Plenarprotokoll 16/231

Deutscher

Stenografischer Bericht

231. Sitzung

Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Inhalt:

Ablauf der Fragestunde ...... 26097 A Tagesordnungspunkt 65: Weitere Plenarsitzungen in der 16. Legislatur- Große Anfrage der Abgeordneten Gisela periode ...... 26097 B Piltz, Dr. , Jens Ackermann, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Begrüßung des Parlamentspräsidenten der Achtung der Grundrechte Republik Finnland, Herrn Sauli Niinistö . . . . 26111 A (Drucksachen 16/7271, 16/10469) ...... 26113 A Gisela Piltz (FDP) ...... 26113 A Tagesordnungspunkt 64: Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU) ...... 26115 A – Zweite und dritte Beratung des von den (DIE LINKE) ...... 26117 B Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Dr. Carl-Christian Dressel (SPD) ...... 26119 B zur Bekämpfung der Steuerhinterzie- (BÜNDNIS 90/ hung (Steuerhinterziehungsbekämp- fungsgesetz) DIE GRÜNEN) ...... 26120 D (Drucksachen 16/12852, 16/13666) . . . . . 26097 B Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/CSU) ...... – Zweite und dritte Beratung des von der 26122 C Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Dr. Max Stadler (FDP) ...... 26124 A eines Gesetzes zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung (Steuerhinterzie- Christoph Strässer (SPD) ...... 26125 A hungsbekämpfungsgesetz) Jörg Tauss (fraktionslos) ...... 26126 C (Drucksachen 16/13106, 16/13666) . . . . . 26097 B Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (Heidelberg) (SPD) ...... 26097 D (CDU/CSU) ...... 26127 A Dr. Volker Wissing (FDP) ...... 26100 A Daniela Raab (CDU/CSU) ...... 26128 A (CDU/CSU) ...... 26101 D Dr. Max Stadler (FDP) ...... 26129 B Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) ...... 26103 C Daniela Raab (CDU/CSU) ...... 26129 D Christine Scheel (BÜNDNIS 90/ Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär DIE GRÜNEN) ...... 26105 B BMJ ...... 26130 B Peer Steinbrück, Bundesminister BMF ...... 26106 D Tagesordnungspunkt 66: Frank Schäffler (FDP) ...... 26108 D a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der Manfred Kolbe (CDU/CSU) ...... 26109 B SPD eingebrachten Entwurfs eines (CDU/CSU) ...... 26114 B Gesetzes zur Fortentwicklung der II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Finanzmarktstabilisierung Tagesordnungspunkt 70: (Drucksachen 16/13156, 16/13590, Zweite und dritte Beratung des von den Abge- 16/13591) ...... 26133 D ordneten (Köln), , – Zweite und dritte Beratung des von der Jerzy Montag, weiteren Abgeordneten und Bundesregierung eingebrachten Ent- der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wurfs eines Gesetzes zur Fortent- eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes wicklung der Finanzmarktstabilisie- zur Änderung des Bundeswahlgesetzes rung (Drucksachen 16/11885, 16/13658) ...... 26149 D (Drucksachen 16/13297, 16/13384, Dr. Günter Krings (CDU/CSU) ...... 26150 A 16/13590, 16/13591) ...... 26133 D Gisela Piltz (FDP) ...... 26152 C b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten , Frank (SPD) ...... 26154 A Schäffler, Jens Ackermann, weiteren Ab- Dr. Günter Krings (CDU/CSU) ...... 26154 D geordneten und der Fraktion der FDP ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Hellmut Königshaus (FDP) ...... 26155 C Stärkung der Wettbewerbskonformität von Maßnahmen zur Stabilisierung des Dr. (DIE LINKE) . . . . . 26156 D Finanzmarktes (Altötting) (CDU/CSU) . . . . 26157 D (Drucksachen 16/12996, 16/13683) . . . . . 26133 D Klaus Uwe Benneter (SPD) ...... 26158 B c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Florian Toncar, Dr. h. c. Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ Jürgen Koppelin, , weiteren DIE GRÜNEN) ...... 26158 C Abgeordneten und der Fraktion der FDP Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU) ...... 26160 B eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der parlamentari- Volker Schneider (Saarbrücken) schen Kontrolle von Maßnahmen zur (DIE LINKE) ...... 26161 C Finanzmarktstabilisierung Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU) ...... 26161 D (Drucksachen 16/12885, 16/13679) . . . . . 26134 A Namentliche Abstimmung ...... 26162 A in Verbindung mit Ergebnis ...... 26164 D Zusatztagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten , Tagesordnungspunkt 68: , Otto Bernhardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU a) Beschlussempfehlung und Bericht des sowie der Abgeordneten Dr. Hans-Ulrich Ausschusses für Arbeit und Soziales zu Krüger, Ingrid Arndt-Brauer, Lothar Binding dem Antrag der Abgeordneten Klaus (Heidelberg), weiterer Abgeordneter und der Ernst, Volker Schneider (Saarbrücken), Fraktion der SPD: Schadensersatzansprü- Dr. , weiterer Abgeordneter che gegen die ehemaligen Vorstandsmit- und der Fraktion DIE LINKE: Alters- glieder der Hypo Real Estate Holding AG rente – Erhöhung der Regelaltersgrenze (Drucksache 16/13619) ...... 26134 B auf 67 Jahre zurücknehmen (Drucksachen 16/12295, 16/12737) . . . . . 26162 A (Erfurt) (SPD) ...... 26134 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Florian Toncar (FDP) ...... 26136 A Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Steffen Kampeter (CDU/CSU) ...... 26138 A Schneider (Saarbrücken), , Hans-Joachim Fuchtel (CDU/CSU) ...... 26139 D Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Die gesetz- Frank Schäffler (FDP) ...... 26141 A liche Rentenversicherung zur solidari- (DIE LINKE) ...... 26141 D schen Erwerbstätigenversicherung aus- bauen Dr. (BÜNDNIS 90/ (Drucksachen 16/6440, 16/11445) ...... 26162 B DIE GRÜNEN) ...... 26143 A c) Beschlussempfehlung und Bericht des Peer Steinbrück, Bundesminister BMF . . . . . 26144 D Ausschusses für Arbeit und Soziales zu Bartholomäus Kalb (CDU/CSU) ...... 26147 B dem Antrag der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Leo Dautzenberg (CDU/CSU) ...... 26148 B Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 III

und der Fraktion DIE LINKE: Solidar- schutzaudits und zur Änderung daten- ausgleich in der Rente für Versicherte schutzrechtlicher Vorschriften mit unterbrochenen Erwerbsbiografien (Drucksachen 16/12011, 16/13657) . . . . . 26194 A und geringen Einkommen stärken b) Beschlussempfehlung und Bericht des In- (Drucksachen 16/7038, 16/10335) ...... 26162 B nenausschusses (SPD) ...... 26162 C – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) ...... 26166 B Gisela Piltz, Hans-Michael Goldmann, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. (CDU/CSU) ...... 26168 B weiterer Abgeordneter und der Frak- Klaus Ernst (DIE LINKE) ...... 26170 A tion der FDP: Datenschutz im nicht öffentlichen Bereich verbessern Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 26171 B – zu dem Antrag der Abgeordneten Gisela Piltz, , Jens Volker Schneider (Saarbrücken) Ackermann, weiterer Abgeordneter (DIE LINKE) ...... 26171 C und der Fraktion der FDP: Daten- Klaus Ernst (DIE LINKE) ...... 26174 A schutz-Audit-Verfahren und Daten- schutz-Gütesiegel einheitlich regeln Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 26174 B – zu dem Antrag der Abgeordneten , , Anton Schaaf (SPD) ...... 26174 B Monika Lazar, weiterer Abgeordneter (CDU/CSU) ...... 26175 D und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Datenschutzaudit umset- zen – Gütesiegel stärkt Bürgerrechte Namentliche Abstimmung ...... 26177 A und schafft Akzeptanz für wirt- schaftliche Innovationen Ergebnis ...... 26179 D – zu dem Antrag der Abgeordneten Silke Stokar von Neuforn, Volker Beck (Köln), , weiterer Abge- Tagesordnungspunkt 67: ordneter und der Fraktion BÜND- Bericht des Petitionsausschusses: Bitten und NIS 90/DIE GRÜNEN: Datenschutz Beschwerden an den Deutschen Bundestag stärken – Bewusstsein schaffen – Datenmissbrauch vorbeugen Die Tätigkeit des Petitionsausschusses des (Drucksachen 16/9452, 16/1169, 16/1499, Deutschen Bundestages im Jahr 2008 16/10216, 16/13657) ...... 26194 C (Drucksache 16/13200) ...... 26177 C c) Beschlussempfehlung und Bericht des Kersten Naumann (DIE LINKE) ...... 26177 C Ausschusses für Arbeit und Soziales (CDU/CSU) ...... 26181 B – zu dem Antrag der Abgeordneten Jens Ackermann (FDP) ...... 26183 A Brigitte Pothmer, Dr. Thea Dückert, , weiterer Abgeordne- Lydia Westrich (SPD) ...... 26184 C ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ (DIE LINKE) ...... 26185 D DIE GRÜNEN: Rechte der Beschäf- tigten von Discountern verbessern Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 26187 B – zu dem Antrag der Abgeordneten Silke Stokar von Neuforn, Kerstin Andreae, (CDU/CSU) ...... 26188 C Volker Beck (Köln), weiterer Abge- Marlene Rupprecht (Tuchenbach) ordneter und der Fraktion BÜND- (SPD) ...... 26189 D NIS 90/DIE GRÜNEN: Persönlich- keitsrechte abhängig Beschäftigter Karl Schiewerling (CDU/CSU) ...... 26190 D sichern – Datenschutz am Arbeits- (SPD) ...... 26192 A platz stärken Klaus Hagemann (SPD) ...... 26193 A – zu dem Antrag der Abgeordneten , Wolfgang Nešković, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und Tagesordnungspunkt 69: der Fraktion DIE LINKE: Daten- schutz für Beschäftigte stärken a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs – zu dem Antrag der Abgeordneten eines Gesetzes zur Regelung des Daten- Gisela Piltz, Dr. Heinrich L. Kolb, Jens IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Ackermann, weiterer Abgeordneter Tagesordnungspunkt 74: und der Fraktion der FDP: Schutz von Arbeitnehmerdaten durch transpa- a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs rente und praxisgerechte Regelun- eines Fünften Gesetzes zur Änderung gen gesetzlich absichern des Straßenverkehrsgesetzes (Drucksachen 16/9101, 16/9311, 16/11376, (Drucksachen 16/13108, 16/13616) . . . . . 26206 A 16/12670, 16/13364) ...... 26195 A b) Zweite und dritte Beratung des von der (CDU/CSU) ...... 26195 B Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung Gisela Piltz (FDP) ...... 26197 B des Straßenverkehrsgesetzes Dr. Michael Bürsch (SPD) ...... 26198 C (Drucksachen 16/13109, 16/13617) . . . . . 26206 B Jörg Tauss (fraktionslos) ...... 26200 C c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt- Jan Korte (DIE LINKE) ...... 26201 C entwicklung zu dem Antrag der Abgeord- Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/ neten Gero Storjohann, Volkmar Uwe DIE GRÜNEN) ...... 26202 C Vogel, Dr. , weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/ CSU Tagesordnungspunkt 71: sowie der Abgeordneten Heidi Wright, Klaas Hübner, Sören Bartol, weiterer Ab- a) Zweite und dritte Beratung des von der geordneter und der Fraktion der SPD: Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Punkte-Systematik des Verkehrszen- eines Gesetzes zur Neuregelung der tralregisters in Flensburg einfacher und Rechtsverhältnisse bei Schuldverschrei- verständlicher gestalten bungen aus Gesamtemissionen und zur (Drucksachen 16/12993, 16/13407) . . . . . 26206 B verbesserten Durchsetzbarkeit von An- Gero Storjohann (CDU/CSU) ...... 26206 C sprüchen von Anlegern aus Falschbera- tung Heidi Wright (SPD) ...... 26208 A (Drucksachen 16/12814, 16/13672) . . . . . 26205 A Patrick Döring (FDP) ...... 26210 A b) Antrag der Abgeordneten , Dorothée Menzner (DIE LINKE) ...... 26211 A Julia Klöckner, Klaus Hofbauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/ CSU DIE GRÜNEN) ...... 26211 D sowie der Abgeordneten Marianne Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär Schieder, , , BMVBS ...... 26212 D weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Verbraucherschutz bei Fi- nanzdienstleistungen erweitern und durchsetzen Tagesordnungspunkt 75: (Drucksache 16/13612) ...... 26205 A a) – Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Tagesordnungspunkt 13: zes zu dem Abkommen vom 1. Ok- tober 2008 zwischen der Regierung Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- der Bundesrepublik Deutschland nanzausschusses zu dem Antrag der Abgeord- und der Regierung der Vereinigten neten Dr. Gerhard Schick, Kai Gehring, Staaten von Amerika über die Ver- Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und tiefung der Zusammenarbeit bei der der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verhinderung und Bekämpfung Finanzumsatzsteuer auf EU-Ebene einfüh- schwerwiegender Kriminalität ren (Drucksachen 16/13123, 16/13185, (Drucksachen 16/12303, 16/13281) ...... 26205 C 16/13659) ...... 26215 A – Zweite und dritte Beratung des von der Tagesordnungspunkt 73: Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Umsetzung Zweite und dritte Beratung des von der Bun- des Abkommens zwischen der Regie- desregierung eingebrachten Entwurfs eines rung der Bundesrepublik Deutsch- Gesetzes zur Modernisierung des Haus- land und der Regierung der Verei- haltsgrundsätzegesetzes (Haushaltsgrund- nigten Staaten von Amerika vom sätzemodernisierungsgesetz – HGrGMoG) 1. Oktober 2008 über die Vertiefung (Drucksachen 16/12060, 16/12105, 16/13687) 26205 D der Zusammenarbeit bei der Ver- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 V

hinderung und Bekämpfung schwer- Jürgen Kucharczyk, Helga Kühn-Mengel, wiegender Kriminalität Christian Lange (Backnang), Waltraud Lehn, (Drucksachen 16/13124, 16/13186, Gabriele Lösekrug-Möller, , 16/13659) ...... 26215 A , Markus Meckel, Petra Merkel b) Beschlussempfehlung und Bericht des In- (Berlin), Dr. Erika Ober, Johannes Pflug, nenausschusses Joachim Poß, , (Cottbus), Gerold Reichenbach, – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Carola Reimann, Christel Riemann- Gisela Piltz, , Ernst Hanewinckel, Ortwin Runde, Burgbacher, weiterer Abgeordneter (Spandau), , Dr. Margrit und der Fraktion der FDP: Abkom- Spielmann, Rolf Stöckel, Jörn Thießen, men zwischen der Bundesrepublik Dr. h. c. , Rüdiger Veit, Deutschland und den Vereinigten Andreas Weigel, (Wies- Staaten von Amerika über die Ver- loch), Lydia Westrich, Andrea Wicklein, tiefung der Zusammenarbeit bei der Engelbert Wistuba und Hedi Wegener (alle Verhinderung und Bekämpfung SPD) zur namentlichen Abstimmung über den schwerwiegender Kriminalität neu Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des verhandeln Bundeswahlgesetzes (Tagesordnungspunkt 70) ...... 26217 C – zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Wieland, Volker Beck (Köln), , weiterer Abgeordneter und der Fraktion Anlage 3 BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kein Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen uferloser Datenaustausch mit den Abstimmung über den Entwurf eines … Ge- USA setzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (Drucksachen 16/9094, 16/9360, 16/13659) 26215 B (Tagesordnungspunkt 70) Dr. (CDU/CSU) ...... 26218 A Nächste Sitzung ...... 26216 C Dr. (SPD) ...... 26218 B

Anlage 1 Anlage 4 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 26217 A Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) zur namentli- chen Abstimmung über die Beschlussempfeh- Anlage 2 lung zu dem Antrag: Altersrente – Erhöhung Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre zurück- Klaus Uwe Benneter, Dr. Dieter Wiefelspütz, nehmen (Tagesordnungspunkt 68 a) ...... 26218 C Dr. Lale Akgün, Gregor Amann, Dr. h. c. , , Ingrid Arndt- Brauer, Sabine Bätzing, , Sören Anlage 5 Bartol, , , Lothar Binding Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten (Heidelberg), , Dr. Gerhard Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Winfried Botz, Dr. Michael Bürsch, , Hermann, Bärbel Höhn, Ute Koczy, Winfried , , Dr. Carl- Nachtwei, (Augsburg), Jürgen Christian Dressel, Elvira Drobinski-Weiß, Trittin, Dr. , Markus Kurth Detlef Dzembritzki, , und Sylvia Kotting-Uhl (alle BÜNDNIS 90/ Siegmund Ehrmann, , Petra DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstim- Ernstberger, Gabriele Frechen, Dagmar mung über die Beschlussempfehlung zu dem Freitag, Peter Friedrich, , Iris Antrag: Altersrente – Erhöhung der Regelal- Gleicke, Angelika Graf (Rosenheim), Dieter tersgrenze auf 67 Jahre zurücknehmen (Ta- Grasedieck, , , gesordnungspunkt 68 a) ...... 26219 A Gabriele Groneberg, Wolfgang Grotthaus, , Klaus Hagemann, Michael Hartmann (Wackernheim), Dr. Reinhold Anlage 6 Hemker, Rolf Hempelmann, Dr. Barbara Hendricks, , Petra Heß, Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung Gabriele Hiller-Ohm, Dr. Eva Högl, Frank über den Entwurf eines Gesetzes zur Rege- Hofmann (Volkach), Christel Humme, lung des Datenschutzaudits und zur Änderung Johannes Jung (Karlsruhe), , datenschutzrechtlicher Vorschriften (Tages- Karin Kortmann, Dr. Hans-Ulrich Krüger, ordnungspunkt 69 a) ...... 26219 C VI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Gitta Connemann (CDU/CSU) ...... 26219 D Dr. Peter Jahr (CDU/CSU) ...... 26226 B Leo Dautzenberg (CDU/CSU) ...... 26220 D Klaus Uwe Benneter (SPD) ...... 26226 D Ernst Hinsken (CDU/CSU) ...... 26220 D (SPD) ...... 26227 B Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) ...... 26222 A Mechthild Dyckmans (FDP) ...... 26228 B (Weiden) Sevim Dağdelen (DIE LINKE) ...... 26229 C (CDU/CSU) ...... 26222 B Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ Lena Strothmann (CDU/CSU) ...... 26222 C DIE GRÜNEN) ...... 26230 D Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin Anlage 7 BMELV ...... 26231 C Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär Elvira Drobinski-Weiß, Dr. ,Ulrich BMJ ...... 26232 A Kelber und Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (alle SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Daten- Anlage 11 schutzaudits und zur Änderung datenschutz- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung rechtlicher Vorschriften (Tagesordnungs- der Beschlussempfehlung und des Berichts: punkt 69 a) ...... 26223 A Finanzumsatzsteuer auf EU-Ebene einführen (Tagesordnungspunkt 13) ...... 26233 A Anlage 8 Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU) ...... 26233 A Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Klaus Brähmig, Marie-Luise Dött, Dr. Michael (SPD) ...... 26234 A Fuchs, Jürgen Klimke, Dr. Frank Schäffler (FDP) ...... 26234 D und Klaus-Peter Willsch (alle CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset- Dr. (DIE LINKE) ...... 26235 A zes zur Regelung des Datenschutzaudits und Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ zur Änderung datenschutzrechtlicher Vor- DIE GRÜNEN) ...... 26235 C schriften (Tagesordnungspunkt 69 a) ...... 26223 C

Anlage 12 Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung Leo Dautzenberg und Albert Rupprecht (Wei- des Haushaltsgrundsätzegesetzes (Haushalts- den) (beide CDU/CSU) zur Abstimmung über grundsätzemodernisierungsgesetz – HGrGMoG) den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung (Tagesordnungspunkt 73) ...... 26236 D der Rechtsverhältnisse bei Schuldverschrei- bungen aus Gesamtemissionen und zur ver- Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU) ...... 26236 D besserten Durchsetzbarkeit von Ansprüchen (Hildesheim) von Anlegern aus Falschberatung (Tagesord- (SPD) ...... 26239 B nungspunkt 71 a) ...... 26224 D Otto Fricke (FDP) ...... 26240 B Roland Claus (DIE LINKE) ...... 26241 C Anlage 10 Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/ Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: DIE GRÜNEN) ...... 26242 A – Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse bei Schuldver- schreibungen aus Gesamtemissionen und Anlage 13 zur verbesserten Durchsetzbarkeit von Zu Protokoll gegebene Reden Ansprüchen von Anlegern aus Falschbera- tung zur Beratung: – Antrag: Verbraucherschutz bei Finanz- – Entwurf eines Gesetzes zu dem Ab- dienstleistungen erweitern und durchset- kommen vom 1. Oktober 2008 zwi- zen schen der Regierung der Bundesrepu- blik Deutschland und der Regierung (Tagesordnungspunkt 71 a und b) ...... 26225 A der Vereinigten Staaten von Amerika (CDU/CSU) ...... 26225 A über die Vertiefung der Zusammenarbeit Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 VII

bei der Verhinderung und Bekämpfung hinderung und Bekämpfung schwerwie- schwerwiegender Kriminalität gender Kriminalität neu verhandeln – Entwurf eines Gesetzes zur Umset- – Kein uferloser Datenaustausch mit den zung des Abkommens zwischen der USA Regierung der Bundesrepublik Deutsch- (Tagesordnungspunkt 75 und b) ...... 26243 A land und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika vom 1. Oktober (CDU/CSU) ...... 26243 B 2008 über die Vertiefung der Zusam- Wolfgang Gunkel (SPD) ...... 26244 C menarbeit bei der Verhinderung und Bekämpfung schwerwiegender Krimi- Gisela Piltz (FDP) ...... 26245 D nalität Jan Korte (DIE LINKE) ...... 26247 A Beschlussempfehlung und Bericht zu den Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ Anträgen: DIE GRÜNEN) ...... 26248 B – Abkommen zwischen der Bundesrepu- blik Deutschland und den Vereinigten Anlage 14 Staaten von Amerika über die Vertie- fung der Zusammenarbeit bei der Ver- Amtliche Mitteilungen ...... 26248 D

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(A) (C) Redetext

231. Sitzung

Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Norbert Lammert: Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus- Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolle- schusses (7. Ausschuss) ginnen und Kollegen! – Drucksache 16/13666 – Ich darf Ihnen zu Beginn mitteilen, dass es eine inter- Berichterstattung: fraktionelle Vereinbarung gibt, den Tagesordnungs- Abgeordnete Manfred Kolbe punkt 70 unmittelbar nach dem Tagesordnungspunkt 66 Lothar Binding (Heidelberg) aufzurufen und die nachfolgenden Tagesordnungspunk- te 67 und 68 zu tauschen. Sind Sie damit einverstan- Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der FDP-Frak- den? – Das sieht so aus. Dann ist es so beschlossen. tion vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Im Übrigen hat der Ältestenrat sich in seiner gestrigen die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich Sitzung darauf verständigt, dass in den Plenarsitzungen (B) höre keinen Widerspruch. Dann können wir das so hand- (D) am 26. August und am 8. September keine Regierungs- haben. befragungen, keine Fragestunden und keine Aktuellen Stunden durchgeführt werden. Ich vermute, dass die Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu- leichte Enttäuschung über diese Begrenzung der Tages- nächst dem Kollegen Lothar Binding für die SPD-Frak- ordnung durch die Freude ausgeglichen wird, dass wir tion. uns in der Sommerpause gleich zweimal zu Plenarsit- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Eduard zungen des Deutschen Bundestages treffen werden. Oswald [CDU/CSU]) (Beifall – [SPD]: Warum nur zweimal, Herr Präsident? – Weitere Zurufe Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): von der SPD) Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man muss sagen, dass – Ich bin sicher, dass die Zwischenrufe in das Protokoll wir heute Morgen noch nicht sehr viele sind. aufgenommen worden sind. Ich halte aber fest, dass sie nicht als förmliche Anträge zu verstehen waren. (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Es werden immer mehr!) Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 64 auf: Aber heute Nacht am Schluss der Sitzung um 1.08 Uhr – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- war der Saal noch relativ voll. Ich erwähne dies, um zu nen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten verdeutlichen, wie lange Plenarsitzungen manchmal Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der dauern können. Die heutige Tagesordnung wird sicher- Steuerhinterziehung (Steuerhinterziehungs- lich nicht ganz so lange gehen. bekämpfungsgesetz) (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Bei der Steuer werden alle wach!) – Drucksache 16/12852 – – Das denke ich auch. – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Es ist ein kleines Wunder, dass das Steuerhinterzie- zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung hungsbekämpfungsgesetz so lange hat auf sich warten (Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz) lassen. Eigentlich hätten wir ein solches Gesetz schon seit vielen Jahren gebraucht. Wir haben uns mit ver- – Drucksache 16/13106 – schiedenen anderen Instrumenten, die auch gewirkt ha- 26098 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Lothar Binding (Heidelberg) (A) ben, sehr gut beholfen. Dennoch gibt es in der Bevölke- krise haben den Blick auf die Ursachen, auf das, was (C) rung – ich finde: zu Recht – einen gewissen Ärger. wirklich geschieht, geschärft. Erst jetzt haben wir die Möglichkeit, die Verharmlosung von Steuerhinterzie- Der Steuerhinterzieher fährt zum Beispiel auf unseren hung anzugehen. Straßen. Er schickt seine Kinder auf unsere Schulen. Er will in einem sicheren Land leben. Daran erkennt man (Beifall bei Abgeordneten der SPD) schon, wie die Denkrichtung ist: Bezahlen sollen dies Im parlamentarischen Raum denken wir schon länger immer die anderen Bürger, die ehrlich ihre Steuern zah- nach über Aufträge an die Regierung, über internatio- len und die sich in unserem Land engagieren. Manchmal nale Vereinbarungen, über eine Verstärkung der Steu- werden die Ehrlichen noch als die Dummen verhöhnt. erfahndung und über eine Bundessteuerverwaltung, die Damit möchten wir Schluss machen. helfen soll, Steuerkriminalität zu bekämpfen. In dieser (Beifall bei der SPD) Phase – das fanden wir sehr interessant – hat der Bun- desminister für Finanzen Ende 2008 einen Referenten- Der Steuerhinterzieher zwingt also alle anderen entwurf zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung einge- Bürger dazu, höhere Steuern zu zahlen. Er fährt auf Kos- bracht. Viele hat dieser Entwurf erschreckt. Der Grund ten anderer in diesem Land auf unseren Straßen, und er dafür ist ganz einfach: Dieser Vorschlag war so konkret, schickt seine Kinder auf Schulen, die der Nachbar finan- wie ein Vorstoß in diese Richtung noch nie gewesen ist. ziert hat. Ich glaube, das muss man deutlich machen, um Er war so konkret, dass sich die Leute vorstellen konn- zu erkennen, was dieses Gesetz eigentlich will. In einem ten, was ihnen passieren würde, wenn sie künftig Steuer- Staat, der ziemlich gerecht und nach der Leistung be- hinterziehung betreiben würden. Dieser Entwurf hat die steuert und der im Vergleich zu anderen europäischen Zusammenarbeit mit Staaten in den Blick genommen, Staaten relativ geringe Steuern erhebt, können wir er- deren Recht Steuerbetrug absichtsvoll ermöglicht. Die- warten, dass jeder seine Steuern zahlt. ser Gesetzentwurf hat Sanktionen gegen jene in den (Beifall bei der SPD) Blick genommen, die sich dieser Steuerhinterziehungs- möglichkeiten bedienen. Steuerhinterziehung ist eine Form von Diebstahl. Nun ist das mit dem Diebstahl nicht ganz so einfach. Dabei Parallel dazu – ich glaube, das ist die besondere Leis- gibt es oft ein organisiertes Komplott zwischen Bürgern, tung – war Peer Steinbrück international unterwegs, um Kapitalfluchthelfern und bestimmten Staaten oder Steu- ganz ähnliche Regeln zu verabreden und diese Verabre- eroasen. Dieses Gesetz zielt darauf ab, dieses Komplott dung so vorzubereiten, dass sich niemand in der Welt zu beenden. Es nimmt nicht nur den Steuerbetrüger in darüber wundern musste, was hier passiert. Dadurch den Blick, sondern ebenso all jene, die ihm dabei helfen, wurde Deutschland glaubhaft, und andere Länder haben (B) dass dieser Betrug funktioniert. ähnliche Gesetze gemacht. Das hat viele – das muss man (D) schon sagen – sehr erschreckt. In diesem Haus beobachtet man manchmal einen merkwürdigen Reflex. Wir alle kennen Sätze wie: Steu- (Beifall bei der SPD) erhinterziehung ist zwar kein Kavaliersdelikt, aber es Die Arbeit zwischen den Koalitionsfraktionen funk- gibt viel Schlimmeres. Es gibt doch viel Schlimmeres als tioniert auf Fachebene meistens sehr gut; das gilt für den Steuerhinterziehung; warum stellt man sich da eigentlich Finanzausschuss in besonderer Weise. so an? – Diese Formeln machen aus Steuerhinterziehung ein Kavaliersdelikt. Es ist ein Problem, dass wir solche (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Jetzt aber bitte Sätze häufig in diesem Hause gehört haben. jedes Wort genau überlegen!) Ich finde es besonders merkwürdig, wenn jemand in – Ich überlege alles ganz genau. – Ich erinnere mich Deutschland über Deutschland als Steuerwüste spricht. noch sehr genau an einen Brief des Kollegen Meister Er erzeugt doch ein unendlich großes Verständnis für – ich will aus ihm jetzt nicht wörtlich zitieren –, in dem jene, die diese Wüste verlassen wollen. Die Menschen er uns wieder auf internationale Verabredungen vertrös- wollen natürlich nicht verdursten und verhungern, also ten wollte. Erst wenn die internationalen Verabredungen wollen sie die Wüste verlassen. Ich habe selbst gehört, mit allen wichtigen Staaten der Welt abgeschlossen wie Herr Westerwelle in einem großen Bierzelt von seien, sollten wir in Deutschland in das Gesetzgebungs- Deutschland als Steuerwüste sprach. verfahren eintreten. (Birgit Homburger [FDP]: Zu Recht!) (Thomas Oppermann [SPD]: 2034!) Wie kann man klarer Verständnis für Steuerhinterzie- Dazu muss ich sagen: Das ist ein tausendjähriger Plan hung formulieren als auf diese Weise, die den Menschen gewesen. Wir haben uns sehr darüber gefreut, dass es ein Argument an die Hand gibt, das Land wegen der uns gelungen ist, diese Idee zu überwinden, und dass Sie Steuerpflichten zu verlassen. konstruktiv mitgearbeitet haben, damit wir ein Gesetz machen konnten, mit dem Ministerium und Regierung (Joachim Poß [SPD]: Er kennt sich ja aus mit ein Instrumentenkasten an die Hand gegeben wird, um dem Thema, der Herr Westerwelle!) Steuerhinterziehung erfolgreich zu bekämpfen. Ich Wir wissen, dass es bisher kaum möglich war, syste- glaube, dass das ein sehr gutes Verhandlungsergebnis matisch betriebenen Steuerbetrug grenzüberschrei- der Koalition ist, auch wenn das nicht allen – das gilt für tend zu bekämpfen. Erst spektakuläre Entdeckungen von beide Seiten – leichtgefallen ist. Mehrere Regelungen Einzelfällen und die weltweite Finanz- und Wirtschafts- sind Einzelnen von CDU und CSU doch sehr schwer ge- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26099

Lothar Binding (Heidelberg) (A) fallen. Es gibt auch einzelne Dinge, auf die wir verzich- Das bedeutet – im Gesetzentwurf ist es etwas sperriger (C) ten mussten, was wiederum uns sehr schwer gefallen ist. formuliert –: Wenn ein Steuerbürger seinen Nachweis- Der Kompromiss bietet eine sehr gute Basis dafür, dass pflichten nachkommt, ist er von dem, was im Gesetz ge- Steuergerechtigkeit künftig eine größere Bedeutung in regelt ist, eigentlich gar nicht betroffen. Ich glaube, dass unserem Land hat. das für die allgemeine Gesetzgebung eine sehr kluge Idee ist. Das Gesetz wird die Steuerbürger auf einen gu- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ten Weg führen. der CDU/CSU) Aber es gibt natürlich auch ganz konkrete Aspekte, Das Schöne an dem gesamten Prozess ist, dass das die dem einzelnen Betrüger zu denken geben sollten. Gesetz schon jetzt wirkt, obwohl es noch gar nicht in Wenn er nicht kooperiert, dann muss natürlich etwas Kraft ist. passieren. Anders als bisher, wo möglicherweise eine (Thomas Oppermann [SPD]: Das ist wahr! Art Appell formuliert wurde, muss er jetzt darüber nach- Fernwirkung!) denken, dass er Nachteile im Zusammenhang mit seinen Werbungskosten- und Betriebskostenabzügen hat, dass Zwischendurch gab es so etwas wie eine Schwarze Liste. er bei ausländischen Gesellschaften Nachteile bei der Jeder versteht, dass man ungern auf einer Schwarzen Versagung der Entlastung von der Kapitalertragsteuer Liste steht. hat und dass er Nachteile bei der Versagung der Steuer- (Dr. [FDP]: Aber dann befreiung von Dividenden nach dem Körperschaftsteuer- können wir auf das Gesetz verzichten!) gesetz hat. Ich wiederhole: Es gibt ganz konkrete Nach- teile, die ein Steuerbürger hat, wenn er nicht kooperiert. – Das könnte man theoretisch machen. Sie haben wieder Aber – wie gesagt –: Wenn er kooperiert, wird er von all exakt die Hälfte der Wahrheit begriffen; das muss ich zu- den Nachteilen überhaupt nichts spüren. geben. (Thomas Oppermann [SPD]: Das ist ein (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Guido wunderbarer Mechanismus!) Westerwelle [FDP]) Insofern ist das ein Instrumentenkasten, der sehr gut ge- Sie haben recht: Wir hätten uns niemals träumen lassen, lungen ist. dass bestimmte Staaten etwas versprechen, was wir schon immer wollten, nur weil es die Ankündigung gibt, Ich glaube, steuersystematisch ist auch die Einord- ein bestimmtes Gesetz zu erlassen. Das Dumme ist aber: nung des Gesetzentwurfs sehr gut gelungen: Er ist ver- Diese Staaten haben bisher nur versprochen. Sie haben hältnismäßig und ausgewogen. Die Einbindung in die (B) gesagt, es sei keine schlechte Idee. Es ärgere sie, sie bestehenden Gesetze – das ist keine ganz leichte Auf- (D) machten aber mit, weil sie nicht auf die Schwarze Liste gabe: in das System der Einkommensteuer, in das Sys- wollten. tem der Körperschaftsteuer und auch in das System der Abgabenordnung – war eine große Aufgabe. Da müssen Wir müssen abwarten, ob die Länder, an die wir jetzt wir den Mitarbeitern des Ministeriums, Herrn gerade denken, ihr Versprechen wahrmachen. Sollten Dr. Misera, Herrn Scheurle und Herrn Wichmann, und diese Länder die internationalen Ideen und die Ideen, die dem Minister sehr danken, die das in einer minutiösen wir entwickelt haben, in ihre Rechtssysteme implemen- Arbeit mit viel Feinsteuerung sehr gut formuliert haben. tieren, wäre das Gesetz tatsächlich überflüssig. Aller- dings gäbe es immer noch eine Ebene, auf der man ope- (Beifall bei der SPD) rativ nachvollziehen können muss, ob Steuerehrlichkeit grenzüberschreitend funktioniert. Deshalb könnten die Es gibt sogar gleichlautende Entwürfe der Bundes- Länder, wenn sie gute Erfahrungen mit diesem Gesetz regierung und der Koalitionsfraktionen. Das hat uns in machen, noch einen Schritt weiter gehen und den auto- den Verhandlungen sehr geholfen; denn viele Probleme, matischen Informationsaustausch zwischen den Steuer- die strittig waren, konnten auf diese Weise kooperativ behörden erlauben. Leider ist dieser große Schritt noch gelöst werden. Mir gefällt auch gut, dass wir ein zwei- nicht möglich gewesen. Angesichts dessen habe ich ge- stufiges Verfahren haben: Es gibt eine Verordnungser- sagt: Herr Westerwelle, Sie haben die Hälfte der Wahr- mächtigung – das ist der Instrumentenkasten für die Re- gierung –, und es gibt die Möglichkeit, mit Zustimmung heit begriffen. Aber es ist noch Zeit genug, sich die zweite Hälfte zu erschließen. des Bundesrates eine Rechtsverordnung zu erlassen. Wir wollen deutlich machen: Der Gesamtstaat soll an der Die steuerrechtlichen Konsequenzen aus dem Ge- grenzüberschreitenden Betrugsverfolgung beteiligt wer- setzentwurf hängen sehr stark davon ab, welche Mitwir- den. Wir glauben, dass das ein sehr faires Angebot an die kungspflichten der Steuerbürger einzugehen bereit ist. beiden Häuser in unserem Staat ist und dass jeder die Diese Mechanik finde ich besonders gelungen. Denn je- Möglichkeit hat, sich in angemessener Weise einzubrin- der Steuerbürger – sollte er sich über irgendeinen kleinen gen. Aspekt in diesem Gesetz ärgern – hat die Möglichkeit, sich von diesem Aspekt freizustellen, indem er koope- Wir glauben auch, dass die unkooperativen Staaten riert und bestimmte Angaben macht, die er zuvor nicht inzwischen schon sehr viel dazugelernt haben: Sie den- hat machen wollen. ken neuerdings über Änderungen beim Bankgeheimnis und über einen verbesserten Informationsaustausch (Beifall bei der SPD) nach. 26100 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Lothar Binding (Heidelberg) (A) Um es zusammenfassend zu sagen: Sehr viele Staaten Gesetzentwurf geht damit ins Leere. Unnötige Gesetze (C) sind inzwischen bereit, sich nach den OECD-Standards braucht in diesem Land kein Mensch. zu verhalten. Wir sind gespannt, ob sie das wirklich tun. Wenn sie es tun, dann hat das Gesetz sein Ziel zu (Beifall bei der FDP) 100 Prozent erreicht. Auch wenn man den Gesetzentwurf auf Angemessen- Schönen Dank. heit überprüft, sehen Sie schlecht aus. Denn andere Staa- ten, etwa die USA, haben das Problem der Steuerhinter- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ziehung ohne Belastung der Steuerzahlerinnen und der CDU/CSU) Steuerzahler lösen können, indem sie sich schlicht und einfach mit den betroffenen Staaten verständigt haben. Präsident Dr. Norbert Lammert: Es ist doch unangemessen, wenn eine Regierung die ei- Dr. Volker Wissing ist der nächste Redner für die genen Schwächen, die sie bei Verhandlungen mit ande- FDP-Fraktion. ren Staaten offenbart, zu einem Problem der Bürgerin- nen und Bürger ihres Landes macht. Genau das tun Sie, (Beifall bei der FDP) indem Sie von unbescholtenen Bürgern einen Nachweis verlangen, dass sie nichts Verbotenes vorhaben, wenn sie Dr. Volker Wissing (FDP): ihr Geld im Ausland investieren. Besten Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen (Joachim Poß [SPD]: Welche Sympathien ha- und Kollegen! In dem Ziel, Steuerhinterziehung ent- ben Sie eigentlich für Steuerhinterzieher? – schlossen zu bekämpfen, sind wir uns alle einig; Gegenruf des Abg. Otto Fricke [FDP]: Keine!) (Gabriele Frechen [SPD]: Seit wann denn Sie? Seit wann die FDP? – Thomas Oppermann – Es wäre wirklich sinnvoll, wenn wir zumindest am [SPD]: Das ist ein Paradigmenwechsel! – Wei- Ende dieser Legislaturperiode einmal sachlich über ein terer Zuruf von der SPD: Oh! Mal etwas ganz Thema, das die Finanzpolitik betrifft, diskutieren könn- Neues!) ten. Aber eine sachliche Debatte ist mit der SPD schon lange nicht mehr möglich, lieber Herr Poß. darüber brauchen wir nicht lange zu diskutieren. Die Frage ist nur: Was ist mit dem, was uns heute konkret (Beifall bei der FDP) vorgelegt wurde? Lassen Sie uns den vorliegenden Ge- Sie wollen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in die setzentwurf einmal bewerten. Pflicht nehmen, weil Sie fürchten, dass es Peer Ein wesentliches Kriterium für die Bewertung eines Steinbrück nicht gelingen könnte, andere Staaten von der (B) Gesetzentwurfs ist, ob das Handeln der Bundesregierung Einhaltung der OECD-Standards zu überzeugen. Das (D) verhältnismäßig ist. ist wirklich bemerkenswert. Vor dem Hintergrund, dass er nicht gerade als Diplomat aufgetreten ist, kann man (Thomas Oppermann [SPD]: Ob es verhältnis- das sicherlich nachvollziehen. mäßig ist, wenn man Steuern zahlt?) (Simone Violka [SPD]: Aber er war – Die Frage ist: Ist das verhältnismäßig? – Schaut man erfolgreich!) sich den vorliegenden Gesetzentwurf an, stellt man fest: Er ist nicht erforderlich – zur Begründung hat Herr Seine einzigartigen Beschimpfungen anderer Staaten Binding schon einen wesentlichen Beitrag geleistet –; er muteten wirklich befremdlich an. ist nicht geeignet, das formulierte Ziel zu erreichen, und So wichtig die Bekämpfung der Steuerhinterziehung er ist erst recht nicht angemessen. als internationale Aufgabe auch ist: Die Sanierung der Ihr Gesetzentwurf ist ungeeignet, das Problem der Staatsfinanzen bleibt eine nationale Aufgabe. Die Ursa- Steuerhinterziehung zu lösen. Sie wollen nämlich, dass chen der ruinierten deutschen Staatsfinanzen liegen nicht die Vorgaben aus Art. 26 des OECD-Musterabkommens in der Schweiz und nicht in Luxemburg. eingehalten werden; das ist auch vernünftig. Dafür be- (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Auch! lasten Sie die Steuerzahler allerdings mit Informations- Denn das Geld, das dort hinterzogen wird, pflichten, und das, obwohl die Umsetzung von OECD- fehlt auch hier!) Abkommen nun wirklich nicht in den Händen der Steu- erzahler, sondern ausschließlich in den Händen ausländi- Die Hauptursache ist – neben der jahrelang erfolglosen scher Regierungen liegt. Haushalts- und Finanzpolitik der Großen Koalition – Ihr konfuses Krisenmanagement in dieser schwerwiegenden Ihr Gesetzentwurf ist auch nicht erforderlich. Sie ha- Finanzmarktkrise. ben es schon deutlich gesagt: Er zeigt schon Wirkungen, obwohl er noch gar nicht umgesetzt ist. (Beifall bei der FDP) (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Aber Sie woll- Das dürfen wir, auch wenn wir heute über viele andere ten ja selbst diesen Gesetzentwurf nicht!) wichtige Themen diskutieren, nicht vergessen. Ich wiederhole: Er ist nicht erforderlich. Denn inzwi- Es heißt so schön: Der Zweck heiligt die Mittel. Aber schen haben die betreffenden Staaten die Ratifizierung ein unstrittiges Anliegen wie die Bekämpfung der Steu- der OECD-Standards zugesagt. Es gibt keinen Staat erhinterziehung rechtfertigt nicht, unverhältnismäßige mehr, der auf der sogenannten Schwarzen Liste steht. Ihr Gesetzentwürfe zu verabschieden, mit denen der Staat Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26101

Dr. Volker Wissing (A) unnötigerweise in die Rechte der Bürgerinnen und Bür- (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!) (C) ger eingreift. Für Sie, Herr Steinbrück, ist ein Steuerhin- Ich kann mich nicht erinnern, dass Sie, Herr Steinbrück, terzieher jeder Bürger, solange er nicht das Gegenteil be- im Kabinett jemals einem Kollegen oder einer Kollegin weist. Das ist der Blick, den Sie auf unsere Gesellschaft mit der Peitsche oder mit der Kavallerie gedroht hätten. haben. Genau diese Sichtweise teilt die FDP nicht. Eine solche Drohung im Kabinett hätte, denke ich, mehr (Beifall bei der FDP) Steuergelder gespart, als Ihre Verbalattacke gegenüber der Schweiz gebracht hat. Unsere Verfassung schreibt vor, dass wir keine über- flüssigen Gesetze auf den Weg bringen dürfen, durch die (Beifall bei Abgeordneten der FDP) die Bürgerinnen und Bürger belastet werden. Ausgerech- Nach elf Jahren SPD-Finanzpolitik sind die Staats- net in der Finanzpolitik gehen Sie aber gerne auf Kon- finanzen in einem desolateren Zustand als je zuvor. Da- frontationskurs zu unserer Verfassung. Wenn es um Geld bei haben Sie – leider ohne Erfolg – viel versucht, um geht, sehen Sie in bürgerlichen Freiheiten einen Akt Ihre Finanzprobleme in den Griff zu bekommen: Sie ha- der Großzügigkeit des Staates, aber längst keine Grund- ben die größten Steuererhöhungen in der Geschichte rechte mehr. unseres Landes durchgeboxt. Sie haben bürgerliche Frei- (Thomas Oppermann [SPD]: Es gibt aber kein heitsrechte massiv beschnitten, ja, sie mit Füßen getre- Grundrecht auf Steuerhinterziehung!) ten. Sie haben die Verfassung bis an die Grenzen des Zu- lässigen gedehnt, ja, Sie haben sie sogar gebrochen; ich Bürgerliche Freiheiten sind allerdings kein Anhängsel erinnere an Ihre Gesetzgebung zur Pendlerpauschale. der Verfassung. Sie sind die Legitimation unseres demo- kratischen Gemeinwesens. Die Bürgerinnen und Bürger Nur eines haben Sie nicht getan: Sie haben nicht ge- zahlen nicht zuletzt deshalb exorbitant hohe Steuern und spart. Deshalb ist dieser Finanzminister in Wahrheit Abgaben, weil der Staat ihnen ein Leben in Freiheit und grandios gescheitert. Neben einem desolaten Steuersys- Wohlstand gewährleisten soll. Weil Sie die Freiheit aber tem mit exorbitanter Steuerlast zunehmend einschränken und Ihre überbordende Staats- (Joachim Poß [SPD]: Nehmen Sie einmal die verschuldung den Wohlstand unserer Gesellschaft längst internationalen Zahlen zur Kenntnis! – Weite- gefährdet, haben Sie unser Land in eine unerträgliche rer Zuruf von der SPD: Die Steuerquote ist un- Schieflage gebracht. terdurchschnittlich!) (Beifall bei der FDP) steht heute ein desolater Bundeshaushalt, nicht nur we- Wenn Sie meinen, den Menschen in dieser Situation gen mangelnder Einsparungen, sondern insbesondere (B) weitere Steuererhöhungen zumuten zu können, dann wegen einer desolaten Finanzaufsicht, die nicht verhin- (D) wird es Zeit, dass dieser Irrweg beendet wird. Es ist gut, dert hat, dass für Bankenspekulationen jetzt die Bürge- dass wir heute die letzte Sitzungswoche des Deutschen rinnen und Bürger die Zeche zahlen müssen. Gut, dass Bundestages unter einer Großen Koalition erleben. die Ära sozialdemokratischer Finanzpolitik bald beendet sein wird. Leider werden wir die Schulden, die Sie hin- (Beifall bei der FDP) terlassen, noch Jahrzehnte tragen müssen. Herr Binding hat schon gesagt: Es ist erstaunlich, dass (Beifall bei der FDP) das Thema Steuerhinterziehung so spät auf die Tages- ordnung kommt. Das ist eine bemerkenswerte Selbstkri- tik, Herr Binding; denn die SPD stellt seit elf Jahren den Präsident Dr. Norbert Lammert: Bundesfinanzminister. Das Wort erhält nun der Kollege Eduard Oswald, CDU/CSU-Fraktion. (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Mit dem Einwand konnte man rechnen!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) hat die Bekämpfung der Steuerhinter- ziehung nicht nach vorne gebracht, und auch Hans Eduard Oswald (CDU/CSU): Eichel hat sie nicht auf die Tagesordnung gesetzt. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Joachim Poß [SPD]: Wir haben in Europa hart Kollege Volker Wissing, ich werde mich jetzt mit dem verhandelt!) Gesetz beschäftigen. Jetzt, kurz vor dem Wahlkampf, wollen Sie mit einem (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Scheingesetz, mit einem Schaugesetz Punkte machen. der SPD) Substanziell haben Sie zur Bekämpfung der Steuerhin- terziehung in Deutschland aber nichts beigetragen. Sie haben versucht, einen Rundumschlag zu machen, um die Zeit noch einmal für sich zu nützen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich glaube, die Beratungen im Finanzausschuss haben gezeigt, dass sich alle Fraktionen im Grundsatz einig Es ist vollkommen legitim, wenn der Staat die Ein- sind. Der Satz „Steuerhinterziehung ist kein Kavaliers- nahmeseite ausschöpfen möchte. Konsequent ist eine delikt“ ist hier ja mittlerweile ins Allgemeingut einge- Finanzpolitik aber nur dann, wenn man die Ausgaben- gangen. Wer seine Steuerschuld nicht bezahlt oder sich seite mit dem gleichen Engagement angeht. um die Steuer herumdrückt, beteiligt sich nicht an der 26102 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Eduard Oswald (A) Finanzierung unserer Gemeinschaft. Wir alle wissen: bungskosten vom Mitwirken des Steuerpflichtigen ab- (C) Ohne Steuern ist kein Staat zu machen. hängig gemacht werden. Die Akzeptanz der OECD- Standards im Bereich des Steuervollzugs soll also geför- Die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in dert werden. unserem Land zahlt ihre Lohn- und Einkommensteuer korrekt und beteiligt sich somit an der Solidargemein- Die Zweite Konferenz zum Kampf gegen internatio- schaft. nalen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung, zu der Peer Steinbrück und sein französischer Kollege eingeladen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und hatten, kann sehr wohl als erfolgreich bezeichnet wer- der SPD) den. Menschen, die arbeiten, Steuern zahlen und sich an die (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Gesetze halten, erarbeiten und schultern die staatlichen Investitionen und Aufgaben. Es wird gemeinsam betont – ich zitiere –, (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: So ist es!) dass Transparenz und Auskunftsaustausch für Steu- Diese Leistungsträger sind es, die unseren Staat tragen. erzwecke die Grundlage für einen fairen Wettbe- werb in einer globalen Wirtschaft und für eine (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und gerechte Verteilung der Steuerlast ehrlicher Steuer- der SPD) zahler sind. Der Internationale Währungsfonds schätzt, dass die Dies ist ebenso ein Verhandlungserfolg wie die Tatsache, Staaten durch Steuerhinterziehung zwischen 2 und dass die teilnehmenden Länder bestätigen, dass der 12 Billionen US-Dollar – diese Zahl muss man sich ein- Kampf gegen jede Form von Steuervergehen eine ge- mal vorstellen! – verlieren. Gemäß den Schätzungen für meinsame Verantwortung aller Staaten und Gebiete ist. Deutschland verlieren unsere öffentlichen Haushalte Die Bundesregierung ist also auch auf diesem Gebiet er- durch Steuerhinterziehung und Steuerbetrug wahr- folgreich. scheinlich über 100 Milliarden Euro pro Jahr; die Zahl können wir natürlich nicht im Einzelnen nachprüfen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Angesichts dieser Größenordnung kann die Staatenge- Die Zielrichtung dieses Gesetzentwurfs, den Gedan- meinschaft, können wir über das Thema Steuerhinterzie- ken der Gerechtigkeit bei allen Steuerzahlern zu stär- hung nicht hinweggehen. In Zeiten, in denen der Staat ken, sollten wir unterstützen. Gerechtigkeit kann eben viel Steuergeld in die Hand nimmt, um unsere Kredit- nur bestehen, wenn alle Steuerzahler zum Tragen der wirtschaft und die Unternehmen durch die Krise zu füh- (B) Steuerlast herangezogen werden. Wir können es nicht (D) ren, gilt das erst recht. Es kann nicht sein, dass die meis- dulden, dass sich ein Teil der Bevölkerung – wenn es ten mehr an Steuern zahlen müssen, weil sich einige auch nur ein sehr kleiner Teil ist – vom Tragen der Steu- wenige ihrer Steuerlast entziehen. erlast verabschiedet, weil er sich das, wie auch immer, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und leisten kann. der SPD) Ich empfehle, in diesem sensiblen Bereich, der auch Wir, meine Fraktion und ich, gehen aber immer vom das Persönliche stark berührt, immer mit Fingerspitzen- ehrlichen Steuerbürger aus. Steuerpflichtige irgendwie gefühl vorzugehen. Durch publikumswirksame Vor- unter einen Generalverdacht zu stellen, ist nicht unsere führeffekte werden zwar einige möglicherweise abge- Sache. Das ist auch keinesfalls berechtigt. Wir alle ken- schreckt, Steuern zu hinterziehen, das solidarische nen das Zitat, das zum Sprichwort geworden ist: Ver- Miteinander wird dadurch aber nicht unbedingt geför- trauen ist gut, Kontrolle ist besser. Unser Menschenbild dert. ist dies aber nicht. (Beifall des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] (Joachim Poß [SPD]: Das Zitat stammt von [SPD]) Lenin!) Dieses Thema ist meiner Meinung nach auch nicht für – Das ist bestens bekannt, Herr Kollege. Sie werden klassenkämpferische Töne im Wahlkampf geeignet. doch nicht erwarten, dass ich hier auch noch seinen Na- Wir müssen allen in unserer Gesellschaft immer wie- men nenne. der sagen: Wer alles vom Staat nimmt – Kollege Lothar (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Binding hat das in anderen Worten formuliert – und Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Sie haben möglicherweise auch die eine oder andere Subvention die Quelle nicht genannt! Lenin war es!) persönlich erhält, Steuern aber nicht zahlt, der beteiligt sich nicht an der Solidargemeinschaft. So weit geht es nicht. Aber lassen wir das, Herr Kollege Poß. (Thomas Oppermann [SPD]: Agrarsubventio- nen zum Beispiel!) Mit dem heute zu verabschiedenden Gesetzentwurf werden wir die Mitwirkungspflichten für Steuer- Mir persönlich geht es um die Solidarität in unserem pflichtige ausweiten, die in Staaten Geschäfte machen, Land. Viele, die ihre Steuern ehrlich zahlen, fühlen sich die keine Auskünfte in Steuersachen erteilen. Beispiels- als die Dummen, wenn sich andere darum herumdrü- weise kann der Abzug von Betriebsausgaben und Wer- cken. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26103

Eduard Oswald (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): (C) neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! GRÜNEN) Steuerhinterziehung kann neben fiskalischen Grün- Es geht also nicht nur um Steuergerechtigkeit, sondern den auch aus Gründen der Steuergerechtigkeit, d. h. es geht um Gerechtigkeit und unser Leben in unserer Ge- aus Gründen der verfassungsrechtlich gebotenen meinschaft. Gleichmäßigkeit der Besteuerung, nicht hingenom- men werden. Wir müssen als Staat aber auch einiges dafür tun, die Akzeptanz des Steuersystems als solches zu erhöhen: So steht es in der Beschlussempfehlung des Finanzaus- schusses zum vorliegenden Gesetzentwurf. Erstens. Wir müssen das Besteuerungsverfahren deut- lich vereinfachen. Wir Deutsche können einmal zeigen, Leider fällt es Union und SPD erst zum Ende dieser dass wir durchaus etwas Einfaches machen können. Legislaturperiode ein, hier tätig werden zu müssen. Zu- gegeben, Ihr Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Steuer- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- hinterziehung geht in die richtige Richtung; aber er neten der SPD) kommt erstens zu spät, und zweitens ist er im Vergleich zum Referentenentwurf von Anfang dieses Jahres deut- Außerdem müssen wir die Steuerverwaltung nachhaltig lich abgeschwächt. entlasten. Von dem dadurch eingesparten Bürokratieauf- wand profitieren alle: Bürgerinnen und Bürger sowie (Beifall bei der LINKEN) Unternehmer gleichermaßen. Sie sparen Zeit, Geld und Da fragt man sich doch: Warum trauen Sie sich nicht Nerven. Diese Entlastung ist übrigens auch in Zeiten der mehr? Krise möglich, wenn wir es richtig machen. In Ihrem Gesetzentwurf drohen Sie erstens den Steu- Zweitens. Wir wollen ein Steuerrecht nach dem Prin- erflüchtigen erstmals mit Strafsanktionen bei Geschäfts- zip „Einfach, niedrig, gerecht“. Der Bürger ist der beste beziehungen mit Steueroasen und damit indirekt auch Verwalter seines Einkommens, seines Geldes. Der Staat den Steueroasen selbst. Das wurde Zeit, und das unter- soll, soweit es irgendwie geht, die Hände von seinem stützen wir. Aber – auch hier ein großes Aber – diese Geldbeutel lassen. Strafandrohungen werden nur wirksam, wenn entspre- Wir sehen ein, dass Verordnungen, die sich aus die- chende Rechtsverordnungen erlassen werden, und beim sem Gesetz ableiten, Hilfestellung dabei geben müssen, Erlassen der Rechtsverordnungen wird das Parlament zielgenau und zeitnah auf aktuelle Entwicklungen re- wieder einmal nicht mit einbezogen. Das lehnen wir ab. (B) agieren zu können. Dass wir uns als Teil des Gesetzge- (Beifall bei der LINKEN) (D) bers die Verordnungen ganz genau anschauen wollen, bevor sie in Kraft treten, ist doch mehr als selbstver- Außerdem setzen Sie sich keine Zeitgrenzen mit Ih- ständlich. Fingerspitzengefühl beim Vollzug ist also an- rem Gesetzentwurf. Das heißt, wir sind jetzt zwar in Ver- gesagt. handlungen; aber wie lange diese sich hinziehen können, wie lange Ihre Geduld reicht, das sagen Sie einfach So wie Steuerzahler nicht unbegründet an den Pranger nicht. Das halte ich wirklich für ein Zeichen der Schwä- gestellt werden dürfen, so funktioniert unsere Volkswirt- che, hier nicht konsequent zu sein. schaft auch nicht ohne Steuereinnahmen. Die ehrlichen Steuerbürger haben einen Anspruch darauf, dass die (Beifall bei der LINKEN) Steuerunehrlichen zur Kasse gebeten werden. Diesem Zudem muss man sagen, dass bisherige Abkommen Ziel dient das heute zu verabschiedende Gesetz. mit Steueroasen oftmals wirkungslos sind. So wurde ein Abkommen mit der Steueroase Jersey abgeschlossen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) und der Informationsaustausch nun entsprechend dem Herr Finanzminister, ich nutze auch die Gelegenheit, OECD-Standard vereinbart. So weit, so gut. Damit ver- Ihnen und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Ihres pflichtet sich Jersey, bei Verdacht auf Steuerhinterzie- Hauses Dank zu sagen für die Möglichkeit der Informa- hung Auskunft gegenüber den deutschen Steuerbehör- tion im Finanzausschuss, dafür, dass Sie mit Ihren den zu leisten. Aber in Jersey existieren weder Register Staatssekretären Rede und Antwort gestanden haben und über Unternehmen und Stiftungen noch Daten über Steu- dass das Zusammenwirken, besonders im fachlichen erpflichtige. Damit muss jedes Auskunftsersuchen von- Teil, immer gut war. Ich glaube, wir haben auch insge- seiten deutscher Finanzbehörden trotz Abkommen bis samt eine gute Arbeit für unser Land geleistet. auf Weiteres einfach ins Leere laufen. Das Abkommen bleibt wirkungslos. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Man muss klar festhalten: Der OECD-Standard ist ein Anfang, aber nicht mehr; er muss auf alle Fälle weiter- Präsident Dr. Norbert Lammert: entwickelt werden. Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Barbara Höll, Fraktion Die Linke. Der Standard beinhaltet zum einen keinen automati- schen Austausch über steuerrelevante Aktivitäten. Infor- (Beifall bei der LINKEN) mationen werden nur weitergegeben, wenn ein Verdacht 26104 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Dr. Barbara Höll (A) auf Steuerhinterziehung gegen eine konkrete Person Voraussetzung für die Bekämpfung von Steuerhinter- (C) existiert. Das heißt, für jeden Einzelfall muss ein Aus- ziehung in unserem Land ist, dass die Finanzverwaltung kunftsersuchen gestellt werden. Das ist ineffektiv und ausreichend mit Personal und Ressourcen ausgestattet ungerecht. ist. Das ist nicht realisiert worden. In Ihrem Koalitions- vertrag haben Sie noch hehre Ziele formuliert: (Beifall bei der LINKEN) Vorhandene Steuerquellen müssen besser ausge- Jede Arbeitnehmerin, jeder Arbeitnehmer muss automa- schöpft und Besteuerungsrechte entschlossen tisch sofort seine Lohnsteuer ans Finanzamt abgeben. durchgesetzt werden. Wir werden uns gemeinsam Jede Hartz-IV-Empfängerin, jeder Hartz-IV-Empfänger mit den Ländern um einen effektiveren und effi- muss sich bei der Antragstellung sprichwörtlich bis auf zienteren Steuervollzug bemühen … die Unterhose ausziehen, aber Gutbetuchte und Unter- nehmen werden hier bevorzugt behandelt. Das akzeptie- Glatt versagt, nichts verwirklicht! ren wir nicht. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Sie haben keine Bundessteuerverwaltung durchge- Zum anderen ist die Definition von Steueroasen unzu- setzt. Das hätte laut Kienbaum-Studie mindestens reichend. Dazu zählen laut Gesetzentwurf – Herr 8 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen pro Jahr ge- Binding hat es schon erklärt – nur die Staaten, die sich bracht. Die Abstimmung zwischen den Ländern ist nicht nicht dem OECD-Standard zum Auskunftsaustausch an- verbessert worden. Nein, der Standortwettbewerb zwi- schließen. Dass eine Tochter der Hypo Real Estate nach schen den Bundesländern mittels laxem Steuervollzug Irland verlegt wurde, um Steuervorteile zu nutzen, ist ein läuft unvermindert weiter. Leider bleiben alle Bundes- klarer Fall von Steuervermeidung, auch wenn Irland länder um mindestens 10 Prozent unter der notwendigen keine Steueroase ist. Wir müssen deshalb noch einmal Personalausstattung. über die Definition des Begriffs Steueroase nachdenken. Ich möchte Ihnen deshalb noch einige weitere Vor- (Beifall bei der LINKEN – Lothar Binding schläge nennen, die die Fraktion Die Linke in der laufen- [Heidelberg] [SPD]: Das ist nicht kooperie- den Legislaturperiode eingebracht hat und die im Falle rend!) ihrer Umsetzung alle wirksam wären. Wir haben Ihnen vorgeschlagen, das Wohnsitzlandprinzip im Steuer- Wir haben Ihnen bereits im Mai vergangenen Jahres recht einzuführen. Für sehr wichtig halten wir ein konse- vorgeschlagen, sich dafür einzusetzen, dass auf inter- quentes Eintreten der Bundesrepublik Deutschland auf (B) nationaler Ebene eine automatische Informationsver- europäischer Ebene für die Harmonisierung der EU- (D) mittlung zwischen den nationalen Steuerbehörden er- Zinsrichtlinie, von der alle Kapitaleinkünfte – nicht nur folgt. Auf nationaler Ebene fordern wir Linken als die Zinsen, sondern auch Dividenden, Veräußerungsge- Sofortmaßnahme eine Meldepflicht für Kapitalbewegun- winne usw. – erfasst werden müssen. gen ins Ausland ab 100 000 Euro jährlich. (Beifall bei der LINKEN) Ich begrüße, Herr Steinbrück, dass Sie zweitens end- lich auch Steuerpflichtige mit bedeutenden Einkünften, Besonders wichtig ist, dass diese Richtlinie nicht nur wie es im Gesetzentwurf heißt, stärker unter die Lupe für natürliche Personen, sondern auch für juristische Per- nehmen wollen. Steuerpflichtige mit Überschussein- sonen gilt. Denn nur so könnten auch die für die Steuer- künften von mehr als 500 000 Euro pro Jahr müssen hinterziehung so beliebten Stiftungen in Luxemburg, künftig ihre Unterlagen sechs Jahre aufbewahren. Die Liechtenstein und anderswo erfasst werden. Hier gibt es Steuerverwaltung darf bei dieser Gruppe Außenprüfun- noch sehr viel Handlungsbedarf, Herr Steinbrück. Sie gen ohne Begründung vornehmen. Es erfolgt eine haben viel zu viel Zeit verstreichen lassen. Gleichstellung der Steuerprüfung mit der Praxis von Be- Die grundlegende Frage bleibt: Warum werden so triebsprüfungen bei Gewerbetreibenden. Als Koalition viele Steuern hinterzogen? Die Zahlen, die dazu veröf- haben Sie damit drei Jahre gewartet. Wir haben das be- fentlicht wurden, reichen von 10 Milliarden bis 100 Mil- reits 2006 vorgeschlagen. liarden Euro pro Jahr. Sie haben eine Mitschuld daran. (Beifall bei der LINKEN) Durch Ihre Ideologie des Steuersenkungswettbewerbs tragen Sie dafür Mitverantwortung. Warum verpflichten Sie die Finanzämter nicht gleich zu regelmäßigen Kontrollen? Warum gibt es keine bun- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. deseinheitliche gesetzliche Regelung? Die verschärfte Ortwin Runde [SPD]) Aufbewahrungspflicht ist zwar ein Fortschritt, aber ohne Sie meinen, Reiche, Vermögende und Konzerne müssen eine erhöhte Prüfungsdichte bleibt sie wirkungslos. hofiert und ständig entlastet werden. Seit Jahren betrei- (Beifall bei der LINKEN) ben Sie eine entsprechende Politik. Trotzdem hat ein Mann wie Herr Zumwinkel, der bereits durch eine Erb- Der Bundesrechnungshof hat Ihnen schon 2006 ins schaft zum Millionär wurde und nicht am Hungertuch Stammbuch geschrieben, dass die Prüfungsdichte bei genagt hat – allein 2006 hat er seine Gesamtbezüge auf dieser Personengruppe gerade einmal 5 Prozent beträgt. 4,24 Millionen Euro gesteigert –, munter weiter Steuern Deshalb muss man an dieser Stelle mehr tun. hinterzogen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26105

Dr. Barbara Höll (A) Ich erinnere auch an die Amnestie, die seinerzeit Herr Wir haben unsere Vorschläge vor über einem Jahr (C) Eichel angeboten hat. Ihr Menschenbild in Ehren, aber vorgelegt. Die Regierung hat ziemlich lange für eigene Sie entlasten gerade diejenigen, die schon viel haben und Vorschläge gebraucht. Es gab, bevor sich das Kabinett überhaupt in der Lage sind, Steuern zu hinterziehen. Die damit befasst hat, große Ankündigungen, die in allen Steueramnestie hat nichts gebracht. Sie war völlig wir- Zeitungen nachzulesen waren. Nach dem Kabinettster- kungslos. min konnten wir feststellen, dass dem Gesetzentwurf an der einen oder anderen Stelle ziemlich die Zähne gezo- Welche Ansicht hat Herr Steinbrück im Zusammen- gen worden waren. Der vorliegende Gesetzentwurf ist hang mit der Abgeltungsteuer vertreten? Er hat gesagt: nichts anderes als ein Minimalkonsens und kann im Bevor die Reichen gar keine Steuern auf Zinserträge Grunde nicht abgelehnt werden. zahlen, obwohl sie entsprechend ihrem persönlichen Spitzensteuersatz versteuert werden müssten, und ich (Beifall bei Abgeordneten der SPD) null von Hundert bekomme, erhebe ich eine 25-prozen- Deswegen verstehe ich nicht, warum die FDP meint, die- tige Abgeltungsteuer, in der Hoffnung, dass dann we- ser Gesetzentwurf gehe zu weit und stoße ins Leere. Wir nigstens diese 25 Prozent gezahlt werden. stellen doch fest, dass die Diskussion in Deutschland Sie haben dieser Ideologie des Steuersenkungswettbe- und anderen Ländern Wirkung zeigt und die Androhung werbs, der für die Finanzen des Bundes, der Länder und von Maßnahmen bereits greift. der Kommunen desaströs ist, mit Ihrer Politik Vorschub (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geleistet. Sie haben das umgesetzt und vor allem in und bei der SPD) Europa zum Standard gemacht, indem Sie eine Vorreiter- rolle eingenommen haben. Das müssen wir auch aus Sicht der Opposition feststel- len; denn auch wir nehmen selbstverständlich eine rea- Reichen, Vermögenden und Konzernen werden wir listische Bewertung der Gesamtsituation vor. das nicht durchgehen lassen. Das bringt nichts, ist höchst ungerecht und zerstört die Demokratie sowie die Staats- Die FDP hat gesagt, die Leute würden ihr Geld in an- finanzen auf allen Ebenen. dere Länder bringen, weil das deutsche Steuersystem so kompliziert sei. Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, Ich danke Ihnen. mit welch krimineller Energie Gelder ins Ausland ge- bracht werden, um sie der Besteuerung zu entziehen, und (Beifall bei der LINKEN) dass man sich ausführlich beraten lässt, wie man das am besten tut. Das ist anscheinend nicht zu kompliziert. Sie Präsident Dr. Norbert Lammert: stellen sich mit Ihrer Argumentation letztendlich vor die- (B) Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine Scheel, jenigen, die so etwas tun. Das finde ich verwerflich. (D) Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Durch die neue Gesetzeslage wird eine Drohkulisse Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der aufgebaut. Sie von der FDP haben gesagt, das Gesetz Fall Zumwinkel liegt noch gar nicht so lange zurück. stoße ins Leere, weil plötzlich alle Steueroasen den Dieser Fall war für viele Menschen in diesem Land ein OECD-Standard zum Informationsaustausch anerkennen ziemlicher Schock, eine Enttäuschung. Seitdem kommt wollten. Das ist richtig. Es kommt aber auf die Rechts- niemand mehr an der Tatsache vorbei, dass Steuerhinter- verordnung an. Diese Rechtsverordnung – das ist unsere ziehung weit verbreitet ist Kritik an der Zweischichtigkeit – bekommt das Parla- ( [CDU/CSU]: Was? – Thomas ment jedoch nicht zu sehen. Es ist zwar richtig, dass der Oppermann [SPD]: In besten Kreisen!) Bundesrat darüber zu befinden hat; aber ich bin schon der Meinung, dass wir, wenn es um Steuerhinterziehung und bis in die Eliten unseres Landes hineinreicht. Das geht, auch eine Transparenz hinsichtlich der Verordnun- Vertrauen in eine gleichmäßige Besteuerung ist erodiert. gen brauchen und dass der Deutsche Bundestag darüber Steuerhinterziehung bedroht den Zusammenhalt in unse- informiert werden sollte, was in diesen einzelnen Ver- rer Gesellschaft. ordnungen steht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es ist höchste Zeit, dass etwas geschieht und mit einer Der vorliegende Gesetzentwurf führt dazu, dass der Gesetzesvorlage als Ausgangsbasis das ergänzt wird, Fiskus von Steuerpflichtigen, die Geschäfte in bestimm- was in den letzten Jahren punktuell angestoßen worden ten Ländern betreiben, genauere Auskünfte verlangen ist. Ich erinnere an die EU-Zinssteuerrichtlinie. Es war kann. Falls die Steuerpflichtigen das nicht wollen, kön- nicht einfach, mit anderen Ländern zu Vereinbarungen nen sie ihre Kosten steuerlich nicht geltend machen. Das und einer gleichmäßigen Besteuerung auf europäischer ist der prinzipiell richtige Weg. Auch Praktiker aus der Ebene zu kommen. Dafür hat übrigens Rot-Grün ge- Steuererwaltung haben uns bestätigt, dass das ein richti- sorgt. ger Ansatz ist. Ein Gesetz muss aber auch angewendet werden können. Selbst wenn es in einzelnen Fällen zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verordnungen kommt, sei es im Körperschaftsteuer- und bei der SPD) recht, im Einkommensteuerrecht oder im Umsatzsteuer- 26106 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Christine Scheel (A) recht, brauchen wir eine vernünftige Personaldecke in sätzlich bereit, stärker zu kooperieren und Daten auszu- (C) den einzelnen Ämtern, bei der Steuerfahndung und vor tauschen, wenn die Behörden einen begründeten allen Dingen bei den Gerichten und bei den Staats- Verdacht gegen einen Steuerpflichtigen vorbringen kön- anwaltschaften. Die gibt es bis heute, wenn es um Steu- nen. Das ist ein Fortschritt. Aber dieser Informationsaus- erbetrug und Steuerhinterziehung geht, nicht in ausrei- tausch ist bislang leider nur eine bloße Absichtserklä- chendem Maße. rung. Wir müssen von deutscher Seite darauf drängen, dass dieser Austausch möglichst schnell erfolgt und dass (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) in der Perspektive auch ein automatischer Informations- Das bedeutet, dass ohne zusätzliches Personal in diesem austausch zu Kapitalerträgen eingerichtet wird. Zusammenhang die Entdeckungsgefahr für Steuerflücht- Das bedeutet für uns, dass die Anerkennung des linge gering bleibt. Die Koalition hat leider keinen Weg OECD-Standards nicht der Endpunkt sein kann; denn gefunden, diesen Mangel abzustellen. die deutschen Behörden erhalten nur dann Informationen Natürlich könnten die Länder in ihren Verwaltungen von Schweizer Banken oder auch von Banken anderer für mehr Personal sorgen. Es gibt aber wirtschaftsstarke Länder, wenn ein begründeter Verdacht besteht, der erst Länder wie Bayern und Baden-Württemberg, die in den einmal ermittelt werden muss. Dieses Problem sehen vergangenen Jahren immer wieder gesagt haben: Wenn wir. Deswegen wäre ein automatischer Informationsaus- wir Steuerprüfer in die Unternehmen schicken bzw. sie tausch der bessere Weg, weil er mehr Transparenz und nicht dahin schicken, dann wirkt sich das auf den Stand- mehr Klarheit schaffen würde. ort aus. Damit betreiben wir Wirtschaftsförderung. – Das war ein völlig falsches Signal, denn das war eine regel- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rechte Einladung, nicht so genau hinzuschauen. sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wenn nur zinsähnliche Erträge einbezogen werden sowie bei Abgeordneten der SPD) – dabei denke ich an die Zinsrichtlinie –, dann ist es lei- der so, dass geschickte Steuergestalter bei anderen Anla- Das Problem ist, dass Personal, das zusätzlich einge- gen mit Dividenden und Veräußerungsgewinne, die noch stellt würde, von den Ländern finanziert werden müsste, außen vor bleiben, dazu verführt werden, mit relativer aber die zusätzlichen Einnahmen in den Länderfinanz- Leichtigkeit an der Besteuerung vorbeizukommen. ausgleich fließen würden. Da die Personalkosten bei den Ländern hängen bleiben, wäre es doch sinnvoll, wenn Präsident Dr. Norbert Lammert: wir möglichst schnell gemeinsam ein Gesetz auf den Weg bringen würden – die Grünen haben das schon vor Frau Kollegin! (B) Jahren vorgeschlagen; ich hatte sogar einmal die Unter- (D) stützung des hessischen Ministerpräsidenten Koch, der Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gesagt hat, das sei ein richtiger Ansatz –, das regelt, dass Herr Präsident, wir sind der Meinung, dass dies zwar die Mehreinnahmen in den Länderkassen verbleiben ein guter Ansatz, aber noch lange nicht das Ende des können, wenn mehr Personal eingestellt wird. Dann ha- Weges ist, der beschritten werden muss, um Steuerhin- ben die Länder auch einen Anreiz, mehr Personal einzu- terziehungen zu bekämpfen und diejenigen, die das tun, stellen. zur Verantwortung zu ziehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Danke schön. Es wird berichtet – das Gesetz zeigt schon Wirkung; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das finde ich sehr interessant –, dass der Schweizer sowie bei Abgeordneten der SPD) Finanzminister Hans-Rudolf Merz sagte, ihn hätten wichtige Schweizer Industrielle gebeten, seine Vorbe- halte gegen den OECD-Standard aufzugeben. Ange- Präsident Dr. Norbert Lammert: sichts dieser Aussage hätten Sie, Herr Minister Das Wort erhält nun der Bundesminister für Finanzen, Steinbrück, sich vielleicht die eine oder andere Äuße- Peer Steinbrück. rung sparen können; denn ich glaube, dass sich nicht nur (Beifall bei der SPD) die Schweizer Regierung auf die Füße getreten gefühlt hat, sondern auch die Schweizer Bevölkerung. Das habe ich schon als etwas schwierig empfunden; denn man Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen: kann nicht der Bevölkerung eines anderen Landes unter- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten stellen, dass sie Steuerhinterzieher anzieht. Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich für den kolossalen Rundumschlag von Herrn Wissing bedanken. (Peer Steinbrück, Bundesminister: Nein, aber Er ist ein Indiz dafür, wie ernst er mich nimmt. Darüber die Banken!) hinaus ist er der lebendige Beweis dafür, dass die FDP Das empfinde ich als ziemlich übertrieben. Deswegen zum Thema Steuerbetrug und Steuerhinterziehung ein wäre eine andere Wortwahl besser gewesen. verniedlichendes und verharmlosendes Verhältnis hat. Die Schweiz, Liechtenstein, Österreich, Luxemburg, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Belgien, Jersey, Bermuda – alle sind derzeit in Verhand- DIE GRÜNEN – Ernst Burgbacher [FDP]: lungen. Immer mehr Steueroasen erklären sich grund- Überhaupt nicht!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26107

Bundesminister Peer Steinbrück (A) Allein die deklamatorische Äußerung „Wir sind dage- geizige Ansatz –, dem Thema Steuerhinterziehung und (C) gen“ reicht nicht. Es müssen Taten folgen. Wenn es eine Steuerbekämpfung denselben Stellenwert wie der Be- Kraft innerhalb dieses Parlamentes gibt, die in den letz- kämpfung und Finanzierung von Terrorismus und der ten drei Jahren zum Thema Steuerhinterziehung und Geldwäsche zu verschaffen. Steuerbetrug Einen solchen Stand der internationalen Debatte ha- (Ernst Burgbacher [FDP]: Kavallerie!) ben wir bisher nicht gehabt. Dafür ist – auch das ist ein Instrument, das von der FDP völlig ausgeblendet wird – nicht eine einzige Initiative und nicht eine einzige unter- eine Liste mit verantwortlich, die die OECD seinerzeit stützende Maßnahme ergriffen hat, dann ist es die FDP veröffentlicht hat. Nicht nur auf deklamatorischem Weg, gewesen. sondern faktisch auch über einen gewissen Druck – von (Thomas Oppermann [SPD]: So ist es!) der internationalen Ebene bis hin zu nationalen gesetzli- chen Maßnahmen – haben wir inzwischen erreicht, dass Herr Wissing, ich sage Ihnen ganz freimütig: Sie sind sage und schreibe 84 Länder oder Jurisdiktionen Art. 26 in Stilfragen für mich definitiv keine Instanz. Das gilt des OECD-Kodex unterzeichnet haben. auch für Ihren Partei- und Fraktionsvorsitzenden. So- lange ein Staatssekretär meines Hauses von Ihnen so be- Ich lasse gerne mit mir darüber reden, ob diese Liste handelt und angegriffen wird, bevor Sie ihm überhaupt in allen Bestandteilen fair, vollständig ist, ob sich man- die Möglichkeit gegeben haben, Gehör zu finden, kön- che dort zu Unrecht wiederfinden oder ob noch andere nen Sie mit mir über Stilfragen garantiert nicht reden. mit hätten aufgeführt werden müssen. Aber diese Liste hat eine Dynamik, eine Wirkungskraft entfacht, ohne die (Beifall bei der SPD sowie des Abg. es nicht zu erklären wäre, dass innerhalb von drei Mona- Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ten und über den Finanzgipfel am 2. April dieses Jahres NEN] – Thomas Oppermann [SPD]: Völlig in London 18 Staaten zusätzlich diesen OECD-Kodex unerträglich!) akzeptieren. Das ist ein Indiz dafür, dass es richtig gewe- Manche Debattenbeiträge können leider nur so gehal- sen ist. ten werden, wie sie gehalten werden, weil es eine selbst- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Eduard verordnete Wahrnehmungsblockade gibt. Oswald [CDU/CSU]) (Ernst Burgbacher [FDP]: Ja!) Deshalb verfängt Ihre Kritik daran auch nicht. Das ist an vielen Ihrer Beiträge festzumachen. Sie wer- Im Übrigen wird es diese Liste weiterhin geben müs- den natürlich diese Litanei und diese Parolen zum Zu- sen. Es ist geradezu die Aufgabe, auf die wir uns verab- stand der deutschen Finanzaufsicht immer wiederholen. (B) redet haben, dass die OECD in einer weiteren Kon- (D) Aber ich erinnere daran, dass dieses Hohe Haus gerade ferenz, nämlich im September in Mexiko, diese Liste gestern ein wichtiges Gesetz beschlossen hat, nämlich weiter verfolgt, und zwar mit Blick auf die Frage: Wer das Gesetz zur Stärkung der Finanzmarkt- und der Versi- setzt denn nun die Erklärung in seine jeweilige Steuerge- cherungsaufsicht. Auch drei andere Gesetze, die die setzgebung bzw. in bilaterale Absprachen, maßgeblich Stellung der deutschen Finanzmarktaufsicht deutlich die Veränderung und Überarbeitung von Doppelbesteue- verbessert haben, wurden alleine in den letzten Monaten rungsabkommen, faktisch um? verabschiedet. Insofern geben Sie hier nur Parolen he- raus. Selbstverständlich ist es richtig, dass heute der Deut- sche Bundestag über einen solchen Gesetzentwurf be- Dasselbe gilt mit Blick auf das Thema der größten schließt, im Übrigen ein Gesetzentwurf, der Maßnahmen Steuererhöhung. Denn Sie verschweigen dabei, dass enthält, die ein weiter Teil unserer europäischen Nach- über die Gesamtheit aller Maßnahmen der Großen Ko- barstaaten längst geregelt hat. Worüber regen Sie sich ei- alition die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland bei gentlich auf? Warum kritisieren Sie nicht die Franzosen, den Steuern und bei den Sozialversicherungsbeiträgen dass die längst ein Instrument im Kasten haben, das we- innerhalb eines Jahres um 16 Milliarden Euro entlastet sentlicher Bestandteil dieses Gesetzes ist? Das kommt in werden. Sie können auch weiterhin gerne über die Haus- Ihren Reden nicht vor, die lediglich Parolen enthalten haltskennziffern reden, Herr Wissing. Es wäre aber oder nur agitatorischen oder propagandistischen Charak- schön, wenn Sie gelegentlich die Souveränität und die ter haben. intellektuelle Brillanz hätten, darauf hinzuweisen, dass diese Republik gerade die schwerste Wirtschaftskrise Gerade in der jetzigen Situation ist es wichtig, dass seit ihrer Gründung 1949 erfährt. Das wäre dann eine die Menschen den Eindruck haben, dass wir Steuerhin- vollständige Darstellung des Ganzen. terziehung und Steuerbetrug nicht als Kavaliersdelikt be- handeln. Es ist kriminell. Es ist ein Schaden für den (Beifall bei der SPD) Steuerstandort Bundesrepublik Deutschland. Es gibt gelegentlich gute Nachrichten. Ich finde, eine (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) gute Nachricht ist von der Konferenz ausgegangen, die hier letzte Woche auf Einladung meines französischen Der Druck, den wir ausüben, erstreckt sich nicht auf Kollegen Eric Woerth mit massiver Unterstützung der souveräne andere Staaten, sondern er erstreckt sich auf OECD stattgefunden hat. Das, was in dem dort verab- deutsche Steuerbürger, die von mir aus legal jedwede schiedeten Kommuniqué zusammengefasst worden ist, Anlage haben können. Das stört mich nicht, sondern ist der weitestgehende Versuch – mehr als das: der ehr- mich stört, dass sie dieses Kapital entweder illegal an an- 26108 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Bundesminister Peer Steinbrück (A) dere Standorte schieben, oder, wenn sie es legal ver- mehr als das, vielleicht sogar werbend auftreten – ist das (C) schieben möglicherweise ihrer Steuerpflicht auch in so unwahrscheinlich? –, um hochvermögende deutsche Deutschland nicht Genüge tun. Das ist zum Schaden der Steuerbürger zu veranlassen, ihr Kapital zu verschieben. einzelnen Steuerbürger; denn wenn es diese Steuerver- Halten Sie diese Betrachtung für naiv? Ich fürchte, das luste nicht gäbe, könnten wir in dem Ausmaß eventuell trifft weitestgehend zu. Was man an Informationen be- Steuersätze senken, und uns stünde mehr Geld für die kommt, ist allerdings nicht immer leicht verwertbar, weil zentralen Aufgaben, die für die Zukunft dieses Landes es nicht immer beweiskräftig ist. wichtig sind, zur Verfügung. Alleine die Infrastruktur des Bildungsbereichs könnte anders bedient werden. Ich glaube, dass wir über die Entwicklung der letzten Wochen einen großen Schritt weitergekommen sind in (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) der Frage, uns international zu verabreden, um das sehr ernst zu nehmende Thema der Bekämpfung der Steuer- Die Fahrlässigkeit, mit der Ihre Fraktion darüber hin- hinterziehung und des Steuerbetrugs weiter anzugehen weggeht, ist teilweise bekümmernd. Ich hätte gerne ei- und dafür Sorge zu tragen, dass es zu mehr Steuerge- nen Hinweis, dass Sie gegenüber Bankensektoren in rechtigkeit kommt. südlichen Ländern, zu denen Sie Kontakt haben, jemals zur Geltung gebracht haben, dass wir auf diesem Gebiet Ich will abschließend noch einmal sehr deutlich sa- weiterkommen müssen. Ich habe ein solches Indiz nicht. gen: Wer Steuern hinterzieht, der schadet dem Gemein- Das ist auch eine Frage der Wahrnehmung von Gerech- wesen, der verhöhnt den Rechtsstaat in Deutschland und tigkeit in dieser Gesellschaft. Gerade in einer Zeit, in der schwächt den Staat in einer Zeit, wo dieser Staat mehr sich viele Menschen mit der Frage beschäftigen, wer ei- denn je handlungsfähig sein muss. gentlich die Zeche zahlt, ist es sehr wichtig, dass wir mit Blick auf Phänomene wie Korruption, sittenwidrig nied- Vielen Dank fürs Zuhören. rige Löhne, sittenwidrig hohe Abfindungen und Steuer- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) hinterziehung deutlich machen, dass sich die Politik diesen Phänomenen entgegenstellt. Das ist für die legiti- matorische Grundlage dieser Gesellschaft von Bedeu- Präsident Dr. Norbert Lammert: tung. Frank Schäffler ist der nächste Redner für die FDP- Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP) Das behandelt man nicht en passant oder weil die Gele- Frank Schäffler (FDP): genheit günstig ist, in einer letzten Bundestagsrede dem (B) (D) Finanzminister aufs Dach zu hauen, Herr Wissing. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Finanzminister, Sie haben in bewährter Weise dem Par- (Zurufe von der FDP: Oh!) lament wieder ein Ablenkungsmanöver geliefert. Sie Etwas mehr Grundsätzlichkeit und Geradlinigkeit hätte hätten in die Geschichte der Bundesrepublik Deutsch- ich mir von Ihnen gewünscht. land als der Finanzminister eingehen können, der seit vielen Jahrzehnten wieder einen ausgeglichenen Haus- Dieser internationale Druck wird fortgesetzt werden. halt vorgelegt hat. Jetzt gehen Sie in die Geschichte als Ich habe insbesondere gegenüber den französischen der Finanzminister ein, der die höchste Neuverschul- Partnern Dank zu leisten. Ohne das Zusammenwirken dung in der Bundesrepublik Deutschland zu verantwor- von Deutschland und Frankreich hätte dies nicht funktio- ten hat. niert. Diesen Dank erstrecke ich namentlich auch auf die Bundeskanzlerin und den französischen Staatspräsiden- (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das hat ten. Sie sind es gewesen, die bei dem Finanzgipfel in vielleicht auch einen Grund!) London am 2. April dieses Jahres in einer vorgeschalte- Deshalb ist dieses Gesetz ein einfaches Ablenkungs- ten Pressekonferenz darauf hingewirkt haben, dass es manöver, und das muss auch beim Namen genannt wer- zur Veröffentlichung solcher Listen kommt, dass die ent- den. sprechende Benennung stattfindet und der Druck auf die Jurisdiktionen oder Nationalstaaten erhöht wird. Da- (Beifall bei der FDP) rüber hinaus muss ich ein großes Kompliment an die Sie haben mit diesem Gesetz Mitte und Maß verloren, amerikanische Regierung bzw. die amerikanische Steu- und Sie haben in zwei Bereichen eine doppelte Moral an erverwaltung machen, die, wie ich finde, mit einem ho- den Tag gelegt. hen Druck in einer kritischen Betrachtung der einzelnen Steuerbürger aus den USA die Steuerhinterziehung be- Erstens. International sagen Sie: Wir wollen keinen kämpfen. Das hat zu einem maßgeblichen Durchbruch Protektionismus. – Mit diesem Gesetz begründen Sie gegenüber dem Land geführt, das sich diesem Thema aber einen steuerlichen Protektionismus. bisher weitestgehend verweigert hat. (Ortwin Runde [SPD]: Quatsch!) (Beifall bei der SPD) Sie handeln so, dass die Menschen in ihrem Güter- und Es ist doch auszusprechen, dass es Kreditinstitute au- Dienstleistungsverkehr eingeschränkt werden. Das ist ßerhalb der Bundesrepublik Deutschland gibt, die das am Ende Protektionismus, und das muss auch klar beim mindestens billigend in Kauf nehmen, vielleicht sogar Namen genannt werden. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26109

Frank Schäffler (A) (Beifall bei der FDP – Florian Pronold [SPD]: Lieber Kollege Lothar Binding, Du warst Mitbericht- (C) Steuerhinterziehung gehört nicht zu den euro- erstatter und hast beklagt, dass das alles ein bisschen zu päischen Grundfreiheiten!) spät gekommen ist. Dazu kann ich nur sagen, dass die Union erst seit 2005 wieder mitregiert; sonst wäre das Zweitens. Sie behandeln die Menschen in diesem vielleicht anders gewesen. Land so, wie Sie es anderen vorwerfen. Der Bundesfi- nanzhof hat Ihnen mitgeteilt, dass Sie in Deutschland in (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – dieser Legislaturperiode jede zehnte seiner Entscheidun- Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – gen zum Nachteil der Finanzverwaltung nicht auf die Florian Pronold [SPD]: Herr Kolbe, da müssen Allgemeinheit angewandt haben. Sie beklagen sich über Sie ja selber lachen!) die Steuermoral der Bürger, setzen aber selbst höchstrichterliche Urteile in Deutschland nicht allge- Außerdem stellen wir derzeit noch nicht den Bundes- mein um. Sie sind selbst der Brandstifter in diesem Ver- finanzminister, aber auch das kann ja noch werden. Aber fahren. Deshalb hat Hoffmann von Fallersleben recht, jetzt zur Sache: wenn er sagt: (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Oh, sage mir, wie heißt das Tier, das vieles kann Florian Pronold [SPD]: Ja?) vertragen, das wohl den größten Rachen hat und Die Große Koalition – da werden Sie mir zustimmen – auch den größten Magen? Es heißet Haifisch auf war im Kampf gegen die Steuerhinterziehung so erfolg- dem Meer und Fiskus auf dem Lande. reich wie nur wenige Regierungen zuvor. Wir haben in (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das vier Jahren deutlich mehr auf den Weg gebracht als etwa reimt sich aber gar nicht! – Weiterer Zuruf von die rot-grüne Vorgängerregierung in acht Jahren. der SPD: Das ist ja unglaublich!) Ich möchte das noch einmal kurz zusammenfassen: Sie sind als Regierung nicht auf Augenhöhe mit dem Wir haben das Strafrecht verfassungsfest gemacht. Wir Bürger, und das beklagen wir. Wir wollen, dass Sie dem haben den sehr umstrittenen § 370 a Abgabenordnung Bürger auf Augenhöhe begegnen. Der Bürger ist nicht abgeschafft und den § 370 Abgabenordnung mit seinen Bittsteller, und Sie sind nicht der König dieses Landes. Qualifizierungen in Abs. 3 neu gefasst. Damit fällt die bandenmäßige Hinterziehung von Umsatz- und Ver- (Beifall bei der FDP – Florian Pronold [SPD]: brauchsteuern jetzt erstmals unter einen qualifizierten Sie leisten geistige Beihilfe für Steuerhinter- Straftatbestand. ziehung!) Wir haben mit dem Gesetz zur Neuregelung der Tele- (B) Deshalb ist es wichtig, in Deutschland eine faire Steuer- kommunikationsüberwachung erstmals einen Steuer- (D) gesetzgebung zu haben, bei der den Menschen auf Au- hinterziehungstatbestand, nämlich die bandenmäßige genhöhe begegnet wird. Hinterziehung von Umsatz- und Verbrauchsteuern, in den Katalog des § 100 a StPO aufgenommen und damit (Ortwin Runde [SPD]: Aber auch auf Augen- die Telekommunikationsüberwachung auch bei schwers- höhe muss man die Augen aufmachen!) ten Steuerhinterziehungsdelikten ermöglicht. Wir haben Die Rollenverteilung zwischen Staat und Bürger sollte mit dem Jahressteuergesetz 2009 die Verjährungsfrist so sein, dass der Bürger am Ende als freier Mensch und für besonders schwere Fälle der Steuerhinterziehung auf nicht als Knecht dasteht. 10 Jahre erhöht. Vielen Dank. Zu begrüßen ist auch, dass der Bundesgerichtshof grundlegende Ausführungen zur Strafzumessung bei (Beifall bei der FDP – Florian Pronold [SPD]: der Steuerhinterziehung gemacht hat. Denn das Problem Das wars? Ein Tiefpunkt parlamentarischer bei der Steuerhinterziehung ist nicht unbedingt die Redekunst!) Höchststrafe von 10 Jahren – diese halten wir für ausrei- chend –, aber bei dem einen oder anderen Urteil hatte Präsident Dr. Norbert Lammert: man den Eindruck, dass der Strafrahmen nicht ganz aus- Ich erteile das Wort dem Kollegen Manfred Kolbe für geschöpft war. Hier hat der Bundesgerichtshof jetzt CDU/CSU-Fraktion. Wegweisendes gesagt: Ab einem Steuerschaden von 50 000 Euro ist eine Freiheitsstrafe möglich, ab (Beifall bei der CDU/CSU) 100 000 Euro mehr oder weniger unerlässlich – sie kann allerdings bei Ersttätern noch zur Bewährung ausgesetzt Manfred Kolbe (CDU/CSU): werden –, und ab etwa 1 Million Euro ist eine Freiheits- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die strafe, die nicht zur Bewährung ausgesetzt werden kann, Koalition – damit auch die Union – setzt mit diesem Ge- grundsätzlich unerlässlich. Wer Steuern in Millionen- setz ein weiteres Zeichen im Kampf gegen die Steuer- höhe hinterzieht, wandert jetzt also tatsächlich ins Ge- hinterziehung. Ich sage es für die Union noch einmal fängnis, und das ist auch richtig so. ganz klar: Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt, und wer Steuern hinterzieht, schädigt die Gemeinschaft. Schließlich haben wir im Mai dieses Jahres den Ko- alitionsantrag „Steuerhinterziehung bekämpfen“ be- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- schlossen, der eine Vielzahl von weiteren zu ergreifen- neten der SPD) den Maßnahmen enthält. Insbesondere soll die EU- 26110 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Manfred Kolbe (A) Zinsrichtlinie überarbeitet und ein verbesserter Infor- entwurf geht eher den zweiten Weg. Deshalb haben wir (C) mationsaustausch auf internationaler Ebene ermög- im Gesetzgebungsverfahren durchgesetzt, dass zunächst licht werden. auf internationaler Ebene verhandelt wird. Wir sind da auf gutem Wege. Sie, Herr Bundesfinanzminister, haben Besonders im internationalen Bereich sind wir deut- es ja eben gesagt. Im Augenblick zeichnet sich ab, dass lich weitergekommen. Wir streben einen Informations- alle wesentlichen Staaten dieser Welt den Auskunftsaus- austausch mit allen Staaten dieser Welt nach Art. 26 des tausch gemäß den OECD-Standards gewähren wollen. OECD-Musterabkommens an. Wir sind diesbezüglich weitergekommen, befinden uns in guten Verhandlungen (Ortwin Runde [SPD]: Das ist ja Pazifismus und haben die Hoffnung, dass der Informationsaustausch gegenüber Steuersündern!) bald umfassend möglich sein wird. Das ist ein Verdienst der internationalen Gemeinschaft. Die eine oder andere Erst dann, wenn dies in dem einen oder anderen Einzel- Bemerkung von deutscher Seite, die völlig Unschuldige fall nicht möglich ist, kann die Bundesregierung als Ul- wie etwa die Indianer oder die Republik Burkina Faso tima Ratio durch eine Rechtsverordnung beschließen, mit der Hauptstadt Ouagadougou beleidigt hat, war da- dass das Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz für bei eher kontraproduktiv. diesen Fall zur Anwendung kommt. Das ist unseres Er- achtens der richtige Weg. Mit der Verabschiedung des Lassen Sie mich nun zu dem Steuerhinterziehungsbe- vorliegenden Gesetzentwurfs beschließen wir zugleich kämpfungsgesetz, das wir heute in zweiter und dritter auch, dass dieser Weg eingeschlagen wird. Lesung verabschieden, kommen. Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal allgemein (Florian Pronold [SPD]: Das ist schön, dass etwas zum Thema Steuerhinterziehung sagen: Wie bei Sie jetzt dazu kommen!) jeglicher Kriminalitätsbekämpfung sind auch bei der Be- Richtig ist der Ansatz dieses Gesetzes. Staaten, die sich kämpfung der Steuerhinterziehung sowohl Repression nicht am Informationsaustausch entsprechend den – darüber reden wir ja heute – als auch Prävention ge- OECD-Standards beteiligen und den Finanzbehörden in fordert. Dies gilt für jegliche Form von Kriminalität, ob berechtigten Fällen keine Auskunft erteilen, erleichtern es nun Drogenkriminalität oder Steuerkriminalität ist. Es es Bürgern, Steuern zu hinterziehen. ist nun aber so, dass Teile dieses Hauses nur die eine Seite der Medaille betonen. Die FDP redet sehr viel von (Ortwin Runde [SPD]: So ist es!) der Prävention, und Sie, Herr Bundesfinanzminister, ha- Dieses Verhalten kann die internationale Gemeinschaft ben in Ihrer Rede über Repressionen geredet; Ausfüh- nicht hinnehmen. Wir können solche Steueroasen nicht rungen zur Prävention habe ich jedoch vermisst. Es gibt eben zwei Wahrheiten bei der Steuerhinterziehung: (B) dulden. (D) (Beifall des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] Die eine Wahrheit, Frau Kollegin Scheel, ist natürlich [SPD]) – da teile ich ausdrücklich Ihre Auffassung –, dass je- mand wie Herr Zumwinkel nicht wegen der Komplexi- Es gibt zwei Wege, um das Verhalten dieser Steuer- tät des deutschen Steuerrechts nach Liechtenstein oasen zu bekämpfen. Zum einen kann ich in Verhandlun- gegangen ist und dort eine Stiftung gegründet hat. Viel- gen mit diesen Ländern treten und versuchen, mehr gibt es Zeitgenossen, die Steuern hinterziehen wol- (Ortwin Runde [SPD]: Sie zu überzeugen!) len und dabei auch komplexe, teure rechtliche Wege ge- hen. Dieses Verhalten müssen wir repressiv bekämpfen. sie zur Einhaltung der OECD-Standards zu bringen. Da- bei kann ich durchaus auch politischen und wirtschaftli- Die andere Wahrheit, Herr Bundesfinanzminister und chen Druck anwenden; da sind wir sicherlich einer Mei- Frau Scheel, ist aber auch, dass ein einfaches und leis- nung, liebe Kolleginnen und Kollegen. tungsgerechtes Steuerrecht natürlich die Anreize zur Steuerhinterziehung senkt, während eine überhöhte Der zweite Weg ist: Die Bundesrepublik Deutschland Belastung Anreize gibt, die zu einem Anstieg von Steu- geht im nationalen Alleingang gegen deutsche Steuer- erflucht führen. pflichtige vor, die in Geschäftsbeziehungen zu diesen Staaten stehen, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Ortwin Runde [SPD]: Nicht gegen, sondern mit!) Ich glaube, diese Wahrheit, Herr Bundesfinanzminister, darf man auch einmal aussprechen, und man sollte sie und pönalisiert sie durch erhöhte Auskunftspflichten und auch zur Kenntnis nehmen. das Versagen von Abzugsmöglichkeiten usw. Deshalb werden wir von der Union weiterhin die Diese beiden Möglichkeiten gibt es. Wir als Union Steuerehrlichkeit präventiv durch eine Steuergesetzge- bevorzugen ganz klar den ersten Weg. bung fördern, die einfach und leistungsgerecht ist. Wir (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) haben das teilweise in dieser Legislaturperiode schon ge- tan. So haben wir eine einfache Abgeltungsteuer einge- Wir streben an, dass zunächst mit der internationalen führt und die Steuerlast auf thesaurierte Gewinne mit der Gemeinschaft verhandelt wird. Wir möchten, dass über- Unternehmensteuerreform reduziert. all auf der Welt ein Auskunftsaustausch gemäß den OECD-Standards gewährt wird. Der vorliegende Gesetz- (Volker Kauder [CDU/CSU]: So ist es!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26111

Manfred Kolbe (A) Wir werden diese Anstrengungen fortsetzen. Das am Großbritannien hat mehrere Inseln. (C) Montag vorgestellte „Regierungsprogramm 2009 – 2013“ (Zuruf von der FDP: Wir haben auch Inseln!) von CDU und CSU ist auch im Hinblick auf diesen Punkt richtungsweisend. Es muss auch nachdenklich stimmen, dass fast alle gro- ßen deutschen Kreditinstitute und fast alle Landesban- Zusammenfassend möchte ich sagen: Wir als Union ken in diesen Ländern vertreten sind. Da in all diesen werden weiterhin für ein einfaches und leistungsgerech- Gremien auch Vertreter der Politik sitzen, kann ich mir tes Steuersystem kämpfen und damit einen ganz wesent- lichen Beitrag zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung nicht vorstellen, dass wir all das nicht gewusst haben. leisten. Heute bitte ich aber erst einmal um Ihre Zustim- Dass Steuerhinterziehung kein Kavaliersdelikt ist, ist, mung zum vorliegenden Gesetzentwurf. wie gesagt, ein geflügeltes Wort geworden. Es ist auch Danke schön. richtig, dass die Große Koalition in den letzten vier Jah- ren auf diesem Gebiet einiges erreicht hat; mein Kollege (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Kolbe hat ausführlich darauf hingewiesen. neten der SPD – Ortwin Runde [SPD]: Das ist Ihnen aber schwergefallen!) Alleine die Ankündigung, dass wir ein solches Gesetz machen, hat dazu geführt, dass die betroffenen Länder, die den viel zitierten OECD-Standard nicht erfüllen, bei Präsident Dr. Norbert Lammert: uns jetzt Schlange stehen und ein Doppelbesteuerungs- Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Ehrentri- abkommen abschließen möchten. Das ist ein gutes Zei- büne hat der finnische Parlamentspräsident, Herr chen. Sauli Niinistö, mit seiner Delegation Platz genommen. Dennoch ist hier eine gewisse Parallelität zu dem Ent- (Beifall) eignungsgesetz gegeben: Wir haben es zwar nicht ge- Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen begrüße ich braucht, aber ich bin mir nicht sicher, ob es tatsächlich Sie herzlich hier im Deutschen Bundestag. Wir freuen so gelaufen wäre, wenn wir es nicht verabschiedet hät- uns über Ihren Besuch und noch mehr darüber, dass wir, ten. Insofern stimme ich in dem Punkt nicht mit der FDP wie wir ja gestern auch in unseren Gesprächen austau- darin überein, dass wir dieses Gesetz nicht brauchten. Es schen konnten, so enge und auch immer intensivere par- ist nicht auszuschließen, dass wir keine einzige Verord- lamentarische Beziehungen zwischen unseren beiden nung brauchen – das wäre gut –, aber wenn wir jetzt auf Ländern haben. halber Strecke aufhören würden, Für Ihren Aufenthalt hier in Deutschland, für die wei- (Frank Schäffler [FDP]: Dann wäre das ein Beitrag zum Bürokratieabbau!) (B) teren Gespräche und insbesondere für Ihr weiteres parla- (D) mentarisches Wirken begleiten Sie unsere besten Wün- wäre es kontraproduktiv. Denn in der Tat haben viele der sche. interessanten Staaten bisher lediglich erklärt, dass sie Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der den OECD-Standard erfüllen möchten. Ich glaube, wenn Kollege Otto Bernhardt, CDU/CSU-Fraktion. wir heute dieses Gesetz verabschieden, dann wissen sie, dass wir es ernst meinen. (Beifall bei der CDU/CSU – Thomas Oppermann [SPD]: Jetzt kommt die Wahrheit Ich bin allerdings ein bisschen anderer Meinung als heraus!) der Minister. Denn er möchte die Verordnungen meiner Ansicht nach zu zügig einführen. Ich habe gelesen, dass Otto Bernhardt (CDU/CSU): sie bereits im Sommer gelten sollen. Ich meine, dass Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und man ein bisschen mehr Zeit benötigt, und insofern würde Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf ist sicher auch der Herbst ausreichen. Trotzdem ist dies ein richtiger ein Beitrag zur Bekämpfung der internationalen Finanz- Schritt in die richtige Richtung, und ich betone das, was krise. Wir alle hier im Hause sind uns darüber im Klaren, mein Kollege Oswald gesagt hat: Unser Ansatzpunkt ist dass es in Zukunft keine unkontrollierten Finanzinstru- – deshalb haben die Verhandlungen auch so lange gedau- mente mehr geben darf, keine Finanzprodukte, die nicht ert –, dass wir zunächst einmal vom ehrlichen Steuer- kontrolliert werden, und auch keine regulierungsfreien bürger ausgehen. Wir gehen nicht davon aus, dass jeder Bereiche. Das ist eine ganz wichtige Aussage, zumal nur das eine Ziel verfolgt, Steuerbetrüger zu sein. Unser dies nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Steuerhinter- Ansatz ist insofern ein bisschen anders. Wir sind dann zu ziehung wichtig ist. Der Tatbestand, dass drei von vier einem vernünftigen Ergebnis gekommen, wie ich großen Hedgefonds in Steueroasen zu Hause sind, un- glaube. terstreicht, dass von hier auch eine Gefährdung der Sta- Alles spricht dafür, dass meine heutige Rede die letzte bilität der internationalen Finanzmärkte ausgeht. vor dem Deutschen Bundestag sein wird. Ich werde zwar (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) noch an einigen Sondersitzungen teilnehmen, aber in diesen geht es voraussichtlich nicht um Finanzen. Nun gibt es bei diesem Thema – ich sage dies in aller Deutlichkeit – international ein Stück Doppelmoral. Die (Ortwin Runde [SPD]: Abwarten!) Vereinigten Staaten halten sich eine Steueroase im eige- – Ich habe „voraussichtlich“ gesagt. – Deshalb will ich nen Land. in der mir eigenen Art vier abschließende Bemerkungen (Ortwin Runde [SPD]: Delaware!) machen. 26112 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Otto Bernhardt (A) Die erste Bemerkung: Bevor ich in den Deutschen gemanagt hat. Sie ist eine hervorragende Kraft. Ich sage (C) Bundestag kam, war ich 14 Jahre Leiter von Kreditinsti- an dieser Stelle Dankeschön. tuten in Norddeutschland. Das war zwar eine spannende Tätigkeit, aber diese Tätigkeit im Deutschen Bundestag Ich verabschiede mich in der Hoffnung, viele von Ih- ist viel spannender. Daher habe ich es nie bereut, von der nen auch in Zukunft zu sehen. Meine Frau und ich wer- Wirtschaft in den Deutschen Bundestag zu gehen. Ich den weiter zwischen meiner Heimatstadt Rendsburg, kann dies Leuten in der Wirtschaft nur empfehlen. Hier meinem dann früheren Wahlkreis, und Berlin pendeln. kann man mitgestalten, und es ist angenehmer, mitzuge- Berlin gefällt uns so gut, sodass ich Ihnen auch in Zu- stalten, als vor der Tür zu stehen und zu kritisieren, wie kunft nicht erspart bleibe. dies viele in der Wirtschaft ständig machen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall im ganzen Hause)

Die zweite Bemerkung: Die Arbeit der Großen Präsident Dr. Norbert Lammert: Koalition war aus meiner Sicht deutlich erfolgreicher, als dies in der Mehrzahl der Medien dargestellt und bei Lieber Kollege Bernhardt, den vielen Danksagungen, der Mehrzahl der Bevölkerung wahrgenommen wird. Ich die Sie gerade an die unterschiedlichen Adressen gerich- war nie ein Freund der Großen Koalition – die Sozialde- tet haben, möchte ich umgekehrt einen herzlichen Dank mokraten auch nicht. des Präsidiums für die hier im Deutschen Bundestag von Ihnen geleistete Arbeit hinzufügen. So wie sich Ihre letz- (Zuruf von der FDP: Wir auch nicht!) ten Sätze angehört haben, Herr Bernhardt, besteht ja die begründete Aussicht, dass Sie uns in ähnlich guter Erin- Wir hatten eine Situation, in der nichts anderes möglich nerung behalten wie wir Sie. war. Nur, ich vermute, dass Historiker eines Tages schreiben werden: Es war gut, dass zur Zeit der größten (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU so- Finanzkrise, die die Bundesrepublik Deutschland bisher wie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und erleben musste, eine Große Koalition an der Regierung des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – war. Sie hat ihre Handlungsfähigkeit oft mit sehr schnel- Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das sollte immer len Entscheidungen bewiesen. der Fall sein!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich schließe die Aussprache. (B) Der dritte Punkt. Warum hast du dich entschieden, nicht Wir kommen zur Abstimmung über die von den (D) wieder anzutreten? – Jeder muss selbst bestimmen, wann Fraktionen der CDU/CSU und SPD sowie von der Bun- er aufhört. Wir haben uns einmal für die Rente mit 67 aus- desregierung eingebrachten Entwürfe eines Steuerhinter- gesprochen. Ich habe das 67. Lebensjahr vollendet und ziehungsbekämpfungsgesetzes. Der Finanzausschuss damit die Grenze, die wir schrittweise ab 2012 verwirk- empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- lichen wollen, erreicht. Ich ergänze das mit dem Satz: che 16/13666, den Gesetzentwurf der Fraktionen der Man soll zu einem Zeitpunkt gehen, zu dem zumindest CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/12852 sowie einige sagen: Schade, und nicht alle sagen: Gott sei den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache Dank. Das „Schade“, das ich zurzeit höre, tut mir ganz 16/13106 als Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz gut. anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent- wurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie wurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. bei Abgeordneten der LINKEN) Wir kommen zur Die vierte und letzte Bemerkung. Ich habe Vielen Dankeschön zu sagen, insbesondere meiner Fraktion und dritten Beratung den Finanzpolitikern dort. Es war eine tolle Mannschaft. Aber ich sage sehr deutlich: Auch die Zusammenarbeit und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem mit den Finanzpolitikern der Koalition war prima und Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen viel besser, als es oft außerhalb geäußert wurde. Ich sage zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich ausdrücklich: Auch mit den drei Oppositionsfraktionen der Stimme? – Dann ist dieser Gesetzentwurf mit den habe ich persönlich gut zusammengearbeitet. Natürlich Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die schließe ich in das Dankeschön das Ministerium ein. Die Grünen gegen die Stimmen der FDP bei Stimmenthal- Zusammenarbeit war konstruktiv. tung der Fraktion Die Linke angenommen. Ich möchte namentlich die beiden Referenten unserer Wir stimmen nun über den Entschließungsantrag der Arbeitsgruppe, Frau Dr. Deter und Herr Dr. Müller, nen- Fraktion der FDP auf Drucksache 16/13693 ab. Wer nen. Sie sind die Seelen der Arbeitsgruppe. Als Aller- stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt letztes möchte ich Undine Schöps ein herzliches Danke- dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsan- schön sagen, die mich in meinem Büro zehn Jahre lang trag ist abgelehnt. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26113

