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Plenarprotokoll 13/178

Deutscher

Stenographischer Bericht

178. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Inhalt:

Erweiterung und Abwicklung der Tages- - Zweite und dritte Beratung des von ordnung 15957 A den Abgeordneten , Elisabeth Altmann (Pommelsbrunn), Absetzung des Tagesordnungspunktes 12 15957 D Gila Altmann (Aurich), weiteren Abgeordneten und der Fraktion Änderung einer Ausschußüberweisung . 15957 D BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes Tagesordnungspunkt 3: zur Änderung des Bundesnatur- schutzgesetzes (Drucksachen 13/ a) - Zweite und dritte Beratung des von 3207, 13/7778) 15958 B der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neu- b) Beschlußempfehlung und Be richt des regelung des Rechts des Natur- Ausschusses für Umwelt, Naturschutz schutzes und der Landschaftspflege, und Reaktorsicherheit zu dem Antrag zur Umsetzung gemeinschaftsrecht- der Fraktionen der CDU/CSU und licher Vorschriften und zur An- F.D.P.: Verbesserungen des Natur- passung anderer Rechtsvorschriften schutzes in Deutschland (Drucksachen (Drucksache 13/6441) 15958 A 13/2743, 13/7778) 15958 C - Zweite und dritte Beratung des vom c) Erste Beratung des von den Abgeord- Bundesrat eingebrachten Entwurfs neten Dr. Jürgen Rochlitz, Franziska eines Gesetzes zur Änderung des Eichstädt-Bohlig, Gerald Häfner, weite- Bundesnaturschutzgesetzes (Druck- ren Abgeordneten und der Fraktion sache 13/4247) 15958 A BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur - Zweite und dritte Beratung des Änderung des Umweltinformations- vom Bundesrat eingebrachten Ent- gesetzes (Drucksache 13/3906) . . . 15958 C wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes hin- d) Antrag der Abgeordneten Vera Lengs- sichtlich der Umsetzung der Richt- feld, Gila Altmann (Aurich), Steffi linie 92/43/EWG des Rates vom Lemke, weiterer Abgeordneter und der 21. Mai 1992 zur Erhaltung der na- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: türlichen Lebensräume sowie der Ökosystem Watt vor Dauerbelastung wildlebenden Tiere und Pflanzen schützen (Drucksache 13/5199) . . . 15958 C (Drucksache 13/6442) 15958 A e) Antrag der Abgeordneten Dr. Klaus - Zweite und dritte Beratung des W. Lippold (Offenbach), Dr. Ch ristian von der Fraktion der SPD einge- Ruck, weiterer Abgeordneter und der brachten Entwurfs eines Zweiten Fraktion der CDU/CSU sowie der Ab- Gesetzes zur Änderung des Bun- geordneten Birgit Homburger, Günther desnaturschutzgesetzes (Drucksa- Bredehorn, Dr. , weiterer che 13/1930) 15958 B Abgeordneter und der Fraktion der II Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. , Donnerstag, den 5. Juni 1997

F.D.P.: Erhalt und Schutz der biolo- b) Antrag der Abgeordneten Dr. Sigrid gischen Vielfalt durch weltweite Aus- Skarpelis-Sperk, Ernst Schwanhold, weisung von Schutzgebieten (Druck- (Köln), weiterer Abgeord- sache 13/7252) 15958 D neter und der Fraktion der SPD: Für eine zukunftsorientierte, innovative f) Beschlußempfehlung und Bericht des dspolitik - Neue Ausrich- Ausschusses für Ernährung, Land- Mittelstan tung und Konzentration der Förde- wirtschaft und Forsten zu dem Antrag rung (Drucksache 13/6097) 15984 A der Abgeordneten Horst Sielaff, Marianne Klappert, , wei- c) Erste Beratung des von der Abgeord- terer Abgeordneter und der Fraktion neten Margareta Wolf (Frankfurt) und der SPD: Erhaltung und Nutzung der der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- biologischen Vielfalt l andwirtschaft NEN eingebrachten Entwurfs eines anzen (Drucksachen 13/-licher Nutzpfl Gesetzes über die Reform des Indu- 4985, 13/7020) 15958 D strie- und Handelskammerwesens g) Beschlußempfehlung und Bericht des (Drucksache 13/6063) 15984 B Ausschusses für Ernährung, Landwi rt Anke Fuchs (Köln) SPD 15984 B der-schaft und Forsten zu dem Antrag Abgeordneten Dr. Günther Maleuda, Hansjürgen Doss CDU/CSU 15986 A Eva Bulling-Schröter, Dr. , Ernst Schwanhold SPD 15986 D Dr. und der Gruppe der Margareta Wolf (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ PDS: Privatisierung von Wald in Natur- DIE GRÜNEN 15988 B schutzgebieten (Drucksachen 13/2905, 13/5945) 15959 A Hansjürgen Doss CDU/CSU . 15989 D, 15990 A h) Beschlußempfehlung und Bericht des Paul K. Friedhoff F.D.P 15991 A Ausschusses für Umwelt, Naturschutz Rolf Kutzmutz PDS 15993 B und Reaktorsicherheit zu der Unter- richtung durch die Bundesregierung: Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär Mitteilung der Kommission Durchfüh- BMWi 15994 D rung des Umweltrechts in der Gemein- Peter Conradi SPD 15996 C schaft (Drucksachen 13/6593 Nr. 1.6, 13/7470) 15959 A Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk SPD 15997 B Dr. Norbert Rieder CDU/CSU 15959 B Ernst Hinsken CDU/CSU 15999 D Ulrike Mehl SPD 15961 A Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk SPD . 16000 B, 16004 D Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Christian Müller (Zittau) SPD 16002 B NEN 15963 D Riesenhuber CDU/CSU . . . . 16003 D Birgit Homburger F D P. 15965 C Dr. Heinz Eva Bulling-Schröter PDS 15968 A Dr. Christa Luft PDS 16005 C CDU/CSU 15969 B Tagesordnungspunkt 14: Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN 15970 B Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren Horst Sielaff SPD - 15971 A Dr. Jürgen Rochlitz BÜNDNIS 90/DIE a) Erste Beratung des von der Bundesre- GRÜNEN 15972 C gierung eingebrachten Entwurfs eines Dr. Gerhard Friedrich CDU/CSU . . . . 15973 C Gesetzes zu dem Vertrag vom 13. Sep- tember 1994 zwischen der Bundes- Michael Müller (Düsseldorf) SPD 15975 D, 15979 B republik Deutschland und der Repu- Dr. Norbert Rieder CDU/CSU . . . . 15976 C blik Costa Rica über die Förderung Dr. Renate Hellwig CDU/CSU . . . . 15977 A und den gegenseitigen Schutz von Dr. Heiner Geißler 15978 C Kapitalanlagen (Drucksache 13/7609) 16006 D Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- b) Erste Beratung des von der Bundesre- NEN 15979B gierung eingebrachten Entwurfs eines Dr. , Bundesministerin Gesetzes zu dem Vertrag vom 11. Au- BMU 15979 C gust 1993 zwischen der Bundesre- publik Deutschland und der Republik Tagesordnungspunkt 4: Paraguay über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalan a) Antrag der Abgeordneten Christian (Drucksache 13/7610) -lagen 16007 A Müller (Zittau), Ernst Schwanhold, Anke Fuchs (Köln), weiterer Abgeord- c) Erste Beratung des von der Bundesre- neter und der Fraktion der SPD: gierung eingebrachten Entwurfs eines Außenwirtschaftliche Stärkung des Gesetzes zu dem Vertrag vom 28. Ok- Mittelstandes (Drucksache 13/5754) . 15984 A tober 1993 zwischen der Bundesre- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 III

publik Deutschland und der Republik k) Erste Beratung des von der Bundesre- Slowenien über die Förderung und gierung eingebrachten Entwurfs eines den gegenseitigen Schutz von Kapital- Gesetzes zu dem Vertrag vom 24. Fe- anlagen (Drucksache 13/7611) . . . 16007 A bruar 1995 zwischen der Bundesre- d) Erste Beratung des von der Bundes- publik Deutschland und der Republik regierung eingebrachten Entwurfs ei- Ghana über die Förderung und den nes Gesetzes zu dem Abkommen vom gegenseitigen Schutz von Kapitalan- 29. September 1995 zwischen der Bun- lagen (Drucksache 13/7620) 16007 D desrepublik Deutschl and und der Re- l) Erste Beratung des von der Bundesre- publik Simbabwe über die Förderung gierung eingebrachten Entwurfs eines und den gegenseitigen Schutz von Ka- Gesetzes zu dem Vertrag vom 28. Fe- pitalanlagen (Drucksache 13/7612) . 16007 A bruar 1994 zwischen der Bundesre- e) Erste Beratung des von der Bundesre- publik Deutschland und der Republik gierung eingebrachten Entwurfs eines Moldau über die Förderung und den Gesetzes zu dem Vertrag vom 11. Sep- gegenseitigen Schutz von Kapitalan- tember 1995 zwischen der Bundes- lagen (Drucksache 13/7621) 16007 D republik Deutschland und der Repu m) Erste Beratung des von der Bundes- blik Südafrika über die gegenseitige regierung eingebrachten Entwurfs ei- Förderung und den Schutz von Kapi- nes Gesetzes zu dem Vertrag vom talanlagen (Drucksache 13/7613) . . 16007 B 3. April 1993 zwischen der Bundes- f) Erste Beratung des von der Bundes- republik Deutschland und der Sozia- regierung eingebrachten Entwurfs ei- listischen Republik Vietnam über die nes Gesetzes zu dem Vertrag vom Förderung und den gegenseitigen 28. April 1993 zwischen der Bundesre- Schutz von Kapitalanlagen (Druck- publik Deutschland und der Republik sache 13/7622) 16007 D Usbekistan über die Förderung und n) Erste Beratung des von der Bundes- den gegenseitigen Schutz von Kapital- regierung eingebrachten Entwurfs ei- anlagen (Drucksache 13/7614) . . . 16007 B nes Gesetzes zu der in Genf am g) Erste Beratung des von der Bundesre- 19. März 1991 unterzeichneten Fas- gierung eingebrachten Entwurfs eines sung des Internationalen Überein- Gesetzes zu dem Abkommen vom kommens zum Schutz von Pflanzen- 31. Januar 1996 zwischen der Regie- züchtungen (Drucksache 13/7619) . . 16008 A rung der Bundesrepublik Deutschland o) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- und der Regierung Hongkongs zur gebrachten Entwurfs eines Gesetzes Förderung und zum gegenseitigen zur Verbesserung des Schutzes der Schutz von Kapitalanlagen (Druck- Gesellschaft vor gefährlichen Straf- sache 13/7615) 16007 B tätern (Drucksache 13/7559) . . . . 16008 A h) Erste Beratung des von der Bundes- p) Erste Beratung des von der Bundesre- regierung eingebrachten Entwurfs ei- gierung eingebrachten Entwurfs eines nes Gesetzes zu dem Vertrag vom Steuerreformgesetzes 1998 (Druck- 2. Dezember 1994 zwischen der Bun- sache 13/7775) 16008 A desrepublik Deutschland und Bar- bados über die Förderung und den ge- - q) Erste Beratung des von der Bundesre- genseitigen Schutz von Kapitalan- gierung eingebrachten Entwurfs eines lagen (Drucksache 13/7616) 16007 C Sechsten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Deutsche Bundes- i) Erste Beratung des von der Bundes- bank (Drucksache 13/7728) 16008B regierung eingebrachten Entwurfs ei- r) Antrag der Abgeordneten Simone nes Gesetzes zu dem Vertrag vom 21. März 1995 zwischen der Bundesre- Probst, Elisabeth Altmann (Pommels- publik Deutschland und der Republik brunn), Dr. Manuel Kiper, weiterer Ab- Honduras über die Förderung und geordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: den gegenseitigen Schutz von Kapital- Keine weitere anlagen (Drucksache 13/7617) . . . 16007 C Beteiligung am Fusionstestreaktor ITER (Drucksache 13/7282) 16008 B j) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs ei- s) Antrag der Abgeordneten Rolf Schwa- nes Gesetzes zu dem Protokoll vom nitz, , Ernst Bahr, 16. September 1996 zum Abkommen weiterer Abgeordneter und der Frak- vom 13. Juli 1978 zwischen der Bun- tion der SPD: Sanierung des Braun- desrepublik Deutschland und der kohlebergbaus in den neuen Bundes- Republik Argentinien zur Vermeidung ländern (Drucksache 13/7529) . . . . 16008 C der Doppelbesteuerung auf dem Ge- t) Antrag der Abgeordneten Dr. Uschi biet der Steuern vom Einkommen und Eid und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE vom Vermögen (Drucksache 13/7618) 16007 C GRÜNEN: Den politischen Neuanfang IV Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

und den Wiederaufbau in der Demo- d) Beschlußempfehlung und Be richt des kratischen Republik Kongo unterstüt- Ausschusses für Raumordnung, Bau- zen - die humanitäre Hilfe verstärken wesen und Städtebau zu dem Antrag (Drucksache 13/7708) 16008 C der Abgeordneten Klaus-Jürgen War- nick, Dr. Uwe-Jens Heuer und der Zusatztagesordnungspunkt 5: Gruppe der PDS: Ausarbeitung eines Mietspiegelgesetzes sowie damit ver- Weitere Überweisungen im vereinfachten bundener Änderungen des Gesetzes Verfahren zur Regelung der Miethöhe (Druck- a) Antrag der Abgeordneten Dr. Ch ristian sachen 13/7245, 13/7767) 16010 C Ruck, Dr. Winfried Pinger und der e) Beschlußempfehlung und Be richt des Fraktion der CDU/CSU sowie der Ab- Ausschusses für die Angelegenheiten geordneten Roland Kohn, Dr. Irmgard der Europäischen Union Schwaetzer und der Fraktion der F.D.P.: 5 Jahre nach der VN-Konferenz - zu der Unterrichtung durch die Bun- über Umwelt und Entwicklung in desregierung: Be richt der Kommis- Rio de Janeiro: Schutz des Tropen- sion gemäß Artikel 189 b Abs. 8 des waldes verstärken - Initiativen gegen EG-Vertrags über den Anwen- die Zerstörung der borealen Wälder dungsbereich der Mitentscheidung ergreifen (Drucksache 13/7601) . . . 16008 D - zu der Unterrichtung durch das b) Antrag der Abgeordneten Michaele Europäische Parlament: Entschlie- Hustedt, Dr. Uschi Eid, Wolfgang ßung des Europäischen Parlaments Schmitt (Langenfeld), weiterer Abge- zu dem Bericht der Kommission ordneter und der Fraktion BÜNDNIS gemäß Artikel 189 b Abs. 8 des EG- 90/DIE GRÜNEN: Umwelt- und Vertrags über den Anwendungs- Entwicklungspolitik auf dem Wege ins bereich der Mitentscheidung 21. Jahrhundert - Nachhaltigkeit glo- (Drucksachen 13/5687 Nr. 2.4, 13/6766 bal umsetzen (Drucksache 13/7783) . 16008 D Nr. 1.9, 13/7566) 16010 D c) Antrag der Abgeordneten Franziska f) Beschlußempfehlung und Be richt des Eichstädt-Bohlig, Christine Scheel, wei- Ausschusses für Wirtschaft zu der Un- terer Abgeordneter und der Fraktion terrichtung durch die Bundesregie- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Reform rung: Entschließung zum Bericht der des steuerlich geförderten Mietwoh- Kommission an den Rat und das Euro- nungsbaus (Drucksache 13/7790) . . 16009 A päische Parlament über den Binnen- markt 1995 (Drucksachen 13/6766 Tagesordnungspunkt 15: Nr. 1.3, 13/7608) 16011 A g) Beschlußempfehlung und Be richt des Abschließende Beratungen ohne Aus- Ausschusses für Arbeit und Sozial- sprache ordnung zu der Unterrichtung durch a) Zweite und dritte Beratung des von der die Bundesregierung: Mitteilung der Bundesregierung eingebrachten Ent- Kommission der Europäischen Union wurfs eines Gesetzes zur Änderung über die Ergebnisse der Bewertung fahrpersonalrechtlicher Vorschriften gemäß der Richtlinie des Rates über (Drucksachen 13/6629, 13/7694) . . . 16009 A den Schutz der Arbeitnehmer gegen b) Zweite Beratung und Schlußabstim- Gefährdung durch Asbest am Arbeits- mung des von der Bundesregierung platz (Drucksachen 13/5837 Nr. 1.17, eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes 13/7626) 16011 B zu dem Abkommen vom 4. November h) Beschlußempfehlung und Bericht des 1995 zur Änderung des Vierten AKP- Ausschusses für Verkehr zu der Unter- EG-Abkommens von Lomé sowie zu richtung durch die Bundesregierung: den mit diesem Abkommen in Zusam- Vorschlag für einen Beschluß des menhang stehenden weiteren Über- Rates über den Abschluß eines Ab- einkünften (Drucksachen 13/5903, 13/ kommens zur Festlegung von Bedin- 7695) 16009 B gungen- für den Binnenschiffsgüter und -personenverkehr zwischen der c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Klaus-Jürgen Warnick, Europäischen Gemeinschaft einerseits Dr. Uwe-Jens Heuer und der Gruppe und der Tschechischen Republik, der der PDS eingebrachten Entwurfs eines Republik Polen und der Slowakischen Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Republik andererseits (Drucksachen 13/7017 Nr. 2.39, 13/7653, 13/7799) . 16011 B Überleitung preisgebundenen Wohn- raums im Beitrittsgebiet in das all- i) Beschlußempfehlung und Be richt des gemeine Miethöherecht (Mietenüber- Haushaltsausschusses zu dem Antrag leitungs-Änderungsgesetz) (Drucksa- des Bundesministeriums der Finanzen: chen 13/7251, 13/7767) 16009 C Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 Bun- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 V

deshaushaltsordnung in die Veräuße- schützen und Verbot des Elfenbein- rung bundeseigener Liegenschaften handels aufrechterhalten im Wert über 30 Mio. DM; Strausberg, (Drucksachen 13/7654, 13/7254, 13/ Am Herrensee 13-20, 24-28, 34-48, 7818) 16012 C Am Marienberg 17-28, 57-62, Am Annatal 21-28, 34-48 (Drucksachen c) Beschlußempfehlung und Bericht des 13/7358, 13/7696) 16011 C Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu der Unterrich- j) Beschlußempfehlung und Be richt des tung durch die Bundesregierung: Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Vorschlag für eine Richtlinie des Rates Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der über die Beweislast bei Diskriminie- Bundeshaushaltsordnung in die Ver- rung aufgrund des Geschlechts äußerung bundeseigener Grundstücke Geänderter Vorschlag der Kommis- in Köln, Raderberggürtel (Funk- sion für eine Richtlinie des Rates über haus der ehemaligen Rundfunkanstalt die Beweislast bei Diskriminierung „") (Drucksachen 13/ aufgrund des Geschlechts 7349, 13/7697) 16011 D Vorschlag für eine Richtlinie des Rates k) Beschlußempfehlung und Be richt des über die Beweislast bei Diskriminie- Haushaltsausschusses zu dem Antrag rung aufgrund des Geschlechts (Bera- des Bundesministeriums der Finanzen: tungsergebnis der Gruppe „Sozial- Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der fragen" vom 22. Mai 1997) Bundeshaushaltsordnung in die Ver- äußerung einer Teilfläche der ehe- (Drucksachen 13/7017 Nr. 3.1, 13/7819) 16013 A maligen US-von Steuben-Wohnsied- Tagesordnungspunkt 5: lung in Frankfurt am Main (Druck- sachen 13/7356, 13/7698) 16011 D Weitere Beratungen mit Aussprache l) bis o) a) Unterrichtung durch die Bundesregie- Beschlußempfehlungen des Petitions- rung: Bericht der Bundesregierung ausschusses: Sammelübersichten 205, zum Stand der Bemühungen um Abrü- 206, 207 und 209 zu Petitionen stung, Rüstungskontrolle und Nicht- (Drucksachen 13/7664, 13/7665, 13/ verbreitung sowie über die Entwick- 7666, 13/7668) 16012 A lung der Streitkräftepotentiale (Jah- resabrüstungsbericht 1996) (Druck- 16009 D Klaus-Jürgen Warnick PDS sache 13/7389) 16013 B Zusatztagesordnungspunkt 6: b) Antrag der Abgeordneten , Dr. Uschi Eid, Wolfgang Schmitt Weitere abschließende Beratungen ohne (Langenfeld) und der Fraktion BÜND- Aussprache NIS 90/DIE GRÜNEN: Erhöhung der a) Beschlußempfehlung und Be richt des Mittel für zivile Minenräumung Ausschusses für Wirtschaft zu dem (Drucksache 13/5857) 16013 B Antrag der Abgeordneten Reinhold c) Beschlußempfehlung und Be richt des Hemker, Horst Sielaff, weiterer Abge- Auswärtigen Ausschusses zu dem An- ordneter und der Fraktion der SPD: trag der Abgeordneten Gerhard Zwe- Berücksichtigung sozialer und ökolo- renz, Heinrich Graf von Einsiedel, wei- gischer Mindeststandards in der EU- terer Abgeordneter und der Gruppe Bananenverordnung (Drucksachen 13/ der PDS: Fortsetzung der konventio- 16012 B 6625, 13/7571) nellen Abrüstung in Europa (Druck- b) Beschlußempfehlung und Be richt des sachen 13/3987, 13/6163) 16013 B Ausschusses für Umwelt, Naturschutz d) Beschlußempfehlung und Be richt des und Reaktorsicherheit Auswärtigen Ausschusses zu der Un- - zu dem Antrag der Abgeordneten terrichtung durch die Bundesregie- Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach), rung: Bericht zum Stand der Bemühun- Dr. Norbert Rieder und der Fraktion gen um Rüstungskontrolle und Abrü- der CDU/CSU sowie der Abgeord- stung sowie der Veränderungen im neten Birgit Homburger, Günther militärischen Kräfteverhältnis (Jah- Bredehorn, Dr. Rainer Ortleb und resabrüstungsbericht 1995) (Drucksa- der Fraktion der F.D.P.: Elefanten er- chen 13/4450, 13/6482) 16013 C halten - neue Lebensräume er- e) Beschlußempfehlung und Be richt des schließen Auswärtigen Ausschusses zu dem - zu dem Antrag der Abgeordneten Entschließungsantrag der Gruppe der Ulrike Mehl, Michael Müller (Düs- PDS zu der Unterrichtung durch die seldorf), weiterer Abgeordneter und Bundesregierung: Bericht zum Stand der Fraktion der SPD: Elefanten der Bemühungen um Rüstungskon- VI Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

trolle und Abrüstung sowie der Ver- Zusatztagesordnungspunkt 7: änderungen im militärischen Kräfte- verhältnis (Jahresabrüstungsbericht Antrag der Abgeordneten Marieluise 1995) (Drucksachen 13/4580, 13/4450, Beck (), , 13/6483) 16013 C weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Be- f) Beschlußempfehlung und Be richt des schäftigungsorientierte Arbeitszeit- Auswärtigen Ausschusses zu dem Ent- politik: Bonus-Malus-System als An- schließungsantrag der Abgeordneten reiz zur Verkürzung der Arbeitszeiten Angelika Beer, , und zum Abbau von Überstunden Christian Sterzing, Ludger Volmer und (Drucksache 13/7800) 16028 A der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- SPD NEN zu der Unterrichtung durch die 16028 B, 16034 B Bundesregierung: Bericht zum Stand CDU/CSU 16030 B der Bemühungen um Rüstungskon- Ottmar Schreiner SPD 16030 C trolle und Abrüstung sowie der Ver- änderungen im militärischen Kräfte- (Bremen) BÜNDNIS 90/ verhältnis (Jahresabrüstungsbericht DIE GRÜNEN 16032 A 1995) (Drucksachen 13/4557, 13/4450, Dr. F.D.P 16033 B, 16034 D 13/6484) 16013 D Dr. Heidi Knake-Werner PDS 16035 C g) Beschlußempfehlung und Be richt des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- Peter Keller CDU/CSU 16036 D trag der Abgeordneten Andrea Gysi, Peter Dreßen SPD 16037 D Heinrich Graf von Einsiedel, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der Adolf Ostertag SPD 16038 D PDS: Eine Welt ohne Atomwaffen Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär BMA 16041 A (Drucksachen 13/5987, 13/6871) . . . 16013 D Marieluise Beck (Bremen) BÜNDNIS 90/ h) Beschlußempfehlung und Be richt des DIE GRÜNEN 16041 C Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Abgeordneten Angelika Beer Tagesordnungspunkt 7: und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Konvention zur Ächtung a) Erste Beratung des von den Abgeord- und Abschaffung aller Atomwaffen neten Cem Özdemir, Amke Dietert (Drucksachen 13/6383, 13/7003) . . . 16014 A Scheuer, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dr. , Bundesminister AA . 16014 A NEN eingebrachten Entwurfs eines SPD 16016 A Gesetzes zur Niederlassung von Aus- länderinnen und Ausländern (Nieder- Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU . . . 16018 A lassungsgesetz) (Drucksache 13/7416) 16042 D Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN 16020 B b) Erste Beratung des von den Abgeord- neten Cem Özdemir, Amke Dietert Dr. F.D.P 16022 B Scheuer, weiteren Abgeordneten und Heinrich Graf von Einsiedel PDS . . . 16023 B der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- - NEN eingebrachten Entwurfs eines Hans Raidel CDU/CSU 16024 B Gesetzes zur Regelung der Rechte von SPD 16025 C Einwanderinnen und Einwanderern (Einwanderungsgesetz) (Drucksache Tagesordnungspunkt 6: 13/7417) 16043 A a) Antrag der Abgeordneten Ottmar c) Antrag der Fraktion der SPD: Vorlage Schreiner, , weiterer Ab- eines Gesetzes zur Steuerung der Zu- geordneter und der Fraktion der SPD: wanderung und Förderung der Inte- Sofortmaßnahmen zur Bekämpfung gration (Drucksache 13/7511) . . . . 16043 A der Massenarbeitslosigkeit durch d) Antrag der Fraktion der SPD: Gesetzes- Abbau von Überstunden und Förde- initiative der Bundesregierung zur Re- rung von Teilzeitarbeitsplätzen form des Staatsangehörigkeitsrechtes (Drucksache 13/7522) 16027 D (Drucksache 13/7505) 16043 A b) Antrag der Gruppe der PDS: Einen e) Antrag der Abgeordneten Amke Die- öffentlich geförderten Beschäftigungs- tert-Scheuer, Christa Nickels und der sektor einrichten - Massenarbeitslo- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: sigkeit und ihre sozialen Folgen be- Innenpolitische Konsequenzen aus kämpfen (Drucksache 13/7147) . . . 16028 A dem Mykonos-Urteil ziehen: Einbür- gerung für iranische Staatsangehörige in Verbindung mit erleichtern (Drucksache 13/7676) . . 16043 B Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 VII f) Antrag der Abgeordneten Cem Özde- Tagesordnungspunkt 8: mir, Kerstin Müller (Köln), Amke Die- Zweite und dritte Beratung des von tert-Scheuer, Christa Nickels und der den Abgeordneten Dr. Klaus-Dieter Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Uelhoff, Michael von Schmude, weite- Klare Integrationssignale setzen: Für ren Abgeordneten und der Fraktion eine sofortige Reform des Staatsange- der CDU/CSU sowie den Abgeordne- hörigkeitsrechts (Drucksache 13/7677) 16043 B ten , Jürgen Koppelin und g) Beschlußempfehlung und Be richt des der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Innenausschusses Entwurfs eines Gesetzes über die Er- richtung einer Otto-von-Bismarck - zu dem Antrag der Abgeordneten Stiftung (Drucksachen 13/3639, 13/ Cem Özdemir, Amke Dietert-Scheuer, 4186) 16065 B weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Michael von Schmude CDU/CSU . . . 16065 C NEN: Visumspflicht für Kinder und Uta Titze-Stecher SPD 16066 C Jugendliche aus den früheren An- Michael von Schmude CDU/CSU . . 16066 D werbeländern zurücknehmen (Köln) BÜNDNIS 90/DIE - zu dem Antrag der Abgeordneten GRÜNEN 16067 D , Dr. Gregor Gysi und der Jürgen Koppelin F.D.P. . . . 16068 B, 16073 A Gruppe der PDS: Rücknahme der Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE Visums- und Aufenthaltsgenehmi- GRÜNEN 16069 A gungspflicht für hier lebende Kin- der und Jugendliche aus den ehe- Dr. Klaus-Dieter Uelhoff CDU/CSU . 16071 A maligen Anwerbestaaten Türkei, Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE Marokko, Tunesien und den Nach- GRÜNEN 16072 B folgestaaten Ex-Jugoslawiens Uta Titze-Stecher SPD 16073 B - zu dem Antrag der Fraktion der Ina Albowitz F.D.P. 16073 D SPD: Keine neuen bürokratischen Ulla Jelpke PDS 16074 D Hürden für jugendliche Ausländer - Einbürgerung endlich erleichtern , Parl. Staatssekretär BMI 16075 D (Drucksachen 13/6930, 13/7036, 13/ 7090, 13/7637) 16043 B Tagesordnungspunkt 10: a) Erste Beratung des von der Bundesre- in Verbindung mit gierung eingebrachten Entwurfs eines Postgesetzes (PostG) (Drucksache 13/ Zusatztagesordnungspunkt 8: 7774) 16076 D Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke b) Antrag der Abgeordneten Hans Martin und der Gruppe der PDS: Einseitige Bury, Gerd Andres, weiterer Abgeord- Aufkündigung des deutsch-persischen neter und der Fraktion der SPD: Infra- Niederlassungsabkommens (Drucksa- struktur sichern, Wettbewerb fördern - che 13/7784 [neu]) 16043 C Grundsätze zur Neuordnung des Post- Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast SPD . . 16043 D sektors (Drucksache 13/4582) . . . . 16076 D - CDU/CSU 16046 A c) Antrag der Abgeordneten Dr. Manuel SPD . . . 16046 C, 16052 A, 16055 D Kiper, Elisabeth Altmann (Pommels- brunn), Simone Probst und der Frak- Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: NEN 16048 C Dienstleistungen für das 21. Jahrhun- Cornelia Schmalz-Jacobsen F.D.P. . . 16050 C dert: Vom Postamt zum Bürgerservice (Drucksache 13/6556) -büro 16077 A Ulla Jelpke PDS 16052 C d) Antrag der Abgeordneten Gerhard Wolfgang Zeitlmann CDU/CSU . . . 16054 A Jüttemann, Wolfgang Bierstedt, Eva Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast SPD . 16055 A Bulling-Schröter, Dr. Gregor Gysi und Günter Graf (Friesoythe) SPD 16056 C der Gruppe der PDS: Fortschreibung und Sicherung von sozialen Standards Amke Dietert-Scheuer BÜNDNIS 90/DIE und Leistungsgarantien im Postgesetz GRÜNEN 16058 A (Drucksache 13/7094) 16077 A Dr. F.D.P. 16059 A e) Beschlußempfehlung und Bericht des CDU/CSU 16059D Ausschusses für Post und Telekommu- Otto Schily SPD 16061 A nikation zu dem Antrag der Abgeord- neten Hans Martin Bury, Arne Börnsen Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär BMI 16062 D (Ritterhude), weiterer Abgeordneter Günter Graf (Friesoythe) SPD . . . 16063 D und der Fraktion der SPD: Remailing VIII Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

unterbinden - Arbeitsplätze in GRÜNEN eingebrachten Entwurfs Deutschland sichern (Drucksachen eines Gesetzes zur Regelung eines 13/4448, 13/6550) 16077 A Rechtes auf ein Girokonto (Druck- Dr. Wolfgang Bötsch, Bundesminister sachen 13/351, 13/7627, 13/7628) . 16088 B BMPT 16077 B - Zweite und dritte Beratung des von Hans Martin Bury SPD 16078 C den Abgeordneten Hans Martin Bury, Joachim Poß, Anke Fuchs Elmar Müller (Kirchheim) CDU/CSU . 16081 A (Köln), weiteren Abgeordneten und Arne Börnsen (Ritterhude) CDU/CSU 16082 B der Fraktion der SPD eingebrachten Dr. Manuel Kiper BÜNDNIS 90/DIE Entwurfs eines Gesetzes zur Siche- GRÜNEN 16082 C rung der Teilnahme am bargeldlo- Gerhard Jüttemann PDS 16082 D sen Zahlungsverkehr (Drucksachen 13/856, 13/7627, 13/7628) 16088 B Hans Martin Bury SPD 16083 B b) Beschlußempfehlung und Bericht des Dr. Manuel Kiper BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Finanzausschusses NEN 16084 C - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. F.D.P. 16085 C Dr. Barbara Höll und der weiteren Gerhard Jüttemann PDS 16086 D Abgeordneten der PDS: Recht auf ein Girokonto Tagesordnungspunkt 9: - zu dem Antrag der Abgeordneten a) - Zweite und dritte Beratung des von Lilo Blunck, Hans Martin Bury, wei- der Bundesregierung eingebrach- terer Abgeordneter und der Fraktion ten Entwurfs eines Gesetzes zur der SPD: Privatgirokonto Umsetzung von EG-Richtlinien (Drucksachen 13/137, 13/1306, 13/ zur Harmonisierung bank- und 7627) 16088 C wertpapieraufsichtsrechtlicher Vor- schriften (Drucksachen 13/7142, 13/ Wolfgang Steiger CDU/CSU 16088 D 7627, 13/7628) 16088 A Jörg-Otto Spiller SPD 16090 C - Zweite und dritte Beratung des von Ursula Schönberger BÜNDNIS 90/DIE der Bundesregierung eingebrachten GRÜNEN 16092 B Entwurfs eines Begleitgesetzes zum Carl-Ludwig Thiele F.D.P. 16093 C Gesetz zur Umsetzung von EG- Dr. Uwe-Jens Rössel PDS 16095 A Richtlinien zur Harmonisierung bank- und wertpapieraufsichts- Hansgeorg Hauser, Parl. Staatssekretär rechtlicher Vorschriften (Drucksa- BMF 16096 A chen 13/7143, 13/7627, 13/7628) . . 16088 A Nächste Sitzung 16098 D - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Margareta Wolf Mayer, () und Anlage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Liste der entschuldigten Abgeordneten . 16099* A

- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 15957

178. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Beginn: 9.00 Uhr

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Die Sitzung ist Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Be- eröffnet. Guten Morgen! weislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts Geänderter Vorschlag der Kommission für eine Richtli- Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbun- nie des Rates über die Beweislast bei Diskriminierung dene Tagesordnung um die Ihnen vorliegenden Zu- aufgrund des Geschlechts satzpunkte zu erweitern: Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Be- weislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts 5. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren (Beratungsergebnis der G ruppe ,,Sozialfragen" vom (Ergänzung zu TOP 14) 22. Mai 1997) - Drucksachen 7017 Nr. 3.1, 13/7819- a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ch ristian 7. Beratung des Antrags der Abgeordneten Marieluise Beck Ruck, Dr. Winfried Pinger und der Fraktion der CDU/ (Bremen), Matthias Berninger, Anne lie Buntenbach, weite- CSU sowie der Abgeordneten Roland Kohn, Dr. Irmgard rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Schwaetzer und der Fraktion der F.D.P.: 5 Jahre nach NEN: Beschäftigungsorientierte Arbeitszeitpolitk: Bonus- der VN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Malus-System als Anreiz zur Verkürzung der Arbeitszeiten Rio de Janeiro: Schutz des Tropenwaldes verstärken - und zum Abbau von Überstunden - Drucksache 13/7800- Initiativen gegen die Zerstörung der borealen Wälder ergreifen - Drucksache 13/7601 - 8. Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS: Einseitige Aufkündigung des b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michaele Drucksa- Hustedt, Dr. Uschi Eid, Wolfgang Schmitt (Langenfeld), deutsch-persischen Niederlassungsabkommens - che 13/7784 (neu) - weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Umwelt- und Entwicklungspolitik auf 9. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und dem Weg ins 21. Jahrhundert - Nachhaltigkeit global F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortset- umsetzen - Drucksache 13/7783- zung der wirtschaftlichen Förderung in den neuen Län- c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Franziska dern - Drucksache 13/7792 - Eichstädt-Bohlig, Christine Scheel, Kristin Heyne, weite- 10. Beratung des Antrags des Abgeordneten rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE (Berlin) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Auf- GRÜNEN: Reform des steuerlich geförderten Mietwoh- bau Ost braucht langen Atem - Drucksache 13/7789 - nungsbaus - Drucksache 13/7790 - 6. Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache (Er- Dabei soll von der Frist für den Beginn der Bera- gänzung zu TOP 15) tungen, soweit erforderlich, abgewichen werden. a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Es ist weiterhin vereinbart worden, den Tagesord- Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Reinhold Hemker, Horst Sielaff, B ri nungspunkt 9, bank- und wertpapieraufsichtsrecht- -gitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der liche Vorschriften, mit Tagesordnungspunkt 10, Bera- SPD: Berücksichtigung sozialer und ökologischer Min- tung des Postgesetzes, zu tauschen. Der Tagesord- deststandards in der EU-Bananenverordnung - Druck- nungspunkt 12, Rehabilitation und Kuren, soll sachen 13/6625, 13/7571- abgesetzt werden. b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktor- Außerdem mache ich auf eine geänderte Ausschuß- sicherheit (16. Ausschuß) überweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste auf- - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Klaus merksam: W. Lippold (Offenbach), Dr. Norbe rt Rieder und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Bir- Der in der 175. Sitzung des Deutschen Bundestages am git Homburger, Günther Bredehorn, Dr. Rainer Ortleb 15. Mai 1997 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf ist und der Fraktion der F.D.P.: Elefanten erhalten - neue irrtümlich zur Mitberatung an den Ausschuß für Ernährung, Lebensräume erschließen Landwirtschaft und Forsten statt an den Ausschuß für Ar- beit und Sozialordnung überwiesen worden. Er wird nun- - zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Mehl, mehr wie folgt überwiesen: Michael Müller (Düsseldorf), , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Elefanten Gesetzentwurf der Bundesregierung Achtes Gesetz zur Ä n- schützen und Verbot des Elfenbeinhandels aufrecht- derung des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung erhalten - Drucksachen 13/7654, 13/7254, 13/7818- „Hilfswerk für behinderte Kinder" - Drucksache 13/7336 - c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (federführend) (13. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundes- Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung regierung Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO 15958 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstan- schutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuß) den? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU beschlossen. und F.D.P. Verbesserung des Naturschutzes in Deutsch- Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 h land auf: - Drucksachen 13/2743, 13/7778 - a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Berichterstattung: desregierung eingebrachten Entwurfs eines Abgeordnete Dr. Norbe rt Rieder Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Ulrike Mehl Naturschutzes und der Landschaftspflege, Ulrike Höfken zur Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Birgit Homburger Vorschriften und zur Anpassung anderer c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Rechtsvorschriften Dr. Jürgen Rochlitz, Franziska Eichstädt-Boh- - Drucksache 13/6441 - lig, Gerald Häfner, weiteren Abgeordneten (Erste Beratung 148. Sitzung) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur - Zweite und dritte Beratung des vom Bundes- Änderung des Umweltinformationsgesetzes rat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes - Drucksache 13/3906 zur Änderung des Bundesnaturschutzgeset- —Überweisungsvorschlag: zes (BNatSchG) Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit - Drucksache 13/4247 - (federführend) Innenausschuß (Erste Beratung 148. Sitzung) Rechtsausschuß Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union - Zweite und Dritte Beratung des vom Bun desrat eingebrachten Entwurfs eines Geset- d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Vera zes zur Änderung des Bundesnaturschutz- Lengsfeld, Gila Altmann (Aurich), Steffi Lem- gesetzes hinsichtlich der Umsetzung der ke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebens- Ökosystem Watt vor Dauerbelastung schützen räume sowie der wildlebenden Tiere und - Drucksache 13/5199 - Pflanzen Überweisungsvorschlag: - Drucksache 13/6442 - Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (federführend) (Erste Beratung 148. Sitzung) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Verkehr - Zweite und dritte Beratung des von der Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs e) Beratung des Antrags der Abgeordneten eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach), Dr. Ch ristian Bundesnaturschutzgesetzes Ruck, , weiterer Abgeordneter - Drucksache 13/1930 - und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Ab- (Erste Beratung 77. Sitzung) geordneten Birgit Homburger, Günther Brede- horn, Dr. Rainer Ortleb, weiterer Abgeordneter - Zweite und dritte Beratung des von den und der Fraktion der F.D.P. Abgeordneten Vera Lengsfeld, Elisabeth Erhaltung und Schutz der biologischen Viel- - Altmann (Pommelsbrunn), Gila Altmann falt durch weltweite Ausweisung von Schutz- (Aurich), weiteren Abgeordneten und der gebieten Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein- - Drucksache 13/7252 — gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BNatSchG) (federführend) - Drucksache 13/3207 - Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit (Erste Beratung 77. Sitzung) und Entwicklung Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Beschlußempfehlung und Berichts des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz und Reak- f) Beratung der Beschlußempfehlung und des torsicherheit (16. Ausschuß) Berichts des Ausschusses für Ernährung, - Drucksache 13/7778 - Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Sielaff, Berichterstattung: Marianne Klappert, E rnst Bahr, weiterer Abge- Abgeordnete Dr. Norbert Rieder ordneter und der Fraktion der SPD Ulrike Mehl Erhaltung und Nutzung der biologischen Ulrike Höfken Vielfalt landwirtschaftlicher Nutzpflanzen Birgit Homburger - Drucksachen 13/4985, 13/7020 - b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichterstattung: Berichts des Ausschusses für Umwelt, Natur Abgeordneter Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 15959

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Beginnen möchte ich mit der Forderung der Län- Berichts des Ausschusses für Ernährung, derumweltminister, aber auch vieler Verbände, ins Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß) zu Gesetz zu schreiben, daß 10 bis 15 Prozent der Fläche dem Antrag der Abgeordneten Dr. Günther als Vorrangflächen unter Schutz zu stellen seien. Maleuda, Eva Bulling-Schröter, Dr. Christa Diese Forderung wurde nicht aufgegriffen; denn eine Luft, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe der PDS solche Flächenangabe hat nach unserer Ansicht in Privatisierung von Wald in Naturschutzgebie- einem Bundesgesetz nichts zu suchen. Denn es ist ten nicht die Aufgabe des Bundesgesetzgebers, den Län- - Drucksachen 13/2905, 13/5945 - dern mit ihren ganz unterschiedlichen Voraussetzun- gen solche Vorgaben zu machen. Ich erinnere dabei Berichterstattung: nur an die Unterschiede zwischen Stadtstaaten und Abgeordneter Flächenstaaten. Wir als Bund können da nicht regu- h) Beratung der Beschlußempfehlung und des lierend eingreifen, sondern müssen das den Ländern Berichts des Ausschusses für Umwelt, Natur- überlassen. schutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuß) Es hat aber auch ganz praktische Auswirkungen. zu der Unterrichtung durch die Bundesregie- rung Jeder, der sich ein wenig mit der Praxis des Natur- schutzes beschäftigt hat, weiß, daß es keineswegs Mitteilung der Kommission damit getan ist, eine Fläche als Schutzgebiet auszu- Durchführung des Umweltrechts der Gemein- weisen, sondern daß diese Fläche dann gepflegt wer- schaft den muß. Das ist ein Umstand, den viele häufig über- - Drucksachen 13/6593 Nr. 1.6, 13/7470 - sehen. Denn in unserer dichtbesiedelten Landschaft Berichterstattung: - auch das muß man in aller Deutlichkeit sagen, ob- Abgeordnete Dr. Renate Hellwig wohl es allen Fachleuten völlig klar ist - sind die mei- Dietmar Schütz (Oldenburg) sten Naturschutzgebiete, zumindest solange sie auf Michaele Hustedt dem Land liegen - ich rede jetzt bewußt nicht von Birgit Homburger Gewässern -, von Menschen geformt und geschaf- fen. Es handelt sich in aller Regel um Gebiete, in de- Es liegen ein Änderungsantrag und ein Entschlie- nen im Lauf der vergangenen Jahrhunderte der ßungsantrag der Fraktion der SPD sowie zwei Ände- Mensch die Landschaft geprägt hat. Ich will das nun rungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an einigen Beispielen etwas deutlicher machen. vor. Das älteste deutsche Schutzgebiet, die Lüneburger Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind Heide, ist durch den Menschen und seine Viehher- für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen, den aus Wald zur Heide geworden. Mühsam und mit wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zwölf Mi- viel Geld - das sage ich in aller Deutlichkeit - muß nuten erhalten soll. Gibt es Widerspruch? - Dann ist sie dauernd vom Baumwuchs freigehalten werden. es so beschlossen. Weil es billiger ist, wird dazu meistens nicht die Be- Ich eröffne die Aussprache und warte auf Wortmel- weidung durch Heidschnucken vorgenommen, son- dungen. dern die aufwachsenden Birken werden schlichtweg herausgehauen. Jeder Fachmann weiß, daß die Frei- (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Professor haltung durch Beweidung wesentlich besser und in Rieder ist gemeldet!) diesem Fall ökologisch richtiger wäre. Aber sie ist - Bitte. teuer, und deswegen wird die schlechtere Methode angewandt. Es fehlt schlichtweg jetzt schon das Geld, um die eigentlich fachgerechte Beweidung Dr. Norbert Rieder (CDU/CSU): Herr Präsident! durchzuführen. Meine Damen und Herren! Wie immer bei der Novel- lierung eines Gesetzes werden nach Ansicht vieler si- Nehmen wir ein anderes Gebiet aus den neuen cher viele Erwartungen oder auch Befürchtungen Bundesländern, ein wunderschönes Gebiet, von dem nicht erfüllt. Das gilt speziell für die Novellierung ei- ich jedem empfehlen kann, es sich ausführlichst an- nes Naturschutzgesetzes, von dem die einen erwar- zuschauen, dort einmal Urlaub zu machen: die ten, daß es als Querschnittsgesetz alle Umweltpro- Schorfheide Chorin. Die Schorfheide Chorin ver- bleme dieser Republik löst, indem es von der Bauleit- dient den Namen Heide eigentlich nicht mehr, denn planung über die Landwirtschaft bis zur Indust rie al- die Heideflächen, die do rt durch die Beweidung ge- les und jedes abschließend regelt, die anderen aber - schaffen waren, sind längst dem Wald gewichen. auch diese gibt es in reichlichem Maße in dieser Re- Darüber kann man sich ohne weiteres unterhalten. publik - ein Naturschutzgesetz im günstigsten Fa lle als überflüssig, im ungünstigsten Fa lle als schädlich Was aber in diesem Gebiet derzeit passiert, ist trau- ansehen. rig: In diesem Gebiet, das durch die jahrhunderte- lange Beweidung teilweise zu einer Parklandschaft Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird der Ver- mit wunderschönen Einzelbäumen geworden ist, such gemacht, der nach meinem Dafürhalten sehr wächst nun durch die mangelnde Pflege, einfach geglückt ist, über weite Strecken einen vernünftigen weil das Geld fehlt, der Wald durch. Die Parkland- Kompromiß zwischen den verschiedenen widerstrei- schaft mit ihren Einzelbäumen verschwindet. Wenn tenden Interessen zu finden. Ich will das an einigen wir nicht bald mit richtigen Pflegemaßnahmen, die Punkten etwas genauer erläutern. Geld kosten, eingreifen, wird dieses Gebiet im Laufe 15960 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Dr. Norbert Rieder der nächsten Jahrzehnte einen großen Teil seiner Ich sage nun in aller Deutlichkeit, daß das nichts Qualität verlieren. anderes ist als die Anerkennung der bisherigen Pra- xis. Ich will das an zwei Beispielen deutlich machen. Oder nehmen Sie ein einfacheres Beispiel, das jeder kennt. Eine blühende Wiese ist nun einmal ein Einer der vom Bund, also von der Bundesregie- Kunstprodukt, das nur erhalten bleibt, wenn die rung, anerkannten Naturschutzverbände ist derzeit Wiese sach- und fachgerecht gepflegt wird. Wenn sie der Verband Deutscher Gebirgs- und Wanderver- nicht mehr gepflegt wird, wird sie in unserem Klima- eine. Einer der Teilverbände im Verband der Deut- bereich zu Wald. schen Gebirgs- und Wandervereine ist der Touristen- verein „Die Naturfreunde". Er ist damit ein in der (Beifall bei der CDU/CSU - Zuruf vom Bundesrepublik Deutschland anerkannter Natur- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist Ihre schutzverband und ist darüber hinaus entweder über Vorstellung von Naturschutz!) den Dachverband oder als einzelnes Mitglied in ver- Eine solche Wiese zu erhalten, kostet Geld. Die Bun- schiedenen Bundesländern anerkannt, zum Beispiel desländer - das sage ich in a ller Deutlichkeit - haben in Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hes- jetzt schon ohne Ausnahme nicht genügend Geld in sen, Rheinland-Pfalz - um nur einige zu nennen. ihren Etat eingestellt, um jedes ihrer vorhandenen Der Schwarzwaldverein und der Schwäbische Alb Schutzgebiete ausreichend zu pflegen. Verein - um zwei weitere Beispiele zu nennen - sind Wenn also ein Bundesland 10 oder 15 Prozent sei- in Baden-Württemberg deswegen als Naturschutz- ner Fläche als Vorranggebiet ausweisen wi ll, so wür- verbände anerkannt, weil ihr Arbeitsgebiet in Ba- den wir das ungeheuer begrüßen. Nur muß dieses den-Württemberg liegt. Bundesland auch das notwendige Geld dafür in den Nach der bisherigen Fassung des Gesetzentwurfes Etat einstellen. Wer forde rt, 10 oder 15 Prozent der hätten diese drei Vereine eigentlich nicht unbedingt Fläche als Vorranggebiet auszuweisen, und nicht anerkannt werden müssen. Sie sind anerkannt wor- gleichzeitig das Geld dafür forde rt, der handelt un- den - ich halte das für absolut richtig -, obwohl der redlich, oder er weiß nicht, wovon er redet. Schwerpunkt ihrer Arbeit nicht im Naturschutz liegt. (Beifall bei der CDU/CSU) Ein beachtlicher Teil ihrer Arbeit aber spielt sich im Naturschutzbereich ab. Zumindest in Baden-Würt- Meine Damen und Herren, Pflege muß also auch in temberg, wo ich das Ganze relativ gut überschaue, Schutzgebieten sein. Nach den Erfahrungen in allen leisten die genannten Vereine mit ihren zusammen Bundesländern hat sich gezeigt, daß die billigste und etwa 300 000 Mitgliedern unersetzliche Arbeit im beste Form dieser Pflege in der Regel der Vertrags- Sinne des Naturschutzes. Darauf möchten wir in Zu- naturschutz ist, also jene Form des Schutzes, bei der kunft nicht verzichten. in der Regel mit den Grundstückseigentümern Ver- träge über die Pflege abgeschlossen werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Die Bauern Das ist in keiner Weise eine Herabwürdigung der machen es am preiswertesten!) klassischen Naturschutzverbände, wie NABU oder BUND. Im Gegenteil: Was wir brauchen, ist die Zu- - Die Bauern machen das häufig am preisgünstig- sammenarbeit aller dieser Verbände im Sinne der sten; sie sind in der Regel auch die Eigentümer der Natur. Genau das schreiben wir in das Gesetz hinein. Flächen. Deswegen hat sich überall gezeigt, daß es die beste und billigste Form ist, mit Verträgen zu ar- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) beiten. - Wer aus dieser Formulierung, die wir getroffen ha- Wir als Bundesgesetzgeber können nun keines- ben, glaubt, schließen zu können, daß wir zum Bei- wegs den Ländern vorschreiben, wieviel Geld sie für spiel Moto-Cross-Verbände oder ähnliches anerken- den Vertragsnaturschutz ausgeben wollen. Wir kön- nen wollen, der hat entweder den Gesetzentwurf nen ihnen aber vorschreiben - und das ist unsere nicht richtig gelesen - ich würde ihm empfehlen, ihn Aufgabe -, in der Regel mit Vertragsnaturschutz zu einmal nachzulesen -, oder er handelt böswillig. arbeiten; denn es ist die beste, billigste und günstig- ste Form, die man überhaupt anwenden kann. Eben (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) das werden wir machen. Leider ist meine Redezeit zu Ende. Ich glaube, daß Ich möchte noch zu einem weiteren Punkt kom- wir mit diesem Gesetzentwurf - das habe ich in eini- men, der auch umstritten war. Wir sind dabei, im gen wenigen Punkten begründet - etwas Sinnvolles Rahmen dieses Gesetzes, das wir nachher verab- einbringen, das uns in der Naturschutzarbeit durch schieden werden, den Katalog der anzuerkennenden bessere Kompromißfähigkeit ein wesentliches Stück Verbände formal zu erweitern. Wir haben im § 29 des weiterbringen wird. bisherigen Gesetzes eine Regel, daß Naturverbände Herzlichen Dank. als Naturschutzverbände anerkannt werden können, wenn sie gewisse Voraussetzungen erfüllen. Wir wer- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) den diesen Katalog nun in dem Sinne erweitern, daß wir auch sogenannte Nutzerverbände, wenn sie denn im Sinne der Natur nutzen, ebenfalls anerken- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die nen können. Kollegin Ulrike Mehl, SPD. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 15961

Ulrike Mehl (SPD): Herr Präsident! Liebe Kollegin- Naturschutz ist kein weiterer Nutzungsanspruch nen und Kollegen! Heute ist ein bemerkenswerter unter vielen anderen, sondern er ist das eigentliche Tag. Heute ist die silberne Hochzeit des Weltumwelt- Ziel und damit der Oberbegriff für alle Umwelt- tages, der 5. Juni. Heute jährt sich zum 25. Mal der schutzbemühungen. Jeder würde heute sagen, daß Tag der Weltumweltkonferenz, aus der die Grün- jemand, der die Holzkonstruktion seines Hauses ver- dung des Umweltprogramms der Vereinten Nationen heizt, weil es dadurch im Moment so schön warm ist, hervorging. ein Idiot ist; denn er ruiniert sich damit seinen Le- bensraum. Genauso aber machen wir es mit der Na- Just an diesem Tag verabschiedet die Mehrheit im tur. Deutschen Bundestag ein Naturschutzgesetz, das al- les andere als eine angemessene Antwort auf die Sie haben im § 1 Ihres Gesetzentwurfs festgehal- Herausforderung der heutigen Zeit ist. Zu diesem ten, daß Natur zum Zwecke des Gebrauchs für den Wechselbalg haben Sie auch noch zehn Jahre Menschen geschützt werden soll. Wenn Sie dies als gebraucht, obwohl die SPD-Fraktion Ihnen in jeder ein riesiges Artenschutzprogramm für eine A rt, näm- Legislaturperiode einen zukunftsfähigen Gesetzent- lich für den Menschen verstehen, dann könnte ich wurf vorgelegt hat. Ihnen noch folgen, weil dies, wenn wir so weiterma- chen, durchaus nötig sein kann. Die Natur wird wei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne terbestehen, in welcher Form auch immer. Natur ist ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) hochgradig anpassungsfähig. Ob wir es sind, ist noch Dieser Gesetzentwurf - wohlgemerkt Ihr Gesetz- die große Frage. entwurf - ist angesichts der Erkenntnisse der letzten (Beifall bei der SPD) 25 Jahre über die Zerstörung und Belastung von Na- tur und Umwelt der blanke Hohn. Es gibt wenige Be- Ich möchte auf einige Einzelpunkte eingehen. reiche, in denen der auf Papier geschriebene und be- kundete Wille und die praktische Umsetzung so weit Erstens. Wir wollen in den Grundsätzen das Ziel auseinanderklaffen wie im Naturschutz. verankern, mindestens 10 Prozent der Landesfläche zur Schaffung eines Biotopverbundsystems für den Ich will nur die Konvention zur biologischen Viel- Naturschutz festzuschreiben. Sie sind dazu nicht be- falt als Ergebnis der Rio-Konferenz 1992 und die reit; Herr Rieder hat das gerade wieder ausgeführt; Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der EU nennen. Der ich muß sagen, Ihre Erklärung dazu fand ich nicht Geist dieser beiden von Deutschland mitgetragenen überzeugend. Sie sind nicht dazu bereit, obwohl Regelungen für den Naturschutz, nämlich der Ge- Frau Merkel die Magdeburger Erklärung, eine ge- danke der Nachhaltigkeit, findet sich in Ihrem Ge- meinsame Erklärung der Umweltministerkonferenz setzentwurf in keiner Weise wieder. und der Umweltverbände, unterschrieben hat. In die- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist gar ser Erklärung steht genau das drin. nicht wahr!) Zweitens. Wir wollen, daß der Grundwasserschutz Im Gegenteil: Die Beratungen in den Ausschüssen und die stofflichen Einwirkungen in die Eingriffsre- haben eher den Eindruck vermittelt, daß keine Gele- gelung einbezogen werden. Sie haben dies in Ihren genheit ausgelassen wurde, die ohnehin schlechte Gesetzentwurf nicht aufgenommen, obwohl Sie in Ih- Vorlage auch noch restlos zu zerfleddern. rer Unterrichtung zur Sondergeneralversammlung in zwei Wochen, über die wir gestern im Ausschuß de- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ battiert haben, feststellen, daß zwei der drei Hauptur- DIE GRÜNEN) sachen für den Artenrückgang eben genau diese - Punkte - stoffliche Einträge und Veränderung des Naturschutz ist keine Aufgabe für Blümchenguk- Wasserhaushalts - sind. ker oder Käferbeinzähler, wie vielleicht manche glauben. Naturschutz ist vielmehr die Erhaltung un- Bemerkenswert ist übrigens auch, daß Sie sich im serer Lebensgrundlagen sowie Aufgabe und Ziel für Teil B - Umweltschutz in Deutschland - dem Natur- uns alle. schutz in einem eigenen Kapitel widmen. Im Teil C - Strategien für eine nachhaltige Entwicklung - kommt (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne das Thema als eigener Abschnitt überhaupt nicht ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) mehr vor. Ich frage Sie: Wo, wenn nicht im Natur- Wir haben nicht eine Mitwelt, die wir gut oder schutzgesetz, soll denn diese Frage geregelt werden, schlecht behandeln können, sondern wir sind mit in und warum sind Sie an dieser Stelle nicht konse- dieser Welt. quent? (Beifall bei der SPD) Meyer-Abich führt in seinem neuen Buch „Prakti- sche Naturphilosophie" aus - und zwar sehr ein- Drittens. Wir wollen eine flächendeckend umwelt- drucksvoll -, daß es um das Mitsein der Menschen in verträgliche Landwirtschaft. Deshalb müssen wir die der Natur geht. Das heißt, daß wir nicht das Recht ha- von Ihnen neu formulierten Landwirtschaftsklauseln ben, Natur zu zerstören, sondern die Pflicht, sie für streichen. Wir brauchen keinen Generalfreibrief für uns alle und für alles Leben zu erhalten. die Landwirtschaft, sondern wir brauchen klare Vor- gaben für eine umweltverträgliche Landwirtschaft. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist kein Frei und der PDS) brief!) 15962 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Ulrike Mehl Dies ist auch im Interesse der Landwirtschaft. Das auf Vertragsebene mit dem Grundeigentümer in glei- haben nur noch nicht alle begriffen. cher Weise zu erreichen ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Ich will deutlich festhalten: Dieses Instrument Ver- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN tragsnaturschutz kann durchaus sehr sinnvoll sein; und der PDS) es wird heute auch schon angewendet. Wenn Sie das aber als Vorrang festschreiben, dann erzeugen Sie ei- Sie aber machen das Gegenteil. Sie machen die nen ungeheuerlichen Verwaltungsaufwand durch derzeitige Wirtschaftsweise zum Maßstab für die Vertragsverhandlungen in allen Naturschutzprojek- Zahlungsverpflichtungen an die Landwirtschaft und ten, der eher zur Blockade der Naturschutzverwal- ersetzen einfach den Begriff der „ordnungsgemäßen tung führt statt zur Beförderung des Naturschutzes. Landwirtschaft" durch den Begriff der „guten fachli- chen Praxis". Darauf, was dieser Begriff in der Praxis Sie haben jetzt, Herr Rieder, in mehreren Punkten eigentlich bedeuten soll, nehmen Sie aber keinen ausgeführt: Überlassen Sie das doch den Ländern, Einfluß. Das überlassen Sie dem Landwirtschafts- überlassen Sie es doch denen, die vor Ort entschei- minister. den können. Genau das erwarte ich in diesem Punkt von Ihnen: Überlassen Sie es den Ländern und den Sie sagen, einiges zu diesem Punkt sei schon im Naturschutzverwaltungen vor O rt, dies zu entschei- Bodenschutzgesetz geregelt. den. (Dr. Gerhard Friedrich [CDU/CSU]: Ja!) (Beifall bei der SPD) Daß aber die Formulierung im Bodenschutzgesetz Viertens. Wir wollen eine klare Regelung, daß bei auf Bodenschutz und nicht auf Naturschutz bezogen Eingriffen in Natur und Landschaft sichergestellt ist, ist, ignorieren Sie. daß dem Naturerhalt Vorrang eingeräumt wird und der Naturschutz ein echtes Gewicht bei der Abwä- (Zuruf von der CDU/CSU: Gehört der gung von Nutzungsansprüchen bekommt. Sie dage- Boden nicht dazu?) gen haben dafür gesorgt, daß ein wesentlicher Be- Das mindeste wäre gewesen, daß Sie eine Ermächti- reich, nämlich die Eingriffsregelung in der Bauleit- gung für die Bundesumweltministerin in Ihr Gesetz planung, aus diesem Gesetz völlig herausgenommen hineingeschrieben hätten, bei der näheren Ausfül- wird. lung dieses Begriffes gleichberechtigt beteiligt zu Wenn wir heute wissen, daß pro Tag rund 100 Hek- sein. Das haben Sie aber nicht getan. tar Fläche überbaut werden, dann müßten Sie ei- Statt dessen haben Sie sich vom Landwirtschafts- gentlich im Planungsverfahren die Naturschutzbe- minister in das Gesetz hineinschreiben lassen, daß hörden und nicht die Bauämter stärken. jede erhöhte Naturschutzanforderung in sämtlichen Schutzgebieten, die über diese „gute fachliche Pra- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne xis" - was immer das auch ist - hinausgeht und zu ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wirtschaftlichen Nachteilen führt, mit Geld auszu- Aber Sie haben dafür gesorgt, daß die Naturschutz- gleichen ist. verwaltung geschwächt wird und daß die fachliche (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist Beurteilung und Bewe rtung, welche Bedeutung doch selbstverständlich!) denn Natur bei einem geplanten Eingriff hat, allein den Baubehörden überlassen bleibt. Sie werden da- - Da sollten vielleicht Leute mitreden, die etwas da- mit Flächenverbrauch und Naturzerstörung weiteren von verstehen. Vorschub leisten. - (Beifall bei der SPD - Zuruf von der CDU/ Fünftens. Wir wollen eine flächendeckende Land- CSU: Genau das!) schaftsplanung. Sie schreiben dies nicht fest, obwohl die Landschaftsplanung das einzige naturschützeri- Von der Sozialpflichtigkeit des Eigentums und von sche Planungsinstrument ist, das wir haben. Sie soll Regeln für eine umweltverträgliche Landwirtschaft der Verwirklichung der Ziele des Naturschutzes die- ist kein Wort zu finden. Dies nenne ich eine Subven- nen. Wie soll das aber gehen, wenn sie entgegen der tionierung der Landwirtschaft aus Naturschutztöp- anderen Planungsinstrumente, Raumordnung und fen. Landesplanung, nicht flächendeckend vorhanden Wenn die Milliardenbeträge der EU in den Umbau ist? Wenn ich den Naturschutz voranbringen und das zu einer umweltverträglichen Landwirtschaft ge- Biotopverbundsystem einrichten wi ll, muß dies in al- steckt würden, hätten Sie mich auf Ihrer Seite. Aber len Planungen und Verwaltungsverfahren Eingang das findet nicht statt; vielmehr versuchen Sie, die finden können. Dazu muß die Landschaftsplanung schmalen Mittel des Naturschutzes noch weiter zu flächendeckend vorhanden sein. Sie muß natürlich verkleinern. Das blockiert den Naturschutz. Dafür auch entsprechend berücksichtigt werden. haben Sie unsere Unterstützung nicht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) Das heißt, wer von dieser Planung abweichen wi ll, Sie schreiben auch einen Vorrang für den Ver- muß dies bei Würdigung aller Umstände begründen. tragsnaturschutz fest, das heißt, daß vor jeder Natur- Sie belassen dieses wichtige Naturschutzinstrument schutzanordnung geprüft werden muß, ob das Ziel in einem Dornröschenschlaf und vergeben die Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 15963

Ulrike Mehl Chance, Naturschutzziele auf ganzer Fläche präsent Hier liegt für mich auf der Hand, daß genau das das zu machen. Ziel dieser Regelung ist. Damit werden sie dem Na- turschutz einen Bärendienst erweisen. Sechstens. Wir wollen eine konsequente Umset- zung der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der EG. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Mit der Umsetzung dieser Richtlinie sind Sie schon GRÜNEN und der PDS) seit drei Jahren im Verzug. Sie ist der eigentliche Für Ihre Verweigerung, die Verbandsklage einzu- Grund für diese Gesetzesnovellierung. Warum haben führen, fehlt mir vollkommen das Verständnis. Das Sie eigentlich nicht die Vorlage des Bundesrates ver- Argument, daß die Republik dann mit einer Flut von wendet, sondern statt dessen ein kompliziertes Ge- Klagen überzogen werde, ist doch nun völlig entkräf- bilde in das Gesetz gepflanzt, von dem Praktiker vor tet. Die Länder, die in ihren Landesgesetzen dieses Ort sagen, sie wissen überhaupt nicht, wie sie diesen Rechtsinstrument eingeführt haben, können nur von komplizierten Aufbau umsetzen sollen? Wer die Um- guten Erfahrungen berichten. setzung dieser Richtlinie will, muß sie praxisorientiert formulieren. Bei Ihrem Gesetz ist das leider völlig (Beifall bei Abgeordneten der SPD) mißraten. Oder haben Sie etwa Angst, daß Ihre Planverfahren (Beifall bei der SPD) häufig so fehlerhaft sind, daß potentielle Kläger zu oft erfolgreich sein könnten? Gerade Sie setzen doch Siebtens. Sie wollen - - Wir wollen - - immer auf das Verantwortungsbewußtsein der (Zurufe von der CDU/CSU) Bürgerinnen und Bürger. Dann nehmen Sie sich bitte einmal selbst ernst und führen Sie die Verbandsklage - Ich will auch noch auf Sie zu sprechen kommen. auf Bundesebene ein. Aber die Reihenfolge ist so besser. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Wir wollen eine breite und frühzeitige Beteiligung DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der von Umwelt- und Naturschutzverbänden und die PDS) Einführung der Verbandsklage. Wollen Sie sie auch? Meine Damen und Herren, es gäbe noch eine ganze Menge Beispiele anzuführen, die belegen, daß (Zurufe von der CDU/CSU: Nein!) das über 20 Jahre alte Naturschutzgesetz statt einer - Aha. richtungsweisenden Fortschreibung nun ein ver- murkstes Gesetz ersten Ranges wird. In dieser kur- Hier liegt die besondere Betonung auf den Worten zen Zeit kann ich das alles aber leider nicht aufzäh- Umwelt- und Naturschutz. Diese Verbände verste- len. Aber ich will noch ein Beispiel nennen, das das hen sich als die Anwälte für die Natur. Ihr Interesse sehr deutlich macht. ist nicht die Nutzung, sondern einzig die Erhaltung Sie haben festgeschrieben, daß bei dem Erlaß von der Natur. Schutzverordnungen für Biosphärenreservate und Sie haben nun in Ihrem Gesetzentwurf bei der Re- Nationalparke nicht nur das Bundesumweltministe- gelung zur Anerkennung der Verbände ein Einfalls- rium zu beteiligen ist, sondern zukünftig auch das tor geöffnet, das völlig inakzeptabel ist. Sie schreiben Bundesbauministerium. Im Antrag haben Sie das im nämlich fest, daß auch die Verbände als Naturschutz- Umweltausschuß damit begründet, daß dadurch si- anwälte anerkannt werden sollen, deren Ziele zu- chergestellt werden so ll, daß das für Raumordnung nächst einmal die Nutzung der Natur insbesondere zuständige Ministe rium richtig eingebunden wird. zum Zwecke der Erholung ist. Jeder Spo rt- -, Angel- Scheinbar traut man Ihnen nicht zu, Frau Merkel, und Kletterverein braucht nur noch in seine Satzung daß Sie sich mit Ihren Kollegen vor Entscheidungen zu schreiben, daß er die Natur zur Ausübung seiner ordentlich abstimmen. Oder ist es so, daß die Bun- Nutzung erhalten will, und schon ist er anerkannt. desumweltministerin nun einen Wächter zur Seite gestellt bekommt, damit sie bloß nicht zu viel Natur- (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist nicht schutz macht? Daß dieser Verdacht bestehen könnte, wahr! - Dr. Norbe rt Rieder [CDU/CSU]: Frau Merkel, ehrt Sie sehr. Aber dem Naturschutz er- Nachlesen!) teilen Sie mit diesem Gesetz einen echten Genick- Ich will überhaupt nicht die Bemühungen solcher schlag. Verbände schmälern, ihre Mitglieder und die Öffent- Wir werden dieses Gesetz ablehnen. lichkeit über die Bedeutung des Naturschutzes und naturschutzfreundlichen Verhaltens aufzuklären und (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE anzuleiten. Das ist sehr lobenswert und gut. Aber es GRÜNEN und der PDS) bleibt doch immer zunächst das Nutzungsinteresse. Deshalb ist es falsch, diese Verbände mit dem Privi- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die leg Naturschutzverband zu versehen. Damit zersplit- Kollegin Ulrike Höfken, Bündnis 90/Die Grünen. tern Sie die Naturschutzlobby und nehmen sich selbst die Vorteile einer kritischen Begleitung und Förderung des Naturschutzes. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr geehrte Damen und Herren! Ich halte jetzt zum er- (Dr. Norbert Rieder [CDU/CSU]: Wir zer sten Mal eine Rede im Bereich des Natur- und Um- splittern sie eben nicht!) weltschutzes. Ich bin ansonsten im Agrarausschuß 15964 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Ulrike Höfken tätig. Was mich doch überrascht, Frau Merkel, das ist lungskompetenzen im Naturschutzgesetz nur noch die völlige Abwesenheit der Ministerin bei einem so ein Skelett übriggelassen. Der gesamte wichtige wichtigen Thema Agrarbereich fällt nun in die Kompetenz der Fachge- setze wie etwa dem Pflanzenschutzgesetz, das nie- (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie ist doch mals darauf ausgelegt war und niemals dazu taugt, da! Haben Sie keine Brille auf?) die Vorlagen für den Naturschutz zu bieten. Oder es in der Diskussion im Ausschuß. - Natürlich sitzt sie wird auf das noch nicht einmal verabschiedete Bun- da, ich meine aber bei der Diskussion im Ausschuß. desbodenschutzgesetz verwiesen. Auch hier enthal- ten die Regelungen zur Praxis der Landwirtschaft Während im Landwirtschaftsaussschuß noch der nur eine Kann-Bestimmung, aber keine verbindli- Eindruck herrscht, daß dort Herzblut bei den Regie- chen Richtlinien. rungsvertretern vorhanden ist, so hat man im Um- weltausschuß doch einen gegenteiligen Eindruck. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Wo Dies sind Gesetzesregelungen, die für diese Aufga- waren Sie denn, als die Debatte vorhin ben überhaupt nicht ausgelegt sind. begann? - Ecka rt Kuhlwein [SPD]: Aber der Die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung für noch amtierende Postminister ist da!) den Siedlungsbereich, das heißt für die Bauvorha- Zur Landwirtschaft: Ich bin nun aus dem landwirt- ben, verbleibt nur als Torso im Naturschutzgesetz schaftlichen Bereich und weiß Gott für eine vernünf- und wird ins Baurecht aufgenommen. Damit werden tige Interessenabwägung. Aber eine Interessenab- sich die Zuständigkeiten in den Kommunalverwal- wägung macht es doch nötig, daß die Interessen des tungen, wie Sie ganz sicher wissen, entsprechend Naturschutzes vertreten und die Instrumente des Na- verändern: Diejenigen, die planen, werden hinterher turschutzes auch eingesetzt werden. Mit der Vorlage diejenigen sein, die auch die Interessen des Natur- Ihres Gesetzentwurfs berauben Sie aber den Natur- schutzes abwägen müssen und abwägen können. schutz dieser Interessenvertretung und seiner Instru- Damit haben Sie den Naturschutz vollkommen seiner mente. Das, denke ich, ist eine wirkliche Demontage. Interessenvertretung beraubt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulrike Mehl [SPD]) Insofern würde ich heute sagen, dem Tag der Um- welt zum Hohn: Vom Naturschutzgesetz bleiben nur Letztendlich ist das von uns und den Verbänden die Knochen. Lange haben Umweltverbände und bekämpfte Beschleunigungsgesetz schon im Bau- Opposition Frau Merkel aufgefordert, die überfällige recht für die gesamte Bundesrepublik festgelegt und Novellierung des Naturschutzgesetzes durchzufüh- fest verankert worden. Auch das Bauen im Außenbe- ren. Doch was heute, ausgerechnet am 5. Juni, dem reich ist gegen den Naturschutz gerichtet, denn es Tag der Umwelt, mit den Stimmen der Koalitionsfrak- wurde für den Wohnungsbau erheblich erleichtert. tionen durch das Parlament gedrückt wird, hat mit Wie Frau Mehl schon gesagt hat: Heute werden diesen erhofften Verbesserungen und den Unterstüt- schon 100 Hektar Fläche pro Tag in Deutschland ver- zungen für die positiven Entwicklungen gerade von siegelt. In 80 Jahren wird die Bundesrepublik ver- der landwirtschaftlichen Seite aus überhaupt nichts baut sein. tun. Vielmehr gibt es eine Entwicklung, die auf Kon- (Birgit Homburger [F.D.P.]: Das ist doch frontation zwischen den Nutzern und den Natur- Unsinn!) schützern neu abzielt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das Gesetz, das Sie heute einbringen, heißt nur, daß Sie diese Entwicklung noch beschleunigen. und der SPD) Die Koalition setzt gegen Ende ihrer Regierungs- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zeit noch alle Möglichkeiten der Demontage der be- sowie bei Abgeordneten der SPD und der reits erzielten Naturschutzregelungen ein. Abg. Eva Bulling-Schröter [PDS]) Herr Rieder, Sie haben in Ihrer Rede ein Denken Finanziell droht der Naturschutz nun zu einer Last angeprangert, das in die Frühzeit der 70er/80er Jahre für die Länder zu werden. Genau das ist auch Ihre Absicht gewesen. Ich bin durchaus für gehörte, nämlich dieses klassische Reservatsdenken. Vertragsna- Wer von uns und wer von den Umweltverbänden hat turschutz, aber ein solcher Vertrag muß doch die Be- denn das noch vertreten? Inzwischen sind wir längst dingungen setzen können, auch standortgerecht sein an einem ganz anderem Punkt angelangt, und Ihre und von einer Basis ausgehen, die die Interessen des Verteidigung zielt wahrhaftig ins Leere. Naturschutzes und der Landwirtschaft einbeziehen kann. Sie haben den Vertragsnaturschutz zur Norm Unser Fazit lautet: Dieser Entwurf muß vom Tisch. erklärt, damit auch Entschädigungen sozusagen ein- Die dringend notwendige Umsetzung der EU-Richtli- klagbar gemacht. Damit ist natürlich das Interesse nien muß übergangsweise durch gesonderte Geset- der Landwirte erloschen, sich an Konzepten wie dem zesergänzungen zum Artenschutz und der Flora- mit der Wasserwirtschaft zu beteiligen und positive Fauna-Habitat-Schutzgebiete vorgenommen wer- Entwicklungen zu unterstützen. den. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist Der Gesetzentwurf der Bundesregierung bzw. der beleidigend! - Walter Hirche [F.D.P.]: Eine Koalitionsfraktionen hat von den bisherigen Rege- Unterstellung gegen die Landwirte!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 15965

Ulrike Höfken Das heißt auch, daß Sie die ganzen Ansätze, die Birgit Homburger (F.D.P.): Herr Präsident! Meine zum Beispiel in den Biosphärenreservaten getroffen Damen und Herren! Wir reden heute über die Novel- wurden, die auch im Bereich der Vermarktung mit lierung des Naturschutzgesetzes. Das bisher gültige dem Label des Naturschutzes versehen wurden, in Naturschutzgesetz stammt aus dem Jahre 1976. In Frage stellen, weil für deren Existenz eigentlich der Tat ist eine Anpassung an heutige und zukünf- keine Basis mehr vorhanden ist. Für die Umsetzung tige Anforderungen lange überfällig. der EU-Richtlinien oder neuer Schutzvorhaben wird dann kein Geld mehr vorhanden sein. Gerade die Im letzten Jahr hat die Bundesregierung deswegen neuen Länder werden darunter leiden, die bisher er- die Novelle des Naturschutzgesetzes vorgelegt. Die- heblich mehr Schutzgebiete ausgewiesen haben, als sen Entwurf haben wir nach vielen Gesprächen und das zum Teil in den alten Ländern der Fall gewesen Diskussionen verbessert. ist. (Ulrike Mehl [SPD]: Verwässert!) Zahlreiche Freistellungen für den Bau von Tele- In vielen Bereichen sind die Belastungen der Umwelt kommunikationseinrichtungen, Energieanlagen, Mi- zwar rückläufig; aber leider hält der Trend zum Ver- litäranlagen und ähnlichem behindern drastisch die lust von Artenvielfalt und von Biotopen an. Das ist ohnehin schwer eingeschränkte Wirksamkeit dieses sicherlich ein Fakt. Gesetzes. Die Forderung nach Einführung einer Ver- Aber, Frau Kollegin Höfken, es ist natürlich un- bandsklage wurde nicht erfüllt. Ehrlich gesagt, die glaublich, daß Sie hier vor der Öffentlichkeit wieder wollen wir jetzt auch gar nicht mehr haben. Nach- die Behauptung aufgestellt haben, die Bundesrepu- dem Sie die Öffnung für die Nutzer gemacht haben, blik sei in 80 Jahren zugebaut. Ich weiß nicht, wie oft kann man schwerlich noch die Verbandsklage einfor- man das noch erklären muß. dern wollen. Ich habe den Gesetzestext hier vorlie- gen, und Sie kennen ihn auch: Sie werden es schwer- (Dr. Jürgen Rochlitz [BÜNDNIS 90/DIE lich verhindern können, daß zum Beispiel Moto- GRÜNEN]: Erklären Sie es einmal!) Cross-Verbände ihre Beteiligung do rt einfordern können, wenn sie das, was in Ihrem Entwurf steht, Das ist ein in der Enquete-Kommission „Schutz des tatsächlich auch verfolgen. Ich finde es sehr bedauer- Menschen und der Umwelt" vorgestelltes eindimen- lich, Herr Geißler, daß Sie sich für diese Aufwei- sionales Modell. Das Ding ist noch nicht einmal ein chung des Biotopschutzes eingesetzt haben. Damit Szenario. Aber Sie benutzen das jedesmal. Das kann können im Prinzip die ganzen Mittelgebirgslagen man so nicht hochrechnen, wie Sie das machen. Das nicht mehr in der Form geschützt werden, wie das ist keine Rechnung, sondern das ist schlicht ein Mo- bisher der Fall ist. dell mit Annahmen, die so nicht richtig sind. Das heißt, Sie sollten endlich aufhören, so einen Unsinn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu behaupten, der einfach nicht stimmt. sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Der Gesetzentwurf der Grünen strebt eine grund- Wegen der Situation im Bereich der Artenvielfalt sätzliche Neukonzeption des Naturschutzes an, vor und im Naturschutz ist wichtig, daß wir die Instru- allem im Bereich der Landwirtschaft auch einen nut- mente des Naturschutzes wirksamer gestalten. Ich zungsintegrierten Naturschutz in beiderseitigem denke, daß das Gesetz - das will ich vorwegnehmen Einverständnis, aber selbstverständlich mit einer - diesem Anspruch gerecht wird. qualifizierten Definition, was unter einer Landnut- zung zu verstehen ist, die nicht als Eingriff zu bewer- Ich will drei Schwerpunkte nennen, die der F.D.P. besonders wichtig sind. ten ist. Diese Definition fehlt in Ihrem Gesetzentwurf- vollständig. Zum einen setzen wir in einem Zuge EG-Recht um,

und zwar sowohl die FFH - Richtlinie als auch die Vo- Wir haben Änderungsanträge vorgelegt, die zu- gelschutzrichtlinie und die Artenschutzverordnung sammengefaßt aussagen, daß die FFH-Richtlinie und der EG. Jetzt - das sage ich ganz deutlich, Frau Kol- die EU-Artenschutzverordnung umgesetzt werden legin Mehl - gibt es auch keinerlei Ausreden mehr sollen, daß übergangsweise entsprechend der Ge- für die Länder; sie müssen jetzt ihre Schutzgebiete setzentwurf des Bundesrates angenommen werden anmelden. soll, der die Umsetzung der FFH-Richtlinie zum Ziel hat, und daß ein neues Gesamtkonzept für den Na- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne turschutz erstellt werden soll. Ansonsten wird dieses ten der CDU/CSU - Ulrike Mehl [SPD]: Das Gesetz vom Vermittlungsausschuß hoffentlich in die hat aber lange gedauert!) hinteren Ränge verwiesen werden. Zum zweiten. Wir binden - das ist hier schon ange- Danke schön. sprochen worden - die Landwirtschaft stärker in den Naturschutz ein. Wir haben jetzt die „gute fachliche (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Praxis" im Gesetz aufgenommen, und zwar an Stelle sowie bei Abgeordneten der SPD und der der bisherigen „ordnungsgemäßen Landwirtschaft". Abg. Eva Bulling-Schröter [PDS]) Das wird mit Sicherheit zu einer naturverträglicheren Bewirtschaftung führen. Das Wesentliche ist, daß jetzt nicht mehr vorausgesetzt wird, daß das Wi rt Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die rt, egal, ob man sich an bestimmte-schaften jeder A Kollegin Birgit Homburger, F.D.P. Grundvoraussetzungen hält oder nicht, naturverträg- 15966 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Birgit Homburger lich sei, sondern es ist an den Begriff der „guten fach- Birgit Homburger (F.D.P.): Ich habe den Eindruck, lichen Praxis" gebunden. daß sich diese Frage auf einen abgeschlossenen Punkt bezieht. Ich würde den jetzigen Gedanken (Horst Sielaff [SPD]: Und was ist das? Sagen gern im Zusammenhang vortragen. Sie einmal, was das ist!) (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) - Das will ich Ihnen jetzt gerade erklären. - Wir ha- ben im Regierungsentwurf einen wesentlichen Punkt - Wir können es gern im Anschluß daran aufrufen; verbessert. Wir haben nämlich die Anforderungen an dagegen habe ich nichts. die „gute fachliche Praxis" durch einen Verweis auf das Bodenschutzgesetz definiert. Ich sprach gerade über die Entschädigungsrege- lung in der Landwirtschaft und deren Auswirkungen (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ auf die Akzeptanz. Auch an dieser Stelle haben wir NEN]: Das gibt es doch noch gar nicht!) den Regierungsentwurf entsprechend verändert und - Jetzt mal langsam, Frau Höfken. Wir haben das ge- verbessert, indem die Rückwirkungen der Entschädi- stern im Umweltausschuß abgeschlossen. gungspflicht beschränkt werden. Wir wollen näm- lich, daß die Landesverwaltung nicht mit der Über- (Zuruf von der SPD) prüfung alter Schutzgebiete belastet wird, und wir wollen auch die finanziellen Belastungen, die daraus - Das ist klar. Wenn man nie dabei war, kann man resultieren, begrenzen. Deswegen haben wir die das nicht wissen. Dann macht man hier solche Zwi- Rückwirkung der Entschädigungspflicht entgegen schenrufe. dem ursprünglichen Entwurf der Bundesregierung (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne entsprechend beschränkt. Ich halte das für eine Lö- ten der CDU/CSU - Horst Sielaff [SPD]: sung, die von allen Seiten akzeptiert werden kann. Abenteuerlich!) Die F.D.P. unterstützt ebenso den Vorrang des Ver- Natürlich gibt es das Bodenschutzgesetz noch tragsnaturschutzes vor hoheitlichen Anordnungen; nicht. Deswegen haben wir exakt die Formulierung, auch das haben wir hier bereits mehrfach bespro- die im Bodenschutzgesetz, das wahrscheinlich näch- chen. Vielerorts ist in der Praxis, unterstützt auch ste Woche hier beschlossen wird, als Definition der durch EG-Instrumente, eine Form der Pa rtnerschaft „guten fachlichen Praxis" eingebracht wurde, in die zwischen Landwirtschaft und Naturschutz entstan- Begründung des Gesetzestextes wortwörtlich aufge- den. Diese wollen wir ausbauen. nommen, so daß keiner sagen kann, daß er nicht weiß, was „gute fachliche Praxis" sein soll. Durch die von uns gewählte Soll-Vorschrift haben wir einen sachgemäßen Weg gefunden. Wir vermei- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - den so auf der einen Seite formalisierte Verfahren Dietmar Schütz [Oldenburg] [SPD]: Was ist und den Verlust von Handlungsfähigkeit der Natur- es denn? Das haben Sie noch nicht gesagt!) schutzbehörden, verpflichten aber auf der anderen Seite die Behörden, zunächst freiwillige Lösungen Damit nehmen wir die Anregung von Sachverständi- anzustreben. Insofern sind wir auch mit den Ländern gen, von Ländern und auch von der Opposition auf. einer Meinung. Die F.D.P. hält die Entschädigungsregelung für die (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Landwirtschaft im übrigen für unverzichtbar. (Beifall bei der F.D.P. - Dietmar Schütz Den nächsten wesentlichen Bereich stellt der Bau- [Oldenburg] [SPD]: Was ist denn die „gute rechtskompromiß dar, der anders als zu Beginn des fachliche Praxis"?) - Verfahrens jetzt massiv kritisiert wird. Dort, wo standortbedingte Naturschutzanforderun- Der Baurechtskompromiß bedeutet, daß wir für gen über die „gute fachliche Praxis" hinausgehen eine bessere Integration des Naturschutzes in die und zu wirtschaftlichen Einbußen bei den Betroffe- Bauleitplanung sorgen sowie Baumaßnahmen und nen führen, müssen die Länder für eine angemes- Ausgleichsmaßnahmen örtlich und zeitlich entkop- sene Entschädigung sorgen. pelt werden können. Damit bringen wir einerseits mehr Flexibilität in das gesamte Verfahren. Anderer- (Horst Sielaff [SPD]: Das ist so typisch: Wir seits heißt das aber auch, daß wir uns damit vom bis- beschließen Gesetze, und die sollen zah herigen Zwang zu zersplitterten Insellösungen in len!) den einzelnen Baugebieten entfernen. Wir ermögli- Das entspricht den Erfordernissen des Schutzes des chen auf diese Weise zusammenhängende Natur- schutzmaßnahmen. Wir ermuntern darüber hinaus Eigentums. Nur so wird Naturschutz in den ländli- die Gemeinden durch das Öko-Konto zu voraus- chen Regionen auch die erforderliche Akzeptanz fin- den; das halte ich für ganz wesentlich. schauender Naturschutzkonzeption. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) ten der CDU/CSU) In der Praxis hat sich gezeigt, daß sich die bishe- rige Unterscheidung zwischen Ausgleichs- und Er- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Kollegin satzmaßnahmen kaum noch nachvollziehen läßt. Da- Homburger, gestatten Sie eine Zwischenfrage der her haben wir diese Unterscheidung aufgegeben Kollegin Höfken? und auch dadurch das Gesetz vereinfacht; wir kom- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 15967 Birgit Homburger men an dieser Stelle ebenfalls einem Wunsch der Denn alle Bundesländer sind darin frei, so viele Flä- Länder nach. chen unter Schutz zu stellen, wie sie es für sinnvoll halten. Das zeigt sich auch an Folgendem: Sie, Frau Der Baurechtskompromiß fand breite Zustimmung Kollegin Mehl, haben vorhin gesagt, daß wir beim bei den Sachverständigen aus Wissenschaft und Praxis, Vertragsnaturschutz die Entscheidung den Natur- und zwar durchaus sowohl in der Anhörung des Bau- schutzbehörden überlassen sollten. Da wollen Sie es ausschusses als auch in der Anhörung des Umweltaus- den Naturschutzbehörden überlassen; auf der ande- schusses. Er gibt den Kommunen mehr Flexibilität und ren Seite wollen Sie die Regelung dieser Frage nicht kann auch durchaus kostensenkend wirken. denen überlassen, die dafür zuständig sind. Das un- Der Wunsch einiger Länder, diese für alle Seiten terstreicht noch einmal, daß es bei Ihren Forderun- vorteilhafte Regelung auszusetzen, ist für mich aller- gen eine Diskrepanz gibt, und es unterstreicht noch dings schwer nachvollziehbar. einmal, welche Interessen Sie im Blick haben, wenn Sie solche Forderungen erheben. Die im Baurecht letztlich aufgenommene Öff- nungsklausel ist aber deswegen hinnehmbar, weil (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und sie kurz befristet ist und unter der Bedingung steht, der CDU/CSU) daß die Naturschutzbelange sichergestellt sein müs- sen. Ziel muß also sein, die Naturschutzbelange beim Ich sage an dieser Stelle noch einmal ganz deut- Bauen flexibel und sachgerecht zu integrieren, aber lich: Die Umweltminister in den rot-grünen Landes- nicht, sie einfach zu ignorieren. regierungen müssen die Entscheidungen in ihren Ka- binetten suchen. Wenn sie den Wählern oder der Ba- Bedauerlich ist für die F.D.P. auch, daß es uns nicht sis womöglich zuviel versprochen haben, dann soll- gelungen ist - da greife ich das auf, was die Opposi- ten sie den Mut haben, ihre Schwäche einzugeste- tion gesagt hat -, beim Koalitionspartner eine Mehr- hen. Jedenfalls sind wir im Bund nicht bereit, den heit für die Einführung einer beschränkten Ver- Schwarzen Peter entgegenzunehmen. bandsklage zu finden. Bedauerlich ist das, weil die anerkannten Naturschutzverbände im Rahmen von (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und naturschutzrelevanten Projekten ein gesetzliches Be- der CDU/CSU) teiligungsrecht haben sollten, auch um die Möglich- keit zu haben, zugunsten des Naturschutzes Klage Deshalb lehnen wir auch die Forde rung nach einer zu erheben. Finanzierungsbeteiligung des Bundes ab. Vollzugs- und Finanzierungskompetenz der Länder sind Die wesentliche Funktion einer solchen Verbands- schlicht untrennbar. Es geht nicht, nach dem Motto klage, auf die sich der Streit bezog, liegt in der Prä- zu verfahren: Wir wollen mehr Naturschutz, aber ventivwirkung. Sie würde dazu führen, daß der Na- mehr kosten darf es uns nicht. Das ist ein Zeichen - turschutz nicht zu kurz kommt, sondern bei den Ent- ich sage es ganz deutlich - politischer Unreife, und scheidungen sorgfältiger berücksichtigt wird. Wir es wäre ein bequemer Ausweg. Sie können sich näm- können immerhin auf die Erfahrungen von zwölf lich nicht um die Entscheidung über politische P riori Bundesländern, in denen es die Verbandsklage be- ll, muß-täten drücken. Wer Verantwortung haben wi reits gibt, zurückblicken, und diese Erfahrungen zei- Verantwortung auch übernehmen. Dann muß man gen, daß daraus keine Prozeßflut resultiert, wie be- sich auch dem schmerzlichen Prozeß unterziehen, fürchtet wird. Deshalb stünde die Verbandsklage Abwägungen zu treffen. Man kann nicht einfach be- auch nicht im Widerspruch zu dem Ziel, die Geneh- stimmte Entscheidungen treffen und die Kosten dann migungsverfahren zu vereinfachen und zu beschleu- anderen aufdrücken. nigen, im Gegenteil: Es würden bei umstrittenen Pro- jekten sicher zahlreiche Klagen vorher kanalisiert- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und werden können, und somit könnte das Verfahren ver- der CDU/CSU) einfacht werden. Ich möchte mich abschließend bei allen Beteiligten (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS für die faire Zusammenarbeit bei den Gesetzesbera- SES 90/DIE GRÜNEN) tungen bedanken. Wir haben uns in den Koalitions- Deswegen finde ich es schade, daß das nicht ge- fraktionen einem - zugegebenermaßen - mühsamen lungen ist. Im Verlauf der Beratungen war das leider Abstimmungssprozeß mit allen Beteiligten unterzo- nicht durchsetzbar. gen Über die rot-grünen Vorstellungen haben wir hier (Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ schon öfters diskutiert. Ich wi ll noch einmal deutlich NEN]: Den haben Sie aber verloren!) sagen, daß wir Ihre Forderungen nach bundesein- heitlichen Flächenvorgaben für Schutzgebiete ab- und haben letztlich einen breiten Konsens gefunden. lehnen. Sie wollen damit nämlich die Länder in ihren Wir machen es eben nicht so wie in manchen Län- ureigenen Zuständigkeitsbereichen schlicht bevor- dern, in denen die Umweltminister ohne Abstim- munden, und zwar nur deshalb, damit sie hinterher mung mit ihren Kabinettskollegen Maximalforderun- beim Bund die Hand für mehr Geld für den Natur- gen vortragen. Wenn man den Landwirtschaftsmi- schutz aufhalten können. Einen anderen Grund gibt nister des betreffenden Landes hören würde, dann es nicht. würde seine Aussage ganz anders ausfallen. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und (Horst Sielaff [SPD]: Rheinland-Pfalz! Mei der CDU/CSU) nen Sie Herrn Brüderle?) 15968 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Birgit Homburger Wir fordern schlicht nichts anderes als daß das, was Verkehr, Gewerbe und Siedlungen sowie die Schad- wir in der Koalition gemacht haben, nämlich einen stofffrachten über den Luftpfad. Abstimmungsprozeß durchzuführen, in den Ländern Konsequenzen der Politik? Fehlanzeige. Was hier auch einmal gemacht wird und daß man sich der Ver- und heute in abschließender Lesung als Novelle des antwortung, die man do rt hat, stellt. Naturschutzrechtes durchgedrückt werden soll, (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) scheint die Zerstörung unserer natürlichen Umwelt nicht stoppen zu wollen. Die Länder sind jetzt gefordert, ihre Positionen ver- antwortlich neu zu entwickeln. Wir haben, wie ich (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne finde, mit diesem Gesetz ein gutes Angebot gemacht. ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Ich sage an die Adresse des Bundesrates: Nehmen GRÜNEN) Sie dieses Angebot im Interesse des Naturschutzes „Naturnutzergesetz statt Naturschutzgesetz" — so an. umschrieb es am Montag ein Autor der „Frankfu rter Danke. Rundschau" als Fazit seiner ausführlichen Analyse. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Fest steht: Die bisherigen rechtlichen Instrumente konnten weder dem Flächenfraß von 90 Hektar täg- lich noch dem Artenschwund oder der Biotopzerstö- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die rung Einhalt gebieten. Daß die Bundesregierung dar- Kollegin Eva Bulling-Schröter, PDS. aus die Konsequenz zieht, das Naturschutzrecht zu demontieren - meine Kolleginnen der Opposition ha- Eva Bulling-Schröter (PDS): Herr Präsident! Liebe ben das inzwischen bewiesen -, Kolleginnen und Kollegen! Vor drei Wochen beschäf- (Birgit Homburger [F.D.P.]: Behauptet, nicht tigte sich die Enquete-Kommission zur Aufarbeitung bewiesen!) von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur mit den - ich sage das hier deutlich - Verbrechen an der anstatt Klingen zu schärfen, stellt die zynische und Umwelt, die in der DDR begangen wurden. Von Ver- im wesentlichen an den Interessen der Unternehmen treterinnen und Vertretern der Koalition wurde gef or- ausgerichtete Umweltpolitik dieser Regierung bloß. dert, diesen ohne Zweifel unverantwo rtlichen Um- gang mit der Umwelt und den darin lebenden Men- Mit der Beibehaltung der Landwirtschaftsklausel, schen als systembedingt zu definieren. Folgt man ei- die auf 50 Prozent der bundesrepublikanischen Flä- ner solchen Logik ohne Selbstgefälligkeit, dann chen den Landwirten quasi bescheinigt, sie würden müßte man allerdings auch fragen, wie es eigentlich per se mit ihrer Produktion die Umwelt schützen, wurde die Chance vertan, konkrete und verbindliche kommt, daß in der Bundesrepublik alt zwar die wich- tigsten Emissionen weit niedriger waren, allerdings Betreiberpflichten für Land- und Forstwirtschaft fest- die Ausräumung der Natur, der Flächenfraß, die Zer- zuschreiben. siedelung und Zerschneidung der Landschaft sowie Der verwaschene und unverbindliche Passus über in vielen Regionen auch der Artenschwund weit grö- die „gute fachliche Praxis" in der Landwirtschaft und ßere Ausmaße als in der DDR angenommen hatten die Verweise auf die Fachgesetze, wie das Düngemit- und haben. Doch anscheinend sind sich Politbüro telgesetz oder das Bundeswaldgesetz, helfen hier und Bundesregierung hier einig: Augen zu und wei- wenig. Schließlich sind gerade diese Gesetze aus na- ter auf bewährtem Kurs. turschützerischer Sicht novellierungsbedürftig. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutsch- Notwendig ist deshalb eine unmittelbare Geltung lands illustrierte diesen Kurs kürzlich in -bezug auf von Zielen, Grundsätzen und Definitionen des Natur- die Situation bei Feuchtgebieten und Kleingewäs- schutzes. Ansonsten wird er immer nur Anhängsel sern folgendermaßen: von Fachgesetzen sein, die von Ministerien federfüh- rend erarbeitet werden, welche - vorsichtig ausge- Zwischen 1950 und 1985 verlor die Bundesrepublik drückt - nicht unbedingt Lobbyorganisationen der insgesamt 57 Prozent ihrer Feuchtgebiete. In einigen natürlichen Umwelt sind. Bundesländern, wie Nordrhein-Westfalen, gingen 80 Prozent der Kleingewässer verloren. Die nord- Mit den vorgesehenen pauschalen Entschädi- deutschen Moore wurden auf die Hälfte, zirka gungszahlungen für die Land- und Forstwirtschaft 300 000 Hektar, reduziert. Nur noch 10 bis 15 Prozent verteilt die Bundesregierung eindeutig Gelder der aller Fließgewässer befinden sich in einem naturna- mageren Naturschutzhaushalte der Länder. Darüber hen und ökologisch voll funktionsfähigen Zustand. wurde hier schon gesprochen. Erhalten sollen das Etwa 360 000 Kilometer Flüsse und Bäche wurden in alle Eigentümer von Grundstücken, die von Maßnah- den vergangenen Jahrzehnten begradigt und einbe- men des Naturschutzes betroffen sind, auch wenn sie toniert. Als Konsequenz dieser Entwicklung stehen diese im Rahmen der Sozialpflicht ihres Eigentums heute, je nach Artengruppen, 30 bis 70 Prozent aller hinzunehmen hätten. Tier- und Pflanzenarten auf der roten Liste. Hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, stellt sich Dafür macht der BUND an erster Stelle die Intensi- die Bundesregierung selbst ein Bein. Denn wenn sie vierung der Landwirtschaft, insbesondere die Aus- die Betreiberpflichten für eine ordnungsgemäße räumung, die Bodenerosion und die seit 1994/95 wie- Land- und Forstwirtschaft klar definieren würde, der steigenden Dünger- und Pestizidfrachten verant- wäre auch abzugrenzen, ab wann Land- und Forst- wortlich. Danach kommen der Flächendruck durch wirte, deren Flächen innerhalb von Schutzgebieten Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 15969

Eva Bulling-Schröter liegen, einen berechtigten Anspruch auf Entschädi- bewirtschaftet, gepflegt und als Kulturlandschaft er- gung hätten. Daß durch das Rückwirkungsgebot ins- halten. besondere die Naturschutzetats der ostdeutschen Länder, die seit 1990 umfangreiche Schutzgebiete (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU ausgewiesen haben, völlig überfordert sind, scheint und der F.D.P.) sie nicht zu interessieren. Ein Naturschutzgesetz, das die Zusammenarbeit mit den Bauern und den Forstwirten nicht sucht Die Vorrangregelung des bürokratisch höchst auf- wendigen Vertragsnaturschutzes wurde hier schon (Horst Sielaff [SPD]: Suchen wir doch!) angesprochen. und ihre Fachkenntnisse ungenutzt läßt, ihre emotio- Mit der Übernahme der Regelungen aus dem § 8 nale Bindung an Grund und Boden und ihr Interesse des Bundesnaturschutzgesetzes ins Baugesetzbuch am Erhalt der Bodenfruchtbarkeit für folgende Gene- werden Eingriffe in den Naturhaushalt und der dafür rationen nicht anerkennt, wäre in der Praxis von zu vollziehende Ausgleich, soweit er beispielsweise vornherein zum Scheitern verurteilt. bei der Überbauung eines in Tausenden von Jahren entstandenen Moores überhaupt möglich ist, in den (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Bauämtern bearbeitet. Naturschutz ist nur abzuwä- Diese Gedankengänge habe ich bei der SPD und gen, er genießt keinerlei Priorität. Damit wird der Na- auch bei den Grünen überhaupt nicht vernommen; turschutz den städtebaulichen Interessen weitge- sie sind offensichtlich auch nicht vorhanden. hend ausgeliefert. Ein Naturschutzgesetz, das die Produktion gesun- Außerdem dürfte die Nähe der entscheidenden Be- der Nahrungsmittel hörden zu den Investoren größer geworden sein, aber das ist ja auch erwünscht. Erwünscht ist leider (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Warum bringen auch, die Rechte von Umweltverbänden weiter zu Sie eine solche Schärfe in die Debatte?) beschneiden. Vorausschauende Umweltpolitik sollte auf unseren Böden nicht auch in Zukunft einigerma- diese Rechte eher erweitern und Verbände schon in ßen wirtschaftlich ermöglicht, das den Einsatz des der ersten Phase von Planungsprozessen einbezie- landwirtschaftlichen Berufsstandes für unsere in hen, anstatt sie beispielsweise bei länderübergreifen- Jahrtausenden entstandene schöne Kulturlandschaft den Vorhaben und Planungsgenehmigungen auszu- nicht würdigt und damit die Pflege und den Erhalt ei- grenzen. ner großen Artenvielfalt an Pflanzen und Tieren nicht Die Verbandsklage, die bisher zwölf Bundesländer anerkennt, ist das Papier nicht we rt, auf dem es steht. mit guten Erfahrungen eingeführt haben, ist im Genau das trifft auf Ihre Anträge zu. neuen Bundesnaturschutzgesetz nicht vorgesehen. Meine Kolleginnen und Kollegen, der vorliegende Auch darüber wurde schon gesprochen. Entwurf der Koalitionsfraktionen berücksichtigt die Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend ein von mir geforderten Ziele. Die genaue Definition der Wort zu unserem Antrag „Privatisierung von Wald in „guten fachlichen Praxis" in der Landwirtschaft in Naturschutzgebieten": § 1 der Flächenerwerbsver- diesem Gesetzentwurf hilft bei der Umsetzung von ordnung berücksichtigt nunmehr Forderungen des Naturschutzzielen vor O rt, indem auf die Fachge- setze verwiesen wird. PDS - Antrags nach Nichtprivatisierung des Waldes. Allerdings bleibt die Nichtprivatisierung von Flächen Die Bauern, Forstwirte, Fischer, aber auch Umwelt- auf Naturschutzflächen beschränkt. Deshalb halten schützer erhalten eine genaue Grundlage, an der sie wir an unserem Antrag fest. erkennen, bis wohin die Sozialpflichtigkeit des Ei- geht und ab wo eine darüber hinausge- Grundsätzlich ist die PDS gegen die Privatisierung gentums hende Forderung der Öffentlichkeit an die Gestal- von Wald. Wir finden es unverständlich, daß der An- tung der Landbewirtschaftung oder der Landschafts- teil an Gemeindewald im Osten noch weit unter dem gestaltung durch uns, die Allgemeinheit, entschädigt im Westen liegen soll. Würde die gesamte Waldflä- werden muß. Damit wird die Akzeptanz von Umwelt- che, die durch die BVVG privatisiert werden so ll, schutz - und Naturschutzmaßnahmen verbessert. also 670 000 Hektar, den Gemeinden übergeben, dann entspräche der Gemeindewaldanteil etwa dem Der Bezug auf die Fachgesetze wie das Pflanzen- westdeutscher Gemeinden. Ich denke, das wäre ein schutzgesetz, das Düngemittelgesetz, die Waldge- erstrebenswertes Ziel. setze des Bundes und der Länder sowie das kurz vor der Verabschiedung stehende Bodenschutzgesetz Danke. dient den Zielen des Naturschutzes mehr als die hier (Beifall bei der PDS und des Abg. Dr. Jürgen von den Mitgliedern der SPD und der Grünen ver- Rochlitz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) langten Betreiberpflichten, die in der Praxis nicht umsetzbar sind. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Kollege Peter Bleser, CDU/CSU. und der F.D.P.) Ein weiterer Vorteil: Die Fachgesetze ermöglichen Peter Bleser (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine jederzeit eine Anpassung an den neuesten Stand von Damen und Herren! 84 Prozent der Gesamtfläche Wissenschaft und Technik, weil man das unterge- Deutschlands werden durch Land- und Forstwirte setzliche Regelwerk an die neuen Bedingungen an- 15970 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Peter Bleser passen kann. Ich nenne nur ein Stichwort: die Dün- stern bei der abschließenden Beratung des Boden- geverordnung. schutzgesetzes nicht anwesend waren. Mich treibt aber noch eine ganze andere Sorge um. (Dr. Renate Hellwig [CDU/CSU]: Sehr rich Die Weltbevölkerung nimmt pro Jahr um 90-tig!) Millionen Menschen zu. Um diese Menschen mit ihren verän- derten Ernährungsgewohnheiten, die die Situation Dort wurde mitgeteilt, daß es eine Bodenschutzver- noch verschärfen, auch in Zukunft ausreichend mit ordnung geben wird, in der genau geregelt ist, wie Nahrungsmitteln versorgen zu können, müßte die dieses Bodenschutzgesetz in Anwendung zu bringen landwirtschaftliche Produktion in den nächsten ist. Damit ist in der Tat auch den Zielen des Umwelt- 30 Jahren um 75 Prozent gesteigert werden. schutzes gedient. Die wechselseitigen Beziehungen sind in den vorliegenden Gesetzeswerken berück- (Horst Sielaff [SPD]: Aber nicht bei uns!) sichtigt worden. Das bedeutet eine Steigerung von 2,5 Prozent pro Ich will in meiner Rede fortfahren und einen ande- Jahr; derzeit sind es aber nur 1,5 Prozent. Die Schere ren wichtigen Aspekt erwähnen. Wer weiterhin den geht also weiter auseinander. Flächenverbrauch für Siedlungsbau, der sicherlich notwendig ist, will, der muß aber darauf achten, daß (Dietmar Schütz [Oldenburg] [SPD]: Aber nicht, wie bisher in einzelnen Bundesländern, bis nicht bei uns!) zum Zehnfachen des in Anspruch genommenen Flä- chenanteils für Ausgleichsmaßnahmen aus der land- Auf der anderen Seite geht der Anteil der für die wirtschaftlichen Produktion herausgenommen wer- Nahrungsmittelproduktion nutzbaren Fläche weiter den. Das vernichtet nicht nur Arbeitsplätze im ländli- zurück, zum einen durch das Bevölkerungswachstum chen Raum, sondern es nimmt uns auf Dauer die Er- und zum anderen aber auch durch die Inanspruch- nährungsgrundlage. nahme für Verkehrs- und Siedlungsflächen. Die Aus- breitung von Dürrezonen, die durch die Klimaverän- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Und es ist derungen verursacht wird, kommt noch hinzu. widersinnig!) Vor diesem Hintergrund ist die Abnahme landwirt- Wir wollen einen intelligenten Ausgleich schaftlicher Nutzfläche in Deutschland in einer Grö- (Horst Sielaff [SPD]: Ja!) ßenordnung von 35 000 Hektar pro Jahr - das sind die von Ihnen genannten fast 100 Hektar Abnahme ohne weiteren Flächenverbrauch, zum Beispiel durch pro Tag; das entspricht praktisch der Fläche eines Renaturierung von Bachläufen, Begrünung und Ent- großen landwirtschaftlichen Betriebs - nicht länger festigung von Ballungs- und Siedlungsgebieten und zu vertreten. Umwandlung von Fichtenwälder in Mischwälder. (Vorsitz : Präsidentin Dr. Rita Süssmuth) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege Bleser, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Deshalb haben wir zu § 18 des Bundesnaturschutz- Höfken? gesetzes einen Änderungsantrag gestellt. Flächen, die für Ausgleichsmaßnahmen vorgesehen sind, oder Flächen, die nicht landwirtschaftlich genutzt werden, Peter Bleser (CDU/CSU): Bitte schön. wollen wir vorrangig im Eigentum der öffentlichen Hand belassen. Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im Zusammenhang mit der „guten fachlichen Praxis" Das Zusammenraufen von Naturschützern und Land- möchte ich noch einmal nachfragen. Stimmen Sie mir wirten steht erst am Anfang. Themen wie die Nut- zu, daß die gute fachliche Praxis, wie sie beispiels- zung nachwachsender Rohstoffe werden in Zukunft weise im Bodenschutzgesetz beschrieben ist, keine dafür sorgen, daß sich die Vertreter beider Gruppen Verbindlichkeit für die Landwirte in der Praxis bein- öfter am selben Tisch wiederfinden werden. Eine haltet? umweltverträgliche Versorgung unserer Bevölkerung und Entsorgung der Abfälle in Form einer Kreislauf- Meine zweite Frage: Ist es nicht so, daß die jetzige wirtschaft ist ohne eine funktionierende und nach- Entwicklung, die auch im Entwurf eines Boden- haltige Landwirtschaft nicht möglich. Die sinnvolle schutzgesetzes intendiert wird, auf etwas hinaus- Verbindung einer intakten Natur mit den Ansprü- läuft, was wir als Landwirte gar nicht haben wollen, chen unserer modernen Zivilisation wird mit diesem nämlich auf der einen Seite eine Entwicklung in Gesetz weiter verbessert. Insofern hilft uns dieses Richtung Intensivzonen, sogenannte Agrarproduk- Naturschutzgesetz, unseren Kindern eine lebens- tionsinseln, und auf der anderen Seite eine Entwick- werte Umwelt zu hinterlassen. lung in Richtung Schutzgebiete, die nicht weiter zur Danke schön. landwirtschaftlichen Produktion genutzt werden können? (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Peter Bleser (CDU/CSU): Frau Höfken, ich muß Ih- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster nen jetzt leider sagen, daß man merkt, daß Sie ge- spricht der Abgeordnete Horst Sielaff. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 15971

Horst Sielaff (SPD): Frau Präsidentin! Meine Da- Das beste neue Agrarleitbild nutzt nichts, wenn es men und Herren! „Nach einer langen Phase der Sta- im luftleeren Raum steht. Daher muß die Erarbeitung gnation folgt nun der Rückschritt, droht eine Demon- neuer Gesetze wie des Bundesnaturschutz- und des tage des Naturschutzrechts" war zuletzt ein bemer- Bundesbodenschutzgesetzes, übrigens auch des kenswerter Artikel in der „Frankfurter Rundschau" Tierschutzgesetzes, ein solches Leitbild widerspie- zur Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes geln. Daraus folgt zwangsläufig, daß die Landwirt- überschrieben. schaftsklausel, die lediglich besagt, daß die soge- nannte ordnungsgemäße Landwirtschaft den Zielen (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sehr richtig! - des Naturschutzes dient, keinen Bestand haben Widerspruch bei der CDU/CSU) kann. Auch eine Entschädigungspflicht - das sage Die anthropozentrische Grundhaltung, die die Na- ich sehr deutlich, meine Damen und Herren - kann tur nur als Lebensgrundlage des Menschen schützen nicht per se im Gesetz verankert werden. will und nicht um ihrer selbst willen, schreibt dieser Gesetzentwurf der Bundesregierung konsequent Natürlich begrüße ich als Agrarpolitiker Zahlun- fort. Dieser Trend läuft meines Erachtens der wach- gen an die Landwirtschaft, wenn sie auf Grund öko- senden Sensibilität breiter Bevölkerungsschichten logischer und sozialer Anforderungen gerechtfertigt völlig entgegen und ist daher nicht nur erschreckend sind. Es ist aber eine unredliche Politik des Bundes, kurzsichtig, sondern geradezu anachronistisch. wenn von seiner Seite immer Gesetze beschlossen werden, nach denen die Länder auf den vorgesehe- (Beifall bei der SPD) nen Entschädigungszahlungen sitzenbleiben. Dieses Vorgehen müssen wir zurückweisen. Zwischen Ökologie und Landnutzung gibt es spä- testens seit den 20er Jahren unseres Jahrhunderts (Beifall bei der SPD) Konflikte. Die Sicherung der ausreichenden Nahrung für immer mehr Menschen, die Erfindungen der Ich halte es ebenfalls für unredlich und falsch, Agrarchemie und die Umgestaltung der Landschaft wenn wir sagen: Die Mittel für die Landwirtschaft ge- führten zu immer stärkeren Umweltbelastungen und hen zu Lasten des Umweltschutzes. Wir sollten uns schließlich zu Umweltzerstörungen. Wer wi ll das doch zusammensetzen und überlegen, wo im Agrar- leugnen? bereich Möglichkeiten bestehen, die Landwirte zu entschädigen. Das halten wir für den richtigen Weg. Ich bin davon überzeugt, daß der wachsende Stel- lenwert des Umwelt- und Naturschutzes in Wirklich- (Beifall bei der SPD) keit keine Gefahr für die Landwirtschaft darstellt, Hinsichtlich der Streichung der Landwirtschafts- sondern ihre Chance ist. Jeder Landwirt weiß: Er ver- klausel haben wir Zweifel, ob sie allein uns dem Ziel baut seine eigene Zukunft, wenn er den Boden zer- einer flächendeckend umweltverträglichen Landbe- stört oder Luft und Wasser seine Produkte schädigen. wirtschaftung näher bringt. Ich glaube auch nicht, (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Deswegen daß es nur die überfällige Definition der „guten fach- ist das eine Beleidigung!) lichen Praxis" sein wird, die die Landwirte umwelt- verträglich wirtschaften läßt. Schließlich ist Pflanzen- Wir Sozialdemokraten wollen ein neues agrarpoli- anbau kein jedes Jahr gleicher, statischer Prozeß. Er tisches Leitbild. Es muß die ökologisch sinnvolle ist von zu vielen Faktoren abhängig, als daß man Landbewirtschaftung zur Erzeugung von gesunden daran absolute Vorgaben messen könnte. Nahrungsmitteln und agrarischen Rohstoffen, sofern sie effizient einsetzbar sind, in den Vordergrund stel- Für die Durchführung einer flächendeckend ökolo- len. gisch sinnvollen Landbewirtschaftung ist nicht allein (Beifall bei der SPD) die Abschaffung der Landwirtschaftsklausel im Bun- Hierzu tragen die nach den Richtlinien der ökologi- desnaturschutzgesetz entscheidend - die übrigens schen Verbände wirtschaftenden Landwirte im be- später ohnehin wieder in verklausulierter Form im sonderen, aber auch eine Vielzahl der sogenannten Gesetz auftaucht -, sondern eine abgestimmtere konventionellen Landwirte, die sich sehr um ein um- Naturschutz- und Agrarpolitik. Diese beiden Politik- weltgerechtes Wirtschaften bemühen, bei. bereiche müssen, wie ich meine, den notwendigen Spagat wagen: Es waren Landwirte, die die Kulturlandschaft, die (Beifall bei der SPD) uns umgibt, geschaffen haben; das ist richtig. In vie- len Regionen - da gebe ich Ihnen recht, Herr Rieder Da ist zum einen der Grundsatz, die Natur um ihrer - kann man auf dieses Werk stolz sein. In anderen selbst willen zu schützen. Der andere Grundsatz ist: Regionen aber kann einen schon manchmal das Landwirtschaftliche Nutzung darf nicht weiter gegen Grausen packen, wenn man sich die Belastung der den Arten- und Biotopschutz ausgespielt werden. Umwelt durch die landwirtschaftliche Nutzung an- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: „Nicht schaut. Für letztere brauchen wir dringend ein funk- weiter" ist schon falsch!) tionierendes Naturschutzgesetz. (Beifall bei der SPD - Siegf ried Hornung Wir sind uns sicher: Ganz werden wir den Konf likt [CDU/CSU]: Wo?) niemals ausräumen, wenn Naturschutz sozusagen nur nach der reinen Lehre vertreten wird. Denn um- - Ich könnte Namen nennen; aber ich will nicht die weltfreundliche Erzeugung von gesunden Lebens- eine Region gegen die andere ausspielen. Lieber Kol- mitteln ist mit einer Politik des isolierten Arten- und lege Hornung, auch du kennst die Regionen. Biotopschutzes nicht vereinbar. Umweltverbände 15972 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Horst Sielaff und Landwirte sowie Fischer, Förster und andere Ausscheidens aus dem Deutschen Bundestag ein müssen für das gemeinsame Ziel „Bewahrung der ganz herzliches Wo rt der Anerkennung zu sagen. Schöpfung" eintreten. (Beifall im ganzen Hause) (Ulrike Mehl [SPD]: Jawohl!) Dies ist seine letzte Sitzungswoche. Ich weiß, daß Viele der Bäuerinnen und Bauern haben das längst er - so sehr er sich bewußt für das entschieden hat, verstanden. Sie sind da übrigens viel kooperativer, was er jetzt tun wird, nämlich Oberbürgermeister in als ihre Standesvertretung annimmt, die doch immer seiner Geburts- und Heimatstadt zu sein - die- wieder so manches Rückzugsgefecht führt. Die Land- sen Bundestag nicht ohne Traurigkeit verläßt, dem er wirte haben oft längst in Eigeninitiative den Weg fast sieben Wahlperioden angehört hat, als über- nach vorne angetreten und suchen den Kontakt mit zeugter und überzeugender Parlamentarier. Manche allen gesellschaftlichen Gruppen, um ihre schwierige seiner Reden werden uns in Erinnerung bleiben. Für Lage zwischen Schutz und Pflege der Natur sowie mich sage ich: Ganz unvergeßlich sind mir Ihre wie- dem Zwang zur Erwirtschaftung eines angemesse- derholten Ausführungen zu Bosnien-Herzegowina in nen Einkommens und dem harten Kampf des Wett- der schwierigsten Phase des Krieges und des Terrors bewerbs bei sehr ungleichen Bedingungen darzu- im früheren Jugoslawien. stellen. Ich möchte Ihnen in unser aller Namen für Ihren kollegialen Umgang und Ihr Wirken im Deutschen (Birgit Homburger [F.D.P.]: Das hörte sich Bundestag danken. bei Frau Mehl anders an!) (Beifall im ganzen Hause) Die Landwirte wissen, daß sie auch durch die zwei- felhafte Mithilfe einer jahrzehntelang falschen Politik Viel Erfolg im neuen Amt! auf der Basis einer puren Wachstums- und Produkti- Jetzt gebe ich das Wo rt unserem Kollegen vitätsideologie in einer Isolation gelandet sind, die Dr. Jürgen Rochlitz. für sie fatale Folgen haben kann. Eine solche fatale Folge wäre der Entzug der Akzeptanz der Bevölke- rung für die Gewährung der öffentlichen Mittel, die Dr. Jürgen Rochlitz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): der Landwirtschaft zufließen und die die Landwirt- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und schaft auch benötigt. Herren! Wir erleben wahrlich einen schwarzen Tag für die Umwelt, wenn man an die heute stattfindende (Ulrike Mehl [SPD]: So ist es!) weitgehende Aushebelung des Naturschutzes denkt. Ausgerechnet am Tag der Umwelt, an dem eigentlich Nicht allein die Landwirte und ihre Interessenver- umweltpolitische Fortschritte gefeiert werden müß- treter können die Landwirtschaft sichern oder retten. ten, muß ein weiteres für die Regierung besonders Vielmehr gilt: Ohne breite Gesellschaftsschichten in blamables Kapitel europäischer Umweltpolitik be- Form von Naturschutzverbänden, Tierschutzverei- handelt werden. nen, Verbraucherorganisationen, Kommunalpoliti- kern, die mit einer ökologischen Erzeugung von Le- Ausgerechnet die Umweltministerin, die sich in bensmitteln und der Pflege der gewachsenen Land- wenigen Wochen auf der New Yorker UNCED-Kon- schaft einverstanden und deswegen bereit sind, da- ferenz wieder als europäische Vorreiterin im Umwelt- für zu zahlen, können wir keine verantwortliche schutz Agrarpolitik betreiben. (Beifall des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/ (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne CSU]) ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)- präsentieren will, hat die Verantwortung für die man- Der entscheidende Erkenntnisfortschritt muß in gelhafte Umsetzung der europäischen Richtlinie über der Einsicht liegen, daß ökonomische, soziale und den freien Zugang zu Umweltinformationen und da- ökologische Entwicklungen nicht voneinander abge- mit für ein Verfahren des Europäischen Gerichtshofs spalten und gegeneinander ausgespielt werden dür- gegen die Bundesrepublik. Wegen der unvollständi- fen. gen Umsetzung dieser Richtlinie gibt es bis heute horrende Gebühren und bürokratische Hemmnisse, (Ulrike Mehl [SPD]: Jawohl!) die verhindern, daß Bürger den ihnen durch EU- Wir meinen, diesem Ziel entspricht der Regierungs- Recht garantierten Zugang zu Umweltinformationen entwurf nicht. Unser Gesetzentwurf dagegen dient wahrnehmen können. Für Anwohner von chemi- diesem Ansinnen. Deswegen lehnen wir den Regie- schen und anderen Anlagen sind wichtige Informa- rungsentwurf ab. tionen über mögliche Störfälle, über mögliche Emis- sionen, über gesundheitsgefährdende Eigenschaften (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ von Einsatzstoffen usw. nicht vollständig einsehbar. DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva Bul ling Für die spärlichen Auskünfte deutscher Umweltbe- Schröter [PDS]) hörden sind Gebühren bis zu mehreren tausend D- Mark nicht unüblich. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Liebe Kolleginnen Die gütlichen Vorschläge der Europäischen Kom- und Kollegen, bevor ich dem nächsten Redner das mission wurden von der Bundesregierung abgelehnt. Wort gebe, möchte ich die Gelegenheit wahrnehmen, Diese harte Linie, Frau Merkel, hätten wir uns so unserem Kollegen Norbert Gansel angesichts seines- manches Mal gewünscht, als es darum ging, fo rt- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 15973

Dr. Jürgen Rochlitz schrittliche nationale Umweltschutzbestimmungen zur Beratung anstehende Novelle zum Umweltinfor- gegen die Verwässerungen aus Brüssel zu verteidi- mationsgesetz. gen. Warum wollen Sie eigentlich Umweltinformatio- nen denjenigen verweigern, die von Umweltrisiken Danke schön. betroffen oder bedroht sind? Fürchten Sie deren Po- chen auf ihr Grundrecht auf körperliche Unversehrt- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, heit? bei der SPD und der PDS) Sie wissen doch, Frau Merkel, daß dies nicht der erste Fall deutscher Umweltschlamperei ist, über den Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächsten Red- die europäischen Behörden und der Europäische Ge- ner rufe ich den Kollegen Dr. Gerhard F riedrich auf. richtshof zu befinden haben. So hat die Europäische Kommission erst Anfang dieses Jahres zum ersten Mal beim Gerichtshof Zwangsgelder gegen die Bun- Dr. Gerhard Friedrich (CDU/CSU): Frau Präsiden- desrepublik beantragt, weil sie bis dahin die Grund- tin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin wasser- und Oberflächengewässerrichtlinien aus den Mehl, ich bin immer erstaunt darüber, daß eine so lie- Jahren 1977 und 1979 nicht umgesetzt hatte. benswürdige Kollegin so schreckliche Reden halten kann. (Dr. Gerhard Friedrich [CDU/CSU]: Forma -lismus!) (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Immerhin sind für diese Verstöße Strafen in Höhe von 800 000 DM pro Tag beantragt. Sparsamkeit Jedes Gesetz, das wir hier verabschieden, führt nach durch umweltpolitische Konsequenz wäre da leicht Ihrer Auffassung in die Katastrophe. Alle Gutachten, zu erzielen. Hat die Umweltministerin eigentlich den auch internationale der OECD, sagen uns aber: Die Bundeskanzler einmal gefragt, ob er ökologischer Umweltsituation in Deutschland wird immer besser. Musterschüler in der EU oder deren größter Bußgeld- zahler werden wi ll? (Ulrike Mehl [SPD]: Fragen Sie mal Ihren Sachverständigenrat, was der Ihnen sagt!) Die Bundesregierung ist der Meinung, der Grund für die nicht rechtzeitige Umsetzung der Richtlinien Sie verschließen die Augen und nehmen solche liege in der langjährigen Abstimmung mit Ländern Dinge nicht zur Kenntnis. und Bundesrat. Der wahre Grund ist jedoch der, daß die Umweltpolitik in Konfrontation nicht nur zur Op- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) position, sondern auch zu den Ländern formuliert wird. Eine Abstimmung auf der Basis Brüsseler Vor- Frau Kollegin Mehl, Sie haben gesagt, Sie legten gaben bei der Umsetzung von Richtlinien wird erst in jeder Legislaturperiode ein neues Naturschutzge- gar nicht gesucht. Ob Öko-Audit, Beschleunigungs- setz vor, während wir - das stimmt - jahrelang Pro- gesetze oder Wasserhaushaltsgesetz, immer häufiger bleme gehabt hätten, hier zu einem Gesetzesbe- landen Sie mit Ihrem Konfrontationskurs im Vermitt- schluß zu kommen. lungsausschuß. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Selbstblockade Heute, am Tag der Umwelt, sollten wir auch des der Koalition!) stillen und leisen Untergangs weiterer ökologischer Vorhaben der Bundesregierung gedenken. Hierzu Sie legen solche Gesetzentwürfe aber nur vor, weil zählt zum Beispiel die europäische Ozonrichtlinie, Sie wissen, daß Sie hier keine Mehrheit haben. die mit einem Schwellenwert von 240 Mikrogramm pro Kubikmeter und einer völlig falschen Meßme- (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der thode unvollständig umgesetzt worden ist. Wir kön- F.D.P.) nen nur bedauern, daß die mangelhafte Umsetzung Hätten Sie eine Mehrheit, dürften Sie so etwas nie dieser europäischen Vorgaben bisher noch nicht zu beschließen; denn dann würden Ihre Landwirt- einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof schaftspolitiker und Ihre Wi rtschaftspolitiker ein Veto geführt hat. einlegen. Der immer als großer Europäer apostrophierte Hel- mut Kohl entpuppt sich so, im Detail betrachtet, als (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Nein, stimmt Hinterbänkler der europäischen Umweltpolitik. nicht!) Ü-(Zustimmung beim BÜNDNIS 90/DIE GR Frau Kollegin Mehl, wir können jetzt nicht die ein- NEN und bei der SPD) zelnen Punkte Ihres Gesetzentwurfs abhandeln. Aber es gibt darin sechs oder sieben Vorschriften, die In einer beispiellosen Mischung aus Perfektion im ich in keinem Landesnaturschutzgesetz dort, wo die Unwichtigen und Schlamperei im Wichtigen hat SPD regiert, finde. Do rt, wo Sie Verantwortung tra- seine Ministerialbürokratie mittlerweile in ganz Eu- gen, beschließen Sie das, was Sie hier beantragen, ropa negative Umweltschlagzeilen gemacht. Sollte nicht. Deutschland einmal eine Vorreiterrolle besessen ha- ben, sie ist längst eingebüßt. Die Spatzen pfeifen es (Dietmar Schütz [Oldenburg] [SPD]: Welche schon von den europäischen Dächern. Es gilt, dies denn? - Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Erzählen endlich zu ändern, zum Beispiel durch unsere heute Sie mal!) 15974 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Dr. Gerhard Friedrich - Ich nenne Ihnen nur ein kleines Beispiel. Schreiben wenn Sie irgendwann einmal im Bundestag wirklich Sie doch in Ihre Landesnaturschutzgesetze: 10 Pro- die Möglichkeit haben, sie auch zu beschließen. zent der Fläche wird für Naturschutz reserviert. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Nächstes Jahr, (Ulrike Mehl [SPD]: 15 Prozent haben wir Herr Kollege! - Birgit Homburger [F.D.P.]: gefordert!) Das dauert noch!) Wir vollziehen das doch gar nicht auf Bundesebene. - Ja, das dauert noch, freilich. Darum haben Sie Pro- Sie könnten sehr viel Fläche in Ihren Ländern ohne bleme, das zu erkennen; das ist doch klar. Wer so gesetzliche Regelungen unter Naturschutz stellen. lange Naturschutz pur und Umweltschutz pur for- dert, der verliert den Bezug zur Realität; das ist natür- (Walter Hirche [F.D.P.]: Das ganze Saarland lich völlig richtig. als Naturschutzgebiet!) Meine Damen und Herren, wir haben uns wochen- Sie machen es aber nicht. Ich habe manchmal den lang bemüht, dem Bundesrat bei den Formulierun- Eindruck, wir sollen benutzt werden, um SPD-Län- gen des Naturschutzgesetzes entgegenzukommen. derregierungen zu dem zu zwingen, was sie gar nicht wollen. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Aha, also doch!) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU - Ja, sicher. - Wir haben einiges aufgegriffen. Es war und der F.D.P. - Widerspruch bei der SPD) bloß sehr schwer; der Bundesrat hat sich nur auf ein pauschales Nein verständigen können und leider - Ja, es ist so. nicht auf einen Forderungskatalog, aus dem hervor- Frau Kollegin Mehl, ich habe jetzt nicht alle Belege geht, was wir im Detail ändern können und sollen; dabei. Aber manchmal lese ich in den hektischen Ta- darüber sind sich die Länder nämlich selber nicht ei- gen doch noch Zeitung. nig. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Nanu!) (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So ist es!) Am letzten Montag habe ich in der „Süddeutschen Deshalb haben wir viele Einzelgespräche, auch mit Zeitung" einen interessanten A rtikel über ein Um- dem bayerischen und dem sächsischen Umweltmi- weltforum dieser Zeitung gefunden. Darin klingt es nister, geführt, denen ich für Ihre Mitwirkung herz- ganz anders. Auf dem Forum hat für Sie Wolfgang lich danken möchte. Wir haben nicht alles übernom- Clement gesprochen, der Wi rtschaftsminister und an- men, was sie uns vorgeschlagen haben, aber - das geblich künftige Ministerpräsident des Landes Nord- will ich Ihnen hier signalisieren - wir sind den Län- rhein-Westfalen. Ich lese Ihnen nur einmal zwei dern ein Stück entgegengekommen. Sätze vor: Jetzt kann ich aus Zeitgründen nur noch zu zwei Die konventionelle Umweltpolitik habe zwar Dingen kurz etwas sagen. Erstens. Der Komplex Na- große Erfolge erzielt, ... turschutz und Landwirtschaft beschäftigt uns seit vielen Jahren. Die Vorsitzende des Naturschutzbun- - das haben Sie noch gar nicht bemerkt, aber Herr des in Erlangen hat mir neulich bei einer Radtour ge- Clement - sagt, seit sie aufgehört habe, die Bauern über die Zei- (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der tung zu beschimpfen, könne man mit denen über Na- F.D.P.) turschutz ganz vernünftig reden. Wir haben ähnliche Erfahrungen gemacht. man könne aber keinesfalls so weitermachen wie (Beifall bei der CDU/CSU - Ulrike Mehl bisher. - [SPD]: Wer hat die denn beschimpft? - Wei (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Richtig!) terer Zuruf von der SPD: Dann sollten Sie damit aufhören!) Wenn beispielsweise in Nordrhein-Westfalen ein Projekt aus Umweltschutzgründen abgelehnt - Sie schreiben in Ihren Presseerklärungen - zum werde, freuten sich einige Kilometer weiter die Beispiel die Kollegin Mehl -, das neue Entschädi- Niederlande; sie verwirklichten das Projekt dann gungsrecht bedeute eine neue Subvention für die gerne. Landwirte. Daran habe man kein Interesse. (Eckart Kuhlwein [SPD]: Richtig!) Ich finde es wirklich toll: Die Umweltpolitiker der Ich bin absolut sicher, daß Sie diesen Satz verschwei- SPD reden, um den Beifall der Naturschutzverbände gen, wenn Sie ein Grußwort auf einem Bauerntag zu bekommen, und der nordrhein-westfälische Wi rt sprechen. -schaftsminister macht einen vorgezogenen Wahl- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - kampf mit dem Argument: Wir wollen weniger Um- Horst Sielaff [SPD]: Das stimmt doch nicht!) weltschutz und mehr Arbeitsplätze. Das geht wirk- lich nicht. Sie sprechen hier mit zweierlei Zungen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Ich möchte mich beim Kollegen Susset ausdrück- Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Europa!) lich für die ausgezeichnete Zusammenarbeit bei den vorbereitenden Gesprächen bedanken. Ich sage Ihnen noch einmal: Die Gesetzentwürfe, die Sie hier vorlegen, werden Sie deutlich verändern, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 15975

Dr. Gerhard Friedrich Wir haben uns schnell geeinigt, schwierige Probleme den Naturschutz vor Ort zu bemühen und mit ihren zu lösen. Ich erwähne nur zwei, drei Dinge. Finanzministern zu reden, daß mehr Mittel bereitge- stellt werden, arbeiten sie plötzlich mit den Argu- Wenn man mit einem Bauern verhandelt und ein menten der Finanzminister gegen unser Gesetz. Ergebnis mit Handschlag besiegelt, dann ist das so, wie er es will. (Dietmar Schütz [Oldenburg] [SPD]: Neue Anspruchsmentalität!) (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Dann stimmt es!) Das ist eine ganz tolle Sache. Dann ist er auch für Naturschutz zu haben. Wenn An dem neuen Entschädigungsrecht halten wir man ihn aber als Beamter über die Presse beschimpft, also fest. daß er alles falsch macht, und ihm einen Bescheid ins Haus schickt - manchmal ohne mit ihm zu reden -, Abschließend noch eine ganz kurze Anmerkung, dann ist er stinksauer. Deshalb bleiben wir beim Vor- ebenfalls zum Komplex Umwelt, Naturschutz und rang des Vertragsnaturschutzes. Landwirtschaft. Der Streit über die sogenannte Land- wirtschaftsklausel ist ja ganz interessant, aber weit- (Beifall bei der CDU/CSU) gehend nur von theoretischer Bedeutung; denn das, Die Länder, die das nicht möchten, praktizieren was ein Landwirt normalerweise macht, nämlich sein doch den Vertragsnaturschutz. Land bewirtschaften, ist nach der Eingriffsregelung - § 17 Abs. 2- von vornherein kein Eingriff, so daß nur (Zurufe von der CDU/CSU: So ist es!) ganz wenige Maßnahmen möglicherweise ein Ein- griff sind. Ich verstehe die Diskussion gar nicht. Die haben uns gesagt: Je größer der Widerstand der Bauern ist, de- Dann überhaupt kommt es auf eine Landwirtschafts- sto mehr gehen wir über vom hoheitlichen Handeln klausel an. zum Verhandeln. Je mehr Widerstand - den Ein- druck habe ich manchmal -, desto mehr Geld gibt ist, Noch eine Anmerkung; dann mache ich wirklich was auch bedenklich ist. Was die kritisieren, machen Schluß. Die SPD will die Landwirtschaftsklausel total sie längst, und wir schreiben es halt ins Gesetz. streichen und den Landwirten vorschreiben, wie sie sich zu verhalten haben. Die Vorschrift lautet: (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Eben, das habe ich gesagt!) Daher sind die Regeln umweltschonender Land- und Forstwirtschaft in den Bereichen Düngung, Zweitens. Das, was Sie, Frau Kollegin Mehl, als Pflanzenschutz, Bodenbearbeitung und Boden- eine Subvention bezeichnen, ist eine vernünftige Sa- pflege, Anbausysteme ... anzuwenden. che. Wenn ich das meinen Bauern zeige und sage: Das (Horst Sielaff [SPD]: Wer soll das bezahlen?) habt ihr jetzt zu beachten, dann halten die mich wirk- Das neue Entschädigungsrecht trägt der Tatsache lich für verrückt. Deshalb: Beschließen Sie so etwas Rechnung, daß kein Landwirt mehr die Rechtspre- nicht! chung zum Enteignungsbegriff versteht. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wer soll das denn bezahlen?) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort erhält - Frau Kollegin Fuchs, das ist ganz einfach: Da ent- jetzt der Kollege Michael Müller. scheiden wir nicht politisch, sondern wir schauen ins - Grundgesetz. Im Grundgesetz steht: Für den Vollzug Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Frau Präsiden- des Naturschutzrechts sind die Länder zuständig. tin! Meine Damen und Herren! Ich muß vier Vorbe- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sie wollen es merkungen machen. Die erste Vorbemerkung richtet also nicht bezahlen!) sich an den Kollegen F riedrich. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß der vorliegende Entwurf nicht der Ent- Sie wissen doch - ich glaube, Sie waren sogar mit mir wurf der Umweltpolitiker ist, sondern der Entwurf in der Verfassungskommission -, daß der, der ein Ge- der SPD-Bundestagsfraktion unter Einschluß der setz vollzieht, auch die Kosten tragen muß. Wirtschaftspolitiker, der Finanzpolitiker etc. Betrei- ben Sie bitte nicht solche Spaltungen. Das sind Kin- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Nein!) kerlitzchen. Es ist schon wirklich eine tolle Sache, daß uns der (Beifall bei der SPD) Bundesrat in seinen Stellungnahmen im Grunde ge- nommen zwei Kernsätze herübergeschickt hat: Er- Zweite Bemerkung in diesem Zusammenhang. Sie stens. Wir wollen mehr Naturschutz. Zweitens. Wir werden sich wundern: Wir werden einen entspre- Länder sind nicht bereit, einen Pfennig mehr für Na- chenden Antrag in den Bundesrat einbringen, und turschutz zu bezahlen. zwar mit Zustimmung der SPD-Länder. Dann werden wir weitersehen. Sie werden sich täuschen. So ein- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) fach kommen Sie nicht aus Ihrer Position heraus. Die SPD wird in diesem Punkt geschlossen bleiben. Besonders übel nehme ich es den Umweltministern der SPD, daß sie hier mit den Argumenten der Fi- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne nanzminister kämpfen. Statt sich um mehr Geld für ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 15976 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Michael Müller (Düsseldorf) Dritte Bemerkung an Sie, Herr F riedrich. Sie täu- liarden DM gelegen haben. Ich wiederhole: 610 Mil- schenliarden sich: Wir beschimpfen nicht die Bauern.DM. Im Gegenteil, wir wissen, daß wir bei einer solch wichti- gen Frage möglichst viel im Konsens machen müs- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Was ver sen. Das ist uns völlig klar. Denn es geht hier nicht stehen Sie in diesem Zusammenhang unter um eine technische Änderung, sondern um eine tief- Produzieren?) greifende Veränderung in unserem Verständnis von der Natur. Aber wir beschimpfen Sie. Das ist richtig, und das dürfen wir. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Müller, ge- statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rieder? (Beifall bei der SPD)

Meine vierte Vorbemerkung. Herr Kollege Rieder, Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Ja, natürlich. ich muß, weil Sie mich angesprochen haben, auch auf Sie eingehen. Leider muß ich jetzt meine Rolle (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr ein bißchen wechseln. Jetzt spreche ich auch als Vor- Dr. Norbert Rieder Kollege Müller, bedeuten Ihre Einlassungen, daß Sie sitzender eines Verbandes und als Präsidiumsmit- voll hinter der Passage im SPD-Entwurf über die Zu- glied des DNR, also des Deutschen Naturschutzrings. lassung von Verbänden stehen, die im Klartext be- (Widerspruch bei der CDU/CSU) deutet, daß die Deutschen Gebirgs- und Wanderver- eine, zu denen ja die Touristenfreunde ebenfalls ge- - Er hat mich darauf angesprochen. Dann darf ich hören, nicht mehr anerkannt werden sollten? darauf auch bitte reagieren. Soll das auch bedeuten, daß die Arbeitsgemein- (Zurufe von der CDU/CSU) schaft der Naturfreunde in Baden-Württemberg e.V., die dort ein anerkannter Naturschutzverband ist und - Natürlich spreche ich auch als Abgeordneter. bekanntlich aus dem württembergischen und dem badischen Landesverband besteht, daß der Landes- Wir haben in diesem Präsidium Ihren Entwurf verband Bayern e.V. der Deutschen Gebirgs- und übereinstimmend abgelehnt. Sie wissen, do rt sind Wandervereine, daß in Brandenburg der „Touristen- nicht nur reine Naturschutzverbände, sondern bei- verein Die Naturfreunde", daß in Hessen der Deut- spielsweise auch die Gebirgs- und Wandervereine, sche Gebirgs- und Wanderverein, daß in Rheinland die Reiterliche Vereinigung und viele andere vertre- Pfalz die „Naturfreunde, Verband für Umweltschutz, ten. Wir machen diese Form der Spaltung, die Sie Touristik und Kultur" , Hohenzollernstraße - dies sind damit sozusagen in die Naturschutzverbände hin- nur einige Beispiele - entsprechend Ihrer Aussage eintragen wollen, nicht mit. Da bleiben wir ge- ihre Anerkennung nach dem bisherigen § 29 des schlossen. Wir lehnen diesen Entwurf geschlossen Bundesnaturschutzgesetzes dann verlieren? ab. Das müssen Sie wissen. So lassen wir mit uns nicht spielen. Oder würden Sie mir zustimmen, daß dies äußerst bedauerlich wäre, weil das genau zu dem führen (Beifall bei der SPD) würde, was Sie gerade gegeißelt haben, nämlich zu einer Spaltung bei denjenigen, die sich aktiv für den Ich mache nicht mit, daß man eine sozusagen dog- Naturschutz auf den verschiedenen Ebenen einset- matische Spaltung zwischen Naturnutzern und Na- zen? turschützern herbeiführt. Das halte ich für falsch. (Beifall bei der CDU/CSU) Aus meiner Sicht ist jeder Naturschützer in- gewisser Weise auch ein Naturnutzer; das ist völlig klar. Aber nicht jeder Naturnutzer ist auch ein Naturschützer. Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Herr Rieder, Sie Hier fängt der Streit an. sind wirklich schlecht informiert; denn wir sind nur in einigen Bundesländern anerkannt, und zwar do rt (Beifall bei der SPD) - ich lege Wert darauf, daß das auch in Zukunft so ge Landesorganisation weit Insofern: Wenn ein Verband nicht überwiegend bleibt -, wo die jeweili Naturschutzfragen verpflichtet ist, darf er auch keine überwiegend im Naturschutz arbeitet. Wenn das entsprechende Anerkennung finden. In diesem nicht der Fall ist, hat sie auch keine Anerkennung verdient. Punkt sind wir hart, und das wird auch so bleiben. Es ist gut, daß es dazu bei uns Übereinstimmung gibt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie Das gilt auch für meinen eigenen Verband. In die- der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE ser Frage wird sich an meiner Position nichts ändern. GRÜNEN]) Die Arbeit muß zum überwiegenden Teil im Natur- und Umweltschutz erfolgen; sonst darf es aus meiner Meine Damen und Herren, 1992 hat das Fraunho- Sicht keine Anerkennung geben. fer-Institut für Systemtechnik und Innovationsfor- schung die Analyse vorgelegt, daß im Jahre 1990 die (Beifall bei der SPD) Kosten für volkswirtschaftliche Schäden an Umwelt und Gesundheit durch unsere Art des Produzierens Das ist sehr unterschiedlich. In manchen Ländern ha- allein in den alten Bundesländern bei etwa 610 Mil- ben wir deshalb keine Anerkennung gefunden. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 15977

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Müller, ge- aufzuzeigen, die vielleicht sogar etwas schwieriger statten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten ist, die zu begreifen ich aber für wichtig halte. Hellwig? Aus meiner Sicht ist die Debatte über das Natur- schutzgesetz im wesentlichen eine Debatte über un- Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Ja. Aber ich ser Verständnis von Natur. Hier zeigt sich ein Bruch denke, wir sollten auch noch mal zum Thema kom- mit einem Fortschrittsverständnis, das sich über Jahr- men. hunderte entwickelt hat, der nach den Erfahrungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen am Ende die- ses Jahrhunderts notwendig ist. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Sie kennen ja die Frage noch nicht. Dies ist eine ungeheuer wichtige Frage. Ich will das an einigen wenigen Punkten deutlich machen. Wenn wir beispielsweise in diesem Parlament kri- Dr. Renate Hellwig (CDU/CSU): Ich habe eine sehr einfache Frage an Sie, Herr Müller, nämlich die: Hal- tisch über manche Technikfragen diskutieren, so ten Sie es eigentlich mit Ihrem Mandat als Abgeord- hat das auch etwas damit zu tun, daß wir bei un- neter für vereinbar, daß Sie an dieses Rednerpult ge- serem Fortschrittsverständnis wissen, daß die tradi- hen und sagen: „Ich spreche jetzt als Verbandsvorsit- tionelle Reduktion auf den Dualismus: Mensch zender"? Haben Sie sich einmal überlegt, was es be- und Wirtschaft auf der einen Seite und Natur und deuten würde, wenn jeder hier an das Rednerpult Umwelt auf der anderen Seite nicht durchzuhalten ginge und so etwas sagte? ist. Dieser Dualismus, der auf dem Weltbild von (Eckart Kuhlwein [SPD]: Unglaublich! - Descartes entstanden ist, sozusagen mit der Idee, Weitere Zurufe von der SPD) daß der Mensch Herr und Nutzer der Natur ist, hat Wir bekämen ein reines Standesparlament. Das wäre unser Denken und Handeln zutiefst geprägt. Aber kein echtes Parlament mehr, wenn hier jeder als Vor- das ist nicht durchhaltbar, wenn wir die Zukunft sitzender eines Verbandes spräche. bewahren wollen. (Zurufe von der SPD) (Beifall bei der SPD) Das ist der eigentliche Konflikt, der beispielsweise Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Erstens handelt in der Bewertung von Technik, von Natur, von Um- es sich um eine ehrenamtliche Funktion. welt usw. von zentraler Bedeutung ist. Es war René Descartes, in der Folge dann aber auch Galilei, Kep- Zweitens. Im Unterschied zu vielen anderen Lob- ler, Newton und andere, die immer davon geredet byisten sage ich, woher ich komme. Das ist schon viel haben, der Mensch könne sich der Natur bedienen, wert. daß es sozusagen hier die Sphäre des Menschen und (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE dort die sich selbst regulierende Natur gibt. GRÜNEN und der PDS) Spätestens seit der Quantenphysik aus den 20er Jahren wissen wir, daß dieses Weltbild falsch Drittens muß ich Ihnen sagen: Ich hätte das gar ist. Wir haben im Naturprozeß selbst Unsicherhei- nicht erwähnt, wenn ich nicht darauf angesprochen ten, und zwar nicht nur wegen fehlender wissen- worden wäre. Man kann mich nicht ansprechen und schaftlicher Kenntnisse. Dies wissen wir spätestens erwarten, daß ich darauf nicht reagiere. Liebe Frau seit der Theorie der offenen Systeme aus den Kollegin, ich glaube, Sie verwechseln jetzt ein wenig 60er Jahren. Deshalb ist die Auseinandersetzung, die Gepflogenheiten des Parlaments mit der- Notwen- die wir hier über die Frage des Naturverständnis- digkeit zur Aufklärung. Diese habe ich hier zu leisten ses führen, eine fundamentale Auseinandersetzung versucht. auch mit dem Verständnis von Fortschritt und von (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Zukunft. GRÜNEN und der PDS) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Ich habe darauf hingewiesen, daß wir in unserer ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung um etwa und der PDS) 610 Milliarden DM ärmer wären, wenn wir die volks- Bewahren ist eine zentrale Zukunftsfrage. Es gibt wirtschaftlichen Schäden durch Umwelt- und Ge- in der Natur drei Elemente, die mit unserem traditio- sundheitszerstörung einbeziehen würden. nellen Fortschrittsverständnis nicht übereinstimmen: (Zuruf von der CDU/CSU: Können Sie das erstens die Endlichkeit der Natur, zweitens die Stör- einmal präzisieren?) anfälligkeit der Natur und drittens die Tatsache, daß die Zeitrhythmen der Natur völlig anders sind als die - Das kann man tun. Ich kann Ihnen die Studie der Beschleunigungsrhythmen der industriellen Gesell- Fraunhofer-Gesellschaft auch zuschicken. Sie sind ja schaft. sehr wissenschaftsgläubig; vielleicht hilft das. Wir müssen wissen: Wenn wir diese Grundfragen Wenn in unserem Jahrhundert der Ökonomie die der Moderne nicht neu beantworten, werden wir ökonomischen Gründe dafür, daß wir mehr Rücksicht auch nicht in der Lage sein, die Zukunftsprobleme zu auf die Natur nehmen müssen, schon nicht zählen, so lösen. Insofern ist die Auseinandersetzung, die wir will ich doch versuchen, hier eine Argumentation hier über das Naturschutzgesetz führen, keine Aus- 15978 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Michael Müller (Düsseldorf) einandersetzung nur über ein Gesetz. Es ist eine weil dies die zentrale Frage für die Bewältigung der Auseinandersetzung um die Philosophie der Mo- Zukunftsprobleme wird. derne, um die Philosophie, wie wir wirklich noch Zu- kunftsprobleme in einer zerbrechlichen Welt lösen Vielen Dank. können. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Dr. Heiner Hier wird sich entscheiden, ob wir zur Einsicht fä- Geißler. hig sind. Ich bekomme es mit, wie einige, wenn wir beispielsweise in den Fraktionen, in Ausschußgre- Dr. Heiner Geißler (CDU/CSU): Herr Müller, ich mien usw. über einzelne Pflanzen- oder Tierarten re- möchte etwas zu dem sagen, was Sie gerade ausge- den, anfangen zu lachen. Ich kann das nachvollzie- führt haben. Ich kann diesem philosophischen An- hen. Ich sage nur: Dieses Lachen ist auch ein Zeichen satz voll zustimmen. Es ist auch richtig, daß die Nut- dafür, daß wir diese Fragen zu wenig durchdacht ha- zung der Natur in den vergangenen Jahrzehnten ben. Wir kommen nicht daran vorbei, die Natur um überdimensional zugenommen hat. Dies gilt für den ihrer selbst willen anzuerkennen. Die Zukunft wird wirtschaftlichen und den technischen Bereich ebenso heißen: Bewahren im Interesse des Mitmenschen wie für den Bereich der Erholung. Bei letzterem ist und der Mitwelt. dies insbesondere durch die Verbesserung der Klei- dung und die Saisonunabhängigkeit vieler Tätigkei- Übrigens gilt dieses Fortschrittsverständnis, das ten erreicht worden. Man kann heute im Winter in früher vielleicht konservativ war, nicht nur für die der Natur Sport treiben. Das hat man früher gar nicht Ökologie. Es gilt genauso für den sozialen Bereich. so gekonnt, wenn man nicht gerade Ski gefahren ist. Wenn wir nicht beispielsweise bestimmte soziale Er- rungenschaften bewahren, sind wir nicht modern, Ich stimme Ihnen auch zu, daß wir eine Verantwor- sind wir nicht fortschrittsorientiert, erkennen wir tung für die kommenden Generationen haben. Wir nicht, daß in einer sich ständig wandelnden Gesell- sind im Grunde genommen wie Parasiten. Wir kön- schaft gerade das Bewahren von modernen Errun- nen die gesamte Biosphäre vernichten, aber wir kön- genschaften ein wesentliches Element ist, um über- nen im Gegensatz zu anderen Parasiten unsere Kin- haupt Zukunft gestalten zu können. der nicht auf einen anderen Wi rt schicken, wenn der jetzige stirbt. Ich stimme Ihnen völlig zu. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) Ich wende mich Ihnen zu, weil - wie Frau Mehl es auch gesagt hat - in § 55 des Bundesnaturschutzge- Wir lehnen diesen Gesetzentwurf aus verschiede- setzes Verbände anerkannt und einbezogen werden nen Gründen ab. Meine Vorredner von der SPD sollen, die eine entsprechende Nutzung von Natur und auch von der übrigen Opposition haben dies und Landschaft, insbesondere für Zwecke land- zu Recht begründet. Ich wi ll aber sehr wohl sagen: schafts- und naturverträglicher Erholung, fördern. Uns ist klar, daß dies eine Debatte ist, die über die Ich bin ja selber in ein etwas merkwürdiges Licht ge- einzelnen technischen Elemente hinausgeht. Es ist raten, weil ich sehr dafür plädiert habe, daß diese Be- eine Debatte, die überall in der Gesellschaft geführt stimmung mit hineinkommt. Mir wurde nachher vor- werden muß. Wenn dieses neue Naturverständnis gehalten, ich würde hier etwas gegen den Natur- nicht in die Wissenschaft, in die Wi rtschaft und in schutz unternehmen. die Verbände des öffentlichen Lebens eindringt,- Ich bin zu dieser Überlegung einfach aus der prak- werden wir diesen Wechsel, den wir brauchen, tischen Erfahrung heraus gekommen. Wenn man nicht erreichen. dieses neue Verständnis von Natur durchsetzen wi ll, Deshalb, Frau Ministerin, appelliere ich sehr an kann man das nicht in einer alternativ-radikalen Sie, daß dieses große Thema Nachhaltigkeit, das aus Gegnerschaft machen. Vielmehr muß man diejeni- meiner Sicht auch ein anderes Naturverständnis be- gen, die an der Nutzung beteiligt sind, soweit es inhaltet und das Sie jetzt wieder in New York behan- möglich ist, in diese Aufgabe mit einbeziehen. deln, von Ihnen als Chance genutzt wird, Einsichten Ich will es an einem Beispiel deutlich machen. Es und neue Lernprozesse auszulösen. Wenn wir das macht überhaupt keinen Sinn, Kletterer, Wanderer, Prinzip der Nachhaltigkeit ernst nehmen, bedeutet Gleitschirmflieger oder Radfahrer nicht anzuhören, das ein anderes Verständnis der Natur. Dies wird im wenn es zum Beispiel darum geht, Landschaftsteile Gesetzentwurf der Bundesregierung aus unserer unter Biotopschutz zu stellen. Sie sollen nach dem Sicht völlig unzureichend gesehen. Wir halten dieses Gesetzentwurf nicht mitentscheiden; aber es ist doch Gesetz in manchen Punkten sogar für einen Rück- vernünftig, wenn ich diesen Personen die rechtliche schritt. Möglichkeit gebe, angehört zu werden. Bitte nutzen Sie diese Debatte um Nachhaltigkeit, Ich will ein ganz praktisches Beispiel nennen. Die weil Sie vielleicht nicht in der Lage waren, heute Frage, ob man an bestimmten Felsen klettern kann, weitergehende Gedanken durchzusetzen, um noch hängt zum Beispiel davon ab, ob do rt Wanderfalken einmal einen neuen Anschub zu bekommen. Wir brüten. Nun gibt es in einigen Ländern Bestimmun- brauchen ein anderes Verständnis von der Natur, gen, die eine ganzjährige Sperrung dieser Felsforma- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 15979 Dr. Heiner Geißler tionen vorschreiben; do rt gibt es also Totalverbote. entsprechenden Verbände, die die ideellen Interes- Das kapiert derjenige, der klettern will, nicht; denn sen vertreten, zur Geltung zu bringen. Wanderfalken brüten ungefähr von März bis August, und in der übrigen Zeit ist ein Artenschutz für Wan- Die zukünftigen Nutzungsinteressen werden in derfalken durch eine Totalsperrung sinnlos. den Abwägungsprozeß mit einbezogen. Das halte ich für ein außerordentlich großes Problem, weil zwei Wir praktizieren es im Pfälzer Wald so - wir brau- Verfahren vermischt werden, die auf dieser Ebene chen gar keine untere Naturschutzbehörde -, daß meines Erachtens nicht vermischt gehören. sich die Vogelschützer, die Felskletterer und der Alpenverein an Weihnachten zusammensetzen und Danke. miteinander überlegen, welche Felsen ab welchem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Termin abgesperrt werden.

Als nächste spricht Herr Kollege Geiß- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und ler, kommen Sie zum Schluß. Reaktorsicherheit, Frau Dr. Angela Merkel.

Dr. Heiner Geißler (CDU/CSU): Ich bin gleich fer- tig. Dr. Angela Merkel, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Frau Präsidentin! Dann setzen sich die Klettererverbände mit den Meine Damen und Herren! Herr Müller, wir stimmen Vogelschützern dafür ein, daß die Regeln eingehal- vollkommen überein, daß diese Debatte über das Na- ten werden. Ich plädiere dafür, daß wir die Kanufah- turschutzgesetz Gelegenheit bietet, über unser Ver- rer, die Kletterer, die Wanderer und alle, die sich in ständnis von Natur zu sprechen und damit auch über der Natur erholen wollen, in die Aufgabe des Natur- unser Verständnis von Fortschritt, von menschlichem schutzes mit einbeziehen und sie von dieser Aufgabe Arbeiten, Leben und Wirken. Diese Chance sollten nicht aussperren. Das ist der Sinn dieser Bestim- wir auch nutzen. mung. Deswegen habe ich mich dafür eingesetzt. Ich muß Ihnen sagen, daß wir bei der Erstellung und Novellierung dieses Bundesnaturschutzgesetzes Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Abgeordneter eigentlich eine ganze Zeit lang ein sehr gutes Ge- Müller, möchten Sie antworten? sprächsklima hatten. Ich möchte mich zu Beginn ge- rade für meine Fraktion bedanken für viele sehr, sehr Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Ja. gute Diskussionen mit den Landwirten, mit den Forstwirten, mit denen, die wir gemeinhin als Nutzer Herr Kollege Geißler, ich habe gesagt, daß ich bezeichnen. Danken möchte ich ausdrücklich auch diese ri gide Haltung auch nicht teile. Allerdings denen, die an der Verbesserung des Regierungsent- bleibe ich bei meinem Grundsatz, daß die Anerken- wurfes in den letzten Wochen und Monaten mitgear- nung von Verbänden die überwiegende Beschäfti- beitet haben. gung mit Natur- und Umweltschutz voraussetzt. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich finde, das ist eine Notwendigkeit angesichts der heutigen Strukturen, damit die Umwelt und die Diese Diskussion hatte eine lange Strecke auch die Natur überhaupt eine wirksame Stimme bekommen. Naturschutzverbände eingeschlossen. Auch da bin Ich würde mich immer dagegen wehren, wenn Um- ich für viele Gespräche dankbar. Aber sie sind an welt- und Naturverbände eine A rt „closed shop" einem bestimmten Punkt wieder in das klassische praktizierten. Das geht nicht. - Muster des Ja oder Nein, von schwarz oder weiß und Ich bin zutiefst der Meinung, daß die Idee der auf Formeln wie „Rückschritt" und „auseinander Nachhaltigkeit die Chance in sich birgt, dieses Na- geflogen" verfallen. Ich bedaure dies sehr, weil ich turverständnis breit in die Gesellschaft hineinzutra- nach wie vor meine, daß dieser Gesetzentwurf - gen. Bei der Anerkennung von Verbänden muß es wenn es abgestimmte Alternativen gibt, soll es mir bestimmte Grundsätze geben. Der Maßstab der über- recht sein - eine Grundlage dafür bietet, diese Dis- wiegenden oder fast ausschließlichen Beschäftigung kussion im Bundesrat fortzusetzen. mit Umwelt- und Naturschutz ist für mich unverzicht- Ich habe die dringende Bitte: Benutzen Sie dieses bar. Bundesnaturschutzgesetz nicht als eine Form der ge- samtpolitischen Auseinandersetzung, sondern führen Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort zu einer Sie diese Debatte über die Frage des Fortschritts und zweiten Kurzintervention wünscht Ulrike Höfken. des Verständnisses, von Natur und begrenzten Res- sourcen weiter. Das wäre mein erster Wunsch. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich Wir haben in der Tat am Beispiel der Natur gelernt, möchte nur etwas klarstellen. Ich denke, die Mitwir- daß unsere Ressourcen endlich sind, knapp sind und kung und Einbindung ist wirklich etwas Positives, sich zum Teil in ganz anderen Zeitläuften entwickeln, das wir alle unterstützen wollen. Aber die bundes- als wir es von der Industriegesellschaft gewohnt sind. rechtlich vorgesehenen Verfahren, um die es hier Genau an dieses in einer sehr stark urbanisierten Ge- geht, sind keine runden Tische. Das ist der entschei- sellschaft verlorengegangene Verständnis müssen dende Unterschied. Hier wird der Naturschutz eines wir anknüpfen. Das müssen wir - da sind wir im all- Instruments beraubt, seine Interessenslage und die gemeinen nicht auseinander - ganz bestimmt zusam- 15980 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Bundesministerin Dr. Angela Merkel men mit denen tun, die die meiste Naturfläche be- Herr Müller und auch Frau Mehl, wir haben uns im wirtschaften, die die Zeitläufte do rt sehr gut kennen: übrigen in der Debatte, ob wir „Leistungsfähigkeit"

Das sind die Land - und Forstwirte. Auch in diesem oder, wie jetzt im Entwurf des Parlamentes, „Funkti- Punkt sind wir im generellen immer noch auf dersel- onsfähigkeit" des Naturhaushaltes schreiben, sehr ben Seite. wohl mit dem Eigenwert der Natur auseinanderge- setzt. Ich bin sehr dankbar - darüber gab es längere Nun geht es aber um die Frage, welche Rolle die Diskussionen -, daß wir jetzt „Funktionsfähigkeit" Natur bei der Rechtsetzung spielt. Es ist doch gar sagen, weil es eben nicht nur um die Leistung geht. keine Frage, daß die Natur auch um ihrer selbst wil- Das ist etwas, was doch auch Sie begrüßen. Das sollte len geschützt werden muß. Ein Verfassungsgrund- man, trotz all der Schwierigkeiten, die Sie mit uns satz besagt, daß wir die natürlichen Lebensgrundla- noch haben, auch einmal sagen. gen auch für zukünftige Generationen, aber auch aus sich selbst heraus bewahren müssen. Sie wissen ganz genau, daß es einen Riesenunterschied zwi- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge schen einer philosophischen Aussage und einer ordneten der F.D.P.) Rechtsetzung gibt, bei der sich natürlich die Frage er- gibt: Wenn die Natur um ihrer selbst willen geschützt Es stellt sich die Frage: Was kann ein Rahmenge- werden soll, wer ist dann eigentlich die menschliche setz leisten? Sie sagen nun, wir sollen festlegen, Instanz, die festlegt, was Naturschutz um seiner 10 Prozent der Fläche müßten oder sollten unter selbst willen ist und was nicht? Das ist so einfach Schutz gestellt werden. Das kann nichts weiter als nicht zu klären. eine Empfehlung sein. Es gibt Länder, wie zum Bei- Es geht um die Frage: Wer vertritt eigentlich die spiel mein Heimatland Mecklenburg-Vorpommern, Natur vor Gericht? Was ist das Leitbild dieses Ver- die das erfüllt haben, und es gibt Länder, die das bei ständnisses? Um welche A rt von Natur geht es denn? weitem nicht erfüllt haben. Es ist jedem unbenom- Natur ist immer vom Menschen beeinflußt. Was ist men, dies umzusetzen. Mir wäre es wirklich viel lie- unser Leitbild? Das 11. Jahrhundert, das 12. Jahrhun- ber, alle Länder hätten das in Angriff genommen, als dert? Wir müssen akzeptieren, daß sich die Natur mit daß wir in einem Rahmengesetz etwas niederlegen, dem Menschen geändert hat, daß es eine Evolution von dem ich fachlich überzeugt bin. Wir haben in gibt, daß es auch eine Regenerationsfähigkeit gibt. verschiedenen Stellungnahmen gesagt, daß wir ge- Mit diesen Fakten müssen wir sorgsam umgehen. Es nau dies brauchen; aber wir brauchen das nicht als darf nicht dazu kommen, daß es in der Gesellschaft eine unverbindliche Festlegung in einem Rahmenge- eine Gruppe gibt, die die Natur vertreten und um ih- setz, die keinem etwas nutzt. Sollen das doch die Länder machen, die uns kritisieren! Nichts wie ran rer selbst willen schützen darf, und alle anderen sind dann sozusagen die Bösen, die alles kaputtmachen. und fröhlich zugeschritten! Diese Aufteilung klappt nicht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Ulrike Mehl [SPD]: Genau das machen Sie!) In den letzten Jahren sind - das wissen Sie wie Natürlich wird jede Debatte der Rechtsetzung ich - die Debatten über den Naturschutz lokal eher dann ganz schwierig. Ich denke schon - ich glaube, schwieriger als leichter geworden. Woran liegt das der Kollege Heiner Geißler ist nicht mehr anwesend -, denn? Das kann allein an der bösen Bundesregie- daß es Aufgaben, auch die des Schutzes der Natur, rung wohl nicht liegen, sondern das muß doch etwas gibt, die von einigen Verbänden mehr und von ande- mit der Akzeptanz des Naturschutzes vor Ort und ren weniger wahrgenommen werden, und- daß man mit der Art und Weise der Umsetzung zu tun haben. deshalb nicht sagen kann, daß jeder, der schon ein- mal einen Schritt in die Natur gesetzt hat, nun auch das gleiche Mitspracherecht in diesem Verfahren (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) hat. Darüber gab es bei uns sehr wohl auch kritische Auseinandersetzungen. Da muß man ganz selbstkritisch sagen: Diejenigen, Aber ich sage auch: Die Naturschutzverbände ha- die sich für Naturschutz interessieren, sind an vielen ben natürlich die große Angst, daß sie sich nun in ei- Stellen an den Rand der Gesellschaft gedrängt wor- nem Bereich, in dem sie lange Zeit allein sein konn- den und damit zum Teil Fundamentalisten gewor- ten und durch den Gesetzgeber auch nicht besonders den. Deshalb müssen wir politisch versuchen, sie protegiert wurden, mit anderen auseinandersetzen wieder in die Mitte der Gesellschaft zu holen. Das müssen und daß ihre monopolartige Rolle ins Wan- heißt dann aber, daß es genau das geben muß, was ken gerät. Ein Stück weit soll ihre Rolle aufrechter- heute hier schon vielfach besprochen wurde: Aus- halten bleiben. Aber man darf sich dem Dialog nicht gleich, Gespräch und praktikable Lösungen suchen. verschließen und sagen: Wir bestimmen, wer am Na- Sie werden mit einer Gruppe in der Gesellschaft keine praktikablen Lösungen finden, nämlich mit de- turschutz beteiligt wird. nen, die Landwirtschaft und Forstwirtschaft betrei- Schauen Sie sich einmal die Praxis in den Ländern ben, wenn Sie sagen: Uns ist das ungeheuer wichtig; an. So einheitlich, wie man denkt, ist das schon lange wir schreiben in ein Rahmengesetz etwas von 10 Pro- nicht mehr. Verschiedene Verbände sind längst aner- zent oder 15 Prozent zu schützende Fläche, aber kannt - das ist hier auch diskutiert worden -, und so wenn es auch nur einen Pfennig kostet, sind wir nicht wird es auch weitergehen. bereit, denjenigen, die aus guten Gründen Nut- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 15981 Bundesministerin Dr. Angela Merkel zungsbeschränkungen auferlegt bekommen, dafür konkretisieren. Sie wissen, daß nicht nur im - noch einen Ausgleich zu zahlen. Das ist doch nicht ehrlich. nicht beschlossenen - Bundes-Bodenschutzgesetz (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Grundlagen für die gute fachliche Praxis verankert Horst Sielaff [SPD]: Wir sind für den Aus sein werden, sondern daß zum Beispiel auch in der gleich! Nur darüber, wer zahlen soll, strei Düngeverordnung bereits ganz klar geregelt ist, was ten wir!) die gute fachliche Praxis ist. In diese und andere Fachgesetze und -verordnungen gehören Festlegun- - Jetzt kommen wir der Sache schon näher. Manche gen bezüglich der guten fachlichen Praxis, weil diese sind für den Ausgleich, manche sind gegen den Aus- wichtig, ja wesentlich ist. gleich. Sie sagen gerade, Sie sind für einen Aus- gleich, aber gleichzeitig erklären Sie, die Länder Nun sagen Sie, es müßten allgemeine Betreiber könnten nicht zahlen. Die Länder sind zwar verant- pflichten aufgeschrieben werden. Wir glauben, daß wortlich und haben auch in der Verfassungskommis- wir dem durch die Aufzählung der Gesetze nachge- sion darum gebeten, mehr Verantwortung zu bekom- kommen sind. Sie fordern, diese Pflichten explizit men, und Sie alle sind der Meinung, daß wir unbe- aufzuführen. Darüber kann man streiten, aber tun dingt auch regional und verbrauchernah wirtschaf- Sie doch bitte nicht so, als ob zwischen Ihrem Ver- ten müssen. Aber dann sagen Sie, der Bund müsse es ständnis, was man über Landwirtschaft sagen muß, bezahlen; für solche Probleme gebe es den Bund- und dem unseren Welten liegen. Länder-Finanzausgleich, in dem das geregelt sei. Jetzt kommt allerdings ein wichtiger Punkt: Wenn Dazu sage ich Ihnen nur, was Sie doch selbst wis- Anforderungen an die Nutzer - aus wohlverstande- sen: Die Beträge, über die wir an dieser Stelle spre- nen Gründen des Naturschutzes - über das Maß der chen, sind geringer als diejenigen, die der Bund oh- guten fachlichen Praxis hinausgehen, dann hat der nehin jedes Jahr in seiner gesamtstaatlichen Verant- Landwirt, wenn diese Anforderungen über die So- wortung für Bundesnaturschutzprojekte ausgibt zialpflichtigkeit seines Eigentums hinausgehen, ein Recht darauf - das übrigens jeder in unserer Gese ll (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!) -schaft hat -, dafür einen Ausgleich zu bekommen. und die die Länder dankend annehmen, weil sie sel- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist ber oft nicht einmal die Mittel zur Verfügung haben, recht und billig, ja!) die wir ihnen geben. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wer diesen Ausgleich nicht gewähren will, der zeigt von vornherein, daß ihm Naturschutz nicht so viel Hier kommt dann an den Tag, ob man redlich ist oder wert ist, wie er immer behauptet. nicht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Der Landwirtschaftsklausel, wie sie im geltenden ordneten der F.D.P.) Naturschutzgesetz steht, ging seinerzeit eine nicht immer einfache Diskussion mit den Landwirten vor- Eines wissen wir auch: Nur mit dem Herzen und der aus. Sie gewährleistet nicht mehr in jedem Fall, daß Liebe zur Natur bringen wir den Naturschutz nicht die ordnungsgemäße Landwirtschaft den Anliegen voran. Das gilt hier genauso wie in anderen Berei- des Naturschutzes dient. Es war für die Landwirte chen unserer Gesellschaft. ein weiter Weg, sich diesem Gedanken anzunähern. Hinsichtlich der vielen Unterstützungsmaßnahmen Wir haben jetzt gesagt: Die landwirtschaftliche Tä- für die Landwirtschaft bin ich mit Ihnen gänzlich ei- tigkeit stellt in der Regel keinen Eingriff in den Na- ner Meinung: Ich würde manches Geld auch lieber turhaushalt dar, wenn sie sich am Leitbild -der guten bei den Bauern als bei der Verwaltung des Butterber- fachlichen Praxis orientiert. Das ist nicht die Auf- ges oder sonstwo sehen. An dieser Stelle sind wir rechterhaltung der Landwirtschaftsklausel, sondern auch mit den Landwirten völlig einig. ein Schritt hin zur Realität. Nun können Sie aber nicht sagen, daß die Landwirte in Deutschland, die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sich nach Recht und Gesetz verhalten, in einer A rt sowie bei Abgeordneten der SPD) und Weise in den Naturhaushalt eingreifen, die nicht Wir sollten gemeinsam zu Herrn Fischler gehen und akzeptabel ist. Das wäre doch wirklich widersinnig, schauen, was wir EU-rechtlich bewerkstelligen kön- und die Bauern wären die einzige Berufsgruppe, der nen. Darüber können wir hier in diesem Parlament man so etwas vorwirft. leider nicht entscheiden; daran müssen wir auf euro- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) päischer Ebene noch arbeiten. Jetzt geht es um die Fragen, worin die gute fachli- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Aber drücken!) che Praxis besteht und wo wir diese beschreiben. Frau Mehl, auch Sie wissen, daß es schwierig ist, in - Ja, da drücken wir. Frau Fuchs, machen Sie mit, einem Rahmengesetz des Bundes über Naturschutz dann werden wir bestimmt ganz schnell Erfolg haben. genau aufzuschlüsseln, was an welcher Stelle gute (Vorsitz : Vizepräsident Dr. Burkhard fachliche Praxis bedeutet, die ja im übrigen noch Hirsch) weiterentwickelt werden soll. Deshalb bin ich dank- bar, daß wir uns in der parlamentarischen Debatte Ich will jetzt noch kurz auf die Umsetzung der darauf verständigt haben, den Begriff der guten fach- FFH - Richtlinie eingehen. Frau Mehl, die Länder ha- lichen Praxis durch Aufzählung der Fachgesetze zu ben einen Entwurf vorgelegt, der im Grunde genom- 15982 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Bundesministerin Dr. Angela Merkel men besagt, die FFH-Richtlinie sei umzusetzen, ohne Vizepräsident Dr. : Ich schließe dies konkret im einzelnen zu regeln. die Aussprache. Nun werfen Sie uns an dieser Stelle Kompliziert- Damit kommen wir zu den Abstimmungen, und heit vor. - Wir haben versucht, die Umsetzung der zwar zunächst über den von der Bundesregierung FFH-Richtlinie - unter Berücksichtigung aller Instru- eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuregelung des mente des Naturschutzes - so zu integrieren, als Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege, handele es sich um eine deutsche, in unser Rechts- zur Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorschrif- system eingepaßte Ausweisung von Schutzgebieten, ten und zur Anpassung anderer Rechtsvorschriften. damit auch jeder weiß, was er entsprechend dem Das sind die Drucksachen 13/6441 und 13/7778 Nr. 1. deutschen Recht zu tun hat. Das ist kompliziert, Dazu liegen zwei Änderungsanträge vor, über die richtig; aber das muß erlernt werden. Hinzukommen zuerst abgestimmt wird, und zwar zunächst über den müssen Landschaftsplanung, Landschaftsbeobach- Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksa- tung und vieles andere mehr. Meiner Meinung nach che 13/7793. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag gehen wir damit einen Weg, der uns insgesamt der Fraktion der SPD? - Die Gegenprobe! - Stimm- mehr Rechtssicherheit, mehr Einheitlichkeit und enthaltungen? - Ich stelle fest, daß dieser Ände- mehr Klarheit in dieser Angelegenheit bringt, auch rungsantrag mit den Stimmen der Koalition gegen wenn es auf den ersten Blick etwas komplizierter die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt wor- aussieht. den ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Jetzt stimmen wir über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/ Abschließend möchte ich sagen: Es hat viele Dis- 7808 ab. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, kussionen über die Frage gegeben: Baurecht/Natur- bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - schutzrecht. Es ist nicht richtig - es wird auch da- Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß auch dieser durch nicht richtiger, daß Sie immer wieder den Ein- Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition bei druck zu erwecken versuchen, es sei so -, daß das Stimmenthaltung der Fraktion der SPD gegen die Mitspracherecht und die Benehmensregelungen in Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden bezug auf die Naturschutzbehörden entfallen sollen. ist. Wir haben viele Dinge verfahrensmäßig in das Bau- recht hineingenommen. Darüber kann man lange Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in diskutieren, wie man das macht. Praktiker haben im- der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das mer wieder gesagt: Macht nicht dauernd Querver- Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltun- weise. Nun haben wir die betreffende Regelung in gen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf in zwei- das Baurecht hineingeschrieben. Das bedeutet aber ter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen keine Änderung der Regelung, daß weiterhin - so die Stimmen des Hauses im übrigen angenommen wie es auch heute gilt - das Benehmen mit den Na- worden ist. turschutzbehörden zu suchen ist, und es bedeutet auch keine Schwächung der Stellung der Natur- Damit treten wir in die schutzbehörden. Man muß einfach einmal klar sa- dritte Beratung gen, was im Gesetz steht, weil manch einer etwas be- hauptet, was nicht stimmt. und Schlußabstimmung ein. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- (Widerspruch bei der SPD) ben. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf in dritter Lesung - Das sehen Sie anders; das kann schon sein. Aber mit demselben Stimmenverhältnis wie soeben ange- ich meine, wir müssen uns an Gesetzestexte halten. nommen worden ist. Nach übereinstimmender Meinung aller unserer Fachleute verhält es sich so, wie ich es eben gesagt Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- habe. ßungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/7794. Wer diesem Entschließungsantrag zustimmt, Meine Damen und Herren, jede Novelle des Bun- den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegen- desnaturschutzgesetzes wird Fragen, Wünsche und probe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß vieles andere offenlassen; jede Novelle des Bundes- der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Ko- naturschutzgesetzes gibt uns die Gelegenheit, über alition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen ab- solche grundsätzlichen Fragen zu sprechen. Dieses gelehnt worden ist. Gesetz wird heute hier verabschiedet und dann im Bundesrat behandelt werden. Ich sage Ihnen: Grei- Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent- fen Sie die Diskussion auf! Lassen Sie sie uns weiter- wurf des Bundesrates zur Änderung des Bundesna- führen, weil es wichtig ist, daß wir in diesem Bereich turschutzgesetzes auf Drucksache 13/4247. Der Aus- insgesamt vorankommen. Ich habe Ihnen gezeigt, schuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- daß das an vielen Stellen gelungen ist. heit empfiehlt auf Drucksache 13/7778 unter Nr. 2, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bedanke mich bei all denen, die mitgewirkt ha- ben, insbesondere bei meinen Kollegen im Parla- Ich lasse über den Gesetzentwurf des Bundesrates ment. auf Drucksache 13/4247 abstimmen und bitte dieje- nigen, die dem Gesetzentwurf des Bundesrates zu- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) stimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegen- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 15983 Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch probe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß wurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition bei Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, Stimmenthaltung der Gruppe der PDS gegen die daß der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koali- Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden tion bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD ge- ist. gen die Stimmen des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. Damit entfällt nach der Geschäftsord- Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die nung auch in diesem Fall die weitere Beratung. weitere Beratung. Ich rufe die Beschlußempfehlung des Ausschusses Dann kommen wir zur Abstimmung über den Ge- für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu setzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Bun- dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. desnaturschutzgesetzes hinsichtlich der Umsetzung zur Verbesserung des Naturschutzes auf. Das ist die der Richtlinien der Europäischen Union zur Erhal- Drucksache 13/7778 Nr. 6. Der Ausschuß empfiehlt, tung der natürlichen Lebensräume sowie der wildle- den Antrag auf Drucksache 13/2743 anzunehmen. benden Tiere und Pflanzen auf Drucksache 13/ 6442. Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Re- Ich lasse über die Beschlußempfehlung des Aus- aktorsicherheit empfiehlt auf Drucksache 13/7778 schusses abstimmen und bitte diejenigen, die der Be- unter Nr. 3, auch diesen Gesetzentwurf abzulehnen. schlußempfehlung des Ausschusses zustimmen wol- len, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimm- Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion enthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Beschlußemp- Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/7817 vor, fehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die über den wir zuerst abstimmen. Wer dem Ände- Stimmen des Hauses im übrigen angenommen wor- rungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu- den ist. stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Ge- genprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, Interfraktionell wird die Überweisung der Vorla- daß der Änderungsantrag mit den Stimmen der Ko- gen auf den Drucksachen 13/3906, 13/5199 und 13/ alition gegen die Stimmen des Hauses im übrigen ab- 7252 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- gelehnt worden ist. schüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstan- den? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann Ich lasse jetzt über den Gesetzentwurf des Bundes- sind die Überweisungen so beschlossen. rates auf Drucksache 13/6442 abstimmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol- Ich rufe die Beschlußempfehlung des Ausschusses len, um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zum An- Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß auch dieser trag der Fraktion der SPD zur Erhaltung und Nut- Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen zung der biologischen Vielfalt landwirtschaftlicher die Stimmen des Hauses im übrigen in zweiter Bera- Nutzpflanzen auf. Das ist die Drucksache 13/7020. tung abgelehnt worden ist. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksa- Damit entfällt nach der Geschäftsordnung die wei- che 13/4985 abzulehnen. Ich lasse über die Beschluß- tere Beratung. empfehlung des Ausschusses abstimmen. Wer der Ich rufe die Abstimmung über den Gesetzentwurf Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den der Fraktion der SPD zur Änderung des Bundesna- bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - turschutzgesetzes auf Drucksache 13/1930 auf. Der Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Be- Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- schlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition ge- cherheit empfiehlt unter Nr. 4 seiner Beschlußemp- gen die Stimmen des Hauses im übrigen angenom- fehlung auf Drucksache 13/7778, den Gesetzentwurf men worden ist. der SPD abzulehnen. Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Aus- Ich lasse über den Gesetzentwurf der SPD auf schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 13/1930 abstimmen und bitte diejenigen, zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur Privatisie- die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das rung von Wald in Naturschutzgebieten. Das ist die Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltun- Drucksache 13/5945. gen? - Ich stelle fest, daß der Gesetzentwurf mit den Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksa- Stimmen der Koalition bei Stimmenthaltung der che 13/2905 abzulehnen. Ich lasse über die Beschluß- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen empfehlung des Ausschusses abstimmen. Wer der des Hauses im übrigen abgelehnt worden ist. Beschlußempfehlung des Ausschusses zustimmt, den Damit entfällt auch dazu die weitere Beratung. bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß die Be- Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent- schlußempfehlung mit den Stimmen der Koalition wurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Ände- und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen der rung des Bundesnaturschutzgesetzes auf Drucksache Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung der Fraktion 13/3207. Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden ist. Reaktorsicherheit empfiehlt auf Drucksache 13/7778 Nr. 5, den Gesetzentwurf abzulehnen. Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- Ich lasse über den Gesetzentwurf der Fraktion heit zu der Mitteilung der Europäischen Union zur Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/3207 ab- Durchführung des Umweltrechts der Gemeinschaft, stimmen und bitte diejenigen, die dem Gesetzent- Drucksache 13/7470 Nr. 1. Wer der Beschlußempfeh- 15984 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch lung des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das Anträge der SPD-Bundestagsfraktion: „Außenwirt- Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? schaftliche Stärkung des Mittelstandes" und „Für - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung ein- eine zukunftsorientierte, innovative Mittelstandspoli- stimmig angenommen worden ist. tik - Neue Ausrichtung und Konzentration der Förde- rung". Die beiden Anträge sind Teil unserer wirt- Der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reak- schaftspolitischen Vorstellungen. torsicherheit empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschluß- empfehlung auf Drucksache 13/7470 die Annahme Wir haben bewußt zwei konkrete Projekte zur Mit- einer Entschließung. Wer der Beschlußempfehlung telstandspolitik herausgehoben, um zu untermauern, des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um das daß auch konkrete, einzelne Schritte Teile einer ge- Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? staltenden Wirtschaftspolitik sein können. Auch - Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung mit den diese beiden Punkte gehören zu den Fragen: Wie Stimmen der Koalition bei Enthaltung des Hauses im überwinden wir die dahindümpelnde wirtschaftliche übrigen angenommen worden ist. Entwicklung? Wie schaffen wir Arbeitsplätze? Wie bekämpfen wir die Massenarbeitslosigkeit? Das hat Damit sind wir am Ende dieses Tagesordnungs- auch etwas mit dem Zusammenhalt in unserer Ge- punktes. sellschaft zu tun. Die Diskussion heute morgen ist also Teil dieser Gesamtdebatte. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c auf: (Beifall bei der SPD) a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Chri- stian Müller (Zittau), Ernst Schwanhold, Anke Außenwirtschaftliche Förderung des Mittelstandes Fuchs (Köln), weiterer Abgeordneter und der ist nicht überwiegend Aufgabe der Länder, wie es Fraktion der SPD heute Praxis ist, weil sich der Bund nicht genug ge- Außenwirtschaftliche Stärkung des Mi ttel- kümmert hat. Sie ist primär Aufgabe des Bundes. Es standes geht darum, Kräfte zu bündeln und Vertrauen zu - Drucksache 13/5754 - schaffen, um damit Wettbewerbschancen für den Mittelstand zu erarbeiten. Mein Kollege Ch ristian Überweisungsvorschlag: Müller wird das noch vertiefen. Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Haushaltsausschuß Das zweite ist, daß Rahmenbedingungen und Be- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten ratungsangebote für kleine und mittlere Betriebe ver- Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk, Ernst Schwanhold, bessert werden können und müssen. Mit Konzentra- Anke Fuchs (Köln), weiterer Abgeordneter tion, Kreativität, Umorganisierung und Entbürokrati- und der Fraktion der SPD sierung kann Hilfe geleistet werden. Das kostet nicht Für eine zukunftsorientierte, innovative Mit- mehr Geld, aber es erfordert politischen Gestaltungs- telstandspolitik - Neue Ausrichtung und Kon- willen. zentration der Förderung Wir hätten von den Koalitionsfraktionen eigentlich - Drucksache 13/6097 erwartet, daß sie unseren Anträgen zustimmen. Ich —Überweisungsvorschlag: habe gehört, daß wir diese Hoffnung noch nicht auf- Ausschuß für Wirtschaft (federführend) geben müssen. Lassen Sie uns gemeinsam über un- Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, sere Perspektiven reden! Ich würde es erfreulich fin- Technologie und Technikfolgenabschätzung den, wenn wir hier zu einer gemeinsamen Haltung Haushaltsausschuß kommen könnten. c) Erste Beratung des von der Abgeordneten (Beifall bei der SPD) Margareta Wolf (Frankfu rt) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Die Punkte, die wir hier ansprechen, werden immer Entwurfs eines Gesetzes über die Reform des auch in Sonntagsreden von Vertretern der CDU, CSU Industrie- und Handelskammerwesens und F.D.P. genannt. Deswegen wären wir enttäuscht, - Drucksache 13/6063 — wenn Sie unseren Anträgen nicht zustimmen wür- Überweisungsvorschlag: den. Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Mittelstandspolitik ist ein zentrales Element der Rechtsausschuß Wirtschaftspolitik. Wir sprechen hier ja nicht über Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind wenige Unternehmen, sondern über das Rückgrat für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. unserer Volkswirtschaft. Die mittelständischen Un- - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist ternehmen in Indust rie, Handwerk, Handel und im das so beschlossen. Dienstleistungssektor prägen die Wi rtschaftsstruktur in Deutschland. Das gilt übrigens genauso für die Darf ich die Kolleginnen und Kollegen, die beab- Europäische Gemeinschaft. Hier sind 99 Prozent aller sichtigen, das Plenum zu verlassen, bitten, das nun Unternehmen kleine und mittlere Bet riebe mit bis zu auch zu tun. - 250 Arbeitnehmern. Ich eröffne die Aussprache und gebe nunmehr das Der Mittelstand ist Motor für die Beschäftigung. Wort der Abgeordneten Anke Fuchs. Hier entstehen neue Arbeitsplätze. Die Unternehmen mit bis zu 500 Beschäftigten haben in Deutschland in Anke Fuchs (Köln) (SPD): Herr Präsident! Meine der Zeit von 1987 bis 1995 etwa 2,1 Millionen Ar- Damen und Herren! Wir debattieren heute über zwei beitsplätze geschaffen. In Großunternehmen wurden Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 15985

Anke Fuchs (Köln) im gleichen Zeitraum etwa 500 000 Arbeitsplätze ab- stellung von Risikokapital für junge Technologieun- gebaut. Also: Der Motor für die Beschäftigung sind ternehmen und an den Antrag zur Beendigung des kleine und mittlere Unternehmen. Stillstands in der Mittelstandspolitik. Sie haben sich dem immer verweigert, weil Sie sich nicht zu einer (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem vernünftigen Wirtschaftspolitik durchringen können. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.) Geben Sie sich heute einen Ruck: Diskutieren Sie mit Der Mittelstand ist Motor für die Berufsausbildung. uns über diese Inhalte! Wir wären froh, wenn Sie Die Unternehmen mit bis zu 500 Beschäftigten bieten endlich etwas täten. in Deutschland 80 Prozent aller Ausbildungsplätze Offensichtlich aber ist Nichtstun in der Wirtschafts- an. politik nach dem Motto „Wirtschaft findet in der Der Mittelstand ist schließlich Motor für Innovation Wirtschaft statt" Programm dieser Bundesregierung. unserer Unternehmensstruktur. Hier entstehen die Dies ist übrigens leider auch auf europäischer Ebene neuen, zukunftsorientierten Unternehmen, auf die so, wenn ich das hier einfügen darf. Wer die gestrige wir in Deutschland angewiesen sind, wenn wir un- Debatte verfolgt hat, der weiß: Wir haben 18 Millio- sere Wirtschaftsstruktur an die Herausforderungen nen Arbeitslose in der Europäischen Gemeinschaft. der Zukunft anpassen wollen. Selbst die Großunter- Alle Länder sagen inzwischen: Wir wollen bei der nehmen haben jenseits mancher Konzentrationsbe- Veränderung der Verträge über Beschäftigungspoli- strebungen, die ich jetzt außen vor lasse, erkannt: tik reden, weil wir nicht wollen, daß es ein Europa Klein ist fein und flexibel. Die Ausgliederung von der Arbeitslosigkeit gibt. Wir wollen mit Beschäfti- Unternehmensteilen steht deswegen auf der Tages- gungsmaßnahmen dafür sorgen, daß die Menschen ordnung, um auf den Anpassungsdruck durch den eine Chance für den Einstieg ins Erwerbsleben be- gestiegenen Wettbewerb mit beweglichen Unterneh- kommen. - Alle Länder wollen dies, nur die Bundes- mensstrukturen reagieren zu können. regierung blockiert. In Ansprachen, Reden und Bundestagsdebatten Ihr Nichtstun auf dem Weg nach Europa wird ver- herrscht immer große Einmütigkeit. Alle sprechen heerende Folgen haben. Ich ermahne Sie, sich auch sich für eine Stärkung des Mittelstandes aus. Alle for- auf europäischer Ebene zur Beschäftigungspolitik dern eine effiziente Mittelstandsförderung. Alle be- durchzuringen und mit uns gemeinsam dafür zu sor- klagen die zu geringe Eigenkapitalquote des Mittel- gen, daß es auf der europäischen Ebene Kompeten- standes. Alle klagen über zu hohe Hürden bei der zen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gibt, meine Existenzgründung. Da wir uns in diesen Punkten ei- Damen und Herren. nig sind, sollten wir einmal fragen: Was kann man (Beifall bei der SPD) tun, um die aufgezeigten Probleme zu lösen? Wir können es uns in Zeiten der Massenarbeitslo- (Beifall bei der SPD) sigkeit mit mehr als 4 Millionen Arbeitslosen in Ich frage Sie, Herr Rexrodt: Warum geht die Bundes- Deutschland nicht leisten - das kostet im Jahr regierung nach all den Sonntagsreden montags nicht 160 Milliarden DM; ich sage das, damit wir wissen, an die Arbeit? Die Probleme sind ja nicht neu, vor de- worüber wir ökonomisch reden -, den Mittelstand nen die Existenzgründer von kleinen und mittleren zum Stiefkind der Wirtschafts- und Finanzpolitik ver- Unternehmen stehen, im Gegenteil! kommen zu lassen. Deswegen sage ich noch einmal: Die Rahmenbedingungen müssen verbessert wer- Die Probleme liegen seit Jahren auf dem Tisch: Die den. Die Lohnnebenkosten müssen gesenkt werden. Zahl der Unternehmenskonkurse sinkt nicht, son- Wir haben Ihnen in unserem Steuerkonzept eine dern steigt. Die Eigenkapitalquote der kleinen und Senkung von 2 Prozent angeboten. Nehmen Sie zu- mittleren Unternehmen hat sich nicht verbessert,- mindest diesen Punkt auf, damit die Lohnnebenko- sondern eher verschlechtert; ich habe darauf hinge- sten zügig gesenkt werden können. Das wäre für wiesen. Die Mittel der Forschungsförderung kom- den Mittelstand ein großer Erfolg. men nicht primär dem Mittelstand zugute, sondern den Großunternehmen. Die Mittelstandsförderung ist (Beifall bei der SPD) nicht übersichtlicher geworden, sondern für die Un- Es ist ganz wichtig: Wir brauchen eine Welle von Exi- ternehmer kaum durchschaubar. stenzgründungen. Wir wollen die bürokratischen Wir Sozialdemokraten haben im Bundestag immer Hemmnisse abbauen; meine Kollegin Skarpelis wieder Anträge eingebracht, um für den Mittelstand Sperk wird dazu noch etwas sagen. etwas zu tun. Ich frage mich: Warum haben Sie all Der Kern unseres Antrages ist der Vorschlag, eine unsere Initiativen immer wieder abgelehnt? Wir for- Mittelstandsagentur einzurichten. Ich bin einmal ge- dern Sie heute auf: Geben Sie Ihre Selbstblockade spannt, was Sie zu diesem Vorschlag sagen. Das auf, machen Sie mit uns eine innovative, zukunfts- würde bedeuten, daß Sie Kräfte und Instrumente orientierte Mittelstandspolitik! bündelten, daß Sie entbürokratisierten. Ich denke, Sie würden sich selbst einen Gefallen tun, wenn Sie (Beifall bei der SPD) sagten: Jawohl, wir wollen diese Anlaufstelle für die Ich will nicht all das wiederholen, was Sie abge- Unternehmen. Sie können so Förderaktivitäten bün- lehnt haben, sondern nur stichwortartig erinnern: an deln, verschiedene finanzielle Angebote des Bundes den Beitrag für kleine und mittlere Unternehmen für verzahnen und den Informationsfluß für die Unter- die Industrie- und Handelskammern, an die Verbes- nehmen erleichtern. Ich habe gelernt, daß eine ganze serung der Risikokapitalversorgung, an die Bereit- Abteilung im Wirtschaftsministerium abgeschafft 15986 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Anke Fuchs (Köln) werden könnte. Das wäre doch fabelhaft. Das wäre gen, damit die Bedeutung des Mittelstandes deutlich ein Stück schlankerer Staat, weniger Bürokratie und wird. würde dem Mittelstand helfen. Die aus diesen Tatsachen nötigen Schlußfolgerun- Deswegen bin ich gespannt, was Sie zu unseren gen müssen noch deutlicher angesprochen werden. Anträgen sagen. Ich weiß, daß Sie ihnen nicht ableh- Wir brauchen keine Wirtschafts-, Finanz- und Sozial- nend gegenüberstehen. Überwinden Sie Ihre Selbst- politik mit sogenannten Mittelstandskomponenten. blockade! Reden Sie mit uns über eine gute, innova- Richtiger ist es vielmehr umgekehrt, eine mittel- tive Mittelstandspolitik! Stimmen Sie unseren Anträ- standsgerechte Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpoli- gen zu! tik, gegebenenfalls mit einer Großbetriebskompo- (Beifall bei der SPD) nente, zu betreiben. Das ist der richtigere Weg. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe dem Wenn in einem Gremium zehn Lehrer und ein Abgeordneten Hansjürgen Doss das Wo rt . Handwerksmeister beteiligt sind, die sich über Aus- (Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Jetzt bildungsplätze unterhalten, ist das Ergebnis bereits kommt der Entwurf der Regierung!) durch die Zusammensetzung vorgegeben. Von dieser Art der Stellvertreterpolitik haben die Unternehmer - wenn ich das so populär sagen darf - langsam die Hansjürgen Doss (CDU/CSU): Herr Präsident! Schnauze voll. Die Verbandsfunktionäre bestimmen Meine Damen! Meine Herren! Frau Fuchs, in weiten die Tarife; die „Titularmittelständler" kümmern sich Teilen sind wir uns einig. um die Politik. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wie schön!) Ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten, aber ich habe schon ein bißchen den Eindruck gehabt, als sei Das ist schön. Der Anlaß, wieder einmal über den es wie mit den Titularbischöfen in der römischen Ku- Mittelstand zu reden, ist eine der wenigen verdienst- rie: Sie tragen die Insignien des Bischofs und haben vollen Initiativen der SPD, noch nie ein Bistum von innen gesehen. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Der vielen, Herr (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Seien Sie Kollege!) vorsichtig mit solchen Äußerungen, Herr die ich erkennen kann. Insofern ist das ganz gut. Kollege!) Ich möchte gerne - ich will im Verlauf meiner Rede Herr Kollege auch auf Teile Ihrer Ausführungen eingehen - etwas Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Doss, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen sehr Grundsätzliches zum Mittelstand sagen, weil ich Schwanhold? glaube: Eine solche Gelegenheit müssen wir nutzen, Herr Finanzminister. - Entschuldigung: Herr Wi rt -schaftsminister. Hansjürgen Doss (CDU/CSU): Aber selbstver- ständlich. (Ernst Schwanhold [SPD]: Der Finanzmi nister muß andere Dinge nutzen, Herr Kol (SPD): Herr Kollege Doss, ich lege Doss!) Ernst Schwanhold stimme Ihnen in Ihrem bisherigen Teil der Analyse - Sie sind bescheiden; ich weiß das. Der geringste ausdrücklich zu. Versprecher löst bei Ihnen Freude aus. Wenn Sie in (Uwe Lühr [F.D.P.]: Sehr gut!) der Sache etwas anspruchsvoller würden,- wäre das besser. Sie beschreiben damit die Tatsachen, mit denen wir uns zur Zeit auseinandersetzen müssen: eine Steuer- Meine Damen, meine Herren, Mittelstandspolitik politik, die mittelstandsfeindlich ist, ist nicht eine Facette, nicht eine Unterabteilung der Wirtschaftspolitik. Mittelstandspolitik ist nicht zu re- (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das hat er duzieren auf Begriffe wie „Förderung", „Unterstüt- nicht gesagt!) zung", „Nachteilsausgleich" oder „Betreuung", eine nicht ausreichende Flexibilität, Lohnnebenko- „Einrichtung von Schutzräumen". Das alles können sten in Höhe von 42 Prozent. Das ist das Ergebnis Ih- wir Mittelständler in der Politik nicht mehr hören. rer Politik. Mittelstandspolitk ist die eigentliche Wirtschaftspoli- tik; denn die deutsche Wirtschaft ist primär mittel- Würden Sie mir zustimmen, daß Sie zunächst ein- ständische Wirtschaft. mal die Fehler Ihrer Politik ausführlich beschreiben? (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Hansjürgen Doss (CDU/CSU): Ich weiß nicht, was Jeder sollte wissen: 99 Prozent aller Unternehmen ich auf so etwas sagen soll. Das ist so dünn, hochver- in Deutschland sind mittelständische Bet riebe. 80 Pro- ehrter Herr Kollege! zent aller Ausbildungsplätze sind im Mittelstand. (Beifall des Abg. [CDU/ 64 Prozent aller Arbeitnehmer sind beim Mittelstand beschäftigt, und auch 44 Prozent aller Bruttoinvesti- CSU]) tionen gehen von dort aus. Das wissen die Mittel- Ich wollte etwas Positives über unseren Mittelstand ständler alle. Aber wir müssen es immer wieder sa- sagen, und Sie meinen, mich an dieser Stelle unter- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 15987

Hansjürgen Doss brechen zu müssen, um Ihre eher parteipolitisch- sationen, die wir in Form von Handwerkskammern, polemischen Fragen zu stellen. Lassen Sie uns doch, Industrie- und Handelskammern und Verbänden ha- wie das Frau Fuchs gesagt hat, einmal darüber re- ben. Wir haben erhebliche Zweifel, ob eine Zentrali- den, welche Bedeutung der Mittelstand in Deutsch- sierung zu einer Verbesserung führen würde. Wir land hat, und uns dann weiter um die Lösung der sind vielmehr der Auffassung, daß Ihre Mittelstands- Probleme kümmern. agentur ein neuer Moloch würde und eine neue Mit- telstandsbetreuungsbürokratie, eventuell sogar mit (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) paritätischer Mitbestimmung - wie ich mir vorstelle -, Diese Art der Destruktion erleben wir bei Ihnen doch hervorriefe. Der arme Mittelständler, der da durch- ununterbrochen. dringen will! Er verhungert sozusagen auf dem Weg. Wir machen das nicht mit. Mittelstand ist die einzige Hoffnung für den Ar- beitsmarkt. Das muß man wissen. Das ist der soge- Es gibt für eine solche Initiative auch überhaupt nannte - wir reden ja inzwischen neudeutsch-eng- keine Notwendigkeit. Emnid stellte Ende 1994 in be- lisch - „local player" , während sich ein „global pla- zug auf die Betriebsberatungen - diese machen die yer" auf der gesamten Welt ausweitet. Handwerkskammern hervorragend - bei einer Unter- suchung von 10 000 Handwerksbetrieben fest: 84 Pro- Der Chef der Adam Opel AG, David Herman, er- zent sind zufrieden, 51 Prozent sogar völlig zufrie- klärte uns neulich bei einem Gespräch im Parla- den. Ich meine, es ist einfach nicht notwendig, eine mentskreis Mittelstand, daß bei jeder Investitionsent- neue Institution zu gründen. Sie weichen mit diesen scheidung seines Unternehmens weltweit 15 alterna- „Mätzchen" den zentralen Problemen der deutschen tive Standorte zur Auswahl stehen, zwischen denen Politik, das heißt der Entlastung des Mittelstandes, er sich zu entscheiden hat. Er betonte aber - darüber aus. habe ich mich wirklich gefreut -, daß deutsche Zulie- ferer für seine Automobilfirmen zunehmend in Frage Nächstes Thema: Gesetzentwurf zur Privatisie- kommen. Der deutsche Mittelstand bietet eine Kom- rung der Industrie- und Handelskammern. Die Kam- bination aus ausgereifter Technik, Marktnähe, hoher mern sind Selbstverwaltungseinrichtungen der Wi rt Zuverlässigkeit und enormer Innovationsfähigkeit. -schaft; sie übernehmen viele Aufgaben, die sonst staatliche Behörden wahrnehmen müßten. Diese Al- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ternative ist mir immer lieber, als neue bürokratische Das ist für das Endprodukt Opel eben wichtig. Des- Strukturen aufzubauen. Die Indust rie- und Handels- wegen kehren sie wieder zu vielen Zulieferern aus kammern müssen selber stärker dem Verdacht ent- Deutschland zurück. gegenwirken, sie seien Quasi-Behörden. In diesem Punkt ist ein wenig Reformwille notwendig und be- Insofern muß Mittelstandspolitk in erster Linie steht Handlungsbedarf. Das ist gar keine Frage. Freiräume für Unternehmergeist schaffen, Fesseln der Bürokratie lösen, Steuer- und Abgabenlasten er- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) leichtern, Regulierungen des Arbeitsmarktes lockern Die Kammern sind zwar öffentlich-rechtliche Ein- usw. richtungen, müssen sich aber wesentlich stärker als Aus Amerika stammt eine Redensart, der ich mich Dienstleister für ihre Mitglieder verstehen und weni- ausdrücklich anschließen möchte - die ganzen In- ger als ein Teil hoheitlicher Staatsverwaltung. Der strumentarien, die hier immer wieder diskutiert wer- Sinn der Kammern erschöpft sich nicht im Servicege- den, sollten diesem amerikanischen Vorschlag folgen -: danken, so wichtig er aus der Sicht der Bet riebe sein Lieber Staat, steige von meinem Rücken, und nimm mag; sie müssen auch ihre Notwendigkeit gegenüber deine Hand aus meiner Tasche! - Würde man dem den Betrieben stärker in den Vordergrund ihres H an folgen, dann wüßten die Mittelständler schon, was -delns stellen. Die Union hält deswegen bewußt an sie mit dem von ihrem Fleiß übriggebliebenen Geld dem Leitbild der Gesamtvertretung der Wi rtschaft anfangen könnten. durch die Kammern fest. Das wi ll ich hier ausdrück- lich betonen. Zu dessen Sicherung sowie für die de- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) mokratische Legitimation dieses Auftrages brauchen die Kammern das Prinzip der Pflichtmitgliedschaft Meine Damen und Herren, Ihre Politik ist doppel- aller Betriebe. bödig. Sie werfen uns Sonntagsreden vor. Die Rede eben war eine Sonntagsrede, denn am Freitag stim- (Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Das ist ein men Sie im Bundesrat gegen alle Reformen für den heikles Thema!) Mittelstand. Das ist die Wahrheit in Deutschland. In- sofern versündigen Sie sich an den Arbeitsplätzen. Wir werden daher an diesem Prinzip festhalten und es im Kern nicht antasten. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Eine sogenannte Privatisierung, also Zerschlagung Zu den vorliegenden Anträgen: Mittelstandsförde- der bisherigen Strukturen, um gleichzeitig die we- rung, ganz gleich ob Existenzgründungsförderung, sentlichen Aufgaben Kammervereinen zu überlas- Forschungsförderung, Messeförderung oder Bera- sen, wie es der Gesetzentwurf der Grünen vor- tungsförderung, muß schnelle, zielgerichtete und un- schlägt, lehnen wir in jedem Fall ab. Wir werden in bürokratische Hilfe zur Selbsthilfe sein. Eines ist si- diesem Sinne unsere politische und rechtliche Auf- cher: Eine einzige zentrale Institution hätte nur einen sichtspflicht den Kammern gegenüber kritisch wahr- Sinn, wenn sie schneller, unbürokratischer und ef- nehmen. Davon können Sie ausgehen. Wir werden fektiver arbeiten würde als die dezentralen Organi- ihnen kritische Freunde sein und sie dabei unterstüt- 15988 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Hansjürgen Doss zen, die notwendigen Reformen herbeizuführen. ausfälle im Bundeshaushalt nach sich zieht. Nach der Hinsichtlich der Beiträge zum Beispiel wollen wir, die gestrigen Debatte möchte ich Sie daran erinnern. Koalition, wenn es irgendwie geht, auch zusammen mit unseren Kollegen und Freunden von den Sozial- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, demokraten versuchen, eine Lösung zu finden, die der SPD und der PDS) das Kammersystem aus dem politischen Kleinkrieg Wir sind ferner darüber beunruhigt, daß wir im Ge- heraushält. Das nutzt keinem. Insofern haben wir gensatz zu allen anderen europäischen Ländern und auch zugestimmt, als der von mir geschätzte Kollege zu den Ländern der OSZE eine sinkende und keine Uwe Jens zur Objektivierung dieser Frage vorge- steigende Investitionsdynamik haben. schlagen hat, ein Ifo-Gutachten vorzulegen, um auf dieser objektivierten Grundlage beurteilen zu kön- (Zurufe von der F.D.P.: Warum wohl?) nen, wer freigestellt werden kann und wer beitrag- zahlendes Mitglied bleiben muß. Auch darüber sollten Sie einmal nachdenken. Wir sind weiterhin darüber beunruhigt - die Kolle- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) gin Fuchs hat darauf hingewiesen -, daß die Insol- Wir wollen das Kind nicht mit dem Bade ausschüt- venzrate bei kleinen und mittleren Unternehmen ei- ten, sondern reformieren. In diesem Sinne brauchen nen historischen Höchststand erreicht hat. - Soviel wir Kraft für Reformen an allen Stellen der Republik. zum Erfolg der Mittelstandspolitik. Wir sind ferner darüber beunruhigt, daß die Ar- Sie, meine Damen und Herren, stehen auf der beitslosenzahlen steigen und steigen, ohne daß eine Bremse, während wir Feuer unter dem Kessel ma- Trendwende absehbar ist. chen. Deswegen hören Sie auf mit Ihrer Blockadehal- tung, und machen Sie mit bei Reformen für den Mit- Sie werden vielleicht heute morgen die „FAZ" ge- telstand! Es sind Reformen für die Gesamtgesell- lesen haben. Dort heißt es - dies ist wiederum beun schaft, weil nur dadurch mehr Arbeitsplätze entste- ruhigend -: hen. Die Schaffung von Arbeitsplätzen jedoch ist un- ser gemeinsames Ziel; so habe ich Sie verstanden. In Die Investitionen ausländischer Unternehmer diesem Sinne vielen Dank für die geduldige Auf- und Anleger in deutsche Betriebe sind im vergan- merksamkeit. genen Jahr mit 1,1 Milliarden DM auf ein Rekord- tief gesunken. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Warum denn? - Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe der Abgeordneten Margareta Wolf das Wort. - Schreien Sie doch nicht so! Es steht heute in der „FAZ", im Wirtschaftsteil auf der Seite eins. Lesen Sie es nach! (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE Margareta Wolf (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Ja, aber warum GRÜNEN): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da- denn?) men und Herren! Herr Doss, Sie sind ja Mittelständ- ler, und Ihr Beitrag klang ein bißchen wie ein Stoßge- Die Bundesrepublik gilt im europäischen Ausland bet gen Himmel. Es ist richtig: Mittelstandspolitik ist als strukturkonservativ; sie gilt als verstaubt. Die Wirtschaftspolitik. Aber Sie sind es, die die Regie- Rahmenbedingungen für Investoren werden von Tag rungsverantwortung seit einigen Jahren inne- haben. zu Tag unklarer. Die Finanzpolitik und die Wirt- Ich kann Ihren Beitrag in weiten Teilen wirk lich un- schaftspolitik - das konnten Sie auch gestern im terstützen. Beten Sie weiter, aber handeln Sie irgend- „Handelsblatt" auf der Seite 2 in einem Kommentar wann auch einmal! nachlesen - gilt als chaotisch und strukturlos. Diese Politik, die Sie ja machen, verursacht Zukunftsangst; Meine Damen und Herren, die Wirtschaftsfor- sie blockiert Investitionen; sie blockiert Innovationen; schungsinstitute sprechen seit mindestens zwei Jah- sie blockiert auch Existenzgründungen und somit ren vernichtend über die Wirtschaftspolitik dieser Mut und Kreativität. Sie produzieren Angst. Ich sage Bundesregierung. Sie sagen, eine Hauptursache für das wirklich nicht aus Häme, sondern aus Sorge. Sie die ständig zurückgehenden Investitionen in diesem müssen sich doch einmal Gedanken machen. Wir ha- Land seien die fehlenden bzw. die unklaren Rahmen- ben viel Kapital in diesem Land. Aber durch Ihre bedingungen. Das beste Beispiel für diese unklaren Politik der Verunsicherung produzieren Sie so etwas Rahmenbedingungen, Herr Doss, ist die von Ihnen wie einen Schlafzustand: Die Freiheit schläft. als Jahrhundertwerk angekündigte Steuerreform. Es glaubt doch kein Mensch in diesem Lande mehr, daß Ich denke, wir alle sind gefordert - da kann ich Ro- sie ein Jahrhundertwerk wird; sie wird vielmehr ein man Herzog wirklich nachträglich gratulieren -, den Rohrkrepierer werden. Schlaf zu beenden und die Angst vor der Gestaltung in der Gesellschaft und die Angst vor Freiheit zu be- (Zurufe von der CDU/CSU) seitigen und endlich die Chancen, die die Globalisie- rung auch bietet, zu nutzen, um Investitionen, Eigen- - Entschuldigen Sie, wir haben ein Steuerreformkon initiative, Existenzgründungen und die Risikobereit- zept vorgelegt, das nicht 30 Milliarden DM Steuer schaft in diesem Land zu fördern. Dazu brauchen die Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 15989 Margareta Wolf (Frankfurt) Menschen ganz klare Rahmenbedingungen. Meine tigt, da zur Wahrnehmung des Gesamtinteresses der Damen und Herren, das wissen Sie auch. gewerblichen Wirtschaft ein erhebliches öffentliches Interesse daran bestehe, daß den Kammern Ermitt- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lung und Abwägung der Auffassungen aller kauf- sowie bei Abgeordneten der SPD und der männischen Kreise ermöglicht werde. Es kommt zu PDS) dem Schluß, das sei ohne Zwangsmitgliedschaft Kommen Sie doch endlich heraus aus Ihren Schüt- nicht möglich. Wir bezweifeln, daß dieses nach zengräben! Wir haben das gestern hier wieder bei- 35 Jahren tatsächlich noch überzeugt. Erstens wer- spielhaft erlebt. Wir brauchen in diesem Land eine den heute wesentliche Entscheidungen der Wi rt neue, moderne und kommunikative Politik. Sehen -schaftsförderung im europäischen Rahmen getroffen, Sie doch einmal ins Ausland, zum Beispiel zu Tony und zweitens glaube ich, daß sich die Struktur der Blair. Wie hat er denn die Wahlen gewonnen? Lesen Wirtschaft so verändert hat, daß es ein Gesamtinter- Sie Anthony Giddens! Sehen Sie in die Niederlande! esse, was ja die Definitionsgrundlage für die Die Antwort auf die neuen Herausforderungen liegt Zwangsmitgliedschaft ist, nicht mehr gibt. Der Bon- jenseits von rechts und links; sie liegt außerhalb Ihrer ner Antiquitätenhändler oder Sie, Herr Doss, als Schützengräben; sie liegt in einer Bürgergesell- Architekt haben ein anderes wi rtschaftspolitisches schaft. Wir müssen diese Bürgergesellschaft fördern; Interesse als zum Beispiel die Firma Siemens. wir müssen Vertrauen fördern. Nur dann haben wir Eigeninitiative und Mut. So erhalten wir die notwen- Nicht zuletzt glaube ich, daß europarechtliche Ge- digen Existenzgründungsoffensiven, von denen Sie sichtspunkte gegen diese Zwangsmitgliedschaft immer nur reden, während die Rahmenbedingungen sprechen. Ich könnte mir vorstellen, daß eine Über- aber fehlen. prüfung durch den EuGH, die jetzt auch angestrebt wird, den Punkt der Niederlassungsfreiheit tatsäch- (Beifall des Abg. Dr. Manuel Kiper lich in den Vordergrund der Argumentation rücken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) könnte. Lassen Sie mich zu den Anträgen der SPD kom- men. Meine Fraktion unterstützt die Anträge der Lassen Sie mich noch kurz zu den politischen SPD, vor allen Dingen den Antrag, der vorsieht, die Punkten kommen. Förderprogramme zu bündeln und auf Ziele zu orien- tieren. Herr Doss, Sie haben vorhin gesagt, der Mittel- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Entschuldigen Sie, Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage ständler verirre sich auf dem Weg hin zu dieser des Abgeordneten Doss? Agentur. Im Moment haben wir die Situation, daß er sich auf dem Weg zu den Förderprogrammen verirrt. Wenn er sich bis dahin noch nicht verirrt hat, verirrt er sich spätestens an dem Schalter seiner Bank. Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS) Lassen Sie mich aber jetzt zu unserem Gesetzent- Hansjürgen Doss (CDU/CSU): Frau Kollegin, ich wurf über die Reform der Industrie- und Handels- habe den Vorzug gehabt, an der Gründung einer Au- kammern kommen. Sie wissen, daß die IHKn immer ßenhandelskammer - diese werden ja von unseren mehr in das Kreuzfeuer der Kritik gekommen sind. Kammern getragen - in Ankara mitgewirkt zu haben. Nicht ohne Grund, so denken wir, hat der Gesetzge- Die Türkei ist auch unser Sprungbrett für 180 Millio- ber im Jahr 1956 dieses Gesetz bewußt Gesetz zur nen türkisch sprechende Menschen. Die mittelstän- vorläufigen Regelung des Rechts der IHKn genannt. dische Industrie hat eine Chance, wenn sie sich zum Beispiel mit unseren türkischen Unternehmern, mit Die Zwangsmitgliedschaft ist immer wieder, so vielen Freunden, die wir do rt haben, zusammen in auch in jüngster Vergangenheit, auf erbitterten Wi- diesen Ländern engagiert. Wie könnte nach Ihrer derstand gestoßen. Wir haben heute 25 000 Unter- Vorstellung so etwas organisiert werden, wenn mit- nehmer, die sich in zahlreichen Vereinen flächendek- telständische Unternehmen allein dazu nicht in der kend über die Bundesrepublik organisiert haben, um Lage sind, anders als die großen Unternehmen wie für eine privatrechtliche Organisation ohne Zwangs- beispielsweise Siemens oder Lufthansa, die alle vor mitgliedschaft zu kämpfen. Ort sind? Wie soll so etwas geschehen, wenn wir eine Obwohl ich den Schwerpunkt meiner Begründung privatwirtschaftlich organisierte Kammerorganisa- bei dem Gesetzentwurf tatsächlich auf die politische tion, die mehr tut als das, worüber wir hier diskutie- Betrachtung gelegt habe, möchte ich einige juristi- ren, nicht mehr haben würden? sche Vorbemerkungen machen, die, glaube ich, für die Beurteilung nicht unwesentlich sind. Das Bun- desverfassungsgericht hat sich auf der Grundlage ei- Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE ner Klage von Gewerbetreibenden zuletzt 1962 mit GRÜNEN): Verehrter Herr Kollege Doss, ich sage gar dem IHK-Gesetz beschäftigt. Im Rahmen seiner nichts grundsätzlich gegen Kammern. Aber Sie wis- Überprüfung argumentierte es, die Zwangsmitglied- sen, daß die Außenhandelskammern keine Pflicht- schaft stelle einen Eingriff in das Grundrecht der all- beiträge erheben und auch keine Zwangsmitglied- gemeinen Handlungsfreiheit dar, sei aber gerechtfer- schaft haben, sondern privatrechtlich organisiert 15990 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Margareta Wolf (Frankfurt) sind. Das unterscheidet sie positiv von den hiesigen Ich möchte aber jetzt zu den politischen Gründen IHKn. kommen, weshalb wir unseren Gesetzentwurf einge- bracht haben: (Zuruf von der CDU/CSU: Wo sind denn die angeschlossen, Frau Kollegin?) Erster Punkt. Wir beobachten in letzter Zeit - ich denke, das sollte gerade die Koalitionsfraktionen Die Außenhandelskammern arbeiten mit dem hiesi- nachdenklich machen -, daß die Legitimations- gen Wirtschaftsministerium zusammen. Sie wollen grundlage unseres Verbändestaates ganz erheblich doch nicht sagen, daß gerade die nordeuropäischen kriselt. Ich glaube, daß die Legitimationsgrundlage Länder, die auch über Außenhandelskammern und nicht durch Zwang gestärkt werden kann. Sie muß über Kammern im Inland verfügen, die aber privat- aber in den heutigen Zeiten, in denen wir starke Ar- rechtlich organisiert sind, bei der Etablierung ihres beitgeber- und Arbeitnehmerverbände benötigen, Mittelstandes oder bei der Kontaktpflege ihres Mit- gestärkt werden. Das geschieht nur durch Einsicht. telstandes zum Beispiel in China Nachteile uns ge- genüber hätten. Das stimmt einfach so nicht. Die Herr Doss, wir alle stützen uns auf andere Umfra- Zwangsmitgliedschaft ist nicht Bedingung für eine gen, Sie beziehen sich auf die DIHT-Umfrage; ich Arbeit oder für eine Vernetzung von Strukturen des hingegen auf die Infas-Umfrage. Sie sagt - das muß Mittelstandes im Ausland. nachdenklich stimmen -, daß 70 Prozent der Kam- mermitglieder am liebsten sofort austreten würden (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und 82 Prozent mit den Serviceleistungen der Kam- und bei der SPD) mern nicht zufrieden sind. Das spricht dafür, daß man die Krise des Verbändestaates tatsächlich nicht durch eine Zwangsmitgliedschaft beseitigen kann. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin, Herr Doss möchte noch eine Frage stellen. Sind Sie Zweiter Punkt. Ich glaube nicht, daß die gewerbli- einverstanden? che Wirtschaft dadurch, daß sie weiter in ein Zwangskorsett à la Ludwig XIV. gepreßt wird, auf die gegenwärtige Standortdebatte reagieren kann. Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bitte schön, Herr Doss. Dritter Punkt. Ich glaube - da sind wir uns doch sonst immer einig -, daß der gemeinsame Binnen- markt einer höchstmöglichen Harmonisierung ge- Hansjürgen Doss (CDU/CSU): Die Außenhandels- rade auch im wirtschaftsrechtlichen Bereich bedarf. kammern sind vor Ort privatwirtschaftlich organi- Es spricht sehr viel dafür, zu einer, wie ich schon siert. Sie haben recht. Die gesamte sonstige Infra- sagte, privatrechtlichen Organisationsform zu kom- struktur wird von Deutschland aus getragen. Sie wür- men, wie wir sie in Großbritannien - Sie würden im- den vor Ort nicht existieren können. mer sagen, dort sei man wirtschaftlich erfolgreich -, Deswegen noch einmal meine Frage: Wie sollte Irland, Finnland, Schweden, Dänemark, Belgien, Por- nach Ihrer Vorstellung dieser sogenannte wichtige tugal, der Schweiz und Norwegen haben. Schreibtisch des Mittelstandes im Ausland ange- Noch ein Hinweis: Die ,,Euro-Chambres", die sichts anderer Kulturen, anderer Sprachen und ande- Europäische Wirtschaftskammer, ist auch privat- rer Rechtssysteme funktionieren, wenn wir nicht das rechtlich organisiert und funktioniert. Rückgrat unserer Kammern hätten? Meine Damen und Herren, ich glaube, daß es vor dem Hintergrund der rasanten weltwirtschaftlichen Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE Veränderungen für Deutschland und für die Unter- GRÜNEN): Herr Doss, noch einmal: Ich halte die Ar- nehmen eine Voraussetzung ist, sich tatsächlich auf beit der Außenhandelskammern für absolut notwen- die Wettbewerbsbedingungen einzustellen. Die Auf- dig. Diese muß man auch ausbauen. Die Außenhan- hebung der Zwangsmitgliedschaft, die Umorganisa- delskammern finanzieren sich aus Beiträgen sowie tion der IHKn in ein privatrechtlich organisiertes Mo- aus dem Einzelplan des Bundeswirtschaftsministers dell, ist die Voraussetzung dafür, daß sich kleine und und nicht aus Pflichtbeiträgen, die hier bei unserem mittlere Unternehmen, daß sich die zukunftsfähigen Mittelstand erhoben werden. neuen innovativen Unternehmen hier gut beraten fühlen. (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Doch!) Ich will Ihnen eines sagen: Ich bin zu vielen IHKn - Meine Herren, das ist leider nicht der Fa ll. Lesen gereist. Es gibt Statistiken, welche Berufsgruppen Sie einmal das IHK-Gesetz, und kümmern Sie sich dort organisiert sind. Die größte Berufsgruppe sind um die Finanzierung der Außenhandelskammern. die sogenannten Sonstigen. Auf meine Frage - die Das stimmt leider nicht. Ich habe da, so glaube ich, habe ich bei allen gestellt -, wer die Sonstigen sind, recht. Es tut mir leid, es ist so. wurde geantwortet: Das sind die neuen Dienstleister, (Hansjürgen Doss [CDU/CSU]: Ich habe die neuen Technologiefirmen und Beraterfirmen, also wirklich recht!) diejenigen, von denen wir immer sagen, daß sie zu- kunftsfähige Arbeitsplätze schaffen und daß in die- - Herr Doss, ich habe wirklich recht. sem Bereich ein Expansionsvolumen besteht. (Zuruf von der SPD: Wo sie recht hat, hat Jetzt frage ich Sie: Warum haben die IHKn zu ih- sie recht!) nen keinen Zugang? Sie wissen überhaupt nicht, wie Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 15991

Margareta Wolf (Frankfurt) sie arbeiten. Die neuen Dienstleister aber beschwe- wohl kaum zweifeln wollen. Das Problem muß dann ren sich, daß sie Abgaben bezahlen müssen, wovon anderswo liegen. Richtig, es liegt bei den Rahmenbe- sie nichts haben. dingungen. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das ist nicht Kommen wir zunächst zum Thema außenwirt- wahr!) schaftliche Stärkung des Mittelstands. Wir begrüßen Ich glaube, Herr Friedhoff, daß eine Umorganisa- es, daß die Bundesregierung versucht, den Gang tion eine standortfördernde Deregulierung wäre und deutscher Unternehmen auf ausländischen Märkten daß eine privatrechtliche Organisationsform die Ei- nach Kräften zu unterstützen. In diesem Zusammen- geninitiative des Mittelstandes erheblich fördern hang möchte ich insbesondere die verstärkten Bemü- würde und damit auch die Verantwortung und Ver- hungen der deutschen Botschaften nennen. tretung der eigenen Interessen in einem eigenen Ver- Gerade kleine und mittlere Unternehmen brau- band. chen Anlaufstellen, die ihnen vor Ort weiterhelfen Danke schön. und Kontakte vermitteln können. Andererseits soll- ten Sie auch nicht die Findigkeit unserer Unterneh- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN men unterschätzen. Nach Untersuchungen des Bon- sowie bei Abgeordneten der SPD) ner Instituts für Mittelstandsforschung sind die Deut- schen derzeit in Ungarn, Tschechien, der Slowakei Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das und in Polen mit rund 20 000 Engagements vertreten. Wort dem Abgeordneten . Drei Viertel davon stellt der Mittelstand. In diesen Staaten werden inzwischen rund 300000 Arbeits- plätze mit deutschem Kapital finanziert. Der Mittel- Paul K. Friedhoff (F.D.P.): Herr Präsident! Meine stand findet also wohl den Weg in außenwirtschaftli- sehr verehrten Damen und Herren! Die SPD hat häu- che Engagements, ohne daß wir ihm mit neuen figer ein Problem, weil sie sich des Vorwurfs erweh- Staatsagenturen unter die Arme greifen. Ja, wir trei- ren muß, sie würde nicht soviel von Wirtschaft verste- ben ihn geradezu in solche Engagements, weil sich hen. Investitionen in Deutschland für viele immer weniger (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Ha, ha, ha! Die rechnen. Deshalb entstehen Arbeitsplätze im Aus- steigende Arbeitslosigkeit!) land und nicht bei uns. Das eigentliche Thema, das die Menschen bei uns bewegt, ist die Frage, wie das Deshalb hat die SPD - so scheint mir - in der Fraktion passieren kann. in Fleißarbeit zwei Anträge zu dem erarbeitet, was sie Mittelstandsförderung nennt. Meine Damen und Herren von der SPD, reden Sie doch endlich einmal mit Unternehmern. Sprechen Frau Wolf, Sie haben gerade sehr deutlich ge- Sie mit Mittelständlern darüber, wo der Schuh wirk- macht, was Sie unter Steuerreform verstehen, und lich drückt. Wissen Sie, was Sie dann zu hören be- haben das in Zusammenhang mit Investitionen in kommen? Deutschland gestellt. Ich bin absolut davon über- zeugt, daß man Investitionen nicht durch Steuerver- (Dr. Elke Leonhard [SPD]: Eine sehr niedli schiebungen, sondern durch Steuersenkungen nach che Aussage! - Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Deutschland holt. Ich bin gerührt!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) - Es ist wunderschön, daß Sie gerührt sind. Aber Sie Das ist der Punkt. Hier sind wir auseinander. Wir sollten das einmal tun. wollen international mithalten können. Im Gegensatz- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Über Ihre Arro dazu wollen Sie unser System nur anders finanzieren; ganz und Ihr Nichtwissen!) das wird am Ende nicht funktionieren. Sie werden Ihnen sagen, daß die Lohnzusatzko- Erfreuliches gibt es dennoch; denn die SPD stellt in sten unerträglich hoch sind. Das ist die erste Aus- den Anträgen, die sie vorgelegt hat, zwei Punkte her- sage. aus, die wir Freien Demokraten immer wieder betont haben: Erstens. Die kleinen und mittleren Bet riebe Die zweite wird sein: Der Arbeitsmarkt ist zu stark bilden das Herz und Rückgrat unserer Wirtschaft. reguliert. Es gibt zu viele und zu unübersichtliche Die Erkenntnis ist also allgemein da. Sie schaffen Vorschriften und eine ausufernde Bürokratie. Genau zwei Drittel aller Arbeitsplätze in Deutschland. Ohne dies und nicht zuletzt auch die strengen und in ihrer ihr Engagement, ohne den Fleiß von Hunderttausen- Wirkung unkalkulierbaren Arbeitsgesetze halten die den von selbständigen Unternehmern ist unsere kleinen und mittleren Unternehmen davon ab, mehr Wirtschaft schlichtweg nicht denkbar. Wir sehen das Arbeitsplätze in Deutschland zu schaffen. gerade beim Aufbauprozeß in den neuen Ländern. Eine Forderung hören Sie vom Mittelstand mit be- Zweitens. Die SPD stellt fest, der Mittelstand laufe sonderem Nachdruck. Sie müssen mit den Steuern Gefahr, gegenüber den Wettbewerbern aus anderen herunter, sagen sie uns. Sie sagen nicht, daß wir die Industrieländern zurückzufallen. Das ist richtig, so- Steuern anders verteilen müssen. Bei der Steuerbela- gar sehr richtig. Deshalb müssen wir darüber nach- stung für Bürger und Unternehmen sind wir Welt- denken, woran das liegt. An der Leistungsfähigkeit spitze. unserer mittelständischen Bet riebe, also an der Lei- stungsbereitschaft in den Bet rieben werden wir ja (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Stimmt nicht!) 15992 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Paul K. Friedhoff Vor allem aus diesem Grund kommen wir von der ho- nanzierung im Exportgeschäft schwer. Das sind die hen Arbeitslosigkeit nicht herunter. tatsächlichen ökonomischen Zusammenhänge, die mittelständische Bet riebe berühren. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU - Anke Fuchs [Köln] In ihrem zweiten Antrag regt die SPD die Straffung [SPD]: Stimmt auch nicht!) der Mittelstandsförderung an. Eine solche Straffung ist in der Tat sinnvoll. Wir Freien Demokraten freuen Sie von der SPD stellen sich hierhin und gerieren uns, daß sich der Bundeswirtschaftsminister dieser sich als Mittelstandsfreunde, während der von Ihnen Aufgabe bereits vor Monaten angenommen hat. Der verteidigte Steuerstaat den Bet rieben die Luft zum SPD genügt das nicht. Sie forde rt in ihrem Antrag Atmen nimmt. Das sind die Fakten. eine staatliche Mittelstandsagentur. Eben haben Sie (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wer hat denn die gesagt, dafür könnte eine Abteilung im Bundeswirt- Steuern erhöht? Das waren doch Sie!) schaftsministerium ausgelagert bzw. geschlossen werden. So könnte daraus eine staatliche Mittel- Wir hätten die große Steuerreform zur Entlastung standsagentur gemacht werden. Um Gottes willen! von Bürgern und Unternehmen längst ins Werk set- Die Unternehmen in diesem Land stöhnen über die zen können, wenn die SPD mit ihrer Mehrheit im Steuerlast und die Bürokratiekosten. Ihnen fällt dazu Bundesrat nicht dagegen stände. nichts Besseres ein als ausgerechnet eine neue (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Staatsagentur, natürlich mit steuerfinanzierten Perso- nalkosten und mit neuem bürokratischen Aufwand. Auch das, was Sie jetzt hier wieder sagen - Sie ha- ben gefragt: Wer hat denn die Steuern erhöht? -, (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne zeigt doch, daß Sie sie nicht senken wollen; vielmehr ten der CDU/CSU) wollen Sie, daß alles das, was in der Vergangenheit Wir sollten das ERP-Sondervermögen im übrigen gemacht worden ist, unendlich so weitergeführt ruhig dort lassen, wo es bisher angesiedelt ist, wird. Da unterscheiden wir uns eben. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Warum?) (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: „Weiter so!" sagen doch Sie!) zum Nutzen vieler kleiner und mittlerer Unterneh- men. Die kleinen und mittleren Unternehmen in un- Da ist der große Unterschied zwischen Ihnen und serem Land benötigen keine Subvention oder sonsti- uns. Sie wollen mit den Steuern so weitermachen, gen Schutz vor Wettbewerb, um konkurrenzfähig zu und wir wollen mit den Steuern herunter. sein. Sie brauchen schon gar keine deutsche Expo rt (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) -consult GmbH oder eine staatliche Mittelstandsagen- tur. Die meisten mittelständischen Unternehmen wol- Nur gut, daß Sie nach monatelangem Zögern end- len einfach aus der Zwangsjacke befreit werden, die lich ein eigenes Konzept für die Steuerreform vorge- ihnen unser Steuerstaat angelegt hat. legt haben. Wenn wir uns das in bezug auf seine Auswirkungen für kleine und mittlere Unternehmen Erheblich interessanter als die beiden SPD-An- einmal ansehen, so ist festzustellen: Eine Aussage träge ist der Gesetzentwurf der Grünen zur Reform zur Senkung des Spitzensteuersatzes fehlt. Der Kör- der Industrie- und Handelskammern schon deshalb, perschaftsteuersatz für reinvestierte Gewinne soll auf weil die Grünen hier ungewohnterweise das Prinzip 35 Prozent festgelegt werden. Den Personengesell- der Freiwilligkeit einsetzen und damit argumentie- schaften hilft das herzlich wenig. Mittelstand, Hand- ren. Dieses Prinzip ist das Credo der Liberalen, und werk und freie Berufe gehen leer aus. Um die Absen- es wird in Zukunft die Wirtschaft mehr bestimmen. kung der Lohnnebenkosten um zwei Prozentpunkte- Wir stehen an der Schwelle zur globalen offenen zu finanzieren, ist, wie bei Sozialdemokraten üblich, Wettbewerbsgesellschaft. Deshalb müssen wir grund- eine allgemeine Steuererhöhung angesagt. sätzlich alle mit hoheitlicher Macht versehenen Ein- Der gleiche Strukturfehler liegt auch in der von der richtungen auf den Prüfstand stellen, die die ökono- SPD geplanten Vermögensabgabe. Sie soll nur auf mische Bewegungsfreiheit des einzelnen beschrän- große Privatvermögen erhoben werden. Bet riebliche ken. Wir dürfen dabei allerdings keine gewachsenen Vermögen sollen ausgenommen sein. Aber wie kann und bewährten Strukturen unnötigerweise zerschla- eine Unterscheidung funktionieren, wenn mehr als gen, schon gar nicht, wenn wir Gefahr laufen, am 90 Prozent unserer Betriebe in Deutschland Perso- Ende nicht vor weniger, sondern vor mehr Staatsauf- nengesellschaften sind? In der Konsequenz bedeutet gaben zu stehen. Was Sie fordern, ist gleichbedeu- dies, daß die SPD nur große Kapitalgesellschaften tend mit der Zerschlagung der Indust rie- und Han- von der Vermögensabgabe wirklich befreien wi ll. Die delskammern in ihrer bisherigen Form. Die Kammern Vermögensabgabe wird so zur Steuer für die Bürger haben sich über Jahrzehnte als Selbstverwaltungsor- und den Mittelstand. gane bewährt. Ein Kammersystem auf Basis der frei- willigen Mitgliedschaft würde sich schnell zu einer Es ist doch die hohe Unternehmensbesteuerung, weiteren, nur interessengeleiteten Gruppierung ent- die für die dünne Eigenkapitaldecke vieler kleiner wickeln. und mittlerer Unternehmen verantwortlich ist. Dar- unter leiden gerade unsere ostdeutschen Bet riebe. Das Entscheidende aus unserer Sicht ist: Die Kam- Dies wiederum bedeutet auch die entscheidende mern bilden das Fundament für die Einflußnahme Hürde beim Gang auf internationale Märkte. Kapital- der Wirtschaft auf staatliche Planungsaktivitäten für schwache Betriebe tun sich nun einmal mit der Vorfi- die Kooperation der gesamten Wi rtschaft. Die Kam- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 15993

Paul K. Friedhoff mein sind die Grundlagen eines beruflichen Bil- Rubrik herausgestrichen. Das kann nicht unser An- dungssystems, um dessen Qualität uns viele Länder liegen sein. in der Welt beneiden. (Beifall bei der PDS) Richtig ist, daß die Indust rie- und Handelskam- Jeder einzelne Existenzgründer verdient Anerken- mern aufgefordert bleiben, über interne St rukturen nung und Unterstützung. Nicht wenige der Selbstän- nachzudenken und Kritik ihrer Mitglieder ernst zu digen - das muß ich hier auch noch einmal hervorhe- nehmen. Die Bundesregierung hat mit dem im Jahre ben - kommen aus zusammengebrochenen Firmen. 1992 verabschiedeten neuen Beitragsrecht für die Sie werden zu Existenzgründern, übernehmen ein Kammern ihren Teil zum Reformprozeß beigetragen. hohes persönliches Risiko und sind oft weniger abge- Einen darüber hinausgehenden Handlungsbedarf sichert als ein sozialversicherter Arbeitnehmer. sieht die F.D.P.-Fraktion höchstens in einer Konkreti- Die Achillesferse kleiner und mittlerer Unterneh- sierung des Beitragsrechts, ähnlich wie der Kollege men in Ost und West ist ihr Mangel an Eigenkapital. Doss das hier gesagt hat. Auch dieses Problem ist mit der bisherigen Politik Ich komme zum Schluß. Kümmern wir uns im Inter- nicht gelöst worden. Also ist jeder Vorschlag darauf esse der Arbeitslosen lieber um verbesserte Rahmen- zu prüfen, wie er dieses Problem lösen hilft. Finanzie- bedingungen für die Meinen und mittleren Unter- rung über Fremdkapital hat hierzulande Tradition, nehmen in unserem Land. Wenn uns die SPD und es wird ge- und politisch befördert. In der Fördermit- Bündnis 90/Die Grünen dabei unterstützen wollen, telpolitik schlägt sich dies in der ausgeprägten Aus- dann sind sie herzlich aufgefordert. Allerdings sind richtung auf Hilfen durch Kredite und eng zweckge- die Anträge und der Gesetzentwurf dazu nicht geeig- bundene Zuschüsse nieder - mit entsprechender Pro- net. Deswegen werden sie von uns abgelehnt. grammzahl und großem Bewilligungs- und Kontroll- aufwand. Ich danke Ihnen. Die PDS meint, eine Reform der Förderung mittel- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - ständischer Unternehmen muß an den letztlich aus- Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Also weiter so mit schlaggebenden Defiziten ansetzen, Inst rumente der steigenden Arbeitslosigkeit!) und Mechanismen der Förderung ändern und damit zu einer anderen Struktur der Förderpolitik kommen. Es erscheint uns deshalb sinnvoll, staatliche Förde- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das rung auf Stärkung des Eigenkapitals auszurichten, Wort nun dem Abgeordneten Roll Kutzmutz. Finanzierung per Fremdkapital dorthin zu verweisen, wo sie sowieso stattfindet: über die Kreditinstitute. Rolf Kutzmutz (PDS): Herr Präsident! Liebe Kolle- Mit Eigenkapital können Unternehmer entspre- ginnen und Kollegen! Hätten Worte Gewicht, wie es chend konkreten Situationen selbstbestimmt und da- so oft behauptet wird, bestünde im Mittelstand in mit auch selbstverantwortlich wirtschaften, je nach Deutschland kein Grund zur Klage; denn es ist schon Gegebenheit, egal, ob es um Forschung, Produktion, bemerkenswert, wie oft dieses Wo rt in diesem Haus Inlands- oder Auslandsabsatz geht. Diese staatliche benutzt wird. Aber, Herr Kollege Doss, das ist offen- Förderung - das will ich deutlich hervorheben - hat sichtlich ohne positive Folgen. nichts mit Planwirtschaft, Bürokratie, Subventions- mentalität und schon gar nichts mit Sozialismus zu Zwei Dinge möchte ich voranstellen. tun. Erstens. Noch nie hat es in der Bundesrepublik All diese beliebten Schlagworte ziehen zumindest Deutschland so viele Existenzgründungen- gegeben, nach unserer Einschätzung bei einem Modell nicht, aber auch noch nie so viele Pleiten. Die Zahl der In- welches wir - da bin ich guter Hoffnung - noch im solvenzen wird 1997 im siebten Jahr in Folge auf ein Juni als Antrag einreichen werden. Sie werden also, neues Rekordniveau klettern. Ein Anstieg um acht liebe Kolleginnen und Kollegen, sofern Sie sich Zeit Prozent zum Vorjahr wird erwartet. Der Gipfel ist nehmen oder Zeit haben, während der Sommerpause noch nicht erreicht - so der Hauptgeschäftsführer des Gelegenheit haben, sich damit zu beschäftigen. Verbandes der Vereine Creditreform. Vielleicht gehen dann die Erkenntnisprozesse et- Nun, Herr Kollege Doss, wo wären wir denn ohne was schneller als bei unserem Kollegen Westerwelle, Förderung? Was wären denn die Betriebe, die Ein- der gestern über alle ihm möglich zu erreichenden richter, die ohne staatliche Förderung beginnen wol- Öl-Radiokanäle eine Finanzierungsquelle, eine len? Wer besitzt schon beim Sta rt Grundstücke, Ge- quelle, erschlossen hat, über die die PDS nachweis bäude und das entsprechende Bankkonto? lich seit 21 Monaten in diesem Hause spricht. Zweite Feststellung. Wenn wir vom Mittelstand re- (Beifall bei der PDS) den, habe ich nicht selten den Eindruck, daß wir Angesichts der Meldungen, die gestern so sehr über völlig unterschiedliche Bet riebe reden. Gestern zahlreich erschienen sind, fällt mir zu Herrn Wester- in der Anhörung hat ein Sachverständiger gesagt, er welle wirklich nur ein Lied der „Prinzen" ein: „Es ist beziffere den Mittelstand mit Betriebsgrößen von alles nur geklaut" . zehn bis tausend Beschäftigten. Damit wären aber alle 500 000 mittelständige Unternehmen und freibe- (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne rufliche Existenzen in Ostdeutschland, die im Schnitt ten der SPD - Dr. sechseinhalb Beschäftigte haben, einfach aus dieser [F.D.P.]: Aber schöne Träume haben Sie!) 15994 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Rolf Kutzmutz Kurz etwas zu den Anträgen der SPD und des Beispiel im Berufsausbildungssystem ist allseits aner- Bündnisses 90/Die Grünen. Liebe Kollegin Fuchs, ich kannt und wird von ihnen selbst überall betont. unterstreiche die darin getroffenen Feststellungen insbesondere im Antrag betreffend neue Ausrichtun- Wir haben einerseits mit einer enormen Lehrstel- gen und Konzentration der Fördermittel. Ich unter- lenmisere zu tun. Es fehlt auf diesem Feld zuneh- streiche die Feststellungen zur volkswirtschaftlichen mend jede Solidarität innerhalb der Wi rtschaft. Bedeutung, zu den Herausforderungen, vor denen Kleine und mittelständische Unternehmen bilden der Mittelstand steht, wie auch zu den Problemen vorrangig aus. Immer mehr große Unternehmen zie- der bisherigen Mittelstandsförderung Wo rt für Wort, hen sich hingegen zurück und übernehmen Ausge- Satz für Satz. Aber die Konsequenz daraus, die For- bildete einfach von anderen Unternehmen. Anderer- derungen, halte ich für nicht ausreichend. Vielleicht seits sind kleine, ausbildende Unternehmen mit teil- könnte ich auch sagen: Noch nicht; denn wir können weise hohen Gebühren im Kammerbereich konfron- im Ausschuß ja noch darüber diskutieren. tiert: für Eintragungen in die Ausbildungsrolle, für Prüfungen. Warum sollten diese Kosten - diese Ko- Sie fordern eine neue Behörde, auch wenn diese stenentscheidung liegt allein bei den Kammern - ausdrücklich ein Dienstleistungsunternehmen sein künftig nicht auch über die Pflichtbeiträge differen- soll. Mir fehlen Vorschläge, wo denn nun im Förder- zierter beglichen werden als heute? So würden wir mitteldschungel die Axt angelegt werden soll, wo dieses selbstverwaltete Organ der Wi rtschaft stärken, konkret Kompetenzen und damit andere Behörden statt es auch formell zu einer Ansammlung loser Lob- zugunsten der verlangten Mittelstandsagentur be- byvereine zu degradieren, von denen es im Bereich schnitten werden sollen - sieht man einmal ab von der Wirtschaft inzwischen ausreichend gibt. der Unterabteilung des BMWi; gemeint sind wohl die Danke schön. verschiedenen Referate der Abteilung II. (Beifall bei der PDS) Jedes bestehende Fördermittelprogramm ist für sich genommen durchaus sinnvoll. Diese Programme sind zu keiner Zeit zur Beschäftigungssicherung von Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Für die Bun- Beamten und Staatsangestellten entstanden, sondern desregierung gebe ich dem Parlamentarischen aus nachvollziehbaren wirtschaftspolitischen Erfor- Staatssekretär Dr. Hein rich Kolb das Wort. dernissen. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Der ist doch der Auch die damit entstandenen Entscheidungs-, Ver- Erfinder der Agentur!) waltungs- und Kontrollstrukturen sind insofern legi- tim. Dennoch stehen wir vor einer von der SPD abso- Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär beim Bun- lut zutreffend beschriebenen K rise der bisherigen desminister für Wirtschaft: Herr Präsident! Liebe Kol- Wirtschaftsförderung. Diesem Dilemma aber nur mit leginnen und Kollegen! Ich finde es erfreulich, daß einem strukturellen Änderungsvorschlag abhelfen zu ich nach dem bisherigen Verlauf der Debatte zu einer wollen, würde zu kurz greifen. Am Ende stünde le- wichtigen Grundsatzfrage keine Überzeugungsar- diglich eine neue, zusätzlich zu finanzierende Struk- beit mehr leisten muß. Die Bedeutung des Mittel- tureinheit neben dem Bestehenden. standes für Beschäftigung, Ausbildung, Innovation Wenn man das Chaos - als das stellt sich die Wi rt hat sich in Deutschland offenbar herumgesprochen. -schaftsförderung für den hilfesuchenden Mittel- Herr Kutzmutz, Mittelstand beginnt für mich nicht ständler dar - aber nur besser, effizienter verwalten erst bei zehn Beschäftigten. Im Gegenteil: Auch der will, so bleiben unter dem Strich vielleicht besser ab- allein tätige Handwerker oder Freiberufler, Dienstlei- fließende, aber absolut weniger Mittel für die Wi rt ster ist für mich bereits Mittelstand. -schaftsförderung im Mittelstandsbereich, weil deren (Rolf Kutzmutz [PDS]: Da stimmen wir voll Verwaltung auch wieder Geld kostet. überein!) Dieselbe Krux sehe ich auch bei den Vorstellungen Wir alle wissen auch, daß kleine und mittlere Un- der SPD zur außenwirtschaftlichen Stärkung des Mit- ternehmen der Beschäftigungsmotor unserer Volks- telstandes. Eine deutsche Exportconsult GmbH kann wirtschaft sind. Ich will die Zahlen gerne noch einmal in dem Moment höchst wirkungsvoll sein, wenn bei nennen: In Zeiten massiven Arbeitsplatzabbaus in ihr Kompetenzen und damit Mittel tatsächlich kon- der Großindustrie hat der deutsche Mittelstand über zentriert und gebündelt werden. Da aber im Moment zwei Millionen Arbeitsplätze geschaffen. Der Mittel- noch konkrete Aussagen fehlen, von wo die Mittel stand ist, wohl ebenfalls unbest ritten, auch zukünftig zugunsten dieser GmbH abgezogen werden sollen, der Hoffnungsträger für mehr Beschäftigung in die- fürchte ich, daß auch auf diesem Gebiet zu schlechter sem Land. Letzt nicht unbedingt größere Effizienz, sondern noch mehr Gegeneinander und Durcheinander staat- Erfreulich ist, daß wir allen Unkenrufen der Oppo- licher Aktivitäten entstünden. Ich bin auch auf die sition zum Trotz in jüngster Zeit wieder einen ver- Diskussion im Ausschuß gespannt. stärkten Trend zur Selbständigkeit verzeichnen kön- nen. Nachdem die Selbständigenquote 1982 mit Den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen 6,9 Prozent einen Tiefpunkt erreicht hatte, haben wir zur Privatisierung der Industrie - und Handelskam- heute in den alten Bundesländern immerhin wieder mern lehnt die PDS ab. Statt die Kammern zerschla- 8,8 Prozent erreicht. In den neuen Ländern ist die gen zu wollen, sollten wir sie viel mehr als bisher ein- Selbständigenquote in acht Jahren von nahezu null fach beim Wort nehmen. Der Beitrag der IHK zum auf beachtliche 7,6 Prozent emporgeschnellt. Das Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 15995

Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb heißt, dort haben inzwischen rund 500 000 engagierte konkreten, umsetzbaren Vorschlägen an der Diskus- Menschen den Schritt in die Selbständigkeit gewagt. sion beteiligt. Das ist erfreulich, sehr erfreulich sogar, aber es reicht noch nicht. Deswegen müssen wir weiter unverstärkt (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Machen wir!) auf den Mittelstand setzen, wenn wir das drückende Eines ist klar: Ganz egal, wie die bestehenden öf- Problem der Arbeitslosigkeit in den Griff bekommen fentlichen Hilfen organisatorisch oder institutionell wollen. Wir müssen Menschen mit Mut und Initiative einen Rahmen finden: Wir werden zukünftig auf ei- den Weg zu einer selbständigen Existenz erleichtern, nen besser funktionsfähigen privaten Risikokapital- indem wir ihnen die Hindernisse aus dem Weg räu- markt nicht verzichten können. Bei der Stärkung des men, die sie oftmals noch abschrecken. Risikokapitals hat die Bundesregierung bereits eini- ges an Vorschlägen auf den Weg gebracht, die jetzt Frau Fuchs, Sie haben gesagt, Ihre Anträge sollen zügig umgesetzt werden sollen. Ich nenne die Schaf- Teil eines Gesamtkonzeptes für den Mittelstand, für fung von Börsen für Beteiligungskapital, was den mehr Selbständigkeit sein. Lassen Sie uns also ein- Mittelstand anbelangt, die Informationsbörse für Un- mal gemeinsam nachsehen, welche Steine dem Mit- ternehmensbeteiligungen unterhalb der Schwelle telstand und einer höheren Selbständigkeit im Wege der organisierten Kapitalmärkte, die stärkere Einbe- liegen. ziehung der institutionellen Anleger in die Risikoka- pitalversorgung gerade auch des Mittelstandes und Dazu will ich zunächst einmal feststellen - das wird den Abbau der steuerlichen Bevorzugung von mir immer wieder bestätigt -, daß es an finanziellen Fremdkapital gegenüber Eigenkapital. Hilfen der öffentlichen Hand nicht mangelt. Diese Maßnahmen, die ich genannt habe, stärken (Paul K. Friedhoff [F.D.P.]: Sehr richtig!) die Handlungsfähigkeit des Mittelstandes. Sie sind aus meiner Sicht auch auf dem außerwirtschaftlichen Unser Fördersystem mit Eigenkapitalhilfe, mit zins- Gebiet wirksam. Wenn wir dies tun, werden wir auf günstigen Krediten und mit Bürgschaften, ergänzt das von der SPD vorgeschlagene neue gemeinsame durch spezielle Instrumente wie das Beteiligungspro- Finanzierungsinstrument von Bund und Ländern im gramm technologieorientierter Unternehmen, bildet außerwirtschaftlichen Bereich verzichten können. ein fast lückenloses Gesamtkonzept. Ich wollte über Steine reden, die hier auf dem Die Kehrseite der Medaille ist sicherlich die Viel- Wege des Mittelstandes liegen und die wir beiseite zahl der Programme, die durch die Vielzahl der Trä- räumen müssen. Die zweite Hürde, die Gründern ger noch potenziert wird. Die Unübersichtlichkeit - und bereits existierenden mittelständischen Unter- ich bestreite das gar nicht - schadet zweifellos der Ef- nehmen große Probleme bereitet, ist die Regulie- fektivität der Förderung. Sie wissen, es gibt hier ei- rungsdichte und die daran geknüpfte Bürokratie in nen Auftrag der Koalition, und es gibt auch eine Ar- Deutschland. Auch auf diesem Gebiet hat die Bun- beitsgruppe unter meinem Vorsitz. Wir sind in Ver- desregierung einiges bewegt. Wir haben Planungs- handlungen mit den Ländern, die hier eine wichtige und Genehmigungsverfahren wieder beweglich ge- Rolle spielen, und die Dinge gehen voran. macht. Wir haben Überregulierungen mit erdrücken- den Kostenfolgen im Arbeitsrecht beseitigt. Wir ha- Ich will aber auf zwei konkrete Maßnahmen hin- ben in der Geschäftsordnung der Bundesregierung weisen. die Grundlage dafür geschaffen, daß bürokratische Belastungen, die gerade für den Mittelstand eine be- Erstens. Was die Übersichtlichkeit angeht, hat der sondere Bürde sind, schon im Vorfeld von Gesetzes- Bundeswirtschaftsminister Dr. Rexrodt den Aufbau vorhaben aufgespürt und bereits im Ansatz vermie- einer zentralen Förderdatenbank veranlaßt, die alle den werden. bestehenden Fördermöglichkeiten online per Knopf- Das alles sind aber nur erste Schritte. Wir brauchen druck rund um die Uhr abrufbar machen wird. Damit eine breitangelegte Offensive zum Abbau überflüssi- erfüllt der Staat eine wichtige Bringschuld. ger Bürokratie und kostenintensiver überkommener Vorschriften. Das heißt, wir müssen endlich die Fes- Zweitens haben wir unser erfolgreiches Eigenkapi- seln abstreifen, die die Innovations- und Beschäfti- talhilfeprogramm in die ERP-Förderung integriert gungsdynamik in Deutschland hemmen. und damit verstetigt. Eine weitergehende Zusam- menfassung, möglicherweise sogar Ausgliederung Der Vorschlag, Frau Kollegin Wolf von Bündnis 90/ der Förderinstrumente des Bundes hat, wie ich sagen Die Grünen, zu einer Reform des Kammerwesens muß, leider nicht nur Vorteile, sondern auch Nach- fällt meines Erachtens nur auf den ersten Blick in teile. Ich stehe dennoch - vorbehaltlich Ihrer Aussa- diese Kategorie Abbau von Bürokratie und Deregu- gen, Frau Skarpelis-Sperk, die Sie gleich machen lierung. Im Gegenteil, ich glaube, daß Sie unter dem werden - dem Gedanken, der im übrigen nicht ganz Deckmantel von Deregulierung und Privatisierung neu ist, grundsätzlich erst einmal aufgeschlossen ge- ein Einverleiben der bisherigen Selbstverwaltung in genüber. Aber ich meine, daß wir mit allen Beteilig- den Staatsapparat verfolgen. Frage an Sie, Frau Kol- ten noch gründliche Gespräche führen müssen, be- legin Wolf: Glauben Sie denn nicht an Ihr eigenes vor weitreichende Beschlüsse gefaßt werden. Es Konzept - was ich vermute, wenn ich § 2 Abs. 4 Ihres würde mich aber als Mittelstandsbeauftragten der Vorschlages lese -, oder zielen Sie etwa von Anfang Bundesregierung freuen, wenn sich die Opposition an auf die Zuweisung von Aufgaben an die Landes- in dieser für den Mittelstand so wichtigen Frage mit behörden ab? 15996 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb Sie geben Ihrer Initiative das Etikett der Deregulie- verfolgt, und ich kann Ihnen nur empfehlen, sich rung. Ich kann nur sagen: Das, was Sie vorschlagen, diese Initiative einmal selbst anzusehen. ist Deregulierung mit Verhütungsmitteln, mithin ein Aber auch die Hochschulausbildung ist meines Er- Wolf im Schafspelz. achtens zu sehr auf abhängige Beschäftigung ausge- Der Vorschlag, das Kammersystem aufzulösen, ist legt. Wir sollten an unseren Universitäten nicht nur aber auch aus mittelstandspolitischen Gründen abzu- Nachwuchs für den öffentlichen Dienst ausbilden. Es lehnen. Die Pflichtmitgliedschaft, die dem einen oder sind immer noch 40 Prozent der Hochschulabgänger, anderen ein Do rn im Auge ist, begünstigt in erster Li- die in den öffentlichen Dienst streben. Wir sollten nie nämlich tatsächlich die kleineren Unternehmen. nicht nur Jungmanager für Siemens und die Deut- Sie müssen sich vorstellen, daß bei freiwilligen Zu- sche Bank ausbilden, sondern auch gezielte Bil- sammenschlüssen, bei Vereinen finanzstarke Mit- dungsangebote für den Nachwuchs im Mittelstand glieder mit ihrer Austrittsdrohung eine starke Waffe schaffen. in der Hand hätten. Sie könnten ihre Sonderinteres- Als Mittelstandsbeauftragter der Bundesregierung sen ungleich besser durchsetzen, als das im gegen- habe ich hierbei die Inititative ergriffen und im Kon- wärtigen Kammersystem der Fall ist. takt mit Universitäten in den alten und neuen Bun- Wer also dieses System abschafft, schadet damit desländern die Thematik von Lehrstühlen für Exi- vor allem den kleineren, finanzschwächeren Unter- stenzgründer besprochen. Das Interesse der Wissen- nehmen. Nicht ohne Grund haben auch die Länder schaft ist übrigens in diesem Zusammenhang sehr Ende letzten Jahres den Status der Industrie- und groß. Handelskammern als Selbstverwaltungseinrichtun- gen der Wirtschaft noch einmal nachdrücklich bestä- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Staatsse- tigt. kretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge- ordneten Conradi? Es ist aber richtig - das will ich hier durchaus sagen -, daß natürlich die Kammern ihre interne Organisation effizienter, dienstleistungsorientierter anpassen müs- Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär beim Bun- sen. Den Kammern muß klar sein, daß sie nur mit desminister für Wirtschaft: Bitte sehr! mehr Effektivität und Transparenz die ihrer Arbeit verlorengegangene Akzeptanz bei ihren Pflichtmit- Peter Conradi (SPD): Herr Staatssekretär, wie kön- gliedern wiedergewinnen können. nen Sie einem jungen Menschen heute empfehlen, Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum sich selbständig zu machen, beispielsweise im mittel- Schluß meiner Ausführungen den Blick noch auf ein ständischen Bauhandwerk oder Baugewerbe, wenn Thema richten, das die bisherige Debatte noch nicht die Bundesregierung gleichzeitig durch die Richtlinie angesprochen hat und das vielleicht nicht unmittel- des Bauministeriums dafür sorgt, daß zunehmend bar auf der Hand liegt, wenn wir hier über bessere Bauaufgaben der öffentlichen Hand nicht mehr an Bedingungen für den Mittelstand und mehr Selb- mittelständische Betriebe, sondern an General-, ja ständigkeit in Deutschland reden. sogar Totalübernehmer übertragen werden, die dann selbst gar nichts mehr leisten, sondern mit Sub- und Ich meine damit, daß der Grundstein für den beruf- Subsubunternehmern, das heißt mit bis aufs Blut aus lichen Werdegang eines jungen Menschen bereits gepreßten mittelständischen Bet rieben, die dann sehr früh gelegt wird. Die Jugendlichen orientieren massenhaft pleite gehen, die Arbeiten ausführen? sich in der Regel an dem, was ihnen vorgelegt wird. Das heißt, hier geben Sie schöne Worte, aber die Viele strömen in den Lehrberuf oder treten in die Praxis Ihrer Regierung sieht doch völlig anders aus. Fußstapfen ihrer Eltern. Wer aber nicht zufällig- aus einer Unternehmerfamilie stammt, kommt dann (Beifall bei der SPD) meist gar nicht auf die Idee, daß auch und gerade be- rufliche Selbständigkeit eine vielversprechende Per- Parl. Staatssekretär beim Bun- spektive bietet. Dr. Heinrich L. Kolb, desminister für Wirtschaft: Herr Kollege Conradi, ich (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) will mit zwei Bemerkungen auf Ihre Frage antwor- ten. Das heißt, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß eine Kultur der Selbständigkeit deshalb sozusagen Erstens. Was die Selbständigkeit anbelangt, habe ich ja nicht ausschließlich gezielt dafür geworben, in auch eine Bildungs - und Wissenschaftskultur der Selbständigkeit braucht. Wir müssen die Jugendli- den Baubereich zu gehen. Es verhält sich ja offen- chen schon in der Schule mit den Chancen und auch sichtlich so, daß sich in Deutschland im Saldo nach mit den Risiken unternehmerischer Tätigkeit vertraut wie vor immer noch sehr viele Leute selbständig ma- machen. chen. Es gab im letzten Jahr - einem schwierigen Jahr, zugegeben - einen Saldo von 80 000 neuen Un- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und ternehmen, die in der Bundesrepublik gegründet der CDU/CSU) worden sind, selbst wenn man Konkurse und Liqui- dationen abrechnet. Ich denke, das spricht für sich. Ich habe deshalb vor kurzem die Schirmherrschaft des Projektes „Junior" des Instituts der Deutschen Ich will Ihre zweite konkrete Bemerkung aufneh- Wirtschaft, Köln, übernommen, das mit beachtlichem men. Ich sehe das genauso wie Sie. Ich habe deswe- Erfolg dieses Anliegen in mehreren Bundesländern gen bei den Neubauten für das Bundeswirtschaftsmi- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 15997

Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb nisterium in Berlin eine Initiative gestartet, die das durchzusetzen, verdienen Regierung, Kongreß und Ziel hat, mittelständische Bietergemeinschaften bes- Volk der Vereinigten Staaten auch 50 Jahre danach ser zum Zuge kommen zu lassen. Ich freue mich, Ih- Dankbarkeit und Respekt. nen sagen zu können - ich lade Sie zu einer in Kürze (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der anstehenden Feier ein -, daß eine mittelständische F.D.P.) Bietergemeinschaft die Ausschreibung für ein durch- aus nicht unbeachtliches Projekt gewonnen hat. Wir Wer heute eine intensive wi rtschaftliche Zusam- werden das, was hier geschieht - daran knüpfen sich menarbeit mit einer fortschreitenden Harmonisie- ja eine Reihe von Fragen -, sehr aufmerksam auswer- rung der Normen, Standards, Gesetze und Verhal- ten, und vielleicht ergibt sich daraus eine Initiative, tensweisen zwischen den Nationen als Illusion be- die bewirken könnte, daß Sie in Zukunft nicht mehr trachtet, weil angeblich Staaten als Gegner im Wett- solche Bedenken haben müssen, die Sie mit Ihrer bewerb der Nationen gegeneinanderstünden, der Frage aufgeworfen haben. hat diese Weitsicht nicht, und dem sei das Studium des Marshallplans, Herr Kollege Friedhoff, als eines (Beifall bei der F.D.P.) schlagenden Gegenbeweises empfohlen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe das (Beifall bei der SPD) Thema von Lehrstühlen für Existenzgründer ange- sprochen. Ich freue mich, Ihnen heute von dieser Der Marshallplan hat aber nicht nur in Deutsch- Stelle aus sagen zu können, daß in Kürze der erste land und Europa Prosperität gebracht; er hat in Stiftungslehrstuhl für Existenzgründer an der Euro- Deutschland nach der Phase des unmittelbaren Wie- pean Business School in Reichartshausen im Rhein- deraufbaus auch indirekt ein Instrument geschaffen, gau eingerichtet werden kann. Ich bin zuversichtlich, das eines der wichtigsten Förderinstrumente für die daß bereits zum kommenden Wintersemester der kleinen und mittleren Unternehmen werden sollte Lehrbetrieb aufgenommen werden wird. Das soll und auch noch heute ist und über dessen Fortent- aber nur der Startschuß sein. Ich hoffe, daß wir mit wicklung wir heute reden und für dessen Neuorgani- mehr Lehrstühlen für Existenzgründer und Mittel- sation zugunsten des Mittelstandes wir einen Vor- stand nicht nur den Startschuß für ein neues Fach in schlag gemacht haben. Ich meine das ERP-Sonder- der wissenschaftlichen Ausbildung geben, sondern vermögen. Damit haben wir ein flexibles Instrument auch eine Gründungswelle durch gut ausgebildete geschaffen, und dieses Instrument steht heute in ei- und motivierte Existenzgründer auslösen. Ich lade ner neuen Bewährungsprobe, einerseits wegen der auch hier alle Verantwortlichen in Politik, Wi rtschaft, deutschen Einheit, andererseits aber auch deshalb - Wissenschaft in Bund und Ländern ein, gemeinsam um die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen an einem Strang zu ziehen. Das ist in der Mittel- anzusprechen -, weil die Regierung durch ihre Wi rt standspolitik wirklich erforderlich, aber auch loh- -schafts-, Sozial- und Finanzpolitik das gesamtwirt- nend, um dem Mittelstand der Zukunft in unserer schaftliche Gleichgewicht empfindlich gestört hat. Wirtschaft und Gesellschaft den Weg zu ebnen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Damit wir uns recht verstehen: Ein noch so gutes (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Instrument der Angebotspolitik, das die mittelständi- sche Wirtschaft auf der Kostenseite entlastet, wofür wir sind, hilft dann wenig oder nichts, wenn gleich- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Nun gebe ich zeitig dieselbe Politik dafür sorgt, daß die Massenein- das Wort der Abgeordneten Dr. Sig rid Skarpelis kommen stetig zurückgehen, die öffentlichen Investi Sperk. tionen insbesondere im Bau massiv gekürzt werden - und die Binnennachfrage stagniert, in manchen Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (SPD): Meine sehr ge- Branchen sogar zurückgeht. Da können Sie entla- ehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und sten, soviel Sie wollen, der Bauindustrie hilft es Kollegen! Heute vor 50 Jahren hat der amerikanische nichts, wenn sie keine Nachfrage hat. Außenminister jene denkwürdige Rede an der Har- (Beifall bei der SPD) vard-Universität gehalten und den später nach ihm benannten Marshallplan angekündigt, der die Schauen Sie sich die Situation im Einzelhandel, bei größte wirtschaftliche Erfolgsstory des 20. Jahrhun- den Gaststätten und im Tourismus an. Da können Sie derts anstoßen sollte. Er war nicht nur der Funke, der große Reden halten, da können Sie auch alles über dem kriegszerstörten Europa Hoffnung gebracht hat, verbilligte Kredite lösen wollen - wenn die Ausla- wo keine mehr war, sondern er bildete die Grundlage stungsgrade unter 70 und unter 50 Prozent sinken, für ein Vierteljahrhundert von beispiellosem Auf- dann helfen verbilligte Kredite nichts mehr, dann schwung, Prosperität und Vollbeschäftigung der brauchen wir eine andere makroökonomische Poli- europäischen Industrienationen. Die USA spornten tik. die europäischen Nationen an, ja, haben sie unter (Beifall bei der SPD) Druck gesetzt, in eine enge wi rtschaftliche Koopera- tion zu treten und einen gemeinsamen Markt mit Es macht dann keinen Sinn, über diese gesamt- dem Ziel einer politischen Union anzustreben. wirtschaftlichen Kreislaufstörungen, die Sie, meine Damen und Herren, in Ihrer Regierungspolitik in den Für diese großzügige Haltung gegenüber Opfern letzten Jahren mit verursacht haben und die Sie par- und Besiegten, für die Weitsicht, den Willen und die lamentarisch abdecken, in einer großen Mittelstands- Tatkraft, dies alles innenpolitisch und außenpolitisch debatte Deklarationen abzugeben; denn Ihre Politik 15998 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk ist der Grund für die steigenden Insolvenzen gerade öffentlichen Subventionspolitik sind. Nur 2 bis 4 Pro- kleiner und mittlerer Bet riebe und die steigenden zent der öffentlichen Subventionen - je nachdem, Konkurszahlen im Osten. Diese Ihre Politik ist Gift wie wir es rechnen - gehen in diesen Bereich. Und für die kleinen und mittleren Unternehmen. wieder kann ich Ihnen, Herr Kollege Doss, im Grund- satz recht geben, wenn Sie sagen, daß Wirtschafts- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne politik zu häufig eine Politik für die großen Unter- ten der PDS) nehmen unter nebensächlicher Berücksichtigung der Deswegen, meine Damen und Herren, brauchen kleinen und mittleren Unternehmen ist. Es müßte wir eine radikale Umkehr in der Wirtschafts- und Fi- umgekehrt sein. Aber ich darf auch dabei daran erin- nanzpolitik. Sie haben ja recht, Herr Doss, wir dürfen nern, daß Sie schon eine Weile, nämlich anderthalb nicht über Wirtschafts-, Finanz- und Geldpolitik für Jahrzehnte, im Amt sind. den Mittelstand reden, sondern diese muß so ange- legt sein, daß sie dem Mittelstand das Überleben (Beifall bei der SPD) auch gestattet, und sie darf ihm nicht noch Bleiku- Wir sagen Ihnen: Angesichts des Zustands der öf- geln an die Füße hängen. fentlichen Finanzen können auch wir als Opposition (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Kutz nicht hingehen - gestern ist das ausführlich disku- mutz [PDS]) tiert worden - und die Spendierhosen anziehen. Auch wir als Opposition können nicht milliarden- Sonst werden wir mit all unserer Mittelstandsförde- schwere Versprechungen machen. Aber wir müssen rung allzu vielen Klein- und Mittelbetrieben nur die uns alle angesichts der Konkurszahlen schon der Wunden verbinden oder sie bankrott vom Platz tra- Mühe unterziehen zu überlegen, wo die Schwächen gen können. des Systems liegen, wo wir sie beseitigen können, Da können wir uns über die Fragen der Mittel- wo wir die Förderung effektiver machen können, wo standsförderung, über verbilligte Kredite, über kon- wir den kleineren Unternehmen helfen können, sich krete Hilfen in den Unterausschüssen und Ausschüs- den neuen Herausforderungen im Zuge des Ausbaus sen des Parlaments noch so einig sein - wenn die des europäischen Binnenmarktes und der Globalisie- Rahmenbedingungen und die gesamtwirtschaftliche rung erfolgreich zu stellen. Nachfrage nicht stimmen, werden diese Bet riebe Erstens. Ich kann dem Herrn Staatssekretär nur nicht überleben können, und diese Rahmenbedin- recht geben und darf daran erinnern, daß nach einem gungen stimmen derzeit einfach nicht. übereinstimmenden Urteil aller Experten die Schwä- (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Da hat sie chen im Förderwirrwarr liegen. Allein in Deutsch- recht; aber wer macht das?) land gibt es über 610 Programme. Den Schuh des Förderwirrwarrs muß sich jedoch nicht der Bund an- Zu diesem Punkt sage ich aber auch deutlich: In ziehen - er hat die geringsten Förderprogramme -, diesem Hause ist gerade in Fragen des Mittelstandes die meisten haben die Länder und Kommunen. Zu- immer das Bemühen spürbar gewesen, konstruktiv sätzlich gibt es 20 EU-Programme. Bei Umfragen hat aufeinander zuzugehen. Ich möchte ausdrücklich be- sich herausgestellt, daß ein erheblicher Teil der klei- merken, daß wir uns bei allen Streitereien immer be- nen und mittleren Unternehmen - weit über die müht haben, wie wir den Branchen und dabei insbe- Hälfte - überhaupt nicht weiß, welche es gibt, für sondere den Kleinen praktisch helfen können. wen sie da sind und wie sie davon profitieren kön- Wenn wir aber in der Vergangenheit ein Instru- nen. Das ist die Realität. ment gemeinsam entwickelt und übrigens nahezu je- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) des Jahr einstimmig im Parlament verabschiedet- ha- ben - das letzte Mal haben sich nur die Grünen der Zweitens. Wir haben uns bisher auf die Gründun- Stimme enthalten -, heißt das doch nicht, daß dieses gen konzentriert - das ist richtig -, aber dabei stellen Instrument mit einem „Weiter so!" weitere zehn wir fest, daß man das Problem der Insolvenzen und Jahre unverände rt vor sich hindümpeln kann. der Betriebsstillegungen, die besorgniserregend zu- Wir alle wissen, wie wichtig die kleinen und mittle- nehmen, vernachlässigt hat. ren Unternehmen für unser Land sind, und wir bestä- tigen uns ja immer wieder, daß sie für die Beschäfti- Drittens. Bis vor kurzem ist auf das Instrument zur gung und für die Ausbildung unverzichtbar und für Lösung der Probleme bei Betriebsübergaben - bis die Innovation und unsere Wettbewerbsfähigkeit, für zum Jahr 2005 werden es 300 000 Betriebe sein, die die Qualität der Produkte und Dienstleistungen und einen neuen Chef oder eine neue Chefin suchen - zu vor allem für die Aufrechterhaltung der erfolgreichen wenig Rücksicht genommen worden. schaftsstruktur wichtig sind. Das pluralistischen Wirt Viertens. Eine weitere Schwäche ist die Konzentra- Bundeskartellamt kann so viel erzählen, wie es wi ll, tion auf die Finanzierung der Hardware und die un- wenn nicht Wettbewerb von unten kommt, dann zureichende Berücksichtigung von Forschung und bricht unsere pluralistische Wirtschaftsstruktur aus- Entwicklung, Softwarequalifizierung, Marketing, einander. Da sind wir uns doch einig! Einkauf und Logistik und die Überbetonung der Aber wenn wir uns ansehen, was wir tatsächlich dinglichen Sicherheit bei Krediten und die geringe unternehmen, und wenn wir uns die öffentlichen Beachtung von Ideen. Auf gut deutsch: Man schaut Haushalte ansehen, stellen wir fest, daß die kleinen bei den Banken mehr darauf, wie Opas Grundstück und mittleren Unternehmen eher die Stiefkinder der oder Omas Pfandbriefe als Sicherheit aussehen, als Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 15999 Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk darauf, daß die Jungen Ideen, Innovation und Power fentlichkeit informiert; in den USA ist sie und auch mitbringen. Das ist auch die Realität. bei uns konnte sie der Anwalt des kleinen und mitt- leren Unternehmens gegenüber der Bundesregie- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne rung und dem Parlament sein. Wenn Herr Kolb jetzt ten der PDS) beklagt, daß die Bundesregierung in Person von Die neuen Herausforderungen für die kleinen und Herrn Töpfer einen Vorschlag macht, der mittel- mittleren Unternehmen im Zuge des Ausbaus des standsfeindlich ist, dann sage ich: In den USA könnte Binnenmarkts werden ebenso zuwenig berücksich- die Small Business Administration, bevor ein Vor- tigt. Das Schlimmmste ist: Nirgendwo oder nur schlag bekannt wird, sagen: Wir haben damit Pro- höchst selten bekommen ein Existenzgründer, ein bleme; wir sind dagegen - bevor die Administration Unternehmen in akuten Schwierigkeiten, aber auch das in Gang setzt. einer, der phantastische Aussichten, aber im schnel- Wir wollen praktische Hilfen und Dienstleistungen len Wachstum zu wenig Kapital hat, Informationen für Unternehmen und keine abgehobene Bürokratie und Hilfe aus einer Hand und schon gar nicht in Form des Wirrwarrs von 600 Programmen und schnell. mindestens so vielen Ansprechpersonen. Allzu häufig ist Valentins „Buchbinder Wannin- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ger" keine Satire, sondern traurige Realität. Deswe- DIE GRÜNEN) gen schlagen wir Ihnen eine Neuorganisation der Mittelstandsförderung mit der Erprobung neuer In- Ich bin hier angetreten, ohne zu wissen, wie Sie strumente, wie sie in anderen Ländern, zum Beispiel reagieren werden. in den USA, erfolgreich sind, vor. Jetzt habe ich etwas ganz Interessantes festge- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin, stellt: ich muß Sie an Ihre Redezeit erinnern. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Was ist das?) Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (SPD): - Gut. - Also Wir haben die Gutachten, die die Schwächen fest- hatte ich zwei Redeabschlüsse vorbereitet. In dem ei- stellen und neue Instrumente vorschlagen, gewür- nen dankte ich Herrn Staatssekretär Kolb für die Be- digt und bearbeitet, und wir haben am 16. November reitschaft, auf uns zuzugehen und zu diskutieren. vergangenen Jahres unseren Antrag dem Parlament vorgelegt. Im April 1997 lag uns der zweite Be richt Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin, der gemeinsamen Arbeitsgruppe des Bundes und bitte kommen Sie zum Schluß. der Länder unter Vorsitz des Beauftragten der Bun- desregierung, unseres geschätzten Kollegen und Par- lamentarischen Staatssekretärs Kolb, vor, der im we- Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (SPD): Aus seiner Rede sentlichen die Instrumente, die wir empfohlen haben, habe ich entnommen, daß er bereit ist, auf uns zuzu- und eine Auswahl von Neuorganisationsmodellen, gehen. Aber den Reden der Kollegen Doss und F ried- darunter auch die Mittelstandsagentur - es gab auch hoff habe ich entnommen, daß sie gänzlich dagegen andere Neuorganisationsvorschläge - vorgesehen sind. Insofern kann ich Ihnen keinen Dank sagen hat. Heute hören wir von Ihnen - ich sage Ihnen das und auch keine Bedingungen für unsere Kooperation einmal völlig offen -, daß das alles nicht recht ist und nennen. Ich kann nur sagen: In Ihren eigenen Reihen daß man darüber noch reden muß. übertreiben Sie es in diesen Tagen mit der neuen Fle- xibilität. Das führt Sie nicht zur Innovation, sondern Was wollen wir Sozialdemokraten? Wir wollen für nur zur „neuen Unübersichtlichkeit". die kleinen und mittleren Unternehmen Informatio-- nen und Hilfen aus einem Guß. Wir wollen eine An- Danke. laufstelle für die Beratung von Unternehmen. Wir (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wollen kein Informationslabyrinth. Wir wollen viel- DIE GRÜNEN) mehr Hilfe und Information aus einer Hand, aus ei- nem Guß: von der Hotline in Krisenfällen, vom „ge- wußt wer und wo" bis hin zur Vermittlung von Kon- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das takten. Wort dem Abgeordneten E rnst Hinsken. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ernst Hinsken (CDU/CSU): Verehrter Herr Präsi- dent! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe auf- Das ist Tatsache: Wir wollen keine neuen Institutio- merksam gelauscht, Frau Kollegin Skarpelis-Sperk. nen und Bürokratien. Wir wollen vielmehr, daß die Es war eine pathetische Rede. Viel Neues habe ich Unternehmen nicht von Pontius zu Pilatus rennen ihr nicht entnommen. müssen, sondern wissen: Unter der Nummer gibt es telefonische Beratung, die sie zu den Stellen schickt, Im Jahre des 100. Geburtstages Ludwig Erhards wo sie verläßliche Informationen bekommen können. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Auch nichts Wir wollen keine neue Bürokratie! Neues!) Bevor Sie sagen, das alles ist des Teufels, lassen möchte ich ein Zitat von ihm an den Anfang meiner Sie uns einmal gemeinsam die Small Business Admi- Rede stellen. Jetzt hören Sie einmal gut zu, weil es nistration in den USA anschauen. Dort wird die Öf- für Sie wichtig ist: 16000 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Ernst Hinsken Der Mittelstand kann materiell in seiner Bedeu- Zum Antrag „Außenwirtschaftliche Stärkung des tung nicht voll ausgewogen werden, sondern er Mittelstandes" möchte ich nur feststellen: Der Forde- ist viel stärker ausgeprägt durch eine Gesinnung rung, sowohl die Mittelstandsförderung als auch die und eine Haltung im gesellschaftlichen, wirt- Marketingaktivitäten für den Standort effizienter schaftlichen und politischen Prozeß. und kundenorientierter zu gestalten, ist zuzustim- men. Dazu brauchen wir allerdings keine Mittel- Recht hat er. stands- oder sonstigen Agenturen, auch wenn sie Was hat sich nun seit den Zeiten Erhards bei uns noch so modern lackie rt sind, da sie letztlich doch geändert? nur aus Steuergeldern finanziert werden und zusätz- liche Bürokratie erzeugen, Frau Skarpelis-Sperk. (Gerhard Jüttemann [PDS]: Nichts!) Wir sollten daher alle gemeinsam, das heißt: Bund, Den Zeitzeugen der 50er Jahre fällt sicherlich die Länder, Kommunen und die Wirtschaft, überlegen, Aufblähung der Verwaltung und die Auftürmung ad- wie Mittelstandsförderung und Standortmarketing ministrativer Mauern in einem Gelände auf, wo nach im Rahmen der bestehenden Organisationen verbes- den Vorstellungen von Erhard Freiheit herrschen sert werden können. sollte. Umfang und Kosten der Lawinen von Geset- d Skarpelis-Sperk [SPD]: Weiter zen, Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschrif- (Dr. Sigri so!) ten, die über die Bevölkerung und die Wi rtschaft nie- dergegangen sind, sind in den letzten Jahren wieder- Unser Kollege Uldall hat hierzu eine hervorragende holt untersucht worden. Wir haben sicherlich nicht Grundlage erarbeitet, die für uns in nächster Zeit alles, aber wenigstens vieles in großen Teilen geän- richtungsweisend sein wird. dert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Meine Damen und Herren, heute führen wir eine Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wo ist sie denn? - Debatte über drei Anträge der Opposition, die sich Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Her alle mit mittelständischen Problemen beschäftigen. damit!) Damit haben wir uns auseinanderzusetzen. Ich möchte mich schwerpunktmäßig mit dem An- trag Ihrer Fraktion „Für eine zukunftsorientierte, in- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege novative Mittelstandspolitik - Neue Ausrichtung und Hinsken, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Ab- Konzentration der Förderung" auseinandersetzen. geordneten Dr. Skarpelis-Sperk? Lassen Sie mich deshalb zunächst auf einen offenen Brief von Mittelständlern eingehen, der kürzlich viele Kollegen von uns erreicht hat. Darin heißt es, daß Ernst Hinsken (CDU/CSU): Selbstverständlich. dem Mittelstand immer nur in Sonntagsreden ge- schmeichelt wird; das kommt auch heute wieder klar Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (SPD): Herr Kollege und deutlich zum Ausdruck. Es wird weiter ausge- Hinsken, Sie haben mir freundlicherweise das Stich- führt: wort „Auftürmung der Bürokratie", die Ludwig Er- hard beklagt habe, gegeben. Könnten Sie mir stich- Wir, die kleinen und mittelständischen Unterneh- wortartig - gegebenenfalls kann Ihnen Herr Bohl men, sind das Rückgrat der sozialen Marktwirt- Einflüsterungshilfe geben - mitteilen, wie stark die schaft. Innovativ und leistungsfähig. Immer be- Bürokratie insbesondere der Bundesregierung in den reit, mehr zu tun als die Großkonzerne. letzten 15 Jahren ihrer Verantwortung angestiegen Wir wissen alle, daß jeder Mittelständler mit sei- ist. nem ganzen Hab und Gut haftet, daß er nicht den Hut in den Ring schmeißen kann, wenn es bet rieblich Ernst Hinsken (CDU/CSU): Das kann ich hier nicht daneben geht, sondern daß er dann pleite ist und beantworten. Ich kann allerdings sagen, daß wir deshalb auch ein ganz anderes Beziehungsgeflecht viele Entbürokratisierungsbemühungen eingebracht zu seinem Betrieb hat. Das gilt es herauszustellen haben, die SPD aber leider immer dagegen war, und besonders zu würdigen. (Lachen bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) wie zum Beispiel beim Planungs- und Genehmi- Ich meine, daß gerade der Mittelstand viele Ar- gungsvereinfachungsrecht. Hier haben Sie ein Para- beitsplätze geschaffen hat. Immerhin beschäftigen debeispiel dafür geliefert, wie man es nicht machen allein die kleinen Betriebe rund 23,5 Millionen Men- schen. Die Großunternehmen stellen - ich möchte soll. das Wort „noch" in Klammern setzen - 4,2 Millionen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Jobs. Doch es werden immer weniger. Zu Recht heißt [CDU/CSU]: Außerdem es in dem Brief weiter, auf das Konto des Mittelstan- sind es die sozialdemokratischen Länder, des gingen über drei Viertel aller seit 1997 neu ge- die die Verwaltung aufblähen!) schaffenen über 3 Millionen Arbeitsplätze. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, nachdem be- Meine Damen und Herren, unser Bundespräsident reits Kollege Doss auf die Indust rie- und Handels- Roman Herzog wurde bereits von den Vorrednern zi- kammerangelegenheit eingegangen ist, kann ich mir tiert. Ich meine schon, hier sagen zu dürfen und sa- hierzu Bemerkungen ersparen. gen zu müssen: Wie recht hat er doch, wenn er in sei- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16001

Ernst Hinsken ner großen Berliner Rede laut forde rt, daß ein Ruck das die Betriebe motiviert, neue Technik einzusetzen, durch unser Land gehen muß. Wie recht hat er, wenn sie weiterzuentwickeln, dadurch Nischen zu beset- er darauf verweist, daß wir das Jammern aufhören zen und letztlich den Anstoß für eine umfassende sollen und anpacken müssen. Verbreiterung etwa durch industrielle Wertung zu geben. Dazu gehören in erster Linie niedrige Arbeits- (Ernst Schwanhold [SPD]: Wen hat er denn kosten, wohl gemeint! ) (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Und solide Wie recht hat er, wenn er forde rt, sich an der Aufbau- Finanzpolitik!) generation ein Beispiel zu nehmen. (Ernst Schwanhold [SPD]: Wen hat er denn wenngleich mir bewußt ist, daß wir in diesem Bereich wohl gemeint!) auch bei größter Anstrengung nicht direkt mit den Staaten Mittel- und Osteuropas konkurrieren kön- Wie recht hat er, wenn er darauf hinweist, daß die nen. Lohnnebenkosten zu hoch sind. Wie recht hat er, wenn er die Frage stellt, wann Arbeitgeber und Ge- Unser Industrie- und Sozialstaat Deutschland steht werkschaften endlich die Kraft zu Abschlüssen fin- am Scheideweg. Notwendig ist deshalb ein neuer den, die Neueinstellungen möglich machen. Wie Konsens, der Zukunftsvertrauen und frische Nährla- recht hat er, wenn er sagt, daß uns, statt Subventio- ger gibt für die Bewältigung der Herausforderungen, nen mutig zu kürzen, immer wieder neue Vorschläge die uns auf dem Weg ins dritte Jahrtausend gestellt für staatliche Leistungen einfallen. Wie recht hat er, sind. Unser Land hat schon einmal bewiesen, daß es wenn er fragt, ob es wirklich ein Naturgesetz sei, daß fähig ist, solche Probleme zu meistern. Dem Aufstieg man in Deutschland bis zu 19 Behörden fragen muß, der letzten Jahre" und Jahrzehnte muß kein Abstieg wenn man einen Produktionsbetrieb errichten will, folgen, wie viele befürchten. Die Prinzipien der sozia- obwohl dieser neue Arbeitsplätze schafft. len Marktwirtschaft, die nicht primär auf Kollektivis- mus und Umverteilung, sondern auf die Kraft, die Verehrte Frau Kollegin Wolf von den Grünen, hat Verantwortungsfreude und die Leistung des einzel- er recht, oder hat er nicht recht? Wie recht hat er, nen setzen, müssen wieder erneuert werden. wenn er sagt, daß Löhne und Sozialhilfeleistungen so weit auseinanderliegen müssen, daß es sich für den Wir müssen vor allen Dingen bereit sein, auf den einzelnen auch lohnt zu arbeiten. Frau Kollegin Bürger zuzugehen, um ihm zu vermitteln, daß am Be- Fuchs, das sollten Sie sich hinter die Ohren schrei- sitzstandsdenken nicht festgehalten werden kann, ben. Lassen Sie uns einen solchen Weg, der von un- sondern man bereit sein muß, Reformen aufzugreifen serem Bundespräsidenten vorgegeben wurde, ge- und die Schwerfälligkeit und Erstarrung, die vielfach meinsam gehen! zu verzeichnen ist, zu beseitigen. Die Kollegen F ried- hoff und Doss haben in ihren Reden heute die Ar- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge beitslosigkeit in den Mittelpunkt gestellt. Dies ist ordneten der F.D.P.) richtig, da sie als Damoklesschwert über allem hängt. Ich glaube, er spricht gerade dem Mittelstand voll Deshalb möchte ich an Sie von der Opposition appel- aus dem Herzen. lieren, mitzuhelfen, die Probleme zu bewältigen, da- mit Arbeitsplätze geschaffen werden können. Vieles, was in den SPD-Anträgen steht, ist - das bestreite ich nicht - mitzutragen. Aber leider klaffen Da dürfen Sie nicht weiter nein sagen zum Sparpa- Aussagen und Wirklichkeit weit auseinander. Für ket. Da dürfen Sie nicht weiter nein sagen zu einer uns, die CDU/CSU, gilt, daß die Innovationsfähigkeit Steuerreform, mit der die Wettbewerbsfähigkeit un- - kleiner und mittlerer Betriebe der Wettbewerbsfaktor seres Standortes erhöht werden könnte. Da dürfen ist, der Wachstum und Beschäftigung in diesem Land Sie nicht weiter nein sagen zu einer Gesundheitsre- wesentlich beeinflußt. form, die zu einer effizienteren Verteilung der knap- pen Mittel beitragen kann. Da dürfen Sie nicht weiter Um das Potential des Mittelstandes in seiner gan- nein sagen zu einer weiteren Flexibilisierung des Ar- zen Breite auszuschöpfen, bedarf es eines erfolgrei- beitsmarktes. Da dürfen Sie nicht weiter nein sagen chen Technologietransfers. Auf Märkten, auf denen zu allen standortverbessernden und arbeitsplatzsi- immer mehr internationale Wettbewerber konkurrie- chernden Maßnahmen. ren, müssen wir den Weg von Erfindungen in markt- fähige Produkte durch Orientierungshilfen und kon- , den ich eingangs zitiert habe, hat krete Verbesserungen der Infrastruktur ebnen. Si- auch gesagt: Die beste Sozialpolitik ist eine gute cher muß auch viel auf betrieblicher Ebene geregelt Wirtschaftspolitik. - Ich meine, hinzufügen zu müs- werden; aber der Bogen über die bet rieblichen und sen: Die beste Politik ist die, die Arbeitsplätze schafft. institutionellen Aktivitäten wird vor allen Dingen von Diese schafft vor allem der Mittelstand. den politischen Rahmenbedingungen geschlagen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU (Ernst Schwanhold [SPD]: Von Ihnen!) und der F.D.P.) Deshalb müssen wir ein innovationsfreundliches Klima schaffen, Aber was schafft Arbeit? - Wir können uns ein Bei- spiel an verschiedenen anderen Nationen nehmen. (Dr. Uwe Küster [SPD]: Machen Sie es doch Einen Königsweg gibt es nicht; aber eines ist doch endlich!) nicht von der Hand zu weisen: - 16002 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, Exporten beteiligt sind. Ihre in der Binnenwirtschaft ich muß Sie auf das Ende Ihrer Redezeit aufmerksam anerkannte Stärke schlägt sich also nur unzurei- machen. chend in der Außenwirtschaft nieder. Die strategischen Nachteile der mittelständischen Ernst Hinsken (CDU/CSU): - daß gerade do rt die Unternehmen für die außenwirtschaftliche Tätigkeit Arbeitslosigkeit am niedrigsten ist, wo die Staats- sind folgendermaßen zu beschreiben: Ihre Unterneh- quote am niedrigsten ist, wo das Steuersystem ein- mensführung ist zumeist auf den Firmenchef konzen- fach ist, triert, ihre Managementkapazitäten und gleicherma- (Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Keine ßen ihre Organisationspotentiale im Hinblick auf die Ahnung!) Aufnahme und Abwicklung von Auslandsengage- ments sind begrenzt, ihre Finanzierungspotentiale wo die Investitionen hinfließen, wo länger gearbeitet sind unzureichend, und die Kreditwirtschaft verhält wird, wo es vor allen Dingen weniger Bürokratie sich gegenüber den KMU häufig sehr restriktiv und gibt, als es bei uns der Fall ist. orientiert sich an den nur begrenzt vorhandenen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) dinglichen Sicherheiten und nicht am zu erwarten- den Auslandsertrag. Risikofähigkeit und Risikobe- Ich glaube, es sind gute Rahmenbedingungen ge- reitschaft dieser Unternehmen spielen dabei sicher- schaffen worden. lich auch eine Rolle. Herr Kollege Friedhoff, ich finde, daß dies natürlich Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, bei einem Überseeengagement deutlich anders aus- Sie müssen zum Schluß kommen. sieht als bei einem Engagement im Nahbereich, in Polen, Tschechien oder Ungarn. Bei einem Übersee- Ernst Hinsken (CDU/CSU): Herr Präsident, nur engagement wirken sich besonders die überpropor- einen Satz. - Es gilt, gerade auch an Sie von der Op- tional hohen Transaktionskosten aus. Man kann ja position zu appellieren, einen Beitrag zu leisten, da- wohl davon ausgehen, daß ein mittelständisches Un- mit vor allen Dingen der Mittelstand wieder verstärkt ternehmen mit einem Jahresumsatz von vielleicht Fuß fassen kann und junge Leute eher bereit sind, 50 Millionen schätzungsweise 1 Million pro Jahr auf- selbständige Existenzen zu gründen oder die Be- wenden müßte, wenn es in einer asiatischen Groß- triebe der Eltern zu übernehmen, die momentan stadt eine eigene Repräsentanz aufbauen wollte. noch keinen Nachfolger finden. Meine zweite Bemerkung hat mit dem politischen Handlungsbedarf und damit auch mit unserem An- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, trag zur außenwirtschaftlichen Stärkung des Mittel- zum zweiten Mal. standes zu tun. Es liegt nahe, mittlere Unternehmen durch die anteilige Übernahme von Transaktionsko- Ernst Hinsken (CDU/CSU): Das ist unsere Auf- sten bei der Markterschließung und Finanzierung zu gabe, hierbei sind auch Sie gefordert. Ich bitte Sie, unterstützen. Dies wird von der Bundesregierung mit uns diesen vernünftigen Weg zu gehen, dann ist durch das bekannte 3-Säulen-Modell auch getan mir nicht bange, daß der Mittelstand eine Renais- und soll nicht kritisiert werden. Die Förderung der sance erleben wird. Teilnahme an Messen im Ausland ist für mittlere Un- ternehmen unverzichtbar. Instrumente wie Hermes (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Bürgschaften für Direktinvestitionen werden demge- genüber überwiegend von Großunternehmen be- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das nutzt. Insgesamt wird vom Mittelstand festgestellt, Wort dem Abgeordneten Christian Müller. daß die Außenwirtschaftskonzepte der Bundesregie- rung zu sehr an den Interessen der Großindustrie ausgerichtet sind und folglich der sichtbaren Heraus- Christian Müller (Zittau) (SPD): Herr Präsident! forderung für den Mittelstand kaum gerecht werden. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich nach diesen vielen richtungsweisenden Worten Wirtschaftlich starke Bundesländer ergänzen diese vier Punkte auf greif en. Maßnahmen des Bundes im Hinblick auf die Trans- aktionskosten seit ein paar Jahren und sind dabei, Erstens wären noch ein paar Sätze zum Thema die Grundlagen für eine - nennen wir es so - vie rte Mittelstand und Globalisierung zu sagen. Es gilt Säule der Außenwirtschaftspolitik zu legen. Dies ist wohl als unbestritten, daß der Anteil Deutschlands dann in gewissem Sinne eher ein industriepolitischer am Welthandel in den letzten zehn Jahren ge- Ansatz oder etwas Ähnliches. Denn es wird auf die schrumpft ist. Dabei sind die deutschen Ausfuhren Förderung von Kooperationen im Auslandsgeschäft schwächer als der Welthandel gewachsen. Wichtige gesetzt, um neue Handlungspotentiale infolge von Wettbewerber Deutschlands konnten demgegenüber Aufgaben- und Kostenteilung zu erschließen. ihren Anteil am Welthandel halten. In diesem Zusam- menhang ist die mittelständische Struktur der deut- In diesem Zusammenhang sind die deutschen In- schen Wirtschaft von Bedeutung. Wir alle kennen die dustrie- und Handelszentren in Singapur und an- Zahlen, die hier heute schon mehrfach übereinstim- derswo sowie umfassende Beratungs- und Servicelei- mend genannt wurden. Ich wi ll dieses nicht weiter stungen usw. zu erwähnen, wie die von den Ländern vertiefen. Verfügbare Analysen besagen aber, daß geförderten Firmenpools, Verbundprojekte und diese Unternehmen nur unterdurchschnittlich an den Brancheninitiativen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16003 Christian Müller (Zittau) Alle diese Maßnahmen sind deutlich auf den Mit- programms für ostdeutsche Unternehmen zum telstand ausgerichtet. Es liegt aber auf der Hand, daß 30. Juni dieses Jahres, unbedingt zu korrigieren. Sie nur größere und finanzstärkere Bundesländer in der begehen hier den folgenschweren Fehler, bedürfti- Lage sind, in dieser Hinsicht als Akteure tätig zu gen Ostmittelständlern die notwendige Hilfe zur sein. Mittelständische Unternehmen in kleinen Bun- Selbsthilfe, sehr geehrter Herr Kollege Doss, in allen desländern - dazu gehören in jedem Fall die ostdeut- unternehmensrelevanten Bereichen, wie Marketing, schen Bundesländer - sind in dieser Hinsicht extrem Kostenrechnung, Expo rt usw., zu entziehen. Die 150 benachteiligt. im Einsatz befindlichen Paten haben insgesamt 1100 Unternehmen geholfen. Wer von denen hätte Unser Antrag will genau dazu beitragen, die vie rte sich in dieser Zeit wohl eine Unternehmensberatung Säule der Außenwirtschaftsförderung tragfähiger zu leisten können? Das spricht im übrigen auch für Ihre machen. Art von Finanzpolitik, über die wir hier reichlich dis- (Beifall bei der SPD) kutieren. Deswegen ist es vielleicht ein bißchen leichtfertig, Lassen Sie mich viertens und letztens mit dem dies von vornherein abzutun, weil man sich mögli- durchaus mittelstandsrelevanten Thema der IHK- cherweise an dem Wo rt „Exportconsult" stößt. Es Beiträge abschließen. Unser Ziel besteht darin, mit geht darum, eine bessere Abstimmung der einzelnen einer vernünftigen, am Ertrag festgemachten Grenze Akteure auf deutscher Seite im Rahmen einer vom möglichst vielen kleinen Unternehmen die Beitrags- Bund und von den Ländern gemeinsam getragenen freiheit zu verschaffen. Das sehen Sie offenbar ein Aktionsgemeinschaft, von mir aus zuerst für den bißchen anders. Asien- und Pazifikraum, zu ermöglichen, die außen- wirtschaftliche Infrastruktur in Deutschland zu ver- Wir sind auch bereit, das Ergebnis der Studie, die bessern, die Präsenz im Ausland auszubauen und heute schon angesprochen wurde, abzuwarten, ob- das außenwirtschaftliche Instrumentarium zu erwei- wohl ich meine, bei sieben befragten IHKs ist die Ba- tern, um Komplettlösungen besser anbieten zu kön- sis dafür etwas mager. Sollte dies aber nicht zu einer nen. vernünftigen Freistellungsgrenze führen, werden auch bei uns die Stimmen vermutlich zahlreicher Die erwähnte zu gründende Aktionsgemeinschaft werden, die eine Pflichtmitgliedschaft in der IHK von Bund und Ländern ermöglicht dann auch die Be- eher in Frage stellen. Bisher folgen wir jedoch, wie teiligung kleinerer Bundesländer, sowohl im Inland Sie wissen, durchaus dem von Ihnen, Herr Kollege als auch im Ausland. Das ist, glaube ich, ziemlich Doss, noch einmal formulierten Leitbild. Wir wollen wichtig. Daß der Finanzierungsfonds zur Unterstüt- dann die Ergebnisse abwarten. zung und Förderung von gemeinschaftlichen Projek- ten und Repräsentanzen in den Zielländern hilfreich Vielen Dank, meine Damen und Herren. sein könnte, sollte auch von Ihnen noch einmal über- dacht werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der PDS) (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Richtig!) Ich finde nicht, Herr Kollege Friedhoff, daß dies von Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat vornherein etwa die Bewegungsfreiheit einschränkt. jetzt der Abgeordnete Dr. , CDU/ Es ist ja letztendlich keine Pflichtinanspruchnahme CSU-Fraktion. eines solchen Instruments damit verbunden. Wir laden Sie also ein, mit uns über diesen unserer Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU): Frau Präsiden- tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Meinung nach sehr konstruktiven Ansatz, der- bereits die Zustimmung einer ganzen Reihe von Bundes- Kollegen! Lieber Herr Müller, Sie haben in Ihrer ländern findet, zu beraten und ihn gemeinsam auf Rede - das ist durchaus erfreulich und begrüßens- den Weg zu bringen. wert - die Politik der Bundesregierung in der Frage (Beifall bei der SPD) der Außenwirtschaft in einer großen Breite unter- stützt. Ich finde, das ist eine großartige Sache. Die Allerdings, meine Damen und Herren, wird der Er- Politik kann dann so schlecht nicht sein. Ihre Aus- folg solcher sinnvollen Unterstützungsmaßnahmen sage, daß die Politik der Bundesregierung rational, für die Außenwirtschaft nur dann eintreten, wenn die zuverlässig und zukunftsweisend ist, verdient die in Frage kommenden Unternehmen einigermaßen fit herzliche Zustimmung der Opposition. Dafür möchte im marktwirtschaftlichen Konzert sind. Das gilt ganz ich mich bedanken. besonders für Ostdeutschland. Do rt gibt es, wie Sie wissen, erheblichen Nachholbedarf. Alle Analysen Sie weisen darauf hin, es handele sich hier um eine der jüngeren Zeit belegen, daß Defizite bei Manage- Politik weitgehend für die Großindustrie in der Au- ment und Marketing neben denen bei der Produkt- ßenwirtschaft. Ich muß Ihnen sagen, daß mich das als entwicklung zu den entscheidenden Schwächen der These ein bißchen überrascht. Bei der Frage der Aus- ostdeutschen mittelständischen Unternehmen gehö- landsmessen, die Sie angesprochen haben, ist es so, ren. daß wir für 1997 die Ansätze auf 70 Mi llionen DM er- höht haben. Aber von diesen Mitteln gehen 85 Pro- Das führt mich drittens zu der sehr dringlichen For- zent an kleine und mittlere Unternehmen. Bei den derung an Sie, meine sehr geehrten Damen und Her- Hermes-Bürgschaften gehen 50 Prozent der Einzel- ren von der Koalition, Ihre offenkundige Fehlent- deckungen an kleine und mittlere Unternehmen. Das scheidung, nämlich die Streichung des Patenschafts- ist die Ist-Zahl aus dem Jahre 1995. 16004 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Dr. Heinz Riesenhuber Wir führen hier ja keine neue Debatte. Schon am Stunde in Deutschland, 35 DM in Japan, 25 DM in 28. Februar des vergangenen Jahres haben wir im den USA. Ich rede gar nicht von Polen mit unter 5 DM Ausschuß einen gemeinsamen Beschluß gefaßt, der bis hin zu Weißrußland mit unter 1 DM. Die können eine vorzügliche Grundlage ist, weil er in 18 Punkten Technik entwickeln. festhält, wo wir gemeinsam stehen. Das ist eine ge- sunde Sache. (Ernst Schwanhold [SPD]: Die Relation bei den Lohnstückkosten sieht anders aus!) Ich erwähne weiter die Außenhandelskammern Diesem Wettbewerb müssen wir uns stellen. und die Deutschen Häuser, die wir beide stützen und die wir wollen. Auch diese sind Ansätze für den Mit- Das Mirakel ist nicht, daß wir heute Probleme ha- telstand. Die Deutschen Häuser sind Anlaufstellen. ben, das Mirakel ist, mit welcher Tatkraft und mit Schauen Sie sich an, mit welcher Praxisnähe das welchem Unternehmensgeist der Mittelstand in die Deutsche Haus in Singapur läuft, wie do rt beraten Auseinandersetzung geht. Es geht um die Schaffung wird in der Auseinandersetzung mit Partnern im neuer Arbeitsplätze, um Positionen im Handel, im Gastland. Nicht alle Häuser, die neu entstehen, lau- Austausch, im Export, im Impo rt, in den Investitionen fen gleichermaßen gut. Das dortige läuft gut, weil in anderen Ländern. Die großartige Leistung des Mit- Private dahinter stehen und dafür kämpfen, daß es telstands sollten wir hier besprechen. Wir sollten erfolgreich ist. Eine noch so tüchtige Behörde ist nicht beklagen, wie schwierig dies alles ist, sondern nicht so gut, wie diejenigen es sind, die etwas aus ei- wir sollten uns an dem freuen, was gelingt, und stolz genem Interesse durchsetzen. darauf sein. Nur das ermutigt. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich habe keine ideologischen Vorbehalte gegen Was hier entsteht, ist eine Vielfalt von unterschied- Agenturen - SBA ist eine interessante Konstruktion lichen Möglichkeiten und Aufgaben. Der Mittelstand in den Vereinigten Staaten -, aber sie müssen sich hat sich bis jetzt gut geschlagen. daran messen, ob die Dynamik des Marktes größer oder gemindert wird, ob es schneller oder langsamer Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr Abgeordne- wird und ob man mehr Transparenz, mehr Schnellig- ter, wir hätten eine Zwischenfrage der Abgeordneten keit, mehr Eigenverantwortung bekommt oder ob Skarpelis-Sperk. durch ein Netz von zusätzlicher Verwaltung die Be- weglichkeit gemindert wird. Da bin ich bei der Euro consult nicht restlos glücklich. Bei der Euroconsult Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU): Liebe Frau gibt es durchaus offene Fragen mit Neugier zu stel- Kollegin, sie ist mir höchst willkommen. Ich bin len. sicher, daß es eine sehr intelligente Zwischenfrage ist. Sie sprechen davon, daß die Bundesländer mit Herzlichkeit zustimmen. Bei einer Konstruktion, die darauf hinausläuft, daß die Kosten im wesentlichen Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (SPD): Lieber Herr Kol- auf den Bund verlagert werden, ist die Begeisterung lege Riesenhuber, Sie haben gesagt, daß wir uns der Bundesländer nicht weiter überraschend. Wenn über den Mittelstand freuen sollen. Das haben wir die Bundesländer die ehrenvolle Aufgabe haben, be- nun ungefähr eine Stunde lang getan. sonders schöne Projekte voranzubringen, ist ihre Be- Sind Sie nicht auch der Meinung, daß wir hier im geisterung auch hier verständlich. Ob in der derzeiti- Parlament, vor allem wenn es um vorliegende An- gen Situation die Verdopplung der Mittel des Bundes träge geht, nicht nur ein „Frohlocket" von einer in einem Bereich eine besonders kreative- Idee ist, Wolke zu verkünden haben, sondern auch eine Dis- mag dahingestellt sein. kussion über konkrete Vorschläge, wie wir den vor- Das heißt also, ich spreche gar nicht über ideologi- handenen negativen Entwicklungen, zum Beispiel sche Gegensätze, sondern ich spreche über die der Insolvenzentwicklung, begegnen, und über die schlichte Rationalität eines Vorgehens. Wir werden Fragen, wie wir den mittelständischen Unternehmen hierüber mit Vergnügen im Ausschuß sprechen, und über den Berg helfen, wo die Schwächen liegen und ich glaube, wir werden do rt lichtvolle Argumente wie wir ihnen helfen könnten, führen sollten? konkret austauschen. Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU): Dies ist eine Die Kernfrage Ihrer Anfrage ist im Grunde, daß die ausgesprochen faszinierende Frage. In meiner Ant- Bundesregierung die Herausforderungen der Glo- wort knüpfe ich an das an, was Sie so ausgezeichnet balisierung nicht verstanden habe. Wir wollten die formuliert haben, nämlich daran, daß der Mittelstand Globalisierung haben, und wir haben sie. Die Ver- ein Stiefkind der Subventionen der Bundesregierung handlungen der Uruguay-Runde, GATT, World Trade sei. Genau darüber führen wir die Diskussion. Weist Organization, die Singapur-Konferenz im Dezember sich eine gute Politik dadurch aus, daß sie jemanden des letzten Jahres, dies alles war Globalisierung. Of- mit möglichst viel Subventionen beglückt, oder weist fene Märkte, niedrigere Zölle, keine nichttarifären sie sich dadurch aus, daß sie die hervorragenden Vor- Hemmnisse, Austausch, Konkurrenz - in dieser Si- aussetzungen dafür schafft, daß er sich aus eigener tuation haben wir eine Lage, die wir noch nie hatten. Kraft, Tüchtigkeit, Mut und Unternehmungsgeist be- Wir haben Hochtechnologieländer, die gleichzeitig währen kann? Das ist der Unterschied. Niedriglohnländer sind. Wir sind in der Welt ziemlich am teuersten. Die 95er Zahlen belegen: 45 DM pro (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16005

Dr. Heinz Riesenhuber Wenn Sie hier darüber sprechen, was man für den Dr. Christa Luft (PDS): Verehrter Herr Kollege Rie- Mittelstand tut, dann betrifft das nicht die Frage der senhuber, es könnte ja sein, daß einige Mittelständ- Subventionen. Die Subventionen machen noch nicht ler, obwohl sie viel beschäftigt sind, jetzt doch unse- einmal 1 Prozent der Wertschöpfung des Mittelstands rer Debatte am Rundfunk lauschen. Was sagen Sie aus. Das sind ein paar Promi lle. Der Punkt ist nicht, ihnen denn bitte dazu - außer solchen Dingen, die daß die Subvention die Menschen reicher macht, Sie eben angeführt haben -, wie sie zum Beispiel mit sondern daß sie Signale gibt, Strukturen verändert der schlechten Zahlungsmoral der öffentlichen Hand und Prioritäten aufzeigt. Außenhandelsinformationen sowie der privaten Nachfrager umgehen sollen? sind im Rahmen unserer Diskussion eines der Instru- Denn ein Problem - zumindest in den neuen Bundes- mente im Sinne von Markttransparenz für diejeni- ländern - ist es auch, daß sehr viele kleine Hand- gen, die hier auf Grund einer kleineren Betriebs- werksbetriebe und Dienstleister mit 25 000 bzw. größe Nachteile haben. 30 000 DM Außenständen schon die nächsten Wo- chen nicht überleben werden. Sie müssen teure Kon- Die Frage aber, wie man dies voranbringt, ist eine tokorrentkredite aufnehmen. Frage anderer Qualität. Dazu muß ich sagen: Was wir hier in diesen Jahren tun, ist nicht etwa der Versuch, Ich bitte Sie, daß Sie auf diese Frage, die eine ganz die Leute mit mehr Geld zu beglücken, sondern der dringliche, wenngleich vielleicht auch eine profane Versuch, in einer offenen Welt Strukturen so zu Frage ist, eine Antwort geben. schaffen, daß der einzelne leisten kann, was er ei- gentlich will. Dieser Versuch hat das Ziel, daß der Staat Menschen so wenig wie möglich bei der Arbeit Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU): Profane Fra- stört. Dies ist ein schwieriges und ha rtes, aber ein gen sind duchaus zulässig. Zur Sache: Ich halte dies richtiges Ziel. für ein Ärgernis. Wir haben darüber mit Herrn Lude- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wig diskutiert, als er noch Beauftragter für diese Fra- gen in den neuen Ländern gewesen ist. Er hat ge- Wenn Sie jetzt einmal alles durchgehen, stellen Sie sagt, daß er alles das, was der Bund hierzu tun kann, fest: Unsere Genehmigungsverfahren sind von au- tun will. Wenn hier noch weitere Möglichkeiten be- ßerordentlicher Vollkommenheit. Unsere Beamten - stehen: Der Wi lle ist da. Lester Thurow schreibt es in seinem Buch „Head to Head" - sind die besten Beamten der Welt: hochmo- Der Auftraggeber ist aber in den seltensten Fä llen tiviert, bestens ausgebildet, diszipliniert, fleißig, treu der Bund. Das sind oft die Gemeinden. Sprechen Sie und unbestechlich. Man hat ihnen aber nicht gesagt, einmal mit den Handwerkern! Hier sind die Möglich- daß Zeit zählt. keiten des Durchgriffs des Bundes begrenzt. Aber daß wir hier eine andere Moral brauchen, darüber (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) brauchen wir nicht zu diskutieren; da bin ich Ihrer Wir erhalten prima Ergebnisse in Genehmigungen Meinung. nicht dann, wenn wir sie brauchen. Wir konnten uns dies in den 80er Jahren leisten. Die Risikovermei- Zur Deregulierung: Die Regelungen beim Kündi- dungskultur, die wir damals entwickelt haben, war gungsschutz haben wir ausgeweitet; sie gelten jetzt eine prächtige Sache gewesen. Dies können wir uns für Unternehmen mit bis zu zehn und nicht mehr nur heute in einem schnelleren und härteren internatio- bis zu fünf Mitarbeitern. Wir haben das nicht getan, nalen Wettbewerb nicht mehr leisten. damit Leute entlassen werden können, sondern da- mit sie eingestellt werden können. Wir haben die La- Deshalb straffen wir die Genehmigungsverfahren. denschlußzeiten angegangen. Wir haben in einem Deshalb haben sich Bund und Länder geeinigt.- Des- heroischen Kraftakt des Deutschen Bundestages das halb werden die Vorschläge der Schlichterkommis- Recht des deutschen Bäckers erkämpft, dann Bröt- sion umgesetzt. Deshalb haben wir das gemeinsame chen zu backen, wenn die Menschen sie wol- Ziel, die Dauer der Genehmigungsverfahren zu hal- len. bieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Es ist immer wieder gesagt worden - das ist wahr -: Nicht der Große frißt den Kleinen, sondern der Der Bürger beißt in seine Sonntagssemmel und freut Schnelle den Langsamen. Das ist die Regel. Deshalb sich der neugewonnenen Freiheit. Das ist eine neue setzen wir bei den Genehmigungsverfahren an. Dimension von konkreten Möglichkeiten für den Mittelstand. Wir könnten genauso über die Deregulierung spre- chen. (Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Hundert tausende Arbeitsplätze!) Herr Abgeordne- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Wir schaffen die Substanzsteuern ab, die Gewerbe- ter, wir hätten noch eine Zwischenfrage von der Frau kapitalsteuer und die Vermögensteuer. Warum? Da- Abgeordneten Luft. mit der einzelne in Krisen besser überleben kann. Wir gehen an die Fragen heran, die die einzelnen be- Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU): Stoppen Sie drücken. Die große Steuerreform hat ein sehr einfa- bitte meine Redezeit. Sie läuft so schnell davon. Ich ches Prinzip: niedrige Steuersätze schaffen und bin noch lange nicht da, wo ich sein wollte. - Bitte, Schlupflöcher schließen. Der einzelne soll nicht aus- verehrte Frau Kollegin. kneifen können. Der Steuerertrag wird wahrschein- 16006 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Dr. Heinz Riesenhuber lich per saldo eher steigen als sinken, weil nicht so er will respektiert werden in seinem Mut, in seiner gekniffen wird. Standfestigkeit und in seiner Tatkraft. (Ernst Schwanhold [SPD]: Das gab es noch (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nie!) Das ist die Grundlage für jede Arbeit. Auf dieser Aber die Sache wird rational. Die Großen konzen- Grundlage bauen wir unsere Politik auf. trieren sich nicht auf die Optimierung globaler Steu- erstrategien. Die Mittelständler konzentrieren sich (Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk [SPD]: Das war nicht auf die Optimierung von Abschreibungsmodel- jetzt ein bißchen billig!) len. Die einen konzentrieren sich auf Marktstrate- Wenn man nicht das richtige Verständnis von dem, gien, die anderen auf Produkte. Wir müssen die was man tut, und von den Zielen, die man anstrebt, Leute wieder das tun lassen, was sie wollen: ihre Ar- hat, wird es im einzelnen nur schiefgehen können. beit mit Zuversicht und Kompetenz tun und nicht die Bürokratien befassen. Ich weiß, daß diese Zeit für alle schwierig ist. Sie ist auch für den Mittelstand sehr schwierig. Aber der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Mittelstand wurde im Laufe seiner Geschichte mit Hier wäre über Meister-BAföG, über Ausbildung, großer Regelmäßigkeit totgesagt. Karl Marx hat ihn über die Definition neuer Berufe zu reden. Zehn totgesagt. Karl Marx ist tot; der Mittelstand lebt. Er neue Multimediaberufe schaffen wir innerhalb von wandelt sich und bewältigt neue Aufgaben: in weniger als zwei Jahren. A lles dies ist Hilfe, nicht Dienstleistungen und in Produkten, in High-Tech, in Subvention, sondern Struktur. Es wäre zu reden über Low-Tech, in No-Tech, in Innovation, in neuen Ar- den Risikokapitalmarkt; der ist noch lange nicht da, beitsplätzen. Er ist in der Tat die Kraft, die unsere wo wir ihn wünschen. Wirtschaft vorantreibt. Er ist das Element der Freiheit in der Marktwirtschaft. Dort kann jeder, der möchte, (Ernst Schwanhold [SPD]: Aber unseren für seine eigene Zukunft auf seine eigene Arbeits- Antrag haben Sie abgelehnt! Das ist noch kraft setzen. Für ihn wollen wir die Voraussetzungen nicht lange her!) schaffen. Aber wir wollen ihn nicht gängeln. Aber er entwickelt sich. Es sind in Deutschland 6 Mil- (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und liarden DM; im Jahr kommt 1 Milliarde DM neu der F.D.P.) dazu. Wir kommen also voran. Die Struktur stimmt noch nicht. Zukunftstechnolo- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Für den Abge- gien machen bei uns 10 Prozent aus; in den USA sind ordneten Dr. Riesenhuber müssen wir hier die moder- es 60 Prozent. Die Struktur ist noch nicht gesund; nen Technologien einführen und tragbare Mikrofone aber innerhalb der letzten zwei Jahre hat sich die besorgen. Dann ist es einfacher. Zahl der Biotechnologieunternehmen in Deutschland immerhin auf 150 verdoppelt. Die Sparkassen, die (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU Deutsche Bank und andere machen Verträge mit der und der F.D.P.) Fraunhofer-Gesellschaft, mit Wissenschaftlern, um Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, Produkte zu beurteilen. ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird (Ernst Schwanhold [SPD]: Die Deutsche Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/ Bank gerade nicht, aber andere!) 5754, 13/6097 und 13/6063 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Wir schaffen die Strukturen, und der Schwung Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann nimmt zu. Wir sind noch nicht da, wohin wir wollen. sind die Überweisungen so beschlossen. Aber wir machen zunehmend eine Politik, die der ganzen Wi rtschaft, die dem Mittelstand nützt, weil Jetzt kommt ein richtiger Abstimmungsmarathon. sie ihn dazu bringt, nicht auf den Staat zu gucken, Ich möchte Sie um ein bißchen Geduld bitten. auf seine Güte, auf die Zuteilung von Präferenzen und milden Zuwendungen, sondern auf den Markt Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a bis 14 t so- zu schauen, auf die Konkurrenz, darauf, was er lei- wie die Zusatzpunkte 5 a bis 5 c auf: sten kann und was er leisten will. Genau das ist die vernünftige Strategie für einen selbstbewußten Mit- 14. Überweisungen im vereinfachten Verfahren telstand. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 13. September 1994 zwi- Liebe Frau Skarpelis-Sperk, Sie haben in Ihrem schen der Bundesrepublik Deutschland und Antrag, der viele schöne Sätze enthält, ein Wo rt, das der Republik Costa Rica über die Förde- mir aufgefallen ist: Sie sprechen da von der „Be- rung und den gegenseitigen Schutz von standspflege" des Mittelstands. Das erinnert mich Kapitalanlagen ein bißchen an Brutpflege. Ich weiß nicht - ich hoffe, - Drucksache 13/7609 - das ist keine sexistische Bemerkung -, ob da ein frau- liches Temperament bei Ihnen durchgegangen ist. Überweisungsvorschlag: Aber der Mittelständler will nicht gepflegt werden; Ausschuß für Wi rtschaft Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16007 Vizepräsidentin Michaela Geiger b) Erste Beratung des von der Bundesregie- h) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Vertrag vom 11. August 1993 zes zu dem Vertrag vom 2. Dezember 1994 zwischen der Bundesrepublik Deutschland zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Paraguay über die För- und Barbados über die Förderung und den derung und den gegenseitigen Schutz von gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen Kapitalanlagen - Drucksache 13/7616 - - Drucksache 13/7610 - Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wi rtschaft Ausschuß für Wirtschaft i) Erste Beratung des von der Bundesregie- c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Vertrag vom 21. März 1995 zwi- zes zu dem Vertrag vom 28. Oktober 1993 schen der Bundesrepublik Deutschland zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Honduras über die För- und der Republik Slowenien über die För- derung und den gegenseitigen Schutz von derung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen Kapitalanlagen - Drucksache 13/7617 - Drucksache 13/7611 —Überweisungsvorschlag: —Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wi rtschaft Ausschuß für Wirtschaft j) Erste Beratung des von der Bundesregie- d) Erste Beratung des von der Bundesregierung rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu zes zu dem Protokoll vom 16. September dem Abkommen vom 29. September 1995 1996 zum Abkommen vom 13. Juli 1978 zwischen der Bundesrepublik Deutschland zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Simbabwe über die För- und der Republik Argentinien zur Vermei- derung und den gegenseitigen Schutz von dung der Doppelbesteuerung auf dem Ge- Kapitalanlagen biet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen - Drucksache 13/7612 - Drucksache 13/7618 —Überweisungsvorschlag: —Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft Finanzausschuß e) Erste Beratung des von der Bundesregierung k) Erste Beratung des von der Bundesregie- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu rung eingebrachten Entwurfs eines dem Vertrag vom 11. September 1995 zwi- Geset- zes zu dem Vertrag vom 24. Februar 1995 schen der Bundesrepublik Deutschland und zwischen der Bundesrepublik Deutschland der Republik Südafrika über die gegenseiti- und der Republik Ghana über die Förde- ge Förderung und den Schutz von Kapital- anlagen rung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 13/7613 - Drucksache 13/7620 —Überweisungsvorschlag: —Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Wirtschaft f) Erste Beratung des von der Bundesregie- l) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Vertrag vom 28. April 1993 zwi- zes zu dem Vertrag vom 28. Februar 1994 schen der Bundesrepublik Deutschland zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Usbekistan über die För- und der Republik Moldau über die Förde- derung und den gegenseitigen Schutz von rung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen Kapitalanlagen - Drucksache 13/7614 — - Drucksache 13/7621- Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Wirtschaft g) Erste Beratung des von der Bundesregie- m) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 31. J anuar zes zu dem Vertrag vom 3. April 1993 zwi- 1996 zwischen der Regierung der Bundes- schen der Bundesrepublik Deutschland republik Deutschland und der Regierung und der Sozialistischen Republik Vietnam Hongkongs zur Förderung und zum ge- über die Förderung und den gegenseitigen genseitigen Schutz von Kapitalanlagen Schutz von Kapitalanlagen - Drucksache 13/7615 - Drucksache 13/7622 — —Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Wirtschaft 16008 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Vizepräsidentin Michaela Geiger n) Erste Beratung des von der Bundesregie- s) Beratung des Antrags der Abgeordneten rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- , Christoph Matschie, Ernst zes zu der in Genf am 19. März 1991 unter- Bahr, weiterer Abgeordneter und der Frak- zeichneten Fassung des Internationalen tion der SPD Übereinkommens zum Schutz von Pflan- zenzüchtungen Sanierung des Braunkohlebergbaus in den neuen Bundesländern - Drucksache 13/7619 - - Drucksache 13/7529 — Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und o) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- Reaktorsicherheit brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ver- Haushaltsausschuß besserung des Schutzes der Gesellschaft t) Beratung des Antrags der Abgeordneten vor gefährlichen Straftätern Dr. Uschi Eid und der Fraktion BÜNDNIS - Drucksache 13/7559 — 90/DIE GRÜNEN

Überweisungsvorschlag: Den politischen Neuanfang und den Wie- deraufbau in der Demokratischen Republik Rechtsausschuß (federführend) Innenausschuß Kongo unterstützen - die humanitäre Hilfe Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend verstärken - Drucksache 13/7708 p) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Steuer- —Überweisungsvorschlag: reformgesetzes (StRG) 1998 Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- wicklung (federführend) - Drucksache 13/7775 — Auswärtiger Ausschuß Haushaltsausschuß Überweisungsvorschlag: ZP5 Weitere Überweisungen im vereinfachten Finanzausschuß (federführend) Innenausschuß Verfahren Rechtsausschuß (Ergänzung zu TOP 14) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Dr. Winfried Pinger und q) Erste Beratung des von der Bundesregie- der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge- rung eingebrachten Entwurfs eines Sech- ordneten Roland Kohn, Dr. Irmgard sten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes Schwaetzer und der Fraktion der F.D.P. über die Deutsche Bundesbank (6. BBank- 5 Jahre nach der VN-Konferenz über Um- GÄndG) welt und Entwicklung in Rio de J aneiro: - Drucksache 13/7728 — Schutz des Tropenwaldes verstärken - In- itiativen gegen die Zerstörung der borea- Überweisungsvorschlag: len Wälder ergreifen Finanzausschuß (federführend) Rechtsausschuß - - Drucksache 13/7601- (v. 06.05.97) Ausschuß für Wirtschaft Überweisungsvorschlag: Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Haushaltsausschuß und Entwicklung (federführend) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten r) Beratung des Antrags der Abgeordneten Si- Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit mone Probst, Elisabeth Altmann (Pommels- brunn), Dr. Manuel Kiper, weiterer Abge- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Michaele Hustedt, Dr. Uschi Eid, Wolfgang DIE GRÜNEN Schmitt (Langenfeld), weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Keine weitere Beteiligung am Fusionstest GRÜNEN reaktor ITER Umwelt- und Entwicklungspolitik auf dem - Drucksache 13/7282 — Weg ins 21. Jahrhundert - Nachhaltigkeit Überweisungsvorschlag: global umsetzen

Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, - Drucksache 13/7783 - (v. 03.06.97) Technologie und Technikfolgenabschätzung Überweisungsvorschlag: (federführend) Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Reaktorsicherheit (federführend) Ausschuß für die Angelegenheiten Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und der Europäischen Union Entwicklung Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16009 Vizepräsidentin Michaela Geiger c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Beschlußempfehlung und Be richt des Auswär- Franziska Eichstädt-Bohlig, Ch ristine tigen Ausschusses (3. Ausschuß) Scheel, Kristin Heyne, weiterer Abgeordne- - Drucksache 13/7695 — ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Berichterstattung: GRÜNEN Abgeordnete Reform des steuerlich geförderten Miet- Joachim Tappe Ludger Volmer wohnungsbaus Dr. - Drucksache 13/7790 - (v. 03.06.97) Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt auf Drucksa- Überweisungsvorschlag: che 13/7695, den Gesetzentwurf unverände rt anzu- Finanzausschuß (federführend) nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstim- men? - Keine. Enthaltungen? - Keine. Dann ist der Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen Gesetzentwurf mit den Stimmen des ganzen Hauses an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse angenommen. zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Tagesordnungspunkt 15 c: Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a bis 15 o so- Zweite und dritte Beratung des von den Abge- wie die Zusatzpunkte 6 a bis 6 c auf. Es handelt sich ordneten Klaus-Jürgen Warnick, Dr. Uwe-Jens um die Beschlußfassung zu Vorlagen, zu denen keine Heuer und der Gruppe der PDS eingebrachten Aussprache vorgesehen ist. Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Überleitung preisgebundenen Tagesordnungspunkt 15 a: Wohnraums im Beitrittsgebiet in das allge- meine Miethöherecht (Mietenüberleitungs- Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Änderungsgesetz) desregierung eingebrachten Entwurfs eines - Drucksache 13/7251 - Gesetzes zur Änderung fahrpersonalrechtli- cher Vorschriften (Erste Beratung 166. Sitzung) - Drucksache 13/6629 - Beschlußempfehlung und Be richt des Aus- (Erste Beratung 157. Sitzung) schusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (18. Ausschuß) Beschlußempfehlung und Be richt des Aus- schusses für Verkehr (15. Ausschuß) - Drucksche 13/7767 - Berichterstattung: - Drucksache 13/7694 - Abgeordnete Rolf Rau Berichterstattung: Iris Gleicke Abgeordneter Klaus Hasenfratz Der Abgeordnete Klaus-Jürgen Warnick, PDS, hat um eine Erklärung zur Abstimmung gebeten. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Hand- zeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Klaus-Jürgen Warnick (PDS): Frau Präsidentin! Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit Meine Damen und Herren! Nachdem für den hier zur den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD bei Ent- Abstimmung stehenden Gesetzentwurf sowie den haltung der Stimmen von Bündnis 90/Die- Grünen Antrag weder in der ersten Lesung am 20. März 1997 und der PDS angenommen. noch heute Zeit und Raum für eine Debatte war, möchte ich Ihnen kurz mein Abstimmungsverhalten Dritte Beratung erläutern. und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die In beiden Drucksachen geht es um mietenpoli- dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- tische Entscheidungen, die aus dem Auslaufen des ben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Mietenüberleitungsgesetzes resultieren. Davon sind Dann ist der Gesetzentwurf mit den gleichen Mehr- über 5 Millionen ostdeutsche Haushalte betroffen. heitsverhältnissen angenommen. Mit dem Antrag werden die Erarbeitung eines Miet- spiegelgesetzes und Änderungen im Miethöhege- Tagesordnungspunkt 15 b: setz, unter anderem die Abschaffung der Umlage möglichkeit von Modernisierungs- sowie Kapital- Zweite Beratung und Schlußabstimmung des kosten, gefordert. Mit dem Gesetzentwurf soll die Be- von der Bundesregierung eingebrachten Ent- stimmung des Mietenüberleitungsgesetzes, wonach wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom die Neuvertragsmieten in Ostdeutschland höchstens 4. November 1995 zur Änderung des Vierten um 15 Prozent erhöht werden dürfen, nicht am AKP-EG-Abkommens von Lomé sowie zu den 30. Juli 1997 auslaufen, sondern um sechs Monate mit diesem Abkommen in Zusammenhang verlängert werden. stehenden weiteren Übereinkünften - Drucksache 13/5903 - Ich stimme der Beschlußempfehlung nicht zu und plädiere statt dessen für die Annahme des Gesetzent- (Erste Beratung 138. Sitzung) wurfes, weil ich in der Begrenzung der Neuvertrags- 16010 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Klaus-Jürgen Warnick mieten ein wichtiges Instrument zum Schutz von der PDS auf Drucksache 13/7251 abstimmen. Ich Wohnungssuchenden vor überhöhten Mietforderun- bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen gen sehe. wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - (Beifall bei der PDS) Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf in zwei- ter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und Ich stimme der Beschlußempfehlung nicht zu und F.D.P. bei Enthaltung der Fraktion der SPD gegen die plädiere statt dessen für die Annahme des Gesetzent- Stimmen der Grünen und der PDS abgelehnt. Damit wurfes, weil es zwar stimmen mag, daß viele Woh- entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere nungsunternehmen auf Grund des insgesamt ausrei- Beratung. chenden Wohnungsangebotes und der strukturellen Leerstände in zahlreichen Städten und Gemeinden Tagesordnungspunkt 15 d: gegenwärtig keine überhöhten Mietforderungen bei Neuverträgen forde rn, weil es aber auch Tatsache ist, Beratung der Beschlußempfehlung und des daß immer wieder versucht wird, vor allem Woh- Berichts des Ausschusses für Raumordnung, nungssuchende mit Zugangsproblemen - zum Bei- Bauwesen und Städtebau (18. Ausschuß) zu spiel Alleinerziehende, Migrantinnen und Migran- dem Antrag der Abgeordneten Klaus-Jürgen ten, Menschen mit Behinderungen und Arbeitslose - Warnick, Dr. Uwe-Jens Heuer und der Gruppe schamlos auszunutzen. der PDS Ich stimme der Beschlußempfehlung nicht zu, weil Ausarbeitung eines Mietspiegelgesetzes so- das Ende dieser Kappungsregelung bei Neuvertrags wie damit verbundener Änderungen des Ge- mieten ein falsches Signal für die schon seit langem setzes zur Regelung der Miethöhe angekündigte bundesweite Mietrechtsnovelle wäre. - Drucksachen 13/7245, 13/7767 - (Beifall bei der PDS) Berichterstattung: Ich stimme der Beschlußempfehlung nicht zu und Abgeordnete Rolf Rau plädiere statt dessen für die Annahme des Gesetzent- Iris Gleicke wurfes sowie des Antrages, weil die immer noch be- deutend geringeren Einkommen, die Massenarbeits- Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/7767 losigkeit sowie das Fehlen von Sozialwohnungen spe- Nr. 2, den Antrag auf Drucksache 13/7245 abzuleh- zifische Regelungen in Ostdeutschland rechtfertigen. nen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die (Beifall bei der PDS) Beschlußempfehlung mit den Stimmen der CDU/ Ich stimme der Beschlußempfehlung nicht zu, weil CSU, der F.D.P. und der SPD bei Enthaltung der Grü- ich die Forderungen des Deutschen Mieterbundes, nen und gegen die Stimmen der PDS angenommen. beschlossen sowohl auf der ostdeutschen Mieterkon- ferenz am 16. November 1996 als auch auf dem Mie- Tagesordnungspunkt 15 e: tertag in Nürnberg am 23. Mai 1997, für richtig und Beratung der Beschlußempfehlung und des unterstützenswert halte und weil genau diese Forde- Berichts des Ausschusses für die Angelegen- rungen und Vorschläge im Gesetzentwurf sowie im heiten der Europäischen Union (22. Ausschuß) Antrag der PDS aufgenommen wurden. - zu der Unterrichtung durch die Bundesre- (Beifall bei der PDS) gierung Ich stimme der Beschlußempfehlung nicht zu und Bericht der Kommission gemäß Artikel 189b Abs. 8 des EG-Vertrages über den plädiere statt dessen für die Annahme des Gesetzent-- wurfes sowie des Antrages, weil ich nicht die Möglich- Anwendungsbereich der Mitentscheidung keiten habe, alternativ über andere Anträge bzw. Ge - zu der Unterrichtung durch das Europäi- setzentwürfe zu diesen Fragen abstimmen zu können, sche Parlament obwohl in diesem Parlament mehrere Parteien für sich in Anspruch nehmen, die oder eine Pa rtei der Mieter Entschließung zu dem Bericht der Kommis- bzw. ein ostdeutscher Interessenvertreter zu sein. sion gemäß Artikel 189b Abs. 8 des EG- Vertrages über den Anwendungsbereich Nun kennen Sie mein Abstimmungsverhalten und der Mitentscheidung die Gründe dafür. Ich hoffe, daß auch Sie im Inter- - Drucksachen 13/5687 Nr. 2.4, 13/6766 esse der Wohnungssuchenden sowie der Mieterin- Nr. 1.9, 13/7566 - nen und Mieter Ostdeutschlands entscheiden und meinem Abstimmungsverhalten folgen. Der Dank Berichterstattung: der Betroffenen ist Ihnen sicher gewiß. Abgeordnete Dr. Gero Pfennig Heidemarie Wieczorek-Zeul Vielen Dank. Christian Sterzing Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Beifall bei der PDS) Der Ausschuß für die Angelegenheiten der Euro- päischen Union empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Der Ausschuß schlußempfehlung auf Drucksache 13/7566 die An- für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau emp- nahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Be- fiehlt auf Drucksache 13/7767 Nr. 1, den Gesetzent- schlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? wurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16011 Vizepräsidentin Michaela Geiger des Hauses bei Enthaltung der Stimmen der PDS an- blik Polen und der Slowakischen Republik genommen. andererseits Der Ausschuß für die Angelegenheiten der Euro- - Drucksachen 13/7017 Nr. 2.39, 13/7653, päischen Union empfiehlt unter den Nrn. 2 a und 2 b 13/7799 - seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/7566, Berichterstattung: den Bericht der Kommission sowie die Entschließung Abgeordnete des Europäischen Parlaments zur Kenntnis zu neh- men. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Ge- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußemp- genprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfeh- fehlung ist mit den Stimmen des gesamten Hauses lung ist mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung angenommen. der Stimmen der PDS angenommen.

Tagesordnungspunkt 15 f: Tagesordnungspunkte 15i bis 15 k: i) Beratung der Beschlußempfehlung und des Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses (8. Aus- Berichts des Ausschusses für Wi rtschaft schuß) zu dem Antrag des Bundesministe- (9. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die riums der Finanzen Bundesregierung Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundes- Entschließung zum Bericht der Kommission haushaltsordnung in die Veräußerung bun- an den Rat und das Europäische Parlament deseigener Liegenschaften im Wert über über den Binnenmarkt 1995 30 Mio. DM; - Drucksachen 13/6766 Nr. 1.3, 13/7608 - Straußberg, Am Herrensee 13-20, 24-28, 34- Berichterstattung: 48, Am Marienberg 17-28, 57-62, Am Annatal Abgeordnete Jelena Hoffmann () 21-28, 34-48 - Drucksachen 13/7358, 13/7696 - Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Ge- genprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfeh- Berichterstattung: lung ist mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung Abgeordnete der Stimmen der PDS angenommen. Susanne Jaffke Oswald Metzger Tagesordnungspunkt 15 g: Jürgen Koppelin j) Beratung der Beschlußempfehlung und des Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses (8. Aus- Berichts des Ausschusses für Arbeit und So- schuß) zu dem Antrag des Bundesministe- zialordnung (11. Ausschuß) zu der Unterrich- riums der Finanzen tung durch die Bundesregierung Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundes- Mitteilung der Kommission der Europäischen haushaltsordnung in die Veräußerung bun- Union über die Ergebnisse der Bewertung ge- deseigener Grundstücke in Köln, Raderberg- mäß der Richtlinie des Rates über den Schutz gürtel (Funkhaus der ehemaligen Rundfunk- der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch anstalt „Deutschlandfunk") Asbest am Arbeitsplatz - Drucksachen 13/7349, 13/7697 - - Drucksachen 13/5837 Nr. 1.17, 13/7626- - Berichterstattung: Berichterstattung: Abgeordnete Karl Diller Abgeordneter Rudolf Meyer (Winsen) Susanne Jaffke Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Ge- Oswald Metzger genprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfeh- Jürgen Koppelin lung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses ange- k) Beratung der Beschlußempfehlung und des nommen. Berichts des Haushaltsausschusses (8. Aus- schuß) zu dem Antrag des Bundesministe- Tagesordnungspunkt 15 h: riums der Finanzen Beratung der Beschlußempfehlung und des Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundes- Berichts des Ausschusses für Verkehr (15. Aus- haushaltsordnung in die Veräußerung einer schuß) zu der Unterrichtung durch die Bun- Teilfläche der ehemaligen US-von Steuben- desregierung Wohnsiedlung in Frankfurt am Main - Drucksachen 13/7356, 13/7698 - Vorschlag für einen Beschluß des Rates über den Abschluß eines Abkommens zur Fest- Berichterstattung: legung von Bedingungen für den Binnen- Abgeordnete Karl Di ller schiffsgüter- und -personenverkehr zwischen Susanne Jaffke der Europäischen Gemeinschaft einerseits Oswald Metzger und der Tschechischen Republik, der Repu Jürgen Koppelin 16012 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Vizepräsidentin Michaela Geiger Wer stimmt für diese drei Beschlußempfehlungen? Berücksichtigung sozialer und ökologischer - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußemp- Mindeststandards in der EU-Bananenverord- fehlungen sind mit den Stimmen des ganzen Hauses nung angenommen. - Drucksachen 13/6625, 13/7571 - Wir kommen jetzt zu den Tagesordnungspunkten Berichterstattung: 15 l bis 15 o. Abgeordneter Dr. Christian Ruck Zunächst Tagesordnungspunkt 15 l: Der Ausschuß empfiehlt in Drucksache 13/7571, Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- den Antrag auf Drucksache 13/6625 abzulehnen. tionsausschusses (2. Ausschuß) Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung des Aus- schusses? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 205 zu Petitionen Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen - Drucksache 13/7664 - von CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stimmen von Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenom- enthält sich? - Sammelübersicht 205 ist mit den Stim- men. men von CDU/CSU, F.D.P. und SPD bei Enthaltung der Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Zusatzpunkt 6 b: PDS angenommen. Beratung der Beschlußempfehlung und des Tagesordnungspunkt 15 m: Berichts des Ausschusses für Umwelt, Natur- schutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuß) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuß) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Klaus Sammelübersicht 206 zu Petitionen W. Lippold (Offenbach), Dr. Norbe rt Rieder und der Fraktion der CDU/CSU sowie der - Drucksache 13/7665 - Abgeordneten Birgit Homburger, Günther Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer Bredehorn, Dr. Rainer Ortleb und der Frak- enthält sich? - Sammelübersicht 206 ist mit dem glei- tion der F.D.P. chen Mehrheitsverhältnis wie vorher angenommen. Elefanten erhalten - neue Lebensräume er- schließen Tagesordnungspunkt 15 n: Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- - zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike tionsausschusses (2. Ausschuß) Mehl, Michael Müller (Düsseldorf), Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Frak- Sammelübersicht 207 zu Petitionen tion der SPD - Drucksache 13/7666 - Elefanten schützen und Verbot des Elfen- Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer beinhandels aufrechterhalten enthält sich? - Sammelübersicht 207 ist mit den Stim- men von CDU/CSU, F.D.P. und SPD bei Enthaltung - Drucksachen 13/7654, 13/7254, 13/7818 - der Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen gegen die Berichterstattung: Stimmen der PDS angenommen. Abgeordnete Dr. Norbert Rieder Ulrike Mehl Tagesordnungspunkt 15 0: Ulrike Höfken Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- Birgit Homburger tionsausschusses (2. Ausschuß) Wir stimmen zunächst über Drucksache 13/7818 Sammelübersicht 209 zu Petitionen Nr. 1 ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf - Drucksache 13/7668 - Drucksache 13/7654 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer - Wer enthält sich? - Dann ist die Beschlußempfeh- enthält sich? - Sammelübersicht 209 ist mit den Stim- lung mit den Stimmen der CDU/CSU und F.D.P. ge- men von CDU/CSU, F.D.P. und SPD bei Enthaltung gen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS bei Enthaltung der Stimmen der SPD angenom- PDS angenommen. men. Wir kommen zu den Zusatzpunkten 6 a bis 6 c. Nun stimmen wir über Drucksache 13/7818 Nr. 2 ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Zunächst Zusatzpunkt 6 a: Drucksache 13/7254 abzulehnen. Wer stimmt für Beratung der Beschlußempfehlung und des diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthal- Berichts des Ausschusses für Wirtschaft (9. Aus- tungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den schuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Rein- Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stim- hold Hemker, Horst Sielaff, B rigitte Adler, wei- men von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS an- terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD genommen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16013 Vizepräsidentin Michaela Geiger Zusatzpunkt 6 c: Fortsetzung der konventionellen Abrüstung Beratung der Beschlußempfehlung und des in Europa Berichts des Ausschusses für Familie, Senio- - Drucksachen 13/3987, 13/6163 - ren, Frauen und Jugend (13. Ausschuß) zu der Berichterstattung: Unterrichtung durch die Bundesregierung Abgeordnete Dr. Friedbert Pflüger Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über (Wiesloch) die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund Ludger Volmer des Geschlechts Dr. Olaf Feldmann Geänderter Vorschlag der Kommission für d) Beratung der Beschlußempfehlung und des eine Richtlinie des Rates über die Beweislast Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- bei Diskriminierung aufgrund des Ge- schuß) zu der Unterrichtung durch die Bun- schlechts desregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Bericht zum Stand der Bemühungen um Rü- die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund stungskontrolle und Abrüstung sowie der des Geschlechts (Beratungsergebnis der Veränderungen im militärischen Kräftever- Gruppe „Sozialfragen" vom 22. Mai 1997) hältnis (Jahresabrüstungsbericht 1995) - Drucksachen 13/7017 Nr. 3.1, 13/7819- - Drucksachen 13/4450, 13/6482 - Berichterstattung: Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Marliese Dobberthien Abgeordneter Dr. Karl-Heinz Hornhues e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Rita Grießhaber Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- Sabine Leutheusser-Schnarrenberger schuß) zu dem Entschließungsantrag der Heidemarie Lüth Gruppe der PDS zu der Unterrichtung durch Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Ge- die Bundesregierung genprobe! - Enthaltungen? - Dann ist die Beschluß- Bericht zum Stand der Bemühungen um Rü- empfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU und stungskontrolle und Abrüstung sowie der F.D.P. gegen die Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Veränderungen im militärischen Kräftever- Grünen und PDS angenommen. hältnis (Jahresabrüstungsbericht 1995) - Drucksachen 13/4580, 13/4450, 13/6483 - Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5h auf: Berichterstattung: Weitere Beratungen mit Aussprache Abgeordneter Dr. Karl-Heinz Hornhues a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- regierung f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- Bericht der Bundesregierung zum Stand der schuß) zu dem Entschließungsantrag der Ab- Bemühungen um Abrüstung, Rüstungskon- geordneten Angelika Beer, Winfried Nacht- trolle und Nichtverbreitung sowie über die wei, Christian Sterzing, Ludger Volmer und Entwicklung der Streitkräftepotentiale (Jah- der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu resabrüstungsbericht 1996) der Unterrichtung durch die Bundesregierung - Drucksache 13/7389 - Bericht zum Stand der Bemühungen um Rü- Überweisungsvorschlag: stungskontrolle und Abrüstung sowie der Auswärtiger Ausschuß (federführend) Veränderungen im militärischen Kräftever- Verteidigungsausschuß hältnis (Jahresabrüstungsbericht 1995) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten An- - Drucksachen 13/4557, 13/4450, 13/6484 - gelika Beer, Dr. Uschi Eid, Wolfgang Schmitt Berichterstattung: (Langenfeld) und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Abgeordneter Dr. Karl-Heinz Hornhues DIE GRÜNEN g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Erhöhung der Mittel für zivile Minenräu- Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- mung schuß) zu dem Antrag der Abgeordneten An- - Drucksache 13/5857 - drea Gysi, Hein rich Graf von Einsiedel, Hanns-Peter Ha rtmann, weiterer Abgeordne- Überweisungsvorschlag: ter und der Gruppe der PDS Auswärtiger Ausschuß (federführend) Verteidigungsausschuß Eine Welt ohne Atomwaffen c) Beratung der Beschlußempfehlung und des - Drucksachen 13/5987, 13/6871 - Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- Berichterstattung: schuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Ger- Abgeordnete Dr. Friedbert Pflüger hard Zwerenz, Hein rich Graf von Einsiedel, Karsten D. Voigt (Frankfu rt) Hanns-Peter Hartmann, weiterer Abgeordne- Angelika Beer ter und der Gruppe der PDS Dr. Olaf Feldmann 16014 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Vizepräsidentin Michaela Geiger h) Beratung der Beschlußempfehlung und des verweisen, die die Beziehungen zwischen der NATO Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- und Rußland auf eine neue Grundlage stellen sollte schuß) zu dem Antrag der Abgeordneten An- und inzwischen gestellt hat. gelika Beer und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Präsident Jelzin hat in Pa ris zugesagt, daß künftig DIE GRÜNEN keine einzige russische Nuklearrakete mehr auf die Konvention zur Ächtung und Abschaffung al- 16 NATO-Mitgliedstaaten gerichtet ist. Das ist ein ler Atomwaffen willkommenes und gutes Signal zur rechten Zeit, - Drucksachen 13/6383, 13/7003 - nachdem die NATO von sich aus erklärt hat, keine Nuklearwaffen auf dem Ter ritorium neuer Bündnis- Berichterstattung: mitglieder stationieren zu wollen. Abgeordnete Dr. Friedbert Pflüger Karsten D. Voigt (Frankfu rt) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Angelika Beer ten der CDU/CSU und der SPD) Dr. Olaf Feldmann Die Beschlüsse des kommenden NATO-Gipfels am Zum Jahresabrüstungsbericht 1996 liegen je ein 8./9. Juli in Madrid zur inneren Reform des Bündnis- Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die ses, zur Öffnung für neue Mitglieder und für stärkere Grünen und der Gruppe der PDS vor. Beziehungen mit allen Partnerstaaten werden uns einer neuen Sicherheitsordnung in einem geeinten, Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für freien und demokratischen Europa näherbringen. die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Die Entwicklung zeigt: Unsere Grundsatzentschei- dung, Abrüstung und Rüstungskontrolle auch nach Ich eröffne die Aussprache. Das Wo rt hat Bundes- dem Wegfall des Ost-West-Konfliktes hohe Priorität minister Dr. Klaus Kinkel. beizumessen, war und bleibt richtig. Ohne sie hätte es diese historischen Veränderungen mit absoluter Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister des Auswärtigen: Sicherheit eben nicht gegeben. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte über den Jahresabrüstungsbe- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne richt fällt mitten in einen Prozeß historischer Wei- ten der CDU/CSU) chenstellungen für eine neue Sicherheitsordnung in Abrüstung ist und bleibt ein zentrales Thema deut- Europa. Abrüstung und Rüstungskontrolle sind dafür scher Außenpolitik, und deshalb ist es so wichtig, absolut unersetzliche Bausteine. In den letzten zehn daß diese Politik von einem breiten Konsens hier im Jahren sind die militärischen Ausgaben um ein Fünf- Haus getragen wird. tel gesunken - noch immer nicht genug, aber immer- hin -, und die meisten Länder reduzieren weiter. Meine Damen und Herren, ich glaube, daß sich die Ergebnisse gerade auch unserer eigenen Politik se- Niemand kann die Augen davor verschließen, daß hen lassen können. Die erfolgreich abgeschlossene uns das Wettrüsten des kalten Krieges riesige Waf- Konferenz zur Überprüfung des Vertrages über kon- fenarsenale hinterlassen hat. Allein die USA und ventionelle Streitkräfte in Europa, KSE, der Vertrag Rußland haben noch immer 70 000 Tonnen chemi- über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen, scher Kampfstoffe und mehr als 30 000 nukleare das Chemiewaffenübereinkommen vom 29. April Sprengköpfe, übrigens mehr als auf dem Höhepunkt dieses Jahres, das revidierte Minenprotokoll im Rah- der Kubakrise. Nichts von diesem todbringenden men der UN-Waffenkonvention sowie die erfolgreich Material darf in falsche Hände geraten. In unserer - abgeschlossenen Rüstungskontrollverhandlungen Welt darf es für solche gigantischen Arsenale keinen zwischen den Konfliktparteien im früheren Jugosla- Platz mehr geben. wien - überall haben wir entscheidend dazu beige- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU tragen, daß es dazu gekommen ist. Das können wir sowie bei Abgeordneten der SPD) mit einem gewissen Stolz sagen. Auch vor diesem Hintergrund hat die Grundakte Insbesondere der KSE-Vertrag hat sich als eine fe- zwischen der NATO und Rußland, die wir vergan- ste Größe etabliert. Seit 1990 sind über 50000 gene Woche in Paris unterzeichnet haben, größte Be- schwere Waffensysteme aus Europa verschwunden. deutung, ebenso das paraphierte Übereinkommen (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ mit der Ukraine, wobei die Aussagen zur Rüstungs- NEN]: Und die deutschen Panzer in der kontrolle Kernelemente sind. Türkei?) Mit dieser Grundakte ist es gelungen, Rußland, Aber brauchen wir wirk lich die hohen Obergren- das größte Land der Erde, in einer wirklichen Sicher- zen, die der Vertrag immer noch enthält? heitspartnerschaft mit der NATO zu verbinden, und die Richtschnur heißt jetzt Vertrauen und Koopera- (Uta Zapf [SPD]: Nein!) tion und nicht mehr Gleichgewicht von Drohpoten- Wir haben mit unseren NATO-Partnern vorge- tialen. schlagen, daß künftig ein engmaschiges Netz von Die Bundesregierung - ich glaube, das kann man territorialen und nationalen Obergrenzen jede desta- wirklich so sagen - hat entscheidend zu diesem Er- bilisierende Streitkräftekonzentration im KSE-Gebiet folg beigetragen. Ich darf auch noch einmal auf mei- verhindert. Rußland hat auch weiterhin keine kon- nen eigenen Vorschlag einer Cha rta vom März 1995 ventionelle Überlegenheit der NATO zu befürchten. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16015 Bundesminister Dr. Klaus Kinkel Wir brauchen jetzt, liebe Kolleginnen und Kolle- Mit dem Übereinkommen über das Verbot chemi- gen, vor allem zweierlei: energische weitere Ein- scher Waffen wird die gesamte Kategorie chemischer schnitte bei den überdimensionierten Waffenbestän- Waffen international geächtet. Die neue Verifika den und die tatsächliche Erfüllung von Abrüstungs- tionsbehörde in Den Haag für Überwachung und In- zusagen. spektion verdient und erhält unsere volle Unterstüt- zung. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU und der SPD) Zu einem Punkt, der uns, wie ich weiß, gemeinsam interessiert und bei dem ich in besonderer Weise für Die nuklearen Sprengköpfe aus abgerüsteten Waf- die bisherige Unterstützung des Deutschen Bundes- fen müssen unter gegenseitiger Kontrolle beseitigt tages - und zwar aller seiner Fraktionen - sehr dank- werden. Ich begrüße ausdrücklich die amerikanisch- bar bin. Das Minenprotokoll zur UN-Waffenkonven- russische Übereinkunft, über einen START-III-Ver- tion wurde im Mai 1996 revidiert. Das war ein ganz trag Gespräche aufzunehmen. Dazu muß nun aber wichtiger Etappensieg. Aber natürlich geht er nicht endlich der vor über vier Jahren gezeichnete - START weit genug. II-Vertrag in Kraft treten. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) der SPD) Auch hierfür hat die Erklärung von Präsident Jelzin Immer noch fordern weit über 100 Millionen unge große Bedeutung. räumte Landminen - der größte Teil davon Antiper- Wenn Rußland zusagt, keine Atomraketen mehr sonenminen - pro Woche 150 bis 200 Opfer durch- auf die 16 NATO-Staaten zu richten, dann hat eigent- schnittlich. Zusammen mit Großbritannien und lich die russische Duma keinen Grund, die Ratifizie- Frankreich drängen wir auf ein weltweites Verbot. rung von START II weiterhin zu blockieren, Dieses Teufelszeug muß endlich verschwinden. (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Heute!) (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS) und wir erwarten, daß Präsident Jelzin sich in diesem Sinne durchsetzt. Deutschland hat schon im April 1996 endgültig auf Antipersonenminen für die Bundeswehr verzichtet Nicht weniger wichtig ist die Umsetzung der ein- und das neue Protokoll Anfang Mai 1997 als einer seitigen Erklärung Präsident Jelzins vom Januar der ersten Staaten ratifiziert. Ich danke ganz beson- 1992, wesentliche Teile der taktischen nuklearen ders herzlich für die schnelle Beratung des Ratifika- Sprengköpfe Rußlands auszumustern und sie auch tionsgesetzes. Großbritannien hat ja auch inzwischen weitgehend zu vernichten. ein wichtiges Signal gegeben. Ebenso bedeutsam sind die vereinbarten russisch- Ich habe im Juli 1996 ein Sieben-Punkte-Pro- amerikanischen Gespräche über taktische Nuklear- gramm zu Personenminen vorgestellt. Erste Pro- waffen. Schon 1993 habe ich einen zuverlässigen In- grammpunkte sind bereits umgesetzt. Über 100 Staa- formationsaustausch über Bestände an Nuklearwaf- ten haben es unterstützt; viele tragen es mit. Ich habe fen und militärischem Spaltmaterial vorgeschlagen. im Dezember 1996 und im April 1997 hier Konferen- Jetzt, nachdem die Grundakte völlig neue Koopera- zen veranstaltet - wie ich finde, mit gutem Erfolg. tionsmöglichkeiten zwischen NATO und Rußland ge- Wir werden da nicht lockerlassen, und ich bitte Sie schaffen hat, muß erst recht gelten: Mehr Transpa- sehr herzlich um weitere Unterstützung. renz bedeutet zwangsläufig auch mehr Sicherheit für alle. - Meine Damen und Herren, wie zentral wichtig Ab- rüstung nach wie vor ist, zeigt im wahrsten Sinne des (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und Wortes Bosnien-Herzegowina. In Dayton haben wir der SPD) auf Rüstungskontrollverhandlungen zwischen den Der jetzt eingesetzte Ständige Gemeinsame Rat zwi- Konfliktparteien gedrängt und sie im Juni 1996 mit schen NATO und Rußland sollte rasch, konkret und Erfolg beendet. Es darf jetzt zwischen den Konflikt- offen über all diese Fragen sprechen. parteien kein neues Wettrüsten geben. Über 140 Staaten, allen voran die fünf Atom- (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und mächte, haben sich im August 1996 verpflichtet, der SPD) künftig keine Atomtests mehr durchzuführen. Nun Ich wiederhole, was ich vor kurzem in Sarajevo selbst müssen auch die an Bord, die noch nicht gezeichnet und auch letzte Woche in Sintra gesagt habe: Natür- haben. Das ist ganz wesentlich. lich müssen alle Verantwortlichen vor Ort mitziehen, (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Indien und und sie müssen vor allen Dingen Frieden wollen. Wir Pakistan!) müssen deutlich und klar sagen: Wer rüstet, wer do rt Häuser anzündet, um Flüchtlinge an der Rückkehr Auch über ein Verbot der Produktion von militäri- zu hindern, wer sich Beratungen verweigert und sich schem Spaltmaterial für Waffenzwecke - „cut-off" - lieber über Sitzordnungen in fast kindischer Weise muß endlich verhandelt werden. Deutschland wird streitet, der sollte nicht weiter auf die Hilfe der inter- auch da, wie bisher schon, weiter drängen. nationalen Staatengemeinschaft hoffen können. (Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Sehr (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und gut!) der SPD) 16016 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel Liebe Kolleginnen und Kollegen, Abrüstung und KSE-Rahmen gibt. Mein Kollege Erler wird auf die- Rüstungskontrolle und Nichtverbreitungspolitik ha- sen Bereich näher eingehen. ben in den letzten Jahren neue Schwerpunkte erhal- Ebenso wie Sie, Herr Minister, würdige ich das, ten. Sie haben nicht an Bedeutung verloren. Die Dy- was mit dem Minenprotokoll vorangebracht worden namik des Abrüstungsprozesses darf nicht erlahmen. ist. Wir werden Sie bei weitergehenden Bemühun- Die Bundesregierung wird die aktive Abrüstungs- gen unterstützen und in manchen noch problemati- politik zielstrebig fortsetzen. schen Bereichen vielleicht auch antreiben müssen. (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Das Chemiewaffenübereinkommen ist am 29. April NEN]: Dann wird ja nicht viel passieren!) in Kraft getreten. Die USA haben es sozusagen noch Ich weiß, daß wir dafür die Unterstützung des Hauses in letzter Sekunde ratifiziert. Der Schönheitsfehler an haben. diesem wirklich sehr begrüßenswerten Übereinkom- men ist, daß einer der beiden großen Chemiewaffen- Herzlichen Dank. besitzer, nämlich Rußland, es bisher nicht ratifiziert (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU hat. sowie bei Abgeordneten der SPD) (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Sie wollen im Oktober nachziehen!) Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat - Herr Feldmann, wir haben das beide gehört. Wir jetzt die Abgeordnete Uta Zapf, SPD-Fraktion. waren beide in Moskau, und ich wollte gerade darauf kommen, das zu berichten. In Rußland wurde in der Uta Zapf (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kollegin- Staatsduma ein Durchführungsgesetz für die Delabo- nen und Kollegen! In Sachen Abrüstung sind wir ja rierung von Chemiewaffen und die Vernichtung der meistens weitgehend einer Meinung. Ich spreche si- Infrastuktur bereits verabschiedet. cherlich im Namen aller Kolleginnen und Kollegen (Katrin Fuchs [Verl] [SPD]: Er ist vorwitzig!) des Unterausschusses, aber auch des Auswärtigen Ausschusses, wenn ich mich bei der Bundesregie- Wie Herr Feldmann soeben schon vorauseilend mit- rung für den Bericht bedanke. Es ist ein sorgfältig er- geteilt hat, hat man uns bei unserem Besuch in Mos- arbeiteter Bericht, und er ist sehr informativ. kau gesagt, daß wir damit rechnen könnten, daß die Ratifizierung im Herbst über die Bühne gehen werde. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Im übrigen wurde gesagt, daß dies Priorität habe. Es F.D.P.) wurde aber auch signalisiert, wie schwierig das für Ich möchte mich auch bei den Kollegen und Kolle- die Russen sei, weil es einen ungeheuren Geldauf- ginnen, aber auch bei den Zuständigen im Ministe- wand erfordere, die notwendige Infrastruktur und al- rium für die gute Zusammenarbeit bedanken. Herr les, was damit zusammenhängt, aufzubauen. Kinkel hat auch gewürdigt, daß wir uns in der Frage Ich denke, wir werden bei den Haushaltsberatun- der Abrüstung bemühen, über Kompromisse der Re- gen, in denen wir uns im Rahmen der Abrüstungs- gierung in der schwierigen Arbeit des Vorantreibens hilfe immer sehr intensiv über solche Probleme unter- von Abrüstung und Rüstungskontrolle den Rücken halten haben, das auch noch einmal einbeziehen zu stärken. Ich denke, das wird auch in Zukunft so müssen. sein, auch wenn die Abrüstung ein schwieriges, ein langwieriges Geschäft ist. Aber gerade deshalb muß (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie man in den heutigen Zeiten betonen, daß das ein des Abg. Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]) wichtiges Geschäft ist und daß wir do rt- in vielem Weniger erfolgreich, liebe Kolleginnen und Kolle- auch noch Handlungsbedarf haben, wobei schnell gen, sind bisher die Verhandlungen zum BWÜ gelau- gehandelt werden muß. Da unterscheide ich mich, fen. Da gibt es große Schwierigkeiten, obwohl dies in Herr Minister, auch bei einigen Einschätzungen des- der Tat ein wichtiges Übereinkommen in einem ganz sen, was im letzten Jahr geschehen ist, von Ihrer viel- schwierigen Bereich ist. Die Frage, wie bei den bio- leicht etwas zu optimistischen Einschätzung, obwohl logischen Waffen etwas verifiziert und kontrolliert ich das würdige, was erfolgt ist. werden kann, ist sicherlich noch schwieriger zu be- (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Die Einschät antworten als beim Chemiewaffenübereinkommen. zung war realistisch!) Vielleicht wird auch das Übereinkommen zu den Chemiewaffen positive Auswirkungen auf den Ver- Denn Abrüstung und Rüstungskontrolle sind nicht lauf der Verhandlungen haben, aber do rt sind wir nur eine Erfolgsstory, sondern auch eine Story von meiner Einschätzung nach noch lange nicht über Mißerfolgen und Problemen. dem Berg. Ich glaube, das ist ein wichtiger Bereich. Sicherlich ist es richtig, den KSE-Vertrag mit der Ich sehe auch bei dem hochgelobten Verbot von nun mitterweile von allen ratifizierten Flankenrege- Atomwaffentests, bei dem Comprehensive Test Ban lung auf der Erfolgsseite einzuordnen, wobei man Treaty, nicht nur positive Seiten, liebe Kolleginnen auch erwähnen muß, wie schwierig es in den USA und Kollegen. Es gibt auch dort Schönheitsfehler. und in der Ukraine war, diese Regelung zu ratifizie- Dazu gehört unter anderem - das haben wir bei ren, obwohl sie längst praktiziert wurde. der Diskussion kritisch beleuchtet -, daß die subkriti- Ich begrüße auch, daß es neue Verhandlungsvor- schen Tests erlaubt sind. Diese könnten jedoch nach schläge für einen weiteren Abrüstungsprozeß im unserer Meinung in der Lage sein - ich sage das sehr Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16017

Uta Zapf vorsichtig -, dem Sinn und Zweck dieses Abkom- Das ist doch eigentlich absurd. Deshalb ist die Ab- mens entgegenzuwirken; denn Sinn und Zweck senkung der Anzahl der Sprengköpfe, die do rt vor- kann nicht nur sein, die Umwelt zu schützen, son- geschlagen ist, ein großer Fortschritt. Ich wünsche dern Sinn und Zweck sollte sein, die Entwicklung mir, daß man dort vorankommt, damit atomare Abrü- neuer Atomwaffen zu verhindern. Daß man mit stung tatsächlich ernsthaft bet rieben wird. neuen Programmen, die auch die Ame rikaner aufle- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne möglicherweise wieder Optionen eröffnet, gen, dort ten der CDU/CSU und der F.D.P.) ist für uns, die wir uns für Abrüstung und Rüstungs- kontrolle engagieren, schon ein schwerwiegendes Nicht zu vernachlässigen ist auch das Angebot, in Problem. diesem Zusammenhang nicht nur die Sprengköpfe von den Trägersystemen zu separieren, sondern sie Sie haben auch darauf hingewiesen, daß es zum in der Tat zu vernichten. Ich glaube, das ist ganz Inkrafttreten dieses Vertrages immer noch der Unter- wichtig. Bei allen Schwierigkeiten, die wir heute schrift einiger Staaten - insbesondere Indien weige rt schon bei der Vernichtung von Waffenplutonium ha- sich, diesen Vertrag zu unterzeichnen - bedarf, es sei ben, ist das ein ganz wichtiger Schritt. denn, man wartet die dreijährige Karenzzeit ab und macht dann eine andere Konstruktion, als die 44 Staa- Zusätzlich soll über weitere Systeme - das bezieht ten namentlich zu nennen. sich nicht auf START III, aber auf dessen Umfeld -, nämlich über die seegestützten C ruise Missiles und Ich wiederhole etwas, was ich bereits in den Dis- die von Ihnen, Herr Minister, erwähnten taktischen kussionen gesagt habe. Das Problem ist dadurch zu- atomaren Waffen geredet werden. stande gekommen - hier müßte man auch bei einer Lösung ansetzen -, daß sich im Zusammenhang mit Es ist schön, was alles in bilateralen Versprechen diesen Diskussionen die Atomwaffenstaaten, aber verabredet worden ist. Nur, auch das muß einmal auch andere, weigern, in der Konferenz für Abrü- vertraglich geregelt werden. stung in Genf ein Verhandlungsmandat zur nuklea- ren Abrüstung aufzunehmen. Das halte ich für einen Wir wissen heute überhaupt nicht, wie viele sol- schwerwiegenden Fehler derer, die sich wehren. Das cher taktischen Atomwaffen noch existieren. Wir wis- geht natürlich insbesondere an die Adresse der sen auch nicht, wo sie stationiert sind. Wir wissen fer- Atomwaffenstaaten. Ich wünsche mir, daß man von ner nicht, ob sie laut dem Versprechen von Jelzin ab- der Seite der Bundesrepublik mehr als Zustimmung gebaut worden sind. Angesichts der sicherheitspoliti- zu solchen Verhandlungen signalisiert: daß man in schen Veränderungen, auch im Rahmen der Diskus- der Tat darauf drängt, diese aufzunehmen. sion um die NATO-Osterweiterung, ist es ganz wich- tig, hier zu vertraglichen Vereinbarungen zu kom- (Beifall bei der SPD) men. Denn wir können uns doch nicht wünschen, daß durch diese eigentlich begrüßenswerten sicher- Wir haben bei der Verlängerung des Nichtverbrei- heitspolitischen Veränderungen, die auch zu Abrü- tungsvertrags zwei Dokumente erstellt, die aus- stungsschritten im konventionellen Bereich geführt drücklich die Verpflichtung zur atomaren Abrüstung haben, nun plötzlich wieder Atomwaffen größeres der Staaten festschreiben. Wenn man an dieser Stelle Gewicht erlangen. Dies kann keine Perspektive sein. nicht wirklich Ernst macht, dann kann man auch nicht erwarten, daß Staaten wie Indien es ernst neh- Auch wir als Nichtnuklearstaat müssen diese Dis- men und unterschreiben. kussion sehr ernsthaft führen. Ich schlage daher vor, daß wir uns im Deutschen Bundestag darüber unter- Nach dem Gutachten des Internationalen Gerichts- halten, ob wir nicht den Verzicht auf den Ersteinsatz hofs müssen wir auch bei uns die Frage der Atom- von Atomwaffen fordern sollen. waffen auf die Tagesordnung setzen. Der -Unteraus- schuß hat das bereits beraten und signalisiert, daß (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wir das machen wollen, weil es in bezug auf eine zu- DIE GRÜNEN) künftige gemeinsame Verteidigungspolitik Europas Dies wäre ein ganz wichtiger Schritt auf einem wichtig ist, auch bei der atomaren Abrüstung zu Er- Wege, der weitere Perspektiven eröffnet. folgen zu kommen. Ein letzter Punkt. Ich wi ll darauf hinweisen, daß es Ich begrüße wie Sie, Herr Minister, die Vorschläge, mir große Sorgen macht, daß die Ame rikaner im Ver- die in Helsinki von den Präsidenten Clinton und Jel- teidigungsausschuß des Senates eine National Mis- zin gemacht worden sind; denn diese können ein sile Defense beschlossen haben. Damit könnte der Stück weit aus der Falle helfen, in der die atomare Konsens, der sich jetzt beim ABM-Vertrag zwischen Abrüstung im Moment sitzt. START II zu ratifizieren Rußland und den USA abzeichnet, gefährdet wer- wird den Russen mit dem Vorschlag zu START III we- den. Damit könnte die Voraussetzung für die Ratifi- sentlich leichter gemacht werden; a) wird ihnen zierung von START II sozusagen den Bach hinunter- durch die Verlängerung der Abrüstungsphase bis gehen. Auch über diesen Punkt sollten wir sehr zum Jahre 2007 aus der Zeitfalle herausgeholfen, in ernsthaft mit unseren Kollegen und Kolleginnen im der sie stecken, und b) wird damit dem Problem, das US-Senat streiten. nur die Russen betrifft, Rechnung getragen, daß sie nämlich, wenn sie die ihnen zugestandene Anzahl von Sprengköpfen erreichen wollen, beim Abbau der Vizepräsidentin Michaela Geiger: Bitte kommen Mehrfachsprengköpfe Einfachsprengköpfe nachrü- Sie zum Schluß. Ihre Redezeit ist schon weit über- sten müßten. schritten. 16018 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Uta Zapf (SPD): Noch zwei Sätze, Frau Präsidentin. Das gleiche gilt für das Internationale Wissen- schafts- und Technologiezentrum - IWTZ - in Mos- Es gibt noch viel mehr Probleme, mit denen wir kau, das auf die Initiative von KGB - von Kosyrew, uns beschäftigen müssen. Genscher und Baker - (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Die wichtigsten (Heiterkeit) haben wir gelöst!) 1994 seine Arbeit aufgenommen hat. Das IWTZ soll Aber ich glaube, dies ist ein Kernproblem, auf das Wissenschaftlern und Ingenieuren der ehemaligen wir im nächsten Jahr den Schwerpunkt legen sollten. Sowejtunion, die über Kenntnisse zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen verfügen, ermögli- Herzlichen Dank. chen, ihr Wissen im Rahmen ziviler Projekte einzu- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne setzen. Damit soll der Transfer von nuklearem Know- ten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/ how in andere Länder verhindert werden. Seit 1994 DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Olaf Feld wurden zirka 15 400 Wissenschaftler in 324 Projekten mann [F.D.P.]) mit einem Gesamtfördervolumen von 121 Millionen US-Dollar gefördert.

Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat Neben der Beteiligung am IWTZ und unserer Hilfe jetzt der Abgeordnete Dr. Friedbert Pflüger, CDU/ im ökonomischen Bereich leisten wir im Rahmen un- CSU-Fraktion. serer Möglichkeiten auch Abrüstungshilfe. Seit 1993 sind immerhin 50 Millionen DM nach Rußland und in die Ukraine geflossen, Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): Frau Präsiden- tin! Meine Damen und Herren! Der Abrüstungsbe- (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Ein ganz schö richt dokumentiert eine Erfolgsgeschichte, die die ner Brocken!) Friedensbewegung der frühen 80er Jahre nicht ein- die jeweils zur Hälfte für atomare und chemische Ab- mal zu träumen gewagt hätte. rüstung eingesetzt werden. Für dieses Jahr sind (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ 15 Millionen DM im Haushalt eingestellt. NEN]: Du solltest die Polemik unterlassen!) (Uta Zapf [SPD]: Zu wenig!) Trotzdem bleiben gravierende Probleme zu lösen. Zu - Das ist immer noch zu wenig, Frau Kollegin Zapf. beiden, zu den Erfolgen und zu den Herausforderun- Es ist aber angesichts dessen, was wir in anderen Be- gen, will ich einige Anmerkungen machen. reichen leisten, ein durchaus ansehnlicher Betrag. Wir müssen lernen, daß die Ausgabe dieses Betrages Zunächst zu den Erfolgen. 1987 begann mit dem in unserem ureigensten politischen Interesse liegt. INF-Vertrag über Mittelstreckenraketen das Jahr- zehnt der nuklearen Abrüstung. Heute sind sämt- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des liche amerikanischen und russischen Raketen mit BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Olaf Reichweiten zwischen 500 und 5500 km zerstört. Das Feldmann [F.D.P.]: Aber es waren schon ein gleiche gilt für sämtliche nukleare Artilleriemunition mal 18 Millionen!) und für die atomaren Minen. Fast 1700 strategische Trägersysteme und über 5600 ihrer Sprengköpfe Zusammen mit Frankreich werden wir zukünftig in wurden abgebaut und ebenfalls zum Teil vernichtet. einem trilateralen Projekt in Rußland Waffenpluto- nium im sogenannten MOX-Verfahren zu Brennele- Vor zehn Jahren befanden sich allein auf westdeut- menten für die zivile Nutzung verarbeiten. Die Test- schem Gebiet etwa 3500 nukleare Sprengköpfe- und phase dazu wird noch in diesem Jahr beginnen. damit die umfangreichste atomare Infrastruktur der Auch bei den können wir ganzen Welt. Die Zahl wurde bis heute um 95 Pro- konventionellen Waffen zent reduziert. einen gewaltigen Fortschritt registrieren. Nach An- gaben des Bonn International Center for Conversion (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. wurde zwischen 1990 und 1995 weltweit bei jedem sowie bei Abgeordneten der SPD) dritten schweren Waffensystem reduziert, insgesamt 165 000 Panzer, Flugzeuge, Schiffe und Artilleriewaf- Im Herbst vergangenen Jahres wurde das Atom- fen. Davon wurden zwar 10 Prozent exportiert und teststoppabkommen unterzeichnet. Auch wenn es ein großer Teil rostet vor sich hin, aber die Mehrzahl noch nicht formal in Kraft ist, so hat es doch zu einem der Waffen wurde fachgerecht entsorgt. In Europa Ende - hoffentlich für immer - der unseligen Atom- wurden allein mit dem Vertrag über Konventionelle tests geführt. Streitkräfte, KSE, von 1992 mehr als 50 000 schwere Waffen zerstört, davon in Deutschland 8700. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der SPD) Die Zahl der Soldaten ist ebenfalls in einem nie ge- ahnten Umfang reduziert worden. 1987 standen etwa Es gibt ein Kontrollsystem der Internationalen 700 000 deutsche Soldaten in beiden Teilen unseres Atomenergieorganisation in Wien, das die Weiterver- Landes unter Waffen. Zehn Jahre später sind es noch breitung von Massenvernichtungswaffen erschwert 340 000. oder verhindert. Dieses Kontro llsystem wird in naher Zukunft verschärft. Deutschland hat bei diesem Pro- (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ zeß eine wichtige Rolle gespielt. NEN]: Und wozu brauchen wir die?) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16019

Dr. Friedbert Pflüger Vor zehn Jahren gab es auf dem Gebiet der Bundes- nicht Minenexporteur, sondern der größte Vernichter republik Deutschland und der DDR zusätzlich von Minen auf dieser Welt. 800 000 ausländische Soldaten; heute sind es noch knapp 140 000. Vor 20 Jahren betrug der Anteil des (Katrin Fuchs [Verl] [SPD]: Man kann nur Verteidigungsetats am Gesamthaushalt 20 Prozent; vernichten, was man hat!) heute liegt er bei etwa 10 Prozent. Ich will gerne einräumen - um die Kritik der Kolle- gin Beer, die so sicher wie das Amen in der Kirche Ohne das Ende des kalten Krieges und ohne die kommt, vorwegzunehmen -, daß der dramatische Wiedervereinigung hätten wir heute einen Verteidi- Abbau an Militärausgaben für Minen und Waffen gungsetat von über 60 Milliarden DM allein im We- zum Teil auch durch Verschrottung ausgedienter, sten. Wie glücklich können wir uns schätzen, daß wir veralteter Systeme oder durch die Reduzierung von heute in ganz Deutschland nur noch knapp über Overkill-Kapazitäten entsteht und daß manchmal 46 Milliarden DM dafür ausgeben. weniger, aber effizientere Systeme an die Stelle der (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Ein biß alten getreten sind. chen mehr wäre schon besser!) Dennoch: Der Abrüstungsprozeß der letzten zehn Jahre hat zur Vertrauensbildung und Stabilisierung Trotz der schwierigen Integration der NVA in die des Friedens in Europa entscheidend beigetragen Bundeswehr haben wir zwischen 1991 und 1997 fast und die unsägliche Konzentration von Vernichtungs- 100 Milliarden DM gespart. Das ist wahrlich eine mitteln im Herzen Europas drastisch verringert. Wer große Friedensdividende und eine gewaltige An- angesichts dieser Tatsachen noch immer von einer strengung der Bundeswehr. Militarisierung der deutschen Außenpolitik spricht, (Beifall des Abg. Ulrich Irmer [F.D.P.]) der betrachtet die Realität durch eine ideologische Brille. Nichts davon ist wahr. Sie hat ihren Anteil an den Sparanstrengungen unse- res Landes geleistet. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ohne unsere Sicherheit preiszugeben - und die Si- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) cherheit ist nach wie vor das erste Gebot -, hat sich Bei der Abrüstung liegen wir mit an der Spitze in in den letzten Jahren ein ungeahnter Prozeß der Ab- der Welt. rüstung vollzogen. Aber es bleiben Herausforderun- gen, Gefahren und Probleme. (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Beim Export !) Erstens. Wir wissen, daß es immer noch Länder gibt - Iran, Irak, Libyen, Sy rien, Nordkorea und an- Nach dem Abrüstungsindex des BICC, des Bonn In- dere -, die sich in den Besitz einsatzfähiger Massen- ternational Center for Conversion, haben in den letz- vernichtungswaffen bringen wollen. Dadurch entste- ten Jahren nur zehn Länder auf der Welt stärker ab- hen neue Ungleichgewichte und Rüstungswettläufe. gerüstet als wir. Das sind vor allen Dingen Länder, in Die Bekämpfung der Proliferation, zusammen mit denen ein Bürgerkrieg oder ein Krieg beendet Rußland, ist die entscheidende sicherheitspolitische wurde. Kein einziges NATO-Land hat in den letzten Aufgabe der Zukunft. Jahren stärker abgerüstet als wir. Die einzigen auf (Beifall des Abg. Dr. [SPD]) der ganzen Welt, die nicht anerkennen, daß Deutsch- land bei der Abrüstung Vorreiter ist, sind die Grünen Zweitens. Trotz weltweiter Abrüstung gibt es nach und die PDS. wie vor regionale Rüstungswettläufe: Naher Osten, Südostasien, Ägäis. Es müssen neue und verstärkte (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.- - Anstrengungen zur regionalen Rüstungskontrolle Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Die begrei unternommen werden. fen das nie! - Uta Zapf [SPD]: Das ist doch lächerlich!) Drittens. Wir müssen alle noch lernen, daß nicht nur Aufrüstung, sondern auch Abrüstung viel Geld Eine führende Rolle nehmen wir Deutsche auch kostet. Es kostet 1 000 Dollar, eine Mine, die 3 Dollar bei der Bekämpfung der „schleichenden Massenver- kostet, aus dem Boden zu entfernen. Wir müssen ler- nichtungswaffen", der Antipersonenminen, ein. nen, daß Geldmittel für Abrüstung nicht nur humani- Durch das besondere Engagement von Minister Kin- tär geboten sind, sondern in unserem sicherheitspoli- kel gehören wir zu den ersten Ländern, die auf Anti- tischen Interesse liegen. personenminen verzichtet haben. Herr Bundesmi- nister, ich möchte Ihnen im Namen meiner Fraktion (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) für Ihr Engagement im Abrüstungsbereich generell, Viertens. Trotz aller Abrüstungserfolge gibt es vor allen Dingen aber für Ihr Engagement gegen An- nach wie vor zu viele Waffen. Im konventionellen Be- tipersonenminen ganz herzlich danken. Sie sind ein reich haben wir eine neue Kürzungsrunde - KSE II - Vorreiter auf der ganzen Welt. Das ist wichtig und ins Auge gefaßt. Im nuklearen Bereich - der Minister sollte auch so bleiben. hat darauf hingewiesen - muß die russische Duma (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) endlich den START-II-Vertrag ratifizieren, damit wir so schnell wie möglich über START III verhandeln Wir haben über 3 Millionen Minen aus Beständen können, das die Zahl der strategischen Systeme auf der NVA und der Bundeswehr vernichtet. Wir sind 2000 bis 2500 reduzieren soll. 16020 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Dr. Friedbert Pflüger Fünftens. Auch das ,,Cut-off " -Verfahren haben aus harmoniebedürftig, um nicht zu sagen harmonie- Sie, Herr Minister, angesprochen. Das ist das Abkom- süchtig. men, das die Herstellung von Spaltmaterial ein- schränken oder ganz abschaffen soll. (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Warum zeigen Sie das denn nie?) Und schließlich: Wichtig sind Maßnahmen zur vor- beugenden Rüstungskontrolle, über die wir vor kur- Aber wenn wir Gefahr laufen, daß die Abrüstungs- zem im Unterausschuß eine erfreuliche Übereinstim- schritte - unter Federführung des Außenministers - mung aller Fraktionen erzielt haben. Trotz des Endes nur noch Kaschierungen massiver Umrüstungsmaß- des kalten Krieges hat sich nämlich die Waffentech- nahmen des Verteidigungsministers sind, dann, so nologie revolutioniert . Einen ersten Eindruck davon glaube ich, muß man einige sehr kritische Töne an- bekamen wir im Golfkrieg; das Stichwort vom chirur- merken. gischen Krieg machte die Runde. Brauchte man im Die friedenspolitische Bilanzierung der Abrü- Zweiten Weltkrieg zur Zerstörung eines einzigen stungs- und Rüstungskontrollprozesse ist aus unserer Zieles wegen der Trefferungenauigkeit etwa 9000 Sicht ernüchternd, ja fast erschreckend. Die Fo rt Bomben - man mußte also Flächenbombardements -schritte, die Sie, Herr Kinkel, hier gerade gelobt ha- vornehmen, um ein einziges Ziel auszuschalten -, im ben - durchaus auch mit einem Ton des Selbstlobes -, Vietnamkrieg noch 300 Bomben, so reichten im Golf- sind aus unserer Sicht keine Abrüstungsfortschritte, krieg im Durchschnitt zwei Präzisionsbomben, um sondern es handelt sich um eine Stabilisierungspoli- ein Ziel zu zerstören. tik, die an nationalen Interessen und den Bedürfnis- sen der Industriestaaten orientiert ist. Techniken zur Kriegführung aus dem Weltraum, zur Störung computergestützter Systeme, Mikrowel- Ich will Ihnen dafür ein aktuelles Beispiel geben. len- und Akustikwaffen - es gibt eine erschreckende Der Versuch der Kollegen Waigel und Rühe, mit nicht Anzahl neuer Forschungen auf diesem Gebiet. Wir billigen, sondern sehr teuren Buchhaltertricks den sollten alles tun, nicht erst abzuwarten, bis diese Sy- Eurofighter zu finanzieren und damit die Interessen steme alle entwickelt sind, sondern den Versuch un- der bayerischen Rüstungslobby zu wahren, offenbart ternehmen, durch vorbeugende Rüstungskontrolle, die eigentlichen Prioritäten der Bundesregierung, die wie das ansatzweise bei Laserblendwaffen gelungen Sie hier heute vertreten. ist, von Anfang an dafür zu sorgen, daß solche Waffen gar nicht erst entwickelt, beschafft oder ein- (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: So ein gesetzt werden. Quatsch!)

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Die Beschaffung dieses Fossils des kalten Krieges, sowie bei Abgeordneten der SPD und der also des Eurofighters, kostet Mil liarden von D-Mark, Abg. Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE die über Jahrzehnte für jeden tatsächlichen Abrü- GRÜNEN]) stungsschritt allein schon im Bereich der Luftverteidi- gung fehlen werden. Abschließend möchte ich meinen Dank - neben (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Sie haben dem Minister - auch an Herrn Botschafter Ha rtmann wirklich keine Ahnung!) und sein Team im Auswärtigen Amt sowie an das Verteidigungsministerium richten. Ich glaube, daß Das sollten Sie sich, Herr Kinkel, zu Herzen neh- wir zusammen, über alle Fraktionsgrenzen hinweg - men. Wenn Sie wirklich nur ein Stück Ihres Abrü- manchmal mit Ausnahme der Grünen -, stungsberichtes ernst nehmen, dann sorgen Sie da- für, daß der Eurofighter nicht beschafft wird. (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Leider sehr oft mit Ausnahme der Grünen!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der an einem sehr wichtigen Ziel arbeiten. Ich möchte PDS) das Auswärtige Amt, insbesondere Sie, Herr Mi- nister, ausdrücklich ermutigen, diesen Weg weiterzu- Die Bundesregierung versucht Jahr für Jahr die Si- gehen. Es ist ein gutes Profil der deutschen Außen- tuation schönzureden und sich mit fremden Federn politik, wenn Sie wie bisher eine hohe Priorität auf zu schmücken oder gar mit welchen, die überhaupt die Abrüstung legen. nicht vorhanden sind. Das eigentliche Dilemma Ihrer Politik ist die Fehlorientierung der deutschen Au (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)-ß en- und Sicherheitspolitik. (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Jetzt bin ich aber auf die Beispiele gespannt! - Günther Das Wort hat Vizepräsidentin Michaela Geiger: Friedrich Nolting [F.D.P.]: In welch einer jetzt die Abgeordnete Angelika Beer, Bündnis 90/Die Welt leben Sie eigentlich?) Grünen. Das Ziel ist nämlich nicht wirkliche Abrüstung, son- dern bloß die Kontrolle von Rüstungsprozessen. Was Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau die verbleibenden Waffen betrifft und wo sie landen, Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie scheint wenig zu interessieren, solange man sich die kennen mich ja aus den Ausschüssen: Ich bin durch- Hände nach außen hin in Unschuld waschen kann. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16021 Angelika Beer Abrüstungspolitik, Kollege Pflüger, die diesen Na- damit in der Türkei oder Indonesien unterdrückt wer- men auch verdient, muß in ein Politikkonzept einge- den. Das kann nicht der Sinn von Abrüstung sein. bettet sein. Dazu gehört meines Erachtens an erster Das „cascading", das dies ermöglicht hat, war ein Stelle der Abbau von militärischen Potentialen; dazu Beispiel, das nicht wiederholt werden darf. gehören nicht die Umstrukturierung der Bundeswehr in Krisenreaktionskräfte und der Aufbau von neuen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN militärischen Fähigkeiten. Aber genau letzteres ist sowie der Abg. Uta Zapf [SPD]) die Leitlinie der deutschen Außen- und Sicherheits- Wie sieht es bei den Atomwaffen aus? Warum zei- politik und die der NATO. gen Sie immer nur auf die anderen? Natürlich ist der Sie können Ihre NATO-Osterweiterung über den Schritt von Jelzin zu begrüßen. Er ist längst überfäl- grünen Klee loben, das ändert überhaupt nichts lig. Aber was macht die NATO, was machen die fünf daran. offiziell Atomwaffen besitzenden Staaten, die den von Ihnen gelobten NPT unterzeichnet haben und (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Das auf überirdische Atomtests verzichtet haben? Sie ha- sieht doch ein Großteil Ihrer Politiker ganz ben sich doch nur ihre eigentlichen Vorhaben abge- anders!) sichert. Sie können durch Simulationstests die Wei- Die Erweiterung nach Osten ist kein Fortschritt, son terentwicklung betreiben. Das bedeutet, daß jene dern eine falsche Strategie, die zu Destabilisierung Staaten, die sich diskriminiert fühlen, den wichtigen führen und immense Probleme mit sich bringen wird. und entscheidenden Schritt des Verzichts auf Atom- waffen nicht gehen werden, solange die Atomwaf- (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Was sagt denn fenstaaten den Geist des NPT untergraben und dar- Ihr Fraktionsvorsitzender dazu?) auf beharren, ihr Arsenal zu behalten und im Rah- men der NATO-Strategie sogar den Ersteinsatz nicht Abrüstungspolitik muß auch von anderen politi- auszuschließen. schen und wirtschaftlichen Maßnahmen getragen sein, denn sonst ist sie technokratisch ausgedünnt Einen Punkt möchte ich in der kurzen Redezeit und unwirksam. Zu solchen Maßnahmen gehören noch ansprechen, nämlich die Frage der „counter kurzfristig die Abrüstungshilfe, über die Konsens be- proliferation". Wir sollten in der Zukunft ein ver- steht, oder die Wiederaufbauhilfe beim „post-conf lict stärktes Augenmerk darauf richten. „Counter Prolife- peace building", die massiv erhöht werden muß. ration" bedeutet, zu versuchen, mit militärischen Langfristig gehört dazu die Entwicklungspolitik und Strategien die Verbreitung von Massenvernichtungs- der Aufbau von zivilen Konfliktregulierungsmecha- waffen zu verhindern. Das geht so weit, daß man un- nismen. ter Projizierung neuer Feindbilder, wie zum Beispiel des Islamismus, atomare militärische Strategien ent- Herr Außenminister Kinkel, Sie haben ja sehr aus- wickelt, um mit „mini nukes " die Proliferation von führlich über die Minenräumungen gesprochen. Atomwaffen zu verhindern. Das ist der Weg ins Desa- Auch dort klafft der Unterschied zwischen Ihren Wor- ster und in die atomare Vernichtung. ten und der Bereitstellung der Haushaltsmittel. Nur auf Grund des interfraktionellen Druckes des Parla- Wenn dies weiterhin in der bisherigen Form von mentes haben Sie im Haushalt lächerliche Ihnen unterstützt wird, kann es da keinen Konsens 10 Millionen DM zusammengekratzt, geben. Das ist der falsche Weg. Eine einseitige Abrü- stung und der Druck auf die NATO und die Atom- (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Sie staaten, endlich nukleare Potentiale zu vernichten, haben doch selbst Streichungen beantragt!) sind der einzige Weg, um Proliferation zu verhindern. um die Minenräumung als humanitäre Maßnahme Da brauchen Sie nicht nur nach Rußland zu sehen; zu ermöglichen. Im gleichen Zeitraum werden- über vielmehr sollte Deutschland als Schwellenland in 220 Millionen DM für die Produktion neuer High- dieser Frage eigenständig und vorbildhaft handeln. Tech-Minen ausgegeben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Aber doch nicht Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Aber vom Außenminister!) wenn der Weg nicht funktioniert, muß man sich doch wehren können!) Dieser Widerspruch zeigt, wo die Prioritäten liegen: an der falschen Stelle. Zum Schluß: Abrüstungspolitik muß, um es noch einmal zu betonen, Bestandteil von Friedenspolitik Den entscheidenden Einfluß auf Abrüstungspro- sein. Rüstungskontrollpolitik ist dies nicht. zesse haben die Industriestaaten. Die Rüstungsspira- len werden von ihnen doppelt angeheizt. In diesem (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Was ist es denn ande Punkt besteht Konsens; das ist in der Tat richtig. res?) Wenn wir nicht präventive Rüstungskontrolle als Be- standteil der Politik akzeptieren und umsetzen, wird Wir fordern die Bundesregierung auf, eine Umkehr uns diese Art des Profites der Rüstungsindustrie spä- auf mehreren Ebenen vorzunehmen. Wir wollen, daß ter sehr teuer zu stehen kommen. sich die Bundesregierung für die Entwicklung und Umsetzung von wirklichen Abrüstungsschritten in Natürlich kritisieren wir, daß auf Grund der Abrü- allen Bereichen einsetzt. Das ist mehr als Rüstungs- stungsvereinbarungen zum KSE-Vertrag ein Waf- kontrolle. Wir wollen die Ächtung aller Minen. Wir fendeal stattgefunden hat, daß Militärgerät verscho- sind es leid, über die perfide Strategie zu streiten, die ben und billig gedealt worden ist und daß Menschen darin besteht, sich als Vorreiter der Minenbeseiti- 16022 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Angelika Beer gung und der humanitären Bewegung hinzustellen mühungen, das überholte Blockkonzept aufzugeben sowie die Ächtung der Antipersonenminen zu for- und das KSE-Vertragswerk zu modernisieren. dern, (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Das tut der ten der CDU/CSU) Außenminister!) Dazu gehören eine dauerhafte Flankenregelung, ein aber gleichzeitig in Deutschland die Entwicklung ei- verfeinertes Regionalkonzept, die signifikante Ab- ner neuen Generation zu betreiben, die ebenso zu senkung der Gesamtobergrenzen vor allem für den Massenvernichtungswaffen der Zukunft gehört schwere Waffen und die Öffnung für neue Vertrags- wie auch die alten. staaten. Es ist richtig, Frau Kollegin Zapf, das Präsidenten- Stärken Sie die UNO und die OSZE, anstatt mit der treffen in Helsinki hat nicht nur die Tür für die NATO und brüchigen Regimen diese weiterhin zu NATO-Erweiterung, sondern auch neue Perspekti- ch einmal unterminieren! Sprechen Sie doch end li ven für die strategische Abrüstung eröffnet. Eine Klartext mit dem Bundesminister der Verteidigung! Fristverlängerung für die START-II-Abrüstungsziele Wenn Ihre Worte ernst sind, dann schichten Sie die ist ein akzeptables Zugeständnis, wenn wir dadurch Haushalte um! erreichen, daß Rußland START II ratifiziert. Durch ein START-III-Abkommen kann Problemen begegnet Vizepräsidentin Michaela Geiger: Die Redezeit ist werden - Sie haben es erwähnt -, die durch das Ver- zu Ende, Frau Kollegin. bot der Mehrfachsprengköpfe entstehen. Die Zahl der Sprengköpfe - auch das muß man (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Strei- sich einmal vor Augen führen - würde dann um Angelika Beer 80 Prozent reduziert werden gegenüber der, die wir chen Sie im Militärhaushalt, und tun Sie endlich et- zur Zeit des kalten Krieges hatten. In START III was dafür, damit die Abrüstung nicht nur auf dem würde erstmals auch die Vernichtung der nuklearen Papier steht, sondern wirk lich stattfindet! Köpfe vorgesehen werden und nicht nur die Demon- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tage wie bisher. und bei der PDS - Ulrich Irmer [F.D.P.]: Für START II und START III wären natürlich auch für wen haben Sie jetzt gesprochen, Frau Beer? die CTBT-Implementierung sehr hilfreich. Die Ableh- Für Angelika Beer haben Sie gesprochen!) nung des Atomteststoppvertrages durch Indien und - Auch für Sie, damit Sie es endlich kapieren. Pakistan könnte durch solche weitergehenden und sehr konkreten Abrüstungsverpflichtungen der Atommächte überwunden werden. Ich erteile das Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr Minister, Sie haben zu Recht die erfolgreiche Wort jetzt dem Abgeordneten Dr. Olaf Feldmann, CWÜ-Politik der Bundesregierung erwähnt. Die F.D.P.-Fraktion. kürzlich erfolgte Ratifizierung durch die USA und China ist ein entscheidender Schritt zur weltweiten Dr. Olaf Feldmann (F.D.P.): Frau Präsidentin! Liebe Ächtung der Chemiewaffen. Wir freuen uns, daß die Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, die Mehrheit russische Duma - alle Vertreter haben uns das vor ei- in diesem Hause ist sich einig: Die Abrüstungspolitik nigen Tagen in Moskau versichert - nach einer An- ist insgesamt eine Erfolgsstory. hörung im September die Ratifizierung des CWÜ im Oktober dieses Jahres vollzogen haben wi ll. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Auch der jüngste Abrüstungsbericht dokumentiert Entscheidend für den Erfolg des CWÜ ist seine Uni- dies. Der Bundestag kann stolz sein auf die Vorreiter- versalität. Nur so kann der unkalkulierbaren Prolife- rolle Deutschlands in der Abrüstung. Unser Dank gilt ration chemischer Waffen wirksam begegnet wer- auch den umsichtigen Abrüstern aus dem Auswärti- den. gen Amt. Aus den Abrüstungsverträgen ergeben sich große (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne finanzielle Lasten vor allem für die Nachfolgestaaten ten der CDU/CSU) der Sowjetunion. Hier dürfen wir diese Staaten nicht Abrüstungshilfe Liebe Kolleginnen und Kollegen, Abrüstungspoli- allein lassen. Die erhöhte deutsche leistet hierzu einen wichtigen Beitrag. Sie muß trotz tik ist kein Selbstzweck. Unser Ziel ist Stabilität und angespannter Haushaltslage fortgesetzt werden; Frieden. Nicht nur durch Abrüstungsverträge, son- dern auch durch die Grundakte zwischen der NATO (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU und Rußland sind wir diesem Ziel näher gekommen. sowie der Abg. Uta Zapf [SPD]) Diese Grundakte ist ein wichtiger Baustein in der ge- samteuropäischen Sicherheitsstruktur. Rußland wird Das Landminenprotoll ist eine wichtige Etappe auf nicht ausgegrenzt, sondern einbezogen. dem Weg zur Ächtung dieser besonders unmenschli- chen Waffenkategorie. Auch wenn in Genf nicht alle Die Grundakte bringt auch die Modifikation des unsere Vorstellungen verwirklicht werden konnten,

KSE - Vertrages voran. Die F.D.P. unterstützt die Be- war es doch ein entscheidender Schritt nach vorn. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16023

Dr. Olaf Feldmann Die F.D.P. begrüßt, daß der Außenminister die Land- habe, dann hat er sich neuerdings diesem Antrag an- minenproblematik zu seinem besonderen Anliegen geschlossen und gesagt, diese Grenzen seien noch gemacht hat. immer zu hoch, er werde sich dafür einsetzen, daß (Beifall bei der F.D.P.) diese Obergrenzen herabgesetzt werden. Ein umfassendes Verbot von Antipersonenminen Praktisch ist aber in dieser Beziehung noch über- muß ein Hauptziel deutscher Abrüstungspolitik blei- haupt nichts erfolgt. Wenn ich den Abrüstungsbe- ben. Natürlich, Frau Kollegin Beer, hätten wir gern richt der Bundesregierung betrachte und die Ober- mehr erreicht. Aber wenn Sie in Genf dabeigewesen grenzen vergleiche, die für die wichtigsten Großwaf- wären, hätten Sie miterleben können, daß allein das fensysteme, also für Panzer, gepanzerte Fahrzeuge, schon ein großes Ziel war und wie schwer es ist, vor Artillerie, Flugzeuge und Angriffshubschrauber, fest- allem Staaten der Dritten Welt auf dieses Ziel zu ver- gelegt sind, dann stelle ich fest, daß do rt ein Kräfte- pflichten. Deswegen müssen wir froh sein, daß wir verhältnis zwischen der NATO und Rußland in Höhe auf diesem Gebiet so weit vorangekommen sind. Wir von 3 : 1 zugunsten der NATO festgeschrieben ist. haben hier eine klare Vorreiterrolle. Dabei sind die demnächst der NATO beitretenden Länder noch gar nicht mitgerechnet. Dann wird sich (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Die Kollegin Beer dieses Kräfteverhältnis auf 4 :1 verändern. kann sich gar nicht freuen, die kann sich immer nur ärgern!) Kürzlich hat im Verteidigungsausschuß eine Dis- kussion über die 116 15,5-cm-Geschütze stattgefun- Die Ergebnisse der Abrüstungspolitik der jüngsten den, die die USA für 100 Millionen Dollar an die Zeit sind ermutigende Signale auf dem Weg zu einer bos- liefern. Der Bundesverteidigungsmi- stabilen Sicherheitsstruktur in Europa. nische Armee nister hat das mit dem Argument gerechtfertigt, daß Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. dies zur Herstellung eines Gleichgewichts zugunsten der Bosnier absolut notwendig sei. Ein Gleichgewicht (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU zugunsten von jemandem ist eine etwas merkwür- sowie bei Abgeordneten der SPD) dige Sache. Wenn ich einmal einen Vergleich aus der Geschichte heranziehen darf: Ich glaube, die 6. Ar- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat mee bei Stalingrad umfaßte 250 000 Mann. Die wären jetzt der Abgeordnete Hein rich Graf von Einsiedel, froh gewesen, wenn sie soviel schwere A rtillerie ge- PDS. habt hätten. Die bosnische Armee hat angeblich nur 50000 Heinrich Graf von Einsiedel (PDS): Frau Präsiden- Mann. Ich möchte gerne einmal wissen, was die mit tin! Meine lieben Kollegen und Kolleginnen! Man 116 Geschützen anfangen sollen! Ist das ein Schritt kann von Ihrem Standpunkt aus sicher den Grünen zur Abrüstung in Europa? und der PDS vieles vorwerfen, aber man kann uns wirklich nicht vorwerfen, daß wir die Abrüstung be- Herr Dr. Pflüger, Sie haben erwähnt, daß das Räu- hindern. Das finde ich schon sehr weit hergeholt. men einer Mine 1000 Dollar kostet. Die Verlegung kostet 3 Dollar. Dann vergleichen Sie doch damit ein- (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Wer tut das mal die Zahl von 10 Millionen DM, die wir für die Mi- denn?) nenräumung einsetzen. Das ist doch lächerlich. Das Es mag sein, daß wir in manchem etwas weitge- ist doch abenteuerlich. hende Forderungen haben, die höchstens langfristig (Beifall der Abg. Angelika Beer [BÜNDNIS zu verwirklichen sind, aber immerhin unterstützen 90/DIE GRÜNEN]) wir doch jeden einzelnen Schritt zu wirklicher, realer - Abrüstung. In einem kürzlich im Auswärtigen Aus- Da wird von Fortschritten gesprochen, da werden schuß verabschiedeten interfraktionellen Antrag von Protokolle unterschrieben, da wird wer weiß was ge- Koalition und SPD zur OSZE heißt es: tan. Wenn Sie den Abrüstungsbericht der Bundesre- gierung vom vergangenen Jahr mit dem, den wir Nach Umsetzung des KSE-Vertrages darf keine jetzt bekommen haben, vergleichen, dann stellen Sie Pause im europäischen Abrüstungsprozeß entste- fest: In beiden Berichten steht wortwörtlich dasselbe. hen. Der nach wie vor zu hohe Bestand an Waffen Wöchentlich sterben 150 bis 200 Menschen oder wer- und Soldaten in Europa muß weiter verringert den verstümmelt. Das sind im Jahr 10000. Es hat sich werden. offenbar in diesem Jahr überhaupt nichts geändert. Wir haben nicht die geringsten Schwierigkeiten, uns Wenn wir uns bloß drei der Jäger 90 sparen wür- diesem Absatz in dem Antrag anzuschließen. Wir ha- den, die Sie offenbar unbedingt anschaffen wollen - ben eben bloß unsere Zweifel, wie ehrlich die Regie- in den nächsten Wochen werden Sie darüber ent- rungskoalition das eigentlich meint. Denn mit Datum scheiden -, dann wären das 450 Millionen DM. Wäre vom 11. April dieses Jahres hat die Bundesregierung dann unsere Sicherheit gefährdet? Wieviel Minen auf eine Anfrage der PDS mitgeteilt: könnte man für 450 Millionen DM räumen? Das wäre Die Bundesregierung teilt nicht die Einschät- doch ein wirklicher Schritt zur Abrüstung. zung, daß in Europa generell der Bestand an Waf- fen und Soldaten zu hoch ist. (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Was gilt denn nun eigentlich? Wenn ich Herrn Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Wir können das Außenminister Kinkel soeben richtig verstanden doch nicht alles alleine machen!) 16024 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Heinrich Graf von Einsiedel - Natürlich weiß ich, daß wir das nicht alles alleine dankbar dafür, daß wir uns in diesen Fragen ziemlich machen können. Aber wir geben ja das Geld für die einig sind. Jäger 90 auch alleine aus; dann können wir ebenso das Geld für die Minenräumung alleine ausgeben. Wer sieht, was unsere Diplomaten hier an Aufklä- Wieso müssen wir denn da auf die anderen warten? rung und an vertrauensbildenden Maßnahmen lei- Das ist doch lächerlich. sten, der kann eigentlich erst richtig ermessen, wie schwierig dieses ganze Gebiet ist. Wir sind mit unse- (Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/ ren vielleicht etwas idealistischen Vorstellungen DIE GRÜNEN) eben nicht allein auf dieser Welt. Vielmehr müssen wir versuchen, alle anderen so mit ins Boot hineinzu- Ich kann all dem nicht folgen. Ich unterstreiche nehmen, wie sie eben sind. das, was Frau Beer gesagt hat, nämlich daß die Anti- proliferation der Atomwaffen natürlich eine wichtige Weil wir auf dem Boden dieser Welt stehen, müs- Frage ist, wenn man selber auf einem großen Berg sen wir Schritt für Schritt vorgehen. Mir ist eine reali- von Atomwaffen sitzt. Ich gebe ja zu, es sind unge- stische Politik lieber als eine solche, die sich nur in heuer viel abgeschafft worden. Aber es sind ja noch Wolkengebilden aufhält immer genügend vorhanden, um die Welt dreimal zu vernichten. (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Wolkenkuckucks heim heißt das!) (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Wir haben doch gar keine Atomwaff en!) und für die Menschen auf der Welt letztlich nichts er- reicht. - Im Abrüstungsbericht werden viele Verträge über atomwaffenfreie Zonen aufgeführt. Warum sind wir (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) denn nicht bereit, die Initiative der Ukraine und von Belarus zur Schaffung einer atomwaffenfreien Zone Ich möchte auch den deutschen Firmen und vor al- im mittleren Europa aufzugreifen und an ihrer prakti- lem unserer Bundeswehr danken, die in sehr prakti- schen Verwirklichung mitzuwirken? schen Fragen das technische Know-how besitzen und durch ihren Einsatz das umsetzen, was Politik (Beifall bei der PDS) und Diplomatie aushandeln und in Verträge fassen. (Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ Graf Einsiedel, Vizepräsidentin Michaela Geiger: CSU und der F.D.P.) kommen Sie bitte zum Schluß. Es kann sich weiß Gott sehen lassen, was deutsche Heinrich Graf von Einsiedel (PDS): Die Aufrechter- Firmen und die Bundeswehr alleine im Rahmen des haltung und verläßliche Absicherung der bereits KSE-Vertrages geleistet haben, letztlich auch, wie- heute vorhandenen Kernwaffenfreiheit in dieser Re- viel Geld wir dazu gegeben haben. gion liegt doch im fundamentalen Sicherheitsinter- Ein anderer Bereich: 80 Inspektionen sind bislang esse der Bundesrepublik. Die Erklärung der NATO- von Geilenkirchen aus erfolgt. Ich glaube, do rt, wo Staaten über die Nichtstationierung von Kernwaffen wir waren, in Rußland, in Slowenien, in Litauen, in in künftigen Beitrittsländern sollte als Impuls für die vielen anderen Ländern, hat gerade diese Maß- Realisierung des Zonenkonzeptes dienen. nahme mit zur Vertrauensbildung beigetragen.

Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr Abgeordne- Es wurde erwähnt, wie wir gerade das Dayton-Ab- ter, die Redezeit ist längst vorbei. Bitte machen Sie kommen umsetzen, wie wir auch bereit sind, Perso- Schluß. Ich muß Ihnen sonst das Wo rt entziehen.- nal auszubilden, das vor Ort etwas gegen das leidige Minenproblem tun kann.

Heinrich Graf von Einsiedel (PDS): Danke sehr. Vorwürfe, wir würden unsere Möglichkeiten nicht genügend ausschöpfen, sind in diesem Gesamtsze- (Beifall bei der PDS) nario sicher reichlich absurd. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans Raidel, CDU/CSU-Frak- Natürlich gibt es Problemfelder. Wir haben das tion. letzte Mal über ,, open sky" gesprochen. Ich möchte das noch einmal anführen. (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Hans Raidel (Uta Zapf [SPD]: Es hat sich nichts verän sehr verehrten Damen und Herren! Es bestehen doch dert!) überhaupt keine Zweifel daran, daß Deutschland im Bereich von Abrüstung und Rüstungskontrolle äu- - Es sind schon Veränderungen erfolgt; es sind Ver- ßerst erfolgreich arbeitet, und zwar auf einer Ebene besserungen erfolgt. Mittlerweile gab es 20 Testflüge mit allen Ländern, die guten Willens sind. über russischem Gebiet, die wir mit durchgeführt ha- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ben. Die Russen sind schon bei uns geflogen. Aber Sie haben in einer Beziehung recht, daß sich nichts Das wird überall bestätigt, nicht nur in dem von uns verändert hat: Die Ratifizierung fehlt in diesen Län- selbst verfaßten Bericht. Ich bin außerordentlich dern noch. Diesen Prozeß müssen wir weiter unter- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16025 Hans Raidel stützen, damit es möglichst schnell zu dieser Ratifi- und der Arbeit gerecht zu werden, die diesen The- zierung kommt. men, im Auswärtigen Amt von den Fachleuten, aber auch im Deutschen Bundestag mit Recht gewidmet (Beifall der Abg. Uta Zapf [SPD]) wird. Darüber sind wir doch einig. Die Russen sollten end- Ich möchte nicht den zahlreichen Rundumsichten, lich begreifen, daß sie wohl am meisten davon profi- die hier abgeliefert worden sind, noch eine weitere tieren, wenn sie im Rahmen einer freien Luftaufklä- hinzufügen, sondern ich möchte mich hier auf einen rung weiter Einfluß nehmen können. Themenkreis begrenzen und dafür ein bißchen mehr Unser Einsatz für die Nichtverbreitung von nuklea- in die Einzelheiten gehen. Mein Ausgangspunkt ist ren, chemischen und biologischen Waffen muß wei- die Unterzeichnung der Grundakte NATO-Rußland ter fortgesetzt werden. Wir wissen, daß gerade biolo- am 27. Mai 1997 in Paris und die Übereinkunft über gische und chemische Waffen nicht nur für Militärs eine besondere Charta zwischen der NATO und der und Staaten, die entsprechende Ziele verfolgen, son- Ukraine in der gleichen Woche. dern auch für Terroristen attraktiv sind. Allein in To- kio - Sie erinnern sich - starben damals bei dem Gift- Ich möchte hier noch einmal betonen, daß die SPD- gasanschlag zwölf Menschen; 5500 wurden verletzt. Bundestagsfraktion - ich glaube: der ganze Bundes- Erinnern wir uns an die 80er Jahre, als seinerzeit für tag - es außerordentlich begrüßt, daß diese beiden die Herstellung von Waffen wichtige Stoffe bei den entscheidenden begleitenden Dokumente rechtzeitig Mitgliedern der RAF gefunden worden sind. Oder vor dem Akt der Erweiterung der NATO auf dem Gipfel in Madrid am 8. und 9. Juli 1997 zustande ge- denken- Sie nur an Gas-Milzbrand-Bakterien, Ebola kommen sind. und Pockenviren und andere Dinge, die über Gra- naten und Raketen verschossen werden können. (Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der Für das BWÜ-Abkommen ist wichtig, daß nun CDU/CSU und der F.D.P.) diese biologischen Waffen mit verboten werden. Ich möchte auch Herrn Kinkel und seinem Haus für Aber - auch da gebe ich Ihnen recht - wir haben die Bemühungen bei dem Zustandekommen dieser noch keine präzisen Definitionen in diesem Bereich. entscheidenden Dokumente danken. Es fehlen noch die Überprüfungsverfahren. Hier müssen wir weiterarbeiten, auch unter dem Stich- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der wort, daß künftig gentechnisch manipulierte Viren in F.D.P.) diesem Bereich leider auf dem Markt sein werden. Nur durch das rechtzeitige Zustandekommen die- Das Chemiewaffenabkommen ist angesprochen ser Verabredungen gibt es eine rea listische Perspek- worden. 40000 Tonnen Kampfstoffe können jetzt tive, das Ziel, nämlich mehr Sicherheit und Stabilität endlich beseitigt werden. 50 000 Tonnen chemische in Europa zu erreichen, über die Erweiterung des Munition liegen bereits in der Ostsee. westlichen Bündnisses zu realisieren. Aber das ist beileibe keine Automatik. Es kommt tatsächlich dar- (Dr. Olaf Feldmann [F.D.P.]: Das ist kein auf an, jetzt diese Abmachungen mit praktischem Le- gutes Beispiel für Beseitigung!) ben zu erfüllen. Ich will bewußt immer auf diese praktischen Themen Was wurde da vereinbart? Das Kapitel IV in der hinweisen und auf diese praktischen Folgen. Ich Grundakte NATO-Rußland unter dem Titel „Poli- gebe jedem recht, der sagt, es muß sich bei uns mehr tisch-Militärische Angelegenheiten" beschäftigt sich in den Köpfen bewegen, daß neben der Sicherheits- fast ausschließlich mit dem Bereich der konventio- vorsorge auf der einen Seite, die für jedes Land uner- nellen Abrüstung des KSE-Prozesses. Hier werden läßlich ist, nicht nur die Abrüstung auf der anderen bereits die Linien vorgezeichnet, die dann in Wien Seite einen gleichwertigen Platz haben muß, sondern bei den sogenannten KSE-Adaptationsverhandlun- daß wir darüber hinaus im Sinne von Visionen an sol- gen zu einem Erfolg führen müssen. chen abrüstungspolitischen Schritten weiterarbeiten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das bedeutet im (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Klartext, daß die KSE-Verhandlungen in Wien eine sowie bei Abgeordneten der SPD) Schlüsselrolle in der künftigen Politik, die über die Ich meine: Wenn wir dieses Wünschenswerte se- eigentliche Bedeutung der Abrüstung hinausgeht, hen, dann müssen wir mit Augenmaß für das Mach- erhalten. Man kann sagen, in Wien wird darüber ent- bare das Notwendige tun. Das ist der Inhalt unserer schieden, ob die NATO-Osterweiterung in Verbin- Politik. dung mit der Grundakte, in Verbindung mit der Charta tatsächlich ihr Ziel erreicht, zu mehr Sicher- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) heit und Stabilität in Europa zu gelangen.

Wir erinnern uns: Der KSE-Vertrag von 1990 hat Das Wort hat Vizepräsidentin Michaela Geiger: die Nichtangriffsfähigkeit herbeiverhandelt auf der jetzt der Abgeordnete Gernot Erler, SPD-Fraktion. Grundlage von Reduzierung, von Höchstgrenzen- festlegung und von Regeln für die ter ritoriale Vertei- Gernot Erler (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolle- lung von fünf Hauptwaffensystemen. Dabei ist not- ginnen und Kollegen! Wir haben wieder einmal eine wendigerweise eine Zählweise, die noch aus der Debatte über Abrüstung. Sie ist von der Debattenzeit Denkweise des kalten Krieges stammte, nämlich die her gesehen erneut zu knapp, um der Bedeutung Gruppenzählweise, gewählt worden. 16026 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Gernot Erler Heute stehen wir nicht nur vor der Herausforde- Es ist unsere Aufgabe als Parlament, diese Lücke rung, diese Zählweise zu überwinden, die sich inzwi- Meiner zu machen. Wir müssen um Vertrauen wer- schen zu einer Zählweise zwischen Staatengruppe ben in den Parlamenten. Gerade als parlamentari- West und Staatengruppe Ost verändert hat, sondern sche Demokratie können wir uns nicht allein darauf es muß auch die neue Situation der NATO-Osterwei- verlassen, daß wir die Unterschriften, die Zusagen terung berücksichtigt werden. Es muß dabei bleiben, von Präsidenten haben. Wir müssen auch die Mehr- daß es nicht um die Bewe rtung von politischen Ab- heit der Parlamente für diesen Weg bei der Grund- sichten, sondern als Grundlage um die Bewe rtung akte bzw. bei der Charta, die die Präsidenten unter- von militärischen Fähigkeiten geht. Das steckt hinter zeichnen, finden. dem Begriff der strukturellen Nichtangriffsfähigkeit, die stets das Ziel des KSE-Prozesses ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU und der F.D.P.) Interessant ist, daß die Grundakte diesen Gedan- ken aufnimmt und die Aussage macht, die Stabilität Zum zweiten ist in der Grundakte, gerade was die müsse durch die Weiterentwicklung von Maßnah- Abrüstungsperspektiven angeht, natürlich noch vie- men gestärkt werden - ich zitiere -, „die darauf ab- les unverbindlich. Es muß von der deutschen Position zielen, jeden potentiell gefährlichen Aufwuchs kon- aus verlangt werden, daß im Zuge der Adaptations- ventioneller Streitkräfte in vereinbarten Regionen verhandlungen in Wien aus diesen Absichten und Europas, einschließlich Mittel- und Osteuropas zu Plänen verbindliche Regeln, verbindliche Vertrags- verhindern". texte werden.

Durch die Osterweiterung des Bündnisses wird Der dritte Punkt beschäftigt mich am meisten. Das diese Aufgabe noch komplizierter; denn es gibt eine ist die Frage, wie eigentlich die Option, eben nicht bestimmte Spannung zwischen dem Ziel von nicht auf dauerhaft stationierte Streitkräfte zu setzen, son- bedrohlichen Streitkräftekonzentrationen auf der ei- dern auf Verstärkungskräfte und entsprechende Auf- nen Seite und dem nachvollziehbaren Recht von nahmekapazitäten, gestaltet wird. Davon hängt in neuen Mitgliedern - etwa wie Polen, Tschechien und der Tat auch gerade das Vertrauen der russischen Ungarn - auf der anderen Seite auf die militärisch- Seite in die Grundakte und in die NATO-Osterweite- technische Glaubwürdigkeit der Sicherheitsgaran- rung ab. tien nach § 5 des Washingtoner Vertrages, auf den diese neuen Mitglieder Anspruch haben. Hier gibt es auch im Westen noch sehr unter- schiedliche Positionen. In dem Repo rt, den Präsident Nicht zufällig ist deswegen eine weitere Aussage - Clinton am 24. Februar dem amerikanischen Kon- in diesem Fall von der NATO - in der Grundakte greß zugeleitet hat, wird zum Beispiel noch von ei- über bestimmte Selbstbeschränkungen bei der Ver- nem erheblichen Umfang dieser Verstärkungskräfte wirklichung dieser Sicherheitsgarantien gemacht ausgegangen. Da ist die Rede von vier schnell ver worden. Da sind noch einmal die sogenannten drei legbaren Divisionen und von sechs Geschwadern „no" wiederholt: no plans, no intention, no reason - von Kampfflugzeugen, die im Falle einer Bedrohung das heißt: keine Pläne, keine Absicht, kein Anlaß -, in vorbereitete Stellungen verlegbar sein sollen. Au- nukleare Waffen in den neuen Mitgliedsländern zu ßerdem ist davon die Rede, daß jedes der neuen Mit- stationieren oder nukleare Depots anzulegen. glieder der NATO mindestens eine Staffel moderner westlicher Kampfflugzeuge und auch mindestens ein Aber es wird dort auch gesagt, daß die NATO, statt modernes Luftabwehrsystem wie etwa Pat riot erwer- auf Dauer zusätzlich substantielle Kampftruppen in ben soll. diesen neuen Mitgliedsländern zu stationieren,- eher - so heißt es in dem Dokument - auf Interoperabilität, Ich denke, daß sich hier auch ein Stück weit ameri- auf Integration und auf die Fähigkeit zur Verstär- kanische Rüstungsexportinteressen niederschlagen. kung setzt. Ich begrüße es, daß im Rahmen der NATO-Diskus- sion, zum Beispiel durch den Beschluß des Nordat- Ich möchte hier für die SPD-Bundestagsfraktion - lantikrates vom 3. März in dem sogenannten Papier ich denke, für den ganzen Bundestag - sagen, daß zur Kostenmethodologie der NATO-Osterweiterung, wir diese Beschränkung ausdrücklich begrüßen. Sie inzwischen von wesentlich bescheideneren Maßnah- allein öffnet den Weg, auch in Zukunft den KSE-Pro- men die Rede ist. Ich denke, die Bundesregierung zeß mit der NATO-Osterweiterung vereinbar zu ma- sollte es unterstützen, daß nicht die maximalen Sich- chen. Darauf legen wir außerordentlichen We rt. ten auf diese Verstärkungskräfte und Rezeptionsfä- higkeiten nachher die Oberhand gewinnen, sondern (Beifall bei der SPD) bedrohungsgerechte bescheidene Maßnahmen, die Aber es bleiben in diesem Kontext doch einige Ri- natürlich auch die Kosten des ganzen Prozesses sen- siken. Ein allgemeines Risiko ist, daß es bei diesen ken werden. ganzen Vertragsverhandlungen leider immer noch (Beifall bei der SPD) einen großen Unterschied gibt zwischen der Bereit- schaft des russischen Präsidenten und der russischen Ich möchte auf ein Problem hinweisen, das nun Regierung - das gleiche gilt im übrigen für die wieder den KSE-Prozeß insgesamt betrifft. Es geht Ukraine - und den Meinungen in der Staatsduma um eine Philosophie, die die Nichtangriffsfähigkeit und im Föderationsrat bzw. in der Verkhovna Rada in durch die Reduzierung von Hauptwaffensystemen Kiew gibt. und auch durch regionale Begrenzungen erreichen Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16027 Gernot Erler will. Wenn in Zukunft zur Verteidigung des westli- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und gegen die chen Bündnisses zu stark auf schnell verlegbare Stimmen der Gruppe der PDS angenommen. Großverbände und auf die Vorbereitung durch Ver- stärkungskräfte einerseits und die Rezeptionsfähig- Tagesordnungspunkt 5 d: Beschlußempfehlung des keit, sprich Infrastruktur, andererseits in den neuen Auswärtigen Ausschusses zum Jahresabrüstungsbe- Mitgliedsländern des Bündnisses in Osteuropa ge- richt 1995, Drucksachen 13/4450 und 13/6482. Wer setzt wird, wird damit der Grundgedanke von KSE in stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegen- Frage gestellt. Denn schnell verlegbare Kräfte er- probe! - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den möglichen eben doch gefährliche Streitkräftekon- Stimmen des gesamten Hauses bis auf eine Gegen- zentrationen, die gerade durch KSE vermieden wer- stimme von der PDS angenommen. den sollen. Das ist das Wenigste, was wir uns wün- Tagesordnungspunkt 5 e: Beschlußempfehlung des schen können. Es muß vermieden werden, daß mit Auswärtigen Ausschusses zu dem Entschließungsan- dem NATO-Osterweiterungsprozeß und durch die trag der Gruppe der PDS zum Jahresabrüstungsbe- KSE-Verhandlungen sozusagen eine Gefährdung richt 1995, Drucksache 13/6483. Der Ausschuß emp- dieser wichtigsten Zielsetzung von KSE eingeleitet fiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 13/ wird. 4580 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluß- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, es ist empfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann mir gelungen, Ihnen deutlich zu machen, daß Abrü- ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen von stung in Verbindung mit dem NATO-Osterweite- CDU/CSU, F.D.P. und SPD bei Enthaltung der Grü- rungsprozeß in Zukunft politisch einen anderen Stel- nen und gegen die Stimmen der PDS angenommen. lenwert hat. Es ist nicht mehr so ein Mauerblümchen Tagesordnungspunkt 5 f: Beschlußempfehlung des oder eine Randerscheinung der internationalen Poli- Auswärtigen Ausschusses zu dem Entschließungsan- tik, sondern die Verhandlungen in Wien sind von trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Jah- zentraler Wichtigkeit dafür, um tatsächlich das Ziel, resabrüstungsbericht 1995, Drucksache 13/6484. Der nämlich mehr Sicherheit und Stabilität in Europa, zu Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag auf erreichen. Das wird vielleicht in Zukunft auch dazu Drucksache 13/4557 abzulehnen. Wer stimmt für führen, daß wir in anderer und gründlicherer Weise diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Dann die Gelegenheit haben, vor diesem Hause diese Pro- ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen von zesse zu begleiten und auch zu überprüfen. CDU/CSU, F.D.P. und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS angenommen. (Beifall der Abg. Uta Zapf [SPD]) Tagesordnungspunkt 5 g: Beschlußempfehlung des Ich setze bei diesem Ziel auf die Gemeinsamkeit des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Hauses. Gruppe der PDS zu einer Welt ohne Atomwaffen, Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Drucksache 13/6871. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/5987 abzulehnen. Wer ist (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Ent- ten der CDU/CSU - Dr. Olaf Feldmann haltungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit [F.D.P.]: Sehr wohl, Herr Vorsitzender!) den Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD bei Ent- haltung der Grünen gegen die Stimmen der PDS an- genommen. Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ich schließe die Aussprache. Tagesordnungspunkt 5 h: Beschlußempfehlung des - Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Frak- Wir kommen zu den Abstimmungen über die tion Bündnis 90/Die Grünen zu einer Konvention zur Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b. Interfraktionell Ächtung und Abschaffung aller Atomwaffen, Druck- wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksa- sache 13/7003. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag chen 13/7389 und 13/5857 an die in der Tagesord- auf Drucksache 13/6383 abzulehnen. Wer stimmt für nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthal- Entschließungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die tungen? - Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Grünen und der Gruppe der PDS auf den Drucksa- Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und SPD gegen die chen 13/7805 und 13/7797 sollen an dieselben Aus- Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS ange- schüsse überwiesen werden wie der Jahresab- nommen. rüstungsbericht 1996. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b beschlossen. sowie Zusatzpunkt 7 auf: Tagesordnungspunkt 5 c: Beschlußempfehlung des 6. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Ottmar Schreiner, Gerd Andres, Do ris Bar- Gruppe der PDS zur Fortsetzung der konventionellen nett, weiterer Abgeordneter und der Frak- Abrüstung in Europa, Drucksache 13/6163. Der Aus- tion der SPD schuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/3987 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfeh- Sofortmaßnahmen zur Bekämpfung der lung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Massenarbeitslosigkeit durch Abbau von Dann ist die Beschlußempfehlung mit den Stimmen Überstunden und Förderung von Teilzeit- von CDU/CSU, F.D.P. und SPD bei Enthaltung der arbeitsplätzen 16028 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Vizepräsidentin Michaela Geiger - Drucksache 13/7522 — hat das Deutsche Institut für Wi rtschaftsforschung in Überweisungsvorschlag: Berlin eine Studie veröffentlicht, wonach selbst bei Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) einer sehr stark abgespeckten Ökosteuerreform bei Ausschuß für Wirtschaft gleichzeitiger Absenkung der Arbeitskosten die Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Schaffung von mehreren hunderttausend Arbeits- b) Beratung des Antrags der Gruppe der PDS plätzen möglich wäre. In das gleiche Horn stößt eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsfor- Einen öffentlich geförderten Beschäfti- schung der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit, die gungssektor einrichten - Massenarbeitslo- ebenfalls vor wenigen Tagen veröffentlicht wurde. sigkeit und ihre sozialen Folgen bekämp- fen Die Koalition hat hier mit ihrer Mehrheit vor eini- ger Zeit entsprechende Anträge der sozialdemokrati- - Drucksache 13/7147 — schen Fraktion kategorisch abgelehnt. Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) (Zuruf von der CDU/CSU: Gott sei Dank!) Innenausschuß Ausschuß für Wirtschaft Ich will Sie an den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für ein neues Arbeits- und Strukturförderungsgesetz Ausschuß für Gesundheit erinnern, in dem wir eine umfängliche Reform der Ausschuß für Verkehr Arbeitsförderung in Deutschland mit dem Ziel vorge- Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit schlagen haben, etwa _ein halbe Million arbeitslose Haushaltsausschuß Menschen aus der Arbeitslosigkeit herauszunehmen, in Qualifizierungsmaßnahmen und in öffentlich ge- ZP7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ma- förderte Arbeitsprojekte zu bringen, um auch aus rieluise Beck (Bremen), Matthias Berninger, Sicht der Arbeitsmarktpolitik einen deutlichen Bei- Annelie Buntenbach, weiterer Abgeordneter trag zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit zu leisten. und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich erinnere Sie an einen Gesetzentwurf, den Sie Beschäftigungsorientierte Arbeitszeitpolitik: ebenfalls vor einigen Monaten mit Ihrer Mehrheit Bonus-Malus-System als Anreiz zur Verkür- hier im Bundestag ablehnten, an den Gesetzentwurf zung der Arbeitszeiten und zum Abbau von der SPD-Fraktion für eine wirksame Bekämpfung Überstunden von Lohndumping in Deutschland. Über Jahre hin- - Drucksache 13/7800 weg haben Sie dem Treiben auf deutschen Baustel- —Überweisungsvorschlag: len tatenlos zugeschaut. Das, was Sie letztlich zu- Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) stande gebracht haben, verpufft wirkungslos im Rechtsausschuß Raum. Wir werden in absehbarer Zeit, in den näch- Ausschuß für Wi rtschaft sten Wochen, erneut einen Antrag bezüglich dieser Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für Frage in diesem Parlament einbringen. die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre Ich erinnere Sie an die wiederholten Bemühungen keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. der SPD-Fraktion hier im Haus, die Regierung dazu Wenn die Lautstärke in diesem Saal etwas ge- zu bringen, in die Maastricht-Vereinbarungen auch dämpft wird, dann eröffne ich die Aussprache. - Das eine Beschäftigungsinitiative einzubringen. Nach Wort hat der Abgeordnete Ottmar Schreiner, SPD- unserer Kenntnis ist die deutsche Bundesregierung Fraktion. nach der Abwahl der französischen und der briti- schen Regierung inzwischen die einzige Regierung - im Rahmen der Europäischen Union, die die Auf- Ottmar Schreiner (SPD): Frau Präsidentin! Liebe nahme einer Beschäftigungsinitiative in die Maas- Kolleginnen und Kollegen! Unser vorliegender An- tricht-Vereinbarungen nach wie vor ablehnt. Sie sind trag zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit inzwischen auf europäischer Ebene beschäftigungs- durch Abbau von Überstunden und Förderung von politisch völlig isoliert. Teilzeitarbeitsplätzen will vor allen Dingen die Da- men und Herren der Koalition daran erinnern, daß es (Zuruf: Skandalös!) zu Ihrer Politik sehr wohl Alternativen gibt. Sie be- Meine Damen und Herren, die Bundesregierung haupten ja immer, die Oppositionsparteien in diesem ist mit ihrer eigenen Rezeptur zur Bekämpfung der Parlament, insbesondere die SPD, zeigten keine al- Arbeitslosigkeit hoffnungslos gescheitert. ternativen Möglichkeiten zu Ihrer Politik auf. Sie haben vor reichlich einem Jahr die Gesetze zur rich Heinrich [F.D.P.]: Viel schlimmere!) (Ul Wachstums- und Beschäftigungsförderung einge- Der Antrag, der zur Diskussion steht, reiht sich in bracht. ein ganzes Tableau von Vorschlägen ein, die wir in (Peter Dreßen [SPD]: Das war doch Etiket den letzten Monaten und Jahren hier im Parlament tenschwindel!) zur Bekämpfung und zur Reduzierung der uner- träglich hohen Massenarbeitslosigkeit unterbreitet Diese Gesetze waren, wie der Zuruf des Kollegen haben. Dreßen richtigerweise bemerkt, reiner Etiketten- schwindel. Ich will Sie an unseren Antrag für eine ökologi- sche Steuerreform bei gleichzeitiger Absenkung der (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Haben Sie das Lohnnebenkosten erinnern. Vor wenigen Tagen noch geübt? - Heiterkeit bei der F.D.P.) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16029 Ottmar Schreiner Sie gingen damals in den Debattenbeiträgen in der in die holländische Teilzeitquote werden beispiels- ersten Lesung hier im Parlament davon aus, daß weise Miniteilzeitbeschäftigungsverhältnisse einge- nach Verwirklichung dieser Gesetze die Arbeitslosig- rechnet - die bei uns allerdings sozialversicherungs- keit in Deutschland nachhaltig abgebaut werden frei sind, was in Holland nicht der Fall ist. Gleichwohl könnte. Sie nannten eine Zahl in der Größenordnung gibt es einen beträchtlichen Vorsprung Hollands in von mehreren hunderttausend. Genau das Gegenteil der Bereitstellung von vernünftigen sozialversiche- ist eingetreten. Wenn man die Frühjahrsdaten des rungspflichtigen Teilzeitarbeitsplätzen. Hier haben vorigen Jahres mit denjenigen dieses Jahres ver- wir Nachholbedarf. gleicht, dann haben wir keinen Zuwachs an Beschäf- tigung, sondern den Verlust von über 530 000 Ar- Es liegt dem Deutschen Bundestag eine entspre- beitsplätzen in Deutschland zu vermelden. Ich wie- chende Initiative der SPD-geführten Bundesländer derhole es: Im Vergleich zwischen dem Frühjahr vo- vor. Sie lehnen diese Initiative nach wie vor ab. Sie rigen Jahres und dem Frühjahr 1997 ist nicht ein ein- befinden sich damit in einen kategorischen Wider- ziger Arbeitsplatz gewonnen worden; wir haben spruch zu Ihren eigenen verbalen Beteuerungen, Sie über 530 000 Arbeitsplätze in diesem Zeitraum verlo- wollten sehr wohl eine Ausweitung von Teilzeitar- ren. Das ist das Resultat einer Politik, die völlig ein- beitsplätzen als einen Beitrag zur Bekämpfung der seitig die Angebotsbedingungen der Unternehmun- Arbeitslosigkeit. gen verbessern wollte und alle anderen Vorschläge hier im Deutschen Bundestag kategorisch nieder- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne stimmte. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Es sind viele Worte gemacht worden, denen keine und der PDS) Taten folgen: weder beim Überstundenabbau noch bei der Verstärkung von Anreizen zur vermehrten Sie sind mit Ihren Beschäftigungsinitiativen vollstän- Bereitstellung von Teilzeitarbeitsplätzen. dig gescheitert; Sie haben nicht einen einzigen Ar- beitsplatz mehr geschaffen. Ihre Politik hat dazu bei- Die Höhe der Arbeitslosigkeit in Deutschland ist getragen, daß die Arbeitslosigkeit in Deutschland nicht mehr erträglich. Viele Ihrer befreundeten, kon- dramatisch angestiegen ist. servativen Regierungen in Europa sind in den letzten Jahren abgewählt worden, weil deren und Ihre Poli- Meine Damen und Herren, der Kern der Auseinan- tik dazu geführt hat, daß wir auf der Ebene der Euro- dersetzung ist, daß Sie sich in einer Zeit, in der im päischen Union nunmehr über 20 Millionen Arbeits- Zuge der wirtschaftlichen Globalisierung national- lose zu beklagen haben. Die hohe Arbeitslosigkeit in staatliche Eingriffsmöglichkeiten eher verringert Deutschland ist der zentrale Grund für Ihre Haus- worden sind, durch Ihr blindes Vertrauen in die haltsmisere. Wir werden nicht - wie noch vor weni- Marktgesetze gewissermaßen in doppelter Weise die gen Monaten von Ihnen in Ihrem notorischen Opti- Hände gebunden haben. Im Unterschied zu Ihnen mismus vorausgeschätzt - 3,9 Millionen Arbeitslose sind wir allerdings nach wie vor der festen Überzeu- im Jahresschnitt 1997 - was später auf 4,1 Millionen gung, daß es auch unter den heutigen Modernisie- korrigiert wurde - haben, sondern wir werden im rungszwängen hinreichende politische Gestaltungs- Jahresschnitt 1997 vermutlich 4,3 Millionen Arbeits- möglichkeiten für eine Politik zur Verbesserung der lose haben. Wir erleben zum erstenmal seit vielen Lebenschancen, für eine Politik zur nachhaltigen Jahren, ja seit Jahrzehnten, daß die Jugendarbeitslo- Verringerung der Arbeitslosigkeit sehr wohl gibt. sigkeit die allgemeine Arbeitslosigkeit zu überholen droht. In einigen Bundesländern ist inzwischen die Der heute zur Diskussion stehende Antrag- der Jugendarbeitslosigkeit höher als die allgemeine Ar- SPD-Fraktion hat eine durchaus bescheidene Zielset- beitslosigkeit. zung. Er versucht nämlich, Sie selbst beim Wo rt zu nehmen. Viele Vertreter der Bundesregierung bis hin Ich kann Ihnen nur nachdrücklich anraten, sich die zum Bundeskanzler haben in den letzten Monaten jüngste, die 12. Shell-Studie zur Situation der Ju- und Jahren mehrfach auf die unerträglich hohe An- gend in Deutschland durchzulesen und durchzuar- zahl von Überstunden in Deutschland hingewiesen. beiten. Die Quintessenz dieser Studie lautet: Die jun- Sie haben mehrfach betont, daß es notwendig sei, die gen Menschen in Deutschland haben Angst, arbeits- vorhandene - im europäischen Vergleich durchaus los zu werden, haben Angst, keine Arbeit zu finden, bescheidene - Teilzeitquote in Deutschland aus be- haben Angst vor beruflicher und damit persönlicher schäftigungspolitischen Gründen deutlich zu erhö- Perspektivlosigkeit. Wenn aber die Angst vor persön- hen. Was wir mit unserem Antrag bezwecken, ist der licher und beruflicher Perspektivlosigkeit zum prä- Versuch, Sie selbst in diesen Fragen beim Wo rt zu genden Erlebnis einer jungen Generation wird, dann nehmen und die notwendigen politischen Instru- frage ich: Wo wird diese Genera tion landen? mente bereitzustellen, um zu dem erforderlichen Ab- bau von Überstunden, zu der Umwandlung von Ich will Ihnen zum Abschluß zwei kurze Zitate aus Überstunden in sozialversicherungspflichtige Ar- der Shell-Studie bringen. Ich glaube, daß diese Zitate beitsverhältnisse zu kommen und um die notwendi- in einem engen Zusammenhang stehen. Es heißt gen Anreize zu schaffen, die bescheidene Teilzeit- dort: Am problematischsten wird von der jungen Ge- quote in Deutschland deutlich zu erhöhen. Insoweit neration mit großem Abstand die steigende Arbeits- sind wir in der Tat gern bereit, von Holland zu lernen, losigkeit empfunden. Mehr als 92 Prozent empfinden auch wenn dort nicht alles Gold ist, was glänzt. Denn die Arbeitslosigkeit als ein großes oder sehr großes 16030 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Ottmar Schreiner Problem für unsere Gesellschaft. - Mehr als 92 Pro- Ich glaube, wir sind uns darüber einig, daß der Ab- zent der jungen Menschen unter 25 Jahren! bau von Überstunden sicherlich wünschenswert ist. Aber wer meint, daß dies direkt zu neuen Arbeits- Und nun das zweite Zitat: plätzen führe, wie das von manchen Instituten und Relativ am wenigsten Vertrauen bringen die jun- auch von Ihnen als Antragsteller vorgegeben wird, gen Leute unserer Studie den „klassischen" poli- der betrachtet die Lage zu oberflächlich. tischen Institutionen entgegen. Den schlechte- Zunächst einmal ist festzustellen, daß die Gesamt- sten Vertrauensbonus überhaupt haben ,,politi- zahl der Überstunden umgerechnet nur zwei Über- sche Parteien", kaum weniger Bundesregierung stunden pro Arbeiter und Woche ausmacht. Dies ist - und Bundestag. Die These, daß mit zunehmen- darüber sind sich auch viele Fachleute einig - in dem Alter, mit dem Hineinwachsen in die Gesell- Klein- und Mittelbetrieben kaum veränderbar, weil schaft Vertrauen wächst und Distanz abgebaut diese Betriebe nur mit Hilfe solcher Schwankungs- wird, bestätigt unsere Erhebung nicht. möglichkeiten die Gelegenheit haben, ihre Produk- Meine Damen und Herren, wenn dieser Ansehens- tion der jeweiligen Nachfrage und den damit verbun- verlust der demokratischen Einrichtungen unseres denen Veränderungen anzupassen. Aber auch in den Landes nicht gestoppt wird, dann hat dies verhee- anderen Unternehmen ist die Stabilität der Beschäfti- rende Folgewirkungen für die Substanz unserer par- gungsbeziehungen ein nicht zu unterschätzender lamentarischen Demokratie überhaupt. Faktor.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr Abgeordne- GRÜNEN und der PDS) ter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord- Deshalb will ich Sie mit großem Nachdruck auf fol- neten Schreiner? gendes hinweisen: In dem Maße, in dem es uns ge- länge, Arbeitslosigkeit abzubauen, in dem Maße, in Helmut Heiderich (CDU/CSU): Aber selbstver- dem es uns gelänge, jungen Menschen wieder einen ständlich. Blick in die Zukunft möglich zu machen, jungen Menschen wieder eine Perspektive zu geben, in dem (SPD): Herr Kollege, nachdem Maße würden wir den Vertrauensverlust, den die Ottmar Schreiner Sie eben versucht haben, die von uns geforderte parlamentarische Demokratie insgesamt zu erleiden deutliche Begrenzung der Überstunden als kaum droht, wieder rückgängig machen können und un- oder gar nicht machbar darzustellen, wollte ich Sie sere Gesellschaft auf festen demokratischen Boden fragen, ob Ihnen bewußt ist, daß zum Beispiel der stellen können. Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, der Kollege Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Schäuble, aber auch der Kollege Louven und andere Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion in (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE den letzten Monaten mehrfach hier im deutschen GRÜNEN und der PDS) Parlament auf die Studie des Instituts für Arbeits- markt- und Berufsforschung zur Halbierung der Ar- beitslosigkeit bis zum Jahre 2000 hingewiesen ha- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat der Abgeordnete Helmut Heiderich, CDU/CSU-Fraktion. ben. Ich wollte Sie zudem fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß in dieser Studie des IAB vorgeschlagen wird, die Helmut Heiderich (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich Überstunden so nachhaltig zu reduzieren, daß ein denke, Herr Kollege Schreiner, in dem Bemühen, die Beschäftigungseffekt von etwa 400 000 zusätzlichen Arbeitslosigkeit abzubauen, stehen wir der SPD an Arbeitsplätzen dabei herauskommt. Aktivitäten wirklich nicht nach. Das, was Sie als An- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der trag Ihrer Partei vorgelegt haben, ist nicht wesentlich PDS) mehr als der Versuch, aus einem wichtigen Thema eine Aktivität Ihrerseits zu entwickeln, um dahinter - und das wird ganz deutlich - Ihre eigene Konzep- Helmut Heiderich (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr tionslosigkeit in dieser Frage und insbesondere Ihre Kollege, natürlich sind mir die Studie und die Auße- Entscheidungsunfähigkeit zu verbergen. rungen bekannt. Ich habe mich gerade nur dagegen gewehrt, daß Sie sagen, der Abbau der Überstunden Wenn Sie hier Sofortmaßnahmen zur Bekämpfung sei eine Sofortmaßnahme zur Verringerung der Ar- der Arbeitslosigkeit versprechen und von einem beitslosigkeit. Ich will Ihnen gleich im Zusammen- „einfachen und schnell umsetzbaren Mittel zur Ver- hang vortragen, welche weiteren Bedingungen er- ringerung der Arbeitslosigkeit" reden, dann tun Sie füllt sein müssen, damit es zum Abbau von Überstun- so, als habe die SPD das Wundermittel zur Bekämp- den kommen kann und damit das, was Sie konzipie- fung der Arbeitslosigkeit und für die Zukunft des Ar- ren, auch für die Betriebe so umsetzbar ist, wie diese beitsmarktes gefunden. Die Tatsache, daß diese For- es benötigen. Ich glaube, daß der Abbau von Über- mulierungen nicht über eine halbe Seite hinausge- stunden allein nicht dazu beitragen kann, die von Ih- hen, zeigt wohl auch, welche Bedeutung Sie diesem nen vorgetragenen Ziele zu erreichen. Thema beimessen. (Gerd Andres [SPD]: Wer behauptet das (Zuruf von der SPD: So ein Unsinn!) denn?) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16031 Helmut Heiderich Lassen Sie mich fortfahren: Wenn wir in den Unter- tigung überführen und damit die Wettbewerbsfähig- nehmen eine stärkere Bereitschaft, Überstunden in keit der deutschen Bauwirtschaft verbessern; denn Neueinstellungen umzuwandeln, fördern wollen, mit rund 100 Überstunden pro Beschäftigtem und dann kann das erst gelingen, wenn Kosten- und Risi- Jahr war gerade diese Branche mit weitem Abstand koabwägung der Unternehmen zugunsten der Neu- Überstundenverursacher Nummer eins. einstellungen ausschlagen, so daß diese den Vorrang bekommen. Meine Damen und Herren, wenn der Überstun- denabbau bisher trotz aller Bemühungen kaum zu Gerade bei unsicherer Auftragslage und verstärk- neuer Beschäftigung geführt hat, dann vor allem des- tem Kostendruck, wie wir sie in weiten Bereichen der halb, weil damit viel eher Personalabbau gebremst Wirtschaft haben, sind Risikominimierung und hohe und betriebsbedingte Kündigungen vermieden wur- Flexibilität von entscheidender Bedeutung. Deshalb den, statt daß Beschäftigung weiter ausgebaut macht es überhaupt keinen Sinn, daran zu denken, wurde. Dies macht deutlich, daß Überstundenabbau Überstunden gesetzlich verbieten zu wollen. Damit und Teilzeitbeschäftigung immer nur ein defensives schafft man für die Unternehmen wieder nur neue Mittel, also eine reine Umverteilung von Arbeit, sein Hindernisse und Einengungen, also genau das Ge- können. genteil der notwendigen Flexibilisierung. Wenn wir Arbeitslosigkeit wirk lich bekämpfen Statt dessen müssen den Personalchefs der Unter- wollen, wenn wir neue Beschäftigungs- und Einkom- nehmen die Bedenken gegenüber Neueinstellungen mensmöglichkeiten schaffen wollen, dann können genommen werden. Hier haben wir - das ist der Kon- wir das nur dadurch erreichen, daß wir endlich die text, den ich bereits erwähnt habe - als Koalition in notwendigen Reformen weiter verwirklichen. Aber den vergangenen Monaten vieles verbessert. Ich er- bei allem, was wir bisher zur Verbesserung der Situa- innere zum ersten daran, daß wir die Möglichkeit ge- tion beschlossen haben, haben Sie Ihre Zustimmung schaffen haben, bef ristete Arbeitsverträge bis zu ei- verweigert. Man kann mit Ausweichreaktionen al- ner Höchstdauer von zwei Jahren abzuschließen, lenfalls Trostpflaster kleben, aber keine durchgrei- und zwar mit mehrfacher Verlängerung. Das fördert fende Veränderung erreichen. ganz sicher die Bereitschaft, Einstellungen auch bei unsicherer Auftragslage vorzunehmen. (Katrin Fuchs [Verl] [SPD]: Wo haben Sie denn Arbeitsplätze geschaffen? A lles Zum zweiten haben wir mit der Erhöhung des Sprechblasen!) Schwellenwertes beim Kündigungsschutz auch Kleinbetrieben die Möglichkeit gegeben, Überstun- In diesem Punkt unterscheiden wir uns eben von de- den in Einstellungen umzuwandeln. nen, die eine rein defensive Umverteilung wollen. Wir versuchen, einen progressiven Ansatz einer Be- Zum dritten sind mit Trainingsmaßnahmen und schäftigungsentwicklung durch Ausbau von Arbeits- Eingliederungsverträgen Möglichkeiten geschaffen, möglichkeiten zu schaffen. die mitgebrachten Qualifikationen der Arbeitnehmer und die Qualifikationsanforderungen der Bet riebe - Lassen Sie mich noch ganz kurz etwas zum Modell das ist ein entscheidender Punkt - in Übereinstim- der Grünen sagen: Zumindest zeigt es, daß man das mung zu bringen. Problem der hohen Lohnzusatzkosten erkannt hat und daß man nun versucht, diese hohen Lohnzusatz- Zum vierten haben wir bei Saisonanforderungen kosten abzubauen. Aber ob man im Rahmen eines von Arbeitskräften die Möglichkeit geschaffen, die äußerst komplizierten Regelwerkes mit Entlastung Arbeitnehmerhilfe in Höhe von 750 DM pro Monat auf der einen Seite und damit Belastung auf der an- beizubehalten. Auch das ist ein ganz wesentlicher deren Seite wirklich vorankommen kann, das scheint Anreiz für Neueinstellungen bei den Unternehmen. - mir doch sehr fraglich. Ich erinnere daran - das ist bereits von einem Vor- (Beifall bei der CDU/CSU - Ottmar Schrei redner gesagt worden -: Das alles haben wir gegen den Widerstand der SPD durchgesetzt. ner [SPD]: Wer regiert denn eigentlich hier? - Weiterer Zuruf von der SPD: Sie bereiten Auf dem Weg zu mehr Flexibilität in der Arbeits- sich auf die Opposition vor!) zeit - auch daran möchte ich Sie gern erinnern - sind wir auch auf einem anderen Gebiet ein gutes Stück - Ich verstehe Ihre Aufregung nicht. Sie tragen hier vorangekommen: In vielen Tarifbereichen wie der ein Konzept vor; wir tragen vor, was wir als Politik Stahlindustrie oder der Chemie, aber auch der Bahn der CDU umgesetzt haben, ist der Abbau nicht betriebsnotwendiger Überstun- (Zuruf von der SPD: Sie tragen hier Ihre den längst tariflich vereinbart. Konzeptionslosigkeit vor!) Mit dem Gesetzentwurf zur sozialrechtlichen Absi- welche Entscheidungen wir bereits gegen Ihren Wi- cherung flexibler Arbeitszeiten geben wir jetzt allen derstand getroffen haben. Arbeitszeitkontenmodellen den notwendigen gesetz- lichen Rahmen. Auch damit gewinnen wir neue Be- Ich darf zusammenfassen: Was Sie heute hier vor- weglichkeit für alle Beschäftigungsmöglichkeiten bis tragen, nämlich eine zwangsweise Arbeitszeitverkür- hin zur Altersteilzeit. zung, kann nur Mangelverteilung sein, aber keine Förderung der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Mit der Vereinbarung zu ganzjähriger Beschäfti- gung am Bau werden wir in Kürze einen weiteren (Gerd Andres [SPD]: Unsinn! Wo steht denn wesentlichen Überstundenbereich in Jahresbeschäf- das?) 16032 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Helmut Heiderich Wir sind der Auffassung, daß Arbeit in unserem An diesem Punkt setzt das bündnisgrüne Modell Lande wettbewerbsfähiger werden muß. Dazu brau- zum Bonus/Malus an. Bonus/Malus ist die Übertra- chen wir keine neuen Reglementierungen. Dazu gung der Idee der Ökosteuer auf das Sozialversiche- brauchen wir mehr Öffnung, mehr Beweglichkeit rungssystem. Das Gewollte, der Bonus, soll belohnt, und mehr Eigenverantwortung. Ich rufe Sie hiermit das zu Vermeidende, der Malus, soll teuer gemacht auf, auf diesem Wege mit uns zu gehen. werden. Das Gewollte ist in diesem Fall die Verkür- zung der Arbeitszeit; das zu Vermeidende sind Über- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - stunden und überlange Arbeitszeiten. Gerd Andres [SPD]: Das war aber schwach!) Die grobe Struktur des Modells ist leicht erklärt: Mittels einer Differenzierung der Sozialversiche- rungsbeiträge, die die Unternehmen abzuführen ha- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ich erteile jetzt ben, soll auf die Gestaltung der Arbeitszeiten im Be- das Wort der Abgeordneten Marieluise Beck, trieb Einfluß genommen werden. Wir verteilen das Bündnis 90/Die Grünen. Gesamtaufkommen der Arbeitgeberbeiträge zu den Sozialversicherungen intern um und entlasten dabei ebe, die ihr Jahresarbeitszeitvolumen Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gezielt die Betri NEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- auf mehr Beschäftigte verteilen, während wir Be- legen! Herr Kollege Heiderich, Sie haben ja recht: Es triebe mit ungünstiger Relation von Arbeitszeit und gibt keine Wundermittel, um mit der Krise der Er- Beschäftigtenzahl stärker belasten. Als Scheidepunkt werbsgesellschaft fertig zu werden. für die Ent- und Belastungen soll die derzeitige tarif- liche Durchschnittsarbeitszeit von 37 Stunden im We- (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Sie verkünden sten und 39 Stunden im Osten angesetzt werden. jetzt die Wunder!) Das Unternehmen wird am Jahresende, ähnlich Aber Gesundbeten können Sie den Arbeitsmarkt wie beim Lohnsteuerjahresausgleich, die Zahl der in nun auch nicht. Das ist in den letzten Jahren, in de- seinem Betrieb geleisteten Arbeitsstunden ins Ver- nen die Erwerbslosigkeit zugenommen hat, deutlich hältnis zu der Zahl der Beschäftigten setzen. Landet geworden. Egal, was Sie machen - vielleicht auch, es dann bei einer durchschnittlichen Wochenarbeits- weil Sie es machen -: Es bewegt sich wirklich nichts zeit von unter 37 Stunden, so wird die von ihm abzu- zum Guten, sondern alles nur zum Schlechten. Herr führende Sozialversicherungssumme verringert, lan- Kollege Schreiner hat eben darauf hingewiesen. det es bei über 37 Stunden, so muß es draufzahlen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Julius Louven [CDU/CSU]: Schlimme Büro bei der SPD und der PDS) kratie!) Das Gefährliche - auch für uns in diesem Parlament - Für kleine und mittlere Bet riebe schlagen wir vor, ei- ist, daß sich wegen dieser pauschalen Schlagabtäu- nen zusätzlichen Zeitbonus auszusetzen, weil wir sche die Bevölkerung zunehmend mit Enttäuschung wissen, daß gerade in diesen Bet rieben die realen Ar- und auch Vertrauensverlust von „denen da oben" beitszeiten oft höher sind als in den Tarifverträgen abwendet und der soziale Sprengstoff, nämlich die festgelegt. Arbeitslosigkeit, von Tag zu Tag wächst. Dieser Ansatz, meine Damen und Herren, bietet eine Chance, mit einem hochflexiblen und sehr sen- Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der sibel reagierenden Inst rument den Trend in Bewe- SPD, ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, aber ich gung zu bringen, den wir so dringend brauchen: die muß schon sagen: Sie sollten Ihr Licht nicht unter - tendenzielle Verkürzung der Arbeitszeiten, die die den Scheffel stellen! Chance für Neueinstellungen eröffnet. (Zuruf von der SPD: Das machen wir auch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nicht!) Dieses Instrument ist nicht nur flexibel, sondern auch Sie haben in der Tat mehr zu bieten, als Sie in diesem kostenneutral; denn die Höhe des auszuschüttenden Antrag skizziert haben. Bonus richtet sich nach dem aufgelaufenen Malus. Der zentralen Aussage Ihrer Analyse möchte ich Die Einnahmen der Sozialkassen auf der Arbeitge- allerdings gerne folgen. Damit müssen wir uns aus- berseite bleiben also im Saldo bei 50 Prozent. Auf einandersetzen. Der zentrale Satz in Ihrem Antrag diese Weise sollen die Arbeitgeber auch weiterhin zur paritätischen Finanzierung der Sozialkassen bei- lautet: tragen. Ein Wirtschaftsaufschwung allein kann die Mas- (Vorsitz : Vizepräsident Dr. Burkhard senarbeitslosigkeit nicht beseitigen. Hirsch) Das sagen übrigens inzwischen auch Sie von der Re- Mit dem Bonus-Malus-Modell gibt es endlich ein gierungskoalition und sogar Herr Rexrodt. Instrument, das beweglich genug ist, um auf die Dazukommen müssen auch Maßnahmen zur ge- hochausdifferenzierten Arbeitszeitverhältnisse in rechten Verteilung der Arbeit. den Betrieben zu reagieren, das tarifliche Vereinba- rungsrechte nicht beschneidet und dennoch das drin- Vollkommen d'accord. Das sagt übrigens auch Herr gend Gewünschte auf den Weg bringt, nämlich Schäuble. Das ist eben schon gesagt worden. Überstunden und überlange Arbeitszeiten für den Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16033

Marieluise Beck (Bremen) Arbeitgeber teuer zu machen und damit die Waage Es tut mir leid, Frau Beck, mir lag Ihr Antrag noch in Richtung Umverteilung, also Neueinstellungen, nicht schriftlich vor. Aber ich garantiere Ihnen schon sich neigen zu lassen. jetzt: Wir werden ihn sicher nicht gleich herzlos in den Papierkorb werfen, sondern ihn schon prüfen. Dieses ökonomische Anreizmodell kann viel feiner Nur, mein erstes Hinhören zeigt mir: Er ist außeror- auf die in der Arbeitswelt bereits jetzt schon so hoch dentlich bürokratisch. Vielleicht kann man Formen ausdifferenzierte Arbeitszeitregelung reagieren, als finden, in denen auch ein solcher Vorschlag unter es gesetzliche Regelungen können, die immer nur Umständen positive Impulse in unser aller Sinne aus- grobe Rahmen abstecken. Unser Ansatzpunkt ist das sendet. betriebliche Kostenkalkül. So, wie wir in der Ökolo- gie von der Internalisierung der Kosten sprechen, Ich konzentriere mich insofern auf das, was die müssen auch die externen Kosten der Arbeitslosig- SPD vorgeschlagen hat. Zunächst zu den Überstun- keit internalisiert werden. den: Eine Million Arbeitsplätze könnten - rechne- risch - entstehen, wenn heute geleistete Überstun- Die Sozialversicherungsansprüche der Arbeitneh- den in reguläre Arbeitszeit umgewandelt würden, so mer bleiben von diesem Modell unberührt. Den Aus- die schlichte Argumentation der SPD. Also müsse weg über die Flucht in prekäre Beschäftigung haben man die Arbeitgeber zwingen, statt teure Überstun- wir verstellt, indem Arbeitnehmerinnen und Arbeit- den leisten zu lassen, Arbeit in Form von neuen Ar- nehmer unterhalb einer Halbtagsbeschäftigung, also beitsplätzen anzubieten. 19 Stunden, bei der Ermittlung des betrieblichen Mit- telwertes unberücksichtigt bleiben. - Ich hoffe, Sie (Julius Louven [CDU/CSU)]: Wenn die winken nicht gleich ab. Im Volksmund heißt das: Wat Arbeitskräfte dann überhaupt da sind!) de Buer nit kennt, dat freit er nit. Es lohnt sich angesichts dieser immer wiederkehren- Wer ein wenig über den deutschen Tellerrand hin- den Diskussion, sich einmal die Fakten vor Augen zu auszuschauen bereit ist, der weiß, daß unsere euro- führen und die Frage ernsthaft zu beantworten: päischen Nachbarländer zum Teil schon mit dem In- Warum machen Firmen Überstunden, wann machen strument der Differenzierung von Sozialversiche- Firmen Überstunden? rungsbeiträgen arbeiten, um neue Beschäftigungs- potentiale zu erschließen, und daß sie damit durch- Vergleicht man den Höchststand der Überstunden aus Erfolg haben. Wir können davon ausgehen, daß aus dem Jahr 1970 - da waren es pro Arbeitnehmer sich die Debatte um Beschäftigungspolitik in Europa in Westdeutschland 157 Überstunden im Jahr - mit verändern wird, nachdem in England und Frankreich der entsprechenden Zahl heute, nämlich 60 Über- Wahlen stattgefunden haben und so ausgegangen stunden, wird zweierlei deutlich. Erstens. Überstun- sind, wie sie ausgegangen sind. den spiegeln auch die wi rtschaftliche Lage im produ- zierenden Gewerbe - do rt sind die Überstunden vor- Ich habe Ihnen hier nur einige Grundzüge des Bo- nehmlich anzutreffen - wider. Zweitens. Die Anzahl nus-Malus-Modells darlegen können. Sie können an Überstunden ist enorm zurückgegangen. Sie ma- unserem Antrag entnehmen, daß es bereits viel aus chen nur noch 4 Prozent des gesamten Arbeitsvolu- differenzierter ist. mens aus. Dies ist auch Folge der wachsenden Flexi- bilität der Arbeitszeit. Ich freue mich auf die Debatte im Ausschuß; denn ich meine, einem so klugen marktwirtschaftlichen Überstunden sind teuer. Ohne Grund wird kein Lenkungsinstrument für die Verteilung von Arbeit Unternehmen über längere Zeit sein Arbeitskontin- werden Sie sich nicht entziehen können. Mit dem gent über Überstunden abwickeln. Überstunden sind Totschlagsargument, es sei zu kompliziert, machen also nur ein notwendiger Arbeitszeitpuffer. Sie er- Sie es sich etwas zu einfach; denn die Arbeitswelt- ist möglichen Mehrarbeit bei kurzfristig veränderter inzwischen kompliziert. Auftragslage. Wer hier quotiert, einschränkt, einengt, nimmt den Unternehmen Luft zum Atmen. Es ist also (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) naiv, zu glauben, daß diese in Bet rieben anfallenden Auch die Sozialversicherungssysteme sind kompli- Überstunden ohne Schaden für die Kostenstruktur in ziert. Sie wissen ganz genau, daß wir auf die Krise Dauer- und Teilzeitarbeitsplätze verwandelt werden der Arbeitsgesellschaft nicht mit einfachen Lösungen können. antworten können. (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das ist das Ent (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, scheidende!) bei der SPD und der PDS) Flexible Arbeitszeiten, also die Inanspruchnahme von Jahres- und Lebensarbeitszeitkonten, sind sicher Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das sehr geeignete Mittel, Überstunden der regulären Wort der Abgeordneten Dr. Gisela Babel. Arbeitszeit zuzuführen. Nur, das hilft wiederum nur denen, die schon Arbeit haben, also nicht den ande- ren, die völlig ohne Arbeit dastehen, um die es uns in Dr. Gisela Babel (F.D.P.): Herr Präsident! Meine dieser Debatte geht. Dieser Weg - das ist die Quint- Damen und Herren! Mit zwei nicht neuen, sondern essenz - führt also in die Sackgasse. hier schon oft debattierten Rezepten wi ll die SPD Ar- beitslosigkeit bekämpfen: der gesetzlichen Be- Zur Teilzeit: Hier liegen wir durchaus näher beiein- schränkung von Überstunden und der Förderung ander; denn die Förderung von Teilzeitarbeit ist von Teilzeitarbeit. durchaus sinnvoll - allerdings nicht über die von Ih- 16034 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Dr. Gisela Babel nen vorgeschlagenen Maßnahmen. Einen großen der SPD, Menschen, die vorübergehend in Teilzeit Schritt tun wir jetzt in dem angekündigten Flexibili- arbeiten, ein Recht zur Rückkehr in ein volles Ar- sierungs- und Altersteilzeitgesetz, das noch vor der beitszeitverhältnis zu verschaffen, wenn sie dies Sommerpause eingebracht werden soll, in dem wir denn wollen, sei Zeugnis der unternehmensfeindli- gesetzliche Regelungen finden - die vor allem auch chen Haltung der SPD, wollte ich Sie fragen, ob Ih- die Sozialversicherungspflicht betreffen -, die die nen bekannt ist, daß es eine ganze Reihe von Groß- Aufteilung von Arbeitszeit begünstigen werden. unternehmen wie zum Beispiel Bayer gibt, die aus Familienfreundlichkeit - es gibt ja den sogenannten Die SPD dagegen - Sie, Herr Schreiner, haben das Dräger-Preis, der jährlich jeweils dem bundesweit fa- eigentlich ein bißchen verschleiert, was mir zeigt, milienfreundlichsten Unternehmen verliehen wird - daß Sie vielleicht nicht so ganz daran glauben - wi ll den dort beschäftigten Männern und Frauen über dem Arbeitnehmer einen Rechtsanspruch auf Einräu- eine Gesamtbetriebsvereinbarung die Möglichkeit mung eines Teilzeitjobs geben, einräumen, nach Geburt eines Kindes und nach Ab- (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Unglaublich!) lauf des Erziehungsurlaubes verbunden mit dem Recht zur Rückkehr auf eine (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Wir wollen das nur volle Stelle. Meine Damen und Herren, manchmal er- nicht ins Gesetz schreiben!) scheint es mir so, daß Ihr Bild von einem Bet rieb völ- lig von der Wirklichkeit abhebt. Ein Unternehmen, die Erwerbsarbeit bis zum siebten Lebensjahr des das am Markt und im Wettbewerb bestehen muß, ist Kindes ganz zu unterbrechen oder auf Teilzeit zu ge- doch keine karitative, soziale Veranstaltung, wo es hen, und anschließend ein Wiedereinstiegsrecht zu nur darum geht, den Beschäftigten ihre Arbeitszeit- den früheren Bedingungen zugestehen. Das, was Sie wünsche von den Augen abzulesen, ohne jegliche als arbeitgeberfeindlichen Akt der SPD darstellen, ist Rücksicht auf betriebliche und ökonomische Bedin- längst Gegenstand von Gesamtbetriebsvereinbarun- gungen. gen in etlichen deutschen Großunternehmen. Wir überlegen uns, wie man diese arbeitnehmerorientier- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten Arbeitszeitregelungen so ausweiten kann, daß ten der CDU/CSU) wesentlich mehr Menschen als bisher, die eigentlich einige Jahre auf Teilzeit gehen wollen, dieses auch Ihre Vorschläge zur Bekämpfung von Arbeitslosig- tun können. Dies hätte positive Beschäftigungsef- keit erschöpfen sich, wenn ich das einmal ein biß- fekte zum Ergebnis. Sie tun es gegenwärtig nicht, chen härter ausdrücken darf, in Feindseligkeiten ge- weil sie Angst haben müssen, die später gewünschte genüber Unternehmern, die ja schließlich Arbeit an- Rückkehr in ein Vollzeitarbeitsverhältnis nicht mehr bieten sollen. zu bekommen. (Gerd Andres [SPD]: Was für ein Unsinn, Frau Kollegin! Das glauben Sie doch selber (Zuruf von der CDU/CSU: Gegen freiwillige nicht!) Regelungen ist nichts zu sagen!) Sie münden meist in den Ruf nach staatlichen Be- (F.D.P.): Herr Schreiner, daß diese schäftigungsprogrammen, möglichst auf europäi- Dr. Gisela Babel Regelung, so wie Sie sie schildern, auch für den Ar- scher Ebene. beitgeber durchaus Vorteile bietet, weil sie ja auch (Abg. Ottmar Schreiner [SPD] meldet sich das Gesamtklima positiv beeinflussen könnte, wi ll zu einer Zwischenfrage) ich gar nicht in Abrede stellen. Ich bin aber dagegen, daß eine gesetzliche Regelung, die Zwangscharakter - Sofort, Herr Schreiner, ich will nur noch diesen Ge- hat, einen dazu zwingt, es zu tun. danken zu Ende führen. - (Beifall des Abg. Ulrich Heinrich [F.D.P.]) Ich darf noch einmal das Instrumenta rium aufzäh- len: Überstunden verbieten; Lehrlingsausbildung Wenn es innerhalb von Tarifverträgen und Betriebs- aufnötigen, anderenfalls Geld einfordern; für die wie- vereinbarungen zu solchen flexiblen Regelungen dereinzurichtende Frühverrentung den Arbeitgebern kommt, würden wir es begrüßen. Sie sind ja für den einen Fonds aufdrücken, in den sie 3 Mil liarden DM einzelnen oft nur dann akzeptabel, wenn er eine Ga- einzahlen sollen; den Arbeitgebern die Pflicht auf er- rantie bekommt. Das ist ja auch das Dilemma, daß legen, Teilzeit anzubieten. All das erleichtert den Ar- dann, wenn man für seinen Lebensunterhalt ein ge- beitgebern das Leben nicht, sondern erschwert es. wisses Arbeitskontingent einfach braucht, die Bereit- Wer bei widrigem Wetter schwierige Wegstrecken schaft zur Teilzeit nicht da ist. In diesem Ziel sind wir hinter sich bringen muß, braucht Marscherleichte- uns durchaus einig. Aber es ist in dem Moment ar- rung. beitgeber- und betriebsfeindlich, wenn ohne Rück- sicht auf die bet rieblichen und ökonomischen Be- Bitte schön, Herr Schreiner. lange sowie die ökonomische Situation etwas aufge- zwungen wird. Da liegt der Unterschied, nicht in der Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Entschuldi Sache selber. gung, Frau Kollegin, das Wo rt erteile ich. Herr Kol- lege Schreiner. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU) Ottmar Schreiner (SPD): Frau Kollegin Dr. Babel, Die SPD packt bei ihren Vorschlägen - das können nachdem Sie soeben gesagt haben, das Begehren Sie nicht bestreiten - munter drauf. Diese Belastun- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16035

Dr. Gisela Babel gen werden das Gegenteil bewirken - da knüpft un- Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): Herr Präsident! sere Kritik an -, sie werden zu einem weiteren Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde auch, daß Schrumpfen der Beschäftigung und einem weiteren Frau Babel einmal ein richtiges Lob verdient hat. Anwachsen der Arbeitslosigkeit führen. Wir Liberale setzen dagegen nicht auf Gängelung, sondern auf Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Entlastung der Unternehmen, vor allem auch von Bündnis 90/Die Grünen, ich hoffe, Sie werten es bürokratischer Strangulierung. Wir fahren mit der nicht als Mißachtung, wenn ich jetzt angesichts der Reform der sozialen Sicherungssysteme und der Kürze meiner Redezeit im wesentlichen zu unserem Liberalisierung im Arbeitsrecht fo rt. Antrag argumentiere. Die Koalition hat diese Gedanken ebenso wie viele Das entscheidende Motiv für den Antrag. der PDS andere europäische Staaten aufgegriffen. Wir befin- zu einem öffentlich geförderten Beschäftigungssek- den uns auf europäischer Ebene übrigens in bester tor ist das dramatische Ausmaß der Massenarbeitslo- Gesellschaft: sigkeit und vor allem, daß kein Land in Sicht ist. Es tut not, Alternativen zur herrschenden Politik aufzu- Der Wohlfahrtsstaat muß reformiert werden. Das zeigen., Dabei, Herr Heiderich, gehen wir weder da- Sozialsystem hat zu einer Abhängigkeitskultur von aus, daß wir ein Allheilmittel vorschlagen, noch geführt. In Zukunft wird die Zahlung von Sozial- davon, daß es ein Wundermittel ist. Wir möchten leistungen stärker an die Arbeitsbereitschaft ge- aber erste Schritte machen, die möglicherweise wirk- koppelt. samer als das sind, was Sie bisher geleistet haben. Diese in Ihren Ohren liberal klingende Aussage Mit dieser Forderung stehen wir auch nicht alleine. stammt von Tony Blair, dem gewählten Premiermi- Die Forderung nach einem öffentlich geförderten Be- nister Großbritanniens. schäftigungssektor wird ja in vielen anderen Berei- chen - etwa bei den Gewerkschaften oder bei ande- Auch die Tarifpartner sind meiner Ansicht nach ren Parteien - diskutiert. zumindest im Vergleich zur SPD-Fraktion schon auf einem sehr viel moderneren Weg. Wenn Sie heute Morgen werden wir die neuen Arbeitslosenzahlen die Kommentare zu dem Chemie-Tarifvertrag mit für den Mai hören. Niemand in diesem Hause, jeden- Entgelt- und Arbeitszeitkorridoren sowie Einstiegsta- falls niemand, der sich ernsthaft mit dieser Problema- rifen lesen, dann können Sie endlich ein Reagieren tik auseinandersetzt, wird glauben, daß es eine auf die Wünsche nach flexibler Gestaltung der tarifli- Trendwende zum Besseren geben wird; ganz im Ge- chen Regelungen beobachten. Ich begrüße das aus- genteil. drücklich; denn es ist besser, wenn sich hier die Tarif- Sie müssen sich schon vorhalten lassen, liebe Kol- partner einigen und nicht der Gesetzgeber Vorgaben leginnen und Kollegen von der Koalition, daß es in machen muß. Das bringe ich auch von seiten der der Vergangenheit kein größeres Projekt gegeben F.D.P. ganz klar zum Ausdruck. hat, das Sie nicht mit dem Versprechen in Gang ge- (Beifall bei der F.D.P.) bracht hätten, es schaffe Arbeitsplätze. Aber es pas- siert überhaupt nichts; es sind alles beschäftigungs Zum Abschluß möchte ich den Arbeitgebern drin- politische Flops. Das ist auch gar kein Wunder. Neh- gend nahelegen, die Instrumente zu nutzen, die wir men wir als Beispiel das Arbeitsförderungs-Reform- geschaffen haben, um Einstellungen zu fördern: die gesetz. Ich hoffe, Sie reden auch einmal mit Trägern befristeten Arbeitsverträge, die Möglichkeiten des und Beschäftigungsgesellschaften. Was do rt jetzt Eingliederungsvertrags, bei dem das Risiko der passiert, ist geradezu ein Drama, und ich wünschte Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für eine be- mir, wir würden uns damit einmal wirklich ernsthaft stimmte Zeit vom Arbeitsamt getragen wird, sowie - auseinandersetzen. künftig die Arbeitsteilzeit, kombiniert mit der Ein- stellung von Arbeitslosen. Wenngleich ich tief davon Ihr vielbeschworener Mix aus Sozialabbau und überzeugt bin, daß das, was die SPD vorschlägt, Steuersenkung ist eben überhaupt nicht geeignet, nichts taugt, muß ich auch zugeben, mit der Massenarbeitslosigkeit fertig zu werden. Selbst Ihr großes Reformwerk, die Steuerreform, ist (Zuruf von der SPD: Daß das, was ihr beschäftigungspolitisch der blanke Hohn. Mit Steu- macht, noch weniger taugt!) ereinsparungen in Höhe von 30 Mi lliarden DM zu- daß der Beweis, daß die Koalition das Richtige getan gunsten der Besserverdienenden wollen Sie ganze hat, um Beschäftigung zu fördern, noch aussteht. Sie 50 000 Arbeitsplätze schaffen. Wenn es nicht so trau- könnten immerhin einmal anerkennen, daß ich so et- rig wäre, wäre es lächerlich; aber es ist leider ernüch- was sage. Hier sehe ich uns gleichfalls in der Pflicht. ternd und eine zynische Bilanz für die Mil lionen Er- werbslosen, die auf neue Arbeitsplätze hoffen. Ich bedanke mich. (Beifall bei der PDS) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - Ottmar Schreiner [SPD]: Der Patient denkt Sie haben gegenüber dem Problem der Massenar- zumindest nach! Das ist schon ein Fort beitslosigkeit komplett versagt, weil Sie untaugliche Rezepte auf Entwicklungen anwenden, die einer -schritt!) Erosion der traditionellen Arbeitsgesellschaft gleich- kommen. Es ist doch unübersehbar, daß selbst bei Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das günstigerer Wirtschaftsentwicklung - in diesem Jahr Wort der Abgeordneten Dr. Heidi Knake-Werner. haben wir sie ja beinahe - mit weiteren Arbeitsplatz- 16036 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Dr. Heidi Knake-Werner verlusten gerechnet werden muß und sich die Pro- Projekte leisten do rt unverzichtbare Arbeit. Wir wol- gnosen häufen, die davon ausgehen, daß in wenigen len, daß diese Arbeit auf Dauer erledigt werden Jahren nur noch ein Bruchteil der Erwerbstätigen ge- kann, daß sie ausgebaut und professionalisie rt wer- braucht wird, um die benötigten Waren und Dienst- den kann. Das ist ein wichtiges Anliegen des öffent- leistungen herzustellen. lich geförderten Beschäftigungssektors. Mit unserem Antrag auf Einrichtung eines öffent- (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne lich geförderten Beschäftigungssektors wollen wir ei- ten der SPD) nen Beitrag zu dem dringend notwendigen sozialen und ökologischen Umbau unserer Arbeitsgesell- Ein Anliegen ist es auch, diese Projekte gezielt zu schaft leisten. planen und sie mit Struktur- und Regionalpolitik zu verbinden. Im öffentlich geförderten Beschäftigungs- Ein zukunftsfähiger und gemeinwohlorientierter sektor sollen auch innovative Produktionen gefördert dritter Sektor zwischen Markt und Staat ist nicht nur werden. Wir wollen zum Beispiel, daß Ingenieure in ein wirksames Instrument gegen Massenarbeitslosig- Brandenburg, die ein Glas entwickelt haben, das sich keit, er ist auch unverzichtbar zur Verbesserung der hervorragend als Ersatzstoff für die eklige Glasfaser- sozialen, kulturellen und ökologischen Lebensräume dämmwolle eignet, ihr Projekt nicht beenden müs- der Menschen. sen, weil nach drei Jahren die ABM-Stellen auslau- (Beifall bei der PDS) fen, sondern daß sie dieses Projekt fortführen kön- nen. Vielleicht wird es ja irgendwann einmal markt- Niemand in diesem Hause - so hoffe ich jedenfalls fähig. So etwas darf man einfach nicht übersehen. - kann doch die Augen davor verschließen, daß die öffentliche Daseinsvorsorge in diesem Land schlech- Ich will auch deutlich sagen: Viele Ideen des öf- ter geworden ist und gleichzeitig die Probleme in- fentlich geförderten Beschäftigungssektors sind folge der Massenarbeitslosigkeit und der zunehmen- schon im zweiten Arbeitsmarkt angelegt, aber es den Verarmung massiv gewachsen sind. Niemand kommt jetzt darauf an, dessen Schwachstellen zu be- sollte sich darum herumdrücken, daß die Städte und seitigen. Die Schwachstellen kennen sie a lle: keine Gemeinden immer weniger in der Lage sind, mit die- Kontinuität wegen Bef ristung, Individual- statt Pro- sen zunehmenden sozialen Problemen fertig zu wer- jektförderung usw. Beim ÖBS setzen wir auf selbstor- den. Der Bedarf an öffentlichen Angeboten wächst in ganisierte gemeinnützige Strukturen, weil wir den- dem Maße, wie Menschen ins soziale Abseits ge- ken, daß sie den sozialen Zusammenhalt fördern, de- drängt werden, ökologische Lebensgrundlagen be- mokratisch gestaltbar sind und bürgernah und unbü- droht sind und gemeinschaftliche St rukturen zerfal- rokratisch zu organisieren sind. len. Ja, sie zerfallen, weil immer mehr Lebensberei- che von Kommerz und Profit bestimmt werden. Wir haben es in dieser Hinsicht gegenwärtig mit einem Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin, Skandal zu tun. Sie müssen zum Abschluß Ihrer Rede kommen. (Beifall bei der PDS) Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): Ich komme sofort Dieser Gesellschaft, liebe Kolleginnen und Kolle- zum Schluß. - Beim ÖBS geht es uns vor allen Din- gen, geht eben nicht die Arbeit aus, wie ja oft disku- gen um die Verbesserung der Lebensqualität und tiert worden ist, schon in den achtziger Jahren. Es darum, die unabschätzbaren Folgen der Massenar- mangelt ihr nicht an Arbeit, sondern es mangelt ihr beitslosigkeit und die Langzeitkosten zu minimieren. an Bezahlung der unzähligen öffentlichen Aufgaben, die nicht mehr wahrgenommen werden können, weil Danke. unter anderem die Kommunen pleite sind,- die aber (Beifall bei der PDS) so dringend gebraucht werden: wohnquartiernahe Jugend- und Seniorenprojekte, Breitensportagentu- ren, Gesundheits- und Wissenschaftsleben, Techno- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das logieberatung für kleine und mittlere Unternehmen, Wort dem Abgeordneten Peter Keller. psychosoziale Beratung, Schuldnerberatung, woh- (Zurufe von der SPD) nungsnahe Erholungsprojekte usw. Ich will sie jetzt gar nicht alle aufzählen; dazu reicht auch meine Zeit nicht. Wichtig ist nur, daß Bereiche für den öffentlich Peter Keller (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine geförderten Beschäftigungssektor nicht nur Beschäf- sehr geehrten Damen und Herren! Wir diskutieren tigung schaffen, sondern auch sinnvolle und exi- seit einer Dreiviertelstunde über drei Anträge der stenzsichernde Arbeit und im wahrsten Sinne eine Opposition. Ich habe mich spaßeshalber gefragt, was Zukunftsinvestition sein müssen. das Gemeinsame dieser Anträge ist. Ich bin der Mei- nung: Im Sinne eines Befreiungsschlages gegen die Der öffentlich geförderte Beschäftigungssektor be- Arbeitslosigkeit kann man sie nur als Patentrezept äl- deutet für uns nicht - was uns ja immer gerne vorge- terer Bauart bezeichnen. Sie sind in dieser Form nicht worfen wird - mehr Staat, mehr Zentralismus und tauglich. mehr Bürokratie. Wir denken nämlich, daß der Staat nicht alles, wofür er Verantwortung trägt, auch selber (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ machen muß. Schon heute dehnt sich ja zwischen DIE GRÜNEN]: Das gilt insbesondere für Markt und Staat ein sogenannter Non-Profit-Sektor. unseren Antrag, daß er älterer Bauart ist! Vereine, Verbände, Initiativen und selbstorganisierte Wir diskutieren schon jahrelang!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16037

Peter Keller Nun wenigstens eine Bemerkung zum Antrag der Jetzt werden Sie fragen: Wie sieht der gangbare PDS. Es hat den Anschein - das meine ich ernsthaft -, Weg aus? Ich denke - das sollten gerade Sozialdemo- als wollten Sie die alte Planwirtschaft wiederbeleben. kraten noch mehr beherzigen -, wir sollten den Be- Man sollte meinen, daß gerade Sie aus Ihren alten Er- triebspartnern, sprich: unseren Kolleginnen und Kol- fahrungen mit einem öffentlich geförderten Beschäfti- legen im Betriebsrat und in den Personalräten mehr gungssektor mehr gelernt hätten. als bisher zutrauen. Wir sollten ihnen die Verantwor- tung nicht abnehmen, weil diese Regelung ihre Auf- (Widerspruch bei der PDS) gabe ist. Gut, das Wort Arbeitslosigkeit gab es bei Ihnen nicht. Können Sie mir nicht zustimmen, daß die Betriebs- Das war tabu. Dafür waren ja auch alle beschäftigt. partner vor Ort am besten beurteilen können, wie die (Christina Schenk [PDS]: Reden Sie doch Bedürfnisse eines Betriebes und der Menschen unter nicht von Dingen, von denen Sie keine einen Hut zu bringen sind? Das können wir doch Ahnung haben!) nicht gesetzlich verordnen. Wir müssen uns von der Illusion lösen, daß wir Politiker immer alles besser - Na gut. Aber umgekehrt würde eher ein Schuh dar- wissen und zum Wohl der Arbeitslosen möglichst viel aus. reglementieren müssen. Das Gegenteil ist der Fall. Zu den grünen Kollegen möchte ich sagen, daß ihr Ich will darauf hinweisen, daß die Tarif- und Be- triebspartner schon viel weiter sind, als viele von uns Bonus - Malus - System bei den Sozialversicherungs- beiträgen, so wie ich das verstanden habe, sicherlich denken. der Schaffung neuer Arbeitsplätze dienen würde, (Julius Louven [CDU/CSU]: Das kann man aber, wie ich glaube, mehr im Bereich der Bürokratie wohl sagen!) und sonst kaum, weil dieses System einfach zu kom- pliziert ist. Deshalb sollte man es zwar prüfen, aber Es gibt ja zahlreiche Vereinbarungen - darüber kön- ich sehe momentan wenig Chancen für eine Umset- nen wir in den Ausschüssen diskutieren -, die den zung. Überstundenabbau und auch die Teilzeit durch viel- fältige Arbeitszeitmodelle fördern. Das sollte man ho- (Marieluise Beck [Bremen] ]BÜNDNIS 90/ norieren und unterstreichen. Deshalb sagen wir: Vor- DIE GRÜNEN]: Daß wir im Zeitalter der fahrt für betriebliche Lösungen. Datenverarbeitung leben, haben Sie noch nicht mitbekommen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) - Sie hätten diesen Antrag ja wenigstens ordentlich Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege einbringen können. Man mußte ihn ja durch die Hin- Keller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- tertür beschaffen. Regen Sie sich also bitte jetzt nicht gen Dreßen? gleich auf.

Nun zum Antrag der SPD. Nach meiner prakti- Peter Keller (CDU/CSU): Ja. schen Lebenserfahrung und Überzeugung können Überstundenabbau und mehr Teilzeitarbeitsplätze Peter Dreßen (SPD): Herr Kollege Keller, wenn Sie nicht einfach staatlich verordnet werden. Das ist eine schon meinen, daß alles auf partnerschaftlicher Erfahrung, die ich gemacht habe. Andere mögen Ebene geregelt werden kann, dann frage ich Sie: vielleicht andere Erfahrungen gemacht haben. Des- Warum waren Sie bei der Lohnfortzahlung so scharf halb ist das Ziel zwar richtig, daß die SPD Überstun- darauf, dies gesetzlich zu regeln? Warum hat man den abbauen wi ll, nur der Weg ist falsch. Deshalb das nicht partnerschaftlich geregelt? sollten wir überlegen, ob wir einen gemeinsamen Weg finden. (Widerspruch bei der F.D.P.) (Katrin Fuchs [Verl] [SPD]: Nennen Sie doch Denn dort - das hat sich hinterher bewiesen - hat einmal einen, der Wirkung zeigt!) man danach sehr viel bessere Lösungen gefunden, als man es sich hier im Parlament jemals erdenken Wir benötigen nicht mehr gesetzliche Regelungen. konnte. Wir haben gerade im Arbeitszeitgesetz den Rahmen für Überstunden abgedeckt. Das ist ausreichend. Ich (Julius Louven [CDU/CSU]: Wieso dann erst bin auch der Meinung, daß es schön wäre, wenn es hinterher? - Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Na keine Überstunden gäbe, zumindest nicht in diesem also!) Umfang. - Jetzt will ich Ihnen trotzdem noch etwas sagen, Frau Kollegin Babel. Die berufliche Wirk lichkeit ist aber anders: Über- stunden können wirklich nicht vollständig vermieden (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Frage stellen!) werden. Warum? Weil insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen sie unabdingbar brauchen. Herr Kollege Keller, sind Sie mit mir der Meinung, Sie müssen in der Lage sein, Auftragsspitzen, saiso- daß wir mit dem Gesetz zur Lohnfortzahlung einen nale Schwankungen und kurzfristige Lieferungen Bock geschossen haben, wenn Sie jetzt auf der ande- auszugleichen. ren Seite ein staatliches Vorgehen verurteilen und meinen, wir sollten unter Umständen keine gesetzli- (Beifall des Abg. [CDU/ chen Initiativen ergreifen, um den Überstundenab- CSU]) bau in den Griff zu bekommen? 16038 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Peter Keller (CDU/CSU): Bei dem Thema Lohnfort- Kompensationseffekte sind mehr als unsicher. Da zahlung geht es nicht um meine persönliche Mei- müssen Sie sich noch etwas einfallen lassen, wenn Sie nung. Aber wenn Sie so konkret fragen, dann muß uns im Ausschuß davon überzeugen wollen. ich konkret antworten. Im Vergleich zu Ihnen, meine Kolleginnen und (Peter Dreßen [SPD]: Sagen Sie es mir!) Kollegen von der Opposition, bin ich eher optimi- stisch. Ich sage: Die gesetzlichen Rahmenregelungen Lieber Kollege, die Tarifpartner haben das gesetz- reichen aus; sie müssen nur angewandt werden. Das liche Instrument angewandt, in dem Rahmen, den mehr zu tun als bisher, dazu fordere ich die Unter- Tarifverträge hergeben. Das finde ich gut. In genau nehmer auf. Da bin ich mit Ihnen einer Meinung. diesem positiven Sinne sollen sie es jetzt auch beim Thema Überstundenabbau tun. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir setzen Deshalb müssen wir jetzt den Informationsstand in auf einfache Lösungen. Statt teurer Überstunden gibt bezug auf die Möglichkeiten und Vorzüge einer Ar- es ja Instrumente wie den befristeten Arbeitsvertrag, beitszeitflexibilisierung einschließlich Teilzeitarbeit der innerhalb von zwei Jahren dreimal verlängert wer- wesentlich verbessern. Wir sollten wirk lich auch von den kann. Ich gebe zu: Das war nicht meine Erfindung. dieser Stelle aus die Sozialpartner bei einer gezielten Aber jetzt ist er da, und jetzt müssen wir ihn auch an- Öffentlichkeitsarbeit unterstützen. wenden. Dazu fordere ich die Unternehmen auf. Der eingeschlagene Weg zeigt seine Wirkung. Der Jetzt kommt es einfach darauf an, daß die Betriebs- Bewußtseinswandel ist spürbar - noch zuwenig, aber partner diese Möglichkeiten nutzen. Befristete Ar- er ist spürbar. Die Zunahme der Teilzeitarbeit zum beitsverträge sind ein höchst wirksames Instrument Beispiel zeigt etwas ähnliches wie einen ersten Auf- zur Schaffung neuer Arbeitsplätze. Wenn sich die wärtstrend. Auftragslage in einem mittelständischen Unterneh- men stabilisiert, hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich bin die eingearbeiteten und fähigen Arbeitnehmer zu der tiefsten Überzeugung, daß die Politik, also der übernehmen, wie das vielfach geschieht. Gesetzgeber, den Abbau von Arbeitslosigkeit nicht verordnen kann, auch nicht durch mehr Gesetze. Es Nun noch eine Bemerkung zu dem Antrag der gibt nur einen Weg, nämlich daß jeder in unserer Ge- SPD, Hindernisse für Teilzeitbeschäftigung zu besei- sellschaft an seinem Platz gegen die Arbeitslosigkeit tigen. Ich muß gestehen: Ich weiß nicht, welche Hin- ankämpft. Sie fragen jetzt vielleicht zu Recht: Wer ist dernisse es im Arbeitsrecht noch gibt. Ich habe mich „jeder"? „Jeder" - das ist für mich der Unternehmer, auch im Arbeitsministerium vergewissert; auch do rt der mehr unternimmt als bisher. Das ist der Arbeitge- sind keine bekannt. Denn wir haben die volle ar- ber, der mehr Arbeit gibt als bisher. Das ist der Ar- beitsrechtliche Gleichstellung von Vollbeschäftigung beitnehmer, der Arbeit mit anderen teilt. Das ist auch und Teilzeitbeschäftigung. Das geht sogar bis hin zu der Arbeitslose, der zumutbare Arbeit annimmt. Das den von uns nicht ganz so geliebten - da bin ich Ihrer ist der Betriebsrat, der betriebliche Beschäftigungs- Meinung - 610-DM-Jobs. Auch sie sind arbeitsrecht- pakte schmiedet und durchsetzt. Das ist aber auch lich vollkommen gleichgestellt. der Verbandsvertreter, ganz gleich auf welcher Seite, der über seinen Tellerrand hinausschaut und auch (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: So ist das!) die Arbeitslosen mit im Blick hat. Deshalb verstehe ich diese Forderung nicht. Viel- leicht können Sie uns im Ausschuß eine Antwort dar- (Beifall bei der CDU/CSU) auf geben. Das ist meine Überzeugung: Nur gemeinsam - un- Weiterhin fordern Sie einen gesetzlichen Rechtsan- ter „gemeinsam" verstehe ich Politik, Wirtschaft und spruch auf Rückkehrrecht bei Teilzeitarbeit. Ich frage Gesellschaft - werden wir die Arbeitslosigkeit Schritt Sie: Glauben Sie wirklich, daß ein solcher Rechtsan- für Schritt abbauen. spruch die Bereitschaft von Arbeitgebern zu mehr Teil- Herr Kollege Schreiner, weil vorhin jemand von Kol- zeitarbeit fördern würde? Ich bin für freiwillige Verein- ping und KAB gesprochen hat: Dies ist auch die Posi- barungen, aber nicht für gesetzliche Regelungen. tion der evangelischen und der katholischen Kirche (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zur wirtschaftlichen und sozialen Lage. Es wird nur gemeinsam gehen. Dazu möchte ich immer wieder Wir können dem Unternehmer nicht irgendwelche aufrufen. Helfen Sie dabei mit! Ihre Anträge sind in Phantommitarbeiterlisten geben. Er muß schon viele der vorliegenden Form sicher nicht der richtige Weg. zurückkehrende Arbeitnehmer hinnehmen. Vielen Dank. (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Ihr müßt noch ein bißchen üben, bevor ihr regieren könnt!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, nun zum Damit gebe ich dritten Teil Ihres Antrags: einmalige Teilzeithilfe - das Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: dem Abgeordneten Adolf Ostertag das Wo . ist zwar nicht näher umschrieben, aber ich habe ver- rt sucht, es so zu verstehen. Ich frage mich wirklich, wo- her Sie das Geld für diese Teilzeithilfe nehmen wollen. Adolf Ostertag (SPD): Herr Präsident! Meine Da- Von der Bundesanstalt? Da gibt es nur leere Taschen. men und Herren! Daß es hinsichtlich der Entwick- Die vom Bundesrat unterstellten Einsparungen und lung auf dem Arbeitsmarkt längst fünf nach zwölf ist, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16039 Adolf Ostertag wissen alle. Ich glaube, auch die Debatte zeigt es. - Ich gebe Ihnen die Statistik. Sie können es gerne Die lange Zeit, die diese Regierungskoalition hatte, nachlesen. Vielleicht sollten Sie die Studien des IAB ist ein Beleg dafür, daß sie wirklich die Zeit verpaßt nehmen oder das, was wir gestern auf den Tisch be- hat und für sie die Zeit abgelaufen ist; denn die kommen haben, nämlich das Bundesarbeitsblatt. Glaubwürdigkeit, den Arbeitsmarkt ernsthaft im Dort können Sie die Statistiken wirklich sorgfältig Blick zu haben und den Arbeitslosen zu helfen, hat nachvollziehen, wenn Sie das nicht wahrhaben wol- sie wirklich 15 Jahre lang verspielt. len. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Viele Betriebe - das ist der entscheidende Ansatz - ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN fahren dauerhaft Überstunden. Das ist nicht nur be- und der PDS) triebswirtschaftlich unsinnig, weil es viel zu teuer ist, sondern es ist auch arbeitsmarktpolitisch unverant- Nun haben Sie sich im vergangenen Jahr mit dem wortlich. Wir als Politiker sind aufgefordert, das deut- Ziel, Halbierung der Arbeitslosigkeit bis zum Jahr lich zu machen. 2000, noch ein ehrgeiziges Ziel gesteckt. Aber wenn man sieht, was seitdem geschehen ist, muß man sa- (Beifall bei der SPD - Julius Louven [CDU/ gen: Die Regierung Kohl hat das Bündnis für Arbeit CSU]: Das haben wir doch!) nur aus wahltaktischen Gründen genutzt. Sie hat Die Reduzierung von Überstunden durch ihre Um- gleichzeitig mehrere soziale Kürzungspakete einge- wandlung in neue Arbeitsplätze ist eben auch unter läutet und verabschiedet. Der Arbeitsplatzabbau gesamtgesellschaftlichen Kosten notwendig, um die geht massiv weiter. Seit Mai 1996 haben wir 450 000 Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Das kostet einen Hau- mehr Arbeitslose in diesem Land. Trotz ihrer so tollen fen Geld. Es ist letzten Endes auch ein Gebot der So- Deregulierungsbemühungen seit nahezu 15 Jahren - lidarität derjenigen, die in Bet rieben sind, mit den ar- und weitere sind angekündigt - haben wir eben beitslosen Menschen in unserem Land. Die Gewerk- keine positive Entwicklung, sondern von Monat zu schaften, die Kirchen, die Sozialverbände und die Monat neue Schreckensmeldungen. Wissenschaft haben das längst erkannt. Wir als Op- Seit Monaten schwadronieren Blüm und auch Kohl position haben entsprechende Anträge eingebracht. über die Halbierung der Arbeitslosigkeit. Sie geben Nur die Regierung hat es immer noch nicht begriffen. das Ziel angeblich nicht auf. Aber niemand in dieser Bisher ist verhindert worden, den rechtlichen Rah- Republik nimmt es mehr ernst, daß dieses Ziel von ih- men zu schaffen, Herr Keller. Ich erinnere an unsere nen wirklich angepackt wird. Nahezu alle verspüren Debatte vor ein paar Jahren im Zusammenhang mit inzwischen, daß mit diesem schönen Versprechen letz- dem neuen Arbeitszeitgesetz. Wir haben doch mit ten Endes nur der Sozialabbau übertüncht wird. Die diesem Riesenrahmen, der mit diesem Arbeitszeitge- Regierung merkt es offensichtlich nicht, daß sie mit ih- setz geschaffen wurde, wieder die 60-Stunden-Wo- rer Beschäftigungspolitik total gescheitert ist. Sie ver- che ermöglicht. Wir haben eben nicht festgeschrie- sucht weiter, von dem eigenen Versagen abzulenken, ben, daß es Freizeitausgleich geben muß; denn do rt indem sie dann uns immer wieder mit dem plumpen hat eben eine vernünftige Politik anzusetzen, wenn Blockadevorwurf kommt. Als ob es aus beschäftigungs- es um die Umwandlung von Überstunden geht. politischer Sicht bei dieser Regierung überhaupt etwas zu blockieren gäbe; das sehe ich in keiner Weise. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der PDS) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Das Institut in Nürnberg - es ist schon darauf hin- und der PDS) gewiesen worden - hat nun wirklich festgehalten, daß allein in Westdeutschland durch einen Abbau Die Verschlechterung für Arbeitslose und- Arbeit- der zuschlagpflichtigen Überstunden um nur 40 Pro- nehmer wird auch die SPD natürlich weiterhin nach zent - das sind überwiegend die dauerhaften Über- Kräften versuchen zu verhindern. Ich glaube, die vor- stunden in den Betrieben - 320 000 Arbeitsplätze ge- liegenden Anträge unterstreichen dies. Dieser An- schaffen werden können. Das geht relativ schnell. trag, Sofortmaßnahmen gegen Massenarbeitslosig- keit, konzentriert sich auf die zwei angesprochenen Es geht nicht um kurzfristig abzuwickelnde Auf- Bereiche: Umwandlung von Überstunden in Arbeits- träge in den Betrieben, also wenn mal schnell etwas plätze und die Förderung von Teilzeitarbeit. Alle Ex- raus muß. Es geht nicht um das Erledigen von Repa- perten und auch die Praktiker haben längst erkannt, raturen und dergleichen mehr. Das wissen Sie ge- daß dadurch effizient und auch relativ schnell die Ar- nausogut wie wir. Vielmehr geht es in der Tat um die beitslosigkeit reduziert werden kann. durchgängig seit über zehn Jahren 1,8 Milliarden Überstunden pro Jahr. Wir müssen einen Teil davon - (Julius Louven [CDU/CSU]: Welche Praktiker?) das IAB hat ausgerechnet, daß 40 Prozent möglich wären - abbauen. Das könnten dann tatsächlich - Ich komme gleich dazu, Herr Louven. Zu den Über- stunden. Im vergangenen Jahr wurden trotz Rekord- nicht nur rechnerisch - 320 000 neue Arbeitsplätze sein. arbeitslosigkeit 1,8 Milliarden Überstunden geleistet. Das ist kaum zurückgegangen. Wenn man das über (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS einen längeren Zeitraum betrachtet, dann erkennt SES 90/DIE GRÜNEN) man, daß es vor zehn Jahren ähnlich viele waren. Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit forde rt (Julius Louven [CDU/CSU]: Frau Babel hat das ein. Der DGB hat schon vor langer Zeit ein So- doch eben die Zahlen genannt!) fortprogramm für mehr Beschäftigung vorgelegt, in 16040 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Adolf Ostertag dem eben auch die Halbierung der Überstundenzahl von Initiativen vorgelegt. Ottmar Schreiner hat sie enthalten ist. Es ist wiederum nicht vom Abbau wirk- aufgezählt; ich glaube, das muß ich nicht wiederho- lich jeder Überstunde die Rede; denn Wir wissen, len. All diese Initiativen sind von Ihnen blockiert wor- glaube ich, daß das nicht geht. Das möchte ich insbe- den. Es geht Ihnen darum, immer zu deregulieren sondere auch Frau Babel sagen, aber sie ist jetzt lei- und abzubauen. Der Kündigungsschutz in den klei- der nicht hier. nen Betrieben hat nichts gebracht. Er wird auf dem Arbeitsmarkt auch nichts bringen; das wissen wir. (Widerspruch der Abg. Dr. Gisela Babel [F.D.P.]) (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Höchstens mehr Arbeitslose!) Es geht nicht nur um die rechnerischen Größen, son- dern um die tatsächliche Umsetzung, um die kurzfri- Die Ausweitung befristeter Arbeitsverhältnisse hat stige Realisierung. auch kaum etwas gebracht. Auch das können Sie in- Was macht denn die Regierung? Sie palavert zwischen in den Statistiken der Ministerien nachle- herum und appelliert an die Arbeitgeber. Herr Keller sen. hat das eben auch wieder getan. „Überstunden ab- Sie forcieren leider noch den Zugang zu den 610- bauen" lautet der Appell; wir kennen das doch schon DM-Jobs; ich verweise hier nur auf den Flop des La- von der Lehrstellenmisere. Das zieht nicht. Wir als denschlußgesetzes, der das nun wirklich belegt. Gesetzgeber sind aufgefordert, Rahmenbedingun- gen zu schaffen, wenn dieses Problem über Jahr- (Beifall bei der SPD) zehnte nicht geregelt werden kann. Zum Arbeitsförderungs-Reformgesetz - lassen Sie (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE mich das auch noch sagen - haben Herr Blüm, Herr GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Hundt und Herr Jagoda diese Woche Stellung bezo- PDS) gen. Herr Blüm hat gesagt, es bestehe die Gefahr, daß die Reform das bekannte Unwesen bleibt und Genauso ist es bei den Teilzeitarbeitsplätzen. Wir daß eben kein neues Instrument umgesetzt wird, wissen eben aus den Befragungen, daß etwa ein Drit- weil die Betriebe das nicht machen. Sie lassen nur tel der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kürzer Appelle los. Das reicht in der Tat nicht aus, meine Da- arbeiten wollen. Allerdings müssen geeignete Teil- men und Herren von der Regierungskoalition. zeitarbeitsplätze da sein. Wenn in den Bet rieben und Verwaltungen überhaupt Teilzeitarbeitsplätze ange- Ich glaube, daß unser Vorschlag wirklich ein boten werden, dann überwiegend in den unteren Schritt zu einem Gesamtpaket zur Bekämpfung der Etagen. Von zehn Teilzeitarbeitsplätzen werden Massenarbeitslosigkeit ist. Die Zahlen habe ich ge- neun von Frauen besetzt. Die Gleichung, daß Teilzeit nannt. Wir müssen uns bemühen, daß wir viele In- geringqualifiziert, schlechtbezahlt ist und überwie- strumente wirksam ansetzen und daß sie schnell gend von Frauen geleistet wird, ist ein Armutszeug- wirksam werden. Das hat Auswirkungen auf alle Si- nis für die Gesellschaft und letztendlich auch für den cherungssysteme, und wir würden uns manche an- Gesetzgeber, wenn er keine Anreize dazu gibt, was dere Debatte zur Rente, zur Arbeitslosenversiche- wir tun sollen. rung und natürlich auch zur Krankenversicherung Wo bleibt denn die Kreativität der Unternehmer? ersparen können, wenn wir den Arbeitsmarkt stär- Sie haben doch die Chance, mehr Teilzeitarbeit an- ken, indem wir nicht alles nur in die Finanzierung zubieten, wenn so viele Arbeitnehmerinnen und Ar- von Arbeitslosigkeit stecken, sondern Gelder freima- beitnehmer in Teilzeitarbeit möchten. Bisher liegt chen und schnell handeln, damit der Arbeitsmarkt Deutschland - das ist schon gesagt worden - bei der entlastet wird. - Teilzeitquote gerade einmal im Mittelfeld, wobei bei (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne uns die 610-DM-Jobs - das sind inzwischen sechs ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Millionen in diesem Land - eigentlich eingerechnet werden müssen. Angesichts dessen, daß Sie uns immer vorwerfen, Blockadepolitik zu betreiben, und angesichts der Wir haben konkrete Vorschläge gemacht. Ich gehe Vorschläge, die wir auf den Tisch gelegt haben, halte darauf nicht ein. Nur würde ich Herrn Keller empfeh- ich das für eine ziemliche Unverschämtheit. Handeln len, daß er auf unseren Antrag im Bundesrat aus dem Sie endlich: Die Überstunden runterfahren - die Teil- Jahr 1995 eingeht und ihn noch einmal nachliest, zeitquote rauf, damit dieses Millionenheer, das uns weil man dort wirklich detailliert nachlesen kann, alle so sehr bedrückt, ein Stückchen entlastet wird! wie wir die Teilzeithilfe für Arbeitnehmer umsetzen Das wäre das Richtige. wollen. Das kostet auch nicht mehr; denn Arbeitslo- sigkeit ist wohl die teuerste Form. Unser Vorschlag Vielen Dank. ist also nicht mit höheren Kosten verbunden. Wir sind der Meinung, daß hier in der Tat eine akzeptable und (Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei kurzfristig umsetzbare Möglichkeit vorhanden ist. Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Diese Regierungskoalition blockiert seit Jahren un- sere Vorschläge. Ich verweise noch einmal auf das, was mein Kollege Schreiner eingangs gesagt hat, Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Für die Bun- weil ja vorhin von Herrn Heiderich gesagt worden desregierung spricht nun der Parlamentarische ist, wir hätten kein Konzept: Wir haben eine Fülle Staatssekretär Rudolf Kraus. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16041

Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege nister für Arbeit und Sozialordnung: Herr Präsident! Kraus, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abge- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr ordneten Beck? Schreiner hat die Debatte damit eröffnet, daß er sagte, dieser Gesetzentwurf sei, was die Bekämpfung Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- der Arbeitslosigkeit anbelangt, eine der Alternativen nister für Arbeit und Sozialordnung: Aber gern. zur Regierungspolitik. Herr Schreiner, ich bezweifle nicht, daß das gut gemeint ist, habe aber Bedenken, weil dieser Gesetzentwurf eben nicht geeignet ist, Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bitte schön. uns in dem Kampf gegen die Arbeitslosigkeit auch nur einen Schritt vorwärts zu bringen. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Sehr verehrter Herr Staatssekretär, es wird (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Das mußte niemand bestreiten, daß zusätzliches Arbeitsvolumen jetzt mal gesagt werden! - Widerspruch bei durchaus wünschenswert ist. Nun wissen wir aber, der SPD) daß wir bei einem augenblicklichen Wirtschafts- wachstum von 2,5 Prozent im Jahr das Erwerbsvolu- Dafür sprechen im wesentlichen zwei Gründe: Wir men bestenfalls auf dem Stand halten können, auf denken, daß das Gesetz nicht mit den Realitäten zu dem es im Augenblick ist. Können Sie uns bitte er- vereinbaren ist und daß es letztlich kontraproduktiv klären, wie Sie Wachstum in einer Größenordnung ist, weil etwas zwangsweise gemacht werden soll, erreichen wollen, die es ermöglicht, die vier Millio- was, wenn es zwangsweise gemacht wird, in der nen Menschen, die im Augenblick vom Erwerbsar- Wirtschaft Schwierigkeiten bringen wird. beitsmarkt ausgegrenzt sind, mit zusätzlichem Er- werbsvolumen zu bedenken? Heute wurde immer wieder auf das Institut in Nürnberg bezug genommen, das ausführt, Arbeits- Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- zeitverkürzung könne dazu beitragen, mehr Arbeits- nister für Arbeit und Sozialordnung: Ich wi ll Ihnen plätze in der Bundesrepublik zu bekommen. Dabei das an folgendem Beispiel erklären. Sie haben vorhin wird eins immer verschwiegen, nämlich daß auch darauf hingewiesen, daß wir einmal über die Gren- dieses Institut ausdrücklich darauf aufmerksam zen unseres Landes hinaus in andere europäische macht, daß das nur unter Wohlstandsverzicht für alle Länder schauen sollten. Mir fällt folgendes auf: Die betroffenen Bürger möglich sei. Dänen arbeiten 100 Stunden im Jahr mehr, die Öster- reicher 120 und die Schweizer 250 Stunden mehr. Genau hier hakt unsere Kritik ein. Wir brauchen Das sind alles Länder, die die Folgen des Krieges bei zusätzliches Arbeitsvolumen und nicht allein eine weitem nicht so zu tragen haben wie wir. Also, Ar- Verteilung der Arbeit, die jetzt vorhanden ist. beitszeitverkürzung ist im Vergleich mit diesen Län- dern bei uns auf dem niedrigsten Niveau angelangt. (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ Das als Vorbemerkung. DIE GRÜNEN]: Dann mal los! - Zuruf des Abg. Ottmar Schreiner [SPD]) Das zweite ist: Es ist völlig unbest ritten, daß Ar- beitsvolumen generell praktisch unbeschränkt vor- handen ist. Was nicht vorhanden ist, ist die Kaufkraft - Herr Schreiner, wenn Sie sich ein bißchen mit der für diese Dienstleistungen und Güter. Da gibt es ge- Materie beschäftigen, dann müssen Sie doch folgen- nerell zwei Möglichkeiten: Ich kann die Kosten in des feststellen: Mittlerweile ist die Arbeitszeitverkür- der Weise senken, daß ich die Bruttolöhne oder die zung bei uns so fortgeschritten, daß eine natürliche Lohnnebenkosten verringere, oder ich kann längere Grenze, nämlich der Zweitberuf, erreicht ist. Warum Zeit für denselben Lohn arbeiten. Diesen Weg gehen glauben Sie denn, daß die - 610 DM Arbeitsverhält- schon eine ganze Menge von Firmen. nisse als Nebenberuf so beliebt geworden sind und warum so viele Leute versuchen, nebenbei etwas zu Das Arbeitsvolumen ist also unbeschränkt vorhan- verdienen? Weil die Tatsache, daß man immer kürzer den. Ich bin davon überzeugt, daß wir selbstver- arbeitet, letztendlich dazu geführt hat, daß die Leute ständlich in einer sehr viel größeren Zahl als bisher für das, was sie an Ansprüchen stellen oder stellen Arbeitsplätze schaffen könnten, wenn es uns gelingt, müssen, zuwenig verdienen! Das ist auch ganz lo- diesen Weg in geeigneter Weise zu gehen. gisch. (Peter Dreßen [SPD]: Das ist aber abstrus!) Jede Arbeitszeitverkürzung wird tendenziell zur - Wenn Sie das nicht verstehen, können Sie das zwar Verteuerung der angebotenen Arbeit führen. Das ist als abstrus bezeichnen; aber es ist trotzdem logisch, ganz selbstverständlich; das kann man nicht ernst- Herr Dreßen. Denken Sie einmal ein bißchen darüber haft bezweifeln. Damit wird ein Kreislauf in Bewe- nach, dann werden Sie darauf kommen. Vielleicht gung gesetzt, der fatal ist: weitere Verteuerung der sollten Sie sich auch einmal mit Leuten unterhalten, Arbeit, weniger Möglichkeiten für den Betroffenen, die in Betrieben arbeiten, in denen die Arbeitszeit Arbeit nachzufragen, und letztendlich ein Stück mit dem Effekt verlängert wurde, daß die Kosten ge- mehr Arbeitslosigkeit. Ich denke, es muß einleuch- senkt wurden. Ich rede nicht einer allgemeinen Ar- tend sein, daß es eine natürliche Grenze der Arbeits- beitszeitverlängerung das Wo rt. Ich spreche nur da- zeitverkürzung und damit auch des Überstundenab- von, daß die allgemeine Euphorie darüber, daß durch baus gibt, nämlich den Zweitberuf. Arbeitszeitverkürzung Arbeitsplätze geschafft wer- 16042 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Parl. Staatssekretär Rudolf Kraus den könnten, ein Irrtum ist. Das ist meine feste Über- gesetzlich fixiert. Das wird nicht funktionieren, ge- zeugung. nausowenig wie Ihr Bonus-Malus-Modell funktionie- ren würde; denn das hat mit Marktwirtschaft über- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) haupt nichts zu tun. Die Marktbedingungen, die vor- Frau Beck spricht zum Beispiel auch davon, die gefunden werden und die in optimaler Weise vom Großbetriebe hätten das durchgeführt. Frau Beck, es Produzenten zu nutzen sind, damit er im Wettbewerb ist natürlich so, daß es ein großer Irrtum ist, wenn Sie bestehen kann, würden dadurch künstlich verfälscht. glauben, das, was den Großbetrieben möglich ist, Das kann man dadurch tun, daß man durch Ge- könnte auch den Kleinbetrieben ohne weiteres zuge- setze vorschreibt, was der einzelne Arbeitgeber zu mutet werden. tun oder zu lassen hat. Man kann es natürlich auch Zu den Größenordnungen: In Großbetrieben mit dadurch tun - das ist etwas feiner -, daß man ihm fi- über 1000 Beschäftigten arbeiten bei uns in der Bun- nanzielle Anreize gibt, das heißt, bestimmte Verhal- desrepublik etwa 20 Prozent der Erwerbstätigen. In tensweisen finanziell bestraft und andere Verhaltens- Betrieben mit unter 20 Beschäftigten arbeiten 38 Pro- weisen belohnt. Aber mit Marktwirtschaft hat das mit zent. Das ist ganz wichtig. Den entscheidenden Un- Sicherheit nichts zu tun. terschied zwischen beiden Gruppen werden Sie re- gelmäßig - nicht immer - finden, wenn Sie in die Ge- (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ winn- und Verlustrechnungen schauen und die Per- DIE GRÜNEN]: Aber wie helfen Sie den sonalkosten in bezug zum Umsatz oder zur We rt Arbeitslosen?) -schöpfung setzen. Das wird bei den Großbetrieben Ich habe das durchaus einmal überprüft. Ich bin ganz anders ausschauen als bei den Kleinbetrieben. der festen Überzeugung, daß auch die damit verbun- Dies ist der eine Grund, warum Großbetriebe zum dene Bürokratie eine ernsthafte Prüfung dieser Vor- Beispiel Sozialleistungen leichter verkraften. schläge überhaupt nicht sinnvoll erscheinen läßt. Der zweite, genauso wichtige Grund ist der, daß Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich Großbetriebe mit einer Marktmacht ausgestattet denke, daß diese Vorschläge, denen ich ausdrücklich sind, die es ihnen ermöglicht, bestimmte Kosten auf zugestehen wi ll, daß sie gut gemeint waren, uns mit die Zulieferer abzuwälzen. Dann haben wir die Sicherheit nicht helfen werden, mit den Problemen merkwürdige Situation, daß der Großbetrieb, der in fertig zu werden. Wir werden versuchen, in der sozialer Hinsicht einiges tun kann, das letztendlich Weise, in der wir bisher Arbeitsmarktpolitik betrie- zu Lasten der kleinen und mittleren Bet riebe sowie ben haben, unter den gegebenen Umständen - auch deren Angestellten und Arbeiter tut. Der typische im Hinblick auf die Globalisierung der Wi rtschaft - Fall war die Frühverrentung. Deswegen darf man weiterzumachen und zu versuchen, damit die Pro- ige Verhältnisse miteinander vergleichen. nicht derart bleme zu lösen. Ich glaube, daß wir auf diesem Weg Wir sind - ich sagte das schon - sicher nicht dage- doch gute Erfolgschancen haben. gen, daß man versucht, Überstunden abzubauen. Ich bedanke mich. Das ist dort selbstverständlich, wo dies möglich ist. Aber es ist eben in vielen Fä llen nicht möglich, weil (Jürgen W. Möllemann [F.D.P.]: Rudi, wir die Qualifikation der Beschäftigten, die Überstunden sind stolz auf dich!) machen, nicht mit der Qualifikation der Beschäftig- ten identisch ist, die Arbeit suchen, so daß die Arbeit- suchenden nicht das tun könnten, was diejenigen, Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Damit schließe die keine Überstunden mehr machen, nicht mehr ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überwei- tun. sung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/7522, 13/ 7147 und 13/7800 an die in der Tagesordnung aufge- Sie werden selbst jetzt, wenn Sie sich mit den örtli- führten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe und chen Arbeitsämtern unterhalten, feststellen, daß es in höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überwei- vielen Bereichen keine entsprechenden Arbeitsu- sungen so beschlossen. chenden mehr gibt, daß also Arbeitsplätze angeboten werden, die nicht besetzt werden können. Ich spre- che jetzt nicht einmal von der sich jede Sitzungswo- Damit rufe ich den Tagesordnungspunkt 7 und den che neu vollziehenden Merkwürdigkeit, daß die Kol- Zusatzpunkt 8 auf: legen kommen und sagen, wir müßten dafür sorgen, 7. a) Erste Beratung des von den Abgeordneten daß in dem Bereich Gastronomie, Landwirtschaft Cem Özdemir, Amke Dietert-Scheuer, Ker- oder sonstwo die Anwerbebestimmungen gelockert stin Müller (Köln), weiteren Abgeordneten werden, weil es nicht genügend Deutsche gebe, die und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- diese Arbeit machen. Ich spreche von den ganz nor- NEN eingebrachten Entwurfs eines Geset- malen Arbeitsverhältnissen, bei denen es in vielen zes zur Niederlassung von Ausländerinnen Fällen nach wie vor so ist, daß die Arbeitsplätze nicht und Ausländern (Niederlassungsgesetz) mehr mit geeigneten Fachleuten besetzt werden können. - Drucksache 13/7416 —Überweisungsvorschlag: Wir sind selbstverständlich dafür, daß alles unter- nommen wird, um die Dauerüberstunden zu reduzie- Innenausschuß (federführend) Rechtsausschuß ren. Aber wir warnen davor, das dadurch machen zu Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung wollen, daß man das zwangsweise vorschreibt und Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16043

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Müller (Köln), weiterer Abgeordneter und Cem Özdemir, Amke Dietert-Scheuer, Ker- der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stin Müller (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Visumspflicht für Kinder und Jugendli- NEN eingebrachten Entwurfs eines Geset- che aus den früheren Anwerbeländern zes zur Regelung der Rechte von Einwande- zurücknehmen rinnen und Einwanderern (Einwanderungs- - zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla gesetz) Jelpke, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe - Drucksache 13/7417 der PDS —Überweisungsvorschlag: Rücknahme der Visums- und Aufent- Innenausschuß (federführend) haltsgenehmigungspflicht für hier leben- Auswärtiger Ausschuß de Kinder und Jugendliche aus den ehe- Rechtsausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung maligen Anwerbestaaten Türkei, Marok- Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ko, Tunesien und den Nachfolgestaaten Ex-Jugoslawiens c) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD - zu dem Antrag der Fraktion der SPD Vorlage eines Gesetzes zur Steuerung der Zuwanderung und Förderung der Integra- Keine neuen bürokratischen Hürden für tion jugendliche Ausländer - Einbürgerung - Drucksache 13/7511 endlich erleichtern —Überweisungsvorschlag: - Drucksachen 13/6930, 13/7036, 13/7090, Innenausschuß (federführend) 13/7637 - Rechtsausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Berichterstattung: Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Abgeordnete Haushaltsausschuß Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast d) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Cem Özdemir Cornelia Schmalz-Jacobsen Gesetzesinitiative der Bundesregierung zur Ulla Jelpke Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes ZP8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla - Drucksache 13/7505 - Jelpke und der Gruppe der PDS e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Einseitige Aufkündigung des deutsch-persi- Amke Dietert-Scheuer, Christa Nickels, schen Niederlassungsabkommens Cem Özdemir und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 13/7784 (neu) —Überweisungsvorschlag: Innenpolitische Konsequenzen aus dem Auswärtiger Ausschuß (federführend) Mykonos-Urteil ziehen: Einbürgerung für Innenausschuß iranische Staatsangehörige erