(Ausgegeben am 26. Januar 2010)

Niedersächsischer Landtag

Stenografischer Bericht

58. Sitzung

Hannover, den 19. Januar 2010

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 1: Tagesordnungspunkt 3:

Mitteilungen des Präsidenten ...... 7307 Einzige (abschließende) Beratung: Entwurf eines Gesetzes zur Neufassung des Tagesordnungspunkt 2: Niedersächsischen Richtergesetzes und zur Änderung des Niedersächsischen Personalver- 20. Übersicht über Beschlussempfehlungen der tretungsgesetzes - Gesetzentwurf der Landesregie- ständigen Ausschüsse zu Eingaben - rung - Drs. 16/660 - Beschlussempfehlung des Aus- Drs. 16/2070 - Änderungsantrag der Fraktion DIE schusses für Rechts- und Verfassungsfragen - LINKE - Drs. 16/2097 - Änderungsantrag der Frak- Drs. 16/2041 - Änderungsantrag der Fraktion der tion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/2098 - Ände- SPD - Drs. 16/2042 - Schriftlicher Bericht - rungsantrag der Fraktion der SPD - Drs. 16/2099 ... 7308 Drs. 16/2046...... 7316 Sigrid Rakow (SPD)...... 7308 Clemens Lammerskitten (CDU) ...... 7316 Christian Meyer (GRÜNE)...... 7309 (GRÜNE) ...... 7317 Clemens Große Macke (CDU) ...... 7309 Hans-Henning Adler (LINKE)...... 7318, 7324 Pia-Beate Zimmermann (LINKE)...... 7309 Grant Hendrik Tonne (SPD) ...... 7319, 7324 Klaus-Peter Bachmann (SPD) ...... 7310 Professor Dr. Dr. Roland Zielke (FDP) ...... 7321 (GRÜNE) ...... 7310 Dr. Uwe Biester (CDU) ...... 7322 Hans-Christian Biallas (CDU)...... 7311 Bernhard Busemann, Justizminister...... 7322 Claus Peter Poppe (SPD)...... 7311 Beschluss ...... 7325 Victor Perli (LINKE) ...... 7312, 7314 (Direkt überwiesen am 20.11.2008) Christoph Dreyer (CDU)...... 7313 Jens Nacke (CDU) ...... 7313

Professor Dr. Dr. Roland Zielke (FDP)...... 7314 Beschluss ...... 7314

Niedersächsischer Landtag - 16. Wahlperiode - 58. Plenarsitzung am 19. Januar 2010

Tagesordnungspunkt 4: Tagesordnungspunkt 6: Zweite Beratung: a) Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Einzige (abschließende) Beratung: frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erzie- Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen hung in den Kindertagesstätten - Gesetzentwurf zwischen dem Land Niedersachsen und der Frei- der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/1491 - b) Mehr en und Hansestadt über die Zuständig- Qualität für unsere Kinder - Für eine Verbesse- keit des Jugendrichters eines hamburgischen rung der frühkindlichen Bildung in Nieder- Amtsgerichts als Vollstreckungsleiter für die sachsen - Antrag der Fraktion DIE LINKE - Vollstreckung von Jugendstrafe und Jugend- Drs. 16/1493 - c) Was man verspricht, muss man arrest und als Vollzugsleiter für den Vollzug von auch halten - Kinder sind uns mehr wert! - Antrag Jugendarrest sowie der Jugendkammer und der der Fraktion der SPD - Drs. 16/1506 - Beschluss- Strafvollstreckungskammer bei dem Landgericht empfehlung des Kultusausschusses - Drs. 16/1939 - Hamburg für die Justizvollzugsanstalt Hahnöfer- Schriftlicher Bericht - Drs. 16/1961 ...... 7325 sand - Gesetzentwurf der Landesregierung - (GRÜNE)...... 7325, 7331 Drs. 16/1710 - Beschlussempfehlung des Ausschus- Christa Reichwaldt (LINKE)...... 7326 ses für Rechts- und Verfassungsfragen - Axel Brammer (SPD)...... 7327 Drs. 16/2078...... 7341 Astrid Vockert (CDU) ...... 7329, 7332, 7335 Beschluss...... 7341 Ralf Borngräber (SPD)...... 7331 (Direkt überwiesen am 07.10.2009) Dr. Manfred Sohn (LINKE) ...... 7331, 7333 Björn Försterling (FDP) ...... 7332, 7333 Tagesordnungspunkt 7: Elisabeth Heister-Neumann, Kultusministerin ...7334 Frauke Heiligenstadt (SPD)...... 7335 Erste Beratung: Beschluss ...... 7336 Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Ver- (zu a bis c: Erste Beratung: 43. Sitzung am 27.08.2009) sammlungsrechts - Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU und der FDP - Drs. 16/2075 ...... 7341 Tagesordnungspunkt 5: Hans-Christian Biallas (CDU) ...... 7341 (GRÜNE) ...... 7344, 7345 Zweite Beratung: Pia-Beate Zimmermann (LINKE) ...... 7346 Entwurf eines Gesetzes zur Einrichtung einer Jürgen Krogmann (SPD)...... 7347 Härtefallkommission (Härtefallkommissionsge- Jan-Christoph Oetjen (FDP)...... 7349 setz - HFKG) - Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis Uwe Schünemann, Minister für Inneres, Sport 90/Die Grünen - Drs. 16/1050 - Beschlussempfeh- und Integration...... 7350 lung des Ausschusses für Inneres, Sport und Inte- Ausschussüberweisung...... 7351 gration - Drs. 16/1941 - Schriftlicher Bericht - Drs. 16/1948...... 7336 Tagesordnungspunkt 8: Filiz Polat (GRÜNE)...... 7336 Klaus-Peter Bachmann (SPD)...... 7337 Erste Beratung: Pia-Beate Zimmermann (LINKE) ...... 7338 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Nie- Editha Lorberg (CDU) ...... 7339 dersächsischen Gesetzes über die Feiertage - Jan-Christoph Oetjen (FDP)...... 7340 Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE - Beschluss ...... 7341 Drs. 16/2069...... 7351 (Erste Beratung: 33. Sitzung am 25.03.2009) Marianne König (LINKE)...... 7351 André Wiese (CDU)...... 7352, 7355 Dörthe Weddige-Degenhard (SPD) ...... 7355 Elke Twesten (GRÜNE)...... 7356 Björn Försterling (FDP)...... 7357 Hans-Henning Adler (LINKE) ...... 7357, 7359 Roland Riese (FDP) ...... 7358 Gudrun Pieper (CDU)...... 7359 Ausschussüberweisung...... 7359

II Niedersächsischer Landtag - 16. Wahlperiode - 58. Plenarsitzung am 19. Januar 2010

Tagesordnungspunkt 9:

Zweite Beratung: Qualität der Kindertagespflege in Niedersachsen steigern - Ausbildung und Qualitätssicherung verbessern - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/1504 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Frauen, Familie und Ge- sundheit - Drs. 16/1935...... 7360 Miriam Staudte (GRÜNE) ...... 7360, 7364, 7366 Stefan Klein (SPD)...... 7361 Ansgar-Bernhard Focke (CDU) .....7362, 7363, 7364 Patrick-Marc Humke-Focks (LINKE) ...... 7364 Roland Riese (FDP)...... 7365 Mechthild Ross-Luttmann, Ministerin für Sozia- les, Frauen, Familie und Gesundheit...... 7366 Beschluss ...... 7368 (Erste Beratung: 43. Sitzung am 27.08.2009)

Nächste Sitzung...... 7368

III Niedersächsischer Landtag - 16. Wahlperiode - 58. Plenarsitzung am 19. Januar 2010

Vom Präsidium:

Präsident Hermann D i n k l a (CDU) Vizepräsident Dieter M ö h r m a n n (SPD) Vizepräsident Hans-Werner S c h w a r z (FDP) Vizepräsidentin Astrid V o c k e r t (CDU) Schriftführerin Ursula E r n s t (CDU) Schriftführerin Ulla G r o s k u r t (SPD) Schriftführer Wilhelm H e i d e m a n n (CDU) Schriftführer Hans-Jürgen K l e i n (GRÜNE) Schriftführer Lothar K o c h (CDU) Schriftführerin Gabriela Kohlenberg (CDU) Schriftführerin Gisela K o n r a t h (CDU) Schriftführerin Dr. Silke L e s e m a n n (SPD) Schriftführerin Dörthe Weddige-Degenhard (SPD) Schriftführerin Ursula W e i s s e r - R o e l l e (LINKE)

Auf der Regierungsbank:

Ministerpräsident Christian W u l f f (CDU)

Minister für Inneres, Sport und Integration Staatssekretär Wolfgang M e y e r d i n g , Uwe Schünemann (CDU) Ministerium für Inneres, Sport und Integration

Finanzminister Staatssekretärin Cora H e r m enau , Hartmut M ö l l r i n g (CDU) Finanzministerium

Ministerin für Soziales, Frauen, Familie und Gesund- Staatssekretärin Dr. Christine H a w i g h o r s t , heit Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesund- Mechthild R o s s - L u t t m a n n (CDU) heit

Kultusministerin Staatssekretär Dr. Bernd Althusmann, Elisabeth Heister-Neumann Kultusministerium

Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr Jörg Bode (FDP)

Minister für Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucher- schutz und Landesentwicklung Hans-Heinrich E h l e n (CDU)

Justizminister Bernhard B u s e m a n n (CDU)

Minister für Wissenschaft und Kultur Staatssekretär Dr. Josef Lange , Lutz S t r a t m a n n (CDU) Ministerium für Wissenschaft und Kultur

Minister für Umwelt und Klimaschutz Staatssekretär Dr. Stefan B i r k n e r , Hans-Heinrich Sander (FDP) Ministerium für Umwelt und Klimaschutz

IV Niedersächsischer Landtag - 16. Wahlperiode - 58. Plenarsitzung am 19. Januar 2010

Beginn der Sitzung: 13.30 Uhr. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, zur Tagesord- nung: Die Einladung und die Tagesordnung für Präsident Hermann Dinkla: diesen Tagungsabschnitt liegen Ihnen gedruckt Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche vor. Für die Aktuelle Stunde, die für morgen früh Ihnen einen guten Tag und heiße Sie namens des vorgesehen ist, sind fünf Themen benannt worden. gesamten Präsidiums zu unserer heutigen - erst- Es liegen im Übrigen drei Dringliche Anfragen vor, mals mittags beginnenden - Sitzung sehr herzlich die Donnerstag früh ab 9 Uhr beantwortet werden. willkommen. Auf der Grundlage der im Ältestenrat für die Bera- Ich eröffne die 58. Sitzung im 20. Tagungsab- tung einzelner Punkte vereinbarten Redezeiten schnitt des Niedersächsischen Landtages der und des im Ältestenrat vereinbarten Verteiler- 16. Wahlperiode. schlüssels haben die Fraktionen die ihnen jeweils Die Beschlussfähigkeit werde ich zu einem späte- zustehenden Zeitkontingente so verteilt, wie Sie ren Zeitpunkt feststellen. sie aus der Ihnen vorliegenden Übersicht ersehen können. - Ich stelle das Einverständnis des Hauses Ich komme nun zu Tagesordnungspunkt 1: mit diesen Redezeiten fest. Die heutige Sitzung soll gegen 18.45 Uhr enden. Mitteilungen des Präsidenten Ich möchte Sie noch auf zwei Veranstaltungen hinweisen: In der Wandelhalle ist die von der Ge- denkstätte Yad Vashem konzipierte Ausstellung Meine Damen und Herren, ich möchte Sie bitten, „Der Soldat Tolkatchev an den Toren zur Hölle - sich von den Plätzen zu erheben. Die Befreiung von Majdanek und Auschwitz: Zeug- Am 8. Januar 2010 verstarb der ehemalige Abge- nis eines Künstlers“ zu sehen. ordnete des Niedersächsischen Landtages Herr Olaf Sund im Alter von 78 Jahren. Herr Sund ge- In diesem Zusammenhang darf ich Sie auch auf hörte dem Landtag von 1970 bis 1972 als Mitglied die Gedenkveranstaltung zum 65. Jahrestag der der SPD-Fraktion an und bekleidete danach ver- Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am schiedene weitere herausgehobene öffentliche Dienstag, den 26. Januar 2010, um 18 Uhr im Ple- Ämter. Während seiner Zeit als Landtagsabgeord- narsaal des Niedersächsischen Landtages hinwei- neter war er im Ausschuss für Wirtschaft und Ver- sen. kehr sowie im Ausschuss für Jugend und Sport Die Landesbischöfin der Evangelisch-lutherischen tätig. Landeskirche Hannovers und Vorsitzende des Am 15. Januar 2010 verstarb der ehemalige Ab- Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, geordnete Herr Walter Link im Alter von 72 Jahren. Dr. Margot Käßmann, wird im Rahmen der Ge- Herr Link gehörte dem Niedersächsischen Landtag denkveranstaltung einen Vortrag mit dem Titel von 1978 bis 1983 als Mitglied der CDU-Fraktion „Von der Fähigkeit zu trauern“ halten. Salomon an. Während dieser Zeit wirkte er im Ausschuss für Finkelstein wird als Überlebender über seine Er- Jugend und Sport, im Unterausschuss Strafvollzug lebnisse im Konzentrationslager Auschwitz berich- und im Ausschuss für Sozial- und Gesundheitswe- ten. Die Vorsitzende des Freundeskreises Yad sen mit. Herrn Link wurde das Verdienstkreuz 1. Vashem in Deutschland e. V., Hildegard Müller, Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik wird ein Grußwort sprechen. Deutschland verliehen. In der Portikushalle ist die anlässlich einer Kunst- Wir werden die beiden Kollegen in guter Erinne- aktion in Helmstedt-Marienborn zum 20. Jahrestag rung behalten. - Ich danke Ihnen. der Grenzöffnung entstandene Präsentation „Breaking the wall“ zu sehen. Geburtstag hat heute die Abgeordnete Gabriela Kohlenberg. Ich übermittle Ihnen im Namen des Ich würde mich freuen, wenn Sie ungeachtet der ganzen Hauses herzliche Glückwünsche. Fülle der von uns zu behandelnden Themen ein wenig Zeit finden könnten, sich die Ausstellung (Beifall) und die Präsentation anzusehen. Gesundheit und Wohlergehen für das vor Ihnen Die Initiative „Schulen in Niedersachsen online“ liegende neue Lebensjahr! wird in den kommenden drei Tagen wiederum mit einer Onlineredaktion live aus dem Landtag berich-

7307 Niedersächsischer Landtag - 16. Wahlperiode - 58. Plenarsitzung am 19. Januar 2010

ten. Es handelt sich um Schülerinnen und Schüler Wir treten jetzt in die Beratung ein. Ich erteile zu- des Kranich-Gymnasiums aus Salzgitter. Der Ab- nächst der Kollegin Rakow von der SPD-Fraktion geordnete Stefan Klein hat sich dankenswerter- zur Petition 936 das Wort. Bitte schön, Frau Kolle- weise bereit erklärt, als Pate die Arbeit der jungen gin, Sie haben das Wort. Leute nach Kräften zu unterstützen und erster Ansprechpartner der Nachwuchsjournalisten zu Sigrid Rakow (SPD): sein. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich (Zustimmung bei der SPD und bei der spreche zur Petition 936 von Frau Andrea Puls- FDP) kamp. Es geht dabei um Baugenehmigungen für eine Legehennenaufzuchtanlage sowie eine Tier- Ich weise außerdem darauf hin, dass das Modell- haltungsanlage für Legehennen im Landkreis Os- projekt Landtagsfernsehen wieder mit jungen und nabrück. Die Petentin fordert in ihrer Petition die aufstrebenden Nachwuchsjournalistinnen und Versagung der Genehmigungen. Die Legehennen- -journalisten der Humboldt-Schule Seelze im Laufe aufzuchtanlage umfasst 128 000 Plätze. Dies be- der kommenden Tage Sendungen erstellen wird. zeichnet sie aufgrund der vorhandenen Belastung Die einzelnen Sendungen stehen unmittelbar nach als zu groß. Die Tierhaltungsanlage umfasst ihrer Produktion im Internet auf der Homepage der 126 000 Hühner. Die Petentin äußert ihre Sorge Multi-Media Berufsbildenden Schule über die zu erwartenden negativen Auswirkungen (www.mmbbs.de) zum Abruf bereit. Sie sollen und fordert eine Änderung der gesetzlichen Grund- auch über den Regionalsender h1 gesendet wer- lagen. den. Wir von der SPD-Fraktion beantragen, diese Peti- Ich darf Sie herzlich bitten, Ihre Reden bis spätes- tion als Material an die Landesregierung zu über- tens morgen Mittag, 12 Uhr, an den Stenografi- weisen, da wir großen Handlungsbedarf bezüglich schen Dienst zurückzugeben. der nicht akzeptablen Häufung von Tierhaltungs- Die mir zugegangenen Entschuldigungen teilt Ih- anlagen in einigen Regionen sehen. nen nunmehr die Schriftführerin mit. Am Donnerstag debattieren wir über einen Antrag, mit dem das Thema „Bäuerliche Landwirtschaft Schriftführerin Dörthe Weddige-Degenhard: statt industrielle tierquälerische ‚Hähnchen-High- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es haben sich ways’“ auf die Tagesordnung gebracht wird. entschuldigt von der Fraktion der CDU Herr Thüm- In der vorliegenden Petition formuliert die Petentin ler und Herr Thiele, von der Fraktion der SPD Frau stellvertretend für viele Bürgerinnen und Bürger Somfleth und Herr Schminke, von der Fraktion aus Niedersachsen aus dem ländlichen Raum ihre Bündnis 90/Die Grünen Frau Korter ab 15.30 Uhr Sorge, dass die bäuerliche Landwirtschaft zulasten und von der Fraktion DIE LINKE Frau Flauger. der industriellen Tierhaltung zurückgedrängt wird, dass in der Folge das Landschaftsbild gestört wird Präsident Hermann Dinkla: und dass vermehrt gesundheitliche Belastungen Vielen Dank. - Ich rufe jetzt Tagesordnungs- entstehen. punkt 2 auf: Nach Meinung der SPD-Fraktion wäre die Landes- regierung gut beraten, die Bürgerinnen und Bürger 20. Übersicht über Beschlussempfehlungen der mit ihren Sorgen ernst zu nehmen, den Kommunen ständigen Ausschüsse zu Eingaben - darin Hilfestellung zu geben, die Ansiedlung von Drs. 16/2070 - Änderungsantrag der Fraktion DIE Tierhalteanlagen zu steuern - gegebenenfalls über LINKE - Drs. 16/2097 - Änderungsantrag der Frak- das Landes-Raumordnungsprogramm -, aber auf tion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/2098 - Ände- jeden Fall sich des Problems anzunehmen, die rungsantrag der Fraktion der SPD - Drs. 16/2099 Verträglichkeit zwischen bäuerlicher Landwirt- schaft, industrieller Tierhaltung und den Anliegen der Bürgerinnen und Bürger vor Ort zu gestalten. Wie Sie der Tagesordnung entnehmen können, Was aber gar nicht geht, ist, zu sagen, „alles ist behandeln wir in diesem Tagungsabschnitt als gut“, und nichts zu tun. ersten Beratungsgegenstand an dieser Stelle so- Danke schön. wohl die unstrittigen als auch die strittigen Einga- ben. Das ist ein neues Verfahren. (Beifall bei der SPD)

7308 Niedersächsischer Landtag - 16. Wahlperiode - 58. Plenarsitzung am 19. Januar 2010

Präsident Hermann Dinkla: Clemens Große Macke (CDU): Ich erteile dem Kollegen Meyer von der Fraktion Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch Bündnis 90/Die Grünen das Wort. ich spreche zu dieser Petition. Meine Fraktion be- antragt „Sach- und Rechtslage“, weil erstens die Christian Meyer (GRÜNE): Belange der Petentin im Genehmigungsverfahren berücksichtigt und abgewogen werden, weil zwei- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch tens die Grenzwerte erheblich unterschritten wer- die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unterstützt die den und weil zusätzlich noch freiwillige Maßnah- Petition gegen zwei Legehennenfabriken im Land- men vom Investor angeboten werden. Wir bean- kreis Osnabrück, weil sie eine schwere Belastung tragen „Sach- und Rechtslage“ auch deshalb, weil für die Anwohner, die Umwelt und die Tiere dar- derjenige, der überhaupt noch eine Entwicklung in stellen. Zum einen halten wir die Haltungsform für der Landwirtschaft und im ländlichen Raum will, zu eine Qualhaltung und für nicht tierschutzgerecht. keinem anderen Beschluss kommen kann. Die Normenkontrollklage vor dem Bundesverfas- sungsgericht ist ja noch nicht entschieden. Zum (Beifall bei der CDU und der FDP) anderen halten wir die Gefährdung der menschli- chen Gesundheit und der Umwelt durch solche Präsident Hermann Dinkla: riesigen Agrarfabriken für nicht ausgeräumt. Die Petentin soll mindestens 15 % der Jahresstunden Zu dieser strittigen Eingabe liegen keine weiteren unter ätzendem Kotgestank leiden. Auch Stäube, Wortmeldungen vor. Keime und Ammoniak beeinträchtigen Mensch und Landschaft. Ich erteile jetzt der Kollegin Zimmermann von der Fraktion DIE LINKE das Wort zur strittigen Eingabe Ich möchte an dieser Stelle noch darauf hinweisen, 769. Bitte! dass seit Januar 2010 eine EU-Richtlinie Deutsch- land dazu verpflichtet, die Schadstoffmengen signi- Pia-Beate Zimmermann (LINKE): fikant zu senken. Nach Zahlen des Umweltministe- riums in Niedersachsen wird die zulässige Emissi- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht onshöchstmenge bei Ammoniak jedoch um mehr um einen Abschiebestopp für syrische Jesiden. Es als 60 000 t überschritten. Neue Agrarfabriken, wie wurde ein Rückübernahmeabkommen - bei diesem sie überall im ganzen Land geplant sind, sind da- Wort bricht man sich fast die Zunge - abgeschlos- mit nicht mehr vereinbar. Das Massentierhaltungs- sen, obwohl die Bundesregierung über die massi- land Nummer eins, nämlich Niedersachsen, werde ven Menschenrechtsverletzungen informiert ist. dadurch zunehmend unter Druck geraten, schreibt Kurden, aber auch Jesiden und jegliche andere das Umweltministerium. Das deshalb eingerichtete politische Oppositionen werden in Syrien verfolgt. Messprogramm Passamoni wird aber erst im Diskriminierung, Verschleppung, Folter, Gefängnis Herbst 2010 zuverlässige Daten zur Ammoniakbe- und Tod sind die Folgen. lastung in Niedersachsen ermitteln. Die Beantwortung einer Kleinen Anfrage unserer In Anbetracht dessen halten wir die Genehmigung Bundestagsfraktion hat zum Vorschein gebracht, zusätzlicher Megaställe in Niedersachsen für einen dass die Bundesregierung sehr wohl in Kenntnis erheblichen Verstoß gegen die EU-Richtlinie zu dieser Tatsachen ist. Vielleicht hat es ja deshalb Ammoniak, für einen Verstoß gegen den Tier- einen Brief an die Länder gegeben, worin aufge- schutz und auch, wie eben angesprochen worden fordert wird, dafür zu sorgen, dass Menschen, die ist, für ein Beispiel für einen Abbau von Bürger- von der Abschiebung nach Syrien bedroht sind, rechten der Anwohner gegen solche Anlagen. einen Folgeantrag stellen können, welcher dann Deshalb bitten wir um Unterstützung des Anliegens mit dem BAMF, dem Bundesamt für Migration und der Petentin. Flüchtlinge, abgestimmt werden soll.

(Beifall bei den GRÜNEN) Vor diesem Hintergrund beantragen wir Berück- sichtigung. Präsident Hermann Dinkla: Danke schön. Ich erteile dem Kollegen Große Macke von der CDU-Fraktion das Wort. (Beifall bei der LINKEN)

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Präsident Hermann Dinkla: ermöglichen und uns dann entsprechend zu infor- Ich erteile dem Kollegen Bachmann von der SPD- mieren. Fraktion das Wort. Viele von Ihnen haben heute über die Medien mit- bekommen, dass das Unwort des Jahres 2009 Klaus-Peter Bachmann (SPD): gewählt worden ist. Ganz eng in der Auswahl war Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und ein Wort, das die Kanzlerin letztes Jahr in einem Herren! Der Arbeitskreis Integration meiner Frakti- Vortrag bei der Bertelsmann-Stiftung erwähnt hat, on hat vor Kurzem ein Gespräch mit den jesidi- nämlich das Wort „Flüchtlingsbekämpfung“. Ich schen Vereinen Niedersachsens geführt und dabei erwähne dies deshalb - es ist zwar nicht Unwort die Erkenntnisse vertieft bekommen, die aus dieser des Jahres geworden, sondern hat nur den zwei- Petition hervorgehen, nämlich dass es mehr als ten Platz errungen -, weil gerade dieses Wort zeigt, bedenklich ist, jetzt sozusagen ungeprüft Abschie- welches Verständnis die CDU, die CSU, die Lan- bungen vorzunehmen. Insofern ist es sehr zu be- desregierung, aber auch die Bundesregierung und grüßen, dass der Bundesinnenminister das Rück- die Bundesvorsitzende der CDU von einer humani- übernahmeabkommen durch eine Verfügung, tären Verantwortung gegenüber zunehmenden durch einen Erlass ausgesetzt und an die Länder Flüchtlingsströmen und von einer Verantwortung das Verfahren herangetragen hat, das die Kollegin gegenüber Flüchtlingen haben. Zimmermann eben erläutert hat. (Ingrid Klopp [CDU]: Jetzt reicht es Da es hier um keinen Einzelfall, sondern um eine aber!) pauschale Petition geht, kann der Niedersächsi- Diese Petition - Herr Bachmann hat es gesagt - sche Landtag heute weder „Berücksichtigung“ steht exemplarisch für eine Gruppe, die in Syrien noch „Sach- und Rechtslage“ beschließen; beides verfolgt wird. Es ist wirklich absurd, dass, obwohl wäre unangemessen. Wir würden mit „Sach- und das Auswärtige Amt in seinem Lagebericht Rechtslage“ konterkarieren, dass es diese Wei- schreibt, dass die Menschenrechtssituation in Sy- sung des Bundesinnenministers gibt. Deswegen rien kritisch ist, mit einem solchen Staat, der von halten wir es für angemessen, „Erwägung“ zu be- vielen Organisationen, auch vom Hohen Flücht- schließen, was dazu führen würde, dass dem Par- lingskommissariat, als „Folterstaat“ bezeichnet lament nach Durchführung der Nachprüfungen wird, ein Rückführungsabkommen geschlossen durch das BAMF, wie eben erläutert, darüber zu wird. Das ist der erste Punkt. berichten wäre, wie die Landesregierung mit einer solchen Meinungsäußerung des Parlaments um- Der zweite Punkt ist, dass sich das Verwaltungsge- geht. richt Osnabrück mit einem Abschiebefall beschäf- tigt hat, den wir hier im Landtag thematisiert ha- Bei Einzelfällen müssten wir jeden Einzelfall prü- ben, nämlich mit einer 25-jährigen schwangeren fen, aber bei einer pauschalen Petition ist das so Jesidin, die die Landesregierung abgeschoben hat. nicht möglich. Deswegen haben wir diesen Kom- promiss vorgeschlagen, der im Innenausschuss Ich habe einen Brief an den Ministerpräsidenten zumindest die Unterstützung der Fraktion der Grü- geschrieben, auf den ich noch immer keine Ant- nen gefunden hat. wort bekommen habe. Ich habe auch an die Sozi- alministerin geschrieben, weil sie eine Verantwor- Wir bitten den Landtag, diesem Antrag zu folgen. tung gegenüber Frauen hat, die in diesem Land verfolgt werden. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei den GRÜNEN) Präsident Hermann Dinkla: In diesem Fall hat das Verwaltungsgericht in sei- Ich erteile der Kollegin Polat von der Fraktion nem Urteil gesagt: Wir können in das Land nicht Bündnis 90/Die Grünen das Wort. abschieben. - Deshalb gibt es jetzt einen Erlass des Bundesministers des Innern. Einige Länder Filiz Polat (GRÜNE): haben mit einem Erlass reagiert. Nur unser Innen- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und minister versucht durch eine Verwässerung der Herren! Auch wir haben einen Änderungsantrag zu Sach- und Rechtslage in diesem Erlass wieder, dieser Petition eingebracht und empfehlen dem den Ausländerbehörden keine sachliche Prüfung Landtagsplenum, sie der Landesregierung zur möglich zu machen; denn es wird weiterhin abge- Erwägung zu überweisen, um eine Prüfung zu schoben.

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Wir wollen mit dieser Petition, die die Jesiden auf Lagebild erstellt, und zweitens alle Landesregie- den Weg gebracht haben, die Möglichkeit eröffnen, rungen gebeten, darauf hinzuwirken, dass jetzt durch einen Abschiebestopp sowohl den Betroffe- nicht einfach nach geltender Rechtslage abge- nen als auch den Ausländerbehörden Rechtssi- schoben wird, sondern jeder Einzelfall wirklich cherheit zu bieten, damit sie genau wissen, dass noch einmal überprüft wird. Ich habe mich erkun- jetzt nicht abgeschoben werden darf - es werde digt und dabei Folgendes festgestellt: Das nieder- sorgfältig geprüft, so das Bundesministerium des sächsische Innenministerium hat die Ausländerbe- Innern -, und damit den Menschen der Weg des hörden angewiesen, dafür zu sorgen, dass die Asylfolgeantrags ermöglicht werden kann. Dies Einzelfälle überprüft werden. Meiner Meinung nach versuchen wir mit unserem Petitum der Erwägung. kommt es hier nicht so sehr darauf an, ob man „Sach- und Rechtslage“, „Erwägung“ oder sonst Ich hoffe, dass Sie sich doch noch dazu durchrin- etwas beschließt, sondern es kommt vielmehr gen können. Ich habe vorhin mit Herrn Oetjen ge- darauf an, dass sichergestellt wird, dass diesen sprochen. Darin ist mir zumindest von der FDP- Menschen geholfen wird und dass verhindert wird, Fraktion ein Entgegenkommen signalisiert worden. dass durch eine Abschiebung eine Gefahr für Leib Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. und Leben dieser Personen entsteht. Wenn das sichergestellt ist, können wir hier durchaus be- (Beifall bei den GRÜNEN) schließen, nach Sach- und Rechtslage zu verfah- ren. Präsident Hermann Dinkla: Frau Polat, ich habe eine Bitte. Man kann hier über Ich erteile Herrn Kollegen Biallas von der CDU- alles sachlich und vernünftig reden, zumal es um Fraktion das Wort. die betroffenen Menschen geht. Ich hätte mir aller- dings gewünscht, dass Sie hier Ihre Polemik gegen Hans-Christian Biallas (CDU): die Bundeskanzlerin oder Mitglieder der Bundes- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und regierung unterlassen. Das hilft den betroffenen Herren! Zunächst einmal möchte ich sagen, dass Syrern am allerwenigsten. die Einschätzung der Lage in Syrien, wie ich glau- be, unstrittig ist. Sie entspricht in der Tat dem, was (Beifall bei der CDU und bei der FDP) Frau Polat hier richtigerweise dargestellt hat, näm- Präsident Hermann Dinkla: lich dem Lagebild, das das Auswärtige Amt erstellt hat. Wir haben uns in dieser Hinsicht noch einmal Zu einer anderen strittigen Eingabe, der Eingabe erkundigt. 928 betreffend Abschaffung der Studiengebühren, erteile ich Herrn Kollegen Poppe von der SPD- Wir haben im Innenausschuss ja beschlossen, Fraktion das Wort. „Sach- und Rechtslage“ zu empfehlen. Wir haben dies übrigens deshalb beschlossen - das will ich Claus Peter Poppe (SPD): hier noch einmal deutlich sagen -, weil in der Peti- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich tion ein genereller Abschiebestopp gefordert wird. spreche, wie angekündigt, zu der Eingabe 928, Damit ist das Problem aber nicht gelöst; denn ein eingereicht von der Klasse 9 f des Artland-Gym- genereller Abschiebestopp kann immer nur höchs- nasiums in Quakenbrück. Diese Klasse fordert die tens für ein halbes Jahr verhängt werden. Es ist Abschaffung der Studiengebühren bzw. - dies ist sicherlich auch im Sinne der einzelnen Betroffenen die Mindestforderung - die Senkung der Studien- vernünftiger - Sie haben ja eben einen Fall ge- gebühren. Die SPD-Fraktion empfiehlt diese Petiti- nannt -, dass es eine Chance gibt, in jedem Einzel- on zur Berücksichtigung. Ich will unsere Empfeh- fall durch das Bundesamt noch einmal überprüfen lung in aller Kürze begründen. zu lassen, ob ein dauerhafter Aufenthalt oder ein zeitlich begrenzter Aufenthalt möglich ist, ob man Erstens. Das, was die Schülerinnen und Schüler also im Einzelfall jeweils helfen kann. Ein generel- fordern, ist seit Jahren übereinstimmende Position ler Abschiebestopp - das ist eigentlich der Grund, in der SPD-Fraktion. weshalb wir uns für Sach- und Rechtslage ausge- Zweitens. Es wird Zeit, dass auch die Niedersäch- sprochen haben - hilft dort aber nicht weiter. sische Landesregierung klüger wird und ihre ver- Ein zweiter Punkt. Das Bundesinnenministerium fehlte Hochschulpolitik in Bezug auf die Studien- hat alle Landesregierungen erstens darüber infor- gebühren korrigiert. miert, dass das Auswärtige Amt derzeit ein neues

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(Beifall bei der SPD und bei der LIN- abzuschaffen. Diese Forderung teilen wir völlig. Es KEN) sind sehr viele gute Argumente dafür angeführt worden. Zwei andere Bundesländer haben das inzwischen getan, nämlich Hessen und das Saarland. Beides (Beifall bei der LINKEN) sind keine roten Frontstaaten. Andere Bundeslän- Die Landesregierung zieht sich oft darauf zurück, der haben Studiengebühren nie eingeführt. Der dass man abwarten müsste, was bei der Evaluati- Hintergrund war bei diesen u. a. eine erkennbare on, die uns ja bis Mitte des Jahres vorgelegt wer- Tendenz zur Abwanderung in andere Bundeslän- den soll, herauskommt. Das Problem bei dieser der ohne Studiengebühren. Das wiederum hat Evaluation ist, dass bereits heute feststeht, dass ganz eindeutig etwas mit dem Abschreckungsef- sich die Landesregierung weigert, eine ergebnisof- fekt zu tun, der insbesondere bei Betroffenen aus fene Evaluation vorzunehmen. Deshalb kann ich nicht sehr begüterten Elternhäusern deutlich zu Ihnen schon jetzt sagen: Sie sollten sich nicht zu verzeichnen ist. Ich brauche in diesem Zusam- früh freuen. Die Landtagswahlen in Nordrhein- menhang nicht die ausführlichen Debatten der Westfalen werden hoffentlich das Ergebnis brin- letzten Jahre in diesem Hause zu wiederholen. gen, dass Schwarz-Gelb abgewählt wird und da- Was die Wahrnehmung unter Schülerinnen und nach das bevölkerungsstärkste Bundesland die Schülern angeht, so ist diese Eingabe aber drittens Studiengebühren abschafft. Danach bleibt Nieder- ein Beispiel unter vielen dafür, dass die Regie- sachsen neben Bayern und Baden-Württemberg rungsfraktionen schiefliegen, wenn sie meinen, einsam in der Front derjenigen Bundesländer, die Schülerschaft und Studentenschaft hätten Stu- Studiengebühren erheben. Niedersachsen wird diengebühren inzwischen längst akzeptiert. Die sich dann genau überlegen müssen, ob man es Proteste des letzten Jahres und die Diskussionen weiterhin hinnehmen möchte, dass Schülerinnen in Besuchergruppen sprechen eine ganz andere und Schüler nicht zur Hochschule gehen, dass sie Sprache. nicht das Abitur machen, weil es für sie keinen Sinn mehr ergibt. Wir haben aus den Zeitungen zur (Beifall bei der SPD) Kenntnis genommen, dass die Abiturientenzahlen Ein vierter und letzter Punkt. Die Klasse 9 f der in Niedersachsen zurzeit rückläufig sind. Ich bitte erwähnten Schule hat Engagement gezeigt und in Sie, einmal darüber nachzudenken, woran das vorbildlicher Weise den parlamentarischen Weg liegt. gewählt, um ihr Anliegen zu verdeutlichen. Sie (Beifall bei der LINKEN und Zustim- verdient unsere Unterstützung. Deshalb plädieren mung bei der SPD - Karl-Heinz Klare wir für Berücksichtigung der Petition. [CDU]: Erklären Sie einmal, woran (Beifall bei der SPD und bei der LIN- das liegt!) KEN) Die andere Eingabe betrifft einen Petenten, der an der Berufsakademie in Lüneburg ein wirtschafts- Präsident Hermann Dinkla: wissenschaftliches Studium im dualen System Zu dieser strittigen Eingabe und zu einer weiteren absolviert und dafür Studiengebühren in Höhe von Eingabe, nämlich der Eingabe 1272, erteile ich 205 Euro pro Monat zahlen muss. Es ist üblich, Herrn Kollegen Perli von der Fraktion DIE LINKE dass diese Gebühren von dem Unternehmen das Wort. übernommen werden, in dem jemand die Ausbil- dung macht. Es gibt allerdings - darauf weist die Victor Perli (LINKE): Landesregierung auch hin - in den letzten 20 Jah- ren drei Fälle, in denen das Unternehmen die Kos- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den ten von 205 Euro pro Monat nicht übernommen beiden Eingaben, zu denen ich hier jetzt Stellung hat. nehmen möchte, geht es jeweils um das Recht auf gebührenfreie Bildung. In der einen Eingabe - dazu Der Petent bemängelt erstens, dass kein BAföG hat Herr Poppe eben bereits Stellung bezogen - zur Verfügung steht, und zweitens, dass er machen sich die Schülerinnen und Schüler einer Schwierigkeiten hat, sein tagtägliches Überleben neunten Klasse bereits vier Jahre, bevor sie eine zu sichern. Es ist problemlos möglich, dass wir als Hochschule besuchten können, Gedanken dar- Niedersächsischer Landtag das Niedersächsische über, ob sie sich die Studiengebühren leisten kön- Berufsakademiegesetz dahin gehend ändern, dass nen. Diese Klasse fordert, die Studiengebühren die Gebührenfreiheit per Gesetz festgelegt wird,