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 65 auf: fügen können. Die Grundrechte müssen das Grund- (C) gesetz regieren. Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Gisela Piltz, Dr. Max Stadler, Jens Ackermann, (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Jörg weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Tauss [fraktionslos]) Achtung der Grundrechte Das ist heute immer noch aktuell. Bei jedem Gesetz- gebungsverfahren und bei allem staatlichen Handeln ist – Drucksachen 16/7271, 16/10469 – dieser Satz aktuell. Die Grundrechte müssen nicht nur Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für das Grundgesetz regieren, sondern erst recht die einfa- die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich chen Gesetze. Das sollten wir immer bedenken, wenn höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfah- wir welche machen. ren. Wenn die Grundrechte in ihrem Gehalt einge- Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu- schränkt werden, geht damit immer und unwieder- nächst der Kollegen Gisela Piltz für die FDP-Fraktion. bringlich ein Stück Freiheit und Gerechtigkeit ver- loren. (Beifall bei der FDP) So haben wir es in der Einleitung zu unserer Großen An- Gisela Piltz (FDP): frage geschrieben. Das halten wir immer noch für aktu- ell, denn diese schwarz-rote Koalition hat leider ebenso Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am wie ihre Vorgängerin, die rot-grüne Regierung, allzu oft 23. Mai haben wir den 60. Geburtstag unseres Grundge- von ihrer Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Grund- setzes ausgiebig feiern dürfen. Heute, sechs Wochen rechte einzuschränken, ohne dabei das nötige Augenmaß später, nach vielen Sonntagsreden, in denen sich alle in zu wahren. diesem Hause selbstverständlich – wie könnte es auch anders sein? – zu den Grundrechten bekannt haben, geht (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Jörg es um die Achtung der Grundrechte im tatsächlichen Tauss [fraktionslos]) Handeln, in der Gesetzgebung ebenso wie im Verwal- tungshandeln, in der Gesellschaft wie in der Wirtschaft. Bei einfachgesetzlichen Regelungen, aber auch beim tatsächlichen Handeln des Staates werden Grundrechte Carlo Schmid hat in seiner Rede im Parlamentari- bis aufs Äußerte und leider oft auch darüber hinaus ein- schen Rat am 8. September 1948 gesagt, „daß eine Ver- geschränkt. Wenn immer mehr und immer tiefer in die fassung in einer demokratischen Welt etwas mehr sein Grundrechte eingegriffen wird, verlieren sie an Sub- (B) muß als ein bloßes Reglement, als ein bloßes Organisa- stanz. Das müssen wir uns immer klarmachen. (D) tionsstatut.“ Das gilt aus unserer Sicht insbesondere für das Herz der Verfassung, für die Grundrechte. (Beifall bei der FDP – Christoph Strässer [SPD]: So ein Schmarren!) (Beifall bei der FDP) Diese zahllosen Eingriffe sind leider auch geeignet, Es geht nicht einfach nur um Rechtsnormen. Es geht die Wahrnehmung der Grundrechte zu verändern. um das Werteverständnis unserer Gesellschaft. Frei- Nicht mehr derjenige, der die Freiheit einschränken will, heitsrechte, Gleichheitsrechte und Teilhaberechte, die in soll das rechtfertigen, wie es dem Grundgedanken des unserer Verfassung niedergelegt sind, spiegeln nicht nur Grundgesetzes entspricht. Nein, langsam ist es genau das Staatsverständnis eines freiheitlich-demokratischen umgekehrt: Die Grundrechte werden durch eine solche Gemeinwesens wider, sie stehen vielmehr auch für ein Politik zum Erlaubnistatbestand. Menschenbild, für das Bild von mit unveräußerlichen Rechten ausgestatteten Individuen. (Beifall des Abg. Jörg Tauss [fraktionslos]) Ich darf Carlo Schmid weiter zitieren: Jeder, der sagt: „Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten“, greift in Wahrheit die Grundrechte Der Staat soll nicht alles tun können, was ihm ge- selber an; rade bequem ist. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Ilja Vielleicht ist das eine Botschaft an die Kolleginnen und Seifert [DIE LINKE]) Kollegen der CDU/CSU. Wenn Sie bitte einmal zuhören würden! denn diese Haltung ist die geistige Grundlage dafür, die Freiheit des Einzelnen nur noch unter Vorbehalt zu ge- (Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] währen. Bei dieser Haltung geht man eben nicht davon [CDU/CSU]: Ich höre Ihnen zu! Nehmen Sie aus, dass das Individuum von sich aus – und eben nicht das bitte zur Kenntnis!) von Staates Gnaden – mit unverbrüchlichen Rechten, – Ja, Sie schon – ich bin darüber total begeistert –, aber mit Grundrechten ausgestattet ist, sondern man geht da- Ihre Kollegen verhandeln gerade. von aus, dass Rechte vom Staat geschenkt werden. Lei- der hat der Bundesinnenminister das allzu oft hier vorge- Der Staat soll nicht alles tun können, was ihm ge- tragen. Das hat dazu geführt, dass es für die Freiheit rade bequem ist, wenn er nur einen willfährigen mittlerweile einer Begründung bedarf und nicht länger Gesetzgeber findet, sondern der Mensch soll umgekehrt, für die Einschränkung der Freiheit. Das ist Rechte haben, über die auch der Staat nicht soll ver- eine fatale Entwicklung. 26114 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Gisela Piltz (A) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten schaft verloren geht. Wenn tagtäglich berichtet wird, (C) der LINKEN – Dr. Carl-Christian Dressel dass die Grundrechte vor allen Dingen den Täter schüt- [SPD]: Das ist Unfug, was Sie erzählen!) zen, muss man sich nicht wundern, wenn die Bevölke- rung Grundrechte nicht mehr wahrnimmt und nicht mehr – Sie können das ja gleich korrigieren, Herr Dressel. ernst nimmt. (Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Da können (Joachim Stünker [SPD], an den Abg. Volker Sie sicher sein!) Kauder [CDU/CSU] gewandt: Viel Spaß beim Das Bundesverfassungsgericht hat Ihnen oft genug eines Regieren!) drübergegeben und in unserem Sinn entschieden. Dies gilt im Übrigen auch für andere Gesellschaftsgrup- (Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Das stimmt pen. überhaupt nicht!) (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist gar nicht Das sollten Sie bei dem, was Sie hier vortragen, immer wahr! Das ist Unsinn, was Sie sagen!) bedenken, Herr Kollege. – Herr Kauder, wenn Sie meinen, dass das Unsinn ist, Besonders deutlich zeigt sich das in der Informa- dann schauen Sie sich die letzten Rechtsprechungen des tionsgesellschaft. Die neue Technik ist doch eine Bundesverfassungsgerichtes an. Chance für diese Gesellschaft. (Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie des (Christoph Strässer [SPD]: Wie war das mit Abg. Jörg Tauss [fraktionslos] – Christian dem großen Lauschangriff?) Lange [Backnang] [SPD]: Anschauen ist nicht Die Menschen geben ihrer Meinungsfreiheit im eigenen gleich Verstehen!) Blog, ihrer Kunstfreiheit vielleicht in einem etwas skur- Danach wissen Sie, was Unsinn und was nicht Unsinn rilen Film auf YouTube, ihrer Berufsfreiheit im E-Com- ist. Ich glaube, die eine oder andere Ihrer Gesetzgebun- merce und ihrer Kommunikationsfreiheit durch E-Mails, gen ist Unsinn und nicht etwa meine Rede. Sie sollten Chats und Internettelefonie Ausdruck. sich gut überlegen, was Sie hier sagen. Von dieser großen Freiheit hält der Innenminister gar (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Jörg nichts. Das Internet ist die „Basis des Verbrechens“, so Tauss [fraktionslos]) kann man ihn zitieren. Damit werden immer neue Ein- schränkungen der Grundrechte gerechtfertigt. Darin Allen muss klar sein, wie wichtig Grundrechte sind. offenbart sich aus unserer Sicht ein tiefes Misstrauen ge- Ehrlich gesagt: Sie von der CDU – (B) genüber den Menschen statt eines Grundvertrauens in (D) (Volker Kauder [CDU/CSU]: Und CSU!) das Individuum. Zum Beispiel die Vorratsdatenspeiche- rung könnten Sie gar nicht machen, wenn es moderne – und CSU; wenn Sie darauf Wert legen, von mir aus; es Technologien nicht gäbe. Sie könnten nicht jeden Brief ist aber neu, dass Sie Wert darauf legen – überwachen. Auf diesen Vorschlag warten wir noch; er wäre aber nicht umsetzbar. (Volker Kauder [CDU/CSU]: So heißt unsere Fraktion!) (Christoph Strässer [SPD]: Das ist ein guter Vorschlag! Den nehmen wir einmal auf!) – ich weiß; aber Sie sind von der CDU, und ich habe Sie direkt angesprochen – verabschieden heute als letzten Vieles von dem, was Sie gemacht haben, schränkt die Tagesordnungspunkt ein Abkommen zwischen Deutsch- Grundrechte ein, zum Beispiel auch – wir haben gerade land und den USA. Damit greifen Sie wieder in Grund- über ein Finanzthema debattiert – das Enteignungsge- rechte ein. setz, durch das der Weg zur Verstaatlichung der Hypo Real Estate frei gemacht wurde. Auch da hätte es günsti- (Ernst Burgbacher [FDP]: Massiv!) gere und mildere Mittel gegeben, die die Grundrechte Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie Sie hier Politik ma- nicht so eingeschränkt hätten. chen und die Grundrechte nicht achten. (Christoph Strässer [SPD]: Wie heißt der In- (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Jörg nenminister von Nordrhein-Westfalen?) Tauss [fraktionslos]) Das ist ein schlechtes Beispiel dafür, wie Sie hier Politik Es kann nicht sein, dass Sie hier erklären, was Unsinn machen. sei und was nicht. Schauen Sie sich einmal an, was Ihre (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Jörg Fraktion mit denen da drüben, dem Koalitionspartner, Tauss [fraktionslos]) gemeinsam macht. Das ist Unsinn. Bei Ihrer Politik lassen Sie es an Achtung für die (Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] Grundrechte fehlen. [CDU/CSU]: Ich erkläre es Ihnen nachher!) (Christoph Strässer [SPD]: Das ist Wir als Bundestag müssen die Grundrechte wieder in unverschämt!) den Mittelpunkt unseres Handelns stellen. Wenn wir sie nicht achten, wird es niemand tun. Damit steigt die Gefahr, dass die Anerkennung der he- rausragenden Bedeutung der Grundrechte in der Gesell- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26115

Gisela Piltz (A) (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Dr. Ilja Beta-Galactosidase-Präproinsulin-Fusionsprotein herge- (C) Seifert [DIE LINKE] und Jörg Tauss [frak- stellt werden sollte tionslos] – Siegfried Kauder [Villingen- Schwenningen] [CDU/CSU]: Der Unsinn (Heiterkeit bei der CDU/CSU) nimmt ja zu!) – für die Protokollanten: schreiben Sie einfach, dass es dabei um die gentechnische Herstellung von Human- Präsident Dr. Norbert Lammert: insulin geht –, immer waren wir mit Grundrechten kon- Dr. Jürgen Gehb ist der nächste Redner für die CDU/ frontiert. Bei allen rechtlichen Regeln, die wir überprüft CSU-Fraktion. haben, und bei allen Akten der öffentlichen Gewalt – man nennt sie Verwaltungsakte – haben wir prüfen (Beifall bei der CDU/CSU) müssen: Ist die anzuwendende Norm für sich betrachtet bereits verfassungsgemäß, verletzt sie gar Grundrechte, Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU): oder ist die Anwendung durch die Verwaltung selber im Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am letz- Einzelfall noch verfassungsgemäß? ten offiziellen Sitzungstag der zu Ende gehenden Legis- Wenn ein Instanzgericht zu der Überzeugung gelangt laturperiode und auch noch zur besten Fernsehzeit ist, dass schon die anzuwendende Norm nicht mit dem 75 Minuten über den Tagesordnungspunkt „Achtung der Grundgesetz vereinbar ist, dann haben wir die entspre- Grundrechte“ debattieren zu können, lässt das Herz ei- chende Frage im Wege der sogenannten konkreten Nor- nes Rechtspolitikers – jedenfalls mein Herz; Ihres offen- menkontrolle nach Art. 100 Grundgesetz dem Bundes- bar auch, Herr Montag, Sie nicken zustimmend – höher verfassungsgericht vorgelegt, unseren Instanzprozess schlagen. ausgesetzt, gewartet, bis das Bundesverfassungsgericht (Dr. Max Stadler [FDP]: Das habt ihr der FDP Ja oder Nein gesagt hat und haben dann entschieden. zu verdanken! – Gegenruf des Abg. Volker (Ernst Burgbacher [FDP]: Ja! Das ist bekannt! Kauder [CDU/CSU]: Aber nicht nach der So läuft das!) Rede!) Meine Damen und Herren, die stringente Prüfung von Selbst die 75 Minuten Debattenzeit, die für uns Rechts- Grundrechten ist mir auch begegnet, als ich vier Jahre politiker üppig bemessen ist, gibt natürlich überhaupt lang Bürgermeister der nordhessischen Metropole Kas- nicht ausreichend Gelegenheit, auf ein über 80-seitiges sel sein durfte. Auch dort hatte ich ein zugeschnittenes Konvolut, das 167 Fragen der FDP und genauso viele Dezernat, bei dem es um Ordnungsrecht ging: um das Antworten der Bundesregierung umfasst, auch nur annä- (B) Ausländerwesen, die Erweiterung einer Müllverbren- (D) hernd erschöpfend einzugehen. Deswegen will ich mich nungsanlage und die Ausweisung und Abschiebung von auf ein paar grundsätzliche Erwägungen beschränken. sich illegal in Deutschland aufhaltenden Ausländern. Ich will mich zu dem für Sie alle vielleicht vollmun- Auch dort musste ich, sozusagen als Chef der Verwal- dig – oder besser gesagt: euphorisch – anmutenden Satz tung, immer auch die Grundrechte achten. hinreißen lassen und sagen: Die Bundesrepublik (Dr. Max Stadler [FDP]: Sehr richtig!) Deutschland hat nicht nur die beste geschriebene Verfas- sung, den besten Verfassungstext, sondern wir leben eine In beiden Gewalten, sowohl in der Judikative als auch Rechts-, Verfassungs- und Gesetzeskultur, die keinen in der Exekutive, der ich früher angehört habe, konnte Vergleich auf dieser Welt scheuen muss. ich bei der Achtung der Grundrechte ein signifikantes Defizit – Sie haben in Ihrem Vorwort gesagt, dass es (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- dem Staat an der Achtung der Grundrechte mangelt – neten der SPD) beim besten Willen nicht erkennen. Warum bemühe ich einen so staatstragenden Satz? Ich Selbst wenn das einmal der Fall sein sollte, haben wir will es Ihnen sagen: Ich gehöre zu den Politikern, die oberhalb der Instanzgerichte, also der ersten Instanz, des nicht über den politischen Trampelpfad Penne–Par- Berufungsgerichts und des Revisionsgerichts – ob das tei–Parlament oder auch Kreißsaal–Hörsaal–Plenarsaal der BGH, der Bundesfinanzhof, das Bundessozialgericht hierher gekommen sind. Die Gunst meiner beruflichen oder das Bundesarbeitsgericht ist –, noch das Bundes- Laufbahn hat es mir vielmehr ermöglicht, inzwischen verfassungsgericht. Es ist zwar keine Superrevisions- alle drei Gewalten einmal kennengelernt zu haben. instanz, aber eine auf der Welt in dieser Konstellation Zwölf Jahre in der hessischen Verwaltungsgerichtsbar- nahezu einmalige Einrichtung, die im Zweifel den einen keit in verschiedenen Instanzen und in verschiedenen oder anderen Fehler korrigiert. Zu derartigen Fehlern Funktionen, auch am Hessischen Staatsgerichtshof, dem kommt es in Deutschland allerdings nur in „homöopathi- Landesverfassungsgericht des Bundeslandes Hessen, ha- schen“ Dosen. Man sollte nicht so tun, als würde das ben mich gelehrt und haben mir gezeigt, dass alle Ent- Bundesverfassungsgericht jede zweite unserer Entschei- scheidungen, die wir im Namen des Volkes getroffen ha- dungen aufheben. ben, immer Grundrechtsbezug hatten: Ob es um die Rechtmäßigkeit des Sexualkundeunterrichts ging, um Es ist wie mit einem Flugzeug: Über ein Flugzeug, die Stilllegung des Kernkraftwerks Biblis oder um die das landet, wird nicht berichtet. Berichtet wird nur über Rechtmäßigkeitsprüfung einer Genehmigung zum Bau das Flugzeug, das abstürzt. Es wird auch nie über eine und zur Errichtung einer Anlage, in der das Produkt gelungene Operation berichtet, wie ich sie gerade über 26116 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Dr. Jürgen Gehb (A) mich habe ergehen lassen müssen – wie Sie sehen, ist sie kollidiert das Grundrecht auf Religionsfreiheit mit dem (C) gelungen –, Staatsziel Tierschutz. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Die Freiheitsrechte kollidieren naturgemäß mit der grundrechtlich verbürgten Pflicht des Staates, seinen sondern nur über eine Operation, bei der der Chirurg ei- Bürgern Fürsorge und Schutz zuteil werden zu lassen. nen Tampon in der Wunde vergessen hat. Das ist zwar typisch, aber nicht repräsentativ. (Dr. Max Stadler [FDP]: Grundgesetzlich ver- bürgt, nicht grundrechtlich!) Da ich gerade über Gerichtsentscheidungen spreche: Frau Piltz, Sie haben sich auch heute wieder zu einer Das ist ein in der Natur der Sache liegender Antipode, völlig unrichtigen Bemerkung hinreißen lassen und be- der, wie es das Bundesverfassungsgericht so schön sagt, hauptet, wir hätten viele Entscheidungen des Verfas- im Wege der praktischen Konkordanz immer wieder neu sungsgerichtes wieder vor die Nase gesetzt bekommen. abgewogen und ausgeglichen werden muss. Ich will Ihnen sagen: Seit dem 19. Oktober 2005 – das (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ist der Tag, an dem sich der 16. Deutsche Bundestag konstituiert hat – gibt es nicht eine einzige – ich wieder- Meine Damen und Herren, darüber streiten wir im Deut- hole: nicht eine einzige – Entscheidung des Bundesver- schen Bundestag allenthalben. fassungsgerichts, mit der ein Sicherheitsgesetz dieser Man sollte nicht nur die Grundrechte achten, Frau Koalition aufgehoben worden ist. Piltz, man muss bei allen Diskussionen aufpassen, dass (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- man den Grundkonsens der demokratischen Parteien neten der SPD) nicht aufgibt. Dem politischen Gegner, wie Sie es getan haben, vorzuwerfen, er achte die Grundrechte nicht, mit Bei all den Beispielen, die Sie gebetsmühlenhaft wieder- solchen Vorwürfen schärfen Sie Ränder, die wir alle holen und immer wieder wahrheitswidrig anführen nicht schärfen wollen. – hier kann ich es Ihnen nicht durchgehen lassen; wahr- scheinlich tun Sie das aber auch auf vielen anderen Ver- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- anstaltungen –, handelt es sich um Gesetze, die von der neten der SPD – Dr. Max Stadler [FDP]: Das rot-grünen Koalition verabschiedet worden sind, ist Unfug hoch drei!) (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Deshalb appelliere ich an Sie: Rüsten Sie verbal ab! NEN]: Oder von Schwarz-Gelb!) Wenn man gelegentlich die Augen schließt und Ihnen zuhört, Frau Piltz, weiß man – sowohl der Tonlage als (B) oder um Ländergesetze, bei denen die FDP federführend auch dem Inhalt nach – nicht, ob Herr Nešković oder (D) beteiligt war. Das muss einmal gesagt werden. Frau Jelpke reden; das muss ich einmal in aller Deutlich- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- keit sagen. neten der SPD – Joachim Stünker [SPD]: Herr (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Kollege, Schwarz-Gelb nicht vergessen!) der SPD – Widerspruch der Abg. Gisela Piltz Seit 1998 bin ich Mitglied des Deutschen Bundesta- [FDP] – Ernst Burgbacher [FDP]: Kommen ges, einer weiteren der drei Gewalten. Wir müssen uns Sie mal runter! – Weitere Zurufe von der FDP) seit etwa 2001 pausenlos einen Vorwurf gefallen lassen, Meine Damen und Herren, häufig hören wir: Der der auch in Ihrem Vorwort zum Ausdruck kommt. Dort Staat in seiner Allmacht, Big Brother is watching you. haben Sie sich zu der, wie ich finde, unsäglichen Bemer- Nicht Big Brother is watching you, wir müssen aufpas- kung hinreißen lassen, dass nicht mehr das Leitbild des sen, dass Little Brother uns nicht watcht. mit unveräußerlichen Rechten ausgestatteten Menschen Pate bei der Gesetzgebung stehe. Wer denn sonst, Frau (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Piltz? Etwa das Buch Hiob? Wir geben allzu leichtfertig, freiwillig Daten preis, zum (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Beispiel im Zusammenhang mit der Nutzung von Kun- denkarten und Prepaidkarten. Das heißt, es geht nicht Selbstverständlich steht dieses Leitbild für uns nach wie mehr nur um das Verhältnis Bürger/Staat. vor Pate bei der Gesetzgebung. Sie haben eben im Zusammenhang mit verdeckten Meine Damen und Herren an den Fernsehschirmen Ermittlungsmethoden die Telefonüberwachung ange- und auf der Zuschauertribüne, alle Grundrechte, die es sprochen. Die organisierte Kriminalität und die Terroris- gibt, kollidieren per se miteinander. Ein Beispiel: Darf ten trommeln heute eben nicht mehr und geben auch man die fette Villa im Grunewald, die der frühere Au- keine Rauchzeichen mehr, sie bedienen sich natürlich ßenminister gekauft hat, fotografieren, moderner Technologien. Da muss es den Ermittlungsbe- und darf man öffentlich danach fragen, woher er das hörden doch verdammt noch einmal möglich sein, sich, Geld dafür hat? Da kollidiert das Grundrecht der Infor- um Verbrechen aufzuklären, ebenfalls dieser Technolo- mations-, Presse- und Meinungsfreiheit mit dem Persön- gien zu bedienen. Jedes kleine Kind auf der Straße lichkeitsrecht des grünen Außenministers. würde einem da zustimmen. Noch ein Beispiel: Darf ein muslimischer Metzger ein (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Schaf ohne Betäubung schlachten, sprich: schächten? Da neten der SPD) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26117

Dr. Jürgen Gehb (A) Im Übrigen wird das nicht aus Daffke und nicht bei je- Deshalb möchte ich eingangs festhalten: Es ist wohl- (C) dem Ladendiebstahl gemacht, sondern nur zur Aufklä- feil, aus Anlass von 60 Jahren Grundgesetz die Grund- rung schwerster, in einem Katalog aufgelisteter Strafta- rechte in Festreden zu lobpreisen; aber es ist ein Spiel ten, die es zu verhindern bzw. die es aufzuklären gilt, mit dem Feuer, sie einerseits zu loben und andererseits und auch nur, wenn alle rechtsstaatlichen Kautelen vo- gleichzeitig verkommen zu lassen. Das ist leider politi- rangeschaltet sind, namentlich eine richterliche Anord- scher Alltag, und das lehnt die Linke ab. nung. Ein Mehr an rechtsstaatlichen Voraussetzungen können wir beim besten Willen nicht fordern. (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: „Politischer Alltag“? Aha!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Ich will Ihnen das gerne anhand der Großen Anfrage der SPD) der FDP illustrieren. Die FDP fragte: Wie bewertet die Wenn wir schon bei der Achtung der Grundrechte Bundesregierung die Akzeptanz der Grundrechte in der sind: Diejenigen, die mir hier schon öfters haben zuhö- Bevölkerung? – Wohlgemerkt: Es geht um die Art. 1 bis ren müssen – manche auch haben wollen –, werden sich 19 Grundgesetz, also um souveräne Rechte aller Bürge- daran erinnern, dass ich immer wieder gesagt habe: Wir rinnen und Bürger. Die Antwort der Bundesregierung nationalen Parlamentarier dürfen uns nicht zu Vollstre- lautet: Die Akzeptanz der Grundrechte in der Bevölke- ckungsgehilfen europäischer Vorgaben degradieren las- rung ist sehr hoch. Dafür spreche allein – ich zitiere – sen. Wir sitzen sozusagen in der Ratifizierungsfalle. „die große Anzahl der Verfassungsbeschwerden“. Mit Mein Kollege und Freund Siegfried Kauder hat das im Verlaub: Auf eine solche regierungsamtliche Formulie- Zusammenhang mit dem europäischen Haftbefehl fast rung muss man erst einmal kommen. ohnmächtig eingestehen müssen. (Beifall bei der LINKEN) Deswegen freue ich mich, dass das Bundesverfas- Zur Erinnerung: Die Zahl der Verfassungsbeschwer- sungsgericht die Beteiligungsrechte der Parlamenta- den nimmt deshalb zu, weil die Regierungskoalition rier gestärkt hat. Wir müssen jetzt nicht mehr retrospek- wieder und wieder Gesetze beschließt, die mit dem tiv sagen: „Wir stehen hier und können nicht anders, Grundgesetz auf Kriegsfuß stehen. Anstatt also Selbst- weil uns Europa in ein enges Korsett aus Vorgaben kritik zu üben, verbreitet die Bundesregierung Selbstlob. zwingt“, wir können jetzt in statu nascendi, in der Ge- Das ist ein Trauerspiel. burtsstunde, an solchen Vorgaben mitarbeiten. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: 98 Pro- (Ernst Burgbacher [FDP]: Wer hat denn das zent werden gar nicht angenommen!) Gesetz gemacht?) (B) In der Schröder/Fischer-Ära wurde ein Luftsicher- (D) Wenn das so ist, dann können wir sagen: Wir, die Union, heitsgesetz beschlossen, das vom Bundesverfassungsge- wir achten die Grundrechte, wir setzen sie um, wir ver- richt völlig zu Recht „kassiert“ wurde; denn SPD und teidigen sie, Grüne wollten Gott spielen und entführte Flugpassagiere (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- abschießen lassen – ein klarer Verstoß gegen Art. 1 NEN]: Aber nicht genug!) Grundgesetz. und wenn es nötig ist, ergänzen wir sie auch. In der Merkel/Müntefering-Ära wurde verfügt, dass Computer heimlich ausgespäht werden. Auch dieser An- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, liebe Kol- schlag auf das Grundgesetz wurde vom Bundesverfas- leginnen und Kollegen. sungsgericht gestutzt, leider nur halbherzig, aber immer- hin. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) (Christoph Strässer [SPD]: Wieso „leider“? Das ist doch das Verfassungsgericht!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Einschläge per Gesetz kommen aber immer nä- Das Wort erhält nun die Kollegin Petra Pau, Fraktion her. Individuelle Freiheitsrechte werden relativiert und Die Linke. staatliche Sicherheitsrechte statuiert. Das ist der Trend. So wird das Grundgesetz in Geist und Buchstabe umge- (Beifall bei der LINKEN) deutet. Der Staat erhebt sich mehr und mehr über die Bürgerinnen und Bürger, und genau das ist verfassungs- Petra Pau (DIE LINKE): widrig. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Große Anfrage der FDP hat schon einige Monate auf Eine weitere Frage der FDP zielte auf die Demon- dem Buckel. Sie ist dennoch höchst aktuell. Ich emp- strations- und Versammlungsfreiheit. Konkret ging es fehle sie allen, die an Bürgerrechten interessiert sind, zur um den G-8-Gipfel in Heiligendamm. Die Regierungs- Lektüre. Die Fragen zeigen, wie gefährdet Bürgerrechte antwort lautet: Art. 8 Grundgesetz sei wesentlich Län- sind. Die Antworten zeigen, wie selbstgefällig die Bun- dersache, und Ländersachen kommentiere man nicht. desregierung damit umgeht. Mit Verlaub: Rund um den G-8-Gipfel war die Bundes- wehr mit Personal und Gerät massiv im Einsatz. Ein (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Jörg Camp von G-8-Kritikern wurde sogar aus der Luft per Tauss [fraktionslos]) Tiefflug attackiert. Es ist geradezu schäbig, dem Land 26118 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Petra Pau (A) Mecklenburg-Vorpommern allein die Grundrechtsver- (Beifall bei der LINKEN) (C) stöße rund um den G-8-Gipfel in die Schuhe zu schie- ben. Durch die Praxis der Vorratsdatenspeicherung wird allerdings noch ein viel weiter gehender Verstoß gegen (Beifall bei der LINKEN) das Grundgesetz belegt. Laut Grundgesetz sind Grund- rechte vor allem Schutz- und Trutzrechte der Bürgerin- Verstoßen wurde damit übrigens auch gegen Art. 35 nen und Bürger gegen Begehrlichkeiten des Staates. Die Grundgesetz, weil er besagt, dass die Bundeswehr im In- Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen, also nern nur bei großen Katastrophen oder besonders schwe- aktuell die CDU/CSU und die SPD, stellen diesen ren Unglücksfällen Amtshilfe leisten darf. Für die Bun- Grundsatz einfach auf den Kopf. Sie nehmen namens ei- deswehr ist doch wohl noch immer die Bundesebene ner vermeintlichen Sicherheit alle Bürgerinnen und Bür- zuständig. Deshalb umgekehrt gefragt: Wenn der G-8- ger ausnahmslos unter Generalverdacht. Mit Blick auf Gipfel offenbar als große Katastrophe oder besonders den Geist des Grundgesetzes ist das ein Ding aus dem schwerer Unglücksfall eingestuft wurde, sodass die Bun- Tollhaus, und es zeigt: Die größten Gefahren gegen die deswehr helfen musste, warum hat dann die Bundes- freiheitlich-demokratische Grundordnung drohen derzeit kanzlerin Merkel so viel Gefahr überhaupt ins Land ge- nicht von Terroristen, auch nicht von Extremisten, son- holt? dern eher von Sicherheitsexperten. (Lachen bei der CDU – Daniela Raab [CDU/ (Beifall bei der LINKEN – Siegfried Kauder CSU]: Das ist ja furchtbar lustig! Da muss sie [Villingen-Schwenningen] [CDU/CSU]: Wis- selber lachen! – Michael Grosse-Brömer sen Sie überhaupt, was Sie da sagen? Kennen [CDU/CSU]: Ich würde den Mitarbeiter, der Sie die terroristische Gefahr überhaupt? Lesen das aufgeschrieben hat, entlassen!) Sie Zeitung?) Weiter zur Großen Anfrage der FDP. Mehrere Fragen – Herr Kauder, ich sage das sehr deutlich: Nicht alles, widmen sich dem Datenschutz. Auch er gilt spätestens was technisch machbar ist und was man sicherlich aus seit dem legendären Volkszählungsurteil des Verfas- dem beruflichen Blickfeld von Polizistinnen und Polizis- sungsgerichtes als verbrieftes Grundrecht. ten sowie Ermittlungsbehörden gern an Instrumenten in (Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] der Hand hat, ist mit unseren Grundrechten und unserem [CDU/CSU]: Soll das Recht dem Unrecht wei- Grundgesetz vereinbar. Wir sind dazu da, genau dieses chen?) Spannungsfeld sehr verantwortungsvoll auszuloten. Es ist das Grundrecht, das inzwischen auch von Staats (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Jörg (B) wegen zu den bedrohten Arten zählt. Tauss [fraktionslos] – Volker Kauder [CDU/ (D) CSU]: Was Sie sagen, ist ungeheuerlich, Frau (Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Da möchte Pau!) man nicht mal mehr was dazwischenrufen, so dumm ist das!) Das Ganze korrespondiert mit einer weiteren Ent- wicklung. Ich möchte das an zwei Beispielen illustrieren: (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist Demago- Stichwort eins: Hartz IV. Wer arm dran ist, der muss gie, was Sie hier machen!) 150 bis 180 ganz persönliche Daten über sich und seine Umwelt preisgeben. Das würden die Ackermänner nie Substanzielle und verfassungsrechtliche Grenzen wer- tun. Kurzum: Wer arm dran ist, wird auch noch seiner den Stück für Stück aufgeweicht, zum Beispiel zwischen Bürgerrechte beraubt. Landesverteidigung und weltweiten Kampfeinsätzen, zwischen Militär und Polizei, zwischen Polizei und Ge- (Beifall bei der LINKEN) heimdiensten. Das heißt, wir erleben seit Jahren den ziel- Stichwort zwei: Vorratsdatenspeicherung. Alles wird strebigen Umbau der Gesellschaft weg vom Rechtsstaat registriert: Wer wann wo mit wem telefoniert hat, wer hin zum präventiven Sicherheitsstaat. wem eine SMS oder E-Mail geschickt hat und wer wann (Joachim Stünker [SPD]: Das ist ja wohl un- im Internet welche Internetseite geöffnet hat. glaublich! Das ist Unsinn! Das ist eine Unver- (Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] schämtheit! – Michael Grosse-Brömer [CDU/ [CDU/CSU]: Für Abrechnungszwecke gibt es CSU]: Freuen Sie sich, dass Sie endlich in ei- das schon lange! Das ist doch nichts Neues!) nem Rechtsstaat leben!) All das hält die Linke für grundrechtswidrig. Andere sprechen auch vom Überwachungsstaat. Auch diese Praxis widerspricht den wohlfeilen Antworten der Auch dagegen laufen übrigens Klagen beim Bundes- Bundesregierung. verfassungsgericht. (Joachim Stünker [SPD]: Sie kommen aus ei- Meines Wissens ist es das erste Mal in der Geschichte ner Diktatur und halten solche Reden! Das ist der Bundesrepublik, dass gleich zwei Vizepräsidenten unglaublich!) des Bundestages gegen ein von der Mehrheit des Bun- destages beschlossenes Gesetz beim Bundesverfassungs- – Kollege, ich wollte ja eigentlich noch auf die Fragen gericht klagen. und die Antworten an die FDP eingehen, aber Ihr Zwi- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26119

Petra Pau (A) schenruf veranlasst mich, hier mal sehr deutlich Folgen- Ein jedes Gesetz ist ein Eingriff in mindestens ein (C) des zu sagen: Grundrecht. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein! Es reicht, (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- was Sie gesagt haben!) NEN]: Das stimmt nicht!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, ich bin in der DDR Ein jedes Gesetz greift zumindest in die allgemeine geboren. Ich habe in der DDR Verantwortung getragen. Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz ein, es sei denn – jetzt komme ich zu Ihrem Zwischenruf, Herr (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Wieland –, es handelt sich um das Haushaltsgesetz oder Parteihochschule Karl Marx!) um ein Leistungsgesetz, sofern es nicht Art. 3 Grundge- 1990, die demokratische Wende, die ich nicht erzwun- setz betrifft. Wenn Sie mich hätten aussprechen lassen, gen habe – auch das gestehe ich hier –, hat mir nicht nur dann hätten Sie sich diesen Zwischenruf ersparen kön- sehr viel Stoff zum Nachdenken gegeben, sondern ich nen. persönlich habe aus dem Scheitern dessen, was sich So- Auf einen Zwischenruf der FDP wäre ich vorhin zialismus nannte, auch aus dem Scheitern der Ideen, für gerne eingegangen, als es um die Aufhebung von Geset- die ich dort gearbeitet habe, sehr schmerzhafte, aber für zen durch das Bundesverfassungsgericht wegen mich auch nachhaltige Lehren gezogen. Als ich 1998 in Grundrechtsrelevanz ging. Hier stellen Sie sich vor al- den Deutschen Bundestag gewählt wurde, habe ich es lem zu Wahlkampfzeiten gerne als Bürgerrechtspartei mir zur Aufgabe gemacht, dass es eine linke, eine sozia- dar. listische Bürgerrechtspartei in der Bundesrepublik gibt. Das heißt, aus den Lehren aus der Geschichte nehme ich (Dr. Max Stadler [FDP]: Immer! – Weiterer mir das Recht heraus, auf Gefahren für die Grundrechte Zuruf von der FDP: Richtig!) und für das Grundgesetz auch hier in dieser Bundesrepu- blik hinzuweisen. Dazu steht die Linke. Ich frage Sie: Wo bleibt der Einsatz der FDP für Grund- rechte in den Landesregierungen, an denen die FDP be- (Beifall bei der LINKEN – Joachim Stünker teiligt ist? [SPD]: Sie haben zielgerichtet von Umbau ge- sprochen! Das ist Vorsatz! Eine Unverschämt- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Joachim heit! – Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/ Stünker [SPD]: Niedersachsen! – Christoph CSU]: Gestern den Internationalen Strafge- Strässer [SPD]: Große Klasse!) richtshof verhöhnen und heute solche Reden! – Wo war der Einsatz der FDP im Rahmen der Verabschie- (B) Volker Kauder [CDU/CSU]: Und dann als Vi- dung des Polizeigesetzes in Nordrhein-Westfalen, bei (D) zepräsidentin da oben sitzen! Das ist alles so dem es um die Onlinedurchsuchung ging ein Ding!) (Christoph Strässer [SPD]: Ohne Rechtsgrund- Präsident Dr. Norbert Lammert: lage!) Nächster Redner ist der Kollege Dr. Carl-Christian und das erst vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben Dressel für die SPD-Fraktion. wurde? Wenn Sie mit einem Finger auf die Bundespoli- tik zeigen, dann zeigen mindestens zwei Finger in Ihre Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Richtung. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der schon etwas Schweres, nach dieser seltsamen, aber CDU/CSU – Dr. Max Stadler [FDP]: Das war durchaus nicht seltenen Allianz von der Partei auf der gar nicht das Polizeigesetz! – Gegenruf des Rechten, der FDP, und der Partei auf der Linken dieses Abg. Christoph Strässer [SPD]: Aber es ist Hauses das Wort zu ergreifen. Aber zur Sache sage ich aufgehoben worden! – Gisela Piltz [FDP]: Ihr als Erstes, was uns, wie ich denke, hier im breiten Bogen Innenminister hat das gemacht! Ohne Rechts- des Hauses verbindet: Die Grundrechte müssen das grundlage!) Grundgesetz regieren. Das sage nicht nur ich, das stammt von Carlo Schmid – 1949. In Ihrer Großen Anfrage muss ich lesen, dass es kein Grundrecht auf Sicherheit gibt. In Ihrer Rede haben Sie Diese Forderung, denke ich, betrifft uns alle, und eben gesagt, Sicherheit habe mit Grundrechtsschutz diese Forderung zeigt uns allen, dass der zentrale Grund- nichts zu tun stein unserer Verfassung das Bekenntnis zur Menschen- würde in Art. 1 ist und dass unser Staat ein Grund- (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE rechtsstaat ist, als solcher konzipiert wurde und als LINKE]: Mein Gott, wenigstens zuhören! – solcher sich auch weiter fortentwickelt hat. Weiterer Zuruf von der LINKEN: Wo haben Sie das denn gelesen?) Meine Damen und Herren, wenn ich mir hier aber an- hören muss, dass wiederholt von Ihnen, Frau Piltz, aus- – lassen Sie mich doch ausreden; dann verstehen Sie es geführt wird, der Staat greife in Grundrechte ein, wenn auch – und Grundrechte seien in erster Linie Abwehr- das Ganze dargestellt wird, als sei das eine Bösartigkeit rechte gegen staatliches Handeln. Ich sage dazu: Ja, in per se, dann kann ich Ihnen nur antworten: Ja, natürlich. erster Linie, aber nicht nur. 26120 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Dr. Carl-Christian Dressel (A) (Dr. Max Stadler [FDP]: Das ist eine klassi- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Es lohnt sich (C) sche Grundrechtedebatte!) immer!) Grundrechte bilden insgesamt – das ist die ständige Bilden Sie sich weiter! Es lohnt sich, dieses Buch zu le- Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – eine sen. Ich merke, Sie haben es nötig. Der Grundsatz der objektive Wertordnung, die auch Schutzpflichten bein- praktischen Konkordanz ist von Konrad Hesse entwi- haltet. Die Sicherheit für die Bürger ist uns ein wichtiges ckelt worden und später vom Bundesverfassungsgericht Anliegen. Nach Maslow kommt das Bedürfnis nach Si- übernommen worden. Dafür können wir dankbar sein. cherheit bereits an zweiter Stelle nach den physiologi- Wenn hier behauptet wird, Grundrechte würden durch schen Bedürfnissen. Darüber müssen wir uns im Klaren die öffentliche Gewalt in Deutschland verkommen – das sein. Wir sind verpflichtet, für die Sicherheit der Bürge- haben Sie wörtlich gesagt, Kollegin Pau – und es han- rinnen und Bürger unseres Landes zu sorgen, auch von dele sich um Anschläge per Gesetz, halte ich das für eine Verfassungs wegen, und zwar nicht nur dadurch, dass Unverschämtheit diesem Hohen Hause gegenüber, die wir als Gesetzgeber tätig werden und als „Nachtwächter- man gar nicht deutlich genug zurückweisen kann. staat“ Abwehrrechte anerkennen, sondern auch, indem wir dafür sorgen, dass die Sicherheit nicht nur für denje- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) nigen gilt, der sich die Kosten für eine private Sicher- In den letzten 60 Jahren haben die Grundrechte im öf- heitstruppe leisten kann. Frei nach Goethe: Und das hei- fentlichen Bewusstsein eine deutliche Aufwertung erfah- lige Menschenrecht gilt dem Herren wie dem Knecht. – ren. Sie haben eine positive Rolle gespielt. Nicht um- Das sollte sich auch die FDP merken. sonst ist die klare Mehrheit der Deutschen stolz auf das Dass die FDP mit dem Charakter als Rechtsstaatspar- Grundgesetz und hat die Grundrechte gerne verinner- tei im Gegensatz zu ihrer öffentlichen Darstellung seit licht; denn diese Garanten der Freiheit werden als solche längerer Zeit hadert, zeigte schon ihr Verhalten beim verstanden. Zur Freiheit gehört auch, dass der Staat je- Thema großer Lauschangriff mit Regierungsbe- dem Sicherheit gewährleistet, und zwar in guter Zusam- teiligung auf Bundesebene. Frau Leutheusser- menarbeit. Schnarrenberger ist damals zurückgetreten, aber viele Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. von Ihnen haben es mitgetragen. Das Bundesverfas- sungsgericht hat dazu eindeutig entschieden. Haben Sie (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) daraus gelernt? Nach dem, was Sie auf Länderebene ma- chen, muss ich sagen: Nein, das haben Sie nicht. Präsident Dr. Norbert Lammert: Der Kollege Jerzy Montag ist der nächste Redner für (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (B) Dr. Max Stadler [FDP]: Er weiß nicht, wovon (D) er spricht! – Gegenruf des Abg. Christoph Strässer [SPD]: Doch, doch! Genau!) Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! – Ich weiß, wovon Sie sprechen. Ich kann handwerklich Frau Kollegin Piltz, zu dem hohen Ross, von dem herab gut arbeiten. Das sollten auch Sie endlich tun. Sie hier gesprochen haben, hat der Kollege Dressel schon etwas gesagt. Dem schließe ich mich an. Sie, Herr (Dr. Max Stadler [FDP]: Sie reden hier von ei- Kollege Dr. Gehb, haben hier zum wiederholten Mal er- nem Polizeigesetz, das es gar nicht gibt!) klärt, bisher habe das Bundesverfassungsgericht keine Herr Stadler, ich habe Ihnen schon in einem anderen Gelegenheit gehabt, eines Ihrer Sicherheitsgesetze zu Zusammenhang empfohlen, sich die einschlägige Litera- beanstanden. Das steht aber kurz bevor. Das Bundesver- tur vorzunehmen. fassungsgericht hat bereits das Gesetz zur Vorratsdaten- speicherung mit einer einstweiligen Anordnung teil- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- weise ausgesetzt. NEN]: Arroganz!) (Beifall des Abg. Dr. Max Stadler [FDP] – Sie schreiben zum Beispiel, dass der Grundsatz der Joachim Stünker [SPD]: Die ganze Wahrheit, praktischen Konkordanz vom Bundesverfassungsge- Jerzy!) richt entwickelt worden sei. Dabei hat das Bundesverfas- Das ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass Ihnen in sungsgericht den Grundsatz nur übernommen, entwi- Zukunft das gleiche Schicksal blühen wird. ckelt hat ihn aber der große deutsche Staatsrechtslehrer Konrad Hesse. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN – Dr. Jürgen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Gehb [CDU/CSU]: Es ist ein großer Unter- Dr. Max Stadler [FDP]: Er war zugleich Ver- schied, ob man glaubt, dass es kommt, oder ob fassungsrichter! Das habe ich schon gelesen, es kommt!) als Sie noch gar nicht studiert haben!) Als ich zur Vorbereitung auf die heutige Debatte die Ich empfehle Ihnen als Lektüre sein großes Werk Grund- Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der züge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutsch- FDP zur Hand genommen habe, war ich eigentlich voller land. Es ist leider nicht als Neuauflage erhältlich. Erwartung auf eine differenzierte, sachlich fundierte Konrad Hesse ist leider vor einiger Zeit verstorben. Auseinandersetzung mit einem der wichtigsten politi- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26121

Jerzy Montag (A) schen Generalthemen. In welchem Zustand sind die in welche Grundrechte eingegriffen ... (bitte jeweils (C) Grundlagen des Zusammenlebens in einem rechtsstaatli- einzeln auf die Grundrechte bezogen)? chen Gemeinwesen, wie es unser Land zweifelsohne ist? Werden sie genügend geachtet? Welchen Stellenwert ha- (Joachim Stünker [SPD]: Wer hat denn das ge- ben heute und im realen Leben die Individualrechte der schrieben? – Gegenruf des Abg. Dr. Carl- Menschen gegenüber den staatlichen Instanzen sowie in Christian Dressel [SPD]: Die FDP!) der Wirtschaft und der Gesellschaft? Welche Verände- Diese Frage zu stellen, heißt natürlich, die Antwort zu rungen, Bedrohungen und Gefahren erfordern Korrektu- provozieren. Die Bundesregierung schreibt, nahezu alle ren, Klarstellungen oder Weiterentwicklungen? Gibt es Gesetze enthalten Eingriffe in Grundrechte. Das sei in Fälle von Verletzungen der Grundrechte, und wie reagie- einem Rechtsstaat geradezu ihre Funktion. ren wir, der Bundestag, darauf? Je mehr ich in den Text der Antwort der Bundesregierung einstieg, desto ernüch- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE terter war ich. Bei den Antworten der Bundesregierung GRÜNEN]: Vorgesehen im Grundgesetz!) fallen mir drei Kategorien auf. Viele Fragen werden Jetzt kann man gern darüber streiten, ob dem so ist, aber schlicht nicht oder nur mit nichtssagenden Floskeln be- es handelt sich um eine inhaltsleere Frage und deswegen antwortet. Viele Fragen werden ausschließlich über Sei- auch um eine inhaltsleere Antwort. ten hinweg dadurch beantwortet, dass allseits bekannte Passagen aus grundlegenden Urteilen des Bundesverfas- (Daniela Raab [CDU/CSU]: Das ist ganz ein- sungsgerichts wörtlich wiedergegeben werden. All das fach!) kann man in jedem Grundrechtskommentar nachlesen. Zu einem anderen Problem bei Ihren Fragen, liebe Es wirkt im politischen Diskurs wie eine Verweigerung Kolleginnen und Kollegen von der FDP. der Debatte, wenn sich die Bundesregierung eigener Be- wertungen und Präzisierungen enthält und lediglich (Dr. Max Stadler [FDP]: Nehmen Sie Fra- – um auf sicherem Boden zu bleiben – das Bundesver- ge 96! – Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Er hat fassungsgericht für sich sprechen lässt. eine Frage gefunden, die gut sein soll!) Bei der Beantwortung einiger weniger Fragen wurde – Unter den 170? – Es ist schon erstaunlich, wie Sie es die Bundesregierung erstaunlich deutlich. Aber uns schaffen, in einer solchen Großen Anfrage auch zu er- Grüne können diese Antworten nicht befriedigen. Ich kennen zu geben, wie Sie Ihre Klientel bedienen. Ich komme auf einige dieser Punkte noch zu sprechen. Ge- fand es zum Beispiel seltsam, dass Sie betreffend den nerell aber sind die Antworten von der selbstgefälligen Art. 2 Grundgesetz Grundhaltung getragen, als ob es bei der Achtung der (Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Unterneh- (B) Grundrechte in unserem Staat, in unserem Gemeinwesen (D) merische Freiheit!) überhaupt keinen Anlass zur Kritik gebe. Bei aller Ab- lehnung pauschaler Diffamierungen unseres demokrati- hinsichtlich der informationellen Selbstbestimmung, bei schen Rechtsstaates: Es gibt doch wahrhaft Grund ge- der man wirklich viel Konkretes zu fragen hätte, fol- nug, sich in Einzelfällen auch kritisch mit der Frage der gende Frage stellten: Achtung der Grundrechte der Menschen zu beschäfti- gen. Welche Maßnahmen zur Stärkung und Bewahrung des Bankgeheimnisses in Deutschland plant die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bundesregierung? Die Enttäuschung, die sich bei mir eingestellt hat, re- (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sultiert aber – ich muss das in Richtung der FDP sagen – NEN und bei der SPD) auch aus der Art Ihrer Fragen. Wer so unkonkret fragt Die Antwort der Bundesregierung ist frappant und und mit drei Zeilen die Entwicklung der Grundrechte in richtig: Es gibt in Deutschland überhaupt kein Bankge- Jahrzehnten in der größtmöglichen Allgemeinheit, die heimnis gegenüber dem Staat. überhaupt nur denkbar ist, erfragen will, der wird keine inhaltsreichen Antworten bekommen. Ich will einige (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wenige Beispiele aufzeigen. Sie fragen zum Beispiel in und bei der SPD) Frage 3: Ganz im Gegenteil sagt die Bundesregierung völlig rich- Wo liegen aus Sicht der Bundesregierung heute aus tig, die Auskunftspflichten der Banken gegenüber dem welchen Gründen und aufgrund welcher Entwick- Staat, die in diversen Gesetzen geregelt seien, seien ge- lungen welche Gefahren für die Grundrechte? radezu eine Verpflichtung aus Art. 3 Grundgesetz, näm- lich aus der Steuergerechtigkeit heraus. Allgemeiner geht es gar nicht. Die Bundesregierung sagt schlicht und einfach, konkrete Gefahren für die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Grundrechte bestehen nicht. Die Frage und die Antwort und bei der SPD sowie der Abg. Daniela Raab hätten Sie sich sparen können. Oder nehmen wir zum [CDU/CSU] – Dr. Carl-Christian Dressel Beispiel die Frage 18: [SPD]: Das wusste die FDP noch nicht, Herr Kollege!) Durch welche Gesetze wurde... Da haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der – seit 2005 – FDP, etwas gelernt. 26122 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Jerzy Montag (A) Ich kürze ab: Betreffend Art. 3 Grundgesetz – Gleich- tung der Grundrechte gibt. Es gibt viele Bürgerrechtsor- (C) heit der Menschen vor dem Gesetz – beginnen Sie mit ganisationen, die sich mit diesem Thema kritisch be- welchem Thema? Ich hätte wetten können: mit dem all- schäftigen. Ich will sie hier nicht alle namentlich gemeinen Gleichstellungsgesetz. Dass Ihnen das Anti- aufführen, aber ich will Ihnen raten: Nehmen Sie nur diskriminierungsgesetz, obwohl Sie eine Bürgerrechts- einmal den Grundrechte-Report zur Hand, partei sein wollen, nicht schmeckt, ist mir klar. Die Antworten der Bundesregierung waren knapp und klar: (Dr. Max Stadler [FDP]: Wir sind der Autor!) Es gibt keinen Aufruhr in der Wirtschaft, es gibt kein der jedes Jahr erscheint. In diesem Grundrechte-Report Chaos bei den Gerichten, das Antidiskriminierungsge- können Sie viel über die Achtung der Grundrechte und setz hat sich bewährt. ihren Zustand nachlesen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Dr. Max Stadler [FDP]: Nein, wir schreiben und bei der SPD sowie der Abg. Daniela Raab ihn!) [CDU/CSU]) meiner Meinung nach mehr, als in der Antwort der Bun- Neues Grundrecht auf Datenschutz und das Compu- desregierung auf Ihre Anfrage zu finden ist. tergrundrecht: In Frage 46 wird gefragt, ob das Grund- recht auf informationelle Selbstbestimmung als eigen- Danke schön. ständiges Grundrecht in den Grundrechtskatalog des (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Grundgesetzes aufgenommen werden soll. Jetzt komme sowie des Abg. Joachim Stünker [SPD]) ich zu meiner Kritik an der Bundesregierung.

(Dr. Max Stadler [FDP]: Na endlich! Es wurde Vizepräsidentin : aber auch Zeit!) Nächster Redner ist der Kollege Siegfried Kauder für Sie beantwortet sowohl diese Frage als auch die Frage die CDU/CSU-Fraktion. nach dem Computergrundrecht und argumentiert wie (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) folgt: Bei dem Datenschutzgrundrecht seien der Inhalt, die Grenzen und die Beschränkungen durch das Bundes- verfassungsgericht schon so weit geklärt, dass es einer Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/ Aufnahme in das Grundgesetz nicht bedürfe. CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gen! Wir diskutieren über das höchstrangige Recht, das NEN]: Lächerlich!) die Bundesrepublik Deutschland kennt. Ich wäre froh (B) (D) In Bezug auf das Computergrundrecht sagt die Bundes- gewesen, wenn das mit der entsprechenden Würde mög- regierung, der Inhalt, die Grenzen und die möglichen lich gewesen wäre. Frau Vizepräsidentin Pau, Sie haben Beschränkungen seien durch die Rechtsprechung des das nicht geschafft. Bundesverfassungsgerichts noch nicht geklärt, weswe- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- gen sich eine Aufnahme ins Grundgesetz nicht emp- neten der SPD – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/ fehle. DIE GRÜNEN]: Es waren auch Ihre Ein- So viel Inhaltsleere und tautologische Begründung würfe!) wie in diesem Punkt habe ich selten gehört. Frau Kollegin Piltz, für Sie gilt nichts anderes. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die passen zusammen!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Gisela Piltz [FDP]: Es ist wie in der Ganz im Gegenteil: Die Aufnahme des Grundrechts auf Schule: Wir bekommen Noten! – Dr. Carl- Datenschutz, die Aufnahme des Grundrechts auf Infor- Christian Dressel [SPD]: Wo er recht hat, hat mation, die Aufnahme des Computergrundrechts und er recht!) auch die Aufnahme der Erklärung des Bundesverfas- sungsgerichts, dass es einen Kernbereich privater Le- Man kann leicht über Freiheitsrechte räsonieren, wenn bensgestaltung gibt, der unantastbar ist, ist notwendig, man keine konkreten Fälle zu entscheiden hat. sie gehören in das Grundgesetz. (Zuruf von der LINKEN: Oberlehrer!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Uns von der Union geht es nicht um die Frage Frei- Daniela Raab [CDU/CSU]: Nein!) heit oder innere Sicherheit?, sondern Freiheit in Sicher- Das haben wir Grünen längst vorgetragen und konkrete heit. Vorschläge unterbreitet. (Beifall bei der CDU/CSU) (Christoph Strässer [SPD]: Das ist beim gro- Jetzt kann man lange darüber streiten, ob Isensee recht ßen Lauschangriff präzisiert worden!) hatte, der schon 1983 das Grundrecht auf innere Sicher- Ich komme zum Schluss. Mir ist aufgefallen, dass we- heit kreierte, oder ob man sich dem Präsidenten des Bun- der in der Fragestellung noch in der Antwort eine Bezug- desverfassungsgerichts, Herrn Papier, anschließt. Ich nahme oder ein Zitat dazu vorgetragen wird, dass es empfehle den Kritikern, hierzu in der Deutschen Rich- auch in der Zivilgesellschaft eine Debatte über die Ach- terzeitung 2009, Seite 130, nachzulesen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26123

Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (A) Der Staat hat eine Schutzpflicht gegenüber den Bür- (Dr. Max Stadler [FDP]: Das ist der Punkt!) (C) gern. Damit ergeben sich Abgrenzungsprobleme bei den Freiheitsrechten gegenüber der inneren Sicherheit, die Der Staat muss Sicherheit gewährleisten, weil er das Ge- der Staat zu gewährleisten hat. Innere Sicherheit ist ein waltmonopol hat. Die Bürger müssen sich darauf verlas- hohes Gut, wie man sehr schnell an Einzelfällen fest- sen können, dass der Staat mit diesen Rechten angemes- stellt. sen umgeht. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) GRÜNEN]: Aber kein Grundrecht!) Wir Juristen wissen, dass die Eingriffe des Staates in Es gibt eben nicht nur das Freiheitsrecht eines Täters. Es Grundrechte maßvoll ausgestaltet sind. Da gibt es den gibt auch die Menschenwürde eines möglichen Opfers. Richtervorbehalt. Es ist nicht so, dass die Polizei aus eigener Machtvollkommenheit eine Telefonüberwa- Der stärkste Eingriff, den der Staat sich vorstellen chung oder eine Vorratsdatenspeicherung verordnen kann, ist der in das Leben. Schauen Sie einmal in den kann. Landespolizeigesetzen nach: Gibt es dort nicht den fina- len Rettungsschuss? Der Staat entscheidet darüber, ob (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ein Mensch lebt oder ob er zu Tode kommt. Das ist eine NEN]: Aber Internet!) Abgrenzungsfrage, die sich nach dem Paragrafen über die Nothilfe entscheidet. Der Gesetzgeber hat aus gutem Es muss ein hoher Tatverdacht vorliegen. Das alles wird Grund gesagt: Da geht die Menschenwürde des ver- vom Gesetzgeber entsprechend ausformuliert und von meintlichen Opfers, dem der Staat zu helfen hat, vor. den Ermittlungsbehörden angemessen kontrolliert. Wir sollten hier nicht den Eindruck vermitteln, dass es Bun- Nehmen Sie sich einmal die Entscheidung des Bun- destagsabgeordnete gibt, die die Freiheitsrechte wahren, desverfassungsgerichts im 49. Band, Seite 202 ff., vor. und andere Abgeordnete, die aus Jux und Tollerei in Schleyer wurde entführt. Die Terroristen verlangten vom diese eingreifen. Staat, dass für die Freilassung dieses Menschen elf Top- terroristen aus dem Gefängnis entlassen werden sollten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Entscheiden Sie bitte einmal diese Frage. Da müssen Sie Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das ist der un- Menschenleben gegen Menschenleben abwägen; eine glaubliche Vorwurf! – Jerzy Montag [BÜND- andere Möglichkeit haben Sie nicht. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Unterschiede gibt es doch!) Das Bundesverfassungsgericht hat klug entschieden und erklärt: Der Staat hat eine Fürsorgepflicht für das – Herr Kollege Montag, auch der Gesetzgeber ist an das (B) Opfer. Aber es bleibt doch ein Spielraum, um im Einzel- Grundgesetz gebunden. Deswegen sollte man nieman- (D) fall anders zu entscheiden. Deswegen – das ist aus Sicht den in die Ecke stellen und sagen, er halte sich nicht an der Hinterbliebenen, der Familie Schleyer, außerordent- diese grundgesetzliche Vorgabe. Natürlich stehen alle lich schmerzhaft – hat der Staat die beantragte einstwei- Gesetze unter dem Vorbehalt einer Entscheidung des lige Anordnung, auf die Forderungen der Terroristen Bundesverfassungsgerichts. Aber es soll sich bitte nie- einzugehen, abgelehnt. mand etwas vormachen: Wir sind der Gesetzgeber und Sie sehen also: Die Frage der Abgrenzung ist weit kein Gericht und können nicht über die eigenen Gesetze schwieriger, als Sie sich das vorstellen. Man könnte die entscheiden. Es wird immer wieder vorkommen, dass Beispiele endlos fortsetzen. ein Jurist – dazu zählen auch Verfassungsrichter – eine andere rechtliche Auffassung vertritt als der Gesetzge- Es ist nicht so, dass Freiheitsrechte uneingeschränkt ber. gelten, dass Grundrechte absolut sind. Es gibt einen Ge- setzesvorbehalt, nach dem Eingriffe in Grundrechte ( [DIE LINKE]: Ziemlich häufig in denkbar sind. Wer innere Sicherheit will, muss nun ein- letzter Zeit!) mal Eingriffe in Freiheitsrechte zulassen. Der Staat tut Dieser Diskussion müssen wir uns stellen, aber in einer das nicht aus eigenen Zwecken, sondern um die Bürger würdevollen, angemessenen Art und Weise, die nicht nur und die Bürgerinnen zu schützen. Als das Grundgesetz das Grundrecht der Freiheit mit einem Tunnelblick be- verabschiedet wurde, gab es noch keinen Computer. Als trachtet, sondern das Problem praktische Konkordanz das Grundgesetz verabschiedet wurde, gab es noch kei- einbezieht. Da lässt sich manches lösen. Grundgesetz be- nen Terrorismus. deutet auch, dass Grundrechte im Spannungsverhältnis (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zueinander stehen. Da hat nicht immer nur der eine oder NEN]: Doch, den gab es schon!) der andere Recht, sondern wir müssen uns Mühe geben, dass wir der Würde des Grundgesetzes gerecht werden. Das Bundesverfassungsgericht weist zu Recht darauf Dazu lade ich Sie recht herzlich ein. hin, dass dann, wenn sich die Formen der Kriminalität wandeln, der Gesetzgeber und die Ermittlungsbehörden Wir dürfen an die Bevölkerung nicht die Botschaft die Möglichkeit haben müssen, auf diese gewandelten aussenden, dass das Parlament über Grundrechte streitet, Formen der Kriminalität angemessen zu reagieren. Des- sondern dass das Parlament über Grundrechte sachlich wegen wird es nichts daran ändern, dass der Gesetzgeber diskutiert, auch im Einzelfall, wenn es um Gesetze geht, immer wieder an die Grenzen dessen gehen muss, was sachlich bleibt. Darum bitte ich Sie. Aus dem Rechtsaus- die Verfassung hergibt. schuss bin ich das gewohnt. Deswegen sollten wir auch 26124 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (A) bei Schaufensterreden nicht anders handeln als in den (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (C) Ausschüssen. Dazu lade ich Sie ein. der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich nenne Ihnen noch ein Beispiel für das, was ich meine, das bisher nicht im Mittelpunkt der Reden ge- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: standen hat, mir aber unvergesslich bleiben wird. Sie ha- Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Max ben als Große Koalition Einschränkungen beim Ehegat- Stadler das Wort. tennachzug von Ausländern beschlossen. Das ist aufgrund unserer Kritik und der Kritik der anderen Op- (Beifall bei der FDP) positionsfraktionen hier streitig verhandelt worden. Der Vorsitzende des Innenausschusses des Deutschen Bun- Dr. Max Stadler (FDP): destages, der Kollege Edathy, hat im Plenum gesagt, er Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und stimme dem Gesetz zwar zu, aber er sei sicher, dass es Herren! Am 8. März hat Bundesinnenminister Schäuble vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben werde. in einem Interview das Bundesverfassungsgericht kriti- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- siert, weil es sich mit der einstweiligen Anordnung ge- NEN]: Er wünscht es sich! – Jerzy Montag gen die Vorratsdatenspeicherung angeblich zu sehr in [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich! Er die Politik einmische. Wir teilen diese Auffassung ganz hoffe es sogar!) und gar nicht. Ganz im Gegenteil! Wenn der Bundestag Gesetze verabschiedet, die unzulässig in die Grund- – Er hoffe sogar darauf. rechte eingreifen, dann ist es die Pflicht der Karlsruher Das heißt, Teile des Gesetzgebers beschließen hier Richter, sich einzumischen. Und das hat das Bundesver- Gesetze, von denen sie selber der Meinung sind, sie fassungsgericht getan. seien verfassungswidrig. (Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie (Beifall des Abg. Jörg Tauss [fraktionslos]) bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das können wir als Opposition doch nicht unkommen- tiert einfach nur zur Kenntnis nehmen; darauf muss man Herr Gehb, Sie wissen genau: Andere Gesetze, über die hinweisen dürfen. wir hier streitig verhandelt haben, stehen dort noch zur (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das dürfen Sie Prüfung an. Sie können sich nicht darauf berufen, dass doch auch!) (B) alles, was Sie hier gemacht haben, problemlos gewesen (D) sei. – Einen Moment! Ich komme gerade zu Ihnen. – Ich will später das Protokoll lesen, aber wenn ich es richtig im (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das habe ich Ohr habe, haben Sie vorhin gesagt, Herr Gehb, dass wir nicht gesagt! Aber es ist nichts aufgehoben Freien Demokraten, wir Liberalen, mit unserer Kritik da- worden! Sie müssen gut zuhören!) ran, dass der Gesetzgeber Grundrechte nicht genügend Ich komme jetzt zu dem entscheidenden Punkt, den beachtet, Extremisten stark machen würden. Das ist ein Herr Kauder angesprochen hat. Unser Eindruck aus der so ungeheuerlicher Vorwurf, Gesetzgebung der letzten Jahre nicht nur der Großen Ko- (Beifall des Abg. Jörg Tauss [fraktionslos]) alition, sondern auch der rot-grünen Vorgängerregierung ist in der Tat, dass hier das praktiziert wird, was Sie be- dass Sie gut daran täten, sich jetzt und hier zu entschul- schrieben haben, nämlich dass man an die Grenzen der digen, Herr Kollege Gehb; darauf warten wir noch. Verfassung geht. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE (Zuruf von der CDU/CSU: Muss man ja!) GRÜNEN und des Abg. Jörg Tauss [fraktions- Wenn man an die Grenzen der Verfassung geht, läuft los] – Lachen des Abg. Dr. Jürgen Gehb man aber Gefahr, dass man diese Grenzen überschreitet. [CDU/CSU]) (Beifall des Abg. Jörg Tauss [fraktionslos]) Ich komme zum Ende und will einen vielleicht ver- söhnlichen Abschluss finden. – Manchmal kommen Vor- Sie können doch nicht bestreiten, dass das Bundesver- lagen, die im Bundestag gescheitert sind – ich denke fassungsgericht in einer Fülle grundlegender Entschei- etwa an die Vorratsdatenspeicherung; da haben wir ein- dungen der letzten Jahre die Gesetzgebung korrigiert mal einstimmig gesagt: das wollen wir nicht –, über Eu- hat, und zwar – das gebe ich zu – nicht nur des Bundes- ropa zurück, natürlich deshalb, weil die Bundesregie- tags, sondern auch von Landesparlamenten. Das sollte rung sie dort gebilligt hat. Anlass sein, darüber nachzudenken, ob es die richtige ( [SPD]: Nein!) Politik sein kann, bei Eingriffen in die Bürgerrechte im- mer sozusagen den äußersten Spielraum auszunutzen. Deswegen ist es sehr begrüßenswert – das sage ich als Wir meinen, der Bundestag selber, die Parlamente selber überzeugter Europäer –, dass das Bundesverfassungs- müssen eine grundrechtsorientierte Gesetzgebung betrei- gericht in den Randnummern 240 und 241 der Lissabon- ben. Entscheidung sich eine Prüfungskompetenz bezüglich Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26125

Dr. Max Stadler (A) grundrechtseinschränkender Rechtsakte der Europäi- sich hier aufzuspielen – Sie haben dem Kollegen Kauder (C) schen Union vorbehalten hat. und dem Kollegen Dressel das vorgeworfen – als Ober- lehrer in Sachen Bürgerrechte. Das steht Ihnen nicht an, (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Natürlich!) das steht uns nicht an; wir sollten hier in aller Ruhe und mit aller Fairness diskutieren. Das wäre der angemes- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: sene Rahmen für diese Debatte heute gewesen. Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE Dr. Max Stadler (FDP): GRÜNEN]) Ich schließe mit folgendem Ausblick: Das Verfas- sungsgericht hat uns den Hinweis gegeben, für diese Das Thema „Großer Lauschangriff“ ist angespro- wichtige Grundrechtsüberprüfung doch einen eigenen chen worden. Sie können doch nicht sagen: Was das Rechtsweg vorzusehen. Wir schlagen vor, dem jetzt Bundesverfassungsgericht in den letzten acht Jahren ent- gleich im August und im September im Begleitgesetz schieden hat, ist ein Beleg dafür, dass Rot-Grün und dass nachzukommen. die Große Koalition permanent die Verfassung gebro- Vielen Dank. chen haben. Das ist der Eindruck, den Sie hier vermit- teln. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Jörg Tauss [fraktionslos]) Bei aller Kritik an der einen oder anderen Vorlage – auch ich habe nicht alles mitgetragen, was wir in dieser Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Legislaturperiode auf den Weg gebracht haben –: Der Eindruck, dass die rot-grüne Koalition und dass die Nächster Redner ist der Kollege Christoph Strässer Große Koalition Koalitionen der Verfassungsbrecher ge- für die SPD-Fraktion. wesen sind, ist wirklich das Letzte, was man in diesem (Beifall bei der SPD) Lande vermitteln darf. Das geht überhaupt nicht. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Christoph Strässer (SPD): Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Und da soll ich Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! mich entschuldigen!) Bei der Vorbereitung auf die Debatte heute habe ich mir überlegt, muss ich gestehen, auch einige kritische An- Sie, Frau Piltz, und auch Sie, Frau Pau, haben gesagt, merkungen zum Stand der Umsetzung des Grundgeset- anlässlich des 60. Jahrestages des Grundgesetzes seien (B) zes und der Grundrechte in unserer Gesellschaft zu ma- Fensterreden gehalten worden, auch anlässlich des (D) chen. Nach dem Stand der Debatte, wie ich ihn jetzt 60. Jahrestages der Verabschiedung der Allgemeinen Er- sehe, lasse ich das lieber. Ich möchte nicht zu denjenigen klärung der Menschenrechte. Ich habe zahllose Veran- gehören, die ein Bild von dem Zustand dieses Landes staltungen dieser Art miterlebt. Es gab eine großartige vermitteln, das dem entspricht, das die Kollegin Pau offizielle Veranstaltung der evangelischen Kirche ge- oder die Kollegin Piltz hier dargestellt haben. meinsam mit der Frau Justizministerin am Gendarmen- markt. Jeder, der die ernsthaften Debatten zum Beispiel (Daniela Raab [CDU/CSU]: Genau!) im Hinblick auf die Zuwanderung, das Zuwanderungs- Wenn andere von außen auf unser Land schauen und recht und die noch immer nicht erfolgte Rücknahme des diese Debatte hören, Vorbehalts zur Kinderrechtskonvention verfolgt hat, wird Ihnen sagen, dass Sie hier Fensterreden für Ihre po- (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Luxus- litische Partei halten. problem!) verstehen sie nicht, worüber wir in diesem Land reden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Das ist zwar nicht generell verkehrt, aber auf jeden Fall Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Die Guantá- bei diesem Thema. namo-Sprüche und was wir uns so anhören Das finde ich sehr schade, weil die von Ihnen gestellte müssen!) Anfrage aus meiner Sicht wichtig ist; der Kollege Eine zweite Bemerkung. Damit wende ich mich noch Montag hat schon das eine oder andere Manko bei der einmal an die Kollegin Piltz, aber auch an den Kollegen Fragestellung und der Formulierung angesprochen. Dr. Stadler. – Ich bin nun mal – ich bekenne mich aus- drücklich dazu – 13 Jahre Mitglied der FDP gewesen. (Dr. Max Stadler [FDP]: Kleine Münze!) Ich kann Ihnen aus dieser Erfahrung sagen: Jawohl, es Ich teile auch nicht jedes Detail der Antwort der Bundes- hat eine Zeit gegeben, in der die FDP eine Bürgerrechts- regierung. Aber wir hätten die Anfrage zum Anlass neh- partei par excellence war. men sollen, eine ehrliche Bilanz zu ziehen. (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Schon lange nicht Die ehrliche Bilanz ist nicht, dass das Grundgesetz mehr!) und damit die politische und gesellschaftliche Verfas- Eines sollten wir an dieser Stelle bitte nicht tun – ich ver- sung dieses Landes in einem schlechten Zustand sind. suche, das auch ganz ruhig und ganz cool zu machen –: Das ist definitiv nicht der Fall. 26126 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Christoph Strässer (A) (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C) NEN]: Aber auch nicht, dass alles in Ordnung der CDU/CSU und des Abg. Dr. Max Stadler ist!) [FDP]) – Das habe ich auch nicht behauptet. Ich habe überhaupt kein Problem damit, über all das in der Sache zu disku- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: tieren, was streitig ist. Nächster Redner ist der Kollege Jörg Tauss.

Ich will noch etwas zur Vorratsdatenspeicherung Jörg Tauss (fraktionslos): sagen, weil ich den Eindruck habe, dass angesichts der Frau Präsidentin, es hat etwas gedauert: Der Weg vom einstweiligen Anordnung des Bundesverfassungsge- Piratenstühlchen bis zum Rednerpult ist ein bisschen richts diesbezüglich etwas Falsches kolportiert wird. weit. Meine größten Bedenken bezogen sich nicht auf die Zeugnisverweigerungs- und Zeugenschutzrechte. Meine Meine lieben Kolleginnen! Liebe Kollegen! Karls- größte Sorge war, dass die Vorratsdatenspeicherung ein ruhe ist die Residenz des Rechts. Das ist auch die Re- Paradigmenwechsel hin zur verdachtslosen und anlasslo- gion, aus der ich komme. Dort geschehen in letzter Zeit sen Aufnahme von persönlichen Daten ist; das haben Sie merkwürdige Dinge. Die CDU, lieber Herr Kollege schon angesprochen, Herr Stadler. Kauder, hat eine Computerspieleveranstaltung und eine Elterninformation unter Beteiligung der Bundeszentrale (Dr. Max Stadler [FDP]: Stimmt!) für politische Bildung, die dort vorgesehen war, massiv mit öffentlichem Druck verhindert. Sie hat die Stadtver- Aber Sie müssten der Ehrlichkeit halber dazusagen, dass waltung gezwungen, rechtsverbindliche Verträge mit gerade dies vom Bundesverfassungsgericht bislang nicht dem Veranstalter zu brechen. In Karlsdorf-Neuth, auch beanstandet worden ist. in meiner Region, musste eine LAN-Party aufgrund des (Beifall bei der SPD – Dr. Max Stadler [FDP]: Drucks der CDU abgesagt werden. Junge Leute, die ei- Das ist ja noch nicht entschieden! Das kommt nen Verein gegründet haben, sitzen auf Tausenden von noch!) Euro an Schulden. Jugendliche Gamer werden als Killerspieler verun- – Herr Kollege Stadler, ich kenne mich auch ein biss- glimpft. Zu Recht sind bei mir in der Region Hunderte chen in der Bundesverfassungsgerichtsrechtsprechung von Jugendlichen auf die Straße gegangen. Auf Anhieb aus, und wir wissen doch, dass das Bundesverfassungs- hat deren Interessenvertreterin, die Piratenpartei, bei der gericht in aller Regel bei der Linie bleibt, die es im einst- Europawahl in Karlsruhe über 2 Prozent der Stimmen (B) weiligen Anordnungsverfahren festgelegt hat. Da gerade geholt. Das ist ein gutes und ermutigendes Zeichen. (D) der Paradigmenwechsel, den auch ich als gefährlich an- gesehen habe, in der einstweiligen Anordnung nicht be- Am Dienstag wurde auf dem Karlsruher Marktplatz anstandet wurde, spricht – jedenfalls nach meiner Kennt- ein Bundestagskandidat der Grünen unter Androhung nis der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – von Haft von zwei Polizisten gepackt, durchsucht und überhaupt nichts dafür, dass dies im Hauptsacheverfah- des Platzes verwiesen, nur weil er nach der Berechtigung ren aufgehoben wird. einer martialischen und in sich ungerechtfertigten Poli- zeiaktion gegen friedliche junge Leute gefragt hat. Das Ich persönlich bedaure das. Aber verkünden Sie hier ist im Gegensatz zu allen salbungsvollen Reden der Zu- bitte nicht in vorauseilendem Gehorsam, dass das Ver- stand in diesem Land, liebe Kolleginnen und Kollegen, fassungsgericht das Gesetz aufheben wird. dass noch nicht einmal Bundestagskandidaten ohne Be- drohung durch staatliche Gewalt friedlich auf einem (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Platz auftreten können. Unter diesem Gesichtspunkt ist Wir sollten bei der Sache bleiben. Ich bitte darum, die die Videoüberwachung von Plätzen vielleicht ganz an- Diskussion über die Grundrechte und die Verfassungs- ders zu bewerten und insofern als sinnvoll anzusehen, rechte ernsthaft und nach vorne schauend zu führen. Die weil dadurch so etwas festgehalten werden kann. Bundesregierung hat – das ist noch gar nicht angespro- Diese drei kleinen Beispiele aus Karlsruhe zeigen, chen worden – in den letzten fünf Jahren – Rot-Grün hat wie sehr sich die Wirklichkeit von dem salbungsvollen damit begonnen – internationale Vereinbarungen umge- Geschwätz der Union abhebt. Karlsruhe musste in Bür- setzt, zum Beispiel das Zusatzprotokoll zum Anti- gerrechtsfragen mehrfach mehrheitlich gefällte Parla- Folter-Abkommen. Das sollte man einmal lobend er- mentsentscheidungen korrigieren. Karlsruhe, lieber Kol- wähnen; denn das hat keine Regierung vor uns hinbe- lege Gehb, wurde von Minister Schäuble, der ja kommen. eigentlich auch Verfassungsminister sein sollte, dafür auch noch beschimpft. Eine größere Gefahr als von diesem Parlament oder anderen Bewegungen geht von Kommentierungen wie Ich war immer gerne Bundestagsabgeordneter. Als der von Matthias Herdegen aus, der sagt, die Leitlinie deprimierend empfand ich es – der Kollege Stadler hat unserer Verfassung, die Menschenwürde, ist nicht unan- darauf hingewiesen –, dass viele Kolleginnen und Kolle- tastbar, sie ist relativierbar. Solchen Tendenzen sollten gen hier, also nicht nur eine oder einer, gesagt haben: Ich wir gemeinsam entgegentreten. Dann wäre es ein guter stimme dem einen oder anderen Gesetz zu, die Bundes- Tag für die Grundrechte. verfassungsrichter in Karlsruhe werden dieses hoffent- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26127

Jörg Tauss (A) lich wieder korrigieren. – Das stellt in der Tat eine Ge- Deutlichkeit gesagt hat, in Sachen Überwachung müsse (C) fährdung der parlamentarischen Demokratie in diesem man von China lernen. Ich überlege mir, was in diesem Lande dar, weil sich so der Vorwurf: „Was machen die Lande geschehen und was in der Presse losgewesen da eigentlich?“, immer mehr aufdrängt. wäre, wenn von der linken Seite des Hauses irgendje- mand gesagt hätte, wir müssten in der Innenpolitik von Liebe Kolleginnen und Kollegen, derzeit finden unter China lernen. dem Schlagwort, das Internet dürfe kein rechtsfreier Raum sein – diese Formulierung findet sich auch im (Zuruf des Abg. Volker Schneider [Saarbrü- Programm der Union wieder –, massive Anschläge auf cken] [DIE LINKE]) die Bürgerrechte statt. Dieses dumme Geschwätz vom rechtsfreien Raum Internet – – Herr Uhl kann das ungestraft tun. Das ist der eigentliche Skandal, gerade in einer Situation, in der wir über Grundrechte diskutieren. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Lieber Kollege, darf ich Sie unterbrechen? Der Kol- Es findet sich erfreulicherweise eine immer größere lege Kauder würde gerne eine Zwischenfrage stellen. Zahl von Menschen, auch aus dem konservativen Be- reich, denen die Entwicklung des Rechtsstaates und der Jörg Tauss (fraktionslos): Umgang mit den Grundrechten in Deutschland Sorge be- Aber bitte schön, lieber Kollege Kauder. reitet. Kollege Strässer, wir marschieren entgegen Ihrer Auffassung in Rankings, in denen es um die Beschnei- Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/ dung der Pressefreiheit geht, immer schneller in die CSU): Nähe von Staaten, mit denen wir nicht verglichen wer- den wollen. Es gibt bei uns das Monstrum der Vorratsda- Herr Kollege Tauss, Sie haben gerade behauptet, es tenspeicherung, den Biometriewahn, die Onlinedurch- gäbe Kollegen und Kolleginnen, die wider besseres Wis- suchung. Erst wurde die Strafprozessordnung geändert sen Gesetzen zustimmen würden, weil sie davon ausgin- – darüber habe ich viele Auseinandersetzungen mit dem gen, dass das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe das Kollegen Stünker gehabt –, dann die Telekommunika- entsprechende Gesetz aufhebe. Nennen Sie bitte Ross tionsüberwachung eingeführt. Dann wurde umgekehrt und Reiter! vorgegangen: Internetfirmen müssen ohne nennenswerte Entschädigung für den Staat Überwachungsstrukturen Jörg Tauss (fraktionslos): aufbauen. Das sind Dinge, die in Österreich bereits als Lieber Kollege, ein Name ist gefallen. Ich denke aber, verfassungswidrig erkannt wurden. es gehört der Fairness halber dazu, dass ich Kolleginnen (B) und Kollegen, die mir dieses in persönlichen Gesprächen Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie soll ich Zehn- (D) gesagt haben, hier nicht in dieser Form oute. tausenden jungen Menschen, die hier eine Petition ein- bringen, erklären, dass sie dies hätten bleiben lassen (Lachen bei der CDU/CSU – Daniela Raab können, weil alte graue Herren mit Kugelschreibern [CDU/CSU]: Ach nee! Die nehmen noch nicht keine Argumente hören wollen? einmal ihre Grundrechte in Anspruch!) (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich bin aber gerne bereit, Ihnen in einem persönlichen Gespräch die Namen zu nennen. Darauf folgt zurzeit eine große Politisierung mit dem (Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] Schlagwort: Fürchtet euch davor, dass wir nicht mehr [CDU/CSU]: Sie sind ein Feigling! Was Sie politikverdrossen sind. – In der Tat: Von der Union, die machen, wird der Würde des Parlaments nicht von Paintball bis hin zu Computerspielen alles verbieten gerecht!) will, was Jugendkultur ausmacht, erwarten sie ohnehin nichts mehr. Es ging insbesondere um die Frage der Vorratsdatenspei- cherung. Viele haben mir gesagt, dass das, was hier pas- Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist allerdings bit- siert, zu weit geht, lieber Kollege Kauder. ter: Wenn man auf Google das Stichwort „Verräterpar- tei“ eingibt – das tut mir nach 38 Jahren immer noch (Siegfried Kauder [Villingen-Schwenningen] weh –, dann erscheint als Suchergebnis „SPD“. [CDU/CSU]: Kollege Tauss, ich finde es be- schämend, was Sie machen!) Die Demonstranten in Berlin haben gerufen: Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Freiheit klaut! – Das Derzeit findet, wie gesagt, von deutschen Christ- ist zwar nicht gerade originell, aber treffend. Dies spie- demokraten und chinesischen Zensoren, vom russischen gelt die Stimmung in weiten Teilen der jungen Genera- Putin und von iranischen Mullahs in froher Eintracht tion wider, und aus diesem Grunde danke ich der FDP eine Debatte über das Internet statt. Allen ist aus unter- für diese Debatte. Eine Frage müssen Sie uns aber bitte schiedlichen Gründen – das billige ich ihnen zu – eines beantworten, Frau Piltz, Kollege Stadler und alle ande- gemein: Ihnen ist freie Kommunikation und Netzneu- ren, und zwar vor der Bundestagswahl, weil Sie und tralität ein Dorn im Auge. Das gefährdet in der Tat auch auch viele Grüne liebend gerne mit der CDU ins Regie- in Deutschland Freiheitsrechte, lieber Kollege Kauder. rungsbett wollen: Es ist überhaupt kein Zufall, dass der innenpolitische Sprecher Ihrer Fraktion – ich nenne hier einen Namen, (Gisela Piltz [FDP]: Nein, ich will mit keinem weil er es öffentlich getan hat –, der Kollege Uhl, in aller ins Bett! Das ist falsch!) 26128 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Jörg Tauss (A) Wie halten Sie es mit dem Wahlprogramm der CDU, abwägen. Denn wir haben es immer mit einem Bedürfnis (C) diesem Programm der Bevormundung, diesem Pro- zu tun, das einem anderen gegenübersteht. gramm des Ganges in den Überwachungsstaat? – Diese Frage müssen Sie nicht nur uns Piraten, sondern allen (Zuruf der Abg. Gisela Piltz [FDP]) Bürgerinnen und Bürgern im Land beantworten. – Liebe Frau Piltz, das versuchen wir doch täglich, und (Gisela Piltz [FDP]: Wie haben Sie das denn in ich lasse mir von Ihnen jetzt weder dazwischenreden den letzten drei Jahren ausgehalten, Herr noch permanenten Verfassungsbruch unterstellen. Mer- Tauss?) ken Sie eigentlich nicht, wie lächerlich das ist, was Sie hier aufführen? Recht herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Wenn ich hier von veränderten Gegebenheiten spre- che, dann meine ich zum Beispiel, dass wir jetzt mit ei- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: nem Terrorismus – Terrorismus gab es schon immer – Nächste Rednerin ist die Kollegin Daniela Raab für von ganz anderer Qualität zu kämpfen haben. Sie sagen, die CDU/CSU-Fraktion. dass es kein Grundrecht auf Sicherheit gebe. Das mag (Beifall bei der CDU/CSU) zwar formell richtig sein, aber materiell gibt es zumin- dest ein Grundbedürfnis auf Sicherheit, und dieses Daniela Raab (CDU/CSU): Grundbedürfnis habe ich gegen die vielfältigsten Frei- Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- heitsrechte in diesem Lande abzuwägen. Ich glaube, dass legen! Herr Tauss, jeder blamiert sich selbst so gut er wir es in dieser Großen Koalition durchaus vernünftig kann. Sie haben heute die volle Punktzahl erreicht. Herz- geschafft haben, diese Abwägung vorzunehmen. lichen Glückwunsch. Man ist nicht immer mit allem hundertprozentig und (Beifall bei der CDU/CSU) sofort zufrieden. Und es gibt Dinge, die wir als Union durchaus anders gemacht hätten, und diese Dinge hätte Mehr möchte ich zu Ihrer Rede auch gar nicht sagen. vielleicht auch unser Koalitionspartner ohne uns anders Denn das würde diese nur unnatürlich aufwerten. gemacht. Das liegt einfach in der Natur der Sache. Es ist schon viel über die Qualität der Fragen und Aber ich muss natürlich auch sagen – an dieser Stelle auch über die Qualität der Antworten gesagt worden. bin ich wieder beim Kollegen Kauder –: Man kann nicht Dazu sage ich: Eines bedingt das andere. Jeder kann für innere und äußere Sicherheit in Sonntagsreden fordern, sich selbst entscheiden, ob er es gut findet oder nicht. Ich ohne sich dafür im Rahmen von Gesetzgebungsverfah- bin dem Kollegen Strässer an der Stelle sehr dankbar für ren einzusetzen. Da nützt das ständige Schielen auf die (B) seine Rede. Freiheitsrechte nichts. Es muss vielmehr abgewogen (D) Frau Piltz fing an, und dann schaukelte sich die De- werden. Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, dann wür- batte über ein Thema, bei dem ich davon ausgehe, dass den unsere Strafverfolgungsbehörden, mit denen Sie wir es alle sehr ernst nehmen und mit dem wir auch sehr hoffentlich auch ab und an einmal sprechen, immer nur sensibel umgehen wollen, förmlich hoch. Ich hatte fast im VW-Käfer Verbrecher, die in einem Porsche flüchten, den Eindruck, dass ich in einem ganz anderen Staat als verfolgen und sich mithilfe eines unhandlichen Walkie- der eine oder andere Kollege hier lebe. Talkies mit der Zentrale verständigen, während die Täter technisch aufgerüstet haben. So läuft es bei Ihnen doch. (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Stimmt, Bayern ist schon anders!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Max Stadler [FDP]: Mein Gott! Wir haben Ab und an führen wir hier Phantomdiskussionen. Da- in Bayern 1 000 neue Polizistenstellen ge- vor möchte ich nur warnen, und hier kann ich mich dem schaffen!) Kollegen Strässer nur anschließen: Lassen Sie uns ernst- haft, seriös und sensibel mit dem Thema Wahrung der Wir werden auch mit Ihnen in Bayern noch den einen Grundrechte umgehen. In gleicher Form müssen wir al- oder anderen Strauß auszufechten haben. lerdings auch mit dem Thema umgehen, wie wir die Freiheit geht nicht ohne innere und äußere Sicherheit. Grundrechte als Freiheits- und Abwehrrechte – diese sind sie schließlich – damit in Einklang bringen, dass (Abg. Dr. Max Stadler [FDP] meldet sich zu sich die Zeiten, in denen wir leben, verändern und dass einer Zwischenfrage) wir plötzlich mit neuen Gegebenheiten umzugehen ha- – Ich lasse keine Zwischenfragen zu. – ben. (Dr. Max Stadler [FDP]: Weil Sie wissen, was Ich plädiere nicht dafür, dass wir unser Grundgesetz ich jetzt sagen werde!) sofort aufweichen und anpassen. Ganz im Gegenteil: Ich gehöre eher zu der Fraktion, die davor warnt, einen Ne- Wir müssen das Vertrauen in unsere Polizei, in unsere ckermann-Katalog aus dem Grundgesetz zu machen. Staatsanwaltschaften und in unsere Gerichte haben, dass Vielmehr geht es darum, die Qualität dieses Werkes als sie mit Mitteln der Strafverfolgung, die wir ihnen so- solche zu respektieren. Allerdings sind wir im täglichen wieso nur für die äußerst schweren Fälle zur Verfügung Gesetzgebungsverfahren mit diesem Werk betraut. Ich stellen, vernünftig umgehen. Ich lasse mir daher von Ih- glaube, der Kollege Gehb und auch der Kollege nen nicht permanent vorwerfen, dass durch unsere Maß- Siegfried Kauder haben es gut formuliert: Wir müssen nahmen unser Grundgesetz und damit unser Rechtsstaat Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26129

Daniela Raab (A) untergehen. So viel Vertrauen sollten wir in unsere staat- Ich will Sie darauf aufmerksam machen, dass es un- (C) lichen Institutionen haben. sere ständige Leitlinie ist, zu sagen: Mehr Sicherheit schafft man nicht durch mehr und unnötige Gesetze, Beim Schutz personenbezogener Daten bin ich mit sondern mehr Sicherheit schafft man durch eine bessere Ihnen einig. Der Staat muss aufpassen, dass er nicht personelle, technische und finanzielle Ausstattung der mehr Daten abgreift, als uns guttut. Aber ich sage auch: Sicherheitsbehörden. Die Eigenverantwortung des Einzelnen und des Verbrau- chers darf der Staat nicht aus den Augen verlieren. Denn (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Aber Befug- jeder hat es selbst in der Hand, welche Daten er heraus- nisse müssen die auch haben, Herr Stadler! Sie gibt und welche er nicht herausgibt. Wer den Vorteil von dürfen nicht nur mit Wasserpistolen schießen!) Rabattkarten mitnehmen und die Chancen von Gewinn- – Herr Gehb, bevor Sie sich nicht wegen Ihrer unsägli- spielen nutzen will, der muss sich im Prinzip dafür „ver- chen Äußerung, wir würden mit unserer Kritik, dass in haften“ lassen, wenn er Daten freiwillig preisgibt. Die der Gesetzgebung die Grundrechte nicht genügend ge- Verantwortung für die eigenen Daten kann der Staat nie- achtet werden, Extremismus fördern, entschuldigt ha- mandem abnehmen. Wir können nur dann einschreiten, ben, höre ich Ihnen nicht mehr zu. Das sage ich Ihnen wenn Missbrauch stattfindet. Wir müssen uns allerdings ganz deutlich. fragen, wie viele Daten wir wirklich erheben müssen. In diesem Punkt liegen wir nah beieinander. Aber verges- (Beifall des Abg. Jörg Tauss [fraktionslos]) sen Sie bitte nicht die Eigenverantwortung des Einzelnen Frau Kollegin Raab, ich komme noch einmal zu dem für seine eigenen Daten. entscheidenden Punkt. Sie meinen, wir hätten für innere Lieber Kollege Strässer, Sie haben die UN-Kinder- Sicherheit nichts übrig und die Ausstattung wäre unge- rechtskonvention angesprochen. An meiner Fraktion nügend, wenn die FDP etwas zu sagen hätte. Ich habe Ih- scheitert eine Umsetzung nicht. Es gibt zwar das Lin- nen unseren Grundsatz genannt: Mehr Sicherheit gibt es dauer Abkommen. Aber nicht wenige Länder, in denen durch eine bessere Ausstattung der Sicherheitsbehörden. zum Teil Ihre Parteifreunde und zum Teil meine Partei- Das sagen wir nicht nur, sondern so handeln wir auch. freunde in der Regierung sind, sperren sich. Unsere Wir haben in der bayerischen Koalitionsvereinbarung, beiden Fraktionen und vermutlich alle Fraktionen des die die FDP mit der CSU getroffen hat, durchgesetzt, Bundestages haben mehrfach versucht, hier voranzu- dass der Personalfehlbestand bei der Polizei in Bayern kommen. Von dieser Seite gibt es keinen Widerstand. bald der Vergangenheit angehören wird. Wir arbeiten weiter an einer Umsetzung. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir sind auf keinem schlechten Weg. Wenn wir wei- NEN]: Finanziert das einmal!) (B) terhin sensibel und seriös mit den Grundrechten umge- (D) Wir haben durchgesetzt, dass dort 1 000 neue Planstellen hen, dann ist mir eigentlich nicht bange. Ich bin sicher, für Polizisten geschaffen wurden, weil wir davon über- dass wir nicht nur jetzt den 60. Geburtstag des Grundge- zeugt sind, dass die Sicherheitsbehörden Personal brau- setzes mit Stolz feiern können, sondern auch in Zukunft chen und keine unnötigen und tief in die Bürgerrechte mit Stolz auf das Grundgesetz in seiner jetzigen Form eingreifenden Gesetze. Dies wollte ich Ihnen gesagt ha- blicken können. ben, weil Sie hier den gegenteiligen Eindruck erweckt Herzlichen Dank. haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der FDP – Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Das Ganze finanziert durch Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Steuersenkungen!) Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Dr. Max Stadler. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Frau Kollegin Raab, bitte. Dr. Max Stadler (FDP): Frau Kollegin Raab, nachdem Sie einen unzutreffen- Daniela Raab (CDU/CSU): den Vorwurf gegen die FDP erhoben hatten, haben Sie Lieber Kollege Stadler, ich bin Ihnen für diese Kurz- leider eine Zwischenfrage von mir nicht zugelassen. intervention durchaus dankbar. Ich habe das Beispiel Deswegen muss ich den Weg der Kurzintervention wäh- „VW-Käfer gegen Porsche“ bewusst gewählt. Sie wis- len, um Folgendes klarzustellen: sen, dass wir hier keine Rechtsvorlesung halten, sondern das eine oder andere etwas plastischer rüberbringen wol- Wenn Sie sagen, man müsse bei der Gesetzgebung len. abwägen, und wenn Sie betonen, die Union würde mehr in Richtung Sicherheit und die FDP mehr in Richtung Ich bin Ihnen dankbar für Ihre Klarstellung. Das finde Freiheit gehen, dann kann man darüber vernünftig und ich ganz wundervoll. Ich teile allerdings auch den Zwi- seriös debattieren. Sie haben aber gemeint, uns auch des- schenruf des Kollegen Gehb. Wir sind uns doch einig: wegen kritisieren zu können, weil Sie glauben – so habe Eine gute personelle und materielle Ausstattung der ich Ihre Worte im Ohr –, dass die Ausstattung der Poli- Polizei- und Sicherheitsbehörden ist das A und O. Das zei und der Sicherheitsbehörden nicht konkurrenz- ist sehr wichtig. Anders ist Vertrauen in die Sicherheits- fähig wäre, wenn es nach dem Willen der FDP ginge. So behörden nicht denkbar. Ich erwarte aber auch, dass wir ungefähr haben Sie es formuliert. da, wo es notwendig und im Rahmen unseres Grundge- 26130 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Daniela Raab (A) setzes möglich ist, der Polizei die Möglichkeit geben, – so haben Sie es formuliert – um die Achtung der (C) mit potenziellen Kriminellen auf Augenhöhe zu verhan- Grundrechte in unserem Staat, aber auch in unserer Ge- deln und diese auch zu verfolgen. Ich sage ganz bewusst: sellschaft bestellt ist. Im Rahmen des Grundgesetzes. Freilich wünscht man sich dabei etwas mehr Seriosi- Ich habe vom Porsche, der vorweggaloppiert, und tät als diese Große Anfrage aufweist. 167 Fragen sind vom Käfer, der hinterherfährt, gesprochen, um deutlich zwar eine Masse, aber haben sie auch Klasse? Dahinter zu machen, dass die Polizeien vor Ort manchmal andere setze ich drei Fragezeichen. Voraussetzungen haben. Manche kommen beim techni- schen Fortschritt nicht hinterher, und zwar nicht nur, (Gisela Piltz [FDP]: Mindestens so wie Ihre weil sie technisch nicht ausreichend gut ausgestattet Antworten!) sind, sondern auch, weil sie die Befugnisnorm, um ein- – Frau Piltz, die Antworten sind genauso wie die Fragen. zugreifen, gar nicht haben. Darum geht es mir. Das sage Manche Fragen haben eben keine anderen Antworten ich an in dieser Stelle ganz deutlich. verdient. Wenn wir hier einen kleinen Widerspruch aufgeklärt (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Daniela Raab haben, bin ich froh darüber. Ich denke aber, dass wir uns [CDU/CSU] – Gisela Piltz [FDP]: Nein!) an der einen oder anderen Stelle, insbesondere bei den Befugnisnormen, nicht so ganz einig sind. Wir versu- – Jetzt hören Sie einfach einmal zu. chen aber, eine Einigung zu finden. Mir ging es nicht nur Sie beschwören Gefahren, sogar Bedrohungen herauf, um die sachliche und personelle Ausstattung, sondern die sich nach Ihrer Meinung in den letzten Jahren offen- auch um die Befugnisnormen, die sich selbstverständlich bar verschärft haben. Doch wie hat man sich – so wäre immer im Rahmen des Grundgesetzes zu bewegen ha- zurückzufragen – die Bedrohung eines Grundrechts in ben. unserem Land vorzustellen? Wo ist denn der Zustand Vielen Dank. eingetreten, dass irgendeines unserer Grundrechte seinen Zweck, die Bürgerinnen und Bürger gegen Übergriffe Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: der öffentlichen Gewalt zu schützen, nicht mehr erfüllt? Für die Bundesregierung hat nun das Wort der Parla- Ganz im Gegenteil: Wir erleben täglich, dass die Grund- mentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach. rechte ein enorm starker Faktor unseres gesellschaftli- chen Lebens und Bewusstseins sind. Dabei denke ich zu- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. allererst an unsere eigene Arbeit hier im Deutschen Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]) Bundestag. Der Einwand, diese oder jene geplante Rege- (B) lung sei verfassungswidrig, ist allgegenwärtiger Beglei- (D) Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- ter vieler Gesetzesvorhaben, die wir zu beraten haben. Er desministerin der Justiz: gehört zum Standardrepertoire jeder betroffenen Lobby. Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Natürlich nehmen wir jeden ernst und prüfen alle Vorbe- Kollegen! Ich habe lange nicht mehr als letzter Redner halte genau. geredet. Jetzt kann ich nachvollziehen, welche Bauch- Dass jeder, der sich durch die öffentliche Gewalt in schmerzen der letzte Redner manchmal hat, wenn er auf seinen Grundrechten verletzt sieht, die Möglichkeit zur seinen Einsatz warten muss. Aber ganz davon abgese- Verfassungsbeschwerde hat, ist eine tragende Säule des hen, war es spannend. Grundrechtsschutzes und kein Fehler, wie es oft darge- Als wir die heutige Tagesordnung erstellten, nahmen stellt wird. wir an, dies würde der letzte Sitzungstag dieser (Beifall bei der SPD) 16. Wahlperiode sein. Wir dachten, die FDP hätte prak- tisch in letzter Minute noch einmal zu einer Debatte über Im Jahr 2008 sind beim Bundesverfassungsgericht die Grundrechte aufgerufen. Ich sage: Dass Sie das ge- 6 245 Verfassungsbeschwerden eingereicht worden, al- macht haben, das war gut so. lerdings in der Regel gegen behördliche oder gerichtli- che Einzelentscheidungen. 111 davon waren erfolgreich; (Beifall des Abg. Dr. Max Stadler [FDP]) das ist keine sehr große Zahl. So gesehen: Haben die – Das ist schön, nicht? Der Pfeffer kommt noch. Nur ru- Kassandrarufe der FDP, Grundrechte in Deutschland hig Blut! seien gefährdet oder gar bedroht, nicht etwas Irreales oder von mir aus auch Virtuelles? Das Grundgesetz ist der große Wurf der deutschen Verfassungsgeschichte, Manch einer meint, eine Gefährdung oder Bedrohung der Grundrechte daraus ableiten zu können, dass das (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Bundesverfassungsgericht in der Tat gesetzliche Rege- und dies vor allem wegen der Grundrechte. Sie sind das lungen für grundrechtswidrig erklärt. Aber wie oft ge- A und O unserer freiheitlich-demokratischen Gesell- schieht das wirklich? Im Jahr 2008 waren es 14 Vor- schaft. Sie sind der Anfang unserer Verfassung. Die Ein- schriften, sieben aus dem Bundesrecht und sieben aus haltung der Grundrechte ist aber auch das Ziel, das wir dem Landesrecht. Sicherlich ist jedes Mal, wenn sich bei jedem unserer Gesetze zu bedenken und zu erreichen eine Vorschrift als verfassungswidrig erweist, ein Mal zu haben. Von daher lohnt es sich durchaus, am Ende dieser viel; aber sieben einzelne Gesetzesvorschriften sind an- Wahlperiode innezuhalten und Bilanz zu ziehen, wie es gesichts der Vielzahl der im Bundesgesetzblatt verzeich- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26131

Parl. Staatssekretär Alfred Hartenbach (A) neten Gesetze eine geringe Fehlerquote; sie liegt unter- Empfehlungen der Fraktionen oder Ausschüsse und (C) halb von 0,1 Promille. ohne Regierungseinfluss konnten wir am 18. Juni dieses Jahres unsere persönliche Wahl zwischen mehreren vor- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE geschlagenen Regelungsmodellen treffen. Wenn das GRÜNEN]: Das ist gar keine Frage, Herr Kol- nicht eine Sternstunde des Parlaments und eine Bestäti- lege!) gung der verfassungsmäßigen Ordnung in diesem Parla- Ich möchte das nicht bagatellisieren; aber ich möchte ment war, dann weiß ich nicht, was sonst. dieses Verhältnis auf jeden Fall einmal deutlich machen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) der CDU/CSU) Mit berechtigter Sorge wurden in der Großen Anfrage Ein anderer untauglicher Versuch, eine Gefährdung auch Probleme angesprochen: der Datenschutz, das oder gar Bedrohung der Grundrechte zu suggerieren, be- Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, im steht darin, zählen zu wollen, wann welche Gesetze in nichtöffentlichen Bereich durchzusetzen, die Überwa- welche Grundrechte eingegriffen haben. Soweit auch chung von Beschäftigten, Adresshandel, Scoring und dies Gegenstand der Großen Anfrage war, hätten nahezu Datenschutzaudit. All diese Themen haben die Gesetz- alle Gesetze angeführt werden müssen, die wir hier bera- gebung in der jetzt zu Ende gehenden Wahlperiode be- ten und verabschiedet haben. Die große Zahl wäre aber schäftigt. Ich denke, wir werden heute Nachmittag ein Beleg für die Achtung der Grundrechte und nicht für Gesetz auf den Weg bringen, das zumindest aus meiner eine Gering- oder Missachtung gewesen. Denn die Sicht ein vernünftiges Gesetz ist. Funktion eines Gesetzes besteht gerade darin, allein die gewählte Volksvertretung – ich bedauere, dass Peter Beachtliches haben wir alle – ich betone ausdrück- Danckert nicht anwesend ist; er legt immer großen Wert lich: wir alle –, wie ich finde, auch bei der Förderung darauf – entscheiden zu lassen, ob, wo und wie der Staat von Kindern und Familien geleistet. Die Große An- in Grundrechte eingreifen darf. frage macht es zum Problem des Art. 6 Grundgesetz, Ich erinnere die FDP gerne – Herr Dressel hat es dass es noch immer zu wenige Kinderbetreuungsplätze schon einmal getan – an ihren Part beim großen gebe. Das wird sich ändern. Mit dem Kinderbetreuungs- Lauschangriff in der 13. Legislaturperiode. Ich bitte, finanzierungsgesetz vom Dezember 2007 und dem Kin- dass Sie, Herr Stadler und Frau Piltz, sich einmal die derförderungsgesetz vom Dezember 2008 wird eine Frage stellen, ob Ihr Einknicken damals nicht der eigent- neue Betreuungsquote von 35 Prozent festgelegt, und liche Sündenfall gewesen ist. gleichzeitig wird damit die Finanzierung dieses Ziels si- (B) chergestellt. Im Übrigen ist die Kinderbetreuung zumin- (D) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Max dest zum Teil auch eine kommunale Aufgabe; das sollten Stadler [FDP]: Wie hat denn die SPD damals wir nicht vergessen. gestimmt? – Gegenruf von der SPD: Unserer auch!) Ich will nicht verhehlen, dass manche Gesetzesvor- haben dieser Wahlperiode auch schwierig waren, ins- – Unserer auch; ich behaupte nichts anderes. Aber Ihrer besondere im Hinblick auf die rechte Ausgewogenheit war es mit Sicherheit. zwischen dem Schutz der Grundrechte und der Notwen- Im Übrigen bemerkt man bei Frage 24 Ihrer Großen digkeit, die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes vor Anfrage eine gewisse Regierungsentfremdung der FDP. Gefahren zu schützen. So haben wir Ende 2007 im schon vielfach angesprochenen Gesetz zur Neuregelung der (Zuruf von der SPD: So soll es auch bleiben!) Telekommunikationsüberwachung die Anbieter von Te- Seit 1949 werden alle Gesetze einer verfassungsrechtli- lekommunikationsdiensten verpflichtet, Verkehrsdaten chen Vorkontrolle unterzogen: einmal durch das Bun- für Strafverfolgungsmaßnahmen zu speichern. Hierge- desministerium der Justiz und ein weiteres Mal durch gen wurden einige Verfassungsbeschwerden eingereicht. das ebenfalls hier vertretene Bundesministerium des In- Das Bundesverfassungsgericht hat in einer einstweiligen nern. Was soll da noch eine sogenannte verpflichtende Verfügung die Auskunft, nicht aber die Speicherung ein- Vorabprüfung? Bringt sie zusätzlich etwas, ohne einen geschränkt. Ich bin, wie auch der Kollege Strässer, der bürokratischen Popanz aufzubauen? Unsere Grundrechte Meinung, dass sich die Entscheidung, die das Bundes- sind also in einer guten Verfassung, was indes nicht aus- verfassungsgericht letztlich treffen wird, daran in etwa schließt, dass wir alles ständig zu hegen, zu pflegen und abzeichnet. zu entwickeln haben. Das ist auch in der jetzt zu Ende Ähnlich mühevoll war es, das Gesetz zur Abwehr von gehenden Wahlperiode an vielen Stellen geschehen. Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Einige Baustellen, die in der Großen Anfrage zu Bundeskriminalamt so zu gestalten, dass unser Staat Recht angesprochen wurden, möchte ich ausdrücklich einerseits terroristischen Bedrohungen wirksam begeg- erwähnen. So war es durchaus ein offener Punkt unserer nen kann und andererseits die neuen Befugnisse des Rechtsordnung, wie das allgemeine Persönlichkeits- Bundeskriminalamtes rechtsstaatlich beherrschbar blei- recht am Lebensende geschützt und verwirklicht wer- ben. Auch gegen dieses Gesetz wurde öffentlichkeits- den soll, Stichwort: Patientenverfügung. Hier haben wir wirksam Verfassungsbeschwerde erhoben. Wir brauchen alle mit großem Ernst um eine Lösung gerungen. Wir ha- uns deshalb aber nicht zu verstecken. Denn gerade die ben uns auch die dafür erforderliche Zeit gelassen. Ohne Überprüfung des Gesetzgebers macht die Stärke des 26132 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Parl. Staatssekretär Alfred Hartenbach (A) Rechtsstaates aus. Deswegen fürchten wir das Bundes- (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Beim Rest (C) verfassungsgericht auch nicht, wie manche meinen. wird die Zustimmung von uns etwas weniger, Alfred! Aber sonst war alles in Ordnung!) Es mag sein, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass es andere Verfassungen gibt, in denen mehr versprochen – Gut. Trotzdem muss ich noch zwei Dinge ganz kurz wird und die blumiger abgefasst sind als unsere. Aber ansprechen; dann komme ich in der Tat zum Schluss, ich glaube, mit Fug und Recht sagen zu dürfen, dass es Frau Präsidentin. nur wenige Verfassungen auf der Welt gibt, die die Grundrechte der Bürger so sehr schützen und vor allen Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Dingen ihre Durchsetzbarkeit so sehr gewährleisten wie Ich bitte herzlich darum. unsere. Ich glaube, ohne unbescheiden zu sein, dass Sie alle darauf stolz sein können. Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) desministerin der Justiz: Zum Schluss bleiben die Fragen: Wie halten wir es Wir müssen darüber nachdenken, das Diskriminie- mit den Grundrechten selbst? Wäre es an der Zeit, den rungsverbot im Grundgesetz um das Merkmal der sexu- Grundrechtsteil unserer Verfassung an neuere Entwick- ellen Identität zu ergänzen. Wir sollten uns auch darum lungen anzupassen? Die in Ihrer Großen Anfrage ge- bemühen, in Art. 6 die Lebenspartnerschaft der Ehe stellte Frage, ob die Bundesregierung Grundrechtsän- gleichzustellen. derungen plane, war zu verneinen. Die heutige Debatte (Dr. Max Stadler [FDP]: Richtig!) – auf den letzten 25 Metern dieser Legislaturperiode möchte ich mir erlauben, auch einmal meine persönliche Ich weiß, das findet nicht überall Zustimmung. Ich Meinung zu sagen – bietet allerdings die Chance zu ei- möchte mit diesen drei Denkanstößen schließen. Ich bin nem Ausblick auf die vor uns liegende Wahlperiode. Ich sicher, dass sich der nächste Bundestag damit beschäfti- will nicht alle derzeit diskutierten Vorschläge anspre- gen wird. Das müssen Sie dann allerdings ohne mich in chen, sondern beschränke mich auf drei Bereiche, in de- Angriff nehmen. nen mir eine behutsame Weiterentwicklung möglich und (Zurufe von der SPD: Oh! – Dr. Jürgen Gehb auch mehrheitsfähig erscheint. [CDU/CSU]: Das geht gar nicht!) An erster Stelle nenne ich die Aufnahme von Kinder- Ich bin gespannt, wie sich die FDP verhalten wird. rechten ins Grundgesetz. Es ist meine letzte Rede im Deutschen Bundestag, (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- und ich möchte mit ein paar Dankesworten schließen. (B) KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Ein Dank geht an meine Ministerin – ich sage das klar (D) NEN) und deutlich –, die mich sieben Jahre erduldet hat, mit Der Wortlaut von Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes bringt der ich sieben Jahre hervorragend zusammengearbeitet ein Eltern-Kind-Verständnis zum Ausdruck, das längst habe und die mir heute die eigentlich ihr eingeräumte nicht mehr unseren Vorstellungen entspricht. Für sinn- Redezeit zur Verfügung gestellt hat. Vielen Dank, Frau voll halte ich eine Regelung, die jedem Kind ein Recht Ministerin! Ich habe auch noch ein Geschenk für dich: auf Entwicklung und Entfaltung seiner Persönlichkeit, ein Feuerzeug. vor allem auf gewaltfreie Erziehung und den besonderen Ich danke allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern: Schutz vor Gewalt, Vernachlässigung und Ausbeutung meinen persönlichen Mitarbeitern im Bundestag, im zuspricht. Die Rechte des Kindes zu achten, zu schützen, Wahlkreis und im Ministerium sowie den Mitarbeitern zu fördern und für kindgerechte Lebensbedingungen zu des Hohen Hauses und der Fraktionen. sorgen, erfordert keinen revolutionären Mut; denn ent- sprechende Regelungen sind mittlerweile in fast allen Mein besonderer Dank gilt Ihnen, liebe Kolleginnen Landesverfassungen vorhanden. und Kollegen. Wir haben viel bewegt, vor allem im Rechtsausschuss. Das war eine gute Zeit; das sage ich klar und deutlich. Wir haben unsere Debatten mit viel Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Sachverstand und viel fachlichem Wissen geführt. Herr Staatssekretär, ich muss Sie schon ein bisschen auf die Redezeit hinweisen. (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Schön, dass dein Blick auf mich ruht!) Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- – Jürgen, dich mag ich ja besonders. – Wir haben einan- desministerin der Justiz: der respektiert, auch in den Schwächen, die wir sicher- Ich bin gleich am Ende meiner Rede. lich haben. Ich habe im Deutschen Bundestag – das möchte ich einmal deutlich machen – ein hohes Maß an Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: persönlichem und politischem Anstand und vor allen Sonst ist die Geduld der Kollegen überstrapaziert. Dingen an Zuverlässigkeit erlebt. Ich habe mich in meinen Reden und in meinem Auf- Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- treten manchmal wie ein Theologieschüler an zwei Prä- desministerin der Justiz: missen der Bergpredigt gehalten. Das eine war: Selig Ich glaube, die hören mir alle gespannt zu, oder? sind die Sanftmütigen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26133

Parl. Staatssekretär Alfred Hartenbach (A) (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Du schaust Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (C) schon wieder mich an!) Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen erstens im Na- Das andere war: Geben ist seliger denn Nehmen. Ich men des Präsidiums für das Geschenk. Ich werde es hoffe, dass Sie mir das heute ein bisschen verzeihen. gerne weitergeben. Allen, die noch einmal antreten, wünsche ich von Zweitens will auch ich mich Ihren Dankesworten an- Herzen alles Gute. Ich bin gerne bei Ihnen gewesen. Ich schließen. Das ganze Haus dankt Ihnen sehr herzlich für hoffe, dass alle, die noch einmal antreten, wiederkom- Ihr großes Engagement und Ihre Parlamentstätigkeit in men und eine gute Rechtspolitik machen. – Frau Präsi- vier Legislaturperioden, aber auch für Ihre Tätigkeit in dentin, Sie müssen mir noch eine Minute geben. der Bundesregierung, die Sie fast die Hälfte der Zeit Ih- rer Parlamentstätigkeit zusätzlich ausgeübt haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir wünschen Ihnen für die weiteren Lebensjahre al- les erdenklich Gute und auch ein bisschen Freizeit, da- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: mit Sie all das nachholen können, wozu Sie bislang Aber wirklich nur wenige Sätze! keine Zeit hatten.

Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- (Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär: Ich desministerin der Justiz: werde einmal sehen, Frau Präsidentin!) Ich will nicht mit leeren Händen scheiden. Als ich Alles Gute! 1994 in den Deutschen Bundestag kam, hat mir ein lie- bes altes Ehepaar aus meinem Wahlkreis – ich nenne den (Beifall im ganzen Hause) Namen, damit sie ins Protokoll kommen: Roswith und Dass ich jetzt etwas großzügiger bei der Redezeitbe- Horst Rothauge – einen Kürschner von 1928 geschenkt. messung war, bitte ich, mir nachzusehen. Das ist kein Ich mache jetzt den berühmten Gummiring ab. Kürsch- Präzedenzfall für künftige Reden. ners Handbuch des Deutschen Reichstages von 1928 enthält ein paar bemerkenswerte Hinweise – keine Ich schließe die Aussprache. Sorge, ich nenne nicht alles –: Es gab damals 2 Gast- wirte, 7 Hausfrauen und 7 Geistliche, 18 Anwälte – heute Ich rufe die Tagesordnungspunkte 66 a bis 66 c und haben wir, glaube ich, das Zehnfache an Anwälten –, Zusatzpunkt 11 auf: 63 Landwirte – das sind heute ein paar weniger –, 66 a) – Zweite und dritte Beratung des von den Frak- 76 Schriftsteller (B) tionen der CDU/CSU und der SPD eingebrach- (D) (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) ten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwick- lung der Finanzmarktstabilisierung und 80 Berufsbeamte. Es finden sich hier so tolle Namen wie Stresemann, Scheidemann und Thälmann. Es finden – Drucksache 16/13156 – sich auch Namen von Personen, die heute im Deutschen Bundestag aktiv sind. – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge- (Christoph Strässer [SPD]: Stünker!) setzes zur Fortentwicklung der Finanz- marktstabilisierung – Nein, Stünker leider nicht. – Einer hieß Leutheußer – Frau Leutheusser-Schnarrenberger ist heute leider nicht – Drucksachen 16/13297, 16/13384 – hier –, einer hieß Zapf, und, Herr Dautzenberg, einer hieß Dautzenberg. Er war aber in der KPD; das wissen Beschlussempfehlung und Bericht des Haushalts- Sie, oder? ausschusses (8. Ausschuss) – Drucksachen 16/13590, 16/13591 – Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Staatssekretär, ich darf Sie wirklich auf die Re- Berichterstattung: dezeit hinweisen. Abgeordnete Steffen Kampeter Carsten Schneider (Erfurt) Florian Toncar Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- Roland Claus desministerin der Justiz: Alexander Bonde Ja, ich gebe auch einen aus. – Ich möchte dieses Buch dem Präsidium überreichen und bitten, dass es einen gu- b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- ten Aufbewahrungsort findet. neten Florian Toncar, Frank Schäffler, Jens Ackermann, weiteren Abgeordneten und der (Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und Gesetzes zur Stärkung der Wettbewerbskon- dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Bundes- formität von Maßnahmen zur Stabilisierung ministerin Brigitte Zypries überreicht Parl. des Finanzmarktes Staatssekretär Alfred Hartenbach einen Blu- menstrauß) – Drucksache 16/12996 – 26134 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt (A) Beschlussempfehlung und Bericht des Haushalts- Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): (C) ausschusses (8. Ausschuss) Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Wir dis- kutieren nunmehr über den Entwurf eines Gesetzes zur – Drucksache 16/13683 – Fortentwicklung der Finanzmarktstabilisierung. Das ur- Berichterstattung: sprüngliche Gesetz hatten wir hier im Oktober beschlos- Abgeordnete Steffen Kampeter sen. Nach der Insolvenz bzw. dem Konkurs von Lehman Carsten Schneider (Erfurt) Brothers in den USA hatten sich die Friktionen und Stö- Florian Toncar rungen am Bankenmarkt verfestigt, und wir hatten die- Dr. Gesine Lötzsch ses erste Gesetz mit einem Garantierrahmen von Alexander Bonde 480 Milliarden Euro aufgelegt. c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- Dieses Gesetz hat gewirkt. Wir haben den Finanz- neten Florian Toncar, Dr. h. c. Jürgen Koppelin, markt stabilisiert und dafür gesorgt, dass die Spareinla- Otto Fricke, weiteren Abgeordneten und der gen sicher sind, dass noch Kredite vergeben werden und Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines dass keine systemrelevante Bank – so lautet eine Verab- Gesetzes zur Verbesserung der parlamentari- redung auf internationaler Ebene – in die Insolvenz geht. schen Kontrolle von Maßnahmen zur Finanz- Nun befinden wir uns am letzten offiziellen Tag der marktstabilisierung letzten Sitzungswoche des Bundestages in dieser Legis- laturperiode, und wir ändern dieses Gesetz noch einmal. – Drucksache 16/12885 – Dies ist die Folge einer langen Diskussion über das Beschlussempfehlung und Bericht des Haushalts- Thema Bad Banks. Das Ziel lautet, die vielen Maßnah- ausschusses (8. Ausschuss) men, die wir in den vergangenen Monaten zur Stützung der Konjunktur durchgeführt haben, zu verstärken. – Drucksache 16/13679 – Warum ist das notwendig? Entscheidend für die Kre- Berichterstattung: ditvergabemöglichkeiten der Banken ist ihre Eigenkapi- Abgeordnete Steffen Kampeter talausstattung. Diese hat in den letzten Monaten gelitten, Carsten Schneider (Erfurt) zum einen durch Abschreibungen und Verluste bei den Florian Toncar strukturierten Wertpapieren – diese Papiere sind jetzt Dr. Gesine Lötzsch nicht mehr allzu viel wert – und zum anderen durch die Alexander Bonde sich verschlechternde Konjunktur. Die schlechtere kon- junkturelle Lage führt zu Auftragseinbrüchen bei den (B) ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Thomas Unternehmen, zu schlechterer Bonität, zu schlechteren (D) Silberhorn, Leo Dautzenberg, Otto Bernhardt, Ratings. Letztlich wird dies dazu führen, dass die Ban- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der ken vorhandene Kredite mit mehr Eigenkapital unterle- CDU/CSU gen müssen. Es ist ganz logisch, dass dann natürlich we- sowie der Abgeordneten Dr. Hans-Ulrich Krüger, niger Mittel für neue Kreditvergaben zur Verfügung Ingrid Arndt-Brauer, Lothar Binding (Heidel- stehen. berg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Von daher haben wir uns zum einen dazu entschlos- sen, die Bankbilanzen im Bereich der strukturierten Schadensersatzansprüche gegen die ehemali- Wertpapiere – manche sagen auch „Giftmüll“; ich gen Vorstandsmitglieder der Hypo Real Estate meine, das ist eine Übertreibung – zu entlasten, und zum Holding AG anderen, ganze Geschäftsbereiche, die abzuwickeln sind, in eine Bundesanstalt auszulagern. Diese Operation wird – Drucksache 16/13619 – in den nächsten Monaten – das Gesetz ist befristet – Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU durchgeführt und erfolgreich sein; davon bin ich über- und SPD liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion zeugt. der FDP, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bünd- Der Druck auf die Bilanzen der Banken ist extrem. nis 90/Die Grünen vor. Ich habe überlegt, ob man deshalb nicht eine verpflich- tende Teilnahme festschreibt. Die Änderungen am Ge- Zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und setzentwurf, die wir am Mittwoch in den Beratungen des SPD – es geht um Zusatzpunkt 11 – liegt ein Änderungs- Haushaltsausschusses vorgenommen haben, führen zum antrag der Fraktion der FDP vor. einen dazu, dass wir den Interessen der Steuerzahler ge- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die recht werden. Zum anderen besteht für die Vorstände Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre dazu kei- und Aufsichtsräte der Banken eine gute Möglichkeit, nen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. sich von den derzeitigen Belastungen zu befreien. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- Warum machen wir das? Weil dies der Schlüssel für ner das Wort dem Kollegen Carsten Schneider für die konjunkturelles Wachstum ist. Wir sind in einer sehr kri- SPD-Fraktion. tischen Phase. Die Kreditvergabe – ich bin darauf einge- gangen – ist der Schlüssel schlechthin. Wenn es bei einer (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Spirale nach unten bliebe, hieße das, dass die Konjunk- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26135

Carsten Schneider (Erfurt) (A) turpakete, die wir zu Beginn des Jahres beschlossen ha- Die Risiken sind nicht zu unterschätzen. Wenn es uns (C) ben, ihre Wirkung verfehlen würden. Dies kann nicht heute nicht gelingt, den Gesetzentwurf durch den Bun- das Ziel sein, und deswegen haben wir uns entschlossen, destag zu bringen, stehen meines Erachtens die wirt- diesen Weg zu gehen und dem Vorschlag des Bundes- schaftliche Existenz und Leistungsfähigkeit nicht nur der finanzministers und der Bundesregierung zu folgen. Sparkassen, sondern auch einzelner Bundesländer in- frage. Unser Modell sieht vor, dass sich die Landesban- In den nächsten Monaten wird es bei den Unterneh- ken konsolidieren müssen. Wir als SPD hätten uns – das men wahrscheinlich einen Refinanzierungsbedarf von ist der Pferdefuß des Ganzen – eine größere Stringenz bis zu 600 Milliarden Euro geben. Es gibt keine ausrei- und Durchsetzungskraft des Bundes gegenüber den Län- chende Bereitschaft der Banken, sich im Groß- und Kon- dern bzw. den Ministerpräsidenten gewünscht. Das war sortialkreditbereich zu engagieren. Wir sehen auch einen mit der Unionsfraktion leider nicht zu machen. Rückzug internationaler Banken vom deutschen Markt. Dies müssen wir stoppen. Wir brauchen aber – dieser Verantwortung müssen sich die Damen und Herren in den Ländern bewusst sein – Wir haben deswegen im Sinne von Geben und Neh- hier schleunigst eine Bereinigung und Konsolidierung. men – wer etwas bekommt, muss auch etwas geben – im Denn dass die Landesbanken, statt sich auf ihre eigentli- Gesetzentwurf festgelegt, dass für die Vorstände, die die chen Aufgaben in ihrem jeweiligen Bundesland zu kon- vorgesehenen Maßnahmen in Anspruch nehmen, eine zentrieren und die Sparkassen zu unterstützen, in Über- Deckelung der Managervergütungen gilt, und dass die see Geschäfte gemacht haben, die sie nicht richtig Banken zwingend Stresstests machen müssen, die dazu verstanden haben, hat zu der sehr prekären Schieflage führen sollen, zu erkennen, ob sie denn tatsächlich über- geführt, in der wir uns derzeit befinden. lebensfähig sind. Sind sie es nicht, dann müssen sie mit mehr Eigenkapital ausgestattet werden. Das ist für mich Die Sparkassen haben sich – sicherlich sind auch eine zwingende Voraussetzung dafür, dass dieses Modell viele Kollegen angesprochen worden – zu Recht sehr in- in Deutschland – hier geht es auch um Europa; denn wir tensiv in die Debatte eingeschaltet. Sie sind Miteigen- sind die wirtschaftliche Leitnation – tatsächlich funktio- tümer der Landesbanken und haften dementsprechend niert. im Rahmen der Gewährträgerhaftung für ihr Eigentum. Sie haben in den vergangenen Jahren gut von den Über- Des Weiteren haben wir festgelegt, dass mit diesen schüssen profitiert und stehen in der Verantwortung für Stresstests auch eine Aufgabenerfüllung zu verbinden die Landesbanken. ist, dass Banken, die von uns gestützt werden, ihren Auf- gaben nachkommen und das Geld nicht bei anderen Ban- Nichtsdestotrotz besteht die reale Gefahr, dass mit ken anlegen, sondern die Kreditvergabe an mittelständi- den weitergehenden Verlusten der Landesbanken eine (B) sche Unternehmen tatsächlich gewährleisten. existenzgefährdende Situation für die Sparkassen ein- (D) tritt. Ohne unseren Gesetzentwurf würde die Lage der (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Sparkassen viel prekärer. Sie wären in ihrer Existenz ge- GRÜNEN]: Das machen sie doch gar nicht!) fährdet. Ich bin damit, wie Sie, Herr Ströbele, bisher noch (Frank Schäffler [FDP]: Das sehen die Spar- nicht zufrieden; um das klar zu sagen. Der Bundesbank- kassen aber anders!) präsident hat dazu in den vergangenen Tagen wichtige – Richtig, Herr Schäffler. Das sehen die Sparkassen an- Hinweise gegeben, nämlich dass man, sollten die Ban- ders. Ich glaube, sie haben das nicht richtig verstanden. ken die derzeit bestehenden Möglichkeiten – ich nenne Das gilt gerade für die Verbände. Ich finde diese Art von das Stichwort „billige Liquidität“ – nicht tatsächlich an Lobbyarbeit teilweise schon dreist. Ich bin für einen öf- die Unternehmen weitergeben, zu anderen Mitteln grei- fentlich-rechtlichen Bankensektor, und ich bin der Auf- fen muss. Der Bundesfinanzminister bzw. der SoFFin ist fassung, dass wir die Sparkassen brauchen, aber sie müs- letztlich dazu in der Lage. Denn wir bieten nur dann sen nicht nur in guten, sondern auch in schlechten Zeiten Leistung, wenn auch eine Gegenleistung erfolgt. Es ist zu ihrer Verantwortung stehen. Es kann nicht sein, dass aber auch klar, dass für den Vorstand einer Bank immer wir als Bund in diese Verantwortung treten. noch das Kreditwesengesetz gilt. Selbstverständlich muss darauf geachtet werden, dass das Unternehmen (Beifall bei der SPD) überlebensfähig ist. Das will ich nicht in Abrede stellen. Deswegen haben wir an dieser Stelle die Haftung der Ein weiterer wichtiger Punkt, der uns beschäftigt hat, Sparkassen auf die Gewährträgerhaftung begrenzt. sind die Landesbanken. In den vergangenen eineinhalb (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Jahren habe ich aus der Perspektive des Bundestages wahrgenommen, dass sich insbesondere bei den Minis- Wir haben durch eine Überforderungsklausel dafür ge- terpräsidenten zunehmend das Prinzip der drei Affen sorgt, dass keine Sparkasse in ihrer Existenz bedroht ist. durchgesetzt hat: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen Mit Sicherheit wird es aber in den nächsten Jahren Be- bzw. nicht in die Bilanzen blicken, nicht ihre Geschäfts- lastungen geben. Sie resultieren jedoch aus Geschäften modelle überprüfen und die Risiken verschweigen. der vergangenen Jahre, die sie selbst mitzuverantworten haben. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Kollege Schneider, das ist bewusst unsachlich, was Sie Von daher hoffe ich, dass auch die Sparkassen dazu- da vortragen!) gelernt haben und ihre Schlüsse daraus ziehen werden. 26136 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Carsten Schneider (Erfurt) (A) Ich hoffe, dass der Gesetzentwurf nicht nur den Bundes- Die Bundesregierung hat unseres Erachtens die Di- (C) tag und den Bundesrat passiert, sondern auch möglichst mension dieser Problematik lange unterschätzt. Es schnell umgesetzt wird, weil das für die wirtschaftliche wurde erst spät begonnen, einen solchen Gesetzentwurf Situation in Deutschland entscheidend ist. zu erarbeiten. – Da manche in der Unionsfraktion irri- tiert schauen: Ich habe übrigens öffentliche Äußerungen Vielen Dank. aus der Unionsfraktion im Frühjahr vernommen, als der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Bundesfinanzminister gerade dazu aufgefordert wurde. der CDU/CSU) Man kann festhalten, dass hier viel Zeit – auch durch die Fehleinschätzung innerhalb der Bundesregierung – ver- loren gegangen ist. Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Florian Toncar für die FDP- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Fraktion. der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP) Der vorliegende Gesetzentwurf ist eine ziemliche Florian Toncar (FDP): Enttäuschung. Es hat offenbar nicht an Willen gefehlt. Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Aber die Ausgestaltung ist so, dass nicht zu erwarten ist, Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf soll einen dass die Probleme, insbesondere die Bewertungspro- Schlussstein in einer langen Kette von Gesetzen zur bleme und die Eigenkapitalbelastung der Banken, sub- Finanzmarktstabilisierung bilden. Finanzmarktstabilisie- stanziell gelöst werden. Ihr Modell wird uns nicht wei- rung ist – ich denke, das kann man an dieser Stelle fest- terhelfen. halten – ein Ziel, das unmittelbar oder mittelbar allen (Beifall bei der FDP) Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland hilft. Es ist ein öffentliches Ziel, für das wir uns gemeinsam einsetzen Es ist für eine Bank nicht möglich, rechtssicher zu kal- müssen. kulieren, ob es wirtschaftlich tragbar ist, sich an diesem Ich stimme dem Kollegen Schneider in einem Punkt Modell zu beteiligen. Den Banken fehlen entscheidende zu: Im letzten Oktober war es noch alles andere als Parameter. Das fängt bei der Verzinsung der Garantien selbstverständlich, dass das Finanzmarktstabilisierungs- an. Die Höhe der Verzinsung ist ein ganz entscheidender gesetz zumindest in gewissem Maße eine Stabilisierung Parameter; denn anhand dieses Parameters kann man er- ermöglichen würde. Das wusste man in der damaligen rechnen, ob es sich überhaupt lohnt, mitzumachen oder (B) Situation nicht. Man kann aber nun sagen: Dieses Gesetz nicht. Auch die Regeln betreffend den Bewertungsab- (D) vom vergangenen Oktober hat sich im Wesentlichen be- schlag, der bei Wertpapieren vorzunehmen ist, sind so währt. Die FDP legt Wert darauf, dass sie in einem gestaltet, dass man nicht sehen kann, nach welchem Ver- schwierigen Moment Verantwortung übernommen hat fahren bzw. nach welcher Formel das geschieht. Es ist und nicht einfach Nein zu diesem Gesetz gesagt hat. sehr schwierig, das vorherzusehen. Ich sage voraus, dass die Banken, die es können, erst einmal abwarten werden, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten was passiert und ob eine andere Bank voranschreitet und der CDU/CSU und der SPD) das ganze Verfahren mit dem SoFFin, dem Bundesfi- nanzministerium und der EU-Kommission durchficht, Es folgte aber bald die Erkenntnis, dass Finanzmarkt- um zu schauen, wie die Konditionen letztendlich ausse- stabilisierung nicht erfolgreich sein kann, wenn man ein- hen werden. So werden wir mindestens weitere Monate fach nur Bank für Bank und Einzelfall für Einzelfall, so verlieren; denn es herrscht noch keine Rechtssicherheit. schwierig er auch sein mag, durchgeht und löst, sondern dass es strukturelle Probleme gibt, die angegangen wer- (Beifall bei der FDP) den müssen, wenn man nachhaltig stabilisieren möchte. Ein strukturelles Problem ist die Unsicherheit darüber, Das Gesetz führt unnötigerweise zu Wettbewerbsver- wie viele Risiken es in den Bankbilanzen gibt. Das führt zerrungen. Es ist sicherlich richtig, dass die EU-Kom- dazu, dass Institute Eigenkapital vorhalten müssen und mission verlangt, den Bewertungsabschlag bei Insti- es nicht für die Vergabe neuer Kredite einsetzen können. tuten, die sehr wenig Eigenkapital haben, die also Damit verringert sich der Spielraum, den Unternehmen, tendenziell schwach kapitalisiert sind, zunächst nicht die irgendwann in der Krise wieder Mut fassen und in- vorzunehmen. Das heißt konkret, diese Institute können vestieren wollen, Geld zur Verfügung zu stellen. Von ihre Papiere zu einem günstigeren Preis übertragen und diesem Problem sind leider oft mittelständische Unter- bekommen dafür mehr als Institute, die besser dastehen. nehmen betroffen, die in der Regel auf eine Finanzie- Das ist aber eine eindeutige Benachteiligung derjenigen, rung durch eine Bank angewiesen sind. die ihre Hausaufgaben gemacht haben und vor einigen Monaten erkannt haben: Wir kommen mit einer niedri- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr wahr!) gen Eigenkapitalquote nicht klar und müssen uns des- Deswegen ist eine Lösung des Problems, das in den Bi- halb neues Kapital besorgen. – Diejenigen, die das lanzen der Banken liegt, überfällig. Es muss gelingen, gemacht haben, müssen nun einen höheren Bewertungs- die Risiken aus den Bilanzen herauszubekommen. abschlag verkraften und stehen am Ende schlechter da. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26137

Florian Toncar (A) Das hätte man vermeiden müssen und auch vermeiden Geld der Steuerzahler an der Stabilisierung des Finanz- (C) können; denn es ist völlig unproblematisch, den Institu- marktes, was auch weiterhin ein Risiko für den Steuer- ten aufzugeben, für eine angemessene Eigenkapitalquote zahler bedeutet. Ich finde, dass diese Verlängerung um in Höhe von über 7 Prozent zu sorgen, bevor sie die In- ein Jahr eigentlich eine gründlichere Diskussion als die strumente des SoFFin nutzen. Das passiert heute schon, erfordert hätte, die tatsächlich stattgefunden hat. wenn ein Institut Garantien haben möchte. Es ist klar, dass dann zuerst der Eigentümer gefragt ist. Das hat in (Beifall bei der FDP) Einzelfällen auch geklappt. Ansonsten stehen die Instru- Man kann als Ergebnis festhalten, dass dieser Gesetz- mente des SoFFin zur Verfügung. Es kann aber nicht entwurf zu einem noch stärkeren Einfluss des Staates auf sein, dass wir in der jetzigen Situation diejenigen bestra- den Bankensektor führt und eher mehr Risiken für den fen, die das getan haben, was nötig ist, nämlich die Steuerzahler begründet. Ich kann auch jenseits des The- Kernkapitalquote zu erhöhen. mas, wie man diese Risikopapiere entschärfen kann, (Beifall bei der FDP) nicht erkennen, dass es eine Strategie gibt, wie man ir- gendwann einmal zur Normalität zurückkehren und den Wir, die FDP-Fraktion, befassen uns in unserem vor- Steuerzahler aus der Haftung entlassen kann. liegenden Gesetzentwurf, der heute ebenfalls zur Ab- stimmung steht, mit Wettbewerbsverzerrungen; denn wir (Beifall bei der FDP) finden, dass Wettbewerb nicht nur ein Thema für diejeni- Wir haben mit dem heutigen Gesetzentwurf auch die gen sein sollte, die ordnungspolitische Fantasie haben Gewissheit, dass der Sonderfonds Finanzmarktstabilisie- oder ordnungspolitische Grundsätze vertreten. Wenn die rung – dieses Sondervermögen, dieser Nebenhaushalt – Unternehmen, die vernünftig gewirtschaftet haben, das mindestens weitere 20 Jahre bestehen wird. Im letzten Gefühl haben, dass sie schlechter dastehen als die Unter- Oktober bestand die Erwartung, dass zunächst einmal nehmen, die Staatshilfe bekommen, dann ist das auch bis Ende 2009 stabilisiert wird, keine neuen Maßnahmen schlecht für die Stabilität des Finanzsektors. Unterneh- mehr ergriffen werden und dann abgewickelt wird. So men werden dann möglicherweise sagen: „Wir verlassen steht es im Übrigen im Gesetz. Jetzt wissen wir, dass es uns darauf, dass uns im Notfall geholfen wird“, und wer- mindestens 20 Jahre so weitergeht. Ich finde, wenn ein den sich falsch verhalten, während diejenigen, die es Provisorium zu einer Dauereinrichtung wird und wir uns besser gemacht haben, am Ende bestraft werden. Deswe- darauf einstellen können, dass das noch für etliche Le- gen ist Wettbewerbsgerechtigkeit ein ganz wichtiges gislaturperioden so bleiben wird, dann müssen wir auch Thema. darüber sprechen, wie wir die parlamentarische Kon- (Beifall bei der FDP) trolle dieses Instruments verbessern können. (B) (D) Es gibt natürlich auch das große Problem der Landes- (Beifall bei der FDP) banken. Die machen viele Dinge, die gar nicht in den Es ist ein Unterschied, ob etwas befristet wird oder zur Aufgabenbereich öffentlicher Banken fallen. Für die Dauereinrichtung wird. FDP ist entscheidend, dass dieser Sektor konsolidiert wird und dass sich das ändert. Im Ergebnis sind sicher- Wir Liberale haben als einzige Fraktion in diesem lich Fusionen, Zusammenlegungen, notwendig. Haus einen Entwurf dazu vorgelegt und werben nach- drücklich um Zustimmung; denn das sollte im Interesse Was mir aber in der Diskussion fehlt, ist, dass man all derjenigen sein, die hier sitzen. Viele wissen noch auch einmal über die Aufgaben von Landesbanken nicht, in welcher Rolle sie sich im Herbst möglicher- spricht. Es reicht nun einmal nicht, nur größere Einhei- weise hier wiederfinden. ten zu schaffen und Landesbanken zusammenzulegen, sondern man muss sich systematisch fragen, was eigent- (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Deshalb würde ich lich die Aufgabe einer öffentlichen Bank ist. Für mich ist vorsichtig sein, Herr Kollege!) die Aufgabe einer Landesbank, das anzubieten, wofür Es sollte aber auch im Bereich der Finanzmarktstabili- eine einzelne Sparkasse zu klein ist; das heißt, eine Lan- sierung eine starke Kontrolle geben. desbank muss ein ergänzender Dienstleister für den Sparkassensektor sein. Das ist eine öffentliche Aufgabe. (Beifall bei der FDP) Alles andere ist eine nichtöffentliche Aufgabe. Diese Ich möchte mit Erlaubnis der Präsidentin noch etwas Aufgaben müssen getrennt werden. Dann kann man fu- zu dem Antrag zur Hypo Real Estate sagen. Wir unter- sionieren. Auch in dieser Hinsicht hat der Gesetzentwurf stützen das Ansinnen, Schadensersatzforderungen zu leider eine Chance verpasst. prüfen und geltend zu machen. Wir wollen aber auch (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten – das beantragen wir nachher –, dass selbstverständlich der CDU/CSU) aufgearbeitet wird, welche Versäumnisse es seitens des Bundes beim Krisenmanagement im Fall der Hypo Real Einige Punkte werden kaum diskutiert, obwohl sie Estate im Zusammenhang mit den ersten Rettungsmaß- folgenschwer sind. Im vorliegenden Gesetzentwurf wird nahmen gab. Auch dort muss man genau hinschauen, die Dauer der Anwendung aller Instrumente und Hilfs- auch dort fordern wir Verantwortung ein. Es muss eine maßnahmen, die der SoFFin ergreifen kann – dies be- vollständige Aufarbeitung geben. trifft nicht nur das Instrument der sogenannten Bad Banks –, um ein ganzes Jahr verlängert. Das heißt, der Der Gesetzentwurf als solches wird sicherlich nach- Staat beteiligt sich massiv ein weiteres Jahr lang mit dem besserungsbedürftig sein und wahrscheinlich nicht den 26138 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Florian Toncar (A) gewollten Erfolg bringen. Wir werden ihn deshalb ableh- teuer und führt zum anderen offenkundig nicht zu dem (C) nen. Ergebnis, das man sich wünscht. (Beifall bei der FDP) (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Es wurde auch mehrmals gewechselt!) Vizepräsidentin Petra Pau: Heute ist die 48. Bank in den Vereinigten Staaten über Für die Unionsfraktion hat der Kollege Steffen die Wupper gegangen. In Deutschland haben wir Stabili- Kampeter das Wort. tät auf dem Finanzmarkt. Zwangsmaßnahmen führen (Beifall bei der CDU/CSU) also nicht zu einem besseren Ergebnis. Sie entsprechen auch nicht der marktwirtschaftlichen Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland. Die Entscheidung der Steffen Kampeter (CDU/CSU): Banken, sich unter den staatlichen Schirm zu begeben, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und wird nach wirtschaftlichen und nicht nach ideologischen Herren! Wir beraten jetzt eine Fortentwicklung unserer Kriterien getroffen. Bankenrettung ist kein Spielplatz für nationalen Maßnahmen zur Finanzmarktstabilisierung. Ideologen. Bankenrettung ist verantwortliche Politik. Das bedeutet nicht, dass die bisherigen Maßnahmen nicht richtig waren; wir sind vielmehr die Probleme, die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wir im vergangenen Jahr erkannt haben und die wir nach Meinung der Experten lösen sollten, offensiv angegan- Das zweite Prinzip, das wir bei der Finanzmarktstabi- gen. lisierung verfolgen, ist das der Eigentümerverantwor- tung. Ich mache dies deutlich: Zuerst und in vorderster (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Front sind die Eigentümer von Finanzmarktakteuren ge- fordert. Das, was wir gemacht haben, war erfolgreich. Wir sind im Übrigen im Rahmen der Finanzmarktsta- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und bilisierung verantwortungsvoll mit den Steuergeldern der SPD) umgegangen. Wir haben verhindert, dass in Deutschland Eigentümer sind die Aktionäre; das sind teilweise die reihenweise Banken umgekippt sind. Wir haben insbe- Länder; das sind auch Sparkassen. Wir können es kei- sondere den Bürgerinnen und Bürgern – angefangen nem Steuerzahler des Landes, des Bundes oder einer an- vom Besitzer eines Sparbuchs bis hin zu den gewerbli- deren Gebietskörperschaft zumuten, selbst einzusprin- chen Unternehmern, die Kredite nötig hatten – das deut- gen und somit die Eigentümer zu entlasten. Unserer liche Signal gegeben, dass der Staat bereit, willens und Prinzip ist: Erst die Eigentümer, dann die Solidarge- (B) in der Lage ist, den Finanzmarkt in der Bundesrepublik meinschaft. Das ist ein weiteres Basisprinzip unserer Po- (D) Deutschland zu stabilisieren. Dies ist ein gutes Signal; litik. das sollten wir klar bekennen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) neten der SPD – Dr. Gerhard Schick [BÜND- Wenn sich die Lage verändert, muss sich gegebenen- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum wenden Sie falls auch die Gesetzgebung verändern. Wir haben ein es dann nicht an?) neues Problem, das mit komplizierten Begriffen wie Das dritte Prinzip ist der Schutz des Steuerzahlers. „Ratingmigration“ oder „Giftmüll“ oder anderen be- Wir wollen keine Zwangsbeglückung. Wir wollen in die- schrieben wird. Gestern haben die Bundesbank und der sem Bereich deutlich machen: Wir sind keine Organisa- SoFFin als unabhängige Experten noch einmal erklärt, tion, die Geld im Land verteilt. Wir haben festgelegt: dass das, was wir in den letzten Wochen im Haushalts- Wir stellen 470 Milliarden Euro Garantien und Kapitali- ausschuss beraten haben, richtig, notwendig und unver- sierungsmaßnahmen für diesen Bereich zur Verfügung. zichtbar ist, um die Stabilität im deutschen Finanzmarkt Wir haben bei unseren Maßnahmen klargemacht: Ein weiterhin aufrechtzuerhalten. politisches Ziel ist, dass der Steuerzahler durch diese Wir machen Finanzmarktstabilisierung nicht, weil wir Fortentwicklung der Gesetzgebung nicht zusätzlich in für Geschäftsführer oder Vorstände ein besonderes Inte- Regress genommen wird. Ich finde, dass wir mit diesen resse hätten. Vielmehr ist die Finanzmarktstabilisierung Maßnahmen den ausdrücklichen Wunsch des Bundesfi- aktive Solidarität in der sozialen Marktwirtschaft. Die nanzministers umsetzen. Den Steuerzahler zu schützen, Menschen in Deutschland sind an funktionsfähigen Ban- ist richtig. ken sehr interessiert. Das vierte Prinzip, das wir verfolgen, ist das der Sub- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sidiarität. Der Bund kann auch bei der Finanzmarktstabi- neten der SPD) lisierung nicht alles leisten. „Subsidiär“ heißt zweierlei: ein differenziertes Angebot für die unterschiedlichen Wenn es neue Fragestellungen gibt, dann sollten wir Problemlagen der Bankenwelt, aber auch die Möglich- klarmachen, anhand welcher Prinzipien wir Antworten keit, dass Länder, die dazu bereit sind, Verantwortung geben. Das erste Prinzip unserer Bankenrettung – das übernehmen. verfolgen wir im Übrigen schon seit dem vergangenen Jahr – ist Freiwilligkeit. Die USA setzen auf Zwang. Das (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE ist zum einen für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler GRÜNEN]: Die können es doch teilweise Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26139

Steffen Kampeter (A) nicht mehr! Nehmen Sie das doch mal zur kassen infiziert und mit in den Abgrund reißt. Dieses (C) Kenntnis!) Gesetz ist zuvorderst ein Rettungsgesetz für die deut- schen Sparkassen in ihrer Differenziertheit. Das muss an Wir haben deswegen in diesem Gesetz Öffnungsklauseln allererster Stelle festgehalten werden. für Länderaktivitäten verankert, sodass die Länder in ei- gener wirtschaftlicher Verantwortung nach dem Subsidia- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) ritätsprinzip handeln können. Wer vor Ort handeln Die Sparkassen hätten sich gewünscht, dass wir als möchte, kann dies tun. Staat alle Risiken ihrer Aktivitäten übernehmen. Das Wir als Bund haben nationale Verantwortung. Wir kann nicht sein. Ich habe vorhin gesagt: Eigentümerver- stehen zu unserer Verantwortung. Wenn allerdings Län- antwortung geht vor Staatsverantwortung. Selbst wenn der meinen, sie könnten es besser als der Bund, dann ist diese Eigentümer Sparkassen sind, werden wir sie aus es ein wohlverstandenes Prinzip, dass man diejenigen, ihrer Eigentümerverantwortung nicht entlassen. Eigentü- die eigenverantwortlich etwas in die Hand nehmen wol- mer sind in Deutschland, egal, wer sie sind, in die Pflicht len, nicht abhält. Deshalb ist das vierte Prinzip Differen- zu nehmen, auch bei diesen Sanierungsmaßnahmen. Das zierung und Subsidiarität. Dieses Prinzip steht der Fi- ist ein ganz wichtiger Grundsatz. Wir können bestimmte nanzmarktstabilisierung gut an. Eigentümergruppen nicht in einer besonderen Art privi- legieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Fünftes Prinzip: keine Leistung ohne Gegenleistung. Vizepräsidentin Petra Pau: Man muss den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland Kollege Kampeter, gestatten Sie eine Zwischenfrage sagen: Bankenrettung – oder wie das pathetisch auch an- des Kollegen Fuchtel? ders bezeichnet werden mag – ist ein Geschäft auf Ge- genseitigkeit. Wenn uns als Staat ein Institut um Hilfe Steffen Kampeter (CDU/CSU): bittet, dann sagen wir nicht: „Hoppla, was kost’ die Aber selbstverständlich. Welt? Wir helfen euch!“, sondern wir wollen folgende Auskünfte: (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Uns bleibt auch nichts erspart! – Dr. Gesine Lötzsch [DIE Erstens. In welcher wirtschaftlichen Situation befin- LINKE]: Das ist jetzt die bestellte Zwischen- det sich das Institut? Welche Überlebensperspektive hat frage!) es? Das nennen wir Stresstest. Das wird jetzt nicht mehr vom SoFFin, sondern von der Bankenaufsicht durchge- führt. Es dient auch dem Schutz des Steuerzahlers, keine Hans-Joachim Fuchtel (CDU/CSU): (B) Leistung ohne Gegenleistung zu gewähren. Jeder, der im Herr Kollege Kampeter, in Bezug auf die Sparkassen (D) Rahmen unseres Angebotes Hilfe vom Staat in Anspruch konzentriert sich ja die Diskussion auf § 8 a Abs 4 Nr. 1 nimmt, muss offenlegen, wie seine Situation ist. dieses Gesetzentwurfs und konkret darauf, dass durch Veränderungen bei der Rückgewährhaftung möglicher- Zweitens. Das Institut muss bestimmte Auflagen ak- weise eine Ausdehnung des Haftungsumfangs stattfin- zeptieren, beispielsweise zur Struktur des Institutes. Die det, die die Eigentümerfunktion sehr strapaziert. Mich Landesbankenkonsolidierung ist unverzichtbar. Die Lan- interessiert, welche Möglichkeit Sie sehen, dass diese desbanken sind das zentrale systemische Risiko in der Problematik durch eine entsprechende Geschäftspolitik deutschen Finanzwirtschaft. Wir lassen uns nicht davon überwunden werden kann. abbringen, von keinem, jeden politischen Beitrag zur Unterstützung dazu zu leisten, dass der Landesbanken- Steffen Kampeter (CDU/CSU): sektor konsolidiert und stabilisiert wird. Wir werden Herr Kollege Fuchtel, ich bedanke mich für die Frage, auch Auflagen im Bereich von Leistung und Gegenleis- weil sie mir die Möglichkeit gibt, im Detail noch einmal tung vorsehen – wie wir es beispielsweise bei der Vergü- darzulegen, wie differenziert die Haftungsfolgen sind. tung für die Garantie gemacht haben –, sodass diejeni- gen, die staatliches Geld erhalten, keine übermäßigen Die Finanzmarktstabilisierung dient der Stabilisie- Vergütungssysteme haben dürfen. Das halte ich für ver- rung des Finanzmarktes. Die Behauptung, wir wollten nünftig. Das haben wir in diesem Gesetz festgelegt. einzelne Institutsgruppen oder einzelne Institute knebeln Keine Leistung ohne Gegenleistung – so lautet das ist oder gar in den wirtschaftlichen Exitus führen, ist ange- das fünfte Prinzip. sichts der Zielsetzung des Gesetzes – das muss ich ganz ehrlich sagen – ziemlich abstrus. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ein Thema – wie konnte es anders sein? – hat die Ge- müter mehr bewegt als andere, nämlich die Frage: Wie Die Behauptung, es würde hier irgendjemand über Ge- halten wir es mit den Sparkassen? Ich will dazu einiges bühr belastet, kann ich nicht nachvollziehen, zumal das sagen. Wenn wir heute und der Bundesrat am 10. Juli Gesetz auch auf dem Prinzip der Freiwilligkeit beruht. nicht dieses Gesetz beschließen würden, dann wären die An Ihrem Beispiel der Sparkassen will ich gerne er- Sparkassen in ihrer wirtschaftlichen Existenz dauerhaft läutern, was das Gesetz beinhaltet. und existenziell gefährdet, weil dann das passieren würde, was wir vermeiden wollen, nämlich dass das fi- Erstens. Die Sparkassen und Landesbanken haben of- nanzielle Risiko aus dem Landesbankensektor die Spar- fensichtlich ein existenzielles Problem. Wir machen ein 26140 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Steffen Kampeter (A) Angebot zur Lösung dieses existenziellen Problems mit Steffen Kampeter (CDU/CSU): (C) unserem sogenannten AIDA-Modell. Dafür haften Das ist ein wichtiges Thema. Ich lasse die Frage gern selbstverständlich die Sparkassen zuvorderst in ihrer zu. Eigentümerverantwortung, soweit sie Eigentümer dieser Landesbanken sind. Beispielsweise halten die Sparkas- Hans-Joachim Fuchtel (CDU/CSU): sen in Nordrhein-Westfalen 50 Prozent der Anteile an der Westdeutschen Landesbank. Da kann der Bund nicht Ich stelle in dieser Woche dann keine Zwischenfrage sagen: Jetzt übernehmen wir mal die Eigentümerverant- mehr. wortung. (Heiterkeit) Zweitens. Im Gesetz ist festgeschrieben, egal ob es Ich möchte noch ein Beispiel anführen. Ich gehe ein- sich nun um eine Sparkasse handelt oder nicht: Kein Ei- mal von Folgendem aus: Es besteht eine Gewährträger- gentümer wird über seine wirtschaftlichen Möglichkei- haftung von 5 Millionen Euro. ten hinaus in Anspruch genommen; wir haben eine Überforderungsklausel im Gesetz vorgesehen. Wir hal- (Joachim Poß [SPD]: Milliarden!) ten zwar an der Eigentümerfunktion der Sparkassen fest; – Ich breche das auf eine einzelne Sparkasse herunter. – allerdings gibt es keine wirtschaftliche Überforderung. Durch diesen Transfer von Papieren kommt es zu Ver- Drittens. Im Gegensatz zum ursprünglichen Formu- pflichtungen von 20 Millionen Euro. Damit ergibt sich lierungsvorschlag, der eine gesamtschuldnerische Haf- eine Differenz von 15 Millionen Euro. Es soll dann wohl tung vorsah – einer für alle –, haben wir jetzt eine quo- so sein, dass dafür in verstärktem Maß seitens der einzel- tale Haftung eingeführt. Das heißt, jeder Eigentümer nen Sparkasse gehaftet wird. Wie wird begründet, dass man das in diesem Gesetz so regeln will? einer Landesbank haftet nicht für den anderen mit, son- dern nur entsprechend seiner quotalen Beteiligung. Steffen Kampeter (CDU/CSU): Schließlich haben wir die Kappung der Haftung der Gegenüber dem geltenden Recht führen wir Haf- Sparkassen in Höhe der am 30. Juni 2008 existierenden tungsbeschränkungen für den Sparkassenbereich ein, Gewährträgerhaftung vorgesehen, um deutlich zu ma- Herr Kollege Fuchtel. chen, dass wir bereit sind, das Risiko der Papiere, die sie zum 30. Juni aus ihren Landesbanken übertragen, ge- (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Richtig!) meinsam mit den Sparkassen – meinetwegen in den nächsten 15, 20 Jahren – zu tragen. Würden wir nicht handeln, würde das aller Voraussicht nach das wirtschaftliche Ende der Sparkassen bedeuten; (B) (D) Allerdings wären wir nicht in der Lage gewesen, auch denn sie würden mit ihrem Eigentümeranteil und wahr- noch die Gewährträgerhaftung mit einem Volumen von scheinlich auch mit ihrem vollen Gewährträgerhaftungs- etwas über 500 Milliarden Euro auf den Bund zu ziehen. anteil sofort und unmittelbar zur Kasse gebeten. Das Wir handeln in solidarischer Partnerschaft mit den würde viele Sparkassen in den Abgrund stürzen. Eigentümern der Sparkassen, mit den Landesbanken, mit Es ist richtig: Wir würden keine systemrelevante den Ländern. Niemand wird überfordert, aber jeder muss Bank über die Wupper gehen lassen. Aber es kann doch seinen Beitrag leisten. Dies ist gelebte soziale Markt- niemand vom Bund erwarten, dass wir diejenigen, die wirtschaft. Dies ist eine Garantieoption für das wirt- haften müssen, nicht in Regress nehmen. schaftliche Überleben des Sparkassenwesens in Deutschland. Wer etwas anderes behauptet, hat den Ge- (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das würde setzentwurf in seinen Details noch nicht hinreichend zur eine Systemik auslösen!) Kenntnis genommen. Weil wir die schwierigen Papiere, die zu einem we- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sentlichen Teil mit Gewährträgerhaftung belastet sind, in neten der SPD) die Garantieverantwortung des Bundes übernehmen, er- warten wir von demjenigen, der uns diese Papiere über- lässt, dass er den Anteil an Haftung übernimmt, den er Vizepräsidentin Petra Pau: heute in der Bilanz aufführen kann. Das überfordert nie- Kollege Kampeter, der Kollege Fuchtel hat mir signa- manden, weil auch heute im Rahmen der Gewährträger- lisiert, dass er eine zweite Zwischenfrage hat. Ich würde haftung eine Belastung besteht. Es entsteht aber kein zu- sie auch noch zulassen, möchte aber an alle Kolleginnen sätzlicher Haftungsanspruch. und Kollegen – damit auch an Sie – appellieren, an die Verabredungen zu denken, die zwischen den Parlamen- Eines wollen wir allerdings nicht, Kollege Fuchtel, tarischen Geschäftsführern zum heutigen Ablauf getrof- nämlich Haftungstatbestände, die die Sparkassen nicht fen worden sind. mehr bereit sind zu übernehmen, auf den Bund ziehen. Alle Beispiele, die uns von den Sparkassen zugeleitet Aber Sie müssen zunächst einmal sagen, ob Sie die werden, zielen im Kern darauf ab, dass die Sparkassen Frage noch beantworten möchten. Haftungsrisiken auf den Bund übertragen wollen. Das kann angesichts der Leistungsfähigkeit des Sparkassen- (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Die Rede systems aber nicht unser Ziel sein. Deswegen bitte ich da wird dadurch auch nicht besser!) um Verständnis. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26141

Steffen Kampeter (A) Es kommt nicht zu einer vollständigen Umsetzung wir die wirtschaftliche Risikomitverantwortung des (C) der Wünsche der Sparkassen, aber es ist eine vertretbare Sparkassen- und Landesbankenwesens. Das ist ein ge- Lösung, die die wirtschaftliche Existenz des Sparkassen- rechter und vernünftiger Interessenausgleich, der im Üb- wesens, den Schutz des Steuerzahlers und den Interes- rigen auch widerspiegelt, dass es in den 16 Bundeslän- senausgleich zwischen Bund, Ländern sowie Sparkas- dern besondere Privilegierungen des Sparkassenwesens sen- und Landesbankeigentümern ermöglicht. Ich finde gibt, die in Teilen auf einen Schutz vor Wettbewerb hi- das vertretbar. nauslaufen. Man kann nicht auf der einen Seite Sparkas- sengesetze und eine Privilegierung der Sparkassen for- Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung auch in die- dern, auf der anderen Seite aber in allen Fragen wie der sem Bereich. private Sektor behandelt werden wollen. Das empfinde (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) ich als nicht sachgerecht. Sie sehen: Bankenrettung ist kompliziert, aber trotz- Vizepräsidentin Petra Pau: dem richtig. Sie ist im Interesse der Bürgerinnen und Kollege Kampeter, zwar stellt der Kollege Fuchtel in Bürger dieses Landes notwendig. Wir waren und sind in dieser Woche keine Zwischenfrage mehr, aber der Kol- der sozialen Marktwirtschaft – auch in einer schwierigen lege Schäffler möchte Ihnen noch eine Zwischenfrage Koalition – handlungsfähig. Am letzten Sitzungstag der stellen. Lassen Sie die zu? regulären Sitzungszeit dieses Parlaments bringen wir eine sehr umfassende Fortentwicklung auf den Weg. Steffen Kampeter (CDU/CSU): Ja. Das zeigt, dass wir uns der Probleme der Bürgerinnen und Bürger – seien sie Bankmanager, Mittelständler, So- zialhilfeempfänger, die auf Bankdienstleistungen ange- Frank Schäffler (FDP): wiesen sind, oder Menschen, die einfach einen Konsu- Herr Kollege Kampeter, Sie haben es sehr stark auf mentenkredit aufnehmen wollen – annehmen. Das zeigt, den Bereich der Gewährträgerhaftung reduziert. Die dass diese Koalition und diese Regierung bereit sind, Sparkassen haben aber nur noch einen gewissen Anteil auch in schwierigen Situationen Verantwortung zu über- ihrer Assets unter Gewährträgerhaftung. Für einen gro- nehmen. Ich würde mich freuen, wenn auch die Opposi- ßen Anteil dieser Papiere, die sie in ihren Bilanzen ha- tion dazu bereit wäre – zumindest bei diesem Gesetz. ben, gilt die Gewährträgerhaftung nicht mehr. Es war nur ein gewisser Bereich, für den historisch die Gewährträ- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) gerhaftung galt. (B) Die Sparkassen wollen auch Bereiche auslagern, für Vizepräsidentin Petra Pau: (D) die wohl keine Gewährträgerhaftung besteht. Wie ist da Das Wort hat der Kollege Roland Claus für die Frak- die Rechtslage? Haften die Sparkassen abschließend da- tion Die Linke. für? Wenn ich das richtig verstanden habe, ist der Vor- wurf der Sparkassenorganisation ja, dass ihr Haftungs- (Beifall bei der LINKEN) regime, die Gewährträgerhaftung, die sie historisch hatten, dadurch erweitert wird. Sind Sie auch meiner Roland Claus (DIE LINKE): Auffassung, dass das der Fall ist? Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Trotz der wortreichen Beschwörungen meines Steffen Kampeter (CDU/CSU): Vorredners muss klar festgestellt werden, dass dieses Herr Kollege Schäffler, ich bedanke mich für die Gesetz nicht nur von schlechten Banken, von Bad Frage und halte fest, dass die Gewährträgerhaftung sich Banks, handelt, sondern auch ein schlechtes Gesetz ist. reduziert; daran werden wir mit diesem Gesetz über- haupt nichts ändern. Das gilt für diejenigen, die freiwil- (Beifall bei der LINKEN) lig Risiken in eine AIDA ausgliedern, für die alle Steuer- Ebenso wie meine Fraktion das erste Finanzmarktsta- zahler haften, wenn da etwas schiefgeht. Das wünschen bilisierungsgesetz zur Einrichtung des Sonderfonds und wir uns nicht, das ist nicht das Ziel, und deshalb muss das zweite zur Schaffung der Möglichkeit von Verstaat- das gemanagt werden. Aber auch bei den vielen Garan- lichungen abgelehnt hat, wird sie nun auch dieses dritte, tieübernahmen ist heute nur ein prozentual sehr geringer das die staatliche Hilfe bei der Entsorgung von Banken- Anteil kassenwirksam geworden. schrott regeln will, klar ablehnen. Ich finde, wenn nun im Vergleich zu dem jetzigen Ich will dafür einige Gründe nennen, die durchaus mit Rechtszustand eine Haftungsbegrenzung eingeführt dem Begriff „Verantwortung“ in Verbindung stehen. Der wird, ist das eine erhebliche, allerdings noch vertretbare Hauptgrund ist, dass alle Risiken, die mit dem Gesetz wirtschaftliche Privilegierung des Sparkassenbereichs. verteilt werden, bei den Steuerzahlerinnen und Steuer- Ich kann keinem der kursierenden Rechenbeispiele fol- zahlern von heute und morgen abgeladen werden. Die gen, wonach eine zusätzliche Haftung der Sparkassen Koalition rühmt sich für ihren Begriff der Eigentümer- entsteht. haftung. Aber was stellen wir denn dieser Tage fest? Die Fiktion ist, dass die Sparkassen morgen in wirt- Vorstände und Aufsichtsräte treten scharenweise ab; kei- schaftlichen Regress genommen werden können, wenn ner will es mehr gewesen sein. Banken werden umstruk- wir nicht handeln. Das verhindern wir, und dafür wollen turiert und umbenannt. 26142 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Roland Claus (A) Ein Vorgang, der mich diese Woche sehr verblüfft hat, (Beifall bei der LINKEN) (C) war, dass sich die Hypo Real Estate in Deutsche Sie wollen in den Bad Banks die wertlosen Verbrie- Pfandbriefbank AG umbenannt hat. Man muss sich im fungen parken. Aber wer hier kann die Frage beantwor- Hinblick darauf einmal vorstellen, was in diesem Land ten, was werthaltig ist und was nicht. Es ist etwa so, als innerhalb von wenigen Jahren vorgegangen ist. Können wenn man Wasser und Wein in einem Glas zusammen- Sie sich vorstellen, dass sich vor drei Jahren eine Bank, schüttet und sich danach die Aufgabe stellt, das Wasser die den Namen Hypo Real Estate trägt, in Deutsche wieder herauszunehmen. Pfandbriefbank umbenannt hätte? Es muss doch etwas in Bewegung gekommen sein. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Nein, dann haben Sie Schorle!) (Beifall bei der LINKEN – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wie war Ihre eigene Umbenen- Wer soll das alles bewerten? Wahrscheinlich werden es nung denn?) wieder die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sein, die noch vor kurzem maroden Banken ihr Prüfsiegel verlie- Zuweilen wird der Regierung vorgeworfen, ihr Han- hen haben und denen bestätigt haben, dass alles paletti deln sei sozialistisch. Dann wird aus dem zweiten Gesetz sei. Wie wollen wir denn garantieren, dass da, wo künf- der wunderschöne Satz zitiert: Enteignungsbehörde ist tig „Good Bank“ draufsteht, auch wirklich eine „Good das Bundesfinanzministerium. – Wir müssen dem entge- Bank“ drin ist? genhalten, dass nicht etwa werthaltige Substanz verstaat- licht wird, sondern in erster Linie Schulden. Wir sind Die Regelung, alles in einer Frist von 20 Jahren zu- dagegen, dass Gewinne privatisiert und Verluste soziali- rückzuzahlen, kann, wenn überhaupt – wir nehmen es siert werden. aber einmal gutwillig an –, nur dann funktionieren, wenn jetzt 20 gute Jahre folgen. Dass das so sein wird, sehe (Beifall bei der LINKEN) ich aber nicht. Das ist nicht Sozialismus, sondern Kasinokapitalismus. (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der Nötig wäre an dieser Stelle eine radikale Umkehr, ein SPD: Doch!) Ausstieg aus dem Kasinokapitalismus. Was Sie aber po- Auch ein Wort zu den Sparkassen. Wir sind in der Tat litisch betreiben, ist die Vorbereitung des nächsten Kasi- der Meinung, dass die Sparkassen über Gebühr in Haf- nos. Die Politik ist doch mitverantwortlich für das, was tung genommen werden. hier geschehen ist. Sie haben der Krise doch 2004 mit der Zulassung von Hedgefonds und Verbriefungen den (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Stimmt doch Weg bereitet. Dann kommen Sie immer mit dem Zauber- nicht!) (B) (D) wort „alternativlos“. Wir sagen Ihnen, Politik ist immer Was Sie hier einführen wollen, ist sozusagen eine erwei- Menschenwerk, und was Menschenwerk ist, geht immer terte doppelte Gewährträgerhaftung; denn die Sparkas- auch anders. Genau das ist unsere Forderung. Insofern sen haften bereits für die Landesbanken. Das ist doch war es jedoch nahezu folgerichtig, dass eine Finanzblase nicht unbekannt. Insofern sehen wir in der Tat eine Un- entstand. Ein System, in dem Renditeversprechungen gleichbehandlung von Sparkassen und Geschäftsbanken. von 20 Prozent und mehr gemacht werden, während es Man muss es in aller Deutlichkeit sagen: Sie spielen mit nur ein Wirtschaftswachstum von 2 bis 3 Prozent gibt, der Stabilität der Sparkassen und damit mit der jener Fi- kann nur funktionieren, wenn in Kauf genommen wird, nanzinstitute, die als einzige in den Finanzmarkt eine ge- dass rund herum alles zusammenbricht. wisse Sicherheit bringen. Natürlich haben auch die Spar- Vor kurzem hat mir ein erfahrener Unternehmer die kassen Fehler gemacht; aber ihnen jetzt solche Lasten ganze Situation einmal in kurzen Worten geschildert. Er aufzubürden, geht nicht in Ordnung. hat gesagt: Wissen Sie, früher war es so, dass sich ein Nun hat der Sparkassen- und Giroverband uns, den gutes Unternehmen nach einer guten Bank umgeschaut Mitgliedern des Haushalts- und des Finanzausschusses, hat, um seine Finanzgeschäfte dort zu tätigen. Heute sind dieser Tage einen Lösungsvorschlag zukommen lassen, Hedgefonds auf der Suche nach Unternehmen, um diese wie man dieses Problem beheben kann. Ich rufe Sie auf auszunehmen. – Man muss doch jetzt endlich darange- – der Vorschlag liegt vor –: Übernehmen Sie als Koali- hen, diese Entwicklung umzukehren, statt nur an ihr her- tionsfraktionen diesen Vorschlag zu § 8! Dann könnten umzudoktern. wir dieses Problem noch heilen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Unterdessen ist mir in dieser Woche bekannt gewor- Meine Fraktion bringt außerdem in Form eines Ent- den, dass die Vertreter der Bundesregierung vor kurzem schließungsantrags den Vorschlag ein, eine staatliche ein neues Bonussystem für Banker gebilligt haben. Mit- Ratingagentur zu schaffen, um zu verhindern, dass pri- hilfe dieses neuen Bonussystems soll alles transparenter vate Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Ratingagen- werden. Wir sagen Ihnen dazu: Solange man Boni an turen noch einmal ein solches Unheil, zu dem sie jetzt in überhöhte Renditeerwartungen knüpft – das ist auch bei Gestalt der Finanzmarktkrise maßgeblich beigetragen diesem sogenannten neuen Bonussystem der Fall –, wird haben, anrichten. Mit diesem Vorschlag stehen wir nicht sich die Lage nicht wirklich bessern. Deshalb ist auch allein. Er ist unlängst auch vom Bundespräsidenten dies der falsche Weg. Man kann hier keinesfalls von et- Horst Köhler unterbreitet worden. Deshalb wollen wir was Neuem sprechen. Ihnen hier die Möglichkeit geben, einen solchen Vor- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26143

Roland Claus (A) schlag, der auf so viel Sympathie in der Gesellschaft Bezeichnungen aus. Ich bin mir allerdings nach dem, (C) trifft, umzusetzen. was Sie heute vorlegen, sicher, dass die nächste Bundes- regierung gar nicht darum herumkommen wird, ein wei- (Beifall bei der LINKEN) teres Gesetz zu machen. Meine Damen und Herren, dieses Gesetz ist ein (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Neue Fragen, schlechtes Gesetz, ebenso wie seine Vorgänger. Sie set- neue Antworten!) zen die unsoziale Regierungspolitik fort: Banken werden beschirmt, die Bürgerinnen und Bürger werden im Re- Nach einigen Monaten muss man sich fragen, ob es gen stehen gelassen. Dazu sagen wir: So nicht! Das Ge- nicht an der Zeit ist, einen Blick auf die Strategie zu wer- setz lehnen wir ab. fen. Was machen Sie? Sie verharren in einer falschen (Beifall bei der LINKEN) Strategie und schnüren ein weiteres Milliardenpaket in Form des Bad-Bank-Auslagerungsmodells – ich müsste eigentlich im Plural sprechen, weil Sie sich nicht auf Vizepräsidentin Petra Pau: eine einheitliche Lösung verständigen konnten –, um Das Wort hat der Kollege Dr. Gerhard Schick für die hier noch einmal etwas draufzulegen. Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Differenzier- tes Vorgehen, Herr Kollege!) Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Jetzt wäre es an der Zeit, einen Strategiewechsel vor- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! zunehmen, und das ist die Position von Bündnis 90/Die Lassen Sie mich erst einmal eine Anmerkung zum Ver- Grünen. fahren machen: Wir haben im letzten Herbst in großer Eile ein Gesetz zur Bankenrettung verabschiedet. Auch (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Aha!) wir waren damals der Ansicht, dass man schnell agieren Denn ohne einen Strategiewechsel kann es unserer Mei- musste. nung nach nicht einfach ein Bad-Bank-Gesetz geben. Bei dem Thema, wie wir mit toxischen Wertpapieren (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Dann machen umgehen, muss man allerdings hinterfragen, warum die- wir alle vier Wochen einen Strategiewechsel!) ses am letzten Tag der letzten regulären Sitzungswoche behandelt werden soll. Schließlich war das Thema im Was wäre Teil dieses Strategiewechsels? Der erste Punkt letzten Oktober auf dem Tisch. Das Thema ist schon im ist die Freiwilligkeit. (B) Januar und Februar diskutiert worden, und nun war es (D) noch nicht einmal auf den letzten Metern möglich, dass (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Die haben wir wir in der regulären Sitzung des Finanzausschusses Ihre doch, die Freiwilligkeit!) Änderungsvorschläge bekamen. Vielmehr mussten wir Das ist angesprochen und auch von der SPD thematisiert das Thema in einer kurzfristig einberufenen zusätzlichen worden. Wie weit es geführt hat, haben wir gesehen. Sitzung durchpeitschen. Und dann zu sagen, in den USA würden die Regional- Das sage ich vor dem Hintergrund, dass es sich um banken aufgrund des Zwangs pleitegehen, Herr ein Gesetz handelt – das muss man sich einmal klarma- Kampeter, war unterirdisch. Es ist doch vielmehr so, chen –, das – das wissen wir – über 20 Jahre Wirkung dass gerade diese Banken nicht in die Rettungsmaßnah- entfalten wird. Das sind fünf Legislaturperioden; da sind men mit einbezogen werden, weil man dort zwischen die meisten von uns gar nicht mehr dabei. den systemrelevanten und kleineren Banken differen- ziert. Insofern ist dies überhaupt kein Beispiel dafür, Dieses Gesetz in dieser Form durchzupeitschen, zeugt dass Freiwilligkeit notwendig wäre. Im Gegenteil: Wir nicht von Handlungsfähigkeit, Herr Kampeter. Diese stellen fest, dass es überhaupt nicht sinnvoll ist, darauf Vorgehensweise zeugt vielmehr von mangelnder Hand- zu warten, dass die Institute sagen, wann sie etwas haben lungsfähigkeit. In dem Verhandlungsmarathon zwischen möchten. Wir selber sollten über den Tag hinaus den verschiedenen Akteuren auf Bundes- und Landes- schauen, was die Institute brauchen. Wir müssten realis- ebene, von SPD und Union hin und her ist es einfach tische Szenarien entwerfen, die in der nächsten Zeit auf nicht gelungen, dieses Thema, das seit Monaten auf dem uns zukommen könnten, und dann müssten wir schauen, Tisch ist, in einem geordneten Verfahren sauber zu be- was die Banken aushalten würden. Daraus resultierend handeln. – Auch dieser Aspekt muss hier einmal be- müssten wir mit einer Strategie der Rekapitalisierung die leuchtet werden. Banken so aufstellen, dass bei einer weiteren Ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schlechterung der wirtschaftlichen Lage kein neues Ge- und bei der FDP – Steffen Kampeter [CDU/ setz notwendig wäre. CSU]: Seit Mitte Mai liegt der Gesetzentwurf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vor!) Genau das ist der Fehler: Sie agieren so, als wäre alles Wenn man in dieser Weise nun zum dritten Mal ein schon passiert. Gesetz zur Finanzmarktstabilisierung macht – es gibt ja schon das Finanzmarktstabilisierungsfortentwicklungs- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Habe ich nie gesetz und Ähnliches –, dann gehen einem langsam die behauptet, Herr Kollege!) 26144 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Dr. Gerhard Schick (A) Sie reagieren immer aus der Sicht des Ist-Zustands, ob- Es ist richtig, dass geprüft wird, ob Schadenersatzan- (C) wohl wir wissen, dass es noch eine weitere Verschärfung sprüche bestehen. Aber Sie müssen endlich einmal die geben wird. Strategie verlassen, dass der Bund zwar Geld herüber- schiebt, aber keinen Einfluss ausüben will. Auch das ist (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Deswegen Teil eines Strategiewechsels, der jetzt notwendig ist. Sie machen wir dieses Gesetz!) versuchen es mit Ihrem Antrag auf die populistische Dies sind die kurzfristigen Aktionen, mit denen die Art. Sie müssten sich aber grundsätzlich einmal die Große Koalition reagiert. Es ist eben keine längerfristige Frage stellen, was aus der Tatsache folgt, dass der Bund Perspektive, und damit stabilisieren Sie gerade nicht, Eigentumsanteile besitzt. Auch an dieser Stelle ist ein sondern Sie schaffen immer neue Unsicherheiten, Strategiewechsel dringend notwendig. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wissen Sie Wir, Bündnis 90/Die Grünen, setzen nicht auf das denn schon, was kommt?) Bad-Bank-Konzept, sondern auf ein Good-Bank-Kon- zept. Es lagen dazu gute Vorschläge, unter anderem der weil immer nachkorrigiert werden muss. Bundesbank, vor. Es ist schade, dass diese Vorschläge in Ihrer Diskussion keine Rolle gespielt haben. Das Ent- (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Er weiß scheidende ist jetzt nicht, auf die Altlasten zu schauen, schon, was kommt!) sondern, die Banken so aufzustellen, dass sie in Zukunft Das ist der Fehler, und daher müsste jetzt ein Strategie- das leisten können, was wir von ihnen erwarten, nämlich wechsel her. die notwendige Kreditversorgung des Mittelstandes, und zwar nicht nur kurzfristig, sondern für die nächsten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Monate und Jahre, die leider noch schwierig werden. Zu den Sparkassen. Diese haben ja zwei Rollen. Zum Meine Prognose ist, dass es genauso kommt, wie wir einen sind es Institute, die in die Lage versetzt werden schon im Frühjahr vorausgesehen haben, nämlich dass sollen, Kredite auszugeben. Zum anderen wissen wir, es ein weiteres Rettungsgesetz gibt. Eine Regel gilt wei- dass sie Teil derer sind, die wir jetzt stabilisieren müs- terhin – ich habe sie schon im Frühjahr genannt –: Im- sen. Denn es wird in nächster Zeit nicht allen Sparkassen mer dann, wenn der Bundesfinanzminister mit großer gut gehen. Überzeugung einen Standpunkt vertritt, tritt genau das Gegenteil ein. Im Frühjahr haben Sie, Herr Bundesfi- (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Aber nicht nanzminister, gesagt, es werde keine Bad Bank geben. durch das Gesetz!) Jetzt haben wir sie. Sie haben weiterhin gesagt, das Bad-Bank-Gesetz werde der große Hebel für die Konso- (B) Sie, Herr Kampeter, haben hier nur die Eigentümer- (D) rolle angesprochen. Man muss aber beide Punkte gegen- lidierung der Landesbanken. Wieder trifft die Regel zu, einander abwägen, und aus dieser Abwägung heraus dass das Gegenteil von dem eintritt, was der Bundes- hätte man zu einer anderen Lösung kommen müssen, die finanzminister mit großer Überzeugung vertritt. Ich die Sparkassen in die Lage versetzen würde, in Zukunft glaube, hier brauchen wir einmal eine Korrektur. das zu tun, was wir von ihnen erwarten, nämlich in der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Region über eine gute Kreditvergabe Arbeitsplätze zu si- chern. Das haben Sie nicht so abgewogen, wie es not- wendig gewesen wäre. Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Peer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Steinbrück. Ich will noch ein Wort zu dem Entschließungsantrag (Beifall bei der SPD) sagen, in dem Sie fordern, dass untersucht wird, ob ge- gen die Hypo Real Estate Schadenersatzansprüche beste- Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen: hen. Frau Präsidentin! Ich müsste eine Redezeit von (Roland Claus [DIE LINKE]: Populismus 60 Minuten haben, um auf die vielen Irrtümer, Verdre- pur!) hungen und Überzeichnungen von Herrn Schick einzu- gehen. Was Sie da machen, finde ich drollig. Wir haben vorge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) schlagen, dass die Kandidaten – damals waren es noch Kandidaten – für den Aufsichtsrat der Commerzbank im Da ich aber lediglich 9 Minuten habe, will ich nur sagen: Finanzausschuss gehört werden. Wir waren nämlich der Der Bundesfinanzminister hat nie in irgendeiner Form Meinung: Wenn der Bund Eigentumsanteile hat, dann den Standpunkt vertreten, dass er ein großes Bad-Bank- muss er auch wenigstens seine Vorstellungen äußern Modell zentralisierter Art in Deutschland für richtig hält. können. Sie haben aber argumentiert, dass das nicht gehe Sie wissen, dass ich das nie getan habe. und dass man keine entsprechende Anhörung durchfüh- (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE ren könne, weil man keinen Einfluss auf Aufsichtsräte GRÜNEN]: Das habe ich auch nicht behaup- ausüben könne. Jetzt plötzlich fordern Sie die Aufsichts- tet, Herr Minister!) räte, die im Namen des Bundes dort tätig sind, in einem Antrag auf, entsprechend zu handeln. Wie passt das ei- Ich habe immer davon gesprochen, dass es institutsspe- gentlich zusammen? zifische Lösungen geben muss. Eine solche Lösung le- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26145

Bundesminister Peer Steinbrück (A) gen wir heute vor. Ich will mich an diesem Punkt aber Sie bringen eine Dramatik in die Debatte hinein, wol- (C) nicht lange aufhalten, sondern versuchen, etwas grund- len ein paar Blinklichter setzen und Parolen ausgeben, sätzlicher zu werden. nach dem Motto: Da muss jetzt nachgelegt werden. Das ist nicht der Kern dieses Gesetzes. Als derjenige, der Ih- Wir haben damals im Finanzmarktstabilisierungsge- nen mit Unterstützung des Kabinetts einen Formulie- setz, wie Sie sich erinnern können, drei Maßnahmen vor- rungsvorschlag unterbreitet hat, verlange ich Ihnen vor gesehen: Garantien, Kapitalinjektionen und auch die der Sommerpause keine weiteren Milliarden ab – weder Möglichkeit, sogenannte Problemaktiva – ich sage es mit Blick auf Kapitalinjektionen noch mit Blick auf einmal umgangssprachlich – aufzukaufen. Von zwei die- Garantien noch über das 500-Milliarden-Euro-Gesetz hi- ser Instrumente ist Gebrauch gemacht worden. Wir ha- naus –, um der Problemaktiva in den Bilanzen Herr zu ben dann festgestellt, dass das dritte Instrument immer werden. Insofern frage ich mich, ob Sie diese Stichworte mehr an Bedeutung gewinnt, weil sich die Zeiten ändern. wider besseres Wissen geben oder ob Sie das nicht be- (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE griffen haben. Beides ist für die Politik gleich gefährlich GRÜNEN]: Weil Sie nur immer kurzfristig und beunruhigt die breite Öffentlichkeit. agieren!) Warum haben wir Probleme in den Bilanzen? Wir ha- Man muss gegebenenfalls nachjustieren. Die Welt um ben das Problem, dass eine ganze Reihe von Banken uns herum verändert sich, insbesondere unter dem Druck unabhängig von ihrer Rechtsform Wertpapier- und Kre- der Finanzmarktkrise, in einer rasanten Geschwindig- ditportfolios hat, die einer immer weiter gehenden Ab- keit. Die Politik kann da nicht stehen bleiben, sondern wertung unterworfen sind. Man muss versuchen, das sie wird sich auf neue und sich verändernde Verhältnisse denjenigen Menschen zu erklären, die mit diesen fachli- einzustellen haben. chen Zusammenhängen nicht täglich zu tun haben. Wa- rum ist das so gefährlich? Diese Portfolios unterliegen Über diesen dritten Instrumentenkasten reden wir dem, was wir in der Schule erlebt haben, als die Bewer- jetzt. Wir haben uns auch nicht fahrlässig viel Zeit gelas- tung unserer Leistungen von Drei auf Drei minus und sen, wie Herr Toncar und andere behaupten. Wir haben dann auf Vier herunterging – eine Art Ratingmigration –; aber festgestellt, dass es die komplizierteste Materie ist, das heißt, man wurde immer weiter abgestuft. Mit jeder die es gibt. Wenn Sie nämlich zu einer Bereinigung der Abstufung verfressen, verfrühstücken die Banken immer Bilanzen beitragen und die Banken entlasten wollen, in- mehr Eigenkapital. Das ist aus zwei Gründen hochge- dem Sie die belastenden Papieren aus den Bilanzen so- fährlich: zusagen wegfegen, dann müssen Sie die Frage beant- worten: Wer ist der Dumme, der die damit verbundenen Möglicherweise haben diese Banken eines Tages so (B) Risiken übernehmen soll? wenig Eigenkapital, dass sie kurz vor der Insolvenz ste- (D) hen. Dann muss die Bankenaufsicht eingreifen, dann (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr wahr!) muss sie tätig werden. Das bedeutet, dass eine solche Bank plötzlich pleite ist und buchstäblich verschwindet. Daran haben andere Länder lange gearbeitet. Je effek- Dann haben wir ein Problem. tiver die Bilanzbereinigung ist, desto drängender steht die Frage im Raum, wer die Haftung und die Risiken für Ein noch viel größeres Problem ist aber, dass dieses das übernimmt, was aus den Bilanzen weggefegt worden Eigenkapital, das dadurch verfressen bzw. verfrühstückt ist. Darauf keine Antwort gefunden zu haben, daran sind wird, dass Aktiva dieser Banken immer weiter abgewer- andere Länder weitestgehend gescheitert. tet werden, nicht mehr denjenigen zur Verfügung steht, die es in Deutschland aus konjunkturellen Gründen drin- (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Da gab es gend brauchen: die Marktneulinge, der Mittelstand und auch entsprechende Modelle hier!) die großen Unternehmen. Sie vergessen zum Beispiel, dass die Amerikaner ihr (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Modell drei- bis viermal unter dem Druck der Verände- Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: So ist rungen bzw. aufgrund der Notwendigkeit, nachzujustie- es!) ren, modifiziert haben. Übrigens sind die Risiken weit- gehend bei den Steuerzahlern verblieben. Deshalb sind Sie lesen doch gelegentlich, dass große Unternehmen Ihre Annahme und die von Herrn Claus absolut falsch. einen Refinanzierungsbedarf von 2, 3, 4 oder 5 Mil- Herr Claus sagt, alle Risiken seien beim Steuerzahler ge- liarden Euro haben. Dieses Geld bekommen sie aber blieben, um alle Menschen, die um uns herum sind und nicht mehr. Das bekommen sie auch deswegen nicht uns zuhören, zu erschrecken. Pustekuchen! Das stimmt mehr, weil sich andere europäische Banken in dieser gar nicht! Sie sagen, dass ein neues Milliardenpaket auf Krise an der Konsortialfinanzierung in Deutschland den Bundeshaushalt und damit auf den Steuerzahler ab- nicht mehr beteiligen. Das ist der Grund, warum wir gewälzt wird. Warum ist Ihnen denn dann kein Gesetz- dazu beitragen müssen, dass die Bilanzen der Sparkas- entwurf mit weiteren Forderungen vorgelegt worden? sen, der Landesbanken, der privaten Geschäftsbanken Weil es eben keine neuen Belastungen in Milliardenhöhe und, wenn es sein muss, der Genossenschaftsbanken ent- sind, die über den 500-Milliarden-Euro-Schirm, den wir lastet werden. Das ist der Grund. haben, hinausgehen. Das, was Sie da sagen, ist falsch. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Steffen der CDU/CSU – Steffen Kampeter [CDU/ Kampeter [CDU/CSU]: Sehr wahr!) CSU]: Sehr richtig!) 26146 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Bundesminister Peer Steinbrück (A) Herr Schick, ich will gar nicht ausschließen, dass die Freunde, die in den jeweiligen Aufsichtsräten oder Ver- (C) Lage in einem halben Jahr so ist, dass wir noch einmal waltungsräten sind. Sie müssen nur wissen: Wenn diese darüber beraten müssen. Was ich aber ausschließen Gewährträgerhaftung noch weiter relativiert werden möchte, ist, dass wir alle in die Sommerpause gehen, sollte, müssen Sie die Frage beantworten, wer denn dann ohne einen Instrumentenkasten für den Fall zu haben, eintreten soll. Wissen Sie, wer für die Bereitstellung von dass etwas passiert. Das ist der Grund für unser Handeln. weiterem Kapital oder die weitere Übernahme von ent- Das müssen Sie doch allen Beteiligten sagen. Es ist kein sprechenden Risiken ausgeguckt ist? Sie, der Deutsche großes Geheimnis, dass vor vier Wochen eine Landes- Bundestag. Das ist doch völlig klar. Das ist wie eine bank in einer Situation war, in der die Bundesanstalt für Bettdecke, die hin- und hergezogen wird. Wenn andere Finanzdienstleistungsaufsicht, die BaFin, fast aufsichts- gerne wollen, dass Ihre Füße, Ihre Knie und Ihre Ober- rechtlich hätte tätig werden müssen. Ich möchte aus- schenkel durch die Bettdecke gut geschützt werden und schließen, dass die Exekutive es in der Sommerpause sagen, sie müsse heruntergezogen werden, dann wird un- mit einem ähnlichen Fall zu tun hat, ohne dass ein In- ser Kopf kalt; dann müssen wir zahlen. Die Bettdecke strumentenkasten zur Bewältigung einer solchen Krise kann nur in die eine oder in die andere Richtung gezogen zur Verfügung steht. Deshalb bitte ich dringend darum, werden. Ich glaube, dass diese Lösung, auch bei Ergän- dass der Gesetzgeber in Ergänzung zu den bisherigen zung einer sogenannten Überforderungsklausel für die Beratungen diesen Handwerkskasten bereitstellt. Sonst Sparkassen, absolut verantwortlich ist. haben wir ein großes Problem. Ich will in der verbleibenden Redezeit noch einige (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Dinge kursorisch andeuten. der CDU/CSU) Ja, wir haben, dem Beratungs- und Abstimmungspro- Mit Überraschungselementen – von hinten durch die zess der Koalition folgend, etwas getan, was ich nicht Brust ins Auge – hat das überhaupt nichts zu tun. vorgesehen hatte: Wir haben auch die Möglichkeit von Landesanstalten begründet. Ich gebe zu, dass das für Was würde passieren, wenn wir im August einen sol- mich ein schwieriger Punkt ist. Warum? Weil ich die chen Fall hätten? Das frage ich auch mit einem kriti- Vermutung habe, dass einige Länder die Vorstellung ha- schen Blick auf die Sparkassen. Der jetzige Zustand der ben, alles so belassen zu können, wie es bisher ist. Sparkassen ist hoch risikobehaftet. Ich hätte es lieber gehabt, wenn es bei der AIDA- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Jawohl!) Lösung geblieben wäre, weil wir dann mit Blick auf die Wenn eine Landesbank aufsichtsrechtlich jetzt ins Mora- entsprechenden Genehmigungsschritte dahin gehend torium, in die Insolvenz gebracht würde, was würde das hätten Druck ausüben können, dass die zwingend not- (B) für die beteiligten Sparkassen bedeuten? Das würde be- wendige Konsolidierung des Landesbankensektors in (D) deuten, dass sie ihre jeweiligen quotalen Anteile sofort Deutschland vorangeht. Ich habe diesen Hebel nur für abzuschreiben hätte. Ich will das nicht herbeirufen; aber den Fall, dass die Landesbanken von den Bundesange- ich habe einen Fall im norddeutschen Raum vor meinem boten Gebrauch machen, aber nicht für den Fall, dass sie geistigen Auge und sehe, was dort mit Blick auf die be- eine Landesanstalt unter dem jetzt geänderten Bundes- teiligten Sparkassen allein in einem Bundesland alles recht einrichten. Ich füge allerdings hinzu: Der Problem- passieren könnte. Diese Sparkassen sind schon jetzt in druck und die Europäische Kommission werden die Län- einer weiß Gott nicht komfortablen Position. Es ist un- der dahin bringen. verantwortlich, es dabei zu belassen. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Und Neelie! – Demgegenüber ist all das richtig, was der Kollege Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Frau Kroes Kampeter beschrieben hat, und zwar auch hinsichtlich lässt grüßen!) der Entlastung der Sparkassen. Zu dieser Einsicht kamen Das heißt, wenn diese Bank, die im Augenblick nur sehr wir nicht zuletzt durch die Beratungen innerhalb der Ko- spärlich besetzt ist, die Vorstellung hätte, es bleibe auch alition. in drei oder vier Jahren bei dem jetzigen Konstrukt der Landesbanken – die meisten von denen haben kein trag- Ich gebe zu: In meinem Formulierungsvorschlag wa- fähiges Geschäftsmodell –, dann wäre das der größte Irr- ren die Haftungsbedingungen für die Sparkassen noch tum, mit dem man sich über die jetzige Situation hin- weitreichender. Jetzt werden sie begrenzt; sie unterlie- wegtäuschen würde. gen einer Kappung, und zwar nach der Gewährträgerhaf- tung, die sie am 30. Juni 2008 gehabt haben. Niemand (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten von den Sparkassen wird darüber hinaus an weiter ge- der CDU/CSU) henden Verlusten quotal beteiligt. Dies ist bei den Län- dern anders: Die Länder werden quotal auch über ihre Niemand kann ausschließen, dass wir im Laufe der jetzige Gewährträgerhaftung hinaus herangezogen, nächsten Monate in dem einen oder anderen Fall im wenn etwas passiert – was hoffentlich nicht der Fall sein Bankensektor weitere Probleme bekommen. Ich glaube, wird. dass der Deutsche Bundestag mit diesem Thema mehr- heitlich bisher sehr verantwortungsbewusst umgegangen Im Übrigen sagen einige, das sei ihnen zu wenig. Dies ist. Ich wünsche mir gelegentlich, Herr Toncar, dass Sie steht auch in einigen der jüngsten Briefe, die wir bekom- nicht abschließend sagen: Dieses Gesetz wird nicht zum men. Ich weiß, dass Sie als Abgeordnete unter massivem Erfolg beitragen. Wäre es nicht verantwortungsbewuss- Druck sind durch die verschiedenen Bekannten und ter, wenn Sie sagen würden: „Wir wollen im Interesse Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26147

Bundesminister Peer Steinbrück (A) des Landes alles versuchen, damit sich der Erfolg ein- nen und damit ihre Handlungsfähigkeit wiederhergestellt (C) stellt“? wird. Vor allen Dingen müssen sie – das ist der Sinn der ganzen Übung – wieder in vollem Umfang in das für sie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten unverzichtbare Kreditgeschäft einsteigen können. Jetzt der CDU/CSU) geben wir ihnen die Möglichkeit, eventuell auftretende Diese Tendenz – es gibt sie oft in Oppositionsreden –, Verluste über 20 Jahre abzuschreiben. Diese Regelung eher am Scheitern orientiert zu sein, führt am Ende, dient auch der Schonung des Steuerzahlers. wenn es schiefläuft, dazu, dass man so reagiert wie die Eltern eines Kindes, das auf eine heiße Herdplatte ge- Zweitens – hier hatten wir in besonderer Weise die fasst hat, indem man nämlich sagt: Ich habe dich doch Landesbanken im Blick – schaffen wir die Möglichkeit, gleich gewarnt, dass das heiß ist; es ist gut, dass du dich Risikopositionen und möglicherweise auch strategisch verbrannt hast. nicht notwendige Geschäftsfelder in eine Anstalt auszu- gliedern, und zwar ohne Bewertungsabschlag; auch da- (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE rauf muss einmal hingewiesen werden. Denn hier be- GRÜNEN]: Besser, als monatelang die Augen steht – das hat der Kollege Kampeter vorhin dargelegt – zu verschließen!) ein Zusammenhang zur vorgesehenen Haftungsregelung. Ich glaube, es ist nicht zu unterschätzen, dass die Aus- Diese Haltung kommt gelegentlich zum Ausdruck. gliederungen ohne Bewertungsabschlag vorgenommen Stattdessen sollten wir bei einer solchen Frage alle werden können; denn dadurch werden die Institute ent- motivieren, gemeinsam zum Gelingen beizutragen, weil lastet. Danach haben sie die Möglichkeit, über einen lan- das im Interesse dieses Landes ist. Diese Tonlage würde gen Zeitraum hinweg eine Neuausrichtung vorzunehmen ich mir bei einer solchen Beratung gelegentlich wün- und ihre Bilanzen zu entlasten. schen. Drittens. Auch wenn Minister Steinbrück bei diesem (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Thema zu einer etwas anderen Bewertung kommt, der CDU/CSU) möchte ich sagen: Ich bin sehr froh darüber, dass es uns gelungen ist, dafür zu sorgen, dass auch landesspezifi- Ich will mich abschließend namentlich insbesondere sche Lösungen vorgesehen werden können. Wir haben bei Herrn Schneider und bei Herrn Kampeter für sehr in- die gesetzliche Grundlage dafür geschaffen, dass indivi- tensive und lange Beratungen bedanken. Es war ein duelle Lösungen möglich sein werden. Dies hat zum ei- schwieriger und unter Stress geführter Prozess. Ich nen zur Folge, dass der Bund nicht zur Verantwortung glaube, dass dabei etwas sehr Konstruktives herausge- gezogen wird, und zum anderen, dass die Länder die kommen ist. Ich weiß, dass Sie einige Überzeugungen (B) Möglichkeit haben, für sich strategisch bessere Lösun- (D) über Bord werfen mussten. Auch ich habe mich an der gen zu finden. einen oder anderen Stelle auf Ihre Beratung einlassen wollen und müssen. Ich war sehr angenehm überrascht, Ich möchte darauf hinweisen, dass die Länder in die dass das dann so gut gelaufen ist. Noch einmal: Ich be- Vorbereitung und in die Vorgespräche sehr intensiv ein- danke mich ausdrücklich. gebunden waren. Es ist nicht so, dass wir – sozusagen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten hermetisch abgeriegelt – dieses Gesetz erarbeitet hätten, der CDU/CSU) ohne die Länder in die Vorbesprechungen und die vorbe- reitenden Beratungen einzubeziehen.

Vizepräsidentin Petra Pau: Andere haben schon deutlich gemacht: All die Aktivi- Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege täten, die wir seit dem vergangenen Herbst zur Stabili- Bartholomäus Kalb das Wort. sierung des Finanzmarktes unternommen haben, haben wir unternommen, um den Bankensektor zu stabilisieren (Beifall bei der CDU/CSU) und die Einlagen der Bürgerinnen und Bürger zu si- chern; sonst wären viele schlimme Entwicklungen mög- Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): lich gewesen. Vor allen Dingen ging es uns darum, die Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kreditversorgung der Wirtschaft sicherzustellen. Der Kollegen! Herr Minister Steinbrück, wir alle sind sehr Deutsche Bundestag handelt immer mit einem Höchst- am Gelingen interessiert und wollen konstruktiv daran maß an Verantwortungsbewusstsein. Vieles von dem, mitwirken. Deswegen haben wir mit diesem Finanz- was wir tun, ist nicht populär und kommt nicht gut an, marktstabilisierungsfortentwicklungsgesetz, wie es et- und Vorurteilen ist Tür und Tor geöffnet. Manche The- was kompliziert heißt, im Wesentlichen zwei zusätzliche men sind allerdings nicht gerade einfach zu vermitteln. Instrumente geschaffen, die jetzt genutzt werden kön- nen. Vor diesem Hintergrund ist unsere Forderung – viele andere erheben sie auch – verständlich, dass auch dieje- Erstens. Mit dem sogenannten Beibootmodell haben nigen, die in den Banken unmittelbar Verantwortung ge- wir dafür gesorgt, dass die strukturierten Papiere – sie tragen haben und immer noch tragen, zur Verantwortung werden auch toxische oder giftige Papiere genannt – in gezogen werden müssen. Natürlich gibt es in einem Zweckgesellschaften ausgelagert werden können, und Rechtsstaat keine Willkür. Die Instrumente, die in einem zwar zur Entlastung der Bilanzen, damit die Kernbanken Rechtsstaat vorhanden sind, müssen allerdings genutzt wieder ihrem eigentlichen Kerngeschäft nachgehen kön- werden. Auch das gebietet die Situation. 26148 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Bartholomäus Kalb (A) Wir erwarten, dass die von uns ergriffenen Maßnah- erklärte Wille der Politik, die ersten beiden Instrumenta- (C) men nicht nur zur Stabilisierung des Bankensystems die- rien stärker zu fahren und die Frage der Risikoüber- nen, sondern vor allem auch zur Verbesserung des Kre- nahme, weil hier die größte Gefahr einer zusätzlichen ditflusses und zur Kreditversorgung der Wirtschaft; das Belastung des Steuerzahlers besteht, zurückhaltend zu gilt insbesondere im Hinblick auf den Mittelstand, aber behandeln. natürlich auch im Hinblick auf den Privatkunden. Un- Nichtsdestotrotz hat die Union rechtzeitig daran erin- sere Maßnahmen werden durch die Maßnahmen, die die nert, dass wir auch einen Teil brauchen, der die Bilanzen Zentralbank zur Liquiditätsversorgung ergreift, ergänzt. der Banken entlastet. Neben dem Modell der sogenannten Ich bin der Meinung, es ist einmalig, dass für 1 Prozent Zweckgesellschaft sollte eine Möglichkeit geschaffen Refinanzierungskosten ein Jahr Liquidität ausgereicht werden, dass sich Banken – auch im öffentlich-rechtli- wird. Wir erwarten, dass diese Möglichkeiten nicht für chen Bereich; Stichwort „Landesbanken“ – konsolidie- irgendwelche attraktiven Handelsgeschäfte genutzt wer- ren und aus der Konsolidierung heraus neu strukturieren. den, sondern dass sie genutzt werden, um die Kreditver- Von daher ist diese Gesetzesergänzung – nicht umsonst sorgung in noch höherem Maße als bisher sicherzustel- heißt es: Gesetz zur Fortentwicklung der Finanzmarkt- len. stabilisierung – ein wichtiger Beitrag, diesen Weg zu ge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und hen. Es ist wichtig, dass wir hiermit ein Angebot unter- der SPD) breiten, das auf freiwilliger Basis angenommen werden kann. 1 Prozent, ein Jahr – ich glaube, das ist gut. Wenn wir bei den Verhandlungen über die Konsoli- Vizepräsidentin Petra Pau: dierungsbank, über das Konsolidierungsmodell einigen Kollege Kalb, achten Sie bitte auf das Signal. Vorstellungen unseres Koalitionspartners bzw. Herrn Schneiders gefolgt wären – es ging um die Frage einer größeren Kapitalbeteiligung des Bundes an diesen Maß- Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): nahmen –, hätten Sie, Herr Minister Steinbrück, es wie- Ich bin sofort am Ende, Frau Präsidentin. der mit einer Landesbank – für eine Landesbank haben (Dr. Hans-Ulrich Krüger [SPD]: Das hoffen Sie schon einmal vorübergehend Verantwortung getra- wir nicht! – Gegenruf von der CDU/CSU: Mit gen – zu tun bekommen. Davor wollten wir Sie bewah- dem Redebeitrag!) ren. Wir wollten die Bereiche stärken, die sich von der Effizienz her als zukunftsweisend herausgestellt haben. Ich will nochmals darauf hinweisen, dass wir all dies nicht tun, weil wir besondere Sympathie für Banken Es ist kein Geheimnis, dass es bei unserem Koali- (B) oder für Bankmanager haben, sondern weil es im Inte- tionspartner – aber auch beim Minister – Vorbehalte gab, (D) resse der Wirtschaft, im Interesse der sozialen Sicherheit den Weg, den wir jetzt beschreiten, zu eröffnen. Das ist und letztlich im Interesse der Menschen ist. auch Modellen vom Bankenverband geschuldet. All die Modelle, wie man strukturierte Papiere bankentlastend Ich möchte zum Abschluss den amerikanischen Präsi- in andere Bereiche einführen kann, waren dadurch ge- denten, Barack Obama, zitieren, der bereits in seiner ers- kennzeichnet, dass dies einseitig zulasten des Steuerzah- ten Rede gesagt hat: Es geht nicht darum, Banken zu hel- lers gegangen wäre. Von daher ist hier ein guter Weg ge- fen; es geht darum, den Menschen zu helfen. – Das funden worden. wollen wir tun. Die Union hat ihren Beitrag zu diesem Gesetz geleis- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und tet. Im ersten Gesetzentwurf war ausschließlich der erste der SPD – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Teil vorgesehen: die Zweckgesellschaften, in die struktu- „Bartholobama“, das finde ich gut!) rierte Produkte ausgelagert und in denen diese Produkte mit Garantien versehen werden können. Wir als Union Vizepräsidentin Petra Pau: haben darauf gedrängt, diesen Weg nur zu gehen, wenn Das Wort hat der Kollege Leo Dautzenberg für die auch der zweite Teil, die Konsolidierungsbanken, vorge- Unionsfraktion. sehen wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir haben diesen Weg eröffnet. Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Vom Kollegen Kampeter ist schon sehr vieles zur Si- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe tuation der Sparkassen gesagt worden. Kolleginnen und Kollegen! Mit diesem Gesetz legen wir eine weitere Ergänzung zur Fortentwicklung der Finanz- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ich hoffe, marktstabilität vor. auch manch Richtiges!) Einige Redner haben uns vorgeworfen, dass wir im- Ich möchte noch einmal betonen: Die Argumentation, mer neue Gesetze vorlegen. Das ist nicht so. Schon das, wonach die Sparkassen durch dieses Gesetz zusätzlich was wir im Herbst letzten Jahres im Rahmen des ersten belastet werden, ist schon grenzwertig. Durch dieses Ge- Finanzmarktstabilisierungsgesetzes entwickelt haben, hatte setz werden sie nicht zusätzlich belastet. Am Status der als Grundstruktur die drei Bereiche Garantien, Rekapi- Sparkassen und des öffentlichen Bereichs in Bezug auf talisierung und Risikoübernahme. Es war damals der die Gewährträgerhaftung, den Umfang der Gewährträ- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26149

Leo Dautzenberg (A) gerhaftung und die Risikobereiche wird sich durch die- nes Gesetzes zur Fortentwicklung der Finanzmarktstabi- (C) ses Gesetz nichts ändern. Durch diese Neustrukturierung lisierung auf den Drucksachen 16/13297 und 16/13384 ermöglichen wir Erleichterungen. Wenn wir nichts getan für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschluss- hätten – das ist betont worden –, dann wäre das den empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält Sparkassen in kürzester Zeit im übertragenen Sinne auf sich? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig ange- die Füße gefallen, und dann wäre es unter Umständen in nommen. der Tat zu einer Kettenreaktion in diesem Bereich ge- Tagesordnungspunkt 66 b. Abstimmung über den von kommen. der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurf eines Ge- Wir leisten daher einen wesentlichen Beitrag. Die Op- setzes zur Stärkung der Wettbewerbskonformität von position hat die Möglichkeit, dem in Verantwortung bei- Maßnahmen zur Stabilisierung des Finanzmarktes. Der zutreten. Wir können nur empfehlen, diesem Gesetzent- Haushaltsauschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp- wurf zuzustimmen. fehlung auf Drucksache 16/13683, den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/12996 abzuleh- Vielen Dank. nen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) men wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dage- gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in Vizepräsidentin Petra Pau: zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Ich schließe die Aussprache. Geschäftsordnung die weitere Beratung. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Tagesordnungspunkt 66 c. Abstimmung über den von Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurf eines Ge- wurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Finanz- setzes zur Verbesserung der parlamentarischen Kontrolle marktstabilisierung. Der Haushaltsausschuss empfiehlt von Maßnahmen zur Finanzmarktstabilisierung. Der unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Druck- Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp- sache 16/13590, den Gesetzentwurf der Fraktionen der fehlung auf Drucksache 16/13679, den Gesetzentwurf CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/13156 in der der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/12885 abzuleh- Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die nen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim- dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen men wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dage- wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei- zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer ter Beratung mit den Stimmen der Unionsfraktion und Geschäftsordnung wiederum die weitere Beratung. (B) der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion, Zusatzpunkt 11: Abstimmung über den Antrag der (D) der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf der Druck- Grünen angenommen. sache 16/13619 mit dem Titel „Schadensersatzansprüche Dritte Beratung gegen die ehemaligen Vorstandsmitglieder der Hypo Real Estate Holding AG“. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- FDP auf Drucksache 16/13620 vor, über den wir zuerst entwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenom- Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ände- men. rungsantrag ist abgelehnt. Wer stimmt für den Antrag der Fraktionen der CDU/ Wir sind immer noch beim Tagesordnungspunkt 66 a. CSU und der SPD auf Drucksache 16/13619? – Wer Wir stimmen nun über die Entschließungsanträge ab. stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist angenommen. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak- tion der FDP auf Drucksache 16/13709? – Wer stimmt Ich rufe den Tagesordnungspunkt 70 auf: dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsan- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- trag ist abgelehnt. neten Volker Beck (Köln), Monika Lazar, Jerzy Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak- Montag, weiteren Abgeordneten und der Fraktion tion Die Linke auf Drucksache 16/13694? – Wer stimmt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsan- wurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Bun- trag ist abgelehnt. deswahlgesetzes Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak- – Drucksache 16/11885 – tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/13695? – Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ent- schusses (4. Ausschuss) schließungsantrag ist abgelehnt. – Drucksache 16/13658 – Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13590 empfiehlt der Haushaltsausschuss, Berichterstattung: den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf ei- Abgeordnete 26150 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Klaus Uwe Benneter Richtig ist exakt das Gegenteil. Das Bundesverfassungs- (C) Gisela Piltz gericht hat in seinem Urteil Überhangmandate ausdrück- Petra Pau lich akzeptiert. Vermieden werden muss nach diesem Ur- Wolfgang Wieland teil eben nur das Sonderphänomen des negativen Stimmgewichts. Richtig ist, dass es oft zusammen mit Über den Gesetzentwurf werden wir später nament- Überhangmandaten auftritt. Aber es gibt Lösungen, die lich abstimmen. Überhangmandate ermöglichen, ohne zu negativem Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Stimmgewicht zu führen. Andererseits gibt es auch ein Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich negatives Stimmgewicht in Konstellationen, in denen gar höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. kein Überhangmandat auftritt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Ein Regelungsversuch, wie er von den Grünen vorge- Dr. Günter Krings für die Unionsfraktion. schlagen wird, der schon das Problem nicht richtig er- kennt, kann natürlich unmöglich einen guten Lösungsan- satz für das Bundeswahlgesetz darstellen. Schon allein Dr. Günter Krings (CDU/CSU): aus diesem Grund können wir diesem Vorschlag nicht Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und zustimmen. Herren Kollegen! Kurz vor Toresschluss, am Ende der letzten Sitzungswoche des 16. Deutschen Bundestags, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- debattieren wir eine grundlegende Frage für unsere De- neten der FDP – Klaus Uwe Benneter [SPD]: mokratie, das Wahlrecht. Das ist ja Unsinn!) (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- – Sie sollten zuhören, sonst kriegen Sie nachher von mir NEN]: Wir haben noch zwei Sitzungen, Herr keinen Hörerschein. Kollege! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- GRÜNEN]: Das ist nicht die letzte Sitzung!) NEN]: Sie waren doch bei der Anhörung gar – Diejenigen, die das als eine wichtige Materie empfin- nicht dabei! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ den, sollten vielleicht besser zuhören, der Debatte Auf- DIE GRÜNEN]: Welcher Donner ist denn in merksamkeit widmen und nicht schon mit polemischen Sie gefahren? Sollen wir strammstehen und Zwischenrufen beginnen. die Hände an die Hosennaht legen? Parlamen- tarismus, wie er leibt und lebt!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kommen wir zur zweiten Legende. Die Grünen be- (B) NEN]: Wieso? Das ist doch nicht die letzte Sit- haupten von ihrem eigenen Vorschlag, durch diesen (D) zung!) könnten die Überhangmandate und damit auch das nega- tive Stimmgewicht beseitigt werden. Richtig ist: Auch Nicht umsonst haben die Staatsrechtslehrer seit Jahr- der Entwurf der Grünen kann nicht garantieren, dass zehnten das Bundeswahlgesetz als einen der besonderen kein Überhangmandat mehr entsteht. Denn nach Ihrem Fälle angesehen, in denen der Gesetzgeber materielles Gesetzentwurf besteht keine Pflicht, die Listen zu ver- Verfassungsrecht setzt. Umso überraschender war, auch binden. Sie können nach wie vor getrennt werden. An für alle Experten, das Urteil des Bundesverfassungsge- der Stelle hätten Sie besser arbeiten sollen. richts im letzten Jahr, mit dem ein seit Jahrzehnten be- kanntes Sonderphänomen unseres Wahlgesetzes, näm- (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lich das negative Stimmgewicht, das vom selben Gericht NEN) wenige Jahre zuvor noch ausdrücklich akzeptiert worden Selbst wenn wir die Verbindung der Listen zur Pflicht ist, nun doch für unvereinbar mit dem Grundgesetz er- machen würden, wäre es immer noch möglich, dass sich klärt wurde. eine Partei nach dem Erfolgsmodell der CSU in Regio- Wenn das die Verfassungsexperten schon im letzten nalparteien aufgliedert und damit ihre Überhangmandate Jahr überrascht hat, so ist es ja wohl unvermeidlich, dass dauerhaft sichert. in den politischen Äußerungen bei manchen in den letz- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ten Wochen so einiges drunter und drüber ging. NEN]: Völlig theoretisch!) (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Na, na, na!) Auch insoweit ist der Vorschlag leider eine Mogelpa- ckung. Ich möchte deshalb meine Redezeit dazu nutzen, mit ei- nigen Legendenbildungen bzw. Fehlinformationen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) – fünf an der Zahl – aufzuräumen, um in diese etwas überhitzte Debatte mehr Sachlichkeit hineinzubekom- Kommen wir zur dritten Legende. Es wird behauptet, men. das negative Stimmgewicht würde im Regelfall einem taktischen Wahlverhalten Tür und Tor öffnen. Es ist rich- Die erste Legende, die in den letzten Wochen vielleicht tig, dass es vor der letzten Bundestagswahl in Dresden am prominentesten vertreten worden ist, bis hin zu Spit- zu einem solchen Fall gekommen ist. Das war aber ein zen der SPD-Fraktion, aber vor allem von den Grünen absoluter Sonderfall. Dass die Möglichkeit genutzt schon seit langem, lautet, das Bundesverfassungsgericht wurde, das Wahlverhalten durch die Nachwahl taktisch habe Überhangmandate für verfassungswidrig erklärt. zu beeinflussen, kam in den letzten Jahrzehnten nur ein Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26151

Dr. Günter Krings (A) einziges Mal in einem einzigen Wahlkreis vor. Das ist Lesen Sie dagegen noch einmal Ihren eigenen Entwurf! (C) beim negativen Stimmgewicht keinesfalls der Regelfall. Noch komplizierter als Sie kann man es eigentlich nicht formulieren. Wenn man das negative Stimmgewicht manipulativ oder taktisch einsetzen wollte, hieße das, dass sich Hun- (Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: So ist es!) derttausende von Wählern bei jeder Wahl im Vorfeld ge- Im Januar dieses Jahres hat uns das Gericht noch et- nau über ihr Stimmverhalten absprechen müssten, und was ins Stammbuch geschrieben. Und Sie sollten mög- zwar unter Aufhebung des Wahlgeheimnisses. Dass das lichst alle Urteile zur Kenntnis nehmen. Seinerzeit hat ein abstruses Szenario ist, sehen sicherlich alle Fraktio- das Gericht nämlich festgestellt, dass auch das Problem nen dieses Hauses ein. Auch aus diesem Grunde taugt des doppelten Erfolgswertes von Stimmen, der in Berlin der Vorschlag nichts. aufgrund der Erststimmenerfolge der PDS 2002 eine (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Rolle gespielt hat, unverzüglich gelöst werden muss. NEN]: Ihr hättet ja einen Änderungsantrag (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- vorlegen können! Nicht nur besser wissen, NEN]: Lächerlich! Das ist überhaupt kein Pro- auch besser machen!) blem!) Wir kommen zu einer vierten Legende. Ebenso ab- Auch dazu halten Sie keine Lösung vor. Sie ignorieren strus ist wohl die Behauptung, das Bundesverfassungs- dieses Judikat des Bundesverfassungsgerichts aus dem gericht selbst lege uns eine schnelle Wahlrechtsreform Januar dieses Jahres. nahe. Es ist immer wieder gesagt worden, dass wir nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts jetzt schnell (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) handeln müssten. Auch hier ist das Gegenteil richtig. Wir als Union werden einem solchen juristischen und Hilfreich ist ein simpler Blick auf die Randziffern 143 politischen Husarenritt heute nicht die Hand reichen. und 144 des Urteils. Ich darf das Bundesverfassungsge- richt zitieren: (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Kommen Sie mal zur Sache!) Andererseits fordert der dem Gesetzgeber von Ver- fassungs wegen zustehende Gestaltungsspielraum Kommen wir zur fünften Legende. Es wird behauptet, ausreichend Zeit, um die verschiedenen Regelungs- der untaugliche Versuch der Grünen zur Änderung des alternativen und deren Auswirkungen auf das Wahlrechts sei ein möglichst minimaler Eingriff ins Wahlrecht angemessen zu berücksichtigen und zu Bundeswahlgesetz. Richtig ist: Sie würden das Wahlsys- gewichten. tem grundlegend umkrempeln. (B) Kurz danach heißt es: (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (D) NEN]: Wir? – Klaus Uwe Benneter [SPD]: Das Gesetzgebungsverfahren muss zudem so recht- Das ist ja nun wirklich daneben! Herr Krings, zeitig abgeschlossen sein, dass sich die Parteien bei Sie zeigen sich doch sonst intellektuell!) der Aufstellung ihrer Kandidaten auf die neue Rechtslage einstellen können. Nach Ihrem Vorschlag würde es Listenkandidaten geben, denen ein Mandat, das sie schon bekommen haben, wie- (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: So ist es!) der entzogen würde, um Überhangmandate in anderen Bundesländern auszugleichen. Das wäre eine Bestrafung Wem das noch zu abstrakt ist, der sollte weiterlesen. von Landesverbänden mit guten Zweitstimmenergebnis- Noch konkreter heißt es im nächsten Absatz: sen, und es würde die Listenkandidaten benachteiligen. Das reguläre Gesetzgebungsverfahren müsste in (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- diesem Fall spätestens im April 2009 abgeschlossen NEN]: Ich lese gerade, dass Sie Volljurist sind! – sein, damit das neue Recht bei den Vorbereitungen Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zur Wahl zum 17. Deutschen Bundestag berück- NEN) sichtigt werden könnte. In der Anhörung haben Experten deutlich gesagt – Sie Wenn Sie schon keine Lust haben, das Urteil zu lesen, waren nicht anwesend, Frau Künast, sonst hätten Sie es dann sollten Sie zumindest einen Blick in den Kalender vielleicht auch gehört –, dass Ihr Vorschlag aus diesem werfen. Heute ist der 3. Juli. Die Frist des Gerichts ist Grunde sogar verfassungswidrig, mit dem Grundgesetz seit zwei Monaten abgelaufen. nicht vereinbar, sei. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) neten der FDP) Eine überhastete Gesetzesänderung scheidet aber Zumindest wäre nach Ihrem Gesetzesvorschlag die An- auch deshalb aus, weil das Verfassungsgericht dieses Ur- fechtung der nächsten Wahl schon vorprogrammiert. teil zum Anlass nehmen will – ich zitiere noch einmal –, Es gibt durchaus Alternativen, die wir auch schon dis- das für den Wähler kaum noch nachzuvollziehende kutiert haben; Sie erinnern sich sicherlich daran, Herr Regelungsgeflecht der Berechnung der Sitzzutei- Benneter. Ich habe beispielsweise die vom Bundesver- lung im Deutschen Bundestag auf eine neue, nor- fassungsgericht genannte Alternative der Trennung der menklare und verständliche Grundlage zu stellen. Landeslisten aufgegriffen. Niemand in diesem Hause, 26152 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Dr. Günter Krings (A) außer unserer Fraktion, hat sich bisher ernsthaft mit die- Gisela Piltz (FDP): (C) sem Vorschlag beschäftigt. Es ist eine taugliche Alterna- Aber eines ist klar: Meine Waden sind schöner als tive mit einem geringeren Eingriff ins Bundeswahlge- deine. setz, die – um mehr geht es mir gar nicht – ernsthaft diskutiert werden muss. (Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hartmut Wir als Union haben erhebliche Bedenken, wenn ein Koschyk [CDU/CSU]: Woher wissen Sie das?) Vorschlag wie der der Grünen eine regionale Ungleich- heit und Ungerechtigkeit herbeiführt, wenn er dazu Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! führt, dass einzelne Bundesländer für andere bluten müs- Ich glaube, in einem Punkt sind wir uns alle heute einig: sen. Wir halten schließlich die Grünen in dieser Frage Das Wahlrecht muss reformiert werden. Das ist uns allen für nicht besonders glaubwürdig. Sie haben das Problem klar. des negativen Stimmgewichts nie thematisiert, als Sie (Beifall bei Abgeordneten der FDP) noch mit der SPD regiert haben. Aber diese zwingend notwendige Reform zu einem (Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Hört! Thema im Bundestagswahlkampf zu machen, ist nicht Hört! Warum wohl?) angemessen. Das ist aus meiner Sicht unanständig und Es gab damals für Sie offenbar weder ein Problem noch hilft der Sache nicht im Geringsten. einen entsprechenden Antrag. Herr Kollege Benneter, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Sie haben übrigens vor zwei Jahren vorgeschlagen, das der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜND- Nachrücken bei Überhangmandaten zu ermöglichen. Sie NIS 90/DIE GRÜNEN) wollten damals die Überhangmandate noch stärken. Ich habe Sie zusammen mit anderen Kollegen meiner Frak- Der Kollege Krings hat es schon erklärt; aber ich tue tion davon abgehalten. Ich bin froh, dass uns das damals es gerne noch einmal: Das Bundesverfassungsgericht hat gelungen ist. nicht die Überhangmandate für verfassungswidrig er- klärt, sondern das sogenannte negative Stimmgewicht. Wir sind heute nicht nur wenige Monate vor einer Wenn das Bundesverfassungsgericht der Ansicht wäre, Bundestagswahl, sondern schon mitten im Wahlverfah- dass das geltende Gesetz so schlimm ist, wie Sie behaup- ren. Alle Kandidaten sind aufgestellt. Wer jetzt in dieses ten, dann hätte es andere Regelungen getroffen. Ich emp- Verfahren eingreift, setzt sich dem Geruch von Manipu- fehle Ihnen, sich genau anzuschauen, was am Dienstag lation aus. mit dem Begleitgesetz zum Lissabon-Vertrag passiert ist. Es wurde gekippt. Hier gibt es eine Frist. Das ist ein Rie- (B) Ich darf abschließend die Süddeutsche Zeitung zitie- (D) ren, die Anfang der Woche zu Recht schrieb: senunterschied, den Sie zur Kenntnis nehmen sollten. Es riecht nach Bananenrepublik, wenn in der letz- (Beifall bei der FDP) ten Sitzungswoche vor der Wahl eine Regierungs- Zwei Prinzipien hat der Deutsche Bundestag bei Än- partei das Wahlrecht ändern möchte. derungen des Wahlrechtes immer beachtet. Das erste (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Prinzip ist: keine Änderung im laufenden Verfahren. neten der FDP) Günter Krings hat zu Recht darauf hingewiesen: Fast alle Parteien haben ihre Kandidaten aufgestellt und ihre Listen teilweise schon eingereicht. Das Verfahren läuft. Vizepräsidentin Petra Pau: Es ist nicht redlich und entspricht zumindest nicht unse- Kollege Krings, kommen Sie bitte zum Schluss. rem Anspruch an Rechtssicherheit, in das laufende Ver- fahren einzugreifen. Dr. Günter Krings (CDU/CSU): (Beifall bei der FDP) Ich komme zum Schluss. – Weil wir als CDU/CSU- Fraktion für eine seriöse Politik stehen, machen wir kei- Das zweite Prinzip ist: In diesem Parlament war es nen Wahlkampf mit dem Wahlrecht. Sie mögen das tun; bislang gang und gäbe, Änderungen des Wahlrechts ge- wir tun es nicht. meinsam zu beraten und zu beschließen. Das ist hier nicht der Fall gewesen. Danke schön. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – NEN]: Sie hätten es ja mitberaten können!) Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Eine exzel- lente Rede!) Ich kann mich an keine Einladung zu einem Berichter- stattergespräch über diesen konkreten Gesetzentwurf er- innern, Herr Wieland. Es ist eine Sache, wenn Rot und Vizepräsidentin Petra Pau: Schwarz das nicht auf die Reihe bekommen. Aber Sie Das Wort hat die Kollegin Gisela Piltz für die FDP- haben uns auch nicht eingeladen. Es hat keine Berichter- Fraktion. stattergespräche gegeben. Das ist schlechter Stil und nicht in Ordnung. (Beifall bei der FDP – Reinhard Grindel [CDU/ CSU]: Gisela ist schon im Urlaub!) (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26153

Gisela Piltz (A) Klar ist natürlich auch, dass die sogenannte Große (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Richtig!) (C) Koalition einen Reformvorschlag hätte vorlegen können. Das hat sie nicht getan. Weil dieses Versäumnis letztend- Auf der einen Seite wollen die Grünen Überhangman- lich beide Regierungsfraktionen betrifft, ist es doppel- date zulasten guter Landesergebnisse ersatzlos streichen, züngig, dass die SPD jetzt die Welle macht. auf der anderen Seite wollen Sie Bayern außen vor las- sen. Das ist doch wirklich inkonsequent, und das müssen (Beifall bei der FDP) Sie mir erklären. Meine Damen und Herren von der SPD, Sie glauben (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten doch nicht ernsthaft, dass wir nur deshalb einem Gesetz- der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Götzer [CDU/ entwurf zustimmen, damit Sie uns nicht mehr irgendwel- CSU]: Genau! So geht es nicht! – Burkhardt cher Motivationen verdächtigen können. Dass wir aus Müller-Sönksen [FDP]: Hat das was mit Frau falschen Gründen einem taktischen Gesetz zustimmen, Roth zu tun? Lex Roth!) können Sie nicht verlangen. Das ist nicht Politik, son- dern nur Wahlkampf. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, um hier und heute das geltende Wahlrecht zu ändern, hätte (Beifall bei der FDP) es eines Gesetzentwurfes bedurft, der alle Abgeordneten Nach unserer Ansicht wäre es falsch, dem jetzigen des Hauses gleichermaßen überzeugt hätte. verfassungswidrigen Zustand mit einem möglicherweise (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- verfassungswidrigen Gesetz, wie es Ihres aus unserer NEN]: Darauf können Sie lange warten!) Sicht ist, Das kann Ihr Gesetzentwurf leider nicht leisten. Ich habe (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ vorhin schon einmal gesagt: Das gilt nicht nur für das DIE GRÜNEN]: Das haben die Sachverständi- Ergebnis, sondern Sie haben sich aus unserer Sicht noch gen ganz anders gesehen!) nicht einmal ausreichend bemüht. Wir bedauern es au- zu begegnen. Ihr Gesetz löst erhebliche verfassungs- ßerordentlich, dass es uns als Parlament nicht mehr ge- rechtliche Zweifel aus, die auch in der öffentlichen An- lungen ist, vor der Wahl eine Reform hinzubekommen. hörung nicht ausgeräumt werden konnten. So wird nach Das sage ich hier ganz deutlich. unserer festen Überzeugung der Gesetzentwurf der Grü- (Beifall bei der FDP) nen den Anforderungen an eine im Ergebnis verfas- sungsrechtlich nicht zu beanstandende Überarbeitung Wir hätten die Reform gerne unterstützt. des Wahlrechts nicht gerecht. (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Sie hätten doch (B) Zwei Kernprobleme lösen Sie nach wie vor nicht. die Möglichkeit gehabt!) (D) Zum einen käme es nach Ihrem Gesetzentwurf zu einer – Herr Benneter, ich kann mich an keinen Anruf von Ih- materiellen Verbindung zwischen Direkt- und Verhält- nen erinnern, in dem Sie mit mir diese Wahlrechtsreform nismandat, noch bevor es zu einer Sitzzuteilung an die hätten besprechen wollen. Länder käme. Die in den Ländern erzielten Direktman- date würden bereits auf Bundesebene vom Gesamtkon- (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Er hat Sie tingent einer Partei abgezogen und nicht, wie es bislang nicht mal angerufen? Skandalös!) der Fall ist, auf Länderebene. Das erscheint auf den ers- Sie haben gepennt, nicht wir. Das muss man hier einfach ten Blick durchaus logisch. Bei genauerem Hinsehen einmal ganz klar sagen. wird aber deutlich, dass hierdurch besonders gute Lan- desergebnisse mit besonders vielen Direktmandaten be- (Beifall bei der FDP) nachteiligt würden. Das ist nach unserer Auffassung mit Für die Bürgerinnen und Bürger wäre es besser, Sie hät- dem föderalen System nicht zu vereinbaren. ten nicht geschlafen. Sie haben es aber getan. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Der Gesetzentwurf der Grünen ist aus unserer Sicht Auch das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, nicht verfassungsgemäß. Deshalb können wir ihm leider dass föderale Belange eine angemessene Differenzie- nicht zustimmen. rung der Wählerstimmen rechtfertigen. Ehrlich gesagt: So täuschen Sie mit Ihrem Gesetzentwurf die Wähler, Vielen Dank. und der Vorwurf, den Sie uns machen, fällt auf Sie zu- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten rück. Das ist von Ihrer Seite nicht redlich. der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP) Vizepräsidentin Petra Pau: Als zweites Problemfeld – die Kollegen von der CSU Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Klaus Uwe mögen es mir nicht übel nehmen, wenn ich sie im Zu- Benneter das Wort. sammenhang mit einem Problemfeld anspreche – sehen wir die Sonderstellung der CSU. Eine Kompensation auf (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Hartmut Bundesebene kann es nämlich für die CSU nicht geben, Koschyk [CDU/CSU]: Warum haben Sie nicht weil sie sich bekanntlich nur in Bayern zur Wahl stellt. angerufen, Herr Benneter? – Reinhard Grindel Das ist das eigentlich Inkonsequente in Ihrem Gesetzent- [CDU/CSU]: Jetzt geben Sie erst mal ein Be- wurf. kenntnis zur Koalition ab!) 26154 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

(A) Klaus Uwe Benneter (SPD): gleich und damit Abschaffung von Überhangmandaten. (C) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolle- Am 4. März hat sich dann der Koalitionsausschuss mit ginnen und Kollegen! Wir haben ein Wahlrecht, bei dem diesem Thema beschäftigen müssen. Daraufhin kam es die Zweitstimme eines Wählers für seine Partei dazu auf unser Drängen hin endlich zu einer Koalitionsar- führen kann, dass die von ihm gewählte Partei ein Man- beitsgruppe auf Führungsebene, die dann mehrfach über dat verliert. Wir haben seit genau heute vor einem Jahr diesen Entwurf beraten hat. ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das uns zur Korrektur dieses Wahlrechts verpflichtet. Wir sind auf die Union zugegangen. Wir hätten sogar die bayerische Sonderlösung mitgetragen. Danach hätte (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Bis jetzt ist die CSU als Regionalpartei als einzige der Parteien noch alles richtig!) Überhangmandate erzielen können. Wir haben sogar – sehr ungern – eine Lösung für die sogenannten Berli- Wir haben einen Gesetzentwurf der Grünen, der diese ner Zweitstimmen vorgeschlagen, ein Herzensanliegen Korrektur einfach, ohne revolutionäre Eingriffe in unser Ihrer Partei. Wie gesagt, wir haben alles getan, um zügig Wahlrecht, ermöglicht. Überhangmandate gäbe es dann zu einer verfassungsgerechten Lösung zu kommen. praktisch keine mehr. Heute wissen wir: Alle diese Gespräche mit CDU und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) CSU waren Scheingespräche. Und wir haben einen Koalitionspartner, der diese Kor- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ rektur nicht will, weil er glaubt, die Überhangmandate DIE GRÜNEN) würden ihm nützen. Das ist die ganze einfache Wahrheit. CDU und CSU haben keine Sekunde daran gedacht, das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wahlrecht schon für die Wahl im September verfas- sowie bei Abgeordneten der SPD) sungsgemäß zu gestalten. Sie haben für diese Haltung Sie haben gehört, was der Kollege Krings hier zum Bes- keine Argumente, sondern Sie sehen nur Ihren Eigen- ten gegeben hat. Er sagte, das Wahlrecht sei sensibel, nutz. man müsse die Diskussion ernsthaft führen, man müsse (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gründlich abwägen, alle Möglichkeiten prüfen, Respekt sowie bei Abgeordneten der SPD) vor dem Wahlrecht bezeugen und dürfe nicht Hals über Kopf agieren. Das alles ist Blubber, glauben Sie mir das. Ich weiß, wir alle sind keine Engel. Natürlich überlegt jeder von uns, wo die Vorteile für die eigene Partei lie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gen. Das ist logisch und bis zu einem gewissen Grade le- sowie bei Abgeordneten der SPD) gitim. Dass Grüne und FDP kein Mehrheitswahlrecht (B) (D) Wir haben uns unmittelbar nach dem Urteil, noch im wollen, kann jeder verstehen. Natürlich überlegt auch Juli 2008, in der Sommerpause, mit dem Berichterstatter die SPD, was uns eher nützen und was uns eher schaden der Union und den Fachleuten des Innenministeriums könnte. zusammengesetzt. Wir wollten sofort klären, wie wir das Urteil noch in dieser Wahlperiode umsetzen können. Wir Vizepräsidentin Petra Pau: haben damals vereinbart, dass uns das Ministerium zu Kollege Benneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage verschiedenen Problembereichen gutachterlich berät, des Kollegen Krings? was uns auch vom Ministerium selbst zugesagt worden war, und dass wir uns noch vor dem Beginn der Sit- Klaus Uwe Benneter (SPD): zungswochen Anfang September erneut treffen. Bitte, Herr Kollege Krings. Dieser bereits vereinbarte Termin wurde dann abge- sagt – Herr Kollege Mayer, Sie erinnern sich –; „interner (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Abstimmungsbedarf“ wurde als Begründung angegeben. Scheinfrage!) (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Mayer war es!) Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Neue Termine konnten nicht vereinbart werden. Schließ- Herr Kollege Benneter, da Sie gerade von Vorteilen lich habe ich den Kollegen Mayer schriftlich gebeten, und Nachteilen solcher Regelungen gesprochen haben: endlich Terminvorschläge zu übermitteln. Sind Sie denn bereit, auf vergangene Wahlen zurückzu- blicken, um festzustellen, dass die SPD seit der deut- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- schen Einheit bis hin zu diesem aktuellen Deutschen SES 90/DIE GRÜNEN – Hartmut Koschyk Bundestag bei Wahlen mit Abstand mehr Überhangman- [CDU/CSU]: Der Mann ist beschäftigt! Er hat date als unsere Fraktion bekommen hat und dass das für zu tun!) Sie bis dahin nie ein Problem gewesen ist? Ich habe nie eine Antwort oder einen Terminvorschlag bekommen. (Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Was? Un- glaublich! Skandalös!) (Christian Ahrendt [FDP]: Wo ist er denn?) Wir haben daraufhin intern selbst einen gut durchdach- Klaus Uwe Benneter (SPD): ten Gesetzentwurf erarbeitet und ihn der Fraktionsfüh- Gerade davon habe ich eben gesprochen. Natürlich ist rung der Union vorgelegt. Der Inhalt: parteiinterner Aus- es legitim, wenn Parteien darauf achten, wo sie Vorteile Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26155

Klaus Uwe Benneter (A) haben und wo nicht. Aber das geht eben nur bis zu einem ren die Überhangmandate im Bundeswahlrecht für ver- (C) bestimmten Grade. fassungswidrig hielt. In einer knappen Vier-zu-vier- Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht die (Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Wahlrecht Überhangmandate für zulässig erklärt. Jetzt hat sich her- nach Selbstbedienung! Mal so, mal so!) ausgestellt, dass Gerhard Schröder von Anfang an recht Bei den Überhangmandaten ist es so – darauf komme ich hatte. jetzt –, dass sie schon lange in der Diskussion sind. Dass (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des sie immer nur den großen Parteien nützen, wissen wir BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von schon lange. Aber dass sie verfassungswidrig sind, wis- der CDU/CSU: Eben nicht! Sie haben das Ur- sen wir auf den Tag genau erst seit einem Jahr. teil nicht verstanden!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Deshalb möchte ich hier ganz deutlich sagen: Es gibt Kollege Benneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage ganz klare Grenzen für solche egoistischen Überlegun- des Kollegen Königshaus? gen. Die Grenze der zulässigen Berücksichtigung eigen- süchtiger Interessen wird auf jeden Fall dann überschrit- Klaus Uwe Benneter (SPD): ten, wenn wir eindeutig wissen, dass das Wahlrecht Ja, bitte, Herr Kollege Königshaus. verfassungswidrig ist. Das wissen wir aufgrund des Ur- teils des Bundesverfassungsgerichts seit einem Jahr. Hellmut Königshaus (FDP): Die Union sagt nun, der Entwurf der Grünen sei bei- Herr Kollege Benneter, verstehe ich Sie richtig, dass leibe nicht alternativlos. Man könne auch eine Reihe Sie sehenden Auges einen verfassungswidrigen Zustand anderer Maßnahmen treffen, um das negative Stimmge- beibehalten wollen? Sie reden zu einem Antrag der Grü- wicht auszuschalten. Sicher gibt es theoretisch Alternati- nen, der nach Ihren Ausführungen geeignet ist, einen ven zum Entwurf der Grünen: reines Mehrheitswahl- Verfassungsbruch zu verhindern, beabsichtigen aber of- recht, reines Verhältniswahlrecht, Grabensystem, Wahl fenkundig, ihm nicht zuzustimmen. Könnten Sie uns das nach Bundesländern getrennt oder Bundeslisten. Aber erklären? alle diese Varianten sind doch chancenlos. Das wissen (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der Sie von der Union ganz genau. Hier werden nur Nebel- LINKEN – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE kerzen geworfen. LINKE]: Das kann man nicht erklären!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (B) (D) sowie bei Abgeordneten der SPD – Volker Klaus Uwe Benneter (SPD): Kauder [CDU/CSU]: Das ist umweltfeind- Herr Kollege Königshaus, ich bin gerade dabei, Ihnen lich! Das macht man nicht!) klarzumachen, dass gerade Ihre Partei heute die Chance hätte, nicht nur in einer Großen Anfrage die Grundrechte Aber das mit den Nebelkerzen funktioniert nicht. Es ist aufzurufen und zu sagen, dass Sie die Bürgerrechtspartei zu durchsichtig und zu fadenscheinig. sind. Hier könnten Sie zeigen, dass es Ihnen wirklich um Nun komme ich zu Ihrer Behauptung, jetzt sei es zu die Rechte der Bürger geht. spät; 80 Tage vor der Wahl könne man das Wahlrecht (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nicht mehr seriös ändern. Auch das stimmt nicht. Man DIE GRÜNEN – Hellmut Königshaus [FDP]: kann das Wahlrecht durchaus ändern; denn die Änderun- Sie auch, Herr Kollege!) gen betreffen in keiner Weise, Frau Piltz, die Kandida- tenaufstellung, sondern ausschließlich die Berechnungs- Wie gesagt, jetzt hat sich herausgestellt, dass Gerhard methode nach der stattgefundenen Wahl. Schröder von Anfang an recht hatte. Es scheint ja offen- sichtlich sein ganz besonderes Problem zu sein, dass sich (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ immer erst hinterher, erst sehr spät herausstellt, wie gut DIE GRÜNEN) er war und wie recht er hatte. Die neuen Berechnungen sind auch mathematisch nicht (Dr. Max Stadler [FDP]: Hartz IV! – Dr. Dieter schwer. Das können sogar Juristen nachvollziehen, Herr Wiefelspütz [SPD]: Benneter ist ein wahrer Kollege Krings. Und die Software beim Bundeswahllei- Freund!) ter kann dazu auch noch schnell geschrieben werden. Das schaffen wir in Deutschland. Das Bundesverfassungsgericht hat jedenfalls die Frist bis 2011 mit der Komplexität des Regelungsauftrags und Nun zu der Frage der Union, warum diese Eile erfor- der Schwierigkeit, die Berechnung der Sitzzuteilung auf derlich sei; das Bundesverfassungsgericht habe uns doch eine verständliche Grundlage zu stellen, begründet. Wir Zeit bis 2011 gelassen. Das stimmt, das hat das Bundes- wissen aber inzwischen, dass wir mit einer kleinen Ge- verfassungsgericht getan. Ursache ist vielleicht ein setzesänderung das negative Stimmgewicht ausschalten schlechtes Gewissen des Gerichts, das besser schon vor und die Berechnung der Sitzzuteilung klar und für jeder- zwölf Jahren Gerhard Schröder hätte recht geben sollen. mann nachvollziehbar regeln können. Schröder ist als Ministerpräsident von Niedersachsen 1996 mit sehr guten Gründen vor das Bundesverfas- Es gibt also in der Sache kein ernsthaftes Argument sungsgericht gezogen, weil er schon vor über zehn Jah- gegen die Abschaffung der Überhangmandate. Es gibt 26156 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Klaus Uwe Benneter (A) keine ernsthaften Alternativen dazu, und die Zeit für dann ist alles paletti. – Wir wissen: Dann ist nichts pa- (C) eine Änderung würde bei einem gemeinsamen Vorgehen letti. – Das wissen auch Sie. Wenn wir so verfahren, auch noch reichen. wird der Bundesrat – über die Landesregierungen, an de- nen Union und FDP beteiligt sind – den Vermittlungs- Es ist gute Tradition dieses Hauses – die Kollegin ausschuss anrufen und dann das Verfahren über Verta- Piltz hat bereits davon gesprochen –, dass Wahlrechtsän- gungsanträge lahmlegen. Eine Wahlrechtsänderung ist in derungen gemeinsam besprochen und von allen mitge- dieser Situation nur mit der Union möglich. Das müssen tragen werden. Dass die Union solche Gespräche ernst- wir leider zur Kenntnis nehmen; das ist nun mal so. Wir haft nie geführt hat, ist nicht in Ordnung. Das ist ja auch sind der Koalition nicht mehr verpflichtet als der Verfas- in ihren eigenen Reihen aufgefallen. Der Bundestagsprä- sung – das Gegenteil wird uns ja vorgehalten –, aber wir sident hat offen erklärt, er würde eine Wahlrechtsände- sehen die realen Machtverhältnisse, und um die geht es. rung noch in dieser Legislaturperiode begrüßen. Und der Bundesinnenminister – heute Herr Altmaier – (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: So eine Eierei!) (Heiterkeit) CDU und CSU verweigern sich hier der notwendigen hat erklärt, er würde das Parlament fachlich dabei gerne Korrektur aus ganz egoistischen Motiven. Dieses Ver- unterstützen. halten – das will ich Ihnen einmal sagen – ist einer de- Übrigens, auch die FDP verweigert sich jetzt. mokratischen Partei unwürdig. (Zuruf von der FDP: Sie doch auch!) (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Sie möchte gerne Arm in Arm mit der Union in eine neue schwarz-gelbe Zukunft spazieren, auch wenn diese „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, sagt das Grund- dann auf verfassungswidrigen Füßen stehen sollte. gesetz, und das Wahlrecht stellt sicher – dazu ist es da –, dass das Parlament mit dieser Legitimation arbeiten (Widerspruch bei der FDP) kann. Nur die demokratische Wahl gibt uns das Recht, Das ist schon ganz schön sonderbar. Ich kenne die FDP eine Regierung zu bestimmen und Gesetze zu beschlie- als eine Partei, die die Bürgerrechte immer gerne hoch- ßen, die für alle gelten. Dass diese Legitimation zwei- halten will. felsfrei besteht, muss das gemeinsame Anliegen aller Demokraten und jedes einzelnen Parlamentariers hier im (Dr. Max Stadler [FDP]: Das tun wir!) Hause sein. Dass sie hier beim Wahlrecht, einem ganz grundlegen- Das nächste Parlament wird nach einem in der Sache (B) den Recht der Bürger, nicht darauf drängt, dass die Ver- verfassungswidrigen Wahlrecht gewählt werden. Das (D) fassung schnellstmöglich eingehalten wird, verträgt sich macht auf die Bürgerinnen und Bürger zu Recht einen nicht mit dem Bild einer Bürgerrechtspartei. verheerenden Eindruck. Schuld daran haben allein CDU, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN CSU und FDP. sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei der FDP) Herr Stadler, gerade Sie haben heute Morgen andere be- schimpft, weil sie angeblich sehenden Auges verfas- Sie versündigen sich mit Ihrer Haltung „Erst die Partei sungswidrige Gesetze beschließen würden. und dann das Land“ an einem ganz grundlegenden De- mokratieprinzip. Das wird Ihnen noch ganz schön lange (Zurufe von der FDP) nachhängen. – Es ist Ihre Auffassung, dass es verfassungswidrige Ge- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ setze seien. – Von dem, was wir hier machen, wissen wir, DIE GRÜNEN – Dr. Wolfgang Götzer [CDU/ dass es verfassungswidrig ist, CSU]: Da redet der Richtige! Das war eine (Zuruf von der FDP: Sie doch auch!) Stamokap-Rede, Herr Benneter!) und Sie verweigern sich. Das ist doch bigott. Scheinhei- liger als so, wie sich die FDP hier verhält, geht es doch Vizepräsidentin Petra Pau: überhaupt nicht mehr. Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann das Wort. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Max Stadler [FDP]: (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Stimmen Sie denn zu?) Winkelmeier [fraktionslos]) Die Grünen sagen nun: Liebe SPD, ihr könnt das ver- Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): hindern. Ihr braucht nur unserem Gesetzentwurf zuzu- stimmen, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Krings, zu Ihren Bemerkungen, (Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem was die Ungerechtigkeit des Wahlausgangs 2002 anbe- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Irmingard trifft, will ich Ihnen eines sagen: Die Kolleginnen Petra Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Pau und Gesine Lötzsch hatten so viele Stimmen, wie NEN]: Zum Beispiel!) dies sehr viele in diesem Plenum nicht hatten. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26157

Dr. Dagmar Enkelmann (A) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert an Überhangmandaten entstehen würde. Das Ergebnis (C) Winkelmeier [fraktionslos]) war zumindest für die SPD erschreckend oder – wie man heute erkennen kann – aufschreckend. Es ist sehr wahr- Insofern war es sehr gerecht, dass die beiden hier geses- scheinlich, dass ein schlechtes Wahlergebnis der SPD sen haben. Sie haben tapfer gekämpft. zustande kommt, was zu deutlich weniger Direktmanda- Richtig ist: Das Bundesverfassungsgericht hat im Juli ten für die SPD, mehr Direktmandaten für die CDU und 2008 entschieden. Darauf ist schon hingewiesen worden. damit auch zu mehr Überhangmandaten für die CDU als Wir begehen heute den ersten Jahrestag. Richtig ist auch: bisher führt. Damit ist eine Mehrheit für Schwarz-Gelb Das Verfassungsgericht hat dem Gesetzgeber bis 2011 allein durch Überhangmandate möglich. Zeit gelassen. Aber bei gutem politischen Willen wäre es Die CDU lacht sich ins Fäustchen, und die FDP hält, möglich gewesen, zu einer Neuregelung noch in dieser wie wir heute mitbekommen haben, aus gutem Grunde Wahlperiode zu kommen. Diesen guten politischen Wil- still, denn sie will in die Regierung. Ob das nur mit len spreche ich einer Mehrheit in diesem Hohen Hause Überhangmandaten geht oder anders, ist ihr egal. ab. Kollege Benneter, was Sie hier machen, ist scheinhei- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- lig. neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktions- (Beifall bei der LINKEN und der FDP) los] – Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Sind Sie Hellseherin?) Sie halten eine Rede für die Änderung des Wahlrechts. Sie halten de facto eine Rede für diesen Gesetzentwurf. – Ich nicht, aber es gibt Leute, die das sehr genau be- Wir wissen aber ganz genau: Sie werden gegen diesen rechnet haben. – Jetzt gibt es eine öffentliche Debatte, Gesetzentwurf stimmen. – Das ist scheinheilig hoch drei. und es ist nicht unwahrscheinlich, dass es künftig so et- Sie wollten die Änderung nicht. was wie ein taktisches Wahlverhalten gibt, worauf (Beifall bei der LINKEN und der FDP sowie Schwarz und Gelb durchaus setzen könnten. des Abg. Jörg Tauss [fraktionslos] und des Die SPD hat heute viel Lärm um nichts gemacht. Sie Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Klaus lehnen den Gesetzentwurf ab, und es war ein unwürdiges Uwe Benneter [SPD]: Der Gesetzentwurf ist Schauspiel, was Sie in den letzten Wochen aufgeführt gut! Da ist nichts gegen zu sagen!) haben. Erst wollten Sie das Wahlrecht ändern, dann ha- Das Bundesverfassungsgericht hat sehr deutlich ge- ben Sie den Schwanz eingekniffen, und heute werden macht, dass das negative Stimmgewicht, das dort ent- Sie dagegen stimmen. Das ist unwürdig und hat mit De- (B) steht, den Wählerwillen tatsächlich deutlich verfälschen mokratie überhaupt nichts zu tun. (D) kann. Ich finde, das ist ein eindeutiges Warnsignal an die (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Politik. Aber die Koalition hat keinen Bedarf für eine Winkelmeier [fraktionslos]) Änderung gesehen. Die internen Gespräche, die Sie an- geblich geführt haben, helfen auch nicht darüber hinweg. Wir hatten die Zeit, das Wahlrecht gemeinsam zu än- Der Bedarf ist nicht erkannt worden. Hier ist nicht ge- dern, aber das war nicht gewollt. Jetzt müssen Sie mit handelt worden. den Folgen leben. Die Linke hat eine gesetzliche Neuregelung noch in Ich danke Ihnen. dieser Wahlperiode gefordert. Die Grünen haben einen (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Entwurf eingebracht. Wir unterstützen ihn. Natürlich Winkelmeier [fraktionslos]) wissen auch wir, dass es noch offene Fragen gibt. Ein Problem ist die CSU, wenn es um Ausgleichsmandate geht; das ist angesprochen worden. Vizepräsidentin Petra Pau: Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Stephan ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mayer das Wort. Die CSU ist immer ein Problem!) – Die CSU ist so und so ein Problem; da haben Sie voll- Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): kommen recht. Lieber Herr Kollege Benneter, erlauben Sie mir, nach- dem Sie mich persönlich angesprochen haben, zu Ihrem (Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Die CSU Vorwurf Stellung zu beziehen, wir als CDU/CSU-Frak- ist nicht das Problem, sondern die Lösung!) tion und insbesondere ich als Berichterstatter für das In dieser Frage ist sie es natürlich auch. Wir hatten die Wahlrecht hätten uns Ihrem Gesprächsangebot entzogen. Zeit, darüber zu reden, und es gab auch Vorschläge, wie Ich finde Ihre Einlassung insbesondere vor dem Hin- man das Problem im Hinblick auf die CSU lösen kann. tergrund bedauerlich, dass wir das Bundeswahlgesetz in Das wäre also durchaus möglich gewesen. dieser Wahlperiode konstruktiv und größtenteils einver- Wenige Wochen vor der Wahl ist die SPD aufgewacht nehmlich gemeinsam novelliert haben. Ich warte aber oder – anders gesagt – aufgeschreckt. Professor Behnke nach wie vor auf Ihre konkreten Vorschläge und konzep- von der Universität Friedrichshafen hat eine Modellrech- tionellen Überlegungen hinsichtlich des Urteils des Bun- nung aufgemacht. Er hat auf Grundlage der Umfrage- desverfassungsgerichtes von vor einem Jahr. Sie haben werte einmal ausgerechnet, was an Direktmandaten und kein einziges Mal das Gespräch mit mir gesucht, obwohl 26158 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Stephan Mayer (Altötting) (A) es dazu am Rande jeder Innenausschusssitzung in jeder drängt werden, dass wenigstens eine Arbeitsgruppe auf (C) Sitzungswoche genügend Gelegenheiten gab, um mir der Ebene der Parlamentarischen Geschäftsführer einge- Ihre ganz konkreten Überlegungen an die Hand zu ge- richtet wird. ben, wie wir das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes umsetzen sollten. Ihrerseits kam kein einziger konkreter (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Vo r s ch l a g. Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Das ist die Wahrheit!) Kurz vor dem Ende der Legislaturperiode haben Sie sich jetzt einfach an den Rockzipfel der Grünen-Fraktion Das ist die Situation. Sie haben eine Novellierung gehängt und sich ihrem Gesetzentwurf angeschlossen. verhindert. Wir hätten längst gemeinsam etwas machen können. Wir könnten auch heute noch gemeinsam etwas (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- machen. Das geht aber nur zusammen. Wenn die CDU/ neten der FDP – Claudia Roth [Augsburg] CSU nicht mitmacht, dann ist das verlorene Liebesmüh. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der ist ja auch gut!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der FDP: Unterbrechen wir einmal eine Herr Kollege Benneter, ich möchte in aller Deutlich- halbe Stunde! Wir haben Zeit!) keit sagen, dass es einfach nicht zutrifft, dass wir die Bundestagswahl am 27. September 2009 unter verfas- Vizepräsidentin Petra Pau: sungswidrigen Umständen durchführen. Das Gegenteil Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der ist der Fall. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts Kollege Wolfgang Wieland das Wort. vom letzten Jahr besagt ganz klar, dass wir einen Umset- zungsspielraum bis zum 30. Juni 2011 haben. Wir wis- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sen jetzt also so sicher wie bei keiner Bundestagswahl zuvor, dass die Bundestagswahl unter vollkommen ver- Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): fassungsgemäßen Rahmenbedingungen stattfinden wird. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Ich bitte Sie, dies zur Kenntnis zu nehmen. Kollege Benneter, Ihre Rede hat mir richtig gut gefallen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) neten der FDP) Sie sagten, Sie wurden hingehalten. Kollege Hartmann Vizepräsidentin Petra Pau: hat etwas süffisant gesagt, die SPD habe dabei mitge- Sie haben das Wort, Kollege Benneter. macht, weil ihr etwas in Aussicht gestellt worden sei; in (B) Wirklichkeit habe es sich um Scheinverhandlungen ge- (D) handelt. Sie haben zu Recht gesagt, das Ganze ist vom Klaus Uwe Benneter (SPD): Bundesverfassungsgericht eindeutig als verfassungswi- Herr Kollege Mayer, das Einzige, was wir wissen, ist, drig beurteilt worden. dass das Bundesverfassungsgericht die Verfassungs- widrigkeit des Bundeswahlgesetzes, unter dem gewählt Nun sagen Sie als Begründung dafür, warum Sie dem werden soll, nicht beanstanden wird. Aber dass das Ge- Antrag der Grünen nicht zustimmen wollen, nachdem setz in der Sache verfassungswidrig bleibt, habe ich in das Ihr Kollege Müntefering und Ihr Kollege Struck meinem Beitrag klar genug gemacht. noch vor wenigen Wochen angekündigt hatten und Thomas Oppermann das sogar noch am Montag dieser Angesichts dessen, was Sie zu den Abläufen sagten, Woche mit den Worten: „Wir werden zustimmen“, bestä- frage ich mich schon, wie Sie mit der Wahrheit umge- tigte, hen. (Thomas Oppermann [SPD]: So nicht!) (Widerspruch bei der CDU/CSU) dass sich auf einmal eine andere Mehrheit im Bundesrat Wir haben Ihnen einen ausformulierten Gesetzentwurf ergeben habe und dass das deswegen nicht mehr ginge. vorgelegt, und zwar schon vor geraumer Zeit, Das ist nicht überzeugend. Sie haben gut gebrüllt – es (Thomas Oppermann [SPD]: Vor vier Mona- war alles richtig, was Sie hier gesagt haben –, nun müs- ten!) sen Sie auch zubeißen. Das erwarten wir von Ihnen. in dem wir dargelegt haben, wie man mit dem Urteil des (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bundesverfassungsgerichts vernünftig umgehen kann. und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Ich hatte hier ja schon die Abläufe dargestellt. Sie waren der FDP) doch derjenige, der mit mir noch in der Sommerpause Natürlich hat jeder hier im Saal beim Wahlrecht Inte- des letzten Jahres einen Termin ausgemacht hatte, dann ressen. Das ist gar keine Frage. Auch wir haben Interes- aber diesen Termin mit ganz fadenscheinigen Ausflüch- sen. ten hat platzen lassen. So sagten Sie, es gebe noch inter- nen Gesprächsbedarf. Natürlich haben wir das erst ein- (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Was für wel- mal akzeptiert. Den ganzen Winter über habe ich dann che?) aber darauf gedrängt, dass ein Gespräch stattfindet. Erst Aber darum geht es nicht. im März ist es dazu gekommen, als sich der Koalitions- ausschuss damit befasst hat. Ihre Partei musste dazu ge- (Zuruf von der FDP: Nicht?) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26159

Wolfgang Wieland (A) Wir sind eine kleine Partei (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) und bei der LINKEN sowie des Abg. Gert (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Winkelmeier [fraktionslos]) – alles ist relativ, auch das –, die in absehbarer Zeit nicht Ich bin nicht der Erste, der in dieser Debatte redet. allzu viele Überhangmandate erringen wird. Der FDP Niemand hat bisher das Urteil zitiert. Deswegen trage geht es genauso. Aber sie nimmt ja sogar Rücksicht auf ich es noch nach in dieser Debatte. Zitat aus der Ent- die Überhangmandate des potenziellen Koalitionspart- scheidung: ners. Das muss man sich einmal vorstellen. Der Effekt des negativen Stimmgewichts beein- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN trächtigt die Stimmengleichheit bei der Wahl zum sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- Deutschen Bundestag in eklatanter Weise. … Ein KEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE Wahlsystem, das … in typischen Konstellationen GRÜNEN]: Aber es wird nicht reichen!) zulässt, dass ein Zuwachs an Stimmen zu Mandats- verlusten führt oder dass für den Wahlvorschlag ei- Diese selbst ernannte Rechtsstaatspartei erklärt durch ner Partei insgesamt mehr Mandate erzielt werden, Frau Piltz: Man habe auf einen Telefonanruf gewartet. wenn auf ihn selbst weniger oder auf einen konkur- Wir haben Ihnen sogar einen Antrag geschickt, Frau rierenden Vorschlag mehr Stimmen entfallen, führt Piltz. Es kam aber überhaupt keine konstruktive Kritik, zu willkürlichen Ergebnissen und lässt den demo- es kam gar nichts. kratischen Wettbewerb um Zustimmung bei den Wahlberechtigten widersinnig erscheinen. Der Kollege Burgbacher hat am Tag der Urteilsver- kündung gesagt, das Parlament müsse schnell beraten. Der von Ihnen benannte Sachverständige Mahrenholz, Da frage ich mich: Wo waren denn die FDP-Beiträge bei der frühere Vizepräsident des Bundesverfassungsge- den Beratungen im Innenausschuss und in den Anhörun- richts, hat zu Recht gesagt, „willkürlich“ sei das gen? Sie haben mit fadenscheinigen Argumenten ver- schärfste Verwerfungsprädikat, das dem Bundesverfas- sucht, unseren Antrag madig zu machen, aber Eigenes sungsgericht zur Verfügung stehe. Er hat gesagt: haben Sie nicht geleistet. Ihr Fraktionsvorsitzender Zusammengefasst: Die Art. 38 und 39 GG sind im Westerwelle hat das auch erklärt. Er hat wörtlich gesagt: Sinne zwingenden Rechts dahin auszulegen, dass So eine hochkomplizierte Reform könne man nicht übers nach dem gegenwärtigen Wahlrecht im September Knie brechen. – Es ist völlig eindeutig: In dieser Frage nicht gewählt werden darf. geht Ihnen Macht vor Verfassungstreue. Das halten wir fest. Setzen Sie sich doch bitte mit diesen Ausführungen (B) auseinander und lassen Sie Ihren richtigen Worten hier (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auch Taten folgen. und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Gert Winkelmeier (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN [fraktionslos]) sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- KEN) Sehenden Auges mit einem verfassungswidrigen Wahlrecht in eine Wahl zu gehen, ist eines Rechtsstaates Jetzt noch zu den Einwänden, die hier gerade absur- unwürdig. Das ist auch respektlos vor den Wählerinnen derweise von Frau Piltz kamen und auch im Innenaus- schuss von Frau Köhler vertreten wurden. Sie sagten, und Wählern. wir hätten das Problem der CSU nicht gelöst. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Genau!) und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Gert Winkelmeier – Ja, wir haben es nicht gelöst. Was Sie als CDU in [fraktionslos]) 60 Jahren nicht geschafft haben, haben wir in sechs Mo- naten nicht geschafft. Das geben wir zu. Aber werfen Sie Professor Meyer, der frühere Präsident der Humboldt- es doch nicht uns vor. Universität, hat in der Anhörung – ich gebe zu: sehr zor- nig; aber da kann man auch sehr zornig sein – Folgendes (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gesagt: sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- KEN und des Abg. Gert Winkelmeier [frak- Alle diese Dinge wie Kinderwahlrecht und Sonsti- tionslos] – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: ges kann man machen, aber es geht nicht darum, Bloß kein Neid!) was man machen kann, sondern dass man verhin- dern muss, dass nach einem Wahlrecht gewählt Nun zum Stimmensplitting. Dass nun auf einmal das wird, das so katastrophal ist, dass es kein Wahlrecht Problem des Splittens der Stimmen an den Stimmen der mehr ist. Linkspartei festgemacht wird, ist doch völlig absurd. Keine Wählerschaft wählt so konstant ihre Partei wie die Wörtlich sagte er weiter: Partei, deren Vorsitzender Walter Ulbricht hieß. Wenn man ihnen sagt, wie ihre Partei gerade heißt, dann wäh- Da sitzen Sie ein ganzes Jahr herum und tun nichts, … len sie sie auch. Auch heute wollen Sie herumsitzen und nichts tun. Das (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ lassen wir Ihnen nicht durchgehen. DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Ab- 26160 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Wolfgang Wieland (A) geordneten der CDU/CSU und der FDP und schen traurig darüber, dass Sie das Urteil offensichtlich (C) des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) bis heute nicht verstanden haben. Hier nun zu sagen, die Wähler der Linken würden be- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) sonders viel splitten und dies stelle ein Problem dar, ist doch absurd. Das ist doch aberwitzig! Auch Sie haben die meiste Zeit von Überhangmandaten, die verfassungswidrig seien, gesprochen. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Purer Neid!) (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Weil das die Lösung ist!) Eine abschließende Bemerkung. Präsident Lammert sagte vor wenigen Monaten: Aber genau das ist nicht Inhalt des Urteils von Karls- ruhe. Es ist unbedingt erwünscht und bei gutem Willen auch möglich, die Regelung des Wahlrechts noch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) rechtzeitig zu korrigieren … Es ist im Übrigen gar nicht klar, ob ein solches negatives Deswegen fordern wir Sie ernsthaft auf: Zeigen Sie Stimmgewicht bei der nächsten Wahl überhaupt eintritt. diesen guten Willen. Belasten Sie die Wahl am Ich denke also, wir sollten in dieser angeheizten Debatte 27. September nicht mit einem – so wörtlich – dezidiert einen kühlen Kopf bewahren. willkürlichen und widersinnigen Wahlrecht. Stimmen Karlsruhe hat sogar sein ausdrückliches Plazet dafür Sie unserem Gesetzestext zu. gegeben, dass die bevorstehende Bundestagswahl noch (Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE nach geltendem Recht durchgeführt wird. Eine größere GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der Legitimierung für das Prozedere bei der Bundestagswahl LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier am 27. September hat es noch nie gegeben. [fraktionslos]) (Beifall bei der CDU/CSU) Selbstverständlich werden wir den Auftrag des Bun- Vizepräsidentin Petra Pau: desverfassungsgerichts erfüllen. Hierzu gibt es aber ver- Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege schiedene Möglichkeiten, die wir erst gründlich und aus- Dr. Wolfgang Götzer das Wort. führlich diskutieren müssen. Eines dieser Denkmodelle (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ist, Überhangmandate vor der endgültigen Unterzutei- lung zu verrechnen, wovon offensichtlich der Gesetzent- Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU): wurf der Grünen ausgeht. Allerdings ist er so schwer lesbar, in sich widersprüchlich und wohl auch verfas- Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! (B) sungswidrig, dass er einfach nicht brauchbar ist. (D) Es ist schon erstaunlich, welch hohe Wellen dieses Thema in den letzten Wochen und gerade auch in den Ein anderes Modell wäre die Trennung der Listen. letzten Tagen schlägt. Es wird geradezu ein Horror- Das hätte den Charme einer nur geringfügigen Gesetzes- szenario an die Wand gemalt und von verfassungswidri- änderung mit nahezu unverändertem Wahlrecht. Es gibt gen Wahlen gesprochen. So kann man ein Thema natür- noch weitere Modelle, weshalb ja auch das Bundesver- lich hochziehen. fassungsgericht in seiner Entscheidung am Ende davon spricht, dass die Alternativen vom Parlament in der ge- Dabei geht es darum, ein Problem zu lösen, mit dem botenen Weise bedacht und erörtert werden sollten. unsere Demokratie weit über 50 Jahre verfassungsrecht- lich und politisch problemlos gelebt hat. Niemand kann Die Abwägung von Alternativen ist ein Grund dafür, doch seriöserweise behaupten, dass bisherige Parla- warum das Bundesverfassungsgericht uns eine Nachbes- mentsmehrheiten und Regierungen in der Geschichte un- serungsfrist bis über die kommende Wahl hinaus, näm- seres Landes unter mangelnder Verfassungslegitimität lich bis zum Jahr 2011, also bis zur Mitte der nächsten gelitten hätten oder gar undemokratisch zustande ge- Wahlperiode, gewährt hat. Allein das ist ein eindeutiger kommen wären und die Wählerschaft nicht korrekt wi- Hinweis darauf, dass wir nichts überstürzen sollten. Der dergespiegelt hätten. Insofern meine ich, dass man die Hauptgrund für diese großzügige Nachbesserungsfrist ist Kirche im Dorf lassen sollte. die „hohe Komplexität des Regelungsauftrages“, die es Zudem möchte ich anmerken, dass das Bundesverfas- nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts „unange- sungsgericht in seiner Entscheidung vom 3. Juli 2008 messen“ erscheinen lässt, „dem Gesetzgeber aufzuge- nicht etwa die Überhangmandate an sich für verfas- ben, das Wahlrecht rechtzeitig vor Ablauf der gegenwär- sungswidrig erklärt hat. tigen Wahlperiode zu ändern“. (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: So ist es!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Vielmehr hat es nur Das Gericht selbst sagt, es sei unangemessen, dieses Ver- (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: „Nur“!) fahren im Schweinsgalopp durchzuziehen. Die Ände- rung des Wahlrechts ist eben nicht so einfach, wie es einen Verstoß gegen Art. 38 Grundgesetz angenommen, manche uns glauben machen wollen. soweit durch einzelne Vorschriften des Bundeswahlge- setzes ein negatives Stimmgewicht ermöglicht wird. Die lange Übergangsfrist hat das Gericht allerdings Man kann dies augenscheinlich nicht oft genug sagen. mit der Auflage verbunden, das für den Wähler kaum Lieber Herr Kollege Benneter, ich bin fast schon ein bis- noch nachzuvollziehende Regelungsgeflecht – man kann Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26161

Dr. Wolfgang Götzer (A) schon sagen: Dickicht – der Berechnung der Sitzzutei- nen wir alles in der 17. Wahlperiode ohne Druck und (C) lung auf eine neue, normenklare und verständliche ohne Wahlkampf zum Wohle des Parlaments und zum Grundlage zu stellen. Das heißt im Klartext: Wir sind Wohle unserer Demokratie machen. aufgefordert, vom Bürokratendeutsch Abstand zu neh- men und lesbare und verstehbare Vorschriften zu erlas- Vielen Dank. sen. Beim Gesetzentwurf der Grünen, über den wir heute (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- abstimmen, ist das, mit Verlaub gesagt, ganz sicher nicht neten der FDP) der Fall. Ich nenne einen weiteren sehr wichtigen Gesichts- Vizepräsidentin Petra Pau: punkt für eine parlamentarische Beratung ohne Zeit- Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Volker druck. Das Wahlrecht ist für unseren Staat, für unsere Schneider das Wort. Demokratie und die Menschen, die über die Zusammen- setzung dieses Parlaments entscheiden, von so elementa- (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh!) rer Bedeutung, dass es nicht nur auf die Lesbarkeit und Verständlichkeit der einzelnen Vorschriften ankommt. Es Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE): ist von sehr großer Wichtigkeit – auch das ist heute Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich verstehe Ihre schon angesprochen worden –, dass jede Änderung des Aufregung nicht. Ich komme nur dem Wunsch des Kol- Wahlrechts von einer großen Zustimmung im Parlament legen Dr. Götzer nach. Ich bin in meiner Wissbegierde getragen wird. hinsichtlich Demokratie kaum noch zu befriedigen. Da Sie mir leider keine Zwischenfrage gestattet haben, muss Vizepräsidentin Petra Pau: ich zur Möglichkeit einer Kurzintervention greifen. Kollege Götzer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Sie haben davon gesprochen, dass das vorliegende Kollegen Schneider? Gesetz im Schweinsgalopp durchgepeitscht werden soll. Man solle das Ganze lieber nach der Wahl am Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU): 27. September in Ruhe machen. Zunächst einmal habe Nein. Herr Kollege, Sie sollten zuhören, wenn es um ich ein rechnerisches Problem damit, festzustellen, was Demokratie und Wahlrecht geht. Das schadet Ihnen ganz der Unterschied ist zwischen dem Zeitraum, den Sie vor bestimmt nicht. der Wahl zur Verfügung hatten, in dem Sie das ja hätten machen können, und dem Zeitraum nach der Wahl. Das (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der ist kein so großer Unterschied, dass ich das eine Verfah- SPD und der FDP – Dr. ren als Schweinsgalopp bezeichnen würde. Das eine ist [CDU/CSU]: Das hat gesessen! – Claudia ein solcher Schweinsgalopp wie das andere. (B) Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (D) NEN]: Oh!) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie Es war bisher in diesem Hause guter Brauch, Wahl- des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) rechtsänderungen in möglichst breitem Konsens zu be- schließen. Deshalb verwundert es doch sehr, dass sich Das Zweite, was mich wirklich brennend interessiert, die Grünen von dieser guten und wichtigen Tradition ist Folgendes: Ihnen ist das Ganze jetzt zu kompliziert. – warum auch immer – abwenden wollen. Sie müssen mir einmal ganz genau erklären, wie sich das damit vereinbaren lässt, dass Sie in einem ungleich kür- Es gibt noch einen Grund – auch der ist schon ange- zeren Zeitraum das ungleich kompliziertere Begleitge- sprochen worden –, warum eine Wahlrechtsänderung setz zum Lissabon-Vertrag auf den Weg bringen wollen, zum jetzigen Zeitpunkt nicht sinnvoll ist. Die Zeit für und zwar wirklich im Schweinsgalopp. eine Umsetzung reicht einfach nicht mehr. Das Bundes- verfassungsgericht selbst hielt die hierfür nötige Dead- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert line bereits mit dem 30. April für überschritten. Winkelmeier [fraktionslos]) Lassen Sie mich summa summarum sagen: Eine so kurzfristige, nach erfolgter Aufstellung der Kandidaten Vizepräsidentin Petra Pau: und mitten im Wahlkampf über das Knie gebrochene Kollege Götzer, Sie haben das Wort. Wahlrechtsänderung wird dieser höchst sensiblen Mate- rie nicht gerecht und trägt den Makel eines Manipula- Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU): tionsversuchs auf der Stirn. Herr Kollege, ich brauche zur Antwort nur auf den (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Text des Urteils zu verweisen. Daraus geht klipp und der FDP) klar hervor, dass selbst das höchste deutsche Verfas- sungsgericht diesen Zeitraum für unangemessen gehal- Einem solchen Vorwurf sollten wir uns gar nicht erst ten hat. Es hat uns genügend Zeit eingeräumt, damit wir aussetzen. Wir werden uns deshalb nach der Konstituie- diese Sache nach der Wahl angehen können. Das habe rung des 17. Deutschen Bundestages zügig zusammen- ich gesagt. Ich wiederhole das gerne für Sie. Vielleicht setzen und anhand der Vorgaben des Bundesverfas- lesen Sie das Urteil einmal in einer ruhigen Stunde sungsgerichts das Wahlrecht anpassen. Hierzu gehört im durch. Das hilft weiter. Übrigen auch die Einbeziehung einer weiteren Karlsru- her Entscheidung, nämlich der vom Januar dieses Jahres (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und über die sogenannten Berliner Zweitstimmen. Das kön- der FDP) 26162 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- (C) Ich schließe die Aussprache. richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales Mir liegen zahlreiche Erklärungen aus der SPD-Frak- (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten tion und eine Erklärung aus der Unionsfraktion nach Volker Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, § 31 unserer Geschäftsordnung vor.1) Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Solidarausgleich in der Rente für Versicherte mit unterbrochenen Erwerbsbiografien und Wir nehmen sie entsprechend unserer Geschäftsordnung geringen Einkommen stärken zu Protokoll. – Drucksachen 16/7038, 16/10335 – Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent- wurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung Berichterstattung: des Bundeswahlgesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt Abgeordneter Peter Weiß (Emmendingen) in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13658, Über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die auf Drucksache 16/11885 abzulehnen. Wir stimmen nun Linke mit dem Titel „Altersrente – Erhöhung der Regel- über den Gesetzentwurf auf Verlangen der Fraktion altersgrenze auf 67 Jahre zurücknehmen“ werden wir Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab. Ich bitte die später namentlich abstimmen. Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen, und ich bitte Sie, liebe Kolleginnen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die und Kollegen, zu überprüfen, ob Ihr Name auf der Ab- Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich stimmungskarte steht. – Sind alle Schriftführerinnen und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Schriftführer an ihrem Platz? – Ich eröffne die Abstim- mung. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Gregor Amann für die SPD-Fraktion. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, dass seine Stimme noch nicht abgeben konnte? – Das ist nicht der (Beifall bei der SPD) Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh- Gregor Amann (SPD): rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später Herren! In der – zumindest vorläufig – letzten Plenarsit- bekannt gegeben.2) zung des Bundestags sprechen wir noch einmal über das (B) Wir setzen die Beratungen fort, sobald alle Kolleginnen Thema Rente und Altersvorsorge. Das ist auch gut so. (D) und Kollegen den Beratungen folgen können. Ich bitte Sie, Das ist ein wichtiges Thema, nicht nur, weil 20 Mil- liebe Kolleginnen und Kollegen, Platz zu nehmen. lionen Menschen in diesem Land eine Rente beziehen, sondern auch, weil es 35 Millionen Versicherte gibt, die Ich rufe die Tagesordnungspunkte 68 a bis 68 c auf: einzahlen. Wie wir mit Menschen umgehen, die im Alter a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- über kein eigenes Einkommen mehr verfügen, ist ein richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales Gradmesser dafür, wie sozial und solidarisch eine Ge- (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten sellschaft ist. Klaus Ernst, Volker Schneider (Saarbrücken), Ich sage Ihnen auch: Als Sozialdemokrat bin ich Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der durchaus dankbar, drei Monate vor der Bundestagswahl Fraktion DIE LINKE noch einmal über dieses Thema diskutieren zu können. Altersrente – Erhöhung der Regelaltersgrenze Denn Rentenpolitik ist bei Sozialdemokraten in den letz- auf 67 Jahre zurücknehmen ten zehn Jahren in guten Händen gewesen, – Drucksachen 16/12295, 16/12737 – (Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der Berichterstattung: LINKEN) Abgeordneter Anton Schaaf b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- bei sozialdemokratischen Arbeitsministern von Walter richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales Riester bis . (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Was ist eine gute Rentenpolitik? Man kann sie an drei Volker Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Kriterien messen. Das erste Kriterium ist das Versor- Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der gungsniveau der Ruheständler, also die Rentenhöhe und Fraktion DIE LINKE die Einkommenssituation. Die gesetzliche Rentenversicherung zur solida- rischen Erwerbstätigenversicherung ausbauen (Zuruf des Abg. Volker Schneider [Saar- brücken] [DIE LINKE]) – Drucksachen 16/6440, 16/11445 – Berichterstattung: – Ich gehe gleich darauf ein, Herr Schneider. – Das zweite Abgeordneter Anton Schaaf Kriterium ist die Belastung für die arbeitende Bevölke- rung, also die Beitragshöhe. Das dritte Kriterium ist die langfristige finanzielle Stabilität des Rentensystems. 1) Anlagen 2 und 3 2) Ergebnis 26164 D (Zurufe von der LINKEN) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26163

Gregor Amann (A) Alle drei Kriterien, die sich zum Teil widersprechen, gramms beschlossen haben und von der ebenfalls zum (C) müssen gemeinsam betrachtet werden. Nur in einer Ba- 1. Juli dieses Jahres auch die Rentner betroffen sind, lance aller drei Kriterien lässt sich eine gute Rentenpoli- mitberücksichtigt, kommt man zu dem Ergebnis, dass tik beurteilen. die Rentner in Deutschland ab Juli dieses Jahres insge- samt 5,6 Milliarden Euro mehr in der Tasche haben. Manche Parteien betreiben Klientelpolitik und versu- chen, einem einzigen dieser Kriterien gerecht zu werden; (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE ich denke gerade an die Anträge der Linken, könnte aber LINKE]: Ach was! Das holen Sie sich doch al- auch in die andere Richtung dieses Hauses schauen. Das les zurück!) reicht nicht, um eine gute Rentenpolitik zu machen. All das haben wir getan, während in den USA viele Mil- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lionen Rentner ihre Altersvorsorge, die in Pensionsfonds der CDU/CSU) angelegt war, verloren haben. Die sozialdemokratische Rentenpolitik der letzten zehn (Anton Schaaf [SPD]: So ist das!) Jahre hat eine gute Balance gefunden. Das zeigt auch das Jetzt will ich noch etwas zum Nachhaltigkeitsfaktor internationale Lob. Ich erinnere nur an die Aussagen sagen – wenn es um das Rentenniveau geht, spielt er vonseiten der OECD. nämlich eine Rolle –: Sie von den Linken fordern in (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE einem Ihrer Anträge, den Nachhaltigkeitsfaktor abzu- LINKE]: Aha! Hier hat jeder die Chance, al- schaffen. Durch den Nachhaltigkeitsfaktor werden Ren- tersarm zu werden!) tenerhöhungen sinnvollerweise mit dem Zahlenverhält- nis zwischen Beitragszahlern und Rentenbeziehern Lassen Sie mich auf die drei Kriterien im Einzelnen verknüpft; das sind nämlich zwei Seiten derselben Me- eingehen. daille. Das hat sich in den letzten Jahren, in denen auf- grund der guten Wirtschaftsentwicklung die Zahl der Erstens: zum Versorgungsniveau. Sowohl im histori- Beitragszahler stärker als die Zahl der Rentenbezieher schen als auch im geografischen Vergleich steht gestiegen ist, rentensteigernd ausgewirkt. Wenn Sie also Deutschland sehr gut da. ausführen, dass Sie den Nachhaltigkeitsfaktor abschaf- (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE fen wollen, müssen Sie den Menschen auch sagen, dass LINKE]: Was?) dies dazu geführt hätte, dass die Rentensteigerungen der letzten zwei Jahre geringer ausgefallen wären. Die Altersarmut ist in den letzten Jahrzehnten in Deutschland weitgehend verschwunden. „Weitgehend“ (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten heißt nicht, dass es nicht auch in Deutschland ältere der CDU/CSU) (B) (D) Menschen gibt, die in Armut leben. Aber insgesamt sind Auch Sie wissen, dass der Umfang von Rentenerhö- nur 2,4 Prozent der Menschen in diesem Land auf die hungen sowie die Sätze der Sozialhilfe und des Grundsicherung angewiesen. Arbeitslosengeldes II miteinander verknüpft sind. Bei- (Anton Schaaf [SPD]: So ist das!) des wird immer parallel erhöht. Wenn das, was Sie for- dern, gemacht worden wäre, und wenn die Rentensteige- Das ist ein großer Erfolg unseres Sozialstaates. rungen in den letzten zwei Jahren demzufolge geringer ausgefallen wären, dann wären in den letzten zwei Jah- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ren auch die ALG-II-Sätze weniger stark gestiegen. der CDU/CSU) (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: So ein Natürlich wird häufig eingewandt, dass das Renten- Popanz!) niveau in den letzten Jahren gesunken ist. Dieser Schritt war völlig richtig und politisch gewollt. Das sind die Folgen der Politik der Linken, die Sie aber nicht erwähnen. Faktisch hätte Ihre Politik allerdings (Widerspruch bei der LINKEN) diese Folgen. – Vor der demografischen Entwicklung können auch Sie (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Volker nicht die Augen verschließen. – Wir haben allerdings Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Und Folgendes getan: Wir haben die Senkung des Rentenni- für das Jahr 2009?) veaus durch die Einführung und Stärkung der zweiten und dritten Säule der Altersvorsorge, der Riester-Rente Ich finde es richtig, dass die Bundesregierung die und der betrieblichen Altersvorsorge, kompensiert. Rentner in den nächsten Jahren vor Kürzungen schützt. Genauso wie es richtig ist, beim Lohn eine Untergrenze (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Eine einzuziehen, also einen Mindestlohn einzuführen, ist es tolle Leistung war das! Super! – Weiterer Zu- auch richtig, für die Rentner eine Untergrenze einzuzie- ruf von der LINKEN: Das kann sich nur nicht hen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in Deutsch- jeder leisten!) land in den nächsten Jahren zu Rentenkürzungen kommt. Ich finde es, ehrlich gesagt, auch unerträglich Zum 1. Juli 2009 sind die Renten im Westen um – das sage ich an die Adresse der Union –, wenn Jungpo- 2,41 Prozent und im Osten um 3,38 Prozent gestiegen. litiker wie der Kollege Spahn versuchen, Alt gegen Jung Diese Rentenerhöhung ist für den Westen die größte seit auszuspielen. Die Rente ist kein Almosen. 1994, also seit 15 Jahren, und für den Osten seit 1997. Wenn man die Senkung des Beitragssatzes zur Kranken- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten versicherung, die wir im Rahmen des Konjunkturpro- der CDU/CSU) 26164 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Gregor Amann (A) Vielmehr haben die Menschen aufgrund ihrer Arbeits- (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE (C) leistung, mit der sie dieses Land aufgebaut haben, einen LINKE]: Wissen Sie überhaupt, was Sie be- Anspruch auf Rente. schlossen haben?) Wer die Wirtschaftskrise so krass wahrheitswidrig mit Das zweite Kriterium ist der Rentenbeitrag – da mir der Rente mit 67 verknüpft, der zeigt, dass es ihm weder die Zeit davonläuft, muss ich mich etwas kürzer fassen –: um die Wirtschaftskrise noch um eine seriöse Renten- 1982, als die Kohl-Regierung ins Amt kam, lag der Bei- politik geht, tragssatz zur Rentenversicherung bei 18 Prozent. In den Folgejahren bis 1998 ist er kontinuierlich auf 20,3 Pro- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der zent gestiegen. Seit die SPD an der Regierung ist, seit CDU/CSU) 1998, ist der Beitragssatz zur Rentenversicherung wie- sondern ausschließlich darum, die Ängste und Sorgen der auf unter 20 Prozent gesunken. In den letzten zehn der Menschen zu benutzen, um sein eigenes politisches Jahren ist er sogar stabil unter 20 Prozent geblieben. Süppchen zu kochen. Ich finde das schäbig. (Beifall bei der SPD – [CDU/ (Frank Spieth [DIE LINKE]: So ein Unsinn!) CSU]: Aber der Zuschuss des Bundes liegt Ich bin am Ende meiner Redezeit. Ich darf abschlie- mittlerweile bei über 80 Milliarden Euro! Das ßend nur darauf hinweisen: Gute Rentenpolitik hat eine muss man dazusagen! – Max Straubinger Vielzahl verschiedener Aspekte. Ein paar konnte ich auf- [CDU/CSU]: Sie haben den Bundeszuschuss zählen. Rentenpolitik ist bei den Sozialdemokraten in vergessen! Sie sind ja ein Hütchenspieler!) guten Händen. (Lachen der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann Das dritte Kriterium ist die langfristige finanzielle [DIE LINKE]) Stabilität der Rentenversicherung. An dieser Stelle will ich nur erwähnen, dass sich die Rücklage der Rentenver- Das war in der Vergangenheit so, und das wird auch in sicherung inzwischen wieder auf einen Monatsbeitrag Zukunft so bleiben. erhöht hat. Das hat natürlich mit den Reformen der letz- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ten Jahre zu tun. Zu diesen Reformen gehört auch die der CDU/CSU – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE Rente mit 67. LINKE]: Der Witz war gut!) In diesem Zusammenhang möchte ich noch eine Be- merkung zu einem Antrag der Linken machen. Ich finde Vizepräsidentin Petra Pau: es absolut unseriös, wenn Sie die derzeitige Wirtschafts- Bevor wir die Debatte fortsetzen, komme ich zurück krise mit der Anhebung des Renteneintrittsalters auf zum Tagesordnungspunkt 70 und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergeb- (B) 67 Jahre verknüpfen, wenn Sie also so tun, als habe das (D) nis der namentlichen Abstimmung über den von der eine etwas mit dem anderen zu tun. Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Gesetz- (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Sehr rich- entwurf zur Änderung des Bundeswahlgesetzes bekannt: tig! – Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE abgegebene Stimmen 493. Mit Ja haben gestimmt 97 LINKE]: Das ist unglaublich!) Kolleginnen und Kollegen, mit Nein haben gestimmt 391 Kolleginnen und Kollegen, und 5 Kolleginnen und Das eine kommt im Jahr 2029, die Wirtschaftskrise ist Kollegen haben sich enthalten. Der Gesetzentwurf ist jetzt. abgelehnt.

Endgültiges Ergebnis Eva Bulling-Schröter Dr. Axel Troost Abgegebene Stimmen: 493; Dr. Ulla Lötzer Jörn Wunderlich davon Roland Claus Dr. Gesine Lötzsch Sabine Zimmermann Sevim Dağdelen Ulrich Maurer ja: 97 Werner Dreibus Dorothée Menzner BÜNDNIS 90/ nein: 391 Dr. Dagmar Enkelmann Kornelia Möller DIE GRÜNEN enthalten: 5 Klaus Ernst Kersten Naumann (Bremen) Dr. Wolfgang Nešković Ja Heike Hänsel Dr. Birgitt Bender Lutz Heilmann Petra Pau Alexander Bonde SPD Hans-Kurt Hill Ekin Deligöz Cornelia Hirsch Elke Reinke Dr. Lale Akgün Dr. Thea Dückert Inge Höger Paul Schäfer (Köln) Dr. Uschi Eid Dr. Barbara Höll Volker Schneider Dr. Wolfgang Wodarg Hans Josef Fell Ulla Jelpke (Saarbrücken) Kai Gehring Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Herbert Schui Britta Haßelmann DIE LINKE Dr. Hakki Keskin Dr. Ilja Seifert Hüseyin-Kenan Aydin Monika Knoche Dr. Dr. Jan Korte Frank Spieth Peter Hettlich Katrin Kunert Dr. Priska Hinz (Herborn) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26165

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Ulrike Höfken (Berlin) (C) Dr. Anton Hofreiter Dr. Ralf Brauksiepe Jürgen Klimke Dr. Ole Schröder Bärbel Höhn Monika Brüning Julia Klöckner Bernhard Schulte-Drüggelte Thilo Hoppe Cajus Caesar Ute Koczy Dr. Kristina Köhler Wilhelm Josef Sebastian Sylvia Kotting-Uhl Leo Dautzenberg (Wiesbaden) Kurt Segner Fritz Kuhn Manfred Kolbe Bernd Siebert Renate Künast Norbert Königshofen Thomas Silberhorn Undine Kurth (Quedlinburg) Thomas Dörflinger Dr. Rolf Koschorrek Markus Kurth Marie-Luise Dött Hartmut Koschyk Monika Lazar Maria Eichhorn Thomas Kossendey Anna Lührmann Dr. Stephan Eisel Christian Freiherr von Stetten Nicole Maisch (Lübeck) Dr. Günter Krings Gero Storjohann Jerzy Montag Dr. Martina Krogmann Andreas Storm Kerstin Müller (Köln) Dr. Hans Georg Faust Dr. Hermann Kues Max Straubinger Dr. Karl A. Lamers Matthäus Strebl Ingrid Fischbach (Heidelberg) (Heilbronn) Brigitte Pothmer Hartwig Fischer (Göttingen) Andreas G. Lämmel Lena Strothmann Claudia Roth (Augsburg) Dirk Fischer () Michael Stübgen Dr. Hans Peter Thul Klaus-Peter Flosbach Dr. Max Lehmer Elisabeth Scharfenberg Paul Lehrieder Dr. Hans-Peter Uhl Christine Scheel Dr. Hans-Peter Friedrich Irmingard Schewe-Gerigk (Hof) Eduard Lintner Volkmar Uwe Vogel Dr. Gerhard Schick Erich G. Fritz Dr. Michael Luther Andrea Astrid Voßhoff Rainder Steenblock Dr. Michael Fuchs Thomas Mahlberg Gerhard Wächter Silke Stokar von Neuforn Hans-Joachim Fuchtel Stephan Mayer (Altötting) Marco Wanderwitz Dr. Wolfgang Strengmann- Dr. Jürgen Gehb Wolfgang Meckelburg Kuhn Dr. Hans-Christian Ströbele (Hamm) Peter Weiß (Emmendingen) Dr. Harald Terpe Gerald Weiß (Groß-Gerau) Jürgen Trittin Peter Götz Dr. h. c. Wolfgang Wieland Dr. Wolfgang Götzer Philipp Mißfelder Anette Widmann-Mauz Josef Philip Winkler Dr. Eva Möllring Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier- (B) Reinhard Grindel (D) fraktionslose Hermann Gröhe Carsten Müller Becker Abgeordnete Michael Grosse-Brömer (Braunschweig) Werner Wittlich Markus Grübel Stefan Müller (Erlangen) Wolfgang Zöller Jörg Tauss Willi Zylajew Gert Winkelmeier Manfred Grund Dr. Gerd Müller Monika Grütters Dr. Karl-Theodor Freiherr Dr. Georg Nüßlein SPD Nein zu Guttenberg Franz Obermeier Gregor Amann Eduard Oswald Dr. h. c. Gerd Andres CDU/CSU Holger Haibach Gerda Hasselfeldt Rita Pawelski Ingrid Arndt-Brauer Ursula Heinen-Esser Ulrich Petzold Beatrix Philipp (Neuruppin) Jürgen Herrmann Doris Barnett Dorothee Bär Daniela Raab Dr. Hans-Peter Bartels Thomas Bareiß Ernst Hinsken Dr. Peter Ramsauer Sören Bartol Dr. Klaus Uwe Benneter Günter Baumann Robert Hochbaum (Potsdam) Dr. Axel Berg Ernst-Reinhard Beck Klaus Hofbauer Klaus Riegert (Reutlingen) Franz-Josef Holzenkamp Dr. Volker Blumentritt Joachim Hörster Franz Romer Otto Bernhardt Anette Hübinger Johannes Röring Clemens Bollen Clemens Binninger Susanne Jaffke-Witt Kurt J. Rossmanith Gerd Bollmann Dr. Peter Jahr Dr. Norbert Röttgen Dr. Peter Bleser Dr. Hans-Heinrich Jordan Dr. Christian Ruck Klaus Brandner Dr. Albert Rupprecht (Weiden) Bernhard Brinkmann Dr. Maria Böhmer Bartholomäus Kalb Peter Rzepka (Hildesheim) Hans-Werner Kammer Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Michael Bürsch Wolfgang Börnsen Hermann-Josef Scharf Christian Carstensen (Bönstrup) Bernhard Kaster Karl Schiewerling Marion Caspers-Merk Siegfried Kauder (Villingen- Norbert Schindler Dr. Klaus Brähmig Schwenningen) Georg Schirmbeck Karl Diller Michael Brand Volker Kauder Andreas Schmidt (Mülheim) Dr. Carl-Christian Dressel 26166 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Elvira Drobinski-Weiß Dr. Bärbel Kofler Axel Schäfer (Bochum) Ernst Burgbacher (C) Detlef Dzembritzki Bernd Scheelen Patrick Döring Sebastian Edathy Karin Kortmann Marianne Schieder Mechthild Dyckmans Siegmund Ehrmann Rolf Kramer Silvia Schmidt (Eisleben) Jörg van Essen Hans Eichel Volker Kröning Heinz Schmitt (Landau) (Bayreuth) Petra Ernstberger Angelika Krüger-Leißner Carsten Schneider (Erfurt) Hans-Michael Goldmann Karin Evers-Meyer Dr. Hans-Ulrich Krüger Olaf Scholz Dr. Christel Happach-Kasan Jürgen Kucharczyk Swen Schulz (Spandau) Heinz-Peter Haustein Rainer Fornahl Helga Kühn-Mengel Ewald Schurer Birgit Homburger Gabriele Frechen Dr. Christian Lange (Backnang) Dr. Martin Schwanholz Peter Friedrich Dr. Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Heinrich L. Kolb Martin Gerster Waltraud Lehn Wolfgang Spanier Hellmut Königshaus Iris Gleicke Helga Lopez Dr. Margrit Spielmann Gudrun Kopp Angelika Graf (Rosenheim) Gabriele Lösekrug-Möller Jörg-Otto Spiller Dr. h. c. Jürgen Koppelin Dieter Grasedieck Dirk Manzewski Dieter Steinecke Heinz Lanfermann Kerstin Griese Caren Marks Rolf Stöckel Markus Löning Gabriele Groneberg Katja Mast Christoph Strässer Dr. Erwin Lotter Achim Großmann Petra Merkel (Berlin) Dr. Peter Struck Patrick Meinhardt Wolfgang Grotthaus Dr. Joachim Stünker Jan Mücke Wolfgang Gunkel Ursula Mogg Dr. h. c. Wolfgang Thierse Burkhardt Müller-Sönksen Hans-Joachim Hacker Marko Mühlstein Jörn Thießen Bettina Hagedorn Detlef Müller (Chemnitz) Franz Thönnes Detlef Parr Klaus Hagemann Gesine Multhaupt Rüdiger Veit Gisela Piltz Frank Schäffler Alfred Hartenbach Franz Müntefering Simone Violka Dr. Michael Hartmann Dr. Rolf Mützenich Jörg Vogelsänger Dr. Max Stadler (Wackernheim) Dr. Marlies Volkmer Dr. Daniel Volk Dr. Reinhold Hemker Dr. Erika Ober Hedi Wegener Christoph Waitz Rolf Hempelmann Thomas Oppermann Petra Weis Dr. Guido Westerwelle Gustav Herzog Gunter Weißgerber Holger Ortel Dr. Claudia Winterstein Petra Heß Heinz Paula Gert Weisskirchen (Wiesloch) Dr. Volker Wissing Stephan Hilsberg Johannes Pflug Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (Essen) Joachim Poß Hildegard Wester Gerd Höfer Christoph Pries Lydia Westrich Dr. fraktionsloser (B) (Wismar) Dr. Wilhelm Priesmeier Abgeordneter (D) Frank Hofmann (Volkach) Florian Pronold Andrea Wicklein Dr. Eva Högl Dr. Dr. Dieter Wiefelspütz Henry Nitzsche Eike Hovermann Mechthild Rawert Engelbert Wistuba Waltraud Wolff Klaas Hübner Steffen Reiche (Cottbus) Enthalten Christel Humme Gerold Reichenbach (Wolmirstedt) Manfred Zöllmer Lothar Ibrügger Dr. Carola Reimann CDU/CSU Brunhilde Irber Brigitte Zypries Johannes Jung (Karlsruhe) Sönke Rix Josef Göppel FDP Josip Juratovic René Röspel Dr. Norbert Lammert Johannes Kahrs Dr. Jens Ackermann SPD Dr. h. c. Susanne Kastner Ortwin Runde Christian Ahrendt Ulrich Kelber Marlene Rupprecht (Münster) Dirk Becker Christian Kleiminger (Tuchenbach) Ulrich Kasparick Hans-Ulrich Klose Anton Schaaf Ernst Kranz

Nun hat für die FDP-Fraktion der Kollege gewesen seien, das kann man beim besten Willen nicht Dr. Heinrich Kolb das Wort. sagen. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Bei allen drei Kriterien, die Sie genannt haben – Versor- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! gung, Beitragshöhe, langfristige Stabilität –, stellen sich am Ende Ihrer Regierungsbeteiligung mehr Fragen als Wir wollen heute eigentlich Anträge der Linken beraten. zu Beginn. Ihre Ausführungen, Herr Amann, zwingen mich aber – trotz aller persönlichen Sympathie –, einige Anmer- Ich will ein Beispiel nennen. Sie sagen, Sie hätten den kungen zu machen; denn so kann man das nicht stehen Beitragssatz, der einmal bei 19,8 Prozent lag, fast stabil lassen: Dass zehn Jahre SPD-Regierung eine Erfolgs- gehalten. Ich muss daran erinnern, dass Sie zwischen- story für die Rentnerinnen und Rentner in Deutschland zeitlich die Ökosteuer eingeführt haben. Das Ziel bei der Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26167

Dr. Heinrich L. Kolb (A) Einführung der Ökosteuer war die Absenkung des Bei- Herr Amann, ich habe meine Redezeit jetzt fast für (C) tragssatzes auf 18,1 Prozent. Das hat nie stattgefunden. die Antwort auf Ihre Rede verbraucht – die Kollegen von den Linken müssen mir das nachsehen –, das musste Nach dem aktuellen Rentenversicherungsbericht soll dann doch einmal gesagt werden. der Rentenbeitragssatz eigentlich auf 19,1 Prozent abge- senkt werden, weil nur durch diese Absenkung gewähr- (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Dafür leistet werden kann, dass 2020 ein Beitragssatz von haben wir volles Verständnis!) 20 Prozent ausreicht. Das ist aufgrund der ewigen Ren- tengarantie von Herrn Scholz gestrichen worden. Auch Sie von den Linken sind rückwärtsgewandt; das muss man sagen. Sie wollen die Erhöhung der Regelal- (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Das stimmt tersgrenze ersatzlos – ich betone: ersatzlos – zurückneh- doch gar nicht!) men. Ihr Antrag erschöpft sich darin, den Status quo ante Eine Erfolgsgeschichte für die Beitragszahler ist das von 2007 wiederherzustellen. Dazu muss man sagen: wirklich nicht. Das ist zu wenig. Das enthält keinerlei Ansatz dafür, wie in Zukunft eine leistungsfähige Rentenversicherung ge- Was die Versorgung der Menschen anbelangt, stimme währleistet werden soll und wie das Rentensystem at- ich Ihnen zu: Im Moment ist Altersarmut in Deutschland traktiv gestaltet werden kann. kein Problem. 2,5 Prozent, 2,7 Prozent der Menschen in Deutschland beantragen Grundsicherung. Das ist im Deswegen will ich die verbleibenden zwei Minuten Einzelfall bedauerlich und für den Einzelnen schwer zu dazu nutzen, Sie noch einmal für einen Vorschlag zu ertragen – das räume ich ein –; aber die Herausforderun- sensibilisieren, den die FDP-Fraktion hier in den Deut- gen stehen uns erst noch bevor. schen Bundestag eingebracht hat, nämlich den Vor- schlag, das System starrer Regelaltersgrenzen durch Ich will für die FDP-Fraktion in diesem Hause in al- einen flexiblen Übergang vom Erwerbsleben in den Ru- lem Selbstbewusstsein sagen: Wir sind bislang die ein- hestand auf der Basis einer eigenen freien Entscheidung zige Fraktion, die Bausteine zur Vermeidung von Alters- zu ersetzen. armut vorgelegt hat. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP – Widerspruch bei der LINKEN) Wir verbinden diesen Vorschlag mit dem Wegfall al- ler Zuverdienstgrenzen. – Das können Sie anhand von Bundestagsdrucksachen konkret nachvollziehen. – Wir machen uns Gedanken. (Beifall bei der FDP) Ich will beispielsweise unseren Vorschlag nennen, pri- (B) Es gibt keinen Grund dafür, dass der Staat jemandem, (D) vate und betriebliche Vorsorge auf die Grundsicherung der grundsicherungsfrei ist, noch länger vorschreibt, ob im Alter nicht anzurechnen. und in welchem Umfang jemand tätig ist. Das kann jeder (Beifall bei der FDP) Mensch für sich sehr gut selbst entscheiden. Diese Ent- scheidung sollten wir ihnen auch überlassen. Damit schließen wir eine wesentliche Lücke und verrin- gern das Risiko von Armut im Alter. Das ist ein ent- (Beifall bei der FDP) scheidender Punkt. Ich finde, das ist wirklich ein zukunftsweisender Vor- Herr Amann, mit der Rentengarantie, die Sie zuletzt schlag, und in Podiumsdiskussionen landauf, landab abgegeben haben, haben Sie die noch von Walter Riester höre ich schon einmal Zustimmung von Ihren Kollegen. eingeleitete Stabilisierung der Rentenfinanzen wieder zu Sie sagen: Mehr Flexibilität ist eigentlich die Richtung, einem großen Teil infrage gestellt. Die Nachhaltigkeit in die wir auch marschieren wollen. der Rentenfinanzen ist nicht mehr in dem Maße gewähr- leistet, wie sie es im Zusammenhang mit dem Renten- (Dirk Niebel [FDP]: Sogar vom DGB!) versicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz schien. Deswegen Ich weiß, dass jetzt Wahlkampf ist und dass Sie uns jetzt sind viele Fragen offen. noch nicht vorbehaltlos zustimmen können. Nach dem Ein Allerletztes. Ich finde es putzig, wenn man eine 27. September 2009 sollten Sie aber einmal ganz nüch- nominale Rentengarantie gibt – also garantiert, dass der tern auf das schauen, was die FDP Ihnen präsentiert. Sie Zahlbetrag der Renten nicht gekürzt wird –, gleichzeitig werden dann feststellen, dass das ein Vorschlag ist, der aber der Staatssekretär des BMAS im Ausschuss formu- den Menschen gerecht wird und der im Ergebnis dazu liert, dass Einkommensverluste der Rentner, zum Bei- führt, dass die Erwerbsteilhabe älterer Menschen deut- spiel durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer um lich gesteigert wird, was wir alle ja wollen. Das ist je- 3 Prozentpunkte, in Kauf genommen werden. denfalls die Beobachtung, die wir in den skandinavi- schen Ländern gemacht haben. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) (Beifall bei der FDP) Diese Erhöhung hat die Rentnerinnen und Rentner be- sonders belastet, weil sie von der mit dieser Erhöhung Eine allerletzte Anmerkung zur Erwerbstätigenversi- verbundenen Absenkung des Arbeitslosenversicherungs- cherung. Das fordern Sie; damit sind Sie aber nicht al- beitrages nicht profitiert haben. Das sind Wahrheiten, die leine. Auch in anderen Fraktionen gibt es Sympathisan- einfach dazugehören. ten. Das ist aber eine Milchmädchenrechnung 26168 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Dr. Heinrich L. Kolb (A) (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ Es ist – auch das sei zum Ende dieser Legislatur- (C) DIE GRÜNEN]: Was ist mit den Selbstständi- periode noch einmal rückblickend gesagt – natürlich ein gen?) bleibendes Verdienst dieser Bundesregierung und des damaligen Bundesarbeitsministers Franz Müntefering, oder auch eine Milchjungenrechnung, um der Kollegin dies auch in den eigenen Wirkungskreisen durchgesetzt Schewe-Gerigk gleich zuvorzukommen. Hier muss man zu haben. Wir haben hier eine gute Entscheidung ge- deutlich sagen: Es gilt das Äquivalenzprinzip in der ge- meinsam getroffen. setzlichen Rentenversicherung. Es werden Renten in dem Umfang zu zahlen sein, in dem zuvor Beiträge ge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und zahlt wurden. Das heißt, mit einer Erwerbstätigenversi- der SPD) cherung können Sie allenfalls ein kurzfristiges Stroh- Es ist eine Entscheidung, die gerade auch im Hinblick feuer, einen Liquiditätseffekt, erreichen. Auf Dauer auf die Erwerbstätigkeit Älterer wichtig ist. verschärfen Sie damit aber die strukturellen Probleme der Rentenversicherung. Meine Damen und Herren, es ist doch kein Zufall, dass, seit die Diskussion über diese Themen läuft und (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Das ist aus- seit die Beschäftigung insgesamt gestiegen ist, gerade nahmsweise richtig, Herr Kollege!) bei den Älteren die Erwerbsbeteiligung deutlich zuge- Diese Zeche wird genau dann zu zahlen sein, wenn nommen hat. Das sogenannte Lissabon-Ziel, bis zum wir erleben müssen, dass die junge Generation von heute Jahre 2010 50 Prozent der über 55-Jährigen in Beschäfti- für die heute höchsten Beiträge die dann niedrigsten gung zu bringen, haben wir schon überschritten. Wir Renten erhält. Deswegen kann ich nur dringend ermah- sind schon bei 54 Prozent. nen, von diesem Experiment der Erwerbstätigenversi- Klar ist doch auch, selbst wenn es jetzt durch die cherung abzulassen. Wirtschaftskrise hier Probleme geben sollte, muss man Ich hätte Ihnen gerne noch mehr ins Stammbuch ge- doch immer fragen, was die Alternative wäre. Wenn wir schrieben, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Lin- mit der Erwerbsbeteiligung Älterer nicht zufrieden wä- ken, aber meine Redezeit ist leider schon überschritten, ren, müssten wir doch klar sehen: Höhere Lohnzusatz- und die Kollegen wollen nach Hause. Ich bedanke mich kosten, die eine Rücknahme dieses Gesetzes bedeuten für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe auf eine Fortsetzung würden, und das damit verbundene politische Signal: unserer interessanten rentenpolitischen Diskussionen in „Die Älteren kann man eher aussortieren, die brauchen der nächsten Legislaturperiode. sich mit 50 nicht mehr weiterzubilden, das lohnt sich nicht mehr, die arbeiten ja eh nicht mehr lange“, das Danke schön. kann doch niemals die Alternative sein. Mit der Rück- (B) (D) nahme dieser Maßnahme würde in jedem Fall die Er- (Beifall bei der FDP) werbsbeteiligung Älterer sinken, die Arbeitslosigkeit Äl- terer steigen. Genau das wollen wir nicht, liebe Vizepräsidentin Petra Pau: Kolleginnen und Kollegen. Deswegen bleibt es bei die- Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Dr. Ralf ser Maßnahme. Brauksiepe das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) neten der SPD) Im Übrigen will ich Legenden vorbeugen, die in die- Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): sem Zusammenhang gelegentlich auftauchen, als würde Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! das alles unter Vorbehalt stehen und wäre unter Vorbe- Ich fand es zu Beginn meiner parlamentarischen Tätig- halt beschlossen. Es wird im Jahr 2010 einen Bericht der keit durchaus gewöhnungsbedürftig, wenn bei Gesetz- Bundesregierung geben, wie auch immer sie aussieht. entwürfen unter Punkt C – Alternativen – immer stand: Die Bundesregierung hat die Pflicht, darüber zu berich- Keine. ten, wie sich die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer entwickelt hat. Damit ist selbstverständlich kein Auto- Natürlich gibt es in den meisten Fällen durchaus dis- matismus verbunden im Hinblick auf irgendeine gesetz- kussionswürdige politische Alternativen, aber nicht da- liche Regelung. Es wird dabei bleiben, egal wie die Be- für, die Rente mit 67 einzuführen und damit die durch- schäftigung Älterer aussieht. Es macht Sinn, sie zu schnittliche Rentenbezugsdauer innerhalb von 20 Jahren steigern. Eine Notwendigkeit in diesem Zusammenhang ab heute von jetzt 17 Jahre auf 18 Jahre und nicht auf sind möglichst bezahlbare Beiträge und klare Signale, 20 Jahre zu erhöhen sowie gleichzeitig die Lebens- dass die Älteren in unserer Gesellschaft gebraucht wer- arbeitszeit für diejenigen, die es können, um zwei Jahre den. zu verlängern, damit diejenigen, die nicht so lange arbei- ten können, weiter solidarisch abgesichert werden. Wenn Wir haben natürlich – das wird ja auch immer einge- es in den letzten Jahren irgendetwas gab, wozu es keine wandt – nur begrenzte Beitragssenkungsspielräume. Das seriöse Alternativ gab, dann war es dieses Gesetz für die war auch politisch gewollt. Wir haben eben ganz be- Rente mit 67. wusst gesagt: Wir setzen bei den rund ein Dutzend Ren- tenarten, die es gibt, nicht bei jeder Rentenart die Grenze (Beifall bei der CDU/CSU – Dirk Niebel einfach um zwei Jahre herauf, sondern wir machen Aus- [FDP]: Er hat eben gar nicht zugehört!) nahmen, zum Beispiel bei den Erwerbsminderungsren- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26169

Dr. Ralf Brauksiepe (A) ten. – Wir haben großzügige Übergangsregelungen für So weit die sozialistische Sächsische Zeitung seinerzeit. (C) diejenigen gefunden, die nicht mehr arbeiten können und deswegen in Erwerbsminderungsrente gehen müssen. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP) Wir haben insbesondere auch gesagt: Diejenigen, die Sie wollen uns hier erzählen, wir müssten mit der An- 45 Beitragsjahre haben, können weiterhin abschlagsfrei gleichung des Rentenniveaus vorankommen. Das wollen mit 65 Jahren in Rente gehen. – Auch das ist ein ganz wir ja politisch. Aber das sagen Sie, nachdem Sie wichtiges Ziel, das wir im Interesse der langjährigen 40 Jahre lang die DDR in den Ruin getrieben haben. Beitragszahler durchgesetzt haben. Jetzt erzählen Sie uns, wir zahlten zu wenig Rente. Ich sehe die Kollegin Schewe-Gerigk. Wir haben uns (Widerspruch bei der LINKEN) ja im Wahlkreis eineinhalb Jahrzehnte lang auseinander- gesetzt; sie hat hier ihre letzte Rede gehalten. Aber es Selber wollte Ihr Vorsitzender gar keine Rente für die war eben eine falsche Ankündigung, zu sagen: Der Bun- Menschen in der DDR. Das ist die Wahrheit. despräsident wird es nicht unterschreiben, das Bundes- (Beifall bei der CDU/CSU) verfassungsgericht wird es nicht akzeptieren. – Nein, alle haben es akzeptiert. Wir werden das nicht vergessen, liebe Kolleginnen und (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ Kollegen. Wir werden Sie daran erinnern, auch wenn die DIE GRÜNEN]: Ich wusste gar nicht, dass Sie Herren, die für Eigenständigkeit, Souveränität der DDR im Wahlkreis unter mir gelitten haben!) und gegen Rentenzahlungen an DDR-Rentner sind, die- ser Debatte heute wahrscheinlich aus Scham lieber fern- Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt: Es ist be- bleiben. rechtigt, wenn man diejenigen, die durch besonders viele Beitragsjahre diesen Sozialstaat mit aufgebaut und fi- Meine Damen und Herren, es liegen noch diverse nanziert haben, mit 65 in eine abschlagsfreie Rente ge- qualitativ ähnlich indiskutable Anträge der Linkspartei hen lässt. Genau das ist bestätigt worden, liebe Kollegin- vor. nen und Kollegen. Zum Thema Erwerbstätigenversicherung will ich dem (Beifall bei der CDU/CSU) Kollegen Kolb ausdrücklich recht geben. Was er dazu gesagt hat, ist richtig. Ein System der gesetzlichen Ren- Ich will heute zur FDP nichts sagen. Bei uns Westfa- tenversicherung, das sich für 20 Millionen Rentner nicht len ist Schweigen bekanntlich die höchste Form der Zu- rechnen würde, würde sich auch dann nicht rechnen, stimmung. Ich bitte, dies daher als Zeichen guten Wil- wenn man ein paar Millionen Menschen zusätzlich zu lens zu sehen, dass ich zur Rentenpolitik der FDP sonst den gleichen Bedingungen in das System aufnehmen (B) weiter nichts sage. würde. Wir müssen stattdessen dafür sorgen, dass die ge- (D) (Heiterkeit bei der FDP) setzliche Rentenversicherung insgesamt so ausgestattet ist, dass sie in Verbindung mit betrieblicher und privater Zu den Grünen habe ich etwas gesagt. Vorsorge auskömmliche Renten garantiert. Das ist der (Zuruf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Grund, warum wir über den Bundeshaushalt fast Aber nichts Inhaltliches!) 100 Milliarden Euro jährlich einsetzen, um die Alters- sicherung generell zu stabilisieren. Zu den Antragstellern will ich noch sagen: Papier ist ja geduldig. Ich habe die Sächsische Zeitung vom Ein Vorschlag der Linkspartei bezieht sich darauf, et- 13. Dezember 1989 gefunden – sehr interessante Zeitung –, was für die Geringverdiener unter den Rentnern zu tun. kurz nach dem Fall der Mauer. Sozialistische Tageszei- Wir sind in der Tat dafür, dass diejenigen, die lange bei tung für den Bezirk Dresden. Darin stehen interessante geringen Einkommen Vollzeit gearbeitet haben, eine Sachen. Oben drüber steht: „Proletarier aller Länder ver- Rente oberhalb des Grundsicherungsniveaus bekommen. einigt euch“. Aber alles andere, was Sie in Ihren Anträgen vor- (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN) schlagen, würde im Grunde bedeuten, zu dem völlig an- deren demografischen Zustand vor 1992 zurückzukehren Eine Überschrift ist: „Gysi für Eigenständigkeit und und all das zurückzunehmen, was seitdem gemacht wor- Souveränität der DDR“ – noch nicht allzu lange her. den ist. Das würde – wie das Prognos-Institut schon vor Dann gibt es eine Meldung der Nachrichtenagentur langem errechnet hat – dazu führen, dass die Beitrags- ADN unter „Lafontaine fordert neue Zuzugsregelun- sätze auf 40 Prozent steigen müssten. Das ist völlig illu- gen“: sorisch. Deswegen machen wir das nicht mit. Lafontaine sprach auch von „guten Argumenten“, Wir können uns als Große Koalition und auch gerade Rentnern aus der DDR bei einer Übersiedlung in als CDU/CSU mit dem sehen lassen, was in dieser Le- die Bundesrepublik aus Gründen der sozialen Ge- gislaturperiode in der Rentenpolitik erreicht worden ist. rechtigkeit keine Rente mehr zu zahlen. In der Rentenpolitik gibt es eben keine Kontinuität über zehn oder elf Jahre. Seit Bundeskanzle- (Zurufe von der CDU/CSU: Ei, ei!) rin ist, haben wir in der Rentenversicherung wieder Re- Es sei geltendes Recht in der Bundesrepublik, dass serven. Im November 2005 brauchte die Rentenkasse jemand, der keine Beiträge eingezahlt habe, keine noch ein Darlehen. Seit Angela Merkel Kanzlerin ist, Rente bekomme. gibt es wieder Rentensteigerungen, in diesem Jahr um 26170 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Dr. Ralf Brauksiepe (A) 2,41 Prozent in den alten und 3,38 Prozent in den neuen (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Damit hät- (C) Ländern. ten sie aber ein bisschen mehr als ihr!) Wir haben die Rentenfinanzen auf eine solide Basis Ich freue mich, dass das auch in der SPD zur Kenntnis gestellt. Wir haben wieder für höhere Renten gesorgt, genommen wird. Ich zitiere Herrn Florian Pronold aus und wir haben mit der Rente mit 67 dafür gesorgt, dass der Bild vom 22. Juni: der Fortschritt nachhaltig und generationengerecht ist. Ich gehe davon aus, dass die Rente mit 67 wegen Die Menschen können sich sicher sein, dass wir in der steigender Arbeitslosenzahlen in der Wirtschafts- nächsten Legislaturperiode an diese Erfolge anknüpfen krise nicht in Kraft treten kann. werden. Herr Andreas Steppuhn, Abgeordneter der SPD, hat Herzlichen Dank. am 23. Juni festgestellt: (Beifall bei der CDU/CSU) Korrigieren kann ein Ausdruck von Größe sein. Beim Europawahlkampf ist für die SPD sichtbar Vizepräsidentin Petra Pau: geworden, dass viele Menschen, gerade auch ältere, Das Wort hat der Kollege Klaus Ernst für die Fraktion Angst um ihren Arbeitsplatz haben. Die Linke. Ganz zart hat den einen oder anderen von Ihnen die Er- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert kenntnis geküsst. Winkelmeier [fraktionslos]) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Volker Schneider Klaus Ernst (DIE LINKE): [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Aber nur zart!) Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Ihr Vorsitzender ist von einem solchen Kuss noch ver- Damen und Herren! Herr Amann hat gesagt: Die Ren- schont geblieben. Das ist das Problem. Wenn Herr tenpolitik ist bei der SPD in guten Händen. – Die Alters- Müntefering daraufhin ein Machtwort gesprochen hat armut nimmt zu, das Rentenniveau sinkt, das Rentenein- und die sozialdemokratische Führung eine vernünftige trittsalter steigt, und Sie sagen: Die Rente ist bei der SPD Haltung verhindert, dann muss ich feststellen: Es ist Ihr in guten Händen. Genauso gut kann man spielenden Vorsitzender, der momentan dazu beiträgt, dass eine ver- Kindern sagen, sie sollen im Heuschober mit Streichhöl- nünftige Rentenpolitik in der SPD nicht mehr möglich zern spielen. Dann sind die Streichhölzer auch in guten ist. Es ist richtig: Auch wir wollen, dass die Menschen Händen. länger arbeiten können. Aber bei dem einen oder ande- (B) Sie haben die Rente ruiniert und weichgeschossen. ren ist das nicht mehr sinnvoll. Ich glaube, dazu gehört (D) Das ist die Wahrheit. auch Ihr Vorsitzender – um es deutlich zu sagen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert (Beifall bei der LINKEN) Winkelmeier [fraktionslos]) Der Starrsinn Ihres Vorsitzenden ruiniert die SPD. Wann Herr Brauksiepe, Sie haben von einem höheren Ren- wollen Sie sich eigentlich von dieser Fessel befreien? tenniveau gesprochen und gesagt, es gäbe keine Alterna- (Widerspruch bei der SPD) tive zur Rente mit 67. – Er hört gerade nicht zu, weil er sich wohl über seine Rede unterhält. Wo sind denn eigentlich die Linken in der SPD? Wo sind denn eigentlich die Gewerkschafter in der SPD? (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Nein! Sie brüllen so laut, dass ich Sie auch von hinten (Max Straubinger [CDU/CSU]: Da sitzt doch höre!) einer in der ersten Reihe!) Sie wissen genau, dass der Beitragssatz nur 0,3 Prozent- Wo sind denn eigentlich die Standfesten in der SPD? Ich punkte höher sein müsste. kann sie nicht mehr finden und erkennen. (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: 0,5! Weil (Beifall bei der LINKEN) wir Ausnahmen gemacht haben!) Bei der namentlichen Abstimmung, die wir gleich ha- – Es können auch 0,5 Prozentpunkte sein. Das sind ben, werden wir sehen, wer von Ihnen noch einen auf- 0,25 Prozentpunkte für die Arbeitnehmer. Das wäre die rechten Gang hat und wer nicht. Alternative, die Sie aber nicht zur Kenntnis nehmen wol- Reden wir über die Realität. Das Netzwerk für eine len. Das ist ein Problem, auch wenn Sie sagen, dass es gerechte Rente, in dem sich der DGB, der Paritätische keine Probleme gibt. Wohlfahrtsverband und andere Sozialverbände zusam- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert mengeschlossen haben, hat festgestellt, dass Sie die Sta- Winkelmeier [fraktionslos]) tistiken schönen, und zwar bis hin zur Fälschung. Wenn Sie sagen, es gebe kein Problem mit der Arbeitslosigkeit Das Thema Rente mit 67 ist für die SPD langsam le- der Älteren, dann nehmen Sie nicht zur Kenntnis, dass benswichtig. Ich weiß nicht, ob Ihnen allen bekannt ist, seit Dezember 2007 – das ist das Ergebnis Ihrer Politik – dass Sie, wenn am nächsten Sonntag gewählt würde, nur die Zahl der Arbeitslosen im Alter zwischen 60 und noch 23 Prozent erreichen würden. 65 Jahren konstant gestiegen ist. Sie hat sich seit ihrem Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26171

Klaus Ernst (A) Tiefststand verdreifacht. Nur 22,64 Prozent der Arbeits- (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE (C) losen zwischen 60 und 65 Jahren weisen Sie in der Sta- LINKE]: Die greift 2012!) tistik tatsächlich aus. Aber aus dem Bericht des Netz- werks geht die Realität deutlich hervor. Dort heißt es: Das Renteneintrittsalter wird in sehr kleinen Schritten Die Beschäftigungsquote fällt ab dem 50. Lebensjahr ab dem Jahre 2012 erhöht. Erst die heute 45-Jährigen dramatisch ab. Nur 20 Prozent der Männer und nur circa – nicht etwa ältere Menschen – werden 2029 davon be- 10 Prozent der Frauen sind mit 64 Jahren noch in einer troffen sein. Bis dahin werden die Menschen – das wis- Beschäftigung. Wissen Sie eigentlich, was das bedeutet? sen Sie selbst, Herr Ernst – im Durchschnitt drei Jahre Glauben Sie wirklich, dass die Menschen, die mit 64 kei- länger leben. Die nächste Zahl: Sie werden dann fast nen Job mehr haben, mit 65 wieder eingestellt werden, 20 Jahre Rente beziehen. Noch eine Zahl, die Ihnen zu wenn Sie das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre erhöhen? denken geben sollte: Sie reden immer von der Arbeitslo- Auf welchem Stern leben Sie denn eigentlich? sigkeit im Jahre 2029. Im Jahre 2029 wird es 8 Millionen weniger Menschen im erwerbstätigen Alter geben. Das (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/ heißt, den Betrieben werden Menschen fehlen. Eine sol- CSU: Das passiert aber erst 2029!) che Herausforderung kleinzureden, nur weil Wahlkampf ist, finde ich fahrlässig. Für die übergroße Mehrheit bedeutet die Rente mit 67 nichts anderes als eine Rentenkürzung um 7,2 Prozent. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) Schauen wir uns die Regelungen in anderen europäi- schen Ländern an. Es gibt nur zwei Länder in der EU, die die Rente mit 67 haben. Das sind Island und Norwe- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: gen. Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Volker Schneider? (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Ist Island in der EU?) Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE In Frankreich gilt nach wie vor die Rente mit 60. Selbst GRÜNEN): in Albanien dürfen Frauen ab dem 60. Lebensjahr nach Bitte schön. Hause gehen. Dabei ist dieses Land wirtschaftlich schwächer als die Bundesrepublik. Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE): (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk, es ist zu- Vielleicht denken Sie darüber nach, ob Sie sich hier nächst einmal reine Kaffeesatzleserei, wenn man sich (B) (D) nicht auf dem Holzweg befinden. Sie haben heute die Gedanken darüber macht, wie es im Jahr 2029 aussehen letzte Chance, diese Regelung zurückzunehmen. Wir wird. werden sonst die Bundestagswahl zur Volksabstimmung (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Sie über die Rente mit 67 machen. Darauf können Sie Gift machen es doch die ganze Zeit! – Weitere Zu- nehmen. rufe von der CDU/CSU, der SPD und dem (Beifall bei der LINKEN) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Entweder man nimmt die Wahrheit zur Kenntnis, oder Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: man verleugnet sie. Die Zahl der zur Verfügung stehen- Das Wort hat nun Kollegin Irmingard Schewe- den Arbeitskräfte wird zurückgehen, aber kein Mensch Gerigk, Bündnis 90/Die Grünen. weiß, ob sich vor dem Hintergrund zurückgehender Be- völkerungszahlen und einer zurückgehenden Binnen- Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE konjunktur der Arbeitskräftebedarf reduzieren wird. GRÜNEN): Tatsache ist: Wir können einigermaßen präzise voraussa- gen, was im Jahr 2012 sein wird. Dann, liebe Kollegin Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schewe-Gerigk, beginnt die Rente mit 67. Würden Sie Wenn man gerade Herrn Ernst zugehört hat, fällt einem mir zustimmen, dass vor dem Hintergrund der Aussage auf, dass es wirklich nicht leicht ist, sich heute, mitten in des Kollegen Ernst, dass 80 Prozent der Männer und der Talsohle der Wirtschaftskrise, eine Situation vorzu- 90 Prozent der Frauen im Alter von 64 überhaupt nicht stellen, die sich erst in 20 Jahren auswirkt. Das fällt der erwerbstätig sind, die Rente mit 67 im Jahr 2012 nichts Linken ganz besonders schwer. anderes als die Kürzung der Rente für mehr als (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 80 Prozent der Menschen um 0,3 Prozent bedeutet, und sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und das lebenslang, und dass in den folgenden Jahren zu- der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Man nächst jeweils weitere 0,3 Prozent hinzukommen? In die- kann sich auch nicht vorstellen, dass Rot-Rot- sem Zusammenhang muss ich den Kollegen Braucksiepe Grün regiert!) korrigieren. Er betreibt selber Legendenbildung. Wer von uns kann sich den Arbeitsmarkt im Jahre 2029 (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- vorstellen? Glauben Sie, dass die Krise bis 2029 anhält? NEN]: Was ist das für eine Frage! – Peter Denn erst dann wird die Rente mit 67 greifen, die Sie ge- Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Diskutie- rade abschaffen wollen. ren Sie jetzt mit Frau Schewe-Gerigk?) 26172 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Volker Schneider (Saarbrücken) (A) Die Prüfklausel sagt, dass auf diesem Hintergrund ge- Hunderte von Leuten teilnehmen. Auch ich weiß, dass (C) prüft werden muss – – die Verlängerung der Lebensarbeitszeit keine populäre Entscheidung ist. (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Sie können nicht lesen!) (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Sie hätten mal in Leipzig mit mir auf dem Podium sitzen Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE sollen!) GRÜNEN): Aber gerade deshalb muss man mit den Menschen da- Fragen Sie jetzt mich oder Herrn Brauksiepe? rüber reden.

Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Würden nicht auch Sie unter Anwendung der Prüf- klausel zu dem Ergebnis kommen, dass vor dem Hinter- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: grund der größten Wirtschaftskrise seit 80 Jahren das Frau Kollegin, gestatten Sie noch eine Zwischen- Projekt „Rente mit 67“ zumindest verschoben werden frage, diesmal vom Kollegen Ernst? müsste?

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): GRÜNEN): Das ist jetzt eine neue Frage, die Sie angehängt ha- Nein, ich möchte jetzt zu Ende reden. – Den Deut- ben. Ich fange mit der ersten an. Wie im Jahr 2029 der schen ist über Jahrzehnte gesagt worden, dass sie Ar- Arbeitsmarkt aussieht und wie groß das Arbeitskräfte- beitsplätze für Junge frei machen, wenn sie möglichst potenzial ist, wissen wir. Die Kinder sind entweder ge- früh aus dem Betrieb ausscheiden. Das war ein Trug- boren oder auch nicht geboren. schluss. Das haben wir doch gesehen. Jeder, der ehrlich mit dem Thema umgeht, muss doch zugeben, dass sich (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist meistens Arbeitgeber und Betriebsräte oft schnell darauf einigen, so!) bevorzugt Ältere zu entlassen, weil sie in Altersteilzeit Deshalb wissen wir, dass 8 Millionen Menschen weniger gehen können oder einen längeren Anspruch auf erwerbstätig sein können. Wir hatten die Enquete-Kom- Arbeitslosengeld I als Jüngere haben. Herr Ernst, ich mission „Demografischer Wandel“, die sehr deutlich ge- habe es Ihnen gerade schon gesagt, und als IG-Metall- macht hat – dieser Meinung waren alle Fraktionen außer Funktionär wissen Sie, wie so etwas funktioniert. Ihnen (B) der damaligen PDS –, dass das Renteneintrittsalter er- nehme ich Ihre Krokodilstränen am wenigsten ab, wenn (D) höht werden müsste. Wir haben gesagt, dass für uns die Sie einen Anstieg der Arbeitslosigkeit bei den Älteren in Rente mit 67 Voraussetzungen und Bedingungen hat: diesem Jahr beklagen. Der ist da, aber er ist durch künst- Die Arbeitsplätze müssen vorhanden sein, und die Men- liche politische Maßnahmen entstanden. Wer dafür An- schen müssen gesund sein, damit sie die Arbeit ausfüh- reize schafft, braucht sich nicht darüber zu wundern, ren können. Aber die Maßnahmen, die Sie vorschlagen, wenn davon Gebrauch gemacht wird. insbesondere der Kollege Ernst von der IG Metall, zielen Wer die Rente mit 67 so bekämpft wie die Linke, doch darauf ab, die Älteren aus dem Arbeitsmarkt he- muss sich auch die Frage gefallen lassen, wie viel rauszuholen. Engagement er eigentlich daransetzt, um eine längere (Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!) Erwerbstätigkeit zu ermöglichen und die Voraussetzun- gen dafür zu schaffen. Die Altersteilzeit und die Verkürzung der Arbeitszeit, die Sie vorschlagen, tragen doch dazu bei, dass die Men- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schen nicht länger arbeiten, sondern vorzeitig aus dem sowie bei Abgeordneten der SPD) Arbeitsprozess ausscheiden. Sie beklagen das, wozu Sie die Grundlagen gelegt haben. Die Unterbeschäftigung von Älteren darf und wird nicht bleiben. Die Betriebe müssen sich auf eine ältere Beleg- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schaft einstellen, auch weil nicht genügend Junge nach- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und kommen. Es wird also jeder und jede gebraucht. Den des Abg. Dirk Niebel [FDP]) Fachkräftemangel spüren wir schon heute. Die Alterung Wir Grünen schleichen uns nicht aus der Verantwor- der Gesellschaft ist eine große Herausforderung. Ich tung. Ich muss Ihnen sagen: Ich habe da so meine Erfah- würde mich freuen, wenn auch die Linke das endlich rungen in den letzten Monaten gemacht. Obwohl von der einmal zur Kenntnis nimmt. Großen Koalition eingeführt, bin ich bei vielen Wahl- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kampfgroßveranstaltungen häufig die Einzige, die die sowie bei Abgeordneten der SPD) Rente mit 67 verteidigt. Die SPD schickt ihre Lauterbachs und Schreiners, die CDU kommt überhaupt nicht, Wir Grüne stehen zu einer schrittweisen Erhöhung des Rentenalters. Aber wir sagen auch: Die Anhebung (Max Straubinger [CDU/CSU]: Was?) des Rentenalters darf nicht zu Rentenkürzungen führen. zum Beispiel zum Seniorentag in Leipzig oder zu der Damit es dazu nicht kommt, müssen einige Vorausset- Veranstaltung der IG BAU in Nordrhein-Westfalen, wo zungen erfüllt werden. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26173

Irmingard Schewe-Gerigk (A) Erstens. Es müssen genügend Arbeitsplätze für Ältere (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ach, Sie waren (C) zur Verfügung stehen. Deshalb fordern wir regelmäßige das!) Berichte, welche Fortschritte die Erwerbsintegration Äl- terer macht. Daran sollte sich das Tempo der Anhebung Die habe ich mit zu den Grünen genommen; das wissen orientieren. Hier hat sich in den letzten zehn Jahren er- Sie. freulicherweise viel getan. Die Beschäftigungsquote Äl- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN terer ist in den letzten zehn Jahren von 38 Prozent auf sowie bei Abgeordneten der SPD – Burkhardt fast 54 Prozent gestiegen. Herr Ernst, auch das ist ein Er- Müller-Sönksen [FDP]: Dann kommen Sie gebnis der Debatte über die Rentenzeitverlängerung. jetzt zurück! Herzlich willkommen!) Zweitens. Die Beschäftigten müssen gesundheitlich Ich habe gespürt: Die Rechte von Frauen und Män- in der Lage sein, tatsächlich noch arbeiten zu können. nern sind in dieser Gesellschaft nicht gleich verteilt. In Anderenfalls haben wir die Erwerbsminderungsrente. den letzten 15 Jahren, in denen ich hier im Bundestag tä- Ich nenne ein paar Stichpunkte: Gesundheitsförderung, tig sein konnte, habe ich wirklich das große Glück ge- Anpassung des Arbeitsplatzes an den Menschen und habt – das ist eine Herausforderung und ein toller Job, nicht Anpassung des Menschen an den Arbeitsplatz, Hu- den wir hier machen können –, an dieser Situation etwas manisierung der Arbeitswelt, Qualifizierung und Weiter- zu ändern. bildung. Diese Stichpunkte spielen eine große Rolle, da- mit wir das spätere Renteneintrittsalter tatsächlich In den sieben Jahren rot-grüner Politik haben wir die umsetzen können. Gesellschaft verändert. Wir haben viele Gesetze ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) macht. Ich danke insbesondere den Kolleginnen von der SPD sehr. Aber wir haben auch in der Oppositionszeit Langfristig werden wir den Anteil Älterer am Arbeits- viel erreicht. Da sehe ich die Solidarität der Frauen aus markt nur dann erhöhen können, wenn damit die Erhal- allen Fraktionen. tung der Gesundheit, lebenslanges Lernen und die Teil- habe am Erwerbsleben einhergehen. Wir, die Frauen aller Fraktionen, haben nämlich dafür gesorgt, dass entgegen der Mehrheit der damals Für uns Grüne gilt aber auch: Wer ein Leben lang in schwarz-gelben Koalition, die etwas ganz anderes die Rentenversicherung eingezahlt hat, darf im Alter wollte, die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe ge- nicht auf die Grundsicherung angewiesen sein. Darum stellt wurde. muss die gesetzliche Rente armutssicher gemacht wer- den. Wir Grünen wollen kurzfristig eine Garantierente (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für Bürgerinnen und Bürger einführen, die wegen niedri- sowie bei Abgeordneten der SPD) (B) (D) ger Verdienste oder Unterbrechung der Erwerbsarbeit Das ist mit den Namen Rita Süssmuth, Irmgard nur mit einer geringen Rente rechnen können. Langfris- Karwatzki, , die hier als Ministerin leider tig brauchen wir eine Alterssicherung, in die alle Bürge- nicht anwesend ist, und Sabine Leutheusser- rinnen und Bürger einzahlen. Wir hoffen, dass es nach Schnarrenberger verbunden. Sie hatten es in ihrer Frak- der nächsten Wahl hier im Bundestag endlich eine Mehr- tion ungleich schwerer als ich bei den Grünen. Recht heit für ein solches Modell gibt. herzlichen Dank dafür. Ich danke Ihnen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN DIE GRÜNEN und der SPD) sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]) Bevor ich mich bei allen Kolleginnen und Kollegen des Hauses und auch der Bundestagsverwaltung be- danke, möchte ich noch ein Wort – Herr Präsident, ich Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: bin gleich am Ende – an meine Fraktionskollegen von Liebe Kollegin Schewe-Gerigk, dies war Ihre letzte den Grünen richten. Ich finde, liebe Grüne, wir können Rede. Ich bedanke mich im Namen des Hauses herzlich schon ein bisschen stolz darauf sein, dass wir in für Ihre langjährige Arbeit in diesem Parlament. Wir alle Deutschland den Boden dafür geschaffen haben, dass es miteinander wünschen Ihnen – wir reden ja heute über möglich ist, eine Kanzlerin zu wählen. Sie hat zwar das Alterssicherung –, dass Sie noch mindestens 30 gute falsche Parteibuch, aber das bekommen wir auch noch Jahre vor sich haben. hin.

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE Recht herzlichen Dank. GRÜNEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Herr Präsident, ich darf die Glückwünsche erwidern. bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Ab- Ich bin vor 35 Jahren in die Politik gegangen, weil ich geordneten der LINKEN) spürte: In dieser Gesellschaft stimmt etwas nicht.

(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: In der FDP Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: damals!) Frau Kollegin, Sie müssen noch einen Moment lang – Damals war ich bei den Liberalen. Da waren sie sozial- zuhören, denn das Wort zu einer Kurzintervention hat liberal. Die Bürgerrechte waren bei ihnen beheimatet. der Kollege Ernst. 26174 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse (A) (Volker Kauder [CDU/CSU]: Spaßverder- große und herausragend gute Gewerkschaft. Zwar nicht (C) ber! – Markus Löning [FDP]: Das kann nicht alle Mitglieder sind große und herausragende Gewerk- sein Ernst sein!) schaftler, aber die IG-Metall ist es sehr wohl. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Klaus Ernst (DIE LINKE): der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Kolleginnen und Kollegen, das müsst ihr schon ertra- Das ist wie bei euch! Das ist wie bei dir, gen. Ich bin mehrmals namentlich angesprochen wor- Anton!) den. Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen da so ginge. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Erstens. Ich habe festgestellt, dass wir genau wissen, der Tat ist der eine oder andere Kollege aus unserer was im Jahr 2030 los ist. Angesichts der exakten Pro- Fraktion gefragt worden: Wie ist es mit der Einführung gnosen wundere ich mich über diese Wirtschaftskrise, der Rente mit 67 Jahren und der Wirtschaftskrise? Dann die ein halbes Jahr vorher noch niemand voraussagen haben die Kolleginnen und Kollegen korrekterweise auf konnte. Auch die Konsequenzen konnte man nicht se- das Gesetz verwiesen, nämlich auf die Vorbehaltsklau- hen. sel. Entsprechend sind sie auch zitiert worden. Aber das Zweitens. Sie haben mehrmals die Demografie ange- Ziel, die Rente mit 67 Jahren bis 2029, hat niemand in- sprochen, Frau Schewe-Gerigk. Eigentlich ist es ganz frage gestellt und stellt die SPD-Bundestagsfraktion einfach: Wir wissen, dass – das ist einigermaßen ge- auch nicht infrage. sichert – im Jahre 2030 die Zahl der Bevölkerung in der (Beifall bei der SPD) Bundesrepublik geringer sein wird als jetzt. Wir wissen auch einigermaßen gesichert, dass die Krise vorbeigehen Den Weg dahin gestalten wir, und zwar gemeinsam. Das wird und im Jahre 2030 das Bruttoinlandsprodukt größer haben wir im Gesetz festgelegt. Das ist der entschei- sein wird als jetzt. Wir haben also einen größeren Ku- dende Unterschied. Warum machen wir das nicht? – Es chen, aber eine kleinere Zahl von Menschen, die sich geht nicht so sehr, Herr Ernst, um die Finanzierbarkeit diesen Kuchen teilen kann. Würden Sie mir zustimmen, des Rentenversicherungssystems. Sie beantworten diese dass unter dieser Voraussetzung das einzelne Kuchen- Umverteilungsfragen ja immer relativ einfach: Nehmt stück nicht zwangsläufig kleiner ist, sondern durchaus den Reichen Geld weg, dann können wir allen anderen größer sein kann, und dass die Rentner deshalb nach wie etwas mehr geben. So einfach ist es im Rentensystem vor eine vernünftige Rente bekommen können, auch natürlich nicht. Der entscheidende Punkt ist die demo- wenn sie nur bis 65 Jahren arbeiten? grafische Entwicklung, die Altersentwicklung in der Gesellschaft. In Baden-Württemberg und anderen (Beifall bei der LINKEN) (B) Landesteilen sucht man händeringend qualifizierte Fach- (D) arbeiterinnen und Facharbeiter, die Menschen, die unse- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: ren Wohlstand erarbeiten, weil sie nicht mehr in ausrei- Frau Kollegin, Sie können jetzt ein bisschen weiterre- chender Anzahl zur Verfügung stehen. Dem müssen wir den. Bitte schön. Rechnung tragen. Sie sagen nicht ein einziges Wort dazu, wie man in Zukunft mit diesen Tatsachen umgehen Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE soll. GRÜNEN): (Beifall bei der SPD) Ich rede eigentlich immer nur dann, wenn es sich wirklich lohnt. Dann bringen Sie Beispiele, die ich immer wieder sehr bezeichnend finde. Ein Beispiel ist die jetzt 64-jährige (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Frau, die aufgrund der Rente mit 67 Abschläge hinneh- bei der CDU/CSU und der SPD) men muss. Wenn die Frau jetzt 64 Jahre alt ist, kann sie Ich glaube, der Kollege Ernst wollte gerne noch einmal im nächsten Jahr ohne Abschläge in Rente gehen. Das ist das sagen, was er vorher schon gesagt hat. Es ist auch dummes Zeug, was Sie erzählen. Sie wollen die Men- nicht besser geworden. Insofern verzichte ich darauf. schen nur verunsichern. Das ist das, was Sie machen. (Lebhafter Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der FDP) Der Kollege Amann hat völlig recht: Sie nutzen die jetzige Wirtschaftskrise dazu, den Menschen Angst da- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: vor zu machen, dass sie im Jahre 2029 erst mit 67 Jahren Das Wort hat nun Kollege Anton Schaaf für die SPD- in Rente gehen dürfen. Wir haben als SPD klar gesagt, Fraktion. was wir uns für den Zeitraum dazwischen vorstellen. Wir haben gesagt, dass wir zum Beispiel die geförderte (Beifall bei der SPD) Altersteilzeit beibehalten wollen, damit man, wenn man nicht mehr so gut kann, vorzeitig gehen kann. Wir haben Anton Schaaf (SPD): Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente vorge- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe sehen. Nicht alles war mit der Union als Koalitionspart- Irmingard Schewe-Gerigk, an einer Stelle möchte ich ner zu machen, aber es ist auch nicht so, dass wir unsere deine Rede ein wenig korrigieren. Die IG-Metall ist eine Ziele aufgegeben hätten. Da muss man einmal genau Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26175

Anton Schaaf (A) hinschauen. Wir wollen die Lebenssituation und die Ar- Herr Kolb, Sie haben gestern bei der Beratung eines (C) beitssituation der Menschen verbessern. Antrages zum Thema Altersvorsorge dargestellt, was Sie rentenpolitisch wirklich wollen. Was Sie hier sagen, finde ich heuchlerisch. Sie sagen: Die Menschen können nicht bis 67 arbeiten. Bei einigen (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ich habe gestern stimmt das. Das sind aber dieselben, die auch nicht bis gar nicht geredet!) 65 arbeiten können. Was machen wir denn jetzt mit de- nen? Lassen wir die etwa ins Bodenlose fallen? Nein, – Nein, es war Ihr Kollege Lotter – das stimmt schon –, das tun wir nicht, und das werden wir auch mit den Men- aber er hat die Position der FDP dargestellt. – Sie wollen schen nicht tun, die bis 67 arbeiten müssen, es aber nicht die Altersvorsorge individualisieren und privatisieren. können. Auch die werden wir nicht ins Bodenlose fallen Ihr Vorschlag, dass die Menschen in Rente gehen kön- lassen, und darauf kommt es an. nen, wann sie wollen, ist ein Frühverrentungssystem für Gutverdiener, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sie sagen: Dann sind die Menschen aus Arbeit kaputt die sich damit aber definitiv aus der Solidargemeinschaft und können gar nicht bis 67 arbeiten. Wenn das so ist, ist verabschieden, was ihre Beiträge angeht – sie zahlen ja es die erste Pflicht für einen Gewerkschafter, dafür zu nicht mehr in die Rentenversicherung ein – und was vor sorgen, dass die Menschen aus Arbeit möglichst nicht allen Dingen den solidarischen Ausgleich für die Er- kaputt werden, und dieser Pflicht kommen Sie in keiner werbsminderungsrente angeht. Das ist das, was Sie wol- Weise nach. len. Sie wollen für Ihre ureigene Klientel privatisieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD) der CDU/CSU) Herr Ahrendt, es war schon sehr richtig, was der Kol- Das war eben schön: Sie beschimpfen uns und sagen, lege Amann gesagt hat: Rentenpolitik ist bei der SPD wir wären gewerkschaftsfeindlich oder nicht arbeitneh- nach wie vor gut aufgehoben. Sie fängt da an, wo man merfreundlich. Jetzt sage ich Ihnen einmal etwas: Es gibt vor allen Dingen dafür Sorge trägt, dass die Menschen auch in Ihrer Fraktion den einen oder anderen wirklich über ihre Arbeit überhaupt Ansprüche an die Rentenver- guten Kollegen oder die eine oder andere wirklich gute sicherung aufbauen. Kollegin; das kann man überhaupt nicht bestreiten. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Die Rente ist si- (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Doch!) cher!) (B) Aber Ihre Landesverbände im Westen radikalisieren sich Dazu haben wir in den letzten Wochen und Monaten, (D) und schmeißen die Gewerkschafter von den Listen; ich aber auch schon in den letzten Jahren eine Menge beige- bedauere das übrigens. tragen. Die Arbeitslosenzahl – das muss man einmal feststellen – ist deutlich nach unten gegangen – bis zu (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dieser Wirtschaftskrise. Wir dürfen feststellen, dass die der CDU/CSU) Beschäftigungsquote Älterer tatsächlich deutlich gestie- Das ist der Punkt: Die Gewerkschafter werden gar nicht gen ist. Wir dürfen feststellen: Was wir zum Konjunktur- mehr im Bundestag sein – außer dem Linksradikalen programm beschlossen haben, schützt tatsächlich Ar- Klaus Ernst; sonst sind sie alle weg. beitsplätze. 10 Milliarden Euro für die Kommunen wirken unmittelbar vor Ort. (Beifall bei der SPD) Das war schon immer klare Position der SPD: Der Wenn man hier schon eine rentenpolitische Debatte beste Schutz vor Altersarmut ist, Arbeit zu haben. Wir führt, hätte ich mir gewünscht, dass jemand aus Ihrer kämpfen um jeden einzelnen Arbeitsplatz in diesem Fraktion dazu spricht, der wirklich Ahnung hat. Aber der Land. Das ist unsere Politik. Kollege wird dem nächsten Bundestag aller Wahrschein- lichkeit nach leider nicht mehr angehören. Das muss Ich danke für die Aufmerksamkeit. man einmal klipp und klar festhalten: So gehen Sie mit (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Sachkompetenz, mit Fachverstand und mit Gewerk- der CDU/CSU) schaftern in Ihren Reihen um. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Dr. Heinrich Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich dem L. Kolb [FDP]) Kollegen Max Straubinger, CDU/CSU-Fraktion, das – Herr Kolb, ich wollte ohnehin das, was Sie vorhin ge- Wort. sagt haben, aufnehmen, weil es recht typisch war. Max Straubinger (CDU/CSU): (Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Und ehr- Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! lich!) Dass heute der Kollege Ernst in einer Sachdebatte ge- Ich lasse im Übrigen keine weiteren Zwischenfragen sprochen hat, an der der Kollege Ernst gar nicht teilneh- zu. Wir haben seitens der Linken genug Wahlkampfkla- men kann, spricht Bände. Das hat sich in seinem Beitrag mauk gehabt. auch gezeigt. Letztendlich geht es nur um Wahlkampf 26176 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Max Straubinger (A) und darum, die notwendigen Reformen madigzumachen, Rentenkürzung. Vielmehr wird die Rentenbezugsdauer (C) die wir in der Großen Koalition im Interesse eines guten weiter steigen, nämlich von 17,2 Jahren auf knapp sozialen Sicherungssystems durchgeführt haben, damit 19 Jahre. die Menschen sich auf die gesetzliche Rente verlassen Das bedeutet letztlich, wir haben keine Rentenkür- können. Sie können sich darauf verlassen, Herr Kollege zung, sondern wir haben einen Ausgleich zwischen den Ernst; das möchte ich hier voranstellen. Ansprüchen der jüngeren Generation der Beitragszahle- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) rinnen und Beitragszahler und der gestiegenen Lebenser- wartung für die Rentnerinnen und Rentner geschaffen. Die linke Fraktion ist heute mit zwei Anträgen vertre- Das ist ein notwendiger gesellschaftlicher Ausgleich, der ten. Mit dem einen will sie die gesetzliche Rentenversi- die Grundlage dafür schafft, dass unsere Gesellschaft im cherung in eine sogenannte Erwerbstätigenversicherung Rahmen des Generationenvertrags weiterhin zusammen- umbauen, hält. Darauf sollten wir uns konzentrieren. (Beifall der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: mit dem anderen lehnt sie zum wiederholten Male die Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Rente mit 67 ab. Das zeigt sehr deutlich, dass die Linke Kollegin Enkelmann? sich gegenüber den zukünftigen demografischen Heraus- forderungen blind stellt, und natürlich hat sie auch keine Max Straubinger (CDU/CSU): Lösungsansätze. Insgesamt ist Ihr Antrag von sozialisti- Nein, Herr Präsident, schen Träumen geprägt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Lachen bei der LINKEN) neten der SPD) Die Rentenversicherung umzubauen und die Bei- weil ich den Eindruck habe, dass es hier nur noch um tragsbemessungsgrenze wegzuwischen, das Gehalt in Wahlkampf geht. Außerdem gibt es verschiedene Kolle- voller Höhe mit dem Beitrag zu belasten, aber dem keine gen, die möglicherweise zum Beispiel einen Zug errei- entsprechende Leistung gegenüberzustellen, bedeutet chen müssen. letztendlich, sich vom sogenannten Äquivalenzprinzip zu verabschieden. Im Hinblick auf die längere Lebensarbeitszeit müssen in den Betrieben auch entsprechende Möglichkeiten ge- (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Der Sozialis- schaffen werden. Ich gebe dem Kollegen Schaaf aus- mus der Schweiz kann das!) drücklich recht: Die Gewerkschaften, die Arbeitgeber (B) und viele andere sind aufgefordert, in der Gesellschaft (D) Wir stehen für die Beitragsbezogenheit der Rente. Der dafür zu sorgen, dass bessere Arbeitsbedingungen für Beitragszahler, der viel eingezahlt hat, soll eine höhere die ältere Generation in den Betrieben organisiert wer- Rente bekommen als derjenige, der eine niedrigere Bei- den. tragszahlung geleistet hat. Wir sind dabei auf einem guten Weg. Die Teilnahme (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- älterer Menschen am Erwerbsleben ist gestiegen, und neten der FDP) zwar insbesondere seit die Regierung Angela Merkel an- Das zeigt sehr deutlich, dass sozialistische Gleichmache- getreten ist. Das lässt sich auch statistisch belegen. rei die Hand geführt hat. Das wird uns sicherlich nicht Ich darf ganz kurz die Statistik der Bundesagentur für weiterführen. Arbeit, die mir vorliegt, darstellen: Im Jahr 2005 waren Im Hinblick auf die Erwerbstätigenversicherung im Dezember in der Gruppe der 50- bis 54-Jährigen wurde heute bereits ausgeführt, dass, wenn man alle ge- 2 922 800 sozialversicherungspflichtig beschäftigt; im sellschaftlichen Gruppen – Beamte, Selbstständige, Poli- Dezember 2008 war die Zahl der Beschäftigten in der tiker – in die gesetzliche Rentenversicherung zwingen gleichen Altersgruppe auf 3 270 000 gestiegen, also eine würde, auch entsprechende Ansprüche zu bedienen wä- klare Steigerung der Zahl der Erwerbstätigen aus der ren. Das ist letztlich ein Nullsummenspiel, das nieman- älteren Generation. Dies wird sich fortsetzen. Noch et- dem nützt und keine verlässliche Grundversorgung be- was ist sehr bemerkenswert: In der Kategorie der 60- bis deuten würde. Damit würde die gesetzliche 64-Jährigen waren im Dezember 2005 noch 751 000 Rentenversicherung zur Sozialfürsorge umgestaltet wer- Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt; im den. Das kann nicht im Sinne unseres Rentensystems Jahr 2008, ebenfalls im Dezember, waren es 936 000. sein. Das zeigt sehr deutlich: Wir haben es geschafft, dass (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- die ältere Generation weiterhin am Erwerbsleben teil- neten der SPD) nehmen kann. Das sollten wir als Chance begreifen, statt dazu beizutragen, dass die ältere Generation aus dem Er- Es wurde heute bereits sehr ausführlich dargelegt, wie werbsleben herausgedrängt wird, wie es letztendlich die unsere Entscheidung unter Bundesminister Müntefering Folge Ihrer Anträge wäre, werte Damen und Herren von und der Bundesregierung für die Rente mit 67 zustande der Linken. gekommen ist. 2030 wird es eine um drei Jahre längere Lebenserwartung geben; die Kollegin Schewe-Gerigk (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- hat das dargestellt. Die Rente mit 67 bedeutet also keine neten der SPD) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26177

Max Straubinger (A) Einer solchen Politik werden wir nicht die Hand reichen. Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 67 auf: (C) Wir werden deshalb Ihre Anträge ablehnen. Beratung des Bericht des Petitionsausschusses Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (2. Ausschuss) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Bitten und Beschwerden an den Deutschen neten der SPD) Bundestag Die Tätigkeit des Petitionsausschusses des Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Deutschen Bundestages im Jahr 2008 Ich schließe die Aussprache. – Drucksache 16/13200 – Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die schusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Fraktion Die Linke mit dem Titel „Altersrente – Erhö- Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. hung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre zurückneh- men“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp- Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin fehlung auf Drucksache 16/12737, den Antrag der Kersten Naumann für die Fraktion Die Linke das Wort. Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/12295 abzuleh- (Beifall bei der LINKEN) nen. Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung auf Kersten Naumann (DIE LINKE): Verlangen der Fraktion Die Linke namentlich ab. Es lie- Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- gen zwei Erklärungen zur Abstimmung vor.1) gen! Verehrte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Aus- schussdienstes! Meine Damen und Herren! Als Erstes Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die möchte ich korrigieren, dass ich als Ausschussvorsit- vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Ist das erfolgt? – zende und nicht als Vertreterin der Linken spreche. Ich Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung. möchte direkt anschließend meine Verärgerung über das Haben alle anwesenden Kolleginnen und Kollegen mangelnde Interesse für diesen Tagesordnungspunkt ihre Stimme abgegeben? – Das ist offensichtlich der zum Ausdruck bringen. Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh- NEN]: Ich bin doch da!) lung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.2) – Schön, dass Sie da sind, Herr Wieland. Ich freue mich, (B) dass Sie da sind. (D) Wir setzen die Abstimmungen fort. Bei aller Wichtigkeit des Bundeswahlgesetzes bin ich Tagesordnungspunkt 68 b: Abstimmung über die Be- davon überzeugt, dass die Arbeit des Petitionsausschus- schlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und So- ses Respekt und mehr Beachtung verdient hat und nicht ziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem weniger bedeutend ist. – Dies nur einleitend. Titel „Die gesetzliche Rentenversicherung zur solidari- schen Erwerbstätigenversicherung ausbauen“. Der Aus- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf neten der CDU/CSU und des Abg. Wolfgang Drucksache 16/11445, den Antrag der Fraktion Die Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Linke auf Drucksache 16/6440 abzulehnen. Wer stimmt Die Vorstellung des Jahresberichts möchte ich mit für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dage- zwei Fragen beginnen: Was versteht man bei der Arbeit gen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist des Petitionsausschusses unter einem guten Jahr? War mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der 2008 ein gutes Jahr? – Im eigentlichen Sinne war es das Fraktion Die Linke angenommen. nicht. Denn die Anzahl der Zuschriften, die uns erreich- Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- ten, ist im Vergleich zum Vorjahr wieder angestiegen. empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu Dies ist ein Indiz dafür, dass es immer noch zu viele Pro- dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Soli- bleme gibt, für die der Petitionsausschuss oft der letzte darausgleich in der Rente für Versicherte mit unterbro- Rettungsanker ist. Somit gehört der Petitionsausschuss chenen Erwerbsbiografien und geringen Einkommen zu den wenigen, die sich nicht über steigende, sondern stärken“. über eher sinkende Zahlen freuen würden. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- Damit bin ich auch schon bei den Zahlen aus dem lung auf Drucksache 16/10335, den Antrag der Fraktion Jahr 2008. Insgesamt gingen 2008 18 096 Eingaben Die Linke auf Drucksache 16/7038 abzulehnen. Wer beim Petitionsausschuss ein; das waren etwa 72 Zu- stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt schriften pro Arbeitstag. dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung Trotz der hohen Anzahl von Petitionen gibt es einen ist mit derselben Mehrheit wie zuvor angenommen. Grund zur Freude: Im vergangenen Jahr wurde das Pro- visorium der öffentlichen Petition in den Regelbetrieb 1) Anlagen 4 und 5 übernommen. Ziel der öffentlichen Petition ist es, ausge- 2) Ergebnis Seite 26179 C wählte Themen, die von den Petenten vorgegeben wer- 26178 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Kersten Naumann (A) den und die von allgemeinem Interesse sind, im Internet So wurden zum Beispiel Themen aus dem Verkehrs- (C) auf der Seite des Petitionsausschusses vorzustellen und wesen, aus der Gesundheitspolitik, der Umweltpolitik, zur Diskussion anzubieten. Diese öffentlichen Petitionen dem Wirtschafts- und Steuerrecht sowie über die Situa- erfuhren bereits in der Probephase einen stetig wachsen- tion der Heimkinder in der Bundesrepublik zwischen den Zuspruch seitens der Internetnutzer. 1949 und 1975 behandelt. Bei diesem letzten Thema war das Interesse der Öffentlichkeit besonders groß, sodass So wurden in dem dreijährigen Modellversuch von als Ergebnis ein runder Tisch ins Leben gerufen wurde, 2006 bis 2008 667 Petitionen im Netz mitgezeichnet der unter Leitung der früheren Vizepräsidentin des Deut- und diskutiert. Nach einer zwischenzeitlichen intensiven schen Bundestages, Frau Dr. , diese Zeit Vorarbeit sowohl des Ausschussdienstes als auch der aufarbeiten wird. Kolleginnen und Kollegen aus dem Haus, die für das In- ternet und den IT-Bereich zuständig sind, konnte im Ok- Die eigentliche Erfolgszahl für den Ausschuss ist je- tober 2008 der Startschuss für den regulären Betrieb der doch die Zahl der Petitionen, bei denen den Bürgerinnen Onlinepetition gegeben werden. und Bürgern wirklich geholfen werden konnte. Circa 38 Prozent aller Eingaben konnten mit einem positiven Aufgrund der publikumswirksamen Vorbereitungen Ergebnis für die Petenten abgeschlossen werden. und positiver medialer Begleitung stieg die Zahl der Dis- kussionsbeiträge von etwa 900 pro Monat auf 2 500 am (Beifall bei der LINKEN) Ende des Jahres 2008. Welche Bereiche waren es im Jahr 2008, zu denen die meisten Zuschriften eingingen? Hier steht nach wie vor Im November 2008 wurde die Arbeit des Petitions- beharrlich das Bundesministerium für Arbeit und Sozia- ausschusses mit dem „Politik-Award“ gewürdigt. Das les mit insgesamt 4 096 Eingaben auf Platz eins. Das war eine große Auszeichnung für uns, auf die wir auch sind 22,6 Prozent aller Eingaben. Ganz vorn standen die stolz sind. Petitionen zur Sozialversicherung sowie zur Höhe der (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Leistungen. Auch die Frage der Angleichung der Renten NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- in den neuen und alten Bundesländern spiegelte sich in ten der CDU/CSU) vielen Zuschriften wider. Das Thema Rente ist seit Jah- ren ein Dauerbrenner. Allein 1 940 Petitionen bezogen Doch nicht nur die Anzahl der öffentlichen Petitio- sich darauf. Das war sogar eine Steigerung im Vergleich nen, sondern auch die Anzahl der Zugriffe auf die Inter- zum Vorjahr. netseiten des Petitionsausschusses mit derzeit fast Den größten Zuwachs mit 2 462 Eingaben verzeich- 800 000 pro Jahr ist ein beeindruckender Beweis des nete jedoch das Finanzministerium, welches damit auf (B) (D) steigenden Interesses der Bürgerinnen und Bürger. die zweite Stelle vorgerückt ist. Ein Schwerpunktthema Hier ein Beispiel von vielen: So verzeichnete eine war die Einkommensteuer mit sehr vielen Eingaben zur Petition, bei der die Reduzierung der Besteuerung von Entfernungspauschale. Kritik gab es an der Erhöhung Diesel und Benzin gefordert wurde, über 128 000 Mit- der Mehrwertsteuer, und es wurde die Reduzierung der zeichnungen bei insgesamt 1 130 Diskussionsbeiträgen. Mineralölsteuer gefordert. Das Justizministerium nahm mit 12 Prozent der Ein- Kommen wir zu einem anderen Thema, den Sammel- gaben die dritte Stelle ein, wobei es – wie in den vergan- und Massenpetitionen. Bei den Sammel- und Massen- genen Jahren – in einem hohen Maße um Beschwerden petitionen gab es auch im Berichtszeitraum wieder The- über Gerichte und Staatsanwaltschaften ging. Hier sind men, die einige Tausend Unterstützer fanden. So gingen dem Petitionsausschuss jedoch aus verfassungsrechtli- bei den Massenpetitionen bezüglich der Forderung nach chen Gründen die Hände gebunden, da Art. 97 des Änderung des Luftsicherheitsgesetzes allein 22 339 Zu- Grundgesetzes die richterliche Unabhängigkeit gewährt. schriften ein. Bei den Sammelpetitionen führte eine Peti- tion zur vorgesehenen Änderung des Steuerberatergeset- Sehr stark stiegen auch die Eingaben im Bereich des zes mit über 37 000 Unterschriften die Liste an. Innenministeriums von 1 278 im Vorjahr auf 1 811 in 2008. Schwerpunkte waren das öffentliche Dienstrecht Größtes übergreifendes Thema bei den Massen- und sowie die im Berichtszeitraum erfolgte Verabschiedung Sammelpetitionen war jedoch 2008 die Rentenproble- der Neuordnung und Modernisierung des Bundesdienst- matik. Allein 7 930 Massenpetitionen und zusätzlich an rechtes. Einige Petenten wandten sich auch gegen die die 30 000 Unterschriften zur Rentenerhöhung bzw. -an- Erfassung biometrischer Daten für Reisepässe und Per- passung Ost/West, zur Altersarmut und zum Rentenein- sonalausweise. Weitere Themen waren das Waffenrecht trittsalter wurden eingereicht. sowie das Ausländer- und Asylrecht. Ausgewählte Themen, denen nicht nur bezüglich der Einen Zuwachs verzeichnete auch das Bundesmi- Anzahl der Mitzeichner ein großes Interesse zuteil wird, nisterium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung mit sondern die auch in den Medien einen hohen Stellenwert 1 570 Eingaben im Vergleich zu 1 070 im Vorjahr. Dabei finden, werden vom Ausschuss in öffentlichen Beratun- spannte sich der Bogen von der Forderung nach ausrei- gen behandelt. Dazu werden die Petenten nicht nur ein- chenden Parkplätzen für Lkws an Autobahnen über die geladen, sondern sie erhalten auch Rederecht, um ihre Einführung einer Pkw-Maut für Autobahnen und Bun- jeweiligen Positionen darzustellen. Außerdem können desstraßen, einer Helmpflicht für Fahrradfahrer bis hin sie sich an der Diskussion beteiligen. zu einem barrierefreien Zugang zu Bahnsteigen. Ein im- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26179

Kersten Naumann (A) mer wiederkehrendes Thema ist der Lärmschutz, was so- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (C) wohl die Straßen und die Schienen als auch den Luftver- neten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und kehr betrifft. In diesem Zusammenhang führte der des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Ausschuss im Berichtszeitraum zwei Ortsbesichtigungen Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) durch. Nicht vergessen möchte ich, einen besonderen Dank Interessant ist auch die Frage nach dem Anteil der Zu- an die Mitarbeiter und Sachbearbeiter des Petitionsaus- schriften aus den einzelnen Bundesländern. Relativiert schussdienstes zu richten. Nur durch ihren unermüdli- man auf 1 Million Einwohner, um einen realistischen chen Einsatz und eine stets kollegiale Zusammenarbeit Vergleich zu gestatten, dann liegen alle fünf neuen Bun- mit den Ausschussmitgliedern konnte die große Zahl der desländer an der Spitze, gefolgt von Hessen und Nieder- Anfragen, Bitten und Beschwerden bearbeitet werden, sachsen. Baden-Württemberg bildet hier das Schlusslicht. und dies bei gleichbleibender bzw. zeitweilig verminder- Berlin ist mit 450 Eingaben je 1 Million Einwohner am ter Arbeitskapazität. Herzlichen Dank! eingabefreudigsten. (Beifall im ganzen Hause) Bei vielen Eingaben wird immer wieder deutlich, welche Verzweiflung oft hinter den Hilferufen an den Als Vorsitzende möchte ich mich aber auch bei mei- Petitionsausschuss steht, welche persönlichen, familiä- nen Ausschusskolleginnen und -kollegen aus allen Frak- ren und finanziellen Situationen die Betroffenen dazu tionen bedanken. Die vergangenen dreieinhalb Jahre wa- veranlassen, ihr ganzes Vertrauen in diesen – unseren – ren für mich lehrreich, spannend und in jeder Hinsicht Ausschuss zu investieren. Um für den Petenten die best- reich an Erfahrungen. Ich wünsche dem neuen Petitions- mögliche Lösung zu finden – das darf ich hier mit Be- ausschuss weiterhin eine bürgernahe, konstruktive und stimmtheit von allen sagen –, knien sich die Mitglieder sachliche Zusammenarbeit im Sinne der Petentinnen und des Ausschusses bei vielen Fällen regelrecht hinein. Da- Petenten. Dem neuen Ausschuss möchte ich folgenden für meinen herzlichen Dank. Spruch von Indira Gandhi mit auf den Weg geben – ich zitiere –: Es gab aber auch immer wieder Fälle, bei denen be- reits bestehende Gesetze aufgrund von Petitionen über- Mein Großvater sagte mir einst, dass es zwei Sorten arbeitet werden mussten, da mögliche Härtefälle im Vor- von Menschen gäbe. Die, die arbeiten, und die, die feld nicht bedacht wurden. Leider kann ich auch nicht sich die Lorbeeren für diese Arbeit einheimsen. Er verschweigen, dass es uns traurig stimmt, wenn wir fest- sagte mir, ich solle versuchen, in der ersten Gruppe stellen müssen, dass uns öfters die Hände gebunden sind. zu sein; es gäbe dort viel weniger Konkurrenz. Manchmal gelingt der große Durchbruch, und manchmal Herzlichen Dank und alles Gute! (B) muss man einsehen, dass die ersehnte Hilfe nicht ver- (D) sprochen werden kann oder nur kleine Erfolge möglich (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- sind. neten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Bevor ich zum Schluss komme, möchte ich noch et- Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) was zum Selbstbewusstsein des Petitionsausschusses sa- gen. Die Art. 17 und 45 c des Grundgesetzes sind nicht irgendwelche Artikel, sondern bilden die Rechtsgrund- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: lage unserer Arbeit. Das ist der Auftrag. Um diesen er- Ich komme auf den Tagesordnungspunkt 68 a zurück füllen zu können, benötigen wir die uneingeschränkte und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftfüh- Kooperation der von uns angerufenen Stellen. Ich rern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim- möchte darauf hinweisen, dass wir sehr hartnäckig sind, mung bekannt: abgegebene Stimmen 466. Mit Ja haben wenn es um die Petentinnen und Petenten geht, die sich gestimmt 412, mit Nein haben gestimmt 52, Enthaltun- voller Vertrauen an uns wenden. gen 2. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen.

Endgültiges Ergebnis Peter Altmaier Wolfgang Börnsen Maria Eichhorn Abgegebene Stimmen: 466; Dorothee Bär (Bönstrup) Dr. Stephan Eisel davon Thomas Bareiß Wolfgang Bosbach Anke Eymer (Lübeck) Norbert Barthle Klaus Brähmig Ilse Falk ja: 412 Dr. Wolf Bauer Michael Brand Dr. Hans Georg Faust nein: 52 Günter Baumann Helmut Brandt Enak Ferlemann enthalten: 2 Ernst-Reinhard Beck Dr. Ralf Brauksiepe Ingrid Fischbach (Reutlingen) Monika Brüning Hartwig Fischer (Göttingen) Ja Veronika Bellmann Cajus Caesar Dr. Maria Flachsbarth Otto Bernhardt Gitta Connemann Klaus-Peter Flosbach CDU/CSU Clemens Binninger Leo Dautzenberg Dr. Hans-Peter Friedrich Peter Bleser Hubert Deittert (Hof) Ulrich Adam Antje Blumenthal Alexander Dobrindt Erich G. Fritz Ilse Aigner Dr. Maria Böhmer Thomas Dörflinger Jochen-Konrad Fromme Peter Albach Jochen Borchert Marie-Luise Dött Dr. Michael Fuchs 26180 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse (A) Hans-Joachim Fuchtel Dr. Michael Meister Karl-Georg Wellmann Dr. Eva Högl (C) Dr. Jürgen Gehb Laurenz Meyer (Hamm) Anette Widmann-Mauz Eike Hovermann Norbert Geis Maria Michalk Klaus-Peter Willsch Klaas Hübner Eberhard Gienger Philipp Mißfelder Elisabeth Winkelmeier- Christel Humme Peter Götz Dr. Eva Möllring Becker Lothar Ibrügger Dr. Wolfgang Götzer Marlene Mortler Werner Wittlich Brunhilde Irber Ute Granold Carsten Müller Wolfgang Zöller Johannes Jung (Karlsruhe) Reinhard Grindel (Braunschweig) Willi Zylajew Johannes Kahrs Hermann Gröhe Stefan Müller (Erlangen) Ulrich Kasparick Michael Grosse-Brömer Michaela Noll SPD Dr. h. c. Susanne Kastner Markus Grübel Dr. Georg Nüßlein Dr. Lale Akgün Ulrich Kelber Manfred Grund Franz Obermeier Gregor Amann Christian Kleiminger Monika Grütters Eduard Oswald Dr. h. c. Gerd Andres Dr. Bärbel Kofler Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Henning Otte Ingrid Arndt-Brauer Walter Kolbow Guttenberg Rita Pawelski Rainer Arnold Rolf Kramer Olav Gutting Ulrich Petzold Ernst Bahr (Neuruppin) Holger Haibach Beatrix Philipp Doris Barnett Ernst Kranz Gerda Hasselfeldt Ruprecht Polenz Dr. Hans-Peter Bartels Volker Kröning Ursula Heinen-Esser Daniela Raab Klaus Barthel Angelika Krüger-Leißner Michael Hennrich Thomas Rachel Sören Bartol Dr. Hans-Ulrich Krüger Jürgen Herrmann Dr. Peter Ramsauer Dirk Becker Helga Kühn-Mengel Bernd Heynemann Eckhardt Rehberg Klaus Uwe Benneter Christine Lambrecht Ernst Hinsken Katherina Reiche (Potsdam) Dr. Axel Berg Christian Lange (Backnang) Peter Hintze Klaus Riegert Petra Bierwirth Dr. Karl Lauterbach Christian Hirte Dr. Heinz Riesenhuber Volker Blumentritt Helga Lopez Robert Hochbaum Franz Romer Kurt Bodewig Gabriele Lösekrug-Möller Klaus Hofbauer Johannes Röring Gerd Bollmann Dirk Manzewski Franz-Josef Holzenkamp Kurt J. Rossmanith Dr. Gerhard Botz Caren Marks Joachim Hörster Dr. Norbert Röttgen Klaus Brandner Katja Mast Anette Hübinger Dr. Christian Ruck Bernhard Brinkmann Petra Merkel (Berlin) Susanne Jaffke-Witt Albert Rupprecht (Weiden) (Hildesheim) Dr. Matthias Miersch Dr. Peter Jahr Peter Rzepka Dr. Michael Bürsch Ursula Mogg Dr. Hans-Heinrich Jordan Anita Schäfer (Saalstadt) Christian Carstensen Gesine Multhaupt Dr. Franz Josef Jung Hermann-Josef Scharf Marion Caspers-Merk Franz Müntefering (B) Bartholomäus Kalb Karl Schiewerling Dr. Peter Danckert Dr. Rolf Mützenich (D) Hans-Werner Kammer Norbert Schindler Dr. Carl-Christian Dressel Andrea Nahles Alois Karl Georg Schirmbeck Elvira Drobinski-Weiß Dr. Erika Ober Bernhard Kaster Andreas Schmidt (Mülheim) Detlef Dzembritzki Thomas Oppermann Siegfried Kauder (Villingen- Ingo Schmitt (Berlin) Siegmund Ehrmann Holger Ortel Schwenningen) Dr. Ole Schröder Petra Ernstberger Heinz Paula Volker Kauder Bernhard Schulte-Drüggelte Karin Evers-Meyer Johannes Pflug Eckart von Klaeden Uwe Schummer Gabriele Fograscher Joachim Poß Jürgen Klimke Wilhelm Josef Sebastian Gabriele Frechen Christoph Pries Julia Klöckner Kurt Segner Dagmar Freitag Dr. Wilhelm Priesmeier Jens Koeppen Bernd Siebert Peter Friedrich Florian Pronold Dr. Kristina Köhler Thomas Silberhorn Martin Gerster Dr. Sascha Raabe (Wiesbaden) Johannes Singhammer Iris Gleicke Mechthild Rawert Manfred Kolbe Erika Steinbach Günter Gloser Steffen Reiche (Cottbus) Norbert Königshofen Christian Freiherr von Stetten Angelika Graf (Rosenheim) Gerold Reichenbach Dr. Rolf Koschorrek Gero Storjohann Dieter Grasedieck Dr. Carola Reimann Hartmut Koschyk Andreas Storm Kerstin Griese Walter Riester Thomas Kossendey Max Straubinger Gabriele Groneberg Sönke Rix Gunther Krichbaum Matthäus Strebl Wolfgang Grotthaus René Röspel Dr. Günter Krings Thomas Strobl (Heilbronn) Hans-Joachim Hacker Dr. Ernst Dieter Rossmann Dr. Martina Krogmann Lena Strothmann Bettina Hagedorn Ortwin Runde Dr. Hermann Kues Michael Stübgen Klaus Hagemann Marlene Rupprecht Andreas G. Lämmel Hans Peter Thul Alfred Hartenbach (Tuchenbach) Dr. Norbert Lammert Antje Tillmann Michael Hartmann Anton Schaaf Helmut Lamp Dr. Hans-Peter Uhl (Wackernheim) Axel Schäfer (Bochum) Katharina Landgraf Volkmar Uwe Vogel Dr. Reinhold Hemker Marianne Schieder Dr. Max Lehmer Andrea Astrid Voßhoff Rolf Hempelmann Otto Schily Paul Lehrieder Gerhard Wächter Gustav Herzog Silvia Schmidt (Eisleben) Ingbert Liebing Marco Wanderwitz Petra Heß Heinz Schmitt (Landau) Eduard Lintner Kai Wegner Stephan Hilsberg Carsten Schneider (Erfurt) Dr. Michael Luther Marcus Weinberg Petra Hinz (Essen) Olaf Scholz Thomas Mahlberg Peter Weiß (Emmendingen) Gerd Höfer Swen Schulz (Spandau) Stephan Mayer (Altötting) Gerald Weiß (Groß-Gerau) Iris Hoffmann (Wismar) Ewald Schurer Wolfgang Meckelburg Ingo Wellenreuther Frank Hofmann (Volkach) Frank Schwabe Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26181

(A) Dr. Angelica Schwall-Düren Gudrun Kopp Manuel Sarrazin Jan Korte (C) Dr. Martin Schwanholz Dr. h. c. Jürgen Koppelin Elisabeth Scharfenberg Katrin Kunert Rita Schwarzelühr-Sutter Heinz Lanfermann Christine Scheel Michael Leutert Wolfgang Spanier Markus Löning Irmingard Schewe-Gerigk Ulla Lötzer Dr. Margrit Spielmann Dr. Erwin Lotter Dr. Gerhard Schick Dr. Gesine Lötzsch Jörg-Otto Spiller Patrick Meinhardt Rainder Steenblock Ulrich Maurer Dieter Steinecke Jan Mücke Silke Stokar von Neuforn Dorothée Menzner Rolf Stöckel Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Wolfgang Strengmann- Kornelia Möller Dr. Peter Struck Dirk Niebel Kuhn Kersten Naumann Joachim Stünker Detlef Parr Dr. Harald Terpe Wolfgang Nešković Dr. h. c. Wolfgang Thierse Gisela Piltz Jürgen Trittin Dr. Norman Paech Jörn Thießen Frank Schäffler Wolfgang Wieland Petra Pau Franz Thönnes Dr. Konrad Schily Josef Philip Winkler Bodo Ramelow Simone Violka Dr. Max Stadler Elke Reinke Jörg Vogelsänger Dr. Daniel Volk fraktionslose Paul Schäfer (Köln) Dr. Marlies Volkmer Christoph Waitz Abgeordnete Volker Schneider Petra Weis Dr. Claudia Winterstein (Saarbrücken) Henry Nitzsche Gert Weisskirchen Dr. Volker Wissing Dr. Herbert Schui Jörg Tauss (Wiesloch) Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Dr. Ilja Seifert Hildegard Wester Dr. Petra Sitte Lydia Westrich BÜNDNIS 90/ Nein Frank Spieth Dr. Margrit Wetzel DIE GRÜNEN Dr. Kirsten Tackmann Andrea Wicklein Marieluise Beck (Bremen) SPD Dr. Axel Troost Dr. Dieter Wiefelspütz Cornelia Behm Jörn Wunderlich Engelbert Wistuba Wolfgang Gunkel Birgitt Bender Sabine Zimmermann Waltraud Wolff Detlef Müller (Chemnitz) Alexander Bonde (Wolmirstedt) Ekin Deligöz BÜNDNIS 90/ Manfred Zöllmer DIE LINKE Dr. Thea Dückert DIE GRÜNEN Brigitte Zypries Hüseyin-Kenan Aydin Dr. Uschi Eid Bettina Herlitzius Hans Josef Fell Dr. Dietmar Bartsch FDP Peter Hettlich Kai Gehring Karin Binder Heidrun Bluhm Monika Lazar Jens Ackermann Britta Haßelmann Hans-Christian Ströbele Christian Ahrendt Winfried Hermann Eva Bulling-Schröter Daniel Bahr (Münster) Priska Hinz (Herborn) Dr. Martina Bunge Roland Claus fraktionsloser (B) Uwe Barth Dr. Anton Hofreiter Abgeordneter (D) Angelika Brunkhorst Bärbel Höhn Sevim Dağdelen Ernst Burgbacher Ute Koczy Werner Dreibus Gert Winkelmeier Patrick Döring Sylvia Kotting-Uhl Dr. Dagmar Enkelmann Mechthild Dyckmans Fritz Kuhn Klaus Ernst Enthalten Jörg van Essen Undine Kurth (Quedlinburg) Dr. Gregor Gysi Horst Friedrich (Bayreuth) Markus Kurth Heike Hänsel SPD Hans-Michael Goldmann Anna Lührmann Lutz Heilmann Dr. Christel Happach-Kasan Nicole Maisch Hans-Kurt Hill Dr. Wolfgang Wodarg Heinz-Peter Haustein Jerzy Montag Cornelia Hirsch Birgit Homburger Kerstin Müller (Köln) Dr. Barbara Höll BÜNDNIS 90/ Dr. Werner Hoyer Winfried Nachtwei Ulla Jelpke DIE GRÜNEN Michael Kauch Omid Nouripour Dr. Lukrezia Jochimsen Thilo Hoppe Dr. Heinrich L. Kolb Claudia Roth (Augsburg) Dr. Hakki Keskin Hellmut Königshaus Krista Sager Monika Knoche

Wir fahren mit Tagesordnungspunkt 67 fort. Ich er- Diese Diskussion wird nicht unbedingt kontrovers ge- teile dem Kollegen Gero Storjohann, CDU/CSU-Frak- führt, aber wir weisen auf Teilaspekte hin, die uns wich- tion, das Wort. tig sind. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- In die heutige Debatte wird sicherlich auch einfließen, neten der SPD) was wir in den letzten vier Jahren geleistet haben; denn die Arbeit im Petitionsausschuss war unter einer Großen Koalition zu leisten. Ich muss zugeben: Das war durch- Gero Storjohann (CDU/CSU): aus spannend; denn es gab Voten der Mitglieder vor der Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Großen Koalition, während der Großen Koalition und in Herren! Der jährliche Bericht des Petitionsausschusses Erwartung von anderen Koalitionen. ist ein Highlight. – Es wäre schön, wenn das so wäre. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dieser Bericht ist aber eine Möglichkeit, wie wir als Ausschuss auf unsere Arbeit aufmerksam machen kön- Das waren sicherlich keine einfachen Entscheidungsfin- nen. Deswegen ist es gut, dass wir über ihn diskutieren. dungen. 26182 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Gero Storjohann (A) Unser Hauptthema war das Onlinepetitionswesen, das Wucht. Das, glaube ich, wird von allen Mitgliedern des (C) wir gemeinsam in Schottland entdeckt haben, das wir Ausschusses so gesehen, besonders bei der Union. gemeinsam entwickelt haben und von dem wir gemein- sam der Überzeugung sind, dass es etwas Gutes ist. Das Oftmals geht es um ganz individuelle Lebensge- Internet als solches eröffnet uns neue Kunden, neue schichten. Die Petentinnen und Petenten, die sich an uns Möglichkeiten, mit den Bürgern ins Gespräch zu kom- wenden, reichen uns sinnbildlich ein Vergrößerungsglas men und ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Kritik an und zeigen, wie sich die allgemeinen Gesetze und Vor- den Bundestag zu richten. Das, was als Experiment be- schriften im Einzelfall individuell auswirken. Deswegen gann, ist inzwischen ein Aushängeschild geworden. Wir gibt es den Petitionsausschuss; er ist hier Anwalt für die freuen uns natürlich, dass wir inzwischen, wenn ich von Sache. den Klicks im Internet ausgehe, der berühmteste Aus- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem schuss geworden sind. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Bitte verzeihen Sie mir, dass ich einen Fall aus dem neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Ausschussbericht herauspicke, der natürlich aus Schles- GRÜNEN) wig-Holstein kommt und den wir zu einem guten Ende Es ist möglich, Petitionen im Internet zur Diskussion führen konnten. Es geht um den berühmten Leuchtturm zu stellen, es ist möglich, sie zu unterstützen, und es ist Bülk an der Kieler Förde. Er ist ein beliebtes Ausflugs- möglich, andere Petitionen mitzuzeichnen, und das alles ziel. Die Existenz der Kioskbetreiberin war bedroht, da schnell vom Arbeitsplatz oder von zu Hause aus. Die am Leuchtturm Bülk Ausbaumaßnahmen seitens der Nutzerzahlen steigen enorm. Wir erleben, wie sich somit Wasser- und Schifffahrtsdirektion anstanden. Der Peti- eine große Zahl von Bürgerinnen und Bürgern aktiv an tionsausschuss wurde eingeschaltet. Es gelang uns inner- der Bundespolitik beteiligt – vielleicht auch aus einer ge- halb von zwei Monaten – das ist nicht üblich; es war also wissen Verärgerung heraus; aber auch das ist eine Betei- ein sehr schnelles Verfahren –, eine einvernehmliche Re- ligung – und mit großer Leidenschaft mit dem Parlament gelung herbeizuführen, die vorsieht, dass die Kioskbe- in Kontakt tritt. treiberin an einem anderen Platz, auf der anderen Seite des Leuchtturms, ihr Geschäft weiterbetreiben kann. (Jens Ackermann [FDP]: So ist es!) Darüber sind wir froh. Onlinepetitionen sind für viele Menschen ein interes- (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- santes Mittel zur unmittelbaren Teilnahme an der Politik. NEN]: Ein echtes Leuchtturmprojekt!) Wenn darüber hinaus ein politischer Prozess entsteht, bei (B) dem viele mitmachen, dann sind wir noch begeisterter. – Dies ist ein echtes Leuchtturmprojekt – den Ausspruch (D) Wir in der CDU/CSU-Fraktion sind stolz auf diese Ent- vom Kollegen Winkler nehme ich gern auf –, um das wir wicklung. Wir haben sie mitgetragen; denn das Online- uns kümmern konnten. petitionswesen bereichert unsere Arbeit. Es ist zeitge- mäß und hilft uns, auch jüngere Generationen für unsere (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Arbeit zu interessieren. neten der SPD, der FDP und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD und des Abg. Jens Ackermann Da ärgert man sich, dass man nicht selber auf dieses [FDP]) Wortspiel gekommen ist. Wir als Ausschuss stellen fest, dass wir im Ausland eine (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE Vorreiterrolle haben. Wir werden aufgefordert, unsere GRÜNEN]: Wir arbeiten doch immer gut zu- Erfahrungen mit den Onlinepetitionen woanders vorzu- sammen!) tragen. In anderen Ländern, auch in einigen Bundeslän- Sie sehen, wie wir hier zusammenarbeiten. Man muss dern, wird die Onlinepetition jetzt möglich gemacht. damit rechnen, dass Vorschläge, die gemacht werden, Trotz aller Euphorie bleiben wir als Union aber dabei, von der Opposition oder den Koalitionsfraktionen über- stets zu betonen: Eine Petition wird nicht dadurch ge- nommen werden. Deswegen muss man vorsichtig sein wichtiger, dass sie ein großes Medieninteresse hervorruft mit dem, was man sagt. und eine hohe Unterstützerzahl hat. Hier haben wir also eine gute Lösung herbeigeführt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- Verkehrstechnisch wurde alles umgesetzt. Die Kioskbe- wie des Abg. Jens Ackermann [FDP]) treiberin hat sich sehr positiv über die Arbeit des Peti- tionsausschusses geäußert. Wir wissen, dass dies oft von großem Interesse ist. Aber das Einzelschicksal, die kleine Ungerechtigkeit in einem Zum Schluss: Mein Dank gilt allen Mitarbeitern des Gesetz, interessiert uns sehr wohl, und wir versuchen Hauses, des Ausschussdienstes, an der Spitze Herrn immer, hier ein Sprachrohr zu sein. Egal, ob eine Peti- Haase. Mein Dank gilt allen Kolleginnen und Kollegen tion von einem oder 50 000 Unterzeichnern die Unter- im Ausschuss. Mein besonderer Dank gilt den Vertretern stützung erfahren hat, für uns verdient jede Eingabe die der kleinen Fraktionen, die doppelt so viel arbeiten müs- gleiche Sorgfalt; sie erfährt auch die gleiche Sorgfalt. Es sen wie die der großen Fraktionen. Das liegt allein in der zählen Inhalt und Argument und nicht die mediale Natur der Sache. Sie haben trotzdem alles geschafft. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26183

Gero Storjohann (A) Ich persönlich empfand es als Bereicherung meiner Auch andere Berufsgruppen wenden sich an uns. Die (C) parlamentarischen Arbeit, im Petitionsausschuss mitzu- Einsatzkräfte im Rettungsdienst beispielsweise sind mit wirken. Ich bin sehr gerne weiterhin Mitglied des Peti- ihrer Situation sehr unzufrieden. Sie fordern, dass in ei- tionsausschusses. ner Situation, in der sie vor Ort einem Notfallpatienten helfen, Rechtssicherheit bestehen muss. Es ist ein un- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- haltbarer Zustand, dass Rettungsassistenten ihr Wissen neten der SPD, der FDP, der LINKEN und des und Können nicht voll einsetzen dürfen. Hier fordere ich BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) die Bundesregierung auf: Erneuern Sie das Rettungsas- sistentengesetz, auch im Sinne der Notfallpatienten! Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Jens Ackermann für die FDP-Frak- (Beifall bei der FDP) tion. Die vielen Petitionen machen deutlich, wo der Schuh (Beifall bei der FDP) drückt. Die Menschen wenden sich an uns und bringen sich ein; das ist das Gute an unserem Petitionswesen. Es Jens Ackermann (FDP): ist ein Beispiel für gelebte Demokratie, dass sich die Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- Bürgerinnen und Bürger einmischen. Wir dürfen sie je- ren! Jedermann hat das Recht, sich mit Bitten und Be- doch nicht enttäuschen. Sonst werden sie sich von uns schwerden an die Volksvertretung zu wenden. Wir hatten abwenden. im Jahr 2008 mehr Bitten und Beschwerden zu bearbei- Nun möchte ich auf eine Erfolgsgeschichte eingehen, ten als in den Jahren zuvor; 18 096 waren es ganz genau. die im Bericht ebenfalls beschrieben wurde: auf die On- Die Petenten, die sich an uns gewandt haben, müssen wir linepetitionen. Dieser Weg ist einfach, dank der neuen ernst nehmen. Wenn man sich anschaut, wo die meisten Medien unkompliziert, und jeder hat die Möglichkeit, Petitionen eingegangen sind, stellt man fest: Das war im sich mit einem Klick zu beteiligen. Pro Monat gehen Ministerium unseres Staatssekretärs Franz Thönnes der circa 2 500 Beiträge ein. Das heißt, dass insgesamt Fall. Im Ministerium für Arbeit und Soziales gab es 1,1 Millionen Menschen sozusagen mittendrin statt nur 4 100 Petitionen, im Finanzministerium 2 100, und im dabei sind. Gesundheitsministerium waren 1 500 Zuschriften zu verzeichnen. Diese Zahlen machen deutlich: Die Unzu- Auch im Hinblick auf die Onlinepetitionen nenne ich friedenheit der Menschen wächst. einige Zahlen: 130 000 Petenten haben gesagt, dass die Steuern auf Diesel und Benzin viel zu hoch sind. In Ich möchte einige Beispiele aus dem Bericht des Peti- Grenzgebieten kommt es zu einem regelrechten Tank- tionsausschusses herausgreifen, die verdeutlichen, in (B) tourismus. (D) welchen Bereichen die Menschen besonders unzufrieden sind. Unzufrieden sind sie zum Beispiel mit der Reform (Dr. Max Stadler [FDP]: So ist es!) der Erbschaftsteuer. Mittlerweile macht es gar keinen Sinn mehr, (Dr. Max Stadler [FDP]: Ja! – Burkhardt 30 Kilometer von einer Grenze entfernt eine Tankstelle Müller-Sönksen [FDP]: Zu Recht!) zu betreiben. Hier fordere ich die Bundesregierung auf: Senken Sie die Steuern auf Diesel und Benzin! Wie soll ein kleiner Familienbetrieb, der an die nächste Generation weitergegeben wird, überleben, wenn das Fi- (Beifall bei der FDP – Burkhardt Müller- nanzamt gnadenlos abkassiert? Sönksen [FDP]: Aber nicht nur an den Gren- (Beifall bei der FDP) zen!) Ich fordere die Bundesregierung auf: Kümmern Sie sich Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Vorratsdatenspei- um die kleineren Betriebe und die Familienbetriebe! cherung. 13 000 Menschen haben gefordert: Schluss mit Denn sie sind diejenigen, die in unserem Land Ausbil- der Vorratsdatenspeicherung! Warum werden Telefonate dungsplätze und Arbeitsplätze zur Verfügung stellen. und E-Mails von gesetzestreuen und unbescholtenen Bürgern gespeichert? Damit muss Schluss sein. (Beifall bei der FDP) 130 000 Menschen haben sich dagegen gewandt, In- Auch mit unserer Gesundheitspolitik sind die Men- ternetsperren einzuführen. Meine sehr geehrten Kolle- schen unzufrieden. Der Beitragssatz ist hoch, gen, vor einem Verbrechen ein Stoppschild einzurichten, (Clemens Bollen [SPD]: Der ist gerade ge- das hilft überhaupt nichts. Man muss das Übel an der senkt worden!) Wurzel packen, darf aber nicht das Internet zensieren. der Steuerzuschuss ist sehr hoch, und die Versorgung hat (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten sich nicht verbessert. Im Gesundheitswesen sind Warte- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE schlangen und Rationierungen zu beobachten. Kranken- GRÜNEN) schwestern und Ärzte sind von der zunehmenden Büro- Jeder hat die Möglichkeit, sich schnell an den Bun- kratie genervt. Hier fordere ich die Bundesregierung auf: destag zu wenden. Ich fordere auch die Besucher auf der Machen Sie Schluss mit der Staatsmedizin und mit dem Zuschauertribüne auf: Besuchen Sie doch, wenn Sie Einheitsbrei bei den Krankenkassen! heute nach Hause kommen, unsere schöne Homepage. (Beifall bei der FDP) Dort können Sie sich auch prima einbringen. 26184 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Jens Ackermann (A) (Zuruf von der SPD: Kann man sich da etwa Herzlichen Dank. (C) auch ein Problem aussuchen? – Heiterkeit bei (Beifall bei der FDP) der SPD)

Unsere Ausschussvorsitzende hat schon erwähnt, dass Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: ein runder Tisch eingerichtet worden ist. Alle Mitglieder Das Wort hat nun Kollegin Lydia Westrich für die des Ausschusses haben sich geehrt gefühlt, als Bundes- SPD-Fraktion. tagspräsident Norbert Lammert bei uns zu Gast war. Das war für unseren Ausschuss eine große Ehre und eine (Beifall bei der SPD) Auszeichnung. Ich hoffe, dass die Situation der Heim- kinder der 50er- und 60er-Jahre dort näher beleuchtet Lydia Westrich (SPD): werden kann. Ich fordere von hier aus dazu auf, die Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Kolleginnen Streitigkeiten am runden Tisch zu beenden und wieder und Kollegen! Eine junge Frau hat sich voller Zuversicht zur Sacharbeit zurückzukommen; daran sind wir sehr in- in ihr Studium gestürzt. Sie hat BAföG erhalten. Sie teressiert. stand kurz vor dem Abschluss. Dann kam eine Krank- heit. Nun ist sie erwerbsunfähig. Ein Leben voller Hoff- (Beifall bei der FDP) nungen – jetzt in Trümmern. Noch bevor sie sich in ihrer Das Wohl der Bürger steht im Mittelpunkt. Ich neuen, schweren Zukunft einrichten konnte, kam der möchte, auch im Namen meiner Fraktion, einen Dank an BAföG-Bescheid mit der Forderung nach Rückzahlung das Ausschusssekretariat richten; es ist hier vertreten. der während des Studiums erhaltenen Unterstützung, ob- Ohne Sie wäre es nicht möglich gewesen, die Fülle der wohl sie sich jetzt mit ihrer Krankheit einrichten muss Petitionen zu bearbeiten. Ich möchte mich auch bei den und keinen lukrativen Job hat. Die junge Frau hat sich an Mitarbeitern in unseren Büros für die Zuarbeit in Einzel- den Petitionsausschuss gewandt mit der Bitte, ihr die fällen bedanken. Recht herzlichen Dank dafür! Rückzahlung des Darlehens zu erlassen. Sie wird damit erfolgreich sein, Herr Müller. Wenigstens diese Sorge Aus dem Bundesland, aus dem ich komme – Sachsen- soll sie los sein. Anhalt –, haben uns 650 Petitionen erreicht. Ein großes Berücksichtigung des Anliegens unserer Petenten ist Thema war die Forderung nach einer Angleichung der das höchste Votum, das der Petitionsausschuss vergeben Rentenwerte Ost und West. Für einen Abgeordneten ist kann. Er verlangt damit die Erfüllung der Petition, ohne es wichtig, Zuschriften aus der Bevölkerung zu bekom- Wenn und Aber. Es ist nicht sehr häufig, dass dieses un- men: Man kann sie in die politische Arbeit einfließen bedingte Votum von uns getroffen wird, da wir viele As- lassen. Die FDP-Bundestagsfraktion hat einen Antrag pekte zu berücksichtigen haben: Gibt es einen Präze- (B) (D) vorgelegt, wie man das Rentenrecht Ost und West denzfall? Welche Kosten werden für die Allgemeinheit 20 Jahre nach der Wiedervereinigung auf ein Niveau entstehen? Wir müssen ja bedenken, dass das, was wir bringen kann. Aus Sachsen-Anhalt haben uns auch viele einem gewähren, eventuell auch vielen anderen nicht Petitionen zum Thema Lärmschutz erreicht. Lärm an der verschlossen bleiben darf. Dann wird es meist sehr teuer. Autobahn A 14 ist ein großes Problem. Ich freue mich, Wir müssen auch bedenken: Was für den einen eine Un- dass wir zusammen mit dem Land Sachsen-Anhalt zu ei- gerechtigkeit bedeuten kann, kann für andere sehr hilf- ner Lösung kommen können. reich sein. Das heißt, wir müssen genau abwägen. Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass wir auf un- Wir können als Regierungsfraktionen nicht so beden- sere Stellvertreter angewiesen sind. Der Kollege Gero kenlos votieren wie manche Oppositionsfraktionen. So Storjohann hat gesagt, die kleineren Fraktionen seien können wir einer Forderung nach Erhöhung des Kinder- doppelt so stark mit Arbeit belastet, weil alle Petitionen geldes auf 400 Euro nicht leichtfertig stattgeben, weil begutachtet werden müssten. Unsere Stellvertreter Otto wir wissen, dass bereits eine Erhöhung des Kindergeldes Fricke, Erwin Lotter, Volker Wissing und Ina Lenke sind um 10 Euro mehr als 1 Milliarde Euro kostet. Eine Ver- voll in das Petitionswesen eingebunden. Das macht deut- dopplung des Kindergeldes mag wünschenswert sein, lich, dass die FDP-Fraktion die Menschen ernst nimmt. lässt sich aber nicht seriös finanzieren. Wir hören auf die Menschen. Die Kollegen, die heute nicht da sind, Herr Lehrieder, sitzen schon wieder über Petitionsarbeit muss meiner Ansicht nach wahrhaftig Petitionen und realitätsnah sein, wenn das Vertrauen der Bürger er- halten werden soll. (Heiterkeit – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Ich habe nichts anderes vermutet, Herr Kollege! – (Beifall des Abg. Jens Ackermann [FDP]) Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Jedem wohl und niemandem weh – so sehe ich die Auf- NEN]: Nach Ihrer Rede kommen ja tausend gaben unseres Ausschusses nicht. Wir müssen aber die mehr!) Anliegen mit offenem Herzen und Sinn aufnehmen und prüfen, und wir müssen nach Lösungen suchen. Ich und arbeiten an einer Beantwortung. Wir nehmen die denke, das ist unsere Aufgabe. Menschen ernst, wir hören auf sie. Bei der Bundesregie- rung bin ich mir nicht ganz so sicher, ob sie die Anliegen Die Frau Vorsitzende hat schon erwähnt, dass wir der Bürger ernst nimmt. Ich fordere die Bundesregierung Ausschussmitglieder eine große Portion Hartnäckigkeit auf: Hören Sie auf die Menschen! Gehen Sie auf die aufbringen müssen. Wir müssen wieder und wieder Menschen zu! Ansonsten werden Sie abgewählt. nachfragen und Berichterstattergespräche führen. Die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26185

Lydia Westrich (A) Ministerien haben ihre eingefahrenen Gleise, und Ein- nen und Kollegen, die sich dieser Arbeit, wie Herr (C) zelschicksale sind nicht ihr Spezialgebiet – aber unseres. Storjohann es deutlich gemacht hat, verschrieben ha- Wir Petitionsleute lassen nicht locker, und siehe da: Häu- ben – ganz zu schweigen von den hervorragenden Mit- fig gibt es doch Lösungen. arbeitern unseres Ausschussreferates und auch unseren eigenen Mitarbeitern, denen wir viel zu verdanken ha- Ein Zollbeamter hatte in einer für ihn schwierigen Le- ben. bensphase dem Alkohol etwas zu sehr zugesprochen und wurde vom Dienst suspendiert. Er legte Widerspruch ein Ich bin davon überzeugt, dass der Petitionsausschuss und arbeitete in seiner Behörde untadelig weiter. Acht auch in Zukunft Auge, Ohr und Sensor der Bürgerinnen Jahre dauerte die Erledigung seines Widerspruchs. und Bürger sein wird. Alles Gute für die Zukunft! (Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Da kann Vielen Dank. man ja ganz nüchtern werden!) (Beifall im ganzen Hause) Die Entfernung aus dem Dienst wurde leider gerichtlich bestätigt. Acht Jahre lang leistete er gute Arbeit und Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: machte sich Hoffnungen, seinen Fehler von damals wie- dergutgemacht zu haben, und dann kam doch das Aus. Liebe Kollegin Westrich, liebe Lydia, das war Ihre Da er Beamter war, floss noch nicht einmal Arbeitslo- letzte Rede. 15 Jahre im Petitionsausschuss – das ver- sengeld. dient wahrlich Respekt und ein großes Dankeschön. Gerichtsurteile können wir als Petitionsausschuss (Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: nicht aufheben, aber gemeinsam mit den anderen Be- Bundesverdienstkreuz!) richterstattern konnte ich das Finanzministerium davon Wir wünschen Ihnen bzw. dir alles Gute für die nächsten überzeugen, dass in diesem Fall auch eine soziale Ver- Jahrzehnte deines Lebens. antwortung des Arbeitgebers gegeben ist. Ich bin glück- lich, dass ihm das Finanzministerium eine Arbeitsstelle (Beifall im ganzen Hause) auf Probe angeboten hat. Das Wort hat nun Karin Binder für die Fraktion Die Ein anderer schlimmer Fall war das Verhalten einer Linke. Krankenkasse einer Petentin gegenüber, deren schwerst- (Beifall bei der LINKEN) krankes Kind stationär in einem Berliner Krankenhaus lag. Sie wohnte 200 Kilometer entfernt, und sie fuhr zu ihrem Kind, sooft sie konnte, bis es starb. Die Kranken- Karin Binder (DIE LINKE): (B) kasse lehnte die Übernahme der Fahrkosten ab, da sie es Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst (D) verabsäumt hatte, eine schriftliche Bestätigung des Arz- möchte ich mich ganz herzlich bei all denjenigen bedan- tes anzufordern, dass ihre Anwesenheit für die erhoffte ken, die für uns im Ausschuss die vielen Tausend Peti- Heilung des Kindes notwendig war. tionsakten vorbereitet und vorbearbeitet haben und da- mit eigentlich die Hauptlast dieser Arbeit getragen Es ist klar, dass Besuche im Krankenhaus zur privaten haben, also bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Lebensführung gehören. Das wollen wir auch nicht än- des Ausschussdienstes. Sie haben täglich damit zu dern. Aber auch hier waren wir der Meinung, dass jeder kämpfen und zu ringen, eine sachgerechte Behandlung Fall einzeln betrachtet werden muss. So hat sich die der Anliegen der Petentinnen und Petenten zu erreichen Krankenkasse mit der Petentin auf unser Drängen hin – und dies in einer schwierigen Gemengelage zwischen letztlich doch auf eine hälftige Übernahme der Fahrkos- Bitten und Forderungen der Menschen einerseits und ten geeinigt. den höchst unterschiedlichen Auffassungen der Aus- Es bleibt uns gar nichts anderes übrig, als alle Kraft, schussmitglieder andererseits. Dies ist eine häufig nicht die wir haben, in das Finden einer Lösung zu investieren, ganz dankbare Aufgabe. Aber dass sie diese Aufgabe wenn wir vor den Briefen sitzen, in denen teilweise tra- wahrnehmen und sie bewältigen, dafür möchte ich ihnen gische und ziemlich schwere Schicksale geschildert wer- meine Anerkennung und meinen herzlichen Dank aus- den. Häufig sind wir nach langen Gerichtswegen die sprechen. letzte Station, die verzweifelte und verbitterte Menschen (Beifall im ganzen Hause) anlaufen, und häufig können wir nichts tun, weil alle Möglichkeiten bereits ausgeschöpft wurden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, als Politikerinnen und Politiker sind wir bei unserer Arbeit gut beraten, Ich denke aber, es lohnt sich, in jeden Fall neu einzu- dem Volk aufs Maul zu schauen. Früher vollzogen sich steigen. Die Aufgabe besteht darin, aus den teilweise solche Beobachtungen nicht selten am Stammtisch in der verbitterten Briefen, die nicht angenehm zu lesen sind, Kneipe. das Anliegen herauszufiltern und genau zu prüfen, ob es nicht doch Erleichterung und Hilfe geben kann. Immer (Günter Baumann [CDU/CSU]: Heute auch wieder erleben wir, dass es sie gibt. noch!) Nach meiner 15 Jahre langen Arbeit im Petitionsaus- Worüber sich die Menschen Gedanken machen und wel- schuss kann ich den Bürgerinnen und Bürgern nur ver- che Wünsche sie an die Politik haben, wird heute oft von sichern, dass ihre Wünsche und Forderungen von uns Meinungsforschungsinstituten ermittelt. Ich bin aber der sehr ernst genommen werden. Das gilt für alle Kollegin- Überzeugung, die Petitionen sind ein sehr geeignetes 26186 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Karin Binder (A) Mittel, um auch außerhalb von Gastronomiebetrieben Berlin folgen Brandenburg, Sachsen, Mecklenburg-Vor- (C) dem Volk aufs Maul zu schauen. pommern, Thüringen und Sachsen-Anhalt. Das sind also die fünf neuen Bundesländer. Gemessen an der Zahl der Die Befassung mit den Anliegen von Bürgerinnen Menschen in diesen Ländern kamen aus diesen Bundes- und Bürgern ist ein Gewinn für das Parlament, ein Er- ländern die meisten Petitionen. kenntnisgewinn. Durch Petitionen wird uns Politikerin- nen und Politikern deutlich gemacht, wie die Bürgerin- Das ist kein Wunder. Von der Angleichung der Le- nen und Bürger die Anwendung der Gesetze erfahren bensverhältnisse Ost und West sind wir auch nach und die Rechtslage erleben. Im Petitionsausschuss kön- 20 Jahren Einheit noch weit entfernt. Offenbar hat sich nen wir dazu beitragen, dass Missverständnisse aufge- die Bundesregierung mit dem unlängst vorgelegten Be- klärt, Behördenfehler erkannt, Konflikte bereinigt und richt zum Stand der deutschen Einheit auch vom Ziel, Rechte der Bürgerinnen und Bürger durchgesetzt wer- gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost und West zu den. Wir lassen die Rechtssituation prüfen und sollten schaffen, verabschiedet, spricht sie doch nur noch da- dann dazu beitragen, eventuell festgestellte Gesetzes- von, die ostdeutschen Bundesländer bis 2019 an das lücken zu schließen. Niveau strukturschwacher Regionen im Westen heran- führen zu wollen. In diesem Sinne war der für 2008 zu verzeichnende Anstieg der Zahl der Petitionen ein Mehrwert, ein Zu- Dem Volk aufs Maul zu schauen, heißt deshalb für gewinn an Erkenntnis für uns. Förderlich waren dabei mich auch, nicht nur zuzuhören, sondern die Erkennt- die Zugangserleichterungen durch die Einführung der nisse, die gewonnen wurden, in die parlamentarische Ar- Onlinepetition und der öffentlichen Petition. beit einzubeziehen. Kritisch sehe ich dabei Folgendes: Dabei darf jedoch eines nicht übersehen werden: Um Viele Petitionen wurden ohne direkte Beteiligung der eine Onlinepetition einzureichen, um eine öffentliche Parlamentarierinnen und Parlamentarier erledigt. Den Petition mitzuzeichnen oder sich am Diskussionsforum 17 091 im Jahr 2008 abgeschlossenen Eingaben stehen zu beteiligen, braucht man einen PC und einen Internet- nur 7 317 Petitionen gegenüber, die der Ausschuss dem zugang. Viele Menschen jedoch besitzen keinen Compu- Plenum zur Abstimmung vorgelegt hat. Das bedeutet, ter und haben nicht die finanziellen Mittel für einen In- dass eine große Zahl von Petitionen erledigt wurde, ohne ternetanschluss. dass das Parlament die Gelegenheit genutzt hat, sich selbst mit den Anliegen der Bürgerinnen und Bürger zu (Klaus Hagemann [SPD]: Es gibt doch öffent- beschäftigen. Dies würde jedoch voraussetzen, dass der liche Internetcafés usw.!) Ausschuss vergrößert und sein Verwaltungsapparat Hier stelle ich nun den Zusammenhang her zwischen der strukturell erweitert würde. Damit würden aber auch (B) Wahrnehmung von Rechten der Bürgerinnen und Bür- sein Gewicht und seine Bedeutung gestärkt. Die Bürge- (D) ger, ihrer sozialen Situation und der regionalen Infra- rinnen und Bürger gehen meiner Auffassung nach mit struktur. Wir müssen uns immer wieder die Frage stel- Recht davon aus, dass ihre Petitionen die Abgeordneten len, ob die Menschen im Land die Möglichkeit haben, erreichen. sich zu beteiligen und ihre Rechte wahrzunehmen, oder Die Bilanz der Erledigungen ist ernüchternd. Von ob es Hürden und Hindernisse gibt, die wir ausräumen 17 091 abgeschlossenen Petitionen wurden 2008 ledig- müssen. lich 43 Petitionen der Bundesregierung zur Berücksich- (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE tigung bzw. Erwägung überwiesen. Das heißt, in nur GRÜNEN]: Man muss ja nicht per E-Mail 2,5 Promille der Fälle hat der Petitionsausschuss mit sei- schreiben!) nem Votum zum Ausdruck gebracht, dass er eine Ab- hilfe im Sinne der Petenten für geboten hält. Die angesprochenen Themen sind vielfältig; dazu wurde bereits einiges gesagt. Es fällt aber auch im Be- (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- richt von 2008 auf, dass die meisten Petitionen den Be- NEN]: Wie oft hätten Sie es denn gerne?) reich Arbeit und Soziales betreffen – über 4 000 Pe- Ich denke, es wäre wichtig, zu wissen, was davon von titionen. Der Ausschuss muss diese Tatsache kritisch der Bundesregierung aufgenommen und umgesetzt hinterfragen und auch thematisieren. Über 800 Peti- wurde. tionen, also etwa 20 Prozent, betrafen die Grundsiche- rung. Warum gab es dann aber in dieser Wahlperiode (Günter Baumann [CDU/CSU]: Sie zeichnen nicht eine öffentliche Ausschusssitzung zum Thema ein völlig falsches Bild!) Hartz IV und den damit zusammenhängenden Proble- Die CDU/CSU-Fraktion gibt sich in einer schriftli- men? chen Stellungnahme zum Jahresbericht gegenüber einer (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE Fortentwicklung des Petitionsrechts durchaus aufge- GRÜNEN]: Weil die Obleute das so vereinbart schlossen. Sie meint jedoch, dass vor einer Erweiterung haben! – Klaus Hagemann [SPD]: Haben Sie der Befugnisse des Ausschusses eine klare Analyse ste- das beantragt?) hen müsse, ob der Petitionsausschuss mit den im Grund- gesetz sowie im Befugnisgesetz angelegten Grundsätzen Der Jahresbericht hält uns einen weiteren Spiegel vor. tatsächlich nicht auskommt. Schlüsselt man die Petitionen danach auf, wie viele Peti- tionen auf 1 Million Einwohner in den jeweiligen Bun- Ich schlage vor, liebe Kolleginnen und Kollegen der desländern kommen, ergibt sich folgendes Bild: Nach CDU/CSU, sich zunächst einmal mit zwei Punkten zu Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26187

Karin Binder (A) beschäftigen: mit der Transparenz des Petitionsverfah- seinem Job nicht richtig nach. Irgendetwas gibt es immer (C) rens und dem einklagbaren Anspruch auf inhaltliche Be- zu meckern. fassung. Die Ausgestaltung des Petitionsrechts im Sinne dieser Punkte ist auch ohne die Erweiterung von Aus- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, schussbefugnissen möglich. bei der CDU/CSU und der SPD) Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung hat erst im Der Jahresbericht ist zugleich Ausweis für unsere April eine Studie zur Bekanntheit und zum Ansehen des Problemlösungskompetenz und die Bereitschaft zum Petitionsausschusses mit vielen nützlichen Anregungen Dialog. Wir zeigen mit unserer Arbeit, dass man als nor- für die Verbesserung des Petitionswesens vorgelegt. Ich maler Bürger Hindernisse überwinden und Ziele – auch hoffe, dass unsere heutige Debatte und der vorliegende im politischen Bereich – erreichen kann. Uns gelingt es, Jahresbericht einen Beitrag dazu leisten, diese Verbesse- benachteiligte Menschen in den politischen Prozess ein- rungswünsche aufzugreifen. zubeziehen. Wir haben zudem neue Zugänge zum Peti- tionsrecht und neue Formen der Partizipation gemein- Ich wünsche mir, dass das Petitionsrecht in weiteren sam geschaffen. Meine Damen und Herren von der Kreisen der Bevölkerung bekannt wird. Es ist nämlich Linken, Sie haben Ihre Vorschläge, über die wir erstma- eine Möglichkeit der Bürgerbeteiligung und könnte da- lig debattiert haben, nicht auf die Tagesordnung des mit auch seinen Teil dazu beitragen, die Politikverdros- Ausschusses setzen lassen. Wenn Sie das beantragt hät- senheit abzubauen. ten, hätten wir uns nicht verweigert. Wir haben mehrfach nachgefragt. Sie selber haben aber keinen akuten Bedarf Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. gesehen. Insofern weiß ich nicht, an wen sich die Be- (Beifall bei der LINKEN) schwerde von Frau Binder, die sie am Ende ihrer Rede formuliert hat, richtet. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wir haben feststellen müssen: Oft reimt sich E-Peti- Das Wort hat Kollege Josef Winkler für die Fraktion tion, also elektronische Petition, auf Opposition. Es gibt Bündnis 90/Die Grünen. auf jeden Fall – der Kollege Hagemann hat das eben (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- eingeworfen – öffentlich zugängliche Internetcafés, in NEN]: Josef, bring doch ein Beispiel aus denen man relativ preiswert surfen kann. Um keine Rheinland-Pfalz!) Missverständnisse aufkommen zu lassen: Niemand ist gezwungen, per E-Mail eine Petition einzureichen. Wir haben das bestehende Grundrecht auf das Einreichen ei- Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ner Petition nur ergänzt; denn es gibt inzwischen Leute, (B) NEN): die kaum noch wissen, wie man ohne eine Tastatur (D) Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Kollege Wieland schreiben kann. Für viele junge Leute stellt das Postkar- möchte ein Beispiel aus Rheinland-Pfalz hören, aber ich ten- und Briefeschreiben von Hand eine Herausforde- werde in den sieben Minuten, die mir zur Verfügung ste- rung dar. Aber auch ihnen wollen wir die Möglichkeit hen, auf das große Ganze eingehen. Sie können selber geben, eine Petition an den Bundestag zu richten. Sie nachlesen, welche Fälle besonders interessant waren. sollen nicht erst zur Oma gehen müssen, um es sich auf- Auch ich möchte mich zunächst im Namen meiner schreiben zu lassen. Fraktion bei der Frau Vorsitzenden, den Kolleginnen und (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ Kollegen aus dem ganzen Hause, aber vor allem auch DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Frak- und der FDP) tionen, den Abgeordnetenbüros und der Verwaltung des Deutschen Bundestages für die gute und faire Zusam- Wichtig ist uns: Egal ob die Petition von einer Person menarbeit bedanken. Wir haben vor, die Zusammenar- eingereicht wird, ob Petitionen von Dritten für andere beit auch in Zukunft überwiegend freundlich und kolle- eingereicht werden, ob es ein Kind oder ein Erwachsener gial zu gestalten. Daran werde ich mich jetzt auch in ist, der schreibt, oder ob es 100, 1 000 oder 100 000 meiner Rede halten, auch wenn Frau Kollegin Binder sind, die eine Petition unterzeichnen, der Bundestag mich ein bisschen gereizt hat. nimmt alle Petitionen gleichermaßen ernst, (Günter Baumann [CDU/CSU]: Uns alle!) (Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: Na ja!) Bürgernah, innovativ und erfolgreich: Das ist das Mo- dell Petitionsausschuss. Der Jahresbericht 2008 ist ein – sofern sie ernst gemeint sind; sagen wir es einmal so –; Dokument des Vertrauens der Bürgerinnen und Bürger denn das Anliegen des Einzelnen ist unser Kerngeschäft. in die Handlungsfähigkeit des Deutschen Bundestages. Gerade bei den ganz leisen, verzweifelten und einsamen Petitionen hören wir genau hin. Das hat die Kollegin Erlauben Sie mir eine Bemerkung an die Linksfrak- Westrich gerade deutlich gemacht, indem sie einige be- tion: Wenn es weniger Petitionen gibt, dann loben Sie sonders krasse Beispiele genannt hat. die Bundesregierung auch nicht dafür, dass sie die Pro- bleme aller Bürgerinnen und Bürger gelöst hätte, son- Es gibt trotz alledem keinen Grund, sich auf den Lor- dern beschweren sich, dass zu wenig für das Petitions- beeren auszuruhen. Das sieht man an den Petitionen im recht geworben worden wäre. Gibt es aber mehr Bereich der sozialen Sicherung. Wenn die Bundesregie- Petitionen, dann heißt es, Staatssekretär Thönnes komme rung noch einmal in den Rückspiegel des Jahresberich- 26188 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Josef Philip Winkler (A) tes 2008 des Petitionsausschusses schaute, sähe sie, dass Der Stenografische Bericht des Bundestages verzeich- (C) die Politik noch einiges nachzuholen hat. Ein Musterbei- nete an dieser Stelle: „Hört! Hört! und Heiterkeit“; ich spiel dafür ist – es ist ein bisschen dem Ende der Wahl- nehme an, Ähnliches tut er auch heute. Damals aber periode und der Blockadesituation in der Großen Koali- wurde diese Petition mit einem Schenkelklopfen einfach tion geschuldet – die Petition zur Generation Praktikum. abgetan. Nach über 50 Jahren haben sich der damaligen Diese Petition wurde bereits 2006 eingereicht und wurde Junggesellin – ich weiß nicht, wie sie sich weiterent- von über 100 000 Menschen unterschrieben. Wir waren wickelt hat – uns über die Fraktionsgrenzen hinweg einig, dass hier (Heiterkeit) Abhilfe geschaffen werden muss, dass sich nicht ein Praktikum an das andere reihen darf, womöglich noch auch die verheirateten Frauen und Männer und im letz- unbezahlt, obwohl die Betroffenen schon einen akademi- ten Jahr sogar die Mehrheit der Abgeordneten des Deut- schen Abschluss haben. Hier gab es leider gar keine schen Bundestages angeschlossen, und die Petentin hat Fortschritte. Ich bin froh, dass wir uns im Ausschuss im- sich letztendlich durchgesetzt. Das heißt, auch Petitio- mer einig waren: Wir lassen die Regierung mit diesem nen, die uns auf den ersten Blick etwas abenteuerlich an- Problem nicht allein. – Wir haben mehrfach Staatssekre- muten, können doch zum Erfolg führen. In diesem täre aus mehreren Häusern frühmorgens, um 7 Uhr oder Sinne: Wir nehmen auch solche Anliegen, die auf den 7.30 Uhr, in den Ausschuss bestellt, damit es für alle Be- ersten Blick Heiterkeit hervorrufen, ernst. teiligten unterhaltsam ist, und haben sie gegrillt. Das hat leider nichts gebracht. Da hier nicht das Prinzip der Dis- Herzlichen Dank. kontinuität gilt, wird die nächste Wahlperiode Abhilfe (Beifall im ganzen Hause) bringen müssen. Vielleicht lassen wir dann die Sitzun- gen um 6 Uhr morgens beginnen, Herr Staatssekretär Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Thönnes. Das Wort hat nun Paul Lehrieder für die CDU/CSU- (Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär: 5 Uhr!) Fraktion.

– Das ist für uns kein Problem. Um diese Uhrzeit endet Paul Lehrieder (CDU/CSU): manchmal erst das Plenum. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Zur Petition, in der es um Heimkinder geht, wurde Damen und Herren! Ich hatte mir ähnlich wie die ande- schon einiges gesagt. Ich habe dazu nur ein, zwei An- ren Kollegen vorgenommen, heute, am offiziell letzten merkungen zu machen. Die in den Medien aufgebausch- Sitzungstag, eigentlich nur nett zu sein. Aber Sie, Frau ten Konflikte decken sich nicht ganz mit dem Verfah- Kollegin Binder, machen mir das ein bisschen schwer. (B) rensstand, den ich kenne. Vor kurzem endete die dritte Wenn Sie ihre negative Bilanz davon herleiten, dass wir (D) Sitzung des runden Tischs „Heimerziehung“. Dort nur einen geringen Prozentsatz an Petitionen an die Re- wurde sehr konstruktiv gearbeitet. Da die Kollegin, die gierung zur Berücksichtigung überweisen konnten, so an den Sitzungen teilgenommen hat, gleich noch etwas ignorieren Sie – die Linke ignoriert in diesem Hohen dazu sagen wird, nur so viel: Es ist schon ein Problem, Hause leider immer öfter das Zahlenmaterial – die Viel- dass der ehemalige Staranwalt Witti – seinen Namen zahl der Petitionen, die abgeschlossen werden konnten, kann ich nennen, weil er selber ihn so gerne in der Zei- weil sich das Anliegen durch eine Gesetzesinitiative er- tung liest –, der die Anwaltszulassung verloren hat, weil ledigt hat. Denken Sie an die Vielzahl der Petitionen zur er Entschädigungsgelder, die er für jüdische Mandanten Pendlerpauschale, die sich in der Zwischenzeit durch die erstritten hatte, veruntreut hat, der Hauptberater des Ver- Gesetzesänderung aufgrund der Entscheidung des Bun- eins ehemaliger Heimkinder ist. Die Betroffenen sollten desverfassungsgerichts erledigt haben. Denken Sie da- sich überlegen, ob sie sich damit wirklich einen Gefallen ran, dass wir in der Großen Koalition mit den Kon- tun. junkturpaketen in vielen Bereichen Bürgeranliegen entsprochen haben. All das ignorieren Sie, und Sie tun (Beifall im ganzen Hause) so, als ob der Petitionsausschuss ein stumpfes Schwert Ein letzter Gedanke am Ende. Wir haben in diesem sei. Man muss schon ehrlich mit den Leuten umgehen. Jahr den 60. Geburtstag unseres Grundgesetzes began- Das ist insbesondere für unsere Zuschauer auf der Tri- gen. Ich möchte aus diesem Anlass an den ersten münd- büne und an den Fernsehgeräten wichtig. lichen Bericht des Petitionsausschusses vor dem Deut- Jeder Bürger unseres Staates kann sich mit Bitten schen Bundestag am 20. März 1952 erinnern; denn dort oder Beschwerden an die Volksvertretungen des Bundes findet sich eine Lehre für uns alle. In jener ersten De- und auch der Länder wenden. So ist es in Art. 17 des batte zu einem Jahresbericht sprach die berichterstat- Grundgesetzes festgeschrieben. Zudem ist der Petitions- tende Abgeordnete Albertz von der SPD-Fraktion von ausschuss einer der wenigen Ausschüsse, dessen Ein- jenen Petenten – ich zitiere –, „die etwas merkwürdige richtung das Grundgesetz in Art. 45 c zwingend vor- Wünsche an den Bundestag haben“, und sie brachte das schreibt. Beispiel einer – Zitat – „Junggesellin, die auch für die Gasthäuser Raucher- und Nichtraucherabteile vorgese- Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt: Immer mehr hen wissen möchte, weil sie sich durch die qualmenden Bürger werden sich dieses grundlegenden Rechts be- Männer belästigt fühlt“. wusst. Oft sind sie mit ihren Anliegen auf anderen We- gen gescheitert und versprechen sich von uns Hilfe; die (Heiterkeit) Vorredner haben bereits darauf hingewiesen. Für alle Be- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26189

Paul Lehrieder (A) teiligten bietet deshalb der Petitionsausschuss große Vorschrift lediglich auf durchschnittlich empfindliche (C) Chancen: Der Bürger bekommt für ein konkretes Anlie- Menschen abstellt, Kinder, alte, kranke und behinderte gen Unterstützung, Behörden und Gesetzgeber bekom- Menschen dagegen nicht besonders berücksichtigt. Ins- men ein Feedback aus dem täglichen Leben über besondere sollte der Begriff „Menschen“ durch die Wör- Schwachstellen im Praxistest der Vorschriften, und ter „durchschnittlich empfindliche Menschen“ ersetzt schließlich bekommen wir als Abgeordnete die Rück- werden. kopplung über das Wirken der Gesetzgebung in Fällen, wie sie jedem von uns auch in unserer Wahlkreisarbeit Der Petitionsausschuss ist hier zur Auffassung ge- begegnen – neben den Stammtischen, Frau Kollegin kommen, dass das Bundes-Immissionsschutzgesetz hin- Binder. reichend Schutz vor entsprechenden Lärmemissionen bietet, und hat daher nicht der Forderung der Petentin Es ist eine Vielzahl von Problemen, die uns begegnen. nach einer begrifflichen Ergänzung des Gesetzes ent- Wir haben uns in den letzten Jahren Gedanken über die sprochen. Zugleich unterstrich der Petitionsausschuss je- Legalisierung von Haschisch und – ich schaue in eine doch die Notwendigkeit, die Ergebnisse der Lärmwir- bestimmte Richtung – über die Bagatellisierung von kungsforschung zur Wirkung der von Windkraftanlagen Schwarzfahrern in öffentlichen Verkehrsmitteln ge- ausgehenden Infraschallemissionen auf den menschlichen macht, diese Petitionen aber mit großer Mehrheit abge- Organismus insbesondere im Hinblick auf lärmempfind- lehnt. liche Personengruppen weiterhin genau zu verfolgen, um erforderlichenfalls eine rasche Gesetzesanpassung Allerdings sollte die Arbeit des Petitionsausschusses vornehmen zu können. Daher empfahl der Ausschuss, nicht missverstanden werden. Er kann weder einen Ver- die Petition dem Bundesumweltministerium als Material waltungsakt noch einen Gerichtsbeschluss verändern zu überweisen und den Fraktionen des Deutschen Bun- oder aufheben. Die Bürger können auch keine Gesetzes- destages zur Kenntnis zu geben. initiativen einbringen. Der Petitionsausschuss ist vor al- lem ein Untersuchungsorgan. Die Beschlüsse des Ple- In konkreten Fällen Probleme lösen zu helfen, für nums über Petitionen sind zunächst einmal rechtlich Klarheit zu sorgen, ist eine dankbare Aufgabe für einen unverbindlich. Die Bundesregierung ist leider nicht ein- Volksvertreter und hat eine Bedeutung darüber hinaus. mal an das Votum des Parlaments gebunden. Damit ist Für den Petenten ist der Staat nicht anonym. Für den Ab- der Petitionsausschuss aber kein stumpfes Schwert in der geordneten, den er ins Parlament entsandt hat, ist er Hand des Bürgers. Im Gegenteil: Sobald sich ein Petent Wähler, aber auch Bürger mit oft berechtigten Anliegen. an den Petitionsausschuss wendet, wird seine Be- Deshalb darf ich mich bei allen Kolleginnen und Kolle- schwerde oder Bitte von einer privaten Angelegenheit zu gen für die konstruktive, sachliche, gelegentlich, Herr (B) einem öffentlichen Anliegen. Der Bürger hat durch Peti- Winkler, auch sehr humorvolle Arbeit im Petitionsaus- (D) tionen die Möglichkeit, seine Interessen gegenüber sei- schuss bedanken. Ich wünsche mir weiterhin dieses kon- nen Vertretern unmittelbar zu artikulieren. So werden die struktive kollegiale Miteinander und Ihnen ein paar ru- stark repräsentativ geprägten Verfahren der parlamenta- hige und erholsame Wochen. rischen Willensbildung durch ein gewisses plebiszitäres Danke schön. Element ergänzt. Kurzum: Der Petitionsausschuss ist nahe bei den Menschen. Deshalb bin ich froh, in diesem (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Ausschuss mitarbeiten zu dürfen, gerade auch, wenn ich FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN ganz persönlich Erfolge in dieser Arbeit sehe. und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Fünf der von mir bearbeiteten Petitionen sind in den vorliegenden Tätigkeitsbericht aufgenommen worden. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Eine davon möchte ich Ihnen kurz als Beispiel dafür vor- Das Wort hat nun Kollegin Marlene Rupprecht für die stellen, wie viel der einzelne Abgeordnete, wie viel wir SPD-Fraktion. gemeinsam im Sinne des Bürgers bewegen können. Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD): In einem Fall beklagte sich eine Petentin darüber, Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! dass das Bundes-Immissionsschutzgesetz lediglich auf Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! Wissen Sie, durchschnittlich lärmempfindliche Menschen abstellt. was das Tolle an der Arbeit im Petitionsausschuss ist, Der besonderen Empfindlichkeit von Kindern, alten, außer dass er viel Arbeit macht, mehr Arbeit als jeder kranken oder behinderten Menschen gegenüber den von andere Ausschuss? Das Tolle ist, dass man ganz nah an Windkraftanlagen ausgehenden Schallemissionen trage den Anliegen und Problemen von Menschen arbeitet und es jedoch nicht Rechnung. Ihr Sohn sei Epileptiker und parteipolitische Hahnenkämpfe und Schauanträge relativ daher in dieser Hinsicht besonders empfindlich. Eine selten vorkommen. Man versucht, sehr nahe dranzublei- Klage vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht Augs- ben. Man sucht Lösungen. Das wird leider in der Öffent- burg gegen den Betrieb der in der Nachbarschaft befind- lichkeit kaum wahrgenommen, macht aber die Arbeit so lichen Windkraftanlagen ist unter anderem mit der Be- befriedigend. gründung abgewiesen worden, dass das Baurecht auf eine lediglich durchschnittliche Empfindlichkeit ab- Der Petitionsausschuss ist garantiert nicht dazu da, stelle. Vor diesem Hintergrund forderte die Petentin den agitatorische Eingaben entgegenzunehmen, um Beteili- Gesetzgeber auf, in der Formulierung des Bundes-Im- gung sicherzustellen. Da wären wir 25 überfordert. Wir missionsschutzgesetzes deutlich zu machen, dass diese haben uns mit den Wünschen, Anliegen, Beschwerden 26190 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

(A) von Menschen auseinanderzusetzen. Dahinter stehen bis Ende 2010 einen Bericht mit Lösungsvorschlägen (C) zum Teil massive Probleme, die die Menschen belasten, bekommen. Wir lassen uns auch nicht, durch wen auch weil sie keine Lösung finden. Ich möchte drei Beispiele immer, davon abbringen. Ich sitze mit am Runden Tisch. anführen, wo konkrete Eingaben zu Gesetzen geführt ha- Wer mich kennt, weiß: Da muss einer schon ganz kräftig ben. Es war nicht immer sehr angenehm für den Staats- Anlauf nehmen, um mich ins Stolpern zu bringen, wenn sekretär, mit mir zu reden, weil ich manchmal wie ein ich mir ein Ziel vorgenommen habe. Hier habe ich mir Bullterrier sein kann. Wenn ich mich in etwas verbissen das Ziel vorgenommen: 2010 findet das Parlament eine habe, dann lasse ich es nicht mehr los, bis ich eine Lö- gemeinsame Lösung, wie wir dem Unrecht abhelfen sung habe. Er hat mir versprochen, dass er die beiden können, das diesen Menschen angetan wurde. Gesetzentwürfe erarbeitet. Wir haben sie in der letzten Sitzungswoche verabschiedet. Ich will das kurz darstel- In diesem Sinne hoffe ich eigentlich wieder auf gute – – len. Nein, ich habe meinen Mitarbeitern versprochen, dass ich nicht noch einmal in den Petitionsausschuss gehe. Erstens ging es um behinderte Kinder in Pflegefami- Nach elf Jahren ist auch eigentlich genug. Aber ich stehe lien. Sie leiden unter der Schnittstellenproblematik von garantiert zur Verfügung, wenn Menschen in meiner Sozialgesetzbuch XII – Sozialhilfe – und Sozialgesetz- Fraktion sagen: Mach wenigstens Stellvertretung bei der buch IX – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Men- Petitionsbearbeitung! – Das ist wirklich die beste Lehr- schen –; sie werden permanent hin- und hergeschoben. werkstätte für alle im Parlament. Man erfährt, wenn man Die Pflegeeltern eines behinderten Pflegekindes haben bei einem Gesetz nicht gut gearbeitet hat, und man er- dann eine Eingabe gemacht. Niemand war bereit, für fährt, wenn man bei einem Gesetz gut gearbeitet hat. Et- diese Familie genauso zu handeln, als wenn das Pflege- waige Mängel gemeinsam auszubügeln, finde ich schön. kind nicht behindert wäre. Man kann es sich manchmal Hervorzuheben ist vor allem auch die immer konstruk- wirklich nicht vorstellen, aber es war so. tive Arbeit mit allen Kolleginnen und Kollegen. Ich würde mir wünschen, die Medien würden dort einmal Wir haben eine Lösung gefunden. Jetzt werden die hereinschauen, um festzustellen, wie wirklich gearbeitet Kinder gleichgestellt. Ich hoffe, dass wir langfristig, wird. nach 2013, eine noch bessere Lösung haben werden. Herzlichen Dank, vor allem auch dem Ausschuss- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) dienst, der mein manchmal unkonventionelles Vorgehen Zweitens. Für contergangeschädigte Menschen ha- immer mitgetragen hat. ben wir die Gesetzeslage verändert. Kurzfristig ging uns (Beifall im ganzen Hause) eine Eingabe zu. Das Thema mag für manche neben- (B) sächlich sein, für die Betroffenen ist es aber ganz wich- (D) tig. Da ist jemand ohne Arme, aber nicht blind, und er Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: hat einen Behindertenbegleithund. Wenn er mit öffentli- Das Wort hat nun Kollege Karl Schiewerling für die chen Verkehrsmitteln unterwegs ist, muss er entweder CDU/CSU-Fraktion. für den Hund oder für die Begleitperson eine Fahrkarte (Beifall bei der CDU/CSU) lösen. Wäre der Betreffende blind, müsste er für beide keine Fahrkarte lösen. Da haben wir gesagt: Das kann ja nicht wahr sein. Da ist ein Bruch in der Logik. Karl Schiewerling (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben also die Hunde, die Blindenführhunde und Meine Damen und Herren! Es gibt wohl kaum einen die Behindertenbegleithunde, gleichgestellt. Wir haben Ausschuss oder kaum ein Gremium, dem von den Bür- ein Gleichstellungsgesetz für Hunde gemacht. Ich finde gerinnen und Bürgern so viel Vertrauen entgegenge- es ganz toll, dass uns das gelungen ist. Es sind wirklich bracht wird wie dem Petitionsausschuss. Das ist erfreu- oft Kleinigkeiten, bei denen wir helfen. lich, ermutigend, aber manchmal auch belastend; denn (Beifall im ganzen Hause) die Vielfalt der Lebensverhältnisse wird hier deutlich, aber auch die Erwartung, dass in einer zunehmend indi- Wir haben drei Jahre lang intensiv mit Menschen und vidualisierten Gesellschaft dem jeweiligen individuellen über Menschen beraten, die vor Jahrzehnten in der Bun- Anliegen tatsächlich Rechnung getragen wird. Das ist desrepublik in Heimen waren; der Herr Winkler und die nicht immer einfach, und das stößt an Grenzen – an Frau Vorsitzende haben es schon angesprochen. Wir hät- Grenzen des Parlaments, an Grenzen des Rechtsstaates ten rechtlich keine Handhabe gehabt, irgendeine Lösung und an Grenzen der Akzeptanz von denjenigen, die mög- anzubieten. Wir haben aber sehr ernsthaft beraten. Ich licherweise negativ von Regelungen betroffen werden. danke allen sehr herzlich dafür, dass sie nicht gesagt ha- ben: Es gibt kein Gesetz. Weg damit! Beschluss: Es kann Die Anregungen, Hinweise und Bedenken, die der nicht geholfen werden. Petitionsausschuss an die Regierung, die Fraktionen und die Bundesministerien leitet, fließen nicht selten in Ini- Wir haben es zu einer Aufgabe des Parlaments ge- tiativen und Gesetzesvorhaben ein. Das Recht, insbeson- macht. Wir haben einen Runden Tisch eingerichtet. Wir dere das Sozialrecht, wird immer ausdifferenzierter und haben klare zeitliche Vorgaben formuliert, etwa dazu, immer undurchschaubarer – für Bürgerinnen und Bürger, wann wir eine Lösung erwarten. An diesem Tisch sitzen aber auch für Abgeordnete. Man hat manchmal den Ein- jetzt Fachleute, Betroffene, Menschen, die Einrichtun- druck, dass man kaum noch den Überblick über das So- gen betrieben haben, oder deren Nachfolger. Wir wollen zialrecht behalten kann. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26191

Karl Schiewerling (A) Ich halte es für notwendig, die Sozialgesetzbücher erziehung in der früheren Bundesrepublik an der Ruhr- (C) – das ist ein Ergebnis der vielen Petitionen, die sich da- Universität Bochum in Auftrag gegeben. Auch der Land- mit beschäftigen – darauf durchzusehen, wo welche schaftsverband Westfalen-Lippe, die Bodelschwinghschen Sachverhalte aufeinander abgestimmt werden können. Anstalten und viele andere haben an diesem Thema ge- Wenn zum Beispiel bei einer Rehabilitationsmaßnahme arbeitet. Lohnersatzleistung gezahlt wird und die im Haushalt des Rehabilitanden lebenden Stiefkinder bei der Berechnung Ich freue mich sehr, dass wir nach vielen Gesprächen der Leistung nicht berücksichtigt werden, in demselben mit Vertretern der Heimkinder, der Träger und der Wis- Haushalt aber bei Leistungen nach der Grundsicherung senschaft fraktionsübergreifend beschlossen haben, ei- für Arbeitsuchende Stiefkinder sehr wohl mit einbezo- nen Runden Tisch einzurichten. Ich bin sicher, dass gen werden, so ist das nur schwer erklärbar und nicht Dr. Antje Vollmer diesen Runden Tisch kompetent, um- mehr darstellbar. Wir müssen auch in den Sozialgesetz- sichtig und zielstrebig leitet. Dafür gebührt ihr unser al- büchern Gleiches gleich behandeln. Diesbezüglich sehe ler Dank. ich dringenden Handlungsbedarf. (Beifall im ganzen Hause) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Dank gilt auch dem Bundesfamilienministerium, das neten der SPD und der Abg. Katrin Kunert im Auftrag der Länder die begleitende Koordination [DIE LINKE]) übernommen hat. Ohne Zweifel hat mich und uns in dieser Legislatur- Große Sorgen – das will ich hier nicht verheimlichen – periode die Petition der ehemaligen Heimkinder am bereitet mir in diesem Zusammenhang die aktuelle Ent- meisten bewegt. Vieles kam da zusammen: Lebens- wicklung. Wie man einem Bericht der Frankfurter All- schicksale der Kriegs- und Nachkriegszeit mit psycholo- gemeinen Zeitung vom 13. Juni 2009 entnehmen konnte, gisch belastenden Problemen für Eltern und Erzieher nutzen einige Rechtsanwälte die schwierige Situation und vielleicht daraus resultierender Machtmissbrauch des Vereins ehemaliger Heimkinder und die Situation und Übergriffe auf Schutzbefohlene. Das ist ein hoch- von ehemaligen Heimkindern aus, um die Konflikte auf komplexes Thema. dem Buckel der ohnehin schon Betroffenen in ihrem Der Petitionsausschuss hat es sich – wie Frau Sinne noch einmal neu auszutragen. Rupprecht das schon dargestellt hat – mit dieser Petition (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE nicht einfach gemacht. So entstand in einem Beratungs- GRÜNEN]: Zum Teil auch ehemalige Rechts- zeitraum von mehr als drei Jahren ein ungewöhnliches anwälte!) Verfahren im Petitionsausschuss mit einem für den Peti- (B) tionsausschuss ungewöhnlichen Ergebnis, das der Situa- Finanzielle Forderungen standen im Übrigen bei der Pe- (D) tion der Betroffenen Rechnung trägt. Ja, ich war und bin tition nicht im Mittelpunkt; vielmehr standen die Le- wie die übrigen Mitglieder des Petitionsausschusses bensschicksale im Mittelpunkt. auch von dem individuell erlebten Unrecht, von dem uns ehemalige Heimkinder in nichtöffentlichen Sitzungen Noch mehr irritiert mich die in dem FAZ-Artikel ent- berichtet haben, tief bewegt und betroffen. haltene Information, dass die Giordano-Bruno-Stiftung, eine, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb, Dennoch – Frau Rupprecht hat es gesagt – hätten wir „neuatheistische Stiftung“, die sich offensichtlich dem es uns auch einfach machen können. Wir hätten die Peti- Kampf gegen Kirche und Religion widmet, nun die Situ- tion einfach an die Landesparlamente weitergeben kön- ation ehemaliger Heimkinder ebenfalls für ihre Interes- nen. Denn der Bund war damals nicht der Handelnde, er sen nutzt. hatte keine Aufsicht und keine Zuständigkeit. Wir waren uns aber einig, dass wir diesen Menschen, die in diesem Ich wünsche sehr, dass der Runde Tisch in Ruhe ar- Abschnitt der deutschen Geschichte gelebt haben, so beiten kann. Das entspricht auch dem Wunsch des Peti- nicht gerecht geworden wären. tionsausschusses. Ich kann nur warnend darauf hinwei- sen, dass sich Außenstehende das Schicksal ehemaliger In der Petition der ehemaligen Heimkinder ging es Heimkinder zunutze machen und auf deren Rücken nun um eine sehr zentrale Frage. Es ging darum – das wurde ihre eigenen Interessen verfolgen. Ich bin sicher, dass übrigens in allen Gesprächen deutlich –, dass die nun ins die Anliegen ehemaliger Heimkinder beim Runden Alter gekommenen ehemaligen Heimkinder ein Anrecht Tisch gut aufgehoben sind und dass dort sehr geordnet darauf haben, dass das in ihrer Kinder- und Jugendzeit und sehr geplant daran gearbeitet wird, dass ihren Inter- Erlebte in Worte gefasst, bekannt und so durch Gesell- essen und den Interessen aller anderen Rechnung getra- schaft und Staat wahrgenommen wird. gen wird. Die Erfahrungen waren damals durchaus unterschied- Meine Damen und Herren, für die gute und vertrau- lich. Bei weitem nicht jeder, der in einem Heim war, ist ensvolle Zusammenarbeit auch in dieser Frage danke ich misshandelt worden. Die genaue Zahl ist übrigens auch den Kolleginnen und Kollegen sehr herzlich. Das war nicht bekannt. Aber diejenigen, die das erlebt haben, ha- nicht einfach, es war aber, wie ich meine, eine Stern- ben ein Anrecht darauf, dass gesehen wird, wovon ihr stunde guter Zusammenarbeit über alle Fraktionsgrenzen Leben geprägt und geformt war. Das muss aufgearbeitet hinweg. Ich danke sehr herzlich den Mitarbeiterinnen werden. Die Kirchen sind im Übrigen dabei. Sie haben und Mitarbeitern des Ausschussdienstes, die sich mit ein Projekt zur Erforschung der konfessionellen Heim- dieser Frage ebenso schwergetan haben wie wir, sowie 26192 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Karl Schiewerling (A) den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Fraktionen Berufsgenossenschaft stellte sich auf den Standpunkt, (C) und in den Abgeordnetenbüros. den Differenzbetrag solle er sich von der polnischen Seite holen. Angesichts der Europamüdigkeit in der Be- (Beifall im ganzen Hause) völkerung können wir gerade an diesem Beispiel deut- lich machen, dass wir nicht nur ein Europa der freien Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Märkte, sondern auch ein soziales Europa anstreben. Das Wort hat nun Clemens Bollen für die SPD-Frak- Hier konnte ein klarer Rentenbescheid erreicht werden, tion. der auch weitere Auswirkungen hat. Insofern ist dies ein konkretes Beispiel dafür, wie wir auch das Rentenrecht sozial mitgestalten können. Clemens Bollen (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im (Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause) Petitionsausschuss bestimmen die Anliegen der Bürge- Daher war es gut, dass dieser Mann eine Petition einge- rinnen und Bürger ganz direkt und unmittelbar unsere reicht hatte. Denn gerade bei den Renten der Berufsge- Tagesordnung. Das wurde hier in allen Berichten der nossenschaften steht noch eine ganze Menge Arbeit an, Kolleginnen und Kollegen aus dem Petitionsausschuss damit wir die sich verändernden Bedingungen stärker schon deutlich. Unser Bemühen, über die Fraktionsgren- mit einbeziehen können. zen hinweg nah bei den Menschen zu sein, ihre Sorgen und Nöte ernst zu nehmen, kann auch das Bild der Poli- Ein weiterer Bereich, der von uns oftmals unter- tik und der Politiker in ein besseres Licht rücken. Inso- schätzt wird, sind die Formulare. Ich meine die Amts- fern arbeiten wir erfolgreich. sprache, die für die Menschen doch komplizierter ist, als wir uns das als Parlamentarier vorstellen können. Hier Wichtig ist insbesondere, dass wir im Dialog mit den konnten wir die oftmals komplizierte Sprache der For- Menschen stehen. 18 000 Eingaben, 600 000 Unterschrif- mulare bei der Bundesagentur für Arbeit – dies betrifft ten und Tausende Diskussionsbeiträge im Internet zeigen gut Hunderttausende oder gar Millionen Menschen – mit einerseits, dass von Politikverdrossenheit in unserem verändern. Dieser Erfolg wird zwar nicht groß mit der Bereich keine Rede sein kann. Andererseits zeigt all das Pauke verkündet, aber das hat trotzdem eine Verbesse- aber auch, wie viel Handlungsbedarf besteht. Man kann rung gebracht. Dies gilt auch für das Einbringen von vie- das Ganze von daher auch als gelebte Demokratie be- len Novellierungen. zeichnen. Die Kritik an bestehenden Gesetzen und Ver- hältnissen oder an ungerecht empfundenen Entscheidun- Die fraktionsübergreifende Arbeit ist – das wurde hier deutlich – sehr effektiv, auch wenn man bei dem einen gen ist auch eine Art von Motor, der die Politik antreibt. oder anderen Thema anderer Meinung ist. Beispiels- Deshalb dürfen wir diese Arbeit niemals als Bürde anse- (B) weise mussten wir bei der Anrechnung der Abwrack- (D) hen, sondern als Ansporn dazu, Fortschritte und Verbes- prämie auf Einkommen von Arbeitslosengeld-II-Emp- serungen für die Menschen zu erreichen. fängern Kompromisse machen, aber wir haben hier eine Liebe Kolleginnen und Kollegen, viele unserer Ar- Lösung gefunden. beitsschwerpunkte wurden hier schon angesprochen. Ich Vieles steht allerdings noch an. Beispielhaft nenne ich erinnere an das Schicksal von Heimkindern, das uns be- das Gutachterwesen bei Klageverfahren gegen Berufs- sonders betroffen gemacht hat. Das, was wir hier auf den genossenschaften oder die Massenpetitionen im Zusam- Weg gebracht haben, ist ein Erfolg für die gemeinsame menhang mit dem VW-Gesetz. Hier müssen sicherlich Arbeit im Petitionsausschuss. Die Berichte zeigten aber noch viele Diskussionen geführt werden. auch, dass im Bereich Arbeit und Soziales ein weiterer Schwerpunkt liegt. Ich erinnere nur an die 4 000 Peti- Ich möchte mich bei allen Kolleginnen und Kollegen tionen, die zu diesem Bereich eingereicht wurden. Kritik für die gute Zusammenarbeit bedanken. Obwohl ich an Abläufen der Arbeitsverwaltung oder Fragen zur mich zukünftig nicht mehr selbst darum kümmern kann Rente machen deutlich, welche Verantwortung wir ha- – ich verabschiede mich nämlich mit dieser Rede aus ben. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund der sich dem Hohen Hause, weil ich auf eigenen Wunsch hin aus- im Moment rasant verändernden Bedingungen aufgrund scheide –, bin ich mir doch dessen gewiss, dass alle The- der Finanz- und Wirtschaftskrise. Darauf müssen wir ge- men, also auch die noch anstehenden, bei Ihnen in besten nerell schnell reagieren. Damit können wir auch deutlich Händen sind. machen – es ist, wie ich glaube, ganz wichtig, sich das Insbesondere möchte ich mich bei der Vorsitzenden, bewusst zu machen –, dass nicht jedes Gesetz in Stein der Kollegin Naumann, für die engagierte Leitung des gemeißelt ist. Gerade bei Themen wie Kurzarbeit, Ar- Ausschusses bedanken. Natürlich bedanke ich mich beitslosengeld und Rentenübergang müssen wir uns des- auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und bei halb einbringen. Ich glaube, das haben wir auch sehr en- Ihnen, Herr Winkler, für Ihre Einwürfe und engagierten gagiert getan. Diskussionen und bei Ihnen, Herr Baumann. Mein Dank gilt auch meiner Sprecherin, Frau Gabriele Lösekrug- Nun ein paar konkrete Fälle aus dem Bereich Arbeits- Möller, für die konstruktive Unterstützung. Ich wünsche und Rentenrecht, den ich bearbeite. Ihnen allen zum Wohle der Menschen in diesem Land al- Ein deutscher Bergbaukumpel, der in Polen und les Gute und viel Erfolg. Deutschland gearbeitet hatte, sollte, nachdem er sich die Herzlichen Dank. Bergmannskrankheit zugezogen hatte, von der Berufs- genossenschaft nur einen geringen Betrag erhalten. Die (Beifall im ganzen Hause) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26193

Clemens Bollen (A) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Anfang ein bisschen schwach war, durch die gemachten (C) Lieber Kollege Bollen, das war Ihre letzte Rede im Vorschläge ein bisschen aufgepeppt worden ist. Nun soll Deutschen Bundestag. Herzlichen Dank für Ihre jahre- nach drei Jahren eine Evaluation stattfinden. Wir sagen lange Arbeit, auch im Petitionsausschuss. Wir alle wün- auch: Erst löschen, dann stoppen. Darüber hinaus soll es schen Ihnen noch viele schöne, heitere und erfolgreiche Gremien geben, die die Kontrolle ausüben. Das alles Jahrzehnte in Ihrem Leben. Alles Gute! sind Anregungen, die in Gesprächen zwischen unserer Fraktion und der Petentin aufgegriffen worden und in (Beifall) den Gesetzentwurf eingeflossen sind. Das letzte Wort in dieser Debatte hat Kollege Klaus Ich bitte diejenigen, die mitgezeichnet haben, jetzt Hagemann für die SPD-Fraktion. nicht zu resignieren. Denn das Ganze – ich sage es noch einmal – fällt nicht der Diskontinuität zum Opfer. Im Pe- Klaus Hagemann (SPD): titionswesen kennen wir die Diskontinuität nämlich Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- nicht. Wir werden dieses Thema in der nächsten Legisla- gen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr turperiode behandeln und entsprechende Evaluationen Präsident hat gesagt, dass ich in dieser Debatte das letzte durchführen. Wir bitten die Betroffenen darum, dass sie Wort habe. Das ist immer angenehm, weil man das eine ihre Bedenken und ihre Äußerungen einbringen, sodass oder andere aufgreifen und vielleicht auch richtigstellen wir darüber beraten können. kann. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Die Reform des Petitionswesens hat sehr viel Lob und Anerkennung gefunden, und es war gut, dass wir die mo- Ein weiteres Kapitel, das schon vom Kollegen dernen Medien hier mit einbezogen haben. Lieber Kol- Winkler angesprochen worden ist, ist das Thema „Gene- lege Storjohann und lieber Kollege Josef Winkler, dies ration Praktikum“. Wir sind am Anfang der Legislatur- hat bei einer gemeinsamen Dienstreise, die wir nach periode als Tiger gestartet und am Ende, jedenfalls in- Schottland unternommen haben – Dienstreisen sind haltlich gesehen, als Bettvorleger gelandet. Denn es ist manchmal auch sinnvoll –, seinen Anfang genommen. ruhig um dieses Thema geworden. Aber das Problem ist immer noch vorhanden, dass viele Praktikantinnen und (Heiterkeit – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Praktikanten ausgenutzt werden und ihre Karriere nicht Kommt drauf an, was man daraus macht! – voranbringen können, obwohl wir in der Wirtschaft Dr. Michael Bürsch [SPD]: Immer! – Clemens Fachkräfte brauchen. Deswegen müssen wir, Herr Kol- Bollen [SPD]: Immer! Generell!) lege Schulz, dieses Thema in der nächsten Legislaturpe- – Immer? Gut. Sie sind sinnvoll. riode wieder auf die Tagesordnung setzen. (B) (D) Herr Staatssekretär, vielen Dank, dass Sie als einziges Jetzt möchte ich mich an den Kollegen Winkler und Mitglied der Bundesregierung die gesamte Zeit bei der die Grünen wenden: Wir haben es dann auch in Entwür- Beratung anwesend sind. Wir hoffen, dass Sie die Vor- fen umgesetzt, und da fiel mir das Zitat ein, Frau Kolle- schläge aus Ihrem Hause umsetzen können, damit die gin Naumann, das Sie eben gebracht haben: Die einen Praktikanten nicht weiter ausgenutzt werden. Ich bin gu- arbeiten, so hat Indira Gandhi gesagt, und die anderen ter Hoffnung, dass das gelingen wird. kassieren die Lorbeeren. Zwischenzeitlich beschäftigen sich auch wissen- Das ist hier nicht so. Vielen Dank, Kollege Storjohann, schaftliche Organisationen – ich nenne die Fraunhofer- dass Sie uns so gelobt haben. Schließlich hattet ihr am Gesellschaft und die Max-Planck-Gesellschaft – mit der Anfang Bedenken, und es hat eine lange Zeit gedauert, Frage, wie man vorhandene Kräfte nutzen kann, sodass bis wir es gemeinsam einbringen konnten. Die Anstöße sie unserer Wirtschaft nicht verloren gehen. Ich sage es sind aber gekommen. Ähnliches gilt beim Ganztags- noch einmal: Der Fachkräftemangel ist auch in Zeiten schulprogramm oder bei der Integrationsarbeit: Spät ist der Wirtschaftskrise spürbar. Deswegen muss hier ge- gut, aber nie ist schlecht. Deswegen sind wir froh, dass handelt werden. wir es jetzt so hinbekommen haben. Ich habe davon gehört, dass es in den Niederlanden Den Erfolg können wir bei der Massenpetition „Be- ein sehr interessantes Projekt gibt, das dafür sorgt, dass kämpfung der Kinderpornografie in Kommunikations- auf der einen Seite die jungen Menschen weder ausge- netzen“ sehen. Den Gesetzentwurf haben wir beschlos- grenzt noch ausgenutzt werden und dass sie auf der an- sen. 140 000 haben mitgezeichnet und viele Bedenken deren Seite ihre wissenschaftlichen Kenntnisse einbrin- geäußert. gen können. Wir sollten uns dieses Modell zusammen (Beifall des Abg. Jörg Tauss [fraktionslos]) mit der Wissenschaft und dem Bundesverband der Deut- schen Industrie näher anschauen – denn auch der BDI ist Leider konnten wir diese Massenpetition nicht mehr so der Meinung, es sei ein interessantes Modell –, sodass behandeln, wie es sich gehört. Ich gehe allerdings davon wir in der Lage sind, entsprechende Vorschläge zu ma- aus und fordere dies schon heute, dass wir dies in der chen. nächsten Legislaturperiode tun. Denn es gibt eine ganze Menge Anregungen – Frau Vorsitzende, ich schaue in Ein weiteres Beispiel. Ich gehe nur kurz darauf ein, Ihre Richtung –, und sie sind teilweise auch schon mit in weil meine Redezeit fast zu Ende ist. Wir hatten viele den Gesetzentwurf eingeflossen, sodass dieser uns von Petitionen zum Thema BAföG, Herr Kollege Müller. Frau von der Leyen vorgelegte Gesetzentwurf, der am Diese haben wir zum großen Teil aufgegriffen. Hier 26194 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Klaus Hagemann (A) müssen auch die Behörden, die für den Vollzug verant- Berichterstattung: (C) wortlich sind, näher hinschauen. Auch das haben wir Abgeordnete Beatrix Philipp festgestellt. Dafür sind die Länder zuständig. Insbeson- Dr. Michael Bürsch dere eine Forderung haben wir in die Gesetzgebung ein- Gisela Piltz fließen lassen, nämlich die Forderung, das BAföG deut- Jan Korte lich zu erhöhen. Ich bin froh und stolz darauf, dass uns Silke Stokar von Neuforn das gelungen ist. b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jörg richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) Tauss [fraktionslos]) – zu dem Antrag der Abgeordneten Gisela Piltz, Mit Unterstützung des Petitionsausschusses konnten im Hans-Michael Goldmann, Sabine Leutheusser- letzten Oktober eine Erhöhung des BAföG um 10 Pro- Schnarrenberger, weiterer Abgeordneter und zent und eine Erhöhung der Freibeträge um 8 Prozent er- der Fraktion der FDP reicht werden. Auch das ist ein wichtiger Punkt. Auf die- sem richtigen Weg müssen wir weitergehen. Datenschutz im nicht öffentlichen Bereich verbessern Frau Binder, Sie hatten die personelle Erweiterung des Ausschussdienstes angesprochen. Still und heimlich – zu dem Antrag der Abgeordneten Gisela Piltz, haben Frau Kollegin Lösekrug-Möller und ich zusam- Ernst Burgbacher, Jens Ackermann, weiterer men mit den Damen und Herren des Ausschussdienstes Abgeordneter und der Fraktion der FDP – in diesem Zusammenhang einen herzlichen Dank an sie – bei den Haushaltsberatungen mit dafür gesorgt, Datenschutz-Audit-Verfahren und Daten- dass hier mehr Stellen zur Verfügung gestellt werden. So schutz-Gütesiegel einheitlich regeln steht für die Arbeit mit den modernen Medien, die in die – zu dem Antrag der Abgeordneten Silke Stokar Arbeit des Petitionsausschusses Einzug gehalten haben, von Neuforn, Kai Gehring, Monika Lazar, wei- mehr Personal zur Verfügung. Auch da ist gehandelt terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- worden. NIS 90/DIE GRÜNEN Meine letzte Anregung. Dieses Jahr feiern wir Datenschutzaudit umsetzen – Gütesiegel 60 Jahre Petitionsausschuss. Es gibt den Verein „Freun- stärkt Bürgerrechte und schafft Akzeptanz de des Petitionswesens“ in Bremen. Herr Bockhofer ist für wirtschaftliche Innovationen hier besonders zu nennen. Er hat eine Ausstellung vorbe- (B) (D) reitet, die im Moment noch bei ihm zu Hause steht. – zu dem Antrag der Abgeordneten Silke Stokar Wenn es uns gelingt, 10 000 bis 15 000 Euro aufzutrei- von Neuforn, Volker Beck (Köln), Birgitt ben, dann können wir diese Ausstellung möglichst noch Bender, weiterer Abgeordneter und der Frak- dieses Jahr oder spätestens nächstes Jahr im Deutschen tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bundestag zeigen. Ich glaube, Herr Bockhofer sowie seine Freundinnen und Freunde haben es verdient. Datenschutz stärken – Bewusstsein schaffen – Datenmissbrauch vorbeugen Herzlichen Dank an alle, die hier zum Erfolg der Ar- beit des Petitionsausschusses im Interesse der Menschen – Drucksachen 16/9452, 16/1169, 16/1499, beigetragen haben. 16/10216, 16/13657 – Vielen Dank. Berichterstattung: Abgeordnete Beatrix Philipp (Beifall im ganzen Hause) Dr. Michael Bürsch Gisela Piltz Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Jan Korte Ich schließe die Aussprache. Silke Stokar von Neuforn Ich rufe die Tagesordnungspunkte 69 a bis 69 c auf: c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- (11. Ausschuss) regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Datenschutzaudits und zur – zu dem Antrag der Abgeordneten Brigitte Änderung datenschutzrechtlicher Vorschrif- Pothmer, Dr. Thea Dückert, Kerstin Andreae, ten weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 16/12011 – Rechte der Beschäftigten von Discountern Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- verbessern schusses (4. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Silke Stokar – Drucksache 16/13657 – von Neuforn, Kerstin Andreae, Volker Beck Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26195

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse (A) (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion letzten Tage hinein nicht geglaubt haben, dass es noch zu (C) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einer Einigung innerhalb der Koalition kommen werde. Wir wären unserer Verantwortung aber nicht gerecht ge- Persönlichkeitsrechte abhängig Beschäftig- worden – davon bin ich fest überzeugt –, wenn wir dem ter sichern – Datenschutz am Arbeitsplatz nachgegeben hätten. Deswegen freue ich mich wirklich stärken darüber, dass wir nach diesen langwierigen und inten- – zu dem Antrag der Abgeordneten Jan Korte, siven Verhandlungen das Ziel der Verabschiedung der Wolfgang Nešković, Sevim Dağdelen, weiterer Datenschutznovelle II erreichen werden. Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Datenschutz für Beschäftigte stärken bei Abgeordneten der FDP) – zu dem Antrag der Abgeordneten Gisela Piltz, Natürlich ist niemandem verborgen geblieben, was Dr. Heinrich L. Kolb, Jens Ackermann, weite- Kundige immer schon wussten: dass Datenschutz stets rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP auch eine Frage der Abwägung ist. In dem jetzt hinter Schutz von Arbeitnehmerdaten durch trans- uns liegenden Gesetzgebungsverfahren wurde das so parente und praxisgerechte Regelungen ge- deutlich wie selten zuvor. Kein Wunder, die Menschen setzlich absichern erwarteten nach den Datenschutzskandalen bei der Tele- kom, bei Lidl, bei der Deutschen Bahn und bei anderen, – Drucksachen 16/9101, 16/9311, 16/11376, dass die Politik und, ganz konkret, der für den Daten- 16/12670, 16/13364 – schutz zuständige Innenminister Dr. Schäuble darauf re- Berichterstattung: agieren und auch agieren würde; das hat der Innenminis- Abgeordnete Anette Kramme ter auch getan: Auf dem sogenannten Datenschutzgipfel wurden Eckpunkte formuliert, die, was Kundige eben- Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein falls wissen, erst in und durch die parlamentarischen Be- Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. ratungen rund wurden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die An dieser Stelle muss es einmal gesagt werden – wir Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre haben im Innenausschuss eine intensive Debatte darüber keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. geführt –: Es zeugt von einem merkwürdigen Demokra- Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin tieverständnis und einem merkwürdigen Selbstverständ- Beatrix Philipp für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. nis von Abgeordneten der Opposition, wenn sie das nun (B) vorliegende Ergebnis, das massive und deutliche Verän- (D) (Beifall bei der CDU/CSU) derungen beinhaltet, benutzen, dummes Zeug zu be- haupten, etwa, wir hätten den Innenminister im Regen Beatrix Philipp (CDU/CSU): stehen lassen. Ich sage ganz ausdrücklich: Meine Frak- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die letz- tion und ich empfinden es – im Gegenteil – als besten ten Plenartage einer auslaufenden Legislaturperiode er- Beweis für Demokratie, wenn ein gewähltes Parlament zeugen bei vielen Kolleginnen und Kollegen eine merk- nicht nur nickt, sondern sich mit Gesetzentwürfen inten- würdige Stimmung. Je nachdem, was sie besonders siv auseinandersetzt und sie eben auch verändert. bewegt, erbringen die einen philosophische Glanzleis- tungen im Angesicht des Abschieds aus diesem Hohen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Hause, die anderen hinterlassen eine Art Vermächtnis für bei Abgeordneten der FDP) nachfolgende Generationen. Sogar Wehmut wird spür- Interessant ist, dass ein solches Verhalten bei den bar. Oft hatte ich den Eindruck, dass das Gefühl vor- Grünen völlig unüblich zu sein schien. Die SPD hat ge- herrschte, nach bestem Wissen und Gewissen für die lernt, weil sie sich früher mit „Basta!“ hat auseinander- Menschen in diesem Land gewirkt zu haben. Diese Ge- setzen müssen. Wir haben jedenfalls diskutiert. Ich danken haben mich in den letzten Tagen häufiger berührt denke, wir können mit dem Ergebnis zufrieden sein. und machten – das gebe ich ehrlich zu – den Einstieg in das heutige Thema nicht einfacher, zumal bis in die letz- Wie gesagt: Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein ten Tage hinein in den Medien zum Teil falsch berichtet Beispiel für die Handlungsfähigkeit der Großen Koali- wurde. tion bis zum letzten Tag. Man merkt dem Entwurf aber Zur Sache. Ich habe den Auftrag, Sie mit dem Ergeb- auch den Verlauf der Verhandlungen an – auch das will nis ausgesprochen schwieriger Koalitionsverhandlun- ich deutlich sagen –: Er ist nur sehr schwer lesbar, wie gen bekannt zu machen, mit einem Ergebnis, von dem man immer wieder merken kann. Das trägt sicherlich jeder, aber auch wirklich jeder an einer anderen Stelle dazu bei, dass hier und da noch immer Irritationen be- sagen könnte: Das hätte ich viel lieber anders gehabt. züglich des Inhalts bestehen; das will ich gar nicht be- Aber jeder weiß, dass wir nicht alle zufriedenstellen streiten. Es wurden immer wieder – in einem intensiven konnten. Diskussionsprozess ist das eben so – Verhandlungser- gebnisse eingebaut. Immer wieder haben die vier betei- Ich will so ehrlich sein, Ihnen zu sagen: Wir wissen ligten Ministerien, die vier Arbeitsgruppen und schließ- auch, dass es Gruppierungen gab, die nach dem Motto lich auch die Ausschüsse und nicht zuletzt die beiden „Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte“ bis in die Fraktionen ihre Schwerpunkte und unterschiedlichen 26196 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Beatrix Philipp (A) Sichtweisen in die Gesprächs- und Koalitionsrunden ein- spiel der Versandhandel und die Presse. Auch hier haben (C) gebracht. Das wurde dann eingearbeitet. wir Abhilfe geschaffen: Künftig werden die Weitergabe und Nutzung von personenbezogenen Daten möglich Beim Datenschutzgipfel im September 2008 wurde sein, und zwar genau dann, wenn derjenige, der diese von den beteiligten Ministerien die Abschaffung des so- Daten zum Beispiel zu Werbezwecken nutzt, die Quelle genannten Listenprivilegs als wirksames Mittel zur Ver- der Daten angibt. So wird dem Verbraucher die Möglich- hinderung weiterer Datenskandale in Aussicht gestellt. keit gegeben, den Gang seiner Daten zu verfolgen und Außerdem sollte ein verpflichtendes Opt-in eingeführt genau dann zu stoppen, wenn er es nicht mehr will. werden, das heißt die ausdrückliche Zustimmung zur Weiterverwendung der Daten. Meine Fraktion und ich (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) haben sehr schnell erkannt, dass ein uneingeschränktes Diese Angaben von Quellen sind für die Wirtschaft ab- Opt-in für die Wirtschaft unzumutbar wäre. solut zumutbar. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Meine Damen und Herren, natürlich sind auch Wün- Jan Korte [DIE LINKE]: Das sagt die Wirt- sche an uns herangetragen worden – das möchte ich schaft!) ebenfalls ehrlicherweise sagen –, von denen ich be- – Herr Korte, man muss sich natürlich mit denen ausei- haupte, ihre Erfüllung hätte zwar dem eigenen Vorteil nandersetzen, die Kritik üben. Das haben wir gemacht. gedient, aber nicht der Sache. Deshalb ist ihnen nicht Die Argumente der Kritiker waren sehr glaubwürdig und Rechnung getragen worden. überzeugend. Deswegen haben wir einen Teil der Argu- Meine Redezeit erlaubt es leider nicht, intensiver und mente aufgenommen. Darauf komme ich gleich noch zu vollständiger auf Details einzugehen. Aber ich nutze die sprechen. verbleibende Zeit gerne, um dankzusagen, zunächst den Es stellte sich auch heraus, dass ein generelles Verbot Damen und Herren in den Ministerien. Mit einer unge- des Handels mit persönlichen Daten die Verbraucher vor heuren Geduld sind die jeweils vorgetragenen Wünsche kriminellen Machenschaften nicht schützen würde. So der Koalitionäre nach jedem Gespräch an erster Stelle im haben die Fachgespräche mit Vertretern von Handwerk Innenministerium, aber auch im Justiz-, Verbraucher- und Mittelstand, mit dem Versandhandel, mit Spenden- schutz- und Wirtschaftsministerium oft fast rund um die organisationen, mit Markt- und Meinungsforschung, mit Uhr umgesetzt worden. der Werbewirtschaft, mit den Verlegern, mit potenziellen Ich habe dem Kollegen Dr. Bürsch dankzusagen. Ich Existenzgründern, mit unzähligen Interessenvertretern werde ihn nach so vielen Jahren als Kopiloten im Daten- und mit Datenschützern dazu geführt, dass diese massi- schutz vermissen; ich denke, das darf man hier deutlich (B) ven Bedenken gehört wurden und zum Teil Berücksich- sagen. (D) tigung gefunden haben. (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Sie haben ja Alle haben ungewöhnlich heftig reagiert, aber auch noch mich, Frau Philipp!) sehr differenziert, Herr Korte, und glaubwürdig, das heißt, überzeugend in ihren Argumenten. Vielleicht ist – Ja, aber Sie sind nur ein Ersatz, Herr Wiefelspütz; auch der Zeitpunkt ein besonders ungünstiger gewesen. Auf das darf ich heute sagen. das Experiment, eine solche völlige Umkehr zu vollzie- (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Vom Kopilo- hen zu einem Zeitpunkt, zu dem es Existenzprobleme ten zum Bruchpiloten!) gibt – wir stecken in einer schwerwiegenden Krise –, wollten wir uns in keinem Fall einlassen. Alle, die beteiligt waren, einte stets der Wunsch, den Datenschutz nach vorn zu bringen; sonst wäre dieses Er- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) gebnis nicht denkbar gewesen. Selbst der Datenschutz- Wie gesagt: Die Argumente waren glaubwürdig und beauftragte, der auf der Besuchertribüne sitzt, ist wei- überzeugend. Deswegen trägt das Ergebnis, das die Ko- testgehend zufriedengestellt. alition jetzt vorlegt, den Bedenken der Wirtschaft, der Meine Damen und Herren, auch die Berichterstatterin Verbraucher und nicht zuletzt der Datenschützer weitest- der Grünen, Frau Stokar von Neuforn, hatte in den letz- gehend Rechnung. Die ernst zu nehmenden Bedenken ten Jahren den Wunsch, den Datenschutz nach vorne zu haben uns bewogen, den Grundsatz des Opt-in zwar bei- bringen. Sie setzte zwar immer andere Schwerpunkte als zubehalten, aber Ausnahmen zuzulassen. Als Beispiel wir, aber immerhin. Liebe Frau Stokar, auch wenn Sie nenne ich die berechtigten Interessen der Spendenorga- aus verständlichen Gründen nicht als Berichterstatterin nisationen und der für sie Tätigen, die nicht nur um ihre Ihrer Fraktion in dieses Gesetzgebungsverfahren einge- eigene Existenz fürchteten, sondern um das gesamte bunden waren, Spendenwesen im sozialen Bereich. (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Erfreulicher- Mit der Beipack- und Empfehlungswerbung wollen weise! – Silke Stokar von Neuforn [BÜND- wir das Bewerben eigener Kunden durch die Unternehmen NIS 90/DIE GRÜNEN]: Man merkt es dem weiterhin zulassen. Zu Recht wurde zunächst bemängelt, Gesetzentwurf an!) dass es sich nur um eine sehr eng gefasste Ausnahme- regelung handelt. Es wurden weder Konzernstrukturen waren Sie bei den vielen gemeinsamen Gesprächen über berücksichtigt noch Wirtschaftszweige, die auf direkte das Thema Datenschutz und bei anderen Gelegenheiten Werbeansprachen dringend angewiesen sind, zum Bei- in den vergangenen Jahren stets eine faire Kollegin. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26197

Beatrix Philipp (A) (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Übertreiben Hintergrund muss ich sagen: Ich finde es klug und rich- (C) Sie nicht!) tig, dass wir den teilweise durchaus polemischen Forde- rungen nicht gefolgt sind und überzogene Weltunter- Dafür möchte ich mich bei Ihnen ausdrücklich bedan- gangsszenarien nicht ernst genommen haben, sondern ken. wenigstens einen Schritt in die richtige Richtung ma- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem chen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- geordneten der FDP und der LINKEN) Allerdings, liebe Kollegin Philipp, ist eines richtig: In dieser Legislaturperiode ist kein Gesetz aus dem Hause Abgesehen von den gesetzlichen Regelungen bleibt des Bundesinnenministers so sehr verändert worden wie es eine ständige Verpflichtung, den Menschen nahezu- dieses, kein einziges. bringen, dass das Recht auf informationelle Selbstbe- stimmung mit der Pflicht, verantwortungsbewusst und (Dr. Michael Bürsch [SPD]: Zu seinem Vor- sparsam mit den eigenen persönlichen Daten umzuge- teil! Das kann man doch so sagen, oder? – Ge- hen, einhergeht. Daran müssen wir alle arbeiten, auch in genruf der Abg. Silke Stokar von Neuforn der nächsten Legislaturperiode. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! – Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Aber das ist doch Ich danke Ihnen. nichts Schlimmes, oder?) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Ich hätte mir gewünscht, dass sich die sogenannte Große bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- Koalition, die sich im Innenausschuss dafür gefeiert hat, NISSES 90/DIE GRÜNEN) den Parlamentarismus entdeckt zu haben, auch bei dem einen oder anderen Gesetzgebungsverfahren entspre- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: chend verhalten hätte. Das muss einmal gesagt werden. Ich begrüße den Datenschutzbeauftragten. Ich nehme an, dass es zu seiner Arbeit gehört, hier zu sein und diese (Beifall bei der FDP – Beatrix Philipp [CDU/ Debatte zu verfolgen. CSU]: Na, na, na! – Reinhard Grindel [CDU/ CSU]: Da war es ja nicht nötig!) Ich gebe der Kollegin Gisela Piltz für die FDP-Frak- tion das Wort. Unsere Kritik am vorliegenden Gesetzentwurf haben wir in unserem Entschließungsantrag zusammengefasst. (Beifall bei der FDP) Zwei Punkte möchte ich betonen:

Gisela Piltz (FDP): Erstens bedauern wir sehr, dass es wieder einmal (B) (D) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! nicht für ein Gesetz zum Datenschutzaudit gereicht hat, Der soeben begrüßte Bundesbeauftragte für den Daten- sodass § 9 a Bundesdatenschutzgesetz auch nach acht schutz und die Informationsfreiheit hat in einer der letz- Jahren immer noch ins Leere läuft. Hält man sich vor ten Sitzungen des Innenausschusses darauf hingewiesen, Augen, dass wir diesen Punkt aus unserem gemeinsamen dass es in den letzten Legislaturperioden immer in der Antrag zum Bericht des Bundesdatenschutzbeauftragten letzten Sitzungswoche zu Verbesserungen beim Daten- gestrichen haben, weil alle Beteiligten der Meinung wa- schutz gekommen ist. Herr Schaar, Sie haben recht be- ren, dass er jetzt aufgegriffen wird, erscheint das umso halten. Herzlichen Dank für Ihre Arbeit! Geben Sie die- skurriler. Wir hätten uns, auch um den Datenschutz zu sen Dank bitte an Ihre Mitarbeiter weiter. Sie haben uns stärken, gewünscht, dass dieses Vorhaben jetzt umge- in der zu Ende gehenden Legislaturperiode immer sehr setzt wird. geholfen. Zweitens stand für uns, die FDP-Bundestagsfraktion, (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD von Anfang an fest, dass das zentrale Anliegen sein und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie müsste, jeden Bürger zum Herrn über seine Daten zu bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. machen, und zwar in verfassungsgemäßer Weise. Jörg Tauss [fraktionslos]) (Beifall des Abg. Jörg Tauss [fraktionslos]) Ich glaube, ich kann für alle, die sich in den letzten Monaten mit dieser Materie beschäftigt haben, festhalten Dass dies gelungen ist, wage ich zu bezweifeln. Aus un- – das gilt unabhängig von der jeweiligen Fraktion –: Mit serer Sicht ging es darum, jedem Einzelnen das Recht diesem Thema haben wir uns so umfassend beschäftigt einzuräumen, darüber zu entscheiden, ob jemand ande- wie mit kaum einem anderen Thema. Wir haben – Frau res mit seinen Daten Geld verdienen darf. Darum ging Philipp hat schon darauf hingewiesen – so viele Gesprä- es, um nichts anderes. che mit Vertretern von Verbänden und Firmen geführt, Wenn wir über Datenschutz reden, reden wir auch wie es, jedenfalls für mich, bei bisher keiner anderen Ge- über informationelle Selbstbestimmung. Wir sprechen setzesnovelle der Fall gewesen ist. also über ein Grundrecht mit Verfassungsrang. Es galt, Bedauernd muss ich feststellen: Nicht alle Gespräche die durchaus berechtigten Interessen der Branche gegen verliefen in einem angemessenen Rahmen. Nicht selten dieses Recht abzuwägen. Auch wir wägen nämlich ab, mussten wir uns vorwerfen lassen, wir hätten eigentlich auch wenn uns das in der Debatte heute Morgen abge- gar keine Ahnung, wovon wir sprechen, und man müsse sprochen wurde. Auch wir haben diese Interessen zur uns erst einmal erklären, worum es geht. Vor diesem Kenntnis genommen, und wir haben in der Anhörung ei- 26198 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Gisela Piltz (A) nen Kompromissvorschlag gemacht, den Sie jetzt, zu- Ausdruck gebracht –: Mein Dank gilt insbesondere (C) mindest teilweise, umgesetzt haben. Michael Bürsch und Silke Stokar. Ob die nun gefundenen Veränderungen und Über- (Beifall des Abg. Wolfgang Wieland [BÜND- gangsregelungen auf fruchtbaren Boden fallen und damit NIS 90/DIE GRÜNEN]) künftig insbesondere das Umhervagabundieren von Mil- Wir haben hier vieles verhandelt für den Datenschutz. lionen Datensätzen unterbunden werden kann, bleibt ab- Ich finde, dadurch, dass wir uns gemeinsam so bemüht zuwarten. Wir hätten eine Formulierungshilfe für die haben, auch in gemeinsamen Beschlüssen, ist der Daten- Einwilligungsregeln, auch im Sinne der Wirtschaft, für schutz sicherlich vorangekommen. Für meinen Teil: Ich klug gehalten. werde euch vermissen. Viel Erfolg, was immer ihr auch Zum Thema Arbeitnehmerdatenschutz hätte ich mir tut! heute eine eigene Debatte gewünscht. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP) der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Die ermattete Koalition hielt es aber nicht für nötig, sich darum weiter zu kümmern. Dass ich mich darüber är- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: gere, ist das eine. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeit- nehmer in Deutschland haben jedenfalls allen Grund, Der Kollege Michael Bürsch hat jetzt das Wort für die sich zu ärgern. SPD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der FDP)

Ich frage mich – das habe ich schon beim letzten Mal Dr. Michael Bürsch (SPD): gesagt –, ob die SPD als selbsternannte Arbeiterpartei Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- (Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Ausfall!) gen! Ich beginne mit einem Dank. Auch ich betrachte die Arbeit an dieser Datenschutznovelle als die sorgfäl- sich selbst überhaupt noch ernst nehmen kann. Seit elf tigste Arbeit, die ich in zwölf Jahren Bundestag vollbrin- Jahren stellen Sie den Arbeitsminister, seit elf Jahren ha- gen konnte und durfte. Nach den Datenschutzskandalen ben Sie nichts getan. vom letzten Sommer haben wir ein Jahr lang intensiv an diesem Werkstück gearbeitet, haben darum gestritten (Wolfgang Gunkel [SPD]: Warum die Pole- und sind am Ende zu einem, wie ich meine, respektablen mik?) Ergebnis gekommen, zu einem Ergebnis, das, wie ich im (B) (D) Noch in der letzten Debatte hat die Kollegin Kramme Ausschuss schon gesagt habe, die Tür zum Datenschutz hier groß angekündigt, noch in dieser Legislaturperiode des 21. Jahrhunderts öffnet. Das ist der erste Schritt. Wir werde ein Gesetzentwurf zum Arbeitnehmerdatenschutz haben Pflöcke eingeschlagen. Wir sind beileibe noch kommen. Wie lange sollen die Arbeitnehmerinnen und nicht fertig; aber wir haben angefangen, das Daten- Arbeitnehmer darauf noch warten? Wie lange wollen Sie schutzrecht, das aus den 70er-Jahren stammt, an die die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer noch im Re- technischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte anzu- gen stehen lassen? passen. Darauf bin ich mit Ihnen zusammen, Kollegin- nen und Kollegen, schon ein bisschen stolz. Im Kölner Stadt-Anzeiger war die folgende span- nende Aussage des Arbeitsministers zu lesen: Ich danke für die kräftige Mitwirkung Dieter Wiefelspütz, meinem engagierten Sprecher. Wichtig ist, dass wir immer schneller sind als die Probleme. … Wir handeln schnell, wenn und wie es Ich danke Hans Peter Bull, dem ersten Bundesbeauf- die Situation erfordert. tragten für den Datenschutz, der uns, was uns sehr zugu- tegekommen ist, über die ganze Strecke begleitet und (Lachen des Abg. Hartfrid Wolff [Rems-Murr] beraten hat. [FDP] – Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Sie laufen den Problemen hinterher; aber die Pro- Ich danke auf der Arbeitsebene Till Rothfuß, der uns bleme sind schneller!) manches erleichtert hat und uns manchen Fehler erspart hat. Offensichtlich hat er sich da selber nicht richtig verstan- den. Wir bedauern das sehr. Die Arbeitnehmerinnen und Frau Kollegin Philipp, ich gebe das gerne zurück: Wir Arbeitnehmer hätten einen besseren Arbeitnehmerdaten- waren zusammen Kopiloten, auch in manchem Schleu- schutz verdient. dersitz saßen wir zusammen; aber es hat Spaß gemacht, und es hat uns vorangebracht. Wir werden abwarten, ob die heute zu beschließenden Regelungen tatsächlich klare und praktizierbare Rah- Herrn Uhl gilt besonderer Dank. Es ist schon ange- menbedingungen für alle Beteiligten bieten. Wir werden deutet worden: Dieses Gesetz stand tatsächlich auf der uns das genau anschauen. Kippe, weil bei diesem Thema verschiedene Interessen betroffen sind, die nicht einfach unter einen Hut zu brin- Zum Schluss muss ich – nicht dass Sie Sorgen haben; gen sind. Aus meiner Sicht haben Sie das Ganze in letz- denn ich werde dem Hohen Haus ja weiter angehören – ter Minute gerettet. Ich finde, das Gesetz ist es wert. noch eines sagen – Beatrix Philipp, du hast es schon zum Herzlichen Dank, Herr Uhl! Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26199

Dr. Michael Bürsch (A) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Wir haben den Arbeitnehmerdatenschutz, jedenfalls in (C) CDU/CSU) einer ersten Tranche, berücksichtigt: Persönliche Daten, die für das Beschäftigungsverhältnis erhoben werden, Auch die Zusammenarbeit mit dem Ministerium, mit dürfen grundsätzlich nicht anderen Zwecken dienen. Wir Minister Schäuble, mit Herrn Beus, hat durchaus Freude haben die Auftragsdatenverarbeitung verbessert, und wir gemacht und das Projekt vorangebracht. haben den Datenschutzaufsichtsbehörden zum ersten Ich danke natürlich auch dem hier auf der Tribüne an- Mal ein umfängliches und umfassendes Eingriffsrecht wesenden Bundesbeauftragten für den Datenschutz, gegeben, das sie vorher nicht hatten. Diese Lücke gab es Herrn Schaar, der für uns auch sonnabends und sonntags seit den 70er-Jahren, was nicht verständlich ist. Wir ha- erreichbar war. ben die Sanktionen verschärft und Möglichkeiten der Ge- winnabschöpfung geschaffen. Auch im Bereich des Ver- (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Nicht übertrei- braucherschutzes haben wir durchaus einiges getan. Die ben!) Einwilligung zur Einzelgewinnung der Daten von Perso- nen ist natürlich erforderlich, und sie muss deutlich her- Er ist in der Tat ständig im Dienst; denn die Daten- vorgehoben werden. schutzverstöße finden auch am Sonnabend und Sonntag statt. Noch einmal: Vielen Dank! Sie haben unauffällig, Wir brauchen jetzt – das ist neu; dies hat der Daten- unaufdringlich und ohne die Öffentlichkeit zu suchen schutzbeauftragte in der Öffentlichkeit schon deutlich sehr viel dazu beigetragen, dass dies ein vernünftiges gemacht – die Herkunftsbezeichnung, damit den Ver- Gesetz wird. Ich kann Ihnen eines zurückgeben – wir ha- brauchern, den Bürgerinnen und Bürgern bei jeder Ver- ben darüber gesprochen –: Ihre Behörde ist zur Bewälti- wendung von Daten – ob das über Listen oder auf ande- gung der Aufgaben, die Sie jetzt zusätzlich bekommt, ren Wegen geschieht – deutlich gemacht wird, woher personell unterbesetzt. Da muss etwas passieren. diese Daten kommen, sodass sie wissen, bei wem sie sich beschweren müssen, um zu verhindern, dass persönliche (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Da muss am Daten weiterhin verwendet werden. Sonnabend gearbeitet werden!) Der ursprüngliche Gesetzentwurf ist durch die Ge- Ich habe beim Minister und beim Staatssekretär ange- setzgebungsarbeit in der Tat maßgeblich verbessert wor- fragt. Die Antwort lautete – so würden wir Schleswig- den. Diese Auffassung vertritt auch der Innenminister; er Holsteiner sagen –: Ik warr mi dorüm kümmern. Das hat mir das gestern gesagt. Er kann bei dieser Debatte heißt – konstruktiv gesagt –: Da passiert etwas. Sie kön- leider nicht anwesend sein kann, weil er einen zwingen- nen davon ausgehen: Das wird in den nächsten Wochen den Termin in Bayern hat. verhandelt. (B) Um es deutlich zu sagen: Durch das Gesetz wird es (D) Ein Dank geht natürlich auch an die Berichterstatter, keine Nachteile geben, sondern in jedem Falle nur Vor- die durch ihre wunderbar kritischen Anmerkungen das teile. Wir können meinethalben darüber streiten, ob ihr ganze Projekt vorangetrieben haben. Silke Stokar ist un- Anteil bei 50 Prozent oder 75 Prozent liegt; das ist egal. ersetzbar, egal in welchem Ausschuss sie arbeitet. Sie Es wird Vorteile für den gesamten Bereich des Daten- hat viel Zeit damit verbracht, immer die formale Anrede schutzes geben. Für die Wirtschaft ist dabei ein erträgli- zu wählen. Sie hat immer „Herr Vorsitzender! Meine ches und umsetzbares Konzept herausgekommen. Damen und Herren!“ gesagt. Dadurch hat sie stets ein Stück ihrer Redezeit vergeudet. Silke, wenn du noch ein- Mit dem Gesetzespaket wurden Schritte unternom- mal im Bundestag bist, dann lass das einfach weg. men, die in der nächsten Legislaturperiode tatsächlich weiterverfolgt werden müssen. Beim Arbeitnehmerda- Auch Jan Korte und Gisela Piltz haben uns nach Kräf- tenschutz haben wir einen ersten Schritt getan, indem ten unterstützt. Durch die Kritik, die wir erfahren haben, wir die bestehende Gesetzeslage kodifiziert haben; wir ist der Gesetzentwurf ein Stück besser geworden. haben festgehalten, was in den Urteilen steht. Wir müs- sen noch erheblich mehr für die Sicherheit im Umgang Ich sage zum einen ein paar Worte zum Inhalt der No- mit Daten tun, um dem gesamten Bereich Datenschutz velle und zum anderen zu der Verantwortung der Ver- gerecht zu werden. bände, die ich im Zusammenhang mit der Arbeit an die- sem Gesetzentwurf durchaus kritisieren möchte; das ist Ich möchte an dieser Stelle gerne einmal die Verant- bei Frau Piltz schon angeklungen. wortung der Lobbyisten, der Verbände und insbesondere der gemeinnützigen Organisationen ansprechen. Ich habe Der Inhalt dieses Gesetzes ist, um das auf einen Nen- Verständnis dafür, dass zugespitzt und mit dem Blick ei- ner zu bringen, ein vernünftiger Interessenausgleich zwi- nes Verbraucherschützers – mit dem Tunnelblick – man- schen den Interessen des Datenschutzes einerseits, der ches auch übertrieben wird; das ist völlig in Ordnung. Wirtschaft – sie dürfen wir dabei nicht vergessen – ande- rerseits und darüber hinaus des Verbraucherschutzes, der Ich akzeptiere gern auch etwas Polemik von Verbän- hier durchaus seinen Platz gefunden hat. Wir haben den den. Aber von gemeinnützigen Verbänden, also von Ver- Interessenausgleich wirklich hart erarbeitet. Wir haben bänden, die am Gemeinwohl orientiert sind, erwarte ich den Gesetzentwurf sorgfältig begleitet, und wir haben wenigstens einen ordnungsgemäßen Umgang mit der am Ende ein Ergebnis erreicht, durch das die Sicherheit Wahrheit. Leider lese ich in Presseerklärungen und leider der Daten, was Nutzung und Weitergabe angeht, erheb- höre ich in Kampagnen immer wieder Aussagen – zum lich vergrößert wird. Beispiel über diesen Gesetzentwurf –, die nicht mit der 26200 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Dr. Michael Bürsch (A) Wahrheit übereinstimmen; irgendetwas läuft da also Wagner und Hans-Ulrich Christiani. Ihre Arbeit war (C) falsch. mein Gerüst, mein Flugzeug, das mich hat fliegen las- sen. Mein Dank gilt diesen Personen. Das geht wahr- Transparency International etwa schreibt: scheinlich Ihnen allen so: Die Mitarbeiter verhelfen uns Auf keinen Fall kann aber akzeptiert werden, dass letztlich zu dem, was wir hier – hoffentlich erfolgreich – jetzt in einem Parforceritt eine unausgegorene Re- vollziehen können. gelung durchgepeitscht wird, die die Unsicherheit Vielen Dank. bei Beschäftigten und Unternehmen weiter erhöht, anstatt Klarheit zu schaffen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP Angesicht dessen kann ich der geneigten und wirklich und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) auch angesehenen Organisation Transparency Internatio- nal nur sagen: Liebe Leute, das kann nicht wahr sein. Es Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: ist altes Recht; es ist nicht neu geschaffen; es ist in Urtei- Lieber Herr Bürsch, Ihnen gebührt der Dank des gan- len festgelegter Arbeitnehmerschutz. – In diesem Falle zen Hauses für Ihre sachliche Arbeit und für Ihre guten geht es darum, dass kein Screening, keine Untersuchung Reden hier. Die Zusammenarbeit mit Ihnen war ganz of- von Daten und kein Datenvergleich stattfinden dürfen, fensichtlich eine sehr fruchtbare. Dafür danke ich Ihnen ohne dass es einen anfänglichen Verdacht gibt. Das ist im Namen aller und wünsche alles Gute für Ihren weite- für mich ein Rechtsstaatsprinzip, das wir immer hoch- ren Weg. halten wollen. Ich verstehe nicht, dass an dieser Stelle eine Kampagne losgetreten wird. Leider es gibt genü- (Beifall) gend Medien, die dabei mitmachen. Jetzt gebe ich das Wort dem Abgeordneten Jörg (Beifall der Abg. Gisela Piltz [FDP]) Tauss. Ich habe, wie wahrscheinlich alle anderen, genügend Anrufe auf diese Presseerklärung hin bekommen. Jörg Tauss (fraktionslos): Das Gleiche gilt für den Verbraucherschutz. Der oberste Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Verbraucherschützer hat wirklich in großem Stil eine Liebe Kollegen! Statt einer umfassenden Modernisie- Kampagne losgetreten – ich denke, zur eigenen Profilie- rung des Datenschutzes nach den größten Datenschutz- rung –, indem er sagte: Alles, was in dem Gesetzentwurf skandalen in der Bundesrepublik Deutschland sollen anfangs stand, um die Verbraucher besser zu schützen, ist heute Nachmittag nebenbei noch ein paar neue daten- schutzrechtliche Regelungen beschlossen werden. Als (B) zusammengedampft, herausverhandelt, gestrichen wor- (D) den; das ist nur noch eine Nullnummer; es ist ein Placebo- Abgeordneter der Piratenpartei sollte ich auf Wunsch Gesetz. – Das gibt nicht das wieder, was in dem Gesetz des Herrn Präsidenten an den Sitzungen des Innenaus- wirklich enthalten ist. schusses nicht mit Rederecht teilnehmen. Jetzt weiß ich auch, warum: Die Beratungen im Innenausschuss waren (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- außerordentlich interessant. Wie heute Nachmittag neten der SPD und der Abg. Gisela Piltz dankte man gegenseitig dafür, dass der Datenschutz nun [FDP]) etwas besser und wenigstens nicht schlechter geworden ist. Kollege Bürsch hat dies gerade in den wunderbaren Wenn an der einen oder anderen Stelle etwas verändert Satz gekleidet: Das Gesetz bringt keine Nachteile. worden ist – gut und schön. Aber auch ein solcher Ver- band muss am Ende bei der Wahrheit bleiben. Ich finde, (Dr. Michael Bürsch [SPD]: Nur Verbesserun- dass auf der anderen Seite ein Wort des Bedauerns ange- gen! Ja!) bracht ist. Nach den größten Datenschutzskandalen der Republik Dies ist mein letzter Versuch, eine gute Rede zu hal- bringen wir heute wieder etwas auf den Weg, was keine ten. Ich möchte damit enden, meinen Dank für die zwölf Nachteile bringt. Jahre, die ich hier Abgeordneter war – diese Jahre haben mir große Freude gemacht –, zum Ausdruck zu bringen. Dass Herrn Uhl, der den chinesischen Datenschutz Ich habe die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag als prima findet, in dieser umfassenden Form dafür gedankt ständige Fortbildungsveranstaltung empfunden: Ich durfte wurde, dass er den Gesetzentwurf nicht in letzter Minute Dinge lernen, die ich sonst gar nicht so intensiv hätte ler- verhindert hat, ist etwas bizarr. Liebe Kolleginnen und nen können, und ich konnte an der einen oder anderen Kollegen meiner früheren Fraktion, dieser Dank der Stelle Einfluss nehmen. SPD an die CDU/CSU erinnert mich an den Dank einer Frau an ihren gewalttätigen Ehemann, dass er sie künftig Ich möchte denjenigen Mitarbeiterinnen und Mitar- nur noch einmal statt wie bisher zweimal pro Woche ver- beitern Anerkennung aussprechen, die mich über zwölf prügelt. Ich glaube, das ist ein bisschen zu wenig. Jahre getragen haben und mir das ermöglicht haben, was ich in diesem Bundestag sein konnte. Die Namen dieser Was sind die Gründe dafür? Die Union ist an dem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter standen bisher nicht im Thema völlig desinteressiert. Frau Kollegin Philipp ist Protokoll. Es sind aus Berlin: Serge Embacher, Ruth das lebende Symbol dafür. Wenn man die Begriffe Da- Herzog und Sebastian Wehrsig. Herzlichen Dank! Es tenschutz und CDU googelt, findet man nicht viel. Die sind aus meinem Wahlkreis: Tatjana Zahnow, Anne CDU/CSU-Fraktion hat den Datenschutz blockiert. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26201

Jörg Tauss (A) Frau Kollegin Philipp, was Sie heute zu Herrn Jörg Tauss (fraktionslos): (C) Schäuble gesagt haben, ist schlicht falsch. Sie vergessen Es ist Zeit, das zu ändern: Piraten wählen! immer, dass das Netz nichts vergisst. Ausgerechnet Sie Ich danke Ihnen. haben dem armen Herrn Minister Schäuble noch vor kurzem vorgeworfen, er schieße beim Datenschutz über das Ziel hinaus. Dass Sie das ausgerechnet Herrn Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Schäuble vorwerfen, ist großes Kino. Jan Korte hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke. Die SPD-Fraktion ist heute des Lobes voll. Ich war früher bei der IG Metall für Tarifverhandlungen zustän- Jan Korte (DIE LINKE): dig. Ich stelle mir einmal vor, ich hätte damals als Ver- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! handlungsführer in einer Tarifkommission zu einem Ta- Der Gesetzentwurf, den wir heute abschließend beraten, rifvertrag verkündet: Ich habe erreicht, dass wir eine ist eine Reaktion auf zwei Vorgänge in unserer Gesell- geringere Lohnerhöhung bekommen, als die Arbeitgeber schaft, zum einen auf die unfassbaren Datenschutzskan- – im übertragenen Sinne Herr Schäuble und Herr Glos – dale der letzten Jahre. Ich denke, wir sind einer Meinung uns ursprünglich angeboten hatten. – Man hätte mich darüber, dass es unfassbar ist, wie mit persönlichen Da- zum Teufel gejagt. Zu diesen tollen Verhandlungen kann ten gezockt und gehandelt wurde. ich Ihnen nur gratulieren. Es wurde nicht einmal das er- reicht, was Herr Schäuble und Herr Glos in ihren Zum anderen ist es – das halte ich für eine gute Nach- Showveranstaltungen angekündigt hatten. Aber es bringt richt – auch eine Reaktion der Politik auf ein neues Be- wenigstens keine Nachteile. wusstsein für den Datenschutz in der Bevölkerung. Das sollten wir anerkennen. Die Politik ist gezwungen, sich Ein wesentlich innovativerer Ansatz wäre ein Daten- mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. schutzaudit gewesen. Der Staatssekretär hat mich noch im letzten Jahr aufgefordert, nachzuweisen, dass die Ich will zugestehen, dass es bei dem, was Sie als Ko- Wirtschaft ein solches Audit will. Das ist so ähnlich, als alition heute vorlegen, durchaus einige Verbesserungen würde man von Schafen erwarten, lieber von Wölfen als gibt, etwa im Bereich der Transparenz oder – das finde vom Schäfer bewacht zu werden. ich in der Tat wichtig – bei der Nachvollziehbarkeit der Datenherkunft. Das ist ein richtiger Schritt, und das (Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Das ist aber muss man anerkennen. alles sehr originell!) Ich kann Ihnen allerdings auch am letzten Tag der re- Das alles wundert einen aber nicht, wenn man weiß, gulären Sitzungswochen in dieser Legislaturperiode ein (B) wie die Union mit den Daten von Menschen umgeht, die Aber nicht ersparen. (D) sich beispielsweise auf ihre Homepage verirren. Dazu (Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Da überraschen gab es gestern interessante Informationen beim Nach- Sie uns aber sehr!) richtendienst heise online. Die Daten derer, die auf CDU-Seiten surfen, werden extern bearbeitet, ohne dass Das tut mir sehr leid. Ich hätte es Ihnen gerne erspart. der Nutzer dies weiß. Bei der CSU ist es noch doller. Die Aber wenn man Ihren Gesetzentwurf dem auf Schäubles liefern ohne ein entsprechendes Abkommen mit den Datenschutzgipfel angekündigten Paradigmenwechsel USA gleich ihre Daten zur Auswertung über den großen gegenüberstellt, dann stellt man fest, dass davon nicht Teich. viel übrig geblieben ist, so schade das ist. (Beifall des Abg. Jörg Tauss [fraktionslos]) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die Kernfrage, um die es in unserer Diskussion geht, Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen, bitte. ist: Erhalten die Bürger und Verbraucher ihr Selbstbe- stimmungsrecht und ihre Souveränität über ihre Daten Jörg Tauss (fraktionslos): zurück, die sie zwar ursprünglich hatten, die ihnen aber inzwischen verloren gegangen sind? Das ist die entschei- Sie haben recht, Frau Präsidentin. Aber da ich heute dende Frage. Wir müssen das Gesetz daran messen, ob voraussichtlich meine letzte Rede halte und Staatssekre- es das erfüllt. Ich bin aber mit den Verbraucherschutz- täre zehn Minuten überziehen konnten, will ich mit eini- zentralen einer Meinung, dass das Gesetz dieser Not- gen Schlusssätzen zum Ende kommen. wendigkeit nicht Rechnung trägt, obwohl es einige Ver- Wer bei der Union im Internet surft, ist in einem besserungen gibt. In der Summe kann man sagen: als rechtsfreien Raum. Die Antwort dieser Koalition auf die Tiger gestartet, als Bettvorleger gelandet. Herausforderungen des Datenschutzes als ein zentrales (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Bürgerrecht ist ein klägliches Versagen. Das Verspre- NIS 90/DIE GRÜNEN) chen, es in der nächsten Legislaturperiode besser zu ma- chen, ist nach dem, was wir ein Jahr lang an Verhinde- Ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz wurde schon an- rung und Blockaden erlebt haben, reine Show. gesprochen. Es ist gut, dass in § 32 des Bundesdaten- schutzgesetzes nun unmissverständlich klargestellt ist, dass die Daten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: mer grundsätzlich nicht mehr für andere Zwecke ver- Herr Kollege. wendet werden dürfen; das ist gut, gar keine Frage. 26202 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Jan Korte (A) Trotzdem ist es nicht das, was wir brauchen. Wir brau- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (C) chen ein eigenständiges Arbeitnehmerdatenschutzge- Jetzt hat Silke Stokar das Wort für Bündnis 90/ setz. Das wäre nach den Skandalen bei Lidl, der Tele- Die Grünen. kom und der Deutschen Bahn, bei der sogar Gewerkschafter ausgespitzelt worden sind, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) (Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Was heißt denn „sogar“?) Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE wirklich angemessen gewesen. Ich verstehe nicht, wa- GRÜNEN): rum wir das nicht hinbekommen haben, obwohl alle Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Fraktionen schon vor mehreren Jahren der Meinung wa- Kollegin Philipp, ich möchte Ihnen die Sache mit dem ren, dass wir ein solches Gesetz brauchen. Warum ist das Parlament und der Regierung noch einmal erläutern. Ich nicht möglich? Das ist schlicht unfassbar. Dafür hatten glaube, dass Sie meine Kritik falsch verstanden haben. wir über vier Jahre Zeit. Es ist richtig: Ich habe in Berlin an Demonstrationen des Arbeitskreises „Vorratsdatenspeicherung“ teilgenom- (Beifall bei der LINKEN) men. Dort gab es große Plakate, auf denen stand: „Stoppt Schäuble!“ Es wurde schon darauf hingewiesen: Das ist insbe- sondere dem Versagen der SPD geschuldet; das muss (Beifall des Abg. Jörg Tauss [fraktionslos]) man deutlich sagen. Wenn ich in der Süddeutschen Zei- Sie haben das aber völlig falsch umgesetzt. Ich habe das tung lese und auf Gewerkschaftstagen höre – das sind immer so verstanden – so war das auch gemeint –, dass durchaus bemerkenswerte Reden –, dass man endlich ein wir die Datensammelwut des Bundesinnenministers Arbeitnehmerdatenschutzgesetz braucht, und man ge- Schäuble im Bereich der Vorratsdatenspeicherung oder meinsam mit den Gewerkschaften Seite an Seite schrei- bei der Onlinedurchsuchung stoppen sollen. tet, kann ich nicht verstehen, warum man sich in der letzten Legislaturperiode nicht bemüht hat, ein Arbeit- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nehmerdatenschutzgesetz auf den Weg zu bringen. Das und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der ist sehr schade. Ich hoffe, dass wir in der nächsten Legis- LINKEN und des Abg. Jörg Tauss [fraktions- laturperiode ein solches Gesetz im Sinne der Beschäftig- los]) ten endlich auf den Weg bringen und dass Sie sich in Zu- kunft nicht mehr von einer penetranten Lobbyarbeit, wie Aber Sie, das Parlament, haben Schäuble gestoppt, als er versucht hat, ein paar kleine Regeln für den Datenschutz (B) ich sie noch nie erlebt habe, in die Knie zwingen lassen, (D) in der Privatwirtschaft aufzustellen. Meine Kritik zielt wenn es um den Datenschutz geht. nicht darauf, dass eine Regierungsfraktion ein Gesetz (Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Nein!) der Bundesregierung verändert. Aber ich habe zum ers- ten Mal erleben müssen, dass wir Datenschützer nicht Wir tun das nicht. Aber Sie haben das leider getan. Das treiben, die Gesetze der Bundesregierung zu verbessern. ist zu kritisieren. Sie haben es geschafft – das verkaufen Sie auch noch als Erfolg –, ein Gesetz von Herrn Schäuble noch zu ver- Um noch etwas Versöhnliches zum Schluss zu sagen: schärfen. Sie wollen weniger Datenschutz als der Bun- Es gibt einige Verbesserungen. Ich fand es ganz klasse, desinnenminister. mich in den letzten vier Jahren mit Herrn Bürsch und Silke Stokar öfter zu streiten. (Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Nein!) (Dr. Michael Bürsch [SPD]: Gisela nicht ver- Das hat es bisher nicht gegeben. Mein Ansatz ist immer: gessen!) Die engagierten Datenschützer treiben zusammen mit dem Parlament die Innenminister dazu, den Datenschutz Das hat durchaus Erkenntnisgewinn gebracht und das ernst zu nehmen. Das ist der Unterschied. Ich hoffe, dass Florett weiter geschärft. Mit Beatrix Philipp war es ei- das jetzt deutlich geworden ist. gentlich auch ganz cool, obwohl wir nicht oft einer Mei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nung waren. Aber das war ganz in Ordnung. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Meine Enkel- Zu den Punkten, in denen das Gesetz meiner Meinung kinder haben auch gesagt, ich wäre eine coole nach nicht ausreichend ist. Es reicht nicht, darauf hinzu- Oma!) weisen, dass ein Jahr lang intensiv beraten wurde. Denn In diesem Sinne: Es ist leider ein schlechtes Gesetz, Sie haben nach den Skandalen mit dem Adressenhandel aber es war eine gute Zeit. So sollte es jetzt weitergehen. zugesagt – nicht nur Bundesinnenminister Schäuble Besten Dank, auch an dich, Gisela. nach dem Datenschutzgipfel, sondern auch Bundeskanz- lerin Merkel und auch Herr Seehofer, als er noch Ver- Tschüss. braucherminister war –, dass Adressen in Zukunft nur noch mit der Einwilligung der Bürgerinnen und Bürger (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- weitergegeben werden. Dieses Versprechen stand im NIS 90/DIE GRÜNEN) Raum, und dieses Versprechen lösen Sie heute nicht ein. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26203

Silke Stokar von Neuforn (A) (Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Im Grundsatz Meine Redezeit ist beendet. In der nächsten Legisla- (C) schon! – Dr. Michael Bürsch [SPD]: Es ist ge- turperiode gibt es noch verdammt viel zu tun. Ich werde halten!) als Abgeordnete nicht mehr dabei sein. Ich kann Ihnen versichern, dass es eine engagierte grüne Nachfolge im Wir bekommen weder eine Opt-in-Regelung, Bereich des Datenschutzes geben wird. Ich möchte nicht (Beifall des Abg. Jörg Tauss [fraktionslos]) damit enden, dass ich mich für die kollegiale Zusam- menarbeit bedanke. Ich bin von den Wählerinnen und noch wird das Listenprivileg aufgehoben. Dies wird Wählern – so habe ich das immer verstanden – hierhin dazu führen, dass die Datenschutzskandale, die wir alle geschickt worden, um die Position der Grünen deutlich hier beklagt haben, sich wiederholen, weil Sie unter dem zu machen. Druck der Wirtschaftslobby eingeknickt sind (Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das schließt Kol- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN legialität nicht aus!) sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Ich habe Demokratie nicht so verstanden, dass wir un- Abg. Jörg Tauss [fraktionslos]) sere inhaltlichen Gegensätze verkleistern sollen. Wir sol- und weil Sie der Meinung sind, dass es wirtschafts- len sie vielmehr aushalten, uns gegenseitig antreiben und freundlich ist, der Wirtschaft im 21. Jahrhundert keinen uns dennoch, Herr Kollege Bürsch, Datenschutz zumuten zu müssen. (Dr. Michael Bürsch [SPD]: Ah, jetzt kriegt sie Ich will Ihnen das an einem Beispiel deutlich machen. die Kurve!) Das Thema ist in dieser Woche in einem anderen Zusam- nach dem inhaltlichen Streit weiterhin die Hand geben menhang im Parlament behandelt worden. Die Bundes- und nett miteinander umgehen. regierung hat den Druck des Quelle-Katalogs sicherge- stellt. (Dr. Michael Bürsch [SPD]: Der Streit kann zivilisiert sein!) (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Eben nicht of- fenbar!) Die inhaltliche Auseinandersetzung gehört in das Parla- ment. Ich reklamiere für mich, dass ich mich zivilisiert Was Sie machen müssten, Herr Kollege Grindel, damit und erfolgreich mit Ihnen gestritten habe. Ich wünsche Quelle eine Chance hat, wäre, den Datenschutz so zu mir, dass wir ein modernes Datenschutzgesetz in der modernisieren, dass es Zuwächse im Onlineshopping nächsten Legislaturperiode bekommen. gibt, dass E-Business in Deutschland wachsen kann und Ich bedanke mich bei Peter Schaar und seinem Haus dass E-Government eine Chance hat. Sie begreifen ein- (B) für die engagierte Arbeit. Sie haben es geschafft, dass (D) fach nicht, dass uns in der Informationsgesellschaft des Datenschutz in Deutschland wieder ein Thema gewor- 21. Jahrhunderts nicht Datenschutzverweigerung weiter- den ist. Ich bedanke mich bei meinen Kolleginnen und bringt, Kollegen aus dem Datenschutzbereich, bei Frau Kolle- (Beifall des Abg. Jörg Tauss [fraktionslos]) gin Philipp, bei Herrn Bürsch und bei Gisela Piltz. Ich denke, wir alle haben gemeinsam engagiert gekämpft. sondern moderner Datenschutz, Datenschutzsicherheit und Datenschutzverlässlichkeit. Mich erinnert das fatal (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- an die Automobilindustrie, die zehn Jahre lang Lobbyar- NEN]: Jetzt hast du Jan Korte vergessen!) beit gegen Ökoautos gemacht hat. Erst als sie in die Knie Es gab unterschiedliche Inhalte und unterschiedliche Er- gegangen ist, hat sie begriffen, dass das der Wirtschaft gebnisse. Es hat Spaß gemacht. Ich freue mich jetzt auf überhaupt nichts genützt hat. Ihre Politik ist nicht mo- meine persönliche Freiheit. Zu Jan Korte möchte ich sa- dern, Ihre Politik ist nicht nachhaltig; Datenschutzver- gen: Er ist ein cooler Junge; er ist grün sozialisiert. Ich weigerung kann keine Politik des 21. Jahrhunderts sein. habe bedauert, dass du uns verlassen hast. Es gibt einen Weg zurück, Jan! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie der Abg. Gisela (Jan Korte [DIE LINKE]: Vorbei ist vorbei!) Piltz [FDP] und Jörg Tauss [fraktionslos]) Danke schön. Zum Arbeitnehmerdatenschutz wurde in der letzten (Heiterkeit und Beifall im ganzen Hause) Debatte Ähnliches gesagt. Eine Generalklausel allein kann doch nicht die Antwort auf die Skandale von Lidl, der Deutschen Bahn und der Telekom sein. Wir brau- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: chen ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz. Heute bekam Liebe Silke Stokar, auch Ihnen ist im Namen des ge- ich eine Anfrage, ob der persönliche elektronische Ka- samten Hauses für Ihre sachliche und zugleich sehr lei- lender am PC vom Chef eingesehen werden darf. Das ist denschaftliche Arbeit sehr herzlich zu danken. Jemand nicht geklärt. Dafür haben wir keine Regeln. hat vorhin gesagt, dass Sie gerne die Innenminister ange- trieben haben. In Ihrer letzten Rede haben Sie die Kolle- (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Ich habe noch ginnen und Kollegen angetrieben, und Sie haben ihnen einen Taschenkalender! Der ist sicher!) gleich Arbeitsaufträge gegeben. Für Sie selbst alles Gute! Weder die private Internetnutzung noch die Nutzung des E-Mail-Verkehrs ist geregelt. (Beifall) 26204 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Akzeptanz für wirtschaftliche Innovationen“. Wer (C) Abstimmung über den von der Bundesregierung einge- stimmt für die Beschlussempfehlung? – Gegenstim- brachten Gesetzentwurf zur Regelung des Datenschutz- men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist audits und zur Änderung datenschutzrechtlicher Vor- angenommen. Dafür haben die Fraktionen der CDU/ schriften. Dazu liegen Erklärungen nach § 31 unserer CSU und der SPD gestimmt; das übrige Haus hat dage- Geschäftsordnung vor.1) gen gestimmt. Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be- Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 5 sei- schlussempfehlung auf Drucksache 16/13657, den Ge- ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/ der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/ 12011 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte 10216 mit dem Titel „Datenschutz stärken – Bewusst- diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sein schaffen – Datenmissbrauch vorbeugen“. Wer um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltun- stimmt für die Beschlussempfehlung? – Gegenstim- gen? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung men? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschlussempfeh- angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfrak- lung angenommen. Dafür haben die Koalitionsfraktio- tionen. Dagegen haben gestimmt die Fraktion Bündnis nen gestimmt; dagegen haben die Fraktion Bündnis 90/ 90/Die Grünen, die Fraktion Die Linke und der Abge- Die Grünen, die Fraktion Die Linke und der Abgeord- ordnete Tauss. Die Fraktion der FDP hat sich enthalten. nete Tauss gestimmt; enthalten hat sich die FDP-Frak- tion. Dritte Beratung Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem schusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 16/ Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – 13364. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be- Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak- ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmverhältnis tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/9101 wie vorher angenommen. mit dem Titel „Rechte der Beschäftigen von Discountern Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag der verbessern“. Wer stimmt für die Beschlussempfeh- Fraktion der FDP auf Drucksache 16/13696 ab. Wer lung? – Dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist die Be- stimmt für den Entschließungsantrag? – Gegenstim- schlussempfehlung angenommen. Dafür haben die Ko- men? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist alition und die FDP gestimmt, dagegen Bündnis 90/ damit abgelehnt, bei Zustimmung durch die einbrin- Die Grünen. Die Linke hat sich enthalten. gende Fraktion; die Koalition hat dagegen gestimmt; die Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung (B) Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf (D) Linke haben sich enthalten. Drucksache 16/9311 mit dem Titel „Persönlichkeits- rechte abhängig Beschäftigter sichern – Datenschutz am Abstimmung über die Beschlussempfehlung des In- Arbeitsplatz stärken“. Wer stimmt für diese Beschluss- nenausschusses auf Drucksache 16/13657. Der Aus- empfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit schuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfeh- ist die Beschlussempfehlung angenommen. Dafür haben lung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP die Koalitionsfraktionen gestimmt, dagegen Bündnis 90/ auf Drucksache 16/9452 mit dem Titel „Datenschutz im Die Grünen und die Linke; die FDP hat sich enthalten. nicht öffentlichen Bereich verbessern“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthal- Unter Nr. 3 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung tungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/ Dafür hat die Koalition gestimmt; dagegen haben die 11376 mit dem Titel „Datenschutz für Beschäftigte stär- FDP und der Abgeordnete Tauss gestimmt; die Fraktio- ken“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Ge- nen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke haben sich genstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh- enthalten. lung ist angenommen bei Zustimmung durch CDU/CSU, SPD und FDP; dagegen hat die Fraktion Die Linke ge- Unter Nr. 3 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung stimmt; Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten. des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/1169 mit dem Titel „Datenschutz-Audit-Verfahren und Daten- Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 sei- schutz-Gütesiegel einheitlich regeln“. Wer stimmt für ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags die Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthal- der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/12670 mit dem tungen? – Damit ist die Beschlussempfehlung angenom- Titel „Schutz von Arbeitnehmerdaten durch transparente men bei Zustimmung durch die Koalition; dagegen ha- und praxisgerechte Regelungen gesetzlich absichern“. ben FDP und Die Linke gestimmt; die Fraktion Bündnis Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen- 90/Die Grünen hat sich enthalten. stimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmung durch SPD und CDU/ Unter Nr. 4 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung CSU; dagegen hat die FDP gestimmt; Bündnis 90/ des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Die Grünen und die Linke haben sich enthalten. Drucksache 16/1499 mit dem Titel „Datenschutzaudit umsetzen – Gütesiegel stärkt Bürgerrechte und schafft Ich rufe die Tagesordnungspunkte 71 a und b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- 1) Anlagen 6 bis 8 gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26205

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse bei Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetz- (C) Schuldverschreibungen aus Gesamtemissio- entwurf in dritter Beratung bei dem gleichen Stimmver- nen und zur verbesserten Durchsetzbarkeit hältnis wie vorher angenommen. von Ansprüchen von Anlegern aus Falschbe- Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der ratung Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf – Drucksache 16/12814 – Drucksache 16/13612 mit dem Titel „Verbraucherschutz bei Finanzdienstleistungen erweitern und durchsetzen“. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus- Wer stimmt für den Antrag? – Wer stimmt dagegen? – schusses (6. Ausschuss) Wer enthält sich? – Der Antrag ist angenommen bei Zu- – Drucksache 16/13672 – stimmung durch die Koalitionsfraktionen und die Frak- tion Die Linke; Bündnis 90/Die Grünen sind dagegen; Berichterstattung: die FDP hat sich enthalten. Abgeordnete Marco Wanderwitz Klaus Uwe Benneter Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf: Mechthild Dyckmans Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Wolfgang Nešković richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu Jerzy Montag dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Schick, Kai Gehring, Ulrike Höfken, weiterer Bleser, Julia Klöckner, Klaus Hofbauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Marianne Schieder, Finanzumsatzsteuer auf EU-Ebene einführen Ortwin Runde, Ulrich Kelber, weiterer Abgeord- – Drucksachen 16/12303, 16/13281 – neter und der Fraktion der SPD Berichterstattung: Verbraucherschutz bei Finanzdienstleistun- Abgeordnete Leo Dautzenberg gen erweitern und durchsetzen Nina Hauer – Drucksache 16/13612 – Hierzu haben ihre Reden zu Protokoll gegeben die Ihre Reden zu Protokoll gegeben haben Marco Kolleginnen und Kollegen Albert Rupprecht, Florian Wanderwitz, Peter Jahr, Klaus Uwe Benneter, Marianne Pronold, Frank Schäffler, Dr. Axel Troost und Schieder, Mechthild Dyckmans, Sevim Dağdelen, Nicole Dr. Gerhard Schick.3) (B) (D) Maisch, die Parlamentarische Staatssekretärin Ursula Wir kommen zur Abstimmung. Der Finanzausschuss Heinen-Esser und der Parlamentarische Staatssekretär empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf 1) Alfred Hartenbach. Drucksache 16/13281, den Antrag der Fraktion Bünd- Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- nis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/12303 abzuleh- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neurege- nen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer lung der Rechtsverhältnisse bei Schuldverschreibungen stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss- aus Gesamtemissionen und zur verbesserten Durchsetz- empfehlung ist angenommen. Dafür haben gestimmt barkeit von Ansprüchen von Anlegern aus Falschbera- CDU/CSU, SPD und FDP, dagegen Bündnis 90/Die tung. Grünen und Die Linke. Es gibt Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsord- Ich rufe Tagesordnungspunkt 73 auf: nung, und zwar der Kollegen Albert Rupprecht und Leo Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- 2) Dautzenberg. gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- zur Modernisierung des Haushaltsgrundsätze- empfehlung auf Drucksache 16/13672, den Gesetzent- gesetzes (Haushaltsgrundsätzemodernisierungs- wurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/12814 in gesetz – HGrGMoG) der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, – Drucksachen 16/12060, 16/12105 – die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim- men wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Beschlussempfehlung und Bericht des Haushalts- Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf angenom- ausschusses (8. Ausschuss) men bei Zustimmung durch CDU/CSU, SPD und FDP; – Drucksache 16/13687 – dagegen haben Bündnis 90/Die Grünen gestimmt; die Linke hat sich enthalten. Berichterstattung: Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme Dritte Beratung Carsten Schneider (Erfurt) und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Otto Fricke Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Dr. Gesine Lötzsch Alexander Bonde

1) Anlage 10 2) Anlage 9 3) Anlage 11 26206 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) Zu Protokoll gegeben wurden die Reden von Hübner, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und (C) Jochen-Konrad Fromme, Bernhard Brinkmann, Otto der Fraktion der SPD Fricke, Roland Claus und Alexander Bonde.1) Punkte-Systematik des Verkehrszentralregis- Wir kommen zur Abstimmung. Der Haushaltsaus- ters in Flensburg einfacher und verständlicher schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf gestalten Drucksache 16/13687, den Gesetzentwurf der Bundesre- gierung auf Drucksache 16/12060 und Drucksache 16/12105 – Drucksachen 16/12993, 16/13407 – in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni- Berichterstattung: gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu- Abgeordneter Horst Friedrich (Bayreuth) stimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist angenommen. Zu Protokoll gegeben haben ihre Reden die Kolle- Zugestimmt haben SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/ ginnen und Kollegen Gero Storjohann, Heidi Wright, Die Grünen und FDP; dagegen hat die Fraktion Patrick Döring, Dorothée Menzner, Peter Hettlich und Die Linke gestimmt. der Parlamentarische Staatssekretär Ulrich Kasparick. Dritte Beratung Gero Storjohann (CDU/CSU): und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu- Verkehrspolitik ist spannend. Heute werden wir gleich stimmen wollen, aufzustehen. – Gegenstimmen? – Ent- drei Bereiche im Verkehrsrecht voranbringen: den haltungen? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung „Feuerwehrführerschein“, das Onlinemeldewesen für angenommen mit dem gleichen Stimmverhältnis wie Kraftfahrzeuge und das Punktesystem des Flensburger vorher. Zentralregisters. Ich rufe Tagesordnungspunkte 74 a bis c auf: Seit Einführung der Zweiten EU-Führerscheinrichtli- nie im Jahr 1999 können Besitzer eines Pkw-Führer- a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- scheins der Klasse B nur noch Fahrzeuge mit einem gierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gewicht von maximal 3,5 Tonnen fahren. Früher, mit der Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrs- alten Pkw-Führerscheinklasse 3, lag die Grenze bei gesetzes 7,5 Tonnen. Zwar hat ein vor der Umstellung erworbener – Drucksache 16/13108 – Führerschein Bestandsschutz. Für solche Führerschein- inhaber ist das Führen von Kraftfahrzeugen bis zu Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- (B) 7,5 Tonnen auch weiterhin erlaubt. Aber um es auf den (D) ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Punkt zu bringen: Den freiwilligen Feuerwehren, den (15. Ausschuss) technischen Hilfsdiensten und den Rettungsdiensten ge- – Drucksache 16/13616 – hen langsam aber sicher die Fahrer aus. Denn junge Leute machen in aller Regel nicht „mal eben so“ einen Berichterstattung: zweiten Führerschein der Klasse C 1, also für Fahrzeuge Abgeordneter Patrick Döring zwischen 3,5 und 7,5 Tonnen. Aber weil selbst kleinere Einsatzfahrzeuge in der Regel über 3,5 Tonnen wiegen, b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- besteht großer Handlungsbedarf. gierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrs- Der Bundesrat hat nun angeregt, den Geltungsbereich gesetzes des Führerscheins der Klasse B für Einsatzkräfte auto- matisch auf Fahrzeuge bis 4,75 Tonnen auszuweiten. Für – Drucksache 16/13109 – Fahrzeuge bis 7 Tonnen wiederum sollte die Fahr- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- erlaubnis nach einer praktischen Unterweisung erteilt ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung werden. Die Bundesregierung wiederum hat einen (15. Ausschuss) Gesetzentwurf vorgelegt, nach dem die Prüfungsanforde- rungen zwar immer noch einfacher und kostengünstiger – Drucksache 16/13617 – als beim regulären C-1-Führerschein gestaltet werden sollten. Aber beim Vorschlag des Bundesrates wären die Berichterstattung: Rettungskräfte weit besser „gefahren“ – „gefahren“ hier Abgeordneter Patrick Döring im wahrsten Sinne des Wortes. Umso erfreulicher, dass c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- wir am vergangenen Mittwoch im Verkehrsausschuss den richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Gordischen Knoten durchtrennen konnten. Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag Wir haben uns auf einen guten Kompromiss geeinigt: der Abgeordneten Gero Storjohann, Volkmar Für Fahrzeuge bis 4,75 Tonnen wird nun eine ver- Uwe Vogel, Dr. Andreas Scheuer, weiterer Abge- bandsinterne Schulung und Prüfung ausreichen. Die ordneter und der Fraktion der CDU/CSU Länder erhalten hier einen weiten Gestaltungsspielraum. sowie der Abgeordneten Heidi Wright, Klaas Für Einsatzfahrzeuge bis 7,5 Tonnen wird es eine Fahr- berechtigung zu wesentlich erleichterten Bedingungen 1) Anlage 12 geben. Die theoretische Ausbildung und Prüfung entfällt. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26207

Gero Storjohann (A) Ich will nicht verhehlen, dass viele von uns den frei- feld des Vorhabens wiederholt deutlich, dass vonseiten (C) willigen Feuerwehren, technischen Hilfsdiensten und der Bürger und Unternehmen großes Interesse besteht. den Rettungsdiensten gerne eine Sonderfahrerlaubnis Denn so kann man sich Fahrzeugdokumente und nach altem Recht, also bis 7,5 Tonnen, ermöglicht hätten. Schilder an einen Ort seiner Wahl liefern lassen. Das Aber entscheidend ist: Wir haben eine gute Lösung spart Weg-, Warte- und Fahrtzeiten inklusive der dabei gefunden. Die Mobilität der freiwilligen Feuerwehren, entstehenden Kosten. Aber ebenso wichtig ist, dass das der technischen Hilfsdienste und der Rettungsdienste ist onlinebasierte Kfz-Meldewesen als zusätzliche Option gesichert. zum herkömmlichen Meldewesen eingeführt wird. Men- schen, die sich – aus welchen Gründen auch immer – Weniger dramatisch, aber im Grunde ebenso zukunfts- beim Umgang mit dem PC unwohl fühlen, können wie weisend ist der Startschuss für ein Onlineverfahren für bisher persönlich mit der örtlichen Meldebehörde in das Kfz-Meldewesen. Im Jahr 2006 haben Bund und Kontakt treten. Länder gemeinsam den Aktionsplan „Deutschland-On- line“ verabschiedet. Ziel ist die Modernisierung der Ver- Der Datenschutz ist ebenfalls berücksichtigt: An der waltung durch E-Governance, also die Bereitstellung Planung des Vorhabens ist das „Unabhängige Landes- von Leistungen mithilfe moderner Informations- und zentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein“ unmittel- Kommunikationstechniken. bar beteiligt. Wesentliche Punkte und Handlungs- empfehlungen werden in einer Checkliste Was sich trocken anhört, ist ein großer Fortschritt, zusammengefasst und den Pilotländen zur Verfügung ge- nämlich die schrittweise Erweiterung der Amtsstube stellt. Auf dieser Grundlage kann dann jedes Pilotland durch neue Zugangsmöglichkeiten, Öffnungszeiten rund ein den eigenen Strukturen angepasstes Datenschutz- um die Uhr und insgesamt mehr Bürgerfreundlichkeit. konzept erstellen, in der Regel mit Beteiligung des Innovative Neuerungen der letzten Jahre werden aufge- jeweiligen Landesbeauftragten für Datenschutz. griffen, genutzt und verbreitet. Deutschland ist ein inno- vatives Land, ein Land der Ideen, wie es zu Recht heißt. Ein Beitrag zur Verwaltungsvereinfachung und mehr Dieser Innovations- und Modernisierungsprozess betrifft Bürgerfreundlichkeit ist auch die Vereinfachung des Sys- auch die öffentliche Verwaltung. Der Aktionsplan tems, mit dem im Verkehrszentralregister des Flensbur- „Deutschland-Online“ leistet auch hierzu einen ger Kraftfahrtbundesamtes verkehrsrelevante Verfeh- wichtigen Beitrag. lungen gespeichert werden. Je nach Art und Schwere ei- nes Verstoßes entstehen – entsprechend der Bußgeldver- Ein bedeutender Teil dieser Initiative betrifft das Kfz- ordnung – ein bis sieben Punkte. Bei acht Punkten erfolgt Wesen. Das An-, Um- und Abmelden von Kraftfahr- eine Meldung an die zuständigen Fahrerlaubnisbehör- zeugen soll auch online möglich sein. Für die adminis- den und eine Verwarnung des Betroffenen, ab 14 Punkten (B) trative Umsetzung sind das Bundesministerium des (D) wird eine Nachschulung angeordnet und ab 18 Punkten Innern sowie die Finanzbehörde Hamburg federführend. – als letzte Konsequenz – die Fahrerlaubnis entzogen. Wir wiederum schaffen für dieses Vorhaben die recht- lichen Grundlagen. Wir passen das Straßenverkehrsge- Gleichzeitig erhält ein Betroffener eine Rückmeldung, setz an und ermöglichen so dem Bundesministerium für also eine Hilfestellung, um vorhandene Defizite zu erken- Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Ausnahmen zu den nen und zu beheben. Damit dient das Punktesystem dem bisher geltenden Regelungen bei der Fahrzeugregis- Schutz vor Gefahren, die von wiederholt gegen Verkehrs- trierung zu erlassen. Auf dieser Grundlage wiederum vorschriften verstoßenden Fahrzeugführern bzw. -hal- können dann die Länder ermächtigt werden, für drei tern ausgehen. Es ist also ein Instrument zur Verbesse- Jahre Erfahrungen mit dem Onlinemeldewesen für Kraft- rung der Verkehrsicherheit. fahrzeuge zu sammeln. Allerdings kann das gegenwärtige Punktesystem die- Dies dient in erster Linie der Rechtskonformität. Denn sem Anspruch nur bedingt gerecht werden. Denn insbe- das geltende Zulassungsrecht geht – kulturell-historisch sondere die komplizierten Berechnungen der verschiede- bedingt – wie selbstverständlich davon aus, dass Zulas- nen Tilgungsfristen sind für die Verkehrsteilnehmer kaum sungsverfahren über das Medium Papier abgewickelt nachvollziehbar. So verfallen Punkte für Ordnungswid- werden. Ohne eine entsprechende Anpassung des Stra- rigkeiten grundsätzlich nach zwei Jahren, spätestens ßenverkehrsgesetzes ist zu erwarten, dass die geplanten nach fünf Jahren. Bei einfachen Straftaten wiederum be- Onlinezulassungsverfahren mit einzelnen Vorschriften trägt die Verfallsfrist generell fünf Jahre, bei schweren des Zulassungsrechts kollidieren. Straftaten im Straßenverkehr, wie etwa Alkoholstraftaten, Der erste Umsetzungsschritt ist dann die Einführung wiederum zehn Jahre. Gleichzeitig unterbleibt die Lö- von Pilotprojekten in einzelnen Ländern. Die Teilnahme schung von an sich tilgungsreifen Punkten, solange wei- als Pilot ist freiwillig. Bis jetzt wollen Hamburg, Baden- tere, noch nicht tilgungsreife Eintragungen vorhanden Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen und Hessen sind, wobei Punkte für Ordnungswidrigkeiten nur die Lö- daran teilnehmen. Bis Ende 2009 oder im Laufe des Jah- schung von Ordnungswidrigkeiteneinträgen verhindern res 2010 wird die neue Leistung in den Pilotländern können, während Straftatpunkte bis zu ihrer eigenen verfügbar sein. Tilgungsreife die Tilgung aller anderen Punkteintra- gungen hindern können. Dies gilt zumindest so lange, bis Um es nochmals zu betonen: Die Möglichkeit des On- die besagte 5-Jahres-Grenze für Bußgeldpunkte erreicht linemeldewesens dient den Bürgerinnen und Bürgern. ist. Spätestens dann verfallen diese Punkte kraft Gesetzes Nach Informationen der Stadt Hamburg wurde im Vor- automatisch.

Zu Protokoll gegebene Reden 26208 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Gero Storjohann (A) Spätestens hier ist der normale Verkehrsteilnehmer für die Lieferung vom und zum Bürger. In der geplanten (C) nicht mehr informiert, sondern nur noch verwirrt. Aber zweiten Stufe sollen ab 2013 herkömmliche Fahrzeug- auch bei Behörden und Gerichten entstehen erheblicher dokumente durch elektronische Medien ersetzt werden. Verwaltungsaufwand und Auslegungsschwierigkeiten. Damit wird der Ausbau der Informationstechnologie aus Selbst vom Kraftfahrtbundesamt wurde dies bei einem der ersten Stufe effektiv fortgeführt und der Doku- gemeinsamen Besuch von Kollegen und mententransport mittelfristig auf elektronisch lesbare mir in Flensburg klar bestätigt. Deutlich wurde auch der Medien umgestellt. 47. Deutsche Verkehrsgerichtstag, der Anfang des Jahres Pilotprojekte gibt es in Hamburg, Baden Württemberg eine ganze Reihe von Verbesserungs- und Vereinfa- und Nordrhein-Westfalen sowie in Bayern, und zwar in chungsmaßnahmen angeregt hat. meinem Wahlkreis Main-Spessart, das jedoch mangels All dies zeigt: Eine Reform des Punktesystems ist drin- gesetzlicher Regelung nur sehr begrenzte Erleichterun- gend geboten. Darum ist es gut, dass der Verkehrsaus- gen und Vereinfachungen bringt. Deshalb ist es notwen- schuss des Deutschen Bundestages einstimmig einem von dig, per Gesetz eine Ausnahmeregelung zu erlassen, die uns initiierten Antrag zugestimmt hat. Dies war ein ent- es den Ländern erlaubt, zunächst befristet auf drei Jahre scheidender Anstoß zur Vereinfachung des Punktesys- die E-Government verfahren für die Zulassung anzuwen- tems. Das Bundesverkehrsministerium wird beauftragt, den. einen Reformvorschlag auszuarbeiten. Die inhaltlichen Zur Vereinfachung des Punkteregisters in Flensburg. Leitlinien sollen sich weiterhin an einer je nach Schwere Das Punktesystem des Verkehrszentralregisters in Flens- eines Verstoßes gestaffelten Punktevergabe orientieren, burg ist uns allen wohl-, manchen übel bekannt. Bei allerdings mit klaren Verfallsdaten für jede einzelne Tat. Verstößen im Straßenverkehr werden Strafpunkte verge- Das übergreifende, positive Votum des Verkehrsaus- ben, die im Verkehrszentralregister gespeichert werden. schusses war ein wunderbarer Auftakt. Und das heutige Wird eine bestimmte Punktzahl erreicht, erhält der Fah- Votum des Plenums ist ein hervorragender Startschuss rer eine Verwarnung oder muss an Maßnahmen wie für mehr Transparenz des Punktesystems und eine höhere beispielsweise Aufbauseminaren teilnehmen. Als letzte Akzeptanz des Verfahrens. Konsequenz muss ein Fahrer seine Fahrerlaubnis – bei Erreichen von 18 Punkten – abgeben. Heidi Wright (SPD): Für die Betroffenen ist es aber nicht einfach, ihre Ein- Heute stehen zwei Gesetzentwürfe und ein Antrag zur tragungen selbst zu verfolgen, um sich über den Punkte- Abstimmung, die viele Bürgerinnen und Bürger in ihrem stand zu informieren. Zudem verlängern erneute Ver- Alltag und im Straßenverkehr direkt betreffen. Wir wollen stöße im Straßenverkehr den Ablauf und die Tilgung von (B) Pilotprojekte für die Onlineregistrierung von Kfz weiter- bereits registrierten Strafpunkten. Dabei spielt es keine (D) entwickeln, die Punktesystematik des Verkehrszentral- Rolle, um welche Art von Verstößen es sich handelt. Auch registers in Flensburg vereinfachen und den freiwilligen bestehen Auslegungsschwierigkeiten bei den Gerichten Feuerwehren, den technischen Hilfsdiensten und den und Behörden. Hier ist es sinnvoll, Erleichterungen zu Rettungsdiensten vereinfachte Fahrberechtigungen für erreichen. Wir folgen damit auch einer Empfehlung des ihre Einsatzfahrzeuge ermöglichen. Verkehrsgerichtstages. So sollten die Tilgungsfristen dahin gehend verändert werden, dass neue Verstöße Zunächst zur Onlineregistrierung von Kfz. 2006 ha- nicht mehr automatisch zu einer Verlängerung der ben wir im Bund gemeinsam mit den Ländern den Tilgungsfristen von Verstößen aus der Vergangenheit füh- „Aktionsplan Deutschland-Online“ beschlossen. Ziel ist ren. die Modernisierung und Beschleunigung von Ver- waltungsvorgängen durch den Einsatz von Online- Bei der Reform muss jedoch berücksichtigt werden, verfahren. Die Bürgerinnen und Bürger sollen zukünftig dass das bestehende hohe Niveau der Verkehrssicherheit bei der Fahrzeugzulassung Zeit, Kosten und Aufwand erhalten bleibt. Das Punktesystem ist ein wesentliches In- sparen. Etwa 20 Millionen Vorgänge pro Jahr könnten strument zur Gewährleistung eines hohen Niveaus der online angemeldet, umgemeldet und abgemeldet werden. Verkehrssicherheit. Dies ist ausdrücklich mein Anliegen, Um dies zu ermöglichen, sind rechtliche und organisato- somit stehe ich nicht ein für eine Lockerung von Sanktio- rische Rahmenbedingungen anzupassen. Unter Feder- nen für Verkehrsvergehen, wohl aber für mehr Transpa- führung der Freien und Hansestadt Hamburg hat eine renz des Verfahrens und für die Aufhebung der Ablauf- Bund-Länder-Arbeitsgruppe mit Unterstützung des Bun- hemmung wegen unterschiedlicher Tilgungsfristen. Die desministeriums des Innern entsprechende Konzepte er- Reform des Punktesystems wird meines Erachtens auch arbeitet. schnell vorangehen, denn bereits im Herbst 2008 hat das Verkehrsministerium Vorschläge zum Mehrfachtäter- In einem zweistufigen Verfahren soll den Bürgern ab punktesystem aufgegriffen. 2010 eine Alternative zum bisherigen Behördengang an- geboten werden. Diese basiert auf den bekannten Fahr- Zum Führerschein für die freiwilligen Feuerwehren zeugdokumenten und Kennzeichen und beruht im und technischen Hilfsdienste. Es klappt, der „Feuer- Wesentlichen auf den bereits bekannten Geschäfts- wehrführerschein“ kann kommen, und zwar in einer ein- prozessen der Zulassungsbehörden. Die Erweiterung fachen, aber verantwortlichen Weise, preisgünstig und besteht in der Kombination von internetbasierter Bean- anwendungsorientiert. Das wollen wir mit dem Fünften tragung, dem optimalen Einsatz des elektronischen Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und Personalausweises und einer optimierten Logistikkette unserem Änderungsantrag sicherstellen.

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26209

Heidi Wright (A) Kurz zur Historie: Am 1. Januar 1999 trat die 2. EG- Lösung zu entwickeln, die für die Kommunen als Aufga- (C) Führerscheinrichtlinie in Kraft, nach der ein Führer- benträger in einem finanzierbaren Rahmen bleibt. schein der Klasse B nur noch zum Führen von Fahrzeu- gen bis 3,5 Tonnen berechtigt. Die meisten Fahrzeuge Es wird eine Doppellösung geben: Mit dem jetzt vor- der Feuerwehren, der technischen Hilfsdienste und der liegenden Änderungsantrag von SPD und CDU/CSU er- Rettungsdienste sind aber durch Aufbauten und Ausstat- öffnen wir den Ehrenamtlichen die Möglichkeit, nach tung immer schwerer geworden und überschreiten die einer internen Einweisung und Prüfung eine Fahrbe- 3,5-Tonnen-Grenze. Damit die Einsatzfähigkeit weiterhin rechtigung zum Führen von Fahrzeugen bis 4,75 Tonnen gewährleistet ist, war es notwendig, über eine Lösung zu erhalten, also einfach und praktikabel. Die konkrete nachzudenken. Ausgestaltung wird den Ländern übertragen, die dem Gesetzentwurf jetzt zügig zustimmen – der Bundesrat Zunächst setzte uns ein Antrag aus Bayern im Bundes- stimmt am 10. Juli darüber ab – und ihn dann ebenso zü- rat, eine Sonderregelung für Fahrzeuge bis zu 4,25 Ton- gig in die Praxis umsetzen müssen. nen herbeizuführen, auf eine falsche Fährte. In inten- siven Runden mit den Hilfsorganisationen wurde dann Der große Wurf ist die neue Fahrberechtigung, die schnell die Gewichtsklasse 4,75 Tonnen definiert, die zum Fahren von Einsatzfahrzeugen bis 7,5 Tonnen be- eine Vielzahl von Einsatzfahrzeugen abdeckt, aber auch rechtigt. Mit der Verabschiedung des Gesetzentwurfs die Notwendigkeit der Fahrerlaubnis der Klasse C1 für ermöglichen wir eine vereinfachte und anwendungs- größere Fahrzeuge bis 7,5 Tonnen. orientierte, aber externe fachliche Ausbildung und Prü- fung, die dann das Führen von Fahrzeugen bis 7,5 Ton- Bundesweit sind im Brand- und Katastrophenschutz nen ermöglicht. Die Ausbildung und Prüfung wird mindestens 16 000 Fahrzeuge im Einsatz, die in diese kostengünstig angeboten werden. Dies wurde zwischen Kategorie fallen. Um deren Einsatzfähigkeit 24 Stunden dem Bundesverkehrsministerium und den Einsatz- und zu gewährleisten, werden für jedes Fahrzeug fünf oder Fahrlehrerverbänden fest vereinbart. Nach zwei Jahren mehr Fahrer benötigt. Wir brauchen also insgesamt kann die in der Feuerwehr bzw. in den Hilfsdiensten einen Pool von 80 000 ehrenamtlichen Helfern, die in der abgelegte und bis dahin nur im Einsatz geltende Fahrbe- Lage sind, diese Fahrzeuge zu fahren und zu beherr- rechtigung umgeschrieben werden. Dann erlangt die schen. Das stellt die Verbände jetzt vor große Probleme, Fahrerlaubnis allgemeine Gültigkeit und kann auch im zum einen geht es um die Ausbildung, zum anderen um zivilen Verkehr genutzt werden. die Kosten. Jedem ist klar: Wir sind in der Bundesrepublik im Dies ist ein klares Signal pro Ehrenamt. Das sage ich Brandfall, bei Unfällen und Naturereignissen auf die mit großer Überzeugung zu allen Kameradinnen und Ka- (B) Einsatzfähigkeit der Feuerwehren, der technischen Hilfs- meraden in den Einsatz- und Hilfsorganisationen. (D) dienste und der Rettungsdienste als Element unseres Ka- Es ist gelungen, eine unbürokratische Lösung zu fin- tastrophenschutzes angewiesen. Der Einsatz der Men- den, die allen Erfordernissen der Praxis entspricht. schen im Ehrenamt ist gar nicht hoch genug zu schätzen und zu bewerten. Unsere besondere Anerkennung ge- Wenig nachvollziehen kann ich die Störmanöver aus bührt den Feuerwehren, dem Roten Kreuz, dem THW, der bayerischen Landespolitik und von Kollegen der ASB, Johanniter, der DLRG, also den Hilfs- und Ret- CSU, die glaubten, sich aus der Verantwortung ziehen tungsdiensten, die es schaffen, immer wieder junge Men- und dem Bundesverkehrsminister den Schwarzen Peter schen für den Dienst am Nächsten und für die Allgemein- zuschieben zu können. Wiederholte Polemik von dieser heit zu gewinnen. Seite wurde immer wieder in die Organisationen hinein- Noch verfügen wir in Deutschland über eine große getragen, was gelinde gesagt wenig hilfreich war. Sach- Zahl von Nachwuchskräften im Ehrenamt, nicht zuletzt gerechte Politik ist mit blankem Populismus nicht verein- dank der vorbildlichen Jugendarbeit der Vereine und bar. Mit vollkommen irrealen Vorschlägen wurden Verbände. Ich denke, wenn wir junge Menschen weiter- Prozesslösungen gefährdet. So sollte die Fahrberech- hin für ehrenamtliche Aufgaben begeistern und gewinnen tigung ohne jede Art von Überprüfung der Fahrkennt- wollen trotz der hohen Anforderungen auf dem Arbeits- nisse ausgegeben werden, sozusagen per Hand auflegen. markt, der heutzutage erforderlichen Mobilität und der Dies widerspricht massiv allen verantwortlichen veränderten Gewohnheiten der Freizeitgestaltung, müs- Vorgaben der Verkehrssicherheit. Zudem wurde sehen- sen wir Anreize im Ehrenamt setzen. Auch dies war mir den Auges ein Vertragsverletzungsverfahren mit der EU ein wichtiger Aspekt bei der Regelung um den sogenann- provoziert; vermeintlich in Bayern als Heldenstück ten Feuerwehrführerschein. aufführbar. Das ist unverantwortliche Politik und nützt niemandem. Vier Aspekte haben uns in der SPD-Fraktion dabei ge- leitet: Einsatzfähigkeit der Rettungs- und Hilfsdienste Tatsache ist, dass an runden Tischen, in den Fraktio- erhalten, Verkehrssicherheit für die Helfer gewährleis- nen und mit dem Verkehrsminister konsequent eine ten, Kostengünstigkeit wahren, Aufwertung des Ehren- praktikable und unbürokratische Lösung erarbeitet amtes. Mit dem Fünften Gesetz zur Änderung des wurde, die wir heute auf den Weg bringen. Allen, die Straßenverkehrsgesetzes, dem Änderungsantrag der positiv mitgewirkt haben – so auch der stellvertretende Koalitionsfraktionen, der Verordnung zur Änderung der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU Dr. Hans-Peter Fahrerlaubnis-Verordnung und den Länderregelungen Friedrich – und die diese Lösung nun positiv vertreten, wird es gelingen, eine praktikable und verantwortliche danke ich herzlich.

Zu Protokoll gegebene Reden 26210 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Heidi Wright (A) Eine Schlussbemerkung in meiner letzten Rede im Eine Umsetzung der Regelung in den Ländern hat (C) Deutschen Bundestag sei mir erlaubt. Die Verkehrssi- keine ersichtlichen Vorteile, bringt aber Probleme mit cherheit war mein Fachgebiet. Ich habe, nicht immer zur sich. Es gibt noch viele offene Fragen, damit sich die eh- Begeisterung aller, die Verbesserung der Verkehrssicher- renamtlichen Einsatzkräfte nicht während eines Einsat- heit als immerwährende Aufgabe verstanden und zu ei- zes in einem Zustand der straßenverkehrsrechtlichen nem ständigen Thema gemacht. Ein wichtiger Aspekt der Rechtsunsicherheit wiederfinden, wenn 16 Landesver- Verkehrssicherheit ist der Einsatz der Rettungs- und ordnungen zum sogenannten Feuerwehrführerschein er- Hilfsdienste nach einem Unfallgeschehen. Somit fügt es lassen werden. Unklarheiten gibt es zum Beispiel, wenn sich heute für mich , dass wir deren Einsatz in besonderer ein Einsatzfahrzeug in einem Einsatz die Landesgrenze Weise hervorheben können. Mit dem Einsatzführerschein überquert und das Zielland keine Regelung erlassen hat für Menschen, die ihren Dienst für die Allgemeinheit oder Umzüge in ein anderes Bundesland anstehen. Wie erfüllen, und der Möglichkeit, diesen Einsatzführer- wird dann mit dem Feuerwehrführerschein verfahren? schein nach zwei Jahren auch für den Allgemeinge- brauch zur Verfügung zu haben, können wir eine wert- Nun will ich zum Thema Punkte kommen. Die Koali- haltige Anerkennung gewähren. tion beabsichtigt dieses Mal ausnahmsweise nicht, die Punktetatbestände auszuweiten. Das beruhigt mich schon. Wir sind anderes gewöhnt. Wenn es für verfehlte Patrick Döring (FDP): Straßenverkehrspolitik Punkte gäbe, hätten Sie, liebe Diese Große Koalition ist ausgebrannt, und deshalb Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, ist es gut, dass sie mit Ablauf dieses Sitzungstages endet schon das eine oder andere Aufbauseminar absolvieren und nicht weiter die wichtigen Entscheidungen, auf die müssen. Da bin ich mir sicher. Nein, dieses Mal findet Ihr die Bürgerinnen und Bürger warten, über Monate mit Anliegen die Unterstützung der Liberalen. Der Deutsche Streitereien blockiert. Sankt Florian muss schockiert Verkehrsgerichtstag hat in diesem Jahr die Anregung zur sein, wenn er das Treiben der Koalitionsfraktionen beim Reform des Punktesystems gegeben. Es ist richtig, für sogenannten Feuerwehrführerschein beobachtet hat. mehr Transparenz zu sorgen und das System überschau- Es ist weit mehr als ein halbes Jahr her, dass die For- barer zu machen. Wir begrüßen das ausdrücklich. derung nach Erleichterungen der Führerscheinbedin- Ich will aber nicht verschweigen, dass sich die Libera- gungen für Mitglieder der freiwilligen Feuerwehren len einen weitergehenden Ansatz gewünscht hätten. Be- erhoben wurde. Die FDP-Fraktion hat als erste Fraktion sonders in den letzten Jahren haben wir erlebt, dass neue im Deutschen Bundestag für ausgewogene Verände- Verkehrsvorschriften – meistens Verbote, denn hiervon rungen geworben. Nun liegt nach monatelangem ist die Verkehrspolitik der rot-grünen und auch der Koalitionsgezänk ein Gesetzentwurf vor, der den Belan- (B) schwarz-roten Bundesregierungen geprägt gewesen – (D) gen der Feuerwehren und der Straßenverkehrssicherheit mit Punkteintragungen versehen worden sind. Das hat gerecht wird und die europarechtlichen Anforderungen inzwischen dazu geführt, dass der Punktekatalog in sich erfüllt. nicht mehr stimmig ist. Ich will Ihnen ein Beispiel Wichtig ist mir dabei besonders, dass wir eine unbüro- nennen: Wenn kein einziges Einfahrtverbot in eine Straße kratische Regelung für die kleineren Einsatzfahrzeuge mit einem Punkt bewehrt ist, die unerlaubte Einfahrt in bis zu 4,75 Tonnen bekommen, wie wir das auch gefor- eine Umweltzone aber selbst dann mit einer Punktein- dert haben. Im Gewichtsbereich bis zu 7,5 Tonnen bleibt tragung geahndet wird, wenn das Fahrzeug gar keinen aber eine professionelle Führerscheinausbildung be- Dieselruß ausstößt, dann stimmt etwas nicht bei der stehen, die sich stärker an den Bedingungen der Einsatz- Administration der Umweltzonen. Dann muss man fest- fahrzeuge und -fahrten orientiert. Das ist zum einen stellen, dass wir die Stringenz des Punktesystems insge- wegen der europarechtlichen Vorgaben erforderlich. samt überprüfen müssen. Zum anderen wäre es nicht richtig, die straßenverkehrs- Eine Neubewertung der Verkehrsverstöße anhand ih- rechtliche Verantwortung auf den „Ausbildungsfahrten“ rer straßenverkehrsrechtlichen Gefährlichkeit für andere im Rahmen einer Laienausbildung auf die erfahreneren Verkehrsteilnehmer wäre aus Sicht der FDP-Fraktion Ehrenamtlichen zu verlagern. daher dringend erforderlich. Dabei muss man auch da- Dass Sie, meine Damen und Herren von der Großen rüber nachdenken, ob wiederholte schwere Verkehrsver- Koalition, für das Aufschreiben dieses Vorschlags so stöße nicht stärker als bisher zu Buche schlagen sollten. lange gebraucht haben, ist für mich nur schwer verständ- Außerdem plädiere ich dafür, im Rahmen der Umstellung lich. Die Art und Weise, in der Sie sich in dieser Diskus- des Systems alle Einträge mit nur einem und zwei sion über Wochen gestritten haben, ist allerdings sympto- Punkten zu löschen, weil diese auf geringfügigen Ver- matisch für den Zustand dieser Koalition. stößen beruhen, die zum Teil nach der Neubewertung der Verkehrsverstöße nicht mehr mit einem Punkteintrag ge- Auch wenn die nun gefundene Lösung in materieller ahndet würden. Hinsicht auch die Unterstützung der Liberalen findet, teilen wir nicht ihre Art der Umsetzung. Wir hätten uns Auch beim freiwilligen Punkteabbau muss sich etwas eine bundesweit einheitliche Lösung gewünscht. Statt- verändern. Bislang besteht die einzige Möglichkeit zum dessen hat sich der Bundesverkehrsminister in die Punkteabbau in der Teilnahme an einem Aufbauseminar. Schmollecke zurückgezogen, weil er offenbar nicht bereit Das überzeugt mich nicht. Der Grund für die Eintragung war, mehr als gerade nötig auf eine Forderung des Bun- des Punktes liegt in einer Gefährdung der Verkehrssi- desrates einzugehen. cherheit durch den begangenen Verkehrsverstoß. Wenn

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26211

Patrick Döring (A) der Fahrer einen anderen Beitrag zur Steigerung der Tilgungsfrist der Punkte drei Stufen. Diese will die Ko- (C) Verkehrssicherheit leistet, muss auch dann eine vorzei- alition nun dahin gehend prüfen, ob die Fristen je nach tige freiwillige Tilgung von Punkten in Betracht kommen. Verkehrsverstoß gesondert festgelegt werden. Im Gegen- Es ist allgemein anerkannt, dass zum Beispiel Fahr- zug könnte die Verlängerung bei Neueinträgen entfallen. sicherheitstrainings einen wichtigen Beitrag zur Ver- Das kann zwar gemacht werden, könnte aber „Vergröße- kehrssicherheit leisten. Eine simulierte Alkoholfahrt rung der Transparenz des Punktesystems“ oder „Verwal- trägt zur Vermeidung von Alkoholfahrten bei, weil den tungsvereinfachung“ konterkarieren. Da muss die Linke Fahrern die Unfallgefahr bei Alkoholfahrten vor Augen fragen, ob die Koalition nicht etwa beabsichtigt, Flens- geführt wird. burger Punkte schneller abzubauen und so das System zu schwächen. Da würden wir nicht mitgehen. So weit aber Eines muss aber auch klar sein: Der Abbau durch die gehen Sie noch nicht. Jetzt soll geprüft werden. Da gehen Teilnahme an Sicherheitstrainings muss stark begrenzt wir mit. Beim dritten Straßenverkehrsthema, das hier be- sein, damit diese nicht zum Freifahrtschein für Verkehrs- raten wird, geht es nicht um Registrierung von Fahrern, verstöße wird. Aber es können auf diese Weise Anreize sondern um Registrierung von Fahrzeugen: um Online- für die Teilnahme an einem Fahrsicherheitstraining techniken und deren Erprobung. Dazu soll das Bundes- gesetzt werden. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir verkehrsministerium die Landesregierungen ermächti- die Abbaumöglichkeiten ausweiten sollten, weil wir da- gen, Ausnahmeregelungen zuzulassen. Und hier enthält mit die Verkehrssicherheit erhöhen können. sich die Linke. Wir teilen die Bedenken des Bundesrats: Durch Pilotprojekte dürfen: Dorothée Menzner (DIE LINKE): keine Auswirkungen auf das Zulassungsverfahren Der neue Führerschein der Klasse B hat einen Haken. außerhalb der Länder eintreten, in denen Pilotpro- Nur Autos bis 3,5 Tonnen dürfen damit bewegt werden – jekte durchgeführt werden, sei es dadurch, dass anders als mit dem alten Führerschein Klasse 3. Da dort Daten zeitaufwendig von Hand in das entspre- hagelte es Proteste der freiwilligen Helfer, der Feuer- chende System eingepflegt werden müssen, oder wehrleute, der Retter beim Katastrophenschutz und bei aber über Ausnahmeregelungen hinsichtlich der den technischen Diensten. Dort gibt es nämlich viele Zuständigkeit die finanziellen und personellen Pla- Autos mit weit höherem Gewicht. Insofern war es gut, nungen von Zulassungsbehörden ad absurdum ge- dass die Oppositionskollegen der FDP Abhilfe gefordert führt werden. haben. Leider aber sind Sie mit ihrem Antrag zu kurz ge- So die Bundesratsdrucksache 329/1/09. sprungen: Ausnahmen lediglich für Autos bis 4,25 Ton- nen reichen nicht. Deshalb wurde hinter den Kulissen ge- Zudem gibt es offenbar schon ein Feinkonzept für das arbeitet, und jetzt steht im Regierungsentwurf sogar eine E-Government in der Autozulassung. Darauf bezieht sich (B) (D) Gewichtsgrenze von 7,5 Tonnen. Damit können alle frei- die Bundesratsempfehlung. Die Initiatoren des Gesetzes willigen Helfer gut leben. Die Linke ist dafür. aber hielten es nicht für nötig, das Feinkonzept mit dar- zulegen. Das ist nicht redlich. Deshalb kann sich die Zustimmung vonseiten der Linken auch für mehr Linke zu diesem Gesetz nur der Stimme enthalten. Transparenz in der Punktekartei. Flensburg, das heißt für manche drohendes Fahrverbot, für andere vorbeu- Doch auch wenn die Katze im Sack bleibt: Bei den gende Sicherheit. Diesem Gegensatz hat sich auch der Pilotprojekten dürfen Dritte keinerlei Zugriff auf Daten Verkehrsgerichtstag in Goslar gestellt. Und dessen Emp- haben. Die Bahnspitzelaffäre hat gezeigt: Detekteien fehlungen umzusetzen, wird mit dem Antrag der Koali- kommen an solche Daten. Ich frage mich: Wird das künf- tig leichter? Und die Betrugssicherheit? Bei der Ab- tion gefordert. Für Betroffene, Anwälte und Behörden wrackprämie wurde von krimineller Energie gesprochen, soll der Kontakt zum Flensburger Register künftig sodass die Regierung nachgebessert hat und jetzt einfacher werden. Außerdem soll geprüft werden, ob Originalfahrzeugpapiere einzusenden sind. Dem wäre jeder Neueintrag weiterhin bedeutet, dass die Fristen zur bei Onlineregistrierungen wohl nicht so. Wird dem Be- Tilgung der schon vorhandenen Eintragungen gestreckt trug dann wieder Tür und Tor geöffnet? werden. Begründet wird das mit Floskeln wie Ver- waltungsvereinfachung und Bürokratieabbau. Da ist für Linke zunächst immer Wachsamkeit geboten. Trotzdem Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): kann die rote Warnlampe hier gleich wieder ausge- Wie haben heute über drei relativ unterschiedliche schaltet werden. Die Koalition bezieht sich explizit auf Vorlagen zu entscheiden: einen Antrag und zwei Gesetz- die Empfehlungen des Verkehrsgerichtstages. Ansonsten entwürfe zum gleichen Gesetz, nämlich dem Straßenver- bleibt sie so vage, dass sogar die Linke zustimmen kann. kehrsgesetz, zu entscheiden. Ich möchte zunächst auf den Antrag bezüglich der Punktesystematik des Verkehrs- Dass der Punktekatalog nicht gerade übersichtlich ist, zentralregisters und dann auf das Sechste Gesetz zur ist nicht zu bestreiten. Und dass Auskünfte nur auf dem Änderung des Straßenverkehrsgesetzes eingehen, um Postweg erteilt werden, dazu Formular und Kopie des meinen Beitrag mit dem Fünften Gesetz zur Änderung Personalausweises einzusenden sind, ist sicher nicht der des Straßenverkehrsgesetzes zu beenden. einfachste Weg. Andererseits hätten sicherlich viele etwas dagegen, wenn die Punkte im Internet frei für alle Die Punktesystematik des Verkehrszentralregisters in zu zählen wären. Gewisse Sicherheiten sollten sein. Flensburg hat sich als Instrument zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit bewährt. Das heißt aber nicht – Eine Schwachstelle aber weist der Antrag auf, und und das gilt für die Verkehrssicherheit in Deutschland darauf möchten wir hinweisen. Derzeit gibt es für die insgesamt –, dass das System nicht noch verbessert wer-

Zu Protokoll gegebene Reden 26212 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Peter Hettlich (A) den kann. Denn viele Autofahrerinnen und Autofahrer Da ist es schlüssig, wenn ich 2009 mit einem Verkehrs- (C) verstehen nicht, für welche Vergehen sie wie viele Punkte thema aufhöre. bekommen und – vor allem – wie lange diese erhalten bleiben. Das gilt erst recht für die Autofahrerinnen und Für mich waren es sieben spannende, aufregende, Autofahrer, die wegen ihres guten Fahrverhaltens noch aber auch anstrengende Jahre, die ich nicht vergessen keine Erfahrung mit Punkten gemacht haben. Daher be- werde, und in denen ich viele Kolleginnen und Kollegen grüße ich diesen Prüfauftrag, und ich bin gespannt, aus den anderen Fraktionen schätzen gelernt habe. Wenn welche Änderungen uns von der Bundesregierung vorge- uns auch manchmal inhaltliche Differenzen trennten, im schlagen werden. Ob wir diesen zustimmen können, wird Umgang miteinander war der Ausschuss für Verkehr, sich erst dann zeigen. Bau und Stadtentwicklung immer menschlich und anständig, einfach eine tolle Truppe. Zu einigen von euch Es ist schon erstaunlich wie experimentierfreudig eine werde ich sicherlich engeren Kontakt halten können, Regierungskoalition sein kann, wenn das Ende der andere werde ich bei anderen Gelegenheiten sicherlich Legislaturperiode naht. Ich wünschte mir, dass das in an- wiedersehen, wiederum andere werde ich vielleicht ganz deren Bereichen der Verkehrspolitik in den vergangenen aus den Augen verlieren, ganz wie im richtigen Leben. Jahren ebenso gewesen wäre. Einer Erprobung neuer Verfahrensweisen mit Hilfe von Onlineprozessen für die Ich wünsche mir besonders, dass auch in der kommen- Registrierung von Fahrzeugen auf dem Wege einer Ex- den Legislaturperiode dieser Ausschuss federführend für perimentierklausel wird die grüne Bundestagfraktion die Belange der ostdeutschen Bundesländer bleibt; denn ganz bestimmt nicht im Wege stehen. er war viel besser als sein Ruf. Die zahlreichen Debatten in unserem Ausschuss – dafür leider zu wenige im Beim fünften Änderungsgesetz zum Straßenverkehrs- Plenum und die noch dazu zu schlechten Tageszeiten – gesetz hat die Bundesregierung wie so oft bis zur letzten waren von einer hoher Sachlichkeit und Ernsthaftigkeit Minute gewartet. Das Problem mit den Fahrerlaubnissen geprägt. Es ging oft um ganz andere Themen als Ver- besteht doch schon seit 1999. Heute schreiben wir das kehrsinfrastruktur oder Stadtumbau Ost. Es gelang uns Jahr 2009. Warum ist da nichts geschehen, obwohl es immer wieder, auch die westdeutschen Kollegen für un- doch um die Fahrerinnen und Fahrer geht, die tagtäglich sere Themen zu interessieren. Wir brauchen daher auch für unser aller Sicherheit im Einsatz sind? in Zukunft die Zuständigkeit dieses Ausschusses, damit er sich auch weiterhin dieser wichtigen Querschnittsauf- Die vielfach ehrenamtlich tätigen Frauen und Männer gabe annimmt. Das Thema ist zu wichtig, um es bloß der des Katastrophenschutzes, der Feuerwehren und des Ret- Exekutive überlassen zu dürfen. tungswesens benötigen für ihre Einsätze Fahrzeuge, die schwerer als 3,5 Tonnen zulässiges Gesamtgewicht und Den vielen Kolleginnen und Kollegen des Ausschus- (B) zum Teil sogar schwerer als 7,5 Tonnen zulässiges Ge- ses, die dem 17. Deutschen Bundestag nicht mehr ange- (D) samtgewicht sind. Nach neuem Recht brauchen sie die hören werden, wünsche ich einen reibungslosen Über- Fahrerlaubnis der Klasse C1 oder C, wenn sie ihre Fahr- gang in ihr neues Leben, viel Glück, Gesundheit und erlaubnis erst nach dem 1. Januar 1999 erhalten haben mehr Zeit für sich selbst und ihre Liebsten. Denjenigen, und daher nicht aus dem Bestandschutz Nutzen ziehen die weitermachen, wünsche ich viel Kraft und Freude für können. Jeder von uns will aber, dass sich unsere Rette- diese wichtige Aufgabe und viele nette neue Kolleginnen rinnen und Retter sicher bei ihren Alarmeinsätzen mit und Kollegen im 17. Deutschen Bundestag. ihren Fahrzeugen auf unseren Straßen bewegen; denn ein verunfalltes Rettungsfahrzeug erreicht sein Ziel nicht Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundes- und bindet zudem andere Rettungskräfte, die am eigentli- minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: chen Einsatzort dann nicht zur Verfügung stünden. Ich Der Ihnen vorliegende Entwurf eines 5. Gesetzes zur gehe jedoch davon aus, dass die Akteure vor Ort die Er- Änderung des StVG wird die Nachwuchsprobleme der fahrungen haben und am besten wissen, wie sie sicher Freiwilligen Feuerwehren und Rettungsdienste schnell zum Einsatzort kommen und wie sie das auch vermitteln und pragmatisch lösen können. Derzeit können nur ältere können. Wichtig ist für mich, dass der Fahrer eines Ret- Fahrerlaubnisinhaber, die vor dem 1. Januar 1999 ihre tungsdienstes wie jeder andere, der ein Fahrzeug steuern Fahrerlaubnis erworben haben, auch heute noch schwe- will, eine praktische Fahrprüfung mit dem Prüfungsfahr- rere Fahrzeuge mit dem bisherigen Führerschein der zeug der jeweiligen Klasse erfolgreich absolvieren muss. – alten – Klasse 3 fahren. Nunmehr müssen jüngere Fah- Da das mit dieser Gesetzesänderung gewährleistet ist, rer nachrücken, die aber nicht mehr über die benötigte stimmen wir dem Gesetzentwurf zu. Fahrerlaubnis verfügen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eigentlich wollte ich Grund für diese Entwicklung ist die 2. EG-Führer- diese meine letzte Rede noch im Plenum halten. Ange- scheinrichtlinie, mit der die Fahrerlaubnisklassen zum sichts der langen Tagesordnung und einer Folgeveran- 1. Januar 1999 europaweit harmonisiert wurden. Seither staltung ist mir dieser letzte Schlussstein wohl nicht mehr dürfen mit einer Pkw-Fahrerlaubnis der Klasse B nur vergönnt. Aber ich trage es mit Fassung, denn ich hatte noch Kraftfahrzeuge bis zu einer zulässigen Gesamt- ja schon mehrfach Gelegenheit, mich bei euch und Ihnen masse von bis zu 3,5 Tonnen gefahren werden. Für Kraft- zu bedanken und zu verabschieden. Ich danke bei dieser fahrzeuge zwischen 3,5 Tonnen und 7,5 Tonnen ist seit- Gelegenheit Toni Hofreiter, der mir seine Redezeit abge- dem eine Fahrerlaubnis der Klasse C1 und für treten hat; es war auf jeden Fall einen Versuch wert. Kraftfahrzeuge über 7,5 Tonnen eine Fahrerlaubnis der Schließlich habe ich 2002 mit Verkehrsthemen begonnen. Klasse C erforderlich. Aus diesem Grund ist auch die

Zu Protokoll gegebene Reden Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26213

Parl. Staatssekretär Ulrich Kasparick: (A) ursprünglich vom Bundesrat in seiner Entschließung und andererseits den Belangen der ehrenamtlich tätigen (C) vom 7. November 2008 geforderte Lösung nicht EG- Angehörigen der freiwilligen Feuerwehren, der Ret- rechtskonform. Das Fahren von Einsatzfahrzeugen bis zu tungsdienste und der technischen Hilfsdienste schnell einer Gesamtmasse von 4,25 Tonnen ohne weitere Aus- und pragmatisch Rechnung getragen. Im Interesse unse- bildung und Prüfung entspricht nicht den strengen rer ehrenamtlich tätigen Mitbürgerinnen und Mitbürger Vorgaben aus Brüssel. bitte ich Sie daher, dem 5. Gesetz zur Änderung des Stra- ßenverkehrsgesetzes zuzustimmen. Die Bundesregierung hat deshalb mit dem Ihnen vor- liegenden Gesetzentwurf die notwendigen Vorschriften Ein weiteres wichtiges Thema ist die dringend erfor- für die Aufnahme einer speziellen Fahrberechtigung für derliche Reform des Punktesystems. Sehr geehrte Kolle- Mitglieder der freiwilligen Feuerwehren, der Rettungs- ginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion, ich bin Ih- dienste und der technischen Hilfsdienste eingebracht. nen dankbar, dass Sie gemeinsam mit meiner Fraktion Die neue Fahrberechtigung macht es möglich, Einsatz- diesen wegweisenden Entschließungsantrag auf den Weg fahrzeuge bis zu einer zulässigen Gesamtmasse von bringen. Kaum ein Thema bewegt die Verkehrsteilneh- 7,5 Tonnen auf der Grundlage einer EG-rechtlich vorge- mer im Alltag so sehr, wie die sogenannte Verkehrssün- schriebenen, spezifischen Ausbildung und Prüfung zu derkartei in Flensburg. So wichtig wie das seit 1999 fahren. Damit gehen wir sogar deutlich über die vom geregelte Verkehrszentralregister auch ist, so unüber- Bundesrat geforderten 4,75 Tonnen hinaus. sichtlich sind zwischenzeitlich die rechtlichen Folgen. Komplizierte Fristenberechnungen, die nicht nur von der Die neuen Regelungen, die in das Straßenverkehrsge- Schwere des Verkehrsverstoßes abhängen, sondern auch setz, StVG, und die entsprechende Ausführungsverord- von dem Umstand, ob es in einem bestimmten Zeitraum nung, die Fahrerlaubnis-Verordnung, aufgenommen wer- zu weiteren Eintragungen in das Register gekommen ist, den sollen, enthalten folgende Neuerungen: die erschweren das Verfahren für alle Beteiligten. Weder die Einführung einer „einfachen“ Fahrberechtigung bis Bürgerinnen und Bürger, noch die Verwaltungsbehörden 4,75 Tonnen, die im Rahmen einer organisationsinternen und sogar die Gerichte können die teilweise hochkompli- (Laien-)Ausbildung mit anschließender interner zierten Fristenberechnungen nachvollziehen und bewer- praktischer Prüfung erworben werden kann, – die Befug- ten, sodass eine Vereinfachung des gesamten Punktesys- nis zur Regelung der Ausbildung und Prüfung wird un- tems dringend geboten ist. Auch der Verkehrsgerichtstag mittelbar auf die Länder übertragen –; zudem die Ein- in Goslar hat sich ja in diesem Jahr der Thematik ange- führung einer „qualifizierten“ Fahrberechtigung bis nommen und entsprechende Gesetzesänderungen emp- 7,5 Tonnen mit einer verkürzten praktischen Ausbildung fohlen. in den Fahrschulen und einer praktischen Prüfung bei den Prüforganisationen. Durch die Verringerung des Klar ist dabei aber auch, dass ein reformiertes Punk- (B) (D) Umfangs der theoretischen Ausbildung und Prüfung so- tesystem als Instrument zum Erhalt des hohen Niveaus wie wenige vorgeschriebene Sonderfahrten kommt es zu der Sicherheit im Straßenverkehr dienen muss und Mehr- einer spürbaren Reduzierung der Kosten und des zeit- fachtäter nicht bessergestellt werden dürfen. Was wir lichen Aufwandes. Je nach Stundenzahl soll ein solcher nicht wollen, ist ein Verkehrssünderrabatt. Es gibt keine „Feuerwehrführerschein“ zwischen circa 300 Euro und Abstriche bei den Tilgungsfristen. Ich bitte Sie daher, im 600 Euro kosten. Hinzu kommt eine Prüfungsgebühr von Interesse aller Verkehrsteilnehmer dem vorliegenden rund 120 Euro. Entschließungsantrag zuzustimmen. Damit liegen wir deutlich unter den 1 000 Euro, mit Die Regierungschefs von Bund und Ländern haben denen wir vor drei Monaten als Zielvorgabe gestartet 2006 den Aktionsplan „Deutschland-Online“ beschlos- sind. Dabei möchte ich hervorheben, dass diese „qualifi- sen. Ziel ist die Modernisierung der Verwaltung unter zierte“ Fahrberechtigung nach zwei Jahren in eine allge- Nutzung von E-Government. Das Vorhaben Kfz-Wesen ist meine Fahrberechtigung der Klasse C1 prüfungsfrei ein wichtiger Bestandteil dieses Aktionsplans: Die Regis- umgetauscht werden kann, die dann auch privat und vor trierungsprozesse von Fahrzeugen sollen danach unter allem beruflich genutzt werden kann. Nutzung der Möglichkeiten von E-Government neu ausgerichtet werden. Über diese Eckpfeiler der neuen Fahrberechtigung ist in den vergangenen Wochen auch bei dem von BM Da es insoweit in erster Linie um Verwaltungsver- Tiefensee ins Leben gerufenen Runden Tisch intensiv und fahrensfragen geht, wird das Projekt unter der Feder- durchaus kontrovers diskutiert worden. An diesem führung des BMI und der Freien und Hansestadt Runden Tisch haben neben den Fachleuten meines Hamburg durch die Finanzbehörde Hamburg betrieben. Hauses auch das zuständige Innenministerium, alle be- Die Vorstellungen Hamburgs haben jedoch auch unmit- troffenen Verbände, die Prüforganisationen TÜV und telbare Auswirkungen auf das Zulassungsrecht, sodass DEKRA, die Fahrlehrerschaft und die Bundesländer teil- das BMVBS und die Verkehrsministerkonferenz um Un- genommen. Dort konnten wir auch die zuletzt aufgekom- terstützung des Deutschland-Online-Projekts „Kfz-We- mene Frage einer „Anhängerregelung“ bis 1,5 Tonnen sen“ gebeten wurden. Diese wurde zuletzt Ende April an- ohne rechtliche Änderungen für die sogenannten weißen lässlich der VMK zugesagt. Verbände wie die DLRG, das DRK und die Johanniter Dabei ist klar: Erfolgreich kann das Projekt nur sein, pragmatisch lösen. wenn eine enge fachliche Einbindung der Verkehrsseite Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird einerseits gelingt. Ein positives Kosten-Nutzen-Verhältnis für den der schmale, EG-rechtlich zulässige Grat ausgeschöpft Bürger und die Verwaltung ist eine der maßgeblichen

Zu Protokoll gegebene Reden 26214 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Parl. Staatssekretär Ulrich Kasparick: (A) Voraussetzungen. Gleichzeitig dürfen Verkehrssicher- Noch in diesem Herbst wollen wir die Onlineanbin- (C) heits-, Steuer- und Versicherungsfragen nicht außer Acht dung der Zulassungsbehörden an das Zentrale Fahrzeug- gelassen werden. Dies alles unter einen Hut zu bekom- register, ZFZR, starten. Die Zulassungsstellen können men, ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. schon bald Mitteilungen über die Zulassung von Fahr- zeugen direkt in das ZFZR einstellen. Das ZFZR wird Als wichtigem Schritt zur Verwirklichung wurde bei dann 100 Prozent aktuell. Außerdem werden so die Vo- der letzten VMK Ende April dem sogenannten Fein- raussetzungen dafür geschaffen, um künftig auf die örtli- konzept Hamburgs zugestimmt. Durch Pilotprojekte in chen Fahrzeugregister zu verzichten. Hamburg, Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein- Westfalen soll danach die möglichst weitgehende Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Nutzung von Onlineprozessen für die Fahrzeug- Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- registrierung erreicht werden. Um das vorgesehene desregierung eingebrachten Gesetzentwurf eines Fünften Pilotprojekt in Hamburg durchzuführen, sind nach Auf- Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes. fassung der Finanzbehörde Hamburg jedoch dort Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Abweichungen von den Vorschriften zur Fahrzeug- empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- zulassung erforderlich. Dazu haben wir, das BMVBS, sache 16/13616, den Gesetzentwurf der Bundesregie- zugesagt, eine befristete Experimentierklausel in das rung auf Drucksache 16/13108 in der Ausschussfassung StVG einzubringen und unseren konstruktiven Beitrag zu anzunehmen. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu- leisten: § 6 StVG wird um einen neuen Abs. 6 ergänzt. stimmen wollen, mögen das mit einem Handzeichen Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtent- kundtun. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist wicklung wird ermächtigt, eine Ausnahmeregelung zu der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen bei erlassen, die es den Ländern auf drei Jahre befristet Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen und die gestattet, zur Anwendung von E-Government ihrerseits Fraktion Die Linke; FDP und Bündnis 90/Die Grünen Ausnahmen von Regelungen für die Zulassung von Fahr- haben sich enthalten. zeugen zu treffen. Ich bitte Sie, diesem Gesetz zuzustim- men. Dritte Beratung Weitere Details und auch mögliche Grenzen müssen und Schlussabstimmung. Wer zustimmen will, möge dann anschließend in einer Verordnung festlegt werden. sich bitte erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dies kann dann folgen, wenn die Einzelheiten der Pilot- Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung angenommen projekte feststehen. Wir erwarten hierzu insbesondere mit dem gleichen Stimmverhältnis wie vorher. aus Hamburg eine konkrete und mehrheitsfähige Zuar- Abstimmung über den von der Bundesregierung ein- (D) (B) beit. gebrachten Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Ände- rung des Straßenverkehrsgesetzes. Der Ausschuss für Unser rasch erarbeiteter Gesetzesvorschlag belegt: Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Das Projekt D-Online wird vom BVMBS aktiv unter- Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13617, den stützt. Einzelne Zielsetzungen im Feinkonzept, etwa die Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/ zu prüfende Abschaffung von Zulassungspapieren und 13109 anzunehmen. Diejenigen, die dem Gesetzentwurf Siegeln auf Kennzeichen, die von der Projektgruppe vor- zustimmen wollen, mögen das mit ihrer Hand anzei- geschlagen wurden, um in Zukunft eine gänzlich medien- gen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetz- bruchfreie Onlinezulassung zu ermöglichen, bedürfen entwurf ist in zweiter Beratung angenommen. Zuge- aber noch vertiefter fachlicher Diskussionen, die mit der stimmt haben CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/ Verkehrs- und Innenseite bislang nicht geführt wurden. Die Grünen; die Fraktion Die Linke hat sich enthalten; Dies betrifft in gleicher Weise Ansätze im Konzept zur dagegen war niemand. Privatisierung. Klar ist ebenfalls, dass es bei der Ver- kehrssicherheit keine Abstriche geben darf. Dritte Beratung Der verstärkte Einsatz moderner Computertechnolo- und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zu- gie im Zulassungswesen ist schon seit Jahren ein stimmen will, möge sich bitte erheben. – Gegenstim- wichtiges Thema des BMVBS. Wir haben in diesem Be- men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in dritter reich schon erhebliche Beiträge und Vorleistungen Beratung mit dem gleichen Stimmverhältnis wie vorher erbracht. So ersetzt seit dem 1. März 2008 die elektroni- angenommen. sche Versicherungsbestätigung auf Abruf, eVB, den bis Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus- dahin ausschließlich in Papierform erbrachten Nachweis schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu dem über das Bestehen einer Kfz-Haftpflichtversicherung. Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD mit Anstelle einer Papierversicherungsbestätigung erhält dem Titel „Punkte-Systematik des Verkehrszentralregis- der Kunde durch seine Versicherung nun eine siebenstel- ters in Flensburg einfacher und verständlicher gestalten“. lige Versicherungsbestätigungsnummer, VB-Nummer. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung Durch dieses Verfahren können die Warte- und Bearbei- auf Drucksache 16/13407, den Antrag der Fraktionen tungszeiten in den Zulassungsstellen verkürzt werden. der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/12993 Gleichzeitig werden Missbräuche mit „Doppelkartenrei- anzunehmen. Wer stimmt für die Beschlussempfeh- terei“ zum Nachteil der Versicherungswirtschaft vermie- lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Diese den. Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26215

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) Ich rufe Tagesordnungspunkte 75 a und b auf: Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Um- (C) setzung des Abkommens liegt ein Änderungsantrag der a) – Zweite Beratung und Schlussabstimmung des Fraktion der FDP vor. von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen Ihre Reden zu Protokoll haben gegeben Clemens vom 1. Oktober 2008 zwischen der Regie- Binninger, Wolfgang Gunkel, Gisela Piltz, Jan Korte und rung der Bundesrepublik Deutschland und Wolfgang Wieland.1) der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika über die Vertiefung der Zusam- Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- menarbeit bei der Verhinderung und Be- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Ab- kämpfung schwerwiegender Kriminalität kommen mit der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika über die Vertiefung der Zusammenarbeit bei – Drucksachen 16/13123, 16/13185 – der Verhinderung und Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität. – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 1 Buchstabe a Gesetzes zur Umsetzung des Abkommens seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/13659, zwischen der Regierung der Bundesrepu- den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Druck- blik Deutschland und der Regierung der sachen 17/13123 und 16/13185 anzunehmen. Ich bitte Vereinigten Staaten von Amerika vom diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, 1. Oktober 2008 über die Vertiefung der sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält Zusammenarbeit bei der Verhinderung und sich? – Der Gesetzentwurf ist bei Zustimmung durch die Bekämpfung schwerwiegender Kriminali- Koalitionsfraktionen angenommen. Die Oppositions- tät fraktionen sowie der Abgeordnete Tauss haben dagegen gestimmt. – Drucksachen 16/13124, 16/13186 – Unter Nr. 1 Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- auf Drucksache 16/13659 empfiehlt der Ausschuss, eine schusses (4. Ausschuss) Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be- – Drucksache 16/13659 – schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- tungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Berichterstattung: Die Koalitionsfraktionen haben zugestimmt, die Opposi- Abgeordnete Clemens Binninger tionsfraktionen dagegen. (B) Wolfgang Gunkel (D) Gisela Piltz Abstimmung über den von der Bundesregierung ein- Jan Korte gebrachten Gesetzentwurf zur Umsetzung des Abkom- Wolfgang Wieland mens mit den Vereinigten Staaten von Amerika über die Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Verhinderung b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- und Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität. richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Be- – zu dem Antrag der Abgeordneten Gisela Piltz, schlussempfehlung auf Drucksache 16/13659, den Ge- Christian Ahrendt, Ernst Burgbacher, weiterer setzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen Abgeordneter und der Fraktion der FDP 16/13124 und 16/13186 anzunehmen. Abkommen zwischen der Bundesrepublik Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der Deutschland und den Vereinigten Staaten FDP auf Drucksache 16/13697 vor, über den wir zuerst von Amerika über die Vertiefung der Zu- abstimmen. Wer ist für diesen Änderungsantrag? – Wer sammenarbeit bei der Verhinderung und ist dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität ist bei Zustimmung durch die FDP-Fraktion und neu verhandeln Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt; Die Linke, SPD und CDU/CSU haben dagegen gestimmt. – zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Wieland, Volker Beck (Köln), Alexander Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu- Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung bei Zustimmung durch die Koalitions- Kein uferloser Datenaustausch mit den USA fraktionen angenommen. Die Oppositionsfraktionen und – Drucksachen 16/9094, 16/9360, 16/13659 – der Abgeordnete Tauss sind dagegen. Berichterstattung: Dritte Beratung Abgeordnete Clemens Binninger und Schlussabstimmung. Wer für den Gesetzentwurf ist, Wolfgang Gunkel möge sich bitte erheben. – Die Gegenstimmen! – Enthal- Gisela Piltz Jan Korte Wolfgang Wieland 1) Anlage 13 26216 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) tungen? – Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit Drucksache 16/9360 mit dem Titel „Kein uferloser Da- (C) dem gleichen Stimmverhältnis wie vorher angenommen. tenaustausch mit den USA“. Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Wir setzen die Abstimmung zu der Beschlussempfeh- tungen? – Die Beschlussempfehlung ist bei Zustimmung lung des Innenausschusses auf Drucksache 16/13659 durch CDU/CSU und SPD angenommen. Dagegen ha- fort. ben FDP, Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschluss- Linke gestimmt. empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/9094 mit dem Titel „Abkom- Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tages- men zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den ordnung. Vereinigten Staaten von Amerika über die Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Verhinderung und Bekämpfung Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundesta- schwerwiegender Kriminalität neu verhandeln“. Wer ges auf Mittwoch, den 26. August 2009, 13 Uhr, ein. stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer ist dage- gen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist bei Genießen Sie die gewonnenen Einsichten! Genießen Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen und gegen Sie den Sommer und all das, was Sie vorhaben! die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Die Sitzung ist geschlossen. Unter Nr. 4 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf (Schluss: 18.03 Uhr)

(B) (D) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26217

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

Anlage 2 entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Erklärung nach § 31 GO Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Bätzing, Sabine SPD 03.07.2009 Klaus Uwe Benneter, Dr. Dieter Wiefelspütz, Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/ 03.07.2009 Dr. Lale Akgün, Gregor Amann, Dr. h. c. Gerd DIE GRÜNEN Andres, Volker Blumentritt, Ingrid Arndt-Brauer, Sabine Bätzing, Doris Barnett, Sören Bartol, Dr. Bisky, Lothar DIE LINKE 03.07.2009 Dirk Becker, Ute Berg, Lothar Binding (Heidel- Dr. Dehm, Diether DIE LINKE 03.07.2009 berg), Gerd Bollmann, Dr. Gerhard Botz, Dr. Michael Bürsch, Ulla Burchardt, Christian Faße, Annette SPD 03.07.2009 Carstensen, Karl Diller, Dr. Carl-Christian Dressel, Elvira Drobinski-Weiß, Detlef Dzembritzki, Gabriel, Sigmar SPD 03.07.2009 Sebastian Edathy, Siegmund Ehrmann, Hans Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 03.07.2009 Eichel, Petra Ernstberger, Gabriele Frechen, Dagmar Freitag, Peter Friedrich, Martin Gerster, Dr. Gerhardt, Wolfgang FDP 03.07.2009 Iris Gleicke, Angelika Graf (Rosenheim), Dieter Gradistanac, Renate SPD 03.07.2009 Grasedieck, Monika Griefahn, Kerstin Griese, Gabriele Groneberg, Wolfgang Grotthaus, Bettina Höger, Inge DIE LINKE 03.07.2009 Hagedorn, Klaus Hagemann, Michael Hartmann (Wackernheim), Dr. Reinhold Hemker, Rolf Jung (Konstanz), CDU/CSU 03.07.2009 Hempelmann, Dr. Barbara Hendricks, Gustav Andreas Herzog, Petra Heß, Gabriele Hiller-Ohm, Dr. Kretschmer, Michael CDU/CSU 03.07.2009 Eva Högl, Frank Hofmann (Volkach), Christel Humme, Johannes Jung (Karlsruhe), Josip (B) (D) Dr. Küster, Uwe SPD 03.07.2009 Juratovic, Karin Kortmann, Dr. Hans-Ulrich Krüger, Jürgen Kucharczyk, Helga Kühn- Lenke, Ina FDP 03.07.2009 Mengel, Christian Lange (Backnang), Waltraud Link (Heilbronn), FDP 03.07.2009 Lehn, Gabriele Lösekrug-Möller, Caren Marks, Michael Katja Mast, Markus Meckel, Petra Merkel (Ber- lin), Dr. Erika Ober, Johannes Pflug, Joachim Dr. Lippold, Klaus W. CDU/CSU 03.07.2009 Poß, Mechthild Rawert, Steffen Reiche (Cott- Lips, Patricia CDU/CSU 03.07.2009 bus), Gerold Reichenbach, Dr. Carola Reimann, Christel Riemann-Hanewinckel, Ortwin Runde, Meierhofer, Horst FDP 03.07.2009 Swen Schulz (Spandau), Ewald Schurer, Dr. Margrit Spielmann, Rolf Stöckel, Jörn Thießen, Merten, Ulrike SPD 03.07.2009 Dr. h. c. Wolfgang Thierse, Rüdiger Veit, Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 03.07.2009 Andreas Weigel, Gert Weisskirchen (Wiesloch), Lydia Westrich, Andrea Wicklein, Engelbert Raidel, Hans CDU/CSU 03.07.2009* Wistuba und Hedi Wegener (alle SPD) zur na- mentlichen Abstimmung über den Entwurf ei- Roth (Heringen), SPD 03.07.2009 nes … Gesetzes zur Änderung des Bundeswahl- Michael gesetzes (Tagesordnungspunkt 70) Dr. Scheuer, Andreas CDU/CSU 03.07.2009 Die Wahl des 17. Deutschen Bundestages am 27. Sep- Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 03.07.2009 tember 2009 wird auf der Grundlage eines in der Sache verfassungswidrigen Wahlrechts stattfinden. Die Verant- Schwanitz, Rolf SPD 03.07.2009 wortung dafür trägt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Teuchner, Jella SPD 03.07.2009 Sie hat sich seit dem Urteil des Bundesverfassungs- gerichts vom 3. Juli 2008 – 2 BvC 1/07, 2 BvC 7/07 – Ulrich, Alexander DIE LINKE 03.07.2009 fortlaufend jedem konstruktiven Gespräch über eine ver- fassungsgemäße Regelung entzogen, weil sie darauf Zapf, Uta SPD 03.07.2009 hofft, mithilfe von Überhangmandaten eine Mehrheit zu- sammen mit der FDP zu erreichen. Diese Verweige- * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- rungshaltung ist nicht damit zu entschuldigen, dass das sammlung der OSZE Bundesverfassungsgericht eine Neuregelung spätestens 26218 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

(A) zum 30. Juni 2011 gefordert hat. Die Verfassungswidrig- 2011 gefordert hat. Die Verfassungswidrigkeit des soge- (C) keit des sogenannten negativen Stimmgewichts gibt nannten negativen Stimmgewichts gibt keine Veranlas- keine Veranlassung, andere Wahlsysteme wie das Mehr- sung, andere Wahlsysteme wie das Mehrheitswahlrecht heitswahlrecht oder das sogenannte Grabensystem zu oder das sogenannte Grabensystem zu erwägen, denn erwägen; denn solche Vorstellungen haben von vornhe- solche Vorstellungen haben von vornherein keine Aus- rein keine Aussicht auf Verwirklichung. Es ist lediglich sicht auf Verwirklichung. Es ist lediglich erforderlich, erforderlich, aber auch ausreichend, die Verfassungs- aber auch ausreichend, die Verfassungswidrigkeit des widrigkeit des geltenden Wahlrechts mit dem geringst- geltenden Wahlrechts mit dem geringstmöglichen Ein- möglichen Eingriff zu beseitigen. Das hätte rechtzeitig griff zu beseitigen. Das hätte rechtzeitig mit dem vorlie- mit dem vorliegenden Gesetzentwurf geschehen können, genden Gesetzentwurf geschehen können, und zwar und zwar auch noch zum jetzigen Zeitpunkt; denn das auch noch zum jetzigen Zeitpunkt, denn das Verfahren Verfahren der Kandidatenaufstellung würde durch die der Kandidatenaufstellung wird durch die vorgesehenen vorgesehenen Änderungen des Bundeswahlgesetzes nicht Änderungen des Bundeswahlgesetzes nicht berührt. berührt. Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD Nur durch den Koalitionsvertrag zwischen CDU, vom 11. November 2005 wird von der CDU/CSU für CSU und SPD vom 11. November 2005, den wir selbst- wahltaktische Manöver missbraucht. Ich werde deshalb verständlich einhalten, sehen wir uns daran gehindert, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. dem vorliegenden Gesetzentwurf zustimmen und fühle mich dem Auftrag unserer Verfassung mehr gebunden als parteipolitischen Manövern der CDU/CSU.

Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO Anlage 4 zur namentlichen Abstimmung über den Ent- Erklärung nach § 31 GO wurf eines … Gesetzes zur Änderung des Bun- deswahlgesetzes (Tagesordnungspunkt 70) des Abgeordneten Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über die Be- schlussempfehlung zu dem Antrag: Altersrente – Dr. Norbert Lammert (CDU/CSU): Es gibt gute Erhöhung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre zu- Gründe, die vom Bundesverfassungsgericht geforderte rücknehmen (Tagesordnungspunkt 68 a) (B) Korrektur des Bundeswahlgesetzes nicht erst in der (D) nächsten Legislaturperiode, sondern bereits zur nächsten Den Antrag der Linken kann ich nicht unterstützen. Bundestagswahl vorzunehmen. Ich verweise allerdings darauf, dass wir uns in Deutsch- land dringend Gedanken zu der Struktur unserer Renten- Dies wäre bei gutem Willen aller Beteiligten auch systeme machen müssen. Deutschland hat im europäi- möglich gewesen, wenn das Interesse an einer Neurege- schen Vergleich die ältesten Berufseinsteiger und die lung nicht erst wenige Monate vor dem Wahltermin mit jüngsten Rentner. Wir weisen im internationalen Ver- Blick auf Umfragen und mögliche Mandatsverteilung gleich die längsten Ausbildungszeiten auf. Ein deutscher und bei weitgehend abgeschlossenem Verfahren zur Aufstellung der Kandidaten in Wahlkreisen wie auf den Hochschulabsolvent startet erst mit 29 Jahren im Beruf, Landeslisten der Parteien deutlich geworden wäre. während sein französischer oder britischer Kollege be- reits mit Mitte Zwanzig einsteigt. Das durchschnittliche Der Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- Renteneintrittsalter in Deutschland liegt bei etwa 60 Jah- nen greift den Regelungsbedarf auf, ohne ihn allerdings ren bei einem gesetzlichen Renteneintrittsalter von überzeugend lösen zu können. 65 Jahren. Die bloße Anhebung des Renteneintrittsalters ist also nicht zielführend. Deshalb werde ich mich der Stimme enthalten. Wir sollten statt des Lebensalters ausschließlich die Lebensarbeitszeit berücksichtigen. Es ist ein Unter- Dr. Wolfgang Wodarg (SPD): Die Wahl des 17. Deutschen Bundestages am 27. September 2009 schied, ob jemand mit 15 auf dem Bau oder mit 28 in wird auf der Grundlage eines in der Sache verfassungs- einem Büro angefangen hat. Gerade körperlich anstren- widrigen Wahlrechts stattfinden. Die Verantwortung da- gende Berufe werden in der Regel bereits in jungen Jah- für trägt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion! Sie hat sich ren angetreten. Ich halte es für geradezu unanständig, seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom körperlich hart arbeitende Menschen bis ins hohe Alter 3. Juli 2008 – 2 BvC 1/07, 2 BvC 7/07 – fortlaufend je- zu ihrer anstrengenden Arbeit zu zwingen und ihnen den dem konstruktiven Gespräch über eine verfassungsge- Weg in die frühere Rente nur durch ärztliche Feststel- mäße Regelung entzogen, weil sie darauf hofft, mithilfe lung ihrer Arbeitsunfähigkeit zu eröffnen. Hier ist mehr von Überhangmandaten eine Mehrheit zusammen mit Flexibilität gefragt, die, so zynisch das klingt, angesichts der FDP zu erreichen. Diese Verweigerungshaltung ist der niedrigeren Lebenserwartung und zudem wegen der nicht damit zu entschuldigen, dass das Bundesverfas- abnehmenden Zahl derer, die sehr jung zu arbeiten sungsgericht eine Neuregelung spätestens zum 30. Juni begonnen haben, finanzierbar ist. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26219

(A) Anlage 5 die Rente auf ein Mindestniveau aufstockt, welches den (C) Grundbedarf für alle sichert. Die Bürgerinnen und Bür- Erklärung nach § 31 GO ger müssen sich darauf verlassen können, dass sie als der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann- langjährig Versicherte der gesetzlichen Rentenversicher- Kuhn, Winfried Hermann, Bärbel Höhn, Ute ung auch als Geringverdienende, Teilzeiterwerbstätige Koczy, Winfried Nachtwei, Claudia Roth (Augs- oder mit unterbrochenen Erwerbsbiografien im Alter burg), Jürgen Trittin, Dr. Anton Hofreiter, nicht auf Leistungen der Grundsicherung angewiesen Markus Kurth und Sylvia Kotting-Uhl (alle sein werden. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu Die Bedingungen, die wir für eine Erhöhung der Re- dem Antrag: Altersrente – Erhöhung der Regel- gelaltersgrenze stellen, sind zum jetzigen Zeitpunkt noch altersgrenze auf 67 Jahre zurücknehmen (Ta- nicht erfüllt. Allerdings beginnt die Erhöhung erst ab gesordnungspunkt 68 a) 2012, und erst ab 2029 gilt die Regelaltersgrenze von 67 Jahren. Es bleibt noch etwas Zeit, um die Weichen Die Lebensrealität älterer Menschen, aber auch die anders zu stellen. Darin liegt die Herausforderung der Realitäten des Arbeitsmarktes in den letzten Jahren nächsten Jahre. Eine simple Zurücknahme der beschlos- haben sich stark gewandelt und werden dies auch weiter senen Regelung lehne ich ab und stimme deshalb gegen tun. Viele Menschen können und wollen auch im Alter den Antrag der Linken. tätig sein. Es ist auch zu berücksichtigen, dass die Lebenserwartung der Menschen gestiegen ist und dies auch weiter tun wird. Das ist ein gutes Zeichen, was die Lebensqualität in unserer Gesellschaft betrifft, führt aber Anlage 6 auch dazu, dass die durchschnittliche Rentenbezugs- dauer immer weiter steigt. Entscheidend ist, die gesetzli- Erklärungen nach § 31 GO che Rente so zu gestalten, dass sich die Älterwerdenden zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset- darauf verlassen können und die Jungen nicht überfor- zes zur Regelung des Datenschutzaudits und dert werden. Eine Erhöhung der Regelaltersgrenze kann zur Änderung datenschutzrechtlicher Vorschrif- dazu einen Beitrag leisten. ten (Tagesordnungspunkt 69 a) Eine längere Lebensarbeitszeit ist aber nur dann zu vertreten ist, wenn es für die älteren Menschen auch die Gitta Connemann (CDU/CSU): Dem vorliegenden Chance gibt, erwerbstätig zu sein. In den Betrieben muss (B) Gesetzentwurf zur Regelung des Datenschutzaudits und (D) sich die Kultur der Altersarbeit noch entscheidend zur Änderung datenschutzrechtlicher Vorschriften verändern. Derzeit herrscht auf dem deutschen Arbeits- stimme ich nicht zu. Denn der vorliegende Kompromiss markt noch immer der Jugendwahn. Jedes zweite Unter- zur Novelle des Bundesdatenschutzgesetzes, BDSG, nehmen beschäftigt keine über Fünfzigährigen. Berufliche weist zahlreiche komplizierte, rechtlich unklare und teil- Weiterbildung, altersgerechte Arbeitsplätze und Gesund- weise widersprüchliche Regelungen auf. Ein sachge- heitsförderung sind das Gebot der Stunde, werden aber in rechter Interessenausgleich zwischen Wirtschaft und den wenigsten Unternehmen umgesetzt. Das muss sich Verbrauchern einerseits sowie zwischen Arbeitnehmern dringend ändern. und Arbeitgebern andererseits wird damit nach meiner Darüber hinaus benötigen wir flexible Übergangs- festen Überzeugung nicht erreicht. Im Gegenteil. Es möglichkeiten in den Ruhestand. Es macht einen Unter- drohen große Rechtsunsicherheit für die Werbe- schied, ob jemand lange Zeit auf dem Bau oder an der treibenden sowie neue praxisuntaugliche und teils wider- Universität gearbeitet hat. Dieser Unterschied muss sinnige bürokratische Hürden, die insbesondere kleine berücksichtiget werden. Der Bezug von Teilrente sollte und mittlere Unternehmen überfordern werden. Gerade bereits ab dem 60. Lebensjahr möglich sein. Das macht in der derzeitigen tiefen Rezession ist das ein falsches es für ältere Beschäftigte leichter, bis zur Regelalters- Signal. Deshalb kann ich diesen Gesetzentwurf nicht grenze weniger Stunden zu arbeiten und mit der verblei- mittragen. Ausschlaggebend für meine ablehnende Hal- benden Arbeitszeit weiterhin Rentenanwartschaften auf- tung sind insbesondere folgende Punkte: zubauen. Die verantwortungsvolle geschäftsmäßige Nutzung Außerdem darf die Rente mit 67 keinesfalls eine bloße von Adressdaten und zielgruppenspezifischen Werbe- Rentensenkung durch die Hintertür sein. Bei denjenigen, maßnahmen ist im modernen Wirtschaftsleben gerade die nicht bis zu der – ab 2012 schrittweise steigenden – für Mittelständler alternativlos. Die nun vorgesehenen Regelaltersgrenze arbeiten können, ist dies aber der Fall. neuen Regelungen zur Datennutzung und -übermittlung Deswegen wollen wir die Altersgrenze für eine ab- für Werbezwecke sind jedoch teilweise ungenau, oftmals schlagsfreie Erwerbsminderungsrente auf 63 Jahre sen- unverständlich und insgesamt nicht praktikabel. Damit ken. wird ganzen Branchen im Direktmarketing, Versand- handel oder dem Verlagswesen die Grundlage für unver- Eine Erhöhung der Regelaltersgrenze muss mit einem zichtbare Neukundengewinnung entzogen oder unnötig besseren Schutz vor Armut einhergehen. Deswegen plä- erschwert. Mittelständische Existenzen sowie deren dieren wir für die Einführung einer Garantierente, die Arbeitsplätze werden gefährdet, erfolgreiche Unterneh- 26220 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

(A) men ohne Not zur Verlagerung ihrer Aktivitäten ins be- erhebliche Rechtsunsicherheit. Korruptions- und Krimi- (C) nachbarte Ausland getrieben. nalitätsbekämpfung sowie Compliance in Unternehmen werden unverhältnismäßig erschwert. Arbeitgeber wer- Die vorgesehenen Maßnahmen zur Datensicherheit in den in ihren Möglichkeiten zur Abwehr von ungerecht- Unternehmen belasten den Betriebsfrieden in Klein- fertigten Klagen nach dem Allgemeinen Gleichbehand- unternehmen in unverhältnismäßiger Art und Weise. lungsgesetz, AGG, deutlich beschnitten. Selbst bewährte Schon heute genießt ein betrieblicher Datenschutzbeauf- und unstrittige Praktiken bei Bewerbungsverfahren, wie tragter einen besonderen Abberufungsschutz. Eine or- die Einrichtung eines internen Bewerberpools oder die dentliche Kündigung wegen dieser Tätigkeit ist ausge- Nutzung von allgemein zugänglichen Daten auf Internet- schlossen. Dieser Schutz ist erforderlich, damit ein jobbörsen, sind künftig nicht mehr ohne Weiteres mög- Datenschutzbeauftragter seiner Aufgabe auch ungehin- lich. Das ist weder im Interesse von Arbeitgebern noch dert nachkommen kann. Mit der Neuregelung soll die or- von ihren Beschäftigen und potenziellen Bewerbern. dentliche Kündigung eines Datenschutzbeauftragten jetzt grundsätzlich ausgeschlossen werden, selbst wenn Ich bedauere, dass es in den Verhandlungen zwischen keinerlei Bezug zu seiner Tätigkeit besteht. Der Daten- den Koalitionsfraktionen wegen des Widerstandes der schutzbeauftragte soll zukünftig denselben Schutzstatus SPD nicht möglich war, zu vernünftigen, ausgewogenen wie ein Betriebsratsmitglied haben. Diese Angleichung und praxistauglichen Lösungen mit Augenmaß zu kom- ist jedoch nicht gerechtfertigt, da er nicht die Interessen men. Es bedarf einer grundlegenden und sachgerechten, der Arbeitnehmer vertritt, sondern den Arbeitgeber bei gleichsam wirtschafts- und verbraucherfreundlichen der Umsetzung der Regelungen aus dem BDSG unter- Modernisierung des Datenschutzrechtes anstelle vieler stützt. Ein Sonderkündigungsschutz ist deshalb nicht nur kleiner, offensichtlich mit heißer Nadel gestrickter nicht erforderlich, sondern würde zu einer unberech- Änderungen, die niemandem wirklich helfen. Im Übri- tigten Besserstellung eines Datenschutzbeauftragten ge- gen waren alle Datenskandale jüngerer Zeit in Großun- genüber weiten Teilen der Belegschaft führen. Da bereits ternehmen bereits nach geltender Rechtslage illegal. Es in Betrieben mit mehr als neun mit Personendatenverar- ist zu befürchten, dass durch diese Novelle in der Praxis beitung befassten Mitarbeitern Datenschutzbeauftragte massive Probleme auftreten werden, die derzeit noch bestellt werden müssen, hat dies zur Folge, dass in vielen nicht absehbar sind. Gerade für kleine und mittlere Un- Kleinunternehmen beispielsweise des Handwerks quasi ternehmen sind die Neuregelungen aus meiner Sicht un- durch die Hintertür der Betriebsfrieden gefährdet wird. zumutbar. Weitere Kosten werden diesen Betrieben dadurch ent- stehen, dass Arbeitgeber einem Datenschutzbeauftragten Leo Dautzenberg (CDU): Dem Gesetzentwurf zur (B) zukünftig ermöglichen müssen, an Schulungs- und Bil- Regelung des Datenschutzaudits und zur Regelung da- (D) dungsveranstaltungen teilzunehmen und die Kosten hier- tenschutzrechtlicher Vorschriften – Drucksache 16/12011 – für zu übernehmen haben. Es wird also ohne nachvoll- kann ich bei der Beratung in zweiter und dritter Lesung ziehbaren Grund ein pauschaler Fortbildungsanspruch nicht zustimmen. begründet. Es ist sicherlich erforderlich, dass ein Daten- Die vorgesehenen Regelungen zur Ausweitung des schutzbeauftragter sich schulen und fortbilden lässt. Kündigungsschutzes des Datenschutzbeauftragten und Dies sollte sich aber nach dem Umfang der Datenbear- die Verpflichtung der betroffenen Betriebe, dem Daten- beitung und dem Schutzbedarf der personenbezogenen schutzbeauftragten die Teilnahme an Fort- und Weiterbil- Daten richten. Ein pauschaler Fortbildungsanspruch er- dungsveranstaltungen zu ermöglichen und deren Kosten öffnet Missbrauchsmöglichkeiten und belastet gerade zu übernehmen, stellen für die betroffenen Unternehmen Mittelständler mit unnötigen Kosten sowie zusätzlicher eine unzumutbare Belastung dar. Dies gilt insbesondere, Bürokratie. da die Unternehmen bereits jetzt verpflichtet sind, einen Am 16. Februar 2009 wurde im Rahmen eines Spit- Beauftragten für den Datenschutz zu ernennen, wenn zentreffens zum Arbeitnehmerdatenschutz vereinbart, mehr als neun Personen ständig mit der automatisierten eine Grundsatzregelung in das BDSG aufzunehmen und Verarbeitung personenbezogener Daten beschäftigt sind. eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die unter Beteiligung der Tarifparteien den Handlungsbedarf im Bereich des Ernst Hinsken (CDU/CSU): Der vorliegende Kom- Arbeitnehmerdatenschutzes prüft und die Arbeiten zu ei- promiss zur Novelle des Bundesdatenschutzgesetzes, nem Arbeitnehmerdatenschutzgesetz in der nächsten Le- BDSG, weist zahlreiche komplizierte, rechtlich unklare gislaturperiode fortführen soll. Das Bundeskabinett be- und teilweise widersprüchliche Regelungen auf. Ein schloss dementsprechend am 18. Februar 2009 die sachgerechter Interessenausgleich zwischen Wirtschaft Verankerung einer Grundsatzregelung im BDSG, die das und Verbrauchern einerseits sowie zwischen Arbeitneh- geltende Recht nicht verändert, sondern vielmehr klar- mern und Arbeitgebern andererseits wird damit nach stellt, dass dieses auch für das Arbeitsverhältnis gilt. Bei meiner festen Überzeugung nicht erreicht. Im Gegenteil. dem jetzt vorliegenden § 32 BDSG geht es aber nicht Vielmehr drohen große Rechtsunsicherheit für die mehr allein um eine Klarstellung. Vielmehr sieht diese Werbetreibenden sowie neue praxisuntaugliche und teils Regelung eine erhebliche Änderung des geltenden Ar- widersinnige bürokratische Hürden, die insbesondere beitsschutzrechts im Arbeitsverhältnis vor. Damit wird kleine und mittlere Unternehmen überfordern werden. eine Lex specialis geschaffen. Als Folge drohen in der Gerade in der derzeitigen tiefen Rezession ist das ein betrieblichen Praxis widersinnige neue Bürokratie und falsches Signal. Deshalb kann ich diesen Gesetzentwurf Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26221

(A) nicht mittragen. Ausschlaggebend für meine ablehnende die zuständigen Aufsichtsbehörden in diesen Fällen die (C) Haltung sind insbesondere folgende Punkte: Beseitigung solcher Missstände anordnen. Künftig sol- len die Aufsichtsbehörden allerdings darüber hinaus die Die verantwortungsvolle geschäftsmäßige Nutzung Befugnis erhalten, auch detailliert vorzuschreiben, wie von Adressdaten und zielgruppenspezifischen Werbe- und in welcher Form solche Missstände vom Unterneh- maßnahmen ist im modernen Wirtschaftsleben gerade mer abzustellen sind. Die vorgesehenen behördlichen für Mittelständler alternativlos. Die nun vorgesehenen Anordnungs- und Untersagungsbefugnisse stellen eine neuen Regelungen zur Datennutzung und -übermittlung neue Qualität des Hineinregierens in die Unternehmen für Werbezwecke sind jedoch teilweise ungenau, oftmals dar. Sie sind ordnungspolitisch verfehlt und in der Sache unverständlich und insgesamt nicht praktikabel. Damit aufgrund der Vielzahl von unbestimmten Rechtsbegrif- wird ganzen Branchen im Direktmarketing, Versand- fen und Abwägungstatbeständen im Datenschutzrecht handel oder dem Verlagswesen die Grundlage für unver- bedenklich. zichtbare Neukundengewinnung entzogen oder unnötig erschwert. Mittelständische Existenzen sowie deren Am 16. Februar 2009 wurde im Rahmen eines Spit- Arbeitsplätze werden gefährdet, erfolgreiche Unterneh- zentreffens zum Arbeitnehmerdatenschutz vereinbart, men ohne Not zur Verlagerung ihrer Aktivitäten ins eine Grundsatzregelung in das BDSG aufzunehmen und benachbarte Ausland getrieben. eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die unter Beteiligung der Tarifparteien den Handlungsbedarf im Bereich des Die vorgesehenen Maßnahmen zur Datensicherheit in Arbeitnehmerdatenschutzes prüft und die Arbeiten zu Unternehmen belasten den Betriebsfrieden in Klein- einem Arbeitnehmerdatenschutzgesetz in der nächsten unternehmen in unverhältnismäßiger Art und Weise. Legislaturperiode fortführen soll. Das Bundeskabinett Schon heute genießt ein betrieblicher Datenschutzbeauf- beschloss dementsprechend am 18. Februar 2009 die tragter einen besonderen Abberufungsschutz. Eine or- Verankerung einer Grundsatzregelung im BDSG, die das dentliche Kündigung wegen dieser Tätigkeit ist ausge- geltende Recht nicht verändert, sondern vielmehr klar- schlossen. Dieser Schutz ist erforderlich, damit ein stellt, dass dieses auch für das Arbeitsverhältnis gilt. Bei Datenschutzbeauftragter seiner Aufgabe auch ungehin- dem jetzt vorliegenden § 32 BDSG geht es aber nicht dert nachkommen kann. Mit der Neuregelung soll die or- mehr allein um eine Klarstellung. Vielmehr sieht diese dentliche Kündigung eines Datenschutzbeauftragten Regelung eine erhebliche Änderung des geltenden jetzt grundsätzlich ausgeschlossen sein, selbst wenn Arbeitsschutzrechts im Arbeitsverhältnis vor. Damit keinerlei Bezug zu seiner Tätigkeit besteht. Der Daten- wird eine Lex specialis geschaffen. Als Folge drohen in schutzbeauftragte soll zukünftig denselben Schutzstatus der betrieblichen Praxis widersinnige neue Bürokratie und wie ein Betriebsratsmitglied haben. Diese Angleichung erhebliche Rechtsunsicherheit. Korruptions- und Krimi- (B) (D) ist jedoch nicht gerechtfertigt, da er nicht die Interessen nalitätsbekämpfung sowie Compliance in Unternehmen der Arbeitnehmer vertritt, sondern den Arbeitgeber bei werden unverhältnismäßig erschwert. Arbeitgeber wer- der Umsetzung der Regelungen aus dem BDSG unter- den in ihren Möglichkeiten zur Abwehr von ungerecht- stützt. Ein Sonderkündigungsschutz ist deshalb nicht nur fertigten Klagen nach dem Allgemeinen Gleichbehand- nicht erforderlich, sondern würde zu einer unberechtig- lungsgesetz, AGG, deutlich beschnitten. Selbst bewährte ten Besserstellung eines Datenschutzbeauftragten gegen- und unstrittige Praktiken bei Bewerbungsverfahren, wie über weiten Teilen der Belegschaft führen. Da bereits in die Einrichtung eines internen Bewerberpools oder die Betrieben mit mehr als neun mit Personendatenverarbei- Nutzung von allgemein zugänglichen Daten auf Internet- tung befassten Mitarbeitern Datenschutzbeauftragte jobbörsen, sind künftig nicht mehr ohne Weiteres mög- bestellt werden müssen, hat dies zur Folge, dass in vielen lich. Das ist weder im Interesse von Arbeitgebern noch Kleinunternehmen, beispielsweise des Handwerks, quasi von ihren Beschäftigen und potenziellen Bewerbern. durch die Hintertür eine Betriebsratsmentalität Einzug hält und der Betriebsfrieden gefährdet wird. Zudem ist zu befürchten, dass die für zum Beispiel kleine und mittlere Zeitungs- und Zeitschriftenverlage Weitere Kosten entstehen diesen Betrieben dadurch, unverzichtbare Leserwerbung mit dieser neuen Daten- dass Arbeitgeber einem Datenschutzbeauftragten ermög- schutznovelle nicht mehr in ausreichendem Maße mög- lichen müssen, an Schulungs- und Bildungsveranstaltun- lich sein wird. gen teilzunehmen, und die Kosten hierfür zu überneh- men haben. Künftig wird ohne nachvollziehbaren Grund Ich bedauere, dass es in den Verhandlungen zwischen ein pauschaler Fortbildungsanspruch begründet. Es ist den Koalitionsfraktionen aufgrund des Widerstandes der sicherlich erforderlich, dass ein Datenschutzbeauftrag- SPD nicht möglich war, zu vernünftigen, ausgewogenen ter sich schulen und fortbilden lässt. Dies sollte sich aber und praxistauglichen Lösungen mit Augenmaß zu kom- nach dem Umfang der Datenbearbeitung und dem men. Es bedarf einer grundlegenden und sachgerechten, Schutzbedarf der personenbezogenen Daten richten. Ein gleichsam wirtschafts- und verbraucherfreundlichen pauschaler Fortbildungsanspruch eröffnet Missbrauchs- Modernisierung des Datenschutzrechtes anstelle vieler möglichkeiten und belastet gerade Mittelständler mit un- kleiner, offensichtlich mit heißer Nadel gestrickter nötigen Kosten sowie zusätzlicher Bürokratie. Änderungen, die niemandem wirklich helfen. Im Übri- gen waren alle Datenskandale jüngerer Zeit in Großun- Verstöße gegen datenschutzrechtliche Vorschriften ternehmen bereits nach geltender Rechtslage illegal. Es von Unternehmen müssen selbstverständlich geahndet ist zu befürchten, dass durch diese Novelle in der Praxis werden. Es ist seit vielen Jahren bewährte Praxis, dass massive Probleme auftreten werden, die derzeit noch 26222 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

(A) nicht absehbar sind. Gerade für kleine und mittlere Regelung datenschutzrechtlicher Vorschriften – Druck- (C) Unternehmen sind die Neuregelungen unzumutbar. sache 16/12011 – kann ich bei der Beratung in zweiter Datenschutz ist zu wichtig für kurzfristige Wahlkampf- und dritter Lesung nicht zustimmen. taktik und faule Kompromisse. Lena Strothmann (CDU/CSU): Der vorliegende Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Der vorliegende Kompromiss zur Novelle des Bundesdatenschutzgeset- Kompromiss zur Novelle des Bundesdatenschutzgeset- zes weist zahlreiche komplizierte, rechtlich unklare und zes weist zahlreiche komplizierte, rechtlich unklare und teilweise widersprüchliche Regelungen auf. Ein sachge- teilweise widersprüchliche Regelungen auf. Der erhoffte rechter Interessenausgleich zwischen Wirtschaft und Interessenausgleich zwischen Wirtschaft und Verbrau- Verbrauchern einerseits sowie zwischen Arbeitnehmern chern einerseits sowie zwischen Arbeitnehmern und Ar- und Arbeitgebern andererseits wird nach meiner festen beitgebern andererseits wird nicht erreicht. Stattdessen Überzeugung nicht erreicht. drohen große Rechtsunsicherheit für die Werbetreiben- den sowie neue praxisuntaugliche und bürokratische Die verantwortungsvolle geschäftsmäßige Nutzung von Hürden, die insbesondere kleine und mittlere Unterneh- Adressdaten und zielgruppenspezifischen Werbemaß- men überfordern werden. Gerade in der derzeitigen tie- nahmen ist im modernen Wirtschaftsleben gerade für fen Rezession ist das ein falsches Signal. Folgende Mittelständler alternativlos. Mit den neuen Regelungen Punkte halte ich für besonders kritisch: wird ganzen Branchen im Direktmarketing, Versandhan- del oder dem Verlagswesen die Grundlage für unver- Erstens. Die verantwortungsvolle geschäftsmäßige zichtbare Neukundengewinnung entzogen oder unnötig Nutzung von Adressdaten und zielgruppenspezifischen erschwert. Mittelständische Existenzen sowie deren Ar- Werbemaßnahmen sind im modernen Wirtschaftsleben beitsplätze werden gefährdet, erfolgreiche Unternehmen gerade für Mittelständler alternativlos. Die nun vorgese- ohne Not zur Verlagerung ihrer Aktivitäten ins benach- henen neuen Regelungen zur Datennutzung und -über- barte Ausland getrieben. mittlung für Werbezwecke sind jedoch teilweise unge- nau, oftmals unverständlich und insgesamt nicht Die vorgesehenen Maßnahmen zur Datensicherheit in praktikabel. Damit wird ganzen Branchen im Direkt- Unternehmen belasten den Betriebsfrieden in Kleinun- marketing, Versandhandel oder dem Verlagswesen die ternehmen in unverhältnismäßiger Art und Weise. Schon Grundlage für unverzichtbare Neukundengewinnung heute genießt ein betrieblicher Datenschutzbeauftragter entzogen oder unnötig erschwert. Mittelständische Exis- einen besonderen Abberufungsschutz. Eine ordentliche (B) tenzen sowie deren Arbeitsplätze werden gefährdet, Kündigung wegen dieser Tätigkeit ist ausgeschlossen. (D) erfolgreiche Unternehmen ohne Not zur Verlagerung Dieser Schutz ist erforderlich, damit ein Datenschutzbe- ihrer Aktivitäten ins benachbarte Ausland getrieben. auftragter seiner Aufgabe auch ungehindert nachkom- men kann. Mit der Neuregelung soll die ordentliche Zweitens. Die vorgesehenen Maßnahmen zur Daten- sicherheit in Unternehmen belasten den Betriebsfrieden Kündigung eines Datenschutzbeauftragten jetzt grund- in Kleinunternehmen in unverhältnismäßiger Art und sätzlich ausgeschlossen sein, selbst wenn keinerlei Be- Weise. Schon heute genießt ein betrieblicher Daten- zug zu seiner Tätigkeit besteht. Diese Angleichung an schutzbeauftragter einen besonderen Abberufungs- den Schutzstatus eines Betriebrates ist jedoch nicht ge- schutz. Eine ordentliche Kündigung wegen dieser Tätig- rechtfertigt, da der Datenschutzbeauftragte nicht die In- keit ist ausgeschlossen. Dieser Schutz ist erforderlich, teressen der Arbeitnehmer vertritt, sondern den Arbeit- damit ein Datenschutzbeauftragter seiner Aufgabe auch geber bei der Umsetzung der Datenschutzregelungen ungehindert nachkommen kann. Mit der Neuregelung unterstützt. Da bereits in Betrieben mit mehr als neun soll die ordentliche Kündigung eines Datenschutzbeauf- mit Personendatenverarbeitung befassten Mitarbeitern tragten jetzt grundsätzlich ausgeschlossen sein, selbst Datenschutzbeauftragte bestellt werden müssen, hat dies wenn keinerlei Bezug zu seiner Tätigkeit besteht. Der zur Folge, dass in vielen Kleinunternehmen beispiels- Datenschutzbeauftragte soll zukünftig denselben Schutz- weise des Handwerks durch die ungerechtfertigte Bes- status wie ein Betriebsratsmitglied haben. Da bereits in serstellung eines Datenschutzbeauftragten der Betriebs- Betrieben mit mehr als neun mit Personendatenver- frieden gefährdet wird. arbeitung befassten Mitarbeitern Datenschutzbeauftragte bestellt werden müssen, hat dies zur Folge, dass in vielen Weitere Kosten entstehen den Betrieben dadurch, dass Kleinunternehmen beispielsweise des Handwerks quasi Arbeitgeber einem Datenschutzbeauftragten die Teil- durch die Hintertür ein betriebsratsähnlicher Posten ein- nahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen er- geführt wird, dem Schulungen, Sonderurlaub und möglichen müssen und die Kosten zu übernehmen haben. Kündigungsschutz zustehen. Wir belasten unsere Mittel- Dieser pauschale Fortbildungsanspruch eröffnet Miss- ständler mit unnötigen Kosten sowie zusätzlicher Büro- brauchsmöglichkeiten und belastet gerade kleine und kratie. mittlere Unternehmen mit unnötigen Kosten sowie zu- sätzlicher Bürokratie.

Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU): Dem Ge- Aus diesen Gründen werde ich dem Gesetzentwurf setzentwurf zur Regelung des Datenschutzaudits und zur nicht zustimmen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26223

(A) Anlage 7 Es ist aber notwendig, den Datenschutz für Verbrau- (C) cherinnen und Verbraucher in der nächsten Legislatur- Erklärung nach § 31 GO periode erneut auf die Tagesordnung zu setzen. Verbrau- der Abgeordneten Elvira Drobinski-Weiß, Dr. cherinnen und Verbraucher müssen selbst entscheiden Axel Berg, Ulrich Kelber und Waltraud Wolff können, wer ihre Daten zu welchem Zweck nutzen darf. (Wolmirstedt) (alle SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Datenschutzaudits und zur Änderung daten- Anlage 8 schutzrechtlicher Vorschriften (Tagesordnungs- Erklärung nach § 31 GO punkt 69 a) der Abgeordneten Klaus Brähmig, Marie-Luise Nach den Datenschutzskandalen des Jahres 2008 Dött, Dr. Michael Fuchs, Jürgen Klimke, Dr. hatte sich der Datenschutzgipfel im vergangenen Sep- Rolf Koschorrek und Klaus-Peter Willsch (alle tember auf ein Bündel von Maßnahmen geeinigt. Als CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf Kernelemente der Datenschutznovelle wurde von der eines Gesetzes zur Regelung des Datenschutz- Bundesregierung vorgeschlagen, dass das sogenannnte audits und zur Änderung datenschutzrechtli- Listenprivileg abgeschafft wird, eine Nutzung und Wei- cher Vorschriften (Tagesordnungspunkt 69 a) tergabe personenbezogener Daten zu Zwecken der Wer- bung nur noch mit ausdrücklicher Einwilligung der Be- Der vorliegende Kompromiss zur Novelle des Bundes- troffenen – sogenanntes Opt-in – möglich sein soll und datenschutzgesetzes – BDSG – weist zahlreiche kompli- die Erbringung einer Leistung nicht an die Preisgabe zierte, rechtlich unklare und teilweise widersprüchliche personenbezogener Daten gekoppelt sein darf, soge- Regelungen auf. Ein sachgerechter Interessenausgleich nanntes Koppelungsverbot. Wir bedauern sehr, dass zwischen Wirtschaft und Verbrauchern einerseits sowie diese für die Verbraucher wichtigen Punkte nicht durch- zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern andererseits gesetzt werden konnten. wird damit nach meiner festen Überzeugung nicht er- reicht. Im Gegenteil. Vielmehr drohen große Rechtsunsi- Die im Regierungsentwurf enthaltene sogenannte cherheit für die Werbetreibenden sowie neue praxisun- ausdrückliche Einwilligungslösung ist gestrichen wor- taugliche und teils widersinnige bürokratische Hürden, den. Damit haben die Anbieter wie bisher die Möglich- die insbesondere kleine und mittlere Unternehmen über- keit, den Verbrauchern eine Einwilligung in den Allge- fordern werden. Gerade in der derzeitigen tiefen Rezes- meinen Geschäftsbedingungen unterzuschieben. Das sion ist das ein falsches Signal. Deshalb kann ich diesen sogenannte Listenprivileg bleibt faktisch weiter beste- Gesetzentwurf nicht mittragen. Ausschlaggebend für (B) hen. Der Gesetzentwurf enthalt so viele Ausnahmen, (D) meine ablehnende Haltung sind insbesondere folgende dass Daten wie das Geburtsjahr oder der Beruf auch Punkte: ohne Einwilligung an andere weiterverkauft werden können. Die Regelung zum Koppelungsverbot ist weit- Die verantwortungsvolle geschäftsmäßige Nutzung gehend wirkungslos, weil sie nur dann greift, wenn eine von Adressdaten und zielgruppenspezifischen Werbe- gleichwertige Leistung bei einem anderen Anbieter nicht maßnahmen ist im modernen Wirtschaftsleben gerade in zumutbarer Weise ohne eine Zustimmung in die für Mittelständler alternativlos. Die nun vorgesehenen Nutzung persönlicher Daten zu Werbezwecken erhält- neuen Regelungen zur Datennutzung und -übermittlung lich ist. Zudem hat die CDU/CSU ein Unterlassungskla- für Werbezwecke sind jedoch teilweise ungenau, oftmals gerecht für Verbraucherschutzverbände abgelehnt und unverständlich und insgesamt nicht praktikabel. Damit damit ein – angesichts schlechter Personalausstattung wird ganzen Branchen im Direktmarketing, Versand- bei den Datenschutzbehörden dringend erforderliches – handel oder dem Verlagswesen die Grundlage für unver- zusätzliches Instrument zur Durchsetzung des Daten- zichtbare Neukundengewinnung entzogen oder unnötig schutzes verhindert. erschwert. Mittelständische Existenzen sowie deren Anstatt sich im Interesse der Verbraucher für deren Arbeitsplätze werden gefährdet, erfolgreiche Unterneh- Recht auf Datenschutz einzusetzen, hat die CDU/CSU men ohne Not zur Verlagerung ihrer Aktivitäten ins leider während der gesamten Verhandlungen den Interes- benachbarte Ausland getrieben. sen des Versandhandels und der Direktmarketing- und Die vorgesehenen Maßnahmen zur Datensicherheit in Verlagsbranche Priorität eingeräumt. Unternehmen belasten den Betriebsfrieden in Kleinun- Es wurde eine Chance vergeben: Das Grundrecht auf ternehmen in unverhältnismäßiger Art und Weise. Schon informationelle Selbstbestimmung wird mit diesem heute genießt ein betrieblicher Datenschutzbeauftragter Gesetz für die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht einen besonderen Abberufungsschutz. Eine ordentliche wie nötig gestärkt. Kündigung wegen dieser Tätigkeit ist ausgeschlossen. Dieser Schutz ist erforderlich, damit ein Datenschutz- Auf Druck der SPD wurde allerdings der Arbeitneh- beauftragter seiner Aufgabe auch ungehindert nachkom- merdatenschutz wesentlich ausgebaut. Insbesondere der men kann. Mit der Neuregelung soll die ordentliche Kündigungsschutz für betriebliche Datenschutzbeauf- Kündigung eines Datenschutzbeauftragten jetzt grund- tragte ist eine deutliche Verbesserung. Diese Verbesse- sätzlich ausgeschlossen sein, selbst wenn keinerlei Be- rung ist notwendig. Deswegen stimmen wir dem Gesetz zug zu seiner Tätigkeit besteht. Der Datenschutzbeauf- zu. tragte soll zukünftig denselben Schutzstatus wie ein 26224 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

(A) Betriebsratsmitglied haben. Diese Angleichung ist eine Lex specialis geschaffen. Als Folge drohen in der (C) jedoch nicht gerechtfertigt, da er nicht die Interessen der betrieblichen Praxis widersinnige neue Bürokratie und Arbeitnehmer vertritt, sondern den Arbeitgeber bei der erhebliche Rechtsunsicherheit. Korruptions- und Krimi- Umsetzung der Regelungen aus dem BDSG unterstützt. nalitätsbekämpfung sowie Compliance in Unternehmen Ein Sonderkündigungsschutz ist deshalb nicht nur nicht werden unverhältnismäßig erschwert. Arbeitgeber wer- erforderlich, sondern würde zu einer unberechtigten den in ihren Möglichkeiten zur Abwehr von ungerecht- Besserstellung eines Datenschutzbeauftragten gegenüber fertigten Klagen nach dem Allgemeinen Gleichbehand- weiten Teilen der Belegschaft führen. Da bereits in Be- lungsgesetz, AGG, deutlich beschnitten. Selbst bewährte trieben mit mehr als neun mit Personendatenverarbei- und unstrittige Praktiken bei Bewerbungsverfahren, wie tung befassten Mitarbeitern Datenschutzbeauftragte be- die Einrichtung eines internen Bewerberpools oder die stellt werden müssen, hat dies zur Folge, dass in vielen Nutzung von allgemein zugänglichen Daten auf Internet- Kleinunternehmen beispielsweise des Handwerks quasi Jobbörsen, sind künftig nicht mehr ohne weiteres mög- durch die Hintertür eine Betriebsratsmentalität Einzug lich. Das ist weder im Interesse von Arbeitgebern noch hält und der Betriebsfrieden gefährdet wird. von ihren Beschäftigen und potenziellen Bewerbern. Weitere Kosten entstehen diesen Betrieben dadurch, Ich bedauere, dass es in den Verhandlungen zwischen dass Arbeitgeber einem Datenschutzbeauftragten ermög- den Koalitionsfraktionen aufgrund des Widerstandes der lichen müssen, an Schulungs- und Bildungsveranstaltun- SPD nicht möglich war, zu vernünftigen, ausgewogenen gen teilzunehmen und die Kosten hierfür zu übernehmen und praxistauglichen Lösungen mit Augenmaß zu kom- haben. Künftig wird ohne nachvollziehbaren Grund ein men. Es bedarf einer grundlegenden und sachgerechten, pauschaler Fortbildungsanspruch begründet. Es ist gleichsam wirtschafts- und verbraucherfreundlichen sicherlich erforderlich, dass ein Datenschutzbeauftrag- Modernisierung des Datenschutzrechtes anstelle vieler ter sich schulen und fortbilden lässt. Dies sollte sich aber kleiner, offensichtlich mit heißer Nadel gestrickter nach dem Umfang der Datenbearbeitung und dem Änderungen, die niemandem wirklich helfen. Im Übri- Schutzbedarf der personenbezogenen Daten richten. Ein gen waren alle Datenskandale jüngerer Zeit in Groß- pauschaler Fortbildungsanspruch eröffnet Missbrauchs- unternehmen bereits nach geltender Rechtslage illegal. möglichkeiten und belastet gerade Mittelständler mit un- Es ist zu befürchten, dass durch diese Novelle in der nötigen Kosten sowie zusätzlicher Bürokratie. Praxis massive Probleme auftreten werden, die derzeit noch nicht absehbar sind. Gerade für kleine und mittlere Verstöße gegen datenschutzrechtliche Vorschriften Unternehmen sind die Neuregelungen unzumutbar. Da- von Unternehmen müssen selbstverständlich geahndet tenschutz ist zu wichtig für kurzfristige Wahlkampftak- (B) werden. Es ist seit vielen Jahren bewährte Praxis, dass tik und faule Kompromisse. (D) die zuständigen Aufsichtsbehörden in diesen Fällen die Beseitigung solcher Missstände anordnen. Künftig sol- len die Aufsichtsbehörden allerdings darüber hinaus die Anlage 9 Befugnis erhalten, auch detailliert vorzuschreiben, wie und in welcher Form solche Missstände vom Unterneh- Erklärung nach § 31 GO mer abzustellen sind. Die vorgesehenen behördlichen der Abgeordneten Leo Dautzenberg und Albert Anordnungs- und Untersagungsbefugnisse stellen eine Rupprecht (Weiden) (beide CDU/CSU) zur Ab- neue Qualität des Hineinregierens in die Unternehmen stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur dar. Sie sind ordnungspolitisch verfehlt und in der Sache Neuregelung der Rechtsverhältnisse bei Schuld- aufgrund der Vielzahl von unbestimmten Rechtsbegrif- verschreibungen aus Gesamtemissionen und fen und Abwägungstatbeständen im Datenschutzrecht zur verbesserten Durchsetzbarkeit von Ansprü- bedenklich. chen von Anlegern aus Falschberatung (Tages- Am 16. Februar 2009 wurde im Rahmen eines Spit- ordnungspunkt 71 a) zentreffens zum Arbeitnehmerdatenschutz vereinbart, Dem Gesetzentwurf zur Neuregelung der Rechtsver- eine Grundsatzregelung in das BDSG aufzunehmen und hältnisse bei Schuldverschreibungen aus Gesamtemis- eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die unter Beteiligung sionen und zur verbesserten Durchsetzbarkeit von der Tarifparteien den Handlungsbedarf im Bereich des Ansprüchen von Anlegern aus Falschberatung – Druck- Arbeitnehmerdatenschutzes prüft und die Arbeiten zu sache 16/12814 – kann ich bei der Beratung in zweiter einem Arbeitnehmerdatenschutzgesetz in der nächsten und dritter Lesung nicht zustimmen. Legislaturperiode fortführen soll. Das Bundeskabinett beschloss dementsprechend am 18. Februar 2009 die Die darin enthaltene Regelung eines Rücktrittsrechts Verankerung einer Grundsatzregelung im BDSG, die das bei telefonischer Beratung ist nach meiner Einschätzung geltende Recht nicht verändert, sondern vielmehr klar- nicht praktikabel und wird die telefonische Beratung im stellt, dass dieses auch für das Arbeitsverhältnis gilt. Bei Finanzbereich teilweise unmöglich machen. Darüber hi- dem jetzt vorliegenden § 32 BDSG geht es aber nicht naus bin ich davon ausgegangen, dass in der Koalition mehr allein um eine Klarstellung. Vielmehr sieht diese vereinbart wurde, das Gesetz in Gänze nicht umzuset- Regelung eine erhebliche Änderung des geltenden Ar- zen, falls das Rücktrittsrecht aus dem Gesetz nicht he- beitsschutzrechts im Arbeitsverhältnis vor. Damit wird rausgenommen werden kann. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26225

(A) Anlage 10 bei substanziiert vorgebracht werden. Die Grundsätze (C) von Treu und Glauben gelten, das Rücktrittsrecht wurde Zu Protokoll gegebene Reden auf einen angemessenen Zeitraum von einer Woche be- zur Beratung: grenzt. Damit ist Missbrauch weitgehend ausgeschlos- sen. – Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse bei Schuldverschreibun- Eine gewisse Standardisierung der Protokolle über die gen aus Gesamtemissionen und zur verbes- Anlageberatung befürwortet die Union. Dies liegt im In- serten Durchsetzbarkeit von Ansprüchen teresse der Anleger und der Banken, eine Standardisie- von Anlegern aus Falschberatung rung wurde von den Sachverständigen sowohl aufseiten der Verbraucherschützer als auch aufseiten der Banken- – Antrag: Verbraucherschutz bei Finanzdienst- verbände gefordert. Auch der Bundesrat hat in seiner leistungen erweitern und durchsetzen Stellungnahme zu Recht auf die Vorteile einer stärkeren (Tagesordnungspunkt 71 a und b) Standardisierung hingewiesen. Starre gesetzliche Vorga- ben an das Beratungsprotokoll lehnen wir aber ab, nicht zuletzt da die Standardisierung eine natürliche Grenze Marco Wanderwitz (CDU/CSU): Frau Parlamentari- hat, da bei der Anlageberatung gerade auf die individuelle sche Staatssekretärin Ursula Heinen hat für die Union Situation des Anlegers eingegangen werden soll. Eine zur Wichtigkeit und Notwendigkeit der heute zur Ab- Standardisierung darf keinesfalls dazu führen, dass Pro- stimmung stehenden Regelungen unter Verbraucher- tokolle sich nur aus vorgefertigten Textbausteinen zusam- schutzaspekten Stellung genommen. Ich will mich auf mensetzen und nicht mehr den tatsächlichen Verlauf des einige rechtspolitische Aspekte konzentrieren. konkreten Beratungsgesprächs wiedergeben. Es wird da- Wichtig war für uns eine klare Trennung des Anwen- her von zusätzlichen Regelungen zur Standardisierung dungsbereichs der Dokumentationspflicht. Der Entwurf der Protokolle im Rahmen dieses Gesetzes abgesehen. des BMJ, der bei der Protokollpflicht der Beratung keine Stattdessen soll die Bundesregierung dafür sorgen, dass Unterscheidung zwischen Privatkunden und professio- die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht in nellen Anlegern vornahm, schoss über das Ziel hinaus. Zusammenarbeit mit den Verbänden der Verbraucher und Die Protokollpflicht ist nun auf Privatanleger im Sinne der Banken ein Papier mit Empfehlungen zu Inhalt und des Wertpapierhandelsgesetzes beschränkt. Mittelständi- Mindestangaben erarbeitet und somit einen vernünftigen sche Unternehmen sind dabei in der Regel Privatkunden. Grad an Standardisierung des Protokolls bewirkt. Für professionelle Anleger besteht nach § 31a VI Wert- Als angemessene Übergangsfrist für den Beginn der papierhandelsgesetz die Option, sich beispielsweise bei (B) Protokollpflicht haben wir den 1. Januar 2010 gewählt. (D) einzelnen Wertpapierdienstleistungen oder Finanzinstru- Eine kürzere Frist wäre ob der vielen gesetzgeberischen menten als Privatkunde einstufen zu lassen, um unter Aktionen in diesem Bereich keine angemessene Vorlauf- den Anwendungsbereich der Beratungsprotokollierung zeit für die Sicherstellung der organisatorischen Vorbe- zu fallen. Der angestrebte Schutzzweck wird durch diese reitungen. Regelung umfassend erreicht. Eine weitere wichtige Neuerung ist die Anpassung der Der nun zu protokollierende Inhalt der Anlagebera- Verjährungsfrist von Schadenersatzansprüchen wegen tung dient im Fall von Unklarheiten für beide Parteien schuldhafter Verletzung von Anlageberatungspflichten an als Beweismittel. Das ist ein wichtiger Fortschritt. Im die regelmäßige Verjährungsfrist der §§ 195 ff. BGB. Die Bereich der Vorortberatung in der Bank beispielsweise Beratungshaftung der Banken kann mit der von anderen ist das regelmäßig unproblematisch: Beraten und ordern beratenden Berufen, wie der des Steuerberaters oder – Protokoll fertigen – gemeinsam nochmals durchgehen – Rechtsanwalts verglichen werden, weshalb die Auswei- unstreitiges Protokoll vorhanden, Ziel erreicht. Bei der tung der Sonderverjährungsfrist angemessen ist. Prak- telefonischen Beratung ist die Lage etwas komplizierter. tisch bedeutet dies, dass die Schadenersatzansprüche we- Die im BMJ-Entwurf vorgesehene Aufzeichnungsrege- gen Falschberatung nicht mehr in drei Jahren seit lung als Mitschnitt mit Aufbewahrung der Aufzeichnung Vertragsschluss verjähren. Nun beginnt die Dreijahres- innerhalb der Verjährungsfrist war viel zu teuer, letztlich frist erst mit der Kenntnis des Schadens. Grenze ist, um für die Kunden, und datenschutzrechtlich problematisch. Rechtssicherheit zu gewährleisten, eine maximale Ver- Die Anschaffung und Installation von tausendfacher jährungsfrist von zehn Jahren, die sich ebenfalls an die Aufzeichnungstechnik und die Aufbewahrung von Mil- allgemeinen Regelungen des BGB anlehnt. lionen von Mitschnitten im Jahr hätten insbesondere die kleinteiligeren Sparkassen und Genossenschaftsbanken, Um die Verständlichkeit von Anleihebedingungen zu die zumeist bisher bereits eine sehr gute Beratung geleis- verbessern, wurde in § 3 Schuldverschreibungsgesetz tet haben, überhart getroffen. Daher haben wir die be- ein spezialgesetzliches Transparenzgebot für Anleihebe- rechtigte Kritik an dieser Stelle sehr ernst genommen dingungen hinsichtlich des Leistungsversprechens des und den Gesetzentwurf angemessen überarbeitet, ohne Emittenten verankert. Hiernach muss nach den Anleihe- das Schutzniveau zu verringern. Nun erhält der Kunde bedingungen die vom Schuldner versprochene Leistung kurzfristig ein der Vorortberatung vergleichbares Proto- durch einen Anleger, der hinsichtlich der jeweiligen Art koll zugestellt. So dies fehlerhaft oder unvollständig ist, von Schuldverschreibungen sachkundig ist, ermittelt steht dem Anleger ein Rücktrittsrecht zu. Der Fehler werden können. Dazu gab es in der Fachpresse Irritatio- bzw. die Unvollständigkeit muss durch den Kunden da- nen, dass das Transparenzgebot für die Emittenten von 26226 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

(A) Schuldverschreibungen deswegen eine zu große Rechts- optimistisch entgegensehe. Meine Erfahrungen und (C) unsicherheit schaffen könnte, weil sie gar nicht kontrol- Kenntnisse, die ich aus der Zusammenarbeit hier gewon- lieren könnten, wer ihre Schuldverschreibungen konkret nen habe, werden mir dabei sehr hilfreich sein. Ich bin erwerbe. Nach dem Wortlaut der Norm kommt es aber sicher, dass für die deutsche Landwirtschaft auch in für die Beurteilung der Transparenz eindeutig nicht dar- Brüssel und Strassburg viel zu bewegen sein wird. Bitte auf an, wer die betreffende Schuldverschreibung konkret unterstützen Sie mich dabei. Gerade weil ich im Europa- erwirbt, sondern abstrakt auf einen objektiv sachkundi- parlament hauptsächlich die gemeinsame Agrarpolitik gen Anleger. Eine Auslegung des § 3 dahin gehend, dass mitgestalten werde, verspreche ich Ihnen, dass wir noch für die Beurteilung der Transparenz auf den konkreten voneinander hören werden. In diesem Sinne habe ich Erwerber abgestellt würde, wäre nicht mit dem Wortlaut nicht vor, mich großartig zu ändern. der Regelung vereinbar und auch unsinnig, weil der Kreis der konkreten Erwerber der Schuldverschreibun- Ein besonderer Dank geht an die Abgeordneten des gen zum Zeitpunkt der Abfassung der Anleihebedingun- Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Ver- gen und der Begebung der Schuldverschreibungen noch braucherschutz. Das Schöne an einem Fachausschuss ist überhaupt nicht bekannt sein kann. ja bekanntlich der fachlich orientierte Streit. Ich habe jedenfalls immer versucht, die Argumente des anderen Mit der Neufassung des Schuldverschreibungsgeset- zu verstehen und, soweit es ging, auch aufzugreifen. zes erfolgt auch eine weitere Anpassung an international Gerade in meiner Funktion als Tierschutzbeauftragter übliche Anforderungen. Hierzu wurde insbesondere das der CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben wir mit dieser Recht der Gläubigerversammlung erneuert und an das Arbeitsphilosophie für den Tierschutz viel erreichen bewährte Recht der Hauptversammlung bei der Aktien- können. Gerade in diesem Bereich ist man natürlich nie gesellschaft angelehnt. Beispielweise erfolgt die Legi- fertig und es bleibt immer etwas zu tun. Aber ich finde, timation des Anleihegläubigers in der Gläubigerver- unsere Bilanz kann sich sehen lassen. Ärgerlich bin ich sammlung nach dem Regelungsmodell des § 123 II immer dann geworden, wenn ideologisch – anstatt sach- Satz 2 Aktiengesetz. Daneben wird die Möglichkeit ei- lich und fachlich – diskutiert und argumentiert wurde. ner Abstimmung ohne Versammlung, einer virtuellen Ich denke aber, dass es uns im Rückblick gelungen ist, Versammlung, eröffnet. Das Gesetz schafft zudem eine meistens einen Ton in der Auseinandersetzung zu Rechtsgrundlage für Umschuldungsklauseln, die den finden, der erträglich und nicht verletzend war. Gläubigern Handlungsspielräume zu bestimmten Ände- rungen der Anleihebedingungen, beispielsweise in der Die vielfältigen Themen, wichtig für unser Land und Krise oder in der Insolvenz des Schuldners, ermögli- unsere Menschen, werden von uns allen auch in Zukunft chen. viel Kraft, Mut und Ausdauer erfordern. Das, berufli- (B) chen Erfolg, Gesundheit und Gottes Segen wünsche ich (D) Wir glauben, mit dem vorliegenden Gesetz das unser- uns ausdrücklich. seits Mögliche dafür getan zu haben, dass der Wertpa- pierhandel Vertrauen wieder zurückgewinnen konnte. Klaus Uwe Benneter (SPD): Diese Woche war ich Wir erhoffen uns, dass eigene Vermögensanlagen in mit Franz Müntefering in meinem Wahlkreis unterwegs. Selbstverantwortung kritisch geprüft werden. Das Werk- Er hat mir von einem älteren Ehepaar erzählt. Die beiden zeug geben wir den Kunden in die Hand – die Verant- hatten 11 000 Euro angelegt, das Sparbuch lief aus. Sie wortung können und wollen wir ihnen nicht abnehmen. bekamen einen Anruf von ihrer Bank, am Telefon war der nette Herr Bankberater, der sie seit 40 Jahren eigent- Dr. Peter Jahr (CDU/CSU): Gestatten Sie mir hier lich gut beraten hatte. Diesmal hatte er ein ganz beson- ein paar Worte in eigener Sache und nicht zum eigentli- deres Angebot: Es wäre doch schade, das Geld jetzt ab- chen Gesetzentwurf der Bundesregierung: Das Wahlvolk zuheben, man könne es doch investieren, er habe da und ich haben entschieden, dass ich zukünftig ins Euro- einen Tipp: Wertpapiere der Lehman-Bank. Gesagt, ge- päischen Parlament wechseln werde. Das hat leider zur tan. Und das Ehepaar hat sein ganzes Geld verloren. Folge, dass ich am Tag der konstituierenden Sitzung des Europäischen Parlamentes, dem 14. Juli 2009, aus dem Schon mehrmals habe ich mich mit der Interessenge- Deutschen Bundestag ausscheiden muss. meinschaft der Lehman-Geschädigten getroffen. Im Bankjargon hießen sie A- und D-Kunden: alt und doof. Neue Perspektiven zu erschließen ist eine schöne Diesen Menschen wurde in schicken Hochglanzprospek- Sache. Gleichwohl überkommt einen schon ein wenig ten auch noch das letzte Schrottpapier aufgeschwatzt. Wehmut nach den zahlreichen Jahren in Berlin. Zukünf- Davon, dass man sein Geld mit den Aktien auch kom- tig werde ich nun also im Europaparlament arbeiten. Ich plett verlieren könnte, war natürlich nirgendwo die tue dies mit einem lachenden und einem weinenden Rede, nicht einmal im Kleingedruckten. Auge; weinend, weil ich nach den Jahren meiner Arbeit im Deutschen Bundestag viel Freude an meiner Arbeit Die Banken haben sich über ihre Profite gefreut und gefunden habe, gute Kolleginnen und Kollegen kennen die Bankberater über ihre Provisionen. Jetzt ist das ge- gelernt habe und durchaus zusammen mit anderen etwas samte System aus maßlosem Profitstreben und unge- bewegen und verändern konnte. Dafür sage ich hier aus- zügelter Gier zusammengebrochen, und die Anleger drücklich Danke. haben gemerkt, dass sie falsch beraten worden sind. Wenn sie jetzt Jahre später vor Gericht gegen die Bank Ich hätte diese Arbeit gern fortgesetzt, aber nun ergibt klagen, haben sie schlechte Karten: Die Bank redet sich sich für mich ein neuer Lebensabschnitt, dem ich sehr natürlich raus. Der Berater habe ja über alle Risiken auf- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26227

(A) geklärt, und eigentlich sei ja der Kunde schuld, weil der erkannt, dass ein dringender Handlungsbedarf im Be- (C) sich nicht klar genug ausgedrückt habe. reich Finanzdienstleistungen besteht. Einen ersten Antragsentwurf hatten wir Sozialdemokratinnen und So etwas soll es in Zukunft nicht mehr geben. Wir Sozialdemokraten bereits im September letzten Jahres wollen, dass die Anlageberatung für den Anleger endlich vorgelegt. Die CDU/CSU konnte sich dann lange nicht so transparent ist, dass er weiß, welches Risiko er ein- entscheiden, ob sie wirklich substanzielle Verbesserun- geht, und wenn das Kind erst einmal in den Brunnen ge- gen für die Verbraucher fordern oder lieber – wieder ein- fallen ist, eine echte Chance hat, gegen seine Bank vor mal – dem Druck der Wirtschaft nachgeben will. Bis Gericht zu gewinnen. Dazu muss das Beratungsgespräch letzte Woche haben wir über diesen Antrag verhandelt. zukünftig umfassend protokolliert werden: was der Zuletzt wollte der Wirtschaftsflügel der Union noch eine Kunde will, was der Bankberater daraufhin empfiehlt Formulierung durchdrücken, wonach mehr Verbraucher- und warum. Das Protokoll kann sich der Kunde dann zu schutz nur realisiert werden darf, wenn er nicht zu „mehr Hause in Ruhe zur Kontrolle durchlesen. bürokratischen Belastungen für Unternehmen“ führt. Da Auch wenn der Anleger seinen Bankberater anruft, sieht man, was uns blüht, wenn wir eine schwarz-gelbe um die Wertpapiere gleich am Telefon zu kaufen, muss Mehrheit im September nicht verhindern! der Bankberater ein Protokoll über das Telefonat schrei- Auch bei diesem Antrag hat die CDU/CSU nach ih- ben. Das muss er dem Kunden dann unverzüglich zu- rem bewährten Motto gearbeitet: „Abwarten, abgucken, senden. Findet der Anleger einen Fehler im Protokoll draufsetzen“. Der Vorschlag zur Protokollierung der Be- oder ist es nicht vollständig, kann er innerhalb einer Wo- ratung kam nämlich nicht von Frau Aigner, wie sie das che von dem Geschäft zurücktreten. kürzlich bei Hart aber fair behauptet hat. Der Vorschlag Der Ursprungsgesetzentwurf sah eine Pflicht der Ban- kam von uns, nachzulesen in der Pressemitteilung mei- ken vor, jedes Beratungstelefonat auch technisch aufzu- ner Kollegen Hans-Ulrich Krüger, Joachim Stünker und zeichnen. Das haben wir gestrichen. Ich denke, die von mir vom 5. Dezember 2008. Die Union hat die Erar- Protokollpflicht mit dem Rücktrittsrecht für die Anleger beitung unseres Antrags abgewartet, sich Vorschläge ist ein guter Kompromiss. Sonst hätten wir datenschutz- daraus abgeguckt und sich dann – auch Frau Klöckner rechtliche Probleme bekommen. Außerdem hätten wir im Mai in der Rheinischen Post – damit in der Öffent- mit so einer Regelung die Filialbanken bestraft, die bis- lichkeit gebrüstet. her im Wesentlichen anständig beraten haben. Vor allem Die Regelungen zur Einlagensicherung, zur Verjäh- die Direktbanken haben damit ja Schindluder getrieben. rungsverlängerung und zur Protokollierung des Bera- Einmal vor Gericht, hilft den Anlegern das Protokoll tungsgesprächs sind erste Schritte. Hierbei darf es nicht bleiben. Wichtig ist zunächst, dass die Beratungsproto- (B) bei der Beweisführung gegen ihre Bank auch noch Jahre (D) später. Wenn das Protokoll unschlüssig oder lückenhaft kolle nun auch so gestaltet werden, dass die Verbrau- ist, muss nämlich die Bank beweisen, das sie ordnungs- cherinnen und Verbraucher sie auch verstehen und dass gemäß beraten hat. Das ist eine echte Verbesserung für sie alle wesentlichen – aber auch nur diese – Informatio- die Anleger. nen über die Beratung enthalten. Die Erfahrungen im Bereich der Versicherungen haben gezeigt, dass man die Mit dem Gesetz schaffen wir endlich auch die Son- Verbraucher auch mit einem Zuviel an Informationen derverjährungsvorschriften für die Banken ab. Im nor- verwirren und täuschen kann. Ich erwarte, dass die malen Bürgerlichen Recht knüpft der Beginn der Ver- BaFin sich mit Kreditinstituten und Verbraucherver- jährung ganz selbstverständlich an zwei Bedingungen bänden zusammensetzt und ein einheitliches Muster an: Anspruchsentstehung und Kenntnis. Nicht so bei den entwickelt. Sonst müssen wir das auf dem Verordnungs- Wertpapieren nach dem Wertpapierhandelsgesetz: Drei weg wie bei der VVG-Informationspflichtenverordnung Jahre nach Vertragsschluss mit der Bank ist der An- regeln. spruch auf Schadensersatz verjährt, egal was der Anle- ger schon weiß, Schrottpapiere im Depot hin oder her. Die Finanzmarktkrise hat noch einige weitere Löcher Damit ist jetzt Schluss. Die Dreijahresfrist beginnt in im Kessel des Kapitalanlagerechts offenbart: Oft sind es Zukunft erst dann zu laufen, wenn der Anleger von sei- nicht die Banken sondern freie sogenannte Finanzver- nem Schaden erfahren hat. mittler, die dem Kapitalanleger ein Süppchen kochen, das er so nie löffeln wollte. Vor allem bei den Finanzver- Mit dem Gesetz werden die notwendigen Konsequen- mittlern, die sich auf dem sogenannten grauen Kapital- zen aus der Finanzmarktkrise gezogen, die nicht nur markt tummeln, bedarf es einer Regulierung. Man muss Banken und Unternehmen getroffen hat, sondern auch sich das einmal vor Augen halten: Eine Friseurin oder viele Anleger. Denen wollen wir für die Zukunft mit ein Friseur hat eine dreijährige Ausbildung zu absolvie- dem Gesetz helfen. Was die Vergangenheit angeht, dür- ren, bevor sie oder er uns die Haare schneiden darf. Von fen wir aber auch die Lehman-Geschädigten nicht ver- einem Finanzvermittler fordern wir hingegen überhaupt gessen. Bad Banks braucht es nicht nur für Banken. keine Ausbildung. Das kann nicht so bleiben, schließlich geht es oftmals um das ersparte Geld der Leute und um Marianne Schieder (SPD): In quasi letzter Minute eine solide Altersversorgung. Wir fordern deshalb für beschließen wir heute auch den Koalitionsantrag „Ver- die Zukunft eine ordentliche Berufsqualifikation sowie braucherschutz bei Finanzdienstleistungen erweitern und eine Registrierungspflicht für alle Finanzvermittler. Ich durchsetzen“. Dass wir das erst am letzten Sitzungstag freue mich, dass – wie ich heute in der Zeitung lese – schaffen, liegt nicht an uns. Wir haben schon lange Frau Ministerin Aigner sich unserer Forderung an- 26228 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

(A) schließt und derzeit an Qualifikationskriterien arbeitet. der Schuldverschreibungen, sondern ganz deutlich im (C) Frau Aigner, Sie haben uns hier an Ihrer Seite. Bereich der Anlageberatung bei Bankgeschäften. Außerdem müssen wir dafür sorgen, dass der betro- Gerade im Rahmen der Finanzmarktkrise hat eine gene Kapitalanleger seine Ansprüche wegen Falschbera- beträchtliche Zahl von Anlegern erhebliche Teile ihres tung auch durchsetzen kann. Oftmals steht er nach jahre- Vermögens mit Anlagen eingebüßt, die von Anlage- langem Streit einem insolventen Vermittler gegenüber. beratern als sichere Anlageform bezeichnet worden Deswegen müssen wir – wie wir es im Versicherungsbe- waren. Viele Anleger sind tief verunsichert. Zu nennen reich bereits getan haben – eine obligatorische Berufs- ist hier zum Beispiel das Stichwort Lehman Brothers. haftpflichtversicherung für Finanzvermittler einführen. Doch auch schon vor der Finanzmarktkrise kam es zu hohen Verlusten von Anlegern. Ich darf hier nur an den Auch in der Anhörung zum grauen Kapitalmarkt am Fall Phoenix erinnern. Die Notwendigkeit einer besseren letzten Mittwoch wurde deutlich: Dort sind oft Produkte Anlageberatung ist somit nicht von der Hand zu weisen. – wie geschlossene Immobilienfonds – zu finden, die kaum ein Verbraucher und nur wenige Finanzvermittler Hier sind wir uns – das darf ich wohl sagen – über verstehen. Diese Produkte gibt es in unterschiedlichster Fraktionsgrenzen hinweg einig. Aber auch beim An- Qualität und Ausgestaltung. Sie können als Anlageform legerschutz geht die FDP Bundestagsfraktion zunächst auch durchaus geeignet sein. Ob sie sich eignen, kann einmal vom grundsätzlich mündigen Bürger aus. Anzu- aber nur ein fachkundiger Berater feststellen. Deshalb streben ist eine nachhaltige Verantwortungsgemeinschaft gilt: Ziel in der nächsten Legislatur ist eine konsistente, zwischen Verbrauchern und Banken mit einer wirk- alle Produkte und Vertriebswege umfassende Regulie- samen Aufsicht. Die jetzige Krise bietet die Chance, rung, die geeignet ist, Transparenz, Verständlichkeit und Fehlentwicklungen im gesamten Bereich der Beratung Sicherheit für die Verbraucherinnen und Verbraucher zu und der Vermittlung von Finanzprodukten zu korri- verbessern. gieren. Dabei kann es nicht darum gehen, dem Ver- Ob Kurzinformationsblatt, Finanz-TÜV oder Stär- braucher die Risiken des Kapitalmarktes vollständig kung der Verbraucherberatung: Ich könnte jetzt noch viel abzunehmen. Der Verbraucher muss aber in die Lage über die vielen guten Vorschläge sprechen, die in unse- versetzt werden, eine eigenständige Entscheidung treffen rem Antrag stecken. Aber bitte lesen Sie den Antrag zu können. Aus diesem Selbstverständnis heraus hat die selbst. Ich möchte lieber noch auf ein paar Punkte auf- FDP-Bundestagsfraktion am 20. April 2009 auch eine merksam machen, die wir als Sozialdemokratinnen und viel beachtete Diskussionsveranstaltung unter dem Titel Sozialdemokraten leider in dem Antrag nicht durchset- „Wie kommt das Vertrauen der Verbraucher zurück? – zen konnten: Konsequenzen aus der Finanzmarktkrise“ abgehalten. (B) Die Anlageberatung war auch dabei ein wichtiges (D) Wir wollen einen Finanzmarktwächter, der nach dem Thema. Bereits vor zwei Monaten hat die FDP-Bundes- Motto „Schnüffeln, bellen, beißen“ unseriöse Praktiken tagsfraktion ein umfassendes Positionspapier mit dem am Finanzmarkt aufspürt, Regelungslücken gegenüber Titel „Verbraucherrechte im Finanzmarkt stärken“ auf der Politik und der Öffentlichkeit thematisiert und unse- den Weg gebracht, dessen Forderungen weit über den riöse Anbieter durch Abmahnungen und Unterlassungs- hier vorliegenden Gesetzesentwurf hinausgehen. klagen vom Markt drängt. Das fand die CDU/CSU wohl ein Zuviel an Verbraucherschutz. Schlechte Beratung und Verstöße gegen verbraucher- schützende Vorschriften dürfen sich nicht länger lohnen. Die Union hat viele Formulierungen abgeblockt, die Dann können sich die Anbieter mit den besten Produkten die Durchsetzung von Verbraucherrechten effektiv ver- und der besten Beratungsqualität besser am Markt bessert hätten. Wir durften nicht herausstellen, dass die durchsetzen. Dies setzt voraus, dass Schadensersatzan- Verbraucherzentralen im Bereich AGB-Kontrolle und sprüche bei Falschberatung für Geschädigte effektiv Lauterkeitsrecht wichtige Funktionen erfüllen, die wir durchsetzbar sind. Die gegenwärtige Situation der dringend ausbauen müssen. Auch das ging Ihnen schon Geschädigten ist unbefriedigend, da ihre Ansprüche zu weit. rasch verjähren, oder der Geschädigte den Beratungsfeh- Also: Auch in der nächsten Legislatur ist viel zu tun. ler mangels Unterlagen nicht nachweisen kann. Die Wir stehen zu dem Antrag und werden uns für dessen Fälle der Lehman-Brothers-Geschädigten zeigen dies weitere Umsetzung einsetzen. Und wir haben darüber hi- deutlich. naus noch viele Vorschläge, die wir aber wohl nur mit Diesen zwei Punkten, also der effektiven Durchsetz- anderen Mehrheiten durchsetzen können. barkeit und der Verjährung, nimmt sich auch der Gesetz- entwurf an. Mit dem neuen Gesetz wird es Anlegern er- Mechthild Dyckmans (FDP): Der Titel des uns leichtert, im Falle einer fehlerhaften Beratung ihre heute vorliegenden Gesetzentwurfes „Gesetz zur Neu- Ansprüche durchzusetzen. Dazu wird ein schriftliches regelung der Rechtsverhältnisse bei Schuldverschrei- Beratungsprotokoll eingeführt, das konkrete Dokumen- bungen aus Gesamtemissionen und zur verbesserten tationspflichten beinhaltet, die den Verlauf der Beratung Durchsetzbarkeit von Ansprüchen von Anlegern aus erkennen lassen. Gerade diese Dokumentation des Bera- Falschberatung“ deutet auf einen etwas falschen tungsverlaufs ist besonders wichtig. Aus dem Protokoll Schwerpunkt hin. Zumindest aus politischer Sicht liegt wird erkennbar sein, mit welchen Vorstellungen der dieser Schwerpunkt nämlich nicht auf der Neuregelung Kunde die Bank betreten hat, in welche Richtung die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26229

(A) Beratung ging und mit welcher Empfehlung der Kunde der Anwendungsbereich nun auf Privatkunden. Die (C) am Ende die Bank auch wieder verlässt. Dieses Proto- rsprüngliche Regelung hätte einen unnötigen büro- koll ist dem Kunden am Ende der Beratung und vor dem kratischen Aufwand bedeutet. Kauf des Anlageproduktes auszuhändigen. Eine verbes- Lassen Sie mich zum Schluss noch kurz erwähnen, in serte Transparenz wird dadurch erreicht, dass der Anla- welchen Punkten die FDP-Bundestagsfraktion weiteren geberater verpflichtet ist, die für die Empfehlung ent- Handlungsbedarf sieht. Zu nennen sind eine Verbesse- scheidenden Erwägungen zu dokumentieren. Das rung der Finanzaufsicht, die Schaffung funktionstüchti- Vorliegen eines solchen Beratungsprotokolls erleichtert ger Sicherungssysteme, ein verbesserter Schutz gegen darüber hinaus die Beweisführung in strittigen Fällen. Risiken des grauen Kapitalmarkts, einheitliche Min- Zu klären blieb die Frage, was im Falle einer telefoni- destanforderungen an die Beraterqualifikation und ein schen Beratung geschehen soll. Laut Auskunft der Ban- freiwilliges Gütesiegel für Finanzprodukte. kenvertreter macht der Anteil der telefonischen Beratung Der vorliegende Gesetzentwurf stellt also nur einen an der Anlageberatung zumindest 50 Prozent aus. Um ersten Schritt in die richtige Richtung dar. Die FDP- auch in Zukunft die telefonische Beratung mit anschlie- Bundestagsfraktion wird dem Gesetzentwurf daher zu- ßender Auftragserteilung zu ermöglichen, sind im stimmen. Gesetzentwurf Sonderregelungen vorgesehen. In diesem Fall kann der Kunde ausdrücklich einen Geschäftsab- schluss vor Erhalt des Protokolls herbeiführen. Die zu- Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Die Regierungsko- nächst im Gesetzentwurf vorgesehene Regelung einer alition hat es geschafft. Sie legte uns zuerst unter ge- Aufzeichnung der Telefongespräche wurde nach einer wohnt geschmeidiger Titulierung den „Entwurf eines Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss des Gesetzes zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse bei Deutschen Bundestages auch auf Einwirken der FDP- Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen und zur Bundestagsfraktion aufgrund vielfältiger tatsächlicher verbesserten Durchsetzbarkeit von Ansprüchen von An- und rechtlicher Schwierigkeiten gestrichen. Man stelle legern aus Falschberatung vor“. Das war – merke! – am sich nur einmal vor, welch gigantische Menge an Daten 24. April dieses Jahres. Und im Schnellverfahren soll das Ganze heute zu einem Abschluss kommen. Offen- angefallen wäre, wenn man komplette Beratungsgesprä- sichtlich ist der Bundesregierung kurz vor Ablauf dieser che aufgezeichnet hätte. – Für eine liberale Bürger- Wahlperiode aufgefallen, dass das alte Schuldverschrei- rechtspartei wie die FDP eine unerträgliche Vorstellung. bungsgesetz bereits in die Jahre gekommen ist. Die jetzige Formulierungshilfe sieht vor, dass bei 110 Jahre, um genau zu sein. Nun, wahrhaftig, da kommt einer telefonischen Beratung ein einwöchiges Rücktritts- es mit den euphemistisch sogenannten dynamischen (B) recht für den Fall eines fehlerhaften oder unvollständi- Entwicklungen am Finanzmarkt nicht mehr so recht mit. (D) gen Protokolls eingeführt wird. Ich will nicht unerwähnt Na, in anderen Bereichen ist das Beharrungsvermö- lassen, dass diese Frist zum Rücktritt von meiner Frak- gen auch recht groß. Und so hat die Koalition – immer tion durchaus auch kritisch gesehen wird. Es besteht die den Blick auf die neuesten Entwicklungen – in der ihr Gefahr, dass dadurch Spekulationen zulasten der Kredit- ganz eigenen Art auch überraschend „schon“ in dieser institute ermöglicht werden. Die Verbraucher haben Woche den Beschlussantrag „Verbraucherschutz bei künftig das Recht zum Rücktritt, bei jedem – kleinen – Finanzdienstleitungen erweitern und durchsetzen“ ein- Fehler und auch der kleinsten Unvollständigkeit des gebracht. Richtig, es hat lange gedauert, bis der Koali- Protokolls. Das kann nicht im Sinne des Erfinders sein. tion eingefallen ist, dass der Steuerbürger – der gerade Wieder einmal wird erst die Rechtsprechung Kriterien zur Rettung der Banken getreu dem kapitalistischen entwickeln müssen, damit diese gesetzliche Regelung in Motto „Gewinne werden privatisiert und Verluste verge- der Praxis sinnvoll angewendet werden kann. Hier hätte sellschaftet“ geschröpft wurde – doch gleichzeitig ich mir etwas mehr Klarheit vom Gesetzgeber irgendwie auch Verbraucher ist. Weil doch gerade Wahl- gewünscht. kampf ist, will die Koalition ja nicht nur negativ beim Die Verjährung für Schadenersatzansprüche wegen Steuerzahler und Verbraucher auffallen. fehlerhafter Anlageberatung wird an die allgemeinen Verjährungsregeln angepasst. Das bedeutet, dass die Ver- Um nicht missverstanden zu werden: Maßnahmen für jährung erst drei Jahre nach Kenntnis des Kunden von eine nachhaltige Bereinigung von Irrungen im Finanz- den anspruchsbegründenden Tatsachen und spätestens markt sind höchst angebracht. Ich darf darauf hinweisen, nach zehn Jahren eintritt. Dies wird von der FDP- dass die Linke bereits im Dezember 2008 ihren Antrag Bundestagsfraktion begrüßt, wobei wir auch eine „Verbesserung des Verbraucherschutzes beim Erwerb von Höchstfrist von fünf Jahren für ausreichend erachtet hät- Kapitalanlagen“ mit der Drucksachennummer 16/11185 ten. eingebracht hat. Gerade im Zusammenhang mit der aktu- ellen Finanzkrise und den tiefgreifenden Einbrüchen im Eine weite wichtige Änderung, die unter anderem Kredit- und Immobiliensektor, dem Renditedruck, dem auch auf Betreiben der FDP-Bundestagsfraktion noch Kreditinstitute auf den internationalen Finanzmärkten un- Eingang in den Gesetzgebungsprozess gefunden hat, ist terworfen sind und der ihr Risikoverhalten fundamental in die Frage des Anwendungsbereichs. Der ursprüngliche Richtung einer dramatischen Absenkung des Risikobe- Gesetzentwurf hielt auch professionelle Kunden, wie wussteins verändert hat, muss die Stellung der Verbrau- zum Beispiel Versicherungen, im Rahmen der Anlagebe- cherinnen und Verbraucher gestärkt werden. Dies gilt ins- ratung für schutzwürdig. Richtigerweise beschränkt sich besondere vor dem Hintergrund, dass Bürgerinnen und 26230 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

(A) Bürger durch den Abbau von Sozialleistungen von der Daher ist eine umfassende Strategie zum Verbrau- (C) Bundesregierung immer stärker in langfristige Geldanla- cherschutz im Bereich der Kapitalanlagen und anderen gen oder Kreditnahmen gedrängt werden, um zum Bei- Finanzdienstleistungen unsere fortbestehende dringende spiel für ihre Alterssicherung oder Ausbildung Vorsorge Forderung. Dazu gehört etwa, die Beweislast bei der An- zu treffen. lageberatung umzukehren. Genauso gehört dazu, die Verpflichtung, den Anlegern ein einheitliches, verständ- Doch unsere Vorschläge waren der Großen Koalition liches und nicht manipulierbares Beratungsprotokoll wohl doch zu sehr zugunsten der Verbraucherinnen und vorzulegen. Die Beratungsdokumentation ist in Anleh- Verbraucher. Die Ablehnung eines tatsächlich an den aus nung an die §§ 6 und 62 des Versicherungsvertragsgeset- der Krise gewonnenen Konsequenzen orientierten Ver- zes auszuführen. Der Nachweis eines konkreten Scha- braucherschutzes war dann für die Koalition am 14. Mai dens ist im Sinne von § 44 des Börsengesetzes zu 2009 nur folgerichtig. erleichtern. Die Haftung der Emittenten von Kapitalan- lageprodukten und der Mitglieder der Leitungs- und Aber seien wir fair: Die Modernisierung des Schuld- Aufsichtsorgane des Emittenten bei Verbreitung falscher verschreibungsgesetzes war überfällig und ist – als In- Angaben über das Produkt ist zu verschärfen. Dabei strument außergerichtlicher Sanierung – ein wichtiges kann angeknüpft werden an den von der ehemaligen rot- Mittel, dessen Bedeutung gerade angesichts der Finanz- grünen Bundesregierung am 7. Oktober 2004 erarbeite- krise nicht zu unterschätzen ist. Das SchuldVG fasst die ten, aber nicht eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Inhaber von Schuldverschreibungen angesichts der Tat- Verbesserung der Haftung für falsche Kapitalmarktinfor- sache, dass sie gegenüber dem Emittenten gleich- mationen. gerichtete Interessen verfolgen, zu einer gesetzlich ver- fassten Interessengemeinschaft zusammen und regelt Längst überfällig ist auch die Einführung eines Anti- Handlungs- und Beteiligungsrechte wie Gläubigerver- wuchergesetzes, um die intransparente Kreditpraxis ins- sammlung, Gläubigerverteter, Mehrheitsverhältnisse etc. besondere bei der Vergabe von Kleinkrediten zu be- Sachlich gesehen ist das Gesetz vor allem Sanierungs- kämpfen. Nach Professor Dr. Udo Reifner vom Institut und Insolvenzrecht. Die neuen Regelungen erweitern für Finanzdienstleistungen in Hamburg wird die tatsäch- den Anwendungsbereich auch auf Emittenten mit Sitz liche Zinsbelastung eines Kredits oft verschleiert, indem außerhalb Deutschlands, erleichtern die Willensbildung Kreditkosten in einer Restschuldbefreiungsprämie sowie der Gläubiger und erweitern die kollektive Bindung deren Finanzierungskosten versteckt würden, die bei der aufgrund von Mehrheitsentscheidungen. üblichen Umschuldung zu Buche schlügen. Der Entwurf legt also einen Paradigmenwechsel von Schließlich ist die unabhängige Verbraucherberatung (B) (D) der einfachen gemeinschaftlichen Interessenvertretung in Finanzdienstleistungen kurzfristig so auf- und auszu- hin zu einem effektiven Sanierungsinstrument vor, in bauen, dass mindestens 1 Prozent der Privathaushalte dem widerstreitende Gläubigerinteressen eingebunden jährlich beraten werden kann. Dies muss finanziell werden. Dies wird nicht zuletzt auch durch das Sonder- dauerhaft und in ausreichender Höhe abgesichert wer- insolvenzrecht nach §§ 18 ff. Schuldverschreibungs- den. Zur Durchführung der Finanzberatung müsste eine gesetz sichergestellt. Dennoch steht es in einem gewis- spezialisierte Verbraucherzentrale Finanzen bei den sen Wertungswiderspruch zur Ratio des Gesetzgebers Verbraucherzentralen sowie bei dem Verbraucherzen- der Insolvenzordnung, der das gerichtliche Sanierungs- trale Bundesverband e. V. eingerichtet werden. verfahren präferiert. Der vorliegende Gesetzentwurf bleibt nach alledem Soweit sich der Gesetzentwurf der Anlageberatung mutlos hinter den Möglichkeiten zurück, die wir bereits annimmt, ist es erklärtes Ziel, die Durchsetzung von im erwähnten Antrag vorgeschlagen haben. Weder die Schadenersatzansprüchen zu erleichtern. Wenn der Ge- unabhängige und fachliche Finanzberatung findet hier setzentwurf jedoch einleitet mit der Feststellung, dass Niederschlag noch die über das dortige Vorschlagspro- „gerade im Zusammenhang mit der Finanzmarktkrise gramm hinausreichende Überlegung einer Marktbereini- sich gezeigt habe, dass viele Anleger die Risiken der gung durch das Hinwirken auf ein konzertiertes Verbot teilweise hochkomplexen Produkte nicht hinreichend von bestimmten Finanzprodukten in mindestens europäi- verstehen“, macht er deutlich, dass hier noch von einer scher, besser in globaler Kooperation. Es ist aber nicht falschen Prämisse ausgegangen wird. Denn es sind vor zu verkennen, dass sich die Koalition in ihrem allem die Bankberater, die die Produkte nicht verstehen Beschlussantrag zumindest unseren hier und schon frü- und sie dennoch – auch trotz der Erkenntnisse aus der her geäußerten Forderungen annähert. Es besteht aber Finanzkrise – an den Kunden bringen, wie auch erst gerade deshalb erheblicher Nachbesserungsbedarf. kürzlich durchgeführte Untersuchungen in den Medien ergeben haben. Insofern ist jedenfalls die Proto- Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir kollierung schon vor diesem Hintergrund unabdingbares reden bei der heutigen Debatte zum Schuldverschrei- Instrument, um eine Sensibilisierung der Berater zu bungsgesetz über Verbraucherschutz bei Finanzdienst- erreichen. Zutreffend weist der Bundesrat in seiner leistungen. Das Schuldverschreibungsgesetz ist nur ein Stellungnahme darauf hin, dass das Wertpapierhandels- Tropfen auf dem heißen Stein. Die Sonderfristen bei der gesetz nur einen sehr eingeschränkten Anwendungsbe- Verjährung abzuschaffen, das haben wir Grünen seit lan- reich hat. Nicht erfasst werden die diversen Fonds. gem gefordert. Aber es ist noch keine Antwort auf die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26231

(A) Finanzkrise. Und auch die Dokumentation der Beratung nisiert werden. Aber dafür steht die derzeitige Bundesre- (C) hat noch etliche Haken. Was passiert eigentlich, wenn gierung nicht zur Verfügung. nicht rechtzeitig über das neue Rücktrittsrecht bei telefo- nischer Beratung belehrt wird? Und wie soll eigentlich Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin bei der belehrt werden? Insgesamt ist die Bilanz der Bundesre- Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und gierung beim Thema Verbraucherschutz bei Finanz- Verbraucherschutz: Der Sturm der Finanzkrise hat vie- dienstleistungen vernichtend und lautet: zu spät, zu len Menschen in unserem Land schwere finanzielle Ver- lückenhaft, zu inkonsequent. Sie haben – genau wie die luste zugefügt. Jetzt sind wir dabei, aufzuräumen und Banken – aus der Finanzkrise einfach nichts gelernt. Vorsorge für die Zukunft zu treffen. Mit unserem heuti- Die Banken nehmen gerne die Rettungspakete auf gen Antrag haben wir die Ausgangslage markiert und Kosten der Steuerzahlerinnen und -zahler entgegen, um klar und deutlich Lösungswege aufgezeigt. sich damit aus der selbstverschuldeten Krise zu katapul- Schlechte Beratung, mangelnde Risikoaufklärung und tieren. Aber ansonsten machen sie weiter wie bisher: die Orientierung der Berater an ihrer Provision statt an Das zeigt nicht nur das Beispiel der Zinspolitik, bei dem der Lebenssituation ihrer Kunden müssen der Vergan- die Schere zwischen Soll- und Habenzinsen immer grö- genheit angehören. Die Langfristschäden fehlerhafter ßer wird, und zwar zulasten der Verbraucherinnen und Beratung belaufen sich auf 20 bis 30 Milliarden jährlich. Verbraucher. Schon seit Monaten fordern wir Grüne die Es ist daher wohl angebracht, aus der Finanzkrise auch Bundesregierung auf, den unfairen Geschäftspraktiken gesetzliche Konsequenzen zu ziehen. der Banken einen Riegel vorzuschieben. Denn allein die unseriöse Zinspolitik lässt 1,3 Milliarden Euro in den Ein erster Schritt zu mehr Sicherheit war das Gesetz Taschen der Finanzinstitute verschwinden, statt Kredit- zur Einlagensicherung und Anlegerentschädigung. Jetzt ausgaben und Konjunktur zu entlasten. Damit wird die geht es um erweiterte Rechte und effektivere Rechts- Zinspolitik der Europäischen Zentralbank konterkariert, durchsetzung. Dem dient der heutige Gesetzesentwurf und die Bundesregierung schaut tatenlos zu. Hier wäre zum Schuldverschreibungsrecht: die Verlängerung der Frau Aigner gefordert, für die Bankkundinnen und -kun- Verjährungsfristen für Schadenersatzansprüche, die Do- den in die Bresche zu springen; stattdessen verharrt sie kumentationspflicht von Beratungsgesprächen und das in ihrer verbraucherpolitischen Arbeitsstarre. Alle Vor- Transparenzgebot hinsichtlich des Leistungsverspre- schläge, die wir im Ausschuss und in unseren Anhörun- chens. Diese drei Punkte verbessern die Rechtslage für gen dazu diskutiert haben, kamen von der Opposition. die Verbraucher erheblich. Es ist ein großer Schritt in Das Handeln der Ministerin erschöpft sich in Pressemit- Richtung des Ziels, dass sich Banken und Verbraucher teilungen und launigen Reden auf Konferenzen. (B) auf Augenhöhe begegnen können. So kann wieder Ver- (D) Die Bundesregierung hatte nach der Krise eigentlich trauen wachsen. In dieser Politik fühle ich mich auch be- die Aufgabe, die Bankenlandschaft so zu regeln, dass stätigt durch die jüngsten Urteile verschiedener Rechts- Missstände beseitigt werden und die Verbraucherinnen instanzen. und Verbraucher wieder Vertrauen in den Finanzmarkt Ich begrüße die Leitlinien des Bankenverbandes zur haben. Dankenswerterweise dokumentieren Sie im vor- Stärkung des Anlegervertrauens. Allerdings beunruhigen liegenden Antrag noch einmal schriftlich, was Sie alles mich Zeitungsberichte, wonach Banken- und Finanz- versäumt haben: Sie haben weder die Beweislastumkehr dienstleister ihre Beratungspraxis kaum geändert hätten. bei Falschberatung auf den Weg gebracht, noch wurde Deshalb fordere ich die Banken mit allem Nachdruck das Problem der Zertifikate geregelt oder die Finanz- auf, die notwendigen Reformen auch einzuleiten. marktaufsicht gestärkt. Und auch die Qualifikationsan- forderungen an Finanzvermittler wurden nicht neu Die soziale Marktwirtschaft geht vom mündigen Ver- definiert, um nur einige Beispiele zu nennen. Während braucher aus. Dieser bedarf der Information und Aufklä- wir aus Großbritannien hören, dass die britische Finanz- rung, um die für ihn richtige Entscheidung treffen zu aufsicht die Finanzvermittlerbranche radikal umbauen können. Das gilt besonders für den Markt der Anlagen- will und endlich auf eine Honorarberatung statt auf und Finanzprodukte. Hier werden über 200 000 ver- Beraterprovisionen setzt, bleibt hier alles beim Alten. schiedene, zum Teil hochkomplizierte Produkte angebo- Lassen Sie sich in Verbraucherfragen doch einfach mal ten. Mit der „Qualitätsoffensive Verbraucherfinanzen“ von unseren Nachbarländern inspirieren. möchte ich den Verbrauchern einen Routenplaner an die Hand geben, damit diese sich in dem oft undurchsichti- Die letzten neun Monate haben deutlich gezeigt: Eine gen Finanzdschungel zurechtfinden können. schwarz-rote Regierung ist keine Antwort auf die Ban- ken- und Finanzkrise. Das von allen kritisierte Provi- Beim Thema „transparente Informationen“ sind wir sionssystem läuft weiter, Bankkunden müssen sich über auf einem guten Weg. Ich verweise auf unsere Check- willkürliche Gebühren ärgern, und die Kaupthing-Opfer liste für Finanzanlagen, die Kurse und das Service-Heft mussten monatelang um ihr Geld zittern. Wer für diese zur Altersvorsorge, das interaktive Internetportal, das ganzen Probleme eine Lösung sucht, muss wissen, eine voraussichtlich in den nächsten Wochen freigeschaltet Verbraucherstimme ist bei Schwarz-Rot schlecht ange- wird, und die Erarbeitung eines prägnanten Produktin- legt. Deshalb muss dieses Koalitionsmodell vom Markt formationsblattes. Dazu werde ich eine Arbeitsgruppe verschwinden. Die Krise kann nur überwunden werden, mit Vertretern der Finanzwirtschaft und von Schutzorga- wenn Finanzmärkte fair und verbraucherfreundlich orga- nisationen der Anleger einsetzen. Hinsichtlich Sicher- 26232 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

(A) heit, Flexibilität, Rendite und Kosten sollen auf einen Bei der telefonischen Beratung haben wir, wie ich (C) Blick alle wesentlichen Produkteigenschaften erkennbar finde, eine auch für die Banken tragbare Regelung ge- sein. Informationen müssen so einfach wie möglich sein, funden, indem statt der Sprachaufzeichnung dem Kunden damit sie auch jemand versteht, der sich nicht täglich da- ein einwöchiges Rücktrittsrecht einzuräumen ist. Das mit beschäftigt. Rücktrittsrecht ist auch nicht unbeschränkt, sondern greift in dem Fall, dass das nach Geschäftsabschluss Als weiterer Schwachpunkt hat sich die oft unzurei- übersandte Protokoll falsch ist. Wir kommen hier einer- chend qualifizierte Finanzberatung herausgestellt. Ge- seits der Forderung entgegen, die Kosten, wie sie bei ei- meinsam mit Wissenschaftlern, Verbraucherorganisatio- ner umfassenden Sprachaufzeichnung entstanden wären, nen, Banken und Versicherungen ist mein Haus dabei, möglichst gering zu halten. Andererseits nehmen wir un- verbindliche Mindeststandards für Finanzvermittler zu sere Verantwortung den Verbrauchern gegenüber ernst entwickeln. Da geht es um Fragen wie Beratungsqualität und haben zumindest in diesem Bereich im Fall eines und Haftung. Auch bei den betriebsinternen Anreizsys- fehlerhaften Protokolls eine punktuelle Beweislastum- temen bin ich im Gespräch mit Branchenvertretern, um kehr zugunsten der Anleger eingeführt. Verbesserungen zu erreichen. Auch hier müssen noch harte Bretter gebohrt werden. Auch beim neuen Schuldverschreibungsgesetz, das in den Beratungen weniger im Vordergrund stand, wird et- An einem konsequenten Verbraucherschutz bei Fi- was zur Verbesserung des Anlegerschutzes getan. Das nanzdienstleistungen führt aber kein Weg vorbei. Die neue Transparenzgebot ist ein erster und ganz wesentli- Verbraucherinnen und Verbraucher können dabei auch cher Schritt zur Verbesserung der Produktqualität. Die zukünftig auf mein Haus zählen. Anleihebedingungen müssen eine eindeutige und klare Ermittlung des Leistungsversprechens ermöglichen. Wir schaffen zudem eine rechtliche Grundlage für die Ände- Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der rungen von Anleihebedingungen, die im Sanierungsfall Bundesministerin der Jusitz: Der Gesetzesentwurf in der den Anleger bei Schuldverschreibungen aus Gesamt- heute vorliegenden Fassung ist das Ergebnis kurzer, aber emissionen gegebenenfalls vor einem Totalverlust seiner intensiver Beratungen. Ich möchte Ihnen, meine sehr ge- Geldanlage schützen kann. ehrten Damen und Herren, herzlich danken, dass Sie den Regierungsentwurf so positiv aufgenommen und in eini- An dieser Stelle möchte ich nochmals betonen, dass gen Teilen auch sehr effektiv weiterentwickelt haben. dieses Gesetz nur der erste Schritt ist. Weitere Maßnah- Dabei wurden selbstverständlich auch die Anregungen men werden wir prüfen und in der nächsten Legislatur- (B) des Bundesrates in die Überlegungen aufgenommen. periode in Angriff nehmen. Ich nehme hier ganz bewusst (D) Bezug auf den gemeinsamen Antrag der CDU/CSU- und Besonders freue ich mich aber darüber, dass wir in SPD-Fraktion zur Erweiterung und Durchsetzung des den Ausschüssen – auch mit Zustimmung von Teilen der Verbraucherschutzes bei Finanzdienstleistungen. Wir Opposition – den Anlegerschutz ganz erheblich zuguns- werden an der Fortentwicklung der Regulierung von ten der Bürgerinnen und Bürger verbessern konnten. Produkten und Vertriebswegen genauso arbeiten wie an Wenn auch in der Presse vereinzelt von einem „Mini- der Frage der Einführung eines „Finanz-TÜVs“. Wir malkompromiss“ gesprochen wird, so kann ich diese werden prüfen, wie die Verbraucherberatung am besten Einschätzung nicht teilen. Wir haben getan, was in der gestärkt werden kann. Entgeltstrukturen in der Finanz- kurzen Zeit möglich war. dienstleistungsbranche, die Anreize für Falschberatun- gen geschaffen haben müssen verantwortungsbewusst ge- In der Sache selbst sind die Abschaffung der Sonder- ändert werden. Wir werden uns intensiv mit der Frage verjährung im Wertpapierhandelsgesetz und die damit beschäftigen, wie wir effektiv die ökonomische Fach- einhergehende Verlängerung der Verjährung auf maxi- kompetenz der Anleger verbessern können. Learning by mal zehn Jahre mittlerweile breiter Konsens. doing kann sich hier – im wahrsten Sinne des Wortes – Die Pflicht zur Dokumentation des Beratungsge- niemand leisten. Gleiches gilt übrigens auch für die sprächs halte ich für einen großen Erfolg des Gesetzge- Fachkompetenz vieler Finanzvermittler. bungsprojekts. Die Banken werden verpflichtet, Her- In vielen Teilen liegen die Forderungen aus dem gang und Empfehlungen des Beratungsgesprächs im Koalitionsantrag auf einer Linie mit den Anregungen des Lichte der persönlichen und finanziellen Situation der Bundesrates nach mehr Beratungsqualität, einer Verbes- Kunden festzuhalten. Das ist neu und nimmt die Banken serung der Provisionsstrukturen und Produkttransparenz. viel besser als bisher in die Pflicht, anlegergerecht zu be- Sie sehen, die Verbesserung des Verbraucherschutzes im raten. Ich halte dieses Konzept sogar für fortschrittlicher Kapitalmarkt wird auch in der nächsten Legislatur- als die immer wieder geforderte Beweislastumkehr. periode ein wichtiges Thema sein. Denn die Beweislastumkehr greift erst in Streitfällen ein, wenn man nicht feststellen kann, was tatsächlich passiert Abschließend denke ich, dass wir uns über eines alle ist. Das Protokoll schafft aber von Anfang an Klarheit einig sind. Als Reaktion auf die aktuelle Finanz- und und vermeidet spätere Streitigkeiten. Wir werden selbst- Wirtschaftskrise muss auch das Vertrauen der Verbrau- verständlich beobachten, wie sich die Praxis entwickeln cher in die Finanzmärkte zurückgewonnen werden. Da- wird. ran arbeiten wir und werden es auch in Zukunft tun. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26233

(A) Anlage 11 einer fixen Stempelabgabe belegt. Die nationale Börsen- (C) umsatzsteuer, die ihren Ursprung, wie gesagt, im vorver- Zu Protokoll gegebene Reden gangenen Jahrhundert hat, wurde nicht zuletzt nach zur Beratung der Beschlussempfehlung und des klaren Einlassungen der damaligen unionsgeführten Berichts: Finanzumsatzsteuer auf EU-Ebene Bundesregierung 1991 durch das Finanzmarktförde- einführen (Tagesordnungspunkt 13) rungsgesetz abgeschafft. Die Begründungen gegen eine nationale Börsenum- Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU): In satzsteuer sind heute noch so aktuell wie damals. Ers- Deutschland wurde die Börsenumsatzsteuer 1991 abge- tens. Kapitalverkehrsteuern behindern die Kapitalbe- schafft. Gegenwärtig sind Umsätze mit Aktien und Deri- schaffung zur Stärkung des Eigenkapitals. Zweitens. vaten innerhalb der EU weitgehend frei von einer Be- Kapitalverkehrsteuern behindern die Mobilität des steuerung. Finanzkapitals. Drittens. Kapitalverkehrsteuern laufen dem Gedanken einer EU-weiten Integration der Märkte Die Grünen problematisieren die fehlende steuerliche völlig zuwider. Viertens. Kapitalverkehrsteuern stellen Belastung von Umsätzen mit Finanzprodukten in ihrem einen Wettbewerbsnachteil für den Finanzplatz Deutsch- Antrag, den wir heute debattieren. Diese Ausnahme sei land dar. nach ihrer Meinung ungerecht. Wie andere Produkte müssten daher auch Finanztransaktionen mit einer Um- Eine Wiedereinführung der verwandten Steuer auf satzsteuer belegt werden. Unter Bezugnahme auf Be- Finanztransaktionen ist in diesen Zeiten nicht sinnvoll. rechnungen des österreichischen Wirtschaftsforschungs- Eine Krise ist nicht die Zeit, neue Steuern einzuführen. instituts WiFo gehen die Grünen davon aus, dass ein Eine solche Besteuerung würde doch ohne jeden Zweifel Steuersatz von 0,01 Prozent zu einem jährlichen Steuer- derzeit die Bereitschaft der Bürger zu einer Altersvor- aufkommen in Höhe von 70 Milliarden Euro in der Eu- sorge mit hoher Eigenbeteiligung schwächen, für eine ropäischen Union führen werde. Die Steuer könne den ausreichende Eigenvorsorge ist schließlich privates Spa- Hang der Finanzmärkte zur Konstruktion von risikorei- ren mit hohen Nachsteuerrenditen erforderlich. Dazu ist chen und von der Realwirtschaft weitgehend abgekop- die Anlageform Aktie aufgrund ihres langfristigen Ren- pelten Finanzprodukten mäßigen, so die Begründung. ditevorteils – trotz der derzeitigen Verwerfungen – be- sonders geeignet. Wer einer solchen Steuer eine Lenkungswirkung zu- schreibt, argumentiert populistisch. Hier geht es doch Eine isolierte nationale Wiedereinführung der Steuer nur darum, eine neue Steuer einzuführen, die die Men- wäre auch standortschädlich für Deutschland. Der An- schen weiter belastet, sie weiter zum Ausweichen vor reiz für einen Investor, aus dieser Steuer auszuscheren (B) der Steuerlast treibt. Und die Bevölkerung wird doch und auf einen „freien Kapitalmarkt“ auszuweichen, der (D) nicht glauben, dass es bei einem solch niedrigen Steuer- entsprechend höhere Gewinne ermöglicht, ist hoch. Dies satz bliebe. Ganz im Gegenteil, Steuererhöhungen und läuft den Bestrebungen der Bundesregierung, den deut- Steuerbegehren wären Tür und Tor geöffnet. Neue Steu- schen Finanzmarkt im internationalen Wettbewerb zu erlasten wären Gift in der derzeitigen Situation. Sie wür- stärken, diametral entgegen. Bei einer umfassenden Be- den die Menschen doch nur noch mehr verunsichern. steuerung von Börsenumsätzen in Deutschland ist mit ei- nem erneuten Anstieg der Steuerflucht zu rechnen; ähn- Die Grünen argumentieren, langfristig angelegte lich der Entwicklung, die bei der Einführung der Transaktionen, die zum Beispiel der Altersvorsorge die- Zinsabschlagsteuer zu beobachten war. nen, würden kaum belastet. Warum denn dann überhaupt eine Steuer? Eine Steuer, die Investoren aus Europa ver- Eine Finanzumsatzsteuer widerspricht auch dem Ziel treibt. In einer globalen Welt ist es eine Leichtigkeit, per eines integrierten Finanzmarktes. Schauen wir doch Computer die Geschäfte über Drittstaaten abzuwickeln. auch mal auf die Wirkungen einer Börsenumsatzsteuer Ich halte es für äußerst naiv zu glauben, Spekulationen oder Finanzumsatzsteuer oder wie man die neue Belas- würden durch eine solche Finanzumsatzsteuer einge- tung auch immer taufen würde. In dem immer wieder schränkt. Wenn diese überhaupt wirken soll, dann müs- gern angeführten Großbritannien gilt die Stamp Duty sen wir sie international abstimmen, zum Beispiel über Reverse Tax nur auf inländische Transaktionen. Zudem die G 20. sind weitere Finanzprodukte wie Renten, Derivate, Ex- change Traded Funds und ausländische Aktien ausge- Die Union ist der Auffassung, dass Finanzprodukte in nommen. Festzuhalten ist auch, dass in keinem EU-Mit- der gegenwärtigen krisenhaften Situation nicht noch gliedstaat in den letzten 20 Jahren eine Transaction Tax durch eine steuerliche Belastung verteuert werden soll- für Börsengeschäfte eingeführt wurde. Schauen Sie sich ten. die Realität an. Schweden hat 1983 mit 165 Millionen Euro pro Jahr gerechnet, es sind aber durchschnittlich Die nationale Börsenumsatzsteuer, eine Art der von nur 9 Millionen Euro geworden. Schweden hat dieses den Grünen favorisierten Finanzumsatzsteuer, ist ein Re- Projekt schnellstmöglich wieder eingestellt. likt aus dem 19. Jahrhundert. Zum Hintergrund und zur Verdeutlichung noch einmal: Sie ist ursprünglich aus der Tatsache ist: Die meisten Staaten in der Europäischen fiskalischen Belastung von Urkunden des Börsenver- Union haben die Börsenumsatzsteuer abgeschafft: Spa- kehrs hervorgegangen, für die früher behördlich gestem- nien 1988, die Niederlande 1990, Dänemark 1999 und peltes Papier zu verwenden war. 1881 wurden erstmals Österreich 2000. An anderen, nichteuropäischen Finanz- Schlussnoten über gewisse Wertpapieranschaffungen mit plätzen wie zum Beispiel den USA und Japan ist die 26234 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

(A) Börsenumsatzsteuer ebenfalls abgeschafft worden, in die Machbarkeit das andere. Der Versuch, alle Umsätze, (C) den Vereinigten Staaten 1966 und in Japan 1999. Wir se- die auf europäischen Finanzmärkten gemacht werden, zu hen also: Die Entwicklung hinsichtlich der Börsen- besteuern, wird nicht bzw. kann nicht von Erfolg gekrönt umsatzsteuer in den Mitgliedstaaten der Europäischen sein, da er nicht operationalisierbar ist. Union zeigt deutlich einen Trend hin zur Abschaffung. Selbst Länder, die die Steuer erheben, haben in den letz- Realistischerweise haben wir Sozialdemokraten des- ten Jahren Anpassungen vorgenommen. halb eine Beschränkung auf die Börsenumsätze vorge- nommen. Nach dem Vorbild der in Großbritannien exis- Auf die Finanzmarktkrise können und dürfen wir der- tierenden Stempelsteuer wollen wir 0,5 bis 1,5 Prozent zeit also nicht mit neuen Steuern reagieren, ganz im Ge- des Kurswertes auf börsliche Wertpapiergeschäfte ab ei- genteil: Angemessene und wirksame Regulierungsmaß- nem Umsatz von 1 000 Euro erheben. Das häufig vorge- nahmen sind das Zauberwort. Erstens: Wir müssen die brachte Argument, mit dieser Steuer würden wir das Eigenkapitalregeln anpassen. Zweitens: Die Bankenauf- scheue Reh Finanzinvestor vertreiben, geht angesichts sicht muss wirksamer werden und international abge- der Erfahrungen in Großbritannien, den USA und der stimmt agieren. Drittens: Ratingagenturen sind einer Schweiz ins Leere. Unser Vorschlag hat darüber hinaus Aufsicht zu unterstellen, und die muss auch wirksam den großen Vorteil, dass wir die gesetzliche Grundlage – sein. die entsprechenden Mehrheiten vorausgesetzt – in Deutschland schaffen können und damit einen guten Die Grundlagen hierzu bilden die Beschlüsse der Ausgangspunkt für eine europaweite Einführung haben. G 20, Mitte September dieses Jahres werden diese finali- siert. Dann heißt es für den europäischen Verordnungs- Selbstverständlich bleibt aus meiner Sicht die Aus- und Richtliniengeber sowie für uns im Deutschen Bun- weitung auf weitere Finanztransaktionen eine Option, destag, diese Maßnahmen umzusetzen. Wir dürfen hier- die es zu prüfen gilt und die auf internationaler Ebene zu bei nicht nachlassen. Nichts ist schlimmer, als jetzt nicht verwirklichen wäre. aus der Krise zu lernen. „Weiter so“ darf nicht die Parole sein. Leider hört man dies aber inzwischen wieder des Bei aller Sympathie für Ihr Anliegen plädiere ich da- Öfteren aus Finanzkreisen. Nein, und das sage ich noch für, den langen Weg einer europäischen Finanzmarktbe- einmal mit aller Deutlichkeit: Ein „Weiter so“ wird es steuerung zunächst mit dem ersten Schritt zu beginnen. nicht geben. Der besteht in der Realisierung einer Börsenumsatz- steuer. Florian Pronold (SPD): Die Krisenentwicklung hat gezeigt, dass sich die Finanzmärkte zunehmend ver- Frank Schäffler (FDP): Die FDP-Fraktion lehnt die (B) selbstständigt haben; denn sie haben nicht mehr dazu Finanzumsatzsteuer strikt ab. Wer in der jetzigen Situa- (D) beigetragen, die Realwirtschaft mit Kapital zu versor- tion Steuererhöhungen oder gar die Einführung neuer gen. Stattdessen wurden immer undurchschaubarere Fi- Steuern fordert, richtet erheblichen Schaden an. Allein nanzprodukte geschaffen und immer risikoreichere Wet- schon die Diskussion über neue Steuern verunsichert die ten auf zukünftige Entwicklungen abgeschlossen, alles Bürger. SPD, Linke und Grüne, die in rot-rot-grüner Ei- mit dem Ziel, noch schneller noch höhere Renditen zu nigkeit eine Wiedereinführung der Börsenumsatzsteuer kassieren. Das Volumen der Finanztransaktionen war fordern, schüren genau diese Verunsicherung. Die SPD 2007 74-mal höher als das nominelle Weltbruttoinlands- begründet ihre Ablehnung des Grünen-Antrags – so ist produkt. es im Bericht des Finanzausschusses nachzulesen – da- mit, dass der vorgeschlagene Steuersatz zu niedrig sei. Eine stärkere Regulierung der internationalen Finanz- Die Bürger wissen dadurch immerhin, dass diese Steuer märkte ist unausweichlich. Selbst neoliberale Verfechter nach der Bundestagswahl sicher eingeführt wird, falls es unregulierter Märkte haben nach staatlicher Hilfe geru- nicht zu einer bürgerlichen Mehrheit kommen sollte. fen. Diese Hilfe ist gewährt worden, aber sie muss über ein kurzfristiges Krisenmanagement hinausgehen und Eine Finanzumsatzsteuer, wie sie die Grünen fordern, derartige Fehlentwicklungen für die Zukunft unmöglich ist genau das Gegenteil dessen, was wir brauchen und machen. Bundesfinanzminister Steinbrück hat frühzeitig was der Finanzplatz Deutschland braucht. Wir müssen mit zahlreichen Vorschlägen und Initiativen europaweit dafür sorgen, dass am Finanzmarkt wieder Vertrauen und international dazu beigetragen, dass das Ausmaß der entsteht. Dies umfasst das Vertrauen in die Finanzdienst- Krise begrenzt wurde. Seine bzw. unsere Vorschläge leistungswirtschaft und in die staatlichen Rahmenbedin- haben zum Ziel, die Finanzmärkte dauerhaft zu stabili- gungen gleichermaßen. Der Staat muss eine zuverlässige sieren. Dabei geht es auch um Mittel und Wege, kurzfris- Finanzaufsicht bereitstellen und für verlässliche steuerli- tige Spekulationen auf den Finanzmärkten einzudäm- che Rahmenbedingungen sorgen. men. Die Tendenz des Antrags, die Steuer international ein- Die dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zu- zuführen, hat keine Aussicht auf Erfolg, da viele andere grunde liegende Überlegung, auch Umsätze auf den Länder ihre Börsenumsatzsteuer – so wie Deutschland Finanzmärkten zu besteuern, halte ich für grundsätzlich 1991 – ja bewusst abgeschafft haben. Das liegt an den diskussionswürdig. Es muss nämlich dort, wo die Krise negativen Erfahrungen, die insbesondere Länder wie ihren Ursprung hat, auch ein solidarischer Beitrag zur Schweden gemacht haben. Am Ende würden andere Finanzierung der mit Steuergeld gespeisten Krisenbe- Länder, die schon zu einer höheren Einsicht gelangt wältigung eingetrieben werden. Der Wunsch ist das eine, sind, ein gemeinsames Vorgehen ablehnen und die Bör- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26235

(A) senumsatzsteuer würde im nationalen Alleingang in die bessere Lösung ist, die Steuer europäisch eingeführt, (C) Deutschland eingeführt. Die Börsenumsatzsteuer würde lässt sich der Steuersatz gut und gerne hochsetzen. Die dadurch protektionistisch wirken. Dies lehnen wir strikt SPD ist doch sonst nicht so unflexibel im Anpassen von ab. Steuersätzen. Wir lehnen es aber auch ab, eine Börsenumsatzsteuer Dann hat die SPD noch ein Problem mit der Gerech- als EU-Steuer einzuführen, weil wir an der nationalen tigkeit: Es werde der Bedeutung des Finanzplatzes Steuerhoheit festhalten wollen. Wenn eine staatliche Deutschland nicht gerecht, die Einnahmen auf EU- Ebene erst mal eine neue Steuer erhebt, ist schnell eine Ebene durch die Mitgliedsländer zu teilen. Erst einmal Verselbstständigung der Steuer zu erwarten. Die Börsen- bleibt ein Teil der Einnahmen in dem Land, wo die umsatzsteuer wird ja auch nach Gutmenschenart gefor- Steuer erhoben wird. Zweitens scheint die SPD mittler- dert und oft direkt mit einem Vorschlag versehen, wie weile ein Gerechtigkeitsempfinden zu haben, das jegli- die vermeintlichen Einnahmen auszugeben sind. Als ches Prinzip von Progression vergisst: Demnach hält die Kollateralschäden würden die Bürger von der privaten SPD es nicht für gerecht, dass, wer mehr hat, einen höhe- Altersvorsorge abgeschreckt und Unternehmen hätten ren Anteil zum Gemeinwesen beiträgt. Drittens – und das noch größere Probleme, dringend benötigtes Kapital zu ist sehr wichtig, wenn wir die Steuer nicht verwässern erhalten. Wir wollen im Gegenteil Anreize für private wollen – sind internationale Steuern für internationale Altersvorsorge und privaten Vermögensaufbau setzen. Aufgaben da. Eine internationale Finanztransaktionsteuer Eine Wiedereinführung der Börsenumsatzsteuer wäre muss in erster Linie zur Entwicklungsfinanzierung in den dafür Gift. Ländern des Südens beitragen. Wir stimmen dem Antrag der Grünen zu. Wir haben Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Wer in die Wirt- die Steuer selbst letztes Jahr im September vorgeschla- schaftspresse schaut, findet dort regelmäßig Werbung für gen. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich inter- Derivate. Derivate sind Geschäfte mit den Schwankun- national für die Finanzumsatzsteuer einzusetzen. gen anderer Wertpapiere und Güter. Krise hin oder her, der kurzfristige und exzessive Handel ist keineswegs Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): verschwunden. Man kann ja auch auf fallende Kurse Nach wie vor unterliegt die Finanzbranche einer nicht wetten. Diese und andere Finanzgeschäfte unterliegen nachvollziehbaren Sonderregelung. Im Gegensatz zu bislang keinerlei Besteuerung. Eine Steuer würde den fast allen sonstigen Gütern und Dienstleistungen sind Handel entschleunigen und zugleich Einnahmen gene- ihre Produkte von der Umsatzsteuer ganz befreit. Im rieren. Die Linke hat im letzten September einen Klartext: Durch die Entrichtung der Mehrwertsteuer tra- (B) Entschließungsantrag eingebracht, in dem sie eine gen Normalverdiener mit dem Einkauf im Supermarkt, (D) Finanztransaktionsteuer – mit anderen Worten: Finanz- beim Friseurbesuch oder bei der Renovierung ihrer umsatzsteuer – fordert. Der Deutsche Gewerkschafts- Wohnung zur staatlichen Finanzierung bei, während sich bund, DGB, und andere sind dafür. Die SPD lehnt ab. finanzstarke Kapitalmarktakteure diesem Beitrag oft ent- Warum? Das frage ich mich auch. Die SPD – im Finanz- ziehen. Warum eigentlich? ausschuss über ihre Genossin Nina Hauer – versucht ei- nige Gründe anzuführen, die ich hier widerlegen werde. Spätestens in den letzten Monaten ist deutlich gewor- den, dass einseitige Privilegien für die Finanzbranche Die SPD hält es für schwierig, die zu versteuernden keineswegs einen insgesamt wohlfahrtsfördernden Ef- Finanztransaktionen einzugrenzen. Dabei entfällt die fekt haben müssen. Natürlich; auch eine Finanzumsatz- Steuer schlichtweg auf alle Arten von Wertpapier- und steuer bringt Verzerrungen des reinen Marktergebnisses Devisenumsätzen: a) alle börslichen Umsätze, b) alle au- mit sich. Aber das tut jede Steuer. So einfach, jede Steuer ßerbörslichen Umsätze und c) alle Devisenumsätze, ge- abzulehnen, kann man es sich nicht machen. Wir müssen nauso, wie das österreichische Institut für Wirtschafts- uns vielmehr darüber unterhalten, wie die notwendige forschung es vorgeschlagen hat. Wenn Sie noch eine Steuerlast zwischen Real- und Finanzwirtschaft in geeig- Lücke finden, dann schließen Sie die doch – und alle an- neter Weise aufgeteilt werden kann. Dabei setzen wir be- deren Steuerschlupflöcher gleich mit. Jede Finanztrans- wusst nicht auf eine nationale Börsenumsatzsteuer, wie aktion wird elektronisch dokumentiert, damit Banken sie die Linkspartei und nun auch wieder die SPD fordert. nachweisen können, wer welche Zahlung in welcher Denn dieses Modell hat zwei gravierende Nachteile. Ers- Höhe vorgenommen hat. tens findet schon heute mehr als die Hälfte des Finanz- markthandels außerhalb der Börse statt. Besteuert man Weiter bezweifelt die SPD, dass eine Steuer von nur die Börsengeschäfte, sorgt man also für eine Un- 0,01 Prozent eine Lenkungswirkung entfalten, also ent- gleichbehandlung der Anleger und fördert auch noch die schleunigend wirken kann. Auch dies hat das öster- Verlagerung von Finanztransaktionen in den intranspa- reichische Institut für Wirtschaftsforschung detailliert renten außerbörslichen Bereich. Zweitens können wir berechnet. Der Steuersatz von 0,01 Prozent ist nichts an- bei der Einführung auf nationaler Ebene mit erheblichen deres als ein Beispiel. Ein solcher Bagatell-Steuersatz ist Verlagerungseffekten hin zu anderen europäischen geeignet, wenn man die Steuer zunächst national ein- Finanzplätzen rechnen. führt. Damit kann vermieden werden, dass sich der Han- del bloß verlagert. Da die Steuer bei jeder Transaktion Stattdessen wollen wir mit einer europäischen Finanz- anfällt, verteuert und verlangsamt bereits ein geringer umsatzsteuer für eine solidarische Beteiligung der Steuersatz den kurzfristigen Handel. Wird, was natürlich Finanzbranche an der Bewältigung öffentlicher Aufga- 26236 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

(A) ben sorgen. Das grüne Konzept ist zu Ende gedacht: Wir Denn eine potenzielle Destabilisierungswirkung haben (C) setzen auf der EU-Ebene an, weil nur so der starken Inte- auf den Finanzmärkten vor allem die Geschäfte, die mit gration des EU-Finanzmarkts Rechnung getragen wird. sehr kurzfristigen Zeithorizonten arbeiten und kleinste Und so beugen wir auch möglichen Ausweichreaktionen Margen ausnutzen. Beides wird durch die Erhebung ei- vor; denn niemand wird sich wegen einer geringen ner Finanzumsatzsteuer unattraktiver. Steuer aus dem gesamten wichtigen europäischen Finanzmarkt zurückziehen. Zweitens bezieht unser Kon- Das öffentliche Gut Finanzmarktstabilität wurde in zept alle Finanztransaktionen ein, also auch den außer- der letzten Zeit bekanntermaßen in großem Stil vernach- börslichen Bereich. So vermeiden wir auch hier Verdrän- lässigt. Die Finanzumsatzsteuer ist auch ein Baustein zu gungseffekte auf andere, nicht besteuerte Produkte und ihrer Wiederherstellung und hat damit übrigens einen erreichen mit dieser breiten Bemessungsgrundlage schon wohlfahrtsfördernden Effekt. Deswegen denkt die FDP bei einem geringen Steuersatz ein relevantes Aufkom- zu kurz, wenn sie vor allem über die destruktiven Wir- men. kungen einer jeden Steuer redet. Die SPD hingegen hat sich unserer Forderung zwar Auf 89,4 Milliarden US-Dollar schätzt das Öster- hier und da offen gezeigt, lässt ihrer Rhetorik aber keine reichische Institut für Wirtschaftsforschung das Auf- Taten folgen. Es nutzt nichts, wenn sich Finanzminister kommen einer europaweiten Finanzumsatzsteuer; das Steinbrück und Außenminister Steinmeier im Grund- sind heute gut 63 Milliarden Euro. Und diese Berech- sätzlichen für eine Einführung aussprechen, aber dort, nung gilt bei einem Steuersatz von nur 0,01 Prozent und wo konkret etwas bewegt werden könnte, nämlich auf einer zugrunde gelegten hohen Verdrängung des Han- europäischer Ebene, nichts dafür tun. Unser Antrag zeigt delsvolumens. den Weg, der zu gehen wäre: Die EU-Kommission muss Übrigens: Kollege Schäffler von der FDP hat uns von der deutschen Bundesregierung aufgefordert wer- Grünen in der ersten Lesung dieses Antrags vorgewor- den, ein konkretes Umsetzungskonzept vorzulegen, das fen, im wissenschaftlichen Gutachten sei von wesentlich dann der Ministerrat beschließt. Die österreichische weniger Aufkommen die Rede. Das konnten wir in- Bundesregierung ging da bereits mit gutem Beispiel zwischen klären. Wir Grünen haben richtig gerechnet. voran, als sie genau diese Forderung beschlossen hat. Dieses Aufkommen ist mit restriktiven Annahmen ge- Dafür muss sich auch die SPD starkmachen; sonst sind rechnet, also nur das Minimum dessen, was eine Finanz- die Äußerungen ihrer Spitzenleute unglaubwürdig. umsatzsteuer einbringen kann. Käme dieses Geld dem EU-Haushalt zu, könnten die nationalen Beiträge ent- sprechend gekürzt und somit die Belastung der Bürge- Anlage 12 (B) rinnen und Bürger durch andere Steuern gesenkt werden. Zu Protokoll gegebene Reden (D) Das wäre ein erster Schritt hin zu einer gerechteren Be- lastung von Realwirtschaft und Finanzbranche, ein zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Thema, das gerade von dem Hintergrund der aktuellen Modernisierung des Haushaltsgrundsätzege- Wirtschaftskrise an Brisanz deutlich zugenommen hat. setzes (Haushaltsgrundsätzemodernisierungs- gesetz – HGrGMoG) (Tagesordnungspunkt 73) Einige von Ihnen werden nun wahrscheinlich einwen- den, dass die Finanzumsatzsteuer auch einfache Anlege- rinnen und Anleger, die etwa am Kapitalmarkt für ihr Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Das vorge- Alter vorsorgen, treffen würde. Doch dieses Argument legte Gesetz enthält zwei sehr unterschiedliche Teile: ist nicht haltbar. Denn weil die Steuer pro Transaktion Im ersten Teil geht es um die Modernisierung des fällig wird, trifft sie diese langfristig orientierten Anle- Haushaltsrechtes, allerdings nicht in dem Sinne, dass das ger praktisch nicht. Stattdessen werden diejenigen belas- Bundeshaushaltsrecht neu geordnet wird, sondern in tet, die die Kapitalmärkte intensiv nutzen und deswegen dem Sinne, dass die unterschiedlichen Entwicklungen auch zumeist überdurchschnittlich von ihnen profitieren. wieder eingefangen werden und zu einer möglichen Es ist nur fair, dass sie nicht gegenüber jenen bevorzugt Gesamtstatistik zusammengebracht werden. werden, die jeden Tag mit ihren Einkäufen Umsatzsteuer an den Staat entrichten. Im politisch bedeutsameren zweiten Teil geht es um die Beteiligungsverwaltung des Bundes und die Parla- Noch ein Punkt ist mir wichtig: Die Finanzumsatz- mentsrechte. Hier hat die Politik immer wieder erlebt, steuer hat nicht nur eine positive Verteilungswirkung, sie dass die Bundesregierung ohne Wissen und Kenntnis der trägt auch zu mehr Finanzmarktstabilität bei. Wir Grüne Politik Veränderungen in der Beteiligung des Bundes wurden in den vergangenen Jahren oft belächelt, als wir vorgenommen hat – mit starken Auswirkungen. Obwohl die segensreichen Wirkungen gänzlich liberalisierter Fi- die Politik praktisch keinen Einfluss darauf hatte, wurde nanzmärkte infrage gestellt und dabei auch die steuerli- sie in der Öffentlichkeit für die Folgen verantwortlich chen Privilegien skeptisch betrachtet haben. Heute zeigt gemacht. Ich erinnere an das Desaster mit der IKB und sich: Wir lagen nicht falsch. Eine Finanzumsatzsteuer ist ihren Töchtern. Hier hat der Bund einen finanziellen zwar beileibe kein Allheilmittel gegen spekulative Schaden von 8,9 Milliarden Euro erlitten, ohne dass die Auswüchse auf den Finanzmärkten, aber sie ist eine not- Politik überhaupt davon wusste, dass die diesen Schaden wendige Ergänzung zu anderen Maßnahmen der Finanz- verursachenden Beteiligungen vom Bund erworben wor- marktstabilisierung, die gerade auf nationaler und euro- den sind; geschweige denn hat sie Einfluss darauf päischer Ebene mehr oder weniger erfolgreich anlaufen. gehabt. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26237

(A) Es kommt immer wieder zu Friktionen, weil sich die bedingungen neu zu regeln. Wesentliches Ziel ist dabei, (C) Bundesregierung weigert, entsprechende Auskünfte in eine Koexistenz unterschiedlicher Rechnungswesensys- den Gremien zu geben. Ich verhehle nicht, dass es erheb- teme zu ermöglichen, innerhalb dieser Systeme jeweils liche Diskussionen um diese Änderung gegeben hat. ein Mindestmaß einheitlicher Vorgaben zu setzen und Hier hat sich das Parlament durchgesetzt. Ob die jetzt über die jeweiligen Gebietskörperschaften hinaus eine getroffenen Regelungen ausreichen, muss die Praxis Einheitlichkeit der erforderlichen übergreifenden Daten- erweisen. Wir wollen auf jeden Fall, dass in einem lieferung zu gewährleisten. Leider konnte sich der Bund Untergremium des Haushaltsausschusses die Bundesre- selbst nicht zu einer nachhaltigen Reform entschließen. gierung stärker gezwungen wird, Rede und Antwort zu Das System bestimmt das Denken, deshalb brauchen wir stehen, damit frühzeitiger Einfluss genommen wird. Korrekturen. Das Bundeskonzept der erweiterten Kameralistik trägt den Anforderungen nicht Rechnung. Wir fühlen uns durch verschiedene Ereignisse wie IKB und ihre Töchter sowie durch die Beschäftigung des Wir haben mit unserem gegenwärtigen Haushaltssys- Haushaltsausschusses mit gewissen Gehaltsstrukturen in tem drei Probleme: Erstens bietet es die Möglichkeit, den Bundesunternehmen bestätigt. Eine krasse Fehlent- konsumtive Ausgaben mit Krediten zu finanzieren. Die scheidung in den letzten Tagen, wo bei einer Vergütungs- Trennung von Fach- und Finanzverantwortung zwischen festlegung Verantwortung und eingeräumte Vergütung in Fachminister und Finanzminister versus Fachpolitiker krassem Missverhältnis stehen, bestätigt, dass hier gehan- und Haushaltspolitiker begünstigt leichtfertige Ausgabe- delt werden muss. entscheidungen, weil niemand das Ende sieht. Wir betrachten bei Projekten nicht die Lebenszykluskosten, Allein die Tatsache, dass die Bundesregierung künftig sondern immer nur den Ausgabenaufwand, also den offenlegen muss und damit rechnen muss, dass das Liquiditätsschluss im ersten Jahr. Das begünstigt Ent- Parlament sich mit den Dingen befasst, wird eine päda- scheidungen, die wir uns nicht leisten können und die gogische Wirkung entfalten. den Haushalt sprengen. In unserem gegenwärtigen Künftig wird die Bundesregierung über alle wesentli- Haushaltsrecht dürfen wir Investitionen mit Krediten chen Entwicklungen im Bereich der Beteiligungen finanzieren, und später gibt es keine Tilgung. Das führt berichten müssen. Es geht dabei nicht nur um das Nach- dazu, dass konsumtive Ausgaben in hohem Umfang mit zeichnen von Geschehenem, sondern auch um wesentli- Krediten finanziert worden sind. Wie funktioniert das? che Absichten, sodass Fehlentwicklungen früher das Wenn wir ein Auto beschaffen, dann ist das nach der Licht der Welt erblicken werden als in der Ver- Haushaltsgruppierung eine Investition und darf damit gangenheit. Dabei geht es weder um die Einmischung aus Krediten finanziert werden. Seit Jahrzehnten wurden des Bundestages in das Regierungshandeln noch darum, alle Investitionen mit Krediten finanziert. Die Beschaf- (B) die Regierung zu lähmen. Die Regelungen sind flexibel fung des Autos an sich ist aber noch keine Vermögens- (D) genug, um einerseits einer Verbesserung der Verhältnisse veränderung. Entweder ist es ein Aktivtausch, in dem ich Rechnung zu tragen und andererseits die Regierung Barmittel gegen den Vermögensstand „Auto“ tausche, nicht zu behindern. oder es ist eine „Aktiv-Passiv-Mehrung“, indem ich den Vermögensgegenstand „Auto“ erwerbe und gleichzeitig Ich komme nun zurück auf den ersten Teil des vorge- höhere Darlehensverpflichtungen eingehe. Erst wenn legten Gesetzes, die Haushaltsfragen: Das Haushalts- das Fahrzeug benutzt wird, setzt ein Werteverzehr ein. recht des Bundes und der Länder war durch die Haus- Dieser spiegelt sich im Haushalt aber nicht wider. Das haltsreform 1969 grundlegend neu gestaltet worden. In führt zu der abstrusen Erscheinung, dass wir für Fahr- den Folgejahren erfuhr das Haushaltsrecht verschiedene zeuge, die wir Anfang der 70er-Jahre erworben haben, Änderungen. Insbesondere mit dem am 1. Januar 1998 in heute noch Zinsen bezahlen, obwohl nicht einmal mehr Kraft getretenen Haushaltsrechtsfortentwicklungsgesetz der Rost sichtbar ist, geschweige denn eine Nutzungs- wurde grundsätzlich die Möglichkeit geschaffen, den möglichkeit besteht. Hier ist ganz klar eine konsumtive Dienststellen bei der Bewirtschaftung von Haushaltsmit- Nutzung mit Krediten finanziert. teln mehr Flexibilität einzuräumen; ferner wurde die Kosten- und Leistungsrechnung gesetzlich verankert. Wir müssen wieder zu der Grundweisheit zurückfin- den, dass niemand auf Dauer mehr ausgeben kann, als er Gegenwärtig sind auf staatlicher Ebene unterschiedli- einnimmt. Dies gilt auch für den Staat. Durch Kredite che Entwicklungstendenzen zur Umgestaltung des Haus- kann man seinen Finanzspielraum mittel- und langfristig halts- und Rechnungswesens festzustellen. In einigen gesehen nicht ausweiten. Man kann lediglich den Zeit- Bundesländern sind Reformvorhaben auf den Weg punkt, zu dem eine Ausgabe getätigt wird, „vorziehen“. gebracht worden; dort sollen die bislang kameralen Haushalts- und Rechnungswesensysteme auf doppische Ich will den Mechanismus noch einmal verdeutlichen, Systeme umgestellt werden. Auch für die Kameralistik damit klar wird, dass Schulden an sich nichts Gutes und des Bundes hat der Bundesrechnungshof in seinem nichts Böses sind. Feuer kann wärmen, dann ist es gut, Bericht nach § 99 BHO über die Modernisierung des es kann zerstören, dann ist es böse. Es kommt eben staatlichen Haushalts- und Rechnungswesens, Bundes- immer darauf an, was man damit macht. Gelingt es, über tagsdrucksache 16/2400, Reformbedarf gesehen. Nicht Schulden zusätzliche Einnahmen zu erschließen, die zuletzt vor dem Hintergrund der HGrG-Initiative der Zinsen und Tilgung überschreiten, dann ist das ein Länder Hamburg und Hessen, Bundesratsdrucksache positiver Effekt. Das ist der Fall von Investitionen in der 504/06, und der breiten Reformdebatte sind die Grund- Wirtschaft. Denkbar ist dieses aber auch beim Staat, sätze für einheitlich geltende rechtliche Rahmen- wenn ich an die rentierlichen Einrichtungen wie Wasser, 26238 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

(A) Abwasser, Müll usw. denke. Immer wenn bezogen auf den Entscheidern ein besseres Bild zu zeichnen. Genau (C) den Einzelhaushalt eine Kreditaufnahme zu mehr Aus- deshalb bin ich persönlich der Auffassung, dass wir zu gaben führt, dann erhöht sie den Schuldensockel und diesem System übergehen sollten und müssen. Denn: führt in die Schuldenfalle. Genau hier muss die Korrek- Das System bestimmt das Denken der Menschen. Des- tur im öffentlichen Haushaltsrecht ansetzen. halb ist die Vorgabe des Systems auch eine der Ursachen für unsere Haushaltskrise. Wenn man etwas ändern will, Eine wichtige Vorleistung hat die Föderalismusreform II dann muss man das Übel an der Wurzel bekämpfen und gebracht. Mit ihren Beschlüssen ist ein Paradigmen- damit zu einem neuen System kommen. Nur das wird wechsel verbunden; denn der Bund wird künftig alle auf- am Ende wirklich helfen. genommenen Schulden tilgen. Sowohl die ordentliche Schuldenaufnahme als auch die außerordentliche Schul- Die Lösung durch das vorliegende Haushaltsgrund- denaufnahme wird dazu führen, dass der Schuldenberg sätzemodernisierungsgesetz besteht einerseits in einer nicht weiter anwächst, sondern mit der Schuldenauf- Abkehr von der bisher zwingenden Verpflichtung, das nahme auch gleichzeitig die Tilgung eingeleitet wird. Haushalts- und Rechnungswesen kameral zu gestalten und alternative Möglichkeiten nur zusätzlich und Dop- Das zweite Problem unseres gegenwärtigen Haus- pelaufwand verursachend zuzulassen. Andererseits wird haltssystems: Durch die Trennung der Finanzierungs- der bereits zu beobachtenden Tendenz divergierender kosten in die Einzelpläne des Finanzministers und die und möglicherweise alsbald ohne Gegensteuerung nicht Sachausgaben in den Fachhaushalt wird der Finanz- mehr harmonisierbarer Entwicklungen entgegenge- minister mit der Finanzierung völlig allein gelassen. Die wirkt, indem für die Ausgestaltung typisierbarer Fachressorts entscheiden mit den Fachpolitikern über Reformvorhaben einheitliche Vorgaben etabliert werden. Investitionen auf Kredit und niemand sieht, dass dadurch Dies umfasst Systeme auf doppischer Basis, aber auch – ein „Rattenschwanz“ von Zinskosten ausgelöst wird. wie bisher – kamerale Haushalte oder erweitert kamerale Benutzt man ein Gebäude 50 Jahre lang und legt eine Gestaltungsweisen sowie produktorientierte Haushalte Verzinsung von 5 Prozent zugrunde, dann sind die anfal- oder Produkthaushalte. Schließlich wird geregelt, dass lenden Zinskosten im Laufe der Jahre höher als der Bau- die Gebietskörperschaften unabhängig von der Ausrich- aufwand für das Gebäude. Da die Fachpolitik die Finan- tung ihrer Haushaltswirtschaft weiterhin für statistische zierungskosten nicht sieht, entscheidet sie nur über den Anforderungen und sonstige Berichterstatterpflichten Gebäudeaufwand und nicht über die Folgekosten. Ver- Daten auf einheitlicher Grundlage zu liefern haben. schlimmert wird das noch dadurch, dass allein 25 Pro- zent der Baukosten, nämlich die Bauplanungs-, -leitungs- Aus dem Haushaltsgrundsätzemodernisierungsgesetz und -überwachungskosten im Haushalt des Bauministers ergibt sich für die Gebietskörperschaften keine Ver- (B) aufgrund einer Bund-Länder-Vereinbarung abgewickelt pflichtung zur Umgestaltung des Haushalts- und Rech- (D) werden. Auch diese sieht die Fachpolitik nie. nungswesens, es werden lediglich Gestaltungsmöglich- keiten eröffnet. Sofern Reformvorhaben konkret Das dritte Problem ist, dass wir nur den Geldaufwand umgesetzt werden sollen, bedarf es jeweils gesonderter im ersten Jahr der Beschaffung betrachten. Die Folge- Beschlüsse und Überprüfungen und gegebenenfalls kosten spielen in der Regel bei einer Entscheidung keine Anpassungen der jeweiligen finanzverfassungsrechtli- Rolle. Zwar gibt es mit vielfältigen Unterlagen wie der chen Vorgaben und Haushaltsordnungen. Haushaltsunterlage „Bau“ und Projektbeschreibungen Nebenunterlagen, die die Kosten belegen, aber damit Dies ist zwar ein guter Ansatz, hat jedoch auch einen beschäfigt sich niemand ernsthaft. Am deutlichsten wird entscheidenden Nachteil: Das Nebeneinander von unter- das bei der Personaleinstellung. Die Personalkosten schiedlichen Systemen erschwert das Führen einer bestehen aus zwei Teilen, zunächst aus dem unmittelba- volkswirtschaftlichen Gesamtstatistik. Diese ist aber zur ren Gegenwert für die Arbeitsleistung in Form von Ge- politischen Steuerung dringend notwendig. Da man aber halt, aber auch aus den anteiligen Pensionskosten, die nicht verschiedene Statistiken nebeneinander führen zwangsweise mit der Einstellung von Personal anfallen, kann – das hätte keinen Aussagewert –, müssen Umrech- auch wenn es später nicht mehr produktiv tätig sein nungen auf ein System erfolgen. Dies haben wir in kann. Da keine entsprechenden Rückstellungen gebildet unserer Gesellschaft so gelöst, dass die fortschrittlichen werden, bildet der Haushalt die Kosten nur unvollstän- Modernisierer, die die Doppik anwenden wollen, auch dig ab und stellt damit eine verkürzte Entscheidungs- eine Nebenrechnung in Form einer kameralen Rechnung grundlage dar. erstellen müssen, um daraus dann die volkswirtschaft- liche Gesamtstatistik zu machen. Wenn man mehrere Dass all dieses so falsch läuft, liegt nur an einem fal- Systeme nebeneinander hat, ist das unerlässlich. Das ist schen Rechnungswesen. Buchführung ist eben nichts für ein wichtiges Argument dafür, wieder ein einheitliches das Finanzamt oder für den Bundesrechnungshof, son- Ufer zu erreichen und für alle die im Trend der Zeit dern sollte eigentlich ein Steuerungsinstrument für liegende Doppik wieder einzuführen. Politik und Verwaltung sein. Und es gibt Systeme, die genau diese Fehler vermeiden. Das ist die Doppik. Die Über die wesentlichen Änderungen des vorliegenden gegenwärtig vorhandene Kameralistik verzeichnet nur Gesetzes möchte ich einen kurzen Überblick geben: Eine Einnahmen und Ausgaben, also nur Liquiditätsflüsse, zentrale Bedeutung kommt § 1 a Abs. 2 – neu – Haus- und registriert keine Wertströme. Das Doppik-System, haltsgrundsätzegesetz zu. In dieser Bestimmung werden eine Anlehnung an die Betriebe unserer Wirtschaft, die doppischen Korrelate zu Ausgaben, Einnahmen und bildet Wertströme ab und ist deshalb in der Lage, auch Titeln quasi „vor die Klammer gezogen“, Generalklau- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26239

(A) sel, sodass die Regelungen für kamerale Haushalte ana- zemodernisierungsgesetzes scheint – zumindest auf den (C) log für doppische Haushalte Anwendung finden – sofern ersten Blick – eine eher trockene Materie zum Gegen- im Einzelfall nicht explizit ausgeschlossen. Die Grund- stand zu haben. Das Haushaltsgrundsätzegesetz er- sätze einer staatlichen Doppik sind in § 7 a – neu – scheint selten auf den Titelseiten der großbuchstabigen Haushaltsgrundsätzegesetz geregelt. Nicht alle techni- Tagespresse. Hierauf habe ich bereits in meiner Rede vor schen Einzelheiten, die Doppik betreffend, können im dem Hohen Haus am 5. März 2009 hingewiesen. Gesetz geregelt werden – zum Beispiel Ausgestaltung Verwaltungskontenrahmen, Integrierter Produktrahmen, Ich habe allerdings auch festgestellt, dass die Geset- Standards staatliche Doppik –; diese sollen deshalb in ei- zesnovelle dennoch nicht zu unterschätzen ist. Sie hat nem Standardisierungsgremium, § 49 a Abs. 1 – neu – eine herausragende Bedeutung für die Haushalte von Haushaltsgrundsätzegesetz, festgelegt werden. Bund und Ländern. Es handelt sich bei genauerem Hinsehen um eine grundlegende Reform des föderalen Bevor die Novelle in Kraft tritt, muss eine hinrei- haushaltsrechtlichen Rahmens. Wir beraten einen Ge- chende Konkretisierung des untergesetzlichen Regel- setzentwurf, der eine zentrale Weichenstellung für das werks sichergestellt sein. Derzeit wird bereits in diversen staatliche Haushalts- und Rechnungswesen vornimmt. existierenden, gesetzlich aber noch nicht unterfütterten Auch der Bundesrechnungshof hat in seinem Bericht Bund-Länder-Arbeitsgruppen intensiv daran gearbeitet. nach § 99 BHO über die Modernisierung des staatlichen Um zu gewährleisten, dass die untergesetzlichen Regel- Haushalts- und Rechnungswesens Reformbedarf gese- werke bis zum Inkrafttreten der HGrG-Reform durch Be- hen. Das bisherige Haushaltsgrundsätzegesetz aus dem schluss des Standardisierungsgremiums vorliegen, ist ein Jahr 1969 ist nach fast 40 Jahren auch zweifelsfrei re- gestaffeltes Inkrafttreten vorgesehen: § 49 a Abs. 1 – neu – formbedürftig. Haushaltsgrundsätzgesetz am Tag nach Verkündung im Zweitens. Gründe für die Gesetzesnovelle. Worum Bundesgesetzblatt; die Gesetzesänderungen im Übrigen geht es? Bisher basiert die öffentliche Haushaltswirt- später am 1. Januar 2010. schaft mit ihrer an Ein- und Auszahlungen orientierten Die Erstellung eines konsistenten Gesamtbildes über Sicht auf der Kameralistik. In einigen Bundesländern die Finanzen aller öffentlichen Haushalte war bisher da- sind jedoch bereits vor einigen Jahren grundlegende Re- durch gesichert, dass sich alle Statistiken über die öffent- formvorhaben auf den Weg gebracht worden. Einige lichen Finanzen, Finanzstatistiken, direkt an den gemein- Länder wollen ihre bislang kameralen Haushalts- und sam vereinbarten Systematiken der öffentlichen Rechungswesensysteme auf ein kaufmännisch orientier- Haushalte – Gruppierungsplan und Funktionenplan – ori- tes Rechnungswesen, die staatliche Doppik, sowie auf entierten. Die Länder dürfen aufgrund der Änderung des Produkthaushalte umstellen. Die entsprechenden Pro- jekte in Hessen, Hamburg und Nordrhein-Westfalen sind (B) HGrG künftig doppisch basierte Rechnungswesensys- (D) teme mit entsprechend ausgerichtetem Haushaltswesen schon recht weit fortgeschritten. Das kamerale Rech- anwenden, ohne gleichzeitig einen Haushaltsplan nach nungswesen ist nach geltendem HGrG allerdings unver- kameraler Systematik aufzustellen. Demzufolge kann die ändert obligatorisch. Daher müssen auch doppische Bereitstellung vergleichbarer finanzstatistischer Daten Länder einen kameralen Haushalt in Aufstellung, Be- über alle öffentlichen Haushalte nur sichergestellt wer- wirtschaftung und Rechnungslegung vollständig mitfüh- den, wenn diese Länder verpflichtet sind, weiterhin ihre ren. Um diesen Doppelaufwand zu vermeiden, gab es Finanzen – Einnahmen, Ausgaben – nach der für die von Länderseite 2006 eine Initiative, die haushaltsrecht- Haushalte des Bundes und der Länder festgelegten ge- lichen Rahmenbedingungen entsprechend anzupassen. meinsamen Systematik des Funktionen- und des Grup- Bund und Länder sondierten in den letzten zwei Jahren pierungsplans für die Finanzstatistiken zu melden. Eine vor diesem Hintergrund sehr intensiv, ob und unter wel- entsprechende Klarstellung wurde in das Personal- und chen Bedingungen Doppik und Kameralistik sowie Pro- Finanzstatistikgesetz aufgenommen. dukthaushalt und Titelhaushalt als Alternativen im Haushaltsrahmenrecht verankert werden können. Geplant war im vorgelegten Gesetz ein dritter Teil, Drittens. Zentrale Bedingungen für die Modernisie- nämlich die Verbesserung der Rahmenbedingungen für rung des Haushaltsrechts. Eine solche Pluralität im staat- öffentlich-private Projekte, also für die Erweiterung von lichen Haushalts- und Rechnungswesen zu ermöglichen, Möglichkeiten, mit Hilfe der Privatwirtschaft Investiti- setzt zum einen voraus, dass die notwendigen finanzsta- onsvorhaben wirtschaftlicher zu gestalten. ÖPP ist kein tistischen Daten von allen staatlichen Haushalten wie Zaubermittel zur Schaffung neuer Ressourcen, sondern bisher auf einheitlicher Basis bereitgestellt werden. ist ein Weg, notwendige Investitionen preiswerter zu ge- Wichtig ist dies allein schon mit Blick auf die stalten. Leider hat der Koalitionspartner hier geblockt, Maastricht-Statistik und den bundesstaatlichen Finanz- sodass wir deutliche Verbesserungen, die gerade in der ausgleich. Zum anderen ist sicherzustellen, dass die je- Finanzkrise und bei den anstehenden vielen Investitio- weiligen Systeme einheitliche Regelwerke haben und nen der Haushaltsknappheit geboten gewesen wären, damit untereinander vergleichbar sind. Für kamerale Ti- nicht umsetzen können. telhaushalte existiert die bekannte Haushaltssystematik. Für die doppischen Produkthaushalte müssen ebenfalls Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD): Ers- einheitliche Regeln festgelegt werden. Der vorliegende tens. Der Gesetzentwurf. Die heutige zweite und dritte Gesetzentwurf sichert dies alles ab. Die für die Doppik Lesung des von der Bundesregierung eingebrachten Ge- und Produkthaushalte künftig geltenden Grundsätze sind setzentwurfs zur Modernisierung des Haushaltsgrundsät- in der HGrG-Novelle fixiert. Die umfangreichen Syste- 26240 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

(A) matiken und technischen Details sind von einem Stan- bindung und damit einer Einflussnahmemöglichkeit des (C) dardisierungsgremium zu erarbeiten. Parlamentes auf die in § 49 a HGrGMoG vorgesehenen Ausgestaltungen der Standards für kamerale, doppische Viertens. Fazit: Kern der Gesetzesreform. Zusam- sowie für Produkthaushalte. Sie besteht nach wie vor. menfassend ist festzuhalten: Mit dieser HGrG-Novelle Auf diese Kritik sicherte das Bundesfinanzministerium wird künftig eine Koexistenz unterschiedlicher Rech- dem Haushaltsausschuss jedoch numehr wenigstens zu, nungswesensysteme ermöglicht, also auch eine staatli- das Parlament unverzüglich und umfangreich über beab- che Doppik im Alleinbetrieb zugelassen. Dabei wird in- sichtigte Ausgestaltungen in diesem Bereich zu infor- nerhalb der verschiedenen Systeme das notwendige Maß mieren. Damit besteht zukünftig eine gewisse Einfluss- einheitlicher Vorgaben gesetzt – insbesondere auch für nahmemöglichkeit des Haushaltssouveräns in diesem die Reformbereiche staatliche Doppik und Produkthaus- wichtigen Bereich des Handwerksrechts der Haushalts- halte. Ferner wird unabhängig von der jeweiligen Aus- führung. In der Hinterhand bleibt, dass der Gesetzgeber richtung der Haushaltswirtschaft weiterhin gewährleis- jederzeit in der Lage wäre, Änderungen des Gesetzes tet, dass für statistische Anforderungen und sonstige vorzunehmen. Berichtspflichten die Daten auf einheitlicher Grundlage geliefert werden können. Ich bleibe aber dabei, dass Verfahrensrecht und tech- nische Regularien auch ein Teil des Rechts sind und Fünftens. Auswirkungen auf den Bundeshaushalt und einen erheblichen Machteinfluss vermitteln können. Ge- die Länderhaushalte. Aus dem Gesetz allein folgen je- rade die Fehler des Bilanzrechtes, insbesondere bei Ban- doch keine unmittelbaren Handlungsvorgaben zur Um- ken, die wir über die EU auf ein Fachgremium übertra- gestaltung des Haushalts- und Rechnungswesens bei gen, ohne dass es eine wirkliche parlamentarische Bund und Ländern. Die Gesetzesnovelle eröffnet Optio- Kontrolle gibt, haben doch in den vergangenen Monaten nen. Die Länder, die ein doppisches Rechnungswesen uns allen gezeigt, wie notwendig es ist, sich mit Produkt- als für ihre Verhältnisse am besten geeignet halten, wer- schlüsseln, Ziffern, Buchungsvorgaben und vielem den in die Lage versetzt, ihre Reformmodelle vollständig Ähnlichen mehr zu beschäftigen, was auf den ersten umzusetzen. Gleichzeitig können die anderen Länder, Blick technisch wirkt, auf den zweiten Blick aber von die einen kameralen oder erweitert kameralen Haushalt großer Bedeutung ist. als optimal betrachten, ihr Haushaltswesen unverändert beibehalten. Auch der Bund kann das von ihm favori- Dass solche Technik bei manchen Abgeordneten nicht sierte Modell einer modernen, erweiterten Kameralistik so beliebt ist, mag zutreffen, jedoch werden wir als Ab- weiter verfolgen. Damit verkörpert der Gesetzentwurf geordnete nicht dafür gewählt, nur die Gesetze zu ma- ein Stück funktionierenden Föderalismus. Es spricht für chen, die wir mögen, sondern für diejenigen, die wir ma- chen müssen bzw. machen sollten. Die nunmehr erfolgte (B) sich, dass der Bundesrat den Gesetzentwurf mit überwäl- (D) tigender Mehrheit unterstützt. ausdrückliche mündliche Zustimmung zu den frühzei- tigen Informationen nach § 49 a Abs. 1 und Abs. 2 Auch die Beratungen der extra eingerichteten Be- macht es meiner Fraktion leichter, zuzustimmen. richterstattergruppe des Haushaltsausschusses waren stets zielorientiert, und der inzwischen fertiggestellte Endgültig jedoch hat sich die FDP-Bundestags- Bericht unterstützt ebenfalls den erforderlichen Moder- fraktion entschieden, dem Gesetzentwurf zuzustimmen, nisierungsprozess. Der Haushaltsausschuss des Deut- weil sie über einen gemeinsamen Änderungsantrag mit schen Bundestages hat – wie aus der Ausschussdruck- den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD im Bereich sache 6079 vom 1. Juli 2009 hervorgeht – dem Gesetz der Unternehmensbeteiligung etwas ereicht hat, was mit großer Mehrheit zugestimmt. Dabei wurden auch die viele Haushälter schon die ganze Legislaturperiode parlamentarischen Rechte gestärkt und insbesondere die erreichen wollten. Ich verweise insofern diejenigen zeitnahe und regelmäßige Unterrichtungspflicht im Feinschmecker, die diese Entscheidung interessiert, auf Sinne des Parlaments geregelt. Zum Adressaten dieser die Haushaltsdrucksache 16(8)6079 vom 30. Juni 2009 Unterrichtung durch die Bundesregierung wird das Gre- und deren Begründung. mium nach § 3 des Gesetzes zur Regelung des Schulden- Worum geht es? Vorab: Der neue Art. 4, der mit dem wesens des Bundes bestimmt. Damit ist auch sicherge- Änderungsantrag eingefügt worden ist, sieht einerseits stellt, dass durch dieses Verfahren ohne weitere vor, dass nunmehr auch das Vertrauensgremium des Einzelbeschlüsse die Geheimhaltung sichergestellt ist. Haushaltsausschusses die gleichen Kontrollrechte und Kontrollinstrumente erhält wie das parlamentarische Ich bitte um Zustimmung. Kontrollgremium. Entsprechend wird außerdem eine Berichtspflicht etabliert. Diese Änderung des § 10 Abs. 3 Otto Fricke (FDP): In meiner Rede vom 5. März zur der Bundeshaushaltsordnung war sachlogisch nötig und ersten Lesung dieses Gesetzes habe ich die grundsätz- richtig. liche Zustimmung meiner Fraktion zu den Regeln des Gesetzentwurfes betont, weil ich die Möglichkeit einer Viel wesentlicher jedoch ist die Einfügung des § 69 a Koexistenz unterschiedlicher Rechnungswesensysteme in die Bundeshaushaltsordnung. Spiritus Rector hinter für gegenwärtig notwendig halte. dieser Regelung ist, und dafür möchte ich mich aus- drücklich bedanken, der Kollege Jochen Konrad Meine Kritik, die ich jedoch damals ebenfalls deutlich Fromme. Ihm gebührt großer Dank, wie ich finde, machte, richtet sich nach wie vor auf das Fehlen einer seitens des gesamten Parlamentes, denn mit diesem gesetzlich geregelten Beteiligung respektive einer Ein- Gesetzentwurf sind die Kontrollrechte des Bundestages Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26241

(A) bei Bundesbeteiligungen wesentlich gestärkt worden. Es Roland Claus (DIE LINKE): Da wollen wir also die (C) ist seinem Einsatz nicht unwesentlich zu verdanken, dass Haushaltsgesetze modernisieren. Bis vor kurzem galt es es doch noch zu diesem Ergebnis gekommen ist. Die als nahezu rückständig, sich gegen Ideen zu äußern, die FDP hat auch deswegen den Antrag mit gestellt, weil wir mit den Begriffen Modernisierung und Reform daherka- seit Beginn der Legislaturperiode kritisiert haben, dass men. Nun hat die Krise vielen die Augen geöffnet, man- viele Bereiche der Bundesbeteiligungen außerhalb der chen jedoch noch nicht. Kenntnis des Parlamentes sind und dass das Parlament Vorgestern wurde der Gesetzentwurf im Haushalts- dann sowohl die guten wie auch die schlechten Nach- ausschuss des Deutschen Bundestags mit den Worten richten nur hinnehmen konnte und die haushälterischen verteidigt, „andere seien dem Bund in der Haushaltsfüh- Verpflichtungen, viel seltener die haushälterischen Vor- rung voraus“. Vor der Krise wäre dies ein schlagkräfti- teile, umsetzen musste. Besonders ärgerlich war der ges Argument gewesen, heute fragen sich die Leute: ständige Verweis auf angeblich gesetzlich gegebene „War es wirklich gut und richtig, dass Politiker und Ban- Geheimhaltungspflichten und vieles andere mehr. Der ker im Kampf um fantastische Renditen ihrer Zeit voraus Bund ist der Eigentümer, der Steuerzahler ist für diese waren? Waren sie nicht eher im Namen von Fortschritt Beteiligung in der Haftung, deswegen muss es dem und Renditeglauben die Totengräber von Zukunft und Eigentümer, vertreten durch sein Parlament, dieses ver- Nachhaltigkeit?“ Die Fraktion Die Linke lehnt den vor- treten durch den Haushaltsausschuss, möglich sein, die liegenden Gesetzentwurf ab, obwohl einige seiner In- entsprechenden Informationen auch zu bekommen. halte durchaus unsere Zustimmung finden. Da sich der Haushaltsausschuss durchaus bewusst Zum Sachverhalt: Das Grundgesetz regelt im Art. 109 war, dass die Informationen im Rahmen der Kontrolle die Haushaltswirtschaftsbeziehungen von Bund und von Bundesbeteiligungen sehr sensibel sein können, hat Ländern und damit auch von Kommunen. Im Haushalts- er die Unterrichtung über grundsätzliche bzw. wesentli- grundsätzegesetz des Bundes werden die Einzelheiten che Fragen der Beteiligungen des Bundes an privatrecht- näher beschrieben. Die Haushaltswirtschaft von Bund, lichen Unternehmen dem, wie es verkürzt heißt, Kredit- Ländern und Kommunen hat sich inzwischen recht ver- finanzierungsgremium, also dem Gremium nach § 3 des schieden entwickelt. Ziel einer Arbeitsgruppe des Haus- Gesetztes zur Regelung des Schuldenwesens des Bundes haltsausschusses des Deutschen Bundestages war es des- übertragen. Dieses Gremium tagt nun schon seit mehre- halb, die Vergleichbarkeit der Haushaltspläne weiterhin ren Jahren und befasst sich mit den sensiblen Fragen der zu gewährleisten, auch um weiterhin eine zuverlässige Bundesschuldenverwaltung. Bisher hat es aus diesem volkswirtschaftliche Gesamtrechnung für die Bundesre- Gremium keine Berichte gegeben, was, insofern sei auch publik zu ermöglichen. Neue Entwicklungen bei der (B) dem gegenwärtigen Vorsitzenden Steffen Kampeter aus- Haushaltswirtschaft und Buchhaltung sollten gefördert (D) nahmsweise einmal gedankt, für das Gremium und seine werden. Professionalität spricht. Aktuell stehen sich vor allem zwei Systeme der Buch- Wir haben als Haushälter die Pflicht, uns um die führung gegenüber, zum einen die Kameralistik – also finanziellen Risiken für den Bundeshaushalt und damit die klassische Buchung von Einnahmen und Ausgaben, für die gesamte Gesellschaft zu kümmern. Dazu gehört wie sie am meisten bei den Haushalten bei Behörden an- nun einmal auch der Bereich der Bundesbeteiligungen. zutreffen ist –, auf der anderen Seite die sogenannte dop- Würden wir hier nicht nachfragen, würden wir hier nicht pelte Buchführung, auch Doppik genannt, bei der Kom- kontrollieren, würden wir hier nicht der Bundesregie- munen oder auch Länder ihre Buchführung ähnlich wie rung entsprechende Hinweise geben, wir würden unsere Unternehmen vornehmen, also zum Beispiel den Res- Aufgabe nicht richtig wahrnehmen können und haben sourcenverbrauch regelmäßig widerspiegeln. Bereits dieses teilweise in der Vergangenheit, egal mit welchen etwa 300 Kommunen in Deutschland wenden diese dop- Parteien die Bundesregierung besetzt war, auch nicht tun pelte Buchführung an. können. In Richtung Exekutive sei mir deshalb noch Parallel zu diesen Beratungen der Arbeitsgruppe des erlaubt, darauf hinzuweisen, dass es zwar schön ist, Haushaltsausschusses wurden die Haushaltsbeziehungen wenn die Regierung die Bundesbeteiligung kontrolliert, von Bund, Ländern und Kommunen in der Föderalis- aber auch die Regierung muss immer wieder damit rech- muskommission und in einem speziellen Arbeitskreis er- nen, dass im Rahmen der Gewaltenteilung das Parlament örtert. Die Fraktion Die Linke vertritt dazu folgende nicht nur der Gesetzgeber ist, sondern auch derjenige ist, Position: Wir stimmen dem Gesetzentwurf in jenen Pas- der die Exekutive die Grenzen aufzeigt, denn sonst wird sagen zu, in denen es um die weitere Vergleichbarkeit die Tendenz zu einer exekutiven Demokratie mit einem der Haushalte, um eine auch künftig den Realitäten ent- kleinen parlamentarischen Annex weiter verstärkt. Dass sprechende volkswirtschaftliche Gesamtrechnung geht. wir das nicht wollen, sollte sich eigentlich aus sich selbst Das bedeutet jedoch für viele Kommunen einen zusätzli- ergeben, hat sich doch erst wieder in dieser Woche durch chen Aufwand, weil sie auch weiterhin nach dem alten, das Bundesverfassungsgericht eine notwendige Korrek- kameralistischen Buchungssystem die Daten führen tur in die richtige Richtung ergeben. Über das durch die- müssen. Die Linke stimmt nicht mit jenen Vorschlägen ses Urteil auch für die Haushälter notwendig gewordene überein, die zu einer weiteren Beförderung der doppel- Nachsitzen freue ich mich daher ebenso, wie über dieses ten Buchführung gemacht werden. Diese Haushalte füh- Gesetz und hoffe nunmehr, dass der Bundesrat weise ren letztendlich dazu, dass ihr Inhalt nur noch von entscheidet und dem Gesetzentwurf zustimmt. Kämmerinnen und Kämmerern und nicht mehr von Bür- 26242 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

(A) gerinnen und Bürgern zu verstehen ist. Die Linke ist für hierfür Mittel zur Verfügung stellen. Die Ausführung (C) Bürgerhaushalte, also für die Beteiligung der Einwohne- obliegt dann stärker als bislang den Ressorts. rinnen und Einwohner an richtungweisenden kommuna- len Entscheidungen auch bei den städtischen Haushal- Die Ressorts können durch Zielvereinbarungen ten. Wenn Haushalte immer weniger transparent und gelenkt werden. So kann eine stärkere politische Über- verständlich wären, würden die Möglichkeiten der direk- wachung der Mittelverwendung gleichzeitig effizienter ten Demokratie verringert. kontrolliert werden. Durch die Kosten- und Leistungs- rechnung werden Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen we- Nicht alles, was als Modernisierung daherkommt, sentlich erleichtert. So wird die Transparenz und Nach- bringt auch wirkliche Verbesserungen. Vor zehn Jahren vollziehbarkeit von Kosten und Leistungen erhöht. Das haben viele Finanzbeamte und Kämmerer Cross-Border- Gesetz ermöglicht eine Vermögensrechnung. Dadurch Leasing-Geschäfte für eine heilsame Modernisierung ge- können auch Abschreibungen erfasst werden. halten. Sie werden nun eines Besseren belehrt. Wir Grüne haben diesen Prozess der Modernisierung Zum Schluss: Wichtiger als Änderungen bei der des Haushaltsrechts von Beginn an konstruktiv unter- Buchführung wären Überlegungen von Bundestag und stützt. In unserem Zukunftshaushaltsgesetz, das wir ins Bundesregierung für eine langfristig gesicherte bessere Plenum eingebracht haben, werden maßgebliche Finanzausstattung der Kommunen in unserem Land. Zu- Bestandteile des nun vorliegenden Haushaltsgrundsätze- stimmung wiederum finden bei der Linken die neuen modernisierungsgesetz bereits vorgeschlagen. Vorschläge zur besseren parlamentarischen Kontrolle Die erweiterte Kameralistik halten wir für eine deutli- der Verwendung von Steuermitteln, auch wenn es dabei che Verbesserung im Vergleich zum bestehenden Sys- um geheim gehaltene Informationen geht. Besser als tem. Durch die Einführung der doppischen Haushalts- vermeintliche parlamentarische Kontrolle von Geheim- wirtschaft hätte man allerdings noch mehr Transparenz diensten wäre allerdings deren Auflösung. erzielen können. Insgesamt stimmt die Fraktion Die Linke trotz einer Haushaltsaufstellung, Haushaltsbeschluss, Haushalts- Reihe von Übereinstimmung mit dem Gesetzentwurf vollzug und Haushaltskontrolle werden durch das Gesetz wegen der mangelnden Transparenz und Bürgernähe ge- besser verständlich und transparenter. Der Ressourcen- gen den Antrag. einsatz kann stärker daran ausgerichtet werden, Ziele effizienter zu erreichen. Die wahre Vermögenslage und Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): der wahre Werteverzehr des Bundes werden trans- Das Haushaltsgrundsätzemodernisierungsgesetz stellt parenter. (B) eine Verbesserung der rechtlichen Grundlagen für die (D) Gerade hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Haushaltspolitik dar. Im Grundsatz geht es in diesem Entscheidung zum Lissabon-Vertrag die Stimme des Gesetz um eine verbesserte und transparentere Art und Deutschen Bundestages wesentlich gestärkt. Auch in der Weise der Haushaltsführung. Gerade in den Zeiten eines Haushaltspolitik brauchen wir Parlamentarier, die als schwerwiegenden Haushaltsdefizits ist Transparenz ein Statthalter der Steuerzahler über den sinnvollen Umgang hohes Gut. Leider wird es von der Großen Koalition mit Steuergeldern wachen. Gerade bei den größeren sträflich missachtet. Statt Haushaltsklarheit und -wahr- Töpfen, die mit dem veränderten Haushaltsgesetz ausge- heit werden die Rekordschulden im aktuellen Haushalt geben werden können, ist dies von großer Bedeutung. auch in den Schattenhaushalten im Bereich der Banken- Schattenhaushalte und Sondervermögen müssen wir rettung und beim Investitions- und Tilgungsfonds vermeiden. Es kann nicht sein, dass die Große Koalition versteckt. künftig, wie am Mittwoch dieser Woche im Haushalts- Das Haushaltsgrundsätzemodernisierungsgesetz schafft ausschuss geschehen, plötzlich neue Anträge aus der im Bereich der Beteiligungsverwaltung eine wesentliche Tasche zieht und en passant im Rahmen des 2. Nach- Verbesserung. Im Bundesfinanzierungsgremium soll das tragshaushalts die Nettokreditaufnahme um weitere Beteiligungsmanagement des Bundes jetzt endlich parla- 1,5 Milliarden Euro erhöht. Diese Ausweitung der mentarisch institutionalisiert werden. Diese Änderung Verschuldung fand ohne Berichterstattergespräche statt, der Bundeshaushaltsordnung begrüßen wir. Es ist not- noch gab es sonstige Vorberatungen. Es ist unverant- wendig, dass eine politische Kontrolle von Entscheidun- wortlich, in welcher Weise diese weitere Erhöhung der gen in Bezug auf Beteiligungen des Bundes besteht, da Verschuldung erfolgt. Statt endlich mehr Transparenz zu diese Beteiligungen häufig wesentliche und langfristige schaffen und in der Krise klare Prioritäten zu setzen, Auswirkungen auf den Bundeshaushalt haben. schafft die Große Koalition wieder in Hinterzimmer- kompromissen neue Belastungen für die Steuerzahlerin- Aber auch die Berücksichtigung von Abschreibungen nen und Steuerzahler. Es steht zu befürchten, dass zwar und Ressourcenverbrauch halten wir für eine begrüßens- formal die Rahmenbedingungen verbessert werden, dass werte Änderung der Haushaltsgesetzgebung. Ebenso un- aber in der Praxis die großkoalitionäre gefährliche terstützen wir den Top-down-Ansatz bei der Aufstellung Verschleierungstaktik einer ehrlichen und transparenten des Haushalts. Haushaltswirtschaft entgegenläuft. Durch den produktorientierten Haushalt, den das Mit einem Haushaltsgrundsätzemodernisierungsge- Gesetz vorsieht, kann die Politik klare Ansagen darüber setz das Haushaltsrecht verbessern ist das eine, aber machen, welche Leistungen der Staat erbringen soll, und dann braucht es auch eine Koalition, die eine Haushalts- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26243

(A) grundsätzeeinhaltungspolitik betreibt. Die Aussichten orientieren. Wenn wir diese Entwicklung ernst nehmen, (C) für die nächsten Jahre sind unter Haushaltsgesichtspunk- müssen wir erkennen, dass ein einzelner Staat allein oft ten ausgesprochen trübe. Bis 2013 wird allein nach den nicht mehr viel ausrichten kann. Vielmehr müssen wir offiziellen Berechnungen eine Ausweitung der Verschul- gemeinsam mit unseren Partnern wirksame Lösungen dung in nie gekanntem Maße stattfinden. Nach dem finden, wie es auch in der Vergangenheit schon ge- Finanzplan wird der Bund bis 2013 310 Milliarden Euro schehen ist. Wir müssen unsere Kooperation – davon bin Schulden aufnehmen. Wenn man die Schattenhaushalte ich überzeugt – ausbauen, um auch in Zukunft gegen den berücksichtigt, wird daraus sogar ein echtes Defizit von internationalen Terrorismus effektiv vorgehen zu kön- über 435 Milliarden Euro. 310 Milliarden Euro neue nen. Schulden führen zu einer Zunahme beim Schuldendienst in Höhe von 10,9 Milliarden Euro pro Jahr. Damit verlie- Das Abkommen, das uns heute zur Abstimmung vor- ren wir haushalterische Spielräume und damit letztlich liegt, ist ein wichtiger Schritt auf diesem Weg, weil es alle Möglichkeiten, Politik zu gestalten. ermöglicht, Daten zu übermitteln mit dem Ziel, Anschläge zu verhindern, Daten über Personen zu über- mitteln, die im begründeten Verdacht stehen, terroristi- Anlage 13 sche Straftaten zu begehen oder Terrorausbildungslager durchlaufen zu haben, Daten zur Bekämpfung schwer- Zu Protokoll gegebene Reden wiegender Kriminalität. zur Beratung: Im Kern lassen sich drei Bereiche der Kooperation – Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen unterscheiden. Wir ermöglichen den Austausch von Fin- vom 1. Oktober 2008 zwischen der Regie- gerabdruckdaten und den Austausch von DNA-Daten. rung der Bundesrepublik Deutschland und Der Austausch erfolgt in diesen Bereichen nach dem der Regierung der Vereinigten Staaten von Hit-/No-hit-Verfahren. Die USA und Deutschland räu- Amerika über die Vertiefung der Zusam- men sich also gegenseitig nur den Zugriff auf anonymi- menarbeit bei der Verhinderung und Be- sierte Indexdatenbanken ein. Liegt ein Treffer vor, kämpfung schwerwiegender Kriminalität müssen die weiteren personenbezogenen Daten im kon- ventionellen Rechtshilfeverfahren beim Partner anhand – Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung des einer Kennnummer erfragt werden. Darüber hinaus wer- Abkommens zwischen der Regierung der den nach Art. 10 des Abkommens bei Terrorverdacht Bundesrepublik Deutschland und der Regie- personenbezogene Daten wie Namen, Geschlecht, Ge- rung der Vereinigten Staaten von Amerika burtsdatum, Staatsangehörigkeit usw. übermittelt. (B) vom 1. Oktober 2008 über die Vertiefung (D) der Zusammenarbeit bei der Verhinderung Ein besonderes Augenmerk wird in dem Abkommen und Bekämpfung schwerwiegender Krimi- auf den Schutz der in Art. 12 genannten, besonders nalität sensiblen personenbezogenen Daten gelegt, die Auf- – Beschlussempfehlung und Bericht zu den schluss geben über ethnische Herkunft, politische An- Anträgen: schauungen, religiöse Überzeugungen, den Gesundheits- zustand, das Sexualleben oder die Zugehörigkeit zu – Abkommen zwischen der Bundesrepublik einer Gewerkschaft. Um es an dieser Stelle noch einmal Deutschland und den Vereinigten Staaten deutlich zu sagen: Diese Daten sind in Art. 12 aufge- von Amerika über die Vertiefung der Zu- nommen, weil sie besonders sensibel sind und deshalb sammenarbeit bei der Verhinderung und besonders geschützt sein müssen. Eine Weitergabe die- Bekämpfung schwerwiegender Krimina- ser sehr sensiblen Daten ist nur möglich, wenn sie für die lität neu verhandeln Zwecke des Abkommens besonders relevant sind und es – Kein uferloser Datenaustausch mit den sich um einen Terrorverdächtigen oder Verdächtigen USA einer schweren Straftat handelt. Gleichzeitig schreibt Art. 12 besondere Sicherheitsmaßnahmen vor, um diese (Tagesordnungspunkt 75 a und b) Daten zu schützen. Wenn ich die Anträge der Opposition lese, habe ich Clemens Binninger (CDU/CSU): Einer unserer den Eindruck, dass das nicht von allen verstanden wichtigsten Partner im Kampf gegen den internationalen wurde. Die Aufnahme dieser Daten ist weder neu noch Terrorismus sind die Vereinigten Staaten von Amerika. außergewöhnlich. Im Gegenteil. In zahlreichen Abkom- Zur Intensivierung unserer Zusammenarbeit in diesem men gerade im Bereich der Terrorismusbekämpfung fin- Bereich haben wir mit den USA am 1. Oktober 2008 ein det sich eine solche Formulierung, so im Art. 11 des Abkommen geschlossen, das wir mit den vorliegenden USA-Eurojust-Abkommens oder in Art. 6 des USA-Eu- Gesetzentwürfen ratifizieren. ropol-Abkommens. Auch das Datenschutzgesetz sieht Terroristische und kriminelle Netzwerke agieren zu- diese Daten als besonders schützenswert an. Mit ihrem nehmend international, über Landesgrenzen hinweg, ein Entschließungsantrag macht die Koalition noch einmal Aspekt der Globalisierung, wie er in den 90er-Jahren deutlich, welchen hohen Stellenwert der Datenschutz vielleicht so noch nicht absehbar gewesen ist. An dieser hat. Dennoch muss uns klar sein, dass in sehr seltenen Entwicklung muss sich auch unsere Sicherheitspolitik Ausnahmefällen auch eine Weitergabe solcher Daten 26244 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

(A) möglich sein muss, eine Position, die auch der Daten- Die CDU/CSU-Fraktion stimmt den vorliegenden (C) schutzbeauftragte ausdrücklich anerkennt. Gesetzen und der Entschließung zu. Es scheint mir doch schon sehr problematisch zu sein, wenn von manchem der Eindruck erweckt wird, dass Wolfgang Gunkel (SPD): Wir beraten heute zum eine Datenweitergabe fast jeden betreffen könnte. Nein, zweiten Mal den Gesetzentwurf der Bundesregierung für es werden ausschließlich Daten über Personen weiterge- ein Gesetz zum Abkommen vom 1. Oktober 2008 zwi- geben, die von den deutschen oder US-amerikanischen schen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland Behörden mit einem konkreten und bestätigten Verdacht und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika dem terroristischen Umfeld zugerechnet werden oder über die Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Verhin- schwerer Straftaten verdächtigt werden. Hinzu kommt: derung und Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität Die Bundesrepublik Deutschland entscheidet, welche sowie ein Gesetz zur Umsetzung desselben Abkom- mens. Das Abkommen soll die Zusammenarbeit bei der Daten von den deutschen Sicherheitsbehörden zur Verfü- Verhinderung und Bekämpfung schwerwiegender gung gestellt werden. Es gibt hier keinen Automatismus. Kriminalität vertiefen. Mit schwerwiegender Krimi- Wir sind Herr der Daten. Das BKA wird hier in Zukunft nalität ist damit insbesondere Terrorismus gemeint. als zentrale Behörde die Anfragen und die Datenweiter- Konkret geht es natürlich um Datenaustausch. gabe koordinieren. Geregelt werden in dem Vertrag, dass Fingerabdrücke Natürlich brauchen wir auch hier transparente Regeln und DNA-Daten automatisiert in den Datenbänken bei- zum Schutz personenbezogener Daten. Genau diese der Länder abgeglichen werden können, dass personen- sieht das Abkommen vor. Das Hit-/No-hit-Verfahren bezogene Daten zu sogenannten terroristischen Gefähr- wird von Datenschutzexperten sehr positiv bewertet, dern im Wege der Rechtshilfe übermittelt werden. weil es sehr grundrechteschonend ist. Personendaten Angelehnt ist das Abkommen dabei an den Vertrag von werden erst dann ersichtlich, wenn Übereinstimmungen Prüm, der als Abkommen zwischen den EU-Staaten die vorliegen, also ein übereinstimmender Fingerabdruck grenzüberschreitende Zusammenarbeit bei der Strafver- oder ein gleiches DNA-Profil. Außerdem sieht das folgung festschreibt. Inzwischen wurde das Abkommen Abkommen die vertrauliche Verwendung übermittelter von Prüm unter der deutschen Ratspräsidentschaft in den Daten vor. Falsche Datensätze müssen korrigiert werden. EU-Rechtsrahmen überführt. Daten müssen gelöscht werden, wenn sie nicht mehr erforderlich sind. Das BKA muss dabei den USA den im Grundsätzlich möchte ich festhalten, dass es eine ver- deutschen Recht vorgesehenen Löschungszeitpunkt nen- stärkte Zusammenarbeit zwischen den Ländern der nen und kann nach Art. 10 Abs. 4 Bedingungen für die Europäischen Union und den USA geben muss. Neue, (B) Verwendung der Daten festlegen. Die US-Sicherheitsbe- vor allem asymmetrische Bedrohungen bedürfen der (D) hörden sind an diese Bedingungen gebunden. Gleiches Kooperation und des engen Austausches von Informatio- gilt auch für Daten, die deutsche Sicherheitsbehörden nen. Die Bedrohung durch den internationalen Terroris- aus den USA erhalten. Darüber hinaus ist die Bundesre- mus darf nicht kleingeredet werden. Wir wissen alle, publik Deutschland nach dem Umsetzungsgesetz ver- dass viele sicherheitspolitische Szenarien noch aus der pflichtet, die vereinbarten völkerrechtlichen Auskunfts-, Zeit des Kalten Krieges stammen. Daher ist eine Vernet- Sperrungs- und Löschungsansprüche eines Betroffenen zung notwendig. Nicht zuletzt erhielten deutsche Ermitt- gegenüber den USA geltend zu machen. ler aus den USA den Hinweis auf die „Sauerland- Gruppe“. Deren geplante Anschläge gegen den US-ame- Dieses Abkommen verbindet den Datenaustausch für rikanischen Luftwaffenstützpunkt Ramstein sowie US- eine effektive Zusammenarbeit bei der Terrorismusbe- amerikanische und usbekische Konsulareinrichtungen in kämpfung mit klaren Datenschutzstandards. Das Miss- Deutschland konnten so 2007 verhindert werden. trauen, das dem Abkommen vor allem in den Anträgen der Opposition entgegengebracht wird, ist fehl am Platz. Das Abkommen mit den USA ist daher richtig und Wenn dieses Misstrauen der Maßstab aller Verträge notwendig. Allerdings stellt sich auch hier wie bei so wäre, machten alle internationalen Verträge keinen Sinn. vielen gesetzgeberischen Reaktionen auf die neuen In diesem Abkommen sind die Bedingungen für das Bedrohungen die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. Sammeln, Weitergeben und Löschen von Informationen Das Spannungsfeld zwischen notwendiger Sicherheit auf genau festgeschrieben. Wir verlassen uns also darauf, der einen Seite und der Wahrung elementarer Grund- dass die Daten vertragsgemäß genutzt werden. rechte auf der anderen Seite muss immer wieder neu aus- tariert werden. Gerade bei internationalen Abkommen Der frühzeitige Austausch von Informationen ist eine treffen oft völlig unterschiedliche Rechtsstaatsbegriffe wesentliche Voraussetzung, um unseren Sicherheits- aufeinander. behörden bei grenzüberschreitenden Aktivitäten von Dass die Übertragung personenbezogener Daten an Terroristen die Möglichkeit zu geben, Bedrohungen die Vereinigten Staaten von mir kritisch gesehen wird, rechtzeitig zu erkennen und abzuwehren. Das Abkom- wissen Sie spätestens seit den Beratungen zum Fluggast- men zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten datenabkommen zwischen Europa und den USA. von Amerika ist dafür eine wichtige Grundlage. Wie wichtig diese Kooperation ist, zeigt auch die Tatsache, Auch hier können die Vertragspartner nach Art. 10 dass mittlerweile auch andere EU-Staaten vergleichbare des Abkommens personenbezogene Daten wie Namen Abkommen mit den Vereinigten Staaten abschließen. und Geburtsdatum nach Maßgabe des nationalen Rechts Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26245

(A) auch ohne Ersuchen übermitteln. Maßgeblich für die rell gibt es Bedenken hinsichtlich des Datenschutz- (C) Zulässigkeit der Informationsübermittlung bleiben daher niveaus, so zum Beispiel, dass es keine subjektiven die Übermittlungsvorschriften der jeweiligen Sicher- Rechte der Betroffenen auf Auskunft, Berichtigung, heitsbehörden. So gelten in diesem Falle etwa § 19 Löschung oder Sperrung gibt. Das Datenschutzniveau Abs. 3 Bundesverfassungsschutzgesetz oder § 14 Abs. 1 des Vertrages orientiert sich grundsätzlich am Prümer BKA-Gesetz. Vertrag. Richtig ist aber auch, dass die amerikanische Seite diese Betroffenenrechte mit dem Hinweis auf die Wichtig ist an dieser Stelle auch, festzuhalten, dass Unvereinbarkeit zum bestehenden nationalen ameri- die Übertragung der Daten im Gegensatz zu den Daten kanischen Datenschutzregime ablehnt, ebenso eine der Flugpassagiere Richtung Vereinigte Staaten nicht an- vertragliche Verpflichtung zur Einrichtung unabhängiger lasslos erfolgt. Übersandt werden ausschließlich Daten Datenschutzkontrollstellen, bzw. bestehender Kontroll- zu Personen, die von deutschen oder US-amerikanischen stellen zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Behörden dem terroristischen Umfeld zugerechnet werden. Dieser eng begrenzbare Personenkreis muss Uns allen ist hier sehr deutlich bewusst, dass die nach Erkenntnis der Behörden mit terroristischen Straf- datenschutzrechtlichen Standards der Vereinigten taten im Zusammenhang stehen, etwa weil die Personen Staaten bei weitem nicht dem genügen, was wir gewohnt engen Kontakt zu terroristischen Straftätern pflegen oder sind. Auch unter Barack Obama hat sich der von uns oft eine Ausbildung in einem Trainingslager absolviert als töricht empfundene Umgang mit personenbezogenen haben mit dem Ziel, Anschläge zu begehen. Daten noch nicht geändert. Insofern bin ich bei aller Hochsensible Daten wie politische Anschauung, die Skepsis gegenüber neuen sicherheitspolitischen Ideen Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft oder solche, die immer noch einigermaßen zufrieden mit dem Grund- Gesundheit und Sexualleben betreffen, können laut rechteschutz in Deutschland. Klar ist aber auch, dass Abkommen nach Maßgabe des Art. 12 übertragen wer- man dieses datenschutzrechtliche Niveaugefälle bei den den. Hier handelt es sich durchaus um einen erheblichen Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten nicht igno- Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestim- rieren kann. Das lehrte uns nicht zuletzt das bereits mung. Der Kritik aus weiten Teilen dieses Hauses ist erwähnte Flugpassagierdatenabkommen. Insofern kann nun mit einem Entschliessungsantrag der Koalitionsfrak- ich mir vorstellen, dass die Abstimmungen in diesem tionen begegnet worden, der die besondere Bedeutung Bereich für die Verhandlungsführer äußerst schwierig der Gewerkschaften und die nach unserem Dafürhalten waren. völlige Irrelevanz der Gewerkschaftszugehörigkeit im Als Ausgleich dafür, dass es die gerade genannten Bezug auf die Kriminalitätsbekämpfung hervorhebt. Standards nicht gibt, wurde dem Vertragsstaat ein um- (B) Die Daten dürfen allerdings nur zur Verfügung ge- fassender Auskunfts-, Berichtigungs- und Löschungsan- (D) stellt werden, wenn sie für die Zwecke des Abkommens spruch zugestanden. Zur Geltendmachung dieses besonders relevant sind. Hier handelt es sich um eine Anspruchs kann die Vertragspartei im Rahmen des erhöhte Schwelle für die Übermittlung, auch im Gegen- nationalen Rechts verpflichtet werden, in dem Fall, in satz zu der Übermittlung nach Art. 10. Diese besondere dem der Betroffene dies gerichtlich veranlasst, wenn der Voraussetzung dient gerade auch dem Schutz der hoch- Staat nicht von sich aus tätig wird. sensiblen Daten. Weiterhin wird oft kritisiert, dass es keine gemein- Ich möchte für diesen Sachverhalt ein kleines Bei- same Definition terroristischer Straftaten bzw. schwer- spiel anführen. Es wird gegen eine Person ermittelt, die wiegender Kriminalität als Voraussetzung gibt. In dieser terroristischen Kreisen zugerechnet wird. Gleichzeitig Hinsicht kann ich Sie beruhigen: Die Bundesregierung ist die Person auch Gewerkschaftsmitglied. Die Tatsa- legt im Verhältnis mit den Vereinigten Staaten keine che, dass sie Gewerkschaftsmitglied ist, darf aber nur andere Terrorismusdefinition zugrunde als im Verhältnis übermittelt werden, wenn dies für die Bewertung im zu den Mitgliedstaaten des Prümer Vertrages. Rahmen einer Gefährdungsanalyse besonders relevant ist. Dies könnte zum Beispiel der Fall sein, wenn Die Zusammenschau meiner Ausführungen zeigt, Erkenntnisse darüber bestehen, dass die Gewerkschafts- dass man dem Abkommen trotz mancher Bedenken den- zugehörigkeit genutzt wird, um Anwerbeversuche für noch zustimmen muss. terroristische Organisationen durchzuführen, oder wenn unter der missbräuchlichen Ausnutzung der Strukturen Gisela Piltz (FDP): Vor einem Jahr und einem Mo- einer gewerkschaftlichen Organisation eine konspirative nat haben wir hier im Hause über die beiden Anträge, die Gruppe zur Vorbereitung eines Anschlages gegründet heute hier abschließend beraten werden, debattiert. Ich werden soll. habe – ganz ernsthaft – kurz darüber nachgedacht, ob ich Sie sehen also, dass der Anwendungsbereich dieser einfach meine Rede von damals hier noch einmal vor- Übermittlungsvorschrift äußerst gering ist. Die Vor- trage. Denn geändert hat sich nichts. Die Bundesregie- schrift ist gerade nicht dafür gedacht, wie vermutet, sys- rung hat die Kritik schlichtweg ignoriert, Kritik übri- tematisch Daten zur Gewerkschaftszugehörigkeit zu gens, die von allen Seiten an dem Abkommen geäußert sammeln. wurde – nicht nur von der Opposition –, von den Ge- werkschaften, von zahlreichen Verbänden wie Schwu- Neben den Übermittlungsvorschriften gibt es eine len- und Lesben-Verbänden und Bürgerrechtsinitiativen Reihe weiterer Regelungen, die kritisiert werden. Gene- sowie dem Bundesdatenschutzbeauftragten. 26246 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

(A) Obwohl: So ganz scheint die Kritik auch an CDU/ können es aber gerne noch einmal nachlesen: Plenarpro- (C) CSU und SPD nicht vorbeigegangen zu sein. Denn in tokoll vom 5. Juni 2008, Drucksache 16/166. dieser Woche legten Sie, die Kolleginnen und Kollegen Und wenn ich hier gerade schon die Literaturliste auf- der Koalitionsfraktionen, einen Entschließungsantrag im mache, dann gebe ich Ihnen gleich noch einen Tipp: Innenausschuss zum eigenen Gesetz vor, in dem Sie sich Lesen Sie sich einmal die Verfassungsbeschwerde selbst auffordern, die Finger von den Gewerkschaftsda- 2 BvR 637/09 von Patrick Breyer zur Datenweitergabe ten zu lassen. Das muss man sich mal vorstellen: Die in die USA durch. Der europäische Datenschutzbeauf- von Ihnen getragene Bundesregierung hat über ein Ab- tragte Peter Hustinx hat schon den Vertrag von Prüm als kommen verhandelt und es unterzeichnet. Dann hat sie Datenschutzalbtraum bezeichnet. Dieses schlechte Vor- ein Umsetzungsgesetz eingebracht. Weder in den Ver- bild aber nehmen Sie sich nun für einen Vertrag mit den handlungen noch bei der Formulierung des Umsetzungs- USA, wo nicht einmal das nach Hustinx’ Worten „kom- gesetzes hat sie sich für einen Schutz besonders sensibler plizierte Flickwerk“ des europäischen Datenschutzes Daten eingesetzt, ja offenbar nicht einmal infrage ge- gilt. Sie bleiben hinter dem Vertrag von Prüm sogar weit stellt, ob diese Daten überhaupt in irgendeiner Bezie- zurück. hung zu schwerwiegender Kriminalität, insbesondere Terrorismus, stehen. Und dann kommen die Koalitions- Das hier vorgelegte Ratifizierungsgesetz soll ein Ab- fraktionen und wollen nicht etwa das Gesetz ändern, kommen in deutsches Recht transferieren, das in vieler- sondern bringen einen Entschließungsantrag im Aus- lei Hinsicht rechtsstaatlich unzureichend ist. Das hier schuss ein. Unverbindlicher geht’s ja wohl kaum. Wa- vorgelegte Umsetzungsgesetz gibt sich nicht einmal rum, muss man sich da schon mal fragen, schreiben Sie Mühe, dem hinreichend zu begegnen. Neben den Daten das nicht in das Umsetzungsgesetz? Das wäre doch das zur Mitgliedschaft in Gewerkschaften sollen auch Daten Mindeste, wenn Sie Ihre eigene Regierung schon nicht zum Sexualleben, zur religiösen Überzeugung und Welt- dazu gebracht haben, von einem derartigen Abkommen anschauung übermittelt werden können. Ich kann Ihnen Abstand zu nehmen. nur mal empfehlen, sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- gen von der Koalition, sich mit den Ergebnissen des Un- Die FDP-Fraktion bringt deshalb heute hier einen Än- tersuchungsausschusses zu beschäftigen. Das Ver- derungsantrag ein, der genau dem entspricht, was die schwindenlassen von Personen durch die USA, in dem Koalitionsfraktionen als Entschließungsantrag vorgelegt nicht nur eine Verletzung des Völkerrechts lag, sondern haben. Ich gehe davon aus, dass es keinen Grund geben auch ein grober Verstoß gegen die Menschenwürde, ge- kann, warum die Koalition diesem Änderungsantrag gen die Freiheit der Person, gegen das Recht auf ein fai- nicht zustimmen wird, insbesondere nachdem ich ja vom res Verfahren, gegen einen ganzen Reigen von Grund- rechten also, stützte sich aller Wahrscheinlichkeit nach (B) Kollegen Wiefelspütz so ermutigende Worte im Aus- (D) schuss hörte: „Das Parlament sind wir und nicht die auf genau solche Daten, auf Daten, die den Staat erst ein- Bundesregierung.“ Jetzt können Sie das beweisen! mal wirklich nichts angehen, auf Daten, die den Staat vor allem deshalb nichts angehen, weil die Religionsfrei- Eigentlich müssten noch zahlreiche weitere Änderun- heit, weil die Vereinigungsfreiheit zu den höchsten gen vorgenommen werden. Für diese gibt es aber in der Rechtsgütern gehören. Wir haben in Deutschland den Koalition erkennbar keinerlei Zustimmung. Das ist Ordre Public zu beachten, wenn es darum geht, ob wir höchst bedauerlich. Im Gegenteil, die Koalition verwei- beispielsweise Personen ausliefern. Und danach ist ganz gert sich – wieder einmal – den Erkenntnissen, die hier klar, dass wir Personen nicht ausliefern, wenn ihnen im Hause mehr als deutlich zutage getreten sind. Der droht, gefoltert zu werden oder ohne faires Verfahren ih- BND-Untersuchungsausschuss hat sich intensiv damit rer Freiheit beraubt zu werden. Personen werden hier befasst, wie die USA Terrorismus definieren, und hat nicht „ausgeliefert“, sondern personenbezogene Daten – festgestellt, dass sich deren Herangehensweise sehr hinter denen aber jeweils eine Person steht, die anhand deutlich von dem unterscheidet, was wir hier in Deutsch- dieser Daten dann genau in die genannten Gefahren ge- land unter einem rechtsstaatlichen Verfahren verstehen. raten kann. Deshalb ist es unverantwortlich, ohne rechts- Nicht zum ersten Mal ist dabei auch zutage getreten, staatliche Absicherungen höchst sensible personenbezo- dass das Datenschutzniveau in den USA ein anderes ist. gene Daten herauszugeben. Das haben wir alles schon im Zusammenhang mit der Sie haben es weiterhin versäumt, den Begriff „terroris- Übermittlung von Fluggastdaten beraten. Da übrigens tische und schwerwiegende Kriminalität“ genauer zu de- gab es Widerspruch gegen die ungeschützte Übermitt- finieren. Sie haben nicht konkretisiert, welche Fingerab- lung von personenbezogenen Daten an die USA auch drücke genau übermittelt werden. Das alles hat mit einem von denen, die heute hier anscheinend gar keine Bauch- rechtsstaatlichen Handeln nichts zu tun. Denn was Terro- schmerzen haben. Oder vielleicht doch ein paar Bauch- rismus oder schwerwiegende Verbrechen sind, ist nicht schmerzen, die sie aber gut kaschieren. In der Aus- festgelegt. Und ich möchte nur mal darauf verweisen, schusssitzung vorgestern trug Herr Wiefelspütz ja vor, dass seit Einführung der Katalogstraftaten in § 100 a dass das Problem ja vor allem darin liege, dass man nicht StPO die Liste von Straftaten, die in Deutschland als wisse, was in den USA mit den Daten dann geschieht. „schwer“ gelten, ständig länger geworden ist, und dass Mit diesem Problem hätte sich ja bislang gar keiner be- auch dauernd noch neue – und zum Teil sehr grenzwertige – schäftigt. Ich möchte das noch einmal in aller Deutlich- Straftatbestände hinzukommen, wie zum Beispiel jetzt keit festhalten: Doch, Herr Wiefelspütz, damit haben wir gerade neu der Aufenthalt in Terrorcamps, also reines Ge- uns schon beschäftigt. Sie haben nur nicht zugehört. Sie sinnungsstrafrecht. Das ist schon auf unserer Seite be- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26247

(A) denklich. Und vonseiten der USA wird es nicht anders Überwachung der Bürgerinnen und Bürger wurde durch (C) sein. Und damit können sensible Daten wegen zig Straf- alle Oppositionsfraktionen vor Jahren bereits kritisiert. taten über den Atlantik hin- und herwandern, ohne dass Erneut wird durch die Bundesregierung in dem ge- die Betroffenen überhaupt Rechtsklarheit haben, dass sie nannten Abkommen – wie bei so vielen anderen, auch überhaupt betroffen sein könnten. So könnten zum Bei- dem Prümer Vertrag – obendrein noch ungelenk und un- spiel meine beiden Freundinnen, mit denen ich leider spezifisch mit dem Kampf gegen den Terrorismus jon- heute nicht gemeinsam ihren Geburtstag feiern kann – de- gliert, und dies, ohne dass die Regierung auch nur den nen ich aber hier wenigstens schnell noch ganz herzlich Hauch einer Definition des Begriffes Terrorismus besit- gratulieren will –, ohne es zu wissen, unter Verdacht ge- zen würde. Dies verwundert nicht, denn bei der Eindäm- raten. Das ist mit dem Rechtsstaat nicht zu vereinbaren. mung und Bekämpfung von Terrorismus hat die Bundes- Die Koalition beweist hier noch einmal – sozusagen regierung, also SPD und CDU/CSU, vollends versagt. zum krönenden Abschluss der letzten regulären Sitzungs- Beiden Fraktionen geht es mit dem Abkommen lediglich woche – ihr mangelhaftes Rechtsstaatsbewusstsein. Ich um die uferlose Weitergabe, Speicherung und Verknüp- habe es heute Vormittag schon einmal gesagt: Die Ach- fung personenbezogener Daten. Die neue Qualität be- tung der Grundrechte zeigt sich im täglichen Handeln. steht jedoch in der Dreistigkeit, neue Datenkategorien zu Davon ist diese Bundesregierung, ist diese Koalition weit erfassen und den amerikanischen Diensten zur Verfü- entfernt. gung zu stellen. So können demnach auch Daten an US- Foltergeheimdienste weitergereicht werden, die Infor- Vielen Dank. mationen zu Rasse oder ethnischer Herkunft, zu politi- scher Anschauung, zu religiöser oder sonstiger Überzeu- gung oder zur Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft Jan Korte (DIE LINKE): Ich habe es bereits in der beinhalten. Auch die Gesundheit und das Sexualleben ersten Lesung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung von potenziell Verdächtigen scheinen für deutsche wie gesagt und möchte es dennoch wiederholen: Wenn die amerikanische Dienste von Interesse zu sein. Bundesregierung das Parlament dazu missbraucht, längst beschlossene internationale Abkommen nur noch Niemanden darf es angesichts dieser Fülle von Daten, formal abzunicken, beschädigt sie damit die Demokratie die über den großen Teich geschickt werden sollen, ver- und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den wundern, dass Auskunftsrechte für Betroffene in dem Parlamentarismus. Abkommen nur ungenügend ausgestaltet und die Zweckbindung der Daten nicht nur nicht gewährleistet, Darüber hinaus ist ebenfalls festzuhalten, dass wir sondern nahezu freigestellt ist. heute zum wiederholten Male einen Gesetzentwurf der (B) Bundesregierung vorgelegt bekommen, der einen Das Gesetz, über das das Parlament heute aber ent- (D) schwerwiegenden Eingriff in die Freiheits- und Grund- scheiden soll, setzt lediglich das soeben kritisierte Ab- rechte, in den Datenschutz und die Schutzbestimmungen kommen mit den USA in nationales Recht um und legt des Grundgesetzes darstellt. Dies überrascht nun weder das Bundeskriminalamt, BKA, als nationale Kontakt- mich noch die Bürgerinnen und Bürger, ist doch der stelle für den automatisierten Datenaustausch und den letzte reguläre Tagesordnungspunkt in der 16. Legisla- Austausch von personenbezogenen Daten im Einzelfall turperiode des Bundestages symptomatisch für die bür- zur Strafverfolgung fest. Das BKA ist damit die verant- gerrechts- und grundgesetzfeindliche Politik der Großen wortliche Schaltstelle bei der Weitergabe von DNA- und Koalition. Fingerabdruckdaten sowie – spezieller – personenbezo- gener Daten diverser Sicherheitsbehörden, die auch zur Das „Gesetz zu dem Abkommen vom 1. Oktober Strafverfolgung weitergegeben werden können. Das 2008 zwischen der Regierung der Bundesrepublik BKA entscheidet darüber hinaus auch über eine mögli- Deutschland und der Regierung der Vereinigten Staaten che Zweckänderung bei der Verwendung dieser Informa- von Amerika über die Vertiefung der Zusammenarbeit tionen in den USA. In diesem Zusammenhang weist die bei der Verhinderung und Bekämpfung schwerwiegen- Bundesregierung geradezu pampig die doch sehr sanfte der Kriminalität“ regelt die Voraussetzungen für das In- Forderung des Bundesrates nach einer besonderen Kon- krafttreten des Abkommens in Deutschland. Das Ab- trolle der Datenweitergabe beim BKA zurück: Die Ein- kommen selbst steht jedoch nicht zur Debatte. Das richtung einer besonderen Kontrollinstanz sei nicht Abkommen aber regelt den Datenaustausch zwischen erforderlich, weil die Mitarbeiter „ausreichend sensibili- den USA und der BRD zur Bekämpfung schwerwiegen- siert“ seien „was den Umgang mit besonders sensiblen der Kriminalität, „insbesondere“ des Terrorismus. Gere- personenbezogenen Daten anbelangt“ und das BKA be- gelt werden hierin unter anderem der automatiserte Da- reits heute ohne besondere Kontrollinstanz sensible Da- tenaustausch von DNA- und daktyloskopischen Daten, ten an ausländische Stellen übermittelt. die gegebenenfalls um weitere personenbezogene Daten Die Linke lehnt aus diesem Grunde und wegen der ergänzt werden können. In einzelnen Artikeln werden vielen rechtlichen, technischen und handwerklichen die Bestimmungen des Prümer Vertrages übernommen. Fehler im Abkommen selbst und im Gesetz zu dessen Dessen Türöffnerfunktion für den umfassenden Aus- Umsetzung beide Vorhaben konsequent ab. tausch von DNA- und Fingerabdruckdaten bestätigt sich durch das BRD-USA-Abkommen nun deutlich. Diese Nun liegen uns heute ebenfalls Anträge von FDP und Gefahr der Öffnung von Tür und Tor durch die Verab- Grünen zur Beschlussfassung vor. Der Antrag der FDP schiedung des Prümer Vertrages für eine verstärkte bezieht sich auf das bereits angesprochene Ausgangsab- 26248 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

(A) kommen mit den USA, mit dem der umfassende Daten- nau einer solchen unbestimmten Rechtsgrundlage in den (C) austausch zwischen den USA und Deutschland eröffnet USA Menschen als Terroristen eingestuft wurden und werden soll. Auch die FDP kritisiert unter anderem den dann ohne jedes rechtsstaatliche Verfahren interniert und Umfang der Datenübermittlung, die ungenügende schikaniert wurden. Mit diesem Abkommen leisten wir Datenschutzausgestaltung in den USA – vor allem die zu genau solchen Praktiken Beihilfe, wenigstens verhal- Speicherfristen betreffend – sowie die Weitergabe hoch- ten wir uns aber grob fahrlässig. sensibler Daten zur Religionszugehörigkeit, Gewerk- schaftszugehörigkeit und ethnischen Herkunft. Vor die- Der Datenschutz und die entsprechenden Rechte der sem Hintergrund wird eine Neuverhandlung des Betroffenen sind in diesem Abkommen unzureichend Abkommens zwischen den transatlantischen Partnern geregelt, dafür werden dann aber Daten übermittelt, die gefordert. Zwar ist dieser Antrag leider überholt, den- in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Terror- noch greift er dezidiert die inhaltliche Kritik an dem Ab- bekämpfung stehen. Bestes Beispiel dafür ist die soge- nannte Schutzklausel in Art. 12 dieses Vertrages. Da kommen unter den Gewerkschaften, in der Linken und geht es um so höchst terrorverdächtige Eigenschaften unter den Bürgerinnen und Bürgern im Land auf. Die wie die Gewerkschaftszugehörigkeit. Schutzklausel Linke wird deshalb dem Antrag der FDP zustimmen. heißt der Passus, weil solche Daten nur bei besonderer Die Grünen wollen ihrerseits vor allem die Rechte der Relevanz weitergegeben werden sollen. Wann bitte soll Betroffenen, zum Beispiel im Hinblick auf Auskunfts- denn das der Fall sein? Warum werden solche Daten und Widerspruchsrechte, stärken. Anders als die FDP überhaupt erst erfasst? Der DGB unterhält doch keine al- fordern die Grünen eine Überprüfung des Bedarfs eines Qaida-Zellen! solchen Abkommens. Dies findet die Unterstützung der Solche Fragen beantwortet die Koalition mit einem Linken. Gleichzeitig kann ich Ihnen mitteilen, dass wir Entschließungsantrag sinngemäß etwa so: „Wir haben einen solchen Bedarf bereits geprüft haben und zu einem wirklich keine Ahnung, was diese Daten mit Terroris- eindeutigen Ergebnis gekommen sind: Dieses Abkom- mus zu tun haben. Wir denken nicht, dass sie weiterge- men muss besser gestern als heute aufgelöst werden, und geben werden sollen. Aber der Vertrag soll es trotzdem stattdessen muss für einen globalen, umfassenden Da- ermöglichen.“ Warum schreibt man denn dann solche tenschutz gekämpft werden. Die Bundesregierung hat Daten in den Vertrag? Und was will die Koalition hier dies leider nicht verstanden. Da insbesondere die Union wirklich? Im Innenausschuss war ja prompt zu hören, im Bund nicht aus der Regierungstätigkeit heraus – im dass man sehr wohl diese Daten weitergeben will. Gegensatz zur Koalition in Hamburg – ihre Position zum Datenschutz grundlegend verändern kann, hoffe ich in- Wir bleiben dabei: Diesen Vertrag kann man so nicht (B) ständig, dass beide Fraktionen, also SPD und Union, in ratifizieren. Wir werden hier im Bundestag dagegenstim- (D) der kommenden Legislaturperiode auf den Oppositions- men und in Person des grünen Hamburger Justizsenators bänken Platz nehmen, um dort an ihrer Haltung zum Da- Till Steffen auch in der Ständigen Vertragskommission tenschutz zu arbeiten. unseren Widerstand aufrechterhalten. Dann merkt viel- leicht auch die Bundesregierung noch, was der einzig richtige Umgang mit diesem Abkommen ist: schreddern Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): und neu verhandeln! Vor gut einem Jahr wurde der Öffentlichkeit dieses Ab- kommen bekannt – und seitdem ist es in der Kritik! Und das ist auch richtig so, denn dieses Abkommen ist eine Anlage 14 Zumutung. Amtliche Mitteilungen Es geht, das sagt der Titel, um die Verhinderung und Bekämpfung von schweren Verbrechen und von Terro- Der Vermittlungsausschuss hat in seiner 13. Sitzung rismus. Erreicht werden soll das durch einen sehr frei- am 1. Juli 2009 folgenden Einigungsvorschlag beschlos- giebigen Datenaustausch mit dem großen Bruder, mit sen: den USA. Und das beschreibt sehr gut die Probleme: Be- griffe wie schwere Verbrechen oder Terrorismus sind im Das vom Deutschen Bundestag in seiner 222. Sitzung Abkommen bestenfalls schwammig definiert. Und des- am 14. Mai 2009 beschlossene halb muss man damit rechnen, dass unser Vertragspart- Erste Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die ner selbst darangehen wird zu definieren, was er darun- Errichtung einer Bundesanstalt für den Digital- ter versteht. funk der Behörden und Organisationen mit Si- Auf einer solch wackligen Basis sehr liberal Daten zu cherheitsaufgaben (BDBOS-Gesetz) übermitteln ist ein Risiko, das man nicht eingehen darf. – Drucksachen 16/12594, 16/12914, 16/13357 – Denn was US-Regierungen bisher für Terrorismus halten wird bestätigt. und was sie für einen ausreichenden Verdacht halten, je- manden als Terroristen zu bezeichnen ist, das haben wir in der Vergangenheit sehen können. Im Zweifel führt das Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben die Betroffenen nach Guantanamo oder per Geheimflug mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 ins Foltergefängnis. Der erste Untersuchungsausschuss der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den hat in mühevoller Kleinarbeit rekonstruiert, wie auf ge- nachstehenden Vorlagen absieht: Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009 26249

(A) Finanzausschuss Ausschuss für Tourismus (C)

– Unterrichtung durch die Bundesregierung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die aktualisierten Stabilitäts- und Konver- Tourismuspolitische Leitlinien der Bundesregierung genzprogramme 2008/2009 der EU-Mitgliedstaaten – Drucksachen 16/12617, 16/12949 Nr. 2 – – Drucksache 16/11594 –

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Reaktorsicherheit mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei- – Unterrichtung durch die Bundesregierung ner Beratung abgesehen hat. Umweltgutachten 2008 des Sachverständigenrates für Umweltfragen Umweltschutz im Zeichen des Klimawandels Auswärtiger Ausschuss – Drucksache 16/9990 – Drucksache 16/12954 Nr. A.2 – Unterrichtung durch die Bundesregierung EuB-EP 1891; P6_TA-PROV(2009)0077 Drucksache 16/12954 Nr. A.3 Dritter Bericht der Bundesregierung über die For- EuB-EP 1892; P6_TA-PROV(2009)0078 schungsergebnisse in Bezug auf die Emissionsminde- Drucksache 16/12954 Nr. A.4 rungsmöglichkeiten der gesamten Mobilfunktechnolo- Ratsdokument 8182/09 gie und in Bezug auf gesundheitliche Auswirkungen – Drucksachen 16/11557, 16/11718 Nr. 1.7 – Innenausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Drucksache 16/11517 Nr. A.2 Technikfolgenabschätzung EuB-EP 1816; P6_TA-PROV(2008)0521 Drucksache 16/12778 Nr. A.13 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Ratsdokument 5553/09 Bundesbericht zur Förderung des Wissenschaftlichen Nachwuchses Sportausschuss – Drucksache 16/8491 – Drucksache 16/6389 Nr. 1.59 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Ratsdokument 11811/07 Hauptgutachten 2007 des Wissenschaftlichen Beirats Drucksache 16/9693 Nr. A.3 der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen EuB-EP 1721; P6_TA-PROV(2008)0198 (B) „Welt im Wandel – Sicherheitsrisiko Klimawandel“ (D) und Rechtsausschuss Stellungnahme der Bundesregierung – Drucksache 16/11600 – Drucksache 16/629 Nr. 2.24 Ratsdokument 5203/06 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 16/820 Nr. 1.9 Ratsdokument 5597/05 14. Bericht des Ausschusses für die Hochschulstatistik Drucksache 16/5329 Nr. 2.4 für den Zeitraum 1. Juni 2004 bis 31. Mai 2008 Ratsdokument 8302/07 – Drucksachen 16/12781, 16/12949 Nr. 5 – Drucksache 16/5806 Nr. 1.9 Ratsdokument 10089/07 Drucksache 16/6389 Nr. 1.56 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit Ratsdokument 11771/07 und Entwicklung Drucksache 16/7575 Nr. A.25 Ratsdokument 15342/07 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 16/7817 Nr. A28 Fortschrittsbericht 2007 Ratsdokument 15727/07 Drucksache 16/8135 Nr. A.31 über die Umsetzung des Programms „Nachhaltige Ratsdokument 5037/08 Energie für Entwicklung“ Drucksache 16/8135 Nr. A.35 – Drucksachen 16/7235, 16/7573 Nr. 3 – Ratsdokument 5213/08 Drucksache 16/8135 Nr. A.36 – Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Tech- Ratsdokument 5039/08 nikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) gemäß § 56a der Drucksache 16/8455 Nr. A.4 Geschäftsordnung Ratsdokument 5968/08 Drucksache 16/8609 Nr. A.4 Technikfolgenabschätzung (TA) Ratsdokument 5785/08 Internetkommunikation in und mit Entwicklungslän- Drucksache 16/8983 Nr. A.5 dern – Chancen für die Entwicklungszusammenarbeit Ratsdokument 7403/08 am Beispiel Afrika Drucksache 16/8983 Nr. A.6 – Drucksache 16/9918 – Ratsdokument 7473/08

– Unterrichtung durch die Bundesregierung Dreizehnter Bericht zur Entwicklungspolitik der Bun- Finanzausschuss desregierung Drucksache 16/13264 Nr. A.10 – Drucksache 16/10038 – Ratsdokument 9281/09 26250 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2009

(A) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Drucksache 16/12511 Nr. A.6 (C) Ratsdokument 7017/09 Drucksache 16/8815 Nr. A.l5 Ratsdokument 6725/08 Drucksache 16/12954 Nr. A.12 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ratsdokument 8291/09 Entwicklung Drucksache 16/13068 Nr. A.4 EuB-EP 1927; P6_TA-PROV(2009)0166 Drucksache 16/12778 Nr. A.22 Ratsdokument 6810/09 Drucksache 16/12778 Nr. A.23 Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Ratsdokument 6963/09 Verbraucherschutz

Drucksache 16/11517 Nr. A.21 Ausschuss für Tourismus Ratsdokument 15694/08 Drucksache 16/11517 Nr. A.22 Drucksache 16/1475 Nr. 2.5 Ratsdokument 15869/08 Ratsdokument 7669/06 Drucksache 16/12188 Nr. A.17 Drucksache 16/7393 Nr. A.14 Ratsdokument 5883/09 Ratsdokument 14248/07 Drucksache 16/12954 Nr. A.15 Drucksache 16/8135 Nr. A.1 Ratsdokument 8677/09 EuB-EP 1628; P6_TA-PROV(2008)0575 Drucksache 16/13068 Nr. A.6 Drucksache 16/11965 Nr. A.15 Ratsdokument 8977/09 EuB-EP 1841; P6_TA-PROV(2009)0597

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 16/10666 Nr. A.12 Drucksache 16/10286 Nr. A.93 EuB-EP 1776; P6_TA-PROV(2008)0399 Ratsdokument 11364/08 Drucksache 16/10666 Nr. A.13 EuB-EP 1777; P6_TA-PROV(2008)0401 Drucksache 16/10666 Nr. A.14 Ratsdokument 12809/08 Ausschuss für Kultur und Medien Drucksache 16/11819 Nr. A.11 Drucksache 16/9394 Nr. A.11 Ratsdokument 17495/08 EuB-EP 1694; P6_TA-PROV(2008)0123

(B) (D)

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