Auch wenn Sie das als wenig bezeichnen, die an die Selbstverwaltung der Kassen, hier etwas zu tun. Menschen sind uns dafür dankbar. Die Anforderungen an Gesundheits- und Pflegeleis- Mit der Pflegereform wurden erstmals rund 700 000 tungen werden auch in Zukunft steigen. Unsere Sozial- Demenzkranke in die Pflegeversicherung einbezogen. systeme müssen also auch in Zukunft weiterentwickelt werden, um Lösungen für die Deckung des steigenden (B) Dadurch erhalten diese Menschen erstmals dringend (D) notwendige Unterstützungsleistungen. Gleichsam be- Finanzierungsbedarfs zu finden. Nach der Reform ist vor deutsam ist aber auch, dass wir dadurch die Demenzer- der Reform. Die demografische Entwicklung stellt uns krankung endlich in den Mittelpunkt unserer gesell- hierbei vor große Herausforderungen. Bei allen Verände- schaftlichen Diskussion gerückt haben. Noch vor rungen müssen wir immer die Menschen mitnehmen. einigen Jahren waren Angehörige von Dementen völlig Nur so können wir das nötige Vertrauen schaffen, damit auf sich alleine gestellt und mussten mit der belastenden notwendige politische Veränderungen auch von unserer und schmerzhaften Situation alleine fertig werden. Gesellschaft mitgetragen werden. Große Versprechun- gen, die falsche Hoffnungen wecken, sind der falsche Wer einmal erfahren hat, was es heißt, wenn ein lieb Weg. Eine Staatsmedizin mit einer einheitlichen und ein- gewonnener Mensch sein Gedächtnis verliert und seine geschränkten Versorgung der Versicherten ohne Wahl- Angehörigen nicht mehr erkennt, der ist dankbar, durch möglichkeiten ist nicht das, was die Menschen in unse- eine mögliche Kurzzeit- oder Tagespflege auch einmal rem Land wollen. selbst eine Entlastung von der aufopferungsvollen Pflege zu erfahren. Für den Bereich Demenz geben wir durch Wir als Union schaffen Rahmenbedingungen, unter die Pflegereform etwa 1,5 Milliarden Euro mehr aus. denen die Versicherten und Leistungserbringer eigenver- antwortlich gestalten und entscheiden können. Wir treten Danken möchte ich namens der CDU/CSU allen für eine solidarische Absicherung ein, die eine hochwer- Haupt- und Ehrenamtlichen, aber auch den Familienmit- tige medizinische Versorgung ermöglicht, aber auch gliedern für ihre hervorragende Arbeit. Sie sind oft die Eigenverantwortlichkeit bei kleinen Risiken und eine wahren Helden unserer Gesellschaft. Selbstbeteiligung erfordert. Wir wollen ein Gesundheits- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wesen, das transparent ist, eine Kostenkontrolle und we- neten der FDP – Mechthild Rawert [SPD]: niger Bürokratie erlaubt sowie Wahlfreiheiten für die Deswegen wollen wir sie auch noch weiter un- Versicherten offenhält. Durch die Gesundheitsreform ha- terstützen!) ben wir bereits zahlreiche positive Änderungen vorge- nommen. Einige Leistungen der gesetzlichen Kranken- Selbstverständlich wird es auch in Zukunft Weiterent- versicherung wie im Bereich der Rehabilitation, Kuren wicklungen in der Pflegeversicherung geben müssen. In und Impfungen sind in den Pflichtkatalog übernommen dem Antrag der Linken lesen wir lauter gut klingende worden. Versicherte können heute unter unterschiedli- Forderungen nach noch mehr Leistungen. Sie müssen chen Wahl- und Bonustarifen wählen. Aber auch die den Menschen ehrlicherweise aber auch sagen, wie Sie Einführung der Versicherungspflicht für alle ist ein das alles finanzieren wollen, nämlich durch einen um ein wichtiges Element eines modernen Sozialstaats. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24027

Hermann-Josef Scharf (A) Wir haben in dieser Wahlperiode viele wichtige Wei- Sie wenden sich nun ganz von unternehmerischem (C) chen für eine zukunftsfähige Weitergestaltung unserer Handeln ab. Sie sagen, in den letzten 30, 40 Jahren sei es Sozialsysteme gestellt. Diesen Weg werden wir im Sinne in der Gesundheitspolitik nur darum gegangen, die Kos- der Menschen engagiert weitergehen. Ein krankes ten zu dämpfen. Damit haben Sie recht. Aber Sie müssen VEB-Gesundheitswesen ist keine Alternative. sehen, dass das vorwiegend in einem staatlich adminis- trierten Bereich geschah. Sie beklagen des Weiteren, Herzlichen Dank. dass heute 30 Prozent der Krankenhäuser privat sind. (Beifall bei der CDU/CSU – Frank Spieth Warum ist das so? Sie sind privat, weil die Gemeinden [DIE LINKE]: Das sehe ich auch so! Da sind diese Krankenhäuser nicht mehr unterhalten konnten. wir uns einig!) (Beifall bei der FDP – Frank Spieth [DIE LINKE]: Weil die Länder nicht gezahlt ha- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: ben!) Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Konrad Schily von Die Gemeinden konnten keine weiteren Kredite für diese der FDP-Fraktion. Krankenhäuser aufnehmen. Schauen Sie sich doch diese (Beifall bei der FDP) Krankenhäuser an! Erheben Sie nicht den Generalvor- wurf, dass die Menschen dort schlecht behandelt wer- den! Oft werden die Menschen dort besser behandelt. Dr. Konrad Schily (FDP): Man macht nach der Privatisierung ab sofort bei jedem Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich Patienten einen Diener, wenn er hereinkommt, und man wollte ich der Versuchung nicht erliegen, nach der Lek- weiß sogar seinen Namen. türe des vorliegenden Antrags auf die Geschichte der DDR zu verweisen. (Heiterkeit und Beifall bei der FDP) (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Sie kennen sie Es ist doch nicht so, dass staatliche Verwaltung von ja nicht!) vornherein die bessere ist. Aber, lieber Herr Spieth, wenn Sie auf die höhere Le- (Elke Ferner [SPD]: Aber auch nicht die benserwartung in Wilmersdorf verweisen, muss ich Sie schlechteste!) daran erinnern, dass sich die Lebenserwartung der Bür- – Sie muss auch nicht von vornherein die schlechtere ger der ehemaligen DDR – ich meine die einfachen sein. Jedes Unternehmen, egal ob profitorientiert oder Menschen – nach ihrem Beitritt zum Westen um Jahre gemeinnützig, jedes Krankenhaus, jeder Arzt, jede Arzt- verbessert hat. (B) praxis hat eine unternehmerische Seite: Es muss mit je- (D) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie weils begrenzten wirtschaftlichen Ressourcen ein Opti- bei Abgeordneten der SPD – Frank Spieth mum erreicht werden. Wenn ein Unternehmen aber in [DIE LINKE]: Das Ganze ist aber aktuell! Das Hunderten, ja in Tausenden von Regeln erstickt wird, kann man der DDR nicht mehr anlasten!) dann kann es eben nicht mehr wirtschaften. Das war der Grund, warum viele öffentliche Krankenhäuser aufgeben Sie treten für eine solidarische Gesundheits- und Pfle- mussten: Sie erstickten in Regeln und Tarifverträgen. geabsicherung ein. Was verstehen Sie unter Solidarität? (Elke Ferner [SPD]: Wollen Sie jetzt auch die (Katrin Kunert [DIE LINKE]: Solidarität, das Tarifverträge abschaffen?) kennen Sie nicht!) – Ach, Frau Ferner, das ist wirklich billig. Sie schreiben am Ende der Seite 1 Ihres Antrags: (Beifall bei der FDP) Jeder Mensch hat das gleiche Recht auf medizini- sche Versorgung. Es geht nicht darum, Tarifverträge abzuschaffen, son- dern es geht darum, eine Solidarität zu beschreiben, in Daraus leiten Sie ab: der der Einzelne Verantwortung hat und in der der Ein- Deshalb ist das Gesundheitssystem von den Regeln zelne freiberuflich arbeiten kann. Das kann er eben in ei- des Marktes zu befreien und öffentlich zu regulie- nem verstaatlichten System nicht. Deswegen finde ich es ren. etwas merkwürdig, dass hier der inhabergeführten Apo- theke das Wort geredet wurde. Das passt nämlich über- Herr Scharf hat es gesagt: Sie wollen das Gesundheits- haupt nicht hinein. system verstaatlichen. (Frank Spieth [DIE LINKE]: Warum nicht?) Was macht denn der Staat, wenn er die Solidarität für Es ist nur eine Frage der Zeit, wann auch sie vergesell- die Bürger übernimmt? Er nimmt sie ihnen und gibt eben schaftet werden muss. nicht die Gewähr. Ein solidarisches System ist nur dann wirklich solidarisch – das heißt solide, fest –, wenn der (Mechthild Rawert [SPD]: Wollen Sie die Einzelne die Verantwortung für sich, in seiner Gemein- denn aufgeben?) schaft, in seinen Pflichten und natürlich auch in seinen Rechten und Ansprüchen behält. Sie beziehen sich – Herr Scharf ist schon darauf ein- gegangen – auf die Zweiklassenmedizin: Auf der einen (Beifall bei der FDP) Seite der normale Bürger, auf der anderen Seite die Rei- 24028 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Dr. Konrad Schily (A) sekader, die besser behandelt werden. Dann kommt die (Hellmut Königshaus [FDP]: Wer redet denn (C) Forderungskette. von „Profit erwirtschaften“?) ( [DIE LINKE]: Nur Reisekader? Mehr fällt Ihnen nicht ein!) Dr. Konrad Schily (FDP): – Sie kennen sich wahrscheinlich noch besser aus. Das Ein Krankenhaus, das wirtschaftlich keinen Mehrwert ist das Wort, das ich am besten kenne. schafft, ist nicht mehr investitionsfähig und fällt damit aus der Solidargemeinschaft schnell heraus. (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Dass Ihnen zur Zweiklassenmedizin nur Reisekader einfallen, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ist doch billig!) der CDU/CSU – [Münster] [FDP]: Defizite sind solidarisch, oder was?) Eine Zweiklassenmedizin können Sie nur dadurch über- winden, dass Sie das Gesundheitswesen von den Fes- In Ihrem Antrag wird ausgeführt, dass alles mit Steu- seln, die es jetzt bindet, befreit. ergeldern finanziert werden soll. Auch wenn eine Kran- kenkasse nach dem neuen GKV-Wettbewerbsstärkungs- (Beifall bei der FDP – Frank Spieth [DIE gesetz nicht gut wirtschaftet, soll sie mit Steuermitteln LINKE]: Das kann man glänzend in den USA am Leben erhalten werden. Das hat nach meiner Ansicht studieren!) mit Solidarität nichts zu tun. – Verweisen Sie doch nicht auf die USA! (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Frank Spieth [DIE LINKE]: Von allen Fesseln der CDU/CSU – Elke Ferner [SPD]: Das befreit! Maximale Profite! – Gegenruf des stimmt doch überhaupt nicht, Herr Schily! Das Abg. Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Keiner müssen Sie aber doch wissen!) will das amerikanische Gesundheitssystem ha- ben! Es ist doch Unsinn, Herr Spieth, was Sie Das heißt, die Kosten im Gesundheitswesen werden ein- erzählen!) zig und allein aus Steuermitteln gedeckt. Damit entste- hen keine Preise. – Solidarität müssen Sie einfach neu denken und neu ler- nen. Nun werden Sie gleich wieder sagen: Was ist so (Mechthild Rawert [SPD]: Was ist denn jetzt furchtbar daran, im Gesundheitswesen nicht die Preise eine Fessel? Was ist eine Regel?) zu kennen? Der Preis gibt doch nur an, wie viel etwas kostet. Der Preis ist nur das Instrument. Indem Sie den (B) – Sie fragen: Was ist eine Fessel? Wenn Sie nicht tun Preis verweigern – das zeigt die gesamte Systematik Ih- (D) dürfen, was Sie tun müssten, wenn Sie aber etwas tun res Antrags –, können Sie gar nicht mehr sagen, wohin müssen, was unsinnig ist, beispielsweise als Arzt, dann welcher Zuschuss in welchem Maße gegeben werden ist das eine Fessel. Es gibt unheimlich viele Dinge, bei muss. denen man nach dem gesunden Menschenverstand und nach ärztlichem Verstand sagen würde: Das ist richtig. (Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Völlig intrans- Aber es ist verboten. parent!) (Zuruf von der SPD: Werden Sie mal konkret!) Sie wissen gar nicht mehr, was los ist. Das geht unter im allgemeinen, undurchsichtigen Gemenge. Denken Sie doch an die Positivliste. Denken Sie an die Dinge, bei denen der Staat sagt: Wir sind der richtige Be- (Beifall bei der FDP) handler. Wir wissen, wie es geht. – Es ist der Freiberufler vor Ort, der am besten weiß, wie es geht, aus jeder Situa- Dann schaffen Sie mit Sicherheit eine neue Behörde, die tion nicht nur therapeutisch das Optimum zu machen, Aufklärung schaffen soll, wohin das viele Geld gegan- sondern auch das wirtschaftliche Optimum zu erreichen. gen ist. Sie bewegen sich in einer Abwärtsspirale. Das, was wir als FDP bedauern, ist, dass wir diese Abwärts- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: spirale in den letzten Jahren gehabt haben. Deswegen Herr Kollege Schily, erlauben Sie eine Zwischenfrage glauben wir, dass wir das Sozialgesetzbuch V neu des Kollegen Ilja Seifert? schreiben müssen und zu einem neuen solidarischen An- satz kommen müssen, der aber die Freiheit und die Ei- genverantwortung des Einzelnen nicht beschneidet. Das Dr. Konrad Schily (FDP): Solidarische, das Soziale ist nicht unter Umgehung der Er ist ja ein Geburtstagskind. Freiheit zu erreichen.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Beifall bei der FDP – Mechthild Rawert Herr Seifert, bitte. [SPD]: Soll das noch vor der Bundestagswahl geschehen?) Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Herr Kollege Schily, können Sie mir bitte erklären, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: was es mit Solidarität zu tun haben soll, wenn Kranken- Das Wort hat jetzt die Kollegin Elke Ferner von der häuser Profit erwirtschaften müssen? SPD-Fraktion. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24029

(A) Elke Ferner (SPD): dann rüttelt das schon an den Grundfesten unserer De- (C) Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! mokratie. Herr Kollege Spieth hat schon am Ende seiner Rede (Heinz Lanfermann [FDP]: Sie haben wirklich ganz richtig gesagt, dass wir jetzt fragen werden, wie nicht zugehört!) man die Wünsche, die die Linke in ihrem Antrag formu- liert hat, finanziert. Erstaunlich ist, dass Sie für jeden Wir feiern in diesem Monat den 60. Jahrestag des etwas im Gepäck haben, selbst für die Apotheker. Sie Grundgesetzes. Im Grundgesetz herrscht ein ganz ande- wollen ein neues Ärztehonorarsystem, ohne näher zu er- res Verständnis von Solidarität als das, was Sie hier zum läutern, wie das konkret aussehen soll. Sie entlassen so- Besten geben. gar die Länder aus ihrer Verpflichtung, was die Bereit- Die Sozialversicherungssysteme, die wir in Deutsch- stellung von ausreichenden Investitionsmitteln für die land haben, sind staatlich organisierte Solidarität. Der Krankenhäuser anbelangt; denn Sie sehen plötzlich den Unterschied zwischen Ihnen und uns ist, dass wir der Bund mit in der Pflicht. Ich glaube, so einfach kann man Auffassung sind, dass jeder nach seiner Leistungsfähig- sich das nicht machen. Sie verfahren nach dem Motto: keit dafür sorgen soll, dass die Menschen, die in Not ge- „Im Himmel ist Jahrmarkt, Freibier für alle.“ Das kön- raten, die krank werden und die pflegebedürftig sind, die nen Sie machen, weil Sie nie in die Lage kommen wer- Versorgung erhalten, die sie brauchen. Was Sie meinen, den, das in konkrete Politik im Deutschen Bundestag ist der Wohlfahrtsstaat. Das heißt, es hängt vom Gutdün- umsetzen zu müssen. ken derer, die vielleicht etwas bezahlen können, ab, ob (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf sie bereit sind, anderen, die in Not sind, zu helfen. Das des Abg. Daniel Bahr [Münster] [FDP]) ist der Unterschied. Ich glaube nicht, dass Sie mit Ihrer Haltung viel Anklang in der Bevölkerung finden. – Ich habe hier vom Deutschen Bundestag gesprochen, Herr Kollege Bahr. Sie müssen genau zuhören. (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

(Heinz Lanfermann [FDP]: Über das Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: reden Sie nicht!) Frau Kollegin Ferner, erlauben Sie eine Zwischen- Außerdem wird über die gesetzliche Krankenversiche- frage des Kollegen Schily? rung nicht in einem , auch nicht in dem Landtag des schönsten Bundeslandes, das wir haben, entschie- Elke Ferner (SPD): den; Gerne, wenn Sie die Uhr anhalten. (Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Sieht auch (B) (D) Herr Wowereit das so?) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön. die Gesundheitspolitik findet immer noch hier im Deut- schen Bundestag statt. Dr. Konrad Schily (FDP): (Frank Spieth [DIE LINKE]: Die Erde ist eine Frau Kollegin, wo leiten Sie aus meinen Ausführun- Scheibe!) gen, aus meiner Definition der Solidarität, ab, dass die FDP den Einzelnen alleine lassen will? Sie erwecken in Ihrem Antrag den Eindruck – deshalb ist der Ansatz auch nicht richtig –, gut sei gleich teuer. Ich finde allerdings, dass wir es den Beitragszahlerinnen Elke Ferner (SPD): und Beitragszahlern schuldig sind, dass wir darauf ach- Das zeigt sich in Ihrem eigenen Antrag, den wir vor ten, dass die Mittel, die sie jeden Monat an die gesetzli- wenigen Wochen hier im Deutschen Bundestag disku- che Krankenversicherung abführen, zielgerichtet ver- tiert und auf den Sie eben selber verwiesen haben. Sie wendet werden, und dass die Menschen, die wirklich haben gesagt, Sie wollen das SGB V, also das Gesetz, in eine teure und intensive Behandlung brauchen, diese Be- dem die gesetzliche Krankenversicherung und auch de- handlung bekommen können. Deshalb halte ich es für ren Finanzierung geregelt ist, komplett umschreiben. gerechtfertigt, dass diejenigen, die eine – in Anführungs- Das geht nicht nur aus Ihrem Antrag hervor, sondern das zeichen – Allerweltskrankheit haben, in der Auswahl der war auch in Ihren Pressemitteilungen und in denen von Arzneimittel etwas eingeschränkter sind. Das ist besser, Herrn Bahr zu lesen. Sie möchten die gesetzliche Kran- als die ganze Bandbreite vom teuersten bis zum billigs- kenversicherung abschaffen. ten Arzneimittel zur Verfügung zu stellen. (Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Zeigen Sie mir (Mechthild Rawert [SPD]: Mit den gleichen das mal! Das würde ich gern mal sehen!) Wirkstoffen!) – Ich suche es Ihnen heraus und schicke es Ihnen; dann Was wir eben von der FDP gehört haben, war eine be- können Sie sich das am Wochenende gerne noch einmal sondere Definition von Solidarität. Auch das war einmal durchlesen. anders. Wenn Solidarität so verstanden wird, dass jeder (Heinz Lanfermann [FDP]: Sie sollen es nicht für sich selber sorgt und damit für alle gesorgt ist, verschicken, Sie müssen es lesen!) (Dr. Konrad Schily [FDP]: Es wäre schön, Sie möchten, dass jeder sich privat versichert. Wer aber wenn man zuhören könnte!) weiß, wie private Krankenversicherung funktioniert, 24030 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Elke Ferner (A) Herr Kollege Schily, der weiß auch, dass diese Kranken- Wenn gesetzlich Versicherte in Arztpraxen entweder (C) versicherung Risikoprüfungen durchführt und Menschen keinen Termin bekommen oder ihn nicht so schnell be- mit bestimmten Krankheiten überhaupt nicht versichert kommen, wie sie ihn brauchen, dann ist es auch Aufgabe oder nur zu so teuren Prämien, die sich wirklich nur der gesetzlichen Krankenversicherung, ihren Versicher- noch Millionäre leisten können. Es ist auch bekannt, ten zu einem zeitnahen Termin zu verhelfen. Wer geht dass es nichts Besseres gibt, als dass Menschen für Men- schon aus Jux und Tollerei zum Arzt? schen einstehen. Private Versicherungen arbeiten erst einmal profitorientiert. Sie wollten lange Zeit nicht (Beifall bei der SPD) Kranke, sondern nur Gesunde versichern. Wir haben mit Ein weiteres wichtiges Thema ist die Gesundheitsprä- der letzten Gesundheitsreform deshalb die Pflicht zur vention. Leider haben wir uns mit der Union nicht auf Versicherung eingeführt. ein vernünftiges Präventionsgesetz verständigen können. (Beifall bei der SPD) Wir müssen die Menschen in ihren Lebenswelten abho- len – am Arbeitsplatz, in den Kindertagesstätten, in den Insofern gibt es genügend Indizien für eine solche Schulen, im Stadt- oder Wohnquartier. Sie haben das Schlussfolgerung. entsprechende Gesetz leider blockiert und sind dafür (Heinz Lanfermann [FDP]: Alles falsch ver- verantwortlich, dass wir vier Jahre verloren haben, in de- standen, Frau Kollegin!) nen weiter nebeneinander her gewurschtelt wird und in denen wir eben nicht zu einer vernünftigen Gesundheits- Ich möchte den Rest meiner Redezeit dazu nutzen, prävention kommen. noch einmal deutlich zu machen, was wir wollen. Für uns ist Gesundheitspolitik wirklich eine zentrale Auf- (Hermann-Josef Scharf [CDU/CSU]: Sie wa- gabe staatlicher Daseinsvorsorge, die privat nicht funk- ren nicht zu Kompromissen bereit!) tioniert. Der Staat muss sich zu eigen machen, für eine Auch dadurch werden die sozialen Ungleichheiten in un- gleich gute und qualitativ hochwertige medizinische serer Gesellschaft verstärkt. Versorgung aller Menschen zu sorgen; denn der Markt wird es nicht richten. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Ich will zum Schluss sagen, dass die Wähler und Wie diese Versorgung organisiert wird, ist die zweite Wählerinnen sich darauf verlassen können, dass es mit Frage. Da haben wir wahrscheinlich auch unterschiedli- uns keine Zerschlagung der gesetzlichen Krankenversi- che Vorstellungen. cherung geben wird, wie es die FDP fordert. Wir werden auch nicht die Hand reichen zu einer Reduzierung des (B) Wir wollen eine solidarische und gerechte Finanzie- Leistungskataloges, wie es die Union noch bei der Ge- (D) rung. Bereits im letzten Bundestagswahlkampf sind wir sundheitsreform gefordert hat. Mit uns wird es keine un- für eine Bürgerversicherung eingetreten, in die alle Men- gerechten Kopfprämien geben. Wer auch in Zukunft eine schen einbezogen werden, in die jeder entsprechend sei- gute, gerecht finanzierte gesundheitliche Versorgung ha- nem jeweiligen Einkommen und seiner individuellen Fä- ben will, der hat am 27. September die Chance, eine gute higkeit einbezahlt, damit alle Menschen die medizinische Wahl zu treffen, nämlich SPD zu wählen. und pflegerische Versorgung bekommen, die sie brau- chen. (Beifall bei der SPD – Abg. Heinz Lanfermann [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage) (Heinz Lanfermann [FDP]: Sie wollen auch Beiträge auf Mieten und Zinsen!) – Ich hätte gern Ihre Zwischenfrage beantwortet; aber meine Redezeit ist leider zu Ende. Wir wollen auch einen gerechten Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Risiken in den bisherigen Syste- men, zwischen gesetzlicher und privater Krankenversi- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: cherung, zwischen sozialer Pflegeversicherung und pri- Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgitt Bender, vater Pflegeversicherung. Nur damit erreichen wir eine Bündnis 90/Die Grünen. wirklich dauerhaft tragfähige Finanzierungsgrundlage, weil die sozialversicherungspflichtigen Einkommen Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nicht in dem Maße wachsen, wie die Ausgaben im Ge- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde sundheitsbereich steigen. nicht von der DDR reden. Beim Lesen des Antrags der (Heinz Lanfermann [FDP]: Deswegen wollen Linken habe ich mich aber sehr wohl an etwas erinnert Sie ja auch die breitere Bemessungsgrundlage! gefühlt, und zwar an die CSU: an den freundlichen Die- Erklären Sie es doch einmal richtig!) ner gegenüber den niedergelassenen Ärztinnen und Ärz- ten, an das Bekenntnis zur inhabergeführten Apotheke, Wir wollen den heutigen Sonderbeitrag von 0,9 Bei- an die Rhetorik gegen profitorientierte Gesundheitskon- tragssatzpunkten wieder paritätisch finanzieren, zerne. Das alles habe ich schon einmal gelesen. Das alles (Heinz Lanfermann [FDP]: Erklären Sie doch mal sind Bausteine der jüngsten gesundheitspolitischen Be- die Beiträge für die Bürgerversicherung!) schlüsse aus Bayern. und wir wollen natürlich auch einen gleichen Zugang zur (Frank Spieth [DIE LINKE]: Jetzt bin ich aber medizinischen Versorgung für alle Menschen. platt!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24031

Birgitt Bender (A) Ich halte diese Parallelen nicht für Zufall. Beide Par- der Krankenhausfinanzierung angeblich ein Problem. (C) teien wollen als Regionalparteien ihre Klientel auch un- Wenn privates Kapital in diesen Bereich aber gar nicht ter den kleinen Gewerbetreibenden im Gesundheitswe- mehr fließen darf, weil es keine privaten Krankenhäuser sen bedienen. Auch in dieser Hinsicht versucht sich die mehr gibt, dann müssen Sie auch all das zusätzlich durch Linke als CSU des Ostens. Steuern finanzieren. Ich möchte langsam einmal wissen, woher Sie all das nehmen wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der LINKEN) Ich bin mir sicher: Wenn die Geschäftszentrale eines Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: führenden Privatversicherers nicht in München, sondern Frau Kollegin Bender, erlauben Sie eine Zwischen- in wäre, dann hätte das, lieber Herr Spieth, Aus- frage des Kollegen Spieth? wirkungen auf die Ausgestaltung Ihres Bürgerversiche- rungskonzeptes. Darauf könnte ich wetten. Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ Nein. Ich möchte noch ein paar Argumente unterbrin- DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Ab- gen. geordneten der CDU/CSU und der FDP – Frank Spieth [DIE LINKE]: Mit Sicherheit!]) Ähnlich unausgegoren sind die Ausführungen zu den medizinischen Versorgungszentren. Auf Seite 3 des An- Allerdings belässt es die Linke nicht beim Klientelis- trages lesen wir: mus. In diesem Antrag kommen 50 Positionen vor, mit denen die Kranken- und Pflegeversicherung verbessert Viele der sogenannten „Medizinischen Versor- werden soll. Viele dieser Positionen kann man guten Ge- gungszentren“ sind reine „Profit-Center“, mit denen wissens teilen. Wer hat schon etwas gegen ein demokra- Klinik-Konzerne in den ambulanten Bereich drän- tisches und am Bedarf der Bevölkerung ausgerichtetes gen. Gesundheitssystem? Wer will seine Stimme dagegen er- Blättert man eine Seite weiter, heißt es: heben, dass Gesundheits- und Pflegeberufe attraktiver werden? Auch die Forderung, den Gesundheitsfonds fi- Diese nanziell so auszustatten, dass die Krankenkassen keine – Krankenhäuser – Zusatzbeiträge nehmen müssen, wird zwar nicht den Beifall der Koalition finden, ist aber richtig, jedenfalls so sollen mit eigenen poliklinischen Strukturen an der lange, wie der Gesundheitsfonds nicht abgeschafft ist. ambulanten Versorgung teilnehmen. (B) (D) Trotzdem ist dieser Antrag völlig belanglos, weil kon- Ja, was denn nun, Herr Spieth? Sollen sich Krankenhäu- turlos wie ein Pudding. In der Gesundheitspolitik gibt es ser an der ambulanten Patientenversorgung beteiligen Zielkonflikte, gibt es Interessengegensätze, und daher dürfen oder nicht? stellen sich immer wieder Fragen der Finanzierbarkeit. In Ihrem Antrag kommt das alles nicht vor. Es ist doch so: Vor allem für viele kleinere Kranken- häuser ist die Überlebensfähigkeit nur gegeben, wenn sie Ein Beispiel: die Krankenhausversorgung. Wie schon sich tatsächlich via MVZ in den ambulanten Bereich erwähnt wurde, fordern Sie, die Privatisierung von Kran- ausdehnen können. Viele niedergelassene Fachärzte kenhäusern zu unterbinden und bereits privatisierte empfinden genau dies aber als eine Bedrohung. Was Krankenhäuser wieder in die öffentliche Trägerschaft zu schließen Sie daraus? Sie sind für beides. Da kann ich führen. Da kann ich nur sagen: Ich wünsche gute Ver- nur sagen: Gleichzeitig den Gewerkschaften immer richtung. wohl- und den niedergelassenen Ärzten niemals wehge- (Frank Spieth [DIE LINKE]: Das wollen die tan, damit ist in der Gesundheitspolitik niemandem recht Grünen in Hessen auch!) getan. – Das wird nicht funktionieren. Sie können nicht ständig zwei Hüte aufhaben. Schauen Sie sich einmal Folgendes an: Bundesweit sind 30 Prozent der Krankenhäuser in privater Trägerschaft; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Teilen Ostdeutschlands liegt dieser Anteil wesentlich und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der höher. Würden Ihre Beschlüsse umgesetzt, müssten CDU/CSU) Kommunen, die sich von ihren Krankenhäusern oft ge- Auch nicht zu Ende gedacht ist bei Ihnen die Pharma- rade erst getrennt haben, weil sie sie nicht mehr finanzie- preispolitik. Sie beschweren sich darüber, dass die Phar- ren konnten, maindustrie Profite auf Kosten der Versicherten mache. (Zuruf von der LINKEN: Warum wohl?) Was schließen Sie daraus? Sie wollen die Mehrwert- steuer auf Arzneimittel auf 7 Prozent reduzieren. versuchen, diese Krankenhäuser wieder selber zu finan- zieren. Das Ergebnis wäre, dass es in weiten Teilen des (Frank Spieth [DIE LINKE]: Und die Positiv- Ostens keine Krankenhäuser mehr gäbe. Dort bräche die liste!) Versorgung zusammen. Da die Pharmaindustrie aber nun einmal in keiner Weise Hinzu kommt – ich verweise auf Ihren entsprechen- gezwungen ist, dann mit den Preisen entsprechend he- den Antrag –: Auch für Sie ist der Investitionsstau bei runterzugehen, heißt das im schlechtesten Fall, 24032 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Birgitt Bender (A) (Frank Spieth [DIE LINKE]: Haben Sie auch Spieth, ich frage Sie: Stellen Sie das für Deutschland (C) gelesen, dass wir die Positivliste fordern?) ernsthaft infrage? dass die Versicherten doppelt zahlen, erstens die hohen (Frank Spieth [DIE LINKE]: Das haben wir Beiträge und zweitens für den Verlust von Steuermitteln gestern im Ausschuss beraten! Ja!) in Höhe von 6 Milliarden Euro, die sie mit ihren Steuern ausgleichen müssen. Da kann ich nur sagen: Herzlichen Weil vielleicht auch viele Fernsehzuschauer diese De- Glückwunsch! batte verfolgen, will ich noch einmal ausdrücklich beto- nen, dass wir in Deutschland im Gegensatz zur früheren (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN DDR ein gut funktionierendes Gesundheitssystem ha- und bei der SPD) ben. Es gibt eine flächendeckende Versorgung auf ho- hem Niveau. Bei allen Diskussionen mit den Leistungs- So, wie die Linke glaubt, nämlich einfach mit einem erbringern erfahren wir: Es sind motivierte Menschen, Wunschzettel, funktioniert die Reform des Gesundheits- die in diesem System arbeiten. – Wir haben ein hohes wesens jedenfalls nicht. Maß an Finanzierungsgerechtigkeit in diesem System er- Damit es hier nicht zu gemütlich wird, will ich nicht reicht. – Das sind nicht meine Feststellungen; das sind versäumen, zu sagen, dass die Koalition an den zentralen die Feststellungen der OECD sowie der Europäischen Reformaufgaben im Gesundheitswesen gründlich ge- Union. scheitert ist. Ich will nicht leugnen, dass wir ständig vor neuen He- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rausforderungen stehen, Herr Spieth, aber die Herausfor- sowie der Abg. Elke Ferner [SPD]) derungen heißen nicht „Kommerzialisierung“ oder „Pri- vatisierung“, sondern „demografische Entwicklung“ und Die Prävention führt weiterhin ein Schattendasein. Bei „medizinischer Fortschritt“. Das sind Begriffe, die in Ih- der Reform der Krankenhausfinanzierung sind Sie über rem Antrag keinen Platz gefunden haben. Ansätze nicht hinausgekommen. Die Finanzreform in der gesetzlichen Krankenversicherung wurde schlicht Wir fragen uns als Große Koalition täglich neu: Wie vertagt. Alles, was Sie auf die Reihe bekommen haben, werden wir diesen Herausforderungen gerecht? Wie er- ist, mit dem Gesundheitsfonds eine Geldsammelstelle zu reichen wir, dass die Versicherten am medizinischen schaffen, die viele Probleme nicht löst, aber dafür viele Fortschritt teilhaben? Wie hat die Gesundheitspolitik auf schafft. die demografische Entwicklung zu reagieren? Gerade im GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz haben wir noch ein- Wenn sich bei der Bundestagswahl nichts ändert, be- mal deutlich zum Ausdruck gebracht, dass dies die do- deutet das, dass spätestens danach den Bürgern und Bür- (B) minierenden Themen sind. Ich nenne nur: Schutzimp- (D) gerinnen in Form flächendeckend erhobener Zusatzbei- fung als Pflichtleistung, Ausweitung der Rehabilitation träge die Rechnung präsentiert wird. Deswegen brauchen und der Palliativversorgung, Erweiterung des Begriffs wir bei dieser Wahl, gerade auch wegen der Gesundheits- der häuslichen Pflege. Dies alles sind medizinische Leis- politik, Alternativen. Aber mit voluminösen Wunschzet- tungen, die gerade die Lage der älteren Menschen ver- teln und Liebedienerei gegenüber den verschiedenen bessern und eine unmittelbare Antwort auf die demogra- Klientelgruppen – das sage ich an die Adresse der Links- fische Entwicklung geben. partei – arbeitet man nicht an einer solchen Alternative. Da empfehle ich die grüne Bürgerversicherung. Wir haben in der Tat Probleme, was die langfristige Finanzierung angeht, und stellen uns immer wieder neu Danke schön. die Frage, wie wir Finanzierungsgerechtigkeit schaffen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Es ist richtig, wenn Sie feststellen, dass wir unser Ge- [CDU/CSU]: Bis auf das Ende war sundheitssystem in Zukunft nicht mehr ausschließlich es gut!) über den Faktor Arbeit finanzieren können. Die hohen Sozialversicherungsbeiträge sind eine zunehmende Be- lastung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: auch für die Arbeitgeber. Dies erleben wir gerade jetzt in Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Hennrich für dieser schwierigen wirtschaftlichen Zeit. Deswegen ha- die CDU/CSU-Fraktion. ben wir im Rahmen des Konjunkturpakets II die Kran- (Beifall bei der CDU/CSU) kenversicherungsbeiträge gleichermaßen zugunsten von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gesenkt. Ich hielte es für ein fatales Zeichen, in dieser Situation Arbeitgeber Michael Hennrich (CDU/CSU): und Arbeitnehmer gegeneinander auszuspielen. Es geht Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! hier schlicht und ergreifend um den Erhalt der Arbeits- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten plätze. heute den Antrag der Linken zum Thema der solidari- schen Gesundheits- und Pflegeversicherung. Sie von den Bei der Frage der Finanzierung achten wir auch da- Linken haben Leitsätze und Zielsetzungen formuliert, rauf, dass sie sich an den Bedürfnissen derjenigen aus- ohne konkret dazu Stellung zu beziehen, ob diese in richtet, die auf medizinische Leistungen angewiesen Deutschland erfüllt werden. Sie haben auf den UN-So- sind. Deswegen haben wir mit dem Gesundheitsfonds zialpakt von 1966 verwiesen, in welchem das Recht auf eine einheitliche Pauschale geschaffen, die mit morbidi- medizinische Versorgung festgeschrieben ist. Herr tätsabhängigen Zuschlägen operiert. Wir haben den Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24033

Michael Hennrich (A) Wettbewerb der Krankenkassen um junge und gesunde cherstellen? Oder wollen Sie die Abschaffung der soge- (C) Versicherte abgeschafft. Für uns stehen diejenigen im nannten doppelten Facharztstruktur? Dann müssen Sie Mittelpunkt, die auf medizinische Hilfe und Gesund- das auch deutlich zum Ausdruck bringen. Für uns in der heitsleistungen angewiesen sind. Union gilt immer noch: ambulant vor stationär. Meine Damen und Herren, unser Ziel ist die Sicher- (Beifall bei der CDU/CSU) stellung der Teilhabe am medizinischen Fortschritt unab- Sie wollen Gesundheitskonferenzen, ein Präventions- hängig von der finanziellen Leistungsfähigkeit des gesetz, in allen Bereichen ein gesteuertes und durchorga- Einzelnen. Das heißt aber auch ganz konkret, wie es der nisiertes Gesundheitssystem und natürlich, Herr Spieth, Kollege Dr. Schily schon angedeutet hat, dass der Ein- die Bürgerversicherung. zelne für dieses System, für dessen Leistungsfähigkeit und dessen kosten- und preisbewusste Inanspruchnahme (Mechthild Rawert [SPD]: Ja, super!) Verantwortung trägt. Nur so können wir langfristig die- ses System finanzieren. Deswegen ist es ganz wichtig, Die Union ist gegen die Abschaffung der privaten Kran- dass wir darauf achten, von den Versicherten Eigenver- kenversicherung als Vollversicherung. antwortung zu verlangen, und dem Wirtschaftlich- (Elke Ferner [SPD]: Und für Kopfprämien! – keitsgebot gerecht werden. Gerade die Zuzahlungs- Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- regelungen sind meines Erachtens hier ein wirksames NEN]: Sie werden das auch noch einsehen – Steuerungsinstrument. müssen!) (Elke Ferner [SPD]: Die wolltet ihr ja noch Sie ist dagegen, dass deren Tätigkeit auf das Zusatzver- verschärfen!) sicherungsgeschäft beschränkt bleibt. Anders als in der Dies sehen wir beim Thema Praxisgebühr und bei den rein umlagefinanzierten GKV haben wir bei den privaten Zuzahlungen für die Arzneimittel. Warum soll der Ein- Krankenversicherungen eine mittel- und langfristige zelne nicht Verantwortung dafür tragen, dass er ein kos- Finanzierung sichergestellt. Es gibt Altersrückstellun- tengünstiges Medikament kauft, und warum sollen wir gen. nicht zum Beispiel diejenigen belohnen, die dann noch (Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Bankenkrise!) deutlich günstigere Medikamente verwenden? Hier ha- ben wir die Zuzahlungsverpflichtung abgeschafft. Es Wenn Sie heute die PKV-Versicherten in ein rein umla- gibt heute viele Medikamente, die von der Zuzahlung gefinanziertes System überführen, haben Sie sich viel- befreit sind. Das übt wieder Druck auf die Pharmaindus- leicht kurzfristig etwas Luft geschafft, aber langfristig trie aus. Dies alles ist nicht staatlich gelenkt, sondern ba- die Finanzierung infrage gestellt. Damit bürden Sie die (B) siert auf wettbewerblichen Grundsätzen. Probleme der demografischen Entwicklung komplett (D) künftigen Generationen auf. (Beifall bei der CDU/CSU) Sie wollen Kapital- und Mieteinkünfte in eine Bürger- Der Begriff Wettbewerb ist bei den Linken negativ versicherung einbeziehen. Sie müssen mir einmal erklä- besetzt. Ich habe ein positives Verständnis von Wettbe- ren, wie Sie das machen wollen. Ich bin Mitglied einer werb. Wettbewerb bedeutet für mich Innovation und Haus- und Grundstückseigentümerorganisation. Meine Entwicklung. Sie sehen Wettbewerb nur als Mittel zur Klientel sind Menschen, die älter als 65 Jahre sind. Sie Steigerung des Profits und zur Durchsetzung der Kom- haben in ihrem Leben Geld angespart und Immobilien merzialisierung. Wenn es um Wettbewerb geht, sprechen erworben, mit denen sie schlicht und ergreifend ihren wir über Preis- und Qualitätswettbewerb. In Ihrem An- Ruhestand finanzieren wollen. Denen wollen Sie jetzt trag ist dies – Frau Bender, Sie sind darauf schon einge- zusätzliche Leistungen aufbürden. Das ist ein klarer An- gangen – nirgends deutlicher als bei Ihren Ausführungen griff auf alle Rentnerinnen und Rentner. zu den medizinischen Versorgungszentren geworden. Sie sprechen hier von reinen Profitzentren und Wertschöp- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Elke fungsketten. Uns geht es bei den medizinischen Versor- Ferner [SPD]: Unsinn! – Frank Spieth [DIE gungszentren um eine medizinische Versorgung aus ei- LINKE]: Das ist jetzt schon Gesetz!) ner Hand, um eine zusätzliche Versorgungsform. Der – Herr Spieth, ich bin Ihnen dankbar für den Hinweis. Einzelne soll die Wahl haben, welche Form von Leistung Das ist gesetzlich geregelt in § 62 des SGB V. Fragen er in Anspruch nimmt. Niemand ist gezwungen, medizi- Sie einmal bei Ihren Krankenkassen nach, wie viele nische Versorgungszentren aufzusuchen. Wir haben freie Menschen zusätzliche Einnahmen haben! Es werden null Arztwahl. sein. Wie also wollen Sie das organisieren? (Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: So ist (Frank Spieth [DIE LINKE]: Mit jedem, der es! Im Unterschied zu damals!) eine Lebensversicherung auf Kapitalbasis ab- Zur freien Arztwahl finde ich in Ihrem Antrag keinerlei geschlossen hat!) Aussage. – Ich habe ja von den Mieten gesprochen. Sie fordern in Ihrem Antrag die Trennung von ambu- lanten und stationären Einrichtungen in der Gesund- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: heitsvorsorge. Wie wollen Sie dann flächendeckende Herr Kollege Hennrich, kommen Sie bitte zum ambulante und vor allem fachärztliche Versorgung si- Schluss. 24034 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

(A) Michael Hennrich (CDU/CSU): (Frank Spieth [DIE LINKE]: Zurückführen!) (C) Ich will abschließend sagen: Wir wollen kein staatlich Da müssen Sie sich fragen lassen, wie Sie so eine flä- organisiertes Gesundheitswesen, sondern eines, das auf chendeckende Krankenhausversorgung, insbesondere im Wettbewerb ausgerichtet ist. Wir setzen auf Eigenverant- Osten des Landes, gewährleisten wollen. wortung statt auf Bevormundung, und wir lehnen es ab, etablierte und bewährte Strukturen zu zerstören, wie Sie (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) es laut Ihrem Antrag mit der ambulanten fachärztlichen Da werden Sie weiße Flecken bekommen, Regionen, in Versorgung oder den privaten Krankenversicherungen denen die Versorgung nicht mehr sichergestellt werden vorhaben. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab. kann. Sie sollten solche Forderungen nicht in die Welt Herzlichen Dank. setzen oder sich den Folgen stellen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: der SPD) Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Frank Spieth. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Parlamentarische Staatssekretä- Frank Spieth (DIE LINKE): rin Marion Caspers-Merk. Frau Bender, ich hatte mich vorhin auf Ihren Beitrag (Beifall bei der SPD) hin gemeldet, und darum geht es nach wie vor. Sie hatten darauf hingewiesen, dass unser Vorschlag, die privati- Marion Caspers-Merk, Parl. Staatssekretärin bei der sierten Krankenhäuser in öffentliche Trägerschaft zu- Bundesministerin für Gesundheit: rückzuführen, kaum zu realisieren sei; Sie haben das als Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir nicht machbar und politisch absurd dargestellt. Das war diskutieren heute über einen Antrag der Fraktion Die der Kern Ihrer Aussage. Linke. Die Art der Debatte macht mich sehr zuversicht- (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lich; denn das Haus ist sich weitgehend einig, dass die NEN]: Vor allem im Osten des Landes!) Linke eine Parallelwelt aufbaut, indem sie zunächst ein Zerrbild des Gesundheitswesens vorlegt, um dann mit – Ich will mit Ihnen jetzt gar nicht über den Osten reden, einer Wunschliste aus 50 Einzelforderungen, die mal sondern über den Westen. In Hessen hat Herr Koch zwei eben kurz vor den letzten vier Sitzungswochen vorgelegt Universitätskliniken privatisiert und an das Rhön-Klini- (B) werden – daran sieht man die Seriosität dieser Arbeit –, (D) kum verkauft. Im rot-grünen Koalitionsvertrag von Hes- jedem etwas anzubieten. Die Freiberufler bekommen et- sen, der vor kurzem leider aufgrund anderer Geschichten was angeboten. Die Kliniken bekommen etwas angebo- gescheitert ist, ist festgelegt, dass die Privatisierung der ten. Es werden im Zusammenhang mit der Pflegeversi- Universitätskliniken Gießen und zurückgenom- cherung neue Forderungen erhoben. men werden soll und dass das Land Hessen dem Rhön- Klinikum eine entsprechende Abfindung zu zahlen hat, Herr Kollege Spieth, ich schätze Sie als einen Kolle- weil die von Schwarz durchgeführte Privatisierung ge- gen, der im Fachausschuss hoch sachkundig ist. Entwe- gen die Interessen, auch gegen die berechtigten Versor- der Sie haben bewusst zugelassen, dass, mit Ihrer Person gungsinteressen, der Bevölkerung sei. Spinnen die Grü- verbunden, ein Antrag formuliert wird, der mit der Rea- nen in Hessen? lität überhaupt nichts zu tun hat, oder Sie haben um eines billigen Wahlkampfgags willen Ihre Reputation aufs (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Spiel gesetzt; denn dieses Vademekum, diese Wunschliste Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- können Sie nicht wirklich ernst meinen. NEN]: Keinesfalls!) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Kollegin Bender, wollen Sie erwidern? Einige Kollegen haben schon auf offensichtliche Wi- dersprüche in Ihrem Antrag hingewiesen. Da wird zum (Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Das bringt eh Beispiel ein Forderungskatalog beim Thema Pflege auf- nichts!) gemacht. Da wird mal eben für demenziell Erkrankte über das, was wir von der Koalition auf den Weg gebracht Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): haben – jetzt werden im Rahmen der Pflegeversicherung Keineswegs. Das war eine gute Idee. Denn die Priva- Verbesserungen in einer Größenordnung von 2 Milliarden tisierung dieser Uniklinik hat sich nach allem, was ich Euro vorgenommen –, das Füllhorn der Wohltaten aus- gehört habe, nicht bewährt. Da gibt es Schwierigkeiten geschüttet. Da wird der für demenziell Erkrankte vorge- mit der Forschung, der Lehre usw. sehene Betrag mal eben von 2 000 Euro auf 6 000 Euro pro Person angehoben. (Frank Spieth [DIE LINKE]: Aber ansonsten ist das falsch?) (Frank Spieth [DIE LINKE]: Im Jahr!) Sie aber wollen alle privaten Kliniken in öffentliche Trä- Dies ist eine Verdreifachung. Dies führt zu einer Kosten- gerschaft überführen. steigerung von 6 Milliarden Euro. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24035

Parl. Staatssekretärin Marion Caspers-Merk (A) Dann haben Sie eine sofortige Dynamisierung und schen Leistungen ausdrücklich gelobt. Sie hat uns auch (C) eine sofortige Erhöhung des Pflegegeldes vorgesehen. dafür gelobt, dass wir beispielsweise bei der Akutversor- Zudem wollen Sie für die persönliche Assistenz einen gung und den Notrettungssystemen sehr gut aufgestellt Betrag in unbegrenzter Höhe sofort einführen. sind. Sie hat viele Bereiche genannt, in denen Deutsch- land vorbildlich ist. (Elke Ferner [SPD]: Und die Rentenversiche- rung zusätzlich belasten!) (Frank Spieth [DIE LINKE]: Es gibt also keine Probleme?) Wenn man das, was Sie im Rahmen der Pflegeversiche- rung fordern, addiert, kommt man noch in dieser Legis- Man muss doch einmal sehen, was international Stan- laturperiode auf eine Summe von über 10 Milliarden dard ist. Das alles aber wird von Ihnen im Prinzip igno- Euro. Das hat mit seriöser Politik nichts zu tun, weil Sie riert. die Antwort schuldig bleiben, wie Sie dies finanzieren wollen. (Frank Spieth [DIE LINKE]: Wartezeiten gibt es also nicht!) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) – Der Einwurf, dass es keine Wartezeiten gibt, ist prima. Selbst wir, die wir eine Bürgerversicherung in der Pflege wollen, (Frank Spieth [DIE LINKE]: Für Privatversi- cherte stimmt es sicher, dass es keine Warte- (Frank Spieth [DIE LINKE]: Wir wollen die zeiten gibt!) auch!) – An Ihrer Stelle wäre ich hier einmal vorsichtig. Ange- wissen ganz genau, dass diese nur ein Finanzierungs- sichts der Wartezeiten, die es früher in der DDR gab volumen von vielleicht 2 Milliarden Euro zusätzlich er- – und nun fordern Sie wiederum eine Verstaatlichung schließt. des Systems –, wäre ich ganz vorsichtig, die Wartezei- (Frank Spieth [DIE LINKE]: Wenn man bei ten, die es bei uns gibt, zu kritisieren. der Beitragsbemessungsgrenze bleibt, sehr (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) wohl!) Es gibt kein anderes europäisches Land, in dem die Das heißt, Sie machen Ihre Forderungen durch das, was Wartezeiten so kurz sind wie in der Bundesrepublik Sie hier mal eben so formuliert haben, unglaubwürdig. Deutschland. Die Kollegin Bender hat recht: Bei den Krankenhäu- (Frank Spieth [DIE LINKE]: Die Realität der sern besteht das gleiche Problem. Auf der einen Seite Patienten ist eine andere!) (B) sind Sie gegen MVZs an Kliniken; auf der anderen Seite (D) sollen sie für die Ambulanz geöffnet werden. Schon dies Umgekehrt gibt es eine Debatte: Patienten aus skandina- ist in sich widersprüchlich. Dann entlassen Sie die Bun- vischen Staaten oder Großbritannien fragen bei uns sta- desländer aus ihrer Verantwortung für die Investitionen tionäre Leistungen nach, weil sie in ihren Ländern in ei- und sagen: Bund und Länder sollen gemeinsam für ner bestimmten Zeit nicht erbracht werden. Krankenhausinvestitionen von 50 Milliarden Euro gera- destehen. Na prima! Sie sagen natürlich wiederum nicht, (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Frank wie das Ganze finanziert werden soll. Spieth [DIE LINKE]: Weil sie cash zahlen! Bei Privatversicherten stimmt das!) (Frank Spieth [DIE LINKE]: In den ganzen Haushaltsberatungen haben wir das gemacht, Erzählen Sie hier also doch nichts, was der Realität ein- Frau Kollegin! Euch passt das bloß nicht!) fach nicht entspricht. Herr Kollege Spieth, ich kann an dieser Stelle nur sa- Ich möchte auch noch einmal darauf hinweisen, dass gen: Es besteht ein Unterschied zwischen Protestlinken Sie, Herr Kollege Spieth, als Sie in den vergangenen Jah- und Gestaltungslinken. Bei Ihnen reicht es aus, wenn ren die Gelegenheit dazu hatten, daran mitzuwirken, dass man einfach alles mal aufschreibt. Wir müssen es umset- das System gerechter wird, ihre Mitwirkung verweigert zen. Deswegen würden wir so eine Wunschliste niemals haben. Sie haben bei den Verbesserungen, zum Beispiel ohne eine Gegenfinanzierung präsentieren. im Rahmen des Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes, nicht mitgewirkt. Dort haben wir aber echte Verbesserun- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) gen erreicht. Wir haben Pflegestützpunkte eingeführt und Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass Sie die Leistungen für Demenzerkrankte verbessert. Wo wa- meines Erachtens eine Struktur in Ihre Begründung brin- ren Sie denn da? Sie haben sich da doch in Fundamen- gen, die völlig an der Realität vorbeigeht. Kollege talopposition begeben Hennrich hat recht, wenn er sagt, Sie hätten die inter- (Beifall bei der SPD – Willi Zylajew [CDU/ nationalen Studien nicht zur Kenntnis genommen. Da CSU]: Richtig!) wird gesagt, was alles schlecht sei; aber es wird ein Zerr- bild gezeichnet, das mit der Wahrnehmung nichts zu tun und legen jetzt, kurz vor den Wahlen, noch einmal billig hat. Die OECD und die WHO haben Deutschland gelobt. nach. Frau Dr. Chan hat ja ebenso wie ein Mitglied Ihrer Frak- Ich glaube, Ihr Antrag ist unseriös. tion an der diesbezüglichen Debatte teilgenommen. Sie hat den universellen Zugang zu hochwertigen medizini- (Willi Zylajew [CDU/CSU]: Ja!) 24036 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Parl. Staatssekretärin Marion Caspers-Merk (A) Sie zeigen damit, dass Sie eine große gesundheitspoliti- Die FDP hat ihr Konzept in einer wirklich bemer- (C) sche Ahnungslosigkeit haben, kenswerten Debatte Anfang des Jahres (Willi Zylajew [CDU/CSU]: Richtig!) (Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Sehr richtig!) denn der Antrag wird der Debattenstruktur nicht gerecht. vorgestellt. Der Kollege Schily hat heute von einem Ich finde einfach, dass Sie damit auch unserer Debatte, neuen solidarischen Ansatz gesprochen. Das war noch die wir im Fachausschuss geführt haben, recht vage. Der Antrag damals war sehr konkret. Schon (Willi Zylajew [CDU/CSU]: Nicht gerecht damals – die Krise war noch nicht in vollem Umfang er- wird!) kennbar – nicht gerecht werden; denn auf dem Niveau, auf dem Sie (Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Doch, das war stehen geblieben sind, bewegen wir uns im Prinzip sie schon! – Heinz Lanfermann [FDP]: Für uns schon seit langem nicht mehr. Ich bedauere, dass so et- schon!) was eben einmal schnell hingeschrieben wurde, wohl haben wir uns verwundert die Augen gerieben. Sie wol- nach dem Motto: Wir schreiben das einmal auf, weil die len das bewährte System der gesetzlichen Krankenkas- Ablehnung garantiert ist. sen abschaffen und in der größten Finanzkrise, die wir Vielen Dank. bislang erlebt haben, auf Kapitaldeckung umstellen. Dazu kann ich nur sagen: Gute Reise! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Wollen Sie Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: jetzt die Riester-Rente abschaffen, Frau Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt Reimann?) erteile ich der Kollegin Dr. Carola Reimann von der Es wird eine sehr einsame Reise werden. Ich kann mir SPD-Fraktion das Wort. nicht vorstellen, dass Ihre Vorschläge außerhalb der pri- (Beifall bei der SPD) vaten Versicherungswirtschaft auf große Begeisterung stoßen. Dr. Carola Reimann (SPD): (Beifall bei der SPD) Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- ren! Die Debatte zeigt, dass der Wettbewerb um das Wohin die Reise bei der CDU/CSU geht, kann ich lei- der noch nicht ganz erkennen. beste Konzept in der Gesundheits- und Pflegepolitik be- (B) reits begonnen hat. (Elke Ferner [SPD]: Das weiß sie selber noch (D) (Frank Spieth [DIE LINKE]: Na klar!) nicht!) Und das ist gut; denn die Menschen wollen wissen, wie Auf die Ähnlichkeiten zwischen den Vorstellungen der es in den nächsten Jahren weitergehen soll. Sie wollen CSU und der Linken hat die Kollegin Bender schon hin- wissen, wie wir auch künftig eine gute Versorgung si- gewiesen. Durch die Redebeiträge konnte das nicht auf- cherstellen, wie wir den medizinischen Fortschritt für geklärt werden. Diesbezüglich besteht offensichtlich alle ermöglichen und wie wir diese Gesundheits- und noch Klärungsbedarf. Ich hoffe, dass Sie bis zum Sommer Pflegeaufgaben finanzieren. ein Konzept vorlegen können; denn die Bürgerinnen und Bürger möchten wissen, mit welchen Kopfpauschalen sie Die Linke hat in ihrem Antrag ihre Vorstellungen dar- nach Ihrem Konzept künftig zu rechnen haben. gelegt, und sie ist ihrem Ruf dabei treu geblieben: Lage dramatisieren, in allen Bereichen immer das Maximum (Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Da fordern, was erfolgreich läuft, schlechtreden, über Fi- dürfen Sie ganz zufrieden sein, Frau Kollegin! nanzierung nur ganz am Rande reden und ansonsten im- Darüber würde ich mir an Ihrer Stelle nicht mer schön im Ungefähren bleiben. Sie setzen auf den Kopf zerbrechen!) schnelle Effekte, auf eine Wunschliste und auf Stimmen- Die SPD hat ein Konzept: Wir setzen bei Gesundheit fang, aber nicht auf nachhaltige und konkrete Konzepte. und Pflege auf die Bürgerversicherung. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) 50 verschiedene Vorschläge sind kein Konzept. Wir wollen das, was wir in den letzten Jahren durchset- (Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Sehr syste- zen konnten, konsequent weiterentwickeln. Mit einem matisch!) verbesserten morbiditätsorientierten Risikostrukturaus- gleich, mit der Versicherungspflicht für alle und mit dem Durch das Papier machen Sie auch klar: Sie wollen gar Einstieg in eine stärkere Steuerfinanzierung haben wir nicht regieren, schon gar nicht in Zeiten einer Wirt- eine gute Basis geschaffen. Inzwischen müssten eigent- schaftskrise. Sie wollen Ihre Pläne erst gar nicht der lich auch die letzten Kritiker erkannt haben, dass der Ge- Realität aussetzen; denn auch Sie wissen, dass diese sundheitsfonds reibungslos angelaufen ist und jetzt, in Pläne an der Realität scheitern würden. Zeiten der Wirtschaftskrise, dafür sorgt, dass der Kran- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Frank kenkassenbeitrag stabil bleibt und die Einnahmebasis Spieth [DIE LINKE]: Warum?) der Kassen gesichert ist. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24037

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (C) Frau Kollegin Reimann, erlauben Sie eine Zwischen- Unser Konzept der Bürgerversicherung sieht also vor, frage des Kollegen Lanfermann? dass die Einnahmebasis über einen höheren Steueranteil ausgebaut und der Risikostrukturausgleich auf den Be- Dr. Carola Reimann (SPD): reich der privaten Krankenversicherungen ausgedehnt Gerne. wird. Ferner wollen wir – auch das ist schon angeklungen – Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: den bisherigen Sonderbeitrag in Höhe von 0,9 Beitrags- Bitte schön, Herr Lanfermann. satzpunkten abschaffen und somit die alte Parität zwi- schen Arbeitnehmern und Arbeitgebern wiederherstel- Heinz Lanfermann (FDP): len. Frau Kollegin Dr. Reimann, Sie haben gesagt, dass (Beifall bei der SPD) Sie nicht erkennen können, wie andere ihr Konzept fi- nanzieren wollen, und zugleich die Bürgerversicherung Meine sehr geehrten Damen und Herren, unser Ziel gelobt. Im Antrag der Linken steht, dass Kapitalein- ist eine gute Versorgung für alle, und zwar unabhängig künfte, Mieten und Ähnliches herangezogen werden sol- vom Geldbeutel. Um das zu erreichen, werden wir wei- len. Die Kollegin Ferner hat vorhin erklärt, dass die tere Strukturreformen anstoßen: ein flexibleres System lohnabhängigen Bezüge nicht steigen werden, jedenfalls von Kollektiv- und Einzelverträgen, eine weitere Öff- nicht in dem Maße, dass damit die Krankheitskosten fi- nung von Krankenhäusern für die ambulante Versorgung nanziert werden können. und damit eine bessere Verzahnung von ambulantem und stationärem Bereich sowie eine Stärkung der Prävention Ich möchte Sie daher ausdrücklich fragen: Wonach über ein Präventionsgesetz, das bei den Lebenswelten sollen Ihrer Meinung nach die Beiträge für die Bürger- ansetzt. versicherung, also für das Modell der SPD, bemessen werden? Soll es außer den lohnbezogenen Beiträgen, die (Beifall bei der SPD) auch derzeit erhoben werden, weitere Beiträge geben, und auf welche Vermögens- und Einkommensarten sol- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: len sie erhoben werden? Haben Sie vielleicht auch schon Frau Kollegin Reimann, es gibt erneut den Wunsch eine Vorstellung von der Höhe? nach einer Zwischenfrage. Der Kollege Straubinger würde gerne eine Zwischenfrage stellen. (Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Und (B) die Einkommensgrenzen?) (D) Dr. Carola Reimann (SPD): Bitte. Dr. Carola Reimann (SPD): Herr Kollege, Sie wissen, dass wir mit der Bürgerver- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: sicherung ein Konzept verfolgen, das alle in die Versi- Bitte schön. cherung einbezieht. Wir wollen eine Versicherungs- pflicht für alle. Wir setzen auf Beiträge und auf (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steuerfinanzierung. Das habe ich gerade ausgeführt. Das Oh, die Koalition befragt sich gegenseitig! – wird die gemeinsame Basis für ein solidarisch finanzier- Frank Spieth [DIE LINKE]: Das ist doch klar! tes Gesundheitssystem sein. Das werden wir weiterent- Immerhin ist das Frau Bender aufgefallen!) wickeln. Der Gesundheitsfonds – das habe ich gerade schon erläutert – ist ein Einstieg. Max Straubinger (CDU/CSU): Ich will fortfahren – auf die Finanzierung werde ich Frau Kollegin Reimann, Sie haben in Ihrem Beitrag noch zu sprechen kommen –: In den letzten zwei, drei auch die CSU erwähnt. Sie haben gesagt, dass Sie nicht Jahren sind einige Dinge nicht gelungen. Diese Punkte wissen, wie unser Konzept aussieht. Ich empfehle Ihnen, möchten wir natürlich noch umsetzen. Wir haben zwar unseren Parteivorstandsbeschluss zu lesen. Dort wurde viel erreicht, aber – das will ich nicht verschweigen – das sehr konkret ausgeführt. nicht alles umsetzen können, was wir uns gewünscht ha- (Lachen bei der SPD – Daniel Bahr [Münster] ben. Das gilt sowohl für die umfassendere Steuerfinan- [FDP]: Na ja! – Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/ zierung – Herr Lanfermann, damit bin ich bei Ihrer DIE GRÜNEN]: Wo ist das Konzept darin?) Frage – als auch für die Einbeziehung der privaten Kran- kenversicherung – auch das sollte Sie interessieren – in Ich habe eine Nachfrage im Nachgang zur Frage des einen wirklich vollständigen Risikostrukturausgleich. Kollegen Lanfermann. Ich möchte konkret wissen, ob Leider hat das die Union blockiert. zur Finanzierung der Bürgerversicherung zukünftig Ein- künfte aus Vermietung und Verpachtung sowie Kapi- (Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Mehr umver- taleinkünfte herangezogen werden? Ist die Bürgerversi- teilen!) cherung ohne Beitragsbemessungsgrenze konzipiert, oder wird es eine Beitragsbemessungsgrenze geben? Aber genau das sind unserer Meinung nach Grundvo- raussetzungen für ein solidarisches und solide finanzier- (Frank Spieth [DIE LINKE]: Ich glaube, das tes Gesundheitssystem. ist die entscheidende Frage!) 24038 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

(A) Dr. Carola Reimann (SPD): Mit unseren Konzepten in der Pflege- und Gesund- (C) Herr Kollege, auch ich habe den Parteivorstandsbe- heitspolitik setzen wir auf die soliden solidarischen schluss der CSU gelesen; dort wurden solche Konkreti- Sicherungssysteme und werden diese zur Bürgerversi- sierungen nicht vorgenommen. Wir werden – so viel cherung weiterentwickeln. Gerade in wirtschaftlich kann ich sagen – die Einnahmebasis schlicht verbreitern. schweren Zeiten, Herr Schily, kommt es auf die Solidari- tät zwischen den Menschen an. Wir wollen gleiche Ge- (Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Wohin?) sundheitschancen für alle und eine gute medizinische Dazu werden auch Einnahmen aus Vermietung und Ver- Versorgung für alle. Wir wissen aber auch, dass das so- pachtung und andere herangezogen. lide finanziert sein muss. Nur so kann man politische Vorstellungen auch tatsächlich umsetzen und wirkliche (Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Verbesserungen für die Versicherten erreichen – Stich- Brutto? Netto?) wort: Gestaltungslinke. Genau das leistet der Antrag der Das ist nichts Neues. Das erzählen wir seit langem; wir Linken nicht. sind da sehr konsequent und konsistent. Wir möchten (Beifall bei der SPD – Frank Spieth [DIE eine Versicherungspflicht für alle und eine Bürgerversi- LINKE]: Von wegen!) cherung, in die alle einbezogen werden.

(Beifall des Abg. [SPD] – Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Freibe- Ich schließe die Aussprache. träge?) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Das gilt auch für die private Krankenversicherung. Drucksache 16/12846 an die in der Tagesordnung aufge- (Abg. Frank Spieth [DIE LINKE] meldet sich führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- zu einer Zwischenfrage) verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. – Nein. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 18 auf: (Zurufe von der Linken) Beratung der Unterrichtung durch den Parlamen- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: tarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung Frau Reimann will keine Zwischenfrage mehr zulas- Bericht des Parlamentarischen Beirats für sen. Sie haben das Wort, Frau Reimann. – Bitte schön. nachhaltige Entwicklung (B) (Berichtszeitraum 6. April 2006 bis 25. März (D) Dr. Carola Reimann (SPD): 2009) Ich würde gern mit dem Bereich der Pflege fortfahren. – Drucksache 16/12560 – Wir sind da in den letzten vier Jahren ein gutes Stück vo- rangekommen. Die Pflegereform 2008 hat wichtige Leis- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) tungsverbesserungen insbesondere für Demenzkranke Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und gebracht, aber auch die Grundlagen für mehr Qualität Verbraucherschutz und mehr Transparenz gelegt. Die von uns durchgesetz- Ausschuss für Arbeit und Soziales ten Pflegestützpunkte ermöglichen eine wohnortnahe Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und umfassende Beratung über alle pflegerischen, medi- Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zinischen und sozialen Leistungen. Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Insgesamt haben wir mit den Maßnahmen der Pflege- Ausschuss für Tourismus reform die Qualität der Pflege erhöht und neue Unter- stützungsmöglichkeiten für Betroffene, aber auch – das Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die will ich hier betonen – für Angehörige geschaffen. Die Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es Wider- Angehörigen leisten nämlich tolle Arbeit, pflegen mit spruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so be- hohem Engagement und viel Energie. Dafür zollen wir schlossen. hohen Respekt. Wir können den Dank, den der Kollege Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- geäußert hat, nur verstärken. Es bedarf aber auch einer ner das Wort dem Kollegen Dr. Matthias Miersch von Unterstützung der Angehörigen. der SPD-Fraktion. (Beifall des Abg. Christian Kleiminger [SPD]) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wie im Bereich Gesundheit wollen wir im Bereich Pflege das Erreichte konsequent weiterentwickeln. Dazu Dr. Matthias Miersch (SPD): gehören der Finanzausgleich zwischen privater und ge- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das setzlicher Pflegeversicherung, aber auch – um die Ange- Ergebnis vorweg: Ich glaube, wir sind gut beraten, dem hörigen zu unterstützen – der Anspruch auf bezahlte nächsten Bundestag zu empfehlen, den Parlamentari- Freistellung für zehn Tage und die Umsetzung des neuen schen Beirat für nachhaltige Entwicklung in der nächs- Pflegebedürftigkeitsbegriffs. ten Legislaturperiode so schnell wie möglich einzurich- (Beifall bei der SPD) ten. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24039

Dr. Matthias Miersch (A) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP Wenn wir darüber hinaus schauen, wie wir uns ge- (C) und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) meinsam aufstellen, dann muss man, finde ich, die Vor- teile eines solchen Gremiums benennen. Es ist ein dickes Brett, wenn man sich mit der Frage der nachhaltigen Entwicklung auseinandersetzt, weil Erstens. Wir arbeiten in diesem Gremium interdiszi- heutzutage alles und nichts nachhaltig ist. In jeder politi- plinär. Das heißt, Abgeordnete aus allen Fachbereichen schen Debatte kommt der Begriff „Nachhaltigkeit“ mehr- sitzen in diesem Gremium. Wir arbeiten nicht nur fach- mals vor. Man stellt sich unweigerlich die Frage: Was ist spezifisch, sondern wir können jedes Mal den Blick über eigentlich nachhaltig? den eigenen Tellerrand, über die eigenen Bereiche, wie zum Beispiel Umwelt oder Finanzen, hinaus wagen und Umso mehr kann man sagen: Es ist diesem Beirat in in diesem Gremium das große Ganze beleuchten. Ich den letzten drei Jahren gelungen, diesen Begriff auch im glaube, es ist ein sehr starkes und wichtiges Mittel, parlamentarischen Umfeld mit Leben zu füllen, indem Dinge im parlamentarischen Verfahren in Zukunft nicht wir dazu beigetragen haben, dass unser politisches Den- nur isoliert zu sehen, sondern im Kern die Perspektive ken nicht nur auf das Heute und Jetzt gerichtet ist, son- der nachhaltigen Entwicklung einzunehmen und Pro- dern auch über die Wahlperiode hinaus gefragt wird, bleme aus ökologischer, sozialer und ökonomischer welche Auswirkungen die eine oder andere Entschei- Sicht zu betrachten. Wenn uns das künftig gelingt, kön- dung auf künftige Generationen hat. nen wir vielleicht an der einen oder anderen Stelle einen Ich bin davon überzeugt: Sich mit nachhaltiger Ent- anderen Umgang miteinander pflegen. wicklung zu beschäftigen, ist der Schlüssel für die Lö- Zweitens. Ein weiteres wichtiges Moment ist für sung vieler Probleme, die wir aktuell haben. Stichwort mich, dass wir als Prinzip festgelegt haben, so viel wie Finanzkrise: Man hat auf den kurzfristigen Gewinn ge- möglich im Konsens zu beschließen. Vieles geht leich- setzt und die langfristigen und mittelfristigen Folgen ter, wenn man zunächst danach fragt, was der gemein- verkannt. Stichworte Krise im Energiebereich und same Nenner mit allen ist. Dies ist von Vorteil, weil wir Verknappung von natürlichen Ressourcen: Wenn wir As- nur für vier Jahre gewählt werden und sich Mehrheiten pekte der nachhaltigen Entwicklung ernst nehmen, kön- ändern können. Aber wenn wir erst einmal etwas auf den nen wir diese Probleme lösen. Weg bringen, hinter dem wir uns alle versammeln kön- Wir haben im Parlamentarischen Beirat an den unter- nen, trägt dieser Beschluss länger und ist von mehr Fes- schiedlichsten Dingen gearbeitet. Wir haben in einer tigkeit. Form zusammengearbeitet, die wir – das sollten wir uns An dieser Stelle will ich noch einmal ausdrücklich sa- alle gemeinsam überlegen – auch für weitere parlamen- gen – das nehme ich für mich, der jetzt für dreieinhalb (B) tarische Verfahren einmal ein bisschen bewerben sollten. Jahre die parlamentarische Arbeit begleitet hat, in An- (D) Ich bin froh, dass es uns gelungen ist, die Arbeit derer, spruch –: Wir sollten uns fragen, inwieweit es eigentlich die schon vor vielen Jahren für nachhaltige Entwicklung sinnvoll ist, sich nach einer Wahl in Koalitionsverträgen gestritten haben, in den letzten dreieinhalb Jahren fortzu- bis ins kleinste Detail zu binden, oder ob es nicht besser setzen. wäre, das Instrumentarium, das wir im Parlamentari- Ich bedanke mich ausdrücklich für die Zusammen- schen Beirat entwickelt haben, viel stärker zu nutzen, arbeit mit dem Bundesumweltministerium. Die Parla- also zunächst, ohne auf Koalition oder Opposition zu mentarische Staatssekretärin Astrid Klug ist eine solche schauen, miteinander einen gemeinsamen Weg zu su- Vordenkerin. Vielen Dank für die Zusammenarbeit in chen. Dann können wir uns meinetwegen über den Rest den letzten dreieinhalb Jahren! kräftig streiten; auch das gehört zur Demokratie. Wenn es uns gelingt, das Parlament viel stärker an dem auszu- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie richten, was wir in den letzten dreieinhalb Jahren im bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Beirat gemacht haben, gewinnen auch Demokratie und GRÜNEN) Parlamentarismus. Ich glaube also, dass wir hier letztlich eine Arbeitsweise an den Tag gelegt haben, die für die Ich möchte mich auch ausdrücklich bei Herrn de Maizière weitere parlamentarische Arbeit tatsächlich Vorbild sein bedanken – er war eben noch im Saal; wahrscheinlich kann. hört er uns jetzt irgendwo zu –, der im Kanzleramt für den größten Erfolg gesorgt hat, den wir in den letzten Ein anderer Aspekt ist mindestens genauso wichtig: dreieinhalb Jahren erzielen konnten: In der Gemeinsa- Wir dürfen uns mit dem Aspekt der nachhaltigen Ent- men Geschäftsordnung der Ministerien wird künftig eine wicklung nicht nur auf Bundesebene befassen, sondern Nachhaltigkeitsprüfung vorgesehen sein. Das ist nicht wir müssen bei der Diskussion über dieses Thema auch selbstverständlich, sondern, wie ich meine, ein Meilen- eine Verknüpfung mit der europäischen Ebene, den Län- schritt. Viele haben ihn vielleicht noch gar nicht als sol- derparlamenten und den Kommunen herstellen. chen erkannt. Ich bin mir sicher: Es ist von großem Vor- teil, wenn sich das federführende Ressort dazu bekennen Gestern hat die SPD-Bundestagsfraktion eine Veran- muss, welche Auswirkungen ein Gesetz in der Zukunft staltung durchgeführt, bei der es um gute Beispiele vor hat. Das war in der Vergangenheit nicht selbstverständ- Ort zum Thema „Nachhaltige Bildung“ ging. In dieser lich. Veranstaltung, an der circa 300 Menschen teilgenommen haben, wurde deutlich, wie viele Pflanzen sich auf die- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sem Gebiet in Deutschland schon entwickeln und wie der CDU/CSU) wichtig es beispielsweise ist, dafür zu sorgen, dass der 24040 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Dr. Matthias Miersch (A) Begriff der nachhaltigen Entwicklung auch in Lehrplä- es in der Tat gut, wenn wir uns zunächst einmal darauf (C) nen Berücksichtigung findet. Schülerinnen und Schüler verständigen, welche Leitlinien für die Politik gelten sol- brauchen Freiräume, um experimentieren und herausfin- len. den zu können, welche Auswirkungen das Handeln von heute für morgen hat. Allerdings muss man selbstkritisch anmerken, dass zwischen Sonntagsreden zum Thema Nachhaltigkeit und Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es uns in der der parlamentarischen Praxis und erst recht der politi- nächsten Legislaturperiode gelingt, eine Vernetzung schen „Verkaufe“ im Land häufig große Unterschiede zwischen der Nachhaltigkeitsstrategie, die es auf Bun- bestehen. In der Praxis geht es nämlich in vielen Fällen desebene bereits gibt und die es ermöglicht, die Politik vor allem um die kurzfristige Maximierung von Wähler- zu fragen, welche Ziele sie erreicht hat, mit der Politik in stimmen. den Länder- und Kommunalparlamenten herzustellen, dann sind wir, wie ich glaube, einen großen Schritt wei- (Lutz Heilmann [DIE LINKE]: Insbesondere ter. auch bei der FDP!) Insofern sage ich: Wir haben noch viel Arbeit vor uns. Ein Beispiel hierfür, das wir in dieser Woche erlebt ha- Diese Arbeit ist sehr wichtig. Ich glaube, die letzten drei- ben, war die Rentendebatte. Daran wurde deutlich, wie einhalb Jahre haben sich gelohnt. eine Politik aussieht, die gerade nicht auf Langfristigkeit ausgerichtet ist. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. [BÜNDNIS 90/ Meine Damen und Herren, es ist sehr wichtig, dass DIE GRÜNEN]) wir im Hinblick auf die Schaffung von mehr Generatio- nengerechtigkeit institutionelle Vorkehrungen schaffen. Es ist ein Fortschritt, dass die Bundesregierung ihre Ge- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: schäftsordnung auch auf Initiative des Parlamentari- Das Wort hat der Kollege Michael Kauch von der schen Beirats hin dahin gehend ändern wird, dass jedes FDP-Fraktion. Gesetz künftig nicht mehr nur mit Blick auf das Preis- niveau, die Geschlechtergerechtigkeit und die Auswir- Michael Kauch (FDP): kungen auf den Mittelstand geprüft wird, sondern auch Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir debat- auf die Auswirkungen, die es in den nächsten Jahrzehn- tieren heute den Tätigkeitsbericht des Parlamentarischen ten auf die Menschen hat. Diese sollen ja auch dann Beirats für nachhaltige Entwicklung. Da ich schon die noch gut in Deutschland leben können. (B) (D) zweite Wahlperiode Mitglied dieses Gremiums bin, kann (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ich Ihnen sagen: Gerade in dieser Wahlperiode waren der CDU/CSU und des Abg. Winfried das Klima und die Zusammenarbeit ausgesprochen gut. Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Dafür danke ich allen Kolleginnen und Kollegen, insbe- sondere dem Vorsitzenden des Beirats, Günter Krings, Ich würde mich freuen, wenn es uns gelingen würde, der durch seine ausgleichende Art viel dazu beigetragen dass der Deutsche Bundestag diese Nachhaltigkeitsprü- hat. fung der Bundesregierung auch faktisch kontrollieren könnte; an dieser Stelle sind auch die Parlamentarischen (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der Geschäftsführer der in diesem Haus vertretenen Fraktio- SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- nen gefragt. Bei Subsidiaritätsprüfungen im Zusammen- SES 90/DIE GRÜNEN) hang mit dem Europarecht haben wir gesehen, dass der Der Kollege Miersch hat in der Tat recht, wenn er Bundestag manchmal zu anderen Ergebnissen kommt als sagt, dass nur wenige Begriffe so sehr missbraucht wer- die Regierung. Deshalb ist es wichtig, dass wir als Parla- den wie der der Nachhaltigkeit. Deshalb sollte man sich ment ein Wörtchen mitreden können. immer wieder vergegenwärtigen, was diesen Begriff im (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie Kern ausmacht und was das Thema Nachhaltigkeit vom bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- Streit um die gute Lösung unterscheidet. Ich meine, das NISSES 90/DIE GRÜNEN) ist die Frage der Generationengerechtigkeit: Wie schaf- fen wir es, Politik für die kommenden Jahrzehnte und Die FDP befürwortet die Einführung von Generatio- nicht nur für die jeweilige Wahlperiode zu machen? nenbilanzen, um Transparenz zu schaffen über die Zah- Dass diese Frage im Mittelpunkt steht, ist der entschei- lungsverpflichtungen, die künftige Generationen heute dende Unterschied zu den Debatten, die wir sonst häufig als Last mit auf den Weg bekommen, aber auch über die im Parlament führen. Investitionen, die wir heute tätigen, damit künftige Ge- nerationen ein gutes Leben haben. Es ist notwendig, dass wir eine nationale Nachhaltig- keitsstrategie erarbeiten, die auch im Falle eines Regie- Ich bin – das sage ich als einzelner Abgeordneter, rungswechsels zumindest als eine Art roter Faden dienen nicht für meine Fraktion – auch Mitinitiator der Initiative kann. Regierungen kommen und gehen. Aber die Grund- „Generationengerechtigkeit ins Grundgesetz“. Der Par- entscheidungen, die in dieser Republik und für unseren lamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung hat Planeten getroffen werden müssen, bleiben auch über sich dafür ausgesprochen, dass der Deutsche Bundestag das Ende von Wahlperioden hinaus bestehen. Deshalb ist diese Initiative umsetzt und endlich auch eine Schutz- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24041

Michael Kauch (A) klausel für die Menschen, die noch nicht geboren sind, denn Nachhaltigkeit betrifft mehr als die Ökologie, (C) ins Grundgesetz aufgenommen wird. Hier besteht ein Nachhaltigkeit betrifft auch die Ökonomie, betrifft auch deutlicher Unterschied zu der Debatte über die Auf- die Gesellschaft, betrifft auch das Soziale. Wir lagen nahme von Kinderrechten ins Grundgesetz. richtig darin, unsere Möglichkeiten auszuschöpfen. In der nächsten Wahlperiode sind wir als Deutscher Ich komme zur Organisation der Struktur und zum Bundestag gefordert, die institutionelle Verankerung der Ausblick, was bis zum Ende dieser Wahlperiode und Nachhaltigkeitsprüfung in die Praxis umzusetzen und möglichst zügig zu Beginn der nächsten Wahlperiode Transparenz über die Auswirkungen, die Gesetze auf die geleistet werden sollte. Aufgrund der Kürze der Zeit will Zukunft haben, zu schaffen. Dann wird es möglich sein, ich das an vier Herausforderungen deutlich machen. Ich Sonntagsreden an dem, was in der Praxis passiert, zu sage bewusst nicht Schwächen, sondern Herausforde- messen. rungen, um deutlich zu machen, dass wir dazu aufgeru- fen sind, diesen Weg zu gehen. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der Erster Punkt. Der Parlamentarische Beirat für nach- SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- haltige Entwicklung muss am Gesetzgebungsverfahren SES 90/DIE GRÜNEN) formell beteiligt werden. So fehlt ihm die Möglichkeit, eigenständig Initiativen in die parlamentarischen Ab- läufe einzubringen. Natürlich kann im Prinzip jede Frak- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: tion, jeder Abgeordnete jederzeit Initiativen entwickeln. Das Wort hat der Kollege Marcus Weinberg von der Aber wir alle kennen die politischen Prozesse. Dieses CDU/CSU-Fraktion. sollte man in Zukunft konstruktiver und effizienter ge- (Beifall bei der CDU/CSU) stalten. Wir können zwar gutachterliche Stellungnahmen bei jedem Gesetzgebungsverfahren einbringen und uns daran beteiligen. Das hört sich zunächst gut an, vermit- Marcus Weinberg (CDU/CSU): telt uns aber immer das Gefühl, das fünfte Rad am Wa- Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen gen zu sein. Wenn wir uns dahin steigern könnten, das und Kollegen! Ich kann mich – daran merken Sie die vierte oder das dritte Rad oder sogar das Lenkrad zu Harmonie im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige werden, wären wir ein ganzes Stück weiter. Entwicklung – beiden Vorrednern in nahezu allen Punk- ten nur anschließen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwick- NEN]) (B) lung hat zwar die Pflicht, einen Arbeitsbericht zu erstel- (D) len, aber wir schauen zugleich in der Diskussion immer Festzuhalten ist auch, dass wir immer sehr vorsichtig mit konstruktiv-kritisch nach vorne und stellen die Frage, den genannten Instrumenten umgegangen sind. was wir in Zukunft leisten müssen. Es stellt für uns keine Der zweite Punkt ist die Federführung. Dem Umwelt- lästige Pflicht dar, diesen Arbeitsbericht vorzustellen, ministerium wurde schon gedankt. Ausdrücklich an- sondern wir nutzen gern die Gelegenheit, für Nachhal- schließen möchte ich mich auch dem Dank an die Kolle- tigkeit zu werben. Wir nutzen daher – häufig harmo- ginnen und Kollegen aus dem Umweltausschuss, bei nisch, auf jeden Fall aber in der Sache geeint – jede Ge- dem die Federführung liegt. Allerdings ist dies für den legenheit, hier im Parlament gemeinsam für unsere Beirat für nachhaltige Entwicklung nicht ganz unproble- Sache, für die Nachhaltigkeit, zu werben. Wir wollen mit matisch. Wenn wir nicht einmal bei unserem ureigenen diesem Bericht aber auch kritisch beleuchten, wo wir Thema – der Fortschreibung der nationalen Nachhaltig- noch Potenzial sehen, die Entwicklung nachhaltiger zu keitsstrategie – federführend verantwortlich sind, dann gestalten. stellt sich die Frage, wie wir uns bei anderen Themen Ich will ganz kurz einige Schwerpunkte unserer Ar- mehr einbringen können. Ich glaube, hierüber müsste beit in der 16. Wahlperiode nennen und danach zwei, man nachdenken. Trotzdem war die Kooperation gerade drei Anmerkungen zur zukünftigen Konstruktion ma- mit den Kollegen aus dem Umweltausschuss exzellent. chen. Drittens. In unserer Stellungnahme zum Fortschritts- Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwick- bericht 2008 zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie hat- lung hat insbesondere die Nachhaltigkeitsstrategie der ten wir den Wunsch geäußert – wir sind so bescheiden, Bundesregierung kritisch begleitet und einen detaillier- Wünsche zu äußern –, dass im Bundeskanzleramt die ten Kommentar zum Fortschrittsbericht 2008 – das kön- Zuständigkeit für die nationale Nachhaltigkeitsstrategie nen Sie da nachlesen – abgegeben. Das betrifft zum Bei- aus dem für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit spiel die Bereiche „Nachhaltigkeitsmanagement der sowie nachhaltige Entwicklung zuständigen Referat he- Bundesregierung“ und „Weiterentwicklung der Indikato- rausgelöst und auf eine eigene Einheit übertragen wer- ren“. Die Weiterentwicklung der Indikatoren ist als dau- den möge. Ein Dank an den Kanzleramtsminister ist erhafter Prozess eine hochwichtige Aufgabe. Wir haben schon ausgesprochen worden. Vor kurzem hat ein Ge- in den Reden von der Finanzkrise gehört und davon, spräch mit ihm stattgefunden. Es ist deutlich sichtbar, dass es jetzt darum geht, nachhaltig in die Bildung zu in- dass ein Schwerpunkt der Bundesregierung auf der Um- vestieren. Dies ist permanent zu erneuern und im Pro- setzung der Nachhaltigkeitsstrategie liegt. Ein herzliches zess weiterzuentwickeln. Das ist auch unsere Aufgabe; Dankeschön dafür. 24042 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Marcus Weinberg (A) Ob in Zukunft ein eigenes Referat „Nachhaltige Ent- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie (C) wicklung“ geschaffen oder ein anderer Weg gewählt des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/ wird, sei dahingestellt. Denkbar ist aber, dass der Kanzler- DIE GRÜNEN]) amtsminister, der im Grunde bereits für die Bundes- regierung die Verantwortung trägt, auch offiziell zum Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Beauftragten für die Umsetzung der nationalen Nachhal- Lutz Heilmann hat jetzt das Wort für die Fraktion Die tigkeitsstrategie ernannt und mit entsprechenden Res- Linke. sourcen ausgestattet wird. Das sollte man zügig diskutie- ren, um entsprechende politische Signale zu setzen. (Beifall bei der LINKEN) Viertens. Bevor wir uns damit befassen, wie sich die Nachhaltigkeit in den Strukturen der Bundesregierung Lutz Heilmann (DIE LINKE): widerspiegeln soll, müssen wir zunächst einmal an uns Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! selbst als Parlamentarier denken. Dabei geht es um die Mich treibt eine Frage um: Was bleibt von der Arbeit des Frage – das ist schon angeklungen –, wie wir die Eigen- Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung ständigkeit des Themas Nachhaltigkeit und damit auch der zurückliegenden Wahlperiode? Richtig ist, Herr Kol- eine stärkere Verdeutlichung im parlamentarischen lege Miersch – darin bin ich mit Ihnen völlig einig –, Raum sicherstellen könnten. Denn Nachhaltigkeit ist dass wir ein erhebliches Arbeitspensum hinter uns ge- – das ist zu Recht festgestellt worden – eine Querschnitts- bracht haben. Wir haben mehrere Anhörungen zu durch- aufgabe, die nicht eindeutig einzelnen Ausschüssen zu- aus wichtigen Themen wie Infrastruktur und Demografie zuordnen ist. Trotzdem ist zu überlegen, wie wir inner- oder die Nachhaltigkeitsprüfung durchgeführt. halb der Struktur der Ausschüsse bzw. bei dem Einset- Richtig ist auch, dass zum ersten Thema ein fraktions- zungsverfahren einen stärkeren Akzent setzen können. übergreifender Antrag im Verkehrsausschuss vorlag und Damit meine ich nicht, dass wir neue Strukturen schaf- dass die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundes- fen sollten, die letztlich zulasten der Effizienz gingen. Es ministerien geändert wird, um Gesetzesvorhaben auf geht mir nicht um Überfrachtung. Ich bin für klare Nachhaltigkeit hin zu prüfen. Strukturen, wobei deutlich werden soll, wo es um Nach- haltigkeit geht, damit diejenigen, die das Thema im Fo- Ich denke aber, dass das gerade bei dem zweiten kus ihrer politischen Arbeit haben, entsprechende Thema nur ein erster Schritt sein kann. Die Diskussion Schwerpunkte setzen können: transparent, effizient, aber über eine Nachhaltigkeitsprüfung muss fortgesetzt wer- durchaus auch mit geänderten Strukturen. den. (Dr. Matthias Miersch [SPD]: Völlig richtig!) (B) Auch die erst relativ spät erfolgte Einsetzung des Par- (D) lamentarischen Beirats im April 2006 – also ein halbes Das Gesetzgebungsverfahren muss transparent und für Jahr nach der Bundestagswahl – ist zu monieren. Netto alle Menschen nachvollziehbar werden. haben wir, glaube ich, nur drei von vier Jahren gearbei- tet. Auch hier wäre es sicherlich geboten, die Diskussion Der Beirat hat Reisen durchgeführt und dabei interna- bereits heute zu führen, damit man zügig nach der Wahl tionale Kontakte geknüpft. Wir hatten Studenteninitiati- im September die Strukturen im Konsens festlegen kann. ven da und haben mit ihnen diskutiert, genauso wie Un- ternehmerorganisationen. Ich möchte aber nicht den Eine frühzeitige Einsetzung des Parlamentarischen Bericht des Beirats wiederholen, zumal vieles schon er- Beirates wäre sicherlich wünschenswert. Wir sind uns si- wähnt wurde. Ich möchte vielmehr auf die anfangs ge- cherlich alle einig – das haben alle Reden gezeigt, und stellten Fragen zurückkommen: Reicht das? Was bleibt? das wird sich wohl auch in den folgenden Beiträgen Hat der Beirat einen Beitrag dazu geleistet, dass das nicht ändern –, dass dies möglich ist. Prinzip der nachhaltigen Entwicklung in der Gesell- Ich glaube, wir können rückblickend mit den Ergeb- schaft, der Politik und der Gesetzgebung mehr Eingang nissen der vergangenen dreieinhalb Jahre zufrieden sein. fand? Hat der Beirat irgendetwas bewirken können? Wir dürfen uns aber nicht zurücklehnen, sondern müssen Schauen wir uns die Praxis an. Zur Erinnerung: Das uns fragen, wie wir das Thema in Zukunft effizienter ge- Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung umfasst den stalten können. Denn der technologische, ökonomische Ausgleich wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer und gesellschaftliche Fortschritt muss sich an diesem Belange im Hinblick auf die Interessen heutiger und Prinzip messen lassen. künftiger Generationen. Ich glaube, Herr Kollege Kauch, spätestens an diesem Punkt haben wir ein unter- schiedliches Verständnis. Sie denken bei Nachhaltigkeit Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: an Generationenbilanzen und glauben, man könne alles Herr Kollege. auf Euro und Cent sozusagen ausrechnen. Fragen nach ökologischen und sozialen Belangen haben Sie heute Marcus Weinberg (CDU/CSU): überhaupt nicht gestellt. Hier zeigt sich deutlich, wo Sie Das ist im Zusammenhang mit der Finanzkrise, den stehen. Bildungsfragen und anderen Themen deutlich geworden. Wir als Mitglieder des Parlamentarischen Beirats laden Gestern wurde ein Antrag im Umweltausschuss be- alle ein, an diesem Prozess mitzuwirken. schlossen, auf dem der Name meiner Partei nicht auf- taucht. Das hat auch seine Gründe. Sie haben nämlich in Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. der Begründung ausgeführt, dass das Leitbild der nach- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24043

Lutz Heilmann (A) haltigen Entwicklung auf vielen Politikfeldern verankert Das sind nur drei Beispiele für eine Politik der letzten (C) ist. Ich frage Sie: Auf welchen Politikfeldern ist es denn vier Jahre, die mit allem zu tun hat, nur nichts mit nach- tatsächlich verankert? Gestern haben wir eine umfang- haltiger Entwicklung. reiche Anhörung zum Bau einer festen Fehmarnbelt- Von einer Etablierung des Leitbildes der nachhaltigen Querung im Verkehrsausschuss durchgeführt. Unabhän- Entwicklung in weiteren Politikfeldern kann wohl kaum gig davon, dass offensichtlich einigen hier im Hause die die Rede sein. Warum ist es nicht möglich gewesen, Kol- Umweltauswirkungen völlig gleichgültig sind, ist es ein lege Scheuer, in den Antrag zu schreiben, dass der Beirat Unding, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/ für den Ausgleich sozialer, wirtschaftlicher und ökologi- CSU, dass ein von Ihnen benannter Sachverständiger scher Interessen steht, so wie wir das angeregt haben? dort öffentlich äußert, auf ein paar Hundert Millionen Sie wollten es nicht. So war es. Sagen Sie das doch ein- Euro mehr oder weniger komme es bei diesem Projekt fach. nicht an. Welch ein Verständnis von finanzieller Nach- haltigkeit ist das? Daher stelle ich noch einmal die Frage: Was bleibt, und was hat der Beirat mit seiner Arbeit tatsächlich ge- (Beifall bei der LINKEN – Michael Kauch [FDP]: leistet, um die Politik und auch die Gesellschaft nachhal- Das muss gerade die Linke sagen!) tiger zu machen? Bei genauerem Hinschauen ist die Ant- wort nicht sehr ermutigend. Ich denke aber, wir sollten Offenbar sind Sie eher von den Baukonzernen, die hinter den Beirat nicht abschaffen. Bestehende Probleme wur- dem Projekt stehen, getrieben als von den Interessen den angesprochen, unter anderem die verspätete Einset- künftiger Generationen, die Sie hier immer so hervorhe- zung. Kollege Weinberg, nicht im April 2006, sondern ben. Beachteten Sie dabei die Interessen künftiger Ge- im Juni 2006 war die konstituierende Sitzung. Ihre Aus- nerationen, dann kämen Sie ganz schnell dazu, dieses sage, dass wir ein Jahr verloren haben, war völlig richtig. Brückenprojekt – genauso wie es der Umweltminister Ich bin völlig bei Ihnen, dass wir den Beirat früher ein- vor reichlich einem Jahr getan hat – als bekloppte Idee richten sollten, anstatt wieder ein Jahr verstreichen zu zu bezeichnen und ganz einfach zu begraben. lassen. Schauen wir weiter. Nehmen wir die Abwrackprämie. Der Beirat muss es wirklich schaffen, über einzelne Wollen Sie diese allen Ernstes als Beispiel für eine nach- Interessen hinwegzudenken. Fraglich ist allerdings, ob er haltige Politik nennen? Ist es nachhaltig, völlig intakte das angesichts dessen leisten kann, dass er mit Vertretern Autos zu verschrotten? Kommen Sie mir jetzt nicht mit aus den Fraktionen des Bundestages besetzt wird. Herr dem Argument, dass dafür umweltschonende Autos ge- Kollege Miersch, da müssen wir gedanklich neue Wege kauft werden. Die Bundesregierung hat mir als Antwort gehen und Nachhaltigkeit als Grundsatz verinnerlichen. (B) (D) auf eine Kleine Anfrage schriftlich mitgeteilt, dass über- Der Beirat hat die Funktion, das Leitbild der nachhal- haupt nicht nach den CO2-Werten der neuen Autos ge- tigen Entwicklung ins Parlament und in die Gesellschaft fragt wird. Insofern können darüber gar keine Aussagen zu tragen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, da gibt es gemacht werden. Ihre Behauptung, es würden haupt- noch einiges zu tun. Ich bin gerne bereit, das in der sächlich umweltschonende Autos gekauft, stimmt also nächsten Legislaturperiode wieder in Angriff zu neh- nicht. Was machen Sie, wenn diese zusätzlichen Wahl- men. kampfmittel ausgegeben sind? Was passiert dann in den Danke schön. Autowerken und den Autohäusern? Ich frage Sie aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD: Wer hatte (Beifall bei der LINKEN – Dr. Andreas denn die Idee der Abwrackprämie? Nach meiner Erinne- Scheuer [CDU/CSU]: Das war jetzt eine Dro- rung war das Ihr Kanzlerkandidat. hung, oder?) (Dr. Matthias Miersch [SPD]: Die IG Metall Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: war nicht ganz unbeteiligt!) Sylvia Kotting-Uhl hat das Wort für Bündnis 90/Die Selbst der Kanzleramtsminister Thomas de Maizière hat Grünen. in der letzten Beiratssitzung – das wurde heute schon öf- (Dr. Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Jetzt kommt ter angesprochen – deutlich gemacht, dass er Zweifel wieder Qualität in die Debatte!) hat, ob die Abwrackprämie einer Nachhaltigkeitsprü- fung standgehalten hätte. Ich bitte Sie: Wie sieht denn Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): die Praxis aus? So ein Kompliment am Anfang bringt mich ganz Als letztes Beispiel das Generationengerechtigkeits- durcheinander. gesetz. Herr Kollege Kauch, ich finde es schon bemer- (Heiterkeit) kenswert, dass gerade diejenigen, die den Gesetzentwurf eingebracht haben, im Beirat als neutrale Beobachter Das ist völlig ungewohnt. eine Stellungnahme abgegeben haben. Mit Ihrem Zwang (Patrick Döring [FDP]: Darauf war der Refe- zum Sparen auf Kosten künftiger Generationen rauben rent nicht vorbereitet!) Sie diesen die Zukunft und erhalten sie nicht. Ich will damit beginnen, dass im Parlamentarischen Bei- (Beifall bei der LINKEN) rat das Konsensprinzip gilt. Das habe ich gestern im 24044 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Sylvia Kotting-Uhl (A) Ausschuss sehr gelobt habe, weil es ein erfrischender zusagen die Grundlage der Nachhaltigkeit sei. Zuerst (C) Gegensatz zu dem ist, was wir ansonsten alle ohne Aus- einmal dachte ich: Ach Gott, er wird doch die ganze De- nahme betreiben. Es ist für die Einschätzung des Parla- batte jetzt nicht zurücknehmen. Jetzt waren wir endlich mentarischen Beirats, für seine Arbeit und für die Vor- so weit, zu wissen, dass Ökonomie, Soziales und Ökolo- stellung, wie die Arbeit weitergehen soll, bezeichnend. gie zusammengehören. Jetzt reduziert er das wieder auf Dieses Prinzip gilt mit einer kleinen Ausnahme: Herr einen der drei Begriffe. – Aber wenn man darüber nach- Heilmann, ich gebe Ihnen teilweise recht, aber nicht in denkt, woher der Begriff kommt der grundsätzlichen Einschätzung. Da schließe ich mich Herrn Miersch, Herrn Kauch und Herrn Weinberg an. (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Forstwirtschaft!) Deswegen will ich darüber nicht so viel reden, weil ich – Herr Göppel ist jetzt leider nicht da; er wüsste das, nur das wiederholen könnte, was vorhin schon gesagt weil er aus der Forstwirtschaft kommt –, dann ist schon wurde. ziemlich klar, dass etwas Wahres daran ist, dass die Öko- Ich möchte gerne über die Frage reden – das geht logie die Grundlage ist; denn der Begriff Nachhaltigkeit mehr dahin, was Sie aufgeworfen haben, Herr Heilmann –: bedeutet ursprünglich, dass man dann, wenn man einen Was bleibt? Ich möchte es aber eher so formulieren: Was gesunden Wald mit einem stetigen Gewinn will, überle- ist das dicke Brett, das der Parlamentarische Beirat zu gen soll, wie viele Bäume man schlägt. Das muss man bohren hat? Die Frage „Was bleibt?“ kann man mit der ins Verhältnis zu der Zeit setzen, die die Bäume brau- gleichen Berechtigung bezüglich der Arbeit eines jeden chen, um wieder zu gleicher Größe zu wachsen. Das Ausschusses stellen. Wenn ich auf der einen Seite die heißt, nur unter Beachtung der Ökologie – nicht losge- Zeit, die vielen Abgeordneten und die Ressourcen, die löst von sozialen und ökonomischen Zielen – ist eine ge- hineinfließen, betrachte und auf der anderen Seite minu- sunde Ökonomie erreichbar. tiös aufliste, was dabei herauskommt, dann kann man Selbstverständlich haben wir Zielkonflikte, nicht nur immer sagen: Die Arbeit dieses Ausschusses ist ineffizi- zwischen den drei Säulen, sondern auch innerhalb der ent. Ökologie. Als Beispiel nenne ich die Biomasse. Es stellt Aber ich glaube, Demokratie hat nun einmal den Ma- sich die Frage, ob uns Biomasse als Energielieferant für kel, ineffizient zu sein. Wir müssen immer viele Interes- Autos unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes et- sen berücksichtigen und diese Interessen ausgleichen. was bringt, wenn dafür der Regenwald abgeholzt werden Letztlich stimmt der Begriff „dicke Bretter bohren“ für muss, Flächen nicht mehr für die Nahrungsmittelproduk- die Arbeit des Parlamentarischen Beirats genauso wie tion verwendet werden und Naturschutzaspekte zurücktre- für die Arbeit eines jeden anderen Ausschusses. ten. Die Lösung – wenn auch noch nicht die perfekte – liegt darin, Nachhaltigkeitskriterien für die Biomasse- (B) Unser dickes Brett lässt sich wie folgt beschreiben: nutzung zu entwickeln. Das ist die richtige Antwort. (D) Wie erreichen wir einen Fortschritt – wir haben sehr lange über den Fortschrittsbericht der Bundesregierung Es gibt noch einen anderen Konflikt. Ist beispiels- geredet – dergestalt, dass wir hinsichtlich der Nachhal- weise die Gentechnik die richtige Antwort auf die Er- tigkeit vom Reden ins Handeln übergehen? Das ist wie nährungsbedürfnisse einer wachsenden Weltbevölke- bei vielen anderen Dingen – das war damals bei der Um- rung? Ich glaube, man kommt weiter, wenn man das weltpolitik genauso – ziemlich schwierig. Wir erleben Prinzip der Nachhaltigkeit in der Antwort berücksichtigt zumindest in Sitzungswochen tagtäglich das genaue Ge- und beachtet, dass alles vernetzt ist. Wenn wir uns die genteil dessen, was als dritte Forderung im Entschlie- Indikatoren Klima, Artenvielfalt und Landbewirtschaf- ßungsantrag steht: Die Nachhaltigkeitsziele sollen nicht tung und bei der Landbewirtschaftung die Teilindikato- anderen kurzfristigen Zielen untergeordnet werden, ren ökologischer Landbau und Stickstoffüberschuss an- wenn damit langfristig eine soziale, ökologische und schauen, dann sehen wir, dass das alles miteinander ökonomische Entwicklung gefährdet wird. – Wir erleben vernetzt ist. Wir können nur dann etwas erreichen, wenn in Sitzungswochen täglich, dass diese Forderung nicht wir alles berücksichtigen. Dann wird auch klar, dass eingehalten werden kann. Gentechnik eine sehr einseitige Antwort auf eine sehr einseitige Frage ist. Die Indikatoren Stickstoffüber- Ich will das aber nicht kleinreden. Ich glaube, Reden schuss, Artenvielfalt, Klima usw. werden davon über- ist der erste Schritt, etwas durchzusetzen. Es kann nicht haupt nicht abgedeckt. Daher kann Gentechnik unter sofort mit dem Handeln begonnen werden. Dass die Nachhaltigkeitsgesichtspunkten keine Antwort sein. Kanzlerin und Minister davon reden, was wir tun müs- sen, wie wir die Gesellschaft verändern wollen und wie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wir Politik so gestalten, dass sie nachhaltig ist, ist ein und bei der SPD) erster Schritt und darf daher nicht kleingeredet werden. Ich möchte noch einen Punkt ansprechen. Man kann (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sich manchmal mit der Einführung neuer Indikatoren und bei der SPD) oder neuer Teilindikatoren ein Stück weit vertun. Wir haben, was eigentlich ein Erfolg ist, Ersatzindikatoren Es ist auch für Nachhaltigkeitspolitiker und Nachhal- für den bisherigen Indikator 14, Gesundheit und Ernäh- tigkeitspolitikerinnen, wenn ich uns einmal so nennen rung, der immer etwas unfassbar war, eingeführt. Es gibt darf, schwierig, die drei Säulen der Nachhaltigkeit ins jetzt drei neue Indikatoren: vorzeitige Sterblichkeit, Rau- Gleichgewicht zu bringen. Staatssekretär Müller hat ges- cherquote und Menschen mit Adipositas. Wenn wir das, tern im Ausschuss davon geredet, dass die Ökologie so- was wir als Indikatoren festlegen und was sich nachher Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24045

Sylvia Kotting-Uhl (A) in den Fortschrittsberichten wiederfindet, in der Politik (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) umsetzen wollen, also den Fortschritt tatsächlich voran- sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Günter bringen wollen, dann ist zumindest bei den Indikatoren Krings [CDU/CSU]: Ich hätte gerne ge- Raucherquote und Menschen mit Adipositas die Präven- klatscht, aber nicht bei dem Schluss!) tion absolut entscheidend, wenn wir Erfolge erzielen wollen. Deshalb hat der Beirat einhellig bemängelt, dass Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: bei diesen Indikatoren nicht der Anteil der Jugendlichen herausgefiltert wird, und zwar sowohl beim Rauchen Als Nächster spricht Ernst Kranz für die SPD-Frak- – denn häufig handelt es sich um Minderjährige – als tion. auch bei dem Indikator Adipositas. Beidem ist nur zu be- (Beifall bei der SPD) gegnen, wenn wir präventiv arbeiten. Dazu müssen wir wissen, wie viele junge Menschen davon betroffen sind. Es nützt uns nichts, zu wissen, wie viele fettleibige Men- Ernst Kranz (SPD): schen wir in unserer Gesellschaft haben, es nützt uns Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und nur, wenn wir wissen, wie viele Jugendliche mit diesem Kollegen! Heute liegt uns der zweite Tätigkeitsbericht Defizit ins Erwachsenenleben starten. Nur dann kann des Beirates für nachhaltige Entwicklung vor. Weil die man geeignete Strategien entwickeln. letzte Legislaturperiode verkürzt wurde, konnten wir da- mals den Tätigkeitsbericht des Beirates nicht mehr be- Ich will zum Schluss – die Zeit geht doch schneller sprechen. Wir haben dann aber am 6. April, Herr herum, als man denkt – noch an eines erinnern. Einige Heilmann, als der Deutsche Bundestag den Parlamenta- Mitglieder des Beirats für nachhaltige Entwicklung ha- rischen Beirat wieder ins Leben gerufen hat, über die ben eine Reise nach Norwegen unternommen. Mir ist Aufgaben des Beirates gesprochen. dieses Land als unglaubliches Beispiel für Nachhaltig- keit in Erinnerung geblieben, vor allem deshalb, weil So wichtig und unbestritten auch die Einsetzung war, Norwegen seine immensen Einnahmen, die es aus den kam doch etwas in der ganzen Diskussion zu kurz: Wir Öl- und Gasverkäufen erzielt, nicht in den Haushalt haben nicht über unsere personelle Ausstattung, über un- steckt, sondern in einen Staatsfonds einbringt. Dieser sere Kompetenzen und über das, was wir nicht leisten Staatsfonds ist für die nachfolgenden Generationen be- konnten, gesprochen. Mein Kollege Weinberg hat das stimmt, wenn Öl und Gas verbraucht sind. Alles, was schon gestreift. Ich möchte seine Ausführungen einfach vom Staat erwartet wird – das ist relativ viel, zum Bei- mit einigen Beispielen begleiten und sagen, dass es na- spiel Infrastruktur usw; da wird fast mehr als bei uns ge- türlich wichtig ist, dass wir uns mit Nachhaltigkeit be- leistet –, wird über Steuern finanziert. Das heißt, die fassen. Aber es ist auch wichtig, dass wir als Gremium (B) Menschen zahlen ihre Steuern, obwohl sie wissen, dass wahrgenommen werden und die notwendigen Mittel zur (D) ungeheuer viel Geld in einem Staatsfonds ist, das nicht Verfügung gestellt bekommen, um überhaupt wirken zu angegriffen wird. Das tun sie, wenn ich das richtig mit- können. bekomme, mit weniger Gemecker als bei uns. Das ist eine Vereinbarung zwischen Politik und Gesellschaft, Gemäß dem Grundsatz der von der Legislaturperiode die ich bewundernswert finde. Ich frage mich vor dem unabhängigen und konsensualen Arbeitsweise konnte Hintergrund schon, warum bei uns etliche glauben, sie der Beirat in der jetzigen Legislaturperiode unter Rot- müssten in einem Wahljahr, wenn es auf die Bundestags- Schwarz sofort da weitermachen, wo er unter Rot-Grün wahl zugeht, den Menschen Steuersenkungen verspre- aufgehört hatte. Das zeigt schon, dass die Arbeitsweise chen, obwohl kein Mensch weiß – des Beirates nachhaltig ist. Aufgrund der vorgezogenen Bundestagswahl konnten Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: wir in der letzten Legislaturperiode die Anhörung zum Frau Kollegin. Thema demografischer Wandel nicht mehr durchführen. Wir haben sie gleich zu Beginn dieser Legislaturperiode wieder auf die Tagesordnung gesetzt, weil wir der Mei- Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nung waren und sind, dass dieses Problem durch die Ge- – ich bin sofort fertig, Frau Präsidentin –, wie das mit sellschaft und von allen, die in der Gesellschaft Verant- Konjunkturprogrammen und Bürgschaften, die im Ernst- wortung tragen, viel stärker wahrgenommen werden fall auch einmal abgerufen werden können – sonst muss. brauchte man sie nicht –, und einer doch immerhin beab- Ich bin Mitglied im Ausschuss für Verkehr, Bau und sichtigten Konsolidierung des Haushaltes zusammenge- Stadtentwicklung und weiß deshalb sehr gut, dass wir hen soll. Das ist absolute Unnachhaltigkeit. uns gerade in diesem Bereich um nachhaltige Infrastruk- tur bemühen. Als Beispiel nenne ich den Wohnungsbau. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jahre- oder jahrzehntelang wurden in Deutschland Woh- Frau Kollegin. nungen gebaut, weil der Bedarf da war, aber in den 90er- Jahren stellten wir dann fest, dass es vor allem im Osten Wohnungsleerstand gibt. Als Konsequenz hat die Regie- Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): rung 2002 das Programm „Stadtumbau Ost“ aufgelegt, Es ist leider auch ein Beispiel dafür, dass das Tun und im Ausschuss beraten wir gerade darüber, es bis vom Reden noch nicht eingeholt worden ist. zum Jahr 2016 zu verlängern. Auch hier haben wir er- 24046 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Ernst Kranz (A) kannt, dass man handeln muss. Die Ursachen sind uns Ich möchte hier noch einige Dinge ansprechen, die (C) allen bekannt. sich auf unsere eigene Organisation beziehen. Der Beirat benötigt das Recht, eigenständig zu bestimmten Gesetz- Das ist nur ein Beispiel von vielen. Ich kann immer gebungsverfahren und Unterrichtungen direkt Stellung nur Beispiele aus dem Ministerium zitieren, für dessen zu beziehen, und zwar in der Art und Weise, dass seine Bereich ich mitverantwortlich bin. Herr Heilmann, ich Stellungnahme den Adressaten unmittelbar erreicht. glaube schon, dass wir auch viele positive Dinge erwäh- Hierzu ist es notwendig, dass wir gestärkt werden. Die nen können. Anzahl der Beiratsmitglieder ist in dieser Legislatur- In der Anhörung zum Thema „Demografischer Wan- periode schon aufgestockt worden, von 9 auf 20. Das hat del und nachhaltige Infrastrukturplanung“ – der Bericht unser Arbeitspensum erhöht. Aber wir haben noch gene- wurde hier im Plenum bereits beraten – ging es um die relle Probleme in der personellen Besetzung, und zwar Frage, inwieweit der Staat die öffentliche Daseinsvor- sowohl der Arbeitsgruppen als auch des Beirats. sorge im ländlichen Raum noch gewährleisten kann, was Hier sind die Fraktionen gefragt, die Arbeit des Bei- ja eigentlich seine Aufgabe ist. In dem Zusammenhang rats zu würdigen und zu unterstützen. Ohne ausreichen- stellt sich aber auch die Frage: Wie ist es möglich, dies des Personal kann der Beirat seinem besonderen Status auch zu finanzieren und diese Finanzierung für den Bür- der langfristig ausgerichteten und deshalb interfraktio- ger erträglich zu gestalten? nellen Arbeitsweise nicht ausreichend gerecht werden. Das waren im Prinzip die Probleme, mit denen wir Liebe Kollegen, wie Sie alle selber aus Ihrer parlamenta- uns beschäftigt haben und die im Bericht auch darge- rischen Arbeit wissen: Es ist viel aufwendiger, in Rich- stellt werden. Wir haben Stellungnahmen des Ministe- tung Konsens zu arbeiten, als nur seinen eigenen Stand- riums angefordert, und ich bedanke mich an dieser Stelle punkt darzustellen. ausdrücklich bei dem Parlamentarischen Staatssekretär (Julia Klöckner [CDU/CSU]: Das stimmt!) Kasparick dafür, dass wir alle erbetenen Stellungnahmen pünktlich bekommen haben. Wir werden uns im Beirat Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: damit noch vor Ablauf dieser Legislaturperiode beschäf- Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende! tigen. Der Bericht zeigt, dass der Beirat, weil er kein eige- Ernst Kranz (SPD): nes Initiativrecht hat, die Kooperation und Zusammen- Ich komme zum Schluss. – Aus diesem Grund sind arbeit mit den bestehenden Gremien umso intensiver su- die von uns vorgeschlagenen Änderungen und Verbesse- chen muss. rungen hinsichtlich Organisation, Struktur und Rechten (B) des Beirats ganz entscheidend für seine Wirksamkeit in (D) Die wichtigste Aufgabe des Beirats ist die Begleitung der nächsten Legislaturperiode. der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung. Wir haben sie schon im Jahre 2004 begleitet – als der Beirat Danke für Ihre Aufmerksamkeit. eingesetzt wurde, war diese Strategie gerade veröffent- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten licht worden –, und wir haben sie mit den nachfolgenden der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE Berichten ebenfalls begleitet. Ich verweise auf den GRÜNEN) „Indikatorenbericht 2006“, der – anders als vorgesehen – durch das Statistische Bundesamt erstellt und vorgelegt wurde. Nach unserer Einschätzung hat er eine gute Qualität. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Außerdem verweise ich auf den „Fortschrittsbericht 2008 Patrick Döring hat das Wort für die FDP-Fraktion. der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie Deutschlands“ (Beifall bei der FDP) der Bundesregierung. Wir als Beirat sind damit einverstanden, dass es Patrick Döring (FDP): fortan alle vier Jahre einen Fortschrittsbericht geben soll; Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! in den Jahren dazwischen soll der Bericht über die Ent- Zunächst einmal sind wir gut beraten, darauf hinzuwei- wicklung der 21 Nachhaltigkeitsindikatoren vorgelegt sen – die Kolleginnen und Kollegen haben das schon ge- werden. tan –, wie gut, harmonisch und auch sachorientiert wir in diesem Parlamentarischen Beirat bisher gearbeitet ha- Vergleicht man die Relevanz der Nachhaltigkeits- ben. Herausgekommen sind nicht nur Papier und gutach- aspekte in den politischen Aktivitäten, kommt man zu terliche Stellungnahmen. Ich verweise ganz bewusst da- dem Ergebnis, dass seit dem Jahr 2002 durch die Imple- rauf – das kann ich guten Gewissens tun; schließlich hat mentierung der Nachhaltigkeitsstrategie das Bewusst- es einen Konsens gegeben –, dass wir als Parlamentari- sein für dieses Anliegen immens erweitert worden ist. scher Beirat seinerzeit im Bericht über Demografie und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Infrastruktur vorgeschlagen haben, ein Programm analog des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zum KfW-Gebäudesanierungsprogramm aufzulegen, durch das der altersgerechte Umbau von Wohnungen ge- Eines der wichtigsten Ergebnisse des erweiterten fördert wird. Dass die Bundesregierung und die sie tra- Bewusstseins ist die aktuelle Zusage der Regierung gende Mehrheit das im Bundeshaushalt umgesetzt haben – hierüber wurde schon gesprochen –, die Nachhaltig- – das darf man als Opposition einmal lobend erwähnen –, keitsprüfung künftig im Gesetz zu verankern. zeigt, dass dieser Beirat an manchen Punkten Avant- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24047

Patrick Döring (A) garde war. Am Ende ist vieles von dem, was er erarbeitet Deutschland. Es sind die handelnden Unternehmerinnen (C) hat, in praktische Politik umgesetzt worden. und Unternehmer, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die diese Volkswirtschaft über Jahre und Jahrzehnte auf- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gebaut haben – ganz nachhaltig, ohne dass man von ih- der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- nen jeden Tag Nachhaltigkeit gefordert hätte. Es liegt SES 90/DIE GRÜNEN) nämlich in der Natur des Menschen, sich so verhalten. So stellen wir uns Parlament vor. Ich hoffe sehr, dass (Zurufe von der SPD und der LINKEN) sich auch die Bürgerinnen und Bürger Parlament so vor- stellen, dass sich gute Ideen am Ende – unabhängig von Wenn wir erreichen, dass sich das weiterentwickelt, ha- der Frage, ob sie von Vertretern der Oppositions- oder ben wir politisch viel gewonnen. Von daher freue ich der Regierungsfraktionen vertreten werden – durchset- mich auf die Arbeit in der nächsten Wahlperiode. zen. Weil das Gestöhne auf der linken Seite des Hauses so Ich kann mir nicht verkneifen, Folgendes zu den Aus- groß ist, sage ich einmal ganz ehrlich: Die Auswüchse, führungen des Kollegen Heilmann zu sagen. Ich finde es die es gibt und gegeben hat, zum Anlass zu nehmen, die schon bemerkenswert, dass Sie sich nach dreieinhalb guten Seiten der funktionierenden Marktwirtschaft aus- Jahren immer noch intellektuell verweigern, zur Kennt- zublenden, führt in die Irre. Das werden die nächsten nis zu nehmen, dass Generationenbilanzen nicht aus- Monate auch zeigen. schließlich eine Betrachtung der monetären Auswirkun- gen auf kommende Generationen sind. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten bei Abgeordneten der SPD) der CDU/CSU)

Wenn Anhörungen in diesem Haus überhaupt einen Sinn Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: machen sollen, dann doch wohl den, dass Erkenntnisse Der Kollege Dr. Andreas Scheuer hat jetzt das Wort gewonnen werden und man nicht seine Vorurteile perpe- für die CDU/CSU-Fraktion. tuiert. Aber ganz offensichtlich ist das zu viel verlangt. Wenn es ein bewiesenermaßen nicht nachhaltiges Sys- (Beifall bei der CDU/CSU) tem gab, dann war es der real existierende Sozialismus auf deutschem Boden, sehr geschätzter Herr Kollege Dr. Andreas Scheuer (CDU/CSU): Heilmann. Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) gen! Das gute Klima im Parlamentarischen Beirat für (B) nachhaltige Entwicklung darf heute auch der Öffentlich- (D) Die Empirie ist manchmal wertvoller als der eine oder keit präsentiert werden, nämlich durch einen Glück- andere träumerische Gedanke, sei er auch noch so oft wunsch der CDU/CSU-Bundestagsfraktion an den Kol- aufgeschrieben. Deshalb sind wir gut beraten, uns an das legen Döring, der gestern Geburtstag gehabt hat. anzulehnen, was die Kollegin Kotting-Uhl hier einge- führt hat. Es ist die Forstwirtschaft, aus der der Nachhal- (Beifall) tigkeitsgedanke stammt, entwickelt seinerzeit übrigens Das soll nur ein Beispiel dafür sein, dass wir im Parla- nicht so sehr wegen der Schönheit der Bäume und der mentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung mit ei- Wälder, sondern aus ganz nüchternem Gewinnstreben. nigen Images von Politik aufräumen. Das zeigt wieder einmal, dass Ökologie und Ökonomie sehr gut zusammenpassen Ein Image von Politik ist, dass sie nicht über den nächsten Wahltag hinausdenken kann. Gerade wir Kolle- (Undine Kurth [Quedlinburg] [BÜNDNIS 90/ ginnen und Kollegen im Parlamentarischen Beirat für DIE GRÜNEN]: Das ist doch nichts Neues!) nachhaltige Entwicklung demonstrieren mit dem Kon- und dass nachhaltiges Wirtschaften am Ende auch zu sensprinzip, dass es uns nicht darum geht, bis zum nachhaltigen Gewinnen führt. Diese Gewinne können nächsten Wahltermin effekthascherisch einen Punkt zu übrigens 25 Prozent Rendite auf das Eigenkapital über- machen, sondern darum, visionär über den nächsten steigen. Man muss es nur richtig machen. Das ist eine Wahltag hinauszudenken. In solch einer Debatte muss Frage unternehmerischer Glaubwürdigkeit und unter- auch einmal gesagt werden, dass Politik durchaus fähig nehmerischen Mutes. ist, über lange Zeiträume visionär zu denken. Das leben wir in diesem Beirat vor. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Das zeigt aus meiner Sicht auch, geschätzte Kollegin- der SPD) nen und Kollegen: Wir alle hier im Hause – ich glaube, das darf man sagen – müssen aufpassen, dass wir nicht Das nächste Image von Politik ist, dass sie nicht nach- den Zerrbildern erliegen, die uns gelegentlich vorgeführt vollziehbar ist. Gerade durch die Nationale Nachhaltig- werden, sei es durch die elektronischen Medien, sei es keitsstrategie der Bundesregierung, den Indikatorenbe- durch Interessengruppen. Die Mehrheit der Unterneh- richt und den Fortschrittsbericht ist Politik messbar und men in Deutschland wirtschaftet nachhaltig, langfristig auch transparenter geworden. Es gibt da Indikatoren mit und solide. Die meisten mittelständischen Unternehmen verschiedenen Unterkategorien. Wenn Bürgerinnen und bei uns sind sehr viel älter als die Bundesrepublik Bürger ins Internet gehen und sich informieren, werden 24048 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Dr. Andreas Scheuer (A) sie feststellen, dass Politik über solche Indikatoren mess- die soziale Frage, um die sozialen Sicherungssysteme (C) bar ist. Fragen der Art „Wie gut war die Politik? Wie gehen. schlecht hat sie auf bestimmte Umstände reagiert?“ las- Wir handeln sehr verantwortlich. Alle sind daran inte- sen sich so beantworten. Die Politik wird messbar und ressiert, das Tal, das wir momentan durchschreiten, transparenter. möglichst bald zu verlassen. Ich benutze nicht das Wort Es ist eine gute Botschaft, wenn wir den Bürgerinnen Krise, sondern spreche von einem wirtschaftlichen Tal, und Bürgern sagen, dass wir eine Leistungsbilanz vorle- das wir schnellstens durchschreiten müssen. Natürlich gen und aufzeigen können, bei welchen Indikatoren man sind unsere Bürgerinnen und Bürger daran interessiert, nachbessern muss. Ich erinnere an den Indikator „Güter- weiterhin in Arbeit zu sein. Dazu hat die Große Koali- transportintensität“. Dieser Indikator hat in Zeiten, in de- tion verantwortungsvoll und schnell gehandelt. Ein nen die Wirtschaft floriert, natürlich höhere Werte. Wenn Image von Politik besagt, dass wir uns nicht einigen wir uns aber im Abschwung, in der Rezession befinden, könnten und dass Verständigungen im Parlament sehr dann geht die Gütertransportintensität zurück. Dies lange dauerten. Gerade bei den Konjunkturpaketen als zeigt, dass Veränderungen der Nachhaltigkeit nicht nur Antwort auf die Wirtschaftskrise – über Einzelheiten von der Politik, sondern auch von wirtschaftlichem Han- kann man unter den Fraktionen sicherlich unterschiedli- deln beeinflusst werden. cher Meinung sein – hat sich gezeigt: Wir haben schnell gehandelt. Indikatoren sind Teil eines dynamischen Prozesses. Daher haben wir uns vor Augen zu führen, dass wir Indi- Ich komme zum Schluss. Nachhaltigkeit ist eine Quer- katoren immer wieder nachbessern und aktuell anpassen schnittsaufgabe. Marie-Luise Dött, ich bedanke mich bei müssen. Die Botschaft soll aber sein, dass Politik mess- meiner federführenden Arbeitsgruppe, der AG Umwelt. bar und transparent ist. Dazu haben wir in diesem Parla- Aber vielleicht sollte das Nachhaltigkeitsprinzip gerade mentarischen Beirat beigetragen. im Wirtschaftsausschuss angesiedelt sein; darüber sollten wir uns Gedanken machen. Bei diesen Themen ist das (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Kanzleramt ein guter Ansprechpartner. Herr Bauernfeind, geben Sie dies bitte an den Kanzleramtsminister weiter. Ein weiteres Image von Politik besagt, dass Politiker Er hat eine gute, visionäre Sitzung des Parlamentarischen sich nicht über Fraktionsgrenzen hinweg einigen kön- Beirats vorbereitet und begleitet. Sie sind stets in unseren nen. Gerade im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Beiratssitzungen. Dies bedeutet, dass der Kontakt zwi- Entwicklung zeigen wir durch fraktionsübergreifendes schen Parlament und Regierung funktioniert. Handeln, auch wenn man in den Fraktionen manchmal heilige Kühe aufgeben oder sich etwas reduzieren muss, Die CDU/CSU-Fraktion ist fest davon überzeugt, (B) dass wir zum Kompromiss und letztlich zum Konsens dass wir den Parlamentarischen Beirat für nachhaltige (D) kommen. Die Botschaft lautet: Es gibt in der Demokratie Entwicklung in der nächsten Wahlperiode wieder brau- nicht nur Streit. Streit um Positionen gehört natürlich chen und dass sich seine Bedeutung erhöhen muss, ge- dazu; das ist nichts Nachteiliges. Aber gerade in diesem rade wenn ich an die Nachhaltigkeitsprüfung und die Parlamentarischen Beirat – Herr Heilmann, es gibt ein Gesetzesfolgenabschätzung im parlamentarischen Pro- paar Ausnahmen – werden wir uns auch in Zukunft nach zess denke. Wir brauchen diesen Nachhaltigkeitsbeirat dem Konsensprinzip einigen, weil wir ein gutes Klima in prominenter Position. Darauf freue ich mich jetzt pflegen, uns aber auch über die Botschaften einig sind, schon mit Blick auf die 17. Wahlperiode. die wir in die Zukunft hineintragen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Demografie und FDP) Infrastruktur waren ein Schwerpunktthema. Gerade die soziale Frage von Mobilität – dies sage ich auch als Ver- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: kehrspolitiker – wird eine Herausforderung sein. Jetzt hat Gabriele Groneberg das Wort für die SPD- Fraktion. (Lutz Heilmann [DIE LINKE]: Entfernungs- pauschale!) Gabriele Groneberg (SPD): Die ländlichen Räume müssen zu den Ballungsräumen Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! in Bezug gesetzt werden. Wir haben uns darüber sehr Es ist schon einiges über die Breite der Arbeit des Bei- viele Gedanken gemacht. rats gesagt worden. Wir haben auch viel über die Nach- haltigkeitsstrategie der Bundesregierung und unsere Po- Wenn wir in die Zukunft schauen, fallen mir zwei sitionen dazu gesprochen sowie unsere Kritik deutlich Bausteine ein, die in den nächsten Monaten, aber auch in gemacht. der nächsten Wahlperiode für den Parlamentarischen Beirat wichtig sein werden: Erstens wird es im Hinblick Ich möchte jetzt auf einen Punkt eingehen, den die auf die Frage, wie wir in Europa, insbesondere aber in Kollegin Kotting-Uhl schon kurz gestreift hat. Der Fort- der Bundesrepublik Deutschland die Energieversorgung schrittsbericht wie auch der Bericht des Parlamentari- organisieren, natürlich Streit unter den Fraktionen ge- schen Beirats setzen sich ausführlich mit dem deutschen ben. Bei diesem Thema werden wir uns nicht so leicht Beitrag zum Thema Welternährung auseinander. Ich im Konsensprinzip einigen können. Zweitens wird es um glaube, wir brauchen nicht darüber zu streiten, dass die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24049

Gabriele Groneberg (A) globale Dimension, die wir darin ansprechen, sehr wich- jedoch darauf zu achten, dass die positiven Effekte, die (C) tig ist und dass wir sie beim Thema Nachhaltigkeit zu wir erzielen, nicht an anderer Stelle zu negativen Aus- berücksichtigen haben. wirkungen führen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE Unsere nationalen Bestrebungen, den Menschen und GRÜNEN – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: der Umwelt gerecht zu werden, dürfen nicht zulasten an- Genau das ist Nachhaltigkeit!) derer gehen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Biomasse- nutzung. Wir haben, lieber Kollege Heilmann, auch dazu Im Fortschrittsbericht wie auch im Bericht des Beirats im Konsens eine Aussage getroffen, die ganz erstaunlich gibt es dazu Stellungnahmen mit deutlichen Aussagen. ist. Auf der einen Seite stehen die Bemühungen Das finde ich, gerade durch den Konsens der Fraktionen, Deutschlands und der EU, die CO2-Bilanz zu verbessern. sehr bemerkenswert. Wir sind nämlich der Ansicht – da Deshalb haben wir unter anderem die Quote der Biomas- kann man wirklich sagen: wir –, dass in den Fällen, in senutzung im Kraftstoffbereich erhöht. Aber auch die denen Konflikte nicht auszuräumen sind, die Ernäh- Verwendung von Biomasse zur Erzeugung von Biogas rungssicherung Vorrang vor anderen Nutzungen haben ist mit Blick auf unser Ziel, den Anteil der erneuerbaren muss. Energien an der Strom- und Wärmeerzeugung massiv zu (Beifall bei der SPD) erhöhen, von sehr großer Bedeutung. Diese Ansätze sind für uns mit vielen Vorteilen verbunden, gar keine Frage. Auch der Konsultationsprozess zu dem Fortschritts- Sie sind sinnvoll, um unseren Energiebedarf langfristig bericht hat deutlich gezeigt, dass er bei den Menschen und nachhaltig zu sichern. angekommen ist. Gerade zu diesem Punkt haben sich sehr viele geäußert. Sie haben sich mit den Risiken der Aber auf der anderen Seite sind mit dem erhöhten Be- Biomasseproduktion auseinandergesetzt und sich dazu darf und dem Import von Biomasse Risiken verbunden, positioniert. die in erster Linie Schwellen- und Entwicklungsländer betreffen. Durch die Konkurrenz bei der Nutzung von Wir wollen auf jeden Fall, auch im Sinne der Nachhal- Flächen besteht die Gefahr, dass der Anbau von Energie- tigkeitsstrategie, nicht darin nachlassen, Fehlentwicklun- pflanzen zu Nahrungsengpässen bei der armen ländli- gen in den Bereichen Klimaschutz und Ernährungssi- chen und urbanen Bevölkerung führt. Das ist auch im cherheit zu vermeiden. Wir brauchen dazu ein wirksames Fortschrittsbericht der Bundesregierung ganz explizit Zertifizierungsinstrument – auch das haben wir in unse- beschrieben, der sich zu einem Großteil auch mit der rem Bericht festgestellt –, das die Nachhaltigkeit beim Entwicklungspolitik beschäftigt. Das kann man dort also Anbau und bei der Produktion von Biomasse sicherstellt. (B) noch einmal ausführlich nachlesen. Ähnliche Folgen ha- (D) ben Preissteigerungen bei Lebensmitteln wie Reis und Nun gibt es endlich die EU-Nachhaltigkeitsrichtlinie, Getreide, die zum Teil auf die erhöhte Produktion von die wir schon lange erwartet haben. Deutschland war in Energiepflanzen zurückzuführen sind. diesem Zusammenhang Vorreiter, wir wollten dazu eine nationale Verordnung verabschieden. Wir sind dann ein Aber nicht nur im Ausland, sondern auch bei uns bisschen ausgebremst worden, weil die EU eine Verord- existieren in einigen Regionen bereits negative Effekte nung beschließen wollte, die für die ganze EU gilt; das durch den massiven Einsatz von Biomasse zur Biogas- ist ja auch sehr sinnvoll. Es hat nun ein bisschen länger erzeugung. Ich weiß, wovon ich rede; denn ich komme gedauert; aber es gibt sie jetzt endlich. Wir können nun aus einem Landkreis, in dem es die größte Dichte an Bio- unsere beiden geplanten Nachhaltigkeitsverordnungen gasanlagen gibt. Die Folge sind Monokulturen durch den zum Strom und zu Kraftstoffen mit der EU-Richtlinie Anbau von Mais für Biogasanlagen und höhere Pacht- abgleichen und im Parlament verabschieden. Wir wer- preise für Ackerland, die von Landwirten bezahlt wer- den ganz besonders darauf achten, dass die Kriterien für den müssen, die Getreide, Gemüse oder Obst anbauen. den Biomasseanbau in diesen Verordnungen so festge- Und die Landwirte, die Viehzucht betreiben, müssen hö- legt werden, dass hier Nachhaltigkeit besteht. Als nächs- here Preise für Futtermittel bezahlen. Das zeigt uns, dass ten Schritt müssen wir dringend – damit werden wir uns wir die Entwicklung in diesem Punkt nicht unkontrolliert im Beirat in der nächsten Legislaturperiode im Rahmen laufen lassen dürfen. von Energiefragen beschäftigen – die Zertifizierungssys- teme für den Biomasseanbau international implementie- Ich betone an dieser Stelle ausdrücklich, dass nicht ren. Ohne diesen Schritt werden wir in diesem Bereich nur wir vom Einsatz von Biomasse profitieren, sondern keinen nachhaltigen Erfolg erreichen. auch die Entwicklungsländer, indem zum Beispiel die Zunahme der Biomasseimporte aus Schwellen- und Ent- Wir haben mit Sicherheit bei unserer Arbeit eines wicklungsländern zu wünschenswert steigenden Export- deutlich gemacht: Es ist auch wichtig, die globale Di- erlösen für diese führen. Dadurch werden Mittel zur Ar- mension zu berücksichtigen. Wir werden uns in den mutsbekämpfung in den Ländern freigesetzt. nächsten Jahren sicherlich noch häufig damit auseinan- derzusetzen haben, welche Auswirkungen unsere Ent- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) scheidungen im internationalen Kontext haben. Gerade Die Biomasseproduktion führt zu erhöhter Wertschöp- die Finanz- und Wirtschaftskrise hat gezeigt, dass keiner fung und Beschäftigung im ländlichen Raum. Deshalb mehr ohne den anderen ist. Insoweit ist es für den Beirat wäre es vollkommen falsch, den Einsatz von Biomasse eine Aufgabe, genau diesen Punkt stärker in den Fokus in den unterschiedlichen Bereichen zu verteufeln. Es ist zu nehmen. 24050 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Gabriele Groneberg (A) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie nem neuen § 44 in die Gemeinsame Geschäftsordnung (C) bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE der Bundesministerien aufnehmen wird. GRÜNEN) Das alles muss sich in der Praxis aber noch bewähren. Um einige Punkte anzusprechen: Von den Ministerien Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: erwarte ich, dass künftig auf jedem Schreibtisch eines Dem Kollegen Dr. Günter Krings gebe ich jetzt das Gesetzgebungsautors ein Exemplar der Nachhaltigkeits- Wort für die CDU/CSU-Fraktion. strategie steht. Von den Fachausschüssen wünsche ich mir, dass sie sich bei ihren zu behandelnden Themen (Beifall bei der CDU/CSU) auch einmal mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäfti- gen und gerade unter diesem Gesichtspunkt kritische Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Rückfragen an die Vertreter der Bundesregierung bei Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Gesetzentwürfen stellen. Von unserem Parlamentari- Herren! Als Vorsitzender des Parlamentarischen Beirats schen Beirat, dem Nachfolgegremium in der nächsten für nachhaltige Entwicklung freue ich mich, in der letz- Wahlperiode, erwarte ich, dass er eine wichtigere Rolle ten Debatte, die wir in dieser Wahlperiode dazu führen einnimmt, gerade dann, wenn es um die Koordinierung werden, das Wort zum Abschluss ergreifen zu dürfen. und Unterstützung solcher Nachhaltigkeitsüberprüfun- Wir blicken auf in der Tat drei arbeitsreiche Jahre zu- gen geht. rück. Von daher kann man unseren Bericht heute mit Fug (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie und Recht als Arbeitsbericht bezeichnen. Gewisser- bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- maßen ist er auch ein Abschlussbericht, wobei das nicht NISSES 90/DIE GRÜNEN) ganz stimmt; denn wir arbeiten weiter – wir werden alle Sitzungswochen, die uns verbleiben, ausnutzen – an den Bei diesem Thema wird es sicherlich von Vorteil sein, perspektivischen Fragen, daran, wie wir Nachhaltigkeit nach dem Vorbild des Normenkontrollrats auch eine un- auch in der nächsten Wahlperiode im Bundestag im Ge- abhängige Instanz zu haben, die noch einmal gegenprüft, setzgebungsverfahren verankern können. ob das, was sich ein Ministerium zum Thema Nachhal- tigkeit ausgedacht hat, nicht nur weiße Salbe, sondern Wir haben uns mit einer Reihe von Themen beschäf- auch ernst gemeint ist. Um einmal ein ganz konkretes tigt – die meisten sind genannt worden –: Es gab Beispiel zu nennen: Ich glaube, dass wir die Pflegeversi- Anhörungen und gutachterliche Stellungnahmen zum cherung bei einer Nachhaltigkeitsprüfung auch heute Klimawandel, gemeinsam mit dem Umweltausschuss, hätten, sie würde aber vielleicht auf einer solideren bis hin zu Generationenbilanzen, Nachhaltigkeitsprüfun- finanziellen Grundlage stehen. (B) gen, Demografie und Infrastruktur, zum Generationen- (D) gerechtigkeitsgesetz, also dazu, Generationengerechtig- Wenn wir uns über das Thema Nachhaltigkeits- keit als Staatsziel in das Grundgesetz aufzunehmen. Wir management unterhalten, müssen wir dafür sorgen, dass haben dabei eine Reihe von Akzenten gesetzt, vor allem Bund, Länder und Kommunen hier stärker zusammen- aber deutlich gemacht – heute wird es leider etwas über- arbeiten. Nehmen wir das Beispiel Flächenverbrauch. deutlich –, dass Nachhaltigkeit eine parlamentarische Die Zielvorgabe lautet 30 Hektar am Tag. Aufgabe und nicht nur eine Aufgabe der Exekutive, der (Patrick Döring [FDP]: Richtig!) Bundesregierung, ist. Angesichts der Wichtigkeit dieses Themas ist es richtig, das deutlich zu machen. Nach dem Istzustand sind es 120 Hektar am Tag. Das Ziel erreichen wir nicht allein durch Maßnahmen des (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Bundes. Die Länder müssen hier stärker mit ins Boot. bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Im Hinblick auf den Nachhaltigkeitsprozess sind wir SES 90/DIE GRÜNEN) jetzt – das haben die Debattenbeiträge gezeigt – bei ei- Das Thema Nachhaltigkeit ist in diesen Tagen – man nem ganz entscheidenden Punkt. Die Nachhaltigkeits- könnte fast sagen: in diesen Monaten und Jahren – strategie der Bundesregierung ist durch mehrere Fort- aktueller denn je. Der Klimawandel ist auch in diesem schrittsberichte relativ gut ausgereift. Sie muss natürlich Haus seit geraumer Zeit ein Gegenstand bedeutender weiter überarbeitet werden. Aber jetzt geht es um die Debatten. Ihm entgegenzuwirken ist eine klassische praktische Relevanz. Besteht diese schon? Ich sage ein- Aufgabe im Rahmen einer nachhaltigen Umweltpolitik. mal: Sie besteht bedingt. In Sachen Nachhaltigkeits- Dabei geht es beispielsweise nicht darum, sofort sichtbar management, bei der Umsetzung der Ziele der Strategie saubere Flüsse zu erhalten, sondern darum, eine Um- in praktische Politik, in praktische Gesetzgebungsarbeit, weltvorsorge zu betreiben, bei der wir dann in 20 bis ist noch jede Menge zu leisten. Es gibt sehr positive 30 Jahren die Auswirkungen unseres heutigen Handelns Ansätze. Ich habe mich beispielsweise gefreut, dass der erleben. Wenn wir richtig handeln, werden die Auswir- Staatssekretärsausschuss – neudeutsch: das Green Cabinet – kungen positiv sein. Das ist eine klassische Aufgabe der fast monatlich zusammenkommt. Es gibt deutlich ver- nachhaltigen Umweltpolitik im Gegensatz zur tages- mehrte Sitzungsfolgen unter Vorsitz von Kanzleramts- orientierten Umweltpolitik. chef de Mazière. Wir haben das Thema Nachhaltigkeits- prüfung – Herr Kollege Miersch hat es angesprochen – Das zweite Beispiel ist die Schuldenkontrolle. Man der Bundesregierung so nahegebracht, dass sie es in ei- mag die Arbeit der Föderalismuskommission II in vielen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24051

Dr. Günter Krings (A) Einzelpunkten kritisieren, dass wir aber eine neue Per- die ich in meiner Fraktion betreue, wirklich als einen (C) spektive haben, mit einer neuen Schuldenbremse jeden- Höhepunkt meiner parlamentarischen Tätigkeit erlebt. falls einen neuen ernsthaften Versuch zu machen, ist für Deshalb ist es auch ein sehr persönlicher Dank, den ich das Thema gut und wichtig und wird, so glaube ich, auch aussprechen möchte. Ich darf ihn mit dem Versprechen von der übergroßen Zahl der Mitglieder dieses Beirats verbinden, dass ich diesem Thema unabhängig von ir- sehr unterstützt. gendwelchen Funktionen in diesem Beirat in Zukunft gerne verbunden bleiben möchte. Für mich ist Nachhal- Das dritte Beispiel – ich glaube, das sollte man in die- tigkeit/Generationengerechtigkeit ein politisches Her- sen Tagen in jedem Falle nennen – ist die Nachhaltigkeit zensanliegen. Es sollte für uns alle ein Herzensanliegen in der Wirtschaft. Die Nachhaltigkeit betrifft nicht nur sein. Ich glaube, es ist auch für immer mehr Kollegen die Politik, sondern auch die Akteure in der privaten ein ganz wichtiges Thema. Ich werde an diesem Thema Wirtschaft. Ich glaube, auch hier erkennt man, dass eine weiter mitarbeiten, egal in welcher Funktion und in wel- rein kurzfristige Einstellung beim wirtschaftlichen Han- chen Gremien des Parlaments. Ich wünsche mir – diesen deln zu den Ergebnissen führt, die wir heute beobachten einen Wunsch darf ich zum Schluss noch aussprechen –, können. Wir als Staat müssen jetzt mithelfen, die ent- dass der nächste Bundestag in der kommenden Wahl- sprechenden Auswirkungen zu begrenzen. periode möglichst rasch einen solchen Parlamentari- Das Leitbild Nachhaltigkeit sollte in Form einer Vor- schen Beirat wieder einsetzt. bildfunktion auch in der Wirtschaft stärker zum Tragen Vielen Dank. kommen, in dem einen oder anderen Punkt aber sicher- lich auch durch gesetzgeberische Maßnahmen unterfüt- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der tert werden, um gerade den Unternehmen – teilweise FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN vielleicht auch den größeren –, die im eigenen Interesse und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und im Interesse von Aktionären und anderen Fehlent- wicklungen unterlegen sind, ein wenig auf die Sprünge Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: zu helfen, soweit das im Rahmen unseres freiheitlichen Ich schließe die Aussprache. Leitbildes funktioniert und sinnvoll ist. Die Finanz- und Wirtschaftskrise ist nicht durch einzelne Maßnahmen, Zwischen den Fraktionen ist verabredet, die Vorlage sondern perspektivisch, so glaube ich, nur unter dem auf Drucksache 16/12560 an die Ausschüsse zu über- Blickpunkt nachhaltiger Wirtschaftsentwicklung zu lö- weisen, die in der Tagesordnung aufgeführt sind. – Dazu sen. höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos- sen. Ich will zum Schluss – das ist mir ein persönliches Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: (B) Bedürfnis – meinen Dank für die gute Zusammenarbeit (D) in diesem Beirat ausdrücken, der – das wurde schon ge- Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, sagt – mit 20 ordentlichen und 20 stellvertretenden Mit- SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gliedern ein großes Gremium ist. Die Arbeit war konsens- Humanitäre Katastrophe in Sri Lanka verhin- orientiert, aber mehr noch vertrauensvoll. Es war gut, in dern diesem überparteilichen Gremium arbeiten zu können, – Drucksache 16/12869 – auch wenn wir nicht so tun dürfen, als ob das sozusagen das alleinige Handlungsprinzip eines Parlaments sein Hierzu soll eine halbe Stunde debattiert werden. – könnte. Streit gehört auch dazu. Wir haben uns gelegent- Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so be- lich auch gestritten, aber in diesem Gremium stand eben schlossen. nicht der Streit, sondern die Konsenssuche im Vorder- Ich eröffne die Aussprache. Als Erstem erteile ich das grund. Wort Johannes Jung für die SPD-Fraktion. Ich bedanke mich beim Sekretariat des Beirats, und (Beifall bei der SPD) ich bedanke mich bei der Bundesregierung und all den Mitarbeitern, angefangen beim Chef des Kanzleramts, Johannes Jung (Karlsruhe) (SPD): Herrn de Maizière; ich habe ihn bereits genannt. Stell- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und vertretend für die anderen Ressorts darf ich die Staats- Herren! In Sri Lanka spielen sich grausame Szenen ab, sekretärin im Umweltministerium, Astrid Klug, nennen, und die eigentliche Katastrophe steht möglicherweise weil sie in der letzten Wahlperiode eben auch Vorgänge- noch bevor. Der seit 25 Jahren andauernde, gewaltsam rin in diesem Amt als Vorsitzende dieses Beirats war. ausgetragene Konflikt zwischen der Regierung und den Bei vielen anderen Häusern dürfen wir uns ebenso für sogenannten Befreiungstigern tritt offenbar in seine mili- die Zusammenarbeit bedanken. tärische Endphase ein. Ein sofortiger humanitärer Waf- Ich danke dem Nachhaltigkeitsrat mit seinem Sekre- fenstillstand, wie ihn auch Außenminister Frank-Walter tariat, der bei diesem Thema eine wichtige Scharnier- Steinmeier fordert, ist daher die dringendste unserer For- stelle zwischen der Gesellschaft und der Politik ist, und derungen. den vielen Verbänden und Initiativen, die sich dem (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Thema Nachhaltigkeit verpflichtet haben. der CDU/CSU und der FDP) Ich habe diese Arbeit im Parlamentarischen Beirat ne- Sri Lanka ist eine dieser paradoxen Gegenden der ben der Arbeit im Hinblick auf einige andere Themen, Welt, in denen einerseits ein Krieg stattfindet – mit bis- 24052 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Johannes Jung (Karlsruhe) (A) her rund 70 000 Toten – und andererseits mit Tourismus für ehemalige Kindersoldaten das Wohl des Kindes nach (C) Geld verdient wird; schätzungsweise waren dies UN-Kinderrechtskonvention im Vordergrund stehen. 400 Millionen US-Dollar im letzten Jahr. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Bekanntlich konzentrieren sich die Kämpfe mittler- FDP) weile auf ein relativ kleines Gebiet im Nordosten. Wie Ehemalige Kindersoldaten sind in erster Linie als Opfer immer sind es Zivilisten, die in der Schusslinie stehen. zu betrachten. Gerichtliche Verfahren müssen im Ein- Das gilt insbesondere jetzt. Die Zahl der Schwerverletz- klang mit der UN-Kinderrechtskonvention stehen. ten steigt von Tag zu Tag. Im Kriegsgebiet ist die huma- nitäre Lage katastrophal, eine Versorgung mit Wasser, (Christoph Strässer [SPD]: Sehr richtig!) Nahrung und Medikamenten praktisch nicht vorhanden. Hilfe kann es nur von außen geben. Deshalb fordern wir Ein weiteres Problem betrifft die Lage der Presse im die völlige Kooperation der Kriegsparteien bei der Ver- Lande insgesamt. Nicht nur Hilfsorganisationen, son- sorgung und Evakuierung der Zivilbevölkerung. Wir dern auch Journalistinnen und Journalisten muss Zugang wissen um die Schwierigkeiten bei der Durchsetzung zu den umkämpften Gebieten gewährt werden. In die- solcher Forderungen. Ich glaube aber, es ist angesagt, sem Zusammenhang möchte ich unseren Respekt gegen- diese Forderung zu erheben – im Sinne der Menschlich- über dem bisherigen deutschen Botschafter in Sri Lanka keit und im Sinne des humanitären Völkerrechts. zum Ausdruck bringen. Herr Botschafter Jürgen Werth nahm kürzlich demonstrativ an der Beerdigung des er- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie mordeten Herausgebers des Sunday Leader, Herrn bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- Lasantha Wickrematunge, teil und hielt dort eine Rede, NISSES 90/DIE GRÜNEN) die ihm bei den offiziellen Stellen in Sri Lanka und bei der regierungstreuen Presse – das war absehbar und kei- Es besteht die Gefahr, dass Auffanglager für Flücht- nesfalls das erste Mal – viel Ärger einbrachte. Die deut- linge zu Dauereinrichtungen werden, um die tamilische sche Diplomatie macht offensichtlich eine gute Arbeit. Bevölkerung dort besser kontrollieren zu können. Des- Das verdient unsere Hochachtung. halb muss die Regierung Sri Lankas alles daransetzen, die Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimatregionen zu (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP ermöglichen. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) In dem gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, SPD, Ganz in diesem Sinne fordern auch wir eine unabhän- FDP und Bündnis 90/Die Grünen wird die Lage richtig gige Untersuchung von Kriegsverbrechen, was allen am eingeschätzt und werden die richtigen Forderungen ge- Konflikt beteiligten Seiten – das ist anderenorts genauso – (B) (D) stellt. Ich will diese hier nicht im Einzelnen vortragen, schwerfallen wird. sondern auf einige Punkte aufmerksam machen, die in Wir fordern den Stopp von Waffenlieferungen sowie der Öffentlichkeit weniger stark wahrgenommen wer- die Überprüfung von Zollpräferenzen – sie müssen von den. An dieser Stelle sollte gesagt werden, dass die Be- der Einhaltung der Menschenrechte abhängig gemacht richterstattung in den deutschen Medien in den letzten werden – und setzen uns bei der Weltbank für die Aus- Wochen und Monaten eigentlich sehr gut war und ein setzung von Entwicklungskooperationen mit Sri Lanka ungeschöntes, höchst kundiges Bild von der Lage in Sri ein, die nicht als humanitäre Hilfe gelten. Um es kurz Lanka und den Hintergründen vermittelt hat. Dadurch ist zusammenzufassen: Sri Lanka ist von Good Governance es der breiten Öffentlichkeit möglich, sich recht gut zu weit entfernt. informieren. Letztlich führt kein Weg an gemeinsamen Bemühun- Einer der Punkte, auf die ich aufmerksam machen gen der internationalen Gemeinschaft um eine politische möchte, weil sie in der Berichterstattung nicht die Rolle Lösung des Konflikts vorbei, weil eine militärische Lö- spielen, die sie eigentlich spielen sollten, ist die Lage der sung – wie immer – nicht zu erreichen ist. Deshalb er- Kinder, die als sogenannte unbegleitete minderjährige geht die Aufforderung zur Mitwirkung an Indien, Pakis- Flüchtlinge auf sich allein gestellt sind. Die Lage dieser tan, Russland, China und Japan. unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge muss uns ganz besonders alarmieren. Sie sind stark durch Misshand- Zum Schluss komme ich kurz auf das – meiner An- lung und Missbrauch gefährdet. Sie sollten unbedingt re- sicht nach – Standardproblem unserer Zeit zu sprechen, gistriert werden, um irgendwann eine Rückführung zu das auch in Sri Lanka auf so schreckliche Art und Weise ihren Familien und Angehörigen zu ermöglichen. Wir in zutage tritt. Im Falle Sri Lankas geht es wie in anderen Deutschland kennen die Debatte um solche Kinder Krisenregionen darum, multinationale Gesellschaften – häufig einfachere Fälle, die unter einfacheren Bedin- und Staaten verträglich, tolerant, am besten demokra- gungen auftraten – zur Genüge und wissen um die tisch zu organisieren. Dazu braucht es die Einbeziehung Schwierigkeit. aller Bevölkerungsgruppen. Grundbedingung dafür ist der Respekt vor den Menschen- und Bürgerrechten eines Ferner gibt es eine große Zahl von Kindersoldaten un- jeden einzelnen Menschen unabhängig von seiner Zuge- ter den Kämpferinnen und Kämpfern der sogenannten hörigkeit zu der einen, der anderen, der dritten oder der Befreiungstiger. Sie sind Opfer und Täter zugleich. Sie übernächsten Bevölkerungsgruppe. In Sri Lanka sind sind – so ist zu vermuten – meist schwer traumatisiert. wir von der Erfüllung dieser Bedingung nicht nur im Gemäß den Pariser Prinzipien vom Februar 2007 muss Hinblick auf die Tamilen weit entfernt. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24053

Johannes Jung (Karlsruhe) (A) Darüber hinaus könnte die Schaffung föderaler Struk- schen Befreiungstiger als auch die sri-lankische Regie- (C) turen in der Tat ein Baustein der längerfristigen Befrie- rung verantwortlich. Der Konflikt hat sich in den letzten dung und des Ausgleichs in Sri Lanka sein. Dabei erlie- Monaten zugespitzt und scheint sich seinem militäri- gen wir in Deutschland gern der Versuchung, unseren schen Ende zu nähern. Allerdings wird auch nach einem auch nicht sehr erfolgreichen Föderalismus als Modell militärischen Sieg eine politisch stabile Lösung kaum anzupreisen. möglich sein. Zu tief ist die Kluft zwischen der Mehrheit der Singhalesen und der tamilischen Minderheit in Sri Es ist gut und richtig, dass Deutschland, der Deutsche Lanka. Es ist zu befürchten, dass die LTTE-Kämpfer aus Bundestag und die Bundesregierung, in diesem Falle, in dem Untergrund weiterkämpfen und den Konflikt auf dem wir kurz vor der ganz großen Katastrophe stehen, anderer Ebene weiter schüren. mithelfen will. Jetzt hat der Schutz der drangsalierten Zi- vilisten Priorität; aber ohne politische Lösung wird es Wir müssen den Druck auf die Regierung in Colombo keinen Frieden geben. Wir sind bereit, an einer politi- also dringend erhöhen, und zwar mit dem Ziel, die lei- schen Lösung mitzuwirken. dende Zivilbevölkerung zu schützen. Die Regierung muss es den Menschen ermöglichen, in Gebiete außer- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. halb der Kampfzone zu gelangen. Außerdem muss sie (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP dafür sorgen, dass für die Zivilbevölkerung ausreichend und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nahrung und Unterkünfte zur Verfügung stehen. All dies geschieht nicht. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der UNHCR hat zuletzt am 28. April 2009 erklärt, Harald Leibrecht spricht jetzt für die FDP-Fraktion. dass die Flüchtlingscamps im Norden und Osten von Sri (Beifall bei der FDP) Lanka völlig überfüllt sind. Die Regierung in Colombo muss die internationalen Hilfsorganisationen endlich da- bei unterstützen, das Leid der Zivilbevölkerung zu lin- Harald Leibrecht (FDP): dern. Solange sie das nicht tut, müssen wir von unserer Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Seite deutlich machen, dass Europa und die Welt das Herren! Wir debattieren heute zum zweiten Mal inner- menschenverachtende Gebaren beider Seiten nicht ak- halb kurzer Zeit über die humanitäre Katastrophe in Sri zeptieren. Lanka. Dabei bin ich sehr froh, dass dieses Mal vier Fraktionen in diesem Hohen Haus einen gemeinsamen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Antrag vorlegen, der der Dringlichkeit der Ereignisse in der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- Sri Lanka gerecht wird. SES 90/DIE GRÜNEN) (B) (D) Ich habe in meiner Rede vor gut einem Monat hier Ein zentraler Ansatz von internationaler Seite muss gesagt, dass die Berichte und Bilder, die man aus Sri das Ende von Waffenlieferungen nach Sri Lanka sein. Lanka und den Flüchtlingscamps erhält, absolut scho- Gleichzeitig müssen wir uns darüber Gedanken machen, ckierend sind. Leider hat sich die Lage seither weiter mit welchen langfristigen politischen Lösungen es nach verschlechtert. Mit roher Gewalt und erschreckender einer Beendigung des gewaltsamen Konflikts in Sri Brutalität gehen Militär und tamilische Rebellen aufei- Lanka weitergehen kann. Wie stellt sich die sri-lankische nander los und nehmen dabei keine Rücksicht auf die Regierung das Zusammenleben mit der tamilischen Min- Zivilbevölkerung. Seit Januar dieses Jahres sind insge- derheit nach einem militärischen Sieg über die Befrei- samt etwa 190 000 Menschen aus den umkämpften Ge- ungstiger vor? Die Regierung Sri Lankas muss hierzu bieten geflohen; 115 000 davon alleine seit dem ein schlüssiges und menschenwürdiges Konzept vorle- 20. April. gen. Die tamilische Bevölkerung in kasernierten Wehr- dörfern anzusiedeln, wie es jetzt von vielen Hilfsorgani- Die tamilischen Rebellen der LTTE sind auf einem sationen befürchtet wird, ist keine Alternative. winzigen Küstenstreifen eingekesselt, und die sogenann- ten Befreiungstiger benutzen die Zivilbevölkerung als Beim IWF wird derzeit über Kredite für Sri Lanka Schutzschild und töten jeden, der aus der Kampfzone verhandelt. Die Einhaltung von Menschenrechtsstan- fliehen will. Die Regierung wiederum schießt auf alles, dards gegenüber allen Bevölkerungsgruppen in Sri was sich bewegt, und nimmt dabei auch keine Rücksicht Lanka sollte eine Mindestbedingung für die Vergabe sol- auf die Flüchtlinge. Entgegen Äußerungen der Regie- cher Kredite sein. Die Europäische Union und Deutsch- rung in Colombo werden dort nach wie vor schwere land müssen gegenüber Colombo geschlossen auftreten Waffen eingesetzt. und deutlich machen, dass uns die Menschenleben in diesem Konflikt, der in den letzten vier Monaten mehr Laut den Vereinten Nationen sind seit Februar 2009 Opfer gefordert hat als zum Beispiel die Auseinanderset- etwa 6 500 Zivilisten getötet worden; darunter waren zungen in Afghanistan und Pakistan zusammen – sie 500 Kinder. Unter den 14 000 Verwundeten sind schät- sind schrecklich genug –, nicht egal sind und dass wir zungsweise 1 700 Kinder. Es sind also einmal mehr hier handeln müssen. – Kollege Jung hat es gerade eindrucksvoll geschildert – die Schwächsten in der Gesellschaft, die unter diesem Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. Konflikt leiden. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Derzeit erleben wir in Sri Lanka ein abscheuliches der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- Spiel mit Menschenleben. Dafür sind sowohl die tamili- SES 90/DIE GRÜNEN) 24054 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Allerdings müssen wir auch feststellen, dass sich die (C) Der Kollege Jürgen Klimke hat jetzt das Wort für die westlichen Nationen sehr lange stark zurückgehalten ha- CDU/CSU-Fraktion. ben, wenn es um Sri Lanka ging, auch deshalb, weil sie gar nicht so recht wussten, wo Sri Lanka überhaupt liegt Jürgen Klimke (CDU/CSU): und welche strategischen Fragen mit der dortigen Situa- tion verbunden sind. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Kollegen Jung und Leibrecht haben die dramatische Si- All dies geschah vor dem Hintergrund, dass momen- tuation in Sri Lanka schon sehr eindrücklich geschildert. tan 50 000 tamilische Flüchtlinge, die als menschliche Lassen Sie mich einige persönliche Bemerkungen ma- Schutzschilde missbraucht werden, in einem 5 Quadrat- chen, die auf eine Reise nach Bali zurückgehen, die die kilometer großen Gebiet in Sri Lanka zusammengepfercht Kollegin Kortmann und ich zur Jahrestagung der ADB, sind, umzingelt von einem mörderischen Vernichtungs- der Asiatischen Entwicklungsbank, unternommen ha- krieg. Augenzeugen beschreiben, dass die staatliche Ar- ben. mee auf alles schießt, was sich bewegt. Sie berichten von zerfetzten Kinderleichen, von Menschen, die seit Wo- Als wir am letzten Montag dort waren, haben wir chen in Erdlöchern hausen, und von Rebellen, die auf auch Vertreter der Regierung Sri Lankas getroffen, um fliehende Zivilisten schießen. Die Kriegführung der Ar- ihnen mitzuteilen, dass wir heute im Deutschen Bundes- mee Sri Lankas ist für uns absolut verwerflich. Dieser tag einen Antrag zur humanitären Katastrophe in Sri widerwärtige Krieg ist nicht nur zu verurteilen, sondern Lanka debattieren. Wir haben mit ihnen über diesen An- er muss auch sofort gestoppt werden. trag diskutiert und über die Situation in Sri Lanka sowie über unsere politische Einschätzung der Lage gespro- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP chen. Wir haben versucht, dafür zu sorgen, dass die Zu- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie sagen der ADB und der Weltbank an Sri Lanka zunächst bei Abgeordneten der LINKEN) einmal nicht verlängert werden, es sei denn, es werden Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch bestimmte Voraussetzungen erfüllt. bezeichnet das Vorgehen der Armee Sri Lankas als per- Die Antwort des Verhandlungsführers von Sri Lanka versen Endkampf. Es handelt sich um einen perversen war absolut inakzeptabel. Uns wurde gesagt, unsere De- Krieg, den intime Kenner der Situation in Sri Lanka legation würde sich in die inneren Angelegenheiten ei- schon vor langer Zeit haben kommen sehen. Inzwischen nes freien und unabhängigen Staates einmischen, dauert er schon ein Vierteljahrhundert, und er wird noch einmal so lange dauern, wenn die Minderheitenrechte (Harald Leibrecht [FDP]: Das ist zynisch!) der Tamilen in Zukunft weiterhin nicht geachtet werden (B) und wir Deutschen hätten aus unserer Geschichte offen- und wenn die Tamilen nach wie vor ihrem Traumgebilde (D) sichtlich nichts gelernt. Denn wer hätte sich um die Op- eines souveränen Staates nachgehen. fer der Gestapo gekümmert? Wer hätte sich um die Men- Meine Damen und Herren, in den letzten 25 Jahren schen, die an der Mauer ums Leben gekommen sind, sind in diesem Krieg 70 000 Menschen getötet worden, gekümmert? Darüber sei hierzulande nicht diskutiert die Hälfte davon in den letzten zwei Jahren und 7 500 in worden. Insofern sei unsere Einmischung in die Angele- den ersten drei Monaten dieses Jahres. Diesen Zahlen genheiten Sri Lankas völlig inakzeptabel. Wenn man so liegt ein Gemisch aus vergiftetem kolonialen Erbe, Natio- zynisch, anmaßend und ignorant behandelt wird, wenn nalismus und militärischem Größenwahn zugrunde, das man sich für Menschen einsetzt, wie wir es versucht ha- wir aus Ruanda, aus Kenia, aber auch aus Bosnien ken- ben, ist das eine Frechheit. Dieses Verhalten hat auch nen. dazu geführt, dass wir das Gespräch nicht weitergeführt haben. Wir, die Weltgemeinschaft, sprechen im Fall Sri Lanka – ich wiederhole mich – immer noch nicht mit ei- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP ner Stimme. Das kann nicht sein. Insofern begrüßen wir und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) den Antrag, der hier auf Bundestagsebene, auf dieser politischen Bühne, vorgelegt wird, ausdrücklich. So große geschichtliche Ignoranz und so viele Unwahr- heiten in einem direkten Gespräch habe ich selten erlebt. Die Tragik dieses Krieges liegt darin begründet, dass beide Seiten schon immer diesen Konflikt erst dann als Meine Damen und Herren, in diesem Gespräch ist gelöst ansehen wollen, wenn die andere Seite total ver- noch etwas deutlich geworden, etwas, was wir nicht nur nichtet ist. Verhandlungen und strategisches Auf-den- in Asien, sondern auch auf der Weltbühne beobachten anderen-Zugehen gab es nie. Die Religion der Singhalesen können: Staaten haben verschiedene Eigeninteressen. So spielt bei dem Konflikt eine entscheidende Rolle: Der gibt es die Eigeninteressen der asiatischen Staaten, die buddhistische Klerus der Singhalesen predigt nicht Ge- Waffenhandelsinteressen Chinas und Pakistans, die geo- waltfreiheit, ganz im Gegenteil: Er predigt einen aggres- strategischen Interessen Russlands und Indiens und die siven Chauvinismus gegenüber den hinduistischen Ta- leisen diplomatischen Bemühungen Japans. Diese ver- milen. schiedenen Eigeninteressen haben zur Folge, dass es eine geschlossene Haltung zur Situation in Sri Lanka Für die Gegenseite ist festzustellen: Dieser Krieg ist nicht gibt und dass es uns nicht gelang, unsere Forderun- für die LTTE zum Selbstzweck geworden. Mit der Tak- gen über die ADB und die Weltbank durchzusetzen. Das tik von Selbstmordattentaten wollen sie einen souverä- ist ein sehr schlechtes Signal. nen Staat erreichen. Dieses Vorgehen ist zu verdammen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24055

Jürgen Klimke (A) Wie wir gehört haben, mordet die LTTE, bildet Kinder- fördern. Es gibt Beispiele, dass so etwas funktioniert. (C) soldaten aus und bringt friedliche tamilische Parteien Nordirland ist ein Beispiel dafür. Auch Aceh in Nordin- zum Schweigen. Einen gewaltfreien politischen Flügel, donesien ist ein Beispiel dafür, dass die Situation ver- sozusagen ein Pendant zur irischen Sinn Féin, haben sie nünftig wird, wenn alle es wollen. aus kriegstaktischen Gründen nicht gegründet und versu- Aber hier ist die Situation jetzt völlig anders. chen das auch nicht.

Am schlimmsten ist dieser Krieg aber für die unbetei- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: ligten Menschen auf Sri Lanka. Das Land ist fast bank- Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen. rott. Die Regierung ist korrupt. Der Beamtenapparat ist aufgeblasen. Eine wirtschaftliche Weiterentwicklung des Jürgen Klimke (CDU/CSU): Landes ist schwer möglich. Armee und Polizei lassen in Ich will noch einmal auf den Antrag verweisen und den von der LTTE „befreiten“ Gebieten regelmäßig eine abschließende Bemerkung machen. Aus einer Traum- Menschen verschwinden und terrorisieren in den Städten insel ist ein Trauma geworden. Deswegen halte ich es für kritische Bürgerrechtler, Anwälte und Journalisten. richtig, dass es nach wie vor eine Reisewarnung des Sri Lanka ist ein typischer Failing State geworden. In Auswärtigen Amtes gibt. Ich hoffe, viele Deutsche neh- diesem Licht ist zu sehen, was aus der Vermittlerrolle men diese Reisewarnung ernst. Denn es geht dort nicht Norwegens geworden ist und was die Einrichtung der Sri mehr um Urlaub und Tourismus, sondern um Menschen- Lanka Monitoring Mission gebracht hat sowie dass die rechte. sogenannten Tokyo Co-Chairs aufgelöst und dass westli- Herzlichen Dank. che Botschafter ausgewiesen wurden. Der deutsche Bot- schafter ist freiwillig ausgereist, nachdem er auf die (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP Frage der Pressefreiheit aufmerksam gemacht hatte – für und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mich ein ungeheuerlicher Vorgang. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE Michael Leutert ist der nächste Redner für die Frak- GRÜNEN) tion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Menschenrechtsverletzungen werden kaum oder gar nicht aufgeklärt. Die von der internationalen Gemein- schaft beauftragte ehemalige Hochkommissarin der Ver- Michael Leutert (DIE LINKE): (B) einten Nationen hat schon 2007 bei einem Besuch auf Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (D) die Situation der Menschenrechte auf Sri Lanka hin- Ich stelle gleich zu Beginn fest: Bei diesem Thema wer- gewiesen. Dennoch hat sich dort nicht viel getan. Die den wir uns inhaltlich sicherlich nicht zerstreiten. bewaffneten Befreiungstiger der LTTE, die Karuna- (Beifall des Abg. Burkhardt Müller-Sönksen Gruppe und andere Gewaltgruppen auf Sri Lanka versto- [FDP]) ßen massiv gegen die UN-Charta und gegen die dort ver- ankerten Menschenrechte: Sie töten Menschen, sie ver- Fakt ist: In Sri Lanka tobt seit 25 Jahren ein blutiger gewaltigen Frauen. Es wäre übrigens ein Trugschluss, zu Bürgerkrieg, der zulasten der Zivilbevölkerung geführt glauben, dass die Tamilen vor der LTTE, also vor ihren wird. Fakt ist aber auch, dass dieser Krieg die meiste eigenen Blutsbrüdern, geschützt sind. Niemand ist ir- Zeit außerhalb des öffentlichen und auch unseres eige- gendwo sicher, das ist die Situation auf Sri Lanka. nen Bewusstseins stattfindet. Genau wie die EU fordern wir als Unionsfraktion eine Es gehört zum einen zu einem ehrlichen Umgang mit sofortige Beendigung der Menschenrechtsverletzungen dem Thema, nach den Gründen dafür zu fragen. Zum an- und die Wiedereinführung humanitärer Grundstandards. deren muss man die Geschichte kennen, wenn man an Dieses Ziel hat eine humanitäre und eine entwicklungs- einer langfristigen Lösungsstrategie interessiert ist. Bei- politische Dimension, die ich mit den folgenden Punkten des ist zwar nicht das Thema, um das es heute geht, aber noch einmal ansprechen möchte. es gehört meines Erachtens trotzdem dazu, darauf hinzu- weisen, dass Europa nicht bloß eine humanitäre Verant- Zur Entwicklungspolitik. 2007 haben wir unsere Gel- wortung hat, wie sie für alle Staaten gilt, sondern dass der gestoppt. 30 Millionen Euro für 2008 liegen noch auf wir auch eine Verantwortung haben, die in der Kolonial- Eis. Dieses Geld kann natürlich nicht ausgezahlt werden. zeit begründet ist, weil dieser Konflikt damals maßgeb- Ein abgedrehter Geldhahn ist die einzige Sprache, die lich verschärft wurde. die derzeitige Regierung Sri Lankas versteht. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE In den letzten Monaten ist der Konflikt eskaliert. Zwi- GRÜNEN) schen der LTTE und den Regierungstruppen ist eine enorme Gewalt entfesselt worden, die keine Rücksicht In anderer Beziehung müssen wir, allerdings unter- mehr auf die Zivilbevölkerung nimmt. Aus diesem halb der Schwelle bilateraler Beziehungen, engagiert Grund ist der Antrag völlig zu Recht darauf fokussiert, bleiben. Wir müssen mit Konfliktstrategien den Willen dass eine noch schlimmere humanitäre Katastrophe ver- zum Dialog und zur Achtung der Rechte des Gegenübers hindert werden soll. 24056 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Michael Leutert (A) Der Begriff der humanitären Katastrophe ist manch- Ich hoffe, es ist allen klar: Wenn es um eine humani- (C) mal umstritten oder etwas unklar. In diesem Fall ist er es täre Katastrophe geht, dann ist es wirklich ernst. Wir ma- definitiv nicht. Weil die Menschen, die vor dem Krieg chen aus diesem Grund Ihr Spielchen nicht mit und wer- fliehen, unter Generalverdacht gestellt werden, Aufstän- den diesem Antrag trotzdem zustimmen. dische zu sein, kann man die Flüchtlingslager zu Recht (Beifall bei der LINKEN) als Internierungslager bezeichnen. Denn der Zugang zu rechtsstaatlichen Verfahren ist nicht gewährleistet, und menschenrechtliche und insbesondere humanitäre Min- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: deststandards werden nicht mehr eingehalten. Jetzt spricht Kerstin Müller für Bündnis 90/ Die Grünen. Vor diesem Hintergrund sind die in dem Antrag erho- benen Forderungen vernünftig und richtig. Selbstver- Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ständlich sind auch wir Linken dafür, dass sich die Bun- NEN): desregierung für einen sofortigen Waffenstillstand Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! einsetzen soll. Auch wir Linken fordern, dass die Bun- Ich will gleich zu Beginn klar sagen: Es ist gut, dass wir desregierung auf die Einhaltung der humanitären Min- heute, ausgehend von einem Antrag der Grünen, einen deststandards drängen soll, und auch wir Linken fordern, gemeinsamen, interfraktionellen Antrag zur aktuellen dass sie sich dafür einsetzen soll, dass die Zivilbevölke- Lage in Sri Lanka beschließen. Ich will für meine Frak- rung schnellstmöglich evakuiert und Zugang zu den tion sehr deutlich sagen: Ich finde es bedauerlich und ei- Flüchtlingslagern gewährt wird. gentlich auch albern, dass es selbst nach vier Jahren (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- noch immer nicht möglich ist, die Linke bei einer sol- neten der SPD) chen Sache einzubinden. Wir finden das falsch. Insgesamt sind in dem Antrag 14 Forderungen formu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN liert. Weil sie vernünftig und richtig sind, werden wir und bei der LINKEN – Christoph Strässer dem Antrag selbstverständlich zustimmen. [SPD]: Ihr habt aber auch kein Signal dafür gegeben!) In diesem Rahmen müssen allerdings auch zwei Fra- Wir brauchen jetzt ein Signal der Geschlossenheit; gen erlaubt sein. Erstens. Wenn wir uns in diesem Hause denn noch immer gehen die Kämpfe in aller Härte wei- in diesen Fragen einig sind, frage ich mich, warum die ter; die Kollegen Vorredner haben es bereits dargelegt. CDU/CSU- und die SPD-Fraktion dem Antrag der Lin- Tausende sind bereits getötet worden. Zehntausende be- ken auf einen sofortigen Abschiebestopp für Flüchtlinge finden sich noch immer auf der Flucht und sind nach (B) aus Sri Lanka, der vor zwei Monaten in den Fachaus- (D) Wochen des Dauerbombardements am Ende ihrer schüssen behandelt wurde, nicht zugestimmt haben. Kräfte. Wirklich fürchterlich ist das, was man über die (Beifall bei der LINKEN – Christoph Strässer circa 50 000 Menschen – wie viele es genau sind, weiß [SPD]: Das haben wir hier im Plenum zusam- man nicht – hört, die auf einem winzigen Stück Land men beschlossen!) eingekesselt sind, in der Falle der Tamil Tigers sitzen und gleichzeitig von den Regierungstruppen beschossen Zweitens. Meine Fraktion war an dem interfraktionel- werden. Sie sind ohne Wasser, Nahrung und medizini- len Antrag nicht beteiligt. Was bringt Sie zu der Ansicht, sche Versorgung. Das Vordringlichste ist – es ist wichtig, dass wir diesem Antrag nicht zustimmen könnten? Es dass das in unserem Antrag steht –, dass die dortige Re- muss diese Annahme gegeben haben, sonst wäre jemand gierung eine humanitäre Waffenruhe eingeht, damit auf uns zugekommen. Dafür könnte es inhaltliche diese Zivilisten, die nicht verantwortlich gemacht wer- Gründe geben, aber es ist auch kein Geheimnis – das den können, die Kampfzone verlassen können. muss hier nicht erörtert werden –, dass die CDU/CSU nicht möchte, dass wir an solchen Anträgen zu humani- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, tären Fragen beteiligt werden. Dafür kann es verschie- bei der SPD und der LINKEN) dene Gründe geben. Das kann plumper Antikommunis- Ein weiterer Punkt ist ebenfalls sehr wichtig. Wenn mus sein. die Regierung fatalerweise auf den militärischen End- sieg setzt, dann muss sie – genauso wie die Tamil Tigers – (Zuruf von der FDP: Ihr seid doch gar keine wenigstens die Mindeststandards des humanitären Völ- Kommunisten!) kerrechts einhalten. Das ist die klare Botschaft, die wir, Es kann auch der Wunsch nach einem Feindbild oder der Deutsche Bundestag, heute nach Sri Lanka senden. auch die Tatsache sein, dass wir uns im Wahlkampf be- Außerdem müssen die Vereinten Nationen und die inter- finden. nationalen Hilfsorganisationen ungehinderten Zugang zur Kampfzone erhalten. Unabhängige Beobachter von Ich weise Sie darauf hin, dass Sie mit diesem Verhal- EU und UN müssen hineingelassen werden, genauso wie ten die Kraft des Antrags absolut schmälern. Denn es ist unabhängige Journalisten; denn bis heute haben wir im immer besser, wenn alle Fraktionen und nicht nur fast Grunde kein eigenes Bild von der Lage. Umso wichtiger alle Fraktionen einen solchen Antrag mittragen. ist, dass überhaupt berichtet wird. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Circa 180 000 Flüchtlingen ist die Flucht in soge- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nannte Wohltätigkeitslager – so drückt es die dortige Re- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24057

Kerstin Müller (Köln) (A) gierung aus; wir machen uns ihre Begrifflichkeit natür- Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) lich nicht zu eigen –, der Regierungen gelungen. NEN): Allerdings ist auch hier die Lage schwierig, weil selbst Ich komme zum Schluss. – Manchmal kommt es ei- dem UN-Flüchtlingshilfswerk kein uneingeschränkter nem so vor, als sei man hilflos. Ich glaube aber, dass das Zugang gewährt wird. Es gibt Berichte über verschwun- letztlich nicht der Fall ist. Nach dreijähriger Schlacht ist dene Personen und vieles mehr. Dieser Zustand ist völlig Sri Lanka ausgeblutet, auch finanziell. Das Land wird inakzeptabel. wieder auf uns zukommen, da es auf finanzielle Hilfe angewiesen sein wird. Daher ist es wichtig, dass die in- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ternationale Gemeinschaft an einem Strang zieht, indem bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeord- sie sagt: Wir werden nur Hilfe leisten, wenn Schritte auf neten der CDU/CSU) die Tamilen zu gemacht werden, und wenn versucht In einer solchen Situation ist es ein besonders wird, sich mit den Tamilen auszusöhnen. schlechtes Zeichen, wenn der UN-Sicherheitsrat nicht in (Beifall im ganzen Hause) der Lage ist, formell zusammenzukommen und ein kla- res Signal mit einer Resolution zu setzen. Auf Druck von China und Russland gab es bisher nur ein informelles Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Treffen. Das ist ein Offenbarungseid. Ban Ki-moon wird Ich schließe die Aussprache. jetzt vermutlich in die Region reisen. Aber wir sehen Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag – das ist bedauerlich –, dass selbst solche humanitären der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/ Anliegen den Machtinteressen zum Opfer fallen und die Die Grünen auf Drucksache 16/12869 mit dem Titel internationale Gemeinschaft nicht in der Lage ist, an ei- „Humanitäre Katastrophe in Sri Lanka verhindern“. Wer nem Strang zu ziehen. Dann könnte man vielleicht wirk- stimmt für diesen Antrag? – Gegenstimmen? – Enthal- samer helfen. tungen? – Damit ist der Antrag einstimmig angenom- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, men. bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Ab- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: geordneten der SPD) Beratung des Antrags der Abgeordneten Der französische und der britische Außenminister Wolfgang Wieland, Manuel Sarrazin, Marieluise sind leider gescheitert; das wurde bereits erwähnt. Es Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der soll noch einen Versuch der Troika geben. Ich hoffe, dass Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sie Erfolg haben wird, obwohl man pessimistisch sein Europäische Innenpolitik rechtsstaatlich ge- (B) muss. Rajapakse hat ein Zugeständnis gemacht und er- (D) klärt, auf Luftschläge und den Einsatz schwerer Waffen stalten zu verzichten. Aber auch das wird nicht eingehalten. Vor – Drucksache 16/11918 – wenigen Tagen wurde ein Notkrankenhaus bombardiert, Überweisungsvorschlag: und auch diejenigen, die der Hölle entfliehen konnten, Innenausschuss (f) berichten ganz eindeutig etwas anderes. Es ist sicherlich Rechtsausschuss gut, dass noch ein Versuch der Verständigung unternom- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union men wird. Wichtig ist aber auch, dass diejenigen, die Es ist verabredet, dazu eine halbe Stunde zu debattie- hinfahren, entsprechende Druckmittel in der Hand ha- ren. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so be- ben. Herr Leibrecht hat bereits den IWF-Kredit ange- schlossen. sprochen und geschildert, wie hervorragend man sich bei der Weltbank verhalten hat. Herr Klimke hat dann ge- Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem sagt, im Grunde genommen müsse alles versucht werden Kollegen Manuel Sarrazin für Bündnis 90/Die Grünen. und nur ein abgedrehter Geldhahn sei die Sprache, die die Regierung verstehe. Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die jet- Insofern bitte ich die Bundesregierung, an der Stelle zigen Zeiten sind große Zeiten der europäischen Innen- keine Zusage für die nächste Tranche beim IWF-Kredit, politik. Die Zukunftsgruppe für das Post-Haager-Pro- für die Verlängerung von Handelspräferenzen oder für gramm hat im Juni letzten Jahres ein Papier vorgelegt. Programme des Wiederaufbaus zu machen, wenn diese Im Juni dieses Jahres wird die Kommission eine Mittei- nicht an eine Verbesserung der Menschenrechtssituation lung über ihren Entwurf für das Stockholmer Programm gebunden sind. Sie sollten außerdem an unsere humani- vorlegen. Im Dezember soll dann in Stockholm verab- tären Forderungen gebunden sein, die da lauten: Waffen- schiedet werden, wie der Raum der Sicherheit, der Frei- stillstand, die Möglichkeit für die Zivilisten, die Zone zu heit und des Rechts in Zukunft gestaltet werden soll. verlassen, und langfristig friedliche Verhandlungen. Diese Forderungen müssen endlich seitens der Regie- Damit dieser Raum der Sicherheit, der Freiheit und rung erfüllt werden. des Rechts nicht nur ein hehres Ziel ist, legen wir mit unserem Antrag Maßgaben vor, zum Beispiel den Maß- (Beifall im ganzen Hause) stab, dass die Innenpolitik der Europäischen Union den Bedürfnissen, den Rechten und den Schutzrechten der Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bürgerinnen und Bürger genügen muss. Solange der Lis- Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen. sabonner Vertrag nicht in Kraft ist, haben wir, die natio- 24058 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Manuel Sarrazin (A) nalen Parlamente, die besondere Aufgabe, unsere Regie- rechten in der europäischen Rechts- und Innenpolitik be- (C) rungen, die im Rat relativ losgelöst über die Innenpolitik steht darin, dass das Parlament und der Europäische der Europäischen Union entscheiden können, zu kontrol- Gerichtshof endlich umfassender an der Politik, die dort lieren, sie aber auch durch Maßgaben auf die Schienen gemacht wird, beteiligt werden. zu bringen, auf denen wir sie haben wollen. Die Anlie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gen, Interessen und Rechte der Bürgerinnen und Bürger müssen der Maßstab der Innenpolitik sein. Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass die euro- päische Innenpolitik nicht nur unsere Bürgerinnen und Aus unserer Sicht wird diesem Maßstab bisher nicht Bürger betrifft, sondern auch die Menschen, die an den ausreichend Genüge getan. Grenzen der Europäischen Union mit Maßnahmen der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Europäischen Union oder „koordinierten Maßnahmen der Mitgliedstaaten“ in Berührung kommen. Wenn die Deswegen geben wir in unserem Antrag die Maßgabe Voraussetzungen beim Einsatz von FRONTEX im Mit- auf, die Trennungsgebote zu bewahren. Dazu zählen die telmeer und an anderen Grenzen immer noch so humani- Trennungsgebote zwischen geheimdienstlichen Aktivi- tär unzureichend sind wie zurzeit, dann können wir nicht täten und Polizei, zwischen Militär und Polizei und auch behaupten, Europa würde einen Raum der Sicherheit, zwischen Bund und Ländern, wenn es um Deutschland der Freiheit und des Rechts gewährleisten. geht. Dazu zählt natürlich auch das Trennungsgebot, dass die Innenpolitik nicht zu einem Mittel der Außen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – politik gemacht werden darf und dass die Außenpolitik Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Inhuman sind nicht für repressive innenpolitische Begründungen her- ja wohl die Schlepper und Schleuser!) halten darf. – Natürlich sind die Schlepper und Schleuser die Haupt- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegner. Aber solange die Staats- und Regierungschefs sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- oder die Innenminister nicht dafür sorgen, dass es ge- KEN) meinsame Leitlinien bei FRONTEX gibt, damit wenigs- tens ein Rechtsstandard in der Auslegung von Seerecht Wer einen europäischen Raum der Freiheit, der Si- für alle Mitgliedstaaten gilt, so lange dürfen Sie sich cherheit und des Rechts will, der muss dabei strengstens nicht hinter Schleppern und Schleusern verstecken. – auf den Datenschutz achten. Er muss darauf achten, dass Rahmenbeschlüsse und andere europäische Beschlüsse, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor allem in Bezug auf Datenbanken und grenzüber- sowie des Abg. Jan Korte [DIE LINKE]) schreitenden Informationsaustausch zwischen Sicher- Da es Zwischenrufe aus den Reihen der Unionsfrak- (B) heitsbehörden, datenschutzrechtlichen Maßstäben genü- (D) tion gibt, möchte ich eine ehrliche Bitte an Sie äußern: gen. Fangen Sie nicht im Europawahlkampf an, weil Sie (Zuruf von der FDP: Auf einmal!) Angst vor der Fünfprozenthürde haben, gegen – Zitat – schwarzafrikanische Asylanten zu stänkern! Polemisie- Vertraulichkeit, Zweckbindung und die Beschränkung ren und Polarisieren ist nicht gut für die Europäische der Zugriffsrechte dürfen nicht über die Hintertür Brüs- Union. sel ausgehebelt werden, so wie es Innenminister – auch deutsche Innenminister – leider immer noch zu gerne (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das haben tun. wir noch nie gemacht! – Gegenruf der Abg. Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN GRÜNEN]: Mein Name ist Hase! Ich weiß sowie des Abg. Jan Korte [DIE LINKE]) von nichts!) Aber auch die europäischen Agenturen wie Europol oder Damit machen wir Parolen von ganz rechts hier hoffä- auch mögliche zukünftige gemeinsame europäische Vor- hig. Lesen Sie die Aussagen von Herrn Ramsauer in der haben im Rahmen der Terrorbekämpfung müssen trans- Bild-Zeitung von Anfang dieses Monats. Ich finde, Sie parent sein und der parlamentarischen Kontrolle unter- sollten da aufpassen und sich diese Bitte zu Herzen neh- liegen. Wenn Sie dazu heute und in den kommenden men. Beratungen einen Beitrag leisten wollen, dann müssen Sie, meine verehrten Damen und Herren von den Koali- Vielen Dank. tionsfraktionen, unseren Antrag wenigstens mit Wohl- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen, wenn nicht mit purer Unterstützung begleiten. und bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vor dem Hintergrund, dass gestern der tschechische Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Senat den Lissabonner Vertrag dem Präsidenten zur Ra- Jetzt hat Stephan Mayer für die CDU/CSU-Fraktion tifizierung zugeleitet hat, sollten wir hier auch erwähnen, das Wort. dass es gerade für den Bereich der Justiz und der Innen- politik der Europäischen Union ein Meilenstein ist, Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): wenn dieser Vertrag endlich in Kraft tritt, trotz der fünf Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle- Jahre Aufschub, die sich die Innenminister noch erlau- ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Herr Kollege Sarrazin, ben können. Der wichtigste Schritt hin zu mehr Bürger- um es gleich vorweg zu sagen: Einen Gefallen werde ich Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24059

Stephan Mayer (Altötting) (A) Ihnen nicht tun. Die CDU/CSU-Fraktion wird den An- unverantwortlich und unredlich, so zu tun, als seien die (C) trag der Grünen weder wohlwollend begleiten noch ihm Themen Freiheit und Sicherheit sich widerstreitende zustimmen. Aspekte. Ganz im Gegenteil, wir können die schönsten Freiheitsrechte nur dann genießen und unsere liebge- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wonnene Freiheit nur dann vollumfänglich leben, wenn NEN]: Das wäre auch das erste Mal!) wir in Europa in einem Raum der Sicherheit leben. Dieser Antrag ist nämlich in höchstem Maße unverant- (Beifall bei der CDU/CSU) wortlich und unredlich, weil er ein Bild zeichnet, das nicht der Realität entspricht. Sie stigmatisieren die Ar- In diesem Papier wird ein solcher Gegensatz nicht darge- beit dieser Zukunftsgruppe und unterstellen, diese Arbeit stellt. Ganz im Gegenteil: Es wird deutlich gemacht, würde auf dem schnellsten Weg in ein inhumanes, ein dass die Freiheitsrechte gewährleistet werden müssen unmenschliches Rechtssystem auf europäischer Ebene und dass natürlich auch die wichtigen Themen Daten- führen. Dies trifft einfach nicht zu. schutz und Schutz der Privatsphäre in vollem Umfang zu beachten sind. Ich will die Historie bemühen. Um was geht es? Es geht darum, dass im Januar 2007 eine informelle Zu- Als zweite wichtige Herausforderung – das ist un- kunftsgruppe unter großer Beteiligung der Mitgliedstaa- streitig – müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass wir uns ten – federführend geleitet von der EU-Kommission – zunehmend in einer Bedrohungssituation befinden, die eingerichtet worden ist. Sämtliche Ratspräsidentschaften nicht mehr zwischen innenpolitischen Bedrohungen und der letzten Jahre und der kommenden Jahre waren ver- außenpolitischen Bedrohungen differenziert. Wir sind treten, um ein möglichst breites Spektrum von unter- nun einmal in einer asymmetrischen Bedrohungslage. schiedlichen Meinungen aufzunehmen. Diese Zukunfts- (Jan Korte [DIE LINKE]: Das sagen Sie! Ja!) gruppe hat im Juni letzten Jahres ihren Bericht unter der französischen Ratspräsidentschaft abgeschlossen und er- Dies wurde uns leider Gottes in den letzten Jahren zu hebt überhaupt keine Forderungen, geschweige denn häufig ganz deutlich vor Augen geführt. Ich denke nur macht sie konkrete Vorschläge für Rechtsetzungsmaß- an die schrecklichen Terrorangriffe am 11. März 2004 in nahmen. Es werden nur Diskussionen eröffnet, die mei- Madrid, die mehr als 140 Personen das Leben gekostet nes Erachtens notwendig sind. Wir sind beileibe nicht haben. Ich denke an die Terrorangriffe in London im Juli auf dem direkten Weg in ein inhumanes Rechtssystem 2005. Ich denke daran, dass es auch in Deutschland seit oder in eine inhumane Rechtsordnung auf europäischer dem 11. September 2001 insgesamt sieben entweder ver- innenpolitischer Ebene. Ganz im Gegenteil. eitelte oder gescheiterte Terrorangriffe gab. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass der islamistische internatio- (B) Es ist meines Erachtens sachgerecht und richtig, dass nale Terrorismus die größte Gefahr ist, die sich derzeit (D) sich die Innenpolitik auf unterschiedlichen politischen der zivilisierten Welt in Europa stellt, und darauf müssen Ebenen Gedanken macht, wie wir das Haager Pro- entsprechende Antworten gegeben werden. gramm, das im Jahr 2009 ausläuft, weiterentwickeln. Als dritte Herausforderung wird in diesem Bericht Es geht darum, sich Gedanken über das Stockholmer hervorgehoben, dass es darum geht, einen optimalen Da- Programm für die Jahre 2010 bis 2014 zu machen, was tenfluss zwischen den Strafverfolgungsbehörden inner- die europäische Innenpolitik anbelangt. Dieser Forde- halb der Europäischen Union zu gewährleisten, aber rungskatalog bzw. diese Zusammenstellung des Diskus- – und das ist mir ganz wichtig – unter Wahrung dieses sionsstandes ist meines Erachtens ein vollkommen um- hohen Datenschutzstandards, der mit Sicherheit noch fassender und sachgerechter Ansatz, dem in der Form ausbaufähig ist. auch zuzustimmen ist. Es ist wichtig, dass wir uns im Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ins- Bereich der europäischen Innenpolitik stärker darauf besondere liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grü- verständigen, dass es eines kohärenten, abgestimmten nen, Sie machen hier wirklich aus einer Mücke einen Ansatzes zwischen den unterschiedlichen politischen Elefanten. Ebenen bedarf: der nationalen Ebene, der europäischen Ebene und auch der regionalen Ebene. Europäische In- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE nenpolitik umfasst nun einmal Themen wie Migrations- GRÜNEN]: Nein!) politik, Zuwanderungspolitik, Grenzsicherung und das Thema Asylrecht – in diesem Zusammenhang sowohl Sie schwafeln hier davon – das ist meines Erachtens in die illegale Migration als auch die legale Migration –, höchstem Maße unverantwortlich –, wir seien in Europa vor allem aber auch die Bekämpfung des internationalen auf dem besten Wege nach Guantánamo, wenn diese Terrorismus. Diskussion weitergeführt wird. Ich halte das nicht für redlich, weil es einfach nicht zutreffend ist. Der Nukleus dieses Papiers besteht letztendlich aus (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- drei Herausforderungen. Um welche drei Herausforde- NEN]: Wir wollen das verhindern! – Manuel rungen geht es? Zum einen geht es darum – ich glaube, Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es das ist in vollem Umfang unterstützenswert –, das er- ist auch nicht zutreffend, wie Sie es hier dar- folgreiche europäische Modell fortzuführen. Es geht da- stellen!) rum, ein Gleichgewicht zwischen den Aspekten Mobili- tät, Sicherheit und Privatsphäre herzustellen. Um es ganz Ich möchte nur ein Zitat aus diesem Bericht vortragen, deutlich zu machen: Ich halte es in höchstem Maße für das meines Erachtens in herausragender Weise doku- 24060 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Stephan Mayer (Altötting) (A) mentiert, dass dem hohen Schutzstandard in Bezug auf Natürlich dürfen wir Deutsche keineswegs unseren (C) den Abgleich und den Austausch von Daten in Zukunft sehr hoch gehaltenen Trennungsgrundsatz aufgeben; auch auch nach Ansicht der europäischen Innenpolitik Rech- ich bin nicht der Meinung, dass wir diesen Grundsatz nung zu tragen ist. Ich zitiere: aufgeben sollten. Genauso wenig haben wir Deutsche oder hat die Europäische Union das Recht, den Italienern Um ein ausreichendes Schutzniveau zu erreichen vorzuschreiben, ihre Carabinieri – ihre Tätigkeit ist eine und im Zeitalter des Cyberspace zivile und politi- gewisse Verknüpfung von polizeilichen und militäri- sche Rechte zu gewährleisten, sind Technologien schen Aspekten – abzuschaffen, oder den Franzosen auf- zur Verbesserung des Datenschutzes ... unbedingt zuerlegen, ihre Gendarmerie aufzulösen. Wir werden erforderlich. keine dahin gehenden Forderungen aufstellen. Also ist das Gegenteil dessen der Fall, was Sie mit Ihrem Sie unterstellen hier Dinge, die einfach unzutreffend Antrag zu insinuieren versuchen, nämlich dass wir auf sind. Ich halte das für unredlich, sogar für gefährlich. dem besten Weg in einen Überwachungsstaat seien, in Deswegen kann Ihrem Antrag nur die Zustimmung ver- einen Staat à la George Orwell. Es wird hier deutlich ge- weigert werden. Dieser Antrag basiert auf einem alten macht, dass die hohen Datenschutzstandards natürlich in Papier: Wie ich erwähnt habe, ist es im Juni letzten Jah- vollem Umfang zu achten sind. res verabschiedet worden. Am 23. September letzten Genauso unverantwortlich ist Ihre Behauptung, wir Jahres ist es vom Bundesinnenminister im Innenaus- seien auf dem besten Weg, ein Feindstrafrecht zu schaf- schuss und im Europaausschuss vorgestellt worden. Es fen. Das ist nicht der Fall. Wir müssen einfach zur gab eine ausgiebige Diskussion darüber. Kenntnis nehmen: Die Bedrohungslage in Europa – nicht nur in Spanien und in England, sondern auch in Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Deutschland – hat sich geändert. Es ist deshalb unab- Herr Kollege! dingbar, dass die Strafverfolgungsbehörden in Europa stärker kooperieren. Sie können mir glauben: Ich als Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Vertreter der CSU bin zuallervorderst der Auffassung, Diese Diskussion kann gerne fortgeführt werden. dass die nationalen Kompetenzen – bei all diesen Bemü- hungen, stärker zusammenzuarbeiten – selbstverständ- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lich vollumfänglich zu achten sind. Die nationalen Straf- NEN]: Eben! Wir leisten einen Diskussions- verfolgungsbehörden müssen natürlich weiterhin die beitrag!) Herren des Verfahrens sein. Das heißt im Umkehrschluss Die Dinge, die Sie hier unterstellen, sind in vollem Um- aber nicht, dass man sich im Bereich von Europol, von (B) fang unredlich und unzutreffend. Deswegen ist diesem (D) Eurojust oder von Eurodac nicht stärker vernetzt – natür- Antrag in jeder Hinsicht eine Ablehnung zu erteilen. lich unter Wahrung sämtlicher hoher Datenschutzstan- dards und der Rechte der informationellen Selbstbestim- (Beifall bei der CDU/CSU) mung. Gegen eine stärkere Zusammenarbeit ist meines Erachtens nichts einzuwenden. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Der nächste Redner ist der Kollege Christian Ahrendt NEN]: Dagegen haben wir gar nichts, Herr für die FDP-Fraktion. Wir wünschen ihm für seine Rede Mayer!) ebenso viel Glück wie zu seinem heutigen Geburtstag. Unverantwortlich von Ihnen ist auch, dass Sie in Ih- (Beifall) rem Antrag unterstellen, die Expertengruppe fordere, dass es eine Aufweichung zwischen polizeilichen und Christian Ahrendt (FDP): militärischen Aspekten gibt. Danke schön. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehr- ten Damen und Herren! Lassen Sie uns eines vorweg (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- feststellen: Gestern hat Tschechien dem Vertrag von Lis- NEN]: Da ist Ihr Minister immer vorneweg!) sabon zugestimmt. Damit ist Europa ein ganzes Stück Das Gegenteil ist der Fall. Es wird keineswegs die For- weitergekommen. Der Vertrag von Lissabon bringt mehr derung aufgestellt, dass die Mitgliedstaaten paramilitäri- Sicherheit und mehr Freiheit im Raum der Sicherheit, sche Einheiten haben. Sie nehmen doch mit Sicherheit der Freiheit und des Rechts für Europa, den er stärken nicht im Entferntesten an – unter Ihnen sind einige, die soll. Entscheidend dabei ist, dass das EU-Parlament ge- mit Italien eine große Freundschaft pflegen –, dass die stärkt wird. Entscheidend ist auch, dass der Europäische deutsche Regierung oder eine europäische Institution Gerichtshof mehr Zuständigkeiten erhält. Beides dient Italien auffordern wird, die Carabinieri abzuschaffen. einem verbesserten Grundrechtsschutz. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Man muss an dieser Stelle eines ganz klar sehen: Der NEN]: Nein! Aber Sie wollen so etwas auch in Weg nach Europa ist ein Weg der Umwege. Wir hätten Deutschland aufbauen! Das ist das Problem!) uns eher den Verfassungsvertrag gewünscht. Stattdessen bekommen wir den Vertrag von Lissabon. Die Umwege, Es gibt einfach unterschiedliche Polizeitraditionen in die auf dem Weg zu einem geeinten Europa gegangen den 27 Mitgliedsländern. Diese unterschiedlichen Poli- werden, stehen für die Schwierigkeiten, mit denen wir in zeitraditionen sind zu achten und zu respektieren. der Innenpolitik zu kämpfen haben, und zwar aus dem Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24061

Christian Ahrendt (A) einfachen Grunde, weil die europäische Innenpolitik asymmetrische Sicherheitslage hingewiesen. Aber wir (C) eher durch den Rat als durch das Europäische Parlament als FDP sagen ganz klar: Den Bundeswehreinsatz im In- gemacht wird. Auf der europäischen Ebene konnten des- nern wird es mit der FDP nicht geben. wegen in den vergangenen Jahren eher Standards für Si- cherheit durchgesetzt werden als ein nachhaltiger (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Wolfgang Grundrechtsschutz. Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Michael Roth [Heringen] [SPD]: Mit uns auch (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nicht!) NEN]: Leider!) Es gibt einen Kritikpunkt im Antrag der Grünen, der Seit dem Aktionsplan für Terrorismus im Nachgang ein wichtiges Thema betrifft; die Mahnung richtet sich zu den Anschlägen vom 11. September 2001 sind in Eu- eher an uns selber. Wir dürfen uns nicht der Vorstellung ropa insgesamt 160 Einzelmaßnahmen umgesetzt wor- hingeben, dass mit dem Lissabon-Vertrag in Europa aus- den, die den Bereich der Polizei, der Visapolitik, des reichende Möglichkeiten für das Parlament und den Grenzschutzes und der Luft- und Seesicherheit betreffen. EuGH geschaffen werden, Schranken zu setzen. Ent- Was umgesetzt worden ist, wird fortlaufend weiterent- scheidend ist, dass das Parlament hier besser wird, sich wickelt. In diese Richtung geht auch das Konzept der um die innenpolitischen Themen auf europäischer Ebene Zukunftsgruppe, das wir heute zum Teil mit diskutieren. kümmert und im entscheidenden Moment – die FDP hat In derselben Zeit ist es aber noch nicht gelungen, Be- das gerade gestern vorgetragen – gemäß Art. 23 Grund- schuldigtenrechte in Europa fest zu installieren, was aber gesetz die Innenpolitik von hier aus mitbestimmt, damit nötig wäre, um dem, was an Sicherheit geschaffen wor- unser Parlament nicht zum Notar einer Innenpolitik den ist, auch einen entsprechenden Rechtsschutz aufsei- wird, die in Brüssel gemacht wird. ten der Bürger gegenüberzustellen. Das ist ein Nachteil. Das zeigt deutlich, wo die Probleme liegen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Wenn man das Konzept der Zukunftsgruppe liest – es (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten hat einen Umfang von ungefähr 50 Seiten –, dann er- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des kennt man, dass sich die Vorschläge mehrheitlich auf den Abg. Jan Korte [DIE LINKE]) Bereich der Sicherheit konzentrieren; in dem Papier wird aber nur sehr wenig zu den Rechtsschutzmöglichkeiten Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: gesagt, also dazu, wie ich meine persönliche Freiheit ge- Michael Roth hat jetzt das Wort für die Fraktion der genüber dem Zuwachs an Sicherheit in Europa und dem SPD. Zuwachs im Sicherheitsapparat selbst schützen kann. (B) Deswegen müssen wir an der Stelle klar sagen: Sicher- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (D) heit dient der Freiheit des Einzelnen – das ist richtig –, aber Sicherheit ist kein Selbstzweck. Michael Roth (Heringen) (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ Es dürfte innerhalb der Europäischen Union keinen Poli- DIE GRÜNEN) tikbereich geben, der in den nächsten Jahren so an Be- Ein Gewinn an Rechtsschutz für die Freiheit des Ein- deutung gewinnen wird wie der Innen- und Justizsektor. zelnen ist nicht zu erkennen; vielmehr scheint man auf Insofern bin ich den Kolleginnen und Kollegen der Grü- europäischer Ebene eher Dinge befördern zu wollen, die nen durchaus dankbar, dass sie uns die Gelegenheit ge- man in den nationalen Parlamenten nicht so durchsetzen ben, heute im Plenum des Deutschen Bundestages über kann, wie man das, insbesondere von den Regierungs- dieses Thema zu sprechen. So viel Selbstkritik muss fraktionen, an der einen oder anderen Stelle gern täte. sein: Es ist uns in den vergangenen Jahren sicher nicht gelungen, uns in diesem essenziellen Bereich parlamen- (Zuruf von der FDP: Richtig!) tarisch so einzubringen, wie es eigentlich erforderlich Im Konzept der Zukunftsgruppe kann man lesen, dass wäre. optimale Resultate bei der Terrorabwehr einen optimalen Wie das Geburtstagskind – meinen Glückwunsch! –, Austausch von Daten zwischen Polizei und Nachrichten- aber auch die anderen Kollegen schon gesagt haben, er- diensten erfordern. Das ist nichts anderes als die Forde- öffnet uns der Vertrag von Lissabon neue Möglichkeiten. rung nach Aufgabe des Trennungsgebotes auf europäi- Das sind aber nicht nur neue Rechte; ich verstehe das scher Ebene, weil man es in diesem Hause nicht durchaus auch als Pflicht, die parlamentarische Mitwir- durchsetzen könnte. kung auszubauen. Für mich ist das die Voraussetzung für (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ ein Mehr an Politikgestaltung auf europäischer Ebene im DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jan Korte [DIE Innen- und Justizbereich. LINKE]) Für uns eröffnen sich dabei zwei Chancen: Zum einen Erschreckend ist der Punkt 78 in dem Programm der wird durch den Vertrag von Lissabon das Europäische Zukunftsgruppe – das ist schon angesprochen worden –, Parlament in seinen Möglichkeiten gestärkt, und zum in dem gesagt wird, wenn auch ein bisschen verschlüs- anderen erhält der Deutsche Bundestag – wie auch die selt, man wolle die Zusammenarbeit von Polizei und Mi- anderen nationalen Parlamente – die Chance, frühzeiti- litär. Man will im Grunde genommen den - ger und umfassender auf diesen zentralen Politikbereich einsatz im Innern. Da wird wieder auf die berühmte einzuwirken. Das macht es erforderlich, dass uns die 24062 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Michael Roth (Heringen) (A) Bundesregierung, wie sie das bislang schon tut, frühzei- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (C) tig und bestmöglich informiert. Nur so können wir in BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) den Gremien, entweder im Ausschuss oder im Plenum, die Debatte darüber verantwortungsvoll führen. Man kann durchaus auch einmal darüber diskutieren, ob der Vorschlag der Europäischen Union diskussionswür- Mir scheint, dass in den vergangenen Jahren ein star- dig ist, dass für alle Menschen in Deutschland die glei- kes Gewicht auf die restriktiven Maßnahmen gelegt chen Mindestsozialleistungen gelten. Ein solcher Vor- wurde. Wir brauchen nur an das Tampere-Programm und schlag ist jetzt aus Brüssel auf unseren Tisch gekommen. das gegenwärtig noch in Kraft befindliche Haager Pro- Wer Humanität ernst nimmt und nicht nur als Sonntags- gramm zu denken, die unweigerlich vor dem Hinter- rede missbraucht, grund der schlimmen Terroranschläge nicht nur 2001 in (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Es geht um die den Vereinigten Staaten von Amerika, sondern auch in Aushöhlung des Dubliner Abkommens!) London und Madrid zu sehen sind. Diese haben dazu ge- führt, dass zum Teil mit großer Rasanz restriktive Maß- sollte zumindest einer ernsthaften Auseinandersetzung nahmen ergriffen worden sind. Sie sind nicht auf uns über diesen aus meiner Sicht wichtigen Punkt nicht aus herniedergegangen, sondern wir haben durchaus ver- dem Weg gehen. sucht, sie mit zu gestalten. Gleichwohl halte ich es für (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ mehr als berechtigt, die Frage zu stellen, inwieweit man DIE GRÜNEN) die beiden Prinzipien Sicherheit und Freiheit in eine aus- gewogene Balance bringen kann. In einem Punkt haben Sie sicherlich einen Fehler ge- macht, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen. Vizepräsident Barrot war kürzlich bei uns im Europa- Sie haben sich lediglich den Zukunftsbericht der Innen- ausschuss und hat die Eckpunkte des Stockholmer Pro- minister herausgesucht. Dies ist ein Diskussionsbeitrag, gramms präsentiert. Ich war insofern beruhigt, als ich der viele wichtige Aspekte beinhaltet. Aber Sie haben den Eindruck hatte, dass die EU-Kommission verstan- den entsprechenden Bericht der Justizminister völlig au- den hat, dass man nicht immer nur ein Mehr an restrikti- ßer Acht gelassen. Dies würde ich in der Diskussion ven Maßnahmen auf den Weg bringen kann, sondern über das Stockholmer Programm gern stärker zusam- sich auch gleichzeitig fragen muss, wie man die indivi- menführen. Dabei wird eines deutlich: In den meisten duellen Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürgern Mitgliedstaaten gibt es eine bewährte Trennung zwi- und die für alle geltenden Grundrechte innerhalb der Eu- schen der politischen Verantwortung für die Justizpolitik ropäischen Union in konkretes politisches Handeln gie- einerseits und die Innenpolitik andererseits. Auf der eu- ßen kann. Hier müssen wir am Ball bleiben und die neue ropäischen Ebene ist das leider nicht so. (B) EU-Kommission – viel wird sich in den nächsten Wo- (D) chen leider nicht mehr tun – in die Pflicht nehmen. Das (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Stockholmer Programm wird wohl noch vor Ende der NEN]: Richtig! Das muss geändert werden!) Legislaturperiode präsentiert werden. Aber leider wird Deswegen untermauere ich heute noch einmal unsere eine erste Beratung des Europäischen Parlaments vor Forderung, dass es in der neuen Kommission eine Tren- dem Hintergrund der späten Präsentation nicht mehr nung zwischen der Verantwortung für Innenpolitik und möglich sein; dies wird dann unsere gemeinsame Auf- der Verantwortung für Justizpolitik geben muss. Das gabe nach der Sommerpause sein. trägt dann vielleicht auch dazu bei, dass die von mir als schwierig bezeichnete Balance zwischen innerer Sicher- Viele Punkte sind auch hier zwischen den Fraktionen heit und Freiheit stärker und ausgewogener beachtet im Detail umstritten. Ich denke nur daran, was auf EU- werden kann. Ebene an Harmonisierung beim Umgang mit Migrantin- nen und Migranten, mit Asylbewerberinnen und Asylbe- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Wolfgang werbern erfolgen muss. Im Hinblick auf entsprechende Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Richtlinienentwürfe der EU liegen bereits die ersten De- Sie haben die europäische Gendarmerie angespro- battenbeiträge vor. Dieser Diskussion sollten wir uns chen. Auch da ermahne ich uns alle, argumentativ ein selbstbewusst stellen, weil es nicht darum gehen darf, wenig abzurüsten. Es geht hier um einen freiwilligen Zu- dass die Europäische Union Freiheitsrechte, soziale sammenschluss. Der Bundesrepublik Deutschland mit Rechte und Sicherheitsrechte durch die Hintertür auf- ihrer bewährten Trennungskultur wird hier überhaupt weicht. Wir müssen natürlich auch auf unsere Traditio- nichts vorgegeben oder gar vorgeschrieben. Deswegen nen aufbauen können. haben wir uns an der europäischen Gendarmerie auch (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist doch nicht beteiligt. In den Mitgliedstaaten der Europäischen genau andersherum! Sie machen den Asyl- Union gibt es unterschiedliche Rechtstraditionen und kompromiss kaputt! Sie müssen mal lesen, verschiedene Organisationsformen. Hier sollten wir die was da drinsteht!) Pferde nicht scheu machen und keine Ängste schüren, die völlig unbegründet sind. – Ich sage deutlich, dass ich es unter humanitären Ge- Benjamin Franklin wird das Zitat zugeschrieben: sichtspunkten als ziemlich peinlich empfinde, dass Asyl- bewerber in Deutschland von 187 Euro im Monat leben Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewin- müssen. nen, wird am Ende beides verlieren. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24063

Michael Roth (Heringen) (A) In diesem Sinne ermuntere ich uns alle, nicht nur die mer wieder. Sie schreiben, es gehe um eine engere Ko- (C) demnächst anstehende Präsentation des Entwurfs des operation von Militär und Polizei. Mit Blick auf die Ver- Stockholmer Programms ernst zu nehmen, sondern auch hältnisse in Italien, wo in den Innenstädten Soldatinnen hier im Deutschen Bundestag um Lösungen zu ringen, und Soldaten als Hilfspolizisten mit Maschinengeweh- wie man die Europäische Union als einen gemeinsamen ren herumstehen, kann die Bundesregierung aber doch Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in die nicht ernsthaft die Position vertreten, dass man das europa- Balance bringen kann, die unserer Rechtsstaatstradition weit und auch in Deutschland einführen solle. Das müs- und den besten europäischen Traditionen entspricht. sen wir verhindern, mag da kommen, was will. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. (Beifall bei der SPD) Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]) Vizepräsidentin : Es wäre schön, wenn die Bundesregierung mit ihrer Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Jan Innenpolitik und ihrer Europapolitik einmal positiv auf- Korte das Wort. fallen würde. Sie könnte zum Beispiel die treibende Kraft in Sachen Demokratisierung und Bürgerrechte (Beifall bei der LINKEN) werden. Das wäre einmal etwas anderes; es würde den Horizont erweitern und wäre eine spannende Sache. Jan Korte (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wird argumentiert, eine Trennung von Polizei und Im Antrag ist Folgendes richtig formuliert: Geheimdiensten sowie von Militär und Polizei kenne man in anderen europäischen Ländern nicht. Das ist zum Es bleibt also die Verantwortung der Bundesregie- Teil sicher richtig; aber diese Länder haben auch nicht rung, auf europäischer Ebene konsequent für den die Geschichte, die wir haben. Wir haben aus unserer Schutz der Bürgerrechte einzutreten … Geschichte die richtige Lehre gezogen. Es wäre ein schönes Zeichen, wenn die Bundesregierung auf euro- Das ist auch wirklich dringend notwendig, hätte aller- päischer Ebene deutlich machte, warum wir auf dem dings – angesichts von Otto Schilys Politik auf europäi- Trennungsgebot beharren und inwieweit die Bürger- scher Ebene – schon für die rot-grüne Bundesregierung rechte dadurch gestützt werden. gegolten; (Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Da hat er Der dritte Punkt, den ich ansprechen will, sind die sogar recht!) Datenbanken. In Deutschland gibt es bereits eine Viel- (B) zahl von Datenbanken. Aber angesichts Ihrer spannen- (D) aber darum geht es jetzt ja nicht. den Ideen, welche weiteren Datenbanken wir noch brau- chen könnten, wird einem ganz anders, wenn man sieht, Dass der Antrag in die richtige Richtung geht, will ich was auf europäischer Ebene technisch mittlerweile mög- an zwei Beispielen deutlich machen, die die Bürgerinnen lich ist. und Bürger immer bewegt haben, und zwar an der Vor- ratsdatenspeicherung und der Biometrie in den Pässen. Ich will ein Beispiel nennen: Alle europäischen Da- Das ist ganz gezielt von Schäuble – zum Teil auch von tenbanken und insbesondere das Visa-Informationssys- Schily – über die europäische Ebene gespielt worden, tem sollen nun – so sieht es die Zukunftsgruppe vor; das weil das in diesem Land nicht einfach durchzusetzen ge- ist ein erklärtes Ziel, wie Sie in der Beantwortung von wesen wäre. So ist argumentiert worden, das komme aus Kleinen Anfragen zugegeben haben – systematisch und Brüssel und deswegen müssten wir das machen. Aus konsequent für Geheimdienstzugriffe geöffnet werden. diesem Grund ist das, was im Antrag formuliert ist, rich- Gerade beim Visa-Informationssystem besteht das Kern- tig. Gegen ein solches Vorgehen ist Prophylaxe notwen- problem, dass es zuerst die Migrantinnen und Migranten dig. Deswegen unterstützen wir diesen Antrag. trifft, die Sie sowieso immer auf dem Kieker haben. (Beifall des Abg. Wolfgang Wieland [BÜND- (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Genau!) NIS 90/DIE GRÜNEN]) – Genau, sagt Herr Grindel. Also getroffen! – Das muss Wir können es nicht zulassen, dass die EU für diese Poli- verhindert werden. Den Geheimdiensten muss der Zu- tik des Law and Order missbraucht wird. griff darauf verwehrt werden. Das ist ganz entscheidend. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Das schadet dem Ansehen der EU, und es ist grundsätz- Ich fasse zusammen: Es wäre schön, wenn die Bun- lich die falsche Politik. desregierung eine grundsätzlich andere Politik machen Bei dem zweiten Punkt, den ich ansprechen will, han- würde. Da das Bitten offensichtlich nicht hilft, müssen delt es sich um Schäubles Lieblingsprojekt, nämlich den solche Anträge wie der vorliegende gestellt werden. Einsatz der Bundeswehr im Innern. Wenn man sich die Deswegen wird er von uns unterstützt. Kern der Politik inzwischen 77 Seiten des Berichts der Zukunftsgruppe muss eine Abrüstung der EU nach außen sein. Wir brau- durchliest, findet man diverse Indizien dafür, dass Sie chen erst recht eine Abrüstung nach innen und keine auch hier wieder den bekannten Trick versuchen. Das weitere Aufrüstung bei der inneren Sicherheit, so wie wird zwar nicht funktionieren, aber Sie versuchen es im- Sie es wollen. 24064 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Jan Korte (A) (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Wäre schon Behandlung von Menschenrechtsfragen längst zur Nor- (C) gut, wenn die Linke am 1. Mai in Berlin nicht malität im deutschen Parlament geworden ist. Die Folge aufrüsten würde!) dieser Normalität ist allerdings, wie ich finde, gelegent- lich etwas bedauerlich. Denn das führt nicht zu mehr Sicherheit, sondern zu we- niger Freiheit. Die Linken haben es mal wieder erkannt, Wir stellen zwar fest, dass die Öffentlichkeit, die Me- und Herr Grindel kommt damit gar nicht klar. dien, die Bürger und die Zivilgesellschaft ganz zufrieden Schönen Dank. sind mit den Menschenrechtsstandards, die wir hier ver- einbaren, und auch damit, was in den entsprechenden (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Menschenrechtsabteilungen der Ministerien getan wird des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und was der Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestages macht; dies gilt auch für die Zivilgesell- Vizepräsidentin Petra Pau: schaft, die Menschenrechtsorganisationen in Europa und Ich schließe die Aussprache. die entsprechenden Institutionen der Europäischen Union und des Europarates. Das Ärgerliche aber ist, dass Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf diese wichtige Arbeit, die die Mühen der Ebenen um- Drucksache 16/11918 an die in der Tagesordnung aufge- fasst und die dafür sorgt, dass der Menschenrechtsschutz führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- handhabbar bleibt und sich jeder wehren kann, wenn er verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt ist, von den so beschlossen. Medien nicht so richtig zur Kenntnis genommen wird. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Eine gute Arbeit ist leider Gottes für die Medien gele- gentlich nicht attraktiv. Ich finde das sehr schade. Ich Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- würde mich freuen – um ein Beispiel aufzugreifen, das richts des Ausschusses für Menschenrechte und in der vorangegangenen Debatte von Herrn Mayer er- humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu der Unter- wähnt worden ist –, wenn die Zeitungen nicht nur mit richtung durch die Bundesregierung Datenskandalen – das sind ja schwere Verletzungen des EU-Jahresbericht 2008 zur Menschenrechts- Persönlichkeitsrechts und damit Menschenrechtsverlet- lage zungen – voll wären, sondern wenn in gleicher Weise darüber geschrieben würde, welch wichtige Arbeit in der Ratsdok. 14146/08 Zivilgesellschaft und in den Parlamenten auf nationaler – Drucksachen 16/10958 A.43, 16/12729 – Ebene und auf europäischer Ebene geleistet wird. (B) Berichterstattung: (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie (D) Abgeordnete Holger Haibach bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Christoph Strässer GRÜNEN) Burkhardt Müller-Sönksen Michael Leutert Lassen Sie mich, bevor ich auf den europäischen Volker Beck (Köln) Menschenrechtsbericht zu sprechen komme, ein Beispiel aus den letzten Wochen erwähnen. Die Bundesregierung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die hat vor dem Forum der Vereinten Nationen für Men- Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre schenrechte ihren Bericht über die Lage der Menschen- keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. rechte in der Bundesrepublik Deutschland und über ihre Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle- Menschenrechtspolitik abgegeben. Wir, die wir vom gin Dr. Herta Däubler-Gmelin für die SPD-Fraktion. Menschenrechtsausschuss dort waren – es waren alle Fraktionen vertreten –, haben es eigentlich mit großer (Beifall bei der SPD) Zufriedenheit zur Kenntnis genommen, dass objektiv dargestellt wurde, welche Menschenrechtsstandards, Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD): welchen Menschenrechtsschutz und welche Möglichkei- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ten wir haben. Das ist weltweit gesehen eine ganze Wir behandeln heute nicht nur eine Beschlussempfeh- Menge. Wenn wir das europaweit vergleichen, dann stel- lung, sondern auch den zehnten Jahresbericht der Euro- len wir fest, dass das immer noch sehr gut ist. Dadurch päischen Union zur Menschenrechtslage, der den Zeit- haben unsere Bürgerinnen und Bürger eine große Sicher- raum von Mitte 2007 bis Mitte 2008 umfasst. Es ist ein heit. interessanter Bericht. Lassen Sie mich Ihnen sagen: Es lohnt sich, hineinzuschauen. Wenn ich mich hier so um- Es war aber natürlich auch gut, dass Herr Staatsminis- blicke, stelle ich fest, dass wir Menschenrechtsfragen ter Erler und Herr Parlamentarischer Staatssekretär heute wieder in gewohnt „vollem Haus“ Altmaier auch darauf hingewiesen haben, dass Men- schenrechtsschutz und Menschenrechtsstandards immer (Beifall des Abg. Holger Haibach [CDU/CSU]) dann in Gefahr geraten, wenn sich die Bürgerinnen und mit der Präsenz aller Menschenrechtspolitiker und Men- Bürger und die Öffentlichkeit nicht selber darum küm- schenrechtsaktivisten behandeln. Ein ähnlich geringes mern. Sie können aber selber etwas dafür tun, damit die Interesse ist auch an der Reaktion der Öffentlichkeit zu Standards erhalten und ausgebaut und Probleme über- erkennen. Lassen Sie mich anmerken: Das zeigt, dass die wunden werden. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24065

Dr. Herta Däubler-Gmelin (A) Es war deswegen auch gut, dass mit dem Finger auf Initiativen gegen die Todesstrafe in aller Welt. Auch das (C) Probleme gezeigt wurde, zum Beispiel auf die Benach- ist gut. Ich weiß, dass sich die Bundesregierung und teiligung der Kinder hinsichtlich der Bildungschancen, auch unser Parlament hier durchaus als Motor empfin- die in ihren Familien keine entsprechende Unterstützung den. bekommen. Da geht vor allem um die Bildungschancen von Kindern aus Migrantenfamilien oder aus Familien (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten anderer benachteiligter Gruppen. Ich nenne auch die vie- der CDU/CSU) len ohne gültige Ausweispapiere bei uns lebenden Men- Lassen Sie mich aber auch noch darauf hinweisen, schen und ihren Zugang zur Gesundheitsversorgung und dass sich in diesem europäischen Jahresbericht zur Lage zu Bildungseinrichtungen, aber auch zu Beratungen und der Menschenrechte meiner Meinung nach auch zeigt, Rechtsschutz. Hier gibt es noch eine Menge zu tun. dass wir in Europa unser Gesellschaftsmodell, das auf (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Achtung der Menschenrechte aufbaut – der liberalen, der CDU/CSU und der FDP) freiheitlichen und sozialen Menschenrechte –, als Er- folgsmodell durchaus ein bisschen stärker in den Vorder- Worauf es mir jetzt ankommt: Die Tatsache, dass wir grund stellen sollten, auch dann, wenn es um ökonomi- eine gute Menschenrechtsarbeit machen und dass die sche und soziale Bewertungen geht. Es ist ganz gut, Bundesregierung auch Erfolge zu vermelden hat, hat wenn wir das nicht mit erhobenem Zeigefinger tun. Das dazu geführt, dass in den Medien nichts über diese muss auch gar nicht moralinsauer sein, aber der Hinweis Tätigkeit berichtet wurde. Hin und wieder wurde aus ei- muss erlaubt sein, dass eine zukunftsfähige Gesellschaft, nem Teil der Schattenberichte der zivilgesellschaftlichen eine Gesellschaft, die stark sein und auch ein menschli- Organisationen über den einen oder anderen Mangel be- ches Antlitz haben will, gut daran tut, die Menschen- richtet. Manchmal habe ich den Eindruck, man sollte ein rechte als wesentlichen Bestandteil von Recht und Poli- bisschen mehr Skandale produzieren, damit die Men- tik herauszustellen. schenrechtsarbeit, die wir hier machen, tatsächlich ein- mal zur Kenntnis genommen wird. Es ist nämlich wich- Mir wäre es sehr recht, wenn wir über dieses Thema tig, dass das geschieht. nicht nur in Sonntagsreden sprechen würden, sondern es auch bei politischen Verhandlungen mit anderen Län- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) dern deutlicher und öffentlich einbringen würden. Das Sie wissen, dass ich das mit dem Produzieren von Skan- würde bedeuten, dass man über solche Fragen auch mit dalen nicht ernst meine. Die Nichtbeachtung ärgert mich Ländern redet, die die Folter nicht abschaffen wollen, aber manchmal. Es muss ja nicht sein, dass man aus sei- die Folter verharmlosen, die der Meinung sind, sie durch Presidential Orders legitimieren zu können, oder die Fol- (B) nem Herzen eine Mördergrube macht. (D) terer straflos lassen wollen. Dann muss man sagen: So Bei dem Jahresbericht der Europäischen Union ist es geht das nicht. Das ist nicht nur unethisch, rechtswidrig ähnlich. In ihm wird eine ganze Menge an vernünftigen und politisch falsch, sondern schwächt die Gesellschaft und wichtigen Fakten der Menschenrechtsarbeit aufge- insgesamt. – Deswegen wollen wir das nicht. Deswegen zeigt. muss das geändert werden. Es wird aufgezeigt – und das ist gut –, dass sich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Europa seiner Bindung an die Menschenrechte immer der CDU/CSU) deutlich bewusst ist. Das gilt, obwohl die europäische Grundrechtecharta wegen des noch nicht in Kraft getre- Vor einigen Tagen war der neue Justizminister der tenen Lissabonner Vertrags noch nicht rechtsverbindlich Vereinigten Staaten hier. Er hat die Foltervorkommnisse ist. Es gibt nur eine Selbstbindung, was auch schon gut und Guantánamo als Fehler der alten Regierung bezeich- ist. net, die man überwinden müsse. Ich bin der Meinung, die EU kann und soll dabei helfen. Es wird aufgezeigt, dass wir mittlerweile immer stär- ker ein gemeinsames europäisches Menschenrechtsbe- (Beifall bei der SPD) wusstsein entwickeln. Auch das ist gut. Das müssen wir noch fördern, aber das kann man auch fördern. In diesem In den Verhandlungen sollte die EU darauf hinweisen, Bericht wird auch aufgezeigt, dass die Europäische dass ihre Instrumente zur Förderung von Demokratie Union die Menschenrechte als wichtiges Element ihrer und Menschenrechten auch Maßnahmen zur Rehabilitie- Außenpolitik betrachtet. Auch das ist stark ausbaufähig rung von Gefolterten und Hilfen für durch Folter Trau- und auf einem guten Weg. matisierte umfassen. Es ist gut, dass diese Instrumente in unseren Zentren, in denen man sich zum Beispiel um Lassen Sie mich sehr deutlich sagen: Ich halte auch Opfer von Folter während der Balkankriege kümmert, die hohe Zahl der Menschenrechtsdialoge, die Europa eingesetzt werden. Das zeigt, die grundsätzliche Über- führt, für gut, unter der Voraussetzung, dass sie auf der zeugung, dass man Gefolterten helfen muss, dass man einen Seite partnerschaftlich und auf der anderen Seite Recht wiederherstellen muss und die Rechtstellung der gut überlegt und schließlich auch unter Einbindung der Gefolterten anerkennen muss, gehört zu unseren Werten. Zivilgesellschaft und der Öffentlichkeit erfolgen. Das ist etwas, was von anderen Regierungen oder von anderen Regionen durchaus kopiert werden kann. In dem EU-Bericht werden auch Erfolge aufgezeigt. Ich nenne zum Beispiel die gemeinsamen europäischen Ein letzter Punkt. 24066 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: Lassen Sie uns einen Blick auf drei Kernfelder der eu- (C) Frau Kollegin Däubler-Gmelin, trotz aller Grundsätz- ropäischen Menschenrechtspolitik werfen: lichkeit und Wichtigkeit des Themas: Achten Sie bitte Erstens. Zur Glaubwürdigkeit der europäischen Men- auf die Redezeit. schenrechtspolitik wird in dem Bericht festgestellt:

Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD): In einer Zeit, in der von der Europäischen Union in Das tue ich. Vielen herzlichen Dank für den Hinweis. – zunehmendem Maße erwartet wird, dass sie Re- Der letzte Punkt: Wir haben in Europa noch eine Menge chenschaft gibt für die Menschenrechtssituation in- zu tun: bei der Behandlung der Minderheiten, bezüglich nerhalb ihrer Grenzen, muss sie als leuchtendes des Internationalen Strafgerichtshofs und bei der Zusam- Beispiel vorangehen. Dies ist eine Frage der Konse- menarbeit mit dem Europarat. All das wissen Sie. Ich quenz und der Glaubwürdigkeit auf der internatio- denke aber, wir sind auf einem guten Weg. Weil wir auf nalen Bühne. der bisher geleisteten Tätigkeit aufbauen können, emp- Somit ist daraus zu schließen, dass eine durchgängige fehle ich Ihnen sehr, die Beschlussfassung unseres Aus- Berücksichtigung der Menschenrechte in allen internen schusses anzunehmen. und auswärtigen Politikbereichen der Schlüssel für die Herzlichen Dank. Gewährleistung dieser Konsequenz ist. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir Liberale fragen uns, wie es um die Glaubwürdig- keit der EU steht, beispielsweise angesichts der Locke- rung der EU-Sanktionen gegen Usbekistan, die nach Vizepräsidentin Petra Pau: dem blutigen Massaker von Andischan im Mai 2005 – in Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Burkhardt der nächsten Woche jährt sich das traurige Ereignis zum Müller-Sönksen das Wort. vierten Mal – beschlossen wurden. Die Lockerung der (Beifall bei der FDP) Sanktionen ist maßgeblich auf Betreiben dieser Bundes- regierung zustande gekommen. Sie erfolgte, ohne dass sich die überaus kritische Menschenrechtssituation in Burkhardt Müller-Sönksen (FDP): Usbekistan auch nur ansatzweise zum Besseren entwi- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ckelt hat. Das können wir nicht verstehen. Liebe Kollegin Däubler-Gmelin, ich möchte mich sehr herzlich für Ihre Werbung für die Menschenrechte be- (Beifall bei der FDP – Christoph Strässer [SPD]: danken. Das unterstützen wir. Dennoch bitte ich um Ver- Abschaffung der Todesstrafe und ein Morato- ständnis dafür, dass wir, ohne diesen Grundkonsens auf- rium bedeuten doch wohl eine Verbesserung! (B) zuheben, eine etwas andere Meinung zu diesem EU- Oder wollen Sie das bestreiten?) (D) Bericht vortragen. Vielleicht ist es sogar in Ihrem Sinn, – Auf das Thema Todesstrafe komme ich gerne noch zu wenn wir kontrovers über den Bericht debattieren. sprechen. Schließlich können unterschiedliche Sichtweisen das Thema für die Medien interessanter machen und sie ver- Zum zweiten Kernfeld zählt das Spannungsverhältnis anlassen, darüber zu berichten. Es ist gut, wenn über das von Wirtschaft und Menschenrechten. Ich zitiere aus Thema Menschenrechte häufiger in den Medien berich- dem Bericht: tet wird. Die Menschenrechtsthematik muss … in allen an- Der EU-Jahresbericht 2008 zur Menschenrechtslage deren einschlägigen Politikbereichen der EU, ein- zeigt, dass die Europäische Union ein beständiger Ak- schließlich der Handelsabkommen, stärker berück- teur im Bereich der internationalen Menschenrechtspoli- sichtigt werden. tik ist. Dabei ist jedoch in weiten Teilen eine Schwer- punktsetzung auf außenpolitische Aspekte erkennbar, Das ist ein Hinweis ohne Taten. Über diese Feststellung die menschenrechtliche Herausforderungen innerhalb hinaus hat die europäische Menschenrechtspolitik noch der EU ein wenig zu sehr in den Hintergrund treten lässt. keine ausreichend klare Position dazu gefunden, wie der Interessenkonflikt zwischen der Sicherung des Rohstoff- (Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE bedarfs und dem Einstehen für die Gewährleistung von GRÜNEN]: Richtig!) Menschenrechten auch in diesen Ländern gelöst werden kann. Aus Sicht der FDP ist es notwendig, die europäische Trotzdem wird der Bericht – auch unserer Meinung Außen- und Menschenrechtspolitik derart zu stärken, dass nach – seinem Anspruch gerecht, die Öffentlichkeit über einzelne EU-Mitgliedstaaten in ihren menschenrechtli- die Aktivitäten der EU zur Förderung der Menschen- chen Bestrebungen nicht gegeneinander ausgespielt wer- rechte zu informieren. Information ist aber nicht gleich- den können. Europa braucht deswegen einen abge- zusetzen mit einem qualifizierten, strategischen und stimmten Außenauftritt. nachhaltigen Handeln. Fast könnte man dem Bericht ein wenig Eigenlob unterstellen. So heißt es, dass im Be- Wirtschafts- und Menschenrechtsfragen werden im richtszeitraum zwischen Juli 2007 und Juni 2008 – ich Zeitalter der Globalisierung zunehmend miteinander ver- zitiere – „echte Fortschritte bei den Menschenrechten er- knüpft. Die freiwillige Selbstverpflichtung über den Glo- zielt worden“ sind. Scheinbar gibt es auch unechte Fort- bal Compact stellt nach unserer Meinung einen richtigen, schritte oder – besser ausgedrückt – widersprüchliche in sinnvollen und zukunftsweisenden Ansatz dar. Weiterhin diesem Bericht. muss sich die europäische Menschenrechtspolitik stärker Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24067

Burkhardt Müller-Sönksen (A) auf Schlüsselländer konzentrieren. Dies sind ökono- Streit ist in der Demokratie notwendig; er muss sein, (C) misch starke Länder, deren Wirtschaft global verflochten wenn es um den Austausch von Positionen geht. Streit ist und die deshalb einen besonderen Einfluss auf die als eine L'art pour l'art, also Streit um des Streites willen, Menschenrechtssituation in den Ländern besitzen, in de- wird aber, glaube ich, keinen Erfolg bringen. nen sie sich wirtschaftlich engagieren. Ein Beispiel hier- (Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Das trifft für ist China, das mit seiner Afrikapolitik ständig interna- mich nicht!) tionale Menschenrechtsbestrebungen unterläuft. Insofern sollten wir schauen, dass wir vielleicht ein an- (Hellmut Königshaus [FDP]: Ja!) deres Verständnis für dieses Thema bekommen. Ziel muss es sein, dass Länder wie China in ihren Wirt- Wir beobachten hier ein Phänomen, das wir auch an schafts- und Außenbeziehungen menschenrechtspoliti- vielen anderen Stellen sehen, zum Beispiel bei der zivi- sche Gesichtspunkte uneingeschränkt beachten und ihr len Krisenprävention. Wie bewerten Sie eine Katastro- wirtschaftliches Potenzial zur Förderung der Menschen- phe, die nicht eingetreten ist? Wie verkaufen Sie die rechte nutzen. Nachricht, dass eine Katastrophe nicht eingetreten ist? (Beifall bei der FDP) Das ist extrem schwierig. Natürlich ist es viel einfacher und – das sage ich in Anführungszeichen – viel schöner Drittens gehe ich auf die Bestrebungen der EU – Kol- für Journalisten, darüber zu berichten, dass eine Kata- lege Strässer hat darauf schon hingewiesen – zur welt- strophe passiert ist, dass irgendwo ein Militäreinsatz not- weiten Abschaffung der Todesstrafe ein. Ob hier, wie es wendig ist, als darüber zu berichten, dass mit relativ we- im Bericht heißt, ein „historischer Erfolg“ erzielt wurde, nig Geld eine Katastrophe oder auch eine humanitäre kann unterschiedlich bewertet werden. Zweifelsohne un- Notsituation verhindert werden konnte. Darum geht es terstützen wir die Bestrebungen auf europäischer Ebene. letztendlich. Die Aufgabe der Politik ist es, diese Früh- Die Todesstrafe ist aus vielen Gründen unvertretbar. warnmechanismen so stark wie möglich zu machen, um Dass in China beispielsweise Todesurteile zur zweijähri- so wenig wie nötig in die andere Richtung, in die repres- gen Bewährung ausgesetzt werden, kann aus keiner kul- sive Richtung, gehen zu müssen. turellen Tradition hergeleitet werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Ich möchte mit einem Zitat von bei Abgeordneten der FDP) schließen, der einst feststellte: Dieser Jahresbericht zeigt sehr deutlich – das ist hier Ich würde die Todesstrafe … auch deswegen als ei- schon angeklungen –, dass sich die Europäische Union nen Fremdkörper empfinden, weil es nach den Vor- immer mehr ihrer Aufgabe in diesem Bereich bewusst (B) stellungen unserer Zeit die entscheidende, mindes- wird. Es ist richtig: Die Außenpolitik spielt immer noch (D) tens doch die wesentliche Aufgabe der Strafe ist, zu eine relativ große Rolle, eine ungleichgewichtig größere resozialisieren, den Menschen zu bessern. Rolle. Ein Grund hierfür ist historischer Natur. Schauen Sie sich einmal an, wie die ersten Berichte der jeweili- Wir Liberale werden die künftigen europäischen Ini- gen Bundesregierung zur Frage der Menschenrechte tiativen weiterhin aktiv begleiten und ab September hof- überschrieben wurden, bis 1998/1999 der Menschen- fentlich auch aktiv gestalten. rechtsausschuss ein Vollausschuss wurde: Bericht der Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik in den auswärtigen Beziehungen und in anderen Politikberei- (Beifall bei der FDP – Christoph Strässer chen. Erst danach ist die Innenpolitik dazugekommen. [SPD]: Da haben Sie sich aber ein bisschen vertan!) Ich denke, dass es in dem Maße, in dem in Europa, auch innerhalb der Europäischen Union, das Bewusst- sein dafür wächst, dass das Thema Menschenrechte Vizepräsidentin Petra Pau: nicht nur in den Außenbeziehungen eine große Rolle Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege spielt, sondern auch im inneren Zusammenhalt der Euro- Holger Haibach. päischen Union wichtig ist, dazu kommen wird, dass dieser Bericht stärker die Situation innerhalb Europas in Holger Haibach (CDU/CSU): Augenschein nehmen wird. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man kann es an einem Beispiel sehr deutlich machen. Ich bin der Vorsitzenden des Ausschusses für Menschen- Wir sind bis jetzt immer davon ausgegangen, dass jeder rechte und humanitäre Hilfe ausgesprochen dankbar, Mitgliedstaat die Kopenhagener Kriterien erfüllt und die dass sie ein paar grundsätzliche Bemerkungen zu der Einhaltung der Menschenrechte bei den Mitgliedstaaten Frage der Menschenrechte in Europa und den entspre- der Europäischen Union per se garantiert ist. Die Tatsa- chenden Institutionen gemacht hat. Diese Debatte bietet che, dass mit dem Beitritt von Rumänien und Bulgarien einen guten Anlass dazu. zwei Staaten zum ersten Mal sozusagen einer Form von Lieber Kollege Müller-Sönksen, ich bin mir nicht si- Post-Monitoring unterworfen worden sind, weil es defi- cher, ob der Streit hier zwingend das richtige Mittel ist. nitiv Defizite in den Bereichen Justiz und Strafverfol- gung und bei der Bekämpfung der Korruption gibt, zeigt (Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Niveau- sehr deutlich, dass in der Europäischen Union ein Be- voller Streit!) wusstsein dafür gewachsen ist, dass die Staaten nach 24068 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Holger Haibach (A) dem Beitritt nicht aus ihrer Pflicht entlassen werden kön- Im Text unserer Beschlussempfehlung haben wir uns (C) nen. Das zeigt auch deutlich, dass die Europäische mit einer wichtigen Frage beschäftigt, die die Aus- Union offensichtlich willens ist, an der Stelle zu han- schussvorsitzende dankenswerterweise schon angespro- deln. chen hat: Die Europäische Union muss ihr Verhältnis zu einem anderen wichtigen Akteur, nämlich zum Europa- Jetzt kann man lange darüber streiten, ob dort effektiv rat, klären. Natürlich muss sie auch ihr Verhältnis zur genug gehandelt wird. Man kann auch lange darüber OSZE klären, aber der Europarat ist an dieser Stelle von streiten, ob es vor diesem Hintergrund richtig gewesen besonderer Bedeutung, gerade vor dem Hintergrund, ist, die Aufnahme dieser beiden Staaten zu empfehlen. dass die Europäische Union zu immer mehr Mitglied- Ich glaube, es zeigt ganz deutlich, dass die Europäische staaten des Europarates Beziehungen pflegt. Union ein Verständnis dafür hat, dass wir innerhalb un- serer Gremien dafür sorgen müssen, dass Menschen- Im Hinblick auf die Entwicklung der östlichen Part- rechte eingehalten werden. Denn es ist wahr: Glaubwür- nerschaft, die traditionell im Europarat, nicht aber in der digkeit entsteht nur durch eigenes Handeln. Europäischen Union eine große Rolle spielt, ist es wich- tig, dass man sich abstimmt. Die Frage: „Wie gehen wir (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- mit einem Staat wie um?“, kann man unter- neten der SPD, der FDP und des BÜNDNIS- schiedlich beantworten. Wenn der Europarat sie aber an- SES 90/DIE GRÜNEN) ders beantwortet als die Europäische Union, haben wir Die im Bericht angesprochenen Punkte sind alle auf jeden Fall ein Glaubwürdigkeitsproblem. Diese wichtig: Todesstrafe, Folter, Menschenrechtsdialoge, Frage muss zwischen den Institutionen geklärt werden. Kinder in bewaffneten Konflikten, Menschenrechtsver- Natürlich ist es notwendig, dass die Einhaltung der teidiger und Rechte der Kinder. Die Tatsache, dass es das Menschenrechte in den Mitgliedstaaten der Europäi- Europäische Instrument für Demokratie und Menschen- schen Union von der Europäischen Union überwacht rechte gibt, das mit immerhin 11 Millionen Euro pro wird. Doppelungen müssen allerdings vermieden wer- Jahr ausgestattet wird, zeigt, dass sich die Europäische den. Die Frage: „Macht die EU-Grundrechteagentur das Union durchaus der Tatsache bewusst ist, dass Handeln Gleiche wie der Europäische Gerichtshof?“, ist keine ba- dort notwendig ist. nale Frage. Diese Frage zu stellen, ist keine Lappalie; sie Kollege Müller-Sönksen hat gerade gesagt: Europa ist nämlich nicht ganz einfach zu beantworten. muss nach außen mit einer Stimme auftreten. Das ist Auch an dieser Stelle müssen wir uns an die eigene zwar zweifelsohne richtig, aber, ich glaube, wir sollten Nase fassen. Wir kritisieren immer wieder, dass der Eu- an dieser Stelle realistisch bleiben. Wenn es um eine ge- ropäische Gerichtshof unterfinanziert ist, und wir kriti- meinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik (B) sieren die russische Staatsduma dafür, dass Russland das (D) geht, ist es nicht so einfach, Hoheitsrechte an Europa ab- 14. Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechts- zugeben. Habe ich noch eine Hoheit über meine eigene konvention nicht unterzeichnet hat. Wir haben es im Außenpolitik? Habe ich noch eine Hoheit über meine ei- Rahmen unserer Haushaltsberatungen aber selbst in der gene Verteidigungspolitik? Diese Fragen sind oft wichti- Hand, wie viel Geld wir dem Europarat und wie viel ger als die Frage, welche Rechte im Bereich der Wirt- Geld wir der Europäischen Union zur Verfügung stellen. schaft man abgibt. Man darf nämlich die Symbolik an dieser Stelle nicht unterschätzen. Insofern sollten wir (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie uns nicht verheben. Aber es bleibt natürlich das Ziel am bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Ende des Tages; das ist gar keine Frage. GRÜNEN) Die Frage der Kohärenz – handelt die Europäische Wie Sie wissen, finden vor der Sommerpause nur Union in allen Fällen gleich? – ist mindestens genauso noch vier Sitzungswochen statt. Da ich nicht weiß, wie wichtig. Diese Frage muss angesichts der vielen schon viele Debatten wir noch zum Thema Menschenrechte erwähnten Menschenrechtsdialoge und Konsultationen führen werden, habe ich mir ein paar grundsätzliche Be- gestellt werden. Ich bin dafür, dass wir diese Dialoge merkungen erlaubt. Ich glaube, es ist wichtig, auch ein- führen. Aber ich finde auch, sie sollten mit einer klaren mal in Form eines Resümees darüber nachzudenken, Zielsetzung verbunden sein. Manchmal würde ich mir was wir in den letzten vier Jahren eigentlich gemacht ha- wünschen, etwas genauer zu wissen, was mit welchem ben. In Detailfragen können wir natürlich unterschiedli- Ziel verhandelt wird und welches Ergebnis am Ende der cher Meinung sein. Aber ich denke, dass insbesondere Verhandlungen stehen soll. der Menschenrechtsausschuss in den letzten vier Jahren (Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE eine ordentliche Arbeit geleistet hat. Das liegt auch da- GRÜNEN]: Sehr richtig!) ran, dass seine Mitglieder bei allem notwendigen Streit – jetzt komme ich zum Beginn meiner Rede zurück und Das wäre ein wichtiger Beitrag zur Herstellung von wiederhole: Streit ist notwendig – immer versucht ha- mehr Transparenz. Ich habe den Eindruck, Transparenz ben, die Dinge im Interesse der Menschen voranzutrei- ist etwas, was die Europäische Union an der einen oder ben. anderen Stelle durchaus gut gebrauchen kann. Eine große Bedeutung im vorliegenden Bericht zur (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Menschenrechtslage haben die Menschenrechtsverteidi- FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- ger. An anderer Stelle habe ich schon einmal darauf hin- SES 90/DIE GRÜNEN) gewiesen, dass ich mich manchmal frage, wie man es Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24069

Holger Haibach (A) schaffen kann, obwohl man jahrzehntelang in einem to- fordert die Europäische Union und die Mitglied- (C) talitären System lebt, für die Einhaltung der Menschen- staaten auf … die Praxis der außerordentlichen rechte zu kämpfen, nicht nur für sich selbst, sondern Überstellungen zu enthüllen … auch für andere. In diesem Zusammenhang habe ich fol- gendes schönes Zitat von Václav Havel gefunden – ich Im Bericht über den Menschenrechtsbericht 2008 ist habe dieses Zitat schon einmal angeführt, tue es an die- das Europäische Parlament ser Stelle aber gerne noch einmal, weil, wie ich finde, der Auffassung … dass die EU trotz der in einigen keine andere Formulierung besser zum Ausdruck bringt, Mitgliedstaaten durchgeführten Untersuchungen worum es geht –: keine Bewertung der Methoden der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Politik der Regierung der Verei- Hoffnung ist eben nicht Optimismus, ist nicht Über- nigten Staaten … vorgenommen hat … zeugung, daß etwas gut ausgeht, sondern Gewiss- heit, daß etwas Sinn hat – ohne Rücksicht darauf, In einer Entschließung vom Mai 2008 wird dann wie es ausgeht. schärfer festgestellt: Das Europäische Parlament In diesem Sinne sollten wir unsere Arbeit fortsetzen. wiederholt seine Forderung an den Rat … und die Kommission, endlich die Empfehlungen umzuset- Danke sehr. zen … (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP Im Februar dieses Jahres hat das Europäische Parla- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ment folgende Entschließung beschlossen: Das Europäi- sche Parlament Vizepräsidentin Petra Pau: verurteilt, dass die Mitgliedstaaten und der Rat bis- Das Wort hat der Kollege Michael Leutert für die lang keine Maßnahmen ergriffen haben, um die Fraktion Die Linke. Wahrheit über das Programm außerordentlicher (Beifall bei der LINKEN) Überstellungen ans Licht zu bringen und die Emp- fehlungen des Europäischen Parlaments umzuset- zen … Michael Leutert (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im aktuellen vom Rat der Europäischen Union vorge- Der EU-Jahresbericht 2008 zur Menschenrechtslage bie- legten Jahresbericht zur Menschenrechtslage findet sich tet in vielerlei Hinsicht Anlass zu einer inhaltlichen De- ein Abschnitt, in dem zu lesen ist, dass sich das Europäi- sche Parlament mit der Problematik der Terrorbekämp- (B) batte. Einige wesentliche Punkte sind bereits angespro- (D) chen worden. Nun möchte ich Ihre Aufmerksamkeit fung kritisch auseinandergesetzt hat. Es wird auch nicht allerdings auf einen Aspekt lenken, der noch nicht er- verschwiegen, mit welchen Instrumenten dabei gearbei- wähnt wurde. Durch diesen Bericht wird nämlich etwas tet wurde. Es findet sich in dem Bericht aber kein Wort deutlich, was gar nicht im Bericht steht. Dieser Bericht darüber, ob und wie die Kommission und der Rat die an offenbart die Machtfülle von Europäischer Kommission sie adressierten Handlungsaufforderungen berücksich- und Europäischem Rat, und er offenbart ein Demokratie- tigt haben. Dies steht beispielhaft für ein gravierendes defizit, das in der EU gegenwärtig herrscht. strukturelles Defizit der EU, nämlich für die unzurei- chende Rückbindung von Kommission und Rat an das Das möchte ich an einem Beispiel deutlich machen. Europäische Parlament. In letzter Zeit diskutieren wir immer wieder über die (Beifall bei der LINKEN) mögliche Aufnahme unschuldig gefangen genommener Guantánamo-Häftlinge in der Europäischen Union bzw. Das lässt sich verallgemeinern. Auf Seite 57 der Be- in Deutschland; dieses Thema wurde auch in der gestri- schlussempfehlung und des Berichts des Menschen- gen Sitzung des Menschenrechtsausschusses debattiert. rechtsausschusses, Drucksache 16/12729, kann man In recht engem Zusammenhang damit steht natürlich der nachlesen, dass Entschließungen des Europäischen Par- Vorwurf gegenüber den USA, dass die CIA auf dem Ter- lamentes zu menschenrechtsrelevanten Themen im All- ritorium der EU rechtswidrig Menschen gefangen gehal- gemeinen Handlungsaufforderungen an den Rat, die ten oder befördert hat. Mit dieser Thematik hat sich das Kommission und die Regierungen betroffener Staaten Europäische Parlament natürlich beschäftigt. Dazu gibt beinhalten. Von Kritik des Europäischen Parlaments, es Entschließungen, die Forderungen an die Europäische steht im Bericht des Ausschusses lapidar, sind die betrof- Union und an die Mitgliedstaaten beinhalten, Forderun- fenen Regierungen „durchaus berührt“. gen, die von der Aufklärung über diese Praxis bis zur Beendigung dieser Praxis reichen. Wer sich die Ent- Leider ist es nicht Thema des Berichts, wie Kommis- schließungen des Europäischen Parlamentes anschaut, sion und Rat auf die Aufforderung zum Handeln regiert wird feststellen: Mit zunehmender Schärfe wird die Auf- haben. Das muss nicht für jede einzelne Entschließung forderung zum Handeln formuliert, weil sich offensicht- passieren. Für uns als Menschenrechtspolitiker ist es lich niemand dafür interessiert hat. aber schon interessant, zu erfahren, ob Aufforderungen des Europäischen Parlamentes tatsächlich dazu beitra- So gibt es zum Menschenrechtsbericht 2007 eine Ent- gen, dass sich Kommission und Rat bewegen. Da das schließung des Europäischen Parlamentes, in der es nicht so gewesen ist, gibt es nur zwei Schlussfolgerun- heißt: Das Europäische Parlament gen: Man hat den Eindruck, dass die Tätigkeit des Euro- 24070 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Michael Leutert (A) päischen Parlamentes für den Jahresbericht in dem Au- Als zweites Strukturmerkmal auf europäischer Ebene (C) genblick, in dem die Folgen dieser Tätigkeit andere ist Folgendes notwendig: Wenn wir die Arbeit des Euro- Organe der EU betreffen, uninteressant wird und dass päischen Parlaments ernst nehmen wollen – das ver- das daran liegt, dass die Tätigkeit von Kommission und misse ich auch in der Stellungnahme der Koalitionsfrak- Rat nicht in ausreichendem Maße an demokratische For- tionen –, dann muss die Menschenrechtspolitik auf der men der Willensbildung gebunden ist. Ebene des Europäischen Parlaments endlich aus dem Unterausschussniveau herausgehoben werden, indem Vizepräsidentin Petra Pau: dort ein ordentlicher Ausschuss für diesen Bereich gebil- Kollege Leutert, achten Sie bitte auf die Zeit! det wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Michael Leutert (DIE LINKE): und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Gegenwärtig scheint es so zu sein, dass es zweitran- CDU/CSU und der FDP) gig ist, was das Europäische Parlament gegenüber Kom- mission und Rat fordert. Damit bin ich am Schluss: Ich komme zu einem dritten strukturellen Änderungs- Ohne Demokratie kann man die Achtung der Menschen- vorschlag. Wir haben in der EU die Grundrechteagentur rechte nicht verwirklichen. Deshalb ist es notwendig, eingeführt. Gerade diejenigen, die im Europarat tätig dass das strukturelle Demokratiedefizit in der Europäi- sind, haben einige Kritik daran. Dazu steht aber nichts in schen Union auch im Menschenrechtsbericht angespro- dem Bericht. Auch die kritische Auseinandersetzung mit chen wird. der Arbeit der Agentur gehört in den Bericht hinein. Ich finde, auch das gehört eigentlich in die Stellungnahme Vielen Dank. des Parlaments. (Beifall bei der LINKEN – Christoph Strässer [SPD]: Ein flammendes Plädoyer für den Ver- (Holger Haibach [CDU/CSU]: Das steht doch fassungsvertrag!) drin! – Christoph Strässer [SPD]: Am Schluss! Bis zum Ende lesen!) Vizepräsidentin Petra Pau: – Ja gut, es steht am Schluss. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Rainder Steenblock das Wort. Ich komme zu einem weiteren Punkt. Es ist ein gutes Zeichen, dass zu diesem Thema drei Kollegen reden, die auch im Europarat aktiv tätig sind. Der Kollege Haibach Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hat in der letzten Woche einen hervorragenden Bericht NEN): (B) zum Thema Menschenrechtsverteidiger vorgelegt. Das (D) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ist eine sehr gute Debatte. Ich empfehle Ihnen allen, die- Lieber Kollege Leutert, vielen Dank für das Plädoyer für sen Bericht und die konkreten Forderungen des Europa- die Annahme des Verfassungsvertrages! Denn das De- rats in der Frage der Menschenrechtspolitik – Herr Kol- mokratiedefizit, das Sie zu Recht beschrieben haben, lege Strässer und Frau Kollegin Däubler-Gmelin wird damit, jedenfalls weitgehend, gelöst. arbeiten ebenso wie Frau Leutheusser-Schnarrenberger (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf dieser Ebene – zur Kenntnis zu nehmen. Das hat eine sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und andere Qualität. Die Berichte sind hervorragend und der SPD) sehr konkret in ihren Aussagen. In dem Menschenrechtsbericht, der uns vorliegt, steht Insofern fehlt in der Stellungnahme des Parlaments – gar keine Frage – viel Richtiges. Wir müssen an die- ein Absatz, der die Zusammenarbeit zwischen der EU sem Bericht aber auch eine Menge kritisieren. Ich will und dem Europarat in Menschenrechtsfragen beschreibt. mit einigen strukturellen Fragen beginnen; einige Kolle- Das ist notwendig. Wir werden nur dann Erfolge haben, gen vor mir haben sie schon angesprochen. wenn wir das kombinieren. Der Kollege Haibach hat das Erstens. Wir können den EU-Jahresbericht zur Men- in seiner Arbeit auch über Fraktionsgrenzen hinweg sehr schenrechtslage nicht nur als ein außenpolitisches Instru- gut dokumentiert. Vielen Dank dafür! ment sehen. Wenn wir glaubwürdig bleiben wollen, dann (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, müssen wir in diesem Bericht auch die Situation inner- bei der CDU/CSU und der SPD) halb der Europäischen Union untersuchen. Die Gerichts- urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschen- Ich möchte noch kurz einen Grund nennen, warum rechte zeigen, dass es sehr viele Urteile und Klagen aus wir der Beschlussempfehlung der CDU/CSU- und der Mitgliedsländern der Europäischen Union gibt. Deshalb SPD-Bundestagsfraktion nicht zustimmen. Sie sagen zu ist es notwendig, dass die Europäische Union stärker in Recht, dass Sie den EU-Menschenrechtsleitlinien eine diesem Bericht berücksichtigt wird. Weiterung des Kinderschutzes beifügen wollen. Aber wir als Grüne sagen sehr deutlich: Solange die Bundes- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN regierung ihre Vorbehalte gegen die Kinderrechtskon- sowie bei Abgeordneten der SPD – Burkhardt vention der Vereinten Nationen nicht zurücknimmt, ist Müller-Sönksen [FDP]: Das sage ich doch Ihre Politik scheinheilig. Die Koalitionsfraktionen kün- auch!) digen immer wieder an, das zu machen, aber bisher ist – Es ist gut, wenn wir uns einig sind. nichts passiert. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24071

Rainder Steenblock (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nem Václav Havel, wenn diese zitiert werden, quasi ins (C) sowie bei Abgeordneten der SPD – Hartmut Wort fallen? Wenn das aber dazu führt, dass alle Redner Koschyk [CDU/CSU]: Warum ist denn in sie- in dieser Debatte zwischen anderthalb und zwei Minuten ben Jahren Rot-Grün nichts passiert?) überziehen, dann gebe ich den Hinweis: In den nachfol- genden Debatten müssen grundlegende Zitate, die zur – Versuchen Sie einfach, sich selber als verantwortlicher Bestätigung der eigenen Position eingeführt werden, am Politiker darzustellen, der diese Regierung unterstützt. Anfang der Rede stehen, sodass ich den zitierten ge- Aber Sie kriegen das nicht gebacken. schätzten Persönlichkeiten nicht ins Wort fallen muss (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Warum ist und trotzdem meiner Aufgabe nachkommen kann, da- denn in sieben Jahren Rot-Grün nichts pas- rauf zu achten, dass wir die Zeiten einhalten. siert?) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) – Das ist nur eine Kritik an dem, was jetzt ist. Ich schließe die Aussprache. Der nächste Punkt, den ich noch erwähnen möchte, betrifft die Menschenrechtsdialoge. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Warum ist Humanitäre Hilfe auf Drucksache 16/12729 zu der Un- denn in sieben Jahren Rot-Grün nichts pas- terrichtung durch die Bundesregierung über den EU-Jah- siert?) resbericht 2008 zur Menschenrechtslage. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschlie- – Seien Sie doch nicht so kleinlich. Ich habe die CDU/ ßung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussemp- CSU gerade gelobt, und jetzt fangen Sie mit pieseligen fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Argumenten an. Stellen Sie sich doch Ihrer Verantwor- Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der tung! In Bezug auf die Kinderrechtskonvention der Ver- Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und der FDP-Fraktion einten Nationen haben Sie nichts unternommen; so ist bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und der Fraktion das. Bündnis 90/Die Grünen angenommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 sowie den Zu- Was den Menschenrechtsdialog angeht, ist es wün- satzpunkt 7 auf: schenswert, dass der Bericht eine andere Tiefe bekommt. Usbekistan ist angesprochen worden. Wir können nicht 22 Beratung des Antrags der Abgeordneten auf der Ebene dieser Berichte arbeiten. Hier ist Copy and Dr. Heinrich L. Kolb, Dr. Karl Addicks, Christian (B) Paste gemacht worden. In den Berichten zu den EU- Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion (D) Menschenrechtsdialogen findet sich keine Tiefe. der FDP Als letzten Punkt komme ich zur Folterkonvention. Absicherung für das Erwerbsunfähigkeitsrisiko verbessern Vizepräsidentin Petra Pau: – Drucksache 16/10872 – Kollege Steenblock, einen neuen Punkt können Sie Überweisungsvorschlag: jetzt nicht mehr ansprechen. Achten Sie bitte auf die Re- Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) dezeit. Rechtsausschuss ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Irmingard Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Schewe-Gerigk, Markus Kurth, Brigitte Pothmer, NEN): weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Ein allerletzter Punkt: Ich stimme Herrn Leutert zu. NIS 90/DIE GRÜNEN Wenn man über Folter spricht, dann muss man über Guantánamo und die Aufnahme von Flüchtlingen hier Erwerbsminderungsrente gerechter gestalten reden und ansprechen, dass es bei uns nicht zu einer – Drucksache 16/12865 – ernsthaften Aufklärung der geheimen Gefangenenflüge gekommen ist. Auch das ist ein Fehler, der begangen Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) worden ist. Solche Themen gehörten in den Bericht hi- Finanzausschuss nein. Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Vielen Dank. Haushaltsausschuss (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Vizepräsidentin Petra Pau: Fraktion der FDP sechs Minuten erhalten soll. – Ich höre Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kollegin keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Däubler-Gmelin hat diese Debatte mit der richtigen Fest- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege stellung eingeleitet, dass wir hier über grundsätzliche Dr. Heinrich Kolb für die FDP-Fraktion. und sehr wichtige Fragen sprechen. Welches Präsidiums- mitglied möchte schon einem Thomas Dehler oder ei- (Beifall bei der FDP) 24072 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

(A) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): der eigentlich noch zentralere Schutz gegen Erwerbs- (C) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! minderung außen vor. Da ich kein Zitat habe, kann ich auch mit keinem begin- Es gibt Fortschritte; das will ich hier sehr deutlich sa- nen. Ich will eigene Gedanken vortragen. gen. In die betriebliche Altersvorsorge wird der Schutz (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sie könnten gegen Erwerbsminderung mittlerweile integriert. Zuletzt doch Kolb zitieren!) hat die chemische Industrie den Schutz gegen Erwerbs- minderung tarifvertraglich festgeschrieben. Dies wurde – Das wäre eine Möglichkeit, Herr Kollege. – Der wich- ohne Berücksichtigung von Alter, Vorerkrankungen oder tigste ist, dass nach meinem Dafürhalten Ziel einer vo- Geschlecht geregelt. Ich finde, dass diese Regelung eine rausschauenden und den Bedürfnissen der Menschen ge- Signalwirkung für andere Tarifabschlüsse haben sollte. recht werdenden Rentenpolitik sein muss, nicht nur die private und die betriebliche Altersvorsorge als Ergän- Soweit die Entscheidung in das Ermessen der Versi- zung zur Regelaltersrente zu stärken – das ist ohnehin cherten gestellt ist, müssen wir aber feststellen, dass im wichtig –, sondern auch die Möglichkeiten der privaten Rahmen der Entgeltumwandlung – bei der betrieblichen Vorsorge zur Absicherung des Erwerbsminderungsrisi- Altersvorsorge – bisher in der Regel für eine reine Le- kos zu verbessern. Die Nachfrage danach ist – das ist mir bensstandardversorgung ohne Erwerbsminderungsschutz aus zahlreichen Gesprächen mit Bürgerinnen und Bür- optiert wird. Da nützt es auch nichts, dass mittlerweile gern bekannt – groß. Die Menschen, die einen privaten rund 60 Prozent der Beschäftigten eine betriebliche Al- Versicherungsschutz vor dem Erwerbsunfähigkeitsri- tersvorsorge haben. siko suchen, sind zahlreich. Die Gründe dafür sind ohne Ich glaube, ich habe die Lücke im Versicherungsschutz Weiteres nachzuvollziehen. Ich will sie nennen. gegen Erwerbsminderung hinreichend beschrieben. Wir, Im Jahr 2000 hat die rot-grüne Bundesregierung mit die FDP-Bundestagsfraktion, wollen mit dem Antrag der Reform der Erwerbsminderungsrente den Erwerbs- „Absicherung für das Erwerbsunfähigkeitsrisiko verbes- minderungsschutz für Rentner um bis zu 10,8 Prozent sern“ die bestehende Lücke schließen. Die Riester- und reduziert. Heute liegt die durchschnittliche Erwerbsmin- die Basisrente sollen künftig geöffnet werden, sodass je- derungsrente in den alten Ländern bei 715 Euro und in der Versicherungsnehmer frei wählen kann, welcher An- den neuen Ländern bei 650 Euro. Wenn man bedenkt, teil der Beiträge in den Schutz gegen Erwerbsminderung dass das Niveau der Grundsicherung derzeit rund und welcher Anteil der Beiträge in die Lebensstandardsi- 660 Euro beträgt, und weiterhin berücksichtigt, dass mit cherung fließt. der Reform aus dem Jahr 2000, die in Verantwortung Der vertragliche Schutz gegen Erwerbsminderung ist (B) von Rot-Grün durchgeführt wurde, die Höhe der gesetz- in seiner Höhe begrenzt, was sich aus dem Förderum- (D) lichen Erwerbsminderungsrente bis 2030 um mehr als fang ergibt. Es wird nur eine Erwerbs- und keine Berufs- 20 Prozent sinken wird, dann wird jedem klar: Die Zahl unfähigkeitsrente gefördert. Dadurch können auch ältere der erwerbsgeminderten Menschen, die Grundsicherung Personen mit vertretbaren Beiträgen in die geförderten beantragen müssen, wird künftig stark wachsen, wenn es Versicherungsprodukte einbezogen werden. nicht gelingt, das Erwerbsunfähigkeitsrisiko noch auf anderem Weg privat abzusichern. Wie Sie wissen, gibt es (Anton Schaaf [SPD]: Ohne Gesundheitsun- jedes Jahr rund 160 000 Neuzugänge in die Erwerbsmin- tersuchung?) derungsrente. Der Bestand liegt derzeit bei 1,6 Millio- Es kommt natürlich darauf an, das Ganze für die Ver- nen. Das macht die ganze Tragweite dieses Problems sicherungsunternehmen sinnvoll auszugestalten, bei- deutlich. Für die FDP-Bundestagsfraktion steht fest: Die spielsweise dadurch, dass der Garantiezins für Alters- Absicherung gegen das Erwerbsminderungs- und Er- vorsorgeleistungen versicherungsmathematisch korrekt werbsunfähigkeitsrisiko ist lückenhaft und muss verbes- angepasst wird. sert werden. Eine moderne Rentenpolitik, die den Bürger ernst (Beifall bei der FDP) nimmt, verfolgt keine rückwärtsgewandten Ansätze, wie Viele Menschen können in fortgeschrittenem Alter es beispielsweise die Fraktion der Grünen mit ihrem An- keine Erwerbsunfähigkeitsversicherung mehr abschlie- trag zur Absicherung des Erwerbsunfähigkeitsrisikos tut, ßen, wenn sie beispielsweise eine Vorerkrankung auf- indem sie das Wiederherabsetzen des Referenzalters für weisen. Über die staatlich geförderte private Altersvor- eine abschlagsfreie Erwerbsminderungsrente auf 63 Jahre sorge, also über die Riester- und die Rürup-Rente, ist ein vorschlägt. Eine moderne Rentenpolitik fummelt übri- Schutz vor Erwerbsunfähigkeit bisher nur unzureichend gens auch nicht immer wieder an der Rentenformel he- gegeben. Bei der Riester-Rente kann man nur bis zu rum, wie es die Bundesregierung in diesen Tagen bei- 15 Prozent der Einzahlungen in die Absicherung des Er- spielhaft vorführt. Das sind die Menschen leid. werbsminderungsrisikos investieren. Wesentlich besser (Beifall bei der FDP) sieht es auch bei der Rürup-Rente nicht aus, da der Ab- setzbetrag für Arbeiter und Angestellte begrenzt ist und Eine moderne Rentenpolitik ist ehrlich und setzt auf ein ausreichendes Schutzniveau nicht erreicht werden die mündigen Bürger. Sie vermittelt den Bürgern, was kann. Während die staatliche Vorsorge und die staatliche sie von der gesetzlichen Rente – egal ob Alters- oder Er- Förderung der Vorsorge bisher fast ausschließlich auf werbsminderungsrente – erwarten können und wie sie das Ziel der Lebensstandardsicherung fokussiert, bleibt nach freier Wahl selbst einen Beitrag dazu leisten kön- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24073

Dr. Heinrich L. Kolb (A) nen, ihren Versicherungsschutz mit staatlicher Förde- Jahren, gerade in den Zeiten der Großen Koalition, deut- (C) rung zu ergänzen. lich verbessert worden. Ich finde, zu den großen renten- politischen Leistungen der Großen Koalition gehört, Die Bürgerinnen und Bürger sind bereit, mehr für ihre dass es mit Betriebsrente und mit privater Altersvorsorge Absicherung zu tun, als manchmal angenommen wird; in Deutschland deutlich weiter aufwärtsgeht. Das ist die große Nachfrage nach einem besseren privaten Er- wirklich ein Erfolg. Wir haben die Fördermöglichkeit für werbsminderungsschutz beweist das. Dies muss ihnen die Betriebsrente wie auch für die Riester-Rente deutlich aber ermöglicht werden. Genau das ist der Weg, den die verbessert. Man sieht an der Reaktion der Arbeitnehme- FDP mit ihrem Antrag ebnen will. Ich bitte Sie, diesem rinnen und Arbeitnehmer, dass sie diese Möglichkeit zu- Antrag zu folgen. nehmend nutzen, was erfreulich ist. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der FDP) neten der SPD) Wenn zusätzliche Vorsorge für jeden, der künftig in Vizepräsidentin Petra Pau: Rente geht, ein absolutes Muss ist, dann gilt das genauso Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Peter für diejenigen, die vor Erreichen des Rentenalters leider Weiß das Wort. Erwerbsminderungsrente beantragen müssen. Deshalb hat übrigens die Große Koalition eine nicht unwichtige (Beifall bei der CDU/CSU) Reform beschlossen. Für die private, kapitalgedeckte Al- tersvorsorge, also für das, was man Riester-Sparen Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): nennt, sind seit dem vergangenen Jahr, seit 2008, auch Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- alle Personen förderberechtigt, die eine Rente wegen gen! Zu den großen sozialen Leistungen der gesetzlichen vollständiger Erwerbsminderung beziehen. Auch sie sol- Rentenversicherung gehört, dass sie nicht nur Renten im len eine Chance haben, zusätzlich weiter für das Alter zu Alter ausbezahlt, sondern dass sie auch Leistungen für sparen und eine zusätzliche Altersvorsorge aufzubauen. jüngere Menschen erbringt, wenn diese wegen Krank- heit oder Behinderung nur noch eingeschränkt arbeiten (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Da muss man können oder, weil sie voll erwerbsgemindert sind, über- erst mal hinkommen!) haupt nicht mehr arbeiten können. Nun haben zwei Oppositionsfraktionen weitere Neu- Wir erleben immer wieder, dass in der Öffentlichkeit regelungen für Bezieher von Erwerbsminderungsrente Diskussionen über die Rendite der gesetzlichen Renten- beantragt. So sehr ich es für wichtig und notwendig (B) versicherung stattfinden; dies wird auch von einigen Zei- halte, alles dafür zu tun, dass Menschen mit Erwerbs- (D) tungen angefeuert. Es wird behauptet, die Rendite ande- minderung ein auskömmliches Leben mit den ihnen zu- rer Versicherungsformen sei viel besser. Bei solchen stehenden Leistungen führen können, sollte man meines Renditebetrachtungen fällt aber oft unter den Tisch, dass Erachtens Folgendes bedenken: die gesetzliche Rente im Gegensatz zu anderen Alters- Erstens. Die vermeintlich unzureichende Absicherung vorsorgesystemen, die ihr im Hinblick auf die Rendite der Erwerbsunfähigkeit wird seit Jahren vor allem im angeblich den Rang ablaufen, im Falle eines Falles be- Zusammenhang mit dem Wegfall der früheren Rente we- reits vor Erreichen des Rentenalters Erwerbsminde- gen Berufsunfähigkeit diskutiert. Herr Kolb, übrigens rungsrente zahlt. Um es klar und deutlich zu sagen: Die haben die FDP und die CDU/CSU das zusammen 1997 gesetzliche Rente ist deswegen so wichtig, wertvoll und beschlossen. Als dann Rot und Grün ab 1998 regiert ha- unverzichtbar, weil sie auch bei Erwerbsminderung hilft. ben, haben sie das erst einmal rückgängig gemacht, aber Die Erwerbsminderungsrente ist eine der großartigen so- 1999 genau dieses wieder gemeinsam beschlossen. lidarischen Leistungen der Versichertengemeinschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Hat nicht lange vorgehalten!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber zukünftig Ich will deutlich machen, dass alle vier Fraktionen dafür nicht mehr in einer ausreichenden Höhe! Auch Verantwortung tragen. Der Punkt ist folgender: Das Aus- das müssen Sie sagen!) maß der materiellen Auswirkungen des Wegfalls der al- ten Berufsunfähigkeitsrente wird meines Erachtens weit Nun sorgen die Veränderungen im Rentenrecht, die überschätzt; denn der Wegfall dieser alten Rente bedeutet wir in den kommenden Jahren schrittweise weiter voll- nicht, dass die betroffenen Versicherten in der gesetzli- ziehen, weil wir eine Antwort auf die demografische He- chen Rentenversicherung keinen Schutz mehr genießen. rausforderung geben müssen – der Altersaufbau der Ge- In aller Regel ist die Erwerbsfähigkeit von Versicherten, sellschaft ändert sich, und es wird mehr Ältere und die ihren bisherigen Beruf nicht mehr ausüben können, weniger Jüngere geben –, dafür, dass sich jeder zusätz- zugleich auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einge- lich zur gesetzlichen Rente weitere Säulen der Altersver- schränkt. Sie haben dann aus der gesetzlichen Rentenver- sorgung aufbauen muss. Die Bedingungen und Förder- sicherung meist aus arbeitsmarktbedingten Gründen sogar möglichkeiten für den Aufbau einer betrieblichen einen Anspruch auf eine volle Erwerbsminderungsrente. Altersvorsorge als einem weiteren Standbein und einer privaten, kapitalgedeckten Altersvorsorge, die wir in der Zweitens. Die von der FDP beantragte Wahlmöglich- Regel kurz Riester-Rente nennen, sind in den letzten keit, im Rahmen der Riester-Rente wie auch der Rürup- 24074 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Peter Weiß (Emmendingen) (A) Rente, also der privaten, kapitalgedeckten Altersvor- ger werden und darf jetzt nicht plötzlich wieder verkom- (C) sorge, das Risiko der Erwerbsunfähigkeit allein absichern pliziert oder geschwächt werden. Das ist der Maßstab für zu lassen, die Prüfung der vorliegenden Anträge. Ich habe den Ein- druck, dass sie einer solchen Prüfung wenig standhalten. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Oder kombi- niert!) Vielen Dank. würde zwangsläufig zulasten der Altersvorsorge gehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Mit der Riester-Rente wollten wir dafür sorgen, dass sich Anton Schaaf [SPD]: Das ist auf jeden Fall die Menschen ergänzend zur gesetzlichen Rente etwas richtig! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wie für das Rentenalter aufbauen. Wenn wir jetzt die Wahl- nennt man das? Unvoreingenommenes Heran- möglichkeit einräumen, den gesamten in der sogenann- gehen an einen Vorschlag!) ten Riester-Rente angesparten Betrag für die Absiche- rung des Erwerbsminderungsrisikos einzusetzen, dann Vizepräsidentin Petra Pau: fehlt dieses Geld natürlich bei der zusätzlichen Alters- Das Wort hat der Kollege Volker Schneider für die vorsorge. Fraktion DIE LINKE. ( [SPD]: Das ist doch eine (Beifall bei der LINKEN) Milchmädchenrechnung! – Gegenruf des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nein! Das soll je- der selbst entscheiden!) Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Übrigens hat der Gesetzgeber deshalb bei der Riester- Ich hoffe, dass wir uns zumindest in einem zentralen Rente die Absicherung des Erwerbsminderungsrisikos Punkt einig sind: Der Schutz vor den Risiken der Er- auf 15 Prozent und bei der Rürup-Rente, die sich in ers- werbsminderung ist eine der dringlichsten Aufgaben so- ter Linie an Selbstständige wendet, auf 49 Prozent der zialer Sicherungssysteme. Beiträge begrenzt. Die alleinige Absicherung der Er- werbsunfähigkeit im Rahmen der Riester-Rente, die (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. nach dem Antrag der FDP zukünftig möglich wäre, Anton Schaaf [SPD]) würde eben nicht mehr dem ursprünglichen Sinn und Zumindest die Sozialdemokraten, die sich ihrer Wurzeln Zweck der Riester-Rente, nämlich zusätzlicher Alters- in der Arbeiterbewegung erinnern, wissen, dass gerade vorsorge, entsprechen, der Schutz im Falle der Invalidität einer der Ausgangs- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber es wäre punkte der sozialstaatlichen Entwicklung im 19. Jahr- (B) nicht unsinnig!) hundert war. (D) mit der die künftige Minderung der Leistungen aus der Und heute? Herr Weiß, Ihre recht optimistische Ein- gesetzlichen Rentenversicherung ausgeglichen werden schätzung der sozialen Situation von Erwerbsminde- soll. Mit anderen Worten: Herr Kolb, Ihr Vorschlag geht rungsrentern hat mich etwas überrascht; denn mit der schlichtweg auf Kosten der Alterssicherung, und es stellt Reform der Erwerbsminderungsrente im Jahr 2000 sich die Frage: Kann man das verantworten? durch SPD und Grüne hat sich die Absicherung des Er- werbsminderungsrisikos massiv verschlechtert. Rot- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das muss jeder Grün hat mit Verweis auf den allgemeinen Arbeitsmarkt für sich selbst entscheiden, Herr Weiß!) und auf das sogenannte Restleistungsvermögen für die Weiter wird die Forderung aufgestellt, allen steuer- Betroffenen den Zugang zur Erwerbsminderungsrente pflichtigen Personen die Möglichkeit zum Abschluss ei- deutlich erschwert. nes Riester-Sparvertrages zu eröffnen, um dafür die Im Jahr 2000 gingen noch 200 000 Menschen auf- staatliche Förderung zu erhalten. grund ihrer gesundheitlich bedingten Arbeitsunfähigkeit (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist auf jeden in Rente, 2007 waren es 40 000 weniger. Ist es wirklich Fall sinnvoll!) so, fragen wir uns als Linke, dass diese 40 000 Jahr für Jahr weniger Solidarität bedürfen, oder verweigert der Die Erfüllung dieser schon öfter gestellten Forderung Sozialstaat ihnen schlicht die notwendige Unterstüt- würde natürlich in erheblichem Maße Geld kosten. An- zung? gesichts der zusätzlichen Belastungen der öffentlichen Haushalte durch die Maßnahmen zur Bekämpfung der Ein weiteres Problem ist der dramatische Rückgang Finanz- und Kapitalmarktkrise stellt sich die Frage, ob der durchschnittlichen Leistungshöhe. Diese liegt mitt- man in dieser Zeit eine solche Zusatzleistung beantragen lerweile gesamtdeutsch mit 662 Euro pro Monat auf sollte. Grundsicherungsniveau. Was hat es noch mit einem wür- devollen Leben zu tun, fragen wir als Linke, wenn Men- Wir werden die Anträge der beiden Oppositionsfrak- schen mit schweren körperlichen und gesundheitlichen tionen in den Ausschüssen des Bundestages ausführlich Beeinträchtigungen nicht einmal mehr ausreichend Geld beraten. Bei den Beratungen gilt für mich ein Maßstab: in der Tasche haben? Die zusätzliche Altersvorsorge ergänzend zur gesetzli- chen Rente, für die wir die Menschen in Deutschland in Vergessen wir nicht – beide Anträge weisen darauf den letzten Jahren erfreulicherweise in zunehmendem hin –, dass bis 2030 das allgemeine Rentenniveau weiter Maße gewonnen haben, muss sicherer und leistungsfähi- sinken wird, und zwar um rund 20 Prozent. Das wird das Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24075

Volker Schneider (Saarbrücken) (A) Problem der unzureichenden Absicherung bei Erwerbs- ein neues Produkt für den Versicherungsmarkt zu er- (C) minderung in den kommenden Jahren noch weiter ver- schließen? schärfen; denn die Absenkung des Rentenniveaus (Beifall bei der LINKEN) schlägt auch bei der Erwerbsminderungsrente voll durch. Damit erreichen Erwerbsgeminderte im Schnitt Wir Linke sagen Nein zur Privatisierung des Erwerbs- nicht einmal mehr das Grundsicherungsniveau. Wie tief minderungsrisikos. Wir Linke sagen Ja zur Stärkung der wollen Sie denn die Würde dieser Menschen noch hän- gesetzlichen Rentenversicherung, auch und gerade um in gen? diesem bewährten System, dem Solidarsystem, das Er- werbsminderungsrisiko wieder besser absichern zu kön- (Beifall bei der LINKEN) nen. Hinzu kommt, dass den Betroffenen bei vorzeitigem Vielen Dank. Bezug Abschläge von bis zu 10,8 Prozent drohen. Die Verbesserung der Zurechnungszeiten im Zuge der (Beifall bei der LINKEN) 2000er-Reform kann die Abschläge kaum kompensie- ren. Es ist doch nicht so, dass sich die Betroffenen frei- Vizepräsidentin Petra Pau: willig aussuchen, ab wann sie die Erwerbsminderungs- Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Anton rente in Anspruch nehmen müssen. Da ist es doch kein Schaaf das Wort. Wunder, dass die Abschläge von den Betroffenen als willkürlich und ungerecht wahrgenommen werden. Die (Beifall bei der SPD) Rente ab 67 wird den Wert der Erwerbsminderungsren- ten weiter mindern. Anton Schaaf (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man Abschläge bei Erwerbsminderungsrenten lehnen wir kann schon fast darauf wetten, was dabei herauskommt, Linke ab, wenn die FDP einen Antrag einbringt, in dem es auf der (Beifall bei der LINKEN) einen Seite um die sozialen Sicherungssysteme und auf der anderen Seite um das Wort „Freiheit“ geht: um die weil es nicht im Belieben der Betroffenen steht, wann sie Forderung nach Privatisierung und der Individualisie- eine solche Rente in Anspruch nehmen müssen, weil rung von Lebensrisiken. sich die Betroffenen eben nicht aussuchen können, ab wann körperliche und gesundheitliche Beeinträchtigun- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – gen ein Weiterarbeiten nicht mehr möglich machen. Wir Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das habt ihr doch betrieben mit der Riester-Rente! Das war doch (B) fordern Abschlagsfreiheit ab dem 60. Lebensjahr und (D) nicht erst ab dem 63. Lebensjahr, wie von den Grünen nicht unsere Idee!) gefordert. Das ist faktisch bei jedem Antrag dieser Art so. Man (Beifall bei der LINKEN) kann sich das Lesen dieser Anträge sparen, weil die Es- senz immer dieselbe ist: Die Lebensrisiken der Men- Der Vorwurf, man mache so wieder ein Scheunentor schen sollen privatisiert werden; die Gesellschaft, die für eine neue Frühverrentungspolitik auf, liebe Kollegin Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Versicherten Schewe-Gerigk, ist doch eigentlich unsinnig; schließlich sollen entsolidarisiert werden. findet vor der Frühverrentung eine strenge medizinische (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Herr Schaaf, Prüfung statt. auch Sie haben die Hand für die Riester-Rente (Beifall bei der LINKEN) gehoben!) Die Abschläge können schon deshalb keine steuernde Wenn man sich Ihren jetzt vorliegenden Antrag an- Wirkung entfalten. schaut, dann erkennt man genau das, was ich beschrie- ben habe: Einen Teil eines Lebensrisikos, nämlich nicht Die Forderung der FDP, dem Versicherungsnehmer mehr arbeiten zu können, erwerbsgemindert zu sein, das Wahlrecht zu ermöglichen, bei seiner staatlich sub- wollen Sie individualisieren und privatisieren und über ventionierten privaten Altersvorsorge auch das Risiko die Krücke der Riester-Rente finanzieren, und das sogar der Erwerbsminderung abzusichern, lehnen wir ent- noch mit staatlicher Unterstützung. schieden ab. Ihre Realitätsverweigerung gegenüber Ur- sachen und Wirkungen der Finanzmarktkrise ist schon Man sollte schauen, was dort steht: Sie wollen den erstaunlich. Versicherungsunternehmen die Möglichkeit eröffnen, das Ganze sinnvoll zu gestalten. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der SPD) (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Richtig!) Mit „sinnvoll“ bezeichnen Sie, dass die garantierte Ren- Dass Riester-Produkte sich oft durch Intransparenz und dite aus den Riester-Verträgen – natürlich vor dem Hin- Ineffizienz auszeichnen, ist bei der FDP offensichtlich tergrund eines erhöhten Risikoschutzes – abgesenkt wer- noch nicht angekommen. Dass bei einigen fondsgebun- den kann. denen Riester-Verträgen die Versicherten Verluste von bis zu 80 Prozent zu beklagen haben, ist Ihnen wohl (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sonst wird es gleichgültig. Oder geht es Ihnen in erster Linie darum, nicht funktionieren!) 24076 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Anton Schaaf (A) Was heißt das allerdings in der Konsequenz? Die Un- Kein einziges dieser Produkte hat von den Verbraucher- (C) ternehmen verdienen an der Riester-Rente, die staatlich schützern ein gutes Testat bekommen. Das alles sollte gefördert ist, im Zweifel mehr; man berücksichtigen. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nein, das habe Was wir gesamtgesellschaftlich geschaffen haben, bei ich doch gerade gesagt! Das Risiko ist auch der Altersvorsorge, aber auch für den Fall der Erwerbs- höher ausgeprägt!) minderung, ist ohne jeden Zweifel enorm. Vor dem Hin- tergrund dessen, dass wir das Leistungsniveau in der ge- die Gewinnmargen werden größer. Sie wollen die setzlichen Rentenversicherung senken, müssen wir Riester-Rente schlichtweg attraktiver für die Unterneh- darauf achten – insoweit gebe ich den Grünen allemal men und nicht für die Beschäftigten machen. Das ist in recht –, dass Erwerbsminderung nicht automatisch Ar- Ihren Anträgen eindeutig zu lesen. mut bedeutet. Da müssen wir Antworten geben, aber die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ müssen wir eh insgesamt geben. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Sozialdemokraten haben eine Antwort gegeben, die CDU/CSU – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das relativ klar ist. Wir sind uns einig, was die Erwerbstäti- ist Quatsch!) genversicherung angeht, weil sie die Basis verbreitert, auf der Solidarität mit Menschen in besonderen Lebens- Mir ist mittlerweile wirklich schleierhaft, wie man in lagen geübt werden kann. dieser Zeit so erkenntnisresistent sein kann. Wir befin- den uns in einer Weltfinanzkrise, in einer Weltwirt- Wenn wir das so isoliert betrachten, wie es die Grü- schaftskrise, deren Ursachen wirklich beschreibbar sind. nen getan haben – die Grünen wollen die Zurechnungs- Eine Auswirkung dieser Krise ist, dass zum Beispiel in zeiten verändern und das Problem ohne Abschläge Großbritannien oder in den Vereinigten Staaten Millio- lösen –, werden wir zumindest eines nicht halten können nen älterer Menschen – vor dem Hintergrund, dass sie – darüber muss man sich im Klaren sein –, nämlich die sich nur privat für das Alter absichern konnten – jetzt Beitragssatzziele. Wir verteuern das Ganze. Man muss vor dem Nichts stehen. Dass man angesichts einer sol- um diesen Preis wissen. Insbesondere die Arbeitnehme- chen Auswirkung die zusätzliche Privatisierung eines rinnen und Arbeitnehmer, die höhere Beiträge bezahlen, Lebensrisikos hier in einem Antrag einfordert, ist schon haben dann nicht mehr Ansprüche, weil man die Mittel mehr als bemerkenswert. für die Sicherung an anderer Stelle verwendet. Man muss schon klar und deutlich sagen, dass man die ande- Vizepräsidentin Petra Pau: ren mehr belasten muss, um diesen Fall, den man nie- mandem wünscht, in besonderer Weise abzusichern. (B) Kollege Schaaf, gestatten Sie eine Zwischenfrage des (D) Kollegen Kolb? Ich bin der festen Überzeugung, dass wir die Frage der Zurechnungszeiten vor dem Hintergrund des höhe- Anton Schaaf (SPD): ren Renteneintrittsalters ernsthaft miteinander diskutie- ren müssen. Wir haben in unserem Regierungsprogramm Nein. Herr Kolb, Sie hatten die Möglichkeit, Ihren für die nächste Legislaturperiode das Thema der Er- Antrag vorzustellen. Wir werden auch im Ausschuss werbsminderung, wie ich finde, sehr vernünftig aufge- ausführlich über das Thema diskutieren. Im Gegensatz griffen, und zwar insbesondere was den Zeitraum zwi- zu Ihnen will ich heute Abend noch zum Maifest des schen dem 60. Lebensjahr und dem frühestmöglichen DGB. Die Präsidentin hat auch schon darauf hingewie- Eintritt in die Erwerbsminderungsrente ohne Abschläge sen, dass wir etwas überzogen haben. Von daher sollten angeht. Dafür haben wir Lösungen zu finden versucht. wir das jetzt lassen. Mit der Zurechnungszeit bis zum 60. Lebensjahr übt die Sie beantworten überhaupt nicht die Frage: Was ma- Versichertengemeinschaft ein enorm hohes Maß an Soli- chen wir mit den 12 Millionen Menschen, die schon ge- darität; denn unabhängig davon, ob jemand mit 25 oder riestert haben? Für die bräuchten wir neue Verträge. Wie 39 oder 59 Jahren – das ist der Durchschnitt – erwerbs- ist das dann mit der Gesundheitsuntersuchung, die Versi- gemindert wird, unterstellen wir einen Versicherungs- cherungskonzerne immer fordern? verlauf bis zum 60. Lebensjahr. Das ist eine herausra- gende Leistung, die wir als Versicherte in der Wie ist überhaupt zu erklären, dass sich so wenige gesetzlichen Rentenversicherung solidarisch erbringen. Menschen privat gegen das Risiko der Berufsunfähigkeit absichern? (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das reicht aber trotzdem nicht! Mehr als Grundsicherung (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir reden von kommt dabei nicht herum!) Erwerbsminderung, nicht von Berufsunfähig- keit!) Die SPD-Bundestagsfraktion wie die SPD in Gänze ist der Ansicht, dass weitere Privatisierungen bei der Al- Ich sage Ihnen, womit das zu erklären ist: Die Verträge, tersvorsorge oder bei anderen Lebensrisiken, die die die angeboten werden, sind wirklich alles andere als Menschen zu tragen haben, nun wirklich nicht verant- lukrativ; unglaublich hohe Beiträge für miserable Leis- wortbar sind. Wir haben an einer Stelle privatisiert, tungen. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber ihr bedau- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ert es schon längst!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24077

Anton Schaaf (A) um auf die demografische Entwicklung zu reagieren. kung in der gesetzlichen Rentenversicherung auch die (C) Erwerbsminderungsrenten betreffe. Hinzu kommt, dass (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ihr würdet es lie- in den letzten Jahren das Zugangsalter von Erwerbsge- bend gerne rückabwickeln!) minderten kontinuierlich gesunken ist: in den letzten Aber wir sollten nicht jedes Problem, das wir in unseren zehn Jahren immerhin um zwei Jahre. Wenn wir nicht sozialen Sicherungssystemen haben, zu lösen versuchen, gegensteuern, verliert die Erwerbsminderungsrente ihre indem wir privatisieren, so wie Sie es wollen. Funktion für die existenzielle Sicherheit von Menschen mit einer Erwerbsminderung. Darum ist es gut, dass wir (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten heute zwei Anträge beraten. Besser wäre es, wenn wir der LINKEN) auch einen Antrag der Großen Koalition hier beraten Das ist der untauglichste Versuch, den es gibt, wie die könnten. Geschichte gerade bewiesen hat. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die kneifen wie (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dann müssen immer, Frau Kollegin!) Sie konsequenterweise auch die Riester-Rente zurückdrehen! – Gegenruf des Abg. Christian Die FDP macht in ihrem Antrag Vorschläge zur Nach- Lange [Backnang] [SPD]: Das ist dummes besserung in den Bereichen der privaten und betriebli- Zeug! – Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE chen Altersvorsorge, damit auch die Erwerbsminderung LINKE]: Frau Nahles fordert das erfreulicher- in diesen Säulen abgesichert ist. Wir Bündnisgrünen ha- weise!) ben uns die Frage gestellt: Welches ist der vorrangige Weg, damit Menschen, die aus gesundheitlichen Grün- – Die Frage, ob man angesichts von 12 Millionen Men- den oder wegen einer Behinderung nicht bis zum Ren- schen, die riestern, die Riester-Rente sinnvollerweise zu- tenalter arbeiten können, dennoch vor Armut im Alter rücknehmen kann, geschützt sind? (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dann dürfen Sie Unsere grundsätzliche Antwort lautet: Der Schutz vor aber nicht so reden!) Armut im Alter muss im Rahmen der ersten Säule erfol- ist abstrus und stellt sich nicht. gen, also in der gesetzlichen Rentenversicherung. Vor dem Hintergrund der jetzt gemachten Erfahrun- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gen mit der Finanzkrise, in der Milliarden und Abermil- Wir wollen nicht, dass nur Versicherte, die sich eine er- liarden versenkt worden sind – damit auch die Erspar- gänzende Altersvorsorge leisten können, vor Armut ge- nisse der Menschen fürs Alter –, schützt sind. Die FDP hat da offensichtlich eine andere (B) (D) (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So wie Sie re- Klientel vor Augen. Dieser Grundsatz wird umso deutli- den, haben Sie 12 Millionen Menschen in die cher, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass eine teil- Falle gelockt!) weise oder auch vollständige Erwerbsminderung und Behinderung bereits in sehr jungen Jahren eintreten eine Debatte darüber zu führen, ob zusätzliche Risiken kann. individualisiert werden können, ist nun wirklich abstrus. An dieser Stelle werden Sie die Sozialdemokraten mit Damit die Erwerbsminderungsrente gerechter wird Sicherheit nicht an Ihrer Seite haben. Aber Sie können und einen besseren Schutz vor Armut im Alter bietet, ist sich auch sicher sein, dass wir alle Details, die Sie ge- es grundsätzlich erforderlich, die Zurechnungszeit bis zu rade mit mir noch besprechen wollten, im Ausschuss dem Zeitpunkt der abschlagsfreien Erwerbsminderungs- miteinander diskutieren werden. Ich habe nur – wie auch rente anzuheben, auch wenn dies Geld kostet, Kollege der Kollege Weiß – den Eindruck, dass meine Fraktion Schaaf. zu keinem anderen Ergebnis kommen kann. Eine weitere (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Privatisierung individueller Lebensrisiken ist mit der SPD nicht zu machen. Gegenwärtig müsste die Zurechnungszeit bis zum 63. Lebensjahr fortgeführt werden. Nur so kann eine Be- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nachteiligung infolge einer gesundheitlichen Beeinträch- der CDU/CSU) tigung oder Behinderung in jungen Jahren ausgeglichen werden. Dies mag Geld kosten; aber die Menschen su- Vizepräsidentin Petra Pau: chen sich das nicht aus. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk das Wort. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir fordern erneut, das Zugangsalter für eine ab- Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE schlagsfreie Erwerbsminderungsrente mit 63 Jahren bei- GRÜNEN): zubehalten und somit die Anhebung nach dem Alters- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! grenzenanpassungsgesetz von 63 auf 65 Jahre wieder Zu Recht weist der Präsident der Deutschen Rentenver- rückgängig zu machen. sicherung Bund auf das steigende Risiko von Armut im (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Alter gerade bei erwerbsgeminderten Versicherten hin und fordert von uns im Parlament Nachbesserung. Es Bereits bei der Debatte um die Rente mit 67 hatten wurde gerade gesagt, dass die allgemeine Niveauabsen- wir verdeutlicht, dass eine Anhebung des Zugangsalters 24078 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Irmingard Schewe-Gerigk (A) für die Erwerbsminderungsrente willkürlich ist. Eine ab- Berichterstattung: (C) schlagsfreie Erwerbsminderungsrente mit 63 Jahren ist Abgeordnete Patricia Lips gerechter als Ausnahmeregelungen für langjährig Versi- Ingrid Arndt-Brauer cherte, die eben das Glück haben, über eine robustere Gesundheit zu verfügen, oder die unter weniger belas- – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) tenden Arbeitsbedingungen arbeiten konnten. gemäß § 96 der Geschäftsordnung Die Öffnung der Riester-Rente für das existenzielle – Drucksache 16/12895 – Risiko der Erwerbsminderung halten wir durchaus für richtig, Herr Kollege Kolb; aber dies gibt es schon, wie Berichterstattung: wir gerade gehört haben. Die anderen Vorschläge des Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme FDP-Antrags lehnen wir ab. Sie sind überflüssig und ha- (Erfurt) ben mit solidarischer Absicherung nun wirklich gar nichts zu tun. Dr. Gesine Lötzsch Alexander Bonde (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Die FDP scheint vor allem bei der zweiten Forderung Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die in ihrem Antrag mehr die Interessen der Versicherungs- Reden der folgenden Kolleginnen und Kollegen: Patricia wirtschaft denn die der Versicherten im Auge zu haben. Lips für die Unionsfraktion, Ingrid Arndt-Brauer für die SPD-Fraktion, Frank Schäffler für die FDP-Fraktion, (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Dr. Barbara Höll für die Fraktion Die Linke, Dr. Gerhard Diesen Verdacht darf man hegen!) Schick für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Natürlich würden sich die Versicherungen freuen, wenn sie den Garantiezins senken könnten. Dass dies nicht nö- Patricia Lips (CDU/CSU): tig ist, zeigen die Tarifverträge der Chemie- und der Me- tallbranche. Mit diesen Tarifverträgen wird deutlich, Wir verabschieden heute ein Gesetz, welches eine dass die Berufs- und Erwerbsminderungsrente zu günsti- Europäische Richtlinie zum Verbrauchsteuerrecht in na- gen Konditionen für die Versicherten auch in die betrieb- tionales Recht umsetzt. Dabei wird bei der Beförderung liche Altersvorsorge eingebaut werden kann. von steuerbaren Waren künftig IT-gestützt verfahren. Un- abhängig davon, dass die bisherige Grundlage der Pa- Ich fasse zusammen: Damit die Erwerbsminderungs- pierdokumente durch die neuen IT-Verfahren abgelöst (B) rente auch gesundheitlich beeinträchtigte Beschäftige werden soll, werden damit auch die Überwachung der (D) besser vor Armut im Alter schützt, ist ein ausreichender Beförderung für beide Seiten in Echtzeit sowie die Ver- Schutz in der ersten Säule der Alterssicherung geboten. waltungsvereinfachung vorangetrieben. Zusätzlich dient Dazu fordern wir eine Beibehaltung des Referenzalters das Gesetz der Bekämpfung des Steuerbetrugs und der von 63 Jahren. Zusätzlich muss die Zurechnungszeit an- Sicherung der Verbrauchsteuereinnahmen. Wer kann das gepasst werden, und zwar grundsätzlich bis zur ab- ablehnen? schlagsfreien Erwerbsminderungsrente. Ich freue mich auf die Debatte im Ausschuss und bitte Aufgrund der großen Spanne potenziell zu erwarten- Sie, das zu unterstützen. der Kosten und damit Belastungen für die Unternehmen im Rahmen der Umstellung war es jedoch für die CDU/ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) CSU wichtig, dass das Finanzministerium im Vorfeld mit allen relevanten Verbänden gesprochen hat, um die Um- Vizepräsidentin Petra Pau: stellung reibungslos und ohne größere Belastungen ge- Ich schließe die Aussprache. rade für die betroffene mittelständische Wirtschaft zu ge- währleisten. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/10872 und 16/12865 an die in Im Mittelpunkt der Diskussionen und des Interesses der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- der Medien der vergangenen Wochen standen bei diesem gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Gesetzesvorhaben jedoch andere Themen, die – man ist Dann sind die Überweisungen so beschlossen. versucht zu sagen: „bei dieser Gelegenheit“ – parallel in Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: diesem Gesetz zu Verbrauchsteuern umgesetzt werden sollen. So war es ein Anliegen von Industrie und Handel, – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- den Mindestinhalt bei Zigarettenpackungen von bisher gierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten 17 auf 19 zu erhöhen. War man sich bei dieser Zahl recht Gesetzes zur Änderung von Verbrauchsteuer- schnell einig, so gab es dann doch teilweise sehr kontro- gesetzen verse Diskussionen über die Frage, wie lange der „alte“ – Drucksachen 16/12257, 16/12675 – Packungsinhalt noch produziert werden kann und darf, sowie darüber, wie lange der Handel eine Abverkaufsfrist Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus- gewährt bekommt. Der gefundene Kompromiss gibt allen schusses (7. Ausschuss) Seiten hinreichend Gelegenheit, sich auf neue Gegeben- – Drucksachen 16/12878, 16/12903 – heiten einzustellen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24079

Patricia Lips (A) An dieser Stelle sei auch auf zwei „Begleiterscheinun- Schatten vorauswirft – in der Sache zügig und zielorien- (C) gen“ verwiesen: tiert arbeitet. Die rasche Umsetzung der dem Gesetz zugrunde liegenden EU-Richtlinie des Rates vom 16. De- Erstens. Durch die Erhöhung des Packungsinhaltes zember 2008 schafft Planungssicherheit für Unterneh- wird es zu einer Verteuerung des einzelnen Päckchens men, Handel und Verwaltung. kommen. Die bisherige Schwelle von 4 Euro wird nun von weiteren Marken überschritten. Im Wettbewerb der In- Zugegeben: Inhalt und Zielrichtung der Gesetzesvor- dustrie untereinander sicher ein wichtiges Element, bil- lage erschließen sich Nicht-Fachleuten sowie den meis- det dieser Schritt doch zusätzlich schon rein optisch eine ten Bürgerinnen und Bürgern wohl kaum ohne Weiteres. Verringerung im Preisabstand. Das Verbrauchsteueränderungsgesetz ist in der Tat ein Gesetz, in dem verfahrenstechnische Gesichtspunkte die Zweitens. Unabhängig davon kommt es bereits jetzt, maßgebliche Rolle spielen. Genau gesagt, es geht um die ab 1. Juni, zu einer breit angelegten Preiserhöhung bei Besteuerung, Beförderung und Lagerung von verbrauch- Tabakwaren durch die Industrie. steuerpflichtigen Waren wie zum Beispiel Tabak, Alkohol, Vor diesem Hintergrund rege ich an, dass wir uns ei- Energieerzeugnisse und Strom im innereuropäischen Ver- nige Monate nach der Umstellung die Entwicklung der kehr. Bislang wurde die Besteuerung dieser auf Grund- Steuereinnahmen in diesem Bereich genauer ansehen. Es lage von Papierdokumenten vorgenommen, im digitalen bleibt abzuwarten, ob diese steigen oder ob – was gleich- Zeitalter, wie ich meine, durchaus ein Anachronismus. falls erwartet werden muss – einmal mehr ein „Auswei- Papier erzeugt Mehraufwand und ist für die Zollbehörden chen“ auf andere Tabakprodukte eintritt und es gar zum schwieriger zu kontrollieren. Mit der Umsetzung der EU- vermehrten Konsum unversteuerter Ware kommt. Richtlinie wird ein europaweites IT-Verfahren eingeführt. Es erlaubt Wirtschaftbeteiligten und Zollverwaltung, die Und lassen Sie mich noch einen Punkt in diesem Zu- Beförderung der von mir genannten Waren in Echtzeit zu sammenhang nennen: Bisher entscheiden wir, die Parla- überwachen. Dadurch leisten wir einen wichtigen Bei- mentarier, über die genannten Vorgänge. Dem Vorschlag trag zur Bekämpfung von Steuerbetrug und entlasten Un- des Ministeriums, künftig Mindestpackungsinhalte bei ternehmen und Handel von Bürokratie. Zigaretten selbst per Rechtsverordnung festzusetzen, konnte nicht entsprochen werden. Jenseits der Sachfrage Neben der Einführung eines computergestützten Ver- ging es hier vielen Kolleginnen und Kollegen auch aus fahrens enthält der Gesetzentwurf weitere Regelungen, anderen Ausschüssen um die prinzipielle Frage des die ich sehr erwähnenswert finde: So wird der Mindest- Selbstverständnisses von Befugnissen des Gesetzgebers. packungsinhalt bei Zigaretten von bisher 17 auf 19 Stück angehoben. Bei Feinschnitt wird ein Mindestpackungsin- Wir fordern nichts Neues, sondern die Beibehaltung halt von 30 Gramm eingeführt. Das macht die einzelne (B) (D) des Status quo. Packung teurer. Hinzu kommen, wie letzte Woche in der Ein weiteres Thema, welches, wenn auch verspätet, Presse zu lesen war, Preiserhöhungen einiger führender aufgenommen werden konnte, ist die weiterhin gültige Zigarettenhersteller. In der Konsequenz wird das Rau- Steuerbegünstigung bei der thermischen Verwertung von chen somit spürbar teurer – bei einer Zigarettenpackung Altöl. Die Änderungen im Energiesteuergesetz lösen eine kann das ein Betrag bis zu 50 Cent sein. Besonders aus Beihilfe ab, die in Kürze ausläuft. Auch hier ist zu begrü- Sicht des Kinder- und Jugendschutzes kann ich diese ßen, dass sehr schnell eine Einigung mit den betroffenen Preisentwicklung nur begrüßen, auch wenn es immer Unternehmen gefunden werden konnte. Stehen für die ei- Stimmen geben wird, die sagen: Wegen einer solchen nen wirtschaftliche Aspekte im Vordergrund, so sehen an- Preiserhöhung wird niemand abgehalten, sich Zigaretten dere den Schwerpunkt in der umweltpolitischen Len- zu kaufen, der ernstlich raucht oder mit dem Rauchen an- kungsfunktion dieser Maßnahme. Im Ergebnis gab es, wie fangen will. Ich bin der festen Überzeugung, dass Preis- bei dem Gesetz insgesamt, auch hier einen breiten Kon- erhöhungen einen wichtigen Beitrag leisten, den Zugang sens. für Jugendliche und Heranwachsende zum Rauchen zu erschweren. Darüber hinaus sehe ich auch eine morali- Dieses Gesetz steht unter dem Einfluss der Eilbedürf- sche Verpflichtung des Staates, eine Politik zu betreiben, tigkeit, die sich bereits durch die Umsetzung des IT-Ver- welche die unbestreitbaren Gesundheitsgefährdungen fahrens ergibt. Dieser Umstand ist sicher maßgeblich da- des Rauchens nicht verharmlost. Vielmehr brauchen wir für verantwortlich, dass weitere Ideen und Vorschläge eine Politik, welche den Gefahren vorbeugend entgegen- nicht mehr zum Zuge kamen. Sie waren weder zeitlich, wirkt. noch strukturell, noch für viele inhaltlich umsetzbar. Schon seit vielen Jahren setzt sich die SPD-Fraktion Abschließend danke ich für die gute und konstruktive daher im Bundestag dafür ein, den Gefährdungen des Zusammenarbeit im Ausschuss sowie in den begleitenden Rauchens mit umfassenden präventiven Maßnahmen zu Gesprächsrunden. Die Zustimmung der CDU/CSU-Frak- begegnen. Ich erinnere daran, 2003 hatte die Bundesre- tion ist dem 4. Gesetz zur Änderung von Verbrauchsteu- gierung die Tabakwerbung im Kino vor 18 Uhr verboten. ergesetzen in der nun vorliegenden Form gewiss. Im Sommer 2004 folgte ein Verbot für das kostenlose Ver- teilen von Zigaretten zu Werbezwecken. Zigaretten-Klein- Ingrid Arndt-Brauer (SPD): packungen sind seit Januar 2005 nicht mehr erlaubt. Die Ich freue mich, dass wir heute das Vierte Verbrauch- Altersgrenze für den Verkauf von Tabakwaren an Kinder steuergesetz verabschieden können. Die Große Koalition und Jugendliche wurde von 16 Jahren auf 18 Jahre er- hat gezeigt, dass sie – obwohl der Wahlkampf schon seine höht. Zigarettenautomaten mussten bis Ende letzten Jah-

Zu Protokoll gegebene Reden 24080 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Ingrid Arndt-Brauer (A) res technisch so umgerüstet sein, dass Kindern und Ju- Bürokratie war, ist es widersprüchlich, wenn nun für das (C) gendlichen unter 18 Jahren die Entnahme von Zigaretten Produkt Zigaretten der Mindestpackungsinhalt nicht nur nicht möglich ist. bestätigt, sondern erhöht wird. Eine Tafel Schokolade darf nun beispielsweise auch 91 Gramm wiegen, ein Hinzu kamen eine schrittweise Erhöhung der Tabak- Milchpack 0,95 Liter enthalten. Warum es dann künftig steuer und die Einführung einer Sondersteuer auf Alko- verboten sein soll, 18 Zigaretten zu verkaufen, lässt sich pops 2004. Beide Steuererhöhungen erschwerten die schlecht begründen. Wir haben zur Kenntnis genommen, Verfügbarkeit dieser Stoffe gerade für Kinder und Ju- dass die Neuregelung ein Wunsch von Industrie und Han- gendliche, was nachweisbar zu einem deutlichen Kon- del sei. sumrückgang führte. Diese verbrauchsteuerlichen Maß- nahmen stellen somit erfolgreiche Beispiele für eine Die Regelungskompetenz bezüglich des Mindestin- moderne Suchtpolitik dar! Ende 2006 haben wir diese halts bleibt aber auch künftig dem Gesetzgeber überlas- Politik fortgesetzt und Tabakwerbung in Printmedien, im sen. Dies begrüßen wir. Im Gesetzentwurf war ursprüng- Hörfunk und im Internet verboten. Als weiteren Beleg für lich vorgesehen, dass die Festlegung des Mindestinhalts unseren umfassenden und präventiven Politikansatz ver- künftig durch Rechtsverordnung des Bundesfinanzminis- weise ich gerne auch auf das Nichtraucherschutzgesetz ters erfolgen solle. Für eine solche Verlagerung der aus dem Jahre 2007. Ich bin mir sicher: Die jetzige Ver- Zuständigkeit gibt es aber überhaupt keinen Anlass. Ge- teuerung der Zigarettenpackungen steht in konsequenter rade das vorliegende Gesetzgebungsverfahren, in dem Linie mit der von uns betriebenen Politik in den letzten erst am Ende eine angemessene Übergangsfrist einge- Jahren. Die Preiserhöhungen werden ihre Wirkung nicht führt wurde, zeigt, dass eine parlamentarische Beratung verfehlen. durchaus sinnvoll ist. Wenn ich eine Bilanz ziehe, so kann ich guten Gewis- sens mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zufrieden sein. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Das gilt auch deshalb, weil es uns in vielen Beratungen Mehr Informationspflichten der Wirtschaft zur Be- und Gesprächen gelungen ist, faire und praktikable Lö- kämpfung des Steuerbetrugs, das wird von der Linken sungen für Wirtschaft und Handel zu finden. Mit der Ver- grundsätzlich begrüßt. Wir stimmen daher dem vorlie- längerung der Abverkaufsfrist bis zum 31. Dezember genden Gesetzentwurf zur Änderung von Verbrauchsteu- 2009 kann der Tabakwaren-Groß- und Einzelhandel si- ergesetzen zu. cher gut leben. Bei der Besteuerung von Ölabfällen ist es Die Initiative hierzu geht allerdings auf die EU und uns gelungen, dass betroffene Unternehmen und Betriebe nicht auf die Bundesregierung zurück. Denn mit dem Ge- durch den zukünftigen Wegfall der Steuerbefreiung für setzentwurf wird nur die EU-Richtlinie 2008/118/EG vom (B) Ölabfälle nicht übermäßig belastet werden. 16. Dezember 2008 in nationales Recht umgesetzt. Sie be- (D) Ich empfehle Ihnen daher, dem Gesetzentwurf zu zu- trifft die innergemeinschaftlichen Verfahrensregelungen stimmen. zur Besteuerung, Beförderung und Lagerung von Tabak- waren, Alkohol und alkoholischen Getränken sowie Energieerzeugnissen und Strom. Die EU-Richtlinie bildet Frank Schäffler (FDP): die Rechtsgrundlage für die EU-weite Einführung des IT- Die FDP-Fraktion stimmt dem Gesetzentwurf in der Verfahrens EMCS. Dies ist ein EDV-System für die Über- vom Finanzausschuss geänderten Fassung zu. Schwer- wachung der Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger punkt des Gesetzes ist es, eine nationale Rechtsgrundlage Waren zwischen den EU-Mitgliedstaaten, für die noch für die EU-weite Einführung des IT-Verfahrens EMCS keine Verbrauchsteuern gezahlt wurden – sogenannte (Excise Movement and Control System) zu schaffen, da- Waren unter Steueraussetzung. Damit soll die bisher auf mit die bisher auf der Grundlage von Papierdokumenten Papierdokumenten beruhende Erfassung weitgehend ab- ablaufenden Beförderungsverfahren mit steuerbaren Wa- gelöst werden. Ziel ist die Bekämpfung von Steuerbetrug ren künftig unter Steueraussetzung lT-gestützt abgewi- und die Sicherung von Verbrauchsteuereinnahmen. ckelt werden können. Dabei ist uns als FDP-Fraktion wichtig, dass die Bundesregierung ihre Zusage einhält, Gewichtig als Einnahmenquelle ist von den betroffe- die sie in ihrer Gegenäußerung zur Bundesratsstellung- nen Verbrauchsteuern nur die Energiesteuer. Sie ergab nahme gegeben hat. Der Bundesrat hatte gefordert, dass 2007 knapp 39 Milliarden Euro für die öffentliche Hand, die Bundesregierung bei der Konkretisierung des Verfah- was einem Anteil von 7,2 Prozent an den gesamten Steu- rens auf eine möglichst geringe Kostenbelastung der be- ereinnahmen entsprach. Alle anderen zusammengenom- troffenen Unternehmen achten müsse, da diesen Kosten men, machten 2007 gerade einmal 4,6 Prozent – knapp zwischen 100 Euro und mehreren 100 000 Euro entste- 25 Milliarden Euro – aus. Es handelt sich also überwie- hen. Die Bundesregierung hat zugesagt, dieser Empfeh- gend um Bagatellsteuern. lung zu folgen. Angesichts der enormen Bandbreite an Kosten ist es uns wichtig, dass hier keine unnötigen An- Aber Verbrauchsteuern begründen sich nicht nur aus forderungen an die Unternehmen gestellt werden. der Bereitstellung von Finanzmitteln für den Staat. Sie sollen auch das Verhalten von Bürgerinnen und Bürgern Beim vorliegenden Gesetzentwurf stellt sich aber na- sowie Unternehmen indirekt beeinflussen, wenn deren türlich auch die Frage, warum der Mindestpackungs- Konsum oder Produktion mit Kosten für die Allgemein- inhalt bei Zigaretten nun auf 19 angehoben wird. Da vor heit verbunden sind. So sollen beispielsweise Energie- einem Monat erst die Packungsgrößen bei Lebensmitteln und Stromsteuer ökologisch wirken, indem sie im Zeit- freigegeben wurden, was gerade ein Schritt zu weniger ablauf den Energieverbrauch senken. Doch nicht immer

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24081

Dr. Barbara Höll (A) funktioniert dies so eindeutig: So hat die Erhöhung der Das neue EDV-Verfahren soll ab April 2010 möglich (C) Tabaksteuer zu mehr Steuerhinterziehung und Steuerver- und ab 2011 bindend werden. Spätestens ab 2011 gehört meidung geführt. Denn der Vorrang für die sogenannte die Papierabwicklung bei der Beförderung und Besteue- Kapital- sowie Waren- und Dienstleistungsfreiheit inner- rung von Waren wie Zigaretten und Alkohohl also endlich halb des europäischen Binnenmarktes begünstigt Steuer- der Geschichte an. Dabei frage ich mich und die Bundes- hinterziehung und -vermeidung – unter „Freiheit“ wer- regierung schon: Wieso erfolgen erst jetzt gesetzgeberi- den hier lasche Kontrollen und mangelnde staatliche sche Schritte zur Umstellung auf EDV? Wieso hat die EU- Koordination verstanden. Innergemeinschaftliche Steu- Kommission oder das Bundesfinanzministerium nicht erhinterziehung und -vermeidung funktionieren umso schon längst eine entsprechende Initiative ergriffen? In- besser, je weniger die Steuern zwischen den Mitgliedstaa- ternet und Computer sind ja beileibe keine neuen Techno- ten koordiniert und harmonisiert sind, was in der EU logien mehr. Kein Unternehmen, kein Büro, keine Kanz- leider der Regelfall ist. Das ist der Ausfluss des von der lei, keine öffentliche Verwaltung, nicht einmal Schulen Bundeskanzlerin und dem Bundesfinanzminister so ge- oder Kindertagesstätten kommen heute noch ohne die schätzten und fleißig betriebenen Steuerwettbewerbs. moderne Informations- und Kommunikationstechnik aus. Unsere globalisierte, wissensbasierte Welt ist ohne Inter- Die Linke setzt sich für die Eindämmung des Steuer- net und Computer schlicht nicht vorstellbar. Aber die Be- wettbewerbs ein. Dieser hat in den letzten Jahren steuerung von Zigaretten und Alkohol zwischen EU-Län- maßgeblich zu einer Erosion von Steuerquellen und Steu- dern erfolgt bis zum heutigen Tage auf Papierbasis, also ermoral geführt. Steuergefälle zwischen den Mitglied- mit einer Technologie, die fast 2 000 Jahre alt ist! Wie staaten begünstigen vor allem die mobilen und flexiblen ohne EDV-technische Erfassung und Abgleich von Steu- Akteure: Banken, Großunternehmen und Vermögende erdaten bisher überhaupt eine wirksame Steuerbetrugs- wählen ihren Stand- oder Wohnort nach der niedrigsten bekämpfung möglich sein sollte, ist mir schleierhaft. Das Steuerbelastung. Der Wettbewerb der Mitgliedstaaten um Gesetz ist also ein überfälliger Schritt in Richtung Mo- deren Ansiedlung führt zu immer neuen Steuerabsen- derne. kungsrunden. Arbeitnehmerinnen und -nehmer sowie kleine und mittlere Unternehmen können nicht so einfach Weitere Änderungen wie die Stückzahl in Zigaretten- den Ort wechseln und sehen sich daher seit Jahren mit ei- packungen, Anpassungen bei der Kaffeesteuer, verän- ner zunehmenden Steuerlast konfrontiert. Die Bundesre- derte Informationspflichten oder Korrektur bei der weg- gierung nimmt hier eine Vorreiterrolle ein. Prägnantes fallenden Steuerbefreiung von Ölabfällen kann ich im Beispiel ist die Unternehmensteuerreform 2008 mit ihrer Einzelnen nicht abschließend bewerten. Die Begründun- massiven Entlastung von Vermögenden (Stichwort: gen des Ministeriums scheinen mir jedoch im Wesentli- Abgeltungsteuer) und Unternehmen und deren Finanzie- chen schlüssig und nachvollziehbar. Dem Gesetzentwurf (B) (D) rung auf Kosten der niedrigen und mittleren Einkom- stimmen wir daher zu. mensbezieher durch die Erhöhung des Mehrwertsteuer- satzes. Vizepräsidentin Petra Pau: Die Vereinheitlichung der Verfahrensweise und die Wir kommen zur Abstimmung. stärkere Kontrolle bei den Verbrauchsteuern sind ein kleiner Schritt in die richtige Richtung – aber leider nur Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp- ein sehr kleiner: Es werden ja nicht einmal die Steuer- fehlung auf den Drucksachen 16/12878 und 16/12903, den sätze angeglichen. Es ist typisch für die EU-Politik, dass Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Druck- bei den unbedeutenden und zudem die niedrigen Einkom- sachen 16/12257 und 16/12675 in der Ausschussfassung men stärker betreffenden Steuern angefangen wird: Die anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent- europaweite Vereinheitlichung der Bemessungsgrund- wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um lage und die Einführung von Mindeststeuersätzen für Ka- das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält pitaleinkommen und bei der Unternehmensbesteuerung sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung wird dagegen regelmäßig blockiert – auch von der Bun- einstimmig angenommen. desregierung. Dritte Beratung

Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Mit dem vorliegenden Entwurf der Bundesregierung Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – eines Vierten Gesetzes zur Änderung von Verbrauchsteu- Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent- ergesetzen wird eine EU-Richtlinie in deutsches Recht wurf ist einstimmig angenommen. umgesetzt. Dabei geht es um die Einführung eines EDV- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: gestützten Verfahrens bei der Beförderung von ver- brauchsteuerbaren Waren wie Tabakwaren, Alkohol oder Beratung des Antrags der Abgeordneten Jan Energieerzeugnissen zwischen den EU-Ländern. Durch Korte, Wolfgang Nešković, Sevim Dağdelen, die Einführung dieses EDV-Verfahrens wird die bisherige weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Papierabwicklung der Besteuerung ersetzt. Damit soll LINKE eine Vereinfachung des Verfahrens für alle Beteiligten er- reicht werden. Außerdem soll auf diese Weise der Steuer- Ein Moratorium für Sicherheitsgesetze bis zur betrug bekämpft werden. Diese Ziele teilen wir. Vorlage eines Prüfberichts zu Folgen der 24082 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Urteile des Bundesverfassungsgerichts zur Zweitens soll diese Expertengruppe analysieren, was (C) Online-Durchsuchung in den letzten Jahren in Bezug auf den Kampf gegen den internationalen Terrorismus beschlossen worden ist. Es – Drucksache 16/8981 – wäre gut, eine solche umfassende Analyse von unabhän- Überweisungsvorschlag: giger Seite zu bekommen. Sonst kommt das immer von Innenausschuss (f) den Wirtschaftssachverständigen, die meistens leider Rechtsausschuss Ausschuss für Kultur und Medien falsch lagen. Wir wissen nicht, was bei den unabhängi- gen Experten herauskommt. Deshalb ist das eine gute Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Idee. Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. – Ich (Beifall bei der LINKEN) höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Drittens fordern wir, dass bereits beschlossene Ge- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege setze auf ihre Verträglichkeit mit den Grund- und Frei- Jan Korte für die Fraktion Die Linke. heitsrechten überprüft werden. – Da würde ich nicht so grinsen, denn das geht eher schlecht aus für Sie. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN – Jerzy Montag Jan Korte (DIE LINKE): [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kennen Sie Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! das Ergebnis schon? – Frank Hofmann Nicht nur die Linke spricht dieses Thema immer wieder [Volkach] [SPD]: Sandkastenspiele sind das!) an; zuletzt hat das der Präsident des Bundesverfassungs- Viertens schlagen wir vor – das halte ich in der Tat für gerichtes getan, der die Bundesregierung und den Bun- eine wirklich wichtige Sache; denn die Begründung für destag vor einem Super-GAU im Datenschutz warnte. Er alle Gesetze, die wir hier verabschiedet haben, war im- ermahnte den Staat, endlich zu handeln. mer, dass wir Verschiedenes machen müssen, um größt- In den letzten Jahren gab es eine ganze Reihe von Ur- mögliche Sicherheit in unserem Land zu erreichen –, ne- teilen des Bundesverfassungsgerichtes zu Fragen von ben der Frage der Grund- und Freiheitsrechte zu Eingriffen in die Grund- und Freiheitsrechte. Wir haben analysieren und zu evaluieren, ob das Ganze wirklich zu eine wachsende Bürgerrechtsbewegung zu verzeichnen. mehr Sicherheit geführt hat oder ob es einfach nur ein Es gab mehrere Demonstrationen unter dem Motto Strohfeuer gewesen ist. Deswegen wollen wir eine unab- „Freiheit statt Angst“. Das ist gut und muss noch weiter hängige Überprüfung dessen und nicht, dass das Bun- wachsen. Vor allem haben immer mehr Verbände – auch desministerium des Innern, wie es dies ansonsten – man (B) solche, die nicht unbedingt als Vorfeldorganisationen der kann sagen: durchaus lustig – macht, seine eigenen Ge- (D) Linken bekannt sind, zum Beispiel Rechtsanwaltsver- setze evaluiert bände, Journalistenverbände – vom Bundestag gefordert, endlich darüber zu diskutieren, wohin es mit der Sicher- (Frank Hofmann [Volkach] [SPD]: Sie haben heitsarchitektur in diesem Land gehen soll. die letzten Gesetze gar nicht gelesen! Sie ha- ben keine Ahnung!) Deswegen hatte die Linke eine, wie ich finde, hervor- ragende Idee, und zu dem Schluss kommt, dass die Gesetze hervorra- gend sind. So geht es natürlich nicht. Vielmehr wollen (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – wir das Ganze unabhängig gestalten. Bis dahin fordern Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE wir – das ist der Kern unseres Antrages –, auf neue Ge- GRÜNEN]: Gut, dass Sie das finden! – Jerzy setze zu verzichten, Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist gut, dass Sie schmunzeln, Herr Korte!) (Beifall bei der LINKEN – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Buße tun!) um dem Bundestag und der Bundesregierung Zeit zu verschaffen, ausführlich über diese Fragen zu diskutie- erst einmal in sich zu gehen und nachzudenken. ren. Kollege Wieland, ich habe einen Beweis dafür, wa- Was fordern wir? Wir fordern erstens eine unabhän- rum das dringend notwendig ist. Heute bekam ich vom gige Expertengruppe, die mit Vertretern aus Bürger- Kollegen die Antwort auf unsere Kleine rechtsorganisationen, Anwaltsvereinen, Richtervereinen, Anfrage „Kompetenzausweitung für das Bundesamt für Datenschutzvereinigungen und Gewerkschaften besetzt Verfassungsschutz“. Wir haben gefragt, ob die Ergeb- werden soll. nisse der Onlinedurchsuchungen nach Meinung der Bun- desregierung auch dem Bundesamt für Verfassungs- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schutz zur Verfügung gestellt werden sollten. Sie können NEN]: Und wo bleiben die Hartz-IV-Empfän- sich denken, dass wir das nicht wollen. Sie hat ehrlich ger?) darauf geantwortet und gesagt – das ist zumindest eine Diese Truppe soll darüber diskutieren, wie es um die Position –, dass das natürlich so sein sollte. Zitat: Eine Grundrechte in diesem Land bestellt ist. Ich halte das für Regelung wird in die Prüfung des Handlungsbedarfs der einen sehr guten Vorschlag. nächsten Wahlperiode einbezogen. (Beifall bei der LINKEN) (Helmut Brandt [CDU/CSU]: Korrekt!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24083

Jan Korte (A) Unser Antrag ist natürlich aktueller denn je, um dem (Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang (C) vorzubeugen, dass das nicht so kommt, wie Sie sich das Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das vorstellen. ist das Beste, was man machen kann: Lachen über diesen Antrag!) (Beifall bei der LINKEN) – Das ist wahr, Kollege Wieland. Insofern schließe ich An dieser Stelle möchte ich durchaus Kritik dahin ge- mich Ihnen an. hend zulassen, dass der Antrag schon etwas älter ist. Da wir aber über diesen Antrag debattieren, in dem (Frank Hofmann [Volkach] [SPD]: Ein ganz wir bzw. die Bundesregierung aufgefordert werden, zu- toleranter Mensch!) mindest teilweise auf die Vorlage und Verabschiedung – Ich kann es nicht ändern, dass die Verfahren hier so von Gesetzentwürfen zu verzichten, die – wie beispiels- langsam sind. Ich würde sie auch lieber beschleunigen. – weise das vor wenigen Monaten verabschiedete BKA- Nach den letzten Urteilen gibt es ein neues Grundrecht, Gesetz – für die Gewährleistung der inneren Sicherheit und zwar ein Grundrecht auf die Gewährleistung der unabdingbar sind, Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Systeme. Das war ein schlechtes Beispiel!) (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- erlauben Sie mir, dass ich zu Beginn ein paar allgemeine NEN]: Schön abgelesen!) Bemerkungen mache. Ziel unseres Antrages ist, dass man dieses neue Grund- recht in Zukunft bei allen Gesetzentwürfen, über die wir Der vorliegende Antrag soll ganz offensichtlich den hier diskutieren, im Vorfeld mitbedenkt. Das ist auch für Eindruck erwecken, als seien die von uns verabschiede- die Bundesregierung hilfreich, weil sie dann nicht dumm ten Gesetzentwürfe der letzten Monate im Bereich der dasteht, wenn das Verfassungsgericht sagt: So geht es inneren Sicherheit quasi aus Jux und Tollerei entstanden. nicht, wie ihr das vorgeschlagen habt. – Das ist doch ein- Noch schlimmer: Die Fraktion Die Linke versucht offen- mal ein konstruktiver Vorschlag. bar, den Eindruck zu vermitteln, als seien die Gesetze, die in jüngster Zeit auf dem Gebiet der inneren Sicher- (Beifall bei der LINKEN – Hüseyin-Kenan heit beschlossen wurden, nicht verfassungskonform und Aydin [DIE LINKE]: Das wäre eine gute Hilfe verfolgten lediglich den Zweck, unsere Bürger mehr zu für Sie!) kontrollieren und auszuspionieren. Das ist der Kern dieses Antrags. Es ist eine Chance für (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist uner- (B) uns alle, einmal in sich zu gehen, sachlich zu diskutieren hört! – Jan Korte [DIE LINKE]: Genau so ist (D) und mit Bürgerinnen und Bürgern, Vereinen, Verbänden es! Dieser Eindruck ist richtig!) und Gewerkschaften darüber ins Gespräch zu kommen, wie wir die Innenpolitik in diesem Land in den nächsten Herr Korte, abgesehen davon, dass dieser Eindruck voll- Jahren gestalten wollen. Deswegen bitte ich um eine kommen an der Realität vorbeigeht wohlwollende Prüfung unseres hervorragenden Antra- (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: So ist es!) ges. und Sie die derzeitige Sicherheitslage auf der Welt und Schönen Dank. in Deutschland, die diese Gesetze erst notwendig ge- (Beifall bei der LINKEN – Hüseyin-Kenan macht hat, komplett ignorieren, erschüttern Sie – das ist Aydin [DIE LINKE]: Mehr Demokratie wa- mein Vorwurf an Sie; das ist Ihre wahre Absicht – mit gen! – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Gut, Anträgen wie diesem das Vertrauen des Bürgers in das dass Sie selbst lachen und Humor haben!) Parlament; zumindest tragen Sie in ganz erheblichem Maße dazu bei. Das ist in unseren Augen verantwor- tungslos. Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Helmut Brandt. Frank Hofmann [Volkach] [SPD] – Jan Korte [DIE LINKE]: Warum?) (Beifall bei der CDU/CSU) Es kann gar kein Zweifel daran bestehen, dass der Helmut Brandt (CDU/CSU): Terrorismus auch Deutschland erreicht hat. Immer ein- dringlicher warnen Experten vor der Gefahr eines An- Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und schlags auch in Deutschland. Ich kann nur sagen: Wer Kollegen! Wenn das Thema nicht so ernst wäre, würden das nicht begriffen hat und weiterhin, zumindest unter- wir alle über Ihren Antrag lachen, wie Sie selber über schwellig, behauptet, durch die Terrorismusbekämpfung ihn gelacht haben. in Deutschland werde übermäßig in die persönliche Frei- (Jan Korte [DIE LINKE]: Nein, ich habe über heit des Einzelnen eingegriffen, hat den Ernst der Lage die Zwischenrufe gelacht!) nicht begriffen oder handelt, wie Sie es mit Ihren Vorhal- tungen tun, verantwortungslos. Ich denke, man sollte dieses Thema sachlich debattieren und nicht solche Anträge formulieren, zu denen man (Beifall bei der CDU/CSU – Jan Korte [DIE dann selber dem Grunde nach nicht steht. LINKE]: Wo steht das denn im Antrag?) 24084 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Helmut Brandt (A) – Ich komme ja jetzt zu Ihrem Antrag, Herr Korte. tung zur Evaluierung der Eingriffe schaffen. Dennoch hat (C) der Deutsche Bundestag gerade in jüngster Zeit im Hin- (Jan Korte [DIE LINKE]: Okay!) blick auf die mögliche Betroffenheit von Grundrechten Als Erstes – Sie haben es eben wiederholt – fordern Sie vorgesehen, dass ihm regelmäßig über die Auswirkungen die Einrichtung einer unabhängigen Expertengruppe, in einer getroffenen Regelung berichtet werden muss. Dies der Bürgerrechts-, Rechtsanwalts-, Journalisten-, Rich- gilt insbesondere für die die innere Sicherheit betreffen- ter- und Datenschutzvereinigungen sowie Verbände und den Gesetze aus der jüngeren Zeit. Ich komme jetzt im Gewerkschaften vertreten sein sollen. Welche Verbände Einzelnen dazu: das sind, haben Sie nicht gesagt. Ich vermute, dass Sie keine Verbände von Stasigeschädigten meinen; denn Erster Punkt. Nach Art. 6 des Gesetzes zur Abwehr sonst hätten Sie diese hier sicherlich aufgeführt. Aber von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das auch, welche besonderen Kompetenzen Gewerkschaf- Bundeskriminalamt sind die Vorschriften über die neuen ten in diesem Zusammenhang haben sollen, haben Sie Zuständigkeiten des BKA im Bereich der Terrorismusbe- nicht deutlich machen können. kämpfung und die Zusammenarbeit des Bundeskriminal- amtes mit den Polizeibehörden der Länder, die Raster- Ich sage Ihnen: So, wie der Antrag formuliert ist, ist fahndung und die Onlinedurchsuchung nach fünf Jahren, er es schon von seiner Unbestimmtheit her eigentlich also zum 31. Dezember 2014, unter Einbeziehung eines nicht wert, dass man sich näher damit beschäftigt. Es Sachverständigen, der im Einvernehmen mit diesem wird aber wenigstens deutlich, dass Sie über die Bedeu- Haus bestellt wird, zu evaluieren. tung und die Aufgabe des Bundesdatenschutzbeauftrag- ten völlig hinweggehen. Zweiter Punkt. Nach Art. 5 des Gemeinsame-Dateien- Gesetzes ist das Antiterrordateigesetz fünf Jahre nach Aufgabe des Bundesbeauftragten für den Datenschutz dem Inkrafttreten, das heißt schon im Dezember 2011, und die Informationsfreiheit ist es unter anderem, insbe- unter Einbeziehung eines Sachverständigen, der auch sondere im Rahmen von Gesetzgebungsverfahren Emp- wieder im Einvernehmen mit dem Bundestag zu bestel- fehlungen auszusprechen und Gutachten zu erstellen. len ist, zu evaluieren. Dementsprechend wurde und wird der Bundesdaten- schutzbeauftragte von der Regierung bei Gesetzen, die Dritter Punkt. Nach Art. 11 des Terrorismusbekämp- den Datenschutz tangieren, bereits sehr früh mit in die fungsergänzungsgesetzes vom 5. Januar 2007 sind die Beratungen einbezogen. dort näher bezeichneten Regelungen nach spätestens fünf Jahren ebenfalls zu evaluieren. (Jan Korte [DIE LINKE]: Manchmal!) (Frank Hofmann [Volkach] [SPD]: Das ist eine In Ihrem Antrag fordern Sie darüber hinaus (B) Nachhilfestunde für die Linken, weil die nicht (D) eine umfassende Evaluation aller in der Vergangen- vorbereitet sind! Wir haben das alles ge- heit beschlossenen Sicherheitsgesetze mit Blick auf macht! – Gegenruf des Abg. Jan Korte [DIE deren Verhältnismäßigkeit und objektive Wirksam- LINKE]: Ihr seid doch die Bürgerrechtspar- keit für die Sicherheit … tei!) (Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Was Meine Damen und Herren von der Linksfraktion, ich spricht dagegen?) weiß, dass Sie das alles nicht gerne hören, aber es ist die Realität. Ihre Forderung nach einer Evaluierung ist da- – Dagegen spricht nichts. Ich werde Ihnen aber jetzt sa- mit vollkommen überflüssig. Ich denke, ich konnte au- gen, was Ihnen in den letzten Monaten alles nicht aufge- ßerdem gerade auch aufzeigen, dass sich die Koalitions- fallen ist: fraktionen einer möglichen Grundrechtsbetroffenheit Der Gesetzgeber ist natürlich verpflichtet, die Aus- nicht nur bewusst gewesen sind, sondern dass wir darauf wirkungen seiner Entscheidungen, insbesondere im Be- auch durchaus besonnen reagiert haben. reich der Grundrechte und der ihn insoweit treffenden Schutzpflichten, im Blick zu behalten und, falls erforder- (Jan Korte [DIE LINKE]: Man kann seine ei- lich, auf Fehlentwicklungen zu reagieren. Ich bin mir si- genen Sachen doch nicht selbst evaluieren!) cher, dass dies zumindest den Juristen unter Ihnen geläu- Ich versichere Ihnen noch etwas: Selbstverständlich fig ist. werden Bundestag und Bundesregierung auch bei künfti- Erstaunt bin ich aber vor allen Dingen deshalb, weil gen Gesetzesvorhaben die verfassungsrechtlichen Vor- Ihnen offensichtlich entgangen ist, dass wir bei allen zu- gaben hinsichtlich des Grundrechts auf Vertraulichkeit letzt verabschiedeten Gesetzen im Bereich der inneren und Integrität informationstechnischer Systeme, das Sicherheit eine solche Evaluation bereits vorgesehen ha- vom Bundesverfassungsgericht aus Art. 2 Abs. 1 in Ver- ben. bindung mit Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes abgeleitet wurde, strikt beachten. (Jan Korte [DIE LINKE]: Von wem?) Ihre Forderung nach einem Moratorium im Hinblick – Ich werde das im Einzelnen darlegen, Herr Korte. – Es auf die Novellierung des Bundeskriminalamtgesetzes steht dem Gesetzgeber dem Grunde nach ja frei, wie er – damit bin ich bei der letzten Forderung Ihres Antrages – der von mir gerade erwähnten Verpflichtung nachkommt. ist deshalb überholt und nicht erforderlich. Das Parlament muss nicht mit jeder Ermächtigung zu Grundrechtseingriffen zugleich eine förmliche Verpflich- (Frank Hofmann [Volkach] [SPD]: So ist es!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24085

Helmut Brandt (A) Überdies wäre es aber auch unzulässig, der Bundesre- und manchmal auch darüber hinaus. (C) gierung die Vorlage von Gesetzentwürfen zu untersagen (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und ihr damit die Möglichkeit zu nehmen, auf bestehen- NEN]: Na, na, na!) den gesetzlichen Regelungsbedarf zu reagieren. – Das Luftsicherheitsgesetz hat ja wohl Rot-Grün hier (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- verabschiedet. NEN]: Zumal von Gesetzen, die schon verab- schiedet sind, Herr Kollege! Das ist besonders (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- unzulässig!) NEN]: Einmal!) – Ja, das ist besonders unzulässig. Das ist sozusagen un- – Einmal ist aber nicht keinmal. Man muss schon zählen zulässig unzulässig. Da gibt es leider kaum noch eine können. Steigerungsform. – Ein Gesetz, Herr Korte, wird ge- (Monika Knoche [DIE LINKE]: Sehr richtig, schaffen, weil man die Notwendigkeit einer Regelung dass Sie das sagen!) erkannt hat. Sie allerdings weigern sich, von dieser Not- wendigkeit Kenntnis zu nehmen. Allein aus diesem Richtig ist, dass das Bundesverfassungsgesetz die Re- Grund ist Ihre Forderung nach einem Moratorium ab- gierung – egal wie die Mehrheitsverhältnisse aussahen – surd. Man denke einmal darüber nach, welche Konse- aufgrund verfehlter Gesetzgebung hier und da auch in quenzen ein solcher Beschluss hätte. die Schranken weisen musste. Zum Schluss möchte ich noch einmal betonen, dass Richtig ist auch, dass das neue IT-Grundrecht sich für die von uns in jüngster Zeit geschaffenen Einflussbe- nicht in der Schrankensetzung für heimliche Online- fugnisse wie die sogenannte Onlinedurchsuchung nicht durchsuchungen erschöpft, sondern generell gilt. nur hohe Hürden aufgestellt wurden – sie unterliegen Falsch, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grü- beispielsweise einem Richtervorbehalt –, wodurch Ein- nen, ist aber Ihre Schlussfolgerung. griffe in das Recht auf Datenschutz des Einzelnen auf ei- nige ganz wenige Fälle beschränkt sind. Ich denke, es ist (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- außerdem deutlich geworden, dass wir über genügend NEN]: Jetzt bitte an die Linken!) Kontrollmechanismen verfügen, um rechtzeitig und an- – Die Linke. Entschuldigung, habe ich „die Grünen“ ge- gemessen auf Fehlentwicklungen reagieren zu können. sagt? Oh Gott. Eigentlich bräuchte ich es nicht mehr zu sagen: Es ist (Hellmut Königshaus [FDP]: Sie argumentie- selbstverständlich, dass wir Ihren Antrag ablehnen. ren ähnlich! – Wolfgang Wieland [BÜND- (B) Danke schön. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind so fixiert auf (D) uns! Dabei habe ich die liberalen Farben auf- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Jan gelegt! Ihnen zu Ehren!) Korte [DIE LINKE]: Das überrascht jetzt – Davon träumst du nachts! – Entschuldigung, wenn ich doch!) das einmal außerhalb des Protokolls sagen darf!

Vizepräsidentin Petra Pau: Auf einen furiosen Auftakt, liebe Kolleginnen und Das Wort hat die Kollegin Gisela Piltz für die FDP- Kollegen von der Linken, folgt nichts. Eine Experten- Fraktion. gruppe? Also wirklich! Wenn ich nicht mehr weiter weiß, gründe ich einen Arbeitskreis. (Beifall bei der FDP) (Jan Korte [DIE LINKE]: Eine Gruppe!) Gisela Piltz (FDP): Das kann doch wirklich nicht die Antwort sein. Die ein- Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- zige verfassungsrechtlich richtige Antwort in unserer gen! Liebe Zuschauer! Als ich den Antrag, über den wir parlamentarischen Demokratie ist doch, dass wir als Par- heute hier debattieren, zum ersten Mal gelesen habe, ist lament diese Aufgabe wahrnehmen und unserem Auf- mir durch den Kopf gegangen, dass es viele, leider zu trag nachkommen, verfassungsgemäße Gesetze zu be- viele Initiativen hier im Bundestag gibt, die sozusagen schließen. Ich kann doch meine Verantwortung nicht als Tiger starten und als Bettvorleger in der Mitte dieses outsourcen. Das wollen Sie aber tun. Das ist absolut un- Hauses landen. Ich glaube, diesem Antrag wird es genau demokratisch. so ergehen. Das wäre dann sogar noch ein Kompliment. (Beifall bei der FDP – Jan Korte [DIE LINKE]: Richtig ist, dass die Bundesregierung oft genug die Dann können wir auch keine Anhörung mehr Grundrechte mangelhaft achtet. machen!) Richtig ist auch, dass die Bundesregierung, und zwar Das ist aus unserer Sicht der falsche Weg. leider nicht erst diese schwarz-rote, sondern auch schon Das Parlament als Vertreter des deutschen Volkes, – ich schaue jetzt die Grünen an – die rot-grüne zuvor, wir, die Abgeordneten, in freier, geheimer und gleicher mit zahlreichen Gesetzen an die Grenze der Verfassung Wahl vom Volk gewählt, müssen verfassungsgemäße gegangen ist, Gesetze machen. Das können wir nicht jemand anderem überlassen. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist ja hochinteressant!) (Frank Hofmann [Volkach] [SPD]: So ist es!) 24086 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Gisela Piltz (A) Wir müssen evaluieren, nicht irgendwelche demokra- tungsakten und beim Urteilsspruch, müssen alle ein- (C) tisch nicht legitimierten Gruppen und Grüppchen, die schlägigen Grundrechte geprüft werden, auch das neue nach Gusto von der Regierung zusammengesetzt wer- IT-Grundrecht. Von einer Expertengruppe kann ich im den. Das kann doch wohl nicht Ihr Ernst sein. Grundgesetz jedenfalls nichts lesen. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Wolfgang (Beifall bei der FDP – Jan Korte [DIE LINKE]: Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Dann muss man auch die Wirtschaftsweisen abschaffen! Das geht dann auch nicht mehr!) Natürlich gehört es auch zu einer ernsthaften Gesetz- gebung, sich Expertenmeinungen anzuhören. Die FDP-Fraktion bekennt sich zur Verantwortung des Deutschen Bundestages gegenüber unseren Wähle- (Jan Korte [DIE LINKE]: Genau!) rinnen und Wählern, Dafür gibt es Anhörungen; (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Vom ganzen Volk sind Sie gewählt, NEN]: Mehr als genug! – Jan Korte [DIE nicht nur von den FDP-Wählern!) LINKE]: Nur zu einzelnen Themen!) die ein Parlament gewählt haben, von dem sie zu Recht Sie können mit jedem sprechen und überall hinfahren. erwarten, dass es verfassungsgemäße Gesetze be- Das ist überhaupt keine Frage. Auch ich bedaure zwar, schließt. Die FDP-Fraktion bekennt sich zu einem star- dass es im Moment oft genug Anhörungen gibt, die ei- ken Parlament, das in der Lage ist, all das zu gewährleis- gentlich überflüssig sind – das sehe ich sehr wohl –, weil ten. Deshalb brauchen wir keine Expertengruppe, die die sogenannte Große Koalition das Parlament oft genug ohne jegliche demokratische Legitimation eingesetzt als Abnickgremium begreift; wird. Wir müssen den Kopf hinhalten und dürfen das nicht irgendwelchen Expertengruppen überlassen. Wir (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sind verantwortlich. Deshalb können wir diesen Antrag NEN]: Euer Klub macht das dann besser, oder nicht sehr wohlwollend begleiten. was?) (Jan Korte [DIE LINKE]: Aber ein bisschen!) aber das kann doch nicht zur Selbstentmachtung dieses Parlamentes führen. Vielen Dank! (Jan Korte [DIE LINKE]: Die sollen ja nichts (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten entscheiden!) der SPD) – Ich finde es falsch, dass Sie versuchen, Ihre Verant- (B) (D) wortung, die Ihnen vom Wähler übertragen worden ist, Vizepräsidentin Petra Pau: outzusourcen und jemand anderem zuzuschieben; so Das Wort hat der Kollege Frank Hofmann für die kann man mit seiner eigenen Verantwortung nicht umge- SPD-Fraktion. hen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frank Hofmann (Volkach) (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Evaluierung von Sicherheitsgesetzen ist richtig Meine Damen und Herren! Lieber Herr Korte, ich hätte und wichtig. Das fordern wir auch; wir teilen diese Mei- erwartet, dass die Linke den Antrag zurückzieht, nach- nung. Noch wichtiger wäre es doch, gar nicht erst frag- dem wir Sozialdemokraten in der Koalition durchgesetzt würdige Gesetze zu beschließen und so die Verantwor- haben, dass wir uns erst nach einem Urteil des Bundes- tung für Grundrechtseingriffe auf später zu verschieben. verfassungsgerichts mit der Frage der Verankerung von Wie gesagt: Wir sind das Parlament. Das hier ist kein Onlinedurchsuchungen im BKA-Gesetz beschäftigen, Laborversuch. Hier geht es nicht um Trial and Error, zumal wir die Vorgaben des ersten Verfassungsgerichts- auch wenn diese Woche oft genug versucht worden ist, urteils quasi buchstäblich in das BKA-Gesetz übernom- uns das weiszumachen. Wir sind die Gesetzgeber; wir men haben. müssen die Verantwortung wahrnehmen. Das gilt auch Ihr Antrag ist vom 25. April 2008. Das BKA-Gesetz für das neue IT-Grundrecht. Dieses nur von einer Exper- gilt seit dem 1. Januar 2009. Man hätte also Zeit gehabt, tengruppe mit Leben füllen zu lassen, ist völlig falsch. den Antrag zurückzunehmen, statt ihn jetzt vorzulegen. Das müssen wir tun. Das kann man nicht outsourcen. So muss Ihr Antrag zerlegt werden, ob von der CDU/ Ich erinnere an Art. 1 Abs. 3 des Grundgesetzes – ich CSU, der FDP oder – das erwarte ich – von Herrn weiß nicht, ob Sie da einmal reingeschaut haben –: Wieland. Das, was Sie schreiben, ist nämlich einfach schwach. Sie betreiben hier Sandkastenspiele. (Jan Korte [DIE LINKE]: Regelmäßig!) Das betrifft zum Beispiel Ihre Forderung nach einer Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzge- Evaluierung. Jeder bringt heute das Stichwort Evaluie- bung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als rung. Ich habe mich mit Wissenschaftlern oft genug da- unmittelbar geltendes Recht. rüber unterhalten, wie schwierig es ist, eine Evaluierung Das bedeutet doch: Bei allem staatlichen Handeln, bei durchzuführen. Es geht schon gar nicht, im Nachhinein der Gesetzgebung ebenso wie beim Erlass von Verwal- eine Evaluierung irgendwelcher Gesetze durchzuführen; Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24087

Frank Hofmann (Volkach) (A) man muss vorher die Indikatoren festlegen. Als der erste offenen Aufruf, dass sie Gewalt gegen Polizeibeamte ab- (C) Gesetzentwurf vorlag und wir gesagt haben, dass wir ei- lehnt. Hier haben Sie geschwiegen. nen unabhängigen, von uns bestimmten Wissenschaftler benötigen, der sich mit der Evaluierung beschäftigt, hat (Jan Korte [DIE LINKE]: Das stimmt nicht! – das Innenministerium wohlweislich gleich eine entspre- Weitere Zurufe von der LINKEN) chende Stelle ausgeschrieben; denn der Wissenschaftler Das, was Frau Lötzsch von den Linken im Nachhinein muss die Entstehung des Gesetzes von Anfang an beglei- heute in der Aktuellen Stunde abgeliefert hat, genügt ten, er muss Indikatoren entwickeln und festlegen, wie dem nicht. Das ist eine Verschlimmbesserung. die Evaluierung durchgeführt werden soll. Man kann mit der Evaluierung nicht erst im Nachhinein beginnen; das (Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Das ist kann man nur fordern, wenn man keine Ahnung hat. unredlich, was Sie da tun!) (Jan Korte [DIE LINKE]: Die Evaluierung Vor diesem Hintergrund möchte ich sagen: Die Frak- macht man immer danach!) tion Die Linke faselt im Deutschen Bundestag von ei- – Nein, Sie müssen vorher die Indikatoren festlegen. Die nem Moratorium, und Sie tun so, als ob Sie die Verteidi- Polizeibeamten müssen wissen, was sie überhaupt auf- ger der Freiheit wären. Tatsächlich wird die Freiheit schreiben, was sie statistisch erfassen sollen. Ansonsten gerade aus den Reihen Ihrer Partei mit Füßen getreten. fällt es weg; es kann nicht anders funktionieren. Das ist nur schwer auszuhalten. Hinsichtlich der Kritik, die Sie an diesem Staat üben, (Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Das ist sage ich: Bitte zeigen Sie mir ein Beispiel aus einem unredlich! – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: westlichen Rechtsstaat, wo derartige Hürden für die Sehr richtig! Sehr gut! – Hellmut Königshaus Exekutive aufgebaut wurden und so weitgehende Trans- [FDP]: Warum koaliert ihr mit denen?) parenz gesetzlich fixiert wurde, wie wir es beim BKA- Gesetz gemacht haben. Herr Korte, was tun Sie in einer Partei, die ein ungeklär- tes Verhältnis zur Gewalt hat? (Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Selbst dann sind Verbesserungen immer möglich!) Der Antrag der Linken zum Moratorium für Sicher- heitsgesetze, mit dem wir uns heute beschäftigen, ist das – Bitte zeigen Sie mir trotzdem erst einmal diesen west- Papier nicht wert, auf dem er steht. Meine Fraktion hat lichen Rechtsstaat. Das, was Sie jetzt machen, ist reine erfolgreich gegenüber dem Innenminister darauf gedrun- Theorie. Sie sagen: Es muss immer noch etwas besser gen, mit der Verabschiedung einer Novelle des BKA- gehen. (B) Gesetzes, die Onlinedurchsuchungen erlaubt, auf das Ur- (D) (Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Wir teil des Bundesverfassungsgerichtes zu warten. können noch besser sein!) Ich will Ihnen sagen: Wir haben im Bereich der Si- – Ja, wir geben uns alle Mühe; wir wollen noch besser cherheit Standards entwickelt. Dazu zählen die Evalua- sein. tion, die Befristung von Gesetzen – das ist nicht immer so, wie ich es mir wünsche; aber es zählt dazu – und die In Ihrer Antragsbegründung begeben Sie sich auf eine Rechtswegegarantie, auf die wir bei allen heimlichen hohe moralische Position. Ich wünschte mir, dass diese Eingriffen großen Wert legen. Das haben wir in der ge- durchgängig in der Partei Die Linke vorhanden wäre. Ich samten Zeit, seitdem ich dies im Innenausschuss ver- habe heute Mittag bei der Aktuellen Stunde genau aufge- trete, immer durchgesetzt. Ich denke, wir haben damit passt. Rund um den 1. Mai haben Sie aus meiner Sicht einen Standard erreicht, den Sie noch nicht erreicht ha- etwas anderes gezeigt. ben. Wir erleben nämlich, dass Sie im Zusammenhang (Jan Korte [DIE LINKE]: Was denn? – Hartmut mit Ihrem Antrag Nachhilfestunden von allen Seiten be- Koschyk [CDU/CSU]: Sehr richtig!) kommen. Ich hoffe, dass Sie jetzt endlich einmal einse- hen, wie es im Bereich der inneren Sicherheit aussieht Ich will es wiederholen: Der Anmelder für die Demons- und welche Politik man da machen kann und welche Po- tration zum 1. Mai ist Bezirksverordneter der Linken. Er litik gemacht wird. ist keine Kooperation mit der Polizei eingegangen, ob- wohl öffentlich bekannt war, dass Demonstrationsteil- Es mag sein, dass wir nicht immer alles richtig ma- nehmer auf Gewalt aus waren. Der Anmelder aber hat chen. Ich denke aber, dass wir gute Standards haben. Wir nichts unternommen, um sich davon zu distanzieren oder versuchen, möglichst geringe Eingriffe vorzunehmen, zu einer gewaltlosen Demonstration aufzurufen. und lassen sie nur bei den schwerwiegendsten Rechts- gütern zu. Auch anhand dessen – das wissen Sie eigent- (Jan Korte [DIE LINKE]: Da hat Herr Edathy lich –, wie im Innenausschuss darüber diskutiert wird aber differenzierter argumentiert! – Hüseyin- und wie vorsichtig wir damit umgehen, zeigt sich, dass Kenan Aydin [DIE LINKE]: Die Linke hat das wir nicht mit dem großen Hammer ausholen, um für Si- getan!) cherheit zu sorgen, sondern dass wir das Spannungsfeld – Jetzt rede ich, nicht Herr Edathy. zwischen Sicherheit und Freiheit immer wieder betrach- ten und, wie ich glaube, sorgfältig damit umgehen. Die Linke in Berlin und im Deutschen Bundestag hätte sich distanzieren können, zum Beispiel mit einem Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. 24088 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Frank Hofmann (Volkach) (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten haben Zeit verplempert. Das war eine Auszeit für das (C) der CDU/CSU und des Abg. Wolfgang Parlament, also eine Auszeit für uns alle. Es fehlt nur Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) noch, dass Sie fordern, die CDU/CSU-Fraktion solle für das, was sie angerichtet hat, Buße tun. Vizepräsidentin Petra Pau: (Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Wäre Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun gut!) der Kollege Wolfgang Wieland. Schließlich fordern Sie, eine Kommission einzuset- zen – aber ganz ohne Befristung. Diese Kommission Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): könnte so ein Jahr oder zwei Jahre tagen. In dieser Zeit Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber sollte der Gesetzgeber nichts tun. Obwohl eigentlich je- Kollege Jan Korte – Genosse Jan Korte! Sie empfehlen der von uns schon jetzt weiß, zu welchem Ergebnis eine mir ja immer, einen festen Klassenstandpunkt einzuneh- solche Kommission unter den jetzigen Voraussetzungen men. kommen würde, erwarten Sie, dass diese Kommission zu (Beifall des Abg. Jan Korte [DIE LINKE] – dem Ergebnis kommt, dass die Gesetzgebung in Zukunft Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU auf eine ganz neue Grundlage gestellt werden muss. und der FDP – Hüseyin-Kenan Aydin [DIE Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Wir sind der Deutsche LINKE]: Wäre ja nicht schlecht!) Bundestag und nicht der Quatsch Comedy Club. – Ja, das ist seine ständige Empfehlung. Mehr fällt mir dazu nicht ein. Aber egal, vom Standpunkt welcher Klasse aus ich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, diesen Antrag auch betrachte: Er ist und bleibt grober bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Ab- Unsinn. geordneten der SPD – Jan Korte [DIE LINKE]: Dann brauchen wir gar keine Kom- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, missionen mehr! – Hartmut Koschyk [CDU/ bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP – CSU]: Das war ja richtig gut!) Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Die Aussage war klasse!) Vizepräsidentin Petra Pau: – Ja, das war klasse, aber kein Klassenstandpunkt. Ich schließe die Aussprache. (Heiterkeit im ganzen Hause) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/8981 an die in der Tagesordnung aufge- (B) Den aber fordert Herr Korte – so tuend, als wüsste er, führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- (D) was das ist – immer bei mir ein. verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung Jetzt aber im Ernst, mein lieber Herr Korte – so beschlossen. (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das ist ja Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: richtig väterlich, wie Sie mit ihm reden!) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- auch die Kollegen Brandt und Hofmann haben ja ernst- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset- haft über Ihren Antrag referiert –: Es lag an Ihnen, dass zung der Dienstleistungsrichtlinie im Gewer- Ihr Antrag ein Jahr lang nicht aufgesetzt wurde, wie man berecht und in weiteren Rechtsvorschriften so schön sagt. Wenn es Ihnen ernst gewesen wäre, hätten – Drucksache 16/12784 – Sie das tun müssen. Überweisungsvorschlag: (Jan Korte [DIE LINKE]: Das Verfahren ken- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) nen Sie doch wohl!) Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Selbst wenn dieser Antrag angenommen würde, würde Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die zwangsweise ein Moratorium entstehen, weil die Wahl- Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die periode zu Ende ist. Damit liegt es an der Wählerin und Reden der folgenden Kolleginnen und Kollegen: Lena am Wähler, ein ganz großes Moratorium herbeizuführen, Strothmann für die Unionsfraktion, Doris Barnett für die nämlich die Ablösung dieser Bundesregierung, SPD-Fraktion, Ernst Burgbacher für die FDP-Fraktion, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ulla Lötzer für die Fraktion Die Linke und Dr. Thea sowie bei Abgeordneten der FDP und der LIN- Dückert für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. KEN) Lena Strothmann (CDU/CSU): insbesondere die Ablösung des Bundesinnenministers, Wir begannen in den Jahren 2004 und 2005 mit der der uns viele der Probleme, von denen in Ihrem Antrag Debatte um die Dienstleistungsrichtlinie. Einige empfan- die Rede ist, beschert hat. den diese Richtlinie als größte Bedrohung des wirtschaft- Die Chance, über eine tatsächliche Verbesserung der lichen Gefüges in Europa und in Deutschland. Heute wis- Evaluierung nachzudenken, hat der Kollege Hofmann sen wir, wo die eigentlichen Gefahren liegen. Nach wie genutzt. Für eine Verbesserung der Evaluierung zu sor- vor ist es auch im Hinblick auf die Finanzkrise richtig: gen, wird in Zukunft unsere Aufgabe sein. Sie hingegen Die Öffnung der europäischen Dienstleistungsmärkte Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24089

Lena Strothmann (A) bietet große Chancen für mehr Wachstum und mehr Ar- rere Modelle wurden lange und mit viel Vehemenz disku- (C) beit in Deutschland. Die deutsche Dienstleistungsbran- tiert: Sind die Kommunen der geborene EAP, da die Ge- che, zu der zum Beispiel das Handwerk und die freien Be- nehmigungen eh hier gegeben werden? Wären die rufe gehören, ist im Vergleich mit unseren europäischen Kammern nicht doch besser geeignet, da sie tagtäglich Nachbarn modern und leistungsfähig. Unser Anspruch mit Existenzgründungen und den Anforderungen an war und ist, dass wir nach dem Vorbild des Exportwelt- Dienstleister zu tun haben? Bietet sich nicht gerade we- meisters – diesen Titel haben wir trotz der chinesischen gen dieser Gründe ein Mischmodell zwischen diesen bei- Konkurrenz erneut sichern können – auch einen Spitzen- den an? Oder muss gar eine gänzlich neue Behörde ge- platz beim Handel mit Dienstleistungen einnehmen. schaffen werden? Die Bundesländer haben mit allen Beteiligten beraten und verhandelt. Die meisten Länder Dennoch, die damals vorgetragenen Sorgen wurden zu haben nun Festlegungen getroffen, und es spiegelt sich in Recht ernst genommen und wurden in dem geänderten der Anzahl der Varianten mit aller Deutlichkeit unser fö- Vorschlag und letztendlich auch im Beschluss berück- derales System wider. Dennoch: Auch wenn es diese un- sichtigt: Ich erinnere daran: Unser Arbeitsrecht, Sozial- terschiedlichen Festlegungen für die Bundesländer gibt, recht und Anerkennung der Berufsqualifikation und die muss für den ausländischen Dienstleister – wie auch für zugrunde liegenden Standards bleiben von der Dienst- den deutschen, der diese Stelle selbstverständlich nutzen leistungsrichtlinie unberührt. Die Entsenderichtlinie – in darf – das Angebot gleich sein. Es gilt: Alle Anliegen rund der deutschen Umsetzung das Entsendegesetz als Schutz um die Dienstleistungserbringung in Deutschland wer- vor ausländischen Dumpinglöhnen – bleibt unbehelligt. den dort bearbeitet. Dieses Prinzip eines „One-Stop- Vor allem bleiben unsere Behörden die Kontrollinstanz Shop“ ist unbestritten ein richtiger und auch ein in vielen für die ausländischen Dienstleister. Der gesamte Gesund- Kammern bereits bewährter Ansatz, um eine serviceori- heitsbereich bleibt ausgeklammert, und Steuern und das entierte Verwaltung zu schaffen. internationale Privatrecht sind ausgenommen. Die zweite Hauptaufgabe nach Verabschiedung der In den vergangenen Monaten hat sich auch gezeigt, Richtlinie bestand in der Überprüfung der nationalen Ge- dass viele der Befürchtungen nicht eingetreten sind. Konnten wir vor zwei oder drei Jahren ahnen, dass zum setzgebung auf mit der Richtlinie unvereinbare Hinder- Beispiel im Grenzbereich zu Polen deutsche Handwerker nisse. Dies ist die sogenannte und viel zitierte Normen- nicht allein mit Qualität überzeugen, sondern auch bei prüfung. In einem enormen Kraftakt wurde ein Verfahren den Preisen konkurrenzfähig sind und verstärkt für Auf- entwickelt, die Gesetze und Vorschriften mittels eines träge in Polen den Zuschlag erhalten? Dass auch der um- ausgeklügelten Onlinefragebogens vom Geltungsbereich gekehrte Weg möglich ist, steht außer Frage. Um es noch auszuschließen oder sie auf die Konformität hin zu über- (B) einmal klarzustellen: Es ist nicht Aufgabe der DLR, unser prüfen, das heißt die unzulässigen Einzelnormen heraus- (D) bewährtes Qualifikationssystem, Standards und Geneh- zufiltern. Dieses neuartige und neu entwickelte Prüfras- migungspflichten auszuhöhlen. Es geht vielmehr darum, ter musste anschließend noch IT-technisch umgesetzt die ungerechtfertigten Hürden abzubauen. werden. Diese Herausforderung hatte Bayern übernom- men, und sie wurde hervorragend gelöst. Die Dienstleistungsfreiheit ist ein europäisches Grund- prinzip. Dienstleistungen haben an unserem Bruttoin- Nach den technischen Vorbereitungen ging es an die landsprodukt immer noch den hohen Anteil von knapp Normenprüfung. Hier galt der Grundsatz, dass Bund und 70 Prozent, der grenzüberschreitende Handel ist aber im- Länder, Kammern und Kommunen für die Prüfung in ih- mer noch gering. Ein Grund dafür waren sicherlich die rem Zuständigkeitsbereich jeweils selbst verantwortlich hohen Hürden, die die einzelnen Mitgliedstaaten errich- waren. Das Ergebnis der Normenprüfung zeigte jeweils tet haben. Ein weiteres Problem bzw. Ärgernis ist aus an, ob eine Anpassung erforderlich war. Ergab sich, dass Sicht der Dienstleister, zunächst einmal herauszufinden, die gestellten Anforderungen an einen Dienstleister richt- welche Vorschriften es im Ausland überhaupt gibt. Diese linienkonform sind, ist keine Änderung notwendig. Ergab beiden Punkte, die Kenntnis über die Genehmigungs- sich jedoch hier ein Widerspruch zur Richtlinie, muss das pflichten und die Schwierigkeiten, diese Hürden zu über- nationale Gesetz geändert werden. Dazu werden das winden, sind in der Dienstleistungsrichtlinie geregelt. übergeordnete Gewerberecht und einige andere Gesetze geändert. Diese Änderungen sind im nun vorgelegten Ge- Die Mitgliedstaaten und somit auch Deutschland hat- setzentwurf zusammengefasst. Zentrale Punkte sind hier- ten also zwei große Aufgaben zu bewältigen, um die na- bei: die Umsetzung der Dienstleistungsfreiheit durch den tionale Umsetzung vorzubereiten. Erstens: Dienstleister Wegfall von einigen bisher notwendigen Erlaubnissen sollen zukünftig bei einer einzigen Stelle alle Fragen be- und Genehmigungen; die Genehmigungsfiktion, welche antwortet bekommen. Diese einheitliche Stelle als zentra- bedeutet, dass der Antrag eines Dienstleisters nach einer ler Anlaufpunkt ist in Deutschland bereits im Verwal- angemessenen Frist automatisch als genehmigt gilt. Al- tungsverfahrensgesetz geregelt worden und kann nun lerdings ersetzt diese automatische Zustimmung nicht den durch diesen Gesetzentwurf auch für das Gewerberecht eventuell notwendigen Nachweis einer bestimmten Qua- etc. angewendet werden, übrigens: nicht nur im Rahmen lifikation bzw. eines Abschlusses. der Dienstleistungsrichtlinie, sondern auch darüber hi- naus. Die Gestaltung der einheitlichen Stelle als soge- Die Beteiligten werden in den nächsten Wochen aus- nannter Einheitlicher Ansprechpartner obliegt in reichend Gelegenheit haben, diesen Gesetzentwurf zu be- Deutschland der Zuständigkeit der Bundesländer. Meh- werten.

Zu Protokoll gegebene Reden 24090 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

(A) Doris Barnett (SPD): führt und einen erheblichen Koordinierungs- und Abstim- (C) Vor fast dreieinhalb Jahren ist durch die Veröffentli- mungsbedarf zwischen allen drei Ebenen erfordert. chung im Amtsblatt der Europäischen Union die EU- Schließlich sind bis hin zur Friedhofssatzung alle Recht- Dienstleistungsrichtlinie in Kraft getreten mit der Maß- setzungsakte auf ihre Dienstleistungsrichtlinie-Tauglich- gabe, dass die Mitgliedstaaten sie bis zum 28. Dezember keit hin zu überprüfen. 2009 in nationales Recht umzusetzen haben. Der Verab- Heute geht es vornehmlich um das Gewerberecht und schiedung dieser Richtlinie war eine heftige Diskussion seine Anpassung. Art. 16 der Richtlinie verlangt, dass die im Europäischen Parlament, in den Nationalparlamen- freie Ausübung und die freie Aufnahme von Dienstleis- ten, mit der Kommission und im EU-Ministerrat voraus- tungstätigkeiten in den einzelnen Mitgliedstaaten nur gegangen, wie weit die Dienstleistungsrichtlinie in natio- noch dann von Genehmigungen abhängig gemacht wer- nales Recht eingreifen darf oder dieses sogar aushebeln den dürfen, wenn die öffentliche Ordnung, die öffentliche dürfe. Ob eine Inländerbenachteiligung gewollt in Kauf genommen werden dürfe – auch das war und ist noch ein Sicherheit, die öffentliche Gesundheit oder der Schutz der Thema. Die Furcht, dass über diese Regelung nationale Umwelt dies rechtfertigen. Diese vier Rechtfertigungs- Schutzrechte geschleift werden, haben die Gewerkschaf- gründe sind durchschlagend, bedeuten sie doch für etli- ten in ganz Europa aufgebracht und zu Demonstrationen che Vorschriften der Gewerbeordnung, dass sie nicht gegen diese Richtlinie bis nach Straßburg geführt. Dass mehr angewandt werden dürfen, also aufzuheben sind. Im die Bedenken und Ängste bei den Volksentscheiden über Rahmen der Gleichbehandlung können wir für die einhei- den Lissabon-Vertrag eine nicht unerhebliche Rolle ge- mischen Dienstleister ja keine strengeren Vorschriften spielt haben, will ich hier gar nicht verschweigen. Und beibehalten. Art. 1 § 4 des vorliegenden Gesetzes über- ich werte das Abstimmungsverhalten auch nicht als ein trägt also Art. 16 der Richtlinie und bestimmt, welche solches, das sich gegen unser europäisches Projekt wen- Vorschriften der Gewerbeordnung keine Anwendung det, sondern als einen massiven Hinweis aus der Bevöl- mehr finden, und baut somit die Hürden für den grenz- kerung und der Arbeitnehmerschaft, besonders soziale überschreitenden Dienstleistungsverkehr ab. Anliegen ernst zu nehmen. Ein weiterer zentraler Punkt der Dienstleistungsricht- Es ist der sozialdemokratischen Seite im Europäischen linie ist die Schaffung der sogenannten Einheitlichen Parlament und den Nationalparlamenten in der Tat ge- Ansprechpartner. Hier hat der Bundesgesetzgeber haupt- lungen, das Herkunftslandprinzip sowie die Anzahl der sächlich eine flankierende Rolle; es waren die notwendi- Dienstleistungen, die der Richtlinie unterfallen, in erheb- gen Anpassungen im Verwaltungsverfahrensgesetz vorzu- lichem Maße zu begrenzen. Art. 2 führt abschließend auf, nehmen. Am 18. Dezember 2008 wurde mit dem Vierten um welche Bereiche es sich dabei handelt (Dienstleis- Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher (B) (D) tungen von allgemeinem Interesse, Finanzdienstleistun- Vorschriften den zentralen verfahrensrechtlichen Vorga- gen, Leiharbeitsagenturen, Gesundheitsdienstleistungen, ben der Richtlinie Rechnung getragen. Über den neuen Glücksspiele usw.). Dass wir dabei nicht alle unsere Vor- § 6 b GewO findet er Eingang in das Gewerberecht. stellungen und Forderungen umsetzen konnten, ist aller- Über den Einheitlichen Ansprechpartner, dessen Aus- dings keine neue Erfahrung. kunft, Genehmigung usw. für den Dienstleistungserbrin- Die Niederlassungsfreiheit wird gemäß Art. 43 des ger maßgeblich für das ganze Bundesgebiet ist, können Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft wir bei klugem Vorgehen die Verwaltungsstrukturen gewährleistet und Art. 49 des Vertrags regelt den freien vereinfachen, Bürokratie abbauen, den einheimischen Dienstleistungsverkehr. Allerdings gab es bisher natio- Dienstleistungserbringern zu Diensten sein und nicht zu- nalstaatliche Beschränkungen für die Entwicklung von letzt den Menschen im Lande eine umfängliche und bür- Dienstleistungstätigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten. gerfreundliche Verwaltung anbieten. Verfahren und For- Die Europäische Kommission gibt als Begründung für die malitäten können vereinfacht und beschleunigt werden. Beseitigung von derartigen Beschränkungen, die durch Allerdings ist diese informationstechnologisch basierte die Dienstleistungsrichtlinie erfolgen soll, auch an, dass Plattform sicherlich nicht sofort perfekt, weil ja jedes damit die Ziele „ein stärkeres Zusammenwachsen der Bundesland über den IT-Erbringer (Provider) entschei- Völker Europas“ und „die Förderung eines ausgewoge- det – es wird aber eine bundeseinheitliche Internetseite nen und nachhaltigen wirtschaftlichen und sozialen Fort- geben. Sicherlich werden anfangs Probleme nicht ver- schritts“ verfolgt werden. Beide Adressaten, also Kapital meidbar sein an den Schnittstellen von einer Plattform und Arbeit, sind gleichwertig und sollten deshalb auch zur nächsten, und dies braucht nicht erst an der Landes- nicht gegeneinander ausgespielt werden. Bei der Umset- grenze von Bundesland zu Bundesland aufzutreten, auch zung der Dienstleistungsrichtlinie haben wir diese Vor- innerhalb eines Bundeslandes mit verschiedenen Einheit- gabe im Focus. lichen Ansprechpartnern (in NRW gibt es 18) kann es zu Schnittstellenproblemen kommen. Aber es handelt sich Der vorliegende Gesetzentwurf berücksichtigt die Er- um ein sehr großes, sehr komplexes Projekt, das man si- gebnisse der vorgegebenen Überprüfung unseres dienst- cherlich als lernendes System bezeichnen kann und wobei leistungsrelevanten Rechts im Rahmen der Normenprü- wir hier auch etwas Geduld haben müssen. Endziel wird fung. Im Bund ist sie bereits abgeschlossen; in den die europäische Vernetzung sein, die es dann auch ermög- Ländern und Kommunen befindet sie sich noch im Gange. licht, Steuer- und Abgabenzahlungen sicherzustellen und Das hat seinen Grund in den komplexen Strukturen unse- Missbrauch möglichst zu vermeiden. Darin sehe ich eine res föderalen Aufbaus, der zu einem großen Aufwand große Chance für alle.

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24091

Doris Barnett (A) Art. 1 § 6 c regelt die Ermächtigung zur Umsetzung der die Vereinfachung von Verwaltungsverfahren und den Ab- (C) Informationspflichten der Dienstleistungsrichtlinie, die bau von Hindernissen für die Erbringung von Dienstleis- in einer Rechtsverordnung erfolgt. Dadurch, dass sie zen- tungen vor. In diesem Rahmen haben die Mitgliedstaaten tral vom Bundeswirtschaftsminister erlassen wird, haben die Richtlinienkonformität aller Rechtsvorschriften kri- sowohl Verbraucher als auch Dienstleistungserbringer tisch zu prüfen, die die Aufnahme oder Ausübung von eine zentrale Stelle, was der Übersichtlichkeit dient und Dienstleistungsaktivitäten einschränkend regeln. Dieser letztendlich die anderen Ressorts und auch die Länder Ansatz ist grundsätzlich zu begrüßen. entlastet. Die Dienstleistungsrichtlinie sieht in ihrem Art. 22 derzeit zwar keinerlei Informationspflichten vor Auch sollen mit Einzelregelungen im Hinblick auf den gegenüber der dritten beteiligten Seite, dem Arbeitneh- Bürokratieabbau Fortschritte erzielt werden. Die Bun- mer, der die Dienstleistung in einem anderen als seinem desregierung geht dabei von einem Einsparvolumen von Herkunftsland erbringt – zum Beispiel über Arbeits- gut 500 000 Euro bei den Informationspflichten aus. Ob schutz, Mindestlohn etc. Aber ich bin sicher, dass diese tatsächlich die geschätzten 518 000 Euro erreicht wer- Informationspflicht – sollte sich ihr Fehlen als Manko er- den, bleibt abzuwarten. Zudem ist auch dieses Einsparvo- weisen – nachgeholt wird. Denn nicht nur soll die Richt- lumen, wenngleich es immerhin eine halbe Million Euro linie auch dem sozialen Fortschritt dienen, sie sieht auch erreicht, angesichts der gesamten Kosten für Informa- vor, dass die Kommission dem Europäischen Parlament tionspflichten von knapp 48 Milliarden Euro nur ein und dem Rat am 28. Dezember 2011 und danach alle drei „Tropfen auf den heißen Stein“. Die Umsetzung der Jahre einen Bericht über die Anwendung der Richtlinie Dienstleistungsrichtlinie hätte insgesamt für einen mas- vorlegt, Art. 41. siven Bürokratieabbau genutzt werden können. Statt sich bei der Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie im Ge- In der Praxis werden sich auch der neu formulierte werberecht mit Einsparungen von nur gut einer halben § 36 GewO und die vom Bundeswirtschaftsministerium Million Euro zu begnügen, hätte die Bundesregierung ei- zu erlassende Durchführungsverordnung über die An- nen großen Wurf bei der Umsetzung dieser Richtlinie er- erkennung von Berufsqualifikationen, besonders aber die reichen können. Doch wurde erneut die Chance zum öffentliche Bestellung von Sachverständigen, beweisen Bürokratieabbau verspielt. Die EU-Dienstleistungsricht- müssen. Schließlich haben wir hierzulande ein sehr diffe- linie hätte die Chance geboten, insbesondere kleine und renziertes und fachlich ausgefeiltes System der Qualitäts- mittlere Unternehmen massiv zu entlasten. Dies wäre sicherung entwickelt als Grundlage der fachlichen Be- auch im Bereich der Gewerbeordnung möglich gewesen, stellung. Diese hohen Anforderungen können wir nicht vor allen Dingen aber in dem wichtigen Bereich eines einfach „herunterschleifen“, weil sie ja gerade für unser einheitlichen Ansprechpartners, der ebenfalls von der Rechtswesen und damit für die Verbraucher, die Wirt- Dienstleistungsrichtlinie gefordert wird. (B) schaft und die Justiz – also für den Rechtsfrieden – von (D) größter Bedeutung sind. Auch bei der Umsetzung der Be- Trotz des grundsätzlich richtigen Ansatzes, den ein- rufsanerkennungsrichtlinie sollten die Grundlagen na- heitlichen Dienstleistungsmarkt in der EU voranzubrin- tionaler Gesetzgebung nicht ohne Berücksichtigung blei- gen, enthält das Umsetzungsgesetz jedoch eine Reihe von ben. Regelungen, die insbesondere für inländische Unterneh- men zu erschwerten Wettbewerbsbedingungen führen Ich wünsche mir, dass wir die Dienstleistungsrichtlinie können. Die neuen Regelungen im Gewerberecht finden nicht mehr als eine Bedrohung behandeln, sondern als nicht nur in den klassischen Bereichen der Dienstleis- eine Chance für die Stärkung unseres Wirtschaftsstand- tungsfreiheit Anwendung, das heißt im Bereich einer orts begreifen. Dabei ist klar, dass es mit der Verabschie- kurzfristigen oder gelegentlichen Dienstleistungserbrin- dung dieses Gesetzes, das ja jetzt erst in die Beratung gung, sondern auch dann, wenn ein Gewerbetreibender geht, nicht getan ist; seine tägliche Anwendung bedarf ei- aus einem anderen EU-Staat sich im Inland niederlässt. ner kritischen und konstruktiven Begleitung. Einziges einschränkendes Merkmal ist dann, dass diese Niederlassung nicht eine „feste Infrastruktur“ sein darf. Ernst Burgbacher (FDP): In der Begründung zum Gesetzentwurf legt die Bun- Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll die Richtli- desregierung dar, warum eine Beschränkung nicht auf nie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des nur vorübergehende und gelegentliche Dienstleistungen Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im in Deutschland vorgenommen wird. Die Bundesregierung europäischen Binnenmarkt umgesetzt werden. In der Ge- erklärt in der Begründung, dass eine Beschränkung auf werbe- und der Handwerksordnung sowie der Wirt- nur kurzfristige oder gelegentliche Dienstleistungen nur schaftsprüferordnung und dem Signaturgesetz werden aus Gründen der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Änderungen vorgenommen, die den grenzüberschreiten- Sicherheit, der öffentlichen Gesundheit oder des Schutzes den Dienstleistungsverkehr erleichtern sollen. der Umwelt gerechtfertigt sei. Im Hinblick auf die Ände- rungen stellt die Bundesregierung schlicht fest: Das Ziel der Dienstleistungsrichtlinie ist es, Fort- schritte im Hinblick auf einen freien Binnenmarkt für Für die Gewerbeanzeige und weitere Anforderun- Dienstleistungen zu erreichen. Im größten Sektor der gen der Gewerbeordnung sowie für die meisten der europäischen Wirtschaft sollen sowohl die Unternehmen in der Gewerbeordnung geregelten Erlaubnisse, so- als auch die Verbraucher den vollen Nutzen aus den Mög- weit diese der Dienstleistungsrichtlinie unterfallen, lichkeiten des Binnenmarkts ziehen. Zur Erreichung die- ist eine Rechtfertigung anhand der genannten vier ses Ziels sieht die Dienstleistungsrichtlinie insbesondere Rechtfertigungsgründe nicht möglich.

Zu Protokoll gegebene Reden 24092 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Ernst Burgbacher (A) Eine Begründung dafür, warum dies nicht möglich sein Versteigerern erhebliche Wettbewerbsnachteile. Ich for- (C) soll, fehlt aber und lässt sich deshalb auch nicht nachvoll- dere die Bundesregierung auf, diese Wettbewerbsverzer- ziehen. rungen zu verhindern und den Gesetzentwurf an diesen Stellen deutlich nachzubessern. Es stellt sich deshalb die Frage, warum die Bundes- regierung im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie die Die Bundesregierung will mit der Umsetzung der für die Gewerbeordnung erforderliche Normenprüfung EU-Dienstleistungsrichtlinie den grenzüberschreiten- allzu restriktiv durchgeführt hat. Eine sehr viel weiterge- den Dienstleistungsverkehr sowohl innerhalb der EU als hende Entlastung von bürokratischen Pflichten, eine auch zwischen EU-Mitgliedstaaten und Angehörigen der „Lichtung“ des Normendschungels im Bereich der Ge- Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft erleichtern. Die werbeordnung, hätte hier seitens der Bundesregierung Bundesregierung selbst spricht in der Begründung des erfolgen können und müssen. Dies gilt grundsätzlich Gesetzentwurfs von großen Chancen auch für deutsche auch für die Nichtanwendbarkeit der Genehmigungs- Unternehmerinnen und Unternehmer, sich im europäi- pflichten für Gewerbetreibende aus dem EU-Ausland. schen Ausland zu engagieren. Wenngleich der Wettbe- werb sich zwar verstärken würde, würden doch die Chan- Das Umsetzungsgesetz zur Dienstleistungsrichtlinie cen für Handwerker in den Grenzregionen überwiegen. erleichtert die Gewerbeausübung für aus dem EU-Aus- Tatsächlich aber werden viele Regelungen die Wettbe- land kommende Gewerbetreibende. Im Rahmen des werbsbedingungen für inländische Unternehmen ver- einheitlichen Binnenmarktes ist auch diese Regelung schlechtern und Gewerbetreibende aus Deutschland ge- grundsätzlich zu begrüßen. Für Unternehmerinnen und genüber ihren Mitbewerbern diskriminieren. Unternehmer, die zur Ausübung des Pfandleihgewerbes, des Versteigerergewerbes, des Maklergewerbes, des Ge- Zudem sieht die zwischenstaatliche Realität in etlichen werbes der Bauträger und Baubetreuer sowie des Reise- Bereichen hinsichtlich der Dienstleistungsfreiheit leider gewerbes unter Inanspruchnahme der Dienstleistungs- anders aus. Auf meine Frage, wie die Bundesregierung freiheit in Deutschland tätig werden, gelten bestimmte gegen protektionistische Maßnahmen von europäischen Genehmigungspflichten der Gewerbeordnung künftig Nachbarländern reagieren wird, hat mir die Bundes- nicht mehr. regierung geantwortet, dass es „ab dem Jahr 2010 eine Phase der gegenseitigen Evaluierung zwischen den Mit- Diese Umsetzung wird durch die Bundesregierung da- gliedstaaten im Zusammenhang mit der Normenprüfung mit begründet, dass nach Art. 16 der Dienstleistungs- nach der europäischen Dienstleistungsrichtlinie“ geben richtlinie Genehmigungen und sonstige Anforderungen wird. Faktisch bestehen Marktzugangsbeschränkungen, an Dienstleistungserbringer nur aufrechterhalten werden die deutsche Unternehmen betreffen, wenn sie zum Bei- dürfen, soweit dies aus den genannten Gründen der öf- (B) spiel Bauleistungen in Frankreich erbringen oder als (D) fentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit, der Handwerker in der Schweiz tätig werden wollen. Hier öffentlichen Gesundheit oder des Schutzes der Umwelt hätte die Bundesregierung aktiv werden und sich im Rat gerechtfertigt sei. Bei den genannten gewerblichen Tätig- dafür einsetzen müssen, dass deutsche Unternehmen keiten sei eine solche Rechtfertigung nicht möglich, so- nicht länger benachteiligt werden. Erst dann kann auch dass die Genehmigungsvorbehalte keine Anwendung fin- im Hinblick auf die Umsetzung der heute zur Debatte ste- den könnten, wenn Gewerbetreibende aus dem EU-Aus- henden Richtlinie von einer Chancenerweiterung für land in Deutschland tätig würden. deutsche Unternehmen gesprochen werden. Ansonsten schafft die Bundesregierung verbesserte Wettbewerbs- Für inländische Unternehmerinnen und Unternehmer chancen für die ausländischen Mitbewerber in Deutsch- gilt diese Regelung jedoch nicht. Gerade für deutsche land, während durch Abschottungsmaßnahmen deutsche Unternehmerinnen und Unternehmer, die in den genann- Unternehmen aus den Nachbarländern faktisch heraus- ten Bereichen tätig werden wollen, bleibt auch zukünftig gehalten werden. der Genehmigungsvorbehalt bestehen. Die Bundesregie- rung muss sich aber entscheiden, ob sie eine Tätigkeit Im parlamentarischen Verfahren muss deshalb an die- deshalb unter den Vorbehalt einer Genehmigung stellt, ser Stelle nachgebessert werden. Ich fordere die Bundes- weil von dieser Tätigkeit besondere Gefahren ausgehen regierung auf, tätig zu werden und sich in Europa dafür können oder eine besondere Sachkunde von Nöten ist, einzusetzen, dass ein freier Dienstleistungsverkehr nicht oder ob die Tätigkeit genehmigungsfrei sein kann. Wenn als „Einbahnstraße“ funktioniert. die Gewerbeausübung für Unternehmen aus dem EU- Ausland genehmigungsfrei ist, dann muss sie dies auch Ulla Lötzer (DIE LINKE): für die Unternehmerinnen und Unternehmer aus Vorgestern haben SPD und DGB eine Erklärung für Deutschland sein. Andernfalls liegt eine nicht hinnehm- ein soziales Europa verabschiedet. Dort ist in schönen, bare Inländerdiskriminierung vor. Letzteres lässt sich mit hehren Worten zu lesen: „Soziale Grundrechte und Stan- Blick auf das Versteigerergewerbe zum Beispiel auch da- dards dürfen nicht durch Wettbewerb und Liberalisierung ran festmachen, dass inländische Gewerbetreibende den im europäischen Binnenmarkt eingeschränkt werden.“ Verbotsnormen des § 34 b Abs. 6 GewO unterliegen. So Heute kann ich Ihnen am vorliegenden Gesetzentwurf zur ist es Inländern zum Beispiel verboten, „ungebrauchte Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie zeigen, dass die Ware“ zu versteigern, wogegen diese Einschränkung für Gewerkschaften sich damit keinen Gefallen getan haben. Gewerbetreibende aus dem EU-Ausland bei grenzüber- schreitender Dienstleistungserbringung keine Anwen- Zuerst aber zum Grundsätzlichen. Die Linke hat als dung finden soll. Hier drohen den im Inland ansässigen einzige Partei im Deutschen Bundestag die Dienstleis-

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24093

Ulla Lötzer (A) tungsrichtlinie von Anfang an konsequent bekämpft und vor der neoliberalen Deregulierungswut. Wo wurden (C) gemeinsam mit den Gewerkschaften bestimmte Abschwä- denn in der EU in den letzten Jahren Sicherheits- oder chungen des Herkunftslandsprinzips durchsetzen können. Gesundheitsstandards bei der Dienstleistungserbringung Allerdings dürfen auch jetzt Regeln für grenzüberschrei- harmonisiert, worauf stützen Sie denn diese Annahme? tende Dienstleister nur dann weiter bestehen, wenn sie Darauf geben Sie keine Antwort, sondern nutzen den aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit, Ge- Brüsseler Blankoscheck! Ergebnis sind kafkaeske Be- sundheit oder zum Schutz der Umwelt gerechtfertigt sind. gründungsformulierungen und in der Realität eine uner- Regeln des Arbeitnehmer- oder Verbraucherschutzes trägliche Diskriminierung von inländischen Gewerbe- kommen unter den Bolkestein-Hammer! treibenden. Das kritisieren nicht nur wir, sondern sogar einer der schärfsten Befürworter der Dienstleistungs- Die Linke trat und tritt grundsätzlich dafür ein, dass richtlinie, der Deutsche Industrie- und Handelskammer- Dienstleistungen nach dem Recht des Landes erbracht tag; er erklärt so gut wie jede Ihrer Regelungen als pra- werden, in dem sie ausgeführt werden. Damit will die xisuntauglich. Linke eine ungeschützte Lohnkonkurrenz, den Abbau von Standards und eine Diskriminierung von Inländern ver- Unser dritter Kritikpunkt bezieht sich schließlich da- hindern. Es geht uns dabei nicht darum, wer die Dienst- rauf, was Sie als grenzüberschreitende Dienstleistung de- leistungen macht, sondern unter welchen Bedingungen! finieren: Sie machen sich gar nicht mehr die Mühe, zwi- schen einer grenzüberschreitenden Dienstleistung und Wir haben diese Position über die komplette Legisla- einer Niederlassung in der Bundesrepublik zu unterschei- turperiode hin vertreten bis hin zum letzten Fall, der Auf- den. Damit weiten Sie die Grauzone aus, statt sie zu be- hebung der Tariftreue in der öffentlichen Auftrags- grenzen. vergabe durch das Rüffert-Urteil. Immer wieder hörte ich von meinen sozialdemokratischen Kolleginnen und Kol- Die Linke lehnt diesen Gesetzentwurf ab und besteht legen dann das öffentliche Lippenbekenntnis zu einem so- auf ihrem parlamentarischen Recht, über das Nor- zialen Europa und musste am nächsten Tag in den Geset- menscreening der Bundesregierung informiert zu werden, zen lesen, dass sie darauf keinen Pfifferling geben und bevor weitere sinnvolle und wichtige Regelungen unter sehr wohl die Bewegungsfreiheit des Kapitals über Um- den Bolkestein-Hammer kommen. Ich fordere weiter den welt-, Sozial- oder Verbraucherrechte setzen. Ich zitiere Arbeitsminister auf, sich in das Umsetzungsverfahren dazu den entscheidenden Satz aus dem Gesetzentwurf: einzuschalten und die deutschen Gewerkschaften an der „Die Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie führt teil- Umsetzung zu beteiligen. Machen Sie endlich ernst mit weise zu einer unterschiedlichen Behandlung von im In- Ihren hohlen Phrasen und bereiten Sie nicht jetzt schon land niedergelassenen Dienstleistern und aus anderen den nächsten Wahlbetrug vor. EU-Staaten grenzüberschreitend tätigen Dienstleistern. (B) (D) Dies ist jedoch dadurch gerechtfertigt, dass der grenz- Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): überschreitend tätige Dienstleister bereits die Anforde- Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umset- rungen seines Niederlassungsstaates erfüllt.“ Mit dieser zung der EU-Dienstleistungsrichtlinie in deutsches Ge- fadenscheinigen Begründung erklären Sie heute wesent- werberecht ist die Konsequenz verfehlter Politik seitens liche Elemente des Gewerberechts für ungültig, und zwar der Großen Koalition auf europäischer Ebene. Die zen- nicht für in Deutschland niedergelassene Unternehmen, trale Schwachstelle der europäischen Dienstleistungs- sondern für Dienstleister, die von einer Niederlassung im richtlinie ist das Herkunftslandprinzip. Dies wurde von EU-Ausland aus agieren. Damit gelten für Wettbewerber der Bundesregierung durchaus erkannt. In ihrem Koali- an einem Ort unterschiedliche Normen. Das ist Wettbe- tionsvertrag hat die Koalition zur Dienstleistungsrichtli- werbsverzerrung. Wo bleibt denn da die viel besungene nie festgehalten: Marktwirtschaft? Wo bleibt denn da die viel besungene Das Herkunftslandprinzip in der bisherigen Ausge- Rechtssicherheit? Und wo bleiben die Grundrechte und staltung führt uns nicht in geeigneter Weise zu die- Standards, für die sich die SPD einsetzen will? sem Ziel. Deshalb muss die Dienstleistungsrichtli- nie überarbeitet werden. Wir werden ihr auf Damit aber nicht genug. Der gesamte Prozess des Nor- europäischer Ebene nur zustimmen, wenn sie sozial menscreenings wurde durch die Bundesregierung in ausgewogen ist, jedem Bürger den Zugang zu öf- keinster Weise transparent gestaltet. Wir werden jetzt im fentlichen Gütern hoher Qualität zu angemessenen Gesetzentwurf mit der absoluten Nullaussage konfron- Preisen sichert und Verstöße gegen die Ordnung tiert, dass für bestimmte Anforderungen aus der Gewer- auf dem Arbeitsmarkt nicht zulässt. beordnung und vor allem auch für die Gewerbeanzeige keine Rechtfertigungsgründe nach der Dienstleistungs- Leider folgten dieser Erkenntnis keine Taten. Die richtlinie vorliegen. Weder für die Opposition noch für Richtlinie wurde mit der Stimme der Bundesregierung die Betroffenen und schon gar nicht für den Bürger ist verabschiedet. Das Herkunftslandsprinzip taucht zwar nachzuvollziehen, warum gesetzliche Regelungen, die explizit nicht mehr auf, dennoch hat seine Regelung fak- über Jahre als sinnvoll erachtet wurden und auch weiter- tisch Bestand. hin für hier niedergelassene Unternehmen gelten, jetzt für Das Problem des Herkunftslandsprinzips ist Folgen- grenzüberschreitende Dienstleister – seien es Makler, des: Einem Dienstleister muss die Ausübung seiner Tätig- Pfandleiher oder Bauträger – nicht mehr gelten sollen. keit in einem anderen EU-Staat erlaubt werden, wenn er Ihre Begründung, dass diese bereits irgendwelche Anfor- die Rechtsvorschriften seines Herkunftslandes erfüllt. derungen in ihrem Heimatland erfüllen mussten, ist Das ist noch unproblematisch. Der Fehler der Dienstleis- nichts anderes als eine Kapitulation des Rechtsstaates tungsrichtlinie liegt aber darin, dass ein Dienstleister sei-

Zu Protokoll gegebene Reden 24094 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Dr. Thea Dückert (A) ner Tätigkeit in einem anderen Land auch nach den recht- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die (C) lichen Vorgaben seines Heimatlandes nachgehen kann. Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die So können Umwelt-, Sozial- und Verbraucherstandards Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten umgangen werden. Diesen zentralen Punkt haben Bünd- soll. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so be- nis 90/Die Grünen stets bemängelt. Stattdessen haben wir schlossen. einen eigenen Antrag in den Bundestag eingebracht und uns dafür eingesetzt, das Herkunftsland nur beim Markt- Ich eröffne die Aussprache. Für die Fraktion Bünd- zugang anzuwenden. Für die Ausübung der Tätigkeit soll nis 90/Die Grünen spricht nun der Kollege Thilo Hoppe. das Ziellandsprinzip gelten. So würden die Dienstleis- tungsfreiheit in Europa gewährleistet und Sozial- und Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ökodumping verhindert werden. Dieser Vorschlag Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! stammte von der SPD-Berichterstatterin Gebhardt. Lei- Wir reagieren mit unserem Antrag auf eine sehr besorg- der ließ die SPD die Vorschläge von Frau Gebhardt fallen niserregende Entwicklung. In jüngster Zeit verstärkt sich und sorgte sich stattdessen um den Koalitionsfrieden. der Trend, dass Unternehmen und Regierungen wohlha- Nun versucht die Bundesregierung, Schadensbegren- bender Länder riesige Flächen fruchtbaren Ackerlandes zung zu betreiben. Ihr Gesetzentwurf enthält mit § 4 in Entwicklungsländern, vor allem in Afrika, aufkaufen Abs. 2 einen Passus, der die Umgehung nationaler Stan- oder pachten, um auf diesen Flächen Nahrungsmittel für dards verhindern soll. Der Abschnitt bietet jedoch weiten den Eigenbedarf oder Biospritpflanzen anzubauen. Man- Interpretationsspielraum und kann auch ehrlichen Unter- che dieser Investoren wollen auch einfach nur mit Grund nehmern in Grenzregionen zum Verhängnis werden. Da- und Boden spekulieren. mit erweist sich das Gesetz mit seinen ungenauen Formu- Presseberichten zufolge hat vor kurzem ein US-ame- lierungen als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die rikanischer Investmentfonds einem südsudanesischen Gerichte. Hätte die Bundesregierung ökologische, Milizenführer, also einem Warlord, die gigantische Flä- soziale und Verbraucherstandards wirklich schützen wol- che von 400 000 Hektar abgekauft. Ob dieser überhaupt len, dann hätte sie der europäischen Dienstleistungs- der rechtmäßige Besitzer war, ist höchst zweifelhaft; richtlinie in dieser Form nicht zustimmen dürfen. aber er hatte die Waffen und die Möglichkeit, diesen Nun ist das Kind in den Brunnen gefallen und die Deal auch umzusetzen. Koalition muss für ihre eigenen Fehler geradestehen. Es gibt solch krasse Fälle von illegaler Landaneig- Dies ist umso bedauerlicher, weil ein funktionierender nung, es gibt aber auch vieles, was im Grunde genom- europäischer Binnenmarkt für Dienstleistungen enorme men ähnlich ist, aber rechtlich in einem Graubereich Wachstumspotenziale böte. Besonders die Bundesrepu- liegt. In vielen Fällen sind es arabische Ölstaaten, in ei- blik könnte profitieren. Die vorliegende Richtlinie leistet (D) (B) nem speziellen Fall ist es ein koreanischer Konzern, die aber keinen Beitrag, die Beschäftigungspotenziale zu ak- von zwar gewählten, aber doch recht schwachen und oft tivieren und so einen wichtigen Beitrag gegen die Ar- beitslosigkeit zu leisten, die im Zuge der aktuellen Wirt- korrupten Regimen riesige Landstriche kaufen oder schaftskrise wieder rasant ansteigt. Die Bundesregierung pachten. Auf den ersten Blick ist das legal. Bei genaue- hat diese Potenziale mal wieder nicht erkannt, und den rem Hinsehen erkennt man aber, dass das, wie gesagt, oft Schaden haben die Bürgerinnen und Bürger. mit Korruption oder der Missachtung traditioneller Landrechte oder des elementaren Menschenrechts auf Nahrung verbunden ist. Vizepräsidentin Petra Pau: Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur- All diese Formen illegaler oder illegitimer Landan- fes auf Drucksache 16/12784 an die in der Tagesordnung eignung werden in dem neudeutschen Begriff Land- aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu Grabbing, also Land-Grapschen, zusammengefasst. Wir anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann haben es hier mit einer neuen Welle des Kolonialismus ist die Überweisung so beschlossen. zu tun. Haben die Kolonialmächte früher Länder mit Waffengewalt erobert, geschieht es heute mit dem Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Scheckbuch: Ganze Regionen werden einfach gekauft oder gepachtet. Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo Hoppe, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck Diese Landstriche sind aber nicht menschenleer. (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion Meistens leben dort Kleinbauern, die dort schon seit Ge- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nerationen für den Eigenbedarf, für lokale oder regionale Märkte Nahrungsmittel anbauen, oft jedoch keine einge- Landrechte stärken – „land grabbing“ in Ent- tragenen Grundbuchtitel vorweisen können. Die Folge wicklungsländern verhindern von Land-Grabbing ist sehr oft, dass die Kleinbauern – Drucksache 16/12735 – vertrieben werden. Wenn sie die einzige Ressource, die sie zum Überleben haben – Grund und Boden –, verlie- Überweisungsvorschlag: ren, sind sie gezwungen, entweder in die Slums abzu- Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f) wandern oder sich bestenfalls als Tagelöhner auf den Auswärtiger Ausschuss Plantagen zu verdingen, oft nur zu Hungerlöhnen. Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Wenn Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sie Glück haben!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24095

Thilo Hoppe (A) In manchen Ländern hat dieses Land-Grabbing schon zu Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) sozialen Unruhen geführt, auf Madagaskar sogar zum Wir dürfen nicht zulassen, dass den Schwächsten und Sturz der Regierung. Ärmsten der Grund und Boden unter den Füßen wegge- zogen wird. Wenn zwielichtige Investmentfonds oder Staaten wie Saudi-Arabien, einige andere Ölstaaten oder China Ich danke Ihnen. – also Staaten, die es mit den Menschenrechten eh nicht so genau nehmen – Land-Grabbing betreiben, gibt es all- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN seits Kritik. IFPRI, das renommierte Internationale For- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) schungsinstitut für Nahrungsmittelpolitik, hat allerdings herausgefunden, dass auch etliche deutsche, englische Vizepräsidentin Petra Pau: und schwedische Unternehmen an dem Run auf den Das Wort hat der Kollege Dr. Wolf Bauer für die Uni- knappen Rohstoff Land beteiligt sind. Es sind also nicht onsfraktion. allein die bekannten Bad Guys. (Beifall bei der CDU/CSU) Um nicht missverstanden zu werden: Nicht jeder Er- werb von Grund und Boden in Entwicklungsländern durch ausländische Investoren soll unter Generalver- Dr. Wolf Bauer (CDU/CSU): dacht gestellt werden. Es gibt durchaus sinnvolle, ent- Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! wicklungspolitisch wertvolle Investitionen, durch die Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute Arbeitsplätze gesichert und bei denen Sozial-, Umwelt- in erster Beratung einen Antrag der Grünen, der uns und Menschenrechtsstandards eingehalten werden. eben vorgestellt worden ist. Der Antrag ist inhaltlich per se nicht falsch, aber warum er gerade jetzt kommt, ist Bei genauerem Betrachten muss man aber leider fest- mir nicht ganz erklärlich. Denn wie bereits anklang, ha- stellen: Das sind Ausnahmen. Die meisten dieser Land- ben wir schon öfters im Ausschuss – beispielsweise im nahmen sind mit Vertreibung und Verelendung verbun- Rahmen der Debatten über ländliche Entwicklung – und den. Ich könnte eine lange Reihe von Beispielen bei Veranstaltungen unserer Fraktion das Thema disku- aufzählen, nicht nur Beispiele aus Afrika, auch Beispiele tiert, Kritik geäußert und festgestellt, was getan werden aus Indonesien, Kolumbien und vielen anderen Ländern muss. Auch ich hatte mich bereits im letzten Jahr an die der Welt. Regierung gewandt, um das Vorgehen von Daewoo, das Sie angesprochen haben, äußerst kritisch begleitet zu Der Energiehunger der Industrienationen – auch unser wissen. Energiehunger – hat den Run auf den Rohstoff Land und (B) die Spekulation mit Grund und Boden natürlich weiter Das Thema ist also wahrlich nicht neu. Darüber hi- (D) angeheizt. Es trifft leider, wie so oft, die Schwächsten, naus sind wir uns bei diesem Thema auch fraktionsüber- die Ärmsten der Armen, diejenigen, die sich keinen An- greifend im Wesentlich inhaltlich einig. Auch ich habe walt leisten können, diejenigen, die keine Lobby haben, Sorge vor möglichen Gefahren, die aus dem sogenann- diejenigen, die sich nicht wehren können. ten Land-Grabbing entstehen können, und kann daher den vorliegenden Antrag in vielen Punkten mittragen Dieser Trend erfordert die Reaktion der Politik. Zu- und unterstützen. nächst einmal muss eine Bestandsaufnahme gemacht werden, in welcher Größenordnung sich zurzeit Land- Auch die Forderung, mögliche negative Auswüchse Grabbing ereignet. Zweitens stehen wir vor der Heraus- des Land-Grabbing mit den Instrumenten der Entwick- forderung des Gegensteuerns und Regulierens. Ein Code lungszusammenarbeit zu verhindern und die Land- und of Conduct, ein freiwilliger Verhaltenskodex reicht da Eigentumsrechte der lokalen Bevölkerung zu stärken, ist nicht aus. Multilaterale Organisationen, vor allem die ein unterstützenswertes Ansinnen. Vieles von dem, was FAO, sind gefordert, verbindliche, einklagbare Stan- im Antrag steht, wird aber bereits vom BMZ und den dards auszuarbeiten. Durchführungsorganisationen gemacht. Doch ich be- fürchte, dass der Antragsteller die Möglichkeiten der Ich fordere die Bundesregierung auf, dieses Thema, Entwicklungszusammenarbeit in diesem Fall schlicht- das noch nicht genügend Beachtung findet, auf die weg überschätzt. Agenda zu setzen und Konferenzen dazu abzuhalten. Wir im Entwicklungsausschuss machen dies. Wir haben Das Überschätzen zieht sich wie ein roter Faden für die nächste Sitzung den neuen Sonderberichterstatter durch den Antrag, wogegen wichtige andere Ansatz- und der Vereinten Nationen für das Recht auf Nahrung, Schwerpunkte vernachlässigt werden. So werden zum Olivier De Schutter, eingeladen, uns diese Entwicklung Beispiel die Rolle einer guten Regierungsführung und genauer vorzustellen. Das ist ein Auftakt. die Eigenverantwortung der nationalen Regierungen bei der rechtlichen Ausgestaltung von Boden- und Eigen- Ich fordere Sie auf, Aktivitäten wie den Antrag, den tumsfragen kaum beleuchtet. Aber gerade hier ist der wir eingebracht haben, zu unterstützen, und zwar in die- Hebel für eine vernünftige und vor allem auf die sozialen ser und in der nächsten Legislaturperiode. Hier muss un- Belange der Bevölkerung abgestimmte Ausgestaltung bedingt reagiert werden. entsprechender Verträge anzusetzen. Daher stellt sich die Frage, warum der Antragsteller die nationalen Regierun- Vizepräsidentin Petra Pau: gen aus der Pflicht nimmt. Es macht zumindest den Ein- Kollege Hoppe, achten Sie bitte auf die Zeit. druck, als wäre das der Fall. 24096 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Dr. Wolf Bauer (A) (Beifall bei der CDU/CSU – Thilo Hoppe von den zuständigen Herren aus den betreffenden Län- (C) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tun wir dern kritisiert wurde. Wir dürfen nicht aus ideologischen gar nicht!) Gründen eine einzige Form der Landnutzung als das ein- zig Wahre darstellen. Vielmehr müssen wir darüber Gerade die nationalen Regierungen können, ja müssen nachdenken, was der Bevölkerung vor Ort den meisten der zentrale Akteur sein, der den Unterschied ausmacht. Nutzen bringt. Denn bei allen Gefahren, die mit dem Land-Grabbing verbunden sind, darf man auch nicht unterschätzen, dass (Beifall bei der CDU/CSU) sogenannte FDIs auch eine Chance für das jeweilige Wenn möglicherweise etwas größere Einheiten mehr Entwicklungsland sein können – das haben Sie dankens- Nahrungsmittel erzeugen können – das ist in der Regel werterweise angeführt –, wenn sie von den Regierungen der Fall; wir kennen das aus unserer Nachkriegsge- vertraglich richtig ausgestaltet und partizipativ mit um- schichte –, dann dürfen wir nicht von vornherein sagen, gesetzt werden. dass das nicht brauchbar ist. Vielmehr müssen wird das Ich erinnere mich noch gut an diverse Appelle unse- in unserer Argumentation berücksichtigen. res Ausschusses an die Wirtschaft, sich mehr in Ent- Ich appelliere daher an meine Kolleginnen und Kolle- wicklungsländern zu engagieren bzw. dort zu investie- gen, in den Ausschussberatungen über diesen Antrag die ren. Gelegentlich kommt es mir – frei nach Goethe – so Gemeinsamkeiten beim Land-Grabbing zu betonen. Es vor, als ob zwei Seelen in unserer Brust schlagen. ist ganz klar, dass wir alle das wollen. Wir wollen nicht Aus meiner Sicht sollten wir uns besonders um An- wieder in Grabenkämpfe verfallen, die wir schon mehr- reize bemühen, die sozialen Belange der örtlichen Be- fach ausgetragen haben. Land-Grabbing war und bleibt völkerung bei der Vertragsgestaltung in den Fokus zu rü- ein wichtiges Thema, das eine kritische Begleitung ver- cken. Ein möglicher Hebel leitet sich aus der Zielsetzung dient. Daher hoffe ich, dass unsere gemeinsamen Sorgen des Land-Grabbing ab. Der Antrag definiert Land-Grab- und Ziele bei diesem Thema ein starkes Signal nach au- bing als Aufkauf großer Flächen in Entwicklungsländern ßen senden und dass wir in diesem Punkt weiterkom- durch Drittstaaten oder Unternehmen zum Nahrungsmit- men. telanbau für den eigenen Binnenmarkt oder Gewinnung Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. von Bioenergie. Wenn also Land-Grabbing beispiels- weise mit dem Ziel erfolgt, Bioenergie zu gewinnen, (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. dann können wir in Deutschland oder auch in Europa Dr. Sascha Raabe [SPD]) über maßvolle Beimischquoten zum Beispiel beim Bio- sprit viel erreichen. Vizepräsidentin Petra Pau: (B) (D) (Hellmut Königshaus [FDP]: Das ist wahr!) Das Wort hat der Kollege Hellmut Königshaus für die FDP-Fraktion. Wir brauchen – auch das ist bereits angesprochen worden – ein entsprechendes WTO-konformes Zertifi- Hellmut Königshaus (FDP): zierungssystem unter Einbeziehung von Sozialstandards. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Land- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Grabbing ist in der Tat ein Problem. Völlig zu Recht wer- Hellmut Königshaus [FDP]) den im Antrag der Grünen die negativen Folgen darge- legt, die mit dem sogenannten Land-Grabbing – darunter Das ist überaus wichtig, und genau dafür wirbt unsere ist eine großflächige Landaneignung zu verstehen – ver- Fraktion. Ich freue mich, dass wir auch Unterstützung bunden sind. Aber das eigentliche Problem wird zumindest von der FDP bekommen. in Teilen schamhaft umschrieben. Schon die englische Be- (Hellmut Königshaus [FDP]: Ja, manchmal! zeichnung verhüllt den Skandal. Bei den vielfältigen For- Wenn ihr recht habt!) men der Landnahme geht es um den Diebstahl konkreter Zukunftschancen der Entwicklungsländer. Diejenigen, Dazu – besonders zur WTO-Frage – hätte ich mir im die es sich leisten können, verschaffen sich eigene Chan- vorliegenden Antrag mehr gewünscht als nur einen Ab- cen zulasten der ärmsten Länder. Sie kooperieren dazu satz, der wie ein Appendix drangehängt wird. Gerade mit korrupten und skrupellosen Eliten, die Land und Roh- dieser Weg scheint mir realistischer zu sein als vieles, stoffvorkommen verscherbeln. was im Antrag sonst in aller Breite vorgeschlagen wird; (Thilo Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: denn ich befürchte, dass der Einfluss der Bundesregie- Stimmt!) rung auf die Ausgestaltung der Vertragswerke zwischen den Investoren und den nationalen Regierungen recht – Lieber Kollege Hoppe, das sind nicht nur die wohlha- begrenzt ist. Der Antrag sollte nichts anderes suggerie- benden Länder. ren. (Thilo Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider muss ich feststellen, dass – fast ist man ge- Das habe ich auch nicht behauptet!) willt, zu sagen: wieder – einige ideologisch motivierte Diese Ausbeuter sind häufig auch die großen Schwellen- Aussagen im Antrag zu finden sind. Die Unionsfraktion länder und ihre Staatskonzerne. kann diese nicht mittragen; denn wieder einmal wird ein allein seligmachendes kleinbäuerliches Ideal propagiert. Ich will mein Lieblingsbeispiel anführen – das wird Ich erinnere nur daran, dass dies in der letzten Anhörung Sie nicht verwundern –: China. In einem regierungsamt- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24097

Hellmut Königshaus (A) lichen Papier aus dem Jahr 2008 fordert das chinesische gegnen wollen. Sie müssen aber den Menschen nützen (C) Landwirtschaftsministerium die chinesischen Unterneh- und der Nahrungsmittelsicherheit vor Ort dienen. Das men auf, im Ausland Boden zu erwerben. Damit solle Negativbeispiel Daewoo in Madagaskar, das die Kolle- – so heißt es dort – Chinas Nahrungsmittelversorgung gen Bauer und Hoppe angesprochen haben, zeigt uns, langfristig sichergestellt werden, wohlgemerkt Chinas welche Folgen das haben kann. Nahrungsmittelversorgung. Das ist Klartext. Der tut auch Ich möchte eines festhalten: Private Investitionen, uns in diesem Zusammenhang gut. Wir können dann auch technische Innovation und der damit verbundene Know- offen über die Rolle dieser Länder in der Entwicklungs- how-Transfer leisten – richtig angepackt – einen wert- politik sprechen. Wir Liberale fordern seit geraumer Zeit vollen Beitrag zum Wachstum der Entwicklungsländer ein Umdenken gerade im Umgang mit den Schwellenlän- und zum Wohlstand der Bevölkerung dieser Länder. dern, mit Brasilien, China, Indien, Südafrika usw. Wir Aber – deshalb sind wir Ihnen für den Impuls, den Sie wollen sie auf gemeinsame Werte verpflichten und sie hier geben, dankbar – die Politik des Wegsehens der in- von Hilfsempfängern zu Partnern machen, damit auch sie ternationalen Gemeinschaft hinsichtlich der ländlichen sich der Entwicklung der ärmsten Länder verpflichtet Entwicklung muss beendet werden. fühlen und sich nicht nur an der eigenen Entwicklung und am eigenen Vorankommen orientieren. Vielen Dank. Bleiben wir beim Beispiel China. China ist nicht nur, (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ aber vorwiegend in Afrika aktiv. Sein Vorgehen dort ist DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der rücksichtslos. Es gefährdet die Eigenversorgung der dor- CDU/CSU und des Abg. Dr. Wolfgang Wodarg tigen Bevölkerung mit Nahrungsmitteln. Das konterka- [SPD]) riert unsere entwicklungspolitischen Ansätze in vielen Bereichen. Wir brauchen nach der Finanzkrise sicherlich Vizepräsidentin Petra Pau: nicht eine zusätzliche große Nahrungsmittelkrise in den Das Wort hat der Kollege Dr. Sascha Raabe aus der betreffenden Regionen. SPD-Fraktion. Die FDP betont schon seit langer Zeit, wie wichtig es ist, die Eigentumsrechte im ländlichen Raum in den Ent- Dr. Sascha Raabe (SPD): wicklungsländern zu stärken. Wir wiederholen immer Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und wieder den Grundsatz: Ohne Katasteramt und ohne Herren! Dass wir heute das Augenmerk wieder auf die Grundbuchamt gibt es keine nachhaltige ländliche Ent- ländlichen Regionen dieser Erde richten, erinnert mich wicklung. Ownership ist an der Basis, also bei der ländli- an den Antrag zur Förderung der ländlichen Entwick- chen Bevölkerung, zu fördern und nicht bei den häufig lung, den die Koalitionsfraktionen eingebracht haben, (B) (D) kleptokratischen Eliten in den Städten. Wir haben in den und an die Debatte dazu, die wir hier zuletzt Anfang vergangenen Jahren gesehen, welche Folgen die rapide März zu Recht sehr breit geführt haben. steigenden Nahrungsmittelpreise haben. Wir haben auch sehr intensiv über einige der Gründe gesprochen: verän- Damals haben wir bereits Folgendes festgestellt – das derte Konsumgewohnheiten, Biokraftstoffe – Sie haben steht in unserem Antrag, den wir damals beschlossen ha- das eben auch angesprochen –, Nahrungsmittelkonkur- ben –: renz, um nur einige zu nennen. Unterernährung und Hunger sind nicht nur ein Pro- (Thilo Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: blem der absolut produzierten Nahrungsmittel- Spekulationen!) menge, sondern vorrangig eine Frage des Zugangs der Bevölkerung zu Nahrung. Worüber wir auch sprechen müssen, ist die Ursache des Land-Grabbing. Täter sind nicht nur die angeblich Es ist richtig, dass wir den Menschen in den Entwick- bösen Öl- und Rohstoffkonzerne des Westens, wie das lungsländern helfen, da sie tagtäglich darauf angewiesen Beispiel China zeigt. Gerade in Afrika verfolgt das Land sind, ihr Leben und das ihrer Familien mit dem, was sie eine besonders egoistische Politik der Ressourcensiche- auf ihren kleinen landwirtschaftlichen Flächen produzie- rung, die zulasten der Menschen dort geht. Wir brauchen ren, zu sichern; in Deutschland ist das ganz anders. Wir – das sollte uns in der nächsten Zeit gemeinsam beschäf- müssen dafür sorgen, dass diese Menschen weiterhin die tigen – ein international verbindliches und klares Regel- Möglichkeit dazu haben. werk. Es muss für die Investoren klar sein, was geht, was Es ist in der Tat ein Phänomen, das einen fassungslos nicht geht, was verantwortbar ist und was nicht verant- macht: Heute gibt es zwei Gruppen von Land-Grabbern, wortbar ist. zum einen Staaten und zum anderen – das wurde bereits (Thilo Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: am Rande erwähnt – Finanzspekulanten, die mit dem Hunger der Menschen spekulieren und aus den Lebens- Richtig!) bedingungen der ärmsten Bauern dieser Erde Profit Es muss eindeutige Sanktionsmöglichkeiten geben, die schlagen wollen. Diesem Treiben sollten wir alle hier im auch angewandt werden, wenn Staaten oder Staatskon- Bundestag die rote Karte zeigen; denn dem muss ein zerne gegen das Regelwerk verstoßen. Ende gesetzt werden. Es steht außer Frage: Investitionen in die Landwirt- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schaft der Entwicklungsländer sind nötig, wenn wir den DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Herausforderungen, auch denen aus dem Ausland, be- CDU/CSU und der LINKEN) 24098 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Dr. Sascha Raabe (A) Ich betrachte die Finanzspekulanten als eine Gruppe, Abschluss zitieren, was wir mit unserem Antrag der (C) die zur Nahrungsmittelkrise beigetragen hat, da sie Bundesregierung mit auf den Weg gegeben haben. Dort durch Spekulationen auf Weizen und andere Nahrungs- wird die Bundesregierung aufgefordert, mittel die Preise in die Höhe getrieben hat. Man muss aber auch auf diejenigen schauen, die Landkäufe tätigen, demokratische Agrar- und Bodenreformen in Ent- um ihre eigene Bevölkerung zu ernähren. Gerade wur- wicklungsländern verstärkt zu unterstützen, indem den China und Korea angesprochen. Die Regierungen sie im Politikdialog mit Regierungen der Partner- dieser Länder haben Angst, dass sie ihre Bevölkerung länder für derartige Reformen eintritt und in der nicht mehr ernähren können. Es ist aber der falsche Weg, multilateralen Entwicklungszusammenarbeit die dem durch eine Art Neokolonialismus entgegenzuwir- Abstimmung und Verabschiedung freiwilliger Leit- ken und zum Teil sogar selbst Arbeiter in diese Länder linien zu Bodenpolitik, Landrechten und nachhalti- zu schicken, um ohne langfristige nachhaltige Perspek- ger Landnutzung vorantreibt. Insbesondere sind im tive den Boden auszubeuten. Rahmen der bilateralen Entwicklungszusammen- arbeit die Förderung demokratischer Landverfas- Denn oft werden nach Ablauf der Pacht ausgebeutete sungsreformen, sozial verträglicher Landverteilung Böden und kaputtes Land zurückgelassen. Die Men- und die rechtliche Sicherung des Landzugangs oder schen vor Ort haben dann gar keine Möglichkeit mehr, -eigentums – insbesondere für Frauen – sowie die diese Felder und Äcker nachhaltig weiter nutzen zu kön- Förderung effizienter Katasterwesen durch finan- nen. In dem Sinne sind dort Investitionen von ausländi- zielle Unterstützung und Beratungsmaßnahmen schem Direktkapital, die wir den Entwicklungsländern auszubauen. in anderen Sektoren durchaus wünschen, sicherlich ge- fährlich. Das sollte unterbunden werden. Vizepräsidentin Petra Pau: Die Frage ist allerdings, wie wir des Problems Herr Kollege Raabe, Sie können weitersprechen, dann aber werden können; denn eine Sache ist es, vom Bundestag auf Kosten Ihres Kollegen. aus einen Appell zu richten – es ist gut, dass aufgrund des Antrags der Grünen dieses Thema auf die Tagesord- Dr. Sascha Raabe (SPD): nung gesetzt worden ist –, eine andere Sache ist es, wie Das wollen wir nicht tun. In dem Sinne möchte ich wir tatsächlich verhindern können, dass so etwas ge- nur empfehlen: Lassen Sie uns den Antrag, den wir im schieht. Auch da müssen wir unterscheiden. Es gibt kor- März beschlossen haben und der alles vom gerechten rupte Regierungen, die Verträge vermeintlich zum Handel bis hin zur Förderung von Landreformen be- Wohle der eigenen Bevölkerung abschließen. So wird inhaltet, ernst nehmen und umsetzen. Dann, so glaube behauptet, die Pachtverträge kämen der eigenen Bevöl- (B) ich, können wir Land-Grabbing verhindern und den (D) kerung zugute, indem sie zu Investitionen und der Ver- Menschen in den ländlichen Regionen zu einem aus- mittlung von Know-how führen. Diese Regierungen ste- kömmlichen Einkommen verhelfen. cken das Geld aber oft in die eigene Tasche. Ich glaube, wir können nur Erfolg haben, wenn wir auf UN-Ebene Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. mit einem Rat für ökonomische, ökologische und soziale (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Entwicklung, wie ihn Ministerin Heidemarie Wieczorek- Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Dr. Raabe ist Zeul vorgeschlagen hat und wie er im Regierungspro- der Beste!) gramm meiner Partei steht, die Möglichkeit bekommen, sogenannte sittenwidrige Verträge auch auf internationa- ler Ebene im Nachhinein für ungültig zu erklären, weil Vizepräsidentin Petra Pau: die Verträge nicht im langfristigen Interesse der Bevöl- Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Hüseyin- kerung sind, auch wenn sie von einer Regierung abge- Kenan Aydin das Wort. schlossen worden sind, die demokratisch gewählt wurde. (Beifall bei der LINKEN) Das kann aber nur in Extremfällen so sein; denn es ist auch klar, dass wir die Eigenverantwortung der Länder Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE): respektieren müssen, wenn wir Demokratie fördern wol- len. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir nehmen zur Kenntnis, dass es weltweit bereits über Damit komme ich zu der Frage, was wir machen kön- 900 Millionen Menschen gibt, die hungern. Landlose nen, um in diesen Ländern Landreformen zu fördern und und landarme Bauern in den Ländern des Südens ma- die Demokratie zu stärken. In diesem Zusammenhang chen 70 Prozent der Hungernden aus. Die Jagd nach möchte Sie an den Antrag erinnern, den wir Anfang Agrarland, über die wir heute sprechen, hat nicht erst in März dieses Jahres hier beschlossen haben. Manchmal diesem Jahr begonnen. Aber die Nahrungsmittelkrise, ist es gut, nicht ständig neue Anträge zu stellen. Das ist der Boom bei Agrartreibstoffen und die Finanzkrise ha- meine einzige Kritik an Teilen des Antrags der Grünen. ben diese Entwicklung massiv verstärkt. Es begann eine Dort werden Dinge aufgegriffen, die wir erst vor einigen Bieterschlacht um verfügbares Land. Vor allem die Monaten hier beschlossen haben. Ich finde es gut, dass Erdöl produzierenden arabischen Staaten, aber auch wir es uns im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammen- europäische und asiatische Konzerne brauchen mehr arbeit und Entwicklung zur Übung gemacht haben, im- Land, um Nahrungsmittel und Energiepflanzen anzu- mer wieder zu kontrollieren, was von den Anträgen, die bauen. In Ländern wie Madagaskar, Uganda, Sudan, wir beschlossen haben, umgesetzt wird. Ich möchte zum Mali, Brasilien oder Indonesien werden zurzeit Flächen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24099

Hüseyin-Kenan Aydin (A) verkauft oder verpachtet. Um Ausfuhrstopps zu umge- macht sich Deutschland zum Komplizen von staatlicher (C) hen, werden oft intransparente Verträge abgeschlossen. Zwangsräumung und Menschenrechtsverletzung. Ein saudischer Geschäftsmann bestätigt, dass in den Ver- trägen ein geringer Prozentsatz für die lokalen Märkte (Beifall bei der LINKEN) vorgesehen ist, „um sicherzustellen, dass Land und Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen wir Leute uns keine Probleme bereiten.“ Das ist zynisch. den Antrag der Grünen, mit dem sie auf dem richtigen (Beifall bei der LINKEN) Weg sind, unterstützen. Ich hoffe, dass sich die Kollegin- nen und Kollegen von CDU/CSU und SPD im Rahmen Landraub ist ein schamloses Ausnutzen der Krisen- der Ausschussberatungen ebenfalls bereit erklären, die- situation von Menschen, von Gesetzeslücken und von sen Antrag zu unterstützen. nationalen Konflikten. In vielen Ländern sind die Land- Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben. rechte vor allem der indigenen Bevölkerung ungeklärt. In Krisengebieten wie im Kongo oder im Sudan verlas- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- sen Menschen auf der Flucht ihr Land und können keine NIS 90/DIE GRÜNEN) Besitzansprüche erheben. Auch die Entwicklungspolitik hat den Kampf um Vizepräsidentin Petra Pau: Land verschärft. Das 1,2-Milliarden-Dollar-Programm Das Wort hat der Kollege Wolfgang Wodarg für die der Weltbank als Reaktion auf die Krise 2008 beinhaltet SPD-Fraktion. marktorientierte Reformen des Bodenrechts. Das bedeu- tet die direkte Bevorzugung von exportorientierten Dr. Wolfgang Wodarg (SPD): Großkonzernen. Die ärmeren Bauern verkaufen ihr Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle- Land, verführt durch für hiesige Verhältnisse hohe Land- gen! Wir haben es hier wieder mit Fällen von Ausbeu- preise oder gezwungen durch Schulden und fehlende tung zu tun. Die Länder, die ausgebeutet werden, sind Perspektiven. immer dieselben. Es sind Länder, die sich nicht wehren Der Antrag der Grünen greift viele wichtige Punkte können. Sie werden ausgebeutet in ihren Rohstoffen. auf, um Landraub zu beenden und eine gerechte Land- Wenn man zum Beispiel im Kongo die Diamanten und verteilung in den Ländern zu unterstützen. In der bilate- das Gold abtransportiert, ohne dass die Bevölkerung et- ralen Entwicklungszusammenarbeit muss eine Gewähr- was davon hat, dann ist das eine schlimme Form der leistung des Menschenrechts auf Nahrung und gerechte Ausbeutung. Diese Ausbeutung wird von den dortigen Landreformen unbedingte Priorität haben. Regierungen toleriert. Die Regierungen und die einzel- nen Personen in den Regierungen verdienen selbst da- (B) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Thilo ran. Sie sind korrupt. (D) Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir sehen hier eine neue Form der Ausbeutung. Wir Ich warne eindringlich davor, Land zu einer handelbaren sehen, dass nicht nur die Rohstoffe aus der Erde entnom- Ware zu machen. Die Eigenversorgung mit Grundnah- men werden. Nicht nur das Öl, nicht nur die Diamanten rungsmitteln muss oberste Priorität haben. werden genommen, die Erde selbst wird genommen. Das Das mosambikanische Landgesetz ist eine gute Vor- ist besonders schlimm, weil die Menschen in diesen lage, der andere Länder folgen können. Darin werden die Ländern nicht einmal mehr in der Lage sind, sich selbst Landrechte der Subsistenzbauern – das sind fast 60 Pro- ihre Nahrung zu erzeugen. Weil sie verjagt werden, wird zent der Bevölkerung – gesetzlich abgesichert. Der Staat ihnen die Chance genommen, das zu tun, was sie noch vergibt Landnutzungsrechte auch an Gruppen, die den können und wissen, sich mit Saatgut selbst etwas zu es- Boden seit mindestens zehn Jahren bewirtschaften. Be- sen zu produzieren. Das ist eine besonders schlimme vor ein Titel an einen Investor vergeben wird, muss die Form der Ausbeutung. Bevölkerung der Vergabe zustimmen. Dieses Gesetz ist Dass sie stattfindet, hat verschiedene Gründe; wir ha- sehr fortschrittlich. Wir sollten es unterstützen. ben davon schon gehört. In einigen Staaten hat man (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Thilo Angst, dass die Bevölkerung zu wenig zu essen hat. Dort Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) gibt es ein starkes Bevölkerungswachstum; häufig ist ihre Fläche klein. Diese Angst besteht in einigen asiati- Die Kollegen der CDU/CSU meinen, der vorliegende schen Staaten; Südkorea und China sind Beispiele dafür. Antrag setze falsche Schwerpunkte. Die Regierung habe Diese Form der Ausbeutung findet aber auch durch Staa- keinen Einfluss auf Verträge zwischen Entwicklungslän- ten statt, in denen es eigentlich genug zu essen gibt; dort dern und Investoren, heißt es auf ihrer Homepage. Das isst man sogar zu viel, was häufig gesundheitliche Pro- ist ebenso falsch wie fadenscheinig. Der Fall des bilate- bleme bereitet: Viele sind zu fett. ralen Investitionsabkommens zwischen Deutschland und Paraguay beweist das Gegenteil. Wir sind auch an dieser Ausbeutung beteiligt, weil wir landwirtschaftliche Produkte, die dort angebaut wer- Viele haben dort Land aus Spekulationsgründen ge- den, importieren. Das ist unverantwortlich. Das heißt, kauft, unter ihnen auch Deutsche. Eine indigene Ge- wir sind wieder einmal der Motor für diese Ausbeutung. meinschaft im Chaco-Gebiet fordert seit 1991 die Rück- Die British East India Company, die Britische Ostindien- gabe ihres traditionellen Territoriums, das sich im Besitz Kompanie, war ein Wirtschaftsunternehmen, das das in- des deutschen Großgrundbesitzers Roedel befindet. So dische Volk mit Gewalt geknechtet hat. So etwas gibt es 24100 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Dr. Wolfgang Wodarg (A) jetzt wieder. Kompanien dieser Art bedienen sich auch Vizepräsidentin Petra Pau: (C) privater Militärfirmen. Sie sorgen oft sogar mit Gewalt Ich schließe die Aussprache. für ihre Interessen. Sie sind verantwortlich dafür, dass Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Menschen mit Gewalt verjagt werden. Derartige Dienst- Drucksache 16/12735 an die in der Tagesordnung aufge- leistungen kann man heutzutage kaufen. Wir haben die- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- ses Thema kürzlich auch hier im Bundestag behandelt. verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung Diese Entwicklung führt dazu, dass staatliche Verant- so beschlossen. wortung und Kohäsion in einer Bevölkerung durch Men- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: schen zerstört werden, die von außen in das Land kom- men. Das ist völkerrechtlich nicht in Ordnung. Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Brähmig, Jürgen Klimke, Dr. Hans-Peter (Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN Friedrich (Hof), weiterer Abgeordneter und der und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Fraktion der CDU/CSU des Abg. Dr. Peter Jahr [CDU/CSU]) sowie der Abgeordneten Annette Faße, Renate Es gibt Regelungen in vielerlei Hinsicht: Es gibt das Gradistanac, Siegmund Ehrmann, weiterer Abge- Recht auf Nahrung. Es gibt auch das Recht auf Heimat. ordneter und der Fraktion der SPD Man darf von dort, wo man wohnt, nicht vertrieben wer- Tourismuskooperation und Jugendaustausch den. Es gibt auch das Recht auf Teilhabe an der Gesell- mit den neuen EU-Staaten fördern schaft. Das gehört implizit und sogar explizit zu den Menschenrechten. – Drucksache 16/12730 – Überweisungsvorschlag: Es gibt folgendes Problem: Die komplexen Formen Ausschuss für Tourismus (f) der Landnahme, das Enteignen ganzer Bevölkerungs- Auswärtiger Ausschuss schichten, werden vertraglich so geregelt, dass wir Innenausschuss manchmal machtlos sind. Ich erinnere an die Debatte, Sportausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie die wir heute Morgen über Steuerhinterziehung geführt Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend haben. Wir haben darüber gesprochen, dass es in Europa Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Staaten gibt, die als Hehler davon profitieren, dass es bei Ausschuss für Bildung, Forschung und uns Steuerdiebe gibt. Diesen Staaten geht es gut, weil sie Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union sich als Hehler das Geld aneignen, das bestimmte Leute Ausschuss für Kultur und Medien diesem Staat, dieser Gesellschaft wegnehmen. So ähn- Haushaltsausschuss (B) lich ist es da auch. Wir, Deutschland und andere reiche (D) Staaten, sind auch eine Art Hehler, weil wir zum Bei- Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die spiel das Coltan dieser Länder nachfragen, weil wir es Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die ihnen abnehmen, um es zu verbrauchen. Wir wissen ge- Reden der folgenden Kolleginnen und Kollegen: Jürgen nau: Dieses Gut wird diesen Ländern gestohlen. Daher Klimke aus der Unionsfraktion, Renate Gradistanac aus müssen wir uns auch an die eigene Nase fassen. der SPD-Fraktion, Jens Ackermann aus der FDP-Frak- tion, Dr. Ilja Seifert für die Fraktion Die Linke und Ich bin sehr zuversichtlich, dass das Problembewusst- Bettina Herlitzius für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- sein in der Bevölkerung stärker wird: Wir brauchen ei- nen. nen fairen Handel; (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Jürgen Klimke (CDU/CSU): BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir feiern in diesem Jahr nicht nur den zwanzigsten Jahrestag des Falles der Berliner Mauer und jener Ereig- wir müssen fair mit den Menschen umgehen. Ich freue nisse, die zur Wiedervereinigung Deutschlands geführt mich, dass es in Deutschland Städte gibt, die diesen An- haben, sondern wir begehen auch den 20. Jahrestag der satz sogar zu einem kommunalen Programm machen. friedlichen Revolutionen in den damaligen Staaten des Sie „scannen“ ihre Händler und schauen, ob es Läden Warschauer Paktes und des Falles des Eisernen Vorhangs gibt, in denen Waren verkauft werden, bei deren Erwerb überall in Europa. Heute sind die meisten Staaten Ost- man eigentlich ein schlechtes Gewissen haben müsste. europas bereits Mitglied der EU, teilweise im Schengen- Das ist ein Modell, mit dem wir selbst etwas tun kön- Raum integriert und haben den Euro als Zahlungsmittel. nen. Wenn wir ihm folgen, unterstützen wir durch unsere In der Geschichte Europas wird die jahrzehntelange Konsumgewohnheiten die verbrecherischen Handlungs- Trennung, vor allem aber ihre Überwindung immer eine weisen, die es auf der Welt gibt, nicht. Wir müssen historische Zäsur bilden. gleichzeitig internationale Regeln schaffen, und wir Genauso wie wir in Deutschland jedoch an mancher müssen aufpassen, dass wir selbst nicht der Motor für Stelle immer noch um die Vollendung der inneren Einheit diese negative Entwicklung sind. ringen, so ist es auch immer noch wichtig, dass wir auch Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. in Gesamteuropa das Zusammenwachsen und – im wahrsten Sinne des Wortes – die Völkerverständigung vo- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ranbringen. Diese Verständigung ergibt sich nicht allein DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der aus Verträgen und Sonntagsreden von uns Politikern, CDU/CSU und der FDP) sondern aus dem gegenseitigen Kennenlernen durch Be- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24101

Jürgen Klimke (A) suche in den jeweiligen Staaten. Das kann im Rahmen des wichtige Herausforderung für Schulen, Berufsschulen, (C) Tourismus geschehen, nachhaltiger wirken jedoch Aus- Hochschulen und gesellschaftliche Gruppen. Diese Part- tauschprogramme und grenzübergreifende Kooperatio- nerschaften – zu denen ich ausdrücklich auch Städte- nen. Und dabei liegt es natürlich auf der Hand, dass hier partnerschaften zähle – bringen die Menschen aus den je- politische Rahmenbedingungen und auch das Bereitstel- weiligen Ländern zusammen, fördern das Verständnis len von Fördermitteln eine wichtige Rolle spielen. füreinander und können nicht zuletzt auch den Tourismus fördern. Dies hat auch die Konferenz zu Städtepartner- Im Tourismus mit den neuen EU-Staaten ist eine bei- schaften und Tourismus, die kürzlich unter Federführung derseitig positive Entwicklung zu verzeichnen. Waren es von Ernst Hinsken im Bundeswirtschaftsministerium anfangs vor allem deutsche Touristen, die aus Neugier durchgeführt wurde, eindrucksvoll bewiesen. Im Rahmen oder wegen des guten Preis-Leistungs-Verhältnisses in grenzübergreifender Ausbildungsgänge stellen gerade die Staaten Ost- und Südosteuropas reisten, werden diese Berufsschul- und Hochschulkooperationen einen Wettbe- Staaten – unter anderem durch steigende Einkommen – werbsvorteil für die Absolventen dar, die dadurch mehr auch als Quellmärkte des Deutschlandtourismus immer Angebote nutzen können und die Gegebenheiten in zwei wichtiger. Eine besondere Rolle kommt dabei Polen zu, Staaten kennenlernen. Die gegenseitige Anerkennung der das wegen seiner großen Bevölkerung und der benach- Abschlüsse erhöht sowohl die Chancen der Absolventen barten Lage in dieser Hinsicht die größten Potenziale auf dem Arbeitsmarkt als auch den Fachkräftepool für die bietet. Das hat die Deutsche Zentrale für Tourismus be- Unternehmen. reits erkannt und den polnischen Markt zu einem Schwer- punkt für die Auslandsvermarktung des Reiselandes Eine ganz besondere Bedeutung beim Zusammen- Deutschland gemacht. wachsen des „alten“ mit dem „neuen“ Europa hat für mich der Jugendaustausch. Ich bin fest davon überzeugt, Es besteht aber auch eine Vielzahl gemeinsamer tou- dass das Deutsch-Französische Jugendwerk mindestens ristischer Chancen mit unseren Nachbarländern Polen einen ebenso großen Beitrag zur Versöhnung Deutsch- und Tschechien, die durch grenzüberschreitende Koope- lands mit Frankreich geleistet hat wie die von den Regie- rationen genutzt werden können. Wichtige Tourismusre- rungen geschlossenen Verträge. Eine ähnliche Bedeutung gionen wie zum Beispiel der Naturraum des Odertals, der hat sicher das Deutsch-Polnische Jugendwerk, das seit Muskauer Park, die Sächsische und die Böhmische dem Fall des Eisernen Vorhangs den größten Teil des Ju- Schweiz, das Erzgebirge, der Bayerische Wald und der gendaustauschs zwischen Deutschen und Polen trägt. Böhmerwald sowie die Städte Frankfurt/Slubice und Gör- Gerade die Versöhnung zwischen Deutschen und Polen litz/Zgorzelec sind grenzübergreifend. Eine gemeinsame hat eine ähnliche Bedeutung wie jene mit Frankreich, Erschließung, Entwicklung und Vermarktung ist in diesen denn die Wunden der Geschichte wirken teilweise noch touristisch interessanten Regionen sinnvoll und wird (B) bis heute fort. Nur wer den jeweiligen Nachbarn aus ei- (D) auch schon in unterschiedlicher Intensität und mit unter- gener Anschauung kennt, weiß, dass Klischees über die schiedlichem Erfolg praktiziert. Schließlich können damit vermeintliche wirtschaftliche Rückständigkeit Polens Mittel gebündelt und durch gemeinsame Vermarktung nicht stimmen. eine größere Außenwirkung in beide Staaten bzw. sogar Drittstaaten erreicht werden. Wenn gegenseitige Ressentiments zwischen Deutschen und Polen in den letzten zwanzig Jahren abgebaut wur- Der Tourismusausschuss des Deutschen Bundestages den, ist es vor allem dem gegenseitigen Kennenlernen der hat im Rahmen einer öffentlichen Anhörung diese grenz- Menschen zu verdanken, die sich ein eigenes Bild machen übergreifenden Kooperationen mit ihren positiven Effek- konnten. Jugendaustausch hat für die Austauschschüler ten und den Problemen bei der Kooperation aus erster positive Effekte nicht nur für die Sprachkenntnisse, son- Hand kennengelernt. Die Dokumentation dieser Anhö- dern auch für das Verständnis anderer Kulturen, anderer rung soll den Bundesländern zur Verfügung gestellt wer- Auffassungen und Herangehensweisen. Austausch ver- den, damit der Aufbau und die Entwicklung von grenz- mittelt nicht zuletzt eine andere, äußere Sicht auf eigene überschreitenden Partnerschaften von den bisherigen Auffassungen und Werte sowie auf unser demokratisches Erfahrungen profitieren können. System in Deutschland. Fast immer regt die Teilnahme an Ein Problem, das von fast allen Teilnehmern der An- einem Austauschprogramm deshalb zum verstärkten hörung angesprochen wurde, betrifft die Förderpro- politischen Denken, vielleicht auch zu mehr Engagement gramme der Europäischen Union, die ein geeignetes In- in der Politik an. strument für eine Unterstützung solcher Kooperationen Die positiven Auswirkungen belegt auch eindrucksvoll darstellen: Hier sind die Programme offenbar nicht aus- eine Studie über „Langzeitwirkungen der Teilnahme an reichend auf grenzübergreifende Antragsteller ausge- internationalen Jugendbewegungen auf die Persönlich- richtet. Für eine Anpassung der Mittelbeantragung an keitsentwicklung der TeilnehmerInnen“, die unter Feder- diese speziellen Bedürfnisse fordern wir deshalb in unse- führung der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und rem Antrag auch den Einsatz der Bundesregierung ge- Jugendbildung über einen Zeitraum von zweieinhalb Jah- genüber der EU. Zudem sollte die Bundesregierung ver- ren durchgeführt wurde. Wirkungen des Jugendaus- stärkt als Türöffner bei der Suche nach Ansprechpartnern tauschs sind demnach eine Stärkung von Selbstvertrauen jenseits der Grenze fungieren und bei auftretenden Hin- und Selbstsicherheit, eine größere Offenheit, Flexibilität dernissen unterstützend tätig werden. und Gelassenheit, Förderung der interkulturellen Identi- Selbstverständlich beschränken sich Kooperations- tätsbildung, Stärkung sozialer Kompetenzen sowie natür- möglichkeiten nicht auf Regionen, sondern sind eine lich die Vertiefung der Fremdsprachenkenntnisse. Für

Zu Protokoll gegebene Reden 24102 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Jürgen Klimke (A) viele Jugendliche waren die Erfahrungen sogar Anstoß und Partnerschaften in Europa und darüber hinaus! Un- (C) für bürgerschaftliches Engagement. Besonders bedeut- ser Antrag „Tourismuskooperation und Jugendaustausch sam ist dabei der Jugendaustausch über einen längeren mit den neuen EU-Staaten fördern“ soll dazu einen klei- Zeitraum. Deshalb setzen wir uns mit unserem Antrag da- nen Beitrag leisten. für ein, dass der Jugendaustausch auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten die nötige Unterstützung des Bundes Renate Gradistanac (SPD): und der Länder erhält, weil er eine so nachhaltige Wir- Mit diesem Antrag verknüpfen wir, was zusammenge- kung auf das Zusammenwachsen Europas und die gesell- hört. Jugendaustausch schafft die Grundlage langfristi- schaftliche Entwicklung in unserem Land hat. gen touristischen Interesses. Die BKJ-Studie aus dem Vor diesem Hintergrund bin ich sehr froh, dass es uns Jahr 2005 hat uns deutlich vor Augen geführt: Wer als Ju- gelungen ist, in unserem Antrag die Forderung nach mehr gendlicher in ein Land reist, kehrt dorthin wieder einmal Langzeitaustauschprogrammen zu verankern, die durch zurück. So stärkt der Austausch nicht nur den Auslands- den längeren Zeitraum natürlich stärker und nachhalti- tourismus, sondern liegt ganz im Interesse einer langfris- ger wirken. Zudem weiß ich aus persönlichen Berichten tigen Wachstumsstrategie des Deutschland-Tourismus. vieler Teilnehmer an Austauschprogrammen, dass ein Wir begeistern junge Leute so für unser Land und werben Zeitraum von drei oder sogar sechs Monaten als zu kurz damit nicht nur für unsere touristischen Ziele. Damit Ju- empfunden wird, weil man sich gerade in die Gastfamilie gendaustausch aber touristisch und persönlichkeitsbil- und die Gegebenheiten des Gastlands eingelebt und dend wirksam werden kann, müssen die Strukturen dafür Freundschaften geknüpft hat. Deshalb benötigen wir bestehen und gut genutzt werden können. mehr einjährige Austauschprogramme wie das Parla- Jeder Wirtschaftsbereich lernt gerade die neuen EU- mentarische Patenschaftsprogramm zwischen Deut- Mitglieder kennen oder orientiert sich auf die noch neuen schem Bundestag und Kongress der Vereinigten Staaten, Märkte. Das gilt insbesondere in einem Europa der Re- das ich schon seit Jahren durch Benennung von Stipen- gionen für die wirtschaftliche Zusammenarbeit in den diaten aus meinem Wahlkreis unterstütze. Warum nicht grenznahen Gebieten. Hier ist grenzüberschreitender ein vergleichbares Programm mit den neuen EU-Staaten Handel und wirtschaftliche Verflechtung seit langem All- bzw. den europäischen Staaten, die noch nicht in der EU tag. Es ist nun kaum erklärbar, warum wir ausgerechnet sind, initiieren? den Wirtschaftsfaktor Tourismus nicht im selben Bemü- Bei der Möglichkeit, an Austauschprogrammen teilzu- hen unterstützen sollten. Es ergibt sich schon fast von nehmen, gibt es große regionale Unterschiede. So beste- selbst, unsere Kenntnisse und Erfahrungen, die nicht zu- hen vor allem mit den Staaten Südosteuropas, die noch letzt in der Anhörung deutlich wurden, den Bundeslän- dern zur Verfügung zu stellen und sie bei Umsetzungs- (B) nicht Mitgliedstaaten der EU sind, kaum Austauschpro- (D) gramme. Dabei ist hier der Bedarf am größten. Wir soll- strategien zu unterstützen. Sicherlich ist hier schon viel ten die jungen Menschen aus Serbien, Kroatien, Monte- geschehen, das Engagement der Länder muss auch ge- negro, Albanien, Kosovo, Mazedonien, Bosnien in dem würdigt werden. Wir müssen aber die Voraussetzungen bestimmt bei vielen vorhandenen Wunsch unterstützen, für wirksame, grenzüberschreitende Tourismuskoopera- Deutschland kennenzulernen. Mittel- und langfristig wird tionen schaffen. Hierbei ist es ebenso unsere Pflicht, uns das sowohl das Zusammenwachsen Europas stärken als auf europäischer Ebene für eine weitere Förderung der auch einen wirtschaftlichen Nutzen haben, wenn die zu- grenzüberschreitenden Regionen einzusetzen. künftigen Eliten dieser Länder sich durch entsprechende Grenzüberscheitende Zusammenarbeit darf aber nicht Stipendien ein eigenes Bild von Deutschland machen den weiteren Blick auf die „Neuen“ überdecken. Auch konnten. Im Gegenzug ist es natürlich auch in unserem den Staaten an den südosteuropäischen EU-Außengren- Interesse, dass möglichst viele Deutsche die Länder Süd- zen müssen wir die Hand reichen, ihnen unser Interesse osteuropas, die vielleicht in wenigen Jahren auch Mit- zeigen und ihre jungen Menschen nach Deutschland ein- gliedstaaten der EU werden, aus eigener Anschauung laden. Damit wollen wir die europäische Idee konkretisie- kennenlernen. ren und ganz praktisch in die Tat umsetzen. Wir möchten aber nicht beim Jugendaustausch stehen- Allerdings ist der Wirtschaftsfaktor Tourismus zu bleiben. Es geht vielmehr auch um die Begegnung von Recht nur ein Ansatzpunkt unseres Antrags. Jugendaus- soziodemografischen Gruppen. Grenzübergreifende tausch stellt für viele Jugendliche eine der vielleicht we- Sportveranstaltungen, Treffen von Jugendfeuerwehren, nigen Reisemöglichkeit unabhängig vom Geldbeutel der Tagungen von Berufsgruppen oder Vereinstreffen mit Eltern dar. Die Lebenswelt Gleichaltriger kennenzuler- ähnlichen Schwerpunkten knüpfen ebenfalls ein Netzwerk nen ist ein wesentliches Element des Heranwachsens. von Freundschaften, das letztlich zum Abbau der Grenzen Das gilt sowohl für zeitlich beschränkte Anlässe und stär- in den Köpfen beiträgt. Auch hier kann Politik auf allen ker natürlich noch für Freiwilligendienste, deren Ausbau Ebenen im Kleinen wie im Großen unterstützen und Hin- für die osteuropäischen Nachbarn wir fordern. dernisse beiseite räumen. Schlüsselkompetenzen in einer zusammenwachsenden Die europäische Einigung lebt davon, dass sie von den Welt sich anzueignen ist die vielleicht wichtigste Aufgabe Menschen der europäischen Staaten getragen wird. Las- der heutigen jungen Menschen. Hierin besteht die eigent- sen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass hier möglichst liche Zukunftssicherung. Es stimmt mich froh, dass unser viele Menschen zu Überzeugungstätern werden. Unter- Koalitionspartner auch zu der Einsicht gekommen ist, stützen wir gemeinsam auch weiterhin Jugendaustausch dass interkulturelle Kompetenz mehr bedeutet als Pizza,

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24103

Renate Gradistanac (A) Döner oder Sushi essen. Interkulturelle Kompetenz be- wird, durch die aktuelle schlechte Finanzpolitik der Bun- (C) ginnt mit dem Interesse für das andere. Diese Neugier desregierung negativ beeinflusst. Wir können den Touris- junger Menschen müssen wir forcieren und unterstützen. mus nur mit den richtigen Rahmenbedingungen weiter Junge Menschen können nicht zu wenig Auslandserfah- stärken. rung sammeln, sei es durch Gruppenaustausch, Freiwil- ligendienste oder die EU-Programme für junge Studie- Es ist nicht fair, die deutschen Gastronomen und Ho- rende. teliers weiterhin dem ungleichen Wettbewerb mit ihren Kollegen jenseits der Grenzen auszusetzen. Reduzierte Zudem sehen wir uns einem unerfreulichen Phänomen Mehrwertsteuersätze in Europa für die Hotellerie und gegenüber, dem wir mit dem direkten Kontakt junger Gastronomie sind mittlerweile der Normalfall. Warum Menschen begegnen müssen: Gleich mehrere Studien ha- beschließt der Finanzminister etwas für Europa, was ben belegt, dass auch ein Teil der jungen Menschen nach dann den Deutschen vorenthalten wird? Damit setzt die wie vor für rassistische, homophobe und diskriminie- Koalition Arbeitsplätze aufs Spiel. Die FDP-Fraktion rende Ideologien aufgeschlossen ist. Nicht nur in fordert einen Mehrwertsteuersatz in Höhe von 7 Prozent Deutschland, rassistisches und faschistisches Gedanken- für den Bereich der Gastronomie/Hotellerie und somit gut ist in vielen Teilen Europas immer noch vorhanden. gleiches Recht für alle in der EU. Für den Bereich der Gegensteuern! lautet die Devise, nach der das demokra- Einführung reduzierter Mehrwertsteuersätze für Hotelle- tische Gemeinwesen zu handeln hat. Jugendaustausch ist rie und Gastronomie trifft der erste Punkt im Forderungs- da sicherlich weder der alleinige noch der Königsweg. katalog Ihres Antrages auch nicht mehr zu. Die EU gibt Aber die direkte Auseinandersetzung mit dem Fremden, uns jetzt die Möglichkeiten, der gesamten Branche zu hel- also fremdsprachigen Menschen oder Lesben, Schwulen fen. Das Problem ist nicht die EU, sondern CDU, CSU oder Andersdenkenden, baut Vorurteile und vorhandene und SPD, weil die Bundesregierung sich weigert, diese Ressentiments ab. Auch hier gilt es, die Idee eines freien, Spielräume im EU-Recht in Deutschland zu nutzen. Da- auf Antidiskriminierung beruhenden Europas immer und mit schadet die Bundesregierung der heimischen Hotelle- immer wieder in die Tat umzusetzen. rie und Gastronomie. Das ist für die FDP-Bundestags- fraktion völlig inakzeptabel. Vor allem die Union muss Deshalb fordern wir die Bundesregierung und die zu- endlich ihren vielen Worten Taten folgen lassen, um nicht ständigen Ministerinnen und Minister mit diesem Antrag weiter an Glaubwürdigkeit zu verlieren. definitiv dazu auf, deutlich aktiver zu werden, weil es un- sere Pflicht ist, jungen Menschen Chancen zu eröffnen Im Antrag der Koalition wird von Chancen gesprochen, und ihnen jeden Weg für eine chancengleiche Zukunft zu doch bisher hat die Bundesregierung die Tourismusbran- ebnen. Die Grundlage unseres Handelns folgt den Ge- che mit ihren Konjunkturpaketen nicht erkennbar gestärkt. (B) danken der amerikanischen Literaturnobelpreisträgerin Die Bundesregierung hat den Tourismussektor in ihren (D) Pearl Buck: „Die Jugend soll ihre eigenen Wege gehen, Konjunkturpaketen vergessen! Vielmehr wurden die tou- aber ein paar Wegweiser können nicht schaden.“ rismuspolitischen Rahmenbedingungen zum Beispiel mit der Unternehmensteuerreform in 2008 durch die Hinzu- Jens Ackermann (FDP): rechnung von Mieten, Pachten etc. bei der Gewerbe- Den Jugendaustausch zu fördern, sollte unser aller steuer und der Mehrwertsteuererhöhung auf 19 Prozent Ziel sein, denn gerade Jugendliche sind unsere Zukunft. zum 1. Januar 2007 massiv verschlechtert. Diese touris- Sie wirken in unserer stark vernetzten Welt als Multipli- musfeindliche Politik der Bundesregierung muss mit der katoren und können so in nicht zu unterschätzender Weise sich verschärfenden Wirtschaftskrise endlich ein Ende den Tourismusstandort Deutschland heute und zukünftig haben. Wie soll man auf der einen Seite den Jugendaus- enorm stärken. Die Jugendlichen von heute sind Touris- tausch fördern, wenn man auf der anderen Seite die Un- ten von morgen. ternehmer, die den Austausch organisieren sollen, derart massiv behindert? Im Antrag ist der Ausbau der länder- Wir als FDP-Fraktion begrüßen den Fokus des Koali- übergreifenden Tourismuskooperationen aufgeführt, ein tionsantrages auf die neuen EU-Staaten sehr. Gemeinsa- schöner Gedanke. Aber auch hier gilt, dass gerade in den mes Ziel von Politik, Verbänden, Tourismuswirtschaft und Grenzregionen ein Tourist – egal ob jung oder alt – sich den reisenden Jugendlichen muss sein, den Prozess der nur vom Geldbeutel leiten lassen wird. Anpassung und des Zusammenwachsens innerhalb der EU voranzutreiben. Dies kann nur passieren, wenn man Der ganze Antrag ist zwar grundsätzlich in Ordnung, einander zuhört. Jugendliche haben andere Bedürfnisse aber in seiner Ausformulierung ein typischer schwammi- als zum Beispiel ältere Menschen. Es gilt diese zu erken- ger Antrag der CDU/CSU und SPD. Ein recht umfangrei- nen und passende Angebote zu unterbreiten. Ich erinnere cher 21-Punkte-Forderungskatalog wird vorgelegt, der mich noch an die großartigen Ideen der Gastwirte zur aber leider wieder mal recht unkonkret ist. Natürlich ist WM in unserem Land, wie zum Beispiel das Public es mehr als wichtig, Projekte zum Jugendaustausch zu Viewing in der kleinsten Eckkneipe. fördern und „bei der Lösung von eventuellen Problemen behilflich zu sein“. Aber wie diese Hilfe aussehen soll Gerade deutsche Reiseunternehmen können durch das oder wer sie bezahlen soll, ist in diesem Antrag natürlich steigende Interesse Jugendlicher am Austausch mit dem nicht zu erkennen. östlichen Europa stark profitieren. Es verbirgt sich im Be- reich des Jugendaustausches ein großes Potenzial für die Das beste Konjunkturpaket für den Tourismus und da- Tourismusbranche in ganz Deutschland. Leider wird das mit auch für den Jugendaustausch wäre die längst über- Potenzial, das auch im Antrag der Koalition benannt fällige Steuerreform. Ein niedriges, einfaches und ge-

Zu Protokoll gegebene Reden 24104 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Jens Ackermann (A) rechtes Steuersystem ist die beste Gewähr dafür, dass sich aber auch Schulen und anderen Einrichtungen organisie- (C) das Arbeitsplatzpotenzial in der Tourismuswirtschaft ren fantastische Jugendbegegnungen. endlich entfalten kann und der Jugendaustausch mit den Dazu vier Beispiele: neuen EU-Staaten gefördert wird. Erstens. Das Europahaus Görlitz e. V. organisiert in Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Zusammenarbeit mit dem Büro Kultur 2020 beim Theater Das Gute zuerst: Die Fraktionen von CDU/CSU und Görlitz einen internationalen Workshop HIDDEN SPD bringen einmal von sich aus das Thema Jugendaus- PLACES vom 8. bis 23. August 2009 in Görlitz-Zgorze- tausch in den Bundestag und verweisen im letzten Absatz lec. Dieses Projekt ist für Kunststudenten und künstle- ihres Feststellungsteils auch auf die Einbeziehung von risch aktive junge Menschen aus den Städten auf der Via Jugendlichen mit Behinderungen. Regia, die sich für Architektur, urbane Kultur und histo- rische Zusammenhänge interessieren. Leitmotiv des Pro- Bisher war es so, dass, wenn Die Linke über die För- jektes ist die alte Königsstraße Via Regia, eine historische derung von Kinder- und Jugendtourismus sowie Schul- Kommunikationsachse zwischen Ost und West, von Kiew fahrten sprach, die Bundesregierung und deren Koali- bis Santiago de Compostela. tionsfraktionen sich für nicht zuständig erklärten und auf die Länder verwiesen. Dies rächt sich nun. Ihr Antrag Zweitens. Auch in diesem Jahr ermöglicht wir-my – der der Koalition – zeugt von Anfang bis Ende von un- (www.wir-my.de) wieder vier Görlitzer Schülern im Alter glaublicher Ahnungslosigkeit. Viele Ihrer 21 Forderun- von 16 bis 18 Jahren die Teilnahme am europäischen gen an die Bundesregierung sind absurd, schwammig Jugendparlament. Dieses Jahr findet das Parlament im oder unverständlich. Das beginnt gleich bei der ersten, schwedischen Mölndal vom 1. bis 6. Oktober statt. wo Sie die Bundesregierung auffordern, „sich bei der EU Drittens. Alljährlich veranstaltet die linksjugend [`so- für eine Wettbewerbsgleichheit der Rahmenbedingungen lid] Sachsen zu Pfingsten ein mehrtägiges offenes, politi- für Tourismusunternehmen einzusetzen“. sches und kulturelles Treffen, das Pfingstcamp. Im Jahr Über finanzielle Auswirkungen Ihrer 21 Forderungen 2009 findet das Camp zum elften Mal statt und zum neun- schweigen Sie ebenso wie in vielen anderen Ihrer bishe- ten Mal heißt der Veranstaltungsort Srbska Kamenice in rigen Anträge zur Tourismuspolitik in dieser Wahl- der Tschechischen Republik. In der Vergangenheit nah- periode. Warum wohl? Man merkt, dass Sie sich mit der men jährlich circa 400 Interessierte im Alter zwischen Thematik bisher nicht bzw. kaum beschäftigt haben. 13 und 45 Jahren aus allen drei Ländern der Euroregion Neiße teil. Auch der Versuch, zwei völlig unterschiedliche The- men – die Tourismuskooperation in grenznahen Regionen Viertens. Die Initiative Kinder von Tschernobyl und (D) (B) und den internationalen Jugendaustausch – in einem An- anderen umweltgeschädigten Regionen aus Zittau lädt trag zu verpacken, ist Ihnen nicht gelungen. seit 1990 jährlich 15 bis 20 Kinder aus der Gegend um Rogatschov in Weißrussland zu einem Aufenthalt von drei Die vielen Hinweise und Vorschläge aus der vom Tou- bis vier Wochen ein. Dass Die Linke und auch ich persön- rismusbeauftragten der Bundesregierung Ernst Hinsken lich für viele solcher Projekte spendeten, sei hier nur am organisierten Konferenz „Internationale Städtepartner- Rande erwähnt. schaften – unentdecktes Potenzial für den Tourismus“ am 24. November 2008 bleiben in dem Antrag unberücksich- Neben Ihrer Ahnungslosigkeit, liebe Kolleginnen und tigt. Waren Sie nicht da oder haben Sie nicht zugehört? Kollegen von der Koalition, muss ich auch – und dies nicht zum ersten Mal – Ihren tourismuspolitischen Ansatz Auch in Gesprächen mit der Stiftung deutsch-russi- hinterfragen. Ausgangspunkt Ihres Antrags ist nicht die scher Jugendaustausch, mit dem deutsch-polnischen Ju- Förderung von internationalen Begegnungen zwischen gendwerk oder mit Tandem, dem deutsch-tschechischen Jugendlichen, um ihnen zu ermöglichen, andere Spra- Jugendaustausch können Sie viel über deren Erfolge, chen, Kulturen und Bräuche in unserem gemeinsamen aber auch die brachliegenden Potenziale, Probleme und Europa kennenzulernen. Für Sie geht es in erster Linie Hemmnisse erfahren. Dazu gehört zum Beispiel die zum um „diese Staaten als Quellmarkt für den Deutschland- Teil schlechte Finanzausstattung. Das führt auch dazu, tourismus“, um bessere Wettbewerbsbedingen und dass die Eigenanteile der Jugendlichen steigen und zu- Marktchancen für die deutsche Tourismuswirtschaft. Die nehmend mehr Kinder und Jugendliche an Austausch- Linke steht für eine Tourismuspolitik, die Reisen für alle und Begegnungsprogrammen nicht teilnehmen können, ermöglichen will, Reisen, die dem Bedürfnis auf Erho- weil sie bzw. ihre Eltern diesen Eigenanteil nicht aufbrin- lung, Bildung und Gesundheit Rechnung tragen. Hier ist gen können. der Unterschied und damit kommt Die Linke auch zu an- deren Schlussfolgerungen. Aus Sachsen und insbesondere aus meinem Wahlkreis in der Oberlausitz kenne ich viele Partnerschaften mit Dieser Antrag taugt meines Erachtens nicht mal als Städten und Gemeinden in Osteuropa, und hier schließe Schaufensterantrag für den Wahlkampf, geschweige denn ich im Unterschied zu Ihnen auch Russland, Belarus und für eine ernsthafte Debatte. Das ist schade und das haben die Ukraine ausdrücklich mit ein. Manche Städtepartner- diejenigen, die sich seit vielen Jahren sowohl in den Be- schaft steht leider nur auf dem Papier oder beschränkt reichen der grenznahen Tourismuskooperation als auch sich auf die regelmäßige gegenseitige Entsendung von bei der Organisation von internationalen Kinder- und Ju- Offiziellen oder Beamten. Es gibt aber auch andere Bei- gendbegegnungen oder der Entwicklung von Städtepart- spiele. Rührige Menschen in Vereinen und Initiativen, nerschaften engagieren, nicht verdient.

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24105

(A) Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): etwas weit hergeholt, und die Erwartungen an die von der (C) Wir haben im Augenblick die Situation, dass die jewei- Koalition vorgeschlagenen Maßnahmen sind einfach zu lige Grenze als trennendes Element in allen neuen EU- hochgeschraubt. Staaten noch spürbar ist. Aber solange die Entwicklungen im Tourismusbereich selbst innerdeutsch häufig nebenei- Vizepräsidentin Petra Pau: nander ablaufen und eine Zusammenarbeit oftmals an den Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf politischen Grenzen scheitert, können wir nicht erwarten, Drucksache 16/12730 an die in der Tagesordnung aufge- dass die grenzüberschreitende Tourismuskooperation ein- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- facher zu handeln ist. verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung Gerade die grenzüberschreitende Tourismuskooperation so beschlossen. ist erschwert durch unterschiedliche Sprachen, die Kom- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf: pliziertheit der EU-Förderprogramme, hohe bürokratische Hürden und unterschiedliche Verwaltungsstrukturen in den Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- einzelnen EU-Mitgliedstaaten. Ich glaube, das haben wir richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- fraktionsübergreifend aus unserer Anhörung zu grenz- schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu überschreitenden Tourismuskooperationen mitgenommen. dem Antrag der Abgeordneten Dr. Christel An dieser Stelle besteht Handlungsbedarf: Strukturelle Happach-Kasan, Hans-Michael Goldmann, internationale touristische Zusammenarbeit zwischen Dr. Edmund Peter Geisen, weiterer Abgeordne- Grenzregionen ist bislang einfach nicht vorgesehen. Auch ter und der Fraktion der FDP grenzüberschreitende Vernetzungen in anderen Berei- chen wie Kultur und Wirtschaft existieren bislang leider Schutz der Bienenvölker sicherstellen noch viel zu selten. – Drucksachen 16/10322, 16/12267 – Außerdem ist besonders in den neuen EU-Staaten vieler- Berichterstattung: orts die Infrastruktur noch schwach entwickelt. So stellen Abgeordnete Dr. Max Lehmer reizvolle Landschaften und unberührte Natur bislang un- Dr. Wilhelm Priesmeier genutzte Entwicklungspotenziale dar. Dr. Christel Happach-Kasan Aus grüner Sicht ist es wichtig, dass die EU, aber auch Dr. Kirsten Tackmann Bund und Länder Informationen und Beratung für touris- Cornelia Behm tische Leistungsträger zur grenzüberschreitenden Vernet- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die zung der Tourismusakteure zur Verfügung stellen. Nur so (B) Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre (D) können wir überhaupt erreichen, dass eine Mobilisierung keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. und Initiierung touristischer Aktionen zur Stärkung des Gemeinschaftsgefühls vorangeht. Eine kulturell-touristische Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Vernetzung in europäischen Grenzregionen ist sinnvoll. Dr. Peter Jahr für die Unionsfraktion. Ziel muss sein, ein grenzüberschreitendes gemeinsames touristisches Marketing zu entwickeln und voneinander Dr. Peter Jahr (CDU/CSU): zu partizipieren. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen Eine Zusammenarbeit bei der touristischen Vermarktung und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seitdem und Produktentwicklung leistet schließlich auch einen ich erfahren habe, dass ich heute zum Thema Bienen wichtigen Beitrag zum Abbau der Grenzen in den Köpfen sprechen darf, geht mir das Kinderlied nicht mehr aus der Bevölkerung beiderseits der Grenzen und stärkt die dem Sinn, das auch Sie sicherlich kennen: „Summ, Position im internationalen Wettbewerb. summ, summ! Bienchen summ herum!“ Keine Angst: Ich verschone Sie mit meinem Gesang. Darüber hinaus irritiert aus meiner Sicht die Verbindung von Tourismus und Jugendaustausch im vorliegenden An- (Ute Kumpf [SPD]: Wir können ja gemeinsam trag. Auch wenn Tourismuspolitik ein Querschnittsthema singen!) ist, stehen für mich beim Jugendaustausch pädagogische Aspekte der Bildung und der Völkerverständigung ein- – Zum Abschluss, denke ich, können wir das heute tun. deutig im Vordergrund. In diesem Sinne müssen wir auch Ich möchte Sie auf eine Textzeile in der ersten Stro- die finanziellen Mittel dafür bereitstellen. Hier brauchen phe aufmerksam machen. Sie lautet: wir verlässliche Rahmenbedingungen und verbindliche Strukturen. In diesem vorliegenden Koalitionsantrag Ei, wir tun dir nichts zu leide, werden einfach zu viele Themen miteinander vermischt. Flieg nur aus in Wald und Heide! Jugendaustausch erschließt neue Horizonte für die Hoffmann von Fallersleben, dem wir diese Zeilen Teilnehmenden und sensibilisiert für gesellschaftliche verdanken, hat 1835 eine allgemeine Tatsache wiederge- Probleme im Gastland. Es ist deshalb sicher ein guter geben: Niemand hat die Absicht, Honigbienen zu jagen Ansatz, internationale Jugendpolitik auch in den Zusam- oder sie an ihrem Tun zu hindern. Sie waren und sind menhang mit anderen Politikfeldern zu stellen. Aber die wertvolle Nutzinsekten, ohne die es keine Pflanzenbe- potenziell vorhergesagte rein ökonomisch positive Aus- stäubung und damit kein Obst, keine Fortpflanzung und wirkung auf die Tourismuswirtschaft scheint mir da doch keinen Honig geben würde. 24106 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Dr. Peter Jahr (A) So ist es kein Wunder, dass das Wort „Biene“ sehr po- mit sich bringt, stoßen die Bienenvölker an die Grenzen (C) sitiv besetzt ist. Die Biene gilt als das ehrlich und unei- ihrer Leistungsfähigkeit. Sollte es irgendwann den „Im- gennützig arbeitende Individuum. ker by call“ geben, der seine Völker gegen viel Geld ver- leiht und nach Anforderung bundes- und europaweit am (Jan Mücke [FDP]: Fleißig!) Rande eines Feldes oder einer Obstplantage aufstellt? Fleißig wie eine Biene zu sein, ist eine Auszeichnung für Ich glaube, diese Art von Dienstleistung wollen wir alle jeden arbeitenden Menschen. nicht. (Ute Kumpf [SPD]: Genau! Es ist „die Biene“, Umso mehr möchte ich betonen, dass die Anstrengun- nicht „der Biene“! – Gegenruf der Abg. gen des Verbraucherschutzministeriums und der For- Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Richtig!) schungsinstitute inzwischen Erfolge zeigen. Ich freue Die Bienen verfügen über eine ausgeprägte Arbeitstei- mich, dass wir demnächst belastbare Ergebnisse haben lung. Das Sozialgefüge der Bienen macht mir allerdings werden, die geeignete Maßnahmen ermöglichen. Daher Sorgen. Wenn mich nicht alles täuscht, werden die halte ich die Aufforderung der FDP an die Bundesregie- männlichen Angehörigen der Bienenvölker nach getaner rung für nicht geeignet und schließe mich der Beschluss- Arbeit, rausgeschmissen. empfehlung des Ausschusses an, den Antrag abzuleh- nen. (Peter Bleser [CDU/CSU]: Das ist eine Saue- rei! – Jan Mücke [FDP]: Das ist auch typisch (Jan Mücke [FDP]: Das ist aber nicht nett!) Frau! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Die arbeiten aber auch nicht!) Gern möchte ich das begründen. In ihrem Antrag „Schutz der Bienenvölker sicherstellen“ verweist die Ein Parlament der Bienen würde also, was die Ge- FDP zunächst darauf, dass der Bienenbestand in schlechterverteilung betrifft, etwas anders aussehen. – Deutschland in den letzten Jahren kontinuierlich abge- Man hat es nicht einmal versucht, und das finde ich be- nommen hat. Da diese Schäden im Bienenbestand haupt- dauerlich. Ich kenne die Vorwürfe. Zumindest hätte man sächlich durch die Varroa-Milbe verursacht worden einen Resozialisierungsplan entwickeln können. All das seien, müsse diese konsequent bekämpft und müssten in- wurde unterlassen. novative und effektive Verfahren wie Impfungen entwi- ckelt werden. Zudem verlangt die FDP, dass eine Strate- (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP – gie gegen die Ausbreitung des Maiswurzelbohrers, des Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Bei den Drohnen ist das gescheitert!) international bedeutendsten Maisschädlings, entwickelt wird. Neben diesen Forderungen sollen unter anderem (B) Aber Spaß beiseite und zum Thema! Sicher war da- noch die Zulassungsverfahren von Insektiziden über- (D) mals, als Hoffmann von Fallersleben jene Verszeile auf- prüft, Qualitätskontrollen für gebeiztes Saatgut einge- geschrieben hat, kaum vorstellbar, dass das industrielle führt und die Nachwuchsförderung von Imkern unter- Zeitalter und das moderne Leben den nützlichen Bienen stützt werden. das Dasein zunehmend erschweren würde. Szenarien wie das massenhafte Bienensterben durch die Varroa- Ich habe diesen Antrag mit großem Interesse zur Milbe, die ungeklärten Bienenvölkerfluchten in den Kenntnis genommen und ihn gelesen – Sie haben es ge- USA und die Bedrohung der Bienen durch Elektrosmog merkt –, da er durchaus richtige Forderungen enthält. sowie durch technisch falsch behandeltes Saatgut wären wohl niemandem in den Sinn gekommen. Das ist leider (Beifall der Abg. Dr. Christel Happach-Kasan Realität. [FDP]) Wir Menschen sind es, die das Versprechen: „Ei, wir Im Ergebnis stelle ich aber fest, dass er gegenstandslos tun dir nichts zu leide“ nun auch aktiv in die Tat umset- ist. Die Bundesregierung hat bereits sehr effektive Maß- zen müssen. Wir tun das seit geraumer Zeit; ich werde nahmen zum Schutz der Bienen ergriffen, sodass ich darauf noch eingehen. keine politischen Handlungsdefizite in den im Antrag angesprochenen Bereichen erkennen kann. Lassen Sie Die Wirksamkeit unserer Bemühungen hängt davon mich dies bitte anhand der einzelnen Forderungen des ab, wie gut und genau wir in der Lage sind, das Leben Antrags im Detail etwas genauer ausführen: der Bienenvölker zu verstehen. Sosehr die Arbeit von Tausenden von Imkerinnen und Imkern – oft ehrenamt- Die Bundesregierung nimmt die problematischen lich – zu schätzen ist: Ohne breite wissenschaftliche Entwicklungen der Bienenpopulation sehr ernst. Genau Grundlagen sind unerwünschte Erscheinungen nicht ef- deshalb wurden in den letzten fünf Jahren rund fektiv zu erklären, geschweige denn Gefahren abzuweh- 5 Millionen Euro für Projekte in der Bienenforschung ren und wirksam zu bekämpfen. Aktionismus schadet zur Verfügung gestellt; allein im Jahr 2008 waren es daher. 2 Millionen Euro. Dazu gehören zahlreiche Forschungs- projekte wie die des Julius-Kühn-Instituts und des (Peter Bleser [CDU/CSU]: Richtig!) Friedrich-Loeffler-Instituts. Zudem gibt es auch auf der Die seit Jahren stetig abnehmende Zahl der Bienen- Landesebene verschiedene Einrichtungen, die sich mit völker ist ein Alarmsignal. Wenn, wie in diesem Jahr, der Bienenforschung beschäftigen. Insgesamt sind da- das sehr warme Frühjahrswetter Mitte April eine fast durch alle Bereiche, die derzeit von Bedeutung sind, gleichzeitige Blüte vieler Bäume und anderer Pflanzen wissenschaftlich abgedeckt. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24107

Dr. Peter Jahr (A) Hinsichtlich der Bekämpfung der Varroa-Milbe wird FDP angesprochene Überalterung des Berufsstandes ge- (C) seit 2008 ein Verbundprojekt zur verbesserten Bekämp- stoppt werden konnte. fung gefördert. Im Mittelpunkt dieses Projekts steht die Verbesserung der Imkerpraxis zur allgemeinen Krank- Vor diesem Hintergrund kann man die Arbeit der heitsprävention. Für das Vorhaben stellt das Bundes- Bundesregierung in diesem Bereich nur begrüßen. Der ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- Antrag der FDP ist inhaltlich nicht verkehrt – das habe cherschutz insgesamt rund 500 000 Euro zur Verfügung. ich begründet –; aber er ist gegenstandslos und daher ab- Auch mit dem Bienenmonitoring ist dieses Projekt ver- zulehnen. knüpft, da die Zuwendungsempfänger in dessen Beirat (Lachen bei der FDP) mitwirken. Abschließend möchte ich gerne den Imkern meinen Zur Forderung der FDP nach einer konsequenten Be- Dank aussprechen. Über 82 000 Imker tragen dazu bei, kämpfung der Varroose verweise ich auf die Bienen- dass Deutschland naturnah und fruchtbar bleibt und dass seuchen-Verordnung, die vorschreibt, dass Bienen in es gesunden Honig zum Essen gibt. Bienenbeständen, die mit Varroa-Milben befallen sind, jährlich gegen die Varroose zu behandeln sind. Um hier Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. eine langfristige Lösung finden zu können, werden vom (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und neten der SPD – Peter Bleser [CDU/CSU]: Verbraucherschutz Forschungsprojekte zur Zucht von Das war eine klasse Rede!) Bienen auf Toleranz gegen die Varroa-Milbe gefördert. Um Bienen vor Krankheitserregern aus anderen Ländern Vizepräsidentin Petra Pau: zu schützen, unterliegen die Einfuhranforderungen seit dem Jahr 2000 europarechtlich harmonisierten Vor- Das Wort hat die Kollegin Dr. Christel Happach- schriften. Kasan für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP – Ute Kumpf [SPD]: Wa- Ein Wort zu den Pflanzenschutzmitteln, die als Ge- rum haben Sie keine Biene dabei, Frau Kolle- fährdungspotenzial für die Bienen gesehen werden: gin?) Grundsätzlich gilt, dass durch das Pflanzenschutzgesetz und die darauf beruhenden Verordnungen ein hohes Schutzniveau für die Honigbiene gewahrt ist. Bei sach- Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): gerechter Anwendung von Pflanzenschutzmitteln ist von Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! einer Schädigung der Biene daher nicht auszugehen. Herr Kollege Jahr, Sie haben mit dem „Summ, summ, (B) Dennoch hat das für die Zulassung von Pflanzenschutz- summ“ ganz nett angefangen; aber der Rest war doch ein (D) mitteln zuständige Bundesamt für Verbraucherschutz bisschen dürftig und leider völlig ohne Engagement. Ich und Lebensmittelsicherheit bereits die Arbeiten für eine finde das schade, denn Imker leisten in Deutschland eine Überprüfung der Zulassungsverfahren aufgenommen. wertvolle Arbeit, und wir brauchen sie weiterhin. Gleichwohl sollen für die Ausbringung von Saatgut (Beifall bei der FDP) strengere Regeln geschaffen werden, um eine unsachge- Es ist die Zeit der gelben Rapsfelder unter blauem mäße Anwendung künftig zu vermeiden, wie sie in Süd- Himmel, die zum Spaziergang einladen, insbesondere deutschland durch das Insektizid Clothianidin vorge- natürlich die Liberalen; aber ich hoffe, auch Sie gehen kommen ist. Dies war letztlich auch ein technisches nach draußen. Ausbringungsproblem; mit dieser Problematik muss man sich natürlich beschäftigen. (Ute Kumpf [SPD]: Die Rapsfelder sind für alle!) (Peter Bleser [CDU/CSU]: Die modernen Ma- schinen waren schlechter als die alten! – Ge- Im Übrigen ist Raps eine ganz wichtige Trachtpflanze genruf des Abg. [SPD]: Viel- für die Biene; deswegen ist es richtig, mit dem Raps an- leicht ist ja das ganze Prinzip falsch!) zufangen. Bienen erfahren bei uns eine sehr hohe Wertschät- Dies alles zeigt, dass wir dieses Problem sehr ernst und zung. Der Fleiß der Bienen ist sprichwörtlich. Als ich bei keineswegs auf die leichte Schulter nehmen. mir im Büro herumgefragt habe, habe ich festgestellt, Abschließend gehe ich auf die letzte Forderung der dass man bei Bienen nicht an „Summ, summ, summ“ FDP zur Unterstützung der Imkerei ein: Die finanzielle denkt, sondern an die Biene Maja, Förderung der Imker erfolgt in Deutschland in erster Li- (Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Die nie durch EU-Programme im Rahmen der Gemeinsamen summt doch auch!) Agrarpolitik. Ein Schwerpunkt der Förderung sind Schu- lungs- und Weiterbildungsmaßnahmen. Zudem wird der an die Zeichentrickfilme und das Lied von Karel Gott. Bereich der Nachwuchsarbeit und Berufsbildung durch (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das ist die Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen für der Unterschied zwischen Ost und West!) eine qualitativ hochwertige Aus- und Fortbildung von Fach- und Führungskräften unterstützt. Der Erfolg dieser – Das kann gut sein; vielen Dank für den Hinweis. Das Maßnahmen zeigt sich vor allem darin, dass die von der wird der Unterschied sein. – Man denkt gerne an die 24108 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Dr. Christel Happach-Kasan (A) Biene Maja, die mit ihrer Pfiffigkeit den Gefahren ge- veränderten Pflanzen gefährdet. Das hat die Bundes- (C) trotzt hat. regierung auf eine Frage von mir ausdrücklich geantwor- tet: Bei uns in Deutschland sind die meisten Imker Hob- byimker; 80 000 sind es. Sie haben Freude an der Hal- Auf Grundlage der Praxisversuche kann eine toxi- tung ihrer Bienen und an der Arbeit in der Natur. Be- sche Wirkung von Bt-Mais auf gesunde Honigbie- lohnt werden sie durch eine Honigernte. Obwohl wir nenvölker mit hinreichender Sicherheit ausge- eine Minderung der Anzahl der Bienenvölker zu ver- schlossen werden. zeichnen haben, ist die Honigernte in den letzen Jahr- zehnten kontinuierlich angestiegen. Das ist ein Zeichen Honig, der Pollen von gentechnisch veränderten Pflan- für die gute Arbeit, die unsere Imker leisten. zen enthält, ist in seiner Qualität in keiner Weise gemin- dert. Es besteht keine Kennzeichnungspflicht, und auch Es gibt gute Gründe dafür, dass sich der Deutsche die Verkehrsfähigkeit ist nicht beeinträchtigt. Bundestag mit dem Schutz von Bienenvölkern beschäf- tigt; denn so gut ist die Situation nicht, wie der Kollege Es ist ein bösartig gestreutes Gerücht, dass der Gehalt Jahr uns hat glauben machen wollen. Bienen sind nicht von Bt-Maispollen im Honig dazu führt, dass dieser als nur wegen des Honigs wichtig; vielmehr sind sie insbe- Sondermüll bewertet werden muss. Die Bundesregie- sondere aufgrund ihrer Bestäubungsleistung für unsere rung hat im Ausschuss sehr eindeutig festgestellt, dass es Natur, aber auch für Landwirtschaft und Obstbau von keine Anweisung an den in Bayern betroffenen Imker besonderer Bedeutung. Landwirtschaft, Obstbau und Im- gegeben hat, so zu handeln. Es war seine eigene Initia- ker sind aufeinander angewiesen. Deswegen ist eine tive, dies zu tun. Konfrontation zwischen den Berufsfeldern nicht gut. Die FDP-Bundestagsfraktion will mit diesem Antrag Wir brauchen eine verbesserte, konstruktive Zusammen- auf die Notwendigkeit der Novellierung der Bienen- arbeit. Landwirtschaft und Obstbau brauchen die Be- schutzverordnung hinweisen, mit dem Ziel, den Schutz stäubungsleistung der Bienen; aber die Imker brauchen der Bienenvölker in Deutschland zu verbessern. Wir un- auch die Aussaat von Trachtpflanzen, um ihre Bienen er- terstützen ausdrücklich die Fortführung des Bienenmo- nähren zu können. nitorings; denn wir sind der Meinung, dass wir nur bei Bienen sind gefährdet – der Kollege Jahr hat es ange- genauer Kenntnis der Situation der Bienenvölker die sprochen –, insbesondere durch die Varroa-Milbe. Im richtigen Maßnahmen treffen können, um den Schutz Winter 2002/2003 haben Imker ein Viertel der Bienen- der Bienenvölker zu gewährleisten. völker verloren. In der Folge ist das sogenannte Bienen- Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. monitoring eingeführt worden. (B) (Beifall bei der FDP) (D) Wir als FDP-Bundestagsfraktion wollen, dass mit in- novativen, effektiven, konsequenten Bekämpfungsme- Vizepräsidentin Petra Pau: thoden der Befall durch die Varroa-Milbe gemindert wird. Die Reaktionen auf meine Rundschreiben an Im- Die Rede des Kollegen Dr. Wilhelm Priesmeier aus 1) ker haben deutlich gemacht, dass in Zukunft wohl ein der SPD-Fraktion nehmen wir zu Protokoll. bisschen mehr getan werden muss, um eine solche Situa- Das Wort hat die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann für tion wie im Winter 2002/2003 nicht noch einmal zu erle- die Fraktion Die Linke. ben. (Beifall bei der LINKEN) Außerdem ist eine sehr sorgfältige Kontrolle der Im- porte notwendig. Da sollten wir uns meines Erachtens Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Australien als Beispiel nehmen, das die Importe sehr viel sorgfältiger kontrolliert und damit sicherstellt, dass die Frau Präsidentin! Liebe Gäste! Werte Kolleginnen Bienenvölker nicht durch Ektoparasiten und andere Pa- und Kollegen! Dass wir die Biene Maja kennen, haben rasiten befallen werden. wir gerade festgestellt. Auch die Ossis kennen sie mitt- lerweile. Wie wichtig die Bienen aber sind, werden wir Bienenvölker sind auch durch die fehlerhafte An- vielleicht erst merken, wenn sie nicht mehr vorhanden wendung von Pflanzenschutzmitteln gefährdet. Wir ha- sind. Als Bestäuber – das ist schon angesprochen wor- ben im vergangenen Frühjahr den Fall gehabt, dass den – sind sie wichtige Garanten für die Erträge in der 11 000 Völker durch Pflanzenschutzmittel teilweise schwer Landwirtschaft und im Gartenbau. Sie sorgen für den geschädigt worden sind. 2 Millionen Euro an Entschädi- Honig. Die Bienen sind damit eines der wichtigsten gungszahlungen sind dafür geleistet worden. Deswegen Nutztiere, die wir überhaupt haben. fordern wir eine Qualitätskontrolle des gebeizten Saat- gutes und insbesondere – da hat die Bundesregierung Es geht den Bienen aber nicht gut. Auch den Imkerin- überhaupt nichts getan –, dass bei der Zulassung von nen und Imkern geht es nicht gut. Pflanzenschutzmitteln die besondere Sensitivität der Erstes Beispiel. Dass im vergangenen Jahr die An- Bienenbrut berücksichtigt wird. Das ist zurzeit noch wendung eines Beizmittels zur Behandlung des Mais- vollkommen außerhalb der Diskussion. Da gibt es eini- saatgutes zum Tod von 11 500 Bienenvölkern geführt ges zu tun. hat – dieser Skandal ist schon angesprochen worden –, Bienen sind, anders als die öffentliche Diskussion es glauben macht, nicht durch den Anbau von gentechnisch 1) Anlage 4 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24109

Dr. Kirsten Tackmann (A) war zwar auf eine technische Panne zurückzuführen. alle. Aber es sind doch gerade die beim Einsatz von Pes- (C) Aber ich finde, dass es angesichts eines solchen Ausma- tiziden bestehenden Probleme und die dadurch verur- ßes eigentlich nicht mehr wichtig ist, ob die Ursache sachten Zwischenfälle, die Monokulturen und die Agro- Sorglosigkeit oder ob es gewollt gewesen ist. gentechnik, die vielen Imkerinnen und Imkern die Lust an der Arbeit verderben. Ein Imker schrieb mir auf diesen Vorfall hin: Stellen Sie sich vor, Sie fahren mit einem Auto über das Land In den einschlägigen Imkerforen ist der vorliegende und sehen Hunderte tote Kühe auf einer Weide liegen. Antrag verrissen worden. Vielleicht hat die FDP deswe- Jeder normal denkende Mensch würde sofort die Polizei gen eine Anhörung zur Situation der Imkerinnen und Im- verständigen; Medien und Nachrichten würden berich- ker, die die Grünen und die Linken durchführen wollten, ten. Wissenschaftler würden eifrig nach dem Grund für abgelehnt. den Massentod forschen. So ist die Situation bei den Die Linke bleibt dabei: Die Zukunft der Imkerei ist Bienen. Es gibt Millionen und Abermillionen von Lei- uns wichtig. Es ist ein dringend zu bearbeitendes Thema. chen; aber es gibt keine Polizei und keinen Aufschrei. – Ich denke schon, dass die Bundesregierung es sträflich Ich denke, das sollte uns durchaus zum Nachdenken vernachlässigt hat. Dabei geht es nicht um das Hobby ei- bringen. niger älterer Herren. Es geht um eine gesamtgesell- Zweites Beispiel. Wenn Bienen gentechnisch verän- schaftliche Aufgabe und eine wichtige Leistung. Die Im- derte Pflanzen anfliegen, ist der Honig nicht mehr ver- kerei muss gestärkt werden, man darf ihr nicht immer kehrsfähig. Hierzu gibt es ein offenes Gerichtsverfahren; neue Steine in den Weg legen. widerlegt ist dies noch nicht. Zu gut Deutsch: Man muss Ja, im Antrag der FDP stehen auch Maßnahmen, de- diesen Honig im Rahmen eines Vorsorgeverfahrens ver- nen wir zustimmen könnten, wenn die Gesamtposition nichten. stimmen würde. Das gilt für die Bienengesundheit und Drittes Beispiel. Die Bienen finden immer seltener at- die Überprüfung der Pestizid-Zulassungsverfahren. traktive Blüten. In der ausgeräumten Agrarlandschaft Auch die Umsetzung der Idee eines Imkerpasses oder fehlen Brachflächen und Kulturpflanzenvielfalt. Mono- Bienenführerscheins analog zum Angelschein könnten kulturen und eingeschränkte Fruchtfolgen verstärken wir uns vorstellen; das wäre überlegenswert. diesen Effekt. Trotzdem werden wir diesem Trojanischen Pferd Viertes Beispiel. Ein Bienenmonitoring wird zwar nicht zustimmen und damit den Antrag der FDP ableh- durchgeführt – dies ist schon angesprochen worden –, nen. aber merkwürdigerweise sind gerade Pestiziduntersu- (Beifall bei der LINKEN) chungen nur am Rande Teil dieses Bienenmonitorings. (B) (D) Das wundert einen schon. Vielleicht ist der Grund, dass die Industrie dieses Bienenmonitoring mitfinanziert. Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Fünftes Beispiel. Die Bienen werden von immer we- Kollegin Ulrike Höfken das Wort. niger, immer älteren Imkerinnen und Imkern betreut, im- mer häufiger „nur“ als Hobby. Immer weniger fangen Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): neu an. Das ist ein Zukunftsproblem, das auch mit den Rahmenbedingungen zu tun hat. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bienen sind das drittwichtigste Nutztier. Man Es gibt also viele Probleme, die zu lösen sind. Der schätzt den volkswirtschaftlichen Wert der Bestäubungs- Antrag der FDP ist angesichts dieser Situation allerdings leistung in Deutschland auf 2 Milliarden Euro, das heißt, scheinheilig. Er ist ein Trojanisches Pferd. Auf den ers- neben den umweltbezogenen Gründen gibt es noch viele ten Blick sieht er zwar gut aus. andere Gründe, große Aufmerksamkeit auf das Anliegen der Imker zu lenken. (Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Er ist gut!) Es geht aber weder um „Summ, summ, summ“ noch um die Biene Maja, sondern die Imker schlagen Alarm. Aber es steckt Unheil in ihm. Unter dem Mäntelchen der Immer weniger Bienen überleben im Moment in ihrer Bienenfreundlichkeit verdeckt die FDP den Lobgesang Umwelt. Auch die Importe, die Frau Happach-Kasan auf ihre beiden einzigen Klassiker: Pestizide und Agro- schon angesprochen hat, werden zu einem großen Pro- gentechnik. Aber gerade diese beiden Aspekte stellen blem – Stichwort: Südafrika. die zentralen Probleme der Imkerei dar; das werden viele Imkerinnen und Imker bestätigen. Es ist schon gesagt worden: Die FDP klammert in ih- rem Antrag die wesentlichen Probleme der Imkerei aus. Dazu zwei Beispiele. Die FDP will – das ist gerade vorgetragen worden – den Maiswurzelbohrer mit ihrer (Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Das ist Allzweckwaffe, der Agrogentechnik, bekämpfen. nicht richtig!) (Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Nein, Das hat wohl mit der Industrielastigkeit der FDP-Politik habe ich nicht vorgetragen!) zu tun. Aber die Imkerinnen und Imker gehen schon jetzt wegen Immerhin haben Sie die Probleme der industriellen der Agrogentechnik auf die Straße und protestieren. Die Landwirtschaft und der Monokulturen angesprochen. FDP will den Imkernachwuchs fördern. Das wollen wir Leider ziehen Sie daraus aber keine Schlussfolgerungen. 24110 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Ulrike Höfken (A) Die Varroa-Milbe ist zwar ein großes Problem, beileibe wenn es sich um Neonicotinoide handelt. Wir wissen (C) aber nicht das einzige. Das von der FDP vorgeschlagene vom Guttationswasser sowie von Staub und Abrieb, der Konzept einer Impfung ist nach Aussage von renom- auch bei normaler Anwendung von Beizmitteln auftritt. mierten Bienenexperten nichts als Unfug. Wir halten es für völlig absurd, dass die FDP eine Wie- derzulassung von Clothianidin fordert. Wir halten das Die Bieneninstitute, so haben wir auf einer Anhörung für völlig unverantwortlich. der Grünen gehört, haben schon sehr wirkungsvolle Maßnahmen zur Bekämpfung der Varroa-Milbe vorge- Wir möchten handeln. schlagen, die sich auch entwikkeln. Wir sollten auch dar- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) über nachdenken, ob wir den Imkern bei der Bekämp- fung der Seuche jetzt durch weniger Auflagen und Bürokratie und mehr finanzielle Unterstützung helfen Vizepräsidentin Petra Pau: können. Kollegin Höfken, kommen Sie bitte zum Schluss. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist schon so, wie Frau Tackmann es auch gesagt Ja. – Wir möchten eine Erleichterung für die Imker hat: Ihre Allheilwaffe, nämlich der Genmais, spielt hier bei der Bekämpfung der Varroatose, das Verbot von wieder eine Rolle. Das Allerabsurdeste ist, dass Sie jetzt Saatbeizungsmitteln aus der Gruppe der Neonicotinoide, auch noch indirekt den Vorschlag machen, die Pestizid- neue Forschung und Testverfahren bei den subletalen belastung in der Landwirtschaft durch die Einführung ei- Schädigungen, eine Verbesserung der Forschung, aber nes lebenden Pestizids, nämlich des Genmaises, zu sen- natürlich auch mehr Fördermittel für den Ökolandbau ken. Man muss dazu sagen: Gerade durch die Initiative und selbstverständlich die Beendigung der Agrogentech- von Bayern – da gibt es eine FDP/CSU-Regierung – nik auf unseren Äckern. wurde der Genmais MON 810 wegen großer Gefahren für die Umwelt, zum Beispiel für die nützlichen Insek- Vielen Dank. ten, verboten. Es kann ja wohl nicht Ihr Ernst sein, hier (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – solche absurden Vorschläge zu machen. Peter Bleser [CDU/CSU]: Die Beendigung der Ein weiteres gravierendes Problem stellen die Pesti- Landwirtschaft!) zide dar. Clothianidin ist schon erwähnt worden. Das ist aber eben kein Einzelfall oder Unfall, sondern nur die Vizepräsidentin Petra Pau: Spitze des Eisberges. Belegt ist ja auch die Vergiftung Ich schließe die Aussprache. von 1 200 Bienenvölkern durch die Pestizidanwendung (B) Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- (D) auf niedersächsischen Kartoffelfeldern. schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- (Jan Mücke [FDP]: Was hat das mit Gentech- cherschutz zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem nik zu tun? Überhaupt nichts!) Titel „Schutz der Bienenvölker sicherstellen“. Der Aus- schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Die Behauptung der FDP, dass es in den letzten Jah- Drucksache 16/12267, den Antrag der Fraktion der FDP ren gelungen sei, die Gefährdung der Bienen durch Pes- auf Drucksache 16/10322 abzulehnen. Wer stimmt für tizide auszuschließen, ist reine Schönfärberei, weil dem diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Julius-Kühn-Institut nur noch ein Bruchteil der tatsächli- Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den chen Vergiftungsfälle gemeldet wird. Der Imker soll Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, der dann eine Pflanzenprobe dazulegen. Das ist bei dem gro- Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die ßen Gebiet, das eine Biene anfliegt, aber außerordentlich Grünen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenom- schwierig. Bienenvergiftungen werden durch Bürokratie men. und fehlende Analysekapazitäten daher nur teilweise er- fasst. Hier wäre Geld richtig eingesetzt, um die Unter- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf: suchungsmöglichkeiten zu verbessern. Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Zu den subletalen Effekten – auch sie wurden schon Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angesprochen –: Hier gibt es einen erheblichen Bedarf an Untersuchungen. Darin sind wir uns vielleicht sogar Zur Menschenrechtssituation in den Ländern einig. Ganz klar ist aber: Die französische Zulassungsbe- der Andengemeinschaft und Venezuela hörde für Pflanzenschutzmittel hat die Daten des deut- – Drucksachen 16/9866, 16/11297 – schen Bienenmonitorings nicht von ungefähr als unge- eignet für die Zulassung von Clothianidin beurteilt. Das Hierzu liegen zwei Entschließungsanträge der Frak- gilt übrigens ebenso für die Beurteilung des Monitorings tion Bündnis 90/Die Grünen vor. für den Genmais. Man muss auch sagen: Die Mitfinan- Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die zierung der Agroindustrie und die Ausklammerung die- Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die ser ganzen Problemlage haben wohl miteinander zu tun. Reden der folgenden Kolleginnen und Kollegen: Eduard Klar ist, dass die Beizmittel mit technischen Lösun- Lintner für die Unionsfraktion, Wolfgang Gunkel für die gen allein nicht zu verbessern sind, vor allem dann nicht, SPD-Fraktion, Florian Toncar für die FDP-Fraktion, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24111

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Michael Leutert für die Fraktion Die Linke und Thilo tie und die Respektierung von Menschenrechten in der (C) Hoppe für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Region aus. Weitere negative Tendenzen sind die weit verbreitete Eduard Lintner (CDU/CSU): Korruption, die Schwäche staatlicher Institutionen und Vor ziemlich genau einem Jahr fand an dieser Stelle die Unkenntnis vieler Menschen über die eigenen Rechte eine große Debatte über die Beziehungen Deutschlands in vielen der in der Anfrage behandelten Staaten. Diese und Europas zu den lateinamerikanischen Ländern statt. Faktoren erschweren es einer Regierung, menschenrecht- Die Bundeskanzlerin hat mit ihrer Lateinamerika-Reise liche Standards im eigenen Land durchzusetzen, auch wenig später auch noch einmal die Bedeutung unserer wenn sie besten Willens ist. Es ist daher sehr begrüßens- Beziehungen zu diesem Teil der Welt unterstrichen. Meine wert, dass viele der Projekte der deutschen Entwicklungs- Fraktion hat zu dieser Lateinamerika-Offensive der deut- zusammenarbeit, die in der Antwort der Bundesregierung schen Politik ein eigenes Strategiepapier beigesteuert, in aufgeführt werden, genau an diesen Punkten ansetzen. dem ganz bewusst auch der Stellenwert von Demokratie Positiv möchte ich auch die Arbeit der deutschen politi- und Menschenrechten betont wird. Damit haben wir uns schen Stiftungen in Lateinamerika hervorheben, die mit dazu bekannt, dass der Dialog über diese Themen einer einer Vielzahl von Projekten die Verwirklichung von der Eckpfeiler des europäisch-lateinamerikanischen Aus- Demokratie und Menschenrechten in Lateinamerika för- tausches sein muss und dass wir für eine aktive Förde- dern. Erwähnt sei hier zum Beispiel die Hanns-Seidel- rung auf diesem Gebiet eintreten. Daher begrüße ich Stiftung, die sich in Ecuador mit einem Stipendienpro- auch die sich heute bietende Gelegenheit, nach einem gramm um die Förderung indigener Nachwuchskräfte Jahr nun eine Bestandsaufnahme der menschenrechtli- kümmert. Dadurch wird eine gerechte Teilhabe dieser chen Situation in der Andengemeinschaft und Venezuela lange benachteiligten Bevölkerungsgruppe an der Politik zu machen. und der Arbeit in der Gesellschaft ermöglicht. Diese Pro- jekte können zwar allein nicht eine ganze Gesellschaft Wichtig ist zunächst einmal, dass die Regierungen al- nachhaltig verändern, aber sie können wichtige Impulse ler hier behandelten Staaten sich zu Demokratie und geben und vorhandene Ansätze fördern. Schön wäre es, Menschenrechten bekennen. Dies war früher nicht selbst- wenn die Bundesregierung mehr Mittel bereitstellen verständlich und stellt deshalb einen positiven Trend dar. könnte, um diese Arbeit noch verstärken zu können. Im Detail gibt es dann aber doch merkliche Unterschiede zwischen den einzelnen Staaten. So hat sich die Men- Wolfgang Gunkel (SPD): schenrechtssituation in Kolumbien in den vergangenen Wie die Antwort der Bundesregierung auf die Große Jahren merklich verbessert. Dies ist vor allem darauf zu- Anfrage der Grünen bereits deutlich macht, gibt es große (B) rückzuführen, dass es der Regierung gelungen ist, den (D) Unterschiede in der Beurteilung der Menschenrechtslage Bürgerkrieg einzudämmen und die nichtstaatlichen Ge- in den Andenstaaten und Venezuela. Während die Länder, waltakteure in ihre Schranken zu weisen. Dadurch ist das in denen linksgerichtete Regierungen in den letzten Jah- Leben vieler Menschen in Kolumbien friedlicher und si- ren an die Macht gekommen sind, die Verbesserung der cherer geworden. Aber die Umtriebe von mächtigen Ban- Lebensbedingungen für die ärmsten Bevölkerungsteile in den sind nach wie vor ein bedrückendes Problem. den Vordergrund stellen, ist die gesellschaftliche Ausei- Kolumbien braucht daher nach wie vor die Unterstützung nandersetzung um Menschenrechte und Gerechtigkeit in der internationalen Gemeinschaft bei der Bekämpfung Staaten wie Kolumbien sehr viel präsenter. Länder wie dieser Banden. Das Konzept, diese Gruppen als legitime Venezuela drohen den Blick auf menschenrechtliche Min- politische Akteure anzuerkennen und in einen politischen deststandards zu vernachlässigen oder produzieren in Prozess einzubinden, wie es in der Vergangenheit von neuen Herrschaftskonstellationen neue Gefahren für de- manchen Kollegen hier im Hause gefordert worden ist, mokratische und menschenrechtliche Mindeststandards. kann keine Lösung sein. Es liegen nun zwei Entschließungsanträge der Grünen Für Venezuela ist festzuhalten, dass der Drang von vor, die die Bundesregierung auffordern, ihre Bemühun- Staatschef Hugo Chávez, seine Macht gegen Kritik und gen um die Einhaltung von Menschenrechten speziell in Kontrolle abzuschirmen, zu einer Erosion demokrati- Kolumbien und Venezuela zu intensivieren. Beide An- scher Teilhabe und zur Aushöhlung von Bürgerrechten träge vermitteln das Bild, die Bundesregierung würde geführt hat. Auch mit vermeintlichen Verbesserungen bei nicht mit Nachdruck auf die Einhaltung der Menschen- der Verwirklichung der sozialen Menschenrechte, wie sie rechte einwirken. Das ist nicht richtig. Es stellt sich eher der Antrag der Grünen anführt, lassen sich die Gefahren das Problem, dass durch internationale Bemühungen nicht relativieren. Man wird sowieso abwarten müssen, zwar Rechte per Gesetz festgeschrieben, aber in der ob der venezolanische Staat angesichts sinkender Erlöse Realität nicht exekutiert werden. Beide Anträge bieten für seine Ölexporte weiterhin in der Lage sein wird, seine keinen Ansatz einer Lösung des Problems, dass trotz libe- Sozialprogramme im bisherigen Umfang zu finanzieren. raler Gesetzgebung in den Anden-Staaten Menschen- rechtsverletzungen durch staatliche und nichtstaatliche Andere Staatschefs in Lateinamerika, zum Beispiel in Akteure an der Tagesordnung sind. Ecuador und Bolivien, wollen offenbar den Führungsstil von Chávez kopieren. Von der Verbreitung des venezola- Internationaler Druck ist notwendig, aber die interna- nischen Herrschaftsmodells geht daher momentan eine tionale und auch nationale Aufmerksamkeit für Men- der größten Gefahren für die Entwicklung von Demokra- schenrechte bedeutet keinesfalls, dass auch die angekün- 24112 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Wolfgang Gunkel (A) digte Umsetzung von Verbesserungen vorangeht. Dies schlagen. Die Regierung weiß um diese Verbindungen (C) möchte ich am Beispiel Kolumbien verdeutlichen. In ei- und tut nichts für einen besseren Schutz von Gewerk- ner Einzelreise nach Kolumbien im März dieses Jahres schaftern oder Vertriebenen. Es gibt genug Beispiele, in hatte ich die Möglichkeit, mich über die Situation der denen multinationale Großkonzerne Morde an Gewerk- Menschenrechte in Kolumbien persönlich zu informieren. schaftern angeordnet haben, doch im Interesse der ko- Dabei trat die Diskrepanz zwischen der verlautbarten lumbianischen Wirtschaft gehen die Täter durchweg rechtlichen Verbesserung der Menschenrechtssituation straffrei aus. einerseits und den Berichten und Erfahrungen der Akti- visten andererseits deutlich zutage. Im Kontext der ge- Eines der größten Probleme Kolumbiens ist die Vertei- lung von Land. Die Einschüchterung, Enteignung und rade von Deutschland eingeforderten Verrechtlichung so- Vertreibung der Kleinbauern durch Armee, Paramilitärs zialer und menschenrechtspolitischer Standards wird viel und Guerilla hat Kolumbien zu dem Land mit den meisten zu oft den offiziellen Darstellungen vertraut, dass man Binnenflüchtlingen der Welt gemacht. Unabhängige Be- sich zwar auf einem schwierigen, aber richtigen Weg be- obachter rechnen mit bis zu vier Millionen Flüchtlingen fände. Übereinstimmend berichteten die Menschen- innerhalb Kolumbiens, die in extremer Armut und ohne rechtsorganisationen in Kolumbien vom gravierenden ausreichenden Zugang zu Nahrung, medizinischer Min- Anstieg sogenannter Falsos positivos, also gefälschter destversorgung oder gar Bildung leben müssen. Trotz ei- Positivmeldungen, mit denen die reale Anzahl von extra- nes viel beachteten Urteils des Verfassungsgerichts, das legalen Hinrichtungen durch Armee- oder Polizeiange- die mangelnde Unterstützung der Flüchtlinge als verfas- hörige, die Morde an und die Überfälle auf Gewerkschaf- sungswidrigen Zustand charakterisiert hat, hat sich ihre ter und Menschenrechtsaktivisten verschleiert werden Situation nicht verbessert. Auch hier sehen sich Men- sollen. Im Zusammenhang mit dem Erwartungsdruck auf schenrechtsaktivisten mit einer deutlichen Diskrepanz die kolumbianische Regierung ist diese Zahl gefälschter zwischen offizieller Darstellung und der Realität konfron- Meldungen im zweiten Halbjahr 2008 wieder angestie- tiert. Während offizielle Stellen verkünden, dass bisher gen. So ist auch die Aussage des kolumbianischen Vertei- 120 000 Hektar der von den Paramilitärs gewaltsam ent- digungsministers kritisch zu hinterfragen, dass nach Ok- eigneten 6,5 Millionen Hektar Land im Rahmen der tober 2008 keine extralegalen Hinrichtungen mehr Nationalen Versöhnungs- und Wiedergutmachungskom- vorgenommen wurden. Dies entspricht nach übereinstim- mission – CNRR – eingebracht wurden, berichten die Men- mender Beobachtung der lokalen Menschenrechtsorgani- schenrechtsorganisationen von gerade einmal 28 Landgü- sationen nicht der Wahrheit. tern mit 7 000 Hektar, die in die CNRR eingegangen Aber auch wenn die Anzahl der Übergriffe offizieller wären. Zusätzlich sehen sich die Vertriebenen-Selbstor- Institutionen aufgrund des internationalen Drucks zu- ganisationen einer extremen Bedrohung gegenüber. (B) rückgeht, bedeutet dies leider nicht, dass sich die Ver- Allein in der letzten Zeit wurden sieben Vertreter der Or- (D) knüpfung, ja quasi Arbeitsteilung, zwischen Armee und ganisationen ermordet. Besonders die indigene und afro- Paramilitärs verändert hätte. Noch immer teilen sich Ar- kolumbianische Bevölkerung ist von den gewaltsamen mee und Paramilitärs die zu kontrollierenden Regionen Vertreibungen betroffen. Gerade die Indigenen sind dop- auf, und der Terror der Paramilitärs nimmt deutlich zu. pelt betroffen, da ihre Sonderrechte als Indigene territo- Dabei ist eine Verschiebung zu beobachten. Während auf rial gebunden sind und nach einer Vertreibung so zusätz- der einen Seite die Entwaffnung der alten Paramilitärs lich der Zugang zu Grundversorgungen erschwert wird. erfolgt, entstehen auf der anderen Seite neue paramilitä- Man kann an diesen Beispielen deutlich sehen, dass rische Gruppen, die sich auch wieder neu bewaffnen. zwischen den offiziellen Stellungnahmen der Regierungs- Während offiziell die Meinungspluralität propagiert und stellen und der Realität ein deutlicher Unterschied be- in vielen warmen Worten die Bedeutung der Menschen- steht. Der internationale Druck ist richtig und notwendig. rechte beschrieben wird, sehen sich Menschenrechtsakti- Erst dadurch hat es gewisse Veränderungen in der kolum- visten, NGOs und selbst die Kirche mit dem Vorwurf bianischen Politik gegeben. Gleichwohl zeigen die Bei- konfrontiert, Handlanger der Guerilla zu sein. Dabei ver- spiele auch, dass den offiziellen Verlautbarungen mit Vor- fehlen die verbalen Ausfälle von Vertretern der Regierung sicht zu begegnen ist. Deutschland muss hier mit gutem nicht ihre Wirkung. Die namentlich Erwähnten sehen sich Beispiel vorangehen und die Gespräche hinsichtlich der danach nicht selten konkreten Drohungen ausgesetzt. Der Menschenrechtsprobleme mit der kolumbianischen Re- Nationale Aktionsplan wird von der Regierung beharr- gierung intensivieren und gleichzeitig bei abzuschließen- lich blockiert, weil rechtliche Garantien der Menschen- den Verträgen Verbesserungen der Situation verlangen. rechtsarbeit offensichtlich nicht in ihrem Interesse sind. Ungewöhnlich häufig sehen sich Menschenrechtsaktivis- Das Beispiel Kolumbien zeigt die grundsätzliche Pro- ten mit der Justiz konfrontiert. Verhaftungen und juristi- blematik der internationalen Gemeinschaft gegenüber sche Verfolgung nach fadenscheinigen und oft recht den Andenstaaten. Viele menschenrechtliche Mindest- durchsichtigen Anklagen sind keine Seltenheit. standards sind zwar per Gesetz festgelegt, doch die Exe- kutive tut sich schwer mit der Umsetzung. So sind zwar Parallel existiert auch weiterhin bei den staatlichen alle Andenstaaten wie Peru, Bolivien und Ecuador parla- Stellen eine Kultur des Wegsehens, wenn ökonomische In- mentarische Demokratien mit einer garantierten Mei- teressen mit Einschüchterung und Mord durchgesetzt nungsfreiheit und einem unabhängigen und nach westli- werden. Internationale Konzerne kooperieren eng mit chen Vorbildern strukturierten Justizsystem. Aber die den Paramilitärs, um den Kampf um bessere Arbeitsbe- Strukturen sind viel zu schwach: Bedrohungen und Ein- dingungen, höhere Löhne oder gegen Vertreibung zu zer- schüchterungen bis hin zum Mord gehen viel zu oft straf-

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24113

Wolfgang Gunkel (A) frei aus, und die Justizsysteme können aus chronischer der für die brachiale Vorgehensweise bei der Nieder- (C) Überlastung und mangelnder Ausbildung von Richtern schlagung der Guerilla politisch verantwortlich war. und Justizpersonal ihre eigenen Standards nicht einhal- ten. Deshalb gilt es, in der gesamten Region darauf hin- In Ecuador und Bolivien wurden in sehr kontroversen zuwirken, dass genügend Mittel in die Hand genommen Auseinandersetzungen neue Verfassungen erarbeitet und werden, um die menschenrechtlichen Standards auch in Kraft gesetzt. In Ecuador, wo seit Herbst 2008 eine wirklich umsetzen zu können. neue Verfassung gilt, wurden einerseits zwar zahlreiche Menschenrechte formal definiert. Jedoch ist zu befürch- ten, dass die neue Verfassung die demokratische Kultur Florian Toncar (FDP): des Landes durch die neu geschaffenen „Bürgerräte“ als Gegenstand der heutigen Debatte ist die Menschen- „vierte Gewalt“ negativ beeinflussen wird. rechtslage in den Staaten der Andengemeinschaft sowie in Venezuela, das 2006 aus diesem Verbund ausgetreten In Bolivien hat die Regierung von Evo Morales zwar ist. Damit wird eine Region in den Fokus gestellt, die oft die Armutsbekämpfung in den Mittelpunkt gerückt. Je- in der öffentlichen Debatte hinter anderen Themen zu- doch ist die Enteignung ausländischer Unternehmen, die rücktreten muss. sich im Öl- und Gassektor Boliviens engagiert haben, ein schwerer Fehler, der nur dem kurzfristigen Machterhalt Es handelt sich um eine Region, in der es einerseits dient, aber dem Land langfristig schadet. Erfreulicher- sehr viele Gemeinsamkeiten gibt. Diese beziehen sich weise scheint sein Programm zur Schaffung eines nicht nur auf das gemeinsame kulturelle Erbe und geteilte sozialistischen Systems nach venezolanischem Vorbild historische Wurzeln. Auch sind viele der aktuellen men- auf derartig entschlossenen Widerstand in den östlichen schenrechtspolitischen Herausforderungen, denen diese Provinzen des Landes gestoßen zu sein, dass Morales zu Länder gegenüberstehen, ähnlich. In der Regel sind wichtigen Zugeständnissen gezwungen werden konnte. staatliche Sicherheitskräfte oder Rebellen bzw. Milizen Wichtig ist, dass alle politischen Kräfte im Land begrei- die Urheber der großen Mehrheit der zu verzeichnenden fen, dass eine weitere Eskalation der Auseinandersetzun- Menschenrechtsverletzungen. Polizei und Militär werden gen vermieden werden muss. in den wenigsten Fällen für Übergriffe zur Verantwortung gezogen. Die Justizsysteme sind überlastet und aufgrund Die menschenrechtliche Entwicklung in Venezuela ist personeller und materieller Mängel nicht in der Lage, äußerst besorgniserregend. Das Land hat in den vergan- Rechtsstreitigkeiten gemäß internationalen Standards genen Jahren große Rückschritte bei der Achtung bürger- abzuarbeiten. Dies untergräbt vielerorts die verlässliche licher und politischer Menschenrechte gemacht und stellt Rechtsstaatlichkeit für die Bürger. Ebenso verbindet die damit einen eindeutigen Negativausreißer dar. Der von Staaten, dass sie über nur mangelhafte Gefängnisse ver- den Grünen vorgelegte Entschließungsantrag drückt dies (B) (D) fügen, in denen die Haftbedingungen teils menschen- teilweise aus. So wird zu Recht darauf hingewiesen, dass unwürdig sind. Trauriger Spitzenreiter ist hier Venezuela, der venezolanische Präsident Hugo Chávez sich die Jus- wo die Gefängnisse teils dreifach überbelegt sind und tiz des Landes durch Benennung ihm loyaler Richter hö- eine strenge Hackordnung unter den Insassen herrscht, rig gemacht hat. Es ist das einzige Land, in dem die poli- die zu zahlreichen gewaltsamen Übergriffen unter den tische Unabhängigkeit der Justiz eindeutig nicht gegeben Gefangenen führt. Ebenso ist in allen Staaten die weitver- ist. In ihrem Antrag übersehen die Grünen aber darüber breitete Armut ein großes Problem für die Bevölkerung hinaus, dass auch die parlamentarische Kontrolle der Re- bei der Verwirklichung ihrer Freiheits- und Teilhabe- gierung seit der Parlamentswahl 2005 nicht mehr gege- rechte. Armut wirkt sich besonders im ländlichen Raum ben ist. Damals beteiligte sich die Opposition nicht an negativ auf Bildungschancen und den Zugang zu gesund- den Wahlen, da sie den begründeten Verdacht hatte, dass heitlicher Grundversorgung und sauberem Trinkwasser Präsident Chávez Einfluss auf die Wahlkommission aus- aus. Eine weitere Parallele in der Entwicklung dieser üben wollte und ein fairer Wahlkampf nicht möglich war. Staaten ist, dass die Rechte von Frauen beispielsweise im Auch aus diesem Grund kann von einer funktionierenden Hinblick auf gleiche Entlohnung für gleiche Arbeit nur Gewaltenteilung in Venezuela leider keine Rede mehr unzureichend verwirklicht werden. Kinder werden vieler- sein. Dies hätte im Entschließungsantrag der Grünen he- orts Opfer von Menschenhändlern und sexueller Ausbeu- rausgearbeitet werden müssen. tung. Erfreulicherweise weisen die Grünen auf die Verlet- Jedoch bestehen zwischen den Staaten auch zahlreiche, zungen der Presse- und Meinungsfreiheit in Venezuela teils gravierende Unterschiede. Die Regierung Perus ver- hin. Trauriger Höhepunkt war der Entzug der Sendelizen- sucht, auf relativ pragmatische Weise die Herausforde- zen des ältesten und wichtigsten privaten Fernsehkanals rungen des Landes zu bewältigen, und sieht sich dabei RCTV durch die Regierung Chávez. Ebenso wurden in Ve- zahlreichen Hürden gegenüber. Bei der Aufarbeitung der nezuela Menschenrechtsorganisationen in den letzten Menschenrechtsverbrechen der „20 Jahre der Gewalt“ Jahren Opfer gezielter staatlicher Repression. Trotz spru- (1980 bis 2000) durch den Leuchtenden Pfad (Sendero delnder Öleinnahmen ist es Caracas nicht gelungen, die Luminoso) und die Tupac Amarú (MRTA) wurden zwar Armut im Lande entscheidend zu lindern. Im Gegenteil, auch einige Verantwortliche aus dem Staatsapparat juris- die Abhängigkeit von Rohstoffexporten steigt und der tisch zur Rechenschaft gezogen. Allerdings wurden diese Mittelstand wird schwächer. Auch hat die Kriminalität wenigen Erfolge gegen den zähen Widerstand der Streit- neue Höchststände erreicht, wobei die Zustände in den kräfte errungen. Ein Lichtblick ist die Verurteilung des venezolanischen Gefängnissen zu den schlimmsten nicht ehemaligen Präsidenten Alberto Fujimori im April 2009, nur in Lateinamerika, sondern weltweit zählen. Damit ist

Zu Protokoll gegebene Reden 24114 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Florian Toncar (A) die menschenrechtliche Bilanz von Präsident Hugo dieser Anschuldigung verfehlen die Grünen die Tatsa- (C) Chávez die mit Abstand schlechteste in der Region. Lei- chen in Kolumbien. Schon allein aus diesem Grund geht der hat der politische Abenteurer und Provokateur der Antrag insgesamt in die falsche Richtung. Was die Chávez die politische Macht in der einst stabilen Demo- einzelnen Forderungen anbelangt, finden sich neben ei- kratie Venezuela so fest an sich gerissen, dass ein Macht- nigen sinnvollen Maßnahmen auch völlig kontraproduk- wechsel auf absehbare Zeit nicht zu erwarten ist. Obwohl tive Vorstöße. Dazu zählt, weitere Hürden zum Abschluss die von den Grünen geforderten Maßnahmen insgesamt eines Assoziierungsabkommen zwischen Kolumbien und sinnvoll sind, hätte der Antrag noch deutlicher die Vorge- der EU aufzubauen. Kolumbien braucht für seine weitere hensweise von Chávez verurteilen müssen. Daher wird interne Stabilisierung wirtschaftliches Wachstum. Eine die FDP sich bei diesem Entschließungsantrag enthalten. baldige Verbesserung der Handelsbeziehungen mit Eu- ropa kann dem nur helfen. Hier weitere Fallstricke zu Besser verhält sich die Entwicklung in Kolumbien, ei- spannen, wäre völlig fehl am Platz. Daher werden wir den nem kriegszerrütteten Land, das zur Stabilität den weites- Entschließungsantrag zu Kolumbien ablehnen. ten Weg vor sich hat. Die Regierung von Präsident Alvaro Uribe hat es vermocht, durch eine Mischung aus militä- Insgesamt ergibt sich ein gemischtes Bild, was die rischer Stärke und Friedensangeboten die einst mächti- Achtung der Menschenrechte in den Staaten der Anden- gen Paramilitärs als politisch-militärischen Machtfaktor gemeinschaft und Venezuelas betrifft. Während Peru ver- zu schwächen. Die Angebote zur Demobilisierung wur- sucht, pragmatisch die Lage im Lande zu verbessern, den von vielen der sogenannten Paras angenommen, so- könnten die neuen Verfassungen in Bolivien und Ecuador dass sich ein Teil heute wieder in die Gesellschaft inte- neben Verbesserungen der materiellen Situation der indi- griert hat. Ein anderer Teil hat erneut zu den Waffen genen Bevölkerung auch Gefahren für die politische Ge- gegriffen und geht jetzt hauptsächlich kriminellen Ma- waltenteilung und die Ausbreitung linkspopulistischer chenschaften im Drogengeschäft nach. Die Aufarbeitung Feldversuche mit sich bringen. Trauriger Spitzenreiter der von den Paras begangenen Verbrechen durch eine bei der Missachtung bürgerlicher und politischer Men- Wahrheitskommission einerseits und eine strafrechtlich schenrechte ist Venezuela, wo sich Präsident Chávez in Verfolgung der Anführer andererseits zeigt erste Erfolge. eine Position zu bringen hofft, in der er noch über viele Viele der Drahtzieher sitzen mittlerweile wegen Rausch- Jahre das Land beherrschen kann. Dagegen zeigt Kolum- giftdelikten in den USA in Haft. Auch ist eine Verbesse- bien, dass politischer Wettbewerb auch in diesen Ländern rung des Justizapparats in Kolumbien nicht zu überse- möglich ist. Das verdient Respekt – und die Unterstützung hen. Dabei ist erfreulich, dass auch Deutschland hierbei Deutschlands und der Europäischen Union. einen konstruktiven Beitrag beispielsweise durch die Aus- bildung von Staatsanwälten leistet. Die FDP verbindet Michael Leutert (DIE LINKE): (B) mit dieser Hilfe die Erwartung, dass die kolumbianische Die Beantwortung der Großen Anfrage durch die Bun- (D) Regierung und die Justiz weiterhin und verstärkt gegen desregierung bietet uns heute die Gelegenheit, die Ent- Straflosigkeit, Korruption, Waffen- und Drogenhandel wicklung in einer Region zu diskutieren. und auch gegen Verbrechen der staatlichen Sicherheits- behörden vorgehen. Die Guerillas, die weiterhin die Lateinamerika ist – das gilt zumindest für meine Frak- Landbevölkerung terrorisieren, hunderte Geiseln gefan- tion – eine interessante Region. Um in die Vergangenheit gen halten und eng mit der Drogenmafia zusammenarbei- zurückzugehen: Es ist ja noch nicht so lange her, da war ten, sind zwar militärisch geschwächt und haben stark an Lateinamerika überwiegend durch reaktionäre Diktaturen Zulauf verloren, sind aber noch nicht ausgeschaltet. beherrscht und zugleich Versuchsfeld für neoliberale Mo- Doch scheint das besonnene Vorgehen der Regierung dernisierungen. Die damit verbundenen Verwerfungen Uribe in die richtige Richtung zu weisen. sind noch immer spürbar. Heute herrscht Aufbruch, und ich denke, dass es nicht pathetisch ist, wenn ich, vor diesem Trotz der weiter anhaltenden Bürgerkriegsgewalt ist in historischen Hintergrund, Lateinamerika als einen Motor den letzten Jahren eine eindeutige positive Entwicklung sozialer und politischer Emanzipation bezeichne. bei der Achtung der Menschenrechte in Kolumbien zu Es gibt noch einen weiteren Aspekt, der gewürdigt konstatieren. Daher ist die Stoßrichtung des von den Grü- werden muss. 1973 wurde die Regierung Allende durch nen zu Kolumbien vorgelegten Entschließungsantrags einen blutigen Militärputsch hinweggefegt, ein faschisti- verfehlt. Wenn die Grünen die Politik von Präsident scher Massenterror gegen die tatsächlichen und ver- Uribe als gescheitert bezeichnen, so verkennen sie meintlichen Anhänger der Unidad Populare folgte. Dass schlicht die Lage vor Ort. Auch hat die Regierung Uribe nach dieser historischen Erfahrung es gerade in Latein- die Verbindungen von Paramilitär zu Mitgliedern der Re- amerika noch einmal dazu kommen könnte, dass Links- gierung und der Partei des Präsidenten nicht geleugnet, regierungen den Weg einer ambitionierten Politik gehen wie von den Grünen behauptet wird. Vielmehr hat der würden, die Armutsbekämpfung, Umverteilung von Reich- Präsident alle Anschuldigungen untersuchen lassen und tum und Vergesellschaftung von natürlichen Ressourcen dabei auch vor Ermittlungen gegen enge politische Ver- umfassen, dass sie diesen Weg gehen würden, ohne dabei traute nicht haltgemacht. Als Indiz, wie gradlinig und ef- zum Mittel der Diktatur zu greifen, das erfreut zumindest fektiv diese Untersuchungen bisher verlaufen sind, dient meine Fraktion. die Tatsache, dass mehrere Dutzend Abgeordnete der Re- gierungspartei und Provinzgouverneure in Haft genom- Die Voraussetzungen, von denen in Lateinamerika men wurden. Hier kann keine Rede davon sein, dass po- ausgegangen werden muss, sind andere als nach 1945 in litische Korruption unter den Teppich gekehrt wurde. Mit Westeuropa. Das kriegszerstörte Westeuropa kam in den

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24115

Michael Leutert (A) Genuss des Marshallplans, Lateinamerika kam in den tischen und wirtschaftlichen Schwergewichte der Region (C) höchst zweifelhaften Genuss von IWF und Weltbank. Daher auf dem Programm: Mexiko und Brasilien. Mexiko zeich- konnte Westeuropa die großen Fortschritte hin zu einer net sich wie Peru und Kolumbien – und sonst kaum ein sozialen Demokratie machen, Lateinamerika muss diesen Staat der Region – durch eine konservative Regierung Weg gehen, aber mit den Folgen von Jahrzehnten der aus. Und Brasilien wird zwar von einem linken Präsiden- Diktatur und des Neoliberalismus. Vor diesem Hinter- ten regiert, dort galt es aber, eine Verlängerung des grund müssen die Fortschritte und Defizite der Menschen- deutsch-brasilianischen Atomvertrags unter Dach und rechtsentwicklung beurteilt werden. Nur durch ein Verste- Fach zu bringen – ein Deal, der die deutsche Atomlobby hen der historischen Entwicklung kann unsere Beurteilung mit Sicherheit erfreut. überhaupt erst kritisch, nicht einfach nur nörgelnd sein. Die Hofierung des kolumbianischen Präsidenten Überhaupt nicht nachvollziehen dagegen kann ich die durch die Bundeskanzlerin stößt mir nicht auf, weil er Beurteilung, die Kolumbien in der Antwort auf die Große zum konservativen Lager gehört. Sie stößt mir auf, weil Anfrage erhält. Ich möchte nicht zu hart klingen, aber sie mit einer Lobhudelei für eine Regierung einhergeht, warum nennt man Kolumbien nicht einfach das, was es die international respektierte Menschenrechtler öffent- zurzeit ist? Ein durch ultrarechte Paramilitärs gestütztes lich diskreditiert, sie immer wieder in die Nähe der reaktionäres Regime. Das summarische Urteil, in Kolum- Guerilla stellt und damit ihr Leben gefährdet. Wenn Uribe bien habe es eine Verbesserung der Menschenrechtslage bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Merkel in Ber- gegeben, wird nicht nur nicht konkretisiert, im unmittel- lin sagt, „das Schlimmste, was dem Sprecher einer NGO baren Anschluss zeichnet die Bundesregierung ein gera- in Kolumbien passieren kann, ist, dass er mit dem Präsi- dezu gegenteiliges Bild. Sie widerlegen Ihre eigene Ein- denten diskutieren muss“, ist das reiner Zynismus. Doch schätzung. der Zynismus der kolumbianischen Regierung hört hier nicht auf. Zu finden ist er immer dann, wenn geleugnet Zu den vorliegenden Entschließungsanträgen: Der wird, dass in Kolumbien Bürgerkrieg herrscht, ein Bür- Entschließungsantrag der Grünen zu Kolumbien reflek- gerkrieg, der jedes Jahr Hunderttausende in die Flucht tiert die Situation in Kolumbien wohl klarer als die Bun- treibt und in dem vom Militär, den Paramilitärs und der desregierung. Ihm werden wir auch zustimmen. Zum auf FARC schlimmste Menschenrechtsverletzungen began- Venezuela bezogenen Entschließungsantrag meinen wir, gen werden. Zynisch ist es auch, wenn Uribe sagt, dass dass die Einzelforderungen ja nicht gleich falsch sind. „die Streitkräfte Kolumbiens in der Welt die größten An- Was aber auffällt ist der Umstand, dass die Gesamtlage der strengungen für die Bewahrung der Menschenrechte un- Menschenrechtsentwicklung in Venezuela vom Antragstel- ternehmen“. Und es ist Zynismus, wenn die Demobilisie- ler verzerrt dargestellt wird. Wenn es stimmt, wie die Grü- rung der Paramilitärs als voller Erfolg gelobt wird und nen ja zu Recht meinen, dass es eine über Jahrzehnte an- (B) neue Gruppierungen wie die „Aguilas Negras“ als „ein- (D) dauernde „Kultur der Gewalt“ gegeben habe, kann man fache Drogenhändler“ dargestellt werden. Das Gegenteil der Regierung Chávez zwar vorhalten, damit noch nicht ist der Fall. fertig geworden zu sein; aber angesichts der von den Grünen zugestandenen Fortschritte in der Armuts- Die Unterstützung durch Merkel kommt zu einer Zeit, bekämpfung dann ein Gesamturteil zu fällen, dass sich in der die Politik Uribes gegen den Paramilitarismus ge- die Menschenrechtslage verschlechtert habe, erschließt scheitert ist. Sie kommt zu einer Zeit, in der die Verbin- sich nicht als klar begründet. Deswegen wird die Linke dungen zwischen Paramilitarismus, Politik, Wirtschaft dem zweiten Entschließungsantrag nicht zustimmen. und Militär nicht mehr geleugnet werden können. Und aus welchem politischen Lager kommen denn die Politi- Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ker mit Verbindungen zu den Paramilitärs? Aus dem La- Fast ein Jahr ist es her, dass nach ger Uribes! Kolumbien reiste. Ein Besuch, den sie in „außerordent- Wenn hohe Paramilitärs an die USA ausgeliefert und lich guter Erinnerung“ hat, wie sie sagte, als ihr der wegen Drogenhandels zu langjährigen Haftstrafen verur- kolumbianische Präsident Alvaro Uribe im Januar einen teilt werden, wie zuletzt Diego Murillo, kann man das als Gegenbesuch abstattete. Frau Merkel und Herr Uribe Erfolg verkaufen. Das klappt aber nur so lange, wie man scheinen sich blendend zu verstehen. Die Beziehungen verschweigt, dass an die USA ausgelieferte Paramilitärs zwischen Kolumbien und Deutschland wirken durch die nie wegen begangener Menschenrechtsverletzungen vor gegenseitigen Besuche aufgewertet, scheinen ein beson- ein kolumbianisches Gericht gestellt werden können. ders positives Beispiel dafür zu sein, wie eng die Bezie- Durch diese Auslieferungen wird verhindert, dass den hungen zwischen Deutschland und Lateinamerika sind. Opfern von Menschenrechtsverletzungen Gerechtigkeit widerfährt. Ich finde es mehr als verwunderlich, dass die Bundes- kanzlerin sich so deutlich hinter ihren Kollegen Uribe Kolumbien war lange der treueste Verbündete der USA stellt. Denn machen wir uns nichts vor: Dass die Bundes- in Lateinamerika. Durch den Regierungswechsel der kanzlerin gerade Kolumbien auf ihrer bisher einzigen USA verändert sich die Situation aber erheblich. Es ist Lateinamerikareise besuchte, muss als Zeichen der poli- nicht mehr selbstverständlich, dass die USA Kolumbien tischen Unterstützung für Präsident Uribe verstanden bei der Drogen- und Aufstandsbekämpfung mit massiven werden. Neben Kolumbien führte ihre Reise sie nach Militärhilfen unterstützen. Wir waren immer gegen den Peru, wo der EU-Lateinamerika-Gipfel stattfand, der der „Plan Colombia“ und die Vorstellung, dass man mit mi- Grund der Reise war. Außerdem standen die beiden poli- litärischen Mitteln Drogenanbau und Bürgerkrieg be-

Zu Protokoll gegebene Reden 24116 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Thilo Hoppe (A) enden kann. Ein Strategiewechsel der USA gegenüber Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf: (C) Kolumbien scheint bevorzustehen. Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer Und ich denke, Deutschland täte in dieser Situation Brüderle, Markus Löning, Dr. Karl Addicks, wei- gut daran, seine Position zu Kolumbien zu überdenken terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP und Menschenrechtsverletzungen deutlich und öffentlich Wettbewerbspolitik als Fundament der Sozia- zu kritisieren. Das gilt für extralegale Hinrichtungen len Marktwirtschaft stärken durch das Militär. Das gilt, wenn Paramilitärs Zivilisten – Drucksache 16/7522 – von ihrem Land vertreiben. Und das gilt auch, wenn Überweisungsvorschlag: durch die Politik der Regierung Zivilisten in Gefahr ge- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie raten, weil keine klare Trennung mehr zwischen Kombat- tanten und Nichtkombattanten möglich ist. Es ist die rich- Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die tige Entscheidung gewesen, dass Deutschland sich nicht Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die am „Plan Colombia“ beteiligt und auch nicht am angeb- Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Dr. Georg Nüßlein für die Unionsfraktion, Reinhard Schultz für die lichen Waldschutzprogramm „Familias Guardabosques“ – SPD-Fraktion, Rainer Brüderle für die FDP-Fraktion, gerade weil die Zivilbevölkerung durch diese Programme Dr. Herbert Schui für die Fraktion Die Linke und in den Konflikt mit hineingezogen wird. Die kolumbiani- Dr. Thea Dückert für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- sche Regierung versucht immer wieder Unterstützung für nen. diese Programme zu bekommen – zuletzt bei den „Fami- lias Guardabosques“ und auch hier vergebens. Da kann Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): man sich schon wundern, warum Uribe sich bei der ge- Ich finde es immer bedauerlich, wenn die FDP eine meinsamen Pressekonferenz bei der Bundeskanzlerin da- richtige Idee aufgreift, am Ende aber bei der Umsetzung für bedankt, dass Deutschland genau dieses Programm scheitert; wohlgemerkt nicht an den Mehrheitsverhältnis- unterstütze. Ich denke, der Grund dafür ist, dass von deut- sen, sondern an der eigenen Betrachtungsweise. Die scher Seite nicht klar gesagt wurde, dass dieses Pro- Überschrift ihres Antrages „Wettbewerbspolitik als Fun- gramm nicht gefördert wird. dament der Sozialen Marktwirtschaft stärken“ könnte ich sofort unterschreiben. Wenn man den Antrag aber liest, Und es ist auch ein Fehler, wenn die Bundeskanzlerin muss man leider feststellen, dass die FDP die soziale Uribe „all unsere Unterstützung“ beim Kampf gegen den Marktwirtschaft auf reine Wettbewerbspolitik reduziert – Drogenanbau verspricht. Es wäre fatal, wenn Deutsch- und das ist falsch. land in die militärische Drogenbekämpfung einstiege, die (B) zudem stark mit dem Kampf gegen die Guerilla verwoben Die soziale Marktwirtschaft ist keine Einbahnstraße zu (D) ist. Ich zweifle auch daran, dass die Bundesregierung mehr Wettbewerb, schon gar nicht nach dem Motto ernsthaft erwägt, sich hieran zu beteiligen. Aber dann „Freies Spiel der Kräfte, der Große frisst den Kleinen“. kann die Bundeskanzlerin sich doch nicht bei einer Pres- Neben Freiheit, Selbstverantwortung, Eigeninitiative und Wettbewerb brauchen wir einen durchsetzungsfähigen sekonferenz hinstellen und en passant uneingeschränkte Staat, der für einen stabilen Rechtsrahmen sorgt und sich Unterstützung zusagen. Menschenrechte können in den auf die Solidarität mit den Schwachen konzentriert. Das bilateralen Beziehungen nicht nur ein Thema für Sonn- haben der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung tagsreden sein. Sie müssen im Zentrum des bilateralen eindrucksvoll mit ihren schnellen, kraftvollen Maßnahmen Dialogs stehen – gerade bei einem Staat wir Kolumbien, im Kampf gegen die Auswirkungen der weltweiten Wirt- der traurige Rekorde bei Menschenrechtsverletzungen schaftskrise in Deutschland eindrucksvoll bewiesen. Unser aufstellt. Staat, unsere soziale Marktwirtschaft hat funktioniert. Als der Zusammenbruch unseres Bankensystems drohte, haben Vizepräsidentin Petra Pau: wir innerhalb von Tagen einen wirkungsvollen Rettungs- schirm gespannt, und mit zwei gewaltigen Konjunktur- Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie- programmen – die langsam ihre Wirkung entfalten – haben ßungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer wir uns an die Seite unserer leistungsfähigen Unternehmen stimmt für den Entschließungsantrag auf Drucksache gestellt, um ihnen in diesen schwierigen Zeiten zu helfen. 16/12879? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Wir haben in Sachen HRE-Bank die gesetzlichen Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und der FDP-Fraktion Grundlagen dafür geschaffen, dass nicht ein Einzelner die gesamte Volkswirtschaft erpressen kann. Wir werden gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beim Thema Bad Banks noch viele Anstrengungen darauf und der Fraktion Die Linke abgelehnt. verwenden müssen, unseren Finanzsektor wieder mit Wer stimmt für den Entschließungsantrag auf Gestaltungsspielraum und Vertrauen auszustatten, ohne Drucksache 16/12880? – Wer stimmt dagegen? – Wer die Steuerzahler über Gebühr in Haftungsrisiken zu ma- enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den növrieren. Stimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion ge- Gleichzeitig möchte ich an dieser Stelle betonen, dass gen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eben nicht die soziale Marktwirtschaft versagt hat, sondern bei Enthaltung der FDP-Fraktion und der Fraktion Die Versager, insbesondere in den USA, unkalkulierbare Risi- Linke abgelehnt. ken eingegangen sind, sich falscher, interessengeleiteter Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24117

Dr. Georg Nüßlein (A) Ratings bedient und diese Risiken über die Welt verteilt selbst regulierenden Kräfte des Marktes. Dabei waren es (C) haben. Fehlentscheidungen, Lug und Trug kann die soziale doch gerade die Kräfte eines freien Marktes, nämlich des Marktwirtschaft nicht verhindern. Konstitutive Merkmale Kapitalmarktes, die uns in diese verheerende globale sind sie aber nicht. Finanzkrise gestürzt haben und die für die aktuelle Welt- wirtschaftskrise verantwortlich sind. Sie verlieren damit Richtig ist, dass mehr Wettbewerb, mehr Freiraum für aus meiner Sicht völlig den gesellschaftlichen Überblick. Eigeninitiativen und individuelle Verantwortung im Anstatt aus den Ursachen der Krise zu lernen, wollen Sie Gleichklang mit weniger staatlicher Bevormundung we- mit ihren Deregulierungsforderungen ein System zemen- sentliche Elemente einer zukunftsfähigen, florierenden tieren, das ganz klar versagt hat. Volkswirtschaft sind. Die richtigen Forderungen nach we- niger staatlichen Reglementierungen und weniger Büro- Wir werden Sie dabei gewiss nicht unterstützen und er- kratie dürfen aber nicht als Forderungen nach freiem, un- teilen diesen Forderungen eine deutliche Absage. Denn reguliertem Wettbewerb verstanden werden. Der Vater der wir wollen die Chance, die dieser Krise innewohnt, nut- sozialen Marktwirtschaft, , erklärte zu zen und die soziale Marktwirtschaft tatsächlich stärken. Recht, dass „Wohlstand durch Wettbewerb“ und „Wohl- Ein funktionierender und vor allem gerechter Wettbewerb stand für alle“ untrennbar zusammengehören. auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene ist dabei eine wichtige, jedoch nicht die einzige Kompo- Mithilfe der sozialen Marktwirtschaft haben wir aus nente. Vielmehr gehört für uns die Balance zwischen wirt- einem durch einen furchtbaren Krieg zerstörten Land eine schaftlichem Wachstum und sozialer Gerechtigkeit zum der stärksten Volkswirtschaften der Welt geschaffen. Seit Kern des europäischen Wirtschafts- und Sozialmodells. Jahren sind wir Exportweltmeister und belegen Spitzen- Wir wollen soziale Ziele und Grundrechte im europäi- plätze auf vielen Weltmärkten. Gleichzeitig haben wir ein schen Binnenmarkt stärken und sicherstellen, dass die soziales Sicherungssystem aufgebaut, um das uns viele wirtschaftlichen Grundfreiheiten des europäischen Bin- Länder beneiden. Die soziale Marktwirtschaft hat einen nenmarktes keinen Vorrang vor sozialen Grundrechten breit gestreuten Wohlstand gebracht mit einer Fülle von und Zielen haben. Nur so entsteht qualitatives Wachstum, Chancen für die Menschen. Chancen für alle, das heißt das gemeinwohlorientierten und nachhaltigen Fort- zum Beispiel, dass jeder die Möglichkeit hat, sich auszu- schritt sichert. Ein sich selbst überlassener Markt, wie die bilden und weiterzubilden. Chancen für alle heißt auch, FDP ihn fordert, ist sozial und ökologisch blind. Er wird dass jeder entscheiden kann, ob er als Arbeitnehmer oder und muss scheitern. mit einem tragfähigen Konzept als Unternehmer tätig sein will. Damit jeder diese Chancen ergreifen kann, brau- Sie zitieren in ihrem Antrag von Hayek mit seiner De- chen wir eine marktwirtschaftliche Ordnung, in welcher finition des Wettbewerbs. Ich möchte zum Abschluss mei- (B) dem Staat die Aufgabe zukommt, den Ordnungsrahmen ner Rede den Ökonomen Alfred Müller-Armack zitieren, (D) der Wirtschaft zu gestalten. der den Begriff und das Konzept der sozialen Marktwirt- Die Antwort auf die Frage: Wie schaffen wir Wohlstand schaft maßgeblich geprägt hat und dessen Buch „Wirt- für alle?, lautet also nicht: freier, ungebremster Wettbewerb. schaftslenkung und Marktwirtschaft“ ich als erhellende Die richtige Antwort lautet: Wir brauchen einen starken Lektüre nur dringend empfehlen kann: Demnach ist Wettbewerb mit maßvollen wettbewerbspolitischen und in soziale Marktwirtschaft keine sich selbst überlassene, li- Ausnahmefällen sogar regulatorischen Maßnahmen des berale Marktwirtschaft, sondern eine bewusst gesteuerte, Staates. Das ist auch der Grund dafür, dass wir Kartell- und zwar sozial gesteuerte Marktwirtschaft. Und das ist ämter und Regulierungsbehörden aufgebaut haben. Sie genau die soziale Marktwirtschaft, für die wir stehen. dienen dem Schutz des Wettbewerbs als Teil der sozialen Marktwirtschaft. Rainer Brüderle (FDP): Die soziale Marktwirtschaft ist nicht am Ende, wie einige Wirtschaftspolitisch verstärkt der Reformvertrag der vom linken Lager behaupten. Die soziale Marktwirtschaft Europäischen Union, als Vertrag von Lissabon am hat uns die Kraft gegeben, dass Deutschland viel besser 13. Dezember 2007 unterzeichnet, die ohnehin schon in der schweren Banken- und Wirtschaftskrise begegnen kann den vertraglichen Grundlagen der Union bestehenden als zahlreiche andere europäische Staaten. Die soziale Spannungsfelder zwischen Markt und Wohlfahrtsstaat, Marktwirtschaft hat ihre Bewährungsprobe bestanden. zwischen Wettbewerb und Intervention sowie zwischen Das ausgewogene Verhältnis von Wettbewerb und sozialer Systemwettbewerb und Zentralisierung. Verantwortung für alle Menschen wird auch für künftige Das europäische Bekenntnis zu einem „freien und un- Generationen die Grundlage für solides Wirtschafts- verfälschten Wettbewerb“ findet im neuen Grundlagen- wachstum und Wohlstand für alle sein. vertrag nur noch Berücksichtigung als Protokollnotiz. Auch wenn dies an der bestehenden Rechtslage zunächst Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): nichts ändert, besteht doch die Befürchtung, dass die Be- Der Antrag der FDP sollte eigentlich lauten „Die un- fürworter dieser Änderung die wirtschafts- und gesell- koordinierte Marktwirtschaft stärken“; denn genau das schaftspolitische Grundausrichtung Europas langfristig ist das Ziel, das Sie hier verfolgen. Seit Jahren „beglü- ändern wollen. Bertolt Brecht schrieb einmal: „Ver- cken“ Sie uns mit Anträgen, in denen das Hohelied des trauen wird dadurch erschöpft, dass es in Anspruch ge- Marktradikalismus rauf und runter gespielt wird. Und nommen wird.“ Dazu dürfen wir es nicht kommen lassen. selbst jetzt, wo wir mitten in einer der schwersten Wirt- Die Bundesregierung ist daher aufgerufen, sich in Zu- schaftskrisen stehen, vertrauen Sie auf die freien und sich kunft wieder für eine auch symbolische Stärkung des

Zu Protokoll gegebene Reden 24118 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Rainer Brüderle (A) „freien und unverfälschten Wettbewerbs“ auf europäi- Die FDP ist in ihrem Antrag unentschlossen: Auf der (C) scher Ebene durch explizite Benennung in den Zielen der einen Seite fordert sie den ergebnisoffenen, den Wettbe- europäischen Verträge einzusetzen. werb als Selbstzweck – auf der anderen Seite aber soll er konkreten Schutzanliegen nachkommen, so „die Markt- Zusätzlich ist in nationalen wie internationalen Ge- macht“ eliminieren oder die „Konsumentenwohlfahrt setzgebungen nachdrücklich dafür Sorge zu tragen, dass fördern“. Erfüllt er aber diese Erwartungen, dann ist er das Wettbewerbsrecht nicht zu einem Mittel zur Durchset- nicht mehr ergebnisoffen. Also was denn nun, was ist die zung staatlich definierter Wohlfahrtsziele degradiert Wettbewerbsidee der FDP, wie soll er begründet werden? wird. Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren ist als solcher zu schützen. Dies hat schon der renommierte Die FDP ist besorgt über die Abwertung des Art. 3 Ökonom und Nobelpreisträger Friedrich August von Abs. 1 EGV. Darin ist unter anderem der freie Dienstleis- Hayek zu Recht herausgestellt. Wettbewerb ist das wir- tungsverkehr festgeschrieben. Damit ist der freie Wettbe- kungsvollste Entmachtungsinstrument und dient damit werb auf dem Arbeitsmarkt mit gemeint. Die Konsequen- dem Schutzbedürfnis Einzelner vor der wirtschaftlichen zen aus diesem Artikel sind die Dienstleistungsrichtlinie Macht anderer. Zugleich ist er der beste Verbraucher- und etliche Urteile des EuGH, die die Koalitionsfreiheit schutz, da er die Interessen der Verbraucher an der Siche- drastisch einschränken. So kippte das Rüffert-Urteil das rung einer günstigen Versorgung mit den von ihnen be- niedersächsische Vergaberecht. Wie schon in den Urtei- gehrten Produkten und Dienstleistungen gewährleistet. len zu Laval und Viking Line hat der EuGH auch hier ent- schieden, dass der Kampf um gleiche Löhne und Arbeits- Wettbewerb fordert aber auch abstrakte, offene Regeln bedingungen mit Verweis auf die Dienstleistungs- und gerechten Verhaltens, unabhängig von überindividuellen Niederlassungsfreiheit der Unternehmen eingeschränkt Zwecken. Wir brauchen daher eine Emanzipation des werden kann. Damit ist die Koalitionsfreiheit nichts mehr Wirtschaftsrechts vom Einfluss gut organisierter Interes- wert. sengruppen. Starke Wettbewerbshüter sind für die nach- Wenn auch auf dem Arbeitsmarkt nach Vorstellungen haltige Sicherung marktwirtschaftlicher Strukturen uner- der FDP freier und unverfälschter Wettbewerb herrschen lässlich. Ein starkes Kartellamt mit klaren Befugnissen, soll, dann bedeutet das vor allem eine Minimierung des adäquater Ausstattung und einem konsistenten ordnungs- Lohnes und die Schwächung der Gewerkschaften. Der politischen Auftrag war und bleibt ein Standortvorteil der Lohn darf kein Wettbewerbslohn sein. Deshalb gibt es Bundesrepublik Deutschland. Die Unabhängigkeit der Lohntarifverträge und – unterstützend – den gesetzlichen europäischen Wettbewerbspolitik ist durch die Schaffung Mindestlohn. Eine solche Barriere auf der Lohnseite ver- eines politisch neutralen Europäischen Kartellamts zu hindert, dass unternehmerischer Einfallsreichtum sich (B) gewährleisten, welches dem Ziel eines Binnenmarkts mit auf Lohnsenkungen konzentriert statt auf Prozess- und (D) freiem und unverfälschtem Wettbewerb verpflichtet ist Produktinnovationen. und dabei auf ein ergebnisoffenes Wettbewerbskonzept zum Schutz der Handlungsfreiheit der Marktteilnehmer Wenn aber Wettbewerb ergebnisoffen ist, dann fragt und zur Sicherung einer wettbewerbsförderlichen Markt- sich, ob alle dieses Ergebnis akzeptieren. Was wollen Sie struktur vertraut. tun, wenn bei ergebnisoffenem Wettbewerb die Löhne ab- sinken und dies von den Beschäftigten nicht hingenom- men wird? Wollen Sie Demonstrationen untersagen und, Dr. Herbert Schui (DIE LINKE): wenn nötig, deswegen das Grundgesetz ändern, damit Wenn Wettbewerb das Fundament der sozialen Markt- schließlich alle den Wettbewerb als Selbstzweck akzeptie- wirtschaft sein soll, das behauptet der FDP-Antrag ja, ren? dann ist die Frage gestellt, was denn der Wettbewerb im Konzept der sozialen Marktwirtschaft bewirken soll. Für Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eucken – bekanntlich der entscheidende Theoretiker die- ser Richtung – war Wettbewerb nicht eine ergebnisoffene Gestern hat in Tschechien nach dem Abgeordneten- Veranstaltung – so das Verständnis der FDP. Vielmehr haus auch der Senat dem Vertrag von Lissabon zuge- sollte er in seiner Idealform als vollständiger Wettbewerb stimmt. Der Staatspräsident Vaclav Klaus zögert noch. drei Ziele verwirklichen: Erstens. Die Unternehmen sind Das ist schade; denn gerade jetzt braucht Europa den so klein, dass sie keinen politischen Einfluss ausüben Vertrag dringender denn je. Nur eine starke EU kann die drängenden Probleme wie die Finanz- und Wirtschafts- können. Damit ließe sich eine klare Trennung zwischen krise, den Klimawandel, eine sichere Energieversorgung der Sphäre der Wirtschaft und des Staates erreichen. oder die gerechte und soziale Gestaltung der Globalisie- Zweitens. Der Wettbewerb führt die wirtschaftlichen rung lösen. Hilfsmittel ihrer bestmöglichen Verwendung zu. Drittens. Wettbewerb ist die Triebkraft der technischen Entwick- Und da kommt die FDP mit einem Antrag, in dem ge- lung. Also ein klarer Zweck! Damit kann im Sinne der so- gen den Vertrag von Lissabon gestänkert wird, weil darin zialen Marktwirtschaft Wettbewerb nicht Zweck an sich angeblich das Wettbewerbsprinzip entwertet wird. Ich sein. Er muss sich vielmehr – wie jede wirtschaftliche Or- glaube, meine Damen und Herren von der FDP, Sie haben ganisationsform – mit seinen Ergebnissen rechtfertigen. da etwas grundlegend falsch verstanden. Wenn man Ihren Er kann sich nicht mit sich selbst legitimieren bzw. damit, Antrag liest, wird das mehr als deutlich. Sie verstehen dass er – so die FDP – die „Handlungsfreiheit der Markt- Wettbewerb als Selbstzweck und glauben, wenn man dem teilnehmer“ schützt. Markt freie Hand ließe, werde von allein alles gut.

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Dr. Thea Dückert (A) Es gibt so viele Beispiele, zum Beispiel in der Energie- werb haben dort ihre Grenzen, wo sie die Verdienstmög- (C) erzeugung, in denen mangelnde Regulierung des Marktes lichkeiten der die FDP tragenden Klientel beschneiden. zu Monopolbildung, Preissteigerungen und massiven Dieser Wettbewerbsbegriff ist ebenso scheinheilig wie die Umweltschädigungen geführt hat. Und das, da sind wir gebetsmühlenartigen Forderungen nach Steuersenkun- uns doch sicher einig, gereicht zum Nachteil des Verbrau- gen und wird der FDP im Wahlkampf um die Ohren flie- chers, oder, wie Sie es nennen, des Konsumenten. gen. Die Menschen wollen Konzepte und keine Klientel- politik. Sie von der FDP bemängeln nun, dass Wettbewerb ver- stärkt an der Konsumentenwohlfahrt ausgerichtet werden soll. Aber wozu soll Wettbewerb denn sonst dienen? Was Vizepräsidentin Petra Pau: ist falsch daran, wenn der Strom bezahlbar bleibt und die Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Erderwärmung begrenzt wird? Denn genau das verstehe Drucksache 16/7522 an den Ausschuss für Wirtschaft ich unter Konsumentenwohlfahrt. und Technologie vorgeschlagen. Sind Sie damit einver- standen? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so Damit wir uns richtig verstehen: Auch wir Grüne sind beschlossen. für Wettbewerb. Auch wir glauben, dass nur durch Wett- bewerb Fortschritt zum Wohle des Verbrauchers und des Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf: Klimas entstehen kann. Der Unterschied zu Ihnen ist Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia aber, dass wir echten und fairen Wettbewerb herstellen Behm, Peter Hettlich, Nicole Maisch, weiterer und sichern wollen, und dafür ist auch Regulierung nötig. Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Für eine solche Wettbewerbspolitik haben wir den Be- DIE GRÜNEN griff der Grünen Marktwirtschaft geprägt. Für einen öko- logischen Umbau brauchen wir die Dynamik der Märkte. Verkehrsprojekt 17 Deutsche Einheit jetzt be- enden – Kein Ausbau des Sacrow-Paretzer- Eine konsequente Wettbewerbspolitik kann vermachtete Märkte wie die Energie- und Lebensmittelmärkte aufbre- Kanals chen und Verbraucherrechte stärken. Denn Wettbewerb – Drucksache 16/12116 – setzt Anreize für Investitionen sowie für soziale und tech- Überweisungsvorschlag: nologische Innovationen. Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Wir wissen aber auch, dass Märkte an sich ökologisch Ausschuss für Tourismus und sozial blind sind. Für dieses Marktversagen benöti- Haushaltsausschuss gen wir einen Ordnungsrahmen, der politisch gesetzt wird. Dazu gehört auch, dass Umweltkosten in das indi- Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die (B) (D) viduelle Entscheidungskalkül integriert werden. Hier Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die wollen wir in erster Linie marktwirtschaftliche Instru- Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Renate mente wie Steuern, Zertifikate und Informationen nutzen. Blank für die Unionsfraktion, Jörg Vogelsänger für die SPD-Fraktion, Hans-Michael Goldmann für die FDP- Wenn man sich die Vorstellungen der FDP zur Ener- Fraktion, Diana Golze für die Fraktion Die Linke und giepolitik anguckt, stellt man fest: Wir sind in vielem gar Cornelia Behm für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. nicht so weit voneinander entfernt. Auch die FDP will die Stromübertragung von der Stromerzeugung trennen und Renate Blank (CDU/CSU): damit auch kleineren Anbietern, die oft dezentral Strom Wir wollen weiterhin die Wettbewerbsfähigkeit der aus erneuerbaren Energien erzeugen, den Marktzutritt deutschen Binnenschifffahrt erhalten und sichern, um so erleichtern. Auch die FDP will die Photovoltaik mit de- unter wirtschaftlichen Betrachtungen mehr Güterverkehr gressiv ausgestalteten Steuerzuschüssen fördern. von der Straße auf das Wasser zu verlagern. Aus diesen Aber dann wird es wieder schizophren. Die FDP will Gründen befürworten wir den Ausbau der Havel zu einer die Laufzeiten von Atomkraftwerken verlängern. Dabei verkehrstüchtigen und effizienten Wasserstraße. Dabei sind weder die Sicherheit von Atomkraftwerken gegeben kommt dem Verkehrsprojekt Deutsche Einheit 17 eine be- noch die Endlagerproblematik gelöst oder die Verfügbar- sondere Bedeutung zu. keit von Uran dauerhaft gewährleistet. Diese Unsicher- Beim vorliegenden Antrag der Grünen-Fraktion erin- heiten verursachen sowohl externe Kosten als auch Kos- nere ich mich zunächst daran, dass der heute gültige ten für die kommenden Generationen, die sämtlich nicht BVWP, der auch das 1992 beschlossene VDE Nr. 17 wei- oder nur zum Teil in den Preisen der Betreiber von Atom- ter als „vordringlich“ beinhaltet, im Jahr 2003, also in kraftwerken enthalten sind. Und das ist extrem wettbe- der Regierungszeit von Rot-Grün, beschlossen wurde. werbsverzerrend. Die Grünen-Fraktion hat dem damals im Bundestag zu- Vollends absurd wird es, wenn man sich die kleinen, gestimmt, freilich nicht ohne hinterher eine Pressemittei- aber feinen Ausnahmen anguckt, die die FDP für ihre Kli- lung mit Eigenlob zu verbreiten, die, wahrscheinlich um entel macht: Von den einen wird laut gefordert, sie sollten die eigene Klientel zu beruhigen, triumphierend darauf sich dem rauen Klima der Globalisierung stellen. Ganz hinweist, dass gleichzeitig dafür gesorgt wurde, dass der besonders auf dem Arbeitsmarkt. Für Ärzte, Apotheker, Finanzrahmen in den nächsten Jahren ohnehin nicht für Architekten, Handwerksmeister, Rechtsanwälte und viele eine Verwirklichung ausreichen werde. Das ist nicht ge- andere Selbstständige aber verteidigt die FDP dagegen rade das, was ich unter „Nachhaltigkeit“ verstehen die schützenden Standesprivilegien. Markt und Wettbe- würde; das ist ein durchsichtiges Doppelspiel. 24120 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Renate Blank (A) Meine Damen und Herren von den Grünen, auch an- wegen genommen werden könnte; denn Sie wissen sehr (C) gesichts nahender Wahlen macht die permanente Wieder- wohl, dass man Verkehrswege tatsächlich in einem völlig holung von falschen Behauptungen diese nicht wahrer: anderen Zeithorizont planen und bauen muss. Wie Sie sehr wohl wissen, gibt es, was den wasserrechtli- chen Teil anbelangt, überhaupt keine negativen Auswir- Der von Ihnen geforderte Verzicht auf den Ausbau der kungen auf die Landschaft vor Ort, keine negativen mittleren Havel nach Wasserstraßenklasse V und ein Ver- Auswirkungen auf das Weltkulturerbe in . Ich zicht auf 2,80 Meter Abladetiefe bedeutet 25 Prozent empfinde es als mehr als seltsam, dass die lokale Natur- Mehrkosten für Massenguttransporte der Energie- und schutzszene auf der einen Seite dieses Projekt großartig Bauwirtschaft sowie die Stahlindustrie und die Land- und lobt und sagt, wie toll das alles ist. Auf der anderen Seite Forstwirtschaft und den Verzicht auf einen netzkonfor- gibt es Klagen. Das ist kein gradliniger Weg, der einge- men Anschluss an das standardisiert ausgebaute euro- schlagen wird. Das Verkehrswegeprojekt Deutsche Ein- päische Wasserstraßennetz für Hersteller hochwertiger heit Nr. 17 ist zwar schon über die Hälfte abgeschlossen, Anlagentechnik – Generatoren, Transformatoren, Wind- bietet aber immer noch zahlreiche Chancen zur Aufwer- kraftanlagen etc.. Das kann zu Negativentscheiden bei tung der Gewässerqualität und des Naturschutzes entlang der Standortauswahl für Neuansiedlungen und mittelfris- der mittleren Havel. So wurden zum Beispiel bereits sämt- tig auch zu Standortverlagerungen von Herstellern liche erforderlichen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen schwerer und großformatiger Industriegüter führen. außerhalb des Baufeldes für den geplanten Ausbau des Übertragen auf die Bahninfrastruktur würden die Forde- Sacrow-Paretzer-Kanals realisiert, obwohl mit den ei- rungen der Ausbaugegner bedeuten, dass die Gleisanla- gentlichen Baumaßnahmen für dieses Teilprojekt noch gen in Berlin und , bei anstehenden Ersatz- gar nicht begonnen wurde! investitionen, nur noch auf die Spurweite der Harzer Schmalspurbahnen ausgelegt würden. Ich kann mir kaum Was ist eigentlich in den letzten Jahren geschehen? Im vorstellen, dass Sie das wollen! In diesem Zusammen- Antrag wird ja doch der Eindruck erweckt, als ob das Ver- hang staune ich übrigens über die im Antrag geäußerte kehrsprojekt 17 noch den gleichen Planungsstand wie zu bizarre Meinung, die Erhöhung der LKW-Maut würde der Zeit habe, als es 1992 gestartet wurde. Das VDE 17 40 Zentimeter Abladetiefe quasi überflüssig machen – wurde seinerzeit – unter meiner Beteiligung – in den das ist, vorsichtig ausgedrückt, reines Wunschdenken und BVWP 1992 aufgenommen und beruhte damit folgerich- geht an den Realitäten vorbei! tig auf den damals erstellten Verkehrsprognosen für den Die Binnenschifffahrt muss den Transport für circa Zeithorizont 2010. Inzwischen wurden die Prognosen be- 200 Euro pro Container anbieten, um konkurrenzfähig zu kanntlich für den Bundesverkehrswegeplan 2003 überar- Lkw – 350 bis 450 Euro pro Container – und Bahn – circa beitet – Prognosehorizont war dort das Jahr 2015. Auch 300 Euro pro Container – am Markt operieren zu können. (B) danach wurde das Projekt, wie erwähnt, in den vordring- (D) Auf einen Ausbau für das „Großmotorgüterschiff“ mit lichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplanes 2003 über- 110 Meter Länge und 11,45 Meter Breite kann daher nicht nommen. Seit Dezember 2007 gibt es nun auch eine Lang- verzichtet werden. Anderenfalls findet die auch umwelt- fristprognose für den Zeithorizont 2025. Allein schon aus politisch von uns allen gewollte Verlagerung von Contai- dem zu erwartenden Seehafenhinterlandverkehr ergeben nerverkehr auf das Binnenschiff nicht statt. Viele Exper- sich dabei enorme Chancen für die Binnenschifffahrt. ten sind schon heute der Auffassung, dass die vorhandene Seit dem Jahr 2004 sind die Umschlagleistungen der Straßen- und Gleisinfrastruktur im Seehafenhinterland- Binnenschifffahrt in Berlin übrigens um über 30 Prozent verkehr nicht mehr in der Lage ist, die mittelfristig erwar- und in Brandenburg um über 17 Prozent angestiegen. tete weitere Verdopplung des Containerverkehrs aus den Heuer kann erstmals eine durchgehende Brückendurch- bzw. in die Seehäfen ab- bzw. anzufahren. fahrtshöhe von mehr als 4,50 Meter zwischen den Nord- Die Ausbauvorhaben haben auch keine negativen Aus- seehäfen und Berlin und Brandenburg angeboten werden. wirkungen auf die Wasserstände in der Region: Nach Damit wird die Wirtschaftlichkeitsschwelle für Contai- vollständiger Realisierung des VDE 17 entsprechend ak- nertransporte überschritten, sodass aktuell eine Zu- tuellen Ausbauplanungen ergeben sich für die Stauhal- nahme des Verkehrs auf der Wasserstraße zu erwarten ist. tung Brandenburg an der Havel nach den aktuellsten Er- Verkehrsminister Tiefensee hat in einer Presseerklä- kenntnissen keine nennenswerten Veränderungen der rung vom März 2008 in aller Deutlichkeit klargestellt, Oberflächen- und Grundwasserverhältnisse. Als proble- dass er konsequent an der wirtschaftlichen Anbindung matisch ist allenfalls die Veränderung der Überflutungs- des Westhafens Berlin an das europäische Wasserstra- dynamik auf den natürlichen Überflutungsflächen der ßennetz der Wasserstraßenklasse Vb festhält, und hat Havel bei Hochwasser zu betrachten. Hauptursächlich dazu auch noch einmal explizit die wichtigsten Projekt- sind hierbei allerdings die Veränderungen im Wasserdar- ziele für den Ausbau benannt: Zulassung des Verkehrs gebot, welches von der Binnenschifffahrt und vom Ver- mit Großmotorgüterschiffen und Schubverbänden bis kehrswasserbau nicht beeinflusst werden kann. Zu Hoch- 185 Meter Länge und 2,80 Meter Abladetiefe. zeiten der DDR-Braunkohlenförderung wurden noch mehrere Milliarden Kubikmeter Grundwasser aus den Erwecken Sie auch bitte nicht wieder den Eindruck, Tagebauen abgepumpt und über Spree und Schwarze Els- dafür sind Sie, Kolleginnen und Kollegen der Grünen, ter abgeleitet. Dadurch wurde der natürliche Abfluss der viel zu sehr versierte Verkehrspolitiker, dass die aktuelle Spree um zeitweise über 30 m³/s aufgehöht. Die daraus Delle im Bereich des Güterverkehrs bzw. im Bereich der bereits eingetretenen Veränderungen der Überflutungs- Logistik nun als Messlatte für den Ausbau von Verkehrs- dynamik sind deutlich gravierender als die aus dem

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Renate Blank (A) VDE 17 zu erwartenden. Die Bewältigung der aus den die Bewahrung einer nachhaltigen Kultur- und Natur- (C) Veränderungen resultierenden Konflikte für Natur und landschaft müssen keine Gegensätze sein. Landschaft ist also eine Gemeinschaftsaufgabe, für die das Know-how und die Ressourcen des Verkehrswasser- Die aus dem internationalen Flaggenalphabet abge- leitete Flagge des Aktionsbündnisses zum Havelausbau- baus in idealer Weise genutzt werden können. stopp steht für den Buchstaben „L“ und bedeutet für die Die „FAZ“ und der „Berliner Tagesspiegel“ publizier- Schifffahrt „Bringen Sie Ihr Fahrzeug sofort zum Ste- ten im vergangenen Jahr wieder einmal die Mär von den hen!“. Während einer sportlichen Regatta steht die faulenden Fundamenten der Potsdamer Schlösserland- schwarz-gelbe Flagge jedoch auch für „Bitte kommen Sie schaft durch sinkende Wasserstände infolge des umwelt- in Rufweite!“. In diesem Sinne rufe ich Ihnen zu, die gu- verträglichen Ausbaus der mittleren Havel zur Wasser- ten Argumente, die für den Ausbau des Sacrow-Paretzer- straßenklasse V. Dabei weiß man längst, dass das VDE 17 Kanals sprechen, nicht aus ideologischen und vermeint- keine Bedrohung, sondern eine Chance für die Funda- lich populistischen Gründen zu überhören. mente der kulturhistorisch wertvollen Bauwerke dar- stellt. Die für die Gründung und die Standsicherheit der Jörg Vogelsänger (SPD): Gebäude maßgebenden Wasserstände sind die Niedrig- Die Schifffahrt ist als Transportmittel zweifellos das wasserstände. Insbesondere bei den holzpfahlgegründe- umweltfreundlichste Verkehrsmittel für den Gütertrans- ten Baudenkmälern, wie dem Marmorpalais im Neuen port, insbesondere bei Massengütern. Der Energiever- Garten und der Sacrower Heilandskirche kann ein Absin- brauch pro Tonne und Kilometer liegt weit unter dem von ken der Niedrigwasserstände von negativer Bedeutung Straße und auch Schiene. Deshalb sollten wir dem Trans- sein, wenn die hölzerne Gründungskonstruktion oberhalb portmittel Schiff nicht negativ gegenüberstehen. Wir dür- des Grundwasserspiegels freiliegt und die Wassersätti- fen uns notwendigen Maßnahmen und Investitionen an gung des Holzes abnimmt. Dann besteht die Gefahr eines der Wasserstraße nicht verschließen. Pilzbefalls, welcher zur Entfestigung des Holzes und nachfolgend zu bauwerksschädigenden Setzungen führen Bezüglich des Verkehrsprojektes „Deutsche Einheit“ kann. Die Niedrigwasserstände werden durch den Aus- Nr. 17 gab es zahlreiche Untersuchungen und Erörterun- bau der Havel jedoch nicht verändert! Damit wird das gen. Das war notwendig, und in dessen Folge sind die VDE 17 sogar zur wichtigsten Chance für die Festschrei- Ausbaumaßnahmen beim Projekt 17 kaum noch ver- bung hoher Niedrigwasserstände in der Stauhaltung gleichbar mit den Planungen Anfang der 90er-Jahre. Das Brandenburg und damit zum wichtigsten Verbündeten ist auch ein Erfolg von engagierten Bürgerinnen und Bür- baufachlich interessierter Beschützer kulturhistorisch gern, die sich hier eingebracht haben. Das deutsche Pla- wertvoller Bauwerke. nungsrecht bietet hierfür vielfältige Möglichkeiten. Die (B) Forderung, die Binnenschiffe sollten sich ausschließlich (D) Der geplante Ausbau des Sacrow-Paretzer-Kanals ist den Wasserstraßen anpassen, nützt uns dabei jedoch we- nicht nur wichtig für die weitere Entwicklung der preis- nig. Wir brauchen eine leistungsfähige Wasserstraßen- werten, sicheren, schadstoffarmen und lärmfreien Bin- infrastruktur. Durch die deutsche Teilung und die DDR- nenschifffahrt in Berlin und Brandenburg, er zeigt auch Mangelwirtschaft wurde die Wasserstraße systematisch neue Wege zur kooperativen und ergebnisorientierten Be- vernachlässigt. Im Übrigen sind Kanäle künstliche Was- wältigung der naturschutzfachlichen Eingriffsregelung serstraßen. Der Sacrow-Paretzer-Kanal ist zwischen auf. Eine schnelle Verwirklichung des Projekts erachte 1874 und 1876 von Menschen geschaffen worden. Eine ich daher als wichtig und richtig, da es in dieser außer- Wasserstraße muss, wie bei anderen Verkehrswegen gewöhnlichen Situation einer besonderen Anstrengung auch, immer wieder modernisiert werden. Diese Maß- bedarf, um auch die Auswirkungen der globalen Wirt- nahme gefährdet zudem nicht die Potsdamer Kulturland- schaftskrise für die örtliche Wirtschaft und für die Bevöl- schaft. kerung so gering wie möglich zu halten Die Modernisierung des Sacrow-Paretzer-Kanals er- folgt im Einvernehmen mit dem Land Brandenburg, und Die Zeiten einer Frontbildung, hier „guter“ Umwelt- es ist kein massiver Ausbau vorgesehen. Das Land Bran- schützer, da „böser“ Verkehrspolitiker, sollten vorbei denburg hat ein hohes Interesse an Investitionen in die sein, noch dazu wenn es um den ökologischen Verkehrs- Wasserstraße. Ein gemeinsamer Erfolg von Bund und träger Binnenschifffahrt geht. Wir räumen den Belangen dem Land Brandenburg ist erst kürzlich erzielt worden von Natur und Landschaft einen hohen Stellenwert ein. mit dem abgesicherten Neubau des Schiffshebewerkes Auch wenn es manche nicht wahrhaben wollen, so haben Niederfinow. Zudem stellt der Bund, mit mehrheitlicher Verkehrswasserbauer und Naturschützer doch eine große Unterstützung des Bundestages, zusätzliche Mittel für die Interessenschnittmenge rund um die Nutzungskonflikte Wasserstraße über das Konjunkturprogramm bereit. Da- zum Thema Binnenschifffahrt. Für Konfliktpunkte zwi- mit investieren wir verstärkt in ein ökologisches Ver- schen wasserbaulichen Maßnahmen und Naturschutz kehrsmittel. Eine leistungsfähige Anbindung an das gut können vielfach umweltgerechte Lösungen gefunden wer- ausgebaute westeuropäische Binnenwasserstraßennetz den. Ich appelliere daher an alle Beteiligten, auf der Ba- und auch den Hafen Szczecin wird für Berlin/Branden- sis einer konstruktiven Diskussion gemeinsam die enor- burg ein Standortvorteil werden. men Chancen zu nutzen, die sich uns beim Ausbau der Wasserstraßen und der Bewahrung unserer Natur bieten. Selbstverständlich gibt es bei überregionalen Verkehrs- Die Entwicklung einer leistungsfähigen Verkehrsinfra- projekten immer wieder regionale Widerstände. Es ge- struktur wie der Ausbau der Bundeswasserstraßen und hört zu unserem demokratischen System, dass man hier

Zu Protokoll gegebene Reden 24122 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Jörg Vogelsänger (A) auch entsprechende Rechtsmittel nutzt. Für uns Verkehrs- gründet, dass es einen Bedarf gibt. Und dieser Bedarf lei- (C) politiker bleibt die stärkere Nutzung der Wasserstraße tet sich aus dem Verkehrsaufkommen ab, das auf einer durch die Binnenschifffahrt eines der wichtigstes Ziele. Straße oder, wie in diesem Fall, auf einem Kanal erwartet Die Ausbaumaßnahmen am Sacrow-Paretzer-Kanal hal- wird. Dazu werden Verkehrsprognosen erarbeitet, die zei- ten wir hierfür für notwendig und angemessen. gen, ob der Verkehr ausreicht, ein Projekt zu bauen – oder nicht. Dass ich mit meinem Anspruch an Verkehrswege- Hans-Michael Goldmann (FDP): planung nicht ganz verkehrt liege, wird dadurch deutlich, Seit 15 Jahren läuft das Verkehrsprojekt 17 zur Deut- dass dies seit jeher auch vom Verkehrsministerium so ge- schen Einheit. Stets zu knappe Mittelzuweisungen haben handhabt wird. Auch wenn wir bei einigen Planungen zu zu jahrelangen Verzögerungen geführt. Jetzt sind wir end- anderen Ergebnissen kommen würden, sollte wenigstens lich fast fertig, die Anbindung an das Wasserstra- diese auf der Basis von fundierten Erhebungen fußende ßennetz ist fast abgeschlossen, da kommen die Grünen Arbeitsweise gängige Praxis bleiben. wie Kai aus der Kiste und wollen die bisherigen Investi- Beim Ausbau des Sacrow-Paretzer-Kanals bekommt tionen ad absurdum führen. Sie sehen Probleme, wo es man allerdings den Eindruck, dass Verkehrsprognosen keine gibt. die WSD Ost gar nicht interessieren. Sie ist offenkundig Bereits 2003 hat die Bundesregierung (der damals die der Auffassung, dass die Zahlen für die Festlegung des Grünen noch angehörten) auf eine Kleine Anfrage der Bedarfes eines Ausbaus unerheblich sind. Dass dabei die FDP geantwortet, dass die Beeinflussungen des Grund- Parlamentarische Staatssekretärin Karin Roth in der wasserstandes durch den Kanalausbau kleiner als die Fragestunde am 24. September 2008 Schützenhilfe gege- normalen jährlichen Schwankungen sind. Außerdem sei ben hat, macht den Sachverhalt noch ein Stück makabe- Potsdam in seinem Status als Weltkulturerbe nicht beein- rer. trächtigt. Gilt das alles nicht mehr, weil die Grünen jetzt Wenn man sich die entsprechenden Verkehrsprognosen in der Opposition sind? allerdings einmal ansieht, dann weiß man natürlich auch, Auch verkehrswirtschaftliche Entwicklungen verursa- warum das Ministerium und die WSD Ost diese nicht be- chen keinen neuen Entscheidungsdruck. Eindeutig ist, rücksichtigen wollen: Die Ende 2007 vorgelegten Zahlen dass der Kanalausbau ohne Alternative ist, weil eine liegen nämlich um 70 bis 80 Prozent unter den früheren Nordumgehung nicht nur teurer, sondern auch umwelt- von Anfang der 1990er-Jahre. Der Schildbürgerstreich schädigender wäre. Eine alleinige Sanierung des Kanals wird dadurch komplett, dass die Ausbauentscheidung auf ist ebenfalls nicht sinnvoll, weil dann in drei betroffenen diesen alten Prognosen beruht. Mit den aktuelleren Erhe- Seen Wartestellen einzurichten wären. bungen wäre freilich der Ausbau nicht mehr zu rechtfer- (B) tigen. Dabei kennt die Bundesregierung die Fakten! In (D) Mit Bedauern ist weiterhin festzuhalten, dass der all- ihrer gestern eingetroffenen Antwort auf eine Kleine An- gemeine Zustand der Wasserstraßen in den neuen Län- frage meiner Fraktion, die auf meine Initiative hin einge- dern auch 20 Jahre nach dem Mauerfall immer noch reicht wurde, werden sie alle aufgelistet. Andererseits schlecht ist, teilweise sogar schlechter als zu Zeiten der verschweigt die gleiche Staatssekretärin hier die Zahlen DDR. Die von Anfang an zu niedrigen Mittelzuweisungen aus den alten Prognosen – und damit die erhebliche Dif- wurden unter Rot-Grün noch einmal verschlechtert. ferenz. Auf die schwerwiegenden ökologischen Folgen Umso wichtiger ist es, dass wir uns endlich der Fertig- will ich an dieser Stelle gar nicht eingehen. Die verkehrs- stellung des VDE 17 nähern. politischen und haushaltspolitischen Gründe reichen völ- Zu Recht weisen die Industrie- und Handelskammern lig aus, dieses Projekt umgehend zu beenden. auf die Standortwirkung des fertigen VDE 17 hin. Die rot-rote Koalition in Berlin ist mit gutem Beispiel 120 Häfen und Umschlagstellen werden hierdurch ver- vorangegangen: Das Abgeordnetenhaus hat einen Be- bunden. Wir können nicht immer nur von der Verlagerung schluss gefasst, im Berliner Abschnitt des VDE 17 auf den des Güterverkehrs von der Straße auf Wasserwege reden, Ausbau zu verzichten. Warum kann nicht in Brandenburg wir müssen dann auch die Voraussetzungen für eine sol- das gehen, was auch in Berlin gehen kann? Wir brauchen che Verlagerung schaffen. keinen Ausbau für den reibungslosen Begegnungsverkehr auf dem Sacrow-Paretzer-Kanal, und wir brauen auch Diana Golze (DIE LINKE): keine Vertiefung auf eine Abladetiefe von 2,80 Meter. Die Planungen zum Sacrow-Paretzer-Kanal sind ein Wenn es ein Wachstum in der Binnenschifffahrt gibt, dann Schildbürgerstreich erster Güte. Was sich die Wasser- bei den zweilagigen Containerverkehren. Für die reichen und Schifffahrtsdirektion Ost – WSD Ost – hier leistet, 2,20 Meter Abladetiefe aber aus. Deswegen reicht eine muss einmal in aller Ausführlichkeit gewürdigt werden. Sanierung des Kanals völlig aus. An erster Stelle auf dieser Negativ-Würdigungsliste Ich bin allerdings nicht völlig ohne Hoffnung, dass steht für mich, dass ein Planfeststellungsbeschluss ohne sich das Verkehrsministerium und die WSD Ost doch substanzielle Begründung erlassen wurde. Mit substan- noch Sachargumenten öffnen. Schließlich ist gegen den ziell meine ich, dass keine konkreten Verkehrszahlen ge- Planfeststellungsbeschluss eine Klage des BUND anhän- nannt werden. Ein so großes Projekt zu planen, ohne es gig, die angesichts der völlig unzureichenden Projektbe- mit konkreten Fakten zu unterlegen, ist nicht nur für mich gründung sehr aussichtsreich ist. Auch die Stadt Potsdam mehr als fragwürdig. Wer sich ein wenig mit Verkehrspo- klagt. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts litik beschäftigt, weiß: Verkehrsprojekte werden damit be- wird erst nach der Bundestagswahl erwartet. Die Bun-

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Diana Golze (A) desregierung hat also noch etwas Zeit, ihr Gesicht zu Zahlreiche Verbände und Initiativen engagieren sich ge- (C) wahren und vor einem vernichtenden Urteil ihre Planun- gen den Ausbau. Sie können und wollen nicht einsehen, gen zu stoppen. dass für ein unrentables Wasserstraßenbauprojekt nicht nur Millionen Euro im märkischen Sand verschwinden Statt Stück für Stück die veralteten Planungen zu rea- sollen, sondern wertvolle Kulturlandschaft und Natur lisieren – mit einer erheblichen Verschwendung von Steu- massiv beeinträchtigt werden. Statt Geld für juristische ergeldern –, fordere ich die Bundesregierung dazu auf, Auseinandersetzungen auszugeben, sollte die Bundesre- auf Basis der aktuellen Verkehrsprognosen und der gierung den Planfeststellungsbeschluss schnellstmöglich aktuellen Entwicklung in der Binnenschifffahrt ein neues aufheben. Gesamtkonzept für die Elbe und die Wasserstraßen öst- lich der Elbe zu entwickeln. Am 20. April 2009 erklärte die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Verkehr, Bau Die für diesen Ausbau geplanten 65 Millionen sollen und Stadtentwicklung Karin Roth bei einem Ortstermin, hier völlig sinnlos verschwendet werden. Wie Sie sich si- dass ein Ausbau des Teltowkanals „vom Tisch“ sei. Da- cher vorstellen können, hätte ich viele Vorschläge, wo mit entfällt auch die Begründung für den Ausbau der man dieses Geld nutzbringender verwenden könnte. Die Kleinmachnower Schleuse auf 190 Meter. Für die Bin- Bezeichnung „nachhaltig“ würden zum Beispiel auch die nenschifffahrt zwischen Elbe und Spree herrschen bereits Investitionen in den Kita-Ausbau und in Bildung verdie- heute wettbewerbsfähige Bedingungen. 1,3 Milliarden nen. Und wenn es nur dafür gut ist, dass die kommende Euro Bundesmittel sind bisher für das VDE 17 verbaut Generation bedachter und klüger mit unserer Umwelt worden. 800 Millionen bis 1 Milliarde Euro an Baukosten umgeht, weil sie es besser weiß. sind noch in der Planung. Angesichts von Klimakrise, Finanzkrise und Wirtschaftskrise – alles Krisen der Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nachhaltigkeit – sollte die Bundesregierung jetzt nicht Das Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nummer 17 stur an alten Plänen festhalten, sondern auf die War- (VDE 17) ist ein Überbleibsel aus einer Zeit großer nungen und Mahnungen der Fachleute hören. Wenn das Wachstumshoffnungen und Träume von großen Güter- VDE 17 jetzt geordnet beendet wird, werden Finanzmittel frachten per Binnenschiff durch Ostdeutschland. Wie frei, die in Klimaschutz und nachhaltige Arbeitsplätze in- viele Träume kurz nach der Wiedervereinigung haben vestiert werden können. Wir brauchen keine Wasserauto- sich auch diese nicht erfüllt. Die Bundesregierung muss bahnen, die in die Sackgasse führen, sondern Wege in die nun endlich der Realität Rechnung tragen und das Zukunft. Am Green New Deal führt kein Weg vorbei! VDE 17 geordnet beenden, und zwar so schnell wie mög- lich. Vizepräsidentin Petra Pau: (B) Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf (D) Die den Planungen des Wasserstraßenausbaus zu- Drucksache 16/12116 an die in der Tagesordnung aufge- grunde liegenden Prognosen für Gütertransporte aus den führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- Jahren 1992 und 1995 sind inzwischen um 70 bis 80 Pro- verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung zent nach unten korrigiert worden. Die aktuelle, im Auf- so beschlossen. trag des Bundesverkehrsministeriums erstellte „Pro- gnose der deutschlandweiten Verkehrsverflechtungen Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf: 2025“ rechnet, bezogen auf das Jahr 2004, in der Region Beratung des Antrags der Abgeordneten Martin Berlin-Brandenburg mit einer Reduzierung des Binnen- Zeil, Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, weiterer schifffahrtsgüterverkehrs um 26 Prozent. Vor diesem Hin- Abgeordneter und der Fraktion der FDP tergrund droht mit den bestehenden Ausbauplänen mas- sive Steuerverschwendung. Kompetenzen des Bundeskartellamts weiter- entwickeln Die Überdimensionierung der Ausbaupläne zeigt sich am im letzten Jahr planfestgestellten, 12,7 Kilometer lan- – Drucksache 16/8078 – gen Projektteilstück des Sacrow-Paretzer-Kanals. Weder Überweisungsvorschlag: östlich noch westlich dieses Teilstücks wurden bisher Pla- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) nungsverfahren eingeleitet. Trotzdem soll der Kanal von Ausschuss für Arbeit und Soziales derzeit 3,2 Meter auf 4 Meter vertieft werden. Das nörd- Auch hier sollen, wie in der Tagesordnung ausgewie- liche Ufer soll im Schnitt 4 bis 5 Meter verbreitert wer- sen ist, die Reden zu Protokoll genommen werden. Es den. Dafür müssten über 800 Bäume gefällt werden. Es handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und sind überwiegend über 100-jährige und aus Naturschutz- Kollegen: Dr. Georg Nüßlein für die Unionsfraktion, sicht sehr wertvolle Exemplare. Dabei ist auf dem Kanal Reinhard Schultz für die SPD-Fraktion, Gudrun Kopp lediglich mit zwei Großmotorgüterschiffen täglich und für die FDP-Fraktion, Dr. Herbert Schui für die Fraktion alle zehn Tage mit einem Großschubverband zu rechnen. Die Linke, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn für die Statt eines Vollausbaus für Begegnungsverkehr auf Ka- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. nallänge könnte man genauso gut Wartestellen vorsehen. Wegen der starken Beeinträchtigung von Natur, Land- Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): schaft und Wasserhaushalt wird der Planfeststellungsbe- Gratulation an die FDP: Dies ist ein über weite Strecken schluss von der Stadt Potsdam sowie dem Umweltver- sehr gelungener Antrag. Aber leider kommen wir zwar zu band BUND vor dem Bundesverwaltungsgericht beklagt. ähnlichen, aber nicht zu denselben Schlussfolgerungen. 24124 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Dr. Georg Nüßlein (A) Sie sprechen mir aus dem Herzen, wenn Sie fordern, Nachteile infolge der Allgemeinverbindlicherklärung auf (C) die Kompetenzen des Bundeskartellamtes zu erweitern. den betroffenen Märkten zu bewerten sind. Ich begrüße Auch ich halte gut aufgestellte Wettbewerbshüter für das ein derartiges Anhörungsrecht ausdrücklich. So könnte Funktionieren einer Marktwirtschaft für unerlässlich. das Bundeskartellamt – um im Bild zu bleiben – vom gut Wenn wir in wirtschaftspolitischen Entscheidungen verstauten Kompass in der Schublade des Schiffs zu einem Macht und Schutzregeln umstrukturieren, um der Markt- sichtbar angebrachten Navigationsgerät werden, dem die wirtschaft ihren Rahmen zu setzen, schreit jede Lobby Politik nicht folgen muss, aber kann. Der Vorschlag der auf, die bisher davon profitierte: mal die Gewerkschaften, Monopolkommission ist also ein Schritt in die richtige mal die Unternehmen. Sie alle werden im Gesetzgebungs- Richtung. verfahren über die Verbändeanhörungen berücksichtigt. Wettbewerb hingegen hat keine Lobby. Deshalb müssen Das Bundeskartellamt ist dazu aufgefordert, verstärkt als wir – das Parlament und die Regierung – ihn durch unser Lobby für das Wettbewerbsprinzip einzutreten. Wir sind Handeln durchsetzen und schützen. Alleine können wir dazu aufgefordert, dieses Eintreten für den Wettbewerb zu diese Arbeit nicht leisten, darum haben wir die Kartell- institutionalisieren. Die Wettbewerbsbehörden müssen in und Regulierungsbehörden. Dass sie gestärkt werden den politischen und administrativen Entscheidungsprozess müssen, steht außer Frage. Funktionierender Wettbewerb bei wettbewerblich relevanten Themen mit eingebunden ist ein hohes Gut in unserem Wirtschaftssystem. Wenn der sein. Auf diese Weise könnten sie negative Effekte auf den Wettbewerb ausgeschaltet wird, zahlt der Verbraucher Wettbewerb in neuen Regelungen, Gesetzen und Einzel- letzten Endes die Zeche. fallentscheidungen aufdecken und dazu Stellung nehmen. Wissen Sie, dass unser ehemaliger Bundeswirtschafts- Werte Damen und Herren von der FDP, Sie gehen in minister Glos ein Anhörungsrecht für das Bundeskartell- Ihrem Antrag aber leider nicht nur diesen einen Schritt, amt als Anwalt des Wettbewerbs noch während seiner Sie schießen über das Ziel hinaus: Sie fordern, den Wettbe- Amtszeit wiederholt gefordert hat? Auch unser derzeitiger werbsbehörden gleich bei allen Gesetzgebungsprozessen Wirtschaftsminister zu Guttenberg vertritt diese Meinung. die institutionalisierte Möglichkeit zu geben, sich zu den Und ja, auch ich sehe, dass unser momentaner wirt- wettbewerblichen Auswirkungen des geplanten Gesetzes zu schaftspolitischer Kurs – als beispielhaft möchte ich hier äußern. Haben Sie schon über die bürokratischen Konse- die Mindestlöhne, die Abwrackprämie oder auch die quenzen nachgedacht? Kann das Bundeskartellamt diese Gesundheitsreform benennen – in eine Richtung geht, die Arbeit personell überhaupt leisten? Und wo bleibt die einen überzeugten Ordnungs- und Wettbewerbspolitiker Schlagkraft einer Äußerung des Bundeskartellamts, wenn wie mich sehr nachdenklich stimmt. Manchmal drängt sich sich zukünftig die Wettbewerbshüter inflationär bei jedem mir der Eindruck auf, als sei uns politischen Entscheidungs- Gesetzesvorhaben bemüßigt fühlen, eine Stellungnahme (B) trägern im stürmischen Koalitionsmeer der Kompass abzugeben? Heute merkt noch jeder Abgeordnete auf, (D) abhanden gekommen – der Kompass, der uns zeigt, wenn das Bundeskartellamt mit einem Anliegen an seine welche gravierenden wettbewerblichen Auswirkungen so Tür klopft. manche bereits getroffene politische Entscheidung hat. Fest steht: Die flexible und pragmatische Handhabung Staatliche Markteingriffe laufen immer Gefahr, wesent- des Wettbewerbsrechts und die Nutzung seiner Spiel- liche Anreizmechanismen für Unternehmen außer Kraft räume ist das Gebot der Stunde. Ich bin fest davon über- zu setzen. Wettbewerb kann also – und das müssen wir uns zeugt, dass das BMWi die zentrale Idee Ihres Antrags wei- mehr denn je vor Augen führen – von zwei Seiten einge- terverfolgen wird. schränkt werden: den Unternehmen einerseits, aber andererseits auch durch staatliches Handeln. Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Unternehmerische Wettbewerbsbeschränkungen erfor- Freier Wettbewerb braucht Regeln – und die setzt die dern von den Kartellbehörden in der heutigen Welt opti- Politik! Der Antrag der FDP ist ein weiterer durchsichti- mierte kartellrechtliche Instrumente und geeignete Koope- ger Versuch, ihrem marktradikalen Ansatz zum Durch- rationsmechanismen. Hieran arbeiten wir beständig. bruch zu verhelfen. Erfüllungsgehilfe soll an dieser Stelle Staatlich verursachte Wettbewerbsverzerrungen erfordern, das Bundeskartellamt sein. Mittels Anhörungsrecht soll dass die Kartellbehörden die Möglichkeit haben, für das das Bundeskartellamt dafür sorgen, dass die Politik keine Wettbewerbsprinzip offensiv einzustehen und zu werben. wirtschaftspolitischen Entscheidungen trifft, die die Bisher haben sie diese Möglichkeit nur über Umwege: freien Kräfte des Marktes beschneiden. Nicht mit uns, Mögliche praktische Marktauswirkungen eines Gesetzes liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP! im Gesetzgebungsprozess werden nur mittelbar über Interventionen bzw. gelegentliche Anhörungen des Bun- Die Politik setzt den rechtlichen Rahmen für die Kom- deskartellamts über das BMWi berücksichtigt. Hier muss petenzen des Bundeskartellamtes. Wesentliche Grund- dringend Abhilfe geschaffen und den Wettbewerbshütern lage hierfür liefert das Gesetz gegen Wettbewerbsbe- mehr Gehör verschafft werden. schränkungen. Die Aufgabe des Bundeskartellamtes ist es, Wettbewerbsbeschränkungen in der Bundesrepublik Die Monopolkommission schlug in ihrem Sonder- Deutschland zu verfolgen und damit das Funktionieren gutachten letztes Jahr vor, dass dem Bundeskartellamt marktwirtschaftlicher Strukturen zu gewährleisten. Und zumindest vor der Allgemeinverbindlicherklärung von diese Aufgabe erfüllt das Bundeskartellamt vorbildlich. Tarifverträgen ein Anhörungsrecht eingeräumt werden solle. Dabei sollte sich das Amt insbesondere zu der Die Politik setzt aber auch den rechtlichen Rahmen für Frage äußern, wie die zu erwartenden wettbewerblichen den freien Wettbewerb. Denn der freie Wettbewerb steht

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24125

Reinhard Schultz (Everswinkel) (A) nicht über allen anderen Zielen, selbst wenn die FDP dies entstünde. Überdies stärkt dieses Wahlrecht den Schutz- (C) gerne so hätte. Aus Sicht der SPD ist es Aufgabe der auftrag des Bundeskartellamts gegenüber Verbrauchern Politik, dafür zu sorgen, dass die Wirtschaft ihrer sozialen und Wettbewerbern. Verantwortung nachkommt. Für uns gehören unterneh- merische Freiheit und soziale Verantwortung in einer so- Mit der Unterstützung dieses Antrags kann der Bun- zialen Marktwirtschaft untrennbar zusammen. destag ein klares Zeichen für eine Stärkung des fairen, si- cheren und offenen Wettbewerbs in Deutschland setzen. Wir haben einen Post-Mindestlohn durchgesetzt und Gerade jetzt, in Zeiten der Wirtschaftskrise, wäre dies ein für allgemeinverbindlich erklärt, um die Branche der wichtiges Zeichen unabhängiger Stabilität für Investoren Briefdienstleistungen vor einem Wettbewerb um die und Verbraucher. schlechtesten Löhne zu schützen. Denn wir wollen, dass die Menschen von ihrer Arbeit leben können – bei der Dr. Herbert Schui (DIE LINKE): Post und auch in anderen Branchen. Der Wettbewerb bei Die Linke hält es für notwendig, das Bundeskartellamt Briefdienstleistungen wird mit Sicherheit trotzdem in zu stärken, um der Konzentration wirtschaftlicher Macht Gang kommen – aber eben nicht auf dem Rücken der Mit- zu begegnen. Die FDP fordert im Titel des vorliegenden arbeiter. Antrags Ähnliches, nämlich die Kompetenzen des Bun- Nach § 5 des Tarifvertragsgesetzes kann das Bundes- deskartellamts weiterzuentwickeln. ministerium für Arbeit und Soziales einen Tarifvertrag Beim Lesen des Antrags erlebt man allerdings zwei unter bestimmten Voraussetzungen für allgemeinverbind- Überraschungen: Erstens fällt der konkrete Forderungs- lich (av) erklären. Dies geschieht auf Antrag einer Tarif- teil außerordentlich bescheiden aus: Das Bundeskartell- vertragspartei im Einvernehmen mit einem Ausschuss amt soll ein Anhörungsrecht erhalten. Dagegen spricht aus je drei Vertretern der Spitzenorganisationen der Ar- freilich wenig. Der viel zitierten Waffengleichheit des beitgeber und der Arbeitnehmer. Genau dies ist im Falle Kartellamts mit den Monopolen im Bereich der Stromver- des Post-Mindestlohns geschehen. Dazu kann sich das sorgung, des Einzelhandels oder der Mineralölwirtschaft Bundeskartellamt äußern und hat dies ja auch getan. Ein kommt man damit allerdings kaum näher. Anhörungsrecht brauchte es dazu nicht. Und das wird es auch in Zukunft mit uns nicht geben. Die zweite Überraschung bezieht sich darauf, worin die FDP die Hauptbedrohung für den Wettbewerb sieht. Gudrun Kopp (FDP): Ihre Sorge gilt nicht der wachsenden Marktmacht der Das Bundeskartellamt ist als die zentrale Wettbe- großen Unternehmen, sondern der Allgemeinverbindlich- werbsbehörde in der Bundesrepublik von entscheidender keit von Tarifverträgen. Der Antrag der FDP suggeriert, (B) Bedeutung für die marktwirtschaftliche Ordnung unserer dass der eigentliche Zweck des Tarifvertrags im Postbe- (D) Volkswirtschaft. Dieser Garant für einen funktionierenden reich darin liegt, die Monopolstellung der Deutschen und gesicherten Wettbewerb ist ein großer Standortvorteil Post zu festigen. Das ist eine kuriose Vorstellung. Sie be- Deutschlands; die Kompetenzen des Bundeskartellamts haupten damit, den Gewerkschaften ginge es im Post- sollten entsprechend institutionell weiterentwickelt wer- bereich gar nicht um die Löhne. Dies wäre nur vorge- den. schoben, um das Monopol der Deutschen Post zu verteidigen. Wenn dem so wäre, wie erklären Sie dann, Als Kontrollinstrumente des Bundes sind mit dem Bun- dass die Gewerkschaften sich auch in allen anderen deskartellamt und auch der Bundesnetzagentur effiziente Branchen für höhere Löhne und gegen Dumping engagie- und schlagkräftige Instanzen geschaffen, um Gefahren ren, obwohl es dort kein Monopol zu verteidigen gibt? durch Machtkonzentrationen zu beheben und Wettbewerb zu garantieren. Die FDP hat sich in den letzten Jahren Sie behaupten: Mindestlöhne im Postgewerbe ver- immer wieder für die personelle und institutionelle Wei- drängen die Konkurrenten der Deutschen Post. Damit terentwicklung beider Institutionen stark gemacht. machen Sie ein wichtiges Eingeständnis: Ohne Lohn- dumping können die Konkurrenten der Post nicht beste- Die Monopolkommission hat in ihrem Sondergutach- hen. Mit anderen Worten: Lohndumping ist der einzige ten „Wettbewerbsentwicklung bei der Post 2007: Mono- bedeutende Grund, aus dem private Konkurrenten billi- polkampf mit allen Mitteln“ vorgeschlagen, dass dem ger sein können als die Post. Das hat einen wirtschaftli- Bundeskartellamt vor der Allgemeinverbindlicherklä- chen Grund: Je mehr Postsendungen man verteilt, desto rung von Tarifverträgen ein Anhörungsrecht eingeräumt niedriger sind die Stückkosten. Volkswirtschaftlich ist es wird. effizienter, nur ein Verteilernetz zu unterhalten, als viele. Postdienste sind ein natürliches Monopol. Die FDP will mit diesem Antrag noch einen Schritt weiter gehen als die Monopolkommission, die sich bei ih- Für natürliche Monopole gilt, dass sie sinnvoll nicht rem Vorschlag nur auf den Aspekt der Allgemeinverbind- wettbewerblich organisiert werden können. Lange Zeit lichkeit bezieht. Sinnvoll wäre stattdessen, dem Bundes- hat die Wirtschaftstheorie darin übereingestimmt. Bei- kartellamt ein generelles Anhörungsrecht einzuräumen. spiele sind die Energiewirtschaft, die Bahn, die Post, die So kann bei wirtschaftspolitischen Entscheidungen mit Flugsicherung. In diesen Bereichen kann es keinen mun- wettbewerblicher Relevanz durch das Bundeskartellamt teren Wettbewerb von effizienten Kleinunternehmen ge- schon im Entscheidungsprozess auf mögliche negative ben, wie die FDP sich das ausmalt. In den letzten Jahren Wettbewerbseffekte hingewiesen werden, wodurch auch hat die Politik mit Unterstützung der FDP die Privatisie- eine größere Planungssicherheit für die Wettbewerber rung natürlicher Monopole vorangetrieben. Das Ergeb-

Zu Protokoll gegebene Reden 24126 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Dr. Herbert Schui (A) nis sind private Monopole. Natürliche Monopole müssen lehnen wir den Antrag der FDP „Kompetenzen des Bun- (C) staatlich reguliert werden, um Qualität und angemessene deskartellamts weiterentwickeln“ ab. Preise sicherzustellen. Die Inszenierung von Wettbewerb im Bereich natürlicher Monopole ist volkswirtschaftlich Vizepräsidentin Petra Pau: ineffizient. Es kann dennoch ein objektives Interesse da- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf ran geben, nämlich dann, wenn man über Schmutzkon- Drucksache 16/8078 an die in der Tagesordnung aufge- kurrenz die Löhne drücken möchte. führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- Durch Gewerkschaften und Tarifverträge können Be- verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung schäftigte die Konkurrenz untereinander überwinden und so beschlossen. sich gegen Dumping wehren. Die Solidarität der Beschäf- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf: tigten ist der FDP ein Dorn im Auge, das ist ihrem Antrag anzumerken. Ich erinnere an die Ankündigung ihres Vor- Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans- sitzenden Guido Westerwelle vor der letzten Bundestags- Josef Fell, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, wei- wahl, ich zitiere: „Wir werden nach dem Wahlsieg 2006 terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- die Gewerkschaftsfunktionäre entmachten. Wir werden NIS 90/DIE GRÜNEN das starre Tarifvertragssystem aufbrechen.“ Dies ist keine Politik gegen Kartelle, sondern eine gegen die De- Vorbildlich und importunabhängig Ökostrom mokratie. und Biogas einkaufen – Drucksache 16/11964 – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ Überweisungsvorschlag: DIE GRÜNEN): Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Ältestenrat Wir stimmen der FDP zu, dass wir ein starkes Bundes- Innenausschuss kartellamt mit klaren Befugnissen, einer adäquaten Aus- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie stattung und einem konsistenten ordnungspolitischen Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Auftrag brauchen. Deswegen haben wir stets eine Aufsto- Verbraucherschutz ckung des Personalhaushalts des Bundeskartellamts ge- Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung fordert, die im Haushalt 2009 von der Regierung über- Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die nommen wurde. Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die Ich möchte die FDP-Fraktion daran erinnern, dass die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Christian Hauptaufgaben des Bundeskartellamtes die Durchset- Hirte für die Unionsfraktion, Marko Mühlstein für die (B) zung des Kartellverbots, die Durchführung der Zusam- SPD-Fraktion, Michael Kauch für die FDP-Fraktion, (D) menschlusskontrolle sowie die Ausübung der Miss- Hans-Kurt Hill für die Fraktion Die Linke, Hans-Josef brauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen Fell für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. sind. Es kann die Zusammenschlüsse von Unternehmen verbieten, missbräuchliche Verhaltensweisen untersagen, Christian Hirte (CDU/CSU): Auflagen erteilen, Geldbußen verhängen und verfügt Als ich den Titel des Grünen-Antrags gelesen hatte, da über weitgehende Ermittlungsbefugnisse. Das ist gut so, schlugen zwei Herzen in meiner Brust. Einerseits ist und daran soll sich auch nichts ändern. überhaupt nichts dagegen einzuwenden, wenn man staat- liche Liegenschaften ausschließlich mit Ökostrom und Wir wollen aber nicht, dass das Bundeskartellamt in Biogas betreiben möchte; da wäre ich sehr dafür. Ande- Zukunft Einfluss auf wirtschaftspolitische oder sozial- rerseits müssen wohl selbst die Grünen zugeben, dass politische Entscheidungen nimmt, die nicht im engeren nicht überall, wo Umweltstrom draufsteht, auch Öko- Sinne etwas mit Wettbewerbsrecht zu tun haben. Die Ent- strom drin ist. scheidungen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik sollen wie eh und je von den Parlamenten und der Regierung ge- Wenn man sich die einschlägigen Angebote der Strom- troffen werden und nicht vom Bundeskartellamt politi- anbieter ansieht, wird man zum Beispiel für Berlin fest- siert werden. stellen können, dass der günstigste Anbieter von Öko- strom tatsächlich der Kernkraftwerksbetreiber Vattenfall Die Problematik des FDP-Antrags wird bereits im mit seinem ÖkoPur-Tarif ist. Das ist so weit in Ordnung; zweiten Absatz deutlich. Die FDP verweist auf einen Vor- denn auch Kernenergie ist CO2-frei. Nun ist bekannt, dass schlag der Monopolkommission, die – wie auch die der ökologische Hardliner als Verbraucher erwartet, FDP – empfiehlt, dass sich das Bundeskartellamt in sei- dass der unter dem Label Öko vermarktete Strom tatsäch- ner Stellungnahme über die Auswirkungen der Allge- lich ausschließlich aus regenerativen Energiequellen ge- meinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen auf wonnen wird. Nur gibt es diese Sicherheit in der Realität Produktmärkte äußern sollte. Die FDP geht sogar noch freilich nicht. Anders formuliert: Bei jemandem, der einen Schritt weiter und fordert ein generelles Anhö- Strom zu 100 Prozent aus Wasserkraft bucht, werden sehr rungsrecht des Bundeskartellamts zu wirtschaftspoliti- wohl die Lichter ausgehen, wenn das Atomkraftwerk ne- schen Fragen. Davon halten wir überhaupt nichts. Das benan vom Netz geht. Bundeskartellamt hat mit der konsequenten Anwendung des Wettbewerbsrechts genug zu tun. Es soll sich mit wett- Zudem sind bei diesen Zahlenschiebereien die absur- bewerbsrechtlichen Fragen auseinandersetzen und sich desten Effekte denkbar. So kann ein deutscher Stromver- aus der Sozial- und Tarifpolitik heraushalten. Deswegen sorger einen Vertrag mit einem Stromproduzenten in Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24127

Christian Hirte (A) Frankreich, Finnland oder irgendeinem anderen Land hen? Ich verstehe und achte das Anliegen der Grünen, (C) schließen, in dem die Bevölkerung ein relativ entspanntes welches hinter diesem Antrag steht. Sie sagen richtiger- Verhältnis zur Atomenergie pflegt. Dann wird zum Bei- weise, dass die erneuerbaren Energien in unseren Minis- spiel aus Finnland eine Strommenge X importiert, die per terien zukünftig einen höheren Anteil haben sollen. Dem Wasserkraft erzeugt wurde. Im Gegenzug liefert der deut- stimmen wir als Regierungskoalition ausdrücklich zu, sche Versorger deutschen Atomstrom, und zwar ebenfalls aber doch nicht um jeden Preis. Lassen Sie uns lieber da- die Menge X. Praktisch passiert natürlich gar nichts, weil rüber nachdenken, wie wir beides – Ökologie und Wirt- weiterhin jeder seinen lokalen Strom erzeugt und ver- schaftlichkeit – unter einen Hut bringen können. Dafür braucht. Die deutsche Firma überweist Geld nach Finn- wird sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion einsetzen. land für den „wertigeren“ Wasserstrom und darf dann Verlassen Sie sich darauf. dem besorgten deutschen Ökokunden mitteilen, um wie viel Prozentpunkte der Wasserkraftanteil stieg. Faktisch Marko Mühlstein (SPD): bleibt alles beim Alten – außer, dass der deutsche Ver- braucher sich besser fühlt. Das Lutherjubiläum 2017, für Wenn es um die Frage einer nachhaltigen und zu- das ich mich sehr engagiere, scheint auch hier seine kunftssicheren Energieversorgung geht, haben die Bun- Schatten vorauszuwerfen; denn eines ist sicher: Soweit es desregierung und der Deutsche Bundestag in der Tat eine die Angaben über die Herkunft von Ökostrom betrifft, ha- wichtige Vorbildfunktion. Und wie die Antragsteller rich- ben derlei Zusicherungen so viel Wert wie eine vorrefor- tig feststellen, sind wir dieser Aufgabe in den letzten Jah- matorische Ablassurkunde. ren gerecht geworden. So verfügt der Deutsche Bundes- tag bereits seit seinem Umzug von Bonn nach Berlin über Also fragt sich der geneigte Zuhörer, was die Grünen ein zukunftsweisendes, umweltpolitisch verantwortungs- tatsächlich mit ihrem Antrag bezwecken. Sie bezwecken volles und vorbildliches Energiekonzept. So betreibt der nichts anderes, als das „grüne“ Selbstverständnis wie Bundestag hauseigene Blockheizkraftwerke in Kraft- eine Monstranz vor sich her zu tragen, um dann gegebe- Wärme-Kopplung, die der Erzeugung regenerativer nenfalls auf den politischen Gegner einschlagen zu kön- Energien dienen. Der darüber hinaus benötigte Bedarf nen. Nichts anderes ist von den Antragstellern beabsich- wird ebenfalls durch den Einkauf von Strom aus erneuer- tigt. Nur so kann man sich die herbe Aufforderung der baren Energien gedeckt. Gleiches gilt für das Bundesum- Grünen an die Bundesregierung erklären, wo doch eine weltministerium und dessen nachgeordnete Behörden. Bitte um Prüfung deutlich sachgerechter gewesen wäre. Aber Vorsicht! Das Nachrichtenmagazin „“ Grundsätzlich ist der Forderung zuzustimmen, auch titelte 2005: „Fischer und Künast sündigen beim Öko- die übrigen Bundesministerien mit Strom aus erneuerba- strom“. Eine parlamentarische Anfrage der FDP ent- ren Energien zu versorgen. Jedoch sind hierbei beste- (B) hüllte damals: Gut ein Viertel des Stroms beziehen die hende Verträge und die Versorgungsmöglichkeiten mit (D) Berliner Ministerien aus Atomkraftwerken. Ausgerechnet entsprechenden Kapazitäten zu berücksichtigen. Ich gehe die Ämter der Grünen-Minister und davon aus, dass die Verantwortlichen in den Ministerien Renate Künast verzichteten komplett auf Ökostrom. Das und im Bundeskanzleramt sich dieser Problematik be- Nuklearzeitalter war also demnach – trotz beschlossenen wusst sind und in einigen Jahren sämtliche Behörden der Ausstiegs – für Rot-Grün noch nicht beendet. Da stellt Bundesregierung mit Strom aus erneuerbaren Energien sich doch die ketzerische Frage, wo denn das vermeint- versorgt werden. lich ökologische Gewissen der Grünen geblieben war – Die vom Antragsteller geforderte Umstellung auf Bio- vermutlich auf der Strecke. gas wird sich aus verschiedenen Gründen nicht so schnell Aber auch abseits der politischen Polemik gibt es ganz in die Tat umsetzen lassen, weshalb dem Antrag in der praktische und nachvollziehbare Gründe, warum die Um- vorliegenden Form nicht zugestimmt werden kann. Zu- stellung auf Ökostrom noch nicht zu 100 Prozent erfolgt nächst einmal ist festzustellen, dass die Einspeisung von ist. Ich möchte der Fraktion der Grünen die Lektüre der Biogas in das Erdgasnetz erst seit relativ kurzer Zeit an Bundeshaushaltsordnung dringend empfehlen. Sie ist Bedeutung gewinnt. Mit der Novellierung des Erneuer- über die Seiten des Bundesministeriums der Justiz abruf- bare-Energien-Gesetzes haben wir an dieser Stelle wich- bar; aber auch bei Google wir man fündig. Ich zitiere § 7 tige Impulse gesetzt, doch eine solche Entwicklung benö- Abs. 1 Satz 1der BHO: tigt eben auch eine gewisse Zeit. Vor diesem Hintergrund ist äußerst fraglich, ob kurzfristig überhaupt die benötig- Bei Aufstellung und Ausführung des Haushalts- ten Mengen an Biogas generiert werden können, die für plans sind die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit eine verlässliche Versorgung aller Bundesministerien und Sparsamkeit zu beachten. einschließlich des Kanzleramtes sowie des Bundestages Aus eben diesem Grund muss es der öffentlichen Hand benötigt werden. Ich plädiere dafür, diesen Prozess mit überlassen bleiben, selbst zu entscheiden, von wem sie ih- Augenmaß zu entwickeln und in den nächsten Jahren ren Strom bzw. ihr Gas bezieht. Schritt für Schritt die Nutzung von Biogas zu intensivie- ren. Dies ist in der Praxis eher umzusetzen als eine Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit sind doch keine schnelle Umstellung der entsprechenden Ausschreibun- leeren Floskeln. Sollen wir wirklich in finanziell schwe- gen. rem Fahrwasser jedwede Haushaltsregel über Bord wer- fen? Hat der Bürger in Zeiten der Finanzkrise keinen Darüber hinaus ist es mir wichtig, darauf hinzuweisen, Anspruch mehr darauf, dass die politischen Entschei- dass die Nutzung von Biogas den gesamten Anwendungs- dungsträger mit den Steuermilliarden vernünftig umge- bereich berücksichtigen muss. Erst in der letzten Sit-

Zu Protokoll gegebene Reden 24128 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Marko Mühlstein (A) zungswoche haben wir mit der Verabschiedung des Ge- empfehle ich den Grünen, mit der FDP erst einmal für (C) setzes zur Änderung der Förderung von Biokraftstoffen einen Abbau der gesetzlichen Beschränkungen für Biogas den Weg für eine Anrechnung von Biogas auf die Bio- einzutreten. Stattdessen bringen Sie hier einen Schau- kraftstoffquote frei gemacht. Damit haben wir einen antrag für den Wahlkampf ein, der an den eigentlichen neuen Nutzungspfad für Biogas eröffnet, der bei der Be- Problemen nichts ändert. rechnung der Potenziale beachtet werden muss. Denn Biogas ist ohne Zweifel ein nachhaltiger und umwelt- Hans-Kurt Hill (DIE LINKE): freundlicher Energieträger, aber auch nicht in unendli- Wer von anderen mehr Klimaschutz fordert, sollte zu- chen Mengen erzeugbar. In diesem Zusammenhang for- nächst selbst seine Hausaufgaben machen. Deshalb ist es dere ich alle Kolleginnen und Kollegen in diesem Hohen richtig, wenn der Bund bei seinen Liegenschaften voran- Hause auf, sich für eine verstärkte energetische Abfall- geht und bei der Versorgung auf heimische erneuerbare und Reststoffverwertung einzusetzen. Hierdurch würde Energien umsteigt. sich die verfügbare Menge an Biogas drastisch erhöhen. Abschließend möchte ich feststellen, dass die Intention Der Bundestag ist in der Sache bereits tätig geworden. des Antrages in die richtige Richtung geht, eine Umset- So bezieht das Parlament Ökostrom und wird in Zukunft zung in die Praxis jedoch nicht wie beschrieben erfolgen den Bezug von Biogas in der Ausschreibung berücksich- kann. Was diesem Antrag fehlt, ist die Erkenntnis, dass tigen. Immerhin „verheizt“ das hohe Haus pro Jahr rund die Biogasnutzung nur im Rahmen einer Gesamtstrategie 1,8 Millionen Kubikmeter Erdgas. Das Problem war für und unter Berücksichtigung der von mir genannten Energieversorger bisher, diese großen Mengen als Biogas Punkte nachhaltig ausgebaut werden kann. aus nachhaltiger Erzeugung bereitzustellen. Ab 2010 werden aber mehrere Anbieter – darunter auch die Berli- ner GASAG – dieses Produkt anbieten können. Für den Michael Kauch (FDP): Bundestag hat sich diese Anforderung der Grünen damit Der von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vorge- erledigt. Ein herzlicher Dank gilt deshalb auch der Ver- legte Antrag zum Einkauf von Ökostrom und Biogas waltung des Deutschen Bundestages, die sich früh und durch Bundesbehörden stellt auf die Vorbildfunktion der professionell dieser Thematik angenommen hat. öffentlichen Hand für den Klimaschutz und die Versor- gungssicherheit ab. Dabei soll allen Bundesministerien Die Liegenschaften der Bundesministerien und deren und Bundesbehörden der Bezug von Ökostrom und Biogas Behörden könnten dann also ohne Weiteres folgen. Ob sie vorgeschrieben werden. dies tun, wird sich daran zeigen, ob entsprechende Aus- schreibungen erfolgen, und ob bereits ausreichende Bio- Wir müssen zunächst einmal feststellen, dass es in diesem gasmengen verfügbar sind. Man muss dabei an die (B) Antrag vorrangig um Symbolik geht. Durch den Einsatz Adresse der Grünen anmerken, dass sie derzeit – in Über- (D) regenerativen Stroms und Gases durch Bundesbehörden einstimmung mit der Bundesregierung – wenig dafür tun, wird kein großer Beitrag zu Klimaschutz und Versorgungs- den erforderlichen Biogasaufwuchs zu unterstützen. Das sicherheit geleistet. Dennoch ist anzuerkennen, dass eine Problem ist, dass in Deutschland nur begrenzt Flächen solche Symbolwirkung dann ein wirklicher Beitrag ist, für die Bioenergienutzung zur Verfügung stehen. wenn es zu nennenswerten Nachahmeffekten durch Bürger und Unternehmen kommt. Ob es zu solchen Nachahm- Von der landwirtschaftlichen Fläche in Deutschland effekten kommt und diese dann die Zusatzkosten für die mit knapp 16 Millionen Hektar können nach Untersu- öffentlichen Haushalte rechtfertigen, muss Gegenstand chungen des Sachverständigenrats für Umweltfragen der Ausschussberatungen sein. – SRU – unter Berücksichtigung sozialer und ökologi- scher Belange langfristig 19,0 Prozent oder drei Millio- In jedem Fall übersehen die Grünen aber die Gesetzes- nen Hektar für die Bioenergienutzung bereitgestellt wer- lage, die sie selbst befürwortet haben. Nach dem Erneu- den. Derzeit beträgt der Anteil schon 12,7 Prozent. Ein erbare-Wärme-Gesetz darf Biogas nämlich nur in KWK- Großteil dieser Flächen wird bereits für den Anbau von Anlagen, nicht aber in Gasheizungen eingesetzt werden. Pflanzen zur Biospriterzeugung belegt. Dabei hat sich die Damit betreibt die Regierung Greenwashing: Die CO2- Bundesregierung unter Beifall der „Ökopartei“ sehr Einsparung durch Biogas wird schöngerechnet, da es nur hohe Ziele gesteckt. für besonders effiziente Verwendungen verkauft werden darf, während das „böse“ russische Erdgas in den Die Folge ist allerdings, dass kein Platz mehr für „schlechten“ Gasheizungen verbrannt wird. Die Grünen Energiepflanzen zur Biogasproduktion bleibt. Es sei haben das bei Verabschiedung des Gesetzes nicht kritisiert. denn, man verzichtet auf den Schutz des Naturhaushaltes Ökologisch ist das natürlich Unsinn, denn niemand kann oder schränkt die Nahrungsmittelerzeugung ein. Nach nach der Einspeisung ins Netz unterscheiden, ob die Gas- Berechnungen des SRU würden beim Festhalten an der Moleküle aus russischem Erdgas oder heimischem Biogas jetzigen Biokraftstoffstrategie sämtliche Flächen für die stammen. Erzeugung von Agroenergie benötigt. Wir müssen uns also entscheiden zwischen der teilweise klimaschädli- Da nun aber die schwarz-rot-grüne Allianz diese chen und ineffizienten Biospritherstellung oder für Bio- Beschränkung aus ideologischen Gründen ins Gesetz gas, das je Hektar Biomasse eine dreimal höhere Ener- geschrieben hat, ist die Forderung im Antrag der Grünen gieausbeute erreicht. schlicht rechtswidrig. Denn viele Verbrauchsstellen in Bundesbehörden werden keine KWK-Anlagen, sondern Die Linke spricht sich deshalb für eine gezielte Förde- zum Beispiel Gasheizungen sein. Vor diesem Hintergrund rung von Biogas aus und fordert eine hindernisfreie Re-

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24129

Hans-Kurt Hill (A) gelung zur Einspeisung von Biogas ins Erdgasnetz. Dann müssen natürlich vor allem selbst mit gutem Beispiel vo- (C) kommt auch genug Biogas im Bundeswirtschaftsministe- rangehen. Bei unserem letzten diesbezüglichen Antrag rium an. wurde unsere Forderung noch mit dem Argument zurück- gewiesen, es gäbe noch keine Anbieter von Biogas. Wir Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): halten dieses Argument für überholt und fordern die Bun- destagsverwaltung auf, zu prüfen, welche Anbieter Bio- Der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung ha- gas für die Gasversorgung des Deutschen Bundestages ben eine wichtige Vorbildfunktion beim Klimaschutz und zur Verfügung stellen können, und eine entsprechende bei der Energieversorgungssicherheit. Der Bundestag, Ausschreibung vorzubereiten. Sollte es noch laufende das Bundesumweltministerium und seine nachgeordneten Verträge geben, die die Bundestagsverwaltung für einen Behörden sind dieser Vorbildfunktion im Bereich der bestimmten Zeitraum binden, soll ein Angebot des Ver- Stromversorgung mittlerweile gerecht geworden, da sie tragspartners für die Belieferung mit Biogas eingeholt inzwischen anhand festgelegter Ausschreibungskriterien werden. Gerade angesichts der diesjährigen Erdgaskrise den Strombezug auf Ökostrom umgestellt haben. Wir hat- wäre die Umstellung des Bundestages auf Biogas ein ten damals selbst den Antrag zur Umstellung des Bundes- Schritt, der international Beachtung finden dürfte. Die tages auf Ökostrom in den Bundestag eingebracht und Umstellung sämtlicher Gebäude der Bundesregierung sind deshalb guter Hoffnung, dass auch dieser Antrag auf Ökostrom sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Es Unterstützung in den anderen Fraktionen finden wird. Bei ist sehr erstaunlich, dass erst der Bundestag die Bundes- den übrigen Ministerien und im Kanzleramt herrscht im- regierung auffordern muss, diesbezüglich aktiv zu wer- mer noch Fehlanzeige. Zwar sind alle Minister und die den. Bundeskanzlerin in ihren Sonntagsreden für den Klima- schutz. Wenn es aber darum geht, wenigstens in ihren eigenen Häusern mit gutem Beispiel voranzugehen, Vizepräsidentin Petra Pau: herrscht Fehlanzeige. Braunkohlestrom, Steinkohle- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf strom, Strom aus Atomkraftwerken, all das ist heute noch Drucksache 16/11964 an die in der Tagesordnung aufge- Standard in den meisten Ministerien, obwohl diese längst führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- Strom aus erneuerbaren Energiequellen beziehen könn- verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung ten. Vollkommen überflüssig werden daher Klimagase in so beschlossen. die Luft geblasen, Schwermetalle über das Land verteilt Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf: und Atommüll erzeugt, von dem keiner weiß, wo er mal landen soll. Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- (B) Noch dürftiger als beim Ökostrom sieht die Bilanz der nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge- (D) Bundesregierung beim Bezug von Biogas aus. Mittler- ordneten Martin Zeil, Paul K. Friedhoff, Frank weile gibt es einige Biogasanlagen, die ihr Biogas aufbe- Schäffler, weiterer Abgeordneter und der Frak- reitet in das Erdgasnetz einspeisen. Aber nicht einmal das tion der FDP Bundesumweltministerium und dessen nachgeordnete Eigenkapitalbildung fördern – Deutschlands Behörden beziehen Biogas. Wie sollen die Bürger die Re- Mittelstand fit machen den von der Energieversorgungssicherheit ernst nehmen, wenn nicht einmal die Bundesregierung für ihre eigenen – Drucksachen 16/3841, 16/5952 – Gebäude eine von Erdgaslieferanten unabhängige Ener- gieversorgung sicherstellen kann? Biogas wird zwar erst Berichterstattung: seit relativ kurzer Zeit in das Erdgasnetz eingespeist. Abgeordnete Sabine Zimmermann Mittlerweile gibt es aber Unternehmen, die Biogas lie- Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden auch fern. hier die Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Dr. Wir fordern die Bundesregierung auf, in sämtlichen Heinz Riesenhuber für die Unionsfraktion, Andrea Ministerien und dem Bundeskanzleramt – inklusive der Wicklein für die SPD-Fraktion, Paul K. Friedhoff für die nachgeordneten Behörden – den Strombedarf, der nicht FDP-Fraktion, Sabine Zimmermann für die Fraktion Die über Eigenerzeugung abgedeckt wird, künftig von einem Linke, Christine Scheel für die Fraktion Bündnis 90/Die Ökostromanbieter zu beziehen. Die Institutionen sollen Grünen. diesbezüglich nach Ablauf der geltenden Verträge Aus- schreibungen vornehmen. Ebenso fordern wir die Bun- desregierung auf, zu prüfen, welche Anbieter Biogas für Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU): die Gasversorgung der Gebäude der Bundesregierung Gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise gilt: Deutsch- sowie der nachgeordneten Behörden zur Verfügung stel- land kann nur mit immer neuen innovativen Produkten, len können, und eine entsprechende Ausschreibung vor- Verfahren und Dienstleistungen im globalen Wettbewerb zubereiten. Sollte es noch laufende Verträge geben, die bestehen und damit Wachstum, Arbeitsplätze und Wohl- die Institutionen für einen bestimmten Zeitraum binden, stand in Deutschland sichern. Dazu brauchen wir heute soll ein Angebot des Vertragspartners für die Belieferung mehr denn je einen starken und innovativen Mittelstand, mit Biogas eingeholt werden. denn er ist die treibende Kraft im Innovationsgeschehen. Junge Technologieunternehmen und innovative kleine Aber nicht nur die Bundesregierung ist aufgefordert, und mittlere Unternehmen sorgen für die schnelle Ver- mit gutem Beispiel voranzugehen. Wir Parlamentarier breitung neuer Technologien in der Wirtschaft und für die 24130 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Dr. Heinz Riesenhuber (A) Entwicklung und Einführung von Marktneuheiten. Sie genen oder fremden Mitteln zu finanzieren. Laut KfW (C) gelten zudem als besonders wachstumsstark und schaffen droht die Gefahr einer Abwärtsspirale aus schlechter Ge- mehr neue Arbeitsplätze als nicht innovative Unterneh- schäftslage, mangelnder Finanzierung und unterlassener men. Innovation. Wenn der Mittelstand aufgrund der derzeiti- gen konjunkturellen Schwächephase die Innovationsan- Dank der guten konjunkturellen Lage konnten die mit- strengungen der vergangenen Jahre nicht aufrechterhal- telständischen Unternehmen in den vergangenen Jahren ten kann, dann bleiben entscheidende Impulse für die ihre finanzielle Basis stärken und ihre Innovationsaktivi- wirtschaftliche, ökologische und gesellschaftliche Ent- täten ausweiten. So ist die durchschnittliche Eigenkapi- talqoute des Mittelstandes von 2002 bis 2007 laut einer wicklung Deutschlands aus. Studie der Universität Münster von 17,2 auf 26 Prozent Die unionsgeführte Bundesregierung hat in den letzten gestiegen, gleichzeitig hat der Mittelstand seine internen dreieinhalb Jahren zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um FuE-Aufwendungen laut Stifterverband von 13,5 auf die allgemeinen Rahmenbedingungen und die Finanzie- 15,2 Prozent erhöht. rungsbedingungen sowohl für den breiten Mittelstand als Doch bleibt die ausreichende Finanzierung des Mittel- auch für den besonders innovationsstarken Mittelstand standes ein Unsicherheitsfaktor, nicht nur im innovativen zu verbessern. Damit haben sich die Forderungen des Bereich. So sind die Unternehmen in vielen Branchen mit heute hier diskutierten FDP-Antrags aus dem Jahre 2006 weniger als 10 Prozent Eigenkapital weiterhin unterkapi- zum größten Teil erledigt. So haben wir mit den drei Mit- talisiert, und der im Mittelstand nach wie vor gängige telstandsentlastungsgesetzen den Bürokratieabbau we- Weg, die Eigenkapitalquote durch die Einbehaltung von sentlich vorangebracht. Wir haben die Unternehmen von Gewinnen zu erhöhen, ist heute kaum mehr möglich. Statistikpflichten befreit und seit 2006 über 300 bürokra- Denn in der aktuellen Wirtschaftskrise sind die Aufträge tische Regelungen abgebaut. Die Einführung des Stan- bei einzelnen Firmen um bis zu 90 Prozent eingebrochen, dardkostenmodells und des Normenkontrollrats werden und die Liquidität hat sich teilweise dramatisch ver- zur weiteren Reduzierung von Bürokratiekosten beitra- schlechtert. Die Finanzierungsprobleme betreffen beson- gen. Wir haben den Spielraum für Investitionen erhöht ders auch den traditionellen Weg der Kapitalbeschaffung mit der Senkung der Unternehmensteuern auf rund über den Bankkredit. Dort sorgen die Verschärfung der 30 Prozent im Rahmen der Unternehmensteuerreform Kreditvergabekriterien und die erhöhten Anforderungen 2008 und durch die bessere steuerliche Absetzbarkeit von an die Eigenkapitalquote zur Erhöhung der Bonität im handwerklichen und haushaltsnahen Dienstleistungen Rahmen von Basel II sowie die aktuelle Zurückhaltung durch private Haushalte. Wir haben eine Existenzgrün- der Banken in der Krise für Restriktionen. Entsprechend dungsoffensive gestartet, die von der Internetplattform sinkt zurzeit die Bereitschaft der Unternehmen, zu inves- (B) „startothek“ über das Unternehmensregister, die GmbH- (D) tieren und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Das gilt beson- Reform, den besseren Pfändungsschutz bis hin zur ver- ders für exportorientierte Branchen wie Maschinen- und stärkten Förderung von innovativen Gründungen eine Anlagenbau, Automobilzulieferer, die Chemie und die Fülle von Maßnahmen umfasst. Gleichzeitig haben wir Elektroindustrie. die Innovationsfähigkeit des Mittelstandes gestärkt: Die Wirtschaftskrise geht auch am Beteiligungsmarkt durch Bündelung der BMWi-Förderprogramme in dem nicht spurlos vorüber und stellt an die Unternehmen und „Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand“ – ZIM –, ihre Unternehmen große Herausforderungen. Das ge- durch das BMBF-Programm „KMU Innovativ“ und fährdet besonders die Gründung und das Wachstum jun- durch die Mittelerhöhung für die Innovationsförderung ger Technologieunternehmen, wo die Höhe der notwendi- insgesamt. Die Mittelstandsfinanzierung im engeren gen Entwicklungsinvestitionen und die teilweise Sinne profitiert von dem neuen Kleinkreditprogramm unsicheren Erfolgsaussichten den Rahmen jedes norma- KfW Start Geld für Gründer, der 50 prozentigen len Bankkredits sprengen und Gewinne erst nach Jahren Haftungsfreistellung beim Unternehmerkredit, der Neu- realisiert werden können. Eine aktuelle Studie der KfW gestaltung des ERP-Innovationsprogramms, dem Son- bestätigt, dass im Zuge der Wirtschaftskrise rund drei derfonds Energieeffizienz für kleine und mittlere Unter- Viertel der kleinen und mittleren Unternehmen in ihrer nehmen, dem neuen KfW-Genussrechts-Programm zur Innovationstätigkeit behindert sind. Der Mangel an Fi- Finanzierung des breiten Mittelstandes, der mittel- nanzierungsquellen stellt dabei das größte Innovations- standsfreundlichen Umsetzung der Basel-II-Richtlinien hemmnis dar, und zwar am meisten für diejenigen Unter- für Kreditinstitute in deutsches Recht, dem Forderungs- nehmen, die für unseren technologischen Strukturwandel sicherungsgesetz zur Verbesserung der Zahlungsmoral und unsere wirtschaftliche Entwicklung die wichtigsten von Auftraggebern und der Ausweitung der Exportkre- Impulse geben. Neben Finanzierungsschwierigkeiten ditgarantien. Auch die Rahmenbedingungen zur Mobili- – beklagt von 62 Prozent der von Innovationshemmnissen sierung von Wagniskapital für Innovationen haben wir betroffenen Unternehmen – spielen auch bürokratische verbessert. Zu nennen ist hier vor allem das neue Wag- Hemmnisse – 47 Prozent – und der Mangel an Fachper- niskapitalbeteiligungsgesetz, der Ausbau der Fonds für sonal – 31 Prozent – eine Rolle, außerdem organisatori- Gründer und junge Technologieunternehmen mit Part- sche Probleme – 20 Prozent –, das Fehlen relevanter nern aus der Wirtschaft – High-Tech-Gründerfonds, Marktinformationen – 19 Prozent – und das Fehlen von ERP-Startfonds, ERP/EIF Dachfonds – und das neue technologischem Know-how – 13 Prozent –. Generell Netzwerk „Innovationsfinanzierung“ zur regionalen Sti- gilt: Je kleiner und je jünger der Mittelständler, umso be- mulierung des Marktes für Eigenkapitalinvestitionen in deutender sind die Schwierigkeiten, Innovationen aus ei- junge Technologieunternehmen.

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24131

Dr. Heinz Riesenhuber (A) Die beiden Konjunkturpakete der Bundesregierung Damit allein aber sind unsere Vorstellungen einer op- (C) bringen 2009 und 2010 zusätzlich deutliche Steuer- und timalen Politik für den breiten und für den innovativen Abgabenentlastungen für den Mittelstand und sorgen mit Mittelstand noch lange nicht erfüllt. Wünschenswert ist dem kommunalen Investitionsprogramm von rund 17 Mil- auch eine Anhebung der Umsatzgrenzen bei der Ist-Be- liarden Euro für zahlreiche Aufträge. Zu diesen Maßnah- steuerung. Und weiter diskutieren müssen wir insbeson- men gehören unter anderem die bessere degressive Ab- dere über greifbare steuerliche Erleichterungen für Busi- schreibung beim Kauf neuer Maschinen oder Anlagen, ness Angels, die auch von den Ländern angemahnte Sonderabschreibungsmöglichkeiten für kleine und mitt- Entschärfung der Zinsschrankenregelung, die Absenkung lere Unternehmen, die höhere steuerliche Absetzbarkeit bei den gewerbesteuerrechtlichen Hinzurechnungen zum von Handwerkerleistungen bei Instandhaltungs- und Mo- Beispiel bei Immobilienmieten, eine zyklenübergreifende dernisierungsmaßnahmen, die Förderung des Autoabsat- Regelung der Basel-II-Kriterien im Rahmen der G 20 – zes durch die Umweltprämie, die Ausweitung der KfW- und spätestens nach der Wahl über die weitere steuerliche Kredit- und Beteiligungsprogramme, die Aufstockung des Begünstigung von Investitionen in die Zukunft, allen voran den von den Forschungspolitikern der Union schon CO2-Gebäudesanierungsprogramms, die Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags auf 2,8 Prozent und lange geforderten Steuerbonus für innovative, forschende des Krankenkassenbeitrags auf 14,9 Prozent, die Auswei- Unternehmen. tung des Kurzarbeitergeldes, das Bad-Bank-Modell zur All diese Verbesserungen brauchen wir so schnell wie Stimulierung der Kreditvergabe durch die Banken und möglich, um den Mittelstand als zentralen Leistungsträ- – last not least – der staatliche 100-Milliarden-Euro- ger unserer Wertschöpfungsketten und als Garant für Ar- Schutzschirm zur Sicherung der Kreditversorgung von beit und Wohlstand weiter zu stärken. Unternehmen – all das kann und wird die Finanzierungs- situation der kleinen und mittelständischen Unternehmen Andrea Wicklein (SPD): verbessern und ihnen durch die Krise helfen. Nicht nur in der derzeitigen wirtschaftlichen Lage ist Viel getan – viel zu tun, das gilt auch hier. Die KfW ist die Eigenkapitalausstattung deutscher Unternehmen ein dabei, die Durchführung der Konjunkturprogramme für wichtiges Thema. Mit ausreichend Eigenkapital können den Mittelstand zu optimieren. Noch kommt das Geld Unternehmen kostengünstiger investieren, neue Arbeits- beim Mittelstand nicht im gewünschten Umfang an. Und plätze schaffen oder erhalten. Unbenommen ist in der langfristig brauchen wir noch weitere Verbesserungen, derzeitigen Lage auf dem Finanzmarkt ausreichend Ei- um die Finanzierungs- und Eigenkapitalsituation des genkapital für die Unternehmen besonders wichtig, um Mittelstandes zu stärken. Zu beseitigen sind insbesondere Projekte umsetzen zu können. (B) die Nachteile, die die Unternehmensteuerreform – trotz Die Bundesregierung hat bereits in den letzten Jahren (D) aller Vorteile durch die breiten Steuersenkungen – für die die rechtlichen Rahmenbedingungen deutlich verbessert, Unternehmen auch gebracht hat und die gerade jetzt kri- um die Eigenkapitalbasis der Unternehmen zu stärken: senverschärfend wirken. So wurden insbesondere die Mit der Unternehmensteuerreform haben wir die Besteue- Verrechnung von Verlusten auch bei seriösen Beteili- rung der Gewinne von Kapitalgesellschaften von fast gungsinvestitionen und die Zinsabzugsfähigkeit durch die 39 Prozent auf unter 30 Prozent gesenkt. Diese Steuerent- sogenannte Zinsschranke verschlechtert – mit allen lastung der Unternehmen haben wir uns als Sozialdemo- Nachteilen für besonders wachstumsstarke, kapitalinten- kraten nicht leicht gemacht. Sie hilft aber heute, mehr sive Unternehmen, für Unternehmen in der Krise und für Eigenkapital in den deutschen Unternehmen zu bilden forschende Unternehmen. Diese Nachteile konnten auch und vor allem – was uns wichtig war – die Steuerflucht ins durch das neue Wagniskapitalgesetz für Investoren in in- Ausland zu stoppen. Was die Höhe der Besteuerung be- novativen Unternehmen nicht kompensiert werden. Vor trifft, befinden wir uns wieder im europäischen Mittelfeld. allem das Engagement von Business Angels, die in frühen Auch die Abgeltungsteuer, mit der Kapitalerträge einheit- Phasen für innovative Unternehmen durch Rat und Tat lich mit 25 Prozent besteuert werden, ist bereits Realität. und Investitionen unersetzlich sind, wird nach wie vor Sie hat die Transparenz der Besteuerung deutlich verbes- nicht angemessen steuerlich gewürdigt. Selbst die Erhö- sert. hung der Freigrenze für die Veräußerungsgewinnbesteue- Zu erwähnen ist auch das Gesetz zur Modernisierung rung im Wagniskapitalgesetz kommt nicht zum Zuge, da der Rahmenbedingungen für Kapitalbeteiligungen vom die EU diese Regelung noch immer nicht freigegeben hat. Juni letzten Jahres, das die FDP abgelehnt hat. Mit dem Es besteht jedoch begründete Hoffnung, dass wir den Gesetz wurden die Rahmenbedingungen für die Bereit- Mittelstand – wie von der Union seit langem gefordert – stellung von Kapital an junge und mittelständische Un- in einigen Bereichen bald noch weiter steuerlich entlas- ternehmen verbessert. Ein wichtiger Teil war die Förde- ten können. So hat die SPD im Rahmen unserer Verhand- rung von Wagniskapitalbeteiligungen durch steuerliche lungen inzwischen signalisiert, dass sie zumindest bei Sa- Freistellungen. Wir haben die Bedingungen für Beteili- gungskapital für junge und mittelständische Unterneh- nierungsfällen eine steuerliche Verlustverrechnung für men, denen andere Finanzierungsmöglichkeiten nicht of- die Investoren unter bestimmten Voraussetzungen für fen stehen, also bereits deutlich verbessert. möglich hält und dass sie auch die Einführung eines steu- erlichen Verlustrücktrages und die Verlängerung der Ist- Bundesregierung und Bundestag haben auch auf die Besteuerung bei der Umsatzsteuer über 2009 hinaus prü- Finanzierungsschwierigkeiten der deutschen Wirtschaft fen will. durch die Krise auf den Finanzmärkten reagiert. Wir ha-

Zu Protokoll gegebene Reden 24132 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Andrea Wicklein (A) ben nicht nur die geltenden Förderprogramme aufge- darf nicht gegenüber anderen Finanzierungsformen dis- (C) stockt, sondern leisten mit dem Bürgschaftsprogramm kriminiert werden. Auf der Seite der Unternehmen muss von 115 Milliarden Euro über die KfW einen wichtigen der Staat dabei vor allem zur Aufklärung beitragen, denn Beitrag für Investitionen und den Erhalt von Arbeitsplät- vielfach ist die zu geringe Eigenkapitalausstattung auf zen in Deutschland. Erstmals können auch größere Un- mangelnde Informationen über die verschiedenen Mög- ternehmen von dem Programm profitieren. lichkeiten der Unternehmensfinanzierung zurückzufüh- ren. So ist oftmals eine Angst vor Eigenkapital von Betei- Der Antrag der FDP stammt bekanntlich aus dem Jahr ligungsgebern festzustellen. Gerade Existenzgründer 2006. Dort wurde noch – dieser Seitenhieb sei mir er- oder aber neue Unternehmen mit hohen Forschungs- und laubt – davon gesprochen, dass „kapitalmarktbasierte Entwicklungskosten sollten vor Beteiligungskapitalge- Finanzierungsinstrumente“ eine „Chance zu einer Effi- bern nicht zurückschrecken. Wenn die Politik diese Geld- zienzsteigerung des Finanzsystems“ bieten würden. Die geber jedoch pauschal als Heuschrecken beschimpft, ist FDP schlussfolgert daraus, dass sich der Zugang zu tra- dies nicht hilfreich. Stattdessen muss der Staat den Grün- ditionellen Finanzierungsmitteln in Form von Krediten dern alle sich dadurch bietenden Möglichkeiten aufzei- aufgrund dieser veränderten Geschäftspolitik der Banken gen und diese Finanzierungsform erleichtern. Dafür verschlechtert habe. Im Rückblick wissen wir: Nicht die kommen steuerliche Förderungen in Betracht. Unternehmen leiden unter „unzureichender Aufklärung“ über Finanzierungsinstrumente, wie die FDP in ihrem Wenn wir in unserem Antrag 2006 gefordert haben, die Antrag schreibt, sondern die Banken müssen ihre Ge- mittelständischen Unternehmen auf der Kapitalseite fit zu schäftspolitik ändern! machen, so war das bereits zu jenem Zeitpunkt richtig. Derzeit ist es geradezu zwingend. Wer sich vor Augen Paul K. Friedhoff (FDP): führt, dass der Mittelstand hierzulande 40 Prozent aller Unternehmensumsätze erwirtschaftet und über 70 Pro- Obwohl alle anderen Fraktionen unseren Antrag im zent aller Arbeitsplätze stellt, der kann unser Anliegen Frühjahr 2007 ablehnten, nahmen sie die enthaltenen nur unterstützen. Forderungen ernst. Einige unserer Forderungen wie die zur Vermeidung von Finanzbürokratie hilfreiche Abgel- tungsteuer wurden umgesetzt. Sabine Zimmermann (DIE LINKE): Die Frage, wie viel Eigenkapital ein mittelständisches Aber lassen Sie mich zum grundlegenden Problem Unternehmen braucht, erhält eine völlig neue Bedeutung kommen, der zu geringen Eigenkapitalausstattung des durch die derzeitige Wirtschaftskrise, die die tiefste und deutschen Mittelstandes. Die Banken sind derzeit nicht wahrscheinlich auch längste Wirtschaftskrise wird in der willens oder in der Lage, die Kreditnachfrage zu befrie- Geschichte der Bundesrepublik. (B) digen. Das ist für kleine und mittlere Unternehmen beson- (D) ders schlimm, da gerade diese kaum einen Zugang zum Erstens: Die Höhe des Eigenkapitals wird zur Überle- Kapitalmarkt haben und daher auf die klassischen Finan- bensfrage. Sie entscheidet darüber, ob das Unternehmen zierungsmöglichkeiten angewiesen sind. Eine ausrei- genügend Substanz besitzt, um Auftragseingänge und chende Finanzierung ist aber für Innovationen und Inves- Nachfrageeinbrüche zu verkraften, die Krise zu überste- titionen ebenso wichtig wie für die Standortsicherung und hen und damit auch Arbeitsplätze zu halten. Das gilt für den Erhalt der Arbeitsplätze. die mittelständische Baufirma ebenso wie für den kleinen Kfz-Betrieb oder den Bäckermeister. In der jetzigen Lage sind die Banken aufgefordert, ihrer Verantwortung und ihrer Funktion als gewerblicher Zweitens: Bei der Kreditvergabe der Banken hat die Finanzierungshelfer nachzukommen. Zwar haben sie Höhe des Eigenkapitals ein noch stärkeres Gewicht be- gesteigerte Anforderungen an ein die Kreditrisiken ab- kommen. Das hat nicht nur etwas mit der Finanzrichtlinie sicherndes Eigenkapital zu beachten, und dies ist auch Basel II zu tun. Es ist schlicht so, dass trotz der Milliar- sinnvoll, da die Finanzkrise gerade durch unterbe- den-Bürgschaften für den Bankensektor die privaten Ge- sicherte Kreditausreichungen verstärkt wurde. Doch dür- schäftsbanken eine restriktive Kreditvergabe betreiben, fen die Banken jetzt nicht über das Ziel hinausschießen also hohe Anforderungen an das Eigenkapital der Unter- und gesunde Unternehmen durch zu restriktive Kreditver- nehmen stellen. Werden die Bedingungen nicht erfüllt, gabe in Bedrängnis bringen. Das Problem ist häufig nicht gibt es keinen Kredit oder der Zinssatz wird raufge- der grundsätzliche Zugang zu Krediten, meist jedoch sind schraubt. Erst gestern meldete eine Wirtschaftsagentur: es die Konditionen. „Kreditklemme erfasst Deutschlands Biotech-Branche“. Angesicht dessen ist es richtig und wichtig, dass wir die Eine allgemeine Kreditklemme ist derzeit nicht fest- Frage des Eigenkapitals kleiner und mittlerer Unterneh- stellbar, dies ist immerhin beruhigend. Wegen der tradi- men diskutieren. Aber wir müssen hier zu Lösungen kom- tionell starken Abhängigkeit von Bankkrediten aber ist men, und zwar zu solchen, die mit der bisherigen Politik der Mittelstand von einem Anstieg der Kreditkosten be- brechen. sonders stark betroffen. Daher kann die Kreditvergabe- praxis der Banken in vielen Fällen für die Investitions- Die FDP spricht von mehr Risikokapital und Steuer- schwäche der Unternehmen verantwortlich gemacht senkungen für Privatinvestoren. Sie hat für diese Forde- werden. rungen bis auf Die Linke von allen Parteien Zustimmung erhalten. Aber genau diese Politik hat uns in die heutige Der Staat sollte alles unterlassen, was die Unterneh- Krise geführt. Es wäre verhängnisvoll, wenn wir nicht mensfinanzierung erschwert. Privates Wagniskapital daraus lernen und alles beim Alten bleibt. Wir müssen

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24133

Sabine Zimmermann (A) neue Wege gehen, und zwar nicht nur in Worten, wie es fort wirksame Maßnahmen, die den Unternehmen helfen, (C) die SPD immer wieder tut, sondern in Taten. die Krise produktiv zu bewältigen. Solche Ansätze bietet der FDP-Antrag nicht. Die Linke hat klare Alternativen. Wir fordern, mit der bisherigen Wirtschaftspolitik zu brechen, die rein auf So ist der Antrag in großen Teilen überholt. Die von Profit ausgerichtet war und die derzeitige Krise hervor- der FDP geforderte Abgeltungsteuer ist längst einge- gebracht hat. Wir wollen für das künftige Wirtschaften führt. Allerdings ist diese Abgeltungsteuer so ausgestal- das Gemeinwohl ins Zentrum stellen. Das wäre auch zum tet, dass die Eigenkapitalbildung der Unternehmen be- Wohle der vielen kleinen und mittleren Unternehmen in hindert wird. Dividenden werden mit rund 50 Prozent fast diesem Land und ihrer Beschäftigten. doppelt so hoch besteuert wie Zinsen mit 25 Prozent. Da- Was sind diesbezüglich unsere zentralen Forderun- mit hat die Große Koalition einen starken Anreiz gesetzt, gen? die schon jetzt dünne Eigenkapitaldecke zugunsten von Fremdkapitalfinanzierungen weiter auszudünnen. Auch Erstens: Der Bankenrettungsschirm ist ein Milliarden- der Sachverständigenrat hat davor gewarnt, dass die geschenk an die Manager ohne klare Auflagen für eine verfehlte Ausgestaltung der Abgeltungsteuer Eigenkapi- bessere Kreditversorgung. Wir lehnen das ab und wollen talfinanzierungen zum steuerlich unattraktivsten Finan- stattdessen alle Großbanken vergesellschaften. Nur so zierungsweg werden lässt. Diese Probleme werden im kann im öffentlichen Interesse der Staat beeinflussen, Antrag der FDP gar nicht angesprochen. Wir Grünen for- dass es ausreichend Kredite gibt zu ordentlichen Kondi- dern die Abgeltungsteuer so auszugestalten, dass Eigen- tionen. Zugleich stellt diese Maßnahme sicher, dass nicht und Fremdkapital gleich hoch besteuert werden, zum Bei- wie bisher der Steuerzahler für die Verluste aufkommt, die spiel durch die Anwendung des halben Steuersatzes auf Gewinne aber in privater Hand einiger weniger verblei- Dividenden und Veräußerungsgewinne. ben. Der Antrag der FDP bleibt trotz der fortgeschrittenen Zweitens fordert Die Linke einen staatlichen Zukunfts- Diskussion zur Förderung von Wagniskapital sehr im All- fonds in Höhe von 100 Milliarden Euro. Dieser soll gemeinen. So fordert die FDP zum Beispiel bessere Kredite, Subventionen und Beteiligungen an Industrie- Bedingungen für Beteiligungskapitalgeber oder Erleich- unternehmen ermöglichen. Aber anders als die Bundes- terungen für die Beteiligung von Privatinvestoren durch regierung knüpfen wir die Vergabe der Gelder an die Bedin- Steuersenkungen. Konkrete Vorschläge zu Maßnahmen gung, dass Beschäftigung gesichert wird und ökologische und Steuersätzen fehlen. Keinerlei Erkenntnisfortschritte Innovationen stattfinden. So werden notleidende Unter- bringt der Antrag für die Abgrenzung der förderungswür- nehmen unterstützt und zugleich der Weg zu einem ande- digen Frühphasen- und Anschlussfinanzierungen von (B) ren Wirtschaften eingeschlagen, damit wir in einigen normalen Buy-outs. Eine Fokussierung der Förderung (D) Jahren nicht wieder vor denselben Problemen stehen wie auf junge innovative Unternehmen oder Hochtechnolo- heute. Es darf kein „weiter so“ geben! giegründungen ist aber notwendig, um keine allgemeine Drittens: Das Eigenkapital vieler kleiner und mittlerer Steuerbegünstigung zu schaffen. Das zeigen auch inter- Unternehmen verbessert sich letztlich durch eine ordent- nationale Erfahrungen. So wurde zum Beispiel über die liche Auftragslage – das heißt genügend und gut bezahlte Abschaffung der Steuervorteile für Private Equity in den Aufträge. Die Linke fordert ein öffentliches Investitions- USA und Großbritannien diskutiert, gerade weil diese programm, das diesen Namen verdient. Die Gewerk- eine allgemeine Begünstigung dieser Branche und keine schaft Verdi hat vor dem Hintergrund der sich verschär- Förderung von innovativen Unternehmen darstellen. fenden Krise völlig zu Recht die Zahl von 100 Milliarden Euro genannt. Mit Investitionen in diesem Umfang wür- Wir Grünen haben in unserem Antrag „Innovations- den zehntausende Handwerks- und Dienstleistungsunter- fähigkeit des Standortes stärken – Wagniskapital för- nehmen unterstützt und hunderttausende Arbeitsplätze dern“ klare Forderungen aufgestellt. Ins Zentrum der gesichert und neu geschaffen. Förderung sollen Hochtechnologiegründungen und junge innovative Unternehmen gestellt werden. Diese Ich komme zum Schluss: Wenn es die Bundesregierung steuerliche Förderung soll deshalb zielgenau auf kleine ernst meint mit einem Politikwechsel, muss sie diese Vor- und mittlere Technologie- und andere hochinnovative schläge aufgreifen. Andernfalls bleibt es bei Lippenbe- Unternehmen beschränkt werden, die zunächst mindes- kenntnissen. Verlierer wären zehntausende kleine und tens 30 Prozent ihres Umsatzes für Forschung und Ent- mittlere Unternehmen und ihre Beschäftigten. wicklungsausgaben aufwenden und die nicht von einem oder mehreren zusammenwirkenden Großunternehmen Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): beherrscht werden. Konkret fordern wir, dass bei Über- Die Intention des FDP-Antrages, die Eigenkapital- tragung und Verkauf von Anteilen und Neuinvestition situation für kleine und mittlere Unternehmen zu verbes- von Kapital Verlustvorträge voll erhalten bleiben sollen. sern, ist grundsätzlich richtig und wird von uns ausdrück- Verluste sollen auch zeitlich und in der Höhe unbe- lich unterstützt. Die konkreten Forderungen der FDP schränkt vorgetragen und mit Gewinnen verrechnet wer- bringen uns allerdings nicht voran; denn die Krise ist in den können. Die Mindestbesteuerung soll in diesen Fäl- der Wirtschaft unverkennbar angekommen: Auftragsein- len nicht greifen. Um die negativen Wirkungen der gänge und Umsätze brechen dramatisch ein, die Kurzar- Abgeltungsteuer zu mindern, sollen Dividenden und pri- beit steigt rasant, und auch die Zahlen der Arbeitslosen vate Veräußerungsgewinne der Anteilseigner mit dem und der Insolvenzen klettern nach oben. Wir brauchen so- halben Steuersatz der Abgeltungsteuer belegt werden.

Zu Protokoll gegebene Reden 24134 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Christine Scheel (A) Damit wird die Benachteiligung der Eigenkapitalfinan- Vizepräsidentin Petra Pau: (C) zierung beseitigt. Venture Capital Fonds, die in diese Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Hightechunternehmen investieren, sollen generell als Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Be- vermögensverwaltend eingestuft werden. Dies bedeutet, schlussempfehlung auf Drucksache 16/5952, den Antrag dass auf der Fondsebene keine Besteuerung stattfindet. – der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/3841 abzuleh- Solche klaren Forderungen fehlen im FDP-Antrag. nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Die Be- Auch für die unmittelbare Krisensituation hat die FDP schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfrak- nichts zu bieten. Unternehmen sparen in der Krise zuerst tion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der bei Forschung und Entwicklung. Um kurzfristig zu über- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der leben, opfern kleine und mittlere Unternehmen Kapazitä- FDP-Fraktion angenommen. ten, die sie für den ökologischen Strukturwandel dringend brauchen. Wir wollen mit einer 15-prozentigen Steuergut- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf: schrift für alle FuE-Ausgaben diesem Trend entgegenwir- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- ken. Wir wollen mittelständische Unternehmen stärker richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- anreizen, neue Produkte und Verfahren zu entwickeln. nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge- Der Mittelstand ist das Rückgrat unserer Wirtschaft; eine ordneten Martin Zeil, Rainer Brüderle, Paul K. ökologische Wende kann nur mit dem Mittelstand gelin- Friedhoff, weiterer Abgeordneter und der Frak- gen. Die Steuergutschrift soll wie eine Zulage wirken; sie tion der FDP wird also auch gezahlt, wenn das Unternehmen Verlust macht und gar keine Steuern zahlt. Damit fördern wir De-minimis-Beihilfen mittelstandsfreundlicher auch Unternehmen, die trotz Verlusten weiter in die Zu- ausgestalten kunft investieren. – Drucksachen 16/3149, 16/7730 – Natürlich unterstützen auch wir Grünen Mitarbeiter- Berichterstattung: beteiligungen an Unternehmen. Es gehört einfach zu Abgeordnete Andrea Wicklein einer modernen Unternehmenskultur, dass die Mit- arbeiterinnen und Mitarbeiter an ihrem Unternehmen Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die partizipieren. Stock Options sind allerdings für Mitarbei- Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die terbeteiligungen ungeeignet, da diese hochgradig risiko- Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Dr. Michael belastet sind. Hier ist die FDP auf dem Holzweg. Notwen- Fuchs für die Unionsfraktion, Andrea Wicklein für die SPD-Fraktion, Paul K. Friedhoff für die FDP-Fraktion, (B) dig ist vielmehr, dass die Bundesregierung bürokratische (D) Hemmnisse bei Mitarbeiterbeteiligungen abbaut. Sabine Zimmermann für die Fraktion Die Linke, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn für die Fraktion Etwas unklar sind auch die FDP-Forderungen zu För- Bündnis 90/Die Grünen. derkrediten. So sollen diese zielgerichteter eingesetzt werden. Offen bleibt allerdings, um welche Ziele es geht; Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): denn hier werden in den unterschiedlichen Bereichen Die Dimension der derzeitigen Finanzkrise stellt uns ganz unterschiedliche Zielstellungen verfolgt, zum Bei- alle vor bislang unbekannte Herausforderungen. Da die spiel die Unterstützungen des „kleinen“ Mittelstands, Krise global um sich greift, sind auch zahlreiche deutsche von Unternehmensgründungen oder von Wachstumspha- Kreditinstitute mit in den Finanzstrudel geraten. sen. Eine Weiterentwicklung der Förderprogramme und eine Erhöhung des Bekanntheitsgrades verschiedener Deutschland hat zwar als Exportweltmeister vom zu- Finanzierungsmöglichkeiten, wie von der FDP gefordert, rückliegenden Boom überdurchschnittlich profitiert, die ist zwar nicht falsch, aber nicht das Gebot der Stunde. Wucht, mit der uns die globale Talfahrt trifft, zeigt uns Jetzt muss es darum gehen, den Unternehmen unbürokra- allerdings, dass infolge der Krise ein Lebensnerv unserer tischen und schnellen Zugang zu den zusätzlichen Kredit- Volkswirtschaft getroffen ist. programmen der KfW zu verschaffen. Außerdem leiden Der Mittelstand ist Wirtschafts- und Jobmotor und viele kleine Unternehmen und Handwerksbetriebe derzeit somit Rückgrat unserer Volkswirtschaft. Von ihm wird der besonders unter der schlechteren Zahlungsmoral ihrer Großteil unseres Wohlstands erarbeitet. Kunden. Oft müssen sie die für ihre Produkte und Leistun- gen berechnete Umsatzsteuer an den Fiskus überweisen, Doch der Motor beginnt angesichts der sich zuspitzen- obwohl sie selbst noch kein Geld bekommen haben. Dies den konjunkturellen Schieflage zu stottern, die Wirtschaft gefährdet zusätzlich die Liquidität. Kleinbetriebe und bricht mehr und mehr ein. Einzelnen Unternehmen fällt Handwerker sollen deshalb nur noch Umsatzsteuer für es schwer, neue Kredite zu erhalten. bereits bezahlte Rechnungen an den Fiskus abführen Solche Finanzierungsengpässe beeinträchtigen je- müssen. Die hierfür gültige Umsatzhöchstgrenze von doch Investitionen und hemmen somit Innovation und 250 000 Euro soll mindestens verdoppelt werden. Wachstum der Unternehmen. Der FDP-Antrag ist in großen Teilen überholt, er ist Vor dem Hintergrund des schwersten Konjunkturein- unkonkret und bietet nicht die richtigen Antworten auf die bruchs seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland gegenwärtige Krise. Wir lehnen ihn deshalb ab. sehen sich einzelne Unternehmen zunehmend mit ver- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24135

Dr. Michael Fuchs (A) schärften Anforderungen an die Finanzierung ihrer im zinslicher Darlehen“ zur vorübergehenden Gewährung (C) Kern gesunden Geschäfte konfrontiert. niedrigverzinslicher Kredite an Unternehmen genehmigt. Diese ernstzunehmende Entwicklung stellt eine Exis- Dadurch ist es Bund, Ländern und Kommunen sowie tenzbedrohung für die betroffenen, meist mittelständi- öffentlichen Förderbanken wie der KfW möglich, Unter- schen Unternehmen, aber auch für unsere Wirtschaft ins- nehmen, die infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise in gesamt dar und könnte den gegenwärtigen Abwärtstrend Schieflage geraten sind, vergünstigte Zinssätze für Dar- noch weiter verstärken. lehen zu gewähren. Sowohl Politik als auch Wirtschaft stehen in diesen Das sich aus dieser Zinsverbilligung ergebende Ge- Wochen und Monaten vor Herausforderungen, bei denen samtvolumen des Programms beläuft sich auf 6 Milliar- niemand von uns auf vergleichbare Erfahrungswerte zu- den Euro! Ebenso wie die „Bundesregelung Kleinbeihil- rückgreifen kann. Damit die von uns in den zurückliegen- fen“ ist diese Regelung bis zum 31. Dezember 2010 den Monaten angeregten Maßnahmen aber überhaupt befristet. Zusammen mit dem von der Bundesregierung wirken können, brauchen insbesondere die mittelständi- initiierten „KfW-Sonderprogramm 2009“ zur Deckung schen Unternehmen eine sichere und vor allem zügige des Unternehmensfinanzierungsbedarfs in Höhe von Kreditversorgung. Dies ist allerdings nach wie vor noch 15 Milliarden Euro und der Aufstockung des ZIM um ins- nicht in ausreichendem Maße sichergestellt. gesamt 900 Millionen Euro im Zuge des Konjunktur- So musste bislang ein Unternehmen unendlich viel Zeit pakets II liegen die beiden Bundesrahmenregelungen im für die Beantragung einer sogenannten De-minimis-Bei- Interesse der mittelständischen Wirtschaft. hilfe aufbringen. Denn alles, was über der 200 000-Euro- Durch die Gewährung niedrigverzinslicher Darlehen Förderung lag, musste in Brüssel erst langwierig geprüft und die Anhebung des De-minimis-Höchstbetrags eröff- und genehmigt werden. nen wir den betroffenen Unternehmen gerade jetzt in In einem Schreiben an EU-Wettbewerbskommissarin Zeiten des konjunkturellen Einbruchs neue Spiel- und Neelie Kroes hat der damalige Bundeswirtschaftsminis- Handlungsräume. Dadurch stärken wir ihre Innovations- ter Glos bereits im November 2008 auf die sich zuspitzen- aktivitäten und initiieren Wirtschaftswachstum. Die be- den Finanzierungsengpässe von an sich gesunden Unter- stehenden beihilferechtlichen Instrumentarien sind von nehmen hingewiesen und unter anderem eine zeitlich uns flexibel ausgestaltet worden. Durch die befristete befristete Verdopplung der De-minimis-Beihilfen auf Handhabung wird es uns möglich sein, die Folgen der 400 000 Euro gefordert. Krise für den Mittelstand abzufedern ohne dabei den Wettbewerb zu verzerren. Meine sehr verehrten Kollegen von der FDP, Ihr An- (B) trag ist also nichts Neues. Im Gegenteil: Die Bundes- (D) regierung hat sich frühzeitig für eine Anhebung der De- Andrea Wicklein (SPD): minimis-Grenze ausgesprochen. Kollege Worum geht es bei der „De-minimis“-Regelung? Mit hat im Gegensatz zu Ihrem an sich betagten Antrag eine ihr wird für alle EU-Mitgliedsländer einheitlich der deutlich höhere Anhebung der De-minimis-Grenze initi- Schwellenwert festgelegt, bis zu dem staatliche Beihilfen ieren können. nicht dem EU-Beihilferecht unterliegen. Dies betrifft so- wohl die Direkthilfen als auch die Höhe von Bürgschaf- So hat die EU-Kommission bereits Mitte Dezember im ten. Die „De-minimis“-Regelung zieht also eine „Unter- sogenannten „Vorübergehenden Gemeinschaftsrahmen“ grenze“ im Beihilferecht ein. Wie auch die FDP in ihrem eine neue Kleinbeihilfe von 500 000 Euro zugelassen, die Antrag richtig sagt, hat die EU-Kommission diese Höhe von der Bundesregierung bereits am 29. Dezember 2008 des Schwellenwertes bereits mehrfach angehoben. durch die „Bundesregelung Kleinbeihilfen“ umgesetzt worden ist. Wichtig zu wissen ist allerdings: Diese Schwellenwerte sind nicht willkürlich. Natürlich erleichtert jede Herauf- Mit dieser bis Ende 2010 zeitlich befristeten Anhebung setzung den Unternehmen, direkte staatliche Fördermit- der Fördersumme auf maximal 500 000 Euro ist es uns tel oder Bürgschaften in Anspruch zu nehmen. Hohe gelungen, die Beihilferegelungen insbesondere für mittel- Schwellenwerte erleichtern auch jedem EU-Mitglied- ständische Unternehmen zu lockern und darüber hinaus staat, bestimmte Branchen oder Unternehmen direkt zu erheblich auszuweiten, um mögliche Finanzierungseng- fördern. Doch bei allem sollten die Ziele der europäi- pässe nicht entstehen zu lassen. schen Beihilfekontrolle nicht außer Acht gelassen wer- Wird die Bagatellgrenze von 500 000 Euro im Zeit- den. Denn ordnungspolitisch dient die Beihilfenkontrolle: raum zwischen dem 1. Januar 2008 und dem 31. Dezem- dem Schutz vor Wettbewerbsverzerrungen, der Vermei- ber 2010 nicht überschritten, muss die Beihilfe weder bei dung von volkswirtschaftlichen Fehlentwicklungen, ins- der Europäischen Kommission angemeldet noch von ihr besondere eines „Subventionswettlaufs“, sowie der genehmigt werden. Dies erleichtert und erlaubt es den Selbstkontrolle der EU im Verhältnis zu auswärtigen Unternehmen, neben ihren Investitionen auch die laufen- Handelspartnern (OECD, WTO). den Ausgaben wie beispielsweise Aus- und Weiterbil- Die Schwellenwerte werden deshalb ganz bewusst in dungskosten in erhöhtem Umfang fördern zu lassen. Anbetracht dieser Eckpunkte festgelegt. Änderungen soll- Darüber hinaus hat die EU-Kommission im Februar ten zumindest ordnungspolitisch begründbar sein. Das dieses Jahres die von der unionsgeführten Bundesregie- hat die FDP mit ihrem Antrag nicht getan. Dem Antrag rung konzipierte „Bundesrahmenregelung niedrigver- der FDP-Fraktion vom 25. Oktober 2006 kann darüber

Zu Protokoll gegebene Reden 24136 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Andrea Wicklein (A) hinaus nicht zugestimmt werden, weil er inhaltlich längst Übrigens ist es selbstverständlich eine dauerhafte Auf- (C) überholt ist. Ich möchte Ihnen das kurz begründen: gabe der Bundesregierung, bei der Ausgestaltung der Beihilferegelung der Europäischen Union eine mittel- Die „De-minimis“-Grenzen lagen zum Zeitpunkt des standsfreundliche Position zu vertreten. Ich kann nicht FDP-Antrages noch bei 100 000 Euro. Dann beschloss erkennen, dass sie dieser Aufgabe nicht gerecht wird. die EU-Kommission am 12. Dezember 2006 die neue Deshalb ist der Antrag der FDP im Wirtschaftsausschuss „De-minimis“-Verordnung, die am 1. Januar 2007 in von allen Fraktionen abgelehnt worden und sollte auch Kraft trat und bis zum 31. Dezember 2013 gelten sollte. heute abgelehnt werden. Darin wurden die behilferechtlichen Bagatellgrenzen auf 200 000 Euro angehoben. Paul K. Friedhoff (FDP): Es stimmt auch – und insofern war Ihr Antrag in einem Der Wirtschaftsausschuss hat Ende 2007 dem Deut- wesentlichen Punkt durchaus zutreffend –, dass es in der schen Bundestag empfohlen, unseren Antrag für eine mit- EU-Kommission vor der neuen Verordnung Bestrebungen telstandsfreundlichere Gestaltung der Regelung von gab, das Beihilferecht zu verschärfen und staatliche För- „De-minimis“-Beihilfen abzulehnen. Diese Ablehnungs- dermaßnahmen verstärkt unter einen beihilferechtlichen empfehlung sah meine Fraktion schon damals als falsch Genehmigungsvorbehalt zu stellen. Das aber konnte da- an. mals auch Dank unserer Intervention abgewendet wer- den. In den Beratungen zur neuen „De-minimis“-Verord- Wir haben diesen Antrag im Herbst 2006 gestellt, in ei- nung konnte die Bundesregierung außerdem durchsetzen, ner Zeit wirtschaftlichen Aufschwungs. Seitdem haben dass den Mitgliedstaaten eine Öffnungsklausel gewährt sich – insbesondere im letzten Dreivierteljahr – die wirt- wird, um durch eigene, von der EU-Kommission geneh- schaftlichen Gesamtumstände massiv verschlechtert. Je migte Berechnungsmethoden höhere Bürgschaftsbeihilfe- mehr die Wirtschaftskrise auch den Mittelstand bedroht werte zu erreichen. und je problematischer die Finanzierung von Investitio- nen wird, desto wichtiger wird eine entschiedene Verbes- Inzwischen sind aber bereits im Dezember 2008 mit serung der Bedingungen, unter denen mittelständische Hinblick auf die dramatischen Auswirkungen der Finanz- Unternehmen wirtschaften können. krise die „De-minimis“-Grenzen auf bis zu 500 000 Euro angehoben worden. Damit sind die behilferechtlichen Ba- Eine wesentliche Rahmenbedingung sind die Regeln für die Finanzierung von Investitionen. Bei den Investi- gatellgrenzen heute mittelstandsfreundlicher als jemals tionen entscheidet sich oft, ob die Wettbewerbsfähigkeit zuvor, und damit hat sich die EU-Kommission in der und Zukunftsfähigkeit der Unternehmen gesichert werden Frage der nationalen Unterstützungsmaßnahmen als kann. In unserem Antrag fordern wir, dass der Rahmen (B) ausgesprochen flexibel und konstruktiv erwiesen. Diese (D) erweitert wird, in dem staatliche Bürgschaften an Unter- Anhebung ist gerade jetzt ganz entscheidend für Indus- nehmen ausgereicht werden dürfen, ohne als sogenannte trie, Handel und Gewerbe. Mit der neuen Festlegung der intransparente Beihilfe zu gelten. Nach der derzeitigen Grenzen können durch staatliche Fördermaßnahmen für europäischen Verordnung können Bürgschaften nur bis einen begrenzten Zeitraum gezielt Innovationen und In- 1,7 Millionen Euro ohne Genehmigung der EU-Kommis- vestitionen unterstützt und entbürokratisiert werden. Das sion vergeben werden. Diese Grenze ist oftmals zu nied- dient den kleinen und mittleren Unternehmen, die unser rig. Angesichts der massiven Finanzierungsprobleme auf Rückgrad für Wachstum und Beschäftigung sind. breiter Front und der zögerlichen Kreditvergabe durch Die Anhebung schafft vor allem den Bundesländern private Banken ist eine Aufstockung nötig. den nötigen Freiraum, den Klein- und Mittelstand schnell Gerade in Krisenzeiten ist die Vermeidung umfangrei- und gezielt zu helfen. Nun ist es wichtig, dass die Länder cher Genehmigungsbürokratie für schnelle konjunktu- von dieser Möglichkeit auch Gebrauch machen und die relle Erholung enorm wichtig. Verzögerungen durch staatliche Unterstützung so eingesetzt wird, dass Arbeits- langwierige Verfahren torpedieren eine effektive Hilfe für plätze gesichert oder geschaffen werden. Da die ostdeut- den Mittelstand. Sie sehen, dass unser Antrag gerade in schen Bundesländer flächendeckend Höchstfördergebiet der jetzigen Situation aktuell wie kaum zuvor ist. Die sind, können sie nun aufgrund der neuen „De-minimis“- Bundesregierung bleibt aufgefordert, bei der EU-Kom- Grenzen die ihnen zur Verfügung stehenden Investitions- mission dafür einzutreten, dass die Grenzen für öffentli- fördermittel noch flexibler einsetzen. Das freut mich als che Bürgschaften zur Mittelstandsförderung heraufge- ostdeutsche Bundestagsabgeordnete. setzt werden. Ich möchte noch mal betonen: Die „De-minimis“- Wir mussten ja bereits mit ansehen, wie die Bundes- Schwellenwerte sind keine Willkür. Sie müssen – und das regierung nach dem Prinzip vorgeht: „Bei den Großen hat die EU-Kommission getan – je nach aktueller Situa- kommt der Bundesadler, bei den Kleinen kommt der Plei- tion flexibel gehandhabt und möglichst unbürokratisch tegeier“. Jetzt muss für die „De-minimis“-Beihilfen auf ausgestaltet sein. Das ist mit der Anhebung auf europäischer Ebene gehandelt werden, damit nicht not- 500 000 Euro klar der Fall. Auch die Zustimmung der wendige und gewollte Investitionen an hohen bürokrati- EU-Kommission, dass zunächst bis Ende 2010 alle EU- schen Hürden scheitern. Hier kann sich die Bundesregie- Mitgliedstaaten ohne individuelle Prüfung durch die EU- rung ganz konkret für die Belange der „Kleinen“ Wettbewerbsaufsicht Mittel im Rahmen eines nationalen einsetzen, anstatt in Sonntagsreden die mittelständische Rettungsplans vergeben können, trägt dem Rechnung. Wirtschaft hochleben zu lassen.

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24137

(A) Sabine Zimmermann (DIE LINKE): zitiere die für die Linke unverdächtige „Wirtschaftswo- (C) Jedes Jahr werden Unternehmen mit großen Geldsum- che“: men subventioniert. 25 Milliarden Euro Fördermittel für Eine aktuelle Umfrage der Deutschen Bank zeigt, mittelständische Unternehmen in Deutschland wurden dass nur rund ein Drittel der mittelständischen Un- allein im Jahr 2007 bereitgestellt, von der Europäischen ternehmen öffentliche Fördermittel nutzt, obwohl Union, der Bundesregierung und den Bundesländern. 61 Prozent dieser Unternehmen grundsätzlich Inte- Bei dem Thema De-minimis-Beihilfe, über das wir resse daran hätten, diese in Anspruch zu nehmen. heute beraten, geht es darum, ab welcher Höhe die EU- Doch oft sind die Programme gar nicht bekannt, Kommission solche Subventionen an Unternehmen ge- heißt es in der Studie. Mancher Unternehmer schei- nehmigen muss. Der Begriff de minimis ist aus dem ehe- tert auch an seiner Hausbank, bevor die seinen An- maligen Römischen Recht abgeleitet und bedeutet so viel trag an die Förderbank weiterreicht. Denn die wie: „Um Geringfügigkeiten kümmert sich das Gesetz Hausbank muss die Unterlagen prüfen und für die nicht“. Nach der derzeitigen Regelung müssen Subven- Rückzahlung der öffentlichen Mittel einstehen. Die tionen an Unternehmen bis zu einer Grenze von Arbeit machen sich manche Banker aber lieber, 200 000 Euro nicht bei der EU-Kommission angemeldet wenn es um Darlehen des eigenen Instituts geht. und von ihr genehmigt werden. Der Grund: Die EU-Kom- Bisher hat die Bundesregierung nichts getan, um die- mission geht davon aus, dass Gelder in dieser Höhe nicht ses Problem zu lösen, und bestätigt damit: Sie macht eine den Wettbewerb verfälschen und nicht den Handel zwi- Politik für das Großkapital, der Handwerker vor Ort fällt schen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen. dabei runter. Die Linke ist der Meinung: Eine solche Grenze macht Sie sehen, bei der derzeitigen Förder- und Subven- Sinn, damit kleine und mittlere Unternehmen unbürokra- tionspolitik liegt einiges im Argen. Die Linke wird hier tisch an die Fördergelder kommen. Wir kritisieren aber nicht locker lassen. die Absicht der FDP, die Grenze einfach weiter anzuhe- ben. Und wir kritisieren ihre Absicht, die sogenannte Transparenzregelung abzuschaffen. Diese Regelung be- Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ sagt, dass die Genehmigungsfreiheit nur für die Subven- DIE GRÜNEN): tionen gilt, deren Höhe im Voraus genau berechnet wer- In ihrem Antrag begrüßt die FDP die Anhebung der den kann, ohne dass eine Risikobewertung nötig ist. Bei Bagatellgrenze für Beihilfen auf 200 000 Euro und for- den Subventionen handelt es sich um Steuergelder. Deren dert, dass die Bagatellgrenzen für Bürgschaften der öf- Vergabe muss ordentlich geprüft und kontrolliert werden! fentlichen Hand an Unternehmen seitens der Kommission hoch gesetzt werden. Ich muss zugeben: Ich bin erstaunt (B) (D) Hier beginnen auch die grundsätzlichen Probleme der über den Antrag der FDP. Ich dachte, die FDP würde für derzeitigen Förderpolitik. Diese geht die FDP mit ihrem einen konsequenten Subventionsabbau eintreten. Dazu Antrag ebenso wenig an wie die Große Koalition. Die möchte ich kurz aus einem Antrag der Fraktion der FDP Linke ist für eine Wirtschaftspolitik, die vorsieht, Unter- zitieren. Darin ist zu lesen: „Jede“ – ich wiederhole: nehmen in strukturschwachen Regionen oder auch Zu- jede! – „Intervention der öffentlichen Hand in den Markt- kunftsbranchen mit öffentlichen Geldern zu fördern, also prozess stört das freie Spiel von Angebot und Nachfrage zu subventionieren. Wenn damit eine Angleichung der und somit den Wettbewerb.“ Und weiter heißt es: „Somit Lebensbedingungen verbunden ist, wichtige Umwelttech- sind sämtliche Subventionen zu befristen und alle Finanz- nologien gefördert werden, ist das im Interesse des Ge- hilfen degressiv zu gestalten.“ Demnach wäre also die meinwohls und zu unterstützen. Die Linke ist jedoch ge- Position der FDP, sämtliche Subventionen zu befristen gen eine Förderpolitik, die darauf hinausläuft, dass der und alle Finanzhilfen degressiv zu gestalten. In dem An- Staat mit Steuergeldern Billigjobs fördert wie etwa im Be- trag, der uns heute vorliegt, steht hingegen etwas völlig reich der Callcenter. Ausbeutungsjobs dürfen nicht mit anderes. So begrüßt die FDP die pauschale Anhebung öffentlichen Mitteln subventioniert werden. Deshalb der Bagatellgrenze seitens der EU-Kommission auf muss die Vergabe von Fördermitteln auch an soziale Kri- 200 000 Euro. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen terien geknüpft werden. Weigert sich das Unternehmen, von der FDP: Sie müssen sich mal entscheiden, was Sie Tariflöhne zu zahlen? Behindert der Arbeitgeber die Ar- eigentlich wollen. Wollen Sie Subventionen erleichtern beit der Gewerkschaft und Betriebsräte? Eine solche Be- oder erschweren? Wollen Sie mehr Transparenz oder triebspolitik sollte der Staat nicht auch noch durch öffent- mehr Intransparenz? Wollen Sie mehr Kontrolle bei den liche Fördermittel unterstützen. Die Linke schlägt Subventionen oder weniger Kontrolle? Das erklären Sie deshalb vor, auch in der Förderpolitik Kriterien für „gute mal. Das versteht nämlich niemand mehr. Arbeit“ zu entwickeln und diese zu Bedingungen für die Vergabe der Fördermittel zu machen. Diese Frage erhält Jetzt fordern Sie in Ihrem Antrag, auch die Bagatell- in den kommenden Monaten eine enorme Bedeutung, grenze für Bürgschaften von 1,7 Millionen Euro weiter zu denn der Staat hat wegen der Krise der Wirtschaft riesige erhöhen und die Unterscheidung transparente versus in- Finanzhilfen in Aussicht gestellt – das sollte nicht ohne transparente Beihilfen in der Richtlinie abzuschaffen. Bedingungen passieren. Selbstverständlich ist es richtig, immer wieder zu über- prüfen, ob wir den Unternehmen und gerade den kleinen Abschließend möchte ich noch ein ganz anderes - und mittelständischen Unternehmen übermäßigen büro- grundsätzliches Problem ansprechen: Staatliche Förder- kratischen Aufwand zumuten. Deswegen unterstützen wir mittel fließen oft an kleineren Unternehmen vorbei. Ich die Abschaffung der Unterscheidung von transparenten

Zu Protokoll gegebene Reden 24138 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (A) versus intransparenten Beihilfen in der Richtlinie. FDP-Fraktion, Eva Bulling-Schröter für die Fraktion Die (C) Gleichzeitig brauchen wir aber auch mehr Transparenz Linke und Bärbel Höhn für die Fraktion Bündnis 90/Die bei den Beihilfen und den Bürgschaften seitens der öffent- Grünen. lichen Hand. Jeder Bürger und jede Bürgerin und auch jeder Wettbewerber muss nachvollziehen können, wer ei- Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU): gentlich von den Beihilfen und Bürgschaften profitiert. Ende dieses Jahres findet die UN-Klimakonferenz in Deswegen fordern wir Grünen die Veröffentlichung aller Kopenhagen statt. Dort soll ein Nachfolgeprotokoll für Subventionsempfänger. das Kioto-Abkommen verabschiedet werden, das 2012 Die pauschale Anhebung der Bagatellgrenzen für ausläuft. In Kopenhagen besteht die Chance, der globa- Bürgschaften über 1,7 Millionen Euro, wie die FDP for- len Herausforderung des Klimawandels durch inter- dert, lehnen wir ab. Das ist der völlig falsche Weg. Die national abgestimmtes Handeln entgegenzutreten; denn Frage bei den Beihilfen und Bürgschaften ist doch, wel- nationale Alleingänge sind nicht zielführend. Ähnlich wie che Effekte und Folgen diese haben. Führen sie zu einer in der Finanzkrise ist ein gemeinsames energisches Vor- Wettbewerbsverzerrung auf Kosten der öffentlichen gehen Grundvoraussetzung für den Erfolg. Hand; werden also mit den Beihilfen Kosten zuungunsten Im Rahmen des Kioto-Protokolls gibt es die sogenann- der öffentlichen Kassen externalisiert? Dann sind solche ten flexiblen Instrumente. Es handelt sich dabei um Joint Beihilfen und Bürgschaften grundsätzlich – und dabei Implimentation, JI, und Clean-Development-Mechanism, spielt dann die Höhe keine Rolle – abzulehnen. Oder för- CDM. CDM ermöglicht es Industrie- und Entwicklungs- dern sie den Strukturwandel hin zu einem ökologischen, ländern, gemeinsam Klimaschutzprojekte in Entwick- energie- und ressourceneffizienten Wirtschaften? In die- lungsländern durchzuführen. JI wiederum bietet Industrie- sem Falle sind Beihilfen und gerade Bürgschaften sehr zu ländern eine Möglichkeit zur Minderung der Treibhausgase begrüßen. Dann sind es nämlich Anschubfinanzierungen im gastgebenden Industrieland entsprechend ihrer Ver- für ökologische Technologien und ressourceneffizientes pflichtung im Kioto-Protokoll. Wirtschaften. Und diese brauchen wir dringend, um dem Klimawandel entschieden entgegenzutreten. Darüber hinaus eröffnet das Protokoll die Möglich- keit, die Reduzierung von Kohlenstoff auf Emissionsre- duktionsverpflichtungen anzurechnen, wenn die Kohlen- Vizepräsidentin Petra Pau: stoffeinbindung in sogenannten Senken, zum Beispiel in Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wäldern, erfolgt. Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 16/7730, den Antrag Ich fasse die Forderungen der FDP kurz zusammen: der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/3149 abzuleh- (B) Erstens. Die Bundesregierung solle diese Option des (D) nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer Kioto-Protokolls für Wälder in Deutschland wahrnehmen stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss- und darauf hinarbeiten, dass innerhalb des europäischen empfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der Emissionshandels mit Zertifikaten die Nutzung von SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Waldsenkenprojekten berücksichtigt wird. Bündnis 90/Die Grünen gegen Stimmen der FDP-Frak- tion angenommen. Zweitens. Darüber hinaus solle bei internationalen Verhandlungen darauf hingewirkt werden, dass auch die Ich rufe Tagesordnungspunkt 36 auf: Kohlenstoffspeicherung im Holz aus nachhaltig genutz- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- ten Wäldern berücksichtigt wird. richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz Drittens. In Pilotregionen sollten Monitoringsysteme und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem für Kohlenstoffsenkenprojekte entwickelt und die Techno- Antrag der Abgeordneten Dr. Christel Happach- logieentwicklung zur energetischen Nutzung von Bio- Kasan, Michael Kauch, Angelika Brunkhorst, masse aus Wäldern gefördert werden. weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Grundsätzlich teilen wir die Auffassung, dass die Ver- Biologische Kohlenstoffsenken für den Klima- knüpfung der Herausforderungen des Klimaschutzes mit schutz nutzen der Notwendigkeit des Waldschutzes wichtig ist. Deshalb – Drucksachen 16/2088, 16/7147 – ist es auch richtig, die Thematik in die internationalen Klimaverhandlungen einzubringen und ihr dort noch Berichterstattung: mehr Bedeutung beizumessen. Besonderes Augenmerk Abgeordnete Andreas Jung (Konstanz) muss dabei aber auf die Auswahl geeigneter und zielfüh- Frank Schwabe render Instrumente gelegt werden. Mitnahmeeffekte müs- Michael Kauch sen unbedingt vermieden werden. Auch im Bereich der Eva Bulling-Schröter Senken gilt: Wir wollen mehr Klimaschutz, aber nicht Dr. Reinhard Loske mehr Anrechnungsmöglichkeiten auf Reduktionsver- pflichtungen ohne zusätzliche Maßnahmen. Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden auch hier die Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich Aus diesem Grund sollte bei der Option der Senken der um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Schwerpunkt der Bemühungen eher bei der Frage liegen, Andreas Jung für die Unionsfraktion, Frank Schwabe für inwieweit Urwälder geschützt, Brandrodungen vermie- die SPD-Fraktion, Dr. Christel Happach-Kasan für die den und wie insbesondere in Entwicklungsländern wieder Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24139

Andreas Jung (Konstanz) (A) aufgeforstet werden kann. Deshalb müssen jetzt Konzepte des globalen Verkehrssektors. Daher muss die inter- (C) entwickelt werden, wie Senkengutschriften in den inter- nationale Staatengemeinschaft im Rahmen des neuen nationalen Emissionshandel integriert werden können. Klimaschutzabkommens einen neuen, globalen Mecha- Ziel muss sein, die Erlöse in einen Fonds zu überführen, nismus zu Verringerung globaler Emissionen aus Entwal- der der Förderung des Waldschutzes dient. dung als eine der zentralen Säulen verankern. Dabei müssen wir uns immer vor Augen halten, dass 80 Prozent Auf diesem Weg müssen wir weiter vorankommen; den der Urwälder auf dieser Erde schon vernichtet wurden. FDP-Antrag lehnen wir heute ab. Nur 20 Prozent der ehemaligen Urwälder existieren heute noch in großen zusammenhängenden Gebieten. Die Frank Schwabe (SPD): verbleibenden Wälder dieser Welt sind Lebensgrundlage Die Zeit drängt. In etwa 31 Monaten läuft das Kioto- für Mensch, Tier und Pflanzen. Der ungebremste Klima- Protokoll aus. Es gilt seit 2008 und endet 2012. Deshalb wandel kann schon zwischen 2040 und 2060 zum Kollaps verhandelt die internationale Klimadiplomatie gerade des Amazonas-Regenwaldes führen. Zugleich ist die Ab- ein Kioto-Nachfolgeabkommen für die Zeit nach 2012, holzung einer der starken Treiber des Klimawandels. das im Dezember auf der Klimakonferenz in Kopenhagen Eine umfangreiche, globale Strategie zu dessen Begren- verabschiedet werden soll. In diesen Verhandlungen muss zung ist eine Chance, über bisherige Waldschutzstrate- bis zum 1. Juli ein Vertragstext bei den Vereinten Natio- gien hinauszugehen und Wälder, ihre Biodiversität sowie nen hinterlegt werden, der dann auf dem Kopenhagen- das globale Klima in Kooperation mit den in und mit ih- Gipfel beschlossen werden muss. Und bis zum Gipfel in nen lebenden Menschen für die Zukunft zu erhalten. Kopenhagen sind es gerade noch 213 Tage! Entscheidend ist nun zu klären, mit welchen Instru- Um die Auswirkungen des Klimawandels für Men- menten wir das Ziel von Klimaschutz und Waldschutz er- schen und Natur auf ein noch kontrollierbares Maß be- reichen. Die FDP hat in ihrem Antrag vorgeschlagen, die grenzen zu können und existenzielle Bedrohungen vor al- Wälder in das System des Emissionshandels aufzuneh- lem für kleine Inselstaaten abzuwehren, muss der Anstieg men. Was würde passieren, wenn wir das machen wür- der globalen Durchschnittstemperatur auf maximal Zwei- den? Es würde zur Überschwemmung des Marktes mit Grad-Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau um billigen CO2-Zertifikaten und zum Ausfall des Preisanrei- 1800 eingedämmt werden. Der Weltklimabericht des zes führen, Maßnahmen in den Industrie- und in den IPCC von 2007 setzt dafür eine Verringerung des Treib- Schwellenländern zu ergreifen. Dabei ist der Kohlenstoff- hausgas-Ausstoßes in den Industrieländern bis 2020 um preis der wichtigste Treiber dafür, die notwendigen An- mindestens 25 bis 40 Prozent gegenüber 1990 voraus. reize zu setzen, dass Investitionen im Sinne des Klima- Parallel dazu muss es gelingen, die weitere Emissionsent- schutzes erfolgen. Genau dieser Treiber würde außer (B) wicklung gerade in den wachstumsstarken Schwellenlän- Kraft gesetzt. Die notwendigen Klimaziele, vor allem die (D) dern um 15 bis 30 Prozent gegenüber dem jetzt stark stei- langfristigen, würden nicht erreicht werden. Deshalb leh- genden Trend zu mindern. Der weitere Anstieg der nen wir die Einbeziehung der Wälder in den Emissions- weltweiten Emissionen muss innerhalb der nächsten zehn handel als falsches Instrument ab. Jahre gestoppt werden, weil sonst deutlich höhere Reduk- tionsziele in noch kürzerer Zeit erreicht werden müssen. Da die Emissionen aus Entwaldung 20 Prozent der Langfristig zeigen die IPCC-Szenarien, dass bis 2050 vom Menschen produzierten Treibhausgase betragen, eine Minderung der globalen Treibhausgas-Emissionen muss der Schutz von Wäldern in die internationalen Kli- insgesamt um mindestens 50 Prozent notwendig ist – ver- maverhandlungen einbezogen werden. Wir setzen uns glichen mit dem Stand von 1990, nicht dem höheren von deshalb dafür ein, dass die Staatengemeinschaft bis spä- heute! Für die Industrieländer, und damit auch für testens Ende 2009 wirksame Maßnahmen gegen das Ab- Deutschland, ergibt sich daraus eine Minderungsver- holzen tropischer Urwälder entwickelt (REDD). Das pflichtung von 80 bis 95 Prozent weniger CO2 bis zum Abkommen muss Anreizsysteme und Finanzierungs- Jahre 2050. Andernfalls ist mit irreversiblen Veränderun- mechanismen für die Vermeidung von Entwaldung ent- gen und Schädigungen natürlicher Systeme zu rechnen, halten. Zudem belegte der Stern-Report (2006), dass die die dramatische Folgen für Mensch und Natur haben. Die Drosselung der weltweiten Entwaldung ein äußerst kos- Kioto-Verpflichtungen reichen zur Erreichung dieses tengünstiger Weg sein kann, zum Klimaschutz beizutra- Zwei-Grad-Ziels bei Weitem nicht aus. Tatsächlich liegt gen. Ein zukünftiger Mechanismus muss so konzipiert die derzeitige Emissionsentwicklung seit 2005 über dem sein, dass die Einsparungen von Emissionen aus dem schlimmsten Szenario des Weltklimarates. Gleichzeitig Waldbereich zusätzlich zu denen im Energiesektor statt- hat die Fähigkeit von natürlichen Ökosystemen wie Wäl- finden. Industrieländer dürfen sich nicht durch den Han- dern, Mooren und Meeren, Kohlenstoff der Atmosphäre del mit waldbezogenen Zertifikaten von ihren Verpflich- zu entziehen und dauerhaft zu binden, in den letzten 50 Jahren global um etwa fünf Prozent abgenommen. tungen zur Einsparung von Emissionen im Energiesektor Diese Entwicklung wird sich künftig durch den Klima- freikaufen können. Ein Teil des Erlöses des Emissions- wandel, Naturzerstörung und nicht-nachhaltige Landnut- handels muss dafür verwendet werden, über einen Wald- zungen noch weiter verschärfen. fonds den internationalen Waldschutz zu finanzieren. In unserem Entwurf für das Regierungsprogramm haben Waldschutz ist eine der Hauptsäulen des globalen Kli- wir als SPD klargemacht, dass wir alle Einnahmen aus maschutzes. Entwaldung und Walddegradierung verur- der Versteigerung der Emissionszertifikate für Klima- sachen etwa 22 Prozent der jährlichen globalen Treib- und Umweltschutzmaßnahmen nutzen wollen. Wald- hausgasemissionen – mehr als die gesamten Emissionen schutz aus Erlösen des Emissionshandels ist der richtige

Zu Protokoll gegebene Reden 24140 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Frank Schwabe (A) Ansatz. Die Einbeziehung der Wälder in den Emissions- bestritten. Zahlreiche technische Fragen wie die Defini- (C) handel hingegen führt in eine Sackgasse. tionen, Einzelheiten des Anrechnungsverfahrens sowie die Anforderungen an eine Kontrolle, Monitoring, sind Der Waldfonds muss unter der Klimarahmenkonven- weitgehend geklärt. Probleme bestehen bislang noch bei tion angesiedelt werden. Außerdem müssen Förder- der genaueren Quantifizierung. Besonders auf welche ansätze zur vermiedenen Entwaldung strikt von denen für Weise die CO2-senkende Wirkung der deutschen Wälder Aufforstung getrennt werden. Auch muss ein Post-2012- gemessen werden soll, ist bislang nicht hinreichend fest- Abkommen ein „Co-Benefit“ für die Biodiversität enthal- gelegt. Das genaue Verfahren, wie die Waldbesitzer in un- ten. Dies ist auch ein wichtiger Aspekt der Initiative der serem Land für diese Leistung honoriert werden sollen, Bundeskanzlerin und des Bundesumweltministers auf der ist offen. Ferner steht die Ausarbeitung bestimmter Ver- Biodiversitätskonferenz CBD letztes Jahr in Bonn gewe- fahrensfragen für Senkenprojekte in Entwicklungslän- sen. Der zukünftige Mechanismus muss die Rechte der lo- dern aus. Hier ist die Bundesregierung gefordert. kalen Bevölkerung stärken und ihr Verdienstmöglichkei- ten eröffnen. Er muss „performance based“ sein. Das Grundsätzlich gilt es, Klimaschutz und Emissionshan- heißt, dass die Zahlungen an die Erfüllung der nationalen del auf größtmögliche Wirkung und Kostenminimierung Verpflichtungen und den Rückgang der Entwaldung ge- durch die Verknüpfung und integrale Anwendung aller In- koppelt sind. Dabei ist die besondere Situation in den strumente des Kioto-Protokolls einschließlich der Koh- verschiedenen Entwicklungsländern zu berücksichtigen. lenstoffsenken zu verpflichten. Damit werden die Vorteile Die deutsche Regierung wird – wie von Bundeskanzlerin der Kioto-Instrumente nicht zuletzt auch der deutschen Merkel angekündigt – in den Jahren 2009 bis 2012 einen Land- und Forstwirtschaft zugänglich. Neben nationalen zusätzlichen Betrag von 500 Millionen Euro, und ab 2013 Anstrengungen zur Verminderung der CO2-Emissionen eine halbe Milliarde jährlich, für den internationalen ist es unerlässlich, alle flexiblen Mechanismen zur Errei- Waldschutz bereitstellen. Diese Gelder sollen im Rahmen chung des Klimaschutzziels zu nutzen. Dazu zählt auch eines Programms die REDD-Diskussion begleiten und die Möglichkeit der CO2-Bindung in Kohlenstoffsenken. unterstützen. Für die verstärkte Bindung von CO2 sind gerade auch So weit die Leitplanken, wie ein solcher Mechanismus biologische Methoden geeignet. Wälder binden Kohlen- aussehen muss. Wichtig ist nun, dass wir schnell zu einem stoff. Der Aufbau stabiler Wälder ist somit geeignet, den Verhandlungstext kommen. Denn die nächste Vorberei- anthropogen beeinflussten Klimawandel zu verlangsa- tungskonferenz für Kopenhagen ist schon in dreieinhalb men. Dabei werden zusätzlich die Biodiversität gestärkt, Wochen. Nutzen wir die Zeit, um für ein ambitioniertes die Böden geschützt und die Trinkwasserversorgung ver- Kioto-Anschlussabkommen zu werben und zu begeistern! bessert. Das Instrument der Kohlenstoffsenke ist kosten- (B) Denn Klimaschutz ist keine Belastung, sondern eine Lö- günstig und effizient. Es leistet wichtige Beiträge für die (D) sung aus der gegenwärtigen Krise! Energie- und Rohstoffversorgung, für die Technologie- entwicklung und sorgt für Beschäftigung in struktur- Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): schwachen ländlichen Regionen – im Inland wie im Aus- In der Klimaschutzkonferenz in Kioto im Jahr 1997 land. wurden erstmals international rechtlich verbindliche In Mitteleuropa, wo die potenzielle natürliche Vegeta- Ziele zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen fest- tion Wälder hervorbringt, haben diese bei der Bekämp- gesetzt. Nachdem das Kioto-Protokoll 2005 in Kraft ge- fung des Klimawandels eine Schlüsselrolle inne. Das treten ist, besteht die Möglichkeit, die Kohlenstoffeinbin- Holz der Waldbäume und die humusreichen Waldböden dung in Senken, zum Beispiel in Wäldern oder auch in speichern Kohlenstoff. Wird der Speicher Wald zerstört, Moorgebieten, innerhalb bestimmter Grenzen auf die je- werden die im Holz und den Böden gespeicherten Treib- weiligen nationalen Emissionsreduktionsverpflichtungen hausgase in die Atmosphäre abgegeben. Laut IPCC, In- anzurechnen. tergovernmental Panel on Climate Change, stammen bis Die FDP-Bundestagsfraktion begrüßt, dass die Bun- zu 30 Prozent der zusätzlichen Belastung der Atmosphäre desregierung im Gegensatz zur rot-grünen Vorgänger- mit CO2 in den letzten 100 Jahren aus der Zerstörung von regierung entsprechend den Forderungen in unserem be- Wäldern, zum Beispiel durch illegalen Holzeinschlag so- reits im Sommer 2006 gestellten Antrag entschieden hat, wie durch Brandrodung. Durch Urwaldschutz, Auffors- dass deutsche Wälder als Kohlenstoffsenken angerechnet tung und nachhaltige Bewirtschaftung von bestehenden werden können. Seither ist allerdings nicht viel gesche- Wäldern kann umgekehrt der Atmosphäre CO2 wieder hen. Der im März dieses Jahres – also zwei volle Jahre entzogen und langfristig gebunden werden. Somit bietet nach dem Beschluss der Bundesregierung – vom Deut- der Wald eine kostengünstige Möglichkeit, den Klima- schen Holzwirtschaftsrat durchgeführte parlamentari- wandel zu verlangsamen und Ökosystemen mehr Zeit für sche Abend „Mit Wald und Holz aus der Klimakrise“ ver- eine Anpassung an das sich ändernde Klima zu geben. deutlichte, dass noch erheblicher Handlungsbedarf besteht. Die Bundesregierung ist nach wie vor weit davon Die FDP-Bundestagsfraktion setzt sich dafür ein, dass entfernt, konkret zu sagen, in welcher Weise sie die Be- die Bundesregierung die Option des Kioto-Protokolls, die rücksichtigung der Wälder als Kohlenstoffsenken organi- Nutzung von Waldsenkenprojekten innerhalb des europäi- sieren will. schen Emissionshandels, stärker vorantreibt als bislang. Darüber hinaus soll künftig bei internationalen Verhand- Die große Bedeutung der Kohlenstoffsenken für den lungen darauf hingewirkt werden, dass auch die Kohlen- Treibhausgashaushalt der Erde ist wissenschaftlich un- stoffspeicherung im Holz aus nachhaltig genutzten

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24141

Dr. Christel Happach-Kasan (A) Wäldern berücksichtigt wird. Schließlich müssen nach sich das Ganze überhaupt kontrollieren? Nicht zuletzt die (C) Einschätzung der FDP künftig in Pilotregionen spezielle Frage: Wird das neue System mit oder gegen die Bewoh- Monitoring-Systeme für Kohlenstoffsenkenprojekte ent- ner und Nutzer der Wälder durchgesetzt, wer profitiert wickelt werden. Die bislang gefassten Regelungen zur davon vor Ort? Anrechnung der CO2-Speicherleistung in der deutschen Forst- und Holzwirtschaft sind nach Einschätzung der Hinsichtlich der Finanzierung könnten zwei Hauptli- FDP-Bundestagsfraktion zurzeit noch zu kompliziert und nien unterschieden werden: zum einen Fonds, in die In- aufwendig und daher zu bürokratisch. Im Kioto-Protokoll dustriestaaten einzahlen, zum anderen Bestrebungen, wird bislang nur die Senke im Wald honoriert. Weiterhin dieses System nach einer Pilotphase in ein Emissionshan- ist die Bindung von Kohlenstoff in fertigen Holzprodukten delssystem zu überführen, so wie es die FDP will. Letzte- in die Senkenfunktion zu integrieren. res System könnte ähnlich dem CDM-System, Clean Development Mechanism, des Kioto-Protokolls funktio- nieren. Dessen Emissionsgutschriften für Klimaschutz- Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): investitionen der Industriestaaten in Entwicklungslän- Wie Sie wissen, konnte bislang die weltweite Entwal- dern können sich Investoren auf eigene Verpflichtungen dung nicht gestoppt werden. Jährlich werden weltweit anrechnen lassen oder gewinnbringend verkaufen. rund 13 Millionen Hektar Wald abgebrannt oder gerodet. Der CDM-Mechanismus ist allerdings wegen seiner Diese Zerstörung trägt mit circa 20 Prozent der globalen erheblichen Missbrauchspotenziale in Verruf gekommen. Treibhausgasemissionen wesentlich zum Klimawandel Die vielen offenen systematischen und methodischen Fra- bei. Im Kampf gegen die Erderwärmung gewinnt daher gen bei REDD könnten ähnlich viel Raum für Manipula- der Erhalt der Wälder immer mehr an Bedeutung. Auch tionen und klimapolitische Fehlsteuerungen bieten wie zum Schutz der Biodiversität und der lokalen Bevölke- das CDM-Regime. Vor allem aber muss der Tropenwald- rung, die besonders in den Tropen von den Wäldern als schutz zusätzlich zu den Einsparzielen im Kioto- und Ko- Lebensraum abhängig ist, muss die Entwaldung und penhagen-Prozess erfolgen. Auch darum wendet sich die Walddegradierung – also die Verringerung der Baumbe- Linke strikt dagegen, den Waldschutz in Emissionshan- stände, die noch nicht den Status einer „Entwaldung“ er- delssysteme einzubinden. Ansonsten könnte ein geschütz- reicht hat – gestoppt werden. ter Wald mehr im Süden gleichzeitig ein neues Kohle- Im Antrag der FDP ist der Schutz der Wälder in gewis- kraftwerk mehr in Europa bedeuten. Und dies wäre exakt ser Weise Mittel zum Zweck. Natürlich sind auch die das Gegenteil von nachhaltigem Klimaschutz. Liberalen für den Waldschutz. Er soll aber in die Emis- sionshandelsysteme einbezogen werden. Er soll so den Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (B) Klimaschutz für die Industriestaaten preiswerter machen. Der Waldschutz ist von zentraler Bedeutung für die Er- (D) Und genau hier sehen wir massive Probleme, die ich im reichung der internationalen Klimaschutzziele und für den Folgenden darstellen will. erfolgreichen Abschluss eines neuen weltweiten Klima- abkommens Ende des Jahres in Kopenhagen. In der internationalen Debatte um den Waldschutz geht es seit ein paar Jahren um Mechanismen, die ökono- Laut IPCC macht die Entwaldung rund 20 Prozent der mische Anreize dafür schaffen sollen, die Abholzung zu globalen Treibhausgasemissionen aus, und es ist die Ent- stoppen oder wenigstens das Tempo von Entwaldung und waldung, die Indonesien inzwischen zum drittgrößten CO2- Walddegradierung zu bremsen. Das wichtigste Instru- Emittenten der Welt macht. Ohne erhebliche Fortschritte ment hierbei firmiert unter dem Kürzel „REDD“, redu- beim Waldschutz wird die Begrenzung der Erderwärmung cing emissions from deforestation and degradation – auf unter 2 Grad deshalb kaum zu erreichen sein. Reduzierung der Emissionen aus Entwaldung und Wald- degradierung. Das geplante System basiert darauf, dass Sir Nicholas Stern hat vorgerechnet, dass Waldschutz dem in den Wäldern gespeicherten Kohlenstoff künftig auch eine besonders kostengünstige Form des Klima- ein wirtschaftlicher Wert beigemessen wird. So soll es fi- schutzes ist. Auch deshalb steht die Reduzierung von Emis- nanziell lohnenswert werden, den Wald zu schützen, an- sionen aus Entwaldung und Walddegradation spätestens statt ihn abzuholzen. seit der Konferenz von Bali ganz oben auf der Agenda des internationalen Klimaschutzes. Das Bündel der Modelle, die hierfür in der Diskussion Die in Bali beschlossenen ersten Schritte – wie Studien, sind, eint, dass nicht nur eine Vielzahl von politischen, Pilotprogramme, Capacity Building – haben wir in diesem sondern auch von methodischen Problemen bestehen. So Haus fraktionsübergreifend begrüßt. Einschneidende Er- ist die Berechnung der Menge an Treibhausgasen, die folge sind aber bislang ausgeblieben. Trotz aller Bemühun- durch weniger Abholzung „vermieden“ würde, alles an- gen schreitet Waldzerstörung ungebremst voran. Obwohl dere als banal. Das fängt dabei an, welches Referenzsze- Brasilien einiges für den Waldschutz getan hat, wurden nario benutzt werden soll. Historische Entwaldungsraten allein dort in den letzten drei Jahren 6 Millionen Hektar oder Prognosewerte? Über welchen Zeitraum soll als Wald vernichtet. Das ist knapp zweimal die Fläche von Vergleich zurückgeblickt werden? Wie soll die Menge be- NRW. Die Maßnahmen der waldreichen Staaten und der rechnet werden, wenn es eine mangelhafte Datenlage für internationalen Gemeinschaft zum Schutz der Wälder den Referenzzeitraum oder die Waldtypen gibt? Und die sind offenkundig unzureichend. gibt es fast überall. Was geschieht, wenn in einem Gebiet vermiedene Entwaldung honoriert wird, die Motorsägen Deshalb ist es richtig und notwendig, über eine wirkungs- in einem anderen dafür umso länger kreischen? Und lässt volle Stärkung des Systems des internationalen Wald-

Zu Protokoll gegebene Reden 24142 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Bärbel Höhn (A) schutzes nachzudenken. Der Ansatz des vorliegenden Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unions- (C) FDP-Antrags geht dabei aber in die falsche Richtung. Sie fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und schlagen vor, den Wald in den internationalen Handel mit der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen Treibhausgaszertifikaten einzubeziehen. Dieser Ansatz der FDP-Fraktion angenommen. hat einen Reiz: Er könnte privates Kapital für dringend benötigte Investitionen in den Waldschutz gewinnen und Ich rufe Tagesordnungspunkt 37 auf: so einen Finanzierungsmechanismus für den Waldschutz Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- schaffen, der nicht von der wankelmütigen Großzügigkeit richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- von Finanzministern abhängig ist. schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Michael Das Problem ist: Diese privaten Investitionen werden Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, Dr. nur getätigt werden, wenn es den Unternehmen in den Edmund Peter Geisen, weiterer Abgeordneter und Industrieländern auf diesem Wege möglich wird, teure der Fraktion der FDP eigene Klimaschutzanstrengungen zu vermeiden. Die Schattenseite von mehr Waldprojekten am Amazonas Chancen am Weltmarkt durch marktwirt- wären dann mehr Kohlekraftwerke hier in Deutschland. schaftliche Weiterentwicklung der Gemeinsa- Das aber wäre klimapolitisch kontraproduktiv. men Agrarpolitik und Subventionsabbau nut- zen Das IPCC hat es ganz klar gesagt: Für das Zwei- Grad-Ziel brauchen wir 25 bis 40 Prozent Emissions- – Drucksachen 16/4185, 16/9800 – reduktionen in den Industrieländern plus Emissionsmin- derungen in den Entwicklungsländern. Eine Anrechnung Berichterstattung: von Waldschutzzertifikaten müsste also zusätzlich zu den Abgeordnete Einsparungen in Europa erfolgen. Die europäischen Manfred Zöllmer Ziele müssten entsprechend angehoben werden, deutlich Hans-Michael Goldmann über 30 Prozent hinaus. Wer in Poznan war und das Dr. Kirsten Tackmann Gezerre um das europäische Klimapaket miterlebt hat, Ulrike Höfken der weiß, wie schwer das durchzusetzen wäre. Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die Wenn es bei den bisherigen CO2-Zielen bleibt, würde die Einbeziehung des Waldschutzes den Klimaschutz in Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Franz-Josef Europa zum Stillstand bringen. Wir würden die Probleme, Holzenkamp für die Unionsfraktion, Manfred Zöllmer die wir heute schon mit CDM haben, vervielfachen. Statt für die SPD-Fraktion, Hans-Michael Goldmann für die (B) unsere klimaschädlichen Strukturen in Europa zu ändern, FDP-Fraktion, Dr. Kirsten Tackmann für die Fraktion (D) würde der Klimaschutz nach China, Indien oder Brasilien Die Linke und Ulrike Höfken für die Fraktion Bünd- abgeschoben, und das mit unzureichenden Kontrollen und nis 90/Die Grünen. Umweltstandards. Auf diese Weise retten wir vielleicht den Regenwald, geben aber das grönländische Eisschild Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU): auf. Der FDP-Antrag kann ja schon auf eine längere Ver- gangenheit blicken. Ende Januar 2007 eingebracht, de- Die bessere Lösung ist deshalb ein internationaler battieren wir heute fast anderthalb Jahre später abschlie- Waldschutzfonds, wie wir Grüne ihn schon mehrfach vor- ßend über ihn. geschlagen haben. Auch ein solches Modell ist nicht ohne Schwierigkeiten, vor allem wenn es darum geht, die In der Zwischenzeit ist bekanntlich einiges im Bereich notwendigen Mittel in einer Größenordnung von jährlich der Politik, auch der Agrarpolitik geschehen. Die Bundes- 10 bis 15 Milliarden US-Dollar aufzubringen. Hier kann regierung hat ihre EU-Präsidentschaft sehr erfolgreich in der Tat eine Verknüpfung zum Emissionshandel Sinn beendet. Auch der Health Check, also die sogenannte Ge- machen, nämlich die Reservierung eines festen Anteils sundheitsüberprüfung der europäischen Agrarpolitik, der Versteigerungserlöse aus dem Emissionshandel für kann als abgeschlossen bezeichnet werden. den Waldschutz. Darüber wird in Kopenhagen zu verhan- deln sein. Den Antrag als obsolet zu bezeichnen, fände ich aber doch unangemessen, weil ihm das im Rückblick nicht ge- Eine Verknüpfung von Waldschutz und Emissionshandel recht würde. Nein, der FDP-Antrag ist in Teilen sogar in dem von der FDP intendierten Sinne, die auf einen klima- sehr gut; denn er beschreibt, sozusagen vorausschauend, politischen Ablasshandel der Industriestaaten hinauslau- die gute Arbeit, die das Agrarministerium für die deut- fen würde, lehnen wir Grüne hingegen ab. sche Landwirtschaft geleistet hat und leistet. Der Titel des Antrages bringt es genau auf den Punkt, Vizepräsidentin Petra Pau: was mit der Gesundheitsüberprüfung im vergangenem Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Jahr geleistet worden ist: der Weg hin zu mehr Marktwirt- Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in schaft in der Landwirtschaft wurde bestätigt. Nur die Mit- seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7147, tel wurden etwas angepasst. Dieser Weg wurde und wird den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/2088 mit den europäischen Agrarreformen beginnend 1988 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- über 1992 bis hin zu 2003 beschritten. Davon – da sind lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die sich alle europäischen Mitgliedstaaten einig – wird und Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24143

Franz-Josef Holzenkamp (A) kann auch nicht mehr abgewichen werden. Der Gesund- ist ja ein beliebtes Spiel. Ich kann denjenigen, die das im- (C) heitscheck markiert eine systematisch folgerichtige Wei- mer wieder versuchen, nur ins Stammbuch schreiben: Sie terentwicklung. würden sich schön wundern! Streichen wir die Direktzah- lungen, die ja nichts anderes als eine Entschädigung un- Allen sind die Ergebnisse der Gesundheitsüberprü- serer Landwirte für hohe Produktionsstandards sind – sie fung vom vergangenen Jahr bekannt. Ich brauche darauf sind übrigens die höchsten in der Welt –, würden wir se- jetzt nicht näher einzugehen. Nur so viel: Dem Bundes- henden Auges unsere Landwirtschaft nachhaltig schädi- ministerium, namentlich Frau Ministerin Aigner, ist es zu gen. verdanken, dass im Ergebnis eine gute Balance zwischen Weiterentwicklung der Marktöffnung und notwendiger In der Frage der Wettbewerbsgleichheit müssen wir Unterstützung der Landwirtschaft gelungen ist. Die ur- aber gar nicht so weit in die Welt schauen; denn die Un- sprünglichen Vorschläge der Kommission sahen noch gleichheit liegt doch so nah. Beispiel: die Agrardiesel- ganz anders aus. steuersätze in Europa. Leider sind die deutschen Land- wirte mal wieder Spitze: Sie zahlen europaweit die Warum erwähne ich das? Die deutsche Landwirtschaft höchsten Steuern auf Agrardiesel. Seit 1998 hat sich die steht vor großen Herausforderungen, die sich unter drei Agrardieselsteuer vervierfacht. Das führt zu einem Wett- Stichpunkten kurz zusammenfassen lassen: Welternäh- bewerbsnachteil von etwa 40 bis 50 Euro pro Hektar. rung, Energie und Schutz natürlicher Ressourcen. Sozu- Auch hier wäre eine europäische Angleichung notwendig. sagen unter einen Hut gebracht werden müssen einerseits der stark steigende Bedarf an Nahrungsmitteln für die ex- Die für die hohen Steuern verantwortliche rot-grüne plodierende Weltbevölkerung und das Ziel, immer mehr Vorgängerregierung hat das ja versucht – vergeblich. Mit klassische Energieträger durch nachwachsende Roh- dem Versuch zu brüsten brauchen Sie sich allerdings stoffe zu substituieren, mit der Verpflichtung, dies bei nicht; denn der musste scheitern. Welches EU-Mitglieds- gleichzeitig nachhaltiger Ressourcenschonung zu errei- land wollte schon die Agrardieselsteuern auf das wettbe- chen. werbsschädliche deutsche Niveau anheben. Die einheitli- chen europäischen Sätze sind also ferne Zukunftsmusik. Fakt ist, der Bedarf an Nahrungsmitteln und Agrar- rohstoffen wird in den kommenden Jahren weiter steigen. Deshalb fordert die CDU/CSU-Bundestagsfraktion Die hohen Agrarpreise der vergangenen Jahre stehen schon seit langem eine Absenkung der deutschen Steuern beispielhaft dafür. Mittelfristig steigenden Agrarpreisen für Agrardiesel. Unser Koalitionspartner sagt aber kate- steht aber auch eine deutliche Preisvolatilität gegenüber. gorisch nein. Das wundert mich nicht. Herr Kelber hat ja Die derzeit fallenden Preise im Agrarsektor zeigen dies: erst kürzlich in seinem Newsletter geschrieben, wie viel Sie sind unter anderem der aktuellen Finanz- und Wirt- Verständnis er für die Nöte heimischer Landwirte hat, (B) schaftskrise geschuldet und verdeutlichen, wie eng die nämlich keines. (D) Agrarwirtschaft mit den übrigen Wirtschaftssektoren Ich möchte an dieser Stelle noch auf einen anderen weltweit verknüpft ist. Ein Übriges zu den Preisschwan- Punkt eingehen, der mir wichtig erscheint, wenn wir über kungen nach oben oder unten tut das Klima. die Frage des Nutzens von Chancen sprechen. Tue Gutes Diese Gemengelage birgt große Chancen für unsere und rede darüber ist ein bekannter PR-Grundsatz. Über- Landwirtschaft, aber auch Risiken, für die sie sich ausrei- tragen auf unsere Landwirtschaft heißt das: Produziere chend wappnen muss. Vor diesem Hintergrund muss auch Gutes und rede darüber. Ich meine die Exportförderung. der Reformweg der europäischen Agrarpolitik gesehen Die Exportförderung ist ein ganz wesentlicher Eck- werden. Der Weg der Liberalisierung, also einer allmäh- pfeiler, damit die deutsche Agrarwirtschaft sich nicht nur lichen Marktöffnung, ist richtig, muss aber mit Augenmaß in Europa, sondern auch und vor allem im europäischen gegangen werden. Ausland behaupten kann. Das Verfassungsgerichtsurteil Einer unserer Leitgedanken muss sein: Chancen gibt zur CMA und ZMP ist vor diesem Hintergrund nur zu be- es nur, wenn auf Augenhöhe konkurriert wird – welt- wie dauern. Die wichtigsten europäischen Konkurrenten ha- europaweit. Das heißt, was nützt uns die hohe Nachfrage ben schlagkräftige Agrar-Marketingagenturen. Deutsch- nach Agrarprodukten, wenn unsere Landwirte aufgrund land steht hier zurzeit im Regen. höherer Naturschutz-, Tierschutz- und Qualitätsstan- Nicht hoch genug sind daher die Exportaktivitäten des dards preislich nicht mit brasilianischen oder US-ameri- Bundesministeriums zu begrüßen. Die Einrichtung der kanischen Landwirten konkurrieren können? Nichts! Wir Stabsstelle Export und deren kontinuierliche Weiterent- würden über kurz oder lang unsere landwirtschaftlichen wicklung – auch im Hinblick auf die finanzielle Ausstat- Arbeitsplätze in diese Länder exportieren. tung – sind elementar. Allerdings ist nun auch die deut- Es geht also nicht anders: Wir brauchen weltweite, sche Wirtschaft gefordert, ihren Teil zu einer kohärenten über die WTO verankerte Produktionsstandards. Ich bin Exportförderung für deutsche Agrarprodukte beizutra- mir sehr wohl bewusst, dass dies eine kühne Forderung gen. Sonst steht sie in wenigen Jahren nicht im Regen, ist. Viele wichtige Konkurrenten der europäischen und sondern auf dem Trockenen. deutschen Landwirtschaft dürften sich mit Händen und Lassen Sie mich abschließend noch einmal auf die Füßen dagegen sträuben. Frage des Risikos bzw. der Sicherheit zu sprechen kom- Genau deshalb wird es mit der Union in naher Zukunft men. Ich sprach eingangs von der zunehmenden Volatili- keine übermäßige Absenkung der Direktzahlungen ge- tät der Agrarmärkte. Eine deutliche Marktöffnung hat ben. Landwirte als Subventionsempfänger zu diffamieren, natürlich auch zur Folge, dass frühere Marktsicherungs-

Zu Protokoll gegebene Reden 24144 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Franz-Josef Holzenkamp (A) maßnahmen der EU abgebaut werden. Die Landwirte Preis- und Abnahmegarantien führten zu einem Wechsel (C) werden künftig noch stärker die Volatilität der Märkte zu von der Mangel- zur Überschusswirtschaft. spüren bekommen. Deshalb muss für die europäische Eine landwirtschaftliche Arbeitskraft ist heute inzwi- Landwirtschaft zumindest ein unteres Auffangnetz über schen neunmal so produktiv wie 1950, die durchschnittli- interne Stützungsmaßnahmen und einen gewissen Außen- chen Erträge haben sich seitdem verdoppelt. 1959 wur- schutz bestehen bleiben. den in Deutschland 26 Kilogramm mineralischer Je weniger Schutz die EU ihren Landwirten gewährt, Stickstoff pro Hektar und Jahr ausgebracht, heute sind es desto stärker rückt auch private Vorsorge gegenüber über 110 Kilogramm. Dies veranschaulicht die enorme Marktrisiken, wie zum Beispiel Ernte- oder Tierversiche- Produktivitätssteigerung, die in der Landwirtschaft statt- rungen, in den Fokus. Die in der Gesundheitsüberprü- gefunden hat. Diese Produktionsdynamik führte zu einem fung beschlossenen, für die Mitgliedstaaten freiwilligen wachsenden Strukturwandel. Viele kleine Höfe ver- Versicherungsmodelle wurden vom Agrarministerium zu schwanden vom Markt. Recht abgelehnt. Denn dies hätte eine Kürzung der Di- In den 70er-Jahren entwickelte sich zunehmend die rektzahlungen und damit den Entzug von Investivkapital Überschussproduktion in der europäischen Landwirt- aus der Landwirtschaft zur Folge gehabt. schaft. Neben der Einlagerung von Überschussprodukten wurden mithilfe von Exporterstattungen die Agrar- Vielmehr sollte hier eine nationale Lösung über eine überschüsse auf dem Weltmarkt verkauft. Ausländische Risikoausgleichsrücklage angestrebt werden. Ich halte Produkte wurden durch Zölle vom europäischen Markt ein Modell für zukunftsfest, in dem Landwirte eigenver- ferngehalten. Daneben wurden Überschussprodukte vom antwortlich als Ausgleich für kommende risikobedingte Markt genommen, oft vernichtet und mit Quotensystemen Ertragsschwankungen in guten Jahren eine steuermin- – zum Beispiel Milchquoten – wurde versucht, die Produk- dernde Rücklage bilden dürfen – vergleichbar dem Forst- tion zu verringern. Mit weiteren Marktentlastungspro- schäden-Ausgleichsgesetz. Dadurch können zum Beispiel grammen, wie zum Beispiel Flächenstillegungsprogram- Ertragsschwankungen oder Unwetterschäden austariert men, wurde ferner versucht, die Überschussproduktion von werden. Hier muss sich das Finanzministerium noch be- landwirtschaftlichen Produkten einzudämmen. wegen. Die Kritik an den Fehlentwicklungen der EU-Agrar- Unsere Landwirtschaft steht vor großen Herausforde- politik spitzte sich weiter zu. Die drastische Zuspitzung rungen. Die Märkte – daran gibt es keinen Zweifel – wer- der Probleme führte in den 90er-Jahren zu einem Um- den sich immer stärker öffnen. Das birgt Chancen wie steuern in der EU-Agrarpolitik. „Der Status quo lässt Risiken. Uns muss daran gelegen sein, mit flankierenden, sich weder verteidigen noch aufrechterhalten. Und ob- (B) unterstützenden Maßnahmen unsere Landwirtschaft da- wohl die Mittel für den Agrarsektor zwischen 1990 und (D) für weiter fit zu machen. Hierbei – das möchte ich beto- 1991 um fast 30 Prozent aufgestockt wurden, müssen die nen – helfen uns keine Luftschlösser und Utopien. Landwirte in allen Mitgliedstaaten weitere Einbußen hin- nehmen. Wir haben mit unserer Politik nicht zu verhin- Nur wenn es uns gelingt, die richtigen Rahmenbedin- dern gewusst, dass die Landwirte in Scharen ihre Tätig- gungen zu setzen, wird die deutsche Agrarwirtschaft auf keit aufgeben“, formulierte der damalige EU-Kommissar den Märkten der Zukunft weiterhin eine gewichtige Rolle McSharry. In der Konsequenz dieser Kritik wurden die spielen können. agrarpolitischen Instrumente verändert. Es wurde ein System der „gekoppelten Preisausgleichzahlungen“ ein- Manfred Zöllmer (SPD): geführt. Die Agrarpolitik war immer ein zentraler Bereich Im weiteren Verlauf kam es zu einer erneuten Re- europäischer Politik. Dies begann bereits mit den Römi- formrunde mit dem Vorschlag zur Agenda 2000 durch den schen Verträgen von 1957. Darin wurde der Grundstein Kommissar Fischler. Dies war der Auftakt zu einem Re- für eine europäische Agrarpolitik – GAP – gelegt. Dieser formmarathon, der eine wirkliche Neuausrichtung der Bereich der Politik wird seitdem zentral durch die EU be- GAP zur Folge hatte. Zielsetzung waren eine stärkere stimmt. In der Nachkriegszeit galt die Herstellung von Marktorientierung der landwirtschaftlichen Produktion Ernährungssicherheit in Europa zunächst als ein zentra- und die Verstärkung der Wettbewerbsfähigkeit auf den in- les Ziel der Agrarpolitik. Daneben war es Absicht, die ternationalen Märkten durch Annäherung an die Welt- Produktivität der Landwirtschaft zu steigern, für ein an- marktpreise sowie eine stärkere Orientierung an unter- gemessenes Einkommen der in der Landwirtschaft Be- nehmerischer Initiative der Landwirtschaft. Dies war schäftigten zu sorgen und die Versorgung der Verbrau- auch deshalb notwendig, weil die internationale Diskus- cherinnen und Verbraucher mit Lebensmitteln zu sion um die Rolle der Landwirtschaft bei den Verhandlun- angemessenen Preisen zu sichern. gen in der damaligen Uruguay-Runde zur Liberalisie- rung des internationalen Handels eine große Rolle Der europäische Agrarmarkt war in den ersten Jahr- spielte. Die direkten Subventionen, die Exportsubventio- zehnten deutlich vom Weltmarkt abgeschottet. Der Schutz nen und die Abschottung der europäischen Agrarmärkte vor billigen Agrarimporten stand ganz oben auf der gegenüber Drittländern standen im Mittelpunkt der Kri- Agenda. Für bestimmte Agrarprodukte gab es Garantie- tik. preise, zu denen die Landwirte ihre Produkte abliefern konnten. Die europäische Agrarpolitik war bei der Errei- Mit der Agrarreform von 2003 wurde ein umfassender chung ihrer Ziele extrem erfolgreich. Die eingeführten Schritt in Richtung auf Entkopplung der Direktzahlungen

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24145

Manfred Zöllmer (A) von der Produktion gemacht. Damit wurde ein Großteil und internationaler Ebene durchsetzen und helfen, die (C) der handelsverzerrenden Subventionen beseitigt. Ein be- wachsende Weltbevölkerung zu ernähren. Nicht zuletzt stimmter Teil der Direktzahlungen wurde für die Entwick- die am meisten von Hunger und Armut betroffenen lung des ländlichen Raumes verwendet (Modulation). Schwellen- und Entwicklungsländer könnten von einem systematischen Wissenstransfer profitieren. Dazu sollte Diese Darstellung der Entwicklung der GAP in der EU auch die verantwortbare Nutzung der Grünen Gentechnik zeigt deutlich, dass die europäische Agrarpolitik auf gehören, da sie Umweltbelastungen vermindert, die Er- einem erfolgreichen Kurs der marktwirtschaftlichen nährungssicherung und die Qualität von Nahrungs- Neuausrichtung ist. Die Einbindung der europäischen mitteln verbessert sowie Pflanzen für die industrielle Agrarwirtschaft in den internationalen Handel ist weit Nutzung als nachwachsender Rohstoff optimieren kann. fortgeschritten. Mit den Angeboten zur vollständigen Ab- Deshalb ist das Ergebnis des Health-Checks auch doppelt schaffung der Exportsubventionen bis 2013 auf der WTO- unbefriedigend gewesen. Nicht nur hat die Bundesregie- Konferenz in Hongkong hat die EU deutlich gemacht, rung ihr Versprechen gebrochen, an der Ersten Säule dass sie ihren Beitrag zu einem erfolgreichen Abschluss unverändert festzuhalten, und der Erhöhung der Modu- der laufenden Doha-Runde leisten will. Mit den Be- lation zugestimmt, sondern es kam auch nicht zu den an- schlüssen zur Abschaffung der Milchquote bis 2015 ha- gekündigten Erleichterungen bei den Cross-Compliance- ben die EU-Agrarminister deutlich gemacht, dass sie in Regelungen. ihrer Mehrheit den Weg der Marktorientierung weiterge- hen wollen. Trotz der aktuellen Wirtschaftskrise, die mittlerweile auch die Landwirtschaft erreicht hat, ist festzuhalten, Der vorliegende Antrag der FDP bringt keinen einzi- dass ein Abschluss der WTO-Welthandelsrunde im gen neuen Gedanken. Dies gilt für alle Forderungen. Er Interesse sowohl der heimischen Land- und Ernährungs- bleibt völlig unkonkret in seinen allgemeinen Appellen. wirtschaft als auch der Entwicklungsländer ist. Die Le- Die FDP scheut sich zum Beispiel, für die laufenden Ver- bensmittelproduktion für den heimischen Verbrauch in handlungen in der WTO konkrete Vorschläge für weitere Deutschland und der EU bleibt dabei aber weiterhin die Zugeständnisse in der Agrarpolitik zu machen. Auf ak- vorrangige Aufgabe der Landwirtschaft. tuelle Problemlagen und die vielfältigen Herausforde- rungen der Agrarpolitik angesichts des Klimawandels, Durch die weiter rasant wachsende Weltbevölkerung bedrohter Biodiversität und der weltweit steigenden Be- wird mittel- und langfristig die Nachfrage nach Getreide, völkerung geht der Antrag nicht ein. Der vorliegende An- Fleisch und Milch sowie Milchprodukten steigen. Diese trag der FDP ist nicht nur flüssig – er ist vollständig Entwicklung wird durch eine steigende Flächennutzung überflüssig. zur Erzeugung nachwachsender Rohstoffe wie zum Bei- (B) spiel zur Herstellung biogener Kraftstoffe verstärkt und (D) beschleunigt. Schließlich resultiert aus den klimatischen Hans-Michael Goldmann (FDP): Veränderungen ein Verlust landwirtschaftlicher Fläche. In mehr als den letzten 15 Jahren war die Gemeinsame Agrarpolitik einem rasanten Wandel unterworfen. WTO- Zudem werden bereits heute weltweit auf mehr als Handelsrunden, Reformen der GAP in den Jahren 1992, 120 Millionen Hektar gentechnisch veränderte Pflanzen 1999 (Agenda 2000) und im Juni 2003 führten zu einem angebaut. Das ist mit umwelt-, agrar- und entwicklungs- agrarpolitischen „Reformmarathon“. Mit der vorerst politischen Vorteilen verbunden, von denen insbesondere letzten GAP-Reform in 2003 war ein Paradigmenwechsel der Forschungs- und Wirtschaftsstandort Deutschland verbunden, der zu einer stärkeren Orientierung an den profitieren kann. Deshalb ist der augenblickliche populis- Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft und der Nach- tische Kurs der Landwirtschaftsministerin unverantwort- haltigkeit führte. Die Europäische Union hat mit diesem lich. Statt diffuse Ängste zu schüren, sollte die Regierung agrarpolitischen „Reformmarathon“ im Bereich der die Bevölkerung aufklären. Wir erwarten von einer ver- GAP ihren Teil für einen erfolgreichen Abschluss der lau- antwortungsvoll handelnden Bundesregierung, dass sie fenden Welthandelsrunde geschaffen. berechtige Interessen der innovativen und erfolgreichen Land- und Ernährungswirtschaftsbranche auf nationaler, Liberale Grundprinzipien für eine zukunftsweisende europäischer und internationaler Ebene mit dem notwen- europäische Landwirtschaft orientieren sich am Leitbild digen Nachdruck vertritt, damit diese Zukunftsbranche des unternehmerischen, eigenverantwortlichen Land- ihre vielfältigen Potenziale auch in Deutschland zur Si- wirts. Die Potenziale des kompletten Spektrums von mo- cherung und Schaffung von Arbeitsplätzen ausschöpfen derner „Hightechlandwirtschaft“ bis zum ökologischen kann. Landbau müssen genutzt werden. Unsere Landwirte ken- nen Standortfaktoren und Produktionstechnologien selbst Als FDP sind wir aber davon überzeugt, dass wir einen am besten. Gesetzliche Regulierungen dürfen deshalb Grundsockel in der Ersten Säule auch über 2013 erhalten nicht die Land- und Forstwirtschaft belasten, sondern müssen. Auch künftig wird es einen Ausgleich für die im müssen verhältnismäßig sein und sie im Wettbewerb stär- Vergleich zum Weltmaßstab höheren Belastungen durch ken. Der moderne Landwirt muss in die Lage versetzt strengere Produktionsregeln geben müssen, wenn wir werden, die Chancen des Marktes zu nutzen, und darf wollen, dass die europäischen Landwirte sich am Welt- nicht durch einen überbordenden Verwaltungsaufwand markt durchsetzen und behaupten können. Eines aber daran gehindert werden. Nur dann werden sich effiziente darf es nach 2013 definitiv nicht mehr geben: Exportsub- landwirtschaftliche Produktionsverfahren, basierend auf ventionen. Es ist nicht länger zu verantworten, dass durch einer leistungsfähigen Agrarforschung, auf nationaler europäische Exportsubventionen Märkte in der Dritten

Zu Protokoll gegebene Reden 24146 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

Hans-Michael Goldmann (A) Welt überschwemmt werden und die dortige Landwirt- rungssouveränität und zunehmend auch Energieversor- (C) schaft zerstört wird. Exportsubventionen sind ein Ana- gung abzusichern. Sie ist mehr als ein marktwirtschaft- chronismus und gehören schnellstmöglich abgeschafft. lich auszurichtender Wirtschaftssektor. Sie ist in vielen ländlichen Regionen eine tragende Säule des sozialen Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): und wirtschaftlichen Lebens. Sie prägt Natur- und Kul- Der Antrag der FDP ist längst überholt. Auch die Aus- turlandschaften. In vielen Teilen der Welt ist sie die wich- gangslage ist heute völlig anders als zur Antragstellung. tigste Einkommensquelle für die Menschen. Sie ist Basis Im Jahr 2007 stiegen die Erzeugerpreise. Selbst für die regionaler Wertschöpfungsketten. Milch wurden zwischendurch ungewohnt hohe 45 Cent Die gemeinsame EU-Agrarpolitik – GAP – muss diese pro Liter gezahlt. Heute sind wir wieder weit davon ent- vielfältigen Funktionen der Agrarwirtschaft unterstützen. fernt. Die kurzzeitige Preisblase für landwirtschaftliche Eine auf Nachhaltigkeit orientierte europäische Agrar- Erzeugnisse ist sehr schnell geplatzt. Der durchschnittli- politik muss zudem die Entwicklung einer Agrarwirt- che Erzeugerpreis für Milch hat sich seitdem halbiert. schaft in Entwicklungs- und Schwellenländern fördern Damit wird auch eines sehr deutlich: Nicht die erhöhte und darf sie nicht zerstören. In den WTO-Verhandlungen Nachfrage aus Asien bei knappem Weltmarktangebot hat müssen ökologische und soziale Aspekte endlich Eingang zum Preisschub geführt. Es waren vor allem die Spekula- finden. Den Antrag der FDP lehnen wir ab. tionsgeschäfte an landwirtschaftlichen Rohstoffmärkten. Das Finanzkapital flüchtete aus dem unsicher geworde- nen amerikanischen Immobilienmarkt in die Agrarroh- Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) stoff- und Bodenmärkte. Eine virtuelle Nachfrage wurde Hauptaussage des Antrags der FDP ist die Forderung erzeugt. Ernten wurden gehandelt, für die noch nicht mal an die Bundesregierung, „einen definitiven Beschluss gesät war. zum Ausstieg aus der Milchmengenregulierung spätes- Bei dieser zunächst eher nüchternen Situationsbe- tens bis zum 31. Januar 2015 zu verabschieden“. Solch schreibung dürfen wir eines nicht vergessen: Wir reden völlige Deregulierung ist nach Ansicht der FDP „die hier über den Einfluss von Spekulanten auf Nahrungs- Chance auf dem Weltmarkt“. Die Folgen der neolibera- mittelpreise. Das hat selbstverständlich eine völlig an- len Freibriefe für die Märkte sind allerdings aktuell am dere gesellschaftliche und humanitäre Dimension als Beispiel der Finanzkrise schmerzhaft für Steuerzahler Preisschwankungen bei Industriegütern oder privaten und Betroffene zu spüren und haben zur schwersten Wirt- Dienstleistungen. Insofern braucht der Agrarmarkt eine schaftskrise der letzten Jahrzehnte geführt. gesellschaftliche Kontrolle – noch nötiger als die Finanz- Der Deutsche Bauernverband, die Bundesregierung wirtschaft. Aber gerade dem deregulierten Agrarmarkt, (B) und allen voran die Fraktionen der Koalition CDU, CSU, (D) der Ursache der beschriebenen Entwicklung ist, redet die SPD haben sich mit eindeutigen Beschlüssen ins gleiche FDP mit ihrem Antrag weiter das Wort, obwohl er weder aus Landwirtschafts- noch aus Verbrauchersicht akzepta- Fahrwasser begeben und mit dem „Soft Landing“ die bel ist. Die FDP fordert eine verstärkte marktwirtschaft- Milchmengenerhöhung lange Zeit mitgetragen. Die „er- liche Ausrichtung der Gemeinsamen Agrarpolitik – GAP – folgreiche“ FDP-Politik gab den Landwirten nicht „Pla- in Richtung Weltmarkt. Deutschlands und Europas Land- nungssicherheit und Verlässlichkeit“, stattdessen stehen wirtschaft solle sich in erster Linie durch Agrarexporte die Milchbauern deutschlandweit vor dem Aus. Die Aus- entwickeln. Damit würden die gravierenden Einkommens- sicht der Handelsketten auf intensives ungezügeltes Mas- probleme im Agrarsektor gelöst, behaupten die Libera- senangebot und die wieder entstandenen Übermengen len. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Orientierung am drücken die Preise für die Erzeuger auf 18 bis 25 Cent, Weltmarkt führt in Deutschland zu sinkenden Erzeuger- deutlich unter die Gestehungskosten. preisen, bindet unnötig dringend benötigte Flächen und Selbst wenn die Front der Neoliberalen jetzt ange- vergeudet natürliche Ressourcen. sichts der Proteste auch in den Bundesländern bröckelt Für die Linke ist klar: Spekulationsgesteuerte Märkte und Ministerin Aigner einen weiteren Eiertanz vollzieht, sind keine Basis für eine umweltgerechte, regional veran- wird nicht endlich mit Mengenbegrenzung politisch ge- kerte Landwirtschaft mit sozialer Stabilisierungsfunk- handelt, sondern es werden die Brüsseler Beschlüsse für tion. Entfesselte Marktwirtschaft denkt ausschließlich be- gottgegeben erklärt. Doch das war noch nie so. Mit der triebswirtschaftlich, nicht volkswirtschaftlich. Sie löst letzten Agrarreform wurden tatsächlich endlich einige keine ökologischen oder sozialen Probleme im Interesse gute Gegenstrategien zu Fehlentwicklungen wie Über- der Gesellschaft. Sie löst keine Ungerechtigkeiten in der schusserzeugung, Marktverzerrung, Lebensmittelskan- globalen Ernährungs- und Einkommensverteilung. In ei- dalen und ökologischen Folgeschäden entwickelt. Doch ner nach den aktuellen Regeln der WTO globalisierten die Probleme im Milchmarkt haben die Luxemburger Be- Agrarpolitik spielen Recht auf Nahrung, regionale Er- schlüsse offen gelassen. Die getroffenen Beschlüsse zum nährungssicherung und Einkommensziele in ländlichen Milchmarkt beinhalten konkret: eine zeitliche Verlänge- Räumen keine Rolle. Kurzfristiger Profit ist wichtiger als rung der Milchquotenregelung bis 2015, eine zeitliche ökologische und soziale Standards. Das ist die Welt, die Verschiebung der bereits mit der Agenda 2000 beschlos- sich die Liberalen wünschen. Aber das ist mit der Linken senen Quotenaufstockung von 3 mal 0,5 Prozent um ein nicht zu machen! Wir wollen eine Agrarwirtschaft, die ih- Jahr, das heißt einen Start erst in 2006; der Vorschlag der rer gesellschaftlichen Rolle gerecht wird: mit sozialer Kommission, die Milchquote in 2007/2008 zu erhöhen, und ökologischer Verantwortung die regionale Ernäh- wurde nicht verabschiedet.

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24147

Ulrike Höfken (Bündnis 90/Die Grünen) (A) Die Luxemburger Beschlüsse zur Milchquote wurden Klar ist jedenfalls: Steuerzahler-Gelder für Export- (C) umgesetzt in der Verordnung (EG) Nr. 1788/2003. Da subventionen zulasten der Entwicklungsländer, Aus- steht zur Milchquote: „Ab dem 1. April 2004 wird für elf gleichsfonds oder die immer wiederkehrenden Agrar- aufeinander folgende Zeiträume von zwölf Monaten diesel-Forderungen können und dürfen die Weltmarkt- (nachstehend ‚Zwölfmonatszeiträume‘ genannt) begin- Illusionen der Bundesregierung, der FDP und des Bau- nend mit dem 1. April auf die im jeweiligen Zwölfmonats- ernverbandes sowie die Interessen des Handels und der zeitraum vermarkteten Mengen von Kuhmilch oder ande- Verarbeiter nicht finanzieren. ren Milcherzeugnissen, die die in Anhang I festgesetzten einzelstaatlichen Referenzmengen überschreiten, eine Die Reform der GAP muss für 2013 weiterentwickelt Abgabe erhoben …“ und den neuen Herausforderungen wie der Entwicklung der ländlichen Räume und Arbeitsplätze, dem Klima- Ich darf die damalige Landwirtschaftsministerin schutz, der stärkeren Nachfrage nach gesunden Produk- Renate Künast aus der Bundestagsrede zu den Luxembur- ten und Biolebensmitteln, nach Bioenergie und der welt- ger Beschlüssen zitieren: „Das Ergebnis der längeren weiten Nachfrage nach Lebensmitteln muss nachhaltig Beratung an der Stelle war: Erstens. Die Quotenregelung Rechnung getragen werden. Immer mehr Masse, immer wird bis 2015 verlängert. Sie alle wissen, dass noch im mehr Chemie und Gentechnik, wie es die FDP will: Das Januar/Februar die Mehrheit des Agrarrates gegen diese schafft nicht Wertschöpfung, sondern Wertvernichtung Verlängerung war. Herr Deß, wenn Sie merken, dass im und Armut. Juni etwas herauskommt, wovon Sie im Januar nicht zu träumen wagten, könnten Sie ruhig ein freundliches Ge- Vizepräsidentin Petra Pau: sicht machen. Zweitens. Die von der Kommission vorge- Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Er- schlagene Milchquotenerhöhung ab 2007/08, die den nährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt Druck auf den Markt noch mehr erhöht hätte, ist erst ein- in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/9800, mal vom Tisch. Drittens. Wir haben durchgesetzt – Sie ha- den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/4185 ben sich noch nicht einmal getraut, das zu fordern –, dass abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- die bereits in der Agenda 2000 beschlossenen Regelun- lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die gen zur Milchquotenerhöhung erst einmal verschoben Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unions- werden.“ Es geht also doch, mit Durchsetzungskraft und fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und Realitätsnähe. der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen In den Luxemburger Beschlüssen steht nichts drin, wie der FDP-Fraktion angenommen. es nach diesen elf Zeiträumen von zwölf Monaten weiter- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am (B) gehen soll. Tatsache ist lediglich, dass die Kommission Schluss unserer heutigen Tagesordnung. (D) als Einzige ein Vorschlagsrecht zur Änderung der Verord- nung hat und sich bisher weigert, hier neue Vorschläge zu Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- machen. Da sollten die Europawahlen doch weiterhelfen destages auf Mittwoch, den 13. Mai 2009, 13 Uhr, ein. und den vernünftigen Vorschlägen einer Mengenregulie- Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen er- rung nach Angebot und Nachfrage zur Durchsetzung ver- folgreiche Tage. helfen, wie der Bund der Milchviehhalter sie in die Dis- kussion bringt. (Schluss: 20.07 Uhr)

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24149

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/ 07.05.2009 Schily, Otto SPD 07.05.2009 DIE GRÜNEN Dr. Stinner, Rainer FDP 07.05.2009* Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/ 07.05.2009 DIE GRÜNEN Strothmann, Lena CDU/CSU 07.05.2009 Becker, Dirk SPD 07.05.2009 Thiele, Carl-Ludwig FDP 07.05.2009 Bodewig, Kurt SPD 07.05.2009 * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- Brüderle, Rainer FDP 07.05.2009 sammlung der NATO Dörflinger, Thomas CDU/CSU 07.05.2009 Anlage 2 Ernstberger, Petra SPD 07.05.2009 Erklärung nach § 31 GO Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 07.05.2009 der Abgeordneten Dr. Hans Georg Faust, Jochen-Konrad Fromme und Hans Peter Thul Fograscher, Gabriele SPD 07.05.2009 (alle CDU/CSU) zur Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes zur Beschleunigung des Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 07.05.2009 Ausbaus der Höchstspannungsnetze (Tagesord- Dr. Geisen, Edmund FDP 07.05.2009 nungspunkt 16 a) (B) Peter Ich stimme dem oben genannten Gesetz zu, obwohl (D) ich in der Frage der teilweisen Erdverkabelung inhaltli- Gleicke, Iris SPD 07.05.2009 che Bedenken habe. Griefahn, Monika SPD 07.05.2009 Der Gesetzentwurf zur Beschleunigung des Ausbaus der Höchstspannungsnetze ermöglicht den Einsatz von Hänsel, Heike DIE LINKE 07.05.2009 Erdkabeln auf der Höchstspannungsebene im Übertra- gungsnetz als Pilotvorhaben auf vier verschiedenen Lei- Hoffmann (Wismar), SPD 07.05.2009 tungen/Abschnitten. Iris Obwohl auch von den Erfahrungen bei der Umset- Homburger, Birgit FDP 07.05.2009 zung der vier Pilotvorhaben wichtige Erfahrungen über Verlässlichkeit und Kosten der Erdverkabelung zu er- Humme, Christel SPD 07.05.2009 warten sind, bleiben Rückschlüsse auf einen möglichen flächendeckenden Einsatz von Erdkabeln schwierig, da Dr. Jung, Franz Josef CDU/CSU 07.05.2009 die Erdverkabelung auf den vorgesehenen Strecken nur teilweise angewendet wird. Knoche, Monika DIE LINKE 07.05.2009 Es wäre deshalb wünschenswert, wenn beim Ausbau Lehn, Waltraud SPD 07.05.2009 der Höchstspannungsnetze bei einem einzelnen Pilotpro- jekt komplett auf den Einsatz von Erdkabeln gesetzt Mattheis, Hilde SPD 07.05.2009 werden könnte. Auf diesem Weg könnte auch die zu- kunftsweisende HGÜ-Technik effektiv erprobt werden. Müller (Düsseldorf), SPD 07.05.2009 Michael Nešković, Wolfgang DIE LINKE 07.05.2009 Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO Röring, Johannes CDU/CSU 07.05.2009 der Abgeordneten Claudia Roth (Augsburg) Sager, Krista BÜNDNIS 90/ 07.05.2009 und Dr. Thea Dückert (beide BÜNDNIS 90/DIE DIE GRÜNEN GRÜNEN) zur Beschlussfassung über den An- trag: Schutz des Klosters Mor Gabriel sicher- Dr. Scheer, Hermann SPD 07.05.2009 stellen (Zusatztagesordnungspunkt 5 c) 24150 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

(A) Heute liegen dem Bundestag drei in Titel, Text und Bundestag verdient und nicht parteipolitische Verschie- (C) Sache eng beieinanderliegende Anträge zum Kloster bemasse sein darf. Daraus ergibt sich unser Abstimm- Mor Gabriel in der Türkei vor, der Antrag Druck- verhalten zu diesem Tagesordnungspunkt. sache 16/12867 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: „Schutz des Klosters Mor Gabriel sicherstellen“, der gleichnamige Antrag Drucksache 16/12866 der Fraktio- Anlage 4 nen der Großen Koalition, unterstützt von der FDP, so- wie der Antrag „Dauerhaften Schutz des Klosters Mor Zu Protokoll gegebene Rede Gabriel sicherstellen“ Drucksache 16/12484 der Frak- zur Beratung der Beschlussempfehlung und des tion Die Linke. Es geht in diesen Anträgen um die Be- Berichts: Schutz der Bienenvölker sicherstellen wahrung und Akzeptanz der Vielfalt in der Türkei, um (Tagesordnungspunkt 28) den Schutz von Minderheiten und ihren Besitz. Eine Verschlechterung der Rahmenbedingungen, die Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): Wenn dieser Punkt dem Kloster Mor Gabriel gegenwärtig drohen, würde auch als einer der letzten Tagesordnungspunkte aufgeru- sich negativ auf die Kultur der Minderheit der syrisch- fen wird, so ändert dies nichts an der Bedeutung der orthodoxen Christen in der Türkei auswirken. Der türki- Thematik! sche Staat und die türkische Justiz sind aufgefordert, gegenüber dem Kloster Mor Gabriel Fairness und Ge- Sehr geehrte Frau Happach-Kasan, ich freue mich rechtigkeit walten zu lassen. Glücklicherweise gibt es in- ganz besonders, dass Sie zum Ende dieser Legislatur- zwischen Signale von höchster politischer Ebene in der periode Ihr Herz für die Bienen entdeckt haben. Ich Türkei, in der Auseinandersetzung vermitteln zu wollen. frage mich nur die ganze Zeit, ob das vielleicht an der Wir hoffen, dass sich die Chancen für eine außergericht- Farbgebung der Bienen liegt. Die ist ja bekanntlich liche Lösung damit verbessern. Es wäre gut, wenn der schwarz-gelb! Der Umgang der possierlichen Tierchen Konflikt schnell beigelegt und der Druck vom Kloster ist für den gemeinen Bürger nicht ganz ungefährlich, da genommen würde. ihre Reaktionen häufig nicht vorauszusehen sind. Parallelen zu Ihrer Arbeit sind nicht ganz von der Hand Bei einer Türkeireise hatten Abgeordnete des Bun- zu weisen. destagsausschusses für Kultur und Medien sich näher mit der Situation des Klosters befasst. Die an der Reise Bienen sind sicherlich keine Haustiere, wie in Ihrem teilnehmenden Abgeordneten Monika Griefahn, Antrag beschrieben, sondern entsprechend ihrer ökono- Dr. Lukrezia Jochimsen und ich haben uns bereits in der mischen Bedeutung das drittwichtigste landwirtschaftli- Türkei öffentlich für Mor Gabriel stark gemacht. Eine che Nutztier. Ihr landwirtschaftlicher Produktionswert (B) (D) weitere gemeinsame Behandlung des Themas im Bun- macht durchaus mehrere Milliarden Euro aus, das sollten destag wurde vereinbart. wir in dieser Debatte nicht vergessen. Die Union hat sich an der wichtigen Sacharbeit zu Ich darf mich zuerst für die hervorragende Arbeit al- diesem Thema zunächst nicht beteiligt. Im Weiteren ler Beteiligten innerhalb des Deutschen Bienenmonito- stellte sie dann aber wohl fest, dass auch sie die Interes- rings bedanken. Ganz besonders möchte ich Herrn sen des christlichen Klosters in der Türkei mit vertreten Dr. Rosenkranz danken, der die Interessen der beteilig- sollte. Dem ursprünglichen Desinteresse folgte der Ka- ten Imkerverbände, der deutschen Bieneninstitute, der perungsversuch. Ein Antragsentwurf, der die gemein- Industrie und der landwirtschaftlichen Berufsverbände same Position aller Bundestagsfraktionen widerspie- im Rahmen dieses Verbundprojektes so erfolgreich koor- gelte, wurde kurzerhand zu einem Antrag der Großen diniert hat, dass die Ergebnisse des Bienenmonitorings Koalition erklärt, ohne dass die Bereitschaft vorlag, die- nun auch über die Landesgrenzen hinaus europaweit Be- sen Antrag durch alle Fraktionen gemeinsam einbringen achtung finden. Sie liefern uns einen fundierten Über- zu lassen. Die SPD war offensichtlich nicht in der Lage, blick über den Status quo der deutschen Bienenpopula- sich hier gegen die Union durchzusetzen und für die Ein- tionen. Die SPD hat dies zum Anlass genommen, die haltung guter parlamentarischen Gepflogenheiten zu sor- Projektergebnisse mit Praktikern, Vertretern aus Verbän- gen. den, der Beratung sowie der Forschung zu erörtern. Dazu haben wir vor zwei Wochen ein sehr intensives Dem Kaperungsversuch folgte der Entschluss der Fachgespräch in Berlin geführt. Großen Koalition, den Antrag auf dem überhasteten Weg einer Sofortabstimmung ohne Aussprache einzubringen. Mir hat das Fachgespräch erneut verdeutlicht, dass Offensichtlich wollte man sich nun schnell und lautlos wir, wenn wir den Interessen der Bienen und der Imker des peinlichen Vorgangs entledigen. Das ist aber kein an- nicht ausreichend Rechnung tragen, langfristig eine in- gemessener Umgang in der Sache. Mor Gabriel darf kein takte Umwelt und einen Großteil der landwirtschaftli- parteipolitischer Spielball der Union und der Großen chen Produktion gefährden. Die SPD nimmt die Belange Koalition sein. und Sorgen der Imker und Bienenzüchter ernst und will ihre Interessen in der Politik für die Entwicklung der Unter den gegebenen Voraussetzungen haben wir als ländlichen Räume stärker berücksichtigten. Fraktion Bündnis 90/Die Grünen uns entschlossen, den ursprünglich gemeinsam ausgearbeiteten Antrag selbst- Damit man weiß, wo in der Praxis der Schuh drückt, ständig einzubringen. Mit diesem Vorgehen wollen wir muss man aber auch den Dialog mit den Betroffenen ak- zeigen, dass Mor Gabriel eine ernsthafte Erörterung im tiv suchen und vorantreiben. Das hat die SPD getan. Und Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24151

(A) ich sage Ihnen: Von radikalen Stimmungen oder gar of- schiedener Umwelteinflüsse auf die Gesundheit und die (C) fenen Vorbehalten in der Imkerschaft gegenüber unserer Vitalität der Bienen wissen. Bienen sind auch ein Indika- politischen Arbeit habe ich nichts gespürt! Ganz im Ge- tor für den Zustand unserer Umwelt! Wenn wir vielfäl- genteil: Aufgeschlossen, offen und intensiv, manchmal tige und blühende Ackerkulturen zunehmend durch auch sehr kontrovers haben wir einen Tag lang über die Maismonokulturen ersetzen, dürfen wir uns nicht wun- verschiedenen Aspekte und Herausforderungen der Im- dern, dass nicht nur die Imker und ihre Bienenvölker kerei und Bienenzucht gesprochen. Meinen Kollegen Probleme bekommen. Hier könnte eine breiter aufge- von der Union rate ich dringend, sich diesem erforderli- stellte Bienenforschung beispielsweise wichtige Impulse chen und für beide Seiten sehr lehrreichen Dialog nicht für die Entwicklung umweltverträglicher Biogaskon- weiter zu verschließen. Ich hoffe, dass auch Sie zukünf- zepte geben. Der Deutsche Imkerbund hat ein ausführli- tig ein offeneres Ohr haben – auch wenn bisher wenige ches Positionspapier zur zukünftigen Ausrichtung der Imker unter den Schirm des Deutschen Bauernverbands Forschung vorgelegt. Dieses bildet eine sehr gute Basis, geschlüpft sind. um die Diskussion voranzutreiben. Klar geworden ist: Wir benötigen mehr praxisorien- Aber, und das muss an dieser Stelle betont werden, tierte Forschung! Die bisherigen Forschungsschwer- ein intelligenter Mitteleinsatz und verstärkte Kooperatio- punkte sind auszubauen. Dabei sind die Herausforderun- nen sind erforderlich. Zukünftig werden wir nur durch gen für die Imkerschaft aber weitaus vielfältiger, als uns eine stärkere Zusammenarbeit innerhalb der gesamten die Kolleginnen und Kollegen der FDP in ihrem Antrag Forschungskette gewährleisten, dass eine praxisorien- glauben machen wollen. tierte Forschung erfolgen kann. Die SPD bekennt sich ausdrücklich zur Verantwortung des Bundes. Daher un- Wir haben eine Vielzahl an Fragestellungen, die die terstützen wir auch die Finanzierung von Forschungs- moderne Landwirtschaft betreffen. Die Bienenforschung projekten aus Mitteln des Bundesministeriums für kann und sollte uns beispielsweise Fragen nach den Aus- Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Um wirkungen pflanzlicher Neuzüchtungen auf Bienen be- den Praxisbezug sicherzustellen, sollten die Vertreter der antworten. Auch die Fragen nach den Möglichkeiten des Imker in jedem Fall frühzeitig in die Entwicklung des GVO-Einsatzes und ihrer Auswirkungen sollten wir da- Forschungsdesigns einbezogen werden. Praktiker sollten bei nicht ausklammern und unter Berücksichtigung der dann als gleichberechtigte Partner in alle Phasen der For- wissenschaftlichen Erkenntnisse offen diskutieren. Wir schungsprojekte einbezogen werden. Ein Gradmesser müssen ja auch feststellen, dass gerade ökologische Fra- für erfolgreiche Projektarbeit muss auch das Maß des Er- gestellungen für die an der Imkerei Interessierten und gebnistransfers in die Praxis sein, denn nur auf diesem Neuimker besonders wichtig sind. Der Anbau von GVO Weg lässt sich die Arbeit der Forschungsinstitute dauer- (B) hat bei den Imkern zu erheblichen Unsicherheiten ge- haft legitimieren. (D) führt. Hier ist es meine feste Überzeugung, dass wir auch durch die Definition der Guten Fachlichen Praxis beim Liebe Kollegin Happach-Kasan, Sie erwähnen in Ih- Anbau von GVO auf die berechtigten Fragen und Sorgen rem Antrag zu Recht die Problematik des Maiswurzel- der Imker eine Antwort geben müssen. bohrers. Bezüglich seiner Ausbreitung und Bekämpfung in Deutschland möchte ich Folgendes anmerken: Die zu- Mich als Tierarzt haben Fragen rund um Bienen- ständigen Landesbehörden haben bereits sehr drastische krankheiten auch in meiner langjährigen Praxistätigkeit Maßnahmen ergriffen, wie Sie sicherlich wissen. Gerade begleitet. Für mich ist eine breitere und intensivere Ursa- die Auflagen bezüglich der Einhaltung einer ordnungs- chenforschung bei Bienenkrankheiten das Gebot der gemäßen Fruchtfolge stoßen aber bei einigen Landwir- Stunde. Forschung darf sich nicht nur auf die Varroose- ten auf erhebliche Vorbehalte, wenn nicht gar auf Wider- Problematik beschränken. Zwar stehen die Varroose- stand. Das verstehe ich nicht. Es wird seitens des Bekämpfung auf biologischer Basis und die Erforschung Berufsstandes immer wieder darauf verwiesen, dass die der Zusammenhänge zwischen Varroose und viralen Gute Fachliche Praxis von den Landwirten praktiziert Sekundärinfektionen am Anfang und müssen selbstver- wird. Aber stark eingeengte Fruchtfolgen bergen be- ständlich ausgebaut werden. Aber dabei dürfen wir die kanntlich ackerbauliche Gefahren. Diese zu beachten, anderen Problembereiche nicht vernachlässigen. Ge- gehört auch zu den Grundsätzen einer langfristigen und nannt sei in diesem Zusammenhang die Suche nach Al- nachhaltigen Betriebsführung. Es kann nicht sein, dass ternativen zu den bisherigen Bekämpfungsmethoden des die Ordnungsbehörden in Bayern und Baden-Württem- Feuerbrandes in Obstplantagen. Das durch den Wirkstoff berg diese einzelbetrieblichen Fehlentwicklungen auf Clothianidin ausgelöste Bienensterben entlang der dem Verwaltungswege beheben müssen und sich gleich- Rheinschiene hat gezeigt, dass wir auch die Folgewir- zeitig anhören müssen, wie stark sie in die unternehmeri- kungen des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln in der sche Entscheidungsfreiheit des einzelnen Landwirts ein- Risikobewertung stärker berücksichtigen sollten. Fehler greifen. Hier setze ich in Zukunft auf mehr Vernunft und bei der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln dürfen Beachtung der ackerbaulichen Erfahrungen. nicht auf Kosten der Imkerei gehen. Im Zweifelsfall hat das Vorsorgeprinzip zu gelten. Hier setzt sich die SPD In diesem Zusammenhang muss ich neben einem Ta- für mehr Aufmerksamkeit sowohl in der Zulassung als del natürlich auch ein Lob einfließen lassen. In vielen auch bei der Kontrolle durch die Länder ein. Regionen Deutschlands gibt es hervorragende Koopera- tionen zwischen Imkern und Landwirtschafts- bzw. Wir müssen uns vor Augen führen, dass wir in vielen Obstbaubetrieben. Diese zum Teil langjährige Zusam- Punkten noch viel zu wenig über die Auswirkungen ver- menarbeit bildet eine solide Grundlage, um die zukünfti- 24152 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

(A) gen Herausforderungen gemeinsam anzugehen. Daher Berufsverbände gefragt, die Imagewerbung des Berufs- (C) unterstützt die SPD den Ausbau regionaler Kooperatio- standes zu professionalisieren. Nur so lässt sich das posi- nen in diesem Bereich. tive Bild in der Öffentlichkeit, das sich gerade auch in den letzten Jahren entwickelt hat, sinnvoll für die Nach- Ein Hauptaugenmerk müssen wir selbstverständlich wuchsarbeit nutzen. Ein modernes, buntes und positives auf die Aus- und Weiterbildung der Hobby- und Berufs- Bild der Imkerei in der Öffentlichkeit sollte von einer imker legen. Das können wir nicht einfach lapidar in ei- bundesweiten Imagekampagne aufgegriffen werden. Ich nem Halbsatz abhandeln, wie es die FDP in ihrem An- wünsche mir, dass das BMELV eine solche Kampagne trag getan hat. Gerade die gesetzlichen Vorgaben für unterstützt, denn wir können dann auch gleichzeitig In- sichere Lebensmittel haben die Anforderungen an die formationen zu Chancen und Möglichkeiten der Berufs- Honiggewinnung in den letzten Jahren erheblich gestei- imkerei als Ausbildungsberuf transportieren. gert. Als Lebensmittelproduzenten müssen sich Hobby- und Berufsimker stetig weiterqualifizieren und sind auf Gute Aus- und Weiterbildung werden das Produk- entsprechende Aus- und Weiterbildungsangebote ange- tionsniveau steigern, davon bin ich überzeugt. Das ist in wiesen. Deutschland auch dringend nötig. Bisher schöpfen die deutschen Imker das vorhandene Marktpotenzial nicht Die SPD unterstützt eine stärkere Verzahnung der aus. Das hat viele Ursachen und lässt sich dauerhaft nur vorhandenen Strukturen der Bienenzuchtberatung, der durch eine Vielzahl von Maßnahmen erhöhen. Dazu ge- Imkerberatung und -schulung sowie der Weiterbildung. hören eine klare Qualitätsorientierung in der Produktion, Dazu ist aber auch erforderlich, dass die Bundesländer ein hohes Ausbildungsniveau der Hobby- wie auch Be- ihren personellen wie finanziellen Verpflichtungen ge- rufsimker und die Nutzung aller Marketinginstrumente, genüber diesem wichtigen landwirtschaftlichen Produk- um das Qualitätsprodukt Honig noch besser zu positio- tionszweig stärker als bisher nachkommen. nieren. Was die Berufsqualifikation angeht – hier sind sicher- Die SPD setzt sich für eine flächendeckende Imkerei lich noch einige Veränderungen wünschenswert. Bisher ein, nach dem Motto: „Nicht alles überall, aber überall gibt es für Imker keine eigenständige Berufsausbildung. etwas!“ Dabei müssen wir den regionalen Gegebenhei- Ihre Ausbildung ist in die des Tierwirts integriert. Das ten Rechnung tragen. halte ich angesichts der vielfältigen Anforderungen für nicht mehr zeitgemäß. Daher unterstütze ich die Ausar- Den FDP-Antrag lehnen wir ab, weil er im Forde- beitung einheitlicher nationaler Standards für eine mehr- rungsteil der Komplexität der gegenwärtigen Fragestel- jährige Imkerausbildung. Vielleicht können die Imker- lungen, die im Einleitungstext angesprochen wurden, (B) (D) verbände eine Prüfung für Hobbyimker entwickeln und nicht gerecht wird. diese – analog zur Sportfischerprüfung – zukünftig in Eigenregie durchführen? Das wird langfristig sicherlich Die Interessen und Belange der Imkerei und Bienen- das Produktionsniveau steigern und den Gesundheits- zucht müssen auf allen Ebenen unserer Arbeit stärker be- status in der Hobbyimkerei fördern. rücksichtigt werden. Genau dafür wird sich die SPD weiter einsetzen. Liebe Kollegin Happach-Kasan! Sie sprechen in ei- nem Nebensatz die Überalterung des Berufsstandes an. Auch dies ist eine besondere Herausforderung für den Berufsstand. Wenn wir in Deutschland zukünftig eine Anlage 5 flächendeckende Imkerei erhalten wollen, muss in erster Amtliche Mitteilungen Linie die Nachwuchsförderung verstärkt werden. Die deutschen Imker und Bienenzüchter sind redlich be- Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat mitgeteilt, müht, Menschen für die Bienen zu begeistern. In einigen dass sie den Antrag Die europäische Integration der Re- Regionen stoßen sie aber auf erhebliche Probleme, die publik Moldova unterstützen auf Drucksache 16/9358 sie alleine mit Engagement und Ehrenamt nicht mehr be- zurückzieht. wältigen können. Die Abgeordneten , Peter Bleser, Anke Die SPD unterstützt die Imkerverbände darin, die Eymer (Lübeck), Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land), Nachwuchsförderung auszubauen. Die Ansprache der an Hartwig Fischer (Göttingen), Hans-Joachim Fuchtel, der Imkerei und Bienenzucht Interessierten muss aber Thilo Hoppe und haben darum gebeten, heute auch den modernen Kommunikationsanforderun- bei dem Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des gen genügen. Ich setze mich für den Aufbau eines bun- Schwangerschaftskonfliktgesetzes auf Drucksache desweiten internetbasierten Aus- und Weiterbildungs- 16/11106 nachträglich in die Liste der Antragsteller auf- angebots ein. Ein entsprechendes E-Learning-Angebot genommen zu werden. sollten die Imkerverbände in Zusammenarbeit mit priva- ten und staatlichen Beratungseinrichtungen mittelfristig Die Abgeordneten Dr. Erwin Lotter und Carl-Ludwig realisieren. Eine Kofinanzierung durch den Bund halte Thiele haben darum gebeten, bei dem Entwurf eines … ich persönlich für äußerst sinnvoll. Insbesondere aus Gesetzes zur Änderung des Schwangerschaftskon- dem Topf für Modellvorhaben kann der Bund hier unter- fliktgesetzes auf Drucksache 16/11330 nachträglich in stützend tätig werden. Sicherlich sind in erster Linie die die Liste der Antragsteller aufgenommen zu werden. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009 24153

(A) Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Ausschuss für Bildung, Forschung und (C) mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Technikfolgenabschätzung Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung – Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Tech- zu den nachstehenden Vorlagen absieht: nikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) gemäß § 56a der Geschäftsordnung Technikfolgenabschätzung (TA) Auswärtiger Ausschuss TA-Projekt: Biobanken für die humanmedizinische Forschung und Anwendung – Unterrichtung durch die Bundesregierung – Drucksache 16/5374 – Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühun- gen um Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtver- breitung sowie über die Entwicklung der Streitkräfte- Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben potentiale (Jahresabrüstungsbericht 2007) mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden – Drucksache 16/9200 – Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei- ner Beratung abgesehen hat. – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühun- Auswärtiger Ausschuss gen um Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtver- breitung sowie über die Entwicklung der Streitkräfte- Drucksache 16/12188 Nr. A.1 potentiale (Jahresabrüstungsbericht 2008) EuB-EP 1861; P6_TA-PROV(2009)0023 Drucksache 16/12188 Nr. A.2 – Drucksache 16/11690 – EuB-EP 1864; P6_TA-PROV(2009)0027

– Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Inter- parlamentarischen Union Innenausschuss 119. Versammlung der Interparlamentarischen Union Drucksache 16/10286 Nr. A.8 vom 10. bis 15. Oktober 2008 in Genf, Schweiz EuB-EP 1749; P6_TA-PROV(2008)0304 Drucksache 16/10958 Nr. A.3 – Drucksachen 16/11876, 16/12357 Nr. 1.2 – Ratsdokument 14003/08 Drucksache 16/12511 Nr. A.1 Ratsdokument 7075/09 Haushaltsausschuss

– Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzausschuss Haushalts- und Wirtschaftsführung 2007 Drucksache 16/12188 Nr. A.6 Ratsdokument 6035/1/09 REV 1 (B) Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Verpflich- (D) tungsermächtigungen im ersten Vierteljahr des Haus- Drucksache 16/12511 Nr. A.4 Ratsdokument 7084/09 haltsjahres 2007 – Drucksachen 16/5657, 16/5803 – Haushaltsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 16/12188 Nr. A.8 Haushalts- und Wirtschaftsführung 2007 Ratsdokument 5444/09 Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Verpflich- Drucksache 16/12188 Nr. A.9 tungsermächtigungen im zweiten Vierteljahr des Haus- Ratsdokument 6145/09 Drucksache 16/12188 Nr. A.10 haltsjahres 2007 Ratsdokument 6220/09 – Drucksachen 16/7456, 16/7573 Nr. 11 –

– Unterrichtung durch die Bundesregierung Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushalts- und Wirtschaftsführung 2007 Drucksache 16/8983 Nr. A.10 Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Verpflich- Ratsdokument 6944/08 Drucksache 16/9394 Nr. A.6 tungsermächtigungen im dritten Vierteljahr des Haus- Ratsdokument 8696/08 haltsjahres 2007 Drucksache 16/9693 Nr. A.8 – Drucksachen 16/7260, 16/7376 Nr. 4 – Ratsdokument 9480/08 Drucksache 16/10958 Nr. A.19 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Ratsdokument 14059/08 Drucksache 16/10958 Nr. A.20 Haushalts- und Wirtschaftsführung 2007 Ratsdokument 14265/08 Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Verpflich- Drucksache 16/11132 Nr. A.9 tungsermächtigungen im vierten Vierteljahr des Haus- EuB-EP 1797; P6_TA-PROV(2008)0460 haltsjahres 2007 Drucksache 16/11721 Nr. A.16 Ratsdokument 16097/08 – Drucksachen 16/8730, 16/8964 Nr. 3 – Drucksache 16/11819 Nr. A.7 Ratsdokument 5028/09 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 16/11965 Nr. A.8 Haushalts- und Wirtschaftsführung 2007 Ratsdokument 5237/09 Ergänzung der Zusammenstellung der über- und Drucksache 16/12188 Nr. A.11 außerplanmäßigen Ausgaben und Verpflichtungs- Ratsdokument 5791/09 ermächtigungen im vierten Vierteljahr des Haushalts- Drucksache 16/12188 Nr. A.13 jahres 2007 Ratsdokument 5982/09 Drucksache 16/12188 Nr. A.14 – Drucksachen 16/9244, 16/9391 Nr. 1.6 – Ratsdokument 6006/09 24154 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 220. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Mai 2009

(A) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Drucksache 16/12188 Nr. A.24 (C) Verbraucherschutz Ratsdokument 6074/09 Drucksache 16/10958 Nr. A.21 Drucksache 16/12369 Nr. A.9 Ratsdokument 13195/08 Ratsdokument 5779/09 Drucksache 16/12369 Nr. A.10 Ratsdokument 5789/09 Ausschuss für Arbeit und Soziales Drucksache 16/12188 Nr. A.20 Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ratsdokument 5881/09 Drucksache 16/11132 Nr. A.18 Ratsdokument 14602/08 Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Drucksache 16/12188 Nr. A.29 EuB-EP 1859; P6_TA-PROV(2009)0021 Drucksache 16/6715 Nr. 1.18 Drucksache 16/12188 Nr. A.30 Ratsdokument 12772/07 EuB-EP 1865; P6_TA-PROV(2009)0028 Drucksache 16/10286 Nr. A.53 Drucksache 16/12188 Nr. A.31 Ratsdokument 11268/08 EuB-EP 1866; P6_TA-PROV(2009)0029 Drucksache 16/10286 Nr. A.54 Ratsdokument 11428/08 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Gesundheit Drucksache 16/10286 Nr. A.90 Drucksache 16/11819 Nr. A.19 Ratsdokument 10255/08 Ratsdokument 17503/08 Drucksache 16/11517 Nr. A.36 Ratsdokument 15256/08 Drucksache 16/11965 Nr. A.16 Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ratsdokument 5289/09 Drucksache 16/11819 Nr. A.21 Drucksache 16/11965 Nr. A.17 Ratsdokument 17563/08 Ratsdokument 17358/08 Drucksache 16/12188 Nr. A.22 Drucksache 16/12188 Nr. A.33 Ratsdokument 5620/09 Ratsdokument 5981/09

(B) (D)

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