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indem einfach der folgende Satz eingefügt wird: bildung machen, haben, wenn sie anschließend an Die staatliche Anerkennung einer Berufsakademie eine Universität gehen, noch die Möglichkeit, wird nur erteilt, solange die Gebühren generell vom BAföG zu beantragen; ihr Anspruch ist nicht be- Arbeitgeber getragen werden. - Das sollten wir tun. reits verwirkt, sondern kann neu aufleben. Ich schlage daher vor, der Landesregierung diese In diesem Sinne bleiben wir bei „Sach- und Eingabe als Material zu überweisen. Rechtslage“. Vielen Dank. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der CDU - Karl-Heinz Klare [CDU]: Herr Perli, so einfach ist das Präsident Hermann Dinkla: Leben nicht!) Ich erteile Herrn Kollegen Dreyer von der CDU- Fraktion das Wort. Präsident Hermann Dinkla: Ich erteile dem Kollegen Nacke von der CDU-Frak- Christoph Dreyer (CDU): tion das Wort. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Perli, ich knüpfe an die Petition an, die Sie zum Jens Nacke (CDU): Schluss erwähnt haben, nämlich an die Petition Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 01272/05/16 zur Berufsakademie. Man sollte die Auch ich möchte kurz das Wort zu der Petition der Sachlage vielleicht doch etwas differenzierter und 9. Klasse aus dem Artland ergreifen. Diese Petition genauer darstellen. hat uns über den Bundestag erreicht, da sie zu- Berufsakademien sind erstens keine Schulen im nächst fehlerhaft adressiert war. Der Bundestag Sinne des Niedersächsischen Schulgesetzes und hat sie zuständigkeitshalber an uns weitergeleitet. natürlich auch keine Hochschulen im Sinne des Im Ausschuss waren wir uns wohl einig, dass es Niedersächsischen Hochschulgesetzes. Damit sich dabei um eine praktische Übung einer Schul- lassen sich diese Berufsakademien auch nicht klasse handelt. einer Fördermöglichkeit aus dem Bereich des BAföG zuordnen. (Frauke Heiligenstadt [SPD]: Wie bit- te?) Zu einer Änderung dieser Konstruktion besteht eigentlich auch gar kein Anlass. Die Studierenden Nichtsdestotrotz ist das Thema wichtig genug, an den Berufsakademien erhalten üblicherweise sodass sich die Schüler dieses Themas ange- Ausbildungsvergütungen, und zwar in einer Höhe, nommen haben. Wir haben es in diesem Hause oft die im Regelfall über dem BAföG liegt und insofern genug diskutiert. Insofern sind die Argumente, die auch eine Förderung nach dem BAföG aus- vonseiten der Fraktion der SPD und vonseiten der schließt. Linken gekommen sind, keine neuen. (Karl-Heinz Klare [CDU]: Genau so ist Es gibt keine Belege dafür, dass Studienbeiträge es!) in Niedersachsen abschreckend sind. Es gibt keine Belege dafür, dass Studierende aus Familien mit Es wurde bereits erwähnt, dass solche Fälle wie einem geringeren Einkommen als andere weniger der hier dargestellte Fall äußerst selten sind. Das bzw. seltener ein Studium in Niedersachsen auf- ist richtig. Herr Perli, was Sie hier fordern, ist im nehmen als andere. Sie wissen, dass es die Mög- Kern eine Enteignung der Unternehmen, die sol- lichkeit des Studiendarlehens gibt, dass also kein che Ausbildungsplätze anbieten. Studierender durch Studienbeiträge davon ab- gehalten wird, sein Studium in Niedersachsen (Lachen bei der LINKEN) aufzunehmen. Das ist mehrfach entschieden wor- Meine Damen und Herren, wir haben in Deutsch- den. Mehrfach sind Gerichtsverfahren gegen Stu- land nach wie vor Vertragsfreiheit. Die Lösung, die dienbeiträge entsprechend entschieden worden. dort gefunden wurde, liegt in der Ermessens- und Sie wissen, dass es eine Evaluierung der Studien- Entscheidungsfreiheit der Vertragspartner. In sie beiträge geben wird. Sie wissen, dass es einen sollten wir auch nicht eingreifen. Zukunftsvertrag II mit den Hochschulen gibt, in Noch etwas Positives aus dieser ganzen Konstruk- dem wir uns verpflichtet haben. Die Evaluierung tion: Diejenigen, die eine solche duale Berufsaus- jetzt bereits als nicht ergebnisoffen zu bezeichnen,

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halte ich für verfehlt. Warten wir einmal ab, was ten Überzeugung - das haben auch die Bildungs- dabei herauskommt! proteste gezeigt -, dass die überwiegende Mehr- heit in diesem Lande gegen Studiengebühren ist. Wir empfehlen „Sach- und Rechtslage“. (Beifall bei der LINKEN) Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP) Präsident Hermann Dinkla: Herr Kollege, ich darf Sie unterbrechen. Ich möch- Präsident Hermann Dinkla: te Sie bitten, Ihre Wortwahl - „ausgewählter Hau- Ich erteile dem Kollegen Professor Zielke von der fen“ - zu überdenken und gegebenenfalls hier zu FDP-Fraktion das Wort. korrigieren. Ich halte sie für unangemessen.

Professor Dr. Dr. Roland Zielke (FDP): Victor Perli (LINKE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Herr Präsident, das Wort nehme ich zurück und Poppe, ich kann natürlich verstehen, dass das spreche stattdessen von einem ausgewählten Artland-Gymnasium in Quakenbrück Ihre besonde- Kreis, der vielleicht aus Jungen Liberalen bestan- re Aufmerksamkeit genießt und dass Sie den Peti- den hat. Wer weiß! tionen, die von dort kommen, besonders positiv gegenüberstehen. (Christian Dürr [FDP]: Können Sie einmal versuchen, sachlich zu blei- Ich möchte trotzdem die Gelegenheit nutzen, von ben?) einer Begegnung mit Studierenden der Fachhoch- schule Wilhelmshaven zu berichten, die ich vor Ich möchte aber noch ganz kurz auf den Herrn einigen Tagen hatte. Dabei sind wir durch Zufall Kollegen Dreyer eingehen. Herr Dreyer, wenn Sie auf Studienbeiträge zu sprechen gekommen. Da sagen, dass ein Gesetz - das wir vorschlagen habe ich dann erfahren können, dass diese Stu- möchten -, wonach Berufsakademien von den dienbeiträge jedenfalls von denen, mit denen ich Studierenden keine Studiengebühren erheben dort gesprochen habe, durchaus akzeptiert und als dürfen, sondern nur von den Ausbildungsunter- vernünftig und sinnvoll angesehen werden. nehmen, eine Enteignung bedeuten würde, dann stelle ich fest, dass Sie stattdessen für die Enteig- Insofern glaube ich Ihnen nicht, dass die Evaluati- nung von Studierenden sind, weil die ja im Zweifel on der Studienbeiträge die vernichtenden Ergeb- dafür zahlen sollen. nisse bringen wird, die Sie jetzt voraussagen. Sie schätzen die Situation an den Hochschulen und (Beifall bei der LINKEN) die Sicht der Studierenden völlig falsch ein. Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass die Rege- Insofern bleiben wir bei „Sach- und Rechtslage“. lung, die wir hier vorschlagen, vollkommen durch (Beifall bei der FDP und bei der CDU) Artikel 14 des Grundgesetzes - Sozialpflichtigkeit des Eigentums - abgedeckt ist: Eigentum soll Präsident Hermann Dinkla: zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Ich erteile dem Kollegen Perli von der Fraktion DIE Vielen Dank. LINKE das Wort. (Beifall bei der LINKEN) Victor Perli (LINKE): Präsident Hermann Dinkla: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Professor Zielke, ich weiß nicht, mit was für einem Verehrte Kolleginnen und Kollegen, weitere Wort- ausgewählten Haufen Sie da gesprochen haben. meldungen liegen mir nicht vor. (Widerspruch bei der CDU und bei der Wir treten jetzt in die Abstimmungen ein. FDP) Ich rufe zunächst diejenigen Eingaben aus der Wir können zu dieser Frage der Studiengebühren 20. Eingabenübersicht in der Drs. 16/2070 auf, zu aber sehr gerne einen Volksentscheid durchführen denen keine Änderungsanträge vorliegen. Wer den und einmal gucken, wie das Volk in Niedersachsen Ausschussempfehlungen zu diesen Eingaben sei- bei der Frage abstimmen würde, ob das Studium ne Zustimmung geben kann, den ich bitte ich jetzt gebührenfrei sein sollte oder nicht. Ich bin der fes- um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimm-

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enthaltungen? - Den Empfehlungen wurde ein- sichtigung zu überweisen. Wir treten dazu in die stimmig gefolgt. Abstimmung ein. Wer diesem Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE seine Zustimmung geben Wir stimmen jetzt über diejenigen Eingaben ab, zu möchte, den ich bitte ich um ein Handzeichen. - denen Änderungsanträge vorliegen, über die wir Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit hat eben diskutiert haben. Ich rufe sie einzeln bzw. bei der Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE kei- gleichem Sachinhalt im Block auf und lasse zu- ne Mehrheit gefunden. nächst über die Änderungsanträge und, falls diese abgelehnt werden, über die Ausschussempfehlun- Wir kommen dann zu den Änderungsanträgen der gen abstimmen. Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der SPD, die Eingabe der Landesregierung zur Ich komme zunächst zur Eingabe 928. Sie betrifft Erwägung zu überweisen. Ich stelle diese beiden die Abschaffung bzw. Senkung der Studiengebüh- Anträge zur Abstimmung und bitte um ein Hand- ren. zeichen, wer diesen Anträgen seine Zustimmung Hierzu gibt es gleichlautende Änderungsanträge geben kann. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltun- der Fraktion DIE LINKE, der Fraktion Bünd- gen? - Diese Änderungsanträge der Fraktion nis 90/Die Grünen und der Fraktion der SPD, die Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der SPD Eingabe der Landesregierung zur Berücksichti- haben keine Mehrheit gefunden. gung zu überweisen. Wer diesen Änderungsanträ- Wir kommen dann zur Abstimmung über die Be- gen seine Zustimmung geben will, den bitte ich schlussempfehlung des Ausschusses, die Einsen- jetzt um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - derin über die Sach- und Rechtslage zu unterrich- Stimmenthaltungen? - Damit haben die Ände- ten. Ich bitte um ein Handzeichen, wer dieser Emp- rungsanträge keine Mehrheit gefunden. fehlung seine Zustimmung geben kann. - Gegen- Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be- stimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der schlussempfehlung des Ausschusses. Ich bitte um Beschlussempfehlung des Ausschusses gefolgt ein Handzeichen, wer dieser Beschlussempfehlung worden. die Zustimmung geben kann. - Gegenstimmen? - Wir kommen jetzt zur Eingabe 936. Hier geht es Stimmenthaltungen? - Der Beschlussempfehlung um Baugenehmigungen für eine Legehennenauf- des Ausschusses wurde gefolgt. zuchtanlage sowie eine Tierhaltungsanlage für Wir kommen jetzt zur Eingabe 1272. Sie betrifft Legehennen im Landkreis Osnabrück. Ausbildungsförderung im dualen Studiengang. Hierzu liegen gleichlautende Änderungsanträge Hier geht es um einen Änderungsantrag der Frak- der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Frak- tion DIE LINKE, die Eingabe der Landesregierung tion der SPD vor, die Eingabe der Landesregie- als Material zu überwiesen. Wir treten in die Ab- rung als Material zu überweisen. Ich stelle diese stimmung ein. Ich bitte um ein Handzeichen, wer Änderungsanträge zur Abstimmung und bitte um diesem Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE ein Handzeichen, wer ihnen seine Zustimmung seine Zustimmung geben möchte. - Gegenstim- geben kann. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltun- men? - Stimmenthaltungen? - Damit hat der Ände- gen? - Die Änderungsanträge haben keine Mehr- rungsantrag der Fraktion DIE LINKE keine Mehr- heit gefunden. heit gefunden. Wir kommen dann zur Abstimmung über die Be- Wir kommen dann zur Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Ausschusses, die Einsen- schlussempfehlung des Ausschusses, den Ein- derin über die Sach- und Rechtslage zu unterrich- sender über die Sach- und Rechtslage zu unter- ten. Wer dieser Beschlussempfehlung des Aus- richten. Wer dieser Empfehlung seine Zustimmung schusses seine Zustimmung geben kann, den bitte geben möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist Stimmenthaltungen? - Damit ist der Beschluss- der Beschlussempfehlung des Ausschusses ge- empfehlung des Ausschusses gefolgt worden. folgt worden. Wir kommen jetzt zur Eingabe 1270. Sie betrifft Wir kommen jetzt zur Eingabe 769. Sie betrifft Haftung von Bergwerksbetreibern für von ihnen einen Abschiebestopp für syrische Jesiden. verursachte Schäden und daraus resultierende Folgekosten, hier Abbau durch die Firma Kali und Der Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE sieht Salz. vor, die Eingabe der Landesregierung zur Berück-

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Der Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die hervorgehoben zu werden. Die Arbeit in diesem Grünen lautet auf „Material“. Wer diesem Ände- Ausschuss an diesem Gesetz ist eines dieser Bei- rungsantrag seine Zustimmung geben möchte, den spiele. Nach meinem Eindruck haben wir zu jeder bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Zeit vertrauensvoll und konstruktiv zusammenge- Stimmenthaltungen? - Damit hat der Änderungsan- arbeitet und uns an der gemeinsamen Sache ori- trag keine Mehrheit gefunden. entiert. Deshalb dürfen wir mit dem Ergebnis über die Inhaltlichkeit hinaus zufrieden sein. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Ausschusses. Wer dieser Be- Vom Wie zum Was: Was das neue Niedersächsi- schlussempfehlung auf „Sach- und Rechtslage“ sche Richtergesetz an einzelnen Regelungen vor- seine Zustimmung geben kann, den bitte ich um sieht, um die richterliche Mitbestimmung zu stär- ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimment- ken, möchte ich in der mir zur Verfügung stehen- haltungen? - Damit ist der Beschlussempfehlung den Zeit nicht im Detail erläutern. Im Grundsatz des Ausschusses gefolgt. sind wir uns in diesen Punkten ja einig. Außerdem Wir haben diesen Tagesordnungspunkt damit ab- wird uns Herr Justizminister Busemann als Fach- geschlossen. mann und Initiator des Gesetzes dazu sicherlich noch einen Überblick geben. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 3 auf: Erlauben Sie mir aber einige Anmerkungen zu dem Änderungsantrag der SPD-Fraktion. Die SPD- Einzige (abschließende) Beratung: Fraktion will durch die Streichung des Wortes Entwurf eines Gesetzes zur Neufassung des „nicht“ in § 6 Abs. 2 des Niedersächsischen Rich- Niedersächsischen Richtergesetzes und zur tergesetzes die Brücke zu § 63 des Niedersächsi- Änderung des Niedersächsischen Personalver- schen Beamtengesetzes schlagen, der die Al- tretungsgesetzes - Gesetzentwurf der Landesre- tersteilzeit für Beamtinnen und Beamte regelt. Wer gierung - Drs. 16/660 - Beschlussempfehlung des den Gesetzestext des § 63 jedoch komplett liest, Ausschusses für Rechts- und Verfassungsfragen - der stellt fest, dass demnach Altersteilzeit nur ge- Drs. 16/2041 - Änderungsantrag der Fraktion der währt werden kann, wenn diese vor dem 1. Januar SPD - Drs. 16/2042 - Schriftlicher Bericht - 2010 begonnen hat. Insofern greift der von der Drs. 16/2046 SPD angestrebte Brückenschlag nicht. Hinzu kommt, dass wir - damit auch die Kollegin- nen und Kollegen der SPD-Fraktion - im Aus- Die Beschlussempfehlung des Ausschusses lautet schuss für Rechts- und Verfassungsfragen gehört auf Annahme mit Änderungen. haben, dass derzeit erste Überlegungen für ein Eine mündliche Berichterstattung ist nicht vorge- landesweites Konzept zur Lebensarbeitszeit lau- sehen. fen, das dann nicht nur die Richterinnen und Rich- Wir treten in die Aussprache ein. Ich erteile dazu ter, sondern auch die vielen Beamtinnen und Be- dem Kollegen Lammerskitten von der CDU-Frak- amten des Landes abdecken würde. Wir von der tion das Wort. Bitte schön! CDU-Fraktion begrüßen das ausdrücklich; denn es macht keinen Sinn, häppchenweise für jede Be- Clemens Lammerskitten (CDU): schäftigtengruppe Separatregelungen auf den Weg zu bringen. Sinnvoll ist allein ein einheitliches Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kolle- und abgestimmtes Konzept für alle Bediensteten gen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist ge- des Landes. Das müssen wir gemeinsam erarbei- schafft! Nach zahlreichen Sitzungen des Aus- ten, anstatt Unterschiede zwischen Richtern und schusses für Rechts- und Verfassungsfragen, nach Beamten künstlich herzustellen. einer umfangreichen Expertenbefragung im März letzten Jahres, nach intensiven Diskussionen mit Das Gleiche gilt für den Vorschlag der SPD- den Kolleginnen und Kollegen und dem Nieder- Fraktion, Richterinnen und Richtern das Hinaus- sächsischen Justizministerium liegt Ihnen der Ent- schieben der Altersgrenze bis zum 67. Lebensjahr wurf für ein Niedersächsisches Richtergesetz zur zu ermöglichen. Warum das nötig ist und warum Entscheidung vor. In diesem Hause ist in jüngster die Altersgrenze dann nicht gleich 1 : 1 an das Zeit viel über Stil und den Umgang miteinander Beamtenrecht mit seinen 68 Jahren - § 63 Nieder- geredet worden, und zwar zu Recht. Im Gegenzug sächsisches Beamtengesetz - angepasst wird, verdienen es aber auch positive Beispiele, einmal kann ich der Antragsbegründung nicht entnehmen.

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Zudem fehlt es dem Änderungsantrag an einem Sie haben es schon getan, Herr Kollege Lam- schlüssigen Gesamtkonzept für alle Bediensteten merskitten, aber ich möchte es noch einmal beto- des Landes. Lassen Sie uns in den nächsten Mo- nen, weil ich es für nicht ganz unbedeutend halte: naten gemeinsam an einem solchen Konzept ar- Die Beratungen waren sehr sachbezogen. Ich beiten! finde, die lange Zeitdauer der Beratung ist an die- ser Stelle ausdrücklich kein Manko, sondern ein Ebenso wenig ist in dem Antrag eine Begründung Ausweis für Gründlichkeit und Sorgfältigkeit bei dafür zu finden, dass personelle Maßnahmen mit Gesetzesberatungen. zweifelsohne - ich zitiere aus der Antragsbegrün- dung - „erheblichen Auswirkungen“, die kraft Ge- Viele der nun vorliegenden Veränderungen im setzes jedoch der Zustimmung der Richterinnen Vergleich zum Ausgangsentwurf sind einmütig und Richter bedürfen oder die de facto nur im Ein- beschlossen worden und das Ergebnis dieser Be- vernehmen mit der oder dem Betroffenen erfolgen, ratungen. Der Gesetzentwurf stellt zwar eine Ver- künftig der Mitbestimmung unterliegen sollen. Aus besserung dar, aber er ist kein großer Wurf. Das unserer Sicht sollten wir es bei der fein abgestimm- will ich hier auch ganz deutlich sagen. ten und sachgerechten Balance zwischen Mitbe- stimmung und Benehmen belassen. Ein Beteili- Ich möchte das gern an einigen Beispielen deutlich gungsdefizit der Richtervertretung vermag ich darin machen, die auch Sie schon angesprochen haben, nicht zu erkennen. Herr Kollege, und zwar an dem Änderungsantrag der SPD. Da verstehe ich auch Ihre Kritik in weiten Mir persönlich fällt es leicht, heute dem Entwurf Teilen überhaupt nicht. Ein Beispiel: Sie haben in eines neuen Niedersächsischen Richtergesetzes, Ihrer Rede gerade zu Recht angemahnt, dass der so wie er ist, meine Stimme zu geben. So, wie wir Grundsatz gelten muss, dass die Richterinnen und es hier formuliert haben, sind Land und Richter- Richter ähnliche Bedingungen wie die niedersäch- schaft mit diesem Gesetz für die Zukunft gut auf- sischen Beamten nach dem Niedersächsischen gestellt. Dieses Gesetz und ganz konkret die Stär- Beamtengesetz erhalten müssen. Aber genau das kung der Mitbestimmungsrechte der Richterschaft möchte doch die SPD-Fraktion mit ihrem Ände- wird - davon bin ich fest überzeugt - ein Gewinn für rungsantrag in § 6 bei der Frage der unterhälftigen das Land und die niedersächsische Richterschaft Teilzeit herstellen. Da geht es um die Frage, ob wir sein. Es war gut, daran erfolgreich mitgearbeitet zu auch Richterinnen und Richtern ermöglichen wol- haben. len, zugunsten ihrer Familie - also zugunsten von Kindern oder auch zur Pflege von älteren Angehö- Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. rigen, Eltern, Onkeln, Tanten - auch weniger als (Beifall bei der CDU und bei der FDP) 50 % zu arbeiten. Das haben Sie im Ausschuss abgelehnt. Ich muss sagen, ich kann Ihre Begrün- Präsident Hermann Dinkla: dung dafür überhaupt nicht nachvollziehen. Natür- lich mag das im richterlichen Dienst im Einzelfall Ich erteile dem Kollegen Limburg von der Fraktion organisatorisch nicht ganz einfach sein; aber das Bündnis 90/Die Grünen das Wort. ist es auch an anderen Stellen nicht. Dennoch appellieren wir alle doch immer wieder an Betriebe, Helge Limburg (GRÜNE): möglichst viel Familienfreundlichkeit sicherzustel- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der len. Warum soll für Richterinnen und Richter etwas vorliegende Gesetzentwurf zur Neufassung des anderes gelten? - Wir Grüne unterstützen jeden- Niedersächsischen Richtergesetzes ist - das hat falls auch an dieser Stelle den Antrag der SPD für mein Kollege Lammerskitten bereits angespro- mehr Familienfreundlichkeit. chen - das Ergebnis ausführlicher und sachlicher (Beifall bei den GRÜNEN und bei der Beratungen in diesem Parlament. Der Gesetzent- SPD) wurf ist am 12. November 2008, also vor über ei- nem Jahr, von der Landesregierung in den Land- Meine Damen und Herren von CDU und FDP, Sie tag eingebracht und dann vom Rechtsausschuss scheinen stets von dem Grundsatz geleitet worden mit großartiger Unterstützung des GBD ausführlich zu sein: Ein Schritt hin in Richtung zu mehr richter- und gründlich beraten worden. licher Mitbestimmung und sofort ein halber Schritt wieder zurück. Besonders deutlich wird das an (Zustimmung von Professor Dr. Dr. dem Verhältnis von Benehmenstatbeständen und Roland Zielke [FDP]) echten Mitbestimmungstatbeständen. Da haben

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Sie für sich ganz einfach festgestellt: In Zweifelsfäl- mung auszubauen und damit die unabhängige len, also wenn ein Sachverhalt entweder der Mit- dritte Gewalt zu stärken. Der vorliegende Gesetz- bestimmung oder dem Benehmen unterliegen entwurf ist, gemessen an diesen Möglichkeiten, könnte, gilt nur das Benehmen, also das schwä- eher unzureichend. Einschränkungen der Mitbe- chere Instrument der Mitbestimmung. Zu Recht stimmung, die wir aus dem Modellkommunenge- fordert die SPD an der Stelle mit Unterstützung setz kennen und die leider in das Personalvertre- von uns Grünen, dass in Zweifelsfällen die Mitbe- tungsgesetz aufgenommen worden sind, wurden stimmung Vorrang haben muss. nun auch noch in das Richtergesetz übernommen, z. B. die Einschränkung der Mitbestimmung beim (Zustimmung bei der SPD) Sonderurlaub. Das wäre nicht nötig gewesen. Man Lassen Sie mich noch zu einer grundsätzlichen muss einen Fehler nicht unbedingt immer weiter Frage kommen. Der Gesetzentwurf erweitert die fortschreiben. Mitbestimmungsmöglichkeiten. Er rüttelt aber nicht Nächster Punkt: Das Verhältnis von Richterräten am grundsätzlichen Aufbau unserer dritten Gewalt. und Präsidialräten ist nach unserer Auffassung Jegliche Diskussion über mehr Autonomie, über nicht ausgewogen. Die Mitbestimmung sollte dort eine echte Selbstverwaltung in der Justiz vermei- angesiedelt sein, wo die Beteiligten die Personen den Sie, Herr Minister Busemann. Okay, Sie haben auch kennen, vor allem wenn es um die Mitbe- dazu im letzten Sommer eine öffentliche Veranstal- stimmung bei personellen Angelegenheiten geht. tung gemacht; das stimmt. Aber diese diente nach meinem Eindruck weniger dem offenen Meinungs- (Beifall bei der LINKEN) austausch als vielmehr der Bekräftigung Ihrer ab- lehnenden Haltung in dieser Frage. Durch die Grundgesetzänderung stand die Tren- nung von Richterräten und Präsidialräten eigent- Wir Grüne begrüßen dagegen ausdrücklich die lich zur Disposition. Das bedeutet, dass das Ver- Initiative von Dr. Till Steffen, dem grünen Justizse- hältnis von Richterrat und Präsidialrat neu hätte nator aus Hamburg, der in Hamburg eine breite gestaltet werden können, nach unserer Auffassung Debatte über eine echte Selbstverwaltung der so, dass die Richterräte mehr Rechte bekommen. Justiz angestoßen hat. Herr Busemann, auch Warum soll etwa bei der Versetzung oder Abord- wenn es Ihnen nicht gefällt: Sie werden sich dieser nung eines Amtsrichters vom Amtsgericht Leer Debatte nicht entziehen können. Sie werden ihr in zum Amtsgericht Emden der Präsidialrat, der für Niedersachsen nicht dauerhaft aus dem Weg ge- ganz Niedersachsen gebildet wird, mit entscheiden hen können. Mehr Autonomie, mehr Selbstverwal- und warum nicht z. B. der Richterrat beim überge- tung in der dritten Gewalt sind europäischer Stan- ordneten Landgericht Aurich? Das wäre sicherlich dard, und das aus gutem Grund. Die Justiz soll sinnvoller gewesen. und muss so unabhängig wie möglich agieren können. Wir müssen auch in Niedersachsen Wege (Beifall bei der LINKEN) finden, um Gerichte und Staatsanwaltschaften Aber auch die Mitbestimmung des Präsidialrates, nicht nur in der Rechtsprechung, sondern auch die im Verhältnis zum Richterrat relativ stark aus- organisatorisch stärker von der Exekutive zu tren- gestattet ist, wurde nachträglich eingeschränkt. Bei nen. Das sollte uns die Judikative wert sein. der Einstellung von Proberichtern soll es aufgrund Vielen Dank. eines Änderungsantrages, den die Fraktionen der CDU und der FDP im Laufe der Beratungen einge- (Beifall bei den GRÜNEN und bei der bracht haben, nur noch ein Informationsrecht ge- SPD) ben.

Präsident Hermann Dinkla: Die Richter wurden teilweise auch schlechter ge- stellt als Beamte - darauf ist schon hingewiesen Ich erteile dem Kollegen Adler von der Fraktion worden -: keine Altersteilzeit, keine unterhälftige DIE LINKE das Wort. Teilzeitbeschäftigung. Das ist bedauerlich. Richter können leider nicht wie Beamte beantragen, später Hans-Henning Adler (LINKE): in das Pensionsalter einzutreten. Natürlich hätte Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und man die Regelung des Beamtengesetzes hier nicht Herren! Die Grundgesetzänderung aus dem Jahre 1 : 1 übernehmen können. Wegen der richterlichen 2006 gab diesem Parlament die Chance, das Rich- Unabhängigkeit kann es keine Ermessensent- tergesetz zu reformieren, die Richtermitbestim- scheidung des Dienstherrn geben. Aber man hätte

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es so regeln können, wie es die SPD-Fraktion auch für den vorliegenden Gesetzentwurf gelten vorgeschlagen hat, dass nämlich ein Richter einen würde. Leider ist das nicht der Fall. Anspruch darauf hat, bis zum 67. Lebensjahr zu Es bestand die Chance - diese war durchaus vor- arbeiten. handen -, zu einem progressiven, modernen Rich- Nachteilig ist auch, dass es keine Mussvorschrift tergesetz zu kommen. Die Regierungsfraktionen hinsichtlich der Stellenausschreibung bei Richter- haben diese Chance jedoch vertan. Genau aus stellen gibt. Auch insoweit ist der Status quo, das diesem Grunde haben wir zur heutigen Beratung bisherige Recht, besser. einen Änderungsantrag vorgelegt. Damit hat jede und jeder im Plenum die Wahl zwischen einem Zum Schluss noch eine Bemerkung zur Übernah- bestenfalls mittelmäßigen Entwurf und dem mo- me der Staatsanwaltschaften in das Richtergesetz: dernen Entwurf eines Richtergesetzes von der Das halten wir gar nicht für gut; denn meiner Mei- SPD-Fraktion. Herr Kollege Lammerskitten, Sie nung nach sind Staatsanwaltschaften Teil der können sich drehen und wenden, wie Sie wollen: Exekutive. Sie gehören damit nach der Gewalten- Mit dem Änderungsantrag werden die inhaltlichen teilung in den Geltungsbereich des Personalvertre- Unterschiede, die wir aufgeschrieben haben, sehr tungsrechts. deutlich. Es wird klar, wofür die SPD-Fraktion (Zustimmung von Dr. Manfred Sohn steht, und es wird klar, was die Fraktionen von [LINKE]) CDU und FDP alles nicht gewollt haben. Dazu einige Beispiele. Von der Unabhängigkeit der Staatsanwälte halten wir nichts; denn wir wollen einen Justizminister Fangen wir bei der Frage an, ob Planstellen aus- z. B. dann in die Pflicht nehmen, wenn dort nicht geschrieben werden sollen oder müssen! Unsere ordentlich verfolgt wird, wo wir viel mehr Strafver- Positionierung hierzu ist eindeutig. Bisher gibt es folgung haben möchten, z. B. bei Wirtschaftskrimi- eine Regelung, welche eine Pflicht zur Ausschrei- nalität und Steuerhinterziehung. bung vorsieht. Hiervon brauchen wir nicht abzu- weichen. Gerade auf dem sensiblen Gebiet der Danke schön. Besetzung von Richterstellen ist allein schon zum (Beifall bei der LINKEN) Schutz der Richterinnen und Richter jeder mögli- cherweise aufkeimende Verdacht einer nicht ord- Präsident Hermann Dinkla: nungsgemäßen Besetzung von vornherein aus- schließbar, nämlich mit der Pflicht zur Ausschrei- Ich erteile dem Kollegen Tonne von der SPD- bung und damit der Gewährung von Transparenz. Fraktion das Wort. Warum das hier unnötigerweise aufgeweicht wer- den soll, erschließt sich nicht. Grant Hendrik Tonne (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Der zweite Unterschied betrifft die Frage, wie es heutigen Beratung geht - das haben wir gerade eigentlich mit der richterlichen Mitbestimmung schon gehört - ein langer Diskussionsprozess zu steht. Für uns ist die Möglichkeit zur Mitbestim- Ende. Ich danke daher vorab ganz herzlich dem mung ein wesentlicher Baustein in diesem Gesetz. Gesetzgebungs- und Beratungsdienst für die wirk- Wir wollen eine Stärkung der richterlichen Mitbe- lich gute fachliche Begleitung, insbesondere Herrn stimmung. Genau deswegen ist es nicht hinnehm- Hederich, der den gesamten Prozess mit begleitet bar, wenn auf Maßnahmen, die sowohl der Mitbe- hat. stimmung als auch dem Benehmen unterfallen, automatisch das schwächere Recht Anwendung (Beifall bei der SPD und bei den finden soll. Das ist nicht in Ordnung. Deshalb ha- GRÜNEN) ben wir vorgeschlagen, dort eine Einzelfallprüfung vorzusehen, sodass in Konkurrenzsituationen sehr Der lange Diskussionsprozess bedeutete in unse- wohl die Mitbestimmung und damit das stärkere rem Fall eine intensive Diskussion. Das war viel- Recht zum Tragen kommen kann. leicht nicht unbedingt vorhersehbar. Allerdings ist es meiner Ansicht nach der Sache absolut ange- (Beifall bei der SPD und Zustimmung messen. bei den GRÜNEN) Es gibt ein bekanntes Sprichwort, das lautet: Was Der Vorschlag, den Sie uns unterbreiten, ist in lange währt, wird endlich gut. - Ich kann nur sagen: hohem Maße anfällig für Manipulationen, da nach Es wäre schön gewesen, wenn dieses Sprichwort Ihrem Gesetzentwurf lediglich eine Konkurrenzsi-

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tuation zwischen Mitbestimmung und Benehmen diese Ansicht genommen wird, konnte niemand geschaffen werden muss, um Maßnahmen aus der erläutern. Mitbestimmung hinauszuwerfen. Sie können doch nicht ernsthaft glauben, dass wir einen solchen (Zurufe von der SPD: Unglaublich!) Vorschlag unterstützen. Im Übrigen fehlt in diesem Gesetzentwurf jeder Zur Stärkung der Mitbestimmung gehört ebenfalls, Hinweis, wie sich die Regierung und die Regie- dass wir Maßnahmen, die ursprünglich lediglich rungsfraktionen die richterliche Selbstverwaltung dem Benehmen unterliegen, der Mitbestimmung vorstellen. Das meinte ich mit meinem Hinweis auf unterwerfen. Abordnungen, Versetzungen von „bestenfalls mittelmäßig“. Wir haben das eben Richterinnen und Richtern, die dauerhafte Über- gerade gehört. In etlichen anderen Bundesländern tragung von Verwaltungsaufgaben oder die Über- diskutiert man intensiv die Möglichkeiten einer tragung weiterer Richterämter sind aus unserer Selbstverwaltung. In diesem Gesetzentwurf dazu Sicht für die berufliche Entwicklung der Betroffenen aber keine Idee und kein Hinweis! von großer Bedeutung und gehören damit ohne Das Justizministerium hatte im letzten Jahr immer- Wenn und Aber in den Bereich der Mitbestimmung. hin zu einer Tagung eingeladen. In der Überschrift (Beifall bei der SPD) stand noch etwas von Selbstverwaltung. Der Un- tertitel lautete sinngemäß: Ich bin dann mal weg. - Dritter Punkt. Welche Zuständigkeiten sollen die An der Stelle waren wir noch hoffnungsfroh und Präsidialräte eigentlich haben? - Da führen wir eine hofften auf interessante Vorschläge. Aber auch Anhörung durch, und der Präsidialratsvertreter hier kamen keine Visionen, hier kamen keine äußert sich wie folgt: Ideen, bestenfalls lediglich Realitätsparaphrasen.

