Plenarprotokoll 16/231

Deutscher

Stenografischer Bericht

231. Sitzung

Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Inhalt:

Ablauf der Fragestunde ...... 26097 A Tagesordnungspunkt 65: Weitere Plenarsitzungen in der 16. Legislatur- Große Anfrage der Abgeordneten Gisela periode ...... 26097 B Piltz, Dr. , , wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Begrüßung des Parlamentspräsidenten der Achtung der Grundrechte Republik Finnland, Herrn Sauli Niinistö . . . . 26111 A (Drucksachen 16/7271, 16/10469) ...... 26113 A Gisela Piltz (FDP) ...... 26113 A Tagesordnungspunkt 64: Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU) ...... 26115 A – Zweite und dritte Beratung des von den (DIE LINKE) ...... 26117 B Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Dr. Carl-Christian Dressel (SPD) ...... 26119 B zur Bekämpfung der Steuerhinterzie- (BÜNDNIS 90/ hung (Steuerhinterziehungsbekämp- fungsgesetz) DIE GRÜNEN) ...... 26120 D (Drucksachen 16/12852, 16/13666) . . . . . 26097 B Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/CSU) ...... – Zweite und dritte Beratung des von der 26122 C Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Dr. Max Stadler (FDP) ...... 26124 A eines Gesetzes zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung (Steuerhinterzie- Christoph Strässer (SPD) ...... 26125 A hungsbekämpfungsgesetz) Jörg Tauss (fraktionslos) ...... 26126 C (Drucksachen 16/13106, 16/13666) . . . . . 26097 B Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (Heidelberg) (SPD) ...... 26097 D (CDU/CSU) ...... 26127 A Dr. Volker Wissing (FDP) ...... 26100 A Daniela Raab (CDU/CSU) ...... 26128 A (CDU/CSU) ...... 26101 D Dr. Max Stadler (FDP) ...... 26129 B Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) ...... 26103 C Daniela Raab (CDU/CSU) ...... 26129 D Christine Scheel (BÜNDNIS 90/ Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär DIE GRÜNEN) ...... 26105 B BMJ ...... 26130 B Peer Steinbrück, Bundesminister BMF ...... 26106 D Tagesordnungspunkt 66: Frank Schäffler (FDP) ...... 26108 D a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der Manfred Kolbe (CDU/CSU) ...... 26109 B SPD eingebrachten Entwurfs eines (CDU/CSU) ...... 26114 B Gesetzes zur Fortentwicklung der 26100 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Lothar Binding (Heidelberg) (A) Um es zusammenfassend zu sagen: Sehr viele Staaten Gesetzentwurf geht damit ins Leere. Unnötige Gesetze (C) sind inzwischen bereit, sich nach den OECD-Standards braucht in diesem Land kein Mensch. zu verhalten. Wir sind gespannt, ob sie das wirklich tun. Wenn sie es tun, dann hat das Gesetz sein Ziel zu (Beifall bei der FDP) 100 Prozent erreicht. Auch wenn man den Gesetzentwurf auf Angemessen- Schönen Dank. heit überprüft, sehen Sie schlecht aus. Denn andere Staa- ten, etwa die USA, haben das Problem der Steuerhinter- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ziehung ohne Belastung der Steuerzahlerinnen und der CDU/CSU) Steuerzahler lösen können, indem sie sich schlicht und einfach mit den betroffenen Staaten verständigt haben. Präsident Dr. : Es ist doch unangemessen, wenn eine Regierung die ei- Dr. Volker Wissing ist der nächste Redner für die genen Schwächen, die sie bei Verhandlungen mit ande- FDP-Fraktion. ren Staaten offenbart, zu einem Problem der Bürgerin- nen und Bürger ihres Landes macht. Genau das tun Sie, (Beifall bei der FDP) indem Sie von unbescholtenen Bürgern einen Nachweis verlangen, dass sie nichts Verbotenes vorhaben, wenn sie Dr. Volker Wissing (FDP): ihr Geld im Ausland investieren. Besten Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen (Joachim Poß [SPD]: Welche Sympathien ha- und Kollegen! In dem Ziel, Steuerhinterziehung ent- ben Sie eigentlich für Steuerhinterzieher? – schlossen zu bekämpfen, sind wir uns alle einig; Gegenruf des Abg. [FDP]: Keine!) (Gabriele Frechen [SPD]: Seit wann denn Sie? Seit wann die FDP? – – Es wäre wirklich sinnvoll, wenn wir zumindest am [SPD]: Das ist ein Paradigmenwechsel! – Wei- Ende dieser Legislaturperiode einmal sachlich über ein terer Zuruf von der SPD: Oh! Mal etwas ganz Thema, das die Finanzpolitik betrifft, diskutieren könn- Neues!) ten. Aber eine sachliche Debatte ist mit der SPD schon lange nicht mehr möglich, lieber Herr Poß. darüber brauchen wir nicht lange zu diskutieren. Die Frage ist nur: Was ist mit dem, was uns heute konkret (Beifall bei der FDP) vorgelegt wurde? Lassen Sie uns den vorliegenden Ge- Sie wollen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in die setzentwurf einmal bewerten. Pflicht nehmen, weil Sie fürchten, dass es Peer Ein wesentliches Kriterium für die Bewertung eines Steinbrück nicht gelingen könnte, andere Staaten von der (B) Gesetzentwurfs ist, ob das Handeln der Bundesregierung Einhaltung der OECD-Standards zu überzeugen. Das (D) verhältnismäßig ist. ist wirklich bemerkenswert. Vor dem Hintergrund, dass er nicht gerade als Diplomat aufgetreten ist, kann man (Thomas Oppermann [SPD]: Ob es verhältnis- das sicherlich nachvollziehen. mäßig ist, wenn man Steuern zahlt?) (Simone Violka [SPD]: Aber er war – Die Frage ist: Ist das verhältnismäßig? – Schaut man erfolgreich!) sich den vorliegenden Gesetzentwurf an, stellt man fest: Er ist nicht erforderlich – zur Begründung hat Herr Seine einzigartigen Beschimpfungen anderer Staaten Binding schon einen wesentlichen Beitrag geleistet –; er muteten wirklich befremdlich an. ist nicht geeignet, das formulierte Ziel zu erreichen, und So wichtig die Bekämpfung der Steuerhinterziehung er ist erst recht nicht angemessen. als internationale Aufgabe auch ist: Die Sanierung der Ihr Gesetzentwurf ist ungeeignet, das Problem der Staatsfinanzen bleibt eine nationale Aufgabe. Die Ursa- Steuerhinterziehung zu lösen. Sie wollen nämlich, dass chen der ruinierten deutschen Staatsfinanzen liegen nicht die Vorgaben aus Art. 26 des OECD-Musterabkommens in der Schweiz und nicht in Luxemburg. eingehalten werden; das ist auch vernünftig. Dafür be- (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Auch! lasten Sie die Steuerzahler allerdings mit Informations- Denn das Geld, das dort hinterzogen wird, pflichten, und das, obwohl die Umsetzung von OECD- fehlt auch hier!) Abkommen nun wirklich nicht in den Händen der Steu- erzahler, sondern ausschließlich in den Händen ausländi- Die Hauptursache ist – neben der jahrelang erfolglosen scher Regierungen liegt. Haushalts- und Finanzpolitik der Großen Koalition – Ihr konfuses Krisenmanagement in dieser schwerwiegenden Ihr Gesetzentwurf ist auch nicht erforderlich. Sie ha- Finanzmarktkrise. ben es schon deutlich gesagt: Er zeigt schon Wirkungen, obwohl er noch gar nicht umgesetzt ist. (Beifall bei der FDP) (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Aber Sie woll- Das dürfen wir, auch wenn wir heute über viele andere ten ja selbst diesen Gesetzentwurf nicht!) wichtige Themen diskutieren, nicht vergessen. Ich wiederhole: Er ist nicht erforderlich. Denn inzwi- Es heißt so schön: Der Zweck heiligt die Mittel. Aber schen haben die betreffenden Staaten die Ratifizierung ein unstrittiges Anliegen wie die Bekämpfung der Steu- der OECD-Standards zugesagt. Es gibt keinen Staat erhinterziehung rechtfertigt nicht, unverhältnismäßige mehr, der auf der sogenannten Schwarzen Liste steht. Ihr Gesetzentwürfe zu verabschieden, mit denen der Staat Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26101

Dr. Volker Wissing (A) unnötigerweise in die Rechte der Bürgerinnen und Bür- (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!) (C) ger eingreift. Für Sie, Herr Steinbrück, ist ein Steuerhin- Ich kann mich nicht erinnern, dass Sie, Herr Steinbrück, terzieher jeder Bürger, solange er nicht das Gegenteil be- im Kabinett jemals einem Kollegen oder einer Kollegin weist. Das ist der Blick, den Sie auf unsere Gesellschaft mit der Peitsche oder mit der Kavallerie gedroht hätten. haben. Genau diese Sichtweise teilt die FDP nicht. Eine solche Drohung im Kabinett hätte, denke ich, mehr (Beifall bei der FDP) Steuergelder gespart, als Ihre Verbalattacke gegenüber der Schweiz gebracht hat. Unsere Verfassung schreibt vor, dass wir keine über- flüssigen Gesetze auf den Weg bringen dürfen, durch die (Beifall bei Abgeordneten der FDP) die Bürgerinnen und Bürger belastet werden. Ausgerech- Nach elf Jahren SPD-Finanzpolitik sind die Staats- net in der Finanzpolitik gehen Sie aber gerne auf Kon- finanzen in einem desolateren Zustand als je zuvor. Da- frontationskurs zu unserer Verfassung. Wenn es um Geld bei haben Sie – leider ohne Erfolg – viel versucht, um geht, sehen Sie in bürgerlichen Freiheiten einen Akt Ihre Finanzprobleme in den Griff zu bekommen: Sie ha- der Großzügigkeit des Staates, aber längst keine Grund- ben die größten Steuererhöhungen in der Geschichte rechte mehr. unseres Landes durchgeboxt. Sie haben bürgerliche Frei- (Thomas Oppermann [SPD]: Es gibt aber kein heitsrechte massiv beschnitten, ja, sie mit Füßen getre- Grundrecht auf Steuerhinterziehung!) ten. Sie haben die Verfassung bis an die Grenzen des Zu- lässigen gedehnt, ja, Sie haben sie sogar gebrochen; ich Bürgerliche Freiheiten sind allerdings kein Anhängsel erinnere an Ihre Gesetzgebung zur Pendlerpauschale. der Verfassung. Sie sind die Legitimation unseres demo- kratischen Gemeinwesens. Die Bürgerinnen und Bürger Nur eines haben Sie nicht getan: Sie haben nicht ge- zahlen nicht zuletzt deshalb exorbitant hohe Steuern und spart. Deshalb ist dieser Finanzminister in Wahrheit Abgaben, weil der Staat ihnen ein Leben in Freiheit und grandios gescheitert. Neben einem desolaten Steuersys- Wohlstand gewährleisten soll. Weil Sie die Freiheit aber tem mit exorbitanter Steuerlast zunehmend einschränken und Ihre überbordende Staats- (Joachim Poß [SPD]: Nehmen Sie einmal die verschuldung den Wohlstand unserer Gesellschaft längst internationalen Zahlen zur Kenntnis! – Weite- gefährdet, haben Sie unser Land in eine unerträgliche rer Zuruf von der SPD: Die Steuerquote ist un- Schieflage gebracht. terdurchschnittlich!) (Beifall bei der FDP) steht heute ein desolater Bundeshaushalt, nicht nur we- Wenn Sie meinen, den Menschen in dieser Situation gen mangelnder Einsparungen, sondern insbesondere (B) weitere Steuererhöhungen zumuten zu können, dann wegen einer desolaten Finanzaufsicht, die nicht verhin- (D) wird es Zeit, dass dieser Irrweg beendet wird. Es ist gut, dert hat, dass für Bankenspekulationen jetzt die Bürge- dass wir heute die letzte Sitzungswoche des Deutschen rinnen und Bürger die Zeche zahlen müssen. Gut, dass Bundestages unter einer Großen Koalition erleben. die Ära sozialdemokratischer Finanzpolitik bald beendet sein wird. Leider werden wir die Schulden, die Sie hin- (Beifall bei der FDP) terlassen, noch Jahrzehnte tragen müssen. Herr Binding hat schon gesagt: Es ist erstaunlich, dass (Beifall bei der FDP) das Thema Steuerhinterziehung so spät auf die Tages- ordnung kommt. Das ist eine bemerkenswerte Selbstkri- tik, Herr Binding; denn die SPD stellt seit elf Jahren den Präsident Dr. Norbert Lammert: Bundesfinanzminister. Das Wort erhält nun der Kollege Eduard Oswald, CDU/CSU-Fraktion. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Mit dem Einwand konnte man rechnen!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) hat die Bekämpfung der Steuerhinter- ziehung nicht nach vorne gebracht, und auch Hans Eduard Oswald (CDU/CSU): Eichel hat sie nicht auf die Tagesordnung gesetzt. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Joachim Poß [SPD]: Wir haben in Europa hart Kollege Volker Wissing, ich werde mich jetzt mit dem verhandelt!) Gesetz beschäftigen. Jetzt, kurz vor dem Wahlkampf, wollen Sie mit einem (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Scheingesetz, mit einem Schaugesetz Punkte machen. der SPD) Substanziell haben Sie zur Bekämpfung der Steuerhin- terziehung in Deutschland aber nichts beigetragen. Sie haben versucht, einen Rundumschlag zu machen, um die Zeit noch einmal für sich zu nützen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich glaube, die Beratungen im Finanzausschuss haben gezeigt, dass sich alle Fraktionen im Grundsatz einig Es ist vollkommen legitim, wenn der Staat die Ein- sind. Der Satz „Steuerhinterziehung ist kein Kavaliers- nahmeseite ausschöpfen möchte. Konsequent ist eine delikt“ ist hier ja mittlerweile ins Allgemeingut einge- Finanzpolitik aber nur dann, wenn man die Ausgaben- gangen. Wer seine Steuerschuld nicht bezahlt oder sich seite mit dem gleichen Engagement angeht. um die Steuer herumdrückt, beteiligt sich nicht an der