„Die Erweiterung der Aufgaben des (Beifall bei der SPD) Präsidialrats ist mir ein Anliegen, dem der Entwurf nicht Rechnung getragen Ein letztes Beispiel für Verschlimmbesserungen ist hat.“ die Suche nach einer akzeptablen Bezeichnung für die Richtervertretungen an Amtsgerichten. Ur- Ich betone ausdrücklich: „Erweiterung“. Es ging sprünglich wollte man dort die Bezeichnung dabei um die Einschränkung in Bezug auf die Er- „Amtsgerichtssprecher“ wählen. Das war den Rich- nennung von Bewerbern zu Richterinnen und terinnen und Richtern - noch verständlich - zu nah Richtern auf Probe. Der Präsidialrat wünschte den an „Pressesprecher“. Wir haben dann den Begriff Wegfall der Einschränkung und die Zuständigkeit „Vertrauensperson“ vorgeschlagen, um einen gän- für jeden Fall. Der Vertreter der Verwaltungsrichter gigen und passenden Begriff zu wählen. Mehrheit- unterstützte diesen Vorschlag und hielt den Weg- lich wurde dann jedoch der Begriff der „Amtsge- fall der Einschränkung für wünschenswert. Der richtsrichtervertretung“ aufgenommen. Vorsitzende des Richterbundes hat in seiner Funk- tion als Vorsitzender des Hauptrichterrats die Aus- (Detlef Tanke [SPD]: Unwort des Jah- sage des Präsidialrats nachdrücklich unterstützt. res!) Der Vertreter der Neuen Richtervereinigung führte Das ist inhaltlich nicht besser, aber noch schlech- aus, dass er keinen Grund für die Einschränkung ter aussprechbar, meine Damen und Herren. sehe. Jetzt haben es Juristen ja immer gerne, Aussagen (Beifall bei der SPD) zu interpretieren. Diese Aussagen, die dort ge- Man könnte diese Aufzählung noch um die unter- macht worden sind, sind allerdings deutlich und schiedlichen Auffassungen zu Möglichkeiten der klar. In meinen Augen kann es nicht zwei ver- Altersteilzeit, einer flexiblen Altersgrenze oder zu schiedene Auslegungsmöglichkeiten geben. Trotz- den Bedingungen für die Arbeit der Richterräte und dem bekamen wir von den Mehrheitsfraktionen Präsidialräte ergänzen. Dafür reicht die Zeit leider einen Änderungsvorschlag vorgelegt, in dem - jetzt nicht aus. Ich kann Sie nur ermuntern: Stimmen höre man gut zu! - die Zuständigkeit komplett ge- Sie dem Änderungsantrag zu! Er ist eh viel besser. strichen wird. Man streicht nicht, was an sich lo- gisch wäre, die Einschränkung der Zuständigkeit, Herzlichen Dank. sondern die Zuständigkeit grundsätzlich und führt (Beifall bei der SPD - Zustimmung bei dann auch noch aus, das sei der eigentliche den GRÜNEN) Wunsch derer, die angehört worden sind. Woher

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Präsident Hermann Dinkla: von FDP und CDU beschlossen werden wird. Ver- Ich erteile dem Kollegen Professor Zielke von der wundert hat mich insbesondere der vorliegende FDP-Fraktion das Wort. Änderungsantrag der SPD, den sie erst nach Ab- schluss der Beratungen im Ausschuss gestellt hat. Professor Dr. Dr. Roland Zielke (FDP): Da gewinnt man den Eindruck, als habe die SPD jenseits aller sachlichen Argumente das Gesetz Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn aus politisch-taktischen Erwägungen in jedem Fall wir den Begriff des Staatsdieners einmal etwas ablehnen wollen. Sie haben erbittert nach Vorwän- großzügig fassen, dann gibt es unter diesen den für Ihre ablehnende Haltung gesucht, sind Staatsdienern einige Gruppen, denen die Gesell- aber offenbar nicht recht fündig geworden. schaft eine besondere Unabhängigkeit bei der Erfüllung ihrer Kernaufgaben garantiert. Dazu ge- (Zustimmung bei der CDU) hören Abgeordnete - nur ihrem Gewissen verant- wortlich -, Professoren - Forschung und Lehre sind Von Ihren acht Einzelvorschlägen - denn Punkt 6 frei - und eben Richter, die unbeeinflusst von an- und Punkt 7 bedingen sich gegenseitig - besteht deren Staatsorganen Recht sprechen. die Hälfte aus marginalen Änderungen wie der Ersetzung einer Frist von sieben Tagen durch eine Die Unabhängigkeit der Judikative ist eine der Frist von zehn Tagen oder sind, wie Sie selbst in tragenden Säulen unserer Demokratie. Sie macht Ihrer Begründung schreiben und zugeben, rein einen entscheidenden Unterschied zu autoritären semantischer Natur. und totalitären Regimen mit ihren Schauprozessen und ihrer politischen Justiz aus, wie es sie bis vor Zu den inhaltlichen Unterschieden: Sie wollen, 20 Jahren im sogenannten sozialistischen Teil dass Richterinnen und Richter Altersteilzeit wie Deutschlands gegeben hat. sonstige Beamte wahrnehmen können. Dabei blenden Sie allerdings einen Unterschied aus: Gerade wegen der Freiheit und Unabhängigkeit im Richter haben keine festen Dienststunden und Kern ihrer Tätigkeit bedürfen diese Berufsgruppen beziehen auch keinen Stücklohn pro erledigtem eines gesetzlichen Rahmens für ihre Tätigkeit und Fall. Aber Ihre Begründung - ich zitiere: ihre innere Organisation. Deshalb haben wir Ab- geordnetengesetze, Hochschulgesetze und auch „Im ‚Kampf um die Köpfe’ kann das Richtergesetze. Land Niedersachsen durch die Al- tersteilzeit verstärkt und beständig Durch die Föderalismusreform sind die Kompeten- kompetenten Nachwuchsjuristinnen zen für die Richtergesetze auf die Bundesländer und -juristen den Einstieg in den Rich- übergegangen. Mit dem Gesetz, das wir heute terberuf ermöglichen“ - beschließen wollen, nutzt Niedersachsen diese Kompetenz. Vor uns liegt ein Gesetz, das im enthält einen Denkfehler. Durch Einführung der Rechtsausschuss mit großer Sorgfalt beraten wor- Altersteilzeit ergibt sich nur so lange eine Mehrein- den ist. Es ist ein gutes Gesetz. stellung junger Richter, bis sich das neue System (Zustimmung bei der FDP und bei der eingependelt hat. Danach ist die Einstellungszahl genauso hoch wie vorher. CDU) Ich möchte ausdrücklich nicht versäumen, an die- (Zustimmung bei der FDP) ser Stelle auch für die FDP dem Gesetzgebungs- Ein anderer Punkt: Sie fordern, Viertelstellen für und Beratungsdienst des Landtages einen großen Richter zu ermöglichen. Ich wage zu bezweifeln, Dank auszusprechen für die Begleitung dieses dass das zu praxistauglichen Geschäftsabläufen in Vorhabens, zum Schluss unter erheblichem Zeit- den Gerichten - gerade in den kleinen Amtsgerich- druck. Nicht unerwähnt lassen möchte ich die ten - oder zur Beschleunigung von Prozessen bei- sachorientierte und konstruktive Atmosphäre der tragen würde. Das Gegenteil ist wahrscheinlicher. Beratungen im Ausschuss. Das schließt ausdrück- lich die Vertreter aller Parteien mit ein. Ihre Forderung, in einigen Fallkonstellationen die vorgesehene Benehmensregelung mit dem Rich- (Beifall bei der FDP - Zustimmung bei terrat durch eine Mitbestimmung des Richterrats zu der CDU und bei den GRÜNEN) ersetzen, zeugt im Grunde nur von einem, nämlich Deswegen verwundert es umso mehr, dass dieses dass Sie Richterinnen und Richter grundsätzlich Gesetz nun offenbar doch nur mit den Stimmen als Werktätige sehen und ihr Verhältnis zum Staat

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in die Nähe des Antagonismus zwischen Arbeit- Präsident Hermann Dinkla: nehmern und Arbeitgebern rücken wollen. Ich erteile Herrn Minister Busemann das Wort. (Hans-Dieter Haase [SPD]: Was?) Bernhard Busemann, Justizminister: Aber genau diese Denkschablonen werden, wie Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich ich am Anfang ausgeführt habe, der besonderen denke, wir werden ein Mitbestimmungsmodell im Rolle der Gerichtsbarkeit in unserer Gesellschaft Richterbereich haben, das die Praxis erprobt und nicht gerecht. Deshalb können wir Ihren Ände- für gut befunden hat, ein Richtergesetz, das die rungsantrag nicht mittragen. Praxis nahezu uneingeschränkt und insgesamt so Vielen Dank. und auch gar nicht anders will. (Beifall bei der FDP und bei der CDU) Wir bringen mit diesem Gesetz zwei wichtige An- liegen voran. Wir werden die Regelungen des Präsident Hermann Dinkla: Richterdienstrechts an die Änderungen des neuen Ich erteile dem Kollegen Dr. Biester von der CDU- Niedersächsischen Beamtengesetzes anpassen, Fraktion das Wort. Die Restredezeit für Ihre Frakti- und - hierauf möchte ich im Folgenden das Haupt- on beträgt 2:15 Minuten. augenmerk richten - wir werden die Beteiligung der Richtervertretungen verbessern. Für die, die sich Dr. Uwe Biester (CDU): erinnern: Wir haben in der Koalitionsvereinbarung Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich für 2008 bis 2013 versprochen - ich zitiere -: möchte zwei Anmerkungen machen. Zuerst zum „Die Koalitionsparteien wollen … die Kollegen Limburg. Es wurde von fehlender Famili- Beteiligung der Richter verbessern.“ enfreundlichkeit geredet. Ich glaube, wir können übereinstimmend feststellen: Kein anderer Beruf Genau das machen wir mit diesem Gesetz. als der Richterberuf kann derart familienfreundlich Um die Unterschiede zwischen den Beteiligungs- gestaltet werden. Da haben wir kein Defizit. rechten der Beamten und der Richter zu beheben (Beifall bei der CDU) und die bislang schon praktizierte Beteiligung mit Leben zu füllen, werden erstens die auf Konsens Hauptsächlich habe ich mich aber auf den Rede- ausgerichtete Beteiligungsform der Erörterung mit beitrag von Herrn Adler gemeldet, weil ich eines dem Ziel der Einigung bei Vorschlägen der Behör- ganz eindeutig klarstellen möchte. Herr Adler hat denleitung an eine übergeordnete Dienststelle und hier gefordert, dass die Staatsanwaltschaft wesent- auf der Ebene der nicht mit einem Präsidenten lich mehr Exekutive sein solle und dass das Minis- besetzten Amtsgerichte sowie zweitens institutio- terium verstärkt auf die Staatsanwaltschaft einwir- nalisierte Beteiligungsgespräche - das sind die ken und Weisungen erteilen möge, wie sie zu ver- sogenannten Quartalsgespräche - Abhilfe schaf- fahren habe. Das, lieber Herr Adler, entspricht fen. überhaupt nicht unserem Rechtsverständnis. Zugleich wird eine vollständige Neuordnung der (Beifall bei der CDU und bei der FDP) Beteiligungstatbestände vorgenommen, um ein für Wir halten eine größtmögliche Unabhängigkeit der den Anwender schwieriges Nebeneinander von Staatsanwaltschaft für unbedingt erforderlich. Wir Tatbeständen des Niedersächsischen Personalver- brauchen dieses Weisungsrecht nicht, das es in tretungsgesetzes und des Niedersächsischen der Praxis ja sogar eigentlich gibt, aber Gott sei Richtergesetzes zu vermeiden. Das war in der Ver- Dank nicht ausgeübt wird. Wir wollen es auch gangenheit ja sehr unübersichtlich. nicht. Die Staatsanwaltschaft ist dem Gesetz ver- Gleichwohl wird es auch zukünftig Besonderheiten pflichtet. Wenn sie Anhaltspunkte für Straftaten bei der richterlichen Mitbestimmung geben. Zum hat, hat sie zu ermitteln - und tut es auch. Sie wer- einen wird bewusst an der bewährten getrennten den mir keine Fälle nennen können, bei denen das Aufgabenwahrnehmung durch Präsidialräte und nicht der Fall ist. Ein solches Weisungsrecht des Richterräte festgehalten. Den Richterräten wird Ministeriums gegenüber der Staatsanwaltschaft ist aber ein auf spezifische Bedürfnisse der Richter von uns ausdrücklich nicht gewollt. abgestimmter Katalog von Aufgaben zur Mitbe- (Beifall bei der CDU und bei der FDP) stimmung in personellen Angelegenheiten zuge- wiesen. Exemplarisch ist hier die Mitbestimmung des Richterrats bei der Verwendung eines Richters

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auf Probe und bei der Auswahl für eine Erprobung auch einmal erwähnen - wurden im Rahmen eines zu nennen. Pilotprojekts von Oktober 2004 bis März 2006 um- fangreich erprobt. Wir wissen ja, was wir tun. Ganz Zum anderen wird unsere niedersächsischen überwiegend wurde die Versuchsphase positiv Übung beibehalten und ausgebaut, Bewerberinnen bewertet, und bei der Bewertung wurde hervorge- und Bewerbern im Rahmen von Neueinstellungen hoben, dass Entscheidungsabläufe für die Richter- in den richterlichen Probedienst unmittelbar nach räte und die Richterschaft transparenter geworden dem Bewerbungsgespräch eine Stellenzusage seien und das Verständnis der Richterschaft für geben zu können. Entscheidungen der Behördenleitungen gewach- Sie können sich gar nicht vorstellen, welch guten sen sei; das Mitwirkungsbedürfnis der Richterräte Eindruck es macht, wenn die jungen Leute, die in sei intensiviert und das Interesse der Richterschaft das Ausleseverfahren gekommen sind, direkt nach an der Arbeit der Richterräte sei gestärkt worden. dem mehrstündigen erfolgreichen Einstellungsge- Insgesamt sehe ich hier eine positive Entwicklung, spräch eine Zusage bekommen. Diese Bewerber wenn alle doch in einem gewissen Konsens sagen, gucken nicht mehr in andere Bundesländer, son- dass sie das so dann bitte auch gesetzlich geregelt dern sagen: Niedersachsen hat das Okay gege- wissen wollen. ben; wir wollen nach Niedersachsen oder bleiben Herr Kollege Limburg und auch andere Kollegen in Niedersachsen. - Das ist ein absoluter Standort- haben die Selbstverwaltung der Justiz angespro- vorteil. chen. Ich sage Ihnen: Vorsätzlich ist das hier nicht An nicht mit einem Präsidenten besetzten Amtsge- geregelt, erstens weil wir das so nicht wollen, zwei- richten gibt es bisher keinen Richterrat. Die Inte- tens weil es so nicht richtig wäre und drittens weil ressen der Richter werden bislang nur vom Rich- es auch nicht in dieses Gesetz gehört. Wenn Sie terrat des übergeordneten Landgerichts wahrge- diesen großen Wurf wollen, bitte sehr, dann müs- nommen, was in der Praxis zurzeit noch die Betei- sen Sie das Grundgesetz, die Niedersächsische ligung erschwert. Deshalb wird eine neue Form der Verfassung und andere Gesetze ändern und dann Richtervertretung, die sogenannte Amtsgerichts- sehen, was möglich ist. Ich sage für die, die nicht richtervertretung, vorgesehen. Sie gehört als bera- täglich im Thema stehen: Selbstverwaltung bedeu- tendes Mitglied dem Richterrat des Landgerichts tet völlige Unabhängigkeit der Justiz, mindestens an und kann von diesem Befugnisse erhalten. Ich der Richter, alles ohne Justizminister, ohne Ein- glaube, dass wir mit diesem Kompromiss eine fluss des Staates in bestimmten Bereichen. passende Lösung gefunden haben. Seien wir einmal ehrlich: Es ging in den vergange- Schließlich werden die gesetzlichen Regelungen nen Monaten doch eher um eine akademische zur Beteiligung von Staatsanwälten aus dem Nie- Diskussion. Wir sollten abwarten, wie die weitere dersächsischen Personalvertretungsgesetz her- Diskussion in Hamburg verläuft, in Schleswig- ausgelöst und in das Niedersächsische Richterge- Holstein nimmt sie schon wieder eine andere Ent- setz integriert. Das ist nicht nur eine Forderung der wicklung, und die meisten Fachleute wollen sich Praxis, sondern das ist, Herr Kollege Adler, Staats- gar nicht so richtig mit dem Thema befassen. recht, wie wir es verstehen. Ich bin dem Kollegen Deswegen kann ich hier in aller Ruhe sagen: Das Dr. Biester für seinen Hinweis dankbar. De jure ist mussten wir mit diesem Gesetz nicht regeln, inso- eine Staatsanwaltschaft weisungsgebunden, aber fern unsere klare Absage. ich bin dankbar für jeden Tag - und das sehen alle Ich freue mich, dass wir nach einer Anlaufzeit von Justizminister in Deutschland so -, an dem wir den immerhin sechs Jahren - ich war nicht der Initiator, Staatsanwälten keine Weisung erteilen müssen, ich habe den Gesetzentwurf aber eingebracht - weil sie eine Quasiunabhängigkeit haben. Das ist und intensiven Beratungen - gut Ding will Weile ein ganz wichtiger staatsrechtlicher Faktor. Wenn haben - nun ein vernünftiges Gesetz miteinander Sie das anders sehen, steht auch ein ganz ande- entwickelt haben, das wir heute beschließen kön- res Weltbild dahinter. nen. ( [GRÜNE]: Dann kön- Nachdem es in den Beratungen schon auf einen nen Sie die Weisung doch auch ab- breiten Konsens hinauslief, habe ich mich ein we- schaffen!) nig gewundert - ich weiß nicht, ob die Bundes- Die erweiterten Beteiligungsrechte und das institu- tagswahl da irgendeine Schockwirkung ausgelöst tionalisierte Beteiligungsgespräch - das will ich hier hat, wie auch immer -, dass nun die Opposition, in

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Teilen jedenfalls, der Meinung ist, das sei alles von diesem Weisungsrecht häufig Gebrauch nicht so gut, und deshalb diesen Änderungsantrag macht. eingebracht hat. Das ist Ihr gutes Recht, aber bei (Karl-Heinrich Langspecht [CDU]: Wie allem Respekt folgende Anmerkung dazu: Die ist es im praktischen Leben?) Hälfte der Änderungsvorschläge hat mit dem Kernanliegen des Gesetzentwurfs, der Neurege- Das ist in der Tat sehr selten und im Einzelfall lung der Mitbestimmung, gar nichts zu tun. vielleicht auch nachvollziehbar. Ich bestehe aber darauf, dass wir eine parlamentarische Verantwor- Bei Ihrer Forderung nach Einführung der Altersteil- tung des Justizministers haben, zeit für Richter unter Bezugnahme auf die Rege- lungen für Beamte haben Sie leider nicht bemerkt - (Beifall bei der LINKEN) das darf ich süffisant einmal sagen, Herr Jüttner, Herr Bartling -, dass es Altersteilzeit für Beamte um solche Fälle wie Zumwinkel - das betraf nun nach dem im letzten Jahr verabschiedeten Beam- nicht Niedersachsen - auch einmal ansprechen zu tengesetz seit dem 1. Januar dieses Jahres gar können. nicht mehr gibt. Sie fordern in ein Phantasialand Bei dem Richtergesetz gibt es nur einen indirekten hinein. Selbst wenn wir es wollten, wäre Ihre For- Zusammenhang zu dieser Frage. Denken Sie z. B. derung so gar nicht mehr umzusetzen. Hätten Sie einmal an die Amtsanwaltschaften, an die Amts- hier guten Rat angefordert, hätte man Sie vielleicht anwälte, die vor den Amtsgerichten im Grunde das davon abgehalten, einen solchen Antrag zu stel- Gleiche tun wie die Staatsanwälte! Die Amtsanwäl- len. te unterliegen aber dem Personalvertretungsge- Mein Eindruck ist auch, dass Sie die Meinung, die setz. Wir hätten es besser gefunden, die Mitbe- Wünsche, das Denken der Praktiker, der Richter stimmung der Staatsanwälte so zu regeln wie die und anderer, etwas übersehen, wenn Sie meinen, der Amtsanwälte, nämlich innerhalb des Personal- Sie seien gut beraten, gegen das Gesetz zu sein. vertretungsgesetzes. Aber das ist die Demokratie. Ich glaube, wir be- (Beifall bei der LINKEN) kommen nach jahrelangem Anlauf, nach guten, gehaltvollen Beratungen - ich darf mich bei der Präsident Hermann Dinkla: Gelegenheit bei den Mitgliedern des Ausschusses, beim GBD und bei allen anderen bedanken - ein Die SPD-Fraktion wünscht zusätzliche Redezeit, gutes Gesetz, dem man zustimmen kann. ebenfalls anderthalb Minuten. Sie wird wahrge- nommen vom Kollegen Tonne. Bitte schön! Danke schön. (Beifall bei der CDU und bei der FDP) Grant Hendrik Tonne (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich Präsident Hermann Dinkla: habe mich noch einmal kurz zu Wort gemeldet, Nach § 71 Abs. 3 erteile ich der Fraktion DIE LIN- weil mich die Ausführungen von Herrn Zielke und KE anderthalb Minuten zusätzliche Redezeit. Die von Herrn Minister Busemann, der Änderungsan- Möglichkeit wird vom Kollegen Adler wahrgenom- trag sei überraschend gekommen, gerade etwas men. Bitte schön! verwundert haben. Ich möchte ganz ausdrücklich feststellen: Wir haben jeden dieser Änderungsvor- Hans-Henning Adler (LINKE): schläge in den Ausschussberatungen ausdrücklich angekündigt. Das hat der GBD in den entspre- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und chenden Protokollen festgehalten. Im schriftlichen Herren! Herr Minister Busemann, Sie haben eben, Bericht sind die jeweils abweichenden Voten der was die Stellung der Staatsanwaltschaft in unse- SPD-Fraktion festgehalten. Insofern kann der Än- rem Rechtssystem betrifft, von einer Quasiunab- derungsantrag nicht überraschen, es sei denn, hängigkeit gesprochen. Herr Dr. Biester sprach man hat die Protokolle und den Bericht einfach sogar von einer Unabhängigkeit der Staatsanwalt- nicht gelesen. Das wäre natürlich außerordentlich schaft. Beides entspricht nicht der Rechtslage. bedauerlich. (Beifall bei der LINKEN) Ich halte jedenfalls in aller Deutlichkeit fest, dass Staatsanwälte sind nicht unabhängig, sondern sie der Änderungsantrag nichts Überraschendes ist sind weisungsgebunden gegenüber dem Justizmi- und wir ihn auch nicht absichtlich erst in die Ple- nister. Eine andere Frage ist, ob der Justizminister nardebatte eingebracht haben. Wir haben in der

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Beratung sogar angekündigt und immer darauf Ich rufe als Nächstes den Tagesordnungspunkt 4 hingewiesen, dass der Änderungsantrag mit den auf: entsprechenden Punkten kommen wird. (Beifall bei der SPD - Zustimmung bei Zweite Beratung: den GRÜNEN) a) Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Präsident Hermann Dinkla: Erziehung in den Kindertagesstätten - Gesetz- Vielen Dank. - Weitere Wortmeldungen liegen mir entwurf der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/1491 - nicht vor. Wir beenden damit die allgemeine Aus- b) Mehr Qualität für unsere Kinder - Für eine sprache und treten in die Einzelberatung ein. Verbesserung der frühkindlichen Bildung in Niedersachsen - Antrag der Fraktion DIE LINKE - Ich rufe auf: Drs. 16/1493 - c) Was man verspricht, muss Artikel 1. - Hier geht es um den Änderungsantrag man auch halten - Kinder sind uns mehr wert! - der SPD-Fraktion in der Drs. 16/2042. Diesen Än- Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 16/1506 - Be- derungsantrag stelle ich hiermit zur Abstimmung. schlussempfehlung des Kultusausschusses - Wer diesem Änderungsantrag der Fraktion der Drs. 16/1939 - Schriftlicher Bericht - Drs. 16/1961 SPD seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Der Änderungsantrag hat Die Beschlussempfehlung des Kultusausschusses keine Mehrheit gefunden. lautet zu allen drei Anträgen auf Ablehnung. Ich rufe dann die Änderungsempfehlung des Aus- Eine mündliche Berichterstattung ist nicht vorge- schusses auf und stelle sie hiermit zur Abstim- sehen. mung. Ich bitte diejenigen um ein Handzeichen, Wir treten jetzt in die allgemeine Aussprache ein. die der Änderungsempfehlung des Ausschusses Dazu erteile ich der Kollegin Staudte von der Frak- ihre Zustimmung geben können. - Gegenstimmen? tion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Bitte schön! - Stimmenthaltungen? - Damit hat die Änderungs- empfehlung des Ausschusses die Mehrheit gefun- Miriam Staudte (GRÜNE): den. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Artikel 2. - Es geht hier um die Änderungsempfeh- Damen und Herren Abgeordnete! Wir haben in den lung des Ausschusses, die ich hiermit zur Abstim- letzten zwei Jahren an dieser Stelle sehr intensiv mung stelle. Ich bitte diejenigen um ein Handzei- und sehr oft darüber diskutiert, dass wir den quan- chen, die der Änderungsempfehlung ihre Zustim- titativen Ausbau der Betreuungsinfrastruktur in mung geben können. - Gegenstimmen? - Stimm- Niedersachsen voranbringen wollen. Ich betone: enthaltungen? - Damit hat die Änderungsempfeh- Wir haben darüber diskutiert; denn entschieden lung des Ausschusses die Mehrheit gefunden. worden ist leider nicht sehr viel. Niedersachsen ist weiterhin im bundesweiten Ranking konstant auf Artikel 3. - Hier geht es ebenfalls um die Ände- einem der letzten oder vorletzten Plätze. Wir ha- rungsempfehlung des Ausschusses, die ich hiermit ben gerade heute bei dpa gelesen, dass von den zur Abstimmung stelle. Ich bitte diejenigen um ein zehn Landkreisen, die bundesweit die schlechteste Handzeichen, die der Änderungsempfehlung ihre Infrastruktur in der Krippenbetreuung haben, fünf Zustimmung geben können. - Gegenstimmen? - in Niedersachsen liegen. Stimmenthaltungen? - Damit hat die Änderungs- empfehlung des Ausschusses die Mehrheit gefun- ( [GRÜNE]: Auweia!) den. Doch das, was die Erzieherinnen und Erzieher in Gesetzesüberschrift. - Unverändert. den Kitas am meisten bewegt, ist die Frage der Qualität der Betreuung. Wir Grüne haben schon im Wir kommen dann zur Schlussabstimmung. Wer Dezember 2008 hier einen Antrag zur Verbesse- dem Gesetzentwurf insgesamt seine Zustimmung rung des Personalschlüssels eingebracht. Wir geben kann, den bitte ich, sich vom Platz zu erhe- haben auch im letzten Plenum, als es um die ben. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Haushaltsberatungen ging, diese Forderung noch Damit hat der Gesetzentwurf in der Schlussab- einmal mit einem Antrag über 150 Millionen Euro stimmung eine Mehrheit gefunden. für einen neuen Personalschlüssel unterlegt. SPD

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und Linke haben die Kampagne der Landesar- Einrichtung sicher und geborgen? Kann jedes Kind beitsgemeinschaft der Wohlfahrtspflege „Kinder von einer Bezugsperson in der Einrichtung getrös- sind mehr wert“ zum Anlass genommen, im Falle tet werden? - Ich meine, insbesondere das ist eine des Antrags der SPD ihre bisherigen Forderungen Frage, die wir im Moment leider verneinen müs- zu erneuern und im Falle der Linken einen neuen sen. Ich meine, Sie sollten ernsthaft darüber nach- Antrag zu stellen, der die Forderungen der Kam- denken, ob dieser Orientierungsplan mit den Res- pagne 1 : 1 übernimmt. Forderungen kann man sourcen, die Sie zur Verfügung stellen, umgesetzt natürlich 1 : 1 übernehmen, in der Opposition alle- werden kann; denn ich meine, dass Papiere, die mal. Wir als Grüne haben uns jedoch entschieden, von Kultusministern - in dem Falle war es ja noch die Standards, auf die wir uns in der Fraktion im Herr Busemann - unterschrieben werden, das hal- Jahre 2008 verständigt haben, beizubehalten. Wir ten sollten, was sie versprechen. Insofern bitte wollen also, dass künftig drei statt zwei Erzieherin- nicht nur Worte, sondern auch einmal ein paar nen in den Krippen tätig sind Taten im Kita-Bereich! (Zustimmung von Filiz Polat [GRÜ- (Beifall bei den GRÜNEN und Zu- NE]) stimmung bei der SPD) und dass 20 statt 25 Kinder in einer Kindergarten- gruppe von zwei Erzieherinnen betreut werden. Präsident Hermann Dinkla: Insofern werden wir uns bei der Abstimmung über Ich erteile der Kollegin Reichwaldt von der Fraktion den Antrag der Linken enthalten und dem Antrag DIE LINKE das Wort. der SPD zustimmen. (Beifall bei der LINKEN - Karl-Heinz Qualität lässt sich nur durch mehr Personal umset- Klare [CDU]: Beifall für das Auffinden zen. CDU und FDP ignorieren diese Tatsache des Redepultes!) konsequent und diskutieren höchstens einmal über das beitragsfreie Kita-Jahr. Sie müssen als Regie- Christa Reichwaldt (LINKE): rungsfraktionen endlich die Formel von der früh- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und kindlichen Bildung mit Leben füllen. Dazu gehört, Herren! Unsere Kinder verdienen die bestmögliche dass Erzieherinnen und Erziehern genügend Zeit Erziehung, Bildung und Betreuung. Dies gelingt zur Verfügung gestellt wird, um die Ziele des nie- nur mit den entsprechenden personellen, materiel- dersächsischen Orientierungsplans - das ist so len und zeitlichen Rahmenbedingungen. etwas wie ein kleines Curriculum - umzusetzen. Ich möchte Ihnen, damit wir alle wissen, worüber wir (Beifall bei der LINKEN) reden, einige Anforderungen des Orientierungs- Das ist ein Zitat aus dem Flyer der Kampagne der plans an die Erzieherinnen vorlesen, damit Sie Freien Wohlfahrtsverbände in Niedersachsen „Kin- einen Eindruck bekommen. Dabei handelt es sich der sind mehr wert“. Dort werden für die Krippen um ca. 80 Fragen bzw. Anforderungen, von denen und Kindertagesstätten bessere Betreuungsver- ich zehn vorlese: Hat jedes Kind mindestens ein hältnisse in kleineren Gruppen mit einem Betreu- Musikinstrument benutzt oder gebaut? Haben ungsschlüssel von 1 : 4 bei den Ein- bis Dreijähri- mehrere Kinder an einer eigenen Theaterauffüh- gen und von 1 : 8 bei den Drei- bis Sechsjährigen rung mitgewirkt? Ist die vorsprachliche Entwicklung gefordert. Es ist kein Zufall, dass diese Forderun- des Kleinstkindes altersgemäß? Ist Deutsch die gen mit denen unseres Gesetzentwurfes überein- Muttersprache des Kindes, oder wächst es zwei- stimmen, ebenso wie die Forderung nach besse- oder mehrsprachig auf? Haben Kinder die Funkti- ren Raumstandards und ausreichender Verfü- onen von Buchstaben, Zahlen und anderen Zei- gungszeit für Erzieherinnen und Erzieher. chen entdeckt? Welche Möglichkeiten bestehen, dass Kinder mathematische Aktivitäten wie Ord- Wir trafen vor Kurzem erneut Vertreter der Freien nen, Vergleichen oder Messen ausführen können? Wohlfahrtsverbände. Sie bestätigten, dass diese Welche mit Zahlen verbundenen alltagspraktischen von uns geforderten Standards zwingend notwen- Kenntnisse, was Hausnummern, Telefonnummern dig sind, aber eben auch erhebliche Investitionen usw. angeht, haben Kinder? Haben Kinder genü- erfordern. Dieser Gesetzentwurf ist teuer. Das gend Gelegenheit, mit Erde, Sand und Wasser zu wissen wir. Mir ist im Ausschuss vorgeworfen wor- experimentieren? Übernehmen Kinder Verantwor- den, wir hätten keine konkreten Deckungsvor- tung für die Pflege von Pflanzen und Tieren? Usw. schläge gemacht. Nun, das kann man so oder usf. Besonders wichtig: Fühlen Kinder sich in der auch anders sehen. Dringend notwendige Ausga-

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ben sind in vielen Bereichen nur über die von uns Spätere Fördermaßnahmen oder Justizkosten vorgeschlagenen Steuerumfinanzierungen auf fallen dann nicht mehr an. Wissenschaftler haben Bundesebene möglich oder eben durch eine weite- im Rahmen einer Langzeitstudie in den USA ermit- re Neuverschuldung auf Landesebene. telt, dass Kinder ohne vorschulische Unterstützung doppelt so häufig verhaftet wurden wie Kinder mit (Beifall bei der LINKEN) guter vorschulischer Betreuung. Die Schulabbre- Das ist das Dilemma. Ich glaube Ihnen, meine cherquote lag um ein Drittel niedriger, die Arbeits- Damen und Herren von der CDU und von der FDP, losigkeit war um 20 % geringer. nicht, dass Sie die Notwendigkeit dieser strukturel- Solange Kita-Gebühren bleiben und die Arbeitsbe- len Änderungen im Kita- und Krippenbereich nicht dingungen für die Beschäftigten sowie die Entwick- erkennen. Sie wollen sie nur nicht finanzieren. Das lungsmöglichkeiten für Kinder eingeschränkt blei- ist ein gefährlicher Weg, wenn man an den geplan- ben, wie dies derzeit der Fall ist, wird der soziale ten Krippenausbau bis 2013 und die möglichen Aufstieg in dieser Gesellschaft weiterhin strukturell Auswirkungen auf die Qualität denkt. und absichtlich massiv behindert; denn die Bes- Mir wird weiterhin immer wieder vorgehalten, die serverdienenden können sich leichter gute Ent- gegenwärtigen Standards seien doch nur Mindest- wicklungsbedingungen für ihre Kinder erkaufen, vorgaben und die Kommunen könnten darüber als die sozial Schwachen dies können, die auf das hinausgehen. Meine Damen und Herren, Sie alle Angebot der Kommunen und der freien Träger wissen, was in der nächsten Zeit auf die Kommu- angewiesen sind. nen zukommt. Bei dem geplanten Krippenausbau Diese Politik der Zementierung der sozialen erscheint mir ein solches Argument nur zynisch: Schichten kennzeichnet CDU/FDP-Regierungen. gute Kinderbetreuung nur in reichen Gemeinden, Dies erleben wir an den Grundschulen, die Kinder soweit es sie noch gibt! - Sie werden am Ende im Alter von zehn Jahren aussortieren. Dies erle- dieser Debatte einen Gesetzentwurf niederstim- ben wir auch an den weiterführenden Schulen men, von dessen Richtigkeit und Wichtigkeit Sie durch die Dreigliedrigkeit und die Abkopplung des eigentlich überzeugt sein müssten. Sie wollen aber Gymnasiums von den restlichen Schulen. Ferner nicht über mögliche Finanzierungsmodelle nach- erleben wir dies an den Hochschulen durch die denken. Zugangsprüfungen und die Studiengebühren. (Beifall bei der LINKEN) Uns liegt ein Antrag der SPD-Fraktion vor, mit dem zumindest Zwischenschritte zu einer besseren Die Berichte aus den Kitas verdeutlichen das aus- Betreuungssituation vorgeschlagen werden. Wir drücklich. Die Beratung im Fachausschuss verlief werden diesen Antrag unterstützen. dagegen kurz. Die Regierungsfraktionen haben sich jeder Form einer Anhörung von Sachverstän- Nicht hinsehen und die Situation schönreden, wie digen und Betroffenen verweigert. Auch wenn die Sie es seitens der CDU und der FDP tun, führt beiden anderen Oppositionsfraktionen unserem jedoch zu einer erheblichen „Verschuldung“ ge- Gesetzentwurf und dem begleitenden Entschlie- genüber unseren Kindern. Beachten Sie dieses ßungsantrag in seiner Konsequenz vermutlich Thema nicht als abgeschlossen. Die nächsten nicht folgen werden: Eine Anhörung ist auch zu Initiativen der Opposition werden kommen. den Initiativen der SPD und der Fraktion Bünd- Vielen Dank. nis 90/Die Grünen konstant verweigert worden. CDU und FDP handeln nach dem Motto: Wir wol- (Beifall bei der LINKEN) len nichts hören, nicht sehen und nichts wissen! Vizepräsident Dieter Möhrmann: (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, nächster Redner für die Langzeitstudien zeigen, dass jeder Euro, den wir in SPD-Fraktion ist der Kollege Brammer. die frühkindliche Bildung stecken, sehr gut inves- tiertes Geld ist, weil somit die Entwicklung der Axel Brammer (SPD): Kinder gefördert wird und ihre Erfolgsaussichten im Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolle- späteren Leben steigen. ginnen und Kollegen! „Was man verspricht, muss man auch halten - Kinder sind uns mehr wert!“ Das (Vizepräsident Dieter Möhrmann über- ist die Überschrift des vorliegenden Entschlie- nimmt den Vorsitz) ßungsantrags der SPD-Fraktion. Wie wichtig dies

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ist, zeigen die neuesten Zahlen der statistischen die vielen Modellprojekte erwähnt. In den Einrich- Ämter des Bundes und der Länder. Unsere Krip- tungen lästert man über „Projektitis“. pen bilden nach wie vor das Schlusslicht. Unsere Kitas liegen ganz weit hinten. (Norbert Böhlke [CDU]: Wovon reden Sie?) Unser Ziel ist es, dass Niedersachsen von der derzeitigen Schlusslichtposition im Bereich der Davon werden die Arbeitsbedingungen der Mitar- frühkindlichen Bildung ganz nach vorn kommt. beiterinnen und Mitarbeiter allerdings nicht besser. (Zustimmung bei der SPD) Ich möchte noch auf etwas eingehen, was die Kol- legin Vockert anlässlich der ersten Lesung dieser Dazu gehört natürlich, dass wir die Gruppenstärke Anträge am 27. August 2009 von sich gegeben in den Kindertagesstätten reduzieren, dass wir den hat. Sie sagte z. B.: Personalschlüssel sowohl in den Kindertagesstät- ten als auch in den Krippen verbessern - ich er- „Mindeststandards werden garantiert. wähne beispielhaft die dritte Krippenkraft - und Jede Kommune, jeder Träger hat es dass wir die Verfügungsstunden der Fachkräfte in der Hand zu sagen: Wir machen erhöhen. Dies begründe ich beispielhaft mit den mehr.“ gestiegenen Anforderungen aufgrund des von den Das stimmt. Dabei handelt es sich aber um freiwil- Fachverbänden entwickelten Orientierungsplans lige Leistungen. Irgendwann wird die Kommunal- sowie mit den Anforderungen nach § 8 a SGB VIII. aufsicht eingreifen und den ärmeren Kommunen Kindertagesstätten sind keine Aufbewahrungsorte, die dritte Kraft in den Einrichtungen versagen. sondern Bildungseinrichtungen. Dann haben wir die Situation, dass es ein vernünf- tiges Krippenangebot nur in den Bereichen gibt, in (Zustimmung bei der SPD) denen die Kommunen über die notwendigen Fi- Dazu gehört deshalb auch, dass wir dafür sorgen, nanzmittel verfügen. Dies trifft insbesondere die dass in den nächsten Jahren genügend Fachkräfte Gemeinden, die durch hohe Arbeitslosigkeit oder ausgebildet werden können und dass wir vor dem soziale Brennpunkte anderer Art gekennzeichnet Hintergrund der entsprechenden UN-Konvention sind. das Thema Inklusion konsequent auch in Krippen Unser Innenminister hat in einem Schreiben vom angehen. 19. Dezember 2008 zur Cuxland-Erklärung sehr (Zustimmung bei der SPD) deutlich gemacht, was auf uns zukommt. Er erklärt in diesem Schreiben, dass dem Landkreis Cuxha- Letztendlich gehört dazu auch, dass alle Kinder- ven im Rahmen der Umsetzung des sogenannten gartenjahre beitragsfrei gestellt werden, wie es die Krippengipfels insgesamt 5,4 Millionen Euro zu- Regierungsfraktionen versprochen haben. stünden.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung Weiter merkt er an: Im Landkreis Cuxhaven haben bei der LINKEN) sich die Kommunen entschieden, hauptsächlich in Meine Damen und Herren, wenn wir im Bildungs- den Ausbau von Krippenplätzen zu investieren. bereich weiterkommen wollen, dann ist die Erfül- Die wesentlich kostengünstigeren Investitionen zur lung der von uns gestellten Forderungen zur Errei- Schaffung von entsprechenden neuen Betreuungs- chung dieses Ziels unerlässlich. plätzen im Bereich der Kindertagespflege kommen im dortigen Betreuungskonzept kaum vor. Gerade Die von der Fraktion DIE LINKE eingebrachten für kleine Kommunen könnten entsprechende In- Anträge sind zwar wünschenswert, jedoch aus vestitionen auch im Bereich der Kindertagespflege Sicht der SPD-Fraktion zumindest zurzeit nicht eine Lösung sein, die einer angespannten Finanz- seriös finanzierbar. Deshalb werden wir uns bei lage Rechnung tragen und das angestrebte Aus- der Abstimmung über diese Anträge der Stimme bauziel realisierbar machen. enthalten. So viel zum Thema Einflussnahme. Ich weiß, was wir gleich von den Regierungsfrakti- onen hören werden. Wahrscheinlich werden wir ein (David McAllister [CDU]: Ja und?) Loblied auf all das hören, was in diesem Bereich Mit derartigen Formulierungen macht der Minister schon alles gemacht wurde. An erster Stelle wird deutlich, wohin die Reise gehen soll. wahrscheinlich das nifbe genannt, dann werden

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Ich möchte auf noch etwas eingehen, was Frau Vizepräsident Dieter Möhrmann: Vockert am 27. August 2009 gesagt hat, und zwar Meine Damen und Herren, das Wort hat nun Frau zur Betriebskostenförderung: Vockert für die CDU-Fraktion. „Der Bund gibt unter dem Strich (Zuruf) 29,9 %, die Kommunen geben 34,05 %, und das Land ist mit 35,7 %, Astrid Vockert (CDU): also dem größten Brocken, dabei.“ Ich sage immer die Wahrheit. - Herr Präsident! Ich habe irgendwann einmal gelernt, dass man Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Überschrift beim Addieren von Prozentwerten bei 100 landen des Antrags der SPD-Fraktion, nämlich „Kinder muss. Bei der Addition dieser Prozentzahlen kom- sind mehr wert“ - es wurde schon gesagt, dies ist me ich aber auf mehr als 100 %. eine Kampagne der Landesarbeitsgemeinschaft Außerdem frage ich mich, wo eigentlich der Eltern- der Freien Wohlfahrtspflege -, gefällt mir, gefällt anteil bleibt. Diesen hat die Landesregierung in uns ausgesprochen gut. Übereinstimmung mit den kommunalen Spitzen- Wir alle müssen uns aber die Frage stellen: Was verbänden bei 25 % der Gesamtkosten festgelegt. heißt denn eigentlich „mehr wert“? Dürfen wir als Das bedeutet, dass sich die Werte, die Frau Vo- verantwortliche Politiker das lediglich darauf mün- ckert genannt hat, auf die übrigen 75 % beziehen. zen, wie SPD, Grüne und Linke es uns in ihren Somit schrumpft der Landesanteil von 35,7 % auf Anträgen und Gesetzentwürfen nahebringen wol- magere 26,75 %. Sie betreiben also Augenwische- len, dass der alleinige Schlüssel darin liegt, mehr rei. Geld zur Verfügung zu stellen - mehr Geld; das (Beifall bei der SPD und Zustimmung wurde eben gesagt - für die Verbesserung des bei der LINKEN) Personalschlüssels oder die Reduzierung der Gruppengrößen? Ein 25-prozentiger Elternbeitrag bedeutet für eine Ganztagseinrichtung 250 Euro pro Monat. Bei Auch zur Kofinanzierung ist eine ganze Menge einer Teilzeiteinrichtung sind dies 200 Euro pro gesagt worden. Die Hilflosigkeit der Oppositions- Monat. Sagen Sie uns doch einmal, welche Eltern fraktionen dabei ist deutlich geworden. Für den, diese Beiträge zahlen sollen! der sie nicht mehr vor Augen hat, habe ich vor- sichtshalber noch einmal die Änderungsanträge Ich befürchte, dass Sie die Krippen nach 2013 gar zum Haushalt vom vergangenen Jahr beigebracht, nicht weiter ausbauen wollen. Bei Bedarf verwei- die zeigen, dass das z. B. die Grünen unter Finan- sen Sie auf die günstigeren Tagesmütter. Den zierungsvorbehalt stellen und, und, und. Das ist Eltern muten Sie Beiträge zu, die zumindest von überhaupt nicht glaubwürdig. vielen überhaupt nicht gezahlt werden können. Diejenigen, die aufgrund eines geringen Einkom- (Zustimmung bei der CDU und bei der mens Anspruch auf wirtschaftliche Jugendhilfe FDP - Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Hin- haben, werden dann ab 2013 unter Umständen ter dem „und, und, und“ verbirgt sich über das geplante Betreuungsgeld in Höhe von ein Unterschied, Frau Vockert!) 150 Euro aus den Einrichtungen herausgekauft. Ohne Gegenfinanzierungsvorschlag mehr Geld zu (Beifall bei der SPD) fordern, und zwar mal eben 1,8 Milliarden Euro mehr, ist unredlich. Zum Thema Betreuungsgeld haben Sie sich be- zeichnenderweise noch überhaupt nicht geäußert. (Zustimmung bei der CDU - Dr. Man- Meine Damen und Herren von der CDU und von fred Sohn [LINKE]: Schwacher Beifall! der FDP, bekennen Sie endlich Farbe! Das Thema Zu Recht!) frühkindliche Bildung - das gilt wohlgemerkt nicht für alle von Ihnen, aber für viele - ist für Sie einfach Aber wenn Sie das Thema „Kinder sind uns mehr nur lästig. Am Geld kann es aber doch nun wirklich wert“ einzig und allein unter fiskalischen Gesichts- nicht liegen. Wer wie Sie meint, trotz schwieriger punkten sehen, Herr Dr. Sohn, dann muss man Zeiten noch Steuergeschenke verteilen zu können, Ihnen und Ihrer Fraktion vorhalten, dass Sie ein- kann uns nicht allen Ernstes erzählen, die frühkind- fach nicht registrieren wollen, dass es nie mehr liche Bildung sei nicht finanzierbar. Geld für unsere Jüngsten gegeben hat als heute. In diesem Haushalt sind es mehr als 325 Millionen (Beifall bei der SPD) Euro. Dabei handelt es sich zu einem Großteil -

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das ist schon gesagt worden, aber das ist eben schrift „Taxi Mama“. Wie Remo Largo sagt, zeugt nicht selbstverständlich - um eine freiwillige Leis- dieser Aufkleber von dem Missverständnis, dass tung des Landes. Ich nenne in diesem Zusam- das Chauffeursdasein der Eltern etwas mit Zunei- menhang das beitragsfreie dritte Kita-Jahr - das gung zu tun haben könnte - vielleicht auch von der sind jedes Jahr 99 Millionen Euro -, die 20 Millio- Angst, ohne Programm nichts mit dem Kind anzu- nen Euro für das Brückenjahr - das sind jedes Jahr fangen zu wissen. 20 Millionen Euro - und die 6 Millionen Euro für die Ich will das nicht verallgemeinern. Man darf solche Sprachförderung. Und, Herr Brammer, auch auf Aussagen niemals verallgemeinern. Aber diese die Gefahr hin, dass ich Sie mit diesen Zahlen Aussagen müssen uns trotz- und alledem nach- verwirre, es ist festzustellen, dass diese Landesre- denklich stimmen. Was Kindern heute häufig fehlt, gierung den Kommunen bei den Personalkosten ist nicht nur mit einem Mehr an Geld zu bezahlen, erheblich entgegengekommen ist. sind nicht nur Therapien, Nachhilfelehrer oder (Zustimmung bei der CDU und bei der Erzeugnisse der Pharmaindustrie. Kindern fehlt FDP) heute oftmals eine Welt, die ihnen gerecht wird; ihnen fehlen Beziehungen, die nicht auf Leistung Die Finanzhilfe beträgt in diesem Jahr statt 20 %, aufbauen. Man könnte das mit einem altmodi- wie es vorher der Fall war, 38 %. Im nächsten Jahr schen, für viele von ihnen vielleicht kitschigen Wort sind es immerhin 43 %. Das ist keine Selbstver- zusammenfassen: Kindern fehlt heute häufig Ge- ständlichkeit, meine Damen und Herren. borgenheit. Das bestätigt leider auch der Hirnfor- Wahrscheinlich würden wir alle hier im Hause - das scher Gerald Hüther. In vielen Beiträgen zeigt er unterstelle ich - gerne mehr Geld investieren. Aber auf, wie wichtig eine enge emotionale Beziehung man muss trotzdem auch die Grenzen des Haus- zwischen Eltern und Kindern ist. Sprache etwa, so haltes berücksichtigen. Wir können immer darüber Gerald Hüther, können Kinder nur dann gut lernen, streiten, wer tatsächlich mehr Geld zur Verfügung wenn die Eltern in der Lage sind, die Worte emoti- gestellt hat. Aber die Haushalte sprechen da eine onal aufzuladen. Wer diese emotionale Aufladung deutliche Sprache - auch die Haushalte der ver- nicht schafft - das können wir manches Mal auch gangenen Jahre. Es ist unwiderlegbar, dass diese hier im Landtag feststellen -, der muss leider häufig Landesregierung den Kindern tatsächlich ein Mehr erfahren, zur Verfügung gestellt hat. (Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Das ist Ein Thema möchte ich in die Debatte noch einbrin- aber kein Vorwurf an uns!) gen, das meiner Meinung nach immer wieder zu dass bei den Zuhörern, bei den Kindern, Herr kurz kommt. Wenn es stimmt, dass uns Kinder Dr. Sohn, nur Geschwätz ankommt. mehr wert sind, dann bedeutet das - das müssen wir einfach einmal in den Vordergrund stellen -, Abschließend will ich noch Folgendes sagen: Viel- dass uns Kinder insgesamt mehr wert sein müs- leicht sollten wir uns mehr mit Janusz Korczak, sen, und zwar auch mehr Zeit, die auch die Eltern, dem großen alten Mann der Pädagogik, auseinan- die Erziehungsberechtigten investieren müssen. dersetzen, der im übertragenen Sinne Folgendes gesagt hat: Wir dürfen Kinder aus Angst, sie zu (Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Genau! verlieren, nicht überbehüten. - Zweitens fordert er Arbeitszeitverkürzung!) das Recht des Kindes auf den heutigen Tag. - Das Herr Dr. Sohn, wissen Sie, wie viel Zeit Eltern täg- heißt, dass wir uns hüten sollten, ständig auf die lich für ihre Kinder im Durchschnitt aufbringen? - Zukunft des Kindes zu schielen. - Drittens fordert Im ZEITmagazin habe ich gelesen, dass es bei er das Recht des Kindes, so zu sein, wie es ist. - Vätern 20 Minuten pro Tag sind. Dabei gilt noch zu Dazu gehört auch das Recht auf Misserfolg. Das berücksichtigen, dass in Deutschland 50 % der betrifft nicht nur Eltern aus sozial schwierigen Ver- Väter nach einer Scheidung die Beziehung zu hältnissen. ihren Kindern im Laufe von zwei Jahren vollständig Das Ergebnis ist in allen Bereichen zu sehen: abbrechen. Wenn wir Beziehungslosigkeit feststellen, müssen Remo Largo, der u. a. die Bücher „Kinderjahre“ wir gegensteuern. Wir müssen insgesamt mehr und „Babyjahre“ geschrieben hat, sagt: „Eltern investieren, nicht nur mehr Geld, so wie es diese tragen selber kaum zur Entwicklung ihrer Kinder Landesregierung bereits tut, sondern auch mehr bei, außer, dass sie sie herumkarren.“ Vielleicht Zeit. Hier sind wir alle in der Verantwortung. kennen viele von Ihnen den Aufkleber mit der Auf-

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Ihre Anträge bzw. Ihr Gesetzentwurf sind bzw. ist Wir wollen, dass auch die Erzieherinnen und Er- definitiv nicht zu finanzieren. Wir lehnen sie ab. zieher mehr Zeit für die Betreuung der Kinder ha- ben, um all das zu leisten, was ich vorhin ausge- (Beifall bei der CDU und bei der FDP) führt habe. Dafür brauchen wir einen Ausbau der Betreuungskapazitäten, aber auch eine Verbesse- Vizepräsident Dieter Möhrmann: rung der Betreuungsqualität. Meine Damen und Herren, mir liegen drei Wün- sche auf Kurzinterventionen vor. Zuerst kommt (Beifall bei den GRÜNEN und Zu- Frau Staudte, dann Herr Borngräber und dann stimmung bei der SPD) Herr Dr. Sohn. Frau Staudte, bitte! Vizepräsident Dieter Möhrmann: Miriam Staudte (GRÜNE): Meine Damen und Herren, ich rufe die nächste Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Vockert, all Kurzintervention auf. Herr Borngräber von der diese Pläne sind tatsächlich nicht zu finanzieren, SPD-Fraktion, bitte! vor allem dann nicht, wenn man wie die schwarz- gelbe Bundesregierung Steuergeschenke verteilt Ralf Borngräber (SPD): und 24 Milliarden Euro einsparen will, die den Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kolle- Kommunen dann für die Betreuungsinfrastruktur gen! Frau Vockert, Sie verkleistern die wahren fehlen. Verhältnisse. Ich finde es sehr gut, dass Sie Ihren Hüther gelesen und studiert haben. Dass eine (Beifall bei den GRÜNEN und bei der enge emotionale Beziehung zwischen Eltern und LINKEN und Zustimmung bei der SPD Kindern wichtig ist, ist unwidersprochen. Dazu - Karl-Heinz Klare [CDU]: Wo gehen steht im Übrigen auch die SPD-Fraktion. Aber die denn hin, die 24 Milliarden?) unser Entschließungsantrag und auch der Antrag Sie sagen, wir wollten nur Geld verteilen, und ver- der Fraktion auf der linken Seite des Hauses be- mitteln fast den Eindruck, wir wollten den Kindern fassen sich mit anderen Dingen als mit denen, die Taschengeld in die Hand drücken. Aber wer verteilt Sie unter dem Stichwort „Hüther“ breit referiert denn das Geld, das nicht wirklich bei den Kindern haben. ankommt? - Sie erhöhen das Kindergeld und wol- Sie verkleistern die wahren Verhältnisse. Ich len ein Betreuungsgeld einführen. Diese Gelder möchte Sie an dieser Stelle einmal öffentlich fra- kommen aber bei den Kindern nicht an, insbeson- gen: Wie kommt es eigentlich, dass gerade Ihr dere nicht bei den Kindern aus finanzschwachen Landkreis, dessen Kreistag Sie angehören, zu den Familien. fünfen mit der roten Laterne gehört? (Karl-Heinz Klare [CDU]: Wo denn (Zustimmung bei der SPD - Zurufe sonst?) von der CDU: Was?) - Sie wissen genau, dass das Kindergeld bei de- nen wieder abgezogen wird. Wahrscheinlich ist es Vizepräsident Dieter Möhrmann: beim Betreuungsgeld ebenso. Die nächste Kurzintervention kommt von Herr (Zustimmung von Filiz Polat [GRÜ- Dr. Sohn. Bitte schön! NE]) Dr. Manfred Sohn (LINKE): Wir wollen genau das, was Sie gesagt haben: Wir Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau wollen, dass die Erwachsenen mehr Zeit für die Vockert, ich hatte den Eindruck, bis auf die Finan- Kinder haben. Es wäre schön, wenn in den Famili- zierungsfrage am Schluss sind Sie nicht wirklich en mehr Zeit für Kinder zur Verfügung stände. auf die Entschließungsanträge eingegangen. Na- Wenn aber beide Elternteile arbeiten müssen, weil türlich ist das finanzierbar, wenn man den Mut hat, die Parteien, die an der Regierung sind, keinen den Reichen und Vermögenden ein bisschen mehr Mindestlohn einführen wollen, dann braucht man in die Taschen zu greifen, die nach wie vor ordent- natürlich auch mehr Betreuungskapazitäten. lich gefüllt sind. Das ist eine Tatsache. (Beifall bei den GRÜNEN und bei der Ich wollte zu zwei Bemerkungen Ihres Gedanken- LINKEN und Zustimmung bei der referats zu grundsätzlichen Erziehungsfragen - SPD) dies habe ich interessant gefunden - etwas sagen.

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Die eine Bemerkung betrifft die Taxi-Mama oder wiederholen, habe aber wenig Neigung dazu. Die den Taxi-Papa, den es ja auch gibt. Mir ist da, Argumente sind ausgetauscht worden. Jetzt müs- anlehnend an die Zeit, ein bisschen ein abwerten- sen wir weiterdenken und schauen, was andere der Slang vor allen Dingen gegenüber den vielen sagen und was wir vielleicht noch tun können. Vätern und Müttern auf dem Lande hineingekom- Ich diskreditiere keinen einzigen Elternteil, indem men, die viel als Taxifahrer zu vielen Sportveran- ich sage, dass es nicht sinnvoll ist, dass sie ihre staltungen auf dem Lande unterwegs sind. Die Kinder zum Sportunterricht, zur Musikschule oder Abwertung dieser Sache lasse ich hier so nicht zu einer kulturellen Bildungsveranstaltung fahren. stehen; denn die Vereine, der Sport und der Fuß- Um Gottes Willen, nein! Aber schauen Sie sich ball mit den kleinen Bubi-Ligamannschaften leben doch einmal an, was vor Ort passiert: Es wird tat- schließlich davon, dass diese Taxifahrten gemacht sächlich nur abgeliefert und wieder abgeholt. werden. Dies hängt auch ein bisschen mit öffentli- chen Verkehrssystemen zusammen. Für diese (Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Das Menschen möchte ich eine Lanze brechen. Die stimmt nicht!) Abwertung, die Sie gemacht haben, lasse ich so Manche Eltern setzen sich vorbildlich damit aus- nicht stehen. einander, andere leider Gottes nicht. Ich glaube, Den Rest Ihres Beitrages, vor allen Dingen Ihre wir müssen im Bereich der Erziehungsarbeit noch Ausführungen zu der Frage „Mehr Zeit für die Kin- eine ganze Menge mehr tun. Ich freue mich dar- der“, habe ich als ein charmantes Plädoyer für über, dass Sie nicken, Frau Staudte. allgemeine Arbeitszeitverkürzung verstanden. Viel- (Glocke des Präsidenten) leicht lässt sich ja ein gemeinsamer Antrag daraus machen. Die Sprache der Grünen, Frau Staudte, ist verräte- risch. Sie sprechen ständig von „Betreuung“. Ich Schönen Dank. möchte die Worte „Bildung“, „Erziehung“ und (Beifall bei der LINKEN) „Betreuung“ gemeinsam genannt haben. Das ist ganz wichtig. Vizepräsident Dieter Möhrmann: (Beifall bei der CDU) Frau Vockert möchte erwidern. Bitte schön! Noch ein letzter Punkt: Herr Borngräber, lesen Sie Astrid Vockert (CDU): heute einmal die Nordsee-Zeitung, Bremerhaven, Gemeinde Schiffdorf. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, wie häufig ich hier schon die glei- Vizepräsident Dieter Möhrmann: chen Argumente vorgebracht habe, weil Sie immer wieder wort- und inhaltsgleiche Entschließungsan- Frau Kollegin, Sie stellen sonst immer das Mikro- träge eingebracht haben. Ich habe heute gedacht, fon ab, wenn so etwas passiert. ich brauche gar nicht mehr so viel wie bei der ers- ten Beratung zu sagen; denn Sie haben genau die Astrid Vockert (CDU): gleichen Argumente wie bei der ersten Beratung Entschuldigung! vorgetragen. Ich hatte wenig Neigung, darauf zu (Heiterkeit - Astrid Vockert [CDU]: Wo erwidern. er recht hat, hat er recht!) Ich habe mir gesagt: Wenn wir die gleiche Rich- tung einschlagen, am gleichen Strang ziehen und Vizepräsident Dieter Möhrmann: für die Kinder tatsächlich etwas mehr erreichen Meine Damen und Herren, als nächster Redner hat wollen, dann müssen wir gemeinsam ein bisschen sich Herr Försterling von der FDP-Fraktion zu Wort weiterdenken. gemeldet. Bitte! (Zustimmung bei der CDU) Björn Försterling (FDP): Auch Sie haben ja gesagt, Sie wüssten nicht, wie Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Sie es finanzieren sollten. Seit 2003 hat diese Herren! Sehr geehrte Frau Reichwaldt, wir sehen, Landesregierung schrittweise Verbesserungen wir hören und wir wissen, dass die Arbeitsbelas- erreicht. Wer hat das mit dem Orientierungsplan tung in den Tageseinrichtungen für Kinder in den denn gemacht? - Ich könnte alles, was ich bereits letzten Jahren nicht weniger geworden ist. Viele im letzten Plenarsitzungsabschnitt gesagt habe, von uns haben sich selbst vor Ort informiert, sind

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in Kindertageseinrichtungen gewesen und haben Das ist eine Schuldenspirale, die wir zulasten der dort nicht nur mit den Erzieherinnen und Erziehern kommenden Generationen nicht zulassen dürfen! gesprochen, sondern haben sie einen ganzen Tag (Beifall bei der FDP und bei der CDU - lang oder auch darüber hinaus begleitet. Von da- Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Sie ma- her wissen wir sehr wohl, wovon wir sprechen. chen doch Schulden!) Wir wissen auch, dass wir in Niedersachsen noch Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich sage einen Aufholbedarf haben, wenn es um den Aus- ganz deutlich: Kinder sind uns mehr wert. Kinder bau von Krippenplätzen geht. Das hat nie jemand sollten uns so viel wert sein, dass sie das Anrecht bestritten. Die heute vorgelegten Zahlen - der haben, in demselben Wohlstand zu leben, wie wir Landkreis Leer hat für die bis Dreijährigen eine es momentan tun. Dies sollte nicht nur für die Kin- Betreuungsquote von 3,6 % - sind sehr ernüch- der, sondern auch für die Enkelkinder und für die ternd. Aber wenn Sie die Meldung gelesen haben, Urenkelkinder gelten, meine sehr geehrten Damen dann wissen Sie, dass der Landkreis Leer beab- und Herren. Das geht nur über eine solide Finanz- sichtigt, diese Betreuungsquote bis zum Ende des politik. Diesen Weg muss man gehen. Ansonsten Jahres auf 10 % auszubauen. Dies zeigt, dass hinterlassen wir den kommenden Generationen landauf, landab sehr wohl erkannt worden ist, dass einen ruinierten Staat. Wir haben schon oft genug der Krippenausbau notwendig ist und dass die festgestellt, wie ein ruinierter Staat enden kann. Landkreise und die kreisfreien Städte gemeinsam Das werden wir nicht zulassen! mit dem Land aktiv werden müssen, um mögli- cherweise zeitnah in Göttinger Verhältnisse zu (Beifall bei der FDP und bei der CDU) kommen. Göttingen ist mit einer Betreuungsquote von 20,9 % nämlich gar nicht so schlecht. Vizepräsident Dieter Möhrmann: (Miriam Staudte [GRÜNE]: Dort regie- Meine Damen und Herren, es gibt den Wunsch ren ja auch die Grünen!) von Herrn Dr. Sohn auf eine Kurzintervention. Sie haben 90 Sekunden. Bitte schön! Sie müssen aber auch wissen - dies muss man ganz deutlich sagen, Herr Brammer -, dass das ein (Karl-Heinz Klare [CDU]: Sie lassen finanzieller Kraftakt ist. Von 2009 bis 2013 reden sich wirklich von allem herausfordern!) wir über 1,2 Milliarden Euro, die gemeinsam von den Kommunen, vom Land Niedersachsen und Dr. Manfred Sohn (LINKE): vom Bund gestemmt werden müssen, ungeachtet Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese der derzeitigen Finanz- und Wirtschaftslage. Des- Kurzintervention wird wirklich sehr kurz. Nur damit wegen ist es keine Augenwischerei, dieses Geld es nicht in Vergessenheit gerät, Herr Försterling: zu investieren. Vielmehr gibt es die klare Ansage, Diese Landesregierung macht innerhalb von 14 dass wir den Krippenausbau forcieren und gerade Monaten 4,6 Milliarden Euro neue Schulden. bei der Quantität deutlich nachlegen wollen. (Dr. Karl-Ludwig von Danwitz [CDU]: Sie sagen, Qualität gehe nur über die Veränderung Wo sind Ihre Anträge?) der Betreuungsrelation. Ich sage: Natürlich geht Sie treiben dieses Land in die Schulden und bür- Qualität auch über die Veränderung der Betreu- den diese Schulden Ihren Kindern und Enkeln auf. ungsrelation. Frau Vockert hat eben - wie ich finde, Das ist der Kern Ihrer Politik! Da beißt die Maus sehr gut - ausgeführt, dass Qualität mehr ist als keinen Faden ab. nur die Betreuungsrelation. Schönen Dank. (Ralf Borngräber [SPD]: Sie reden am Thema vorbei!) (Beifall bei der LINKEN)

Der Gesetzentwurf der Fraktion der Linken würde Vizepräsident Dieter Möhrmann: jährlich 1,2 Milliarden Euro Kosten verursachen. Herr Försterling möchte erwidern. Bitte schön! Ich sage hier ganz deutlich: In den 22 Jahren, bis ein Kind sozusagen ins Erwerbsleben kommen Björn Försterling (FDP): würde, würde sich dieser Betrag auf 26,4 Milliar- den Euro summieren, wofür wiederum, wenn man Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr das durch Schulden finanziert, jährlich knapp geehrter Herr Dr. Sohn, niemand hat gesagt, dass 1,2 Milliarden Euro Zinsen zu finanzieren wären. es uns leichtfällt, diese Schulden zu machen. Wir haben immer deutlich gemacht, dass wir diese

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Schulden auch brauchen, um die Finanz- und auf 43 % ab 1. August 2010. Das ist ein enormer Wirtschaftskrise zu überstehen. finanzieller Kraftakt.

Ich sage Ihnen an dieser Stelle ganz deutlich: (Zustimmung bei der CDU) Wenn wir es nicht schaffen, mit diesen Maßnah- men die Finanz- und Wirtschaftkrise zu meistern Diese Mittel bieten den Kitas bzw. den für die Kin- und unsere Wirtschaft wieder auf Wachstum aus- dertagesstätten nach wie vor zuständigen Kom- zurichten, dann brauchen wir in zwei, drei Jahren munen auch neue Spielräume, und zwar nicht nur über Kinderbetreuung nicht mehr zu reden. Das für die Investitionen, sondern auch für die Weiter- heißt, mit diesen Maßnahmen sichern wir den entwicklung der inhaltlichen Qualität. Wohlstand auch für Ihre Kinder. Meine Damen und Herren von der Opposition, (Beifall bei der FDP und bei der CDU) insbesondere von der Linken, Ihre Vorschläge würden im ersten Jahr tatsächlich Mehrkosten in Vizepräsident Dieter Möhrmann: Höhe von 1,8 Milliarden Euro verursachen. In den Folgejahren sind es dann kontinuierlich 1,2 Milliar- Meine Damen und Herren, die jedenfalls für mich den Euro mehr pro Jahr. Ich muss sagen, mir fehlt erkennbar letzte Wortmeldung zu diesem Tages- dafür derzeit angesichts der gleichermaßen äu- ordnungspunkt stammt von der Ministerin. Frau ßerst angespannten Haushaltssituation in den Heister-Neumann, bitte! Kommunen, im Land und natürlich auch im Bund einfach die Bodenhaftung. Elisabeth Heister-Neumann, Kultusministerin: Diese Landesregierung hat sich für einen verlässli- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten chen, soliden Weg entschieden. Wir werden neben Damen und Herren! Die frühkindliche Bildung ist dem weiteren Krippenausbau mit den Trägern wohl uns allen ein gemeinsames Anliegen. Sie ist abgestimmte, differenzierte Empfehlungen für die ein wichtiger Bestandteil niedersächsischer Bil- inhaltliche Arbeit mit Kindern unter drei Jahren dungspolitik, und zwar in Wort und - Frau Staud- vorlegen. Wir unterstützen auch den Ausbau von te! - Tat. integrativen Betreuungsangeboten in Kindertages- Hier ist schon vorgetragen worden - sogar Herr stätten für die Altersgruppe unter drei Jahren. Mei- Brammer hat netterweise darauf hingewiesen -, ne Kollegin und ich haben ja gestern gemeinsam dass in den vergangenen Jahren bereits viel ge- den Startschuss für dieses Modellprojekt gegeben. schehen ist: Wir haben den Orientierungsplan für Bildung und das 100-Millionen-Landesprogramm Im Übrigen haben wir - auch darauf möchte ich „Familien mit Zukunft - Kinder bilden und betreuen“ noch einmal hinweisen - die Forderungen, die von auf den Weg gebracht. Ich nenne weiterhin das Ihnen zur Veränderung der Ausbildung von Erzie- beitragsfreie letzte Kindergartenjahr als Brücken- herinnen und Erziehern und der Einrichtung von jahr zur Grundschule. Das neue Niedersächsische Studiengängen gestellt werden, längst eingelöst. Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung in Das gilt für die Bereiche Sprachförderung, Kleinst- Osnabrück wurde von uns mit 5,5 Millionen Euro kindpädagogik, Integrationspädagogik und auch gefördert. Darüber hinaus haben wir die Fortbil- für die Lernfelder Musik, Bewegung und Naturwis- dung unserer Erzieherinnen und Erzieher mit ins- senschaften. Natürlich benötigen wir in den nächs- gesamt 125 000 Euro gefördert. ten Jahren viele zusätzliche Fachkräfte. Das ist richtig. Ich kann Ihnen aber sagen, dass wir bis Gemeinden, Städte, Landkreise und die Landesre- 2013 genügend Ausbildungsplätze haben werden, gierung setzen Hand in Hand die Vereinbarungen um dem Bedarf gerecht zu werden. zum Krippengipfel mit viel Engagement, mit hohem Mitteleinsatz verlässlich und solide um. Allein dafür Wir sind in Niedersachsen auf einem guten Weg. stellt das Land über 462 Millionen Euro zur Verfü- Wir haben noch einen langen Weg vor uns. Las- gung und trägt damit in der Tat mehr als ein Drittel sen Sie uns diesen Weg gemeinsam wirklich solide der Kosten der Umsetzung des Krippengipfels. und verlässlich gehen! Dann tun wir etwas Gutes Das gilt für die Investitionen und auch für die Be- für die Kinder in unserem Land. triebskosten. Danke schön. Die Finanzhilfe steigt. Sie stieg von 20 % im Jahre (Beifall bei der CDU und bei der FDP) 2008 auf 39 % im Jahre 2009 und steigt sodann

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Vizepräsident Dieter Möhrmann: genstadt, Sie haben hier dargestellt, dass wir in Die SPD-Fraktion hat um zusätzliche Redezeit Niedersachsen Schlusslicht bei der Quote in Be- gebeten. Frau Heiligenstadt hat für zwei Minuten zug auf Betreuung, Bildung und Erziehung der das Wort. Kinder unter drei Jahren sind. Fragen Sie sich bitte einmal selbst, von wo aus diese Landesregierung Frauke Heiligenstadt (SPD): 2003 gestartet ist! Ich beziehe mich hier auf die Personalkosten und alle möglichen weiteren Ge- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen gebenheiten. und Kollegen! Ich denke, man kann eines nicht stehen lassen. Wir hören hier ständig den Spruch: (Wolfgang Jüttner [SPD]: Sie sind jetzt Wir sind auf einem guten Weg. Wir haben zwar schon sieben Jahre zugange! Was noch viel zu tun, aber wir sind gut unterwegs. - haben Sie denn in sieben Jahren ge- Niedersachsen ist und bleibt neben Nordrhein- macht?) Westfalen Schlusslicht bei der Quote der Betreu- - Herr Jüttner, fragen auch Sie sich das einmal. ung. Welches waren damals die Gegebenheiten? Was (Beifall bei der SPD und bei der LIN- haben wir gemacht? - Ich kann es Ihnen gerne KEN) darstellen. Vorher will ich aber noch sagen, von wo aus wir gestartet sind und wo wir heute stehen. Im Niedersachsen ist bei den Kindern im Alter von Bundesländervergleich haben wir insgesamt den drei bis sechs Jahren, was die Betreuungsquote größten prozentualen Zuwachs erreicht, gemessen angeht, weit abgeschlagen, obwohl es einen daran, wo wir gestartet sind. Das müssen Sie zur Rechtsanspruch auf Betreuung gibt. Niedersach- Kenntnis nehmen. sen ist bundesweit das Schlusslicht, was das Thema Integration von Kindern mit Behinderungen Was haben wir seit 2003 getan? Wer hat den Ori- insbesondere im Krippenbereich betrifft. entierungsplan für Bildung und Erziehung auf den Weg gebracht und damit Bildung und Erziehung Frau Ministerin, es ist ja sehr löblich, dass Sie jetzt überhaupt erstmals in den Bereich der Kita aufge- wieder Modellprojekte öffentlich vermarkten. Es nommen? Wer? sind aber nicht Modellprojekte nötig, sondern - dafür haben Sie lange genug Zeit gehabt - ver- (Beifall bei der CDU und bei der FDP) nünftige, nachhaltige und langfristige Infrastruktu- Das war diese Landesregierung! ren. In dieser Hinsicht ist Niedersachsen wirklich Wer hat in diesem Bereich das beitragsfreie Kita- Schlusslicht. In diesem Bereich haben andere Jahr durchgesetzt? - Das war diese Landesregie- Bundesländer weitaus schneller gearbeitet und viel rung. mehr aufgeholt. Obwohl Niedersachsen ganz weit hinten lag, sind wir jetzt noch nicht einmal bei der (Beifall bei der CDU und bei der FDP) Dynamisierungsquote unter den Ersten, obwohl wir Sie haben in diesem Bereich die Kinderpflegeaus- dies nötig hätten. Hören wir also bitte auf, ständig bildung nicht auf das Qualitätsniveau gebracht, wie davon zu reden, wir seien auf einem guten Weg! wir es uns gewünscht haben. Sie haben in dieser Das haben Eltern und Kinder in diesem Land nicht Hinsicht nichts getan. Diese Landesregierung hat verdient. die entscheidenden Maßnahmen auf diesem Ge- (Lebhafer Beifall bei der SPD - Beifall biet ergriffen. Ich könnte Ihnen zahlreiche Faktoren bei den GRÜNEN und bei der LIN- nennen. Ich erwähne hier das Niedersächsische KEN) Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung. Suchen Sie einmal bundesweit nach einer solchen Vizepräsident Dieter Möhrmann: Einrichtung. Sie finden solch eine Einrichtung nir- Die CDU-Fraktion hat ebenfalls zusätzliche Rede- gendwo anders. Hier in Niedersachsen wurde nie zeit beantragt. Frau Vockert, auch Sie haben für mehr Geld, wurden nie mehr finanzielle Mittel für zwei Minuten das Wort. diesen Bereich zur Verfügung gestellt, als es diese Landesregierung getan hat und weiterhin tun wird. Astrid Vockert (CDU): In dieser Hinsicht lassen wir uns überhaupt nichts vormachen. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor hier Geschichtsklitterung betrieben wird, (Lebhafter Beifall bei der CDU und bei möchte ich Folgendes sagen: Frau Kollegin Heili- der FDP)

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Vizepräsident Dieter Möhrmann: Eine mündliche Berichterstattung ist nicht vorge- Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen sehen. liegen mir nicht vor. Ich schließe die Beratung. Ich eröffne die Aussprache. Zunächst hat Frau Polat von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wir kommen zur Abstimmung. Wort. Wir stimmen zunächst über die Nr. 1 der Be- schlussempfehlung des Ausschusses ab. Wer der Filiz Polat (GRÜNE): Beschlussempfehlung des Ausschusses zustim- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und men und damit den Gesetzentwurf der Fraktion Herren! 2010 hätte ein angemessener Neustart für DIE LINKE in der Drs. 16/1491 ablehnen will, den die niedersächsische Härtefallkommission werden bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - können, mit einer gesetzlichen Grundlage, deren Stimmenthaltungen? - Damit ist es so beschlos- Entwurf wir Ihnen vorgelegt haben, beschlossen sen, wie der Ausschuss empfohlen hat. von diesem Parlament, in der Verantwortung die- ses Parlamentes, jenseits der Landesregierung Wir kommen zur Abstimmung über die Nr. 2 der und eines Innenministers, der, wie er auch öffent- Beschlussempfehlung des Ausschusses. Wer der lich bekundet, eine Härtefallkommission bis heute Beschlussempfehlung des Ausschusses zustim- ablehnt. Diese gesetzliche Grundlage hätte die men und damit den Antrag der Fraktion DIE LINKE Kommission erstmals in die Lage versetzt, die in der Drs. 16/1493 ablehnen will, den bitte ich um Handlungsspielräume, die ihr der Bundesgesetz- ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthal- geber eröffnet hat, auszuschöpfen. tungen? - Damit ist der Empfehlung des Ausschus- ses gefolgt worden. Die Einschränkung der Härtefallkommission des Landes Niedersachsen durch die vor Kurzem zum, Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Nr. 3 glaube ich, vierten Mal beschlossene Härtefall- der Beschlussempfehlung. Wer der Beschluss- kommissionsverordnung ist so stark, dass sie aus empfehlung des Ausschusses zustimmen will und unserer Sicht die humanitäre Intention des Aufent- damit den Antrag der Fraktion der SPD in der haltsgesetzes konterkariert. Die Verordnung ist - Drs. 16/1506 ablehnen möchte, den bitte ich um das habe ich schon zur Einbringung des Gesetz- ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer entwurfes gesagt - von Ausschlusskriterien ge- enthält sich der Stimme? - Dann ist auch hier der prägt. Das ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, Ausschussempfehlung gefolgt worden. nichts Überraschendes, wie Sie wissen; denn so Wir kommen jetzt noch zur Abstimmung über die sieht die Flüchtlingspolitik dieser Landesregierung Nr. 4 der Beschlussempfehlung. Wer der Nr. 4 der nun einmal aus. Zehn Nichtannahmegründe und Beschlussempfehlung des Ausschusses zustim- vier Regelausschlussgründe werden minutiös auf- men will und damit die in die Beratung einbe- gelistet. Aus ihnen ergibt sich, wer keinen An- zogene Eingabe 1229 für erledigt erklären möchte, spruch darauf haben soll, dass sein Fall in der den bitte ich ebenfalls um ein Handzeichen. - Ge- Härtefallkommission beraten wird, und in welchen genstimmen? - Stimmenthaltungen? - Dann ist es Fällen eine Empfehlung zur Anerkennung als Här- auch hier so beschlossen. tefall zumindest erschwert ist.

Ich rufe dann den Tagesordnungspunkt 5 auf: Herr Rolfes, wir haben uns gefragt, warum das so ist. Der Bundesgesetzgeber gibt das nicht vor. Mit unserem Gesetzentwurf geben wir maximalen Zweite Beratung: Entscheidungsspielraum in die Hände der Mitglie- Entwurf eines Gesetzes zur Einrichtung einer der der Härtefallkommission. An dieser Stelle sei Härtefallkommission (Härtefallkommissionsge- es mir gestattet, allen neuen und alten Mitgliedern setz - HFKG) - Gesetzentwurf der Fraktion Bünd- viel Kraft und Energie zu wünschen. Vor Kurzem nis 90/Die Grünen - Drs. 16/1050 - Beschlussemp- wurde eine weitere Amtszeit beschlossen; die Mit- fehlung des Ausschusses für Inneres, Sport und glieder sind für weitere zwei Jahre berufen worden. Integration - Drs. 16/1941 - Schriftlicher Bericht - Wir hätten gerne gesehen, dass die Mehrheit die- Drs. 16/1948 ses Hohen Hauses den Mitgliedern der Kommissi- on die Wertschätzung und das Vertrauen ge- schenkt hätte, die zum Ausdruck zu bringen wir mit Die Beschlussempfehlung lautet auf Ablehnung. unserem Gesetzentwurf intendiert haben.

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In unserem Gesetzentwurf machen wir Vorschläge schwierigen Situationen befinden und ein humani- zu einer veränderten Zusammensetzung der Kom- täres Anliegen haben, verdient. mission sowie zu einer Vorprüfungskommission. Diese Chance vertun Sie. Sie haben nicht einmal Wir sorgen für einen freien Zugang zur Kommissi- die entsprechenden Organisationen angehört. on und für die Möglichkeit, rein nach humanitären Dazu muss ich wiederholen, dass Sie ganz offen- Gesichtspunkten zu entscheiden. Wir setzen ein sichtlich gefürchtet haben wie der Teufel das deutliches Zeichen, indem wir die Stimmen der Weihwasser, von den Engagierten aus der Arbeit Mehrheit der anwesenden Mitglieder genügen ins Stammbuch geschrieben zu bekommen, wie lassen. So machen wir Schluss mit den Rechen- sehr Sie, Herr Schünemann, Ihre ganze Kraft nur kunststücken der Landesregierung, die zunächst dafür eingesetzt haben, Härtefallverfahren zu er- als großzügige Zugeständnisse verkauft wurden schweren. und letztlich keine praktischen Auswirkungen hat- ten. Weiteren Entscheidungsraum erhält die Kom- (Editha Lorberg [CDU]: Das ist doch mission durch die in unserem Gesetzentwurf vor- nicht wahr!) gesehene konsequente Streichung der Nichtan- nahmegründe und Regelausschlussgründe. Die Nach wie vor gibt es keine optimale Regelung, die dringenden humanitären oder persönlichen Grün- der Vorgabe des Bundesgesetzes, nach humanitä- de, die laut § 23 a des Aufenthaltsgesetzes - das ren Gesichtspunkten zu Entscheidungen außer- ist die bundesgesetzliche Grundlage - die weitere halb der üblichen Rechtsnormen zu kommen, in Anwesenheit eines Ausländers im Bundesgebiet diesem Lande Raum gäbe. rechtfertigen können, rücken somit wieder in den (Minister Uwe Schünemann spricht Vordergrund. mit Minister Lutz Stratmann - Pia- Sie allerdings werden sich zum wiederholten Male Beate Zimmermann [LINKE]: Herr einem Fortschritt für die Härtefallkommission ver- Schünemann hört gar nicht zu!) weigern. Das bedaure ich sehr. Gut, irren ist Alle Versuche in der Vergangenheit, das über Ent- menschlich. Sie werden heute wahrscheinlich den schließungsanträge und durch Einflussnahme auf Gesetzentwurf ablehnen. Wir kündigen schon jetzt die Landesregierung hinsichtlich der Kommissi- an, weiter an diesem Thema dranzubleiben. Sie onsverordnungen zu erreichen, sind gescheitert. wissen, dass die Härtefallkommission im Jahr 2010 Deswegen war es nur konsequent, über einen durch die nicht gelungene Fortsetzung der Altfall- Gesetzentwurf zu beraten. Über ihn wollen Sie regelung vor noch größeren Herausforderungen aber heute nicht beraten, sondern Sie wollen ihn steht. ablehnen. Damit vertun Sie eine Chance. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Sie allein haben es zu verantworten, wenn wir hier (Beifall bei den GRÜNEN, bei der in Zukunft weiter all die Punkte auf die Tagesord- SPD und bei der LINKEN) nung setzen und kein Gremium haben, das im Lande hohe Akzeptanz genießt und - in anderer personeller Zusammensetzung und mit anderen Vizepräsident Dieter Möhrmann: Rechten als bisher, wie eben im Detail von der Als nächster Redner hat sich für die SPD-Fraktion Kollegin Polat ausgeführt - Härtefallverfahren so Herr Bachmann zu Wort gemeldet. abwickelt, wie es der Bundesgesetzgeber eigent- lich intendiert hat. Das wollen Sie so nicht, und Klaus-Peter Bachmann (SPD): deswegen tragen Sie die Verantwortung, wenn Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und dieses Thema hier auf der Tagesordnung bleibt Herren! Der Niedersächsische Landtag vergibt und immer wieder auf die Tagesordnung kommt. heute eine Chance. Er vergibt die Chance, nach Werfen Sie uns das dann bitte nicht vor, wenn wir intensiven Beratungen und Anhörung aller gesell- das hier thematisieren! schaftlich Beteiligten aus dem Bereich der Integra- (Beifall bei der SPD und bei der LIN- tionsarbeit, der Kommunen, der Sozialpartner und KEN) der Wohlfahrtsverbände den ernsthaften Versuch zu unternehmen, ein Härtefallkommissionsgesetz Herr Schünemann, was Ihr Verhalten angeht, kann zu schaffen, das in diesem Lande die Akzeptanz ich eigentlich nur Günther Grass zitieren. Das, was erfährt, die die wichtige Arbeit der Kommission für Sie als Fortschritt bezeichnen, ist eine Schnecke. Menschen, die sich in einer ganz besonders Bei Ihnen ist der Fortschritt eine Schnecke; denn

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Sie haben sich immer nur so weit bewegt, wie Sie (Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- persönlich es verantworten wollten, ohne die an NEN und bei der LINKEN) der Kommission Beteiligten zu berücksichtigen, ohne vernünftige Verfahrensweisen zu schaffen, Vizepräsident Dieter Möhrmann: ohne die Ausschlussgründe, die der Einleitung von Meine Damen und Herren, ich erteile nun Frau Verfahren entgegenstehen, abzuschaffen. Solche Zimmermann von der Fraktion DIE LINKE das Ausschlussgründe hat der Bundesgesetzgeber nie Wort. gewollt. Er sagt, außerhalb aller üblichen Rechts- normen soll hier unter humanitären Gesichtspunk- (Beifall bei der LINKEN - Heinz Rolfes ten entschieden werden. Sie aber haben sich erst [CDU]: So etwas nennt man norma- einmal bemüht, einen Katalog aufzustellen, in wel- lerweise Vorschusslorbeeren! Das ist chen Fällen es überhaupt nicht zu einer Prüfung nicht so gut!) und zu einem Härtefallverfahren kommen darf. Sie haben weder das Gespräch mit den Beteiligten Pia-Beate Zimmermann (LINKE): gesucht, noch sind Sie ernsthaft an einem vernünf- tigen Härtefallverfahren interessiert. Das hat die Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da Kollegin Polat eben schon gesagt. Sie vertun die mich die Debatte der letzten Monate zur Arbeit der Chance, dass der Landesgesetzgeber das in die Härtefallkommission in einem Punkt mehr als be- Hand nimmt. stärkt hat, setze ich an den Anfang meiner Ausfüh- rungen: Durch keine wie auch immer zusammen- Lassen Sie mich gleich noch eines präventiv sa- gesetzte und arbeitende Härtefallkommission kön- gen, weil ich ahne, welche Argumente jetzt gleich nen die inhumane Flüchtlingspolitik der Bundesre- wieder aus der CDU-Fraktion kommen: Wenn man publik Deutschland und der Europäischen Union diesen Gesetzentwurf der Grünen ernsthaft bera- insgesamt und die darauf fußende Gesetzgebung ten hätte, wäre er hier mit Sicherheit nicht 1 : 1 außer Kraft gesetzt werden. beschlossen worden; die Mehrheitsverhältnisse dieses Hauses kennen auch wir. Wir hätten aber (Beifall bei der LINKEN) die Chance gehabt, uns auf Kompromisse zu ver- ständigen, die die Akzeptanz, die Arbeit und die Hier müssen wir endlich einen grundsätzlichen Inhalte der Härtefallkommission auf eine breite Wandel herbeiführen. Beispiele dafür gibt es zur parlamentarische Basis gestellt hätten. Hätten Sie Genüge. Genannt seien die völlig inakzeptablen die Organisationen im Lande gehört, hätten Sie Abschiebungen von Roma in das Kosovo oder das genau diese Forderungen bekommen, und Sie sogenannte Rücknahmeabkommen der Bundesre- hätten weniger Argumente in der Hand gehabt, publik Deutschland mit Syrien, welches dazu führt, sich dem zu widersetzen. Sie haben es aber gar dass abgeschobene Personen direkt im Gefängnis nicht erst versucht und deswegen keine Anhörung landen oder völlig perspektivlos dahinvegetieren zugelassen. müssen. Wenn Sie jetzt sagen, in Hamburg und in Bremen Trotzdem unterstützt meine Fraktion natürlich auch sei das alles noch viel schwieriger als in Nieder- kleine Veränderungsschritte und deshalb auch den sachsen, dann will ich es so zusammenfassen: Wir Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen. Auch haben schon einen besonderen Innenminister. wenn wir mittlerweile eine neue Verordnung des Innenministeriums zur Härtefallkommission haben, (David McAllister [CDU]: Einen her- so schöpft diese die Handlungsspielräume des vorragenden!) § 23 a des Aufenthaltsgesetzes wiederum nicht Dieser besondere Innenminister verdient auch aus. Das Quorum, welches benötigt wird, um einen besondere Antworten dieses Parlaments. Da wir Fall positiv zu bescheiden, ist und bleibt leider ihm eine vernünftige Verordnung nicht zutrauen, unverändert. geht es eigentlich nicht ohne ein Gesetz. Aber Sie Wie wir bereits festgestellt haben, ist unter diesen wollen sich an dieser Stelle nicht bewegen. Die Umständen die Härtefallkommission nicht arbeits- Folgen haben Sie zu tragen. fähig. Sie wird so stark eingeschränkt, dass die (Hans-Christian Biallas [CDU]: Wir Intention des § 23 a des Aufenthaltsgesetzes kon- tragen es mit Fassung und Würde!) terkariert wird. Aus diesem Grunde ist es richtig, Vielen Dank. dass nunmehr der Gesetzgeber - der Landtag - das Heft des Handelns in die Hand nimmt und ein

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eigenes Gesetz zu den Arbeitsgrundlagen der Meine Damen und Herren, die Härtefallkommission Härtefallkommission verabschiedet. ist für viele Menschen, die nicht von den Aufent- haltsgesetzen begünstigt, aber vollziehbar zur (Beifall bei der LINKEN) Ausreise verpflichtet werden, eine Hoffnung auf ein Dafür bietet der uns vorliegende Entwurf eine dauerhaftes Bleiberecht - aber natürlich immer nur Grundlage. Die Linksfraktion lehnt die Beschluss- dann, wenn sie sich in einer besonderen Härtefall- empfehlung des Ausschusses ab und stimmt dem situation befinden. Daher begrüßen wir als CDU- Gesetzentwurf zu. Fraktion sehr, dass die Härtefallkommission nun dauerhaft eingerichtet ist. Danke schön. Ich möchte aber auch ganz deutlich sagen, dass (Beifall bei der LINKEN und Zustim- diese Kommission auch gesetzlichen Regelungen mung von Heiner Bartling [SPD] und unterliegt. Das ist gut und richtig und vor allem von Helge Limburg [GRÜNE]) ausreichend. Vizepräsident Dieter Möhrmann: (Filiz Polat [GRÜNE]: Sie unterliegt Meine Damen und Herren, für die CDU-Fraktion der Verordnung der Landesregie- erteile ich Frau Lorberg das Wort. Bitte! rung!) Zu Beginn des Jahres 2010 hat Herr Minister Editha Lorberg (CDU): Schünemann die neue Vorsitzende der Kommissi- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im März on, Frau Dr. Lindner, und die Mitglieder für die 2009 brachte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zweite Amtszeit berufen. Die Härtefallkommission einen Gesetzentwurf zur Einrichtung einer Härte- wird auch künftig aus neun Mitgliedern und deren fallkommission auf den Weg. Seit der Einrichtung Stellvertretern bestehen. Darauf hat man sich in der Härtefallkommission im September 2009 regelt dieser Kommission unter allen Mitgliedern der die niedersächsische Härtefallkommissionsverord- Kommission geeinigt. Das Vorschlagsrecht zur nung das Verfahren und die Einrichtung dieser Berufung eines Mitglieds und dessen Stellvertre- Kommission. ters wurde vom Niedersächsischen Landkreistag, Allgemein bekannt ist, dass es in der Vergangen- vom Niedersächsischen Städtetag, der Konfödera- heit durchaus einige Differenzen gab und dass tion der Evangelischen Kirchen, dem Katholischen man die Arbeit in der Kommission nicht immer als Büro und der Landesarbeitsgemeinschaft der Frei- optimal angesehen hat. Aufgrund dieser Problema- en Wohlfahrtspflege wahrgenommen. Ich bin fest tiken haben dann Gespräche zwischen dem In- davon überzeugt, dass durch die genannten Insti- nenminister, dem Ministerpräsidenten und den tutionen sehr viel Kompetenz und Sachverstand in Kommissionsmitgliedern stattgefunden. Ziel dieser diese Kommission einfließen. Gespräche war es, das Klima und die Arbeitsweise Meine Damen und Herren, im Verlauf des Jahres in der Kommission zu verbessern und zu optimie- 2009 hat die CDU immer wieder deutlich gemacht, ren. In diesen Gesprächen hat man sich darauf dass der Gesetzentwurf der Grünen unnötig ist. geeinigt, dass die Verordnung geändert werden Wir waren uns sicher, dass die Gespräche zwi- soll. Diese Veränderungen hat der Innenminister schen dem Innenminister und den Kommissions- im August 2009 den Kommissionsmitgliedern vor- mitgliedern zu einer Einigung führen würden. Das gestellt. hat sich nun bestätigt. Die Kommission arbeitet auf In der Kommission einigte man sich dann einver- einer untereinander abgestimmten Basis hervorra- nehmlich auf diese Vorschläge, die natürlich auch gend und vertrauensvoll zusammen. in die Verbandsanhörung gegangen sind. In der (Ursula Helmhold [GRÜNE]: Seit Novembersitzung des Plenums stellte Herr Minis- wann? - Klaus-Peter Bachmann ter Schünemann die beabsichtigten Änderungen [SPD]: Warten wir einmal ab!) vor; daher erspare ich mir hier die Darstellung des Sachverhaltes im Einzelnen. Nach der Auswertung Die CDU begegnet der Arbeit der Kommission mit der Verbandsanhörung ist die Verordnung am sehr viel Respekt und Anerkennung. Die Ergebnis- 16. Dezember 2009 in Kraft getreten. Gleichzeitig se des Jahres 2009 überzeugen uns und machen wurde die Härtefallkommission auf Dauer einge- deutlich, dass die interne Debatte in der Kommis- richtet. sion beendet ist und man sich jetzt in vollem Um- fang den Eingaben zuwendet.

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(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Heute haben wir eine andere Situation als zu dem Klaus-Peter Bachmann [SPD]: Mal Zeitpunkt, zu dem der Gesetzentwurf der Grünen sehen, wie lange das Prinzip Hoff- vorgestellt wurde. Heute haben wir eine neue Ver- nung anhält!) ordnung, die Verbesserungen mit sich gebracht hat, über die ich sehr froh bin. Hier geht es bei- - Herr Bachmann, wir brauchen dieses Gesetz in spielsweise um die Frage der Annahme der Anträ- Niedersachsen nicht. Die Verordnung ist völlig ge. Aus Sicht der FDP-Fraktion ist das ein Fort- ausreichend. Die Forderungen im Gesetzentwurf schritt. Ich bin sicher, dass diese Verordnung eine der Grünen entbehren jeder Grundlage, sind über- gute Grundlage für die Arbeit der Härtefallkommis- zogen und unrealistisch. Hier wird deutlich, dass sion ist. es Ihnen nicht um humanitäre Lösungen von Ein- zelfällen geht, sondern dass Sie Beliebigkeit er- (Zustimmung von Ingrid Klopp [CDU]) zeugen wollen. Für die FDP-Fraktion möchte ich hier deutlich ma- (Filiz Polat [GRÜNE]: Das unterstellen chen - ich denke, ich spreche da auch für die Mit- Sie der katholischen Kirche?) glieder der CDU-Fraktion -, dass die Mitglieder der Härtefallkommission unsere absolute Hochachtung - Frau Polat, das habe ich gar nicht getan. Sie und Wertschätzung haben und unser Vertrauen haben mir nicht zugehört. Das, was ich gesagt genießen, und zwar unabhängig davon, liebe Frau habe, bezieht sich auf die Forderung in Ihrem Ge- Kollegin Polat, ob wir auf Basis einer Verordnung setzentwurf. Dabei bleibe ich. Daher lehnen wir oder eines Gesetzes arbeiten. Die Mitglieder der diesen Gesetzentwurf heute aus tiefer Überzeu- Härtefallkommission haben die absolute Unterstüt- gung ab. zung der Fraktionen von CDU und FDP in diesem (Klaus-Peter Bachmann [SPD]: Haben Hause. Sie nicht gehört, was ich eben gesagt (Beifall bei der FDP und bei der CDU) habe?) Die Arbeit, die in der Härtefallkommission gemacht Wir wünschen den Mitgliedern der Härtefallkom- wird, ist keine einfache. Es geht immer um Einzel- mission viel Kraft und eine gute Hand für die gera- schicksale, um Menschen und um humanitäre de begonnene Amtszeit. Gründe. Von daher glaube ich, dass das, was Sie Ich danke Ihnen. dargestellt haben, jeder Grundlage entbehrt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Hier im Hause ist allgemein bekannt, dass wir als Klaus-Peter Bachmann [SPD]: Gehen FDP-Fraktion uns durchaus weitere Veränderun- Sie doch einmal auf das ein, was ich gen hätten vorstellen können, beispielsweise bei hier sage!) der Frage der Anzahl der Mitglieder. Aber ich glau- be, dass der Kompromiss, der jetzt mit der Härte- Vizepräsident Dieter Möhrmann: fallkommissionsverordnung gefunden wurde, durchaus eine gute Grundlage darstellt. Meine Damen und Herren, der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist, soweit für mich Ich möchte noch kurz auf Frau Zimmermann ein- erkennbar, Herr Oetjen von der FDP-Fraktion. gehen, weil sie eine Grundsatzkritik an der aktuel- Bitte! len Gestaltung der Politik in der Europäischen Union geäußert hat. Dazu möchte ich nur eines Jan-Christoph Oetjen (FDP): sagen. Es geht doch nicht, Frau Kollegin Zimmer- mann, dass wir uns national isolieren. Vielmehr Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und müssen wir in der Außenpolitik, insbesondere in Herren! Als die Fraktion der Grünen diesen Ge- der Flüchtlingspolitik, europäische Lösungen fin- setzentwurf eingebracht hat - das ist ja schon eini- den. Wir können nicht in unseren nationalen Gren- ge Zeit her -, hatten wir eine andere Situation. zen denken. Deshalb basieren Entscheidungen, Damals hatte die Härtefallkommission ihren Ar- gerade wenn es um die Frage von Abschiebungen beitsstil für sich selber noch nicht gefunden und geht, zu großen Teilen auf Normen, die von den gesagt: So geht es im Moment nicht weiter. - Dann Vereinten Nationen ausgearbeitet werden; auf gab es sehr intensive Gespräche zwischen der diese beziehen wir uns dann. Wir erhalten regel- Landesregierung und den Mitgliedern der Härte- mäßig Lageeinschätzungen vom Außenministeri- fallkommission. um. Daher glaube ich, dass die Grundsatzkritik, die

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Sie hier geäußert haben, jeder Grundlage ent- Artikel 1. - Unverändert. behrt. Artikel 2. - Unverändert. (Zustimmung bei der CDU) Gesetzesüberschrift. - Unverändert. Ich möchte abschließend sagen: Die neue Verord- Wer dem Gesetzentwurf zustimmen möchte, den nung zur Härtefallkommission bietet eine ordentli- bitte ich, sich zu erheben. - Gibt es Gegenstim- che Grundlage für eine gute Arbeit der Kommissi- men? - Stimmenthaltungen? - Dem ist so gefolgt on. Wir vertrauen darauf, dass die gute Arbeit kon- worden. Damit ist das Gesetz beschlossen. sequent fortgesetzt wird. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 7 auf: Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP und bei der CDU) Erste Beratung: Vizepräsident Dieter Möhrmann: Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen Versammlungsrechts - Gesetzentwurf der Frakti- liegen mir nicht vor. onen der CDU und der FDP - Drs. 16/2075 Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses Zur Einbringung hat sich Herr Biallas gemeldet. zustimmen und damit den Gesetzentwurf der Frak- Herr Biallas, Sie haben das Wort. tion Bündnis 90/Die Grünen in der Drs. 16/1050 ablehnen möchte, den bitte ich um das Handzei- Hans-Christian Biallas (CDU): chen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Der Beschlussempfehlung des Ausschusses wur- Herren! Durch die Föderalismusreform ist das Ver- de gefolgt. sammlungsrecht Ländersache geworden. Das bisher bundesweit geltende Versammlungsrecht Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: von 1953 basiert auf dem Bundesgesetz über Ver- sammlungen und Aufzüge. Einzige (abschließende) Beratung: Artikel 8 des Grundgesetzes schützt die Versamm- Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen lungsfreiheit; denn die Versammlungsfreiheit ist für zwischen dem Land Niedersachsen und der unser demokratisches Staatswesen von grundle- Freien und Hansestadt Hamburg über die Zu- gender Bedeutung und ermöglicht es dem Einzel- ständigkeit des Jugendrichters eines hambur- nen, seine Persönlichkeit im Rahmen öffentlicher gischen Amtsgerichts als Vollstreckungsleiter Zusammenkünfte zu entfalten und sich am demo- für die Vollstreckung von Jugendstrafe und kratischen Prozess öffentlicher Meinungsbildung Jugendarrest und als Vollzugsleiter für den zu beteiligen. Das Recht, sich ungehindert und Vollzug von Jugendarrest sowie der Jugend- ohne besondere Erlaubnis zu versammeln, ist kammer und der Strafvollstreckungskammer Ausdruck der Freiheit, der Unabhängigkeit und der bei dem Landgericht Hamburg für die Justiz- politischen Mündigkeit des Einzelnen. vollzugsanstalt Hahnöfersand - Gesetzentwurf (Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Ohne be- der Landesregierung - Drs. 16/1710 - Beschluss- sondere Erlaubnis!) empfehlung des Ausschusses für Rechts- und Verfassungsfragen - Drs. 16/2078 Versammlungen sind wesentliche Elemente demo- kratischer Offenheit und vor allem für Minderheiten eine öffentlichkeitswirksame Form der kollektiven Die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Meinungs- und Interessenkundgabe. Rechts- und Verfassungsfragen lautet auf unver- Damit ist im Grunde genommen schon fast alles änderte Annahme. gesagt, was man zu einem sinnvollen Versamm- Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen. lungsrecht sagen kann. Eigentlich müsste die Be- geisterung in diesem Hause jetzt ausufernd sein; Zur Aussprache wird nicht das Wort gewünscht. denn der Prozess der Willensbildung in der reprä- Damit kommen wir zur Einzelberatung. Ich rufe sentativen Demokratie wird damit um ein Stück auf: ursprünglich unmittelbarer Demokratie ergänzt.

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Nun haben sich die Anforderungen an ein moder- (Wolfgang Jüttner [SPD]: Da hat er nes Versammlungsrecht seit 1953 verändert, so recht!) wie sich seit 1953 auch der Wunsch der Men- Die Anzeigepflicht für Versammlungen unter freiem schen, ihre Meinung zu artikulieren, verändert hat. Himmel wird praxisgerechter ausgestaltet. Die In der Vergangenheit hat es zahlreiche - auch Vorgaben hinsichtlich Inhalt und Frist erleichtern es höchstrichterliche - Entscheidungen gegeben, so der Versammlungsbehörde, die notwendigen Vor- z. B. die sogenannte Brokdorf-Entscheidung, um kehrungen für eine störungsfreie Durchführung der die das Bundesrecht entsprechend ergänzt worden Versammlung zu treffen und gegebenenfalls recht- ist. Das hat zur Folge, dass für die heutige Praxis zeitig mit der anzeigenden Person Fragen im nicht allein der Gesetzeswortlaut maßgeblich, son- Rahmen der Kooperation zu erörtern. Auch inso- dern zudem eine gerade für den Laien unüber- weit hat sich etwas geändert. Der Gesetzestext schaubare Vielzahl gerichtlicher Entscheidungen zielt darauf ab, dass es möglichst zu einer Koope- zu beachten ist. Deshalb ist es wichtig, dass die- ration zwischen Veranstalter und Behörde kommt, ses Gesetz so verständlich gestaltet wird, dass wobei die Behörde im Gesetz zur Kooperation erstens diejenigen, die nach diesem Gesetz z. B. verpflichtet wird, der Veranstalter allerdings nicht, demonstrieren wollen, auch wissen, welche Regeln weil man ihn rechtlich nicht dazu verpflichten kann. gelten, und zweitens, dass nicht mehr Regeln gel- Aber die Behörde ist dazu verpflichtet. ten, als zwingend erforderlich ist. Das heißt, es ist überdies ein schlanker Gesetzentwurf notwendig. Für kleine Versammlungen von 20 Personen oder weniger gilt eine erleichterte Anzeigepflicht. Des Ziel ist es, ein praxisnahes und - ich habe es eben Weiteren gibt es ausdrückliche Regelungen zu gesagt - anwenderfreundliches Gesetz zu schaf- Spontan- und Eilversammlungen und dadurch fen. auch für solche Rechtssicherheit. Das war bisher (Zustimmung bei der CDU und bei der nicht der Fall. FDP) (Jan-Christoph Oetjen [FDP]: Richtig!) Ziel ist es, friedliche Versammlungen zu schützen Die Versammlungsfreiheit schützt nur diejenigen, und durch die Regelungen des Gesetzes zu errei- die sich friedlich und ohne Waffen versammeln. chen, dass jeder, der nicht friedlich demonstriert, Aggressiv-militantes oder gewalttätiges Verhalten weiß, welche Folgen das hat. Das Gesetz schützt ist nicht geschützt. Ferner wird die Gewährleistung also friedliche, aber nicht unfriedliche Versamm- eines gewaltfreien Verlaufs einer Versammlung lungen. In dem Gesetz sind Instrumente vorgese- dadurch unterstützt, dass der Versammlungsbe- hen, mit denen unfriedliche und gewalttätige Ver- hörde die Befugnis eingeräumt wird, für die Auf- sammlungen wirksam unterbunden werden kön- rechterhaltung der Friedlichkeit ungeeignete Leiter nen; auch das ist wichtig. und Ordner abzulehnen. Die Praxis zeigt: Nicht (Zustimmung bei der CDU - Ralf Brie- jeder, der von sich behauptet, er sei ein Ordner, se [GRÜNE]: Genau, da wird ge- sorgt auch für Ordnung. Eine ganze Menge derer, klatscht!) die mit dem Schild „Ordner“ herumlaufen, fällt da- durch auf, dass sie für Unordnung sorgen. Dann Zudem wird der Begriff der Versammlung gesetz- kann man sie sozusagen des Amtes entheben, lich definiert, um die unter dem besonderen Schutz was sicherlich auch im Interesse der geneigten von Artikel 8 des Grundgesetzes stehenden Ver- Opposition richtig ist. sammlungen gegenüber sonstigen Versammlun- gen, die beispielsweise kommerziellen oder reinen (Wolfgang Jüttner [SPD]: Der Ord- Unterhaltungszwecken dienen, zu erleichtern. Es nung insbesondere!) soll deutlich werden, dass sich kommerzielle Ver- Der Schutz der Würde der Opfer der nationalsozia- anstaltungen, wie z. B. Konzerte, von Demonstra- listischen Gewaltherrschaft wird durch Regelungen tionen und Versammlungen unterscheiden, für besonders symbolträchtige Orte oder Tage, (Wolfgang Jüttner [SPD]: Das sagt nach denen eine Versammlung unter erleichterten schon der Name!) Voraussetzungen verboten oder zumindest mit entsprechenden Beschränkungen versehen wer- obwohl Konzerte manchmal natürlich auch zu De- den kann, verbessert. monstrationen der Freude führen können; aber das weiß man vorher nicht so genau. (Zustimmung bei der CDU)

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Das Anfertigen von Bild- und Tonaufnahmen durch (Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Die sind die Polizei anlässlich von Versammlungen - ein fachkundig!) spannendes Thema - ist bislang in dem alten, jetzt geltenden Gesetz nur rudimentär geregelt. Ich - Ich weiß nicht, ob das an Ihnen liegt. Darüber will denke, es ist gut, dass hier klare Voraussetzungen ich jetzt auch gar nicht spekulieren. - Das Bann- für die Einsatzkräfte der Polizei geschaffen werden meilengesetz legt jedenfalls in großer und klarer und dass auch Rechtssicherheit für diejenigen Deutlichkeit fest, wie die Eingriffsbefugnisse der geschaffen wird, die potenziell von Datenerhe- Polizei im und vor dem Landtag geregelt sind. Ich bungsmaßnahmen betroffen sind. Auch das ist im glaube, es ist wichtig, dass die Polizei auch auf- Gesetzentwurf, wie wir finden, gut und richtig ge- grund der Bestimmungen des Bannmeilengeset- regelt. zes weiß, was hier im und vor dem Landtag mög- lich ist und was nicht. Ich denke, die Unabhängig- Eine Kostenpflicht für versammlungsbehördliche keit der parlamentarischen Beratungen und auch Entscheidungen würde mittelbar in die Versamm- die Unabhängigkeit der Entscheidungen muss lungsfreiheit eingreifen und wäre im Regelfall nicht dadurch geschützt werden. Das war bisher immer zu rechtfertigen. Deshalb gilt der Grundsatz: De- ein großer Konsens in diesem Hause. monstrieren kostet in Niedersachsen nichts. Weiter gilt: Die versammlungsrechtlichen Straf- (Beifall bei der CDU und bei der FDP) und Bußgeldtatbestände werden systematisiert Nun noch ein Satz zu unseren Freunden auf der und hinsichtlich der jeweils angedrohten Sanktio- ganz linken Seite. nen harmonisiert. Wer also zur Demonstration geht und beabsichtigt, dort Straftaten zu begehen, kann (David McAllister [CDU]: Freunde!) schon vorher nachlesen, was es kostet, wenn man ihn dabei erwischt. Auch das dient der Klarheit und Sie haben in Ihrer Pressemitteilung zum Tag der der Vorbereitung auf eine solche Demonstration. Heiligen Drei Könige am 6. Januar gleich kritisiert, die Öffentlichkeit werde hier bei der Beratung nicht Die Rechtsanwendung wird durch klare Strukturen beteiligt. erleichtert. Regelungen, die sowohl für Versamm- lungen unter freiem Himmel als auch für Versamm- (Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Nicht hin- lungen in geschlossenen Räumen gelten, sind in reichend!) einem allgemeinen Gesetzesteil vorangestellt. Entsprechend der Bedeutung in der Praxis folgen Wir zeigen heute erst einmal: Eine größere Öffent- dann die Bestimmungen zu den Versammlungen lichkeit als hier im Landtag ist nicht möglich. Natür- unter freiem Himmel vor den Versammlungen in lich könnten wir das auch unter freiem Himmel geschlossenen Räumen. Übrigens - auch das ist diskutieren. wichtig -: Bisher hat man nach Veranstaltungen unter freiem Himmel und nach Veranstaltungen in (David McAllister [CDU]: Aber friedlich geschlossenen Räumen unterschieden, z. B. beim und ohne Waffen!) Gebot der Waffenlosigkeit. Es wird jetzt klar gere- Aber angesichts des Wetters haben wir uns für den gelt: Das gilt drinnen wie draußen. Auch drinnen ist Plenarsaal entschieden. Seien Sie sicher: Wir wer- also das Mitführen von Waffen verboten. Es ist den im Innenausschuss eine Anhörung durchfüh- auch gut, dass es so klar gesagt wird, dass Waffen ren. Dabei werden wir uns die Stellungnahmen auf Demonstrationen nichts zu suchen haben. anhören. Dann werden wir abwägen und entschei- (Victor Perli [LINKE]: Auch bei Schüt- den. Dann erst wird hier wieder im Parlament de- zenvereinen?) battiert. Aber ich kann Ihnen auch sagen: Dann Wir haben in diesem Gesetzentwurf das Versamm- wird es eine Entscheidung geben. Wahrscheinlich lungsrecht mit dem Bannmeilengesetz zusammen- wird es eine Entscheidung geben, die vielleicht von geführt. Wir - jedenfalls die großen Fraktionen in Ihnen nicht getragen wird, aber doch von einer diesem Hause - waren uns immer einig, dass wir Mehrheit dieses Hohen Hauses. Deswegen blicken das Bannmeilengesetz beibehalten wollen. Ich wir zuversichtlich auf die Debatte über diesen Ge- habe, ehrlich gesagt, nicht ganz verstanden, wa- setzentwurf und freuen uns auch über die Beteili- rum nun gerade die Gewerkschaft der Polizei neu- gung der Grünen, die ja gesagt haben, eigentlich lich gesagt hat, wir könnten auf das Bannmeilen- wäre eine Versammlungsbehörde gar nicht nötig, gesetz jetzt verzichten. hier solle mal jeder machen, was er wolle.

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Also: Hier macht nicht jeder, was er will. In einem richtig ist. Sie haben angeblich damals doch gegen demokratischen Rechtsstaat herrscht auch Ord- die Schulpolitik von Gerhard Schröder demonst- nung. riert; das habe ich mir sagen lassen. Hoffentlich haben Sie diesmal in diesem Hause die Wahrheit (Ralf Briese [GRÜNE]: Sehr gut!) gesagt. - Es ist auch gut, dass Sie das schon einmal wis- (Wolfgang Jüttner [SPD]: Nicht einmal sen. das! - David McAllister [CDU]: Das Vielen Dank. war Notwehr!) (Beifall bei der CDU und bei der FDP) Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Bewertung vorweg: Das Versammlungsrecht wur- Vizepräsident Dieter Möhrmann: de nicht aus der staatlichen Umklammerung ge- löst. Die Versammlungsbehörde, die Ihnen, Herr Meine Damen und Herren, nach unserer Ordnung Biallas, ja ganz besonders wichtig ist - nicht die hat nun Herr Briese das Wort. Wir freuen uns auf demonstrierenden Menschen sind Ihnen wichtig, seinen Beitrag. sondern die Versammlungsbehörde -, hat nach wie (David McAllister [CDU]: Freunde! Der vor eine sehr starke Stellung in Ihrem Gesetzent- neue Geist!) wurf. Sie kann bestimmen, sie kann kontrollieren, und sie kann auch sehr stark gängeln, was De- Ralf Briese (GRÜNE): monstrationen angeht. Besten Dank, Herr Präsident! Auch ich freue mich, Das wird vor allen Dingen in dem Gesetzentwurf dass ich diese Rede halten darf. Hoffentlich sind hinsichtlich der Datensammelei oder auch der Sie auch noch in freudiger Erregung, wenn ich die Informationspflichten deutlich. Man muss einen Rede gehalten habe. ganzen Katalog an Daten bei der Versammlungs- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es hat ja behörde abliefern, wenn man demonstrieren will. ein bisschen gedauert, bis die Mehrheitsfraktionen Ganz besonders kritisch sehen wir den Punkt, in diesem Landtag ein neues Versammlungsrecht dass eine Versammlungsbehörde sogar eine Ver- erarbeitet haben. Gut Ding will manchmal Weile sammlungsleitung ablehnen kann, ohne das be- haben, aber jetzt kann es ja losgehen. Es ist Ihnen gründen zu müssen. Sie kann also einfach mir bekannt, dass ein sehr guter grüner Gesetzentwurf nichts, dir nichts sagen: Nein, dich finden wir als schon im Innenausschuss liegt und nur darauf Versammlungsleiter oder Versammlungsleiterin wartet, in der Fachberatung mit dem neuen Ge- nicht geeignet. - Ich kann Ihnen jetzt schon sagen: setzentwurf verglichen zu werden. Ich bin sehr Damit sind der Streit und die juristische Auseinan- gespannt - ich sage das in freudiger Erwartung -, dersetzung vorprogrammiert. Rechtsklarheit schaf- was dann die Fachberatung zu Ihrem Gesetzent- fen Sie damit jedenfalls nicht. wurf und zu unserem Gesetzentwurf ergeben wird. Verliebt sind Sie auch - auch das wundert uns Eines zur Bewertung vorweg: Ich finde, es ist Ih- nicht - in Datensammelei und Bürokratie. Nicht nur nen in Ihrem Gesetzentwurf nicht gelungen, das jeder Versammlungsanmelder muss sich erst ein- Versammlungsrecht aus dem Griff des Obrigkeits- mal halb ausziehen, wenn er eine Demonstration staates zu befreien. anmelden will, sondern die Behörde kann auch verlangen, dass Hilfsdemonstranten, sogenannte (David McAllister [CDU]: Was?) Ordner - Sie haben das erwähnt -, ihre Stammda- ten bei der Behörde abliefern müssen. Wir werden Die Mehrheit in diesem Hause - das ist kein großes in der Fachberatung noch einmal sehr genau che- Geheimnis, Herr McAllister - will eigentlich keine cken, ob das überhaupt verfassungskonform ist, aktive und kritische Bürgergesellschaft. weil das ein Eingriff in die informationelle Selbst- (David McAllister [CDU]: Hör doch mal bestimmung ist. Das werden wir also sehr kritisch auf!) prüfen lassen. Das mache ich immer ganz besonders gerne an Das ist schon einmal ein großer Unterschied zwi- dem amtierenden Innenminister fest, der sogar schen Ihrem Gesetzentwurf und dem grünen Ge- ganz stolz darauf ist: „Ich habe in meinem Leben setzentwurf. Sie haben eine sehr starke Stellung noch nie demonstriert!“ Was übrigens, Herr Schü- der Versammlungsbehörde. Wir machen einen nemann - so wurde mir zugetragen -, nicht ganz Gesetzentwurf zuerst aus der Sicht der Menschen,

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die sich versammeln wollen, und nicht aus der falls ziemlich schlecht, bürokratisch und unver- Sicht der Behörde. Das ist also ein ganz klarer ständlich. Daran müssen Sie noch einmal arbeiten. Unterschied. Wir gehen eben nicht mit einer miss- (Beifall bei den GRÜNEN) trauischen Grundhaltung mit Leuten um, die auf die Straße gehen und sich artikulieren wollen; Zum Abschluss komme ich auf das Phänomen der denn die allermeisten Versammlungen sind natür- ja so heiligen parlamentarischen Bannmeile. Uns lich friedlich und gewaltfrei. hat nicht überrascht, dass Sie daran natürlich un- Auch das haben Sie angesprochen, Herr Biallas: bedingt festhalten wollen. Das Grundgesetz sagt ja auch in schöner Klarheit Ich finde, etwas mehr Vertrauen in die gefestigte und Deutlichkeit, das Demonstrationsrecht, das Demokratie und in das parlamentarische Selbst- Versammlungsrecht steht unter dem Friedlich- bewusstsein keitsgebot. Aggression und Provokation - jeden- falls solche Provokation, die den Rahmen sprengt - (Glocke des Präsidenten) oder Gewalttätigkeiten sind durch das Verfas- - ich bin sofort fertig, Herr Präsident - sollte man sungsrecht in keiner Weise geschützt. Das finden schon haben. natürlich auch wir absolut richtig. (David McAllister [CDU]: Kontrolle ist Jetzt zu einer sehr sensiblen Materie, nämlich zum besser!) Verbot von rechtsextremistischen Demonstratio- nen. Ihr Gesetzentwurf und auch unser Gesetz- Was man den Menschen in diesem Lande vor entwurf versuchen ja, rechtsextreme Versammlun- Rathäusern, vor Schulen, in Fußgängerzonen oder gen, die den Nationalsozialismus verherrlichen und eigentlich überall zumutet, sollte man meines Er- die Opfer der Naziherrschaft verhöhnen, schon im achtens auch dem Parlament zumuten. Es gibt Vorfeld verbieten zu können. Das ist ein sehr keine Extraposition für das Parlament. schwieriges Feld. Das wissen wir aus sehr vielen (Hans-Christian Biallas [CDU]: Im verfassungsrechtlichen Prüfungen. Da werden wir Rathaus gibt es keinen Gesetzgeber! sehr genau beraten müssen, wem das eigentlich Das ist der Unterschied!) besser gelungen ist. Wir haben uns da sehr viel Mühe gemacht. Ich habe zumindest den Eindruck, Ich habe es schon einmal gesagt: Jede Demonst- dass Sie dem Bestimmtheitsgebot auch in diesem ration, die gewalttätig oder aggressiv ist, kann Bereich nicht so richtig Genüge geleistet haben. sofort verboten werden. Wir brauchen keinen dop- Aber das werden wir im Fachausschuss prüfen pelten Schutz des Parlaments in Form einer müssen. Bannmeile. Definitiv liberaler, mein lieber Herr Oetjen, sind wir in der Frage der Polizeiaufnahmen. Ein großer Vizepräsident Dieter Möhrmann: Streitpunkt ist ja immer auch die Frage: Herr Kollege, Ihr letzter Satz, bitte! (Glocke des Präsidenten) Ralf Briese (GRÜNE): Was darf eigentlich die Polizei bei den entspre- Ja. - Was wir den Menschen draußen im Lande chenden Versammlungen? - Unsere Lösung dazu zumuten, meine sehr verehrten Damen und Her- ist sehr praxistauglich und sehr einfach verständ- ren, das kann das Parlament in Niedersachsen lich. Wir sagen: Die Polizei darf natürlich offene auch sehr gut vertragen. Aufnahmen machen, und sie darf diese Aufnah- men sogar weiter verwenden, wenn sie zur Aufklä- Vielen Dank. rung der Straftaten benötigt werden. Danach sind (Beifall bei den GRÜNEN) diese Aufnahmen zu löschen. Das haben wir in einem relativ knappen Paragrafen ganz einfach formuliert. In Ihrem Gesetzentwurf, Herr Kollege Vizepräsident Dieter Möhrmann: Biallas, Herr Kollege Oetjen, ist dieser ganze Be- Die nächste Rednerin ist für die Fraktion DIE LIN- reich in drei Absätzen mit drei Unterpunkten sehr KE Frau Zimmermann. Bitte! ausgeufert. Das gesamte Phänomen zieht sich (Beifall bei der LINKEN - David McAl- über eine ganze Seite. Ich habe es dreimal gele- lister [CDU]: Das war der Schlussap- sen und es, ehrlich gesagt, nicht verstanden. Das plaus!) mag an mir liegen. Ich finde die Regelung jeden-

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Pia-Beate Zimmermann (LINKE): Von Beliebigkeit geprägt ist z. B. auch § 6 Abs. 3. Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! Ich zitiere: Beim Lesen des § 9, in dem das Anzeigen der „Die zuständige Behörde kann Perso- Versammlung geregelt wird, entsteht zunächst der nen die Teilnahme an einer Versamm- Eindruck, der Entwurf trage ein wenig liberale lung untersagen, wenn Tatsachen die Handschrift. Dafür sprechen das Beibehalten der Annahme rechtfertigen, dass diese 48-Stunden-Anmeldefrist, die Möglichkeit der Eil- Personen gegen ein Verbot nach Ab- und Spontanversammlung und das verkürzte Ver- satz 1 oder 2 verstoßen werden.“ fahren bei einer Versammlung von weniger als 20 Personen. Bei der Lektüre der restlichen Para- Um das zu beurteilen, muss man doch wohl mit grafen wird deutlich, dass es sich lediglich um hellseherischen Fähigkeiten ausgestattet sein. Die einen zarten liberalen Anstrich handelt, der im Beliebigkeit der Auslegung ist hier vorprogram- Kern in die satten blau-weißen Landesfarben des miert. Freistaates Bayern übergeht. Der hehre Anspruch (Beifall bei der LINKEN) wird mit jedem weiteren Paragrafen konterkariert. Die überhöhte Rolle staatlicher Behörden wird in (Beifall bei der LINKEN) § 10 des Entwurfs deutlich. Ihre vorgesehene Re- Hauptkritikpunkt bei vielen Regelungen ist ihre gelung, dass die zuständigen Behörden die Mittei- völlig willkürliche Auslegung. So heißt es in § 4 lung der persönlichen Daten der Ordnerinnen und „Rechte und Pflichten der Versammlungsleitung“, Ordner von der Leiterin bzw. dem Leiter verlangen dass die Versammlungsleitung dafür Sorge zu kann, wird - das sage ich Ihnen jetzt schon vor- tragen hat, dass keine Gewalttätigkeiten gesche- aus - nicht die Ausnahme sein, sondern die Regel hen. Ich zitiere: werden. Zudem können Leiterinnen und Leiter sowie Ordnerinnen und Ordner abgelehnt werden, „Geeignete Maßnahmen sind insbe- wenn sie ungeeignet erscheinen. Meine Damen sondere Aufrufe zur Gewaltfreiheit und Herren, was ist denn das für ein Freibrief für und Distanzierung von gewaltbereiten die Ordnungsbehörden? Personen.“ (Beifall bei der LINKEN) Das mag verbal ja noch möglich sein, aber mit dem Zusatz „insbesondere“ öffnen Sie Tür und Tor In § 13 „Schutzausrüstungs- und Vermummungs- für alles Mögliche, nur nicht für Konkretes. verbot“ wird Ihre ideologische Ausrichtung und Beliebigkeit der Möglichkeiten, die Sie den Ord- (Beifall bei der LINKEN) nungsbehörden zubilligen, ganz besonders deut- In § 6, welcher das Gebot der Waffenlosigkeit und lich. Was ist denn eigentlich eine Schutzausrüs- Friedlichkeit regelt, heißt es: tung? Eine Regenjacke bei Regen? Mütze und Schal bei Kälte? Was sind denn besondere Polste- „Darüber hinaus ist es verboten, an rungen? Vielleicht die Daunenjacke im Winter? einer öffentlichen oder nichtöffentli- Mich wundert, ehrlich gesagt, dass Sie nicht schon chen Versammlung in einer Art und längst eine Demonstrationskleiderverordnung er- Weise teilzunehmen, die dazu bei- lassen haben. trägt, dass die Versammlung oder ein Teil hiervon nach dem äußeren Er- (Beifall bei der LINKEN) scheinungsbild paramilitärisch geprägt Der größte Klopfer aber, meine Damen und Her- wird oder sonst den Eindruck von ren, steckt hinter dem Verbot, schützende Arbeits- Gewaltbereitschaft vermittelt, wenn kleidung zu tragen. Damit verhindern Sie die Spon- damit eine einschüchternde Wirkung tandemonstrationen der Versammlungen von Ar- verbunden ist.“ beiterinnen und Arbeitern. Sie ersticken damit jeg- Wer, meine Damen und Herren, definiert denn liche Möglichkeit der Einflussnahme in Tarifausein- diesen Eindruck, und was ist denn, bitte schön, andersetzungen, und ich bin mir sicher: Das wollen einschüchternd? Vielleicht 500 Gewerkschafter, Sie auch. die lautstark mit Trommeln und Trillerpfeifen gegen (Beifall bei der LINKEN) die schreiende soziale Ungerechtigkeit in diesem Land demonstrieren? Ein weiteres Beispiel für die breite Möglichkeit der Auslegung finden wir in § 14 zu Bild- und Tonauf- (Beifall bei der LINKEN)

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zeichnungen. Hier kann ich mich den Ausführun- Jürgen Krogmann (SPD): gen meines Kollegen Briese anschließen. Das ist Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und absolut schwammig formuliert. Herren! Die Länder dürfen zwar schon seit 2008 Haarsträubend ist auch der im Fünften Teil gere- das Grundrecht auf Versammlungen mit eigenen gelte Straf- und Bußgeldkatalog. Da ist man als Gesetzen gestalten. Es ist aber kein Nachteil, Versammlungsleiterin oder Versammlungsleiter wenn wir uns in Niedersachsen erst jetzt, im Jahre schnell mehrere Tausend Euro los. Wenn z. B. 2010, damit beschäftigen. Das könnte uns nämlich Herr Humke-Focks und ich in der Fußgängerzone eine Pleite ersparen, wie sie die CSU in Bayern Flugblätter verteilen wollen erlebt hat, die ein sehr restriktives Versammlungs- recht - Herr Oetjen weiß Bescheid; die korrigieren (David McAllister [CDU]: Keine Ge- das gerade - auf den Weg gebracht hat. Das Bun- walt!) desverfassungsgericht in Karlsruhe hat das Gesetz - ja, wir wollen das gerne -, dann kann das kost- in einer Eilentscheidung in wichtigen Punkten kas- spielig werden, je nach Auslegung. Meine Damen siert. Karlsruhe hat deutlich gemacht, dass unsere und Herren, ich habe Sie eben ein bisschen auf Verfassung keine Bastelstube für konservative den Leim geführt, und Sie sind schön darauf ge- Hardliner ist. gangen. Da wird auch deutlich, wohin Sie eigent- (Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- lich wollen. NEN und bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Damit ist die Richtung auch für unsere Beratungen Je nach Auslegung der Ordnungsbehörden kann ganz klar vorgegeben, und die heißt: Keine Expe- die Versammlung aufgelöst werden. Spazieren wir rimente mit unseren wichtigsten Grundrechten! beide aber trotzdem weiter, kann das mal eben ein Meine Damen und Herren, das Recht auf Freiheit Bußgeld von 3 000 Euro pro Person bedeuten. der Versammlung gehört zu den grundlegenden Meine Damen und Herren, was Sie mit diesem Bürgerrechten in unserer Verfassung. Es leitet sich Gesetz fabriziert haben, ist keineswegs benutzer- unmittelbar aus dem Recht auf Meinungsfreiheit freundlich oder leicht verständlich, wie es Herr ab. Eine demokratische Gesellschaft ist ohne Ver- McAllister zu suggerieren versucht. Das Gesetz sammlungsfreiheit nicht denkbar. Wir als SPD hebelt vielmehr das Grundrecht auf Versamm- möchten ein modernes, liberales und anwen- lungsfreiheit sowie das Recht aus, zur Wahrung dungsfreundliches Versammlungsgesetz für unser und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedin- Land, und ein solches Gesetz muss folgende ver- gungen Vereinigungen zu bilden. fassungsrechtlichen, politischen und praktischen Anforderungen erfüllen. Ich will die wichtigsten (Beifall bei der LINKEN) kurz nennen. Zur FDP: Sie haben ausdrücklich mit Ihrer im März (Vizepräsidentin Astrid Vockert über- 2009 noch hoch gehaltenen langen liberalen Tradi- nimmt den Vorsitz) tion zum demokratischen Grundrecht der Ver- sammlungsfreiheit gebrochen. Sie haben nicht Erstens. Ein niedersächsisches Versammlungs- Einfluss genommen und sich nur in ganz wenigen recht muss Demonstrationen und Kundgebungen Punkten durchgesetzt. Ziel ist und bleibt es aber, möglich machen wollen und darf nicht auf Verhin- ein liberales Versammlungsrecht für das Land derung angelegt sein. Niedersachsen zu gestalten, welches dieses hohe, (Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- grundgesetzlich verankerte Gut kreativ ausgestal- NEN und bei der LINKEN) tet und nicht durch gesetzliche Winkelzüge letzt- endlich aushöhlt, staatlich überreguliert und somit Bürgerinnen und Bürger können und sollen öffent- in der Konsequenz verhindert. lich, friedlich, demokratisch für ihre Anliegen ein- stehen. Das muss der Duktus dieses Gesetzes Meine Damen und Herren, herzlichen Dank. sein. (Beifall bei der LINKEN) (Zustimmung bei der SPD)

Vizepräsident Dieter Möhrmann: Fraglich ist, ob man das mit zwei Seiten umfas- senden Buß- und Strafgeldvorschriften erreicht, Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt Herrn wie sie in Ihrem Gesetzentwurf enthalten sind. Herr Krogmann von der SPD-Fraktion das Wort. Biallas, Sie haben gesagt, man solle nicht mehr

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regeln als nötig. Ich sehe da die erste Baustelle, triebe bieten. Rechte Aufmärsche, faschistische um Sie an dieser Aussage zu messen. Ich denke, Kundgebungen an Orten, die an die Opfer des das werden wir in den Beratungen tun. Nationalsozialismus erinnern - so etwas dulden wir nicht. Zweitens. Ein Versammlungsrecht muss ein hohes Maß an Rechtssicherheit gewährleisten. Im Umfeld (Beifall bei der SPD) von Demonstrationen, unter hohem Zeitdruck, Hier muss bei aller Liberalität das Versammlungs- müssen Entscheidungen getroffen werden, die recht versuchen, klare und eindeutige Regelungen eindeutig sein müssen. Das heißt, sie müssen vor zu treffen. Der Entwurf enthält den § 12, der ver- den Verwaltungsgerichten schnell überprüft wer- sucht, die Würde der Opfer des Nationalsozialis- den können, wenn es zu strittigen Entscheidungen mus zu schützen. Das begrüßen wir als SPD aus- kommt. Das sind wir den Polizisten, den Versamm- drücklich. Allerdings - das hat Herr Briese schon lungsbehörden, den Richtern und nicht zuletzt angemerkt - ist das juristisch schwieriges Terrain. natürlich auch den demonstrierenden Menschen Wir müssen in den Beratungen sehen, welche schuldig. Formulierung wir finden und ob wir eine hinrei- Drittens. Ein niedersächsisches Versammlungs- chende Bestimmtheit konstruieren können. Trotz- recht muss unbürokratisch und anwendungs- dem begrüßen wir hier ganz klar, dass Sie das freundlich sein. Abschreckende Regelungen müs- geregelt haben. sen vermieden werden; das hatte ich schon ge- Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ab- sagt. Lassen Sie mich ein konkretes Beispiel nen- schließend noch zu einem Punkt kommen, der hier nen: Wenn niedersächsische Schülerinnen und schon verschiedentlich angesprochen wurde und Schüler gegen die schlechte Bildungspolitik dieser auch in der Presse diskutiert wurde. Es geht um Landesregierung demonstrieren - dazu gibt es den § 20, den sogenannten befriedeten Bezirk, die leider oft Anlass -, darf es nicht sein, dass sie dazu Bannmeile. Ich gebe zu, wir als SPD haben die den Rat eines Rechtsanwalts benötigen, um Sank- Bannmeile in den früheren Diskussionen in diesem tionen oder Bußgelder zu vermeiden. Das darf Hause immer verteidigt. Auch ich habe das bei der nicht sein! letzten Rede zu diesem Thema ganz klar getan. (Beifall bei der SPD und Zustimmung Wir haben das aus historischen Gründen getan, bei den GRÜNEN und bei der LIN- aber auch weil wir der Einschätzung waren oder KEN) uns die Einschätzung mitgeteilt wurde, dass ein sicherer und ungestörter Parlamentsbetrieb nur so Viertens. Karlsruhe hat in seiner Entscheidung gewährleistet werden kann. Sie haben es mitbe- sehr klar gesagt: Wer an Versammlungen teil- kommen, und auch eben in der Diskussion ist es nimmt, darf nicht ohne besonderen Grund in sei- angesprochen worden: Diese Diskussion hat durch nen Grundrechten eingeschränkt werden. - Insbe- zahlreiche Stellungnahmen der jüngsten Zeit, nicht sondere beim Thema Videoüberwachung - das ist zuletzt auch durch den DGB und die Einzelge- von meinen Kollegen Briese und Zimmermann werkschaft der Polizei, also die Vertretung der schon angesprochen worden - bestehen dafür Polizisten, neue Nahrung bekommen. - Wir als enge Grenzen. Nur da, wo die öffentliche Ordnung SPD verschließen vor dieser Diskussion nicht die nicht tatsächlich und erheblich gefährdet ist, darf Augen! nicht gefilmt und aufgezeichnet werden. Es ist richtig, dass das jetzt in diesem Gesetzentwurf (Beifall bei der SPD und Zustimmung geregelt ist. Ich behaupte aber, dass Ihnen das bei den GRÜNEN und bei der LIN- Karlsruhe und nicht Herr Schünemann in die Feder KEN) diktiert hat. Das ist meine Einschätzung. Wenn die Beratungen zu diesem Gesetz ergeben sollten - dazu können wir auch die Landtagsver- (Hans-Christian Biallas [CDU]: Das waltung und die Polizei hören -, dass die Sicher- haben wir aber selber geschrieben!) heit dieses Hauses eine Bannmeile nicht mehr Fünftens, lieber Herr Biallas, dürfen wir natürlich erfordert, wenn also beispielsweise durch den nicht naiv sein. Feinden der Demokratie, Gegnern Umbau des Landtages eine neue Situation im Ein- unserer freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung lassbereich entsteht, dann sind wir in dieser Frage müssen wir die Rote Karte zeigen; ihnen darf das offen und dann können wir uns als SPD vorstellen, Versammlungsrecht keinen Schutz für Ihre demo- über einen künftigen Verzicht auf die Bannmeile zu kratiefeindlichen und menschenverachtenden Um- diskutieren. Wir werden sehen, was die Diskussio-

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nen in den Ausschüssen zu diesem Punkt erge- bekämpfen. Denjenigen jedoch, meine Damen und ben. Herren, die friedlich ihr demokratisches Recht auf Meinungsäußerung nutzen wollen, sollte dies un- (Hans-Christian Biallas [CDU]: So eingeschränkt zustehen. Dafür kämpfen wir als lange, bis der Landtag fertig ist, wol- FDP. len wir nicht warten!) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu- Das Versammlungsrecht soll einen versammlungs- sammenfassen: Niedersachsen braucht ein mo- freundlichen Rechtsrahmen schaffen, allerdings dernes, ein demokratisches und freiheitliches Ver- diese unfriedlichen und gewalttätigen Versamm- sammlungsrecht. Es muss Spielregeln enthalten. lungen verhindern, um den Schutz der öffentlichen Aber diese Spielregeln dürfen nicht das Spiel Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten. Mit der selbst unmöglich machen. Ob Ihr Gesetzentwurf, Föderalismusreform - der Beschluss war im Jahre liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, 2006 - haben wir als Land diese Gesetzgebungs- diesen hohen Ansprüchen genügt, werden wir uns kompetenz übertragen bekommen. Wir haben uns im Ausschuss anschauen müssen und in den An- mit dem Gesetzentwurf durchaus Zeit gelassen. Es hörungen sehen. Darüber werden wir beraten kursierten verschiedene Entwürfe bereits im Inter- müssen. Wir freuen uns auf diese Diskussionen. net und in verschiedenen politisch interessierten Gremien. Wir haben uns Zeit genommen, weil es Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. uns darum ging, ein wirklich anwendungsfreundli- ches Gesetz zu entwerfen; denn, verehrte Kolle- (Beifall bei der SPD und Zustimmung ginnen und Kollegen, wir müssen wissen, dass das bei den GRÜNEN und bei der LIN- Versammlungsrecht aus dem Jahre 1953 stammt KEN) und seit dem Jahre 1953 nicht mehr verändert wurde. Die Auslegung des Gesetzes wurde nur Vizepräsidentin Astrid Vockert: durch höchstrichterliche Entscheidungen bestimmt. Danke schön, Herr Krogmann. - Für die FDP-Frak- Das heißt, wer heute nach dem alten Bundesrecht tion hat Herr Kollege Oetjen das Wort. eine Versammlung abhalten will, der muss eigent- (Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Ein biss- lich nicht nur dieses Gesetz, sondern zugleich die chen Liberalismus!) Rechtsprechung dazu lesen. Deswegen ist es dumm zu sagen, was ich vereinzelt gehört habe, Jan-Christoph Oetjen (FDP): unser Gesetz sei länger als das alte Versamm- lungsrecht der Bundesebene, weshalb es kompli- Ganz herzlichen Dank, sehr verehrte Frau Präsi- zierter geworden sei. Mitnichten! Gerade weil es so dentin! - Herr Dr. Sohn, lassen Sie mich darauf viel Rechtsprechung gab, ist es notwendig, dass gleich eingehen. Sie verstehen unter „liberal“ leider wir heute ein anwenderfreundliches und praxisge- „beliebig“ und „jeder kann machen, was er will“. rechtes Gesetz erarbeiten, das etwas umfangrei- Das verstehen wir darunter nicht. Meine Damen cher als das alte Bundesrecht ist, denn dadurch und Herren, das ist nicht die Definition von „liberal“, können es auch Laien und Anwender verstehen. wie wir es als Freie Demokraten verstehen. Das Das ist für uns als FDP einer der Schwerpunkte. sage ich hier sehr deutlich. Wir haben einen klaren strukturellen Aufbau des (Beifall bei der FDP und bei der CDU - Gesetzes gewählt, den Versammlungsbegriff ge- Kurt Herzog [LINKE]: Sagt das Frau setzlich definiert, klare Regelungen zur Anzeige Hamm-Brücher auch?) von Versammlungen unter freiem Himmel getroffen Artikel 8 des Grundgesetzes schützt das Recht auf und eine Erleichterung von Versammlungen von Durchführung einer friedlichen Versammlung. Das bis zu 20 Personen geschaffen. Das ist für uns als ist ein elementares Grundrecht, das aus der Mei- FDP besonders wichtig. Herr Kollege Briese hat nungsfreiheit hervorgeht und für eine demokrati- gesagt, dass dafür ein ellenlanger Katalog gefor- sche Gesellschaft unabdingbar ist. Wir als Liberale dert sei. Dazu muss man deutlich sagen, dass acht setzen uns für den Schutz dieses Grundrechts ein. Punkte erfüllt werden müssen und für kleine Ver- Mit Bedauern müssen wir allerdings auch erken- sammlungen bis zu 20 Teilnehmern nur vier Punk- nen, dass dieses Recht immer wieder von gewalt- te erfüllt werden müssen. Diese Anzeige ist nicht bereiten Rechts- und Linksextremisten miss- an eine bestimmte Form gebunden, sondern sie braucht wird, um unter dem Deckmantel einer Ver- kann auch telefonisch und damit sehr unbürokra- sammlung die demokratische Grundordnung zu tisch bei der Versammlungsbehörde eingereicht

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werden. Von daher meine ich, dass das durchaus Ich glaube, dass wir einen Gesetzentwurf vorgelegt praxisgerecht und anwenderfreundlich ist, meine haben, der modern und anwenderfreundlich ist. sehr verehrten Damen und Herren. Wir haben die Aus der Sicht der FDP-Fraktion trägt dieser Ge- Verkürzbarkeit der Anzeige von Eilversammlungen setzentwurf auch eine liberale Handschrift. und die Anzeigefreiheit von Spontanversammlun- Ganz herzlichen Dank. gen gesetzlich verankert. Das war vorher nicht gegeben. Wir definieren außerdem, dass nur fried- (Beifall bei der FDP und bei der CDU) liche und waffenlose Versammlungen geschützt sind. Vizepräsidentin Astrid Vockert: Der Kollege Krogmann hat angesprochen, dass Danke schön, Herr Kollege Oetjen. - Nun hat Herr die Frage unserer nationalsozialistischen Vergan- Innenminister Schünemann das Wort. genheit beim Versammlungsrecht in der Tat eine ganz besondere Rolle spielt. Wir haben versucht, Uwe Schünemann, Minister für Inneres, Sport und uns bei der Formulierung Mühe zu geben. Ich mei- Integration: ne, dass es gerade in dieser wichtigen Frage einen Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen Konsens in diesem Hause geben sollte. In diesem und Herren! Herr Briese, ich gebe zu, dass ich Sinne sollten wir im Innenausschuss darauf hinar- zwei Mal auf Demonstrationen gesprochen habe. beiten, dass wir an Orten und an Tagen, die an die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherr- (Ralf Briese [GRÜNE]: Aha!) schaft erinnern, das Versammlungsrecht auch ein- Ich habe ein erstes Mal gesprochen, als es um die schränken können. Ich meine, meine Damen und Bildungspolitik in diesem Hause gegangen ist. Herren, auch das muss eine Lehre aus unserer Damals hat Herr Schröder diese verantwortet. Dies Geschichte sein. war in der Turnhalle des Campe-Gymnasiums in (Beifall bei der FDP und bei der CDU) Holzminden. Ich hatte den Eindruck, dass es not- wendig war, dort zu sprechen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, aber genau so ist es eine Lehre aus unserer Geschich- (David McAllister [CDU]: Hört, hört!) te, dass wir die Bannmeile um unseren Landtag Ein weiteres Mal habe ich gesprochen, als die herum haben; denn die Geschichte hat uns ge- Kaserne in Stadtoldendorf geschlossen wurde. lehrt, dass die freie Ausübung des parlamentari- Damals wurde ich gebeten, dazu zu sprechen. Da schen Mandats eines Schutzes bedarf. Wir dürfen, die gesamte Region hinter der Bundeswehr stand, obwohl wir heute in einer sehr stabilen Gesell- war es meines Erachtens sinnvoll, auch dort zu schaft leben, nicht einfach die Augen davor ver- sprechen. schließen, dass das Versammlungsrecht auch in schwierigen Zeiten greifen muss. Deswegen sagen Meine Damen und Herren, ein Niedersächsisches wir als Freie Demokraten: Vor dem Hintergrund Versammlungsgesetz muss aus meiner Sicht zwei unserer Geschichte ist auf eine Bannmeile um den Dinge berücksichtigen, erstens den umfassenden Niedersächsischen Landtag herum aus unserer Schutz friedlicher Versammlungen und zweitens Sicht nicht zu verzichten. das angemessene, aber entschlossene Abwehren unfriedlicher und gewalttätiger Aktionen. Diese (Beifall bei der FDP und bei der CDU) Grundphilosophie sehe ich bei dem Gesetzentwurf Abschließend zu den Bild- und Tonaufzeichnun- der Fraktionen der CDU und der FDP als gegeben gen. Hierzu hat es bereits eine Eilentscheidung an. des Bundesverfassungsgerichts gegeben. Wir Ich möchte mich darauf beschränken, drei aus haben uns auf die Position festgelegt, die das meiner Sicht bedeutsame Neuregelungen zu be- Bundesverfassungsgericht vorgegeben hat. Das nennen, da die anderen Punkte bereits ausführlich haben wir in den Gesetzentwurf übergenommen. angesprochen worden sind. Deswegen gehen wir davon aus, dass das, was wir mit unserem Gesetzentwurf vorgelegt haben, ver- Erstens. Die Gebote der Friedlichkeit und Waffen- fassungskonform ist. Wir lassen keine verdeckten losigkeit von Versammlungen werden strikt umge- Aufzeichnungen zu. Das ist ein wesentlicher Fort- setzt. Sie gelten ohne Einschränkung für öffentli- schritt gegenüber dem, was in dem bayerischen che wie für nicht öffentliche Versammlungen. Ins- Versammlungsrecht zunächst vorgesehen war und besondere stellt der Gesetzentwurf klar, dass woran sich der eine oder andere orientieren wollte. pseudomilitärische Aufmärsche mit einschüchtern-

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der Wirkung mit dem Friedlichkeitsgebot nicht in Es war richtig und notwendig, den Ländern die Einklang zu bringen sind. Im Zusammenhang mit Zuständigkeit hierfür zuzuweisen. Dass wir jetzt dem Gebot der Friedlichkeit steht die Vorgabe, einen Entwurf für ein modernes Gesetz beraten dass auch die Versammlungsleitung im Rahmen und verabschieden können, ist wichtig; denn das, ihrer Möglichkeiten auf einen friedlichen Verlauf was das Bundesverfassungsgericht seit 1953 im- der Versammlung hinzuwirken hat. Das ist meiner mer wieder entschieden hat, ist nie in das Bundes- Ansicht nach ganz entscheidend. gesetz eingeflossen. Insofern war es für Versamm- lungsanmelder fast überhaupt nicht möglich, die Zweitens. Für rechtsextremistische Versammlun- Rechtslage auf einen Blick zu erfassen. Mit diesem gen werden ausdrückliche Verbots- und Beschrän- Gesetzentwurf ist dies gelungen. Insofern bin ich kungsmöglichkeiten eröffnet, wenn eine Beein- sicher, dass wir ein sehr gutes Versammlungsrecht trächtigung der Würde der Opfer des Nationalsozi- für Niedersachsen beschließen können. alismus zu befürchten ist. Insoweit werden Ver- sammlungen erfasst, die an Tagen oder Orten Vielen Dank. stattfinden sollen, denen im Hinblick auf die natio- (Beifall bei der CDU und bei der FDP) nalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft ein hoher Symbolgehalt zukommt. Die Gesetzesbe- Vizepräsidentin Astrid Vockert: gründung enthält Beispiele für entsprechende Orte und Tage. Danke schön, Herr Minister. - Weitere Wortmel- dungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Bera- Ich halte es für richtig, im Gesetz keinen abschlie- tung. ßenden Katalog aufzuführen. Es ist immer eine Wertung des Einzelfalls, inwieweit eine Versamm- Wir kommen zur Ausschussüberweisung. lung an einem bestimmten Ort oder Tag eine Be- Federführend soll sich der Ausschuss für Inneres, einträchtigung der Würde der Opfer des National- Sport und Integration mit diesem Gesetzentwurf sozialismus befürchten lässt. Dies wird durch die auseinandersetzen, mitberatend der Ausschuss für Fassung des vorliegenden Entwurfs deutlich ge- Rechts- und Verfassungsfragen. - Ich sehe und macht. Außerdem setzt die Würde der Opfer des höre keine Gegenstimmen. Dann ist das so be- Nationalsozialismus eine Grenze für Inhalte von schlossen. Versammlungen; denn Versammlungen, die eine Volksverhetzung zum Gegenstand haben, werden Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf: nicht geduldet. Auch das ist eine Selbstverständ- lichkeit. Erste Beratung: Drittens. Die Regelungen zu den Bild- und Tonauf- Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Nie- zeichnungen sind unter Beachtung der Versamm- dersächsischen Gesetzes über die Feiertage - lungsfreiheit auf das für die Polizei notwendige Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE - Maß begrenzt und zugleich gegenüber dem bishe- Drs. 16/2069 rigen Bundesgesetz deutlich präzisiert worden. In der Gesamtbewertung bin ich der Überzeugung, Zur Einbringung des Gesetzentwurfs erteile ich für dass der vorliegende Gesetzentwurf zum einen die Fraktion DIE LINKE Frau König das Wort. dem hohen Wert der Versammlungsfreiheit gerecht wird und zum anderen die richtige Grundlage (Beifall bei der LINKEN) schafft, um die aktuellen Herausforderungen bei- spielsweise durch extremistische Versammlungs- Marianne König (LINKE): geschehen zu bewältigen. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Meine Damen und Herren, mit diesem zeitgemä- Feiertagsrecht ist Landesrecht. Es soll den Men- ßen und anwenderfreundlichen Gesetz verbessert schen in unserem Land die Möglichkeit geben, sich die versammlungsrechtliche Situation in Nie- besondere Anlässe zu würdigen. dersachsen maßgeblich. Dies gilt für die Versamm- Bei genauer Betrachtung des Niedersächsischen lungsbehörden und für die Polizei und vor allem für Feiertagsgesetzes im Vergleich zu Regelungen in alle, die friedliche Veranstaltungen veranstalten, anderen Bundesländern fällt auf, dass Nieder- leiten oder an ihnen teilnehmen wollen. sachsen zu den Bundesländern mit wenigen Feier- tagen gehört. Daher stellen sich folgende Fragen: Warum hat eine Arbeitnehmerin bzw. ein Arbeit-

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nehmer in Niedersachsen weniger Anspruch auf zeitig weltweit ihr Recht auf Gleichberechtigung einen gesetzlichen Feiertag als z. B. in Nordrhein- einfordern. Westfalen? Gibt es in Niedersachsen keinen An- Der 8. März vereinigt Frauen verschiedener Länder lass, besondere Tage im Jahr besonders zu würdi- und verschiedener Regionen. Deshalb bietet er gen? Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer leisten sich als gesetzlicher Feiertag an. in Niedersachsen die gleiche Arbeit wie in anderen Bundesländern und haben daher Anspruch auf (Beifall bei der LINKEN) Gleichbehandlung. Der Weltkindertag wird in 145 Ländern an ver- (Zustimmung bei der LINKEN) schiedenen Tagen - in der Bundesrepublik am 20. September - gefeiert. Durch einen Weltkinder- Vor allem aber besteht in Niedersachsen Anlass tag sollen Städte und Gemeinden dazu beitragen, zur Würdigung und zum Feiern. 51 % der nieder- Kinderrechte bekannt zu machen und ihre Durch- sächsischen Bevölkerung sind weiblichen Ge- setzung vorantreiben. Der Weltkindertag als ge- schlechts. Frauen bilden nicht nur die Mehrheit, sie setzlicher Feiertag hat in der heutigen Zeit, in der leisten auch jeden Tag mehr Arbeitsstunden als die Gesellschaft verroht und in der Kindervernach- Männer. Sie leiden unter mehr Stress. Sie unterlie- lässigung kein Einzelfall ist, an Bedeutung gewon- gen einem höheren Armutsrisiko. Sie übernehmen nen - er ist unabdingbar. Wir benötigen Kinder in mehr Verantwortung bei Erziehung und Betreuung. unserer Gesellschaft. Nur durch sie leben wir wei- ter. Es ist wichtig, dass sich Eltern, Verwandte, Angesichts dieser fortbestehenden Gleichberechti- Nachbarn und Ämter dieser Verantwortung be- gungsdefizite ist es von großer symbolischer Be- wusst sind und dass Kinderrechte in Deutschland deutung, den Internationalen Frauentag am eine Selbstverständlichkeit sind. 8. März zum gesetzlichen Gedenk- und Feiertag zu erklären. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, beide Tage haben ge- meinsam, dass sie Anlass zum Feiern geben. Längst haben Mädchen und Frauen im Durch- Frauen feiern die bisher erreichten Ziele, Kinder schnitt die besseren Bildungsabschlüsse, doch werden gefeiert, weil es sie gibt und nur so unsere noch immer verdienen sie viel weniger Geld. Ver- Gesellschaft weiterleben kann. Beide Tage setzen festigte Rollen verhindern, dass Frauen in Natur- ein Zeichen: Es gibt noch viel zu tun, packen wir es wissenschaft und technische Berufe vordringen. an! Bei Ingenieurberufen beträgt der Frauenanteil nur 10 %. (Zustimmung bei der LINKEN)

Frauen finden schwer einen anspruchsvollen und Beide in diesem Gesetzentwurf vorgesehenen gut bezahlten Arbeitsplatz. Höhere Positionen sind Feiertage eröffnen dem Land Niedersachsen ihnen noch immer schwer zugänglich. Frauen füh- Chancen - vor allem mit Blick auf die Frauen. Wir ren weniger Betriebe - vor allem große -, leiten brauchen mehr Frauen, die naturwissenschaftliche weniger Redaktionen, schreiben weniger Leitarti- Fächer studieren und unterrichten. In diesem Be- kel, haben weniger Professuren inne und prägen reich gibt es einen Mangel. So kann Niedersach- kaum Wissenschaft und Lehre. Sie sind in der sen einen Akzent setzen und sich als emanzipato- Politik unterrepräsentiert - man sieht es hier - und risches Land zeigen. wirken dadurch in einem verhältnismäßig geringen Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Maße an der Erarbeitung von Gesetzentwürfen mit. Frauen wird systematisch durch patriarchali- (Beifall bei der LINKEN) sche Strukturen und ein altmodisches Verständnis die berechtigte Teilhabe an der Gesellschaft ver- Vizepräsidentin Astrid Vockert: wehrt. Herzlichen Dank. - Liebe Kolleginnen und Kolle- gen, für die CDU-Fraktion hat sich jetzt Herr Kolle- (Beifall bei der LINKEN) ge Wiese zu Wort gemeldet. Bitte schön! Der Internationale Frauentag oder Weltfrauentag ist seit Jahrzehnten weltweit bekannt und in vielen André Wiese (CDU): Nationen ein gesetzlicher Feiertag. Es ist der Tag, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich an dem Frauen bisher Erreichtes feiern und gleich- schicke voraus: Dass ich zu diesem Tagesord-

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nungspunkt spreche und keine der geschätzten ihre Anliegen deutlich machen, eine positive Ent- Kolleginnen meiner Fraktion, ist Ausdruck eines wicklung zu verzeichnen ist. Das unterstützen wir demokratischen Übereinkommens in unserer Frak- als CDU-Fraktion ausdrücklich. tion. Ich darf zu diesem Punkt ausdrücklich für die Frauen meiner Fraktion mitsprechen. (Zustimmung bei der CDU) (Zustimmung bei der CDU und bei der Natürlich werden manche Gedenktage weniger FDP) stark wahrgenommen oder von anderen Ereignis- sen überlagert. Der 16. November beispielsweise Zunächst eine kurze Anmerkung zum Verfahren: wird in die Geschichte der Linkspartei weniger als Der Antrag der Fraktion der Linken zielt, wenn ich Internationaler Tag der Toleranz eingehen, son- ihn in seinen Ansätzen richtig verstanden habe, dern der 16. November 2009 wird als der Tag ein- nicht auf die Schulferien ab, sondern es geht um gehen, an dem im Spiegel ein Artikel unter dem eine generelle Regelung. Es geht um eine Ände- Titel „Der virtuelle Kandidat“ erschienen ist. Daran rung bei den Feiertagen und nicht bei den Ferien- hat sich ein gar nicht toleranter Briefwechsel zwi- tagen. Deshalb beantragen wir, federführend den schen West und Ost angeschlossen. Die Folgen Innenausschuss und mitberatend den Ausschuss sind bis heute nicht ausdiskutiert. für Rechts- und Verfassungsfragen mit dem Ge- setzentwurf zu befassen. (Oh! bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, die Kollegin König hat Meine Damen und Herren, Gedenktage, Aktions- den Weltfrauentag - da ist ihr keinesfalls zu wider- und Thementage sollten keine Modeerscheinung sprechen -, an dem weltweit zahlreiche Veranstal- sein. Dies gilt noch eine Stufe mehr für Feiertage. tungen stattfinden, um auf die Rechte von Frauen Feiertage haben - das hat auch seine Berechti- hinzuweisen und Missstände deutlich zu machen, gung - eine sehr lange Tradition. Das ist je nach als Beispiel genannt. Land sehr unterschiedlich. In Deutschland sind sie (Zustimmung bei der CDU) zum Teil bundeseinheitlich geregelt, zum Teil gibt es Abweichungen zwischen den Ländern. Die be- Weltfrauentag ist bei uns der 8. März. Weltkinder- stehenden Feiertage in Deutschland fußen im We- tag ist bei uns der 20. September - in anderen sentlichen auf unserer christlich-abendländischen Ländern an anderen Tagen. Wir haben noch eine Tradition und werden seit Jahrhunderten so oder in Reihe weiterer Aktions-, Themen- und Gedenkta- ähnlicher Form begangen. ge. Am 25. April ist der Tag des Baumes, am 5. Juni der Tag der Umwelt. Ich denke, es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, (Marianne König [LINKE]: Also das ist uns darauf zu besinnen, wozu diese Feiertage da ja nun zu viel des Vergleichs!) sind, und die jeweiligen Botschaften zu verinnerli- chen. Es macht mich nachdenklich, wenn wir erle- - Frau König, Sie brauchen sich nicht zu entrüsten, ben, dass etwa an Heiligabend Partys in Diskothe- das ist so. Ich denke, unser Anliegen, die Umwelt ken stattfinden. Es macht mich übrigens auch für die uns nachfolgenden Generationen zu be- nachdenklich, wenn es etwa den Gewerkschaften wahren und in diesem Sinne eine nachhaltige Poli- im Landkreis Harburg - immerhin 240 000 Einwoh- tik zu machen, sollten Sie teilen können. Insofern ner stark - nicht mehr gelingt, am 1. Mai eine eige- brauchen Sie sich nicht zu ereifern. ne Veranstaltung zu organisieren. Wir alle sollten (Zustimmung bei der CDU und bei der darüber nachdenken. Ich meine, das Stärken der FDP) Feiertage ist ein ganz wesentliches Anliegen, auf das wir uns einigen könnten. Im Übrigen ist am 16. November der Internationale Tag der Toleranz. Ich gebe zu, dass diese Ge- Eine gewisse Grundskepsis besteht bei uns aller- denktage eine unterschiedliche Wertschätzung dings, wenn es zu einer inflationären Entwicklung erfahren und, vielleicht je nachdem, wie das The- kommt. Da hilft auch der Vergleich mit anderen ma gerade betrachtet wird, unterschiedlich stark Bundesländern wenig. Ich habe hier keine über- wahrgenommen und manchmal von anderen Er- zeugende Begründung dafür gehört, warum der eignissen überlagert werden. Aber gerade beim Weltfrauentag und der Weltkindertag Feiertage Weltfrauentag und Weltkindertag können wir fest- werden sollten, aber beispielsweise nicht der Tag stellen, dass bei einer ganzen Reihe von Akteuren, der Umwelt. Es ist mir nicht klar geworden, wo Sie die - insbesondere im ehrenamtlichen Bereich -, hierbei die Grenze ziehen wollen. So können auch

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nicht vermeintliche Ungerechtigkeiten zwischen Schließlich finde ich, Ihre schriftliche Antragsbe- den Bundesländern ausgeglichen werden. gründung überschreitet die Grenze des Erträgli- chen. Das sollten wir uns hier im Hause gegensei- Wir müssen auch den Blick dafür schärfen, wo- tig nicht zumuten. Das eine ist, ganze Textpassa- durch sich Feiertage von normalen Urlaubstagen gen aus Wikipedia zu kopieren und mittels Maus- unterscheiden. Bei Ihrer Rede kam es mir ein klick in den eigenen Antrag einzufügen. Jede Frak- Stück weit so vor, als sei es der Hauptzweck von tion muss für sich selbst entscheiden, ob sie das Feiertagen, dass alle frei haben. Zum einen stimmt machen will. Das andere ist, in diesem Kontext die das nicht. Denn es gibt viele Bevölkerungskreise, Wirkung überhaupt nicht abzuprüfen. Was wollen die leider auch an Feiertagen arbeiten müssen, um Sie uns eigentlich damit sagen, wenn Sie die Ein- das Gemeinwesen aufrechtzuerhalten. führung eines Feiertages am Weltfrauentag fordern (Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Aber die und im gleichen Atemzug in der Begründung Ihres einen Ausgleich bekommen!) Antrags bestimmte Länder aufführen, die dies so handhaben? Zum anderen müssen wir uns vergegenwärtigen, dass das Niedersächsische Gesetz über die Feier- Natürlich ist es richtig: In Angola ist der 8. März ein tage nicht umsonst nicht nur Regelungen über Feiertag, in Eritrea auch. In China ist immerhin der Feiertage beinhaltet, sondern auch über Sonntage. Nachmittag für Frauen arbeitsfrei. Wir fragen uns Es wäre schön, wenn Sie gelegentlich innerpartei- allerdings: Was will uns die Linkspartei damit sa- lich deutlichere Worte zum liberalsten Ladenöff- gen? Sind diese Länder positive Beispiele für nungsgesetz, das es in Deutschland gibt, finden Frauenrechte? - Angola, 2008, Amnesty Internati- würden, das bekanntlich Ihre Partei in Berlin be- onal: willkürliche Festnahmen von Personen, die schlossen hat. ihr Recht auf freiwillige Meinungsäußerung bzw. (Zustimmung von Ingrid Klopp [CDU]) Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit wahrge- nommen haben, Völlig weggelassen - ich will nicht sagen, „verges- sen“, sondern ich vermute, Sie haben das bewusst (Beifall bei der CDU und bei der FDP - weggelassen - haben Sie die Auswirkungen auf Ingrid Klopp [CDU]: Genau so ist es!) die öffentlichen Haushalte und die Wirtschaft. keinerlei staatliches soziales Sicherungssystem, Wenn ein Feiertag wegfällt, dann bedeutet das Arbeitslosenquote über 50 %, zum Teil noch nicht zusätzliche Produktivität. Nun wollen wir keinen einmal das Recht für Frauen, Eigentum zu erwer- Feiertag abschaffen; umgekehrt gilt aber: Wer ben. einen neuen Feiertag einführt, der vermindert die Möglichkeit, das in Deutschland zu schaffen, das Eritrea, wieder Amnesty International: fast die Hälf- wir dringend brauchen. Wirtschaftsexperten rech- te der Bevölkerung unterernährt, keine Religions-, nen - das ist unumstritten - vor: Ein zusätzlicher keine Meinungs- und - siehe Tagesordnungspunkt Arbeitstag bringt 0,1 Prozentpunkte mehr Wachs- vorher - auch keine Versammlungsfreiheit, nationa- tum. Dass es in der aktuellen Phase, in der wir ler Wehrdienst für Frauen von mindestens 18 Mo- Milliardenausfälle in den öffentlichen Haushalten naten, zu verzeichnen haben, in der wir mit vielen Maß- (David McAllister [CDU]: Was?) nahmen gegen die steigende Arbeitslosigkeit vor- gehen müssen, in der wir alles tun müssen, um die keine Möglichkeiten zur Wehrdienstverweigerung. Haushalte in den Griff zu bekommen und unser Ich erspare es Ihnen, jetzt Einzelheiten zur Situati- Land wieder gut aufzustellen, richtig ist, über die on in China zu erzählen, weil ich glaube, außer Einführung von zusätzlichen Feiertagen zu spre- denjenigen, die den Antrag geschrieben haben, chen, möchte ich deutlich infrage stellen. weiß das jeder hier im Hause. (Beifall bei der CDU und bei der FDP) (Glocke der Präsidentin) Ich glaube, die Familien in Niedersachsen haben, Ich finde, solch undifferenzierte Begründungen wenn sie am Abendbrotstisch zusammensitzen werfen kein gutes Bild auf diesen Landtag. Mit und sich darüber unterhalten, was in den Firmen diesem Vorgehen haben Sie gleichzeitig den bes- vom Vater oder von der Mutter los ist, ganz andere ten Beleg dafür geliefert, worum es wirklich gehen Sorgen, als sich darüber Gedanken zu machen, sollte. Es geht nämlich nicht darum, einen Feiertag warum Weihnachten 2010 unglücklicherweise auf zu benennen. Es geht nicht um eine Fassade. Es einen Samstag und einen Sonntag fällt. geht darum, eine Botschaft zu vermitteln, diese

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ernst zu nehmen und bestmöglich in praktische (Beifall bei der SPD) Politik umzusetzen. Dies war sicherlich nicht nur bei mir die erste Re- aktion auf das Ansinnen, den Weltfrauentag und Vizepräsidentin Astrid Vockert: den Weltkindertag als Feiertage in Niedersachsen Bitte kommen Sie zum Schluss! zu etablieren. Haben wir in Zeiten einer großen Finanz- und Wirtschaftskrise keine anderen Sor- André Wiese (CDU): gen? Können wir die schlechte Bezahlung der Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Letzter Satz: Dass weiblichen Arbeitnehmer, die geringere Rente der Sie dies in der Bewertung anders sehen - damit Frauen durch einen Feiertag beheben? Achten wir spreche ich alle drei Oppositionsfraktionen an - als mehr auf Kinderrechte mit einem Feiertag? wir von den Regierungsfraktionen, das muss so Andererseits, meine Damen und Herren, zeigt das sein. Medienecho, dass die Frage der Feiertage durch- (Ursula Helmhold [GRÜNE]: Das wis- aus ein Thema ist, das in diesem Land interessiert. sen Sie doch noch gar nicht!) (Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Hört, - Frau Helmhold, ich - - - hört!)

Vizepräsidentin Astrid Vockert: Es stimmt, dass Niedersachsen zu den Bundes- ländern mit den wenigsten Feiertagen im Jahr Einen letzten Satz hatte ich Ihnen gestattet, Herr gehört. Es stimmt auch, dass im Jahr 2010 viele Kollege Wiese. Feiertage auf ein Wochenende fallen und dass deshalb Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf André Wiese (CDU): die Erholung durch zusätzliche Feiertage verzich- Frau Helmhold hat aber versucht, mich abzulen- ten müssen. ken. Der vorgelegte Gesetzentwurf pickt sich den Welt- (Heiterkeit) frauentag und den Tag des Kindes heraus, um sie zu gesetzlichen Feiertagen zu erklären. Frauen Vizepräsidentin Astrid Vockert: und Kinder besonders zu würdigen ist unser aller Es scheint ihr gelungen zu sein. Aber dennoch ist Anliegen; dies sollte es natürlich jeden Tag sein. Ihre Redezeit jetzt bei Weitem überschritten. Aber es gäbe noch eine Vielzahl anderer Möglich- keiten für Feiertage. Man braucht nur in das Ver- André Wiese (CDU): zeichnis der Aktions- und Gedenktage des Bun- Diese Unterschiede sind nicht so schlimm; denn destages zu schauen. Lassen Sie mich einige das ist schließlich Demokratie. Der internationale aufzählen: Da wäre der 27. Januar, der Tag des Gedenktag hierfür ist übrigens der 15. September. Gedenkens an den Holocaust, der 8. Mai, der Tag des Gedenkens an die Opfer des Zweiten Welt- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. kriegs, der 20. Juni als Weltflüchtlingstag, der (Starker Beifall bei der CDU und bei 13. August zum Gedenken an den Mauerbau oder der FDP - David McAllister [CDU]: der 1. September als Antikriegstag zum Gedenken Bravo! Sehr gut!) an den Beginn des Zweiten Weltkriegs. Möglich wären aber auch der 23. Juni als Tag des öffentli- Vizepräsidentin Astrid Vockert: chen Dienstes oder der Tag des Lehrers am 5. Danke schön, Herr Wiese. - Für die SPD-Fraktion Oktober, damit dieser Berufsstand und das Thema hat Frau Kollegin Weddige-Degenhard das Wort. Bildung besser gewürdigt werden. Bitte schön! (Ulf Thiele [CDU]: Da gibt es dann (Heiner Schönecke [CDU]: Ich schlie- schulfrei!) ße mich den Ausführungen des Vor- Der Tag der Briefmarke kommt wohl eher nicht in redners an!) Betracht, der am 25. Oktober im Kalender des Bundestages steht. Aber im Ernst, meine Damen Dörthe Weddige-Degenhard (SPD): und Herren: Vielleicht sollten wir diese Diskussion Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wirklich mit den gesellschaftlichen Gruppen, mit Dieser Gesetzentwurf zählt zu den Dingen, die die Kirchen, mit Gewerkschaften und mit Arbeitgeber- Welt nicht braucht. verbänden führen.

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Die Produktivität eines Bundeslandes scheint nicht symbolhaftes Agieren und tatsächliches Handeln von der Anzahl der Feiertage abzuhängen, wie uns so weit auseinander liegen. der Blick nach Süddeutschland zeigt. Es ist schwer Für die Frauenpolitik stellen wir fest: Nicht die un- nachzuvollziehen, dass unsere Nachbarländer zähligen Sonntagsreden und unverbindlichen Ver- zwei oder sogar drei Feiertage mehr aufweisen. sprechungen haben für Verbesserungen gesorgt. Zum Kollegen Wiese: Feiertage sollten keine Nein, es waren keine Symbolhandlungen, sondern Modeerscheinung sein, sagten Sie. Das trifft beim klare gesetzliche Bestimmungen. Es waren und Weltfrauentag oder beim Weltkindertag überhaupt sind Regelungen wie die Frauenquote, die für glei- nicht zu. Diesen Einwand kann ich hier nicht gelten che Rechte und Chancen von Männern und Frau- lassen. en Sorgen.

(Beifall bei der SPD) (Beifall bei den GRÜNEN) Wer aufmerksam durchs Land fährt, stellt fest: Bei Außerdem ist der Kultusausschuss für dieses der Verbesserung der Situation von Frauen und Thema zuständig. Sie sollten sich bei der Land- Kindern gibt es weiterhin viel zu tun. Jedes sechste tagsverwaltung einmal erkundigen. Kind in Niedersachsen lebt in Armut. Frauen ver- Eine interessante Lösung für das insbesondere in dienen im Durchschnitt 23 % weniger als Männer. diesem Jahr mehrmals auftauchende Problem, Kinderarmut bedeutet allzu oft auch Armut der dass ein Feiertag auf ein Wochenende fällt, zeigen Mütter. Das sind zentrale Fragen für die Zukunft die angelsächsischen Länder, die dann den nächs- unserer Gesellschaft. Es gibt also sehr viel zu tun. ten Arbeitstag zum Feiertag erklären. Vielleicht Ein Feiertag gehört da ganz hinten auf die Agenda. wäre das auch für uns eine Lösung. Das mussten Sie, meine Damen und Herren von der Linken, bereits in den Bundesländern zur Ich bin gespannt auf die Diskussion im Kultusaus- Kenntnis nehmen, in denen Sie einen solchen schuss. Antrag in ähnlich lautender Fassung gestellt ha- (Beifall bei der SPD) ben. Symbolpolitik hilft niemandem, nicht den Frauen Vizepräsidentin Astrid Vockert: und nicht den Kindern. Sollte dieser Antrag aller- dings eigentlich ein ganz anderes Ziel verfolgen, Danke schön, Frau Kollegin Weddige-Degenhard. - dann hätte ich erwartet, dass Sie das auch klar Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich formulieren können. Den Zusammenhang, einer- jetzt Frau Kollegin Twesten zu Wort gemeldet. seits eine besondere Würdigung von Frauen und Bitte schön! Kindern einzufordern und andererseits damit die Anzahl gesetzlicher Feiertage in Niedersachsen zu Elke Twesten (GRÜNE): erhöhen und insofern einen Ausgleich für fehlende Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- arbeitsfreie Tage im Jahre 2010 herzustellen, kann gen! Lassen Sie mich mit einer Feststellung begin- ich nicht erkennen. Eine solche Begründung hinkt nen: Natürlich ist es nicht abwegig, über den Sinn an allen Ecken und Enden. Entweder geht es und Nutzen von Feiertagen zu debattieren. Sicher- ernsthaft um den Feiertagsanlass, oder es geht lich ist es auch sinnvoll, darüber zu sprechen, ob ganz simpel um zusätzliche arbeitsfreie Tage. die Auswahl der Feiertage noch zeitgemäß ist und Beides miteinander zu vermixen ist mehr als un- ob nicht ab und an eine Anpassung an neue ge- glücklich. Das mache ich nicht mit. sellschaftliche Realitäten angebracht ist. - So viel Ein Land muss seinen Bürgerinnen und Bürgern in vorweg. der Frauenpolitik und bei der Förderung von Kin- Nun zum Vorschlag der Fraktion der Linken, den dern mehr zu bieten haben als Feiertage. Meistens Internationalen Frauentag und den Weltkindertag ist es leider so: Dort, wo symbolhaft agiert wird, wo zu gesetzlichen Feiertagen zu erklären. Frauen Orden und Auszeichnungen freizügig verteilt wer- zuerst: Die Forderung nach Gleichstellung von den und wo schnell noch ein Feiertag zusätzlich Frauen ist eines der Gründungsmotive der Grünen. eingeführt werden soll, gibt es in der Regel nicht Aus dieser Erfahrung heraus habe ich eine Emp- viel auszuzeichnen oder zu feiern, sondern viel zu fehlung für Sie: Hüten wir uns vor Symbolpolitik! Es verstecken. gibt nur wenige Politikfelder wie die Frauenpolitik - (Ursula Helmhold [GRÜNE]: Richtig!) Kinderpolitik gehört aber auch dazu -, in denen

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Ich sage es hier ganz deutlich, und zwar als Frau, Sehen wir uns den Antrag einmal etwas genauer die in den letzten Jahren immer wieder an politi- an. Normalerweise heißt es immer: Frauen und schen Aktionen zum Internationalen Frauentag Kinder zuerst. In der Begründung ist es der Links- teilgenommen hat, aber auch als Frau, die sich fraktion aber viel wichtiger, zuerst zu sagen, dass schon seit Jahren in verschiedenen Funktionen für im Jahre 2010 zwei Feiertage auf ein Wochenende mehr Kinderfreundlichkeit in unserer Gesellschaft fallen und deswegen zwingend der Weltfrauentag einsetzt: Wir müssen daran arbeiten, dass und der Weltkindertag mit besonderen Feiertagen Deutschland, dass Niedersachsen mehr für die bedacht werden müssen. Der Grund dafür ist also Verwirklichung der Gleichstellung tun. Wir müssen nicht, dass diese Tage besonders wichtig sind. Es dafür sorgen, dass die Lebensbedingungen und drängt sich in der Tat der Eindruck auf, dass Sie Bildungschancen von Kindern in unserem Land sich hier etwas besonders herausgepickt haben. deutlich besser werden. Am Donnerstagabend werden wir über einen Ent- (Zustimmung von Filiz Polat [GRÜ- schließungsantrag von Ihnen beraten, in dem Sie NE]) die Wichtigkeit des Tages zum Gedenken an den 8. Mai 1945 besonders hervorheben wollen. Sie Gerade beim Thema Gleichstellung von Frauen wollen dies allerdings nicht im Rahmen des Geset- brauchen wir alles andere als Symbolpolitik. Wir zes über die Feiertage tun. Das ist schon sehr brauchen Maßnahmen. Wir müssen daran arbei- merkwürdig. ten, dass Niedersachsen ein Vorzeigeland für Frauenpolitik und ein Musterland für Kinder wird. Ich habe mir weiterhin die Frage gestellt, ob wir Gleichstellung und Kinderfreundlichkeit müssen das Gesetz über die Feiertage 2012 wieder ändern gesellschaftlich und politisch gestaltet und vor wollen, weil der 1. Mai und der 3. Oktober dann allem gelebt werden. Erst wenn die Hälfte des wieder auf Werktage fallen, oder ob es generell niedersächsischen Himmels den Frauen gehört, zwei Feiertage mehr geben soll. Das alles wird aus sollten wir anfangen zu feiern. Wenn wir das ge- Ihrem Antrag nicht ersichtlich. Ich freue mich schafft haben, dann sage ich: Her mit den Feierta- gleichwohl auf die Beratungen, in welchem Aus- gen! schuss sie auch immer stattfinden. Vielen Dank. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie auch über ande- (Beifall bei den GRÜNEN) re Feiertage nachgedacht hätten. Ich könnte mir z. B. sehr gut vorstellen, mit der Linksfraktion in Vizepräsidentin Astrid Vockert: einen Dialog darüber einzutreten, ob man den 17. Juni nicht wieder zu einem Feiertag machen Danke schön, Frau Kollegin Twesten. - Für die sollte. FDP-Fraktion hat sich Herr Försterling zu Wort gemeldet. - Herr Kollege Koch und Herr Kollege (Beifall bei der FDP und bei der CDU) Klare unterhalten sich noch darüber, ob nun gleich eine Überweisung an den Kultusausschuss statt- Vizepräsidentin Astrid Vockert: finden soll oder nicht. Darüber entscheiden wir Herzlichen Dank, Herr Kollege Försterling. - Für gleich. Wir werden gleich darüber abstimmen, Herr die Fraktion DIE LINKE hat sich Herr Kollege Adler Kollege Klare. Jetzt hat Herr Kollege Försterling zu Wort gemeldet. Sie haben das Wort. das Wort. Bitte schön! Hans-Henning Adler (LINKE): Björn Försterling (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und und Herren! Herr Kollege Försterling, in der Be- Herren! Ich glaube, es ist der Linksfraktion in der gründung des Antrages steht, weshalb wir den Tat nicht gelungen, hier zu begründen, warum wir Antrag in diesem Jahr gestellt haben. Der Anlass Feiertage brauchen, um die Gleichberechtigung ist, dass es sich in diesem Jahr mit den arbeitsfrei- von Mann und Frau weiter voranzutreiben. Wenn en Tagen so unglücklich darstellt. Der Grund ist man von der Gleichberechtigung in der Arbeitswelt freilich ein anderer. Damit ist auch klar, dass sich spricht, wäre eher zu überlegen, dass die Männer nichts ändern würde, wenn die Feiertage und die einmal einen Tag zu Hause bleiben, damit die Werktage anders als in diesem Jahr gelegen sind. Frauen in den Firmen das Zepter übernehmen In diesem Jahr ist die Konstellation allerdings be- können. Das würde der einen oder anderen Firma sonders ärgerlich. Deshalb sind wir im Interesse vielleicht helfen. der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und im

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Interesse aller Berufstätigen dafür, die Zahl der Hans-Henning Adler (LINKE): Feiertage zu erhöhen. Dies zur Klarstellung. Selbstverständlich. Bitte! (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Astrid Vockert: Herr Wiese, ich will auch auf Ihre Ausführungen Herr Riese, Sie haben das Wort. eingehen. Ich fand es schon ziemlich infam, was Sie hier ausgeführt haben. Roland Riese (FDP): (David McAllister [CDU]: Das war gut!) Vielen Dank. - Herr Adler, wissen Sie, wann der Sie sind auf Entwicklungsländer, in denen der 1. Mai in Deutschland zum gesetzlichen Feiertag 8. März ein gesetzlicher Feiertag ist, eingegangen, wurde? die wir der Vollständigkeit halber in unserer Auf- zählung genannt haben. Wir haben mit dieser Vizepräsidentin Astrid Vockert: Nennung nicht zum Ausdruck gebracht, wie wir die Herr Adler! politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhält- nisse in diesen Ländern bewerten. Von uns wurde Hans-Henning Adler (LINKE): einfach nur ein Fakt benannt. Denken Sie einmal Das weiß ich. Es war eine alte Forderung der Ar- über eine Frage nach: So unvollkommen und beiterbewegung, den 1. Mai zum Feiertag zu ma- schlecht die Rechte der Frauen in solchen Ländern chen. In der Zeit der Weimarer Republik wurde wie Eritrea auch sind - darin gebe ich Ihnen recht -, illegal am 1. Mai gestreikt. Die Nazis haben sich die Frauen dort wären noch schlechter gestellt, diesen Tag dann sozusagen auf ihre Fahnen ge- wenn sie den 8. März als Feiertag nicht hätten. schrieben und haben ihn missbraucht. Das macht (Beifall bei der LINKEN - Zurufe von den 1. Mai aber in keiner Weise zu einem schlech- der CDU und von der FDP) ten Tag.

- Es ist mit Sicherheit so. - Fragen Sie doch erst (Lebhafter Beifall bei der LINKEN und einmal die Frauen in solchen Ländern, ob sie auf bei der SPD - Roland Riese [FDP]: den 8. März verzichten wollen, bevor Sie hier sol- Darf ich gleich noch eine Frage stel- che Ausführungen machen. len?)

(Beifall bei der LINKEN) - Gleich, einen Moment! Ich will zunächst meine Antwort auf Ihre Frage zu Ende führen. - Herr Rie- Ich muss noch kurz auf die Ausführungen von Frau se, aus diesem Grund hat sich nach 1945 auch Twesten eingehen. Mich hat ziemlich erschrocken niemand getraut, den 1. Mai als Feiertag wieder gemacht, was sie erzählt hat. Sie sprach hier von abzuschaffen, nur weil die Nazis ihn als gesetzli- Symbolpolitik. Überlegen Sie sich einmal Folgen- chen Feiertag eingeführt haben. Auf diese Idee ist des: Wenn Sie Ihre Argumentation zur Symbolpoli- wirklich keiner gekommen. tik auf andere gesetzliche Feiertage ausdehnen würden, könnten Sie mit den gleichen Argumenten (Zustimmung von Dr. Manfred Sohn auch den 1. Mai als Feiertag abschaffen. Auch der [LINKE]) 1. Mai ist ein symbolischer Feiertag, bei dem es Mit anderen Worten: Sie können in der Beratung um die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeit- im Ausschuss auch gern andere Vorschläge im nehmer geht. Selbstverständlich brauchen wir den Hinblick auf gesetzliche Feiertage machen. Wir 1. Mai und wollen ihn weiterhin als gesetzlichen sind in dieser Hinsicht völlig offen. Wenn Sie hier Feiertag haben. mehrheitlich durchsetzen, dass der Reformations- tag - wie in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thürin- (Beifall bei der LINKEN) gen - zum gesetzlichen Feiertag gemacht wird, so Mit Ihrer Logik könnten Sie auch diesen Feiertag wäre das zwar nicht im Sinne unseres ursprüngli- gleich abschaffen. chen Antrags, aber es wäre aus unserer Sicht durchaus ein Fortschritt für alle Beschäftigten. Von Vizepräsidentin Astrid Vockert: mir aus können Sie das mit Ihrer Mehrheit durch- bringen. Herr Kollege Adler, gestatten Sie eine Zwischen- frage? (Beifall bei der LINKEN)

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Aber es ist doch sicherlich sinnvoll, einfach die ist: Wir haben uns überlegt, welche Feiertage man Benachteiligung von Niedersachsen aufzuheben, nehmen kann, und haben diese beiden vorge- die es nun einmal gibt und die wirtschaftlich eigent- schlagen. Wenn Sie andere Feiertage vorschla- lich nicht nachzuvollziehen ist. Denn in den Län- gen - von mir aus wie in Sachsen den 6. Januar als dern, die sogar drei gesetzliche Feiertage mehr Tag der Heiligen Drei Könige; vielleicht kommt haben, wie Bayern und Baden-Württemberg, ist ja Ihnen von der CDU das näher -, dann machen wir nun wirklich kein wirtschaftlicher Abschwung zu das doch bitte! Dann hätten wir zumindest eines verzeichnen, jedenfalls nicht im Vergleich zu Nie- unserer beiden Ziele verfolgt. Aber versuchen Sie dersachsen. Deshalb sind die gesetzlichen Feier- doch nicht, das gegeneinander auszuspielen! Wir tage, die es in diesen Ländern zusätzlich gibt, verfolgen mit unserem Antrag zwei Ziele, und das überhaupt kein Argument gegen eine Regelung, ist legitim. Wenn Sie dem einen Ziel näherkämen, wie wir sie vorschlagen. Im Gegenteil, weil es in hätten wir immerhin einen Teilerfolg erzielt. diesen Ländern mehr gesetzliche Feiertage gibt, Danke schön. könnten wir das auch hier einführen. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Astrid Vockert: Herr Kollege Adler, gestatten Sie eine weitere Zwi- Vizepräsidentin Astrid Vockert: schenfrage der Kollegin Pieper? Herzlichen Dank. - Liebe Kolleginnen und Kolle- gen, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Hans-Henning Adler (LINKE): Wir kommen zur Ausschussüberweisung. Ja, selbstverständlich. Nach § 27 Abs. 1 und 2 unserer Geschäftsordnung Vizepräsidentin Astrid Vockert: müssen mindestens 30 Mitglieder des Landtages einer Ausschussüberweisung zustimmen. Frau Pieper! Eben ist der Antrag gestellt worden, den Gesetz- Gudrun Pieper (CDU): entwurf dem Innenausschuss statt dem Kultusaus- schuss zur federführenden Beratung zu überwei- Herr Kollege Adler, wenn ich Sie jetzt richtig ver- sen. standen habe, möchten Sie zwei zusätzliche Feier- tage. Ich lasse deshalb nach § 27 Abs. 2 darüber ab- stimmen, ob der Gesetzentwurf zur federführenden Hans-Henning Adler (LINKE): Beratung dem Innenausschuss und zur Mitbera- Ja. tung dem Ausschuss für Rechts- und Verfassungs- fragen, wie eben beantragt, oder aber zur feder- Gudrun Pieper (CDU): führenden Beratung dem Kultusausschuss und zur Mitberatung dem Innenausschuss überwiesen Dabei geht es Ihnen anscheinend gar nicht mehr werden soll. um Frauen oder Kinder. Dann finde ich es verwerf- lich, dass Frauen und Kinder von Ihnen mit diesem Von der Landtagsverwaltung ist mir übrigens eben Gesetzentwurf im Grunde genommen instrumenta- noch einmal gesagt worden, dass Sie diejenigen lisiert wurden. sind, die das beschließen, und dass hier nicht au- tomatisch der Kultusausschuss tätig wird. Ich weiß (Beifall bei der CDU und bei der FDP) nicht, ob das irgendeinen Einfluss auf Sie hat. Auf jeden Fall lasse ich jetzt über den Antrag abstim- Vizepräsidentin Astrid Vockert: men. Herr Adler! Der Antrag von André Wiese lautet, dass der Ge- Hans-Henning Adler (LINKE): setzentwurf zur federführenden Beratung an den Innenausschuss und zur Mitberatung an den Aus- Vielleicht schaffen Sie es, sich einfach vorzustel- schuss für Rechts- und Verfassungsfragen über- len, dass unsere Fraktion mit ihrem Gesetzentwurf wiesen werden soll. Wer so beschließen möchte, zwei Ziele miteinander in Einklang bringen will. den bitte ich jetzt um das Handzeichen. - Gegen- Vielleicht ist es ja intellektuell möglich, zwei Ziele stimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist die zu verfolgen. Das eine Ziel ist, die Zahl der gesetz- Ausschussüberweisung so beschlossen. lichen Feiertage zu erhöhen, wie wir sie auch in anderen Bundesländern haben. Das andere Ziel Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:

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Zweite Beratung: Ein Indikator dafür, dass die Tagespflege nicht Qualität der Kindertagespflege in Niedersach- optimal aufgestellt ist, ist allerdings die mangelnde sen steigern - Ausbildung und Qualitätssiche- Stabilität der Betreuungsverhältnisse unter den rung verbessern - Antrag der Fraktion Bündnis gegenwärtigen Rahmenbedingungen. Dabei muss 90/Die Grünen - Drs. 16/1504 - Beschlussempfeh- man wirklich kein Kinderexperte und keine Kinder- lung des Ausschusses für Soziales, Frauen, Fami- expertin sein, um zu wissen, dass die Verlässlich- lie und Gesundheit - Drs. 16/1935 keit der Betreuungsverhältnisse und der Bezugs- personen für das Aufwachsen von Kindern sehr entscheidend ist. Die Beschlussempfehlung lautet auf Ablehnung. Ich kritisiere, dass die CDU und die FDP sich einer Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen. Anhörung im Ausschuss verweigert haben und sie Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen haben sich auch nicht die Mühe gemacht haben, einen Sie, Frau Kollegin Staudte, das Wort. Änderungsantrag zu formulieren. Sie müssen ja nicht jeden Punkt unterstützen. Aber immer nur Miriam Staudte (GRÜNE): gebetsmühlenartig zu wiederholen: „Wir machen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kol- doch alles, die Landesregierung macht doch alles“, leginnen und Kollegen! Wir als Grüne-Fraktion ist wirklich zu wenig. haben Ihnen einen ziemlich ausführlichen Antrag zum Thema Tagespflege vorgelegt. In acht Punk- (Zustimmung von Patrick-Marc Hum- ten haben wir Forderungen aufgelistet, die die ke-Focks [LINKE]) Rahmenbedingungen von Tagespflege in Nieder- Sie machen nicht alles. Es gibt z. B. keine Min- sachsen verbessern sollen. Wir als Fraktion haben destqualifizierung von 160 Stunden. Es gibt keine von denen, die sich damit am besten auskennen, Pflicht zur Hospitation bei einer erfahrenen Ta- von den Tagesmüttern, ausschließlich positive gesmutter. Die Fachdienste für Kindertagespflege Rückmeldungen dazu bekommen. Sie sind einhel- werden personell nicht gestärkt, können also wie lig der Auffassung, dass Niedersachsen hier Hand- bisher nur Krisenintervention betreiben. Die Wei- lungsbedarf hat. terbildungsangebote werden nicht ausgebaut. Ein Doch durch die rosa Brille der Regierungsfraktio- niedersächsischer Mindestlohn wird nicht ange- nen sieht das naturgemäß etwas anders aus. Im strebt; es wird absolut akzeptiert, dass man in Sozial- und im Kultusausschuss wurden zum Teil einigen Kommunen unter 2 Euro pro Kind und Positionen vertreten, die in der Fachwelt wirklich Stunde verdienen kann. Die maximale Anzahl der nur für Kopfschütteln sorgen können. Deswegen Betreuungsverhältnisse wird nicht reduziert. Die muss ich an dieser Stelle noch einmal klarstellen: Großtagespflegestellen werden nicht in das Kita- Tagespflege ist keine Nachbarschaftshilfe und gesetz aufgenommen, obwohl sie mit der klassi- kann auch nicht von jeder Frau, die Mutter ist, schen Tagespflege tatsächlich so gut wie nichts ausgeübt werden. mehr zu tun haben.

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Zu- Ein Punkt, der mich wirklich ärgert: Erzieherinnen ruf) dürfen in Niedersachsen weiterhin während der - Auch nicht von jedem Vater, selbstverständlich. Randzeiten in ihrer Kita zu Dumpinglöhnen als Tagesmütter arbeiten. Das ist nicht in Ordnung. Wir wollen und müssen - das sagt auch das Kin- der- und Jugendhilfegesetz, das KJHG - Tages- Wir haben immer wieder kritisiert, dass die Zu- pflege professionalisieren, und zwar nicht nur ständigkeit für die Betreuung von unter Dreijähri- wenn es um die Besteuerung geht - sie ist ja neu gen in Niedersachsen zwischen Kultusministerium eingeführt worden; die armen Tagesmütter haben und Sozialministerium aufgesplittet ist. Das ist auf leider keine 1,1 Millionen Euro für die FDP übrig, jeden Fall ein Punkt, der sich in den nächsten Jah- um eine bessere Lobbyarbeit zu betreiben. Tages- ren zu ändern hat. Wenn Sie als Regierungsfrakti- pflege darf nicht länger die Billigalternative zur onen das nicht machen, dann werden das - da bin Krippenbetreuung sein; denn dieser Bereich hat ich mir sicher - die Nachfolgekoalition und die eine rasant wachsende Relevanz. Die Zahl der Nachfolgeregierung tun. Betreuungsverhältnisse hat sich von 2007 bis 2009 auf 6 120 mehr als verdreifacht. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

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(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- (Roland Riese [FDP]: Warum kürzt Ihr stimmung von Patrick-Marc Humke- dann die Gelder?) Focks [LINKE]) - Sie haben noch Zeit zu reden, Herr Riese. Sie Vizepräsidentin Astrid Vockert: sind ja nach mir dran. Herzlichen Dank, Frau Kollegin Staudte. - Nun hat (Roland Riese [FDP]: Das mache ich sich von der SPD-Fraktion Herr Kollege Klein zu auch!) Wort gemeldet. Bitte schön! Es ist aber entweder nur halbherzig, oder die Kommunen werden von Ihnen nicht angemessen Stefan Klein (SPD): einbezogen. Frau Präsidentin! Meine lieben, sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir beschäftigen uns Das Landesprogramm - immer wieder gerne als heute bereits zum zweiten Mal mit dem Thema der Entgegnung auf Kritik genannt - hat ein Volumen frühkindlichen Bildung und nicht nur mit dem Be- von 100 Millionen Euro, verteilt auf vier Jahre - reich der Betreuung. Während der vorhin bespro- theoretisch. In den ersten beiden Jahren wurden chene Ausbau der Krippenkapazitäten deutlich im pro Jahr gut 12 Millionen Euro abgerufen. Frau Fokus der Öffentlichkeit stand und steht, führte die Ministerin, das ist doch wohl eher enttäuschend. Kindertagespflege manchmal eher ein - so möchte (Beifall bei der SPD) ich sagen - Schattendasein und diente in den Au- gen einiger eher dazu, die fehlenden Plätze in den Ob die Betreuung gut ist, der Bildungsaspekt die Kindertagesstätten auszugleichen. Die Tagespfle- ihm zugedachte wichtige Rolle spielt und die Eltern ge ist aber deutlich mehr als ein Lückenfüller. Die- von dem Produkt Tagespflege überzeugt werden, se Auffassung setzt sich langsam aber sicher hängt entscheidend von den Menschen ab, die als durch, und das ist gut so. Tagespflegepersonen gewonnen werden und tätig sind. Hierfür ist ganz bedeutend, unter welchen (Beifall bei der SPD und bei den Bedingungen die Kräfte arbeiten und natürlich GRÜNEN) auch wie sie vergütet werden. Die Situation in den Sie bietet flexiblere Betreuungsmöglichkeiten und Kommunen stellt sich sowohl bei den Anforderun- kann eine familienähnliche individuelle Kinder- gen zur Grundqualifizierung als auch bei den Pra- betreuung vielfach besser realisieren. Das Bundes- xishospitationen vor allem als größtenteils hetero- familienministerium nennt darauf bezogen Punkte, gen dar. Das hatte Frau Staudte eben noch einmal wie die gesamte Kindertagespflege systematisch dargestellt. zu einer - das ist ja der Sinn des Antrages - hoch- Bei der Vergütung ist die Unterschiedlichkeit eben- wertigen Form der Kinderbetreuung zu entwickeln falls sehr ausgeprägt. Beispielsweise in Wolfsburg sei. Dazu zählen die Auswahl der Betreuungsper- werden meines Wissens 4,50 Euro bezahlt, in sonen, die Qualifikation, die Beratung und Beglei- Salzgitter - obwohl CDU-regiert - lediglich 3,20 Eu- tung, aber auch der Austausch und die Vernetzung ro. Nach Angaben des Ministeriums zahlten Mitte der Tagespflegekräfte. Das Bundesministerium des letzten Jahres immerhin noch 32 % der Kom- macht deutlich, dass die Voraussetzungen und das munen unter 3 Euro. Da frage ich mich, wie unter Angebot vor Ort von den Ausführungsbestimmun- diesen Voraussetzungen genug und gut qualifizier- gen der Länder bestimmt werden. Also sind wir te Kräfte gewonnen und gehalten werden können. hier, liebe Frau Ministerin, am Zuge. Ob der Zug schnell oder langsam fährt, ob die Fahrgäste - in (Beifall bei der SPD) diesem Fall die Kinder und Eltern, aber auch die Tagespflegekräfte - zufrieden sind, liegt maßgeb- Auch die Anzahl der zugelassenen Betreuungsver- lich auch an Ihnen, Frau Ministerin. Bisher fährt in träge und der gleichzeitig zu betreuenden Kinder Niedersachsen eher eine Regionalbahn statt eines schwankt bei den Pflegeerlaubnissen zwischen ICE. den kommunalen Gebietskörperschaften, obwohl mittlerweile bekannt sein dürfte, dass die Qualität (Beifall bei der SPD) ganz entscheidend von der Erzieher/Kinder- Ich erkenne das Engagement im Programm „Fami- Relation abhängig ist. lien mit Zukunft“ an, auch die Punkte, die das Mi- Dass es wichtig sei, Qualität zu erzielen und ein nisterium im Ausschuss dargelegt hat. gleiches Niveau zu erreichen, sagte auch der Kol- lege Försterling von der FDP bei der ersten Bera-

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tung zu Recht. Zur Qualität gehören Grundqualifi- Herzlichen Dank. kation, Begleitung, Fortbildung und Elternarbeit. (Beifall bei der SPD - Zustimmung von Geradezu fahrlässig ist es, das genau zu wissen, Dr. Manfred Sohn [LINKE]) aber - wie eben hier in Niedersachsen - nicht ent- sprechend zu handeln. Vizepräsidentin Astrid Vockert: Die vorgenannten Beispiele zeigen, dass das Land Herzlichen Dank, Herr Kollege Klein. - Für die für Rahmenbedingungen sorgen kann und sollte, CDU-Fraktion hat jetzt Herr Kollege Focke das die die Kommunen zur Einhaltung von Qualitäts- Wort. Bitte schön! standards verpflichten. Das kostet mehr Geld, aber Qualität gibt es nicht zum Nulltarif. Ansgar-Bernhard Focke (CDU): Wir unterstützen größtenteils die Intentionen der Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Grünen. Problematisch ist Punkt 8, bei dem es um Herren! Das Modell der Kindertagespflege ist in die Zusammenlegung der Zuständigkeiten geht. Niedersachsen eine Erfolgsgeschichte. In nur zwei Dieses ist nicht primär Aufgabe des Landtags, aber Jahren ist die Zahl der Betreuungsverhältnisse um wir bewerten es als sinnvolle Anregung für die 350 % gestiegen. Landesregierung. Zustimmen werden wir Ihrem Antrag jedoch nicht, sondern wir werden uns ent- (Zustimmung von Norbert Böhlke halten, vor allem weil Sie entgegen Ihrer sonstigen [CDU]) Argumentation in Punkt 3 die Konnexität verneinen Nahmen noch 2007 Eltern von 1 770 Kindern die- und die Kosten für die verpflichtende Fortbildung ses Betreuungsangebot in Anspruch, so waren es den Kommunen zuschieben. Das halten wir für 2009 bereits über 6 100. Frau Staudte hat richti- nicht nachvollziehbar. gerweise darauf hingewiesen. Das ist eine bei- (Beifall bei der SPD) spiellose Entwicklung, die zeigt, dass die Eltern in diesem Land dieser Betreuungsform ebenso ver- Liebe Frau Ministerin Ross-Luttmann, liebe Frau trauen und Qualität zusprechen wie den anderen Kultusministerin Heister-Neumann - auch wenn sie Betreuungsangeboten. gerade nicht da ist -, kümmern Sie sich bitte um die Qualität in den Einrichtungen und in der Ta- (Zustimmung von Norbert Böhlke gespflege, aber nicht so zaghaft und langsam wie [CDU] und von Dr. Max Matthiesen beim Krippenausbau, wo es nur dürftig vorangeht. [CDU]) Bei einem Anstieg der Betreuungsquote um 0,4 Wir wollen, dass die Eltern in Niedersachsen Wahl- Prozentpunkte pro Jahr sind wir 2013 bei gut 11 % freiheit haben. Wir wollen, dass sich die Eltern die statt bei 35 %. Das ist ein Armutszeugnis für die Betreuungsform aussuchen können, die am besten Landesregierung. in ihre Lebenssituation passt und von der sie der (Beifall bei der SPD - Zustimmung von Überzeugung sind, dass ihr Kind dort gut betreut Dr. Manfred Sohn [LINKE]) und gefördert wird. Die Kultusministerin kann ja auch einmal ein paar (Zustimmung von Dr. Max Matthiesen Dinge aus ihrem und meinem Wahlkreis mitneh- [CDU]) men: Salzgitter hat bei den unter Dreijährigen eine Daher möchte ich nochmals wie auch in den Aus- Quote von über 20 %. Das wäre doch eine gute schussberatungen darauf hinweisen: Ich finde es Anregung für die Regierungsfraktionen, um diese nicht in Ordnung - Frau Staudte, Sie haben es in Kinder- und Familienfreundlichkeit auch im Lande Ihrer Rede wiederholt -, dass die Kindertagespfle- Niedersachsen auf den Weg zu bringen. Schön ge als minderwertig oder gar als Billiglösung be- wäre es, wenn das so kommen würde. zeichnet wird. (Hans-Christian Biallas [CDU]: Ein gu- ter Oberbürgermeister!) (Beifall bei der CDU -Norbert Böhlke [CDU]: Sehr richtig!) Wie gesagt: Wir werden uns enthalten, sind aber offen für Ihre Anregungen und halten den Großteil Wenn Sie in Ihrem Antrag formulieren „wenn sie“ - der Ansätze für richtig, um die Situation derer zu die Tagespflege - „mehr als die Billiglösung des verbessern, um die es uns hier in erster Linie ge- Krippenausbaus sein soll“, dann meinen Sie doch hen muss, nämlich die Situation unserer Kinder. nichts anderes, als dass das Tagespflegemodell eine Billiglösung ist. Aber warum haben sich dann

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in den letzten zwei Jahren so viele Eltern für die- einmal, wie da eine Verhandlung mit den kommu- ses Modell entschieden? - Das bleibt für Ihre Seite nalen Spitzenverbänden zustande kommen soll. und auch für die Seite der Linken wohl ein Rätsel. Mir kommt es immer mehr so vor, als wollten Sie Aber vielleicht liegt der Fehler in Ihrer Vorstellung, diese Art der Betreuung überhaupt nicht haben. Da dass nur der Staat wisse, was für Kinder gut ist. sich jedoch immer mehr Eltern für genau diese Das ist und bleibt ein Irrglaube, meine Damen und Betreuungsform entscheiden und Sie sich nicht Herren. gegen die wachsende Elternschaft stellen wollen, (Beifall bei der CDU und Zustimmung wählen Sie den Weg, das Erfolgsmodell Kinderta- von Björn Försterling [FDP]) gesstätten durch Betonklötze von Bürokratie zu versenken. Die Annahme ist falsch, durch staatliche Regle- mentierung und Bevormundung könne man Quali- (Zustimmung bei der CDU) tät vorschreiben. Diese Reglementierung zieht sich Durch die Neuregelung im Kinderförderungsgesetz aber durch Ihren gesamten Antrag. Sie trauen den ist die steuerliche Behandlung der Einkünfte aus Eltern nicht zu, dass sie sich die Tagespflegeper- Kindertagespflege verbessert worden. Es kommt sonen für ihre Kinder selber aussuchen können. nicht zu einer Belastung von Tagespflegeperso- Durch Ihre Vorschläge würgen Sie die tolle Ent- nen, sondern im Gegenteil, dem Tagespflegeper- wicklung in diesem Bereich ab. Ich glaube, dass sonal wird ein Sozialversicherungsschutz zugesi- durch Ihre Vorschläge mehr Menschen mit der chert. Mit den gesetzlichen Vorgaben zur leis- Kontrolle beschäftigt wären als mit der Betreuung tungsgerechten Ausgestaltung der Vergütungs- der Kinder selbst. Das wollen wir nicht. struktur in der Kindertagespflege hat das Bundes- familienministerium noch unter Führung von Ursula (Beifall bei der CDU) von der Leyen die entscheidenden Weichen dafür gestellt, dass sich die Kindertagespflege mittelfris- Vizepräsidentin Astrid Vockert: tig zu einem anerkannten Berufsbild weiterentwi- Herr Kollege Focke, gestatten Sie eine Zwischen- ckeln kann und so auch ohne Verwerfungen in die frage der Kollegin Helmhold? gängige Struktur des Steuer- und Sozialversiche- rungsrechts eingebettet werden kann. Ansgar-Bernhard Focke (CDU): Die Verhältnisse von Jugendträgern, Eltern und Nein, danke. - Den Kommunen geben Sie gleich Tagespflegepersonal sind sehr vielfältig. Das Ta- noch eins mit. Der Kollege Klein hat auf die Kon- gespflegepersonal kann im Angestelltenverhältnis nexität hingewiesen. Sie sagen, die Ausbildung sei oder selbstständig tätig sein. Es kann durch steu- mangelhaft, die Tagesmütter würden zu wenig erfreie Beihilfe oder durch wirtschaftliche Gewinne, verdienen, Aus- und Fortbildung finde nicht statt. die ausgewiesen werden, finanziert werden. Es ist Also holen Sie den Knüppel heraus und wollen 40 zu einfach, nur einen Mindestlohn zu fordern. Aber Fortbildungsstunden pro Jahr auf Kosten der wenn es einfach wäre, würden ja auch Sie regie- Kommunen staatlich verordnen. Meine Damen und ren, meine Damen und Herren. Herren, so darf man mit den örtlichen Jugendhilfe- (Zustimmung bei der CDU - Ursula trägern nicht umgehen! Helmhold [GRÜNE]: Der hat auch schon einen Bart!) (Beifall bei der CDU und bei der FDP) Meine Damen und Herren, auf den Antrag kommt Lassen Sie mich auch noch auf den von Ihnen es an. Wir wollen die erfolgreiche Entwicklung der geforderten Mindestlohn eingehen. Eine Höhe Kindertagespflege in Niedersachsen begleiten. Wir legen Sie in Ihrem Antrag nicht fest. Lediglich in wollen die flexiblen Strukturen, die von den Eltern Ihrer Begründung nennen Sie Zahlen zwischen sehr geschätzt werden, weiter fördern und den 2 Euro und 4,50 Euro pro Kind und Stunde. Der Eltern eine echte Wahlfreiheit geben. Sie sollen genaue Richtwert soll aber erst noch in einer sich frei zwischen den verschiedenen Betreuungs- Kommission ermittelt werden. Meine Damen und formen entscheiden können. All das finden wir in Herren, wenn ich nicht weiter weiß, bilde ich einen Ihrem Antrag nicht wieder. Deswegen lehnen wir Arbeitskreis. Wie sollen denn Verhandlungen mit ihn ab. den Kommunen aussehen, wenn diese ihren An- trag lesen und von Ihnen nur gesagt bekommen, (Beifall bei der CDU und bei der FDP) was sie nicht oder schlecht tun? -Erklären Sie mir

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Vizepräsidentin Astrid Vockert: muss man schon eine etwas differenziertere Be- Danke schön, Herr Kollege Focke. Zu einer Kurzin- trachtungsweise vornehmen. Man muss die Situa- tervention auf Herrn Kollegen Focke hat Frau Kol- tion von oben her betrachten, um herauszufinden, legin Staudte von der Fraktion Bündnis 90/Die was das Beste ist, damit die Eltern wirklich frei Grünen für anderthalb Minuten das Wort. Bitte entscheiden können. schön! Wissen Sie, was ich so entlarvend an dieser Dis- kussion finde? - Ich finde es entlarvend, dass Sie Miriam Staudte (GRÜNE): sagen, Sie wären für Tagespflege und dafür, dass Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Focke, wenn sich Eltern frei entscheiden können. Mit Pressemit- es tatsächlich so ist, dass wir die Tagespflege teilungen wie „Herdprämie stoppen“ sagen Sie schlecht machen und sie in Wirklichkeit abschaffen jedoch bewusst, dass es Eltern, die sich für ihre wollen: Wie erklären Sie mir denn dann, dass alle Familie entscheiden, die sagen: „Ich Mama, ich Tagesmütter, die sich bei uns gemeldet haben, Papa will zu Hause bleiben“, nicht wert sind, vom von unserem Antrag total begeistert waren? - Das Staat gefördert zu werden. Auch dieser Diskussion passt von der Logik her doch nicht zusammen. müssen Sie sich einmal stellen. (Roland Riese [FDP]: Weil Sie denen (Ursula Helmhold [GRÜNE]: Das sagt nicht alles erzählen, was Sie tun!) Frau von der Leyen!)

Sie haben behauptet, Sie wollten Wahlfreiheit her- Das ist entlarvend. Sie diskreditieren damit Eltern- stellen. Wir wollen die Wahlfreiheit herstellen. Bis- generationen, die das in Zukunft machen wollen. lang ist es so, dass bis zu einem Drittel der Ich sage Ihnen noch etwas: Meine Mutter hat 25 Betreuungsverhältnisse frühzeitig abgebrochen Jahre lang vier Kinder großgezogen. Sie schmä- wird. Die Eltern sind nämlich nicht zufrieden mit lern die Lebensleistung solcher Mütter und Väter, dem, was sie an Leistung erfahren. Die Tagesmüt- wenn Sie so etwas fordern. ter werden nicht unterstützt. Sie werden nicht an- geleitet, Elternarbeit zu leisten. Insofern weise ich (Beifall bei der CDU und bei der FDP - Ihren Vorwurf zurück, wir wollten diese Betreu- Ursula Helmhold [GRÜNE]: Oh nein!) ungsform schlecht machen. Wir wollen sie unter- stützen und aufwerten. Vizepräsidentin Astrid Vockert: Herzlichen Dank. Für die Fraktion DIE LINKE hat Zum Thema Mindestlohn. Ich glaube, es ist eine Herr Kollege Humke-Focks das Wort. Bitte schön! sinnvolle Forderung, hierfür eine Kommission ein- zurichten. Bislang ist es so, dass sich die Kommu- (Beifall bei der LINKEN) nen untereinander absprechen und versuchen, auf einen Nenner zu kommen. Das Land würde ihnen Patrick-Marc Humke-Focks (LINKE): wirklich einen Gefallen tun, wenn es den Kommu- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! nen diese Arbeit abnehmen würde. Sie propagie- Ich meine, mit Ihrem Ausbruch eben, Herr Focke, ren mit dem Ausbau der Tagespflege Masse statt der mit dem eigentlichen Antrag nichts zu tun hat- Klasse. Das wird sich herumsprechen. Insofern te, haben Sie sich entlarvt; glaube ich, wenn sich an den Voraussetzungen nichts ändert, wird die Nachfrage nach diesen (Beifall bei der LINKEN) Betreuungsplätzen sehr schnell zurückgehen. denn wir alle müssen damit zur Kenntnis nehmen, (Beifall bei den GRÜNEN) dass das ehrgeizige, aber bei dem Reichtum in diesem Land sicher zu erreichende Ziel einer 35- Vizepräsidentin Astrid Vockert: prozentigen Versorgung der unter Dreijährigen mit Danke schön, Frau Kollegin Staudte. Herr Kollege einem Betreuungsplatz nicht gesichert ist. Das Focke möchte antworten. Auch für Sie anderthalb wurde umso deutlicher, als Sie von der 350-pro- Minuten. zentigen Steigerung der Betreuungsangebote ge- sprochen haben. Wenn man sich das Ranking Ansgar-Bernhard Focke (CDU): anschaut, dann stellt man fest, dass Steigerungs- raten umso höher ausfallen, wenn man vorher Liebe Frau Kollegin Staudte, wenn man mit Betei- nichts hatte. Ich denke, das sollte nicht der Maß- ligten spricht, so freuen sie sich natürlich über jede stab für unsere Politik sein. Forderung. Wenn man aber Politik macht, dann

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(David McAllister [CDU]: Das ist wie ungsangebot in allen Regionen unseres Landes bei Ihren Wahlergebnissen!) geschaffen werden. Zur Schaffung eines Rechts- anspruchs auf einen Betreuungsplatz haben Sie Jedenfalls ist es nicht der Maßstab der Politik der noch keine Vorschläge unterbreitet, und das trotz Linken. Sie können versuchen, den Leuten die Hinweisen von uns Linken. Augen auf diese Art und Weise zuzukleistern. Auf Dauer wird Ihnen das jedoch nicht gelingen. Wie halten Sie es denn z. B. mit der Umsetzung der UN-Konvention für die Rechte von Menschen (Beifall bei der LINKEN) mit Behinderungen und der Verpflichtung zu einer 30 % der Betreuungsplätze sollen von der Kinder- inklusiven Betreuung? - Ihr Verhalten ist wie ein tagespflege aufgefangen werden. Dass dies einen weiteres Kapitel in der Fortführung Ihrer Politik des wesentlichen Haken hat, liegt auf der Hand. Mit der Nichtstuns, gerade im sozialen und bildungspoliti- Gleichstellung der Betreuung von Kindern in Kin- schen Bereich. dertagesstätten und in der Kindertagespflege ist (Beifall bei der LINKEN) nicht nur nach Auffassung der Linken eine Gleich- stellung der Qualität, in allererster Linie hinsichtlich Das ist der eigentliche Skandal zulasten der Men- der Qualifikation des Betreuungspersonals, nicht schen in diesem Land. gegeben. In den Kindertagesstätten gibt es gut Ich danke für die Aufmerksamkeit. ausgebildetes Personal, während die Betreuung in der Kindertagespflege von Personen wahrgenom- Vizepräsidentin Astrid Vockert: men wird, deren Qualifikation nicht annähernd an Danke schön, Herr Humke-Focks. Für die FDP- die von Erzieherinnen und Erziehern heranreicht. Fraktion hat Herr Kollege Riese das Wort. Diese Entwicklung darf nicht zementiert werden. Wir wollen für unsere Kinder eine hinsichtlich Qua- Roland Riese (FDP): lität und Ausbildung vergleichbare Betreuung. Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr ver- (Beifall bei der LINKEN) ehrten Damen und Herren! Ich gehöre dem Land- Dabei sind wir uns durchaus bewusst, dass die tag jetzt auch erst im siebten Dienstjahr an und Versorgung des ländlichen Raums mit einer aus- hatte immer die Vorstellung, dass, wenn hier An- reichenden Zahl von Betreuungsplätzen eine be- träge eingebracht werden und man sie an die Aus- sondere Herausforderung darstellt; das ist keine schüsse überweist, wo dann an ihnen gearbeitet Frage. wird, dort die Gelegenheit besteht und auch wahr- genommen wird, über die Materie und ihre rechtli- Ungelöst ist auch - das hat Frau Staudte zu Recht chen Grundlagen etwas klüger zu werden, sodass ausgeführt - das Problem der Bezahlung der Kin- man dann geläutert in die zweite Beratung geht. dertagespflege sowie die Frage der Einführung Stattdessen hat die Kollegin Frau Staudte den eines Mindestlohns. Schauen Sie sich nur einmal Antrag praktisch noch einmal vorgelesen und in an, wie unterschiedlich die Kommunen die in der ähnlicher Weise erläutert, als wenn dies die erste Kindertagespflege Tätigen bezahlen; dann wissen Beratung wäre. Sie, wie notwendig ein Mindestlohn ist. Es ist be- schämend, in welch unverantwortlicher Weise die Liebe Frau Staudte, wenn ich es richtig weiß, ist Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen das Ausführungsgesetz zum Kinder- und Jugend- dieses Thema vor sich herschieben, um sich bis hilfegesetz hier in diesem Landtag zum Jahre 1994 zur nächsten Landtagswahl vor einer Lösung zu auf den Weg gebracht worden. Das ist eine Zeit drücken. gewesen, in der in Niedersachsen - man mag sich kaum mehr daran erinnern - Rot und Grün zu- (Beifall bei der LINKEN) sammen regiert haben. Damals ist festgelegt wor- den, wie es bis auf den heutigen Tag gilt, dass die Wir Linke sehen, wie es die Grünen in ihrem An- Kindertagespflege eine Aufgabe der Gemeinden trag ausgedrückt haben, Handlungsbedarf hin- im eigenen Wirkungskreis ist. sichtlich des Betreuungsschlüssels, der Gruppen- größe, der Qualität und Qualifikation, des Mindest- Das ist uns im Ausschuss noch einmal nahege- lohnes, der Verpflichtung zur Fortbildung und de- bracht worden. Das hat Ihnen nebenbei die Regie- ren Qualität; über Letzteres wird auch viel zu wenig rung auch auf Ihre Anfrage unter der Drs. 16/1617 gesprochen. Wir wollen, dass ein Rechtsanspruch geantwortet. Das ignorieren Sie beharrlich. Ebenso möglichst vor 2013 und ein vernünftiges Betreu- ignorieren Sie beharrlich, dass in der Verfassung

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mit großer Zustimmung dieses Hauses mittlerweile mit solchen Anträgen nicht verhindern. Dieser An- das Konnexitätsprinzip eingeführt wurde. Wenn wir trag muss abgelehnt werden. im Landtag neue Aufgaben für die Kommunen auf (Beifall bei der FDP und bei der CDU) den Weg bringen, müssen wir auch das Geld dafür mitbringen. Das tun Sie aber nicht. Ich habe Ihnen Vizepräsidentin Astrid Vockert: gesagt - ich glaube, es war im Ausschuss; es kann aber auch im letzten Plenum zu diesem Thema Danke schön, Herr Kollege Riese. - Auf Ihren Bei- gewesen sein -, dass ich mit Interesse auf die trag hin hat sich von der Fraktion Bündnis 90/Die Haushaltsvorschläge der Grünen-Fraktion warte. Grünen Frau Kollegin Staudte zu einer Kurzinter- Der eine oder andere hat sie jetzt vielleicht noch vention gemeldet. einmal nachgelesen. Wir haben das ja erst vor (Patrick-Marc Humke-Focks [LINKE] einem Monat hier besprochen. In der entspre- bespricht sich mit dem Präsidium) chenden Drucksache, die Sie dem Niedersächsi- schen Landtag vorgelegt haben, heißt es eindeu- - Lassen Sie sich nicht irritieren. Frau Kollegin tig, dass Sie die Kindertagespflege gegenüber der Staudte hat das Wort. Bitte schön, Sie haben an- Krippenbetreuung zurückdrängen wollen, nämlich derthalb Minuten Redezeit. auf einen Anteil von 10 %. Miriam Staudte (GRÜNE): Wenn Sie das den Tagesmüttern erzählen, dann Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Riese, ich wird die Begeisterung schon ganz bedeutend ge- möchte nur kurz etwas richtigstellen: Ja, wir haben ringer sein, als wenn Sie diesen Antrag mit ihnen vorgesehen, dass über 7 Millionen Euro von der erörtern, der in seiner Begründung sogar auch Tagespflege auf den Ausbau der Krippenbetreu- berufspolitische Aspekte aufweist. Am Ende kann ung umgeschichtet werden sollen. Das liegt aber es auch nicht die Aufgabe des Landtags sein, dass darin begründet, dass die Nachfrage anders ist. Sie hier Berufspolitik betreiben. Zur Kenntnis neh- Die Landesregierung geht immer davon aus, dass men müssen wir sie schon, aber wir müssen sie an das Verhältnis 70 : 30 betragen sollte. Wenn man dieser Stelle nicht betreiben. die Zahlen aber einmal nachvollzieht, so zeigt sich, dass die tatsächliche Nachfrage das Verhältnis Zum Inhalt des Antrags und warum er abgelehnt 90 : 10 aufweist. Insofern ist es korrekt, hierbei werden muss, hat Kollege Focke für die CDU- umzuschichten. Fraktion schon vieles ausgeführt. Es bleibt dabei, das haben Sie auch hier im Vortrag noch einmal Außerdem möchte ich auf Ihre erste Bemerkung sehr deutlich gemacht, dass Sie erstens den Eltern eingehen, wir hätten in der Ausschussberatung in ihrer Entscheidungsfreiheit misstrauen und dass geläutert werden sollen. Ich hätte es korrekt ge- Sie zweitens nicht zur Kenntnis nehmen, dass das funden, wenn Sie einer Anhörung von Fachleuten Land Niedersachsen als Flächenland - auch wenn zugestimmt hätten. Dann wären Sie nämlich geläu- es um Kinderbetreuung geht - natürlich sehr unter- tert worden. schiedliche Verhältnisse zwischen Städten und (Beifall bei den GRÜNEN und bei der sehr dünn besiedeltem ländlichen Raum aufweist. LINKEN) Außerdem haben Sie - auch das ist aus der Haus- haltsberatung vom Dezember 2009 - das Pro- Vizepräsidentin Astrid Vockert: gramm „Familien mit Zukunft“ erheblich zusam- Danke schön. - Nächste Rednerin ist für die Lan- menstreichen wollen, auch Sie, Herr Klein, oder desregierung Frau Ministerin Ross-Luttmann. Bitte vielmehr Ihre Kollegen aus der SPD-Fraktion. Das schön, Sie haben das Wort. heißt, Sie nehmen dem Land mit diesen Vorschlä- gen geradezu die Möglichkeiten aus der Hand, die Mechthild Ross-Luttmann, Ministerin für Sozia- Qualifizierung von Tagesmüttern weiter zu betrei- les, Frauen, Familie und Gesundheit: ben. Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Viele Kommunen im Lande Niedersachsen, auch Herren! Wenn Eltern ihre Kinder einer Tagespfle- sozialdemokratisch regierte, auch solche, in denen geperson anvertrauen, dann müssen sie davon Grüne etwas mit zu sagen haben, nehmen mit überzeugt sein können, dass ihre Kinder gut und großer Begeisterung am Programm „Familien mit qualifiziert betreut werden. Deshalb, finde ich, war Zukunft“ teil. Sie bilden ihre Tagesmütter fort, das es entscheidend, in Niedersachsen flächende- wird auch in Zukunft so bleiben. Das werden Sie ckend 280 Familienservicebüros aufzubauen, in

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denen auf der einen Seite Eltern fachlich kompe- Arbeit der Tagespflege werden auch diese Berei- tent beraten werden, ihnen passgenau Tagespfle- che sein: Medienkompetenz, kollegiale Beratung, gepersonen vermittelt werden und in denen auf der geschlechtergerechte Erziehung und Bildung. anderen Seite Tagespflegepersonen qualifiziert Meine sehr geehrten Damen und Herren, nahezu werden, aus- und fortgebildet werden. Aber Ta- die Hälfte der niedersächsischen Jugendhilfeträger gespflegepersonen müssen auch - und das ist verpflichtet ihre Tagespflegepersonen, zumindest besonders wichtig - beraten und fachlich begleitet an einer Veranstaltung je Jahr teilzunehmen. Un- werden. ser Blick richtet sich aber auch auf die Qualität der Dafür, meine sehr geehrten Damen und Herren, Weiterbildungsträger. haben wir unser Landesprogramm „Familien mit Das Land unterstützt das Aktionsprogramm Kin- Zukunft“ mit 100 Millionen Euro für vier Jahre hin- dertagespflege des Bundes und stellt ein Gütesie- terlegt, mit denen ganz entscheidende Weichen- gel für diejenigen Bildungsträger zur Verfügung, stellungen vorgenommen worden sind. Selbstver- die hohe Qualitätsmaßstäbe bei der Ausbildung ständlich, Herr Klein, wenn man ein Programm neu der Tagespflegepersonen nachweisen können. auflegt, müssen in den Gemeinden Strukturen Seit August 2009 haben in Niedersachsen bereits geschaffen werden, muss ein Programm erst an- 18 Einrichtungen einen Antrag auf Zertifizierung laufen. Aber wenn Sie 2009 betrachten, dann wer- gestellt. den Sie sehen, dass aus unserem Landespro- gramm schon 24,9 Millionen Euro bewilligt worden Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Er- sind. gebnis zeigt sich bereits jetzt sehr deutlich, dass das Landesprogramm „Familien mit Zukunft“ nach- Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Lan- haltige Wirkung zeigt. Viele Kommunen haben desprogramm hat in den Kommunen eine ganz schon jetzt erklärt, erhebliche Impuls- und Anreizwirkung erzielt. Das kann man auch an der deutlichen Zunahme der (Detlef Tanke [SPD]: Wo denn?) Zahl der Tagespflegepersonen erkennen. Sind ihre Maßnahmen auch nach dem Auslaufen des 2007 bereits 875 Personen qualifiziert worden, so Landesprogramms weiter fortzusetzen. waren es 2009 schon rund 1 300 Personen. Besonders freut es mich natürlich, dass Nieder- Meine sehr geehrten Damen und Herren, selbst- sachsen eine erhebliche Steigerungsrate im Be- verständlich sind wir uns darin einig, dass die Qua- reich der Kindertagespflege für unter Dreijährige lität eine entscheidende Voraussetzung für eine von 2008 auf 2009 aufweist. optimale Bildung und Betreuung unserer Kinder ist. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Qualität Deshalb fließt auch ein beträchtlicher Teil der Mit- in der Kindertagespflege wird selbstverständlich tel in die Qualitätssteigerung. Hierzu gehört natür- auch von einer angemessenen Gegenleistung lich auch die Verlässlichkeit des Angebots, inklusi- beeinflusst. Das Land hat deshalb mit den kom- ve Vertretungsregelung. Hierzu gehören die fachli- munalen Spitzenverbänden im Oktober 2008 die che Begleitung und Beratung der Tagespflegeper- laufende finanzielle Förderung der Kindertages- sonen, die Qualifizierung und selbstverständlich pflege vereinbart. Umfragen bei den Jugendämtern auch Fort- und Weiterbildung. haben ergeben, dass mittlerweile 68 % der Ju- Mir ist es wichtig, um eine dauerhafte Qualität in gendhilfeträger mehr als 3 Euro je Stunde für die der Kindertagespflege zu gewährleisten, dass re- Betreuung eines Kindes zahlen. Nach aktuellen gelmäßige Aus- und Fortbildungen angeboten Erkenntnissen liegt der Förderbetrag mittlerweile werden. Ich möchte es auch nicht dem Zufall über- bei durchschnittlich 3,50 Euro. lassen, welche Inhalte diese Aus- und Fortbildun- Lassen Sie mich an dieser Stelle daran erinnern, gen haben. Deshalb haben wir einheitliche Fortbil- dass die öffentlich geförderte Kindertagespflege dungsmodule entwickelt. Ich möchte hier einige von den örtlichen Trägern im eigenen Wirkungs- Module ansprechen, weil sie für mich ganz beson- kreis in großer Verantwortung und mit erheblichem ders wichtige Themenbereiche betreffen, bei- Gestaltungswillen wahrgenommen wird. Das Land spielsweise die Bereiche Tagespflege für Kinder wird die Kommunen auch weiterhin in dieser so mit Behinderung, Gesundheitsförderung oder Er- wichtigen Aufgabe unterstützen. ziehungspartnerschaft und Lerndokumentation, Bewegungsförderung und interkulturelle Kompe- (Beifall bei der CDU und bei der FDP) tenz. Weitere unterstützende Angebote für die

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Vizepräsidentin Astrid Vockert: Herzlichen Dank, Frau Ministerin Ross-Luttmann. - Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen und damit den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der Drs. 16/1504 ableh- nen will, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Antrag abgelehnt. Ich bedanke mich für die Konzentration und für die Disziplin am heutigen verhältnismäßig kurzen Tag. Wir sehen uns morgen um 9 Uhr wieder. Ich wün- sche einen wunderschönen Abend auch allen, die mich am Mikrofon hören. Herzlichen Dank und tschüss bis morgen! Schluss der Sitzung: 18.01 Uhr.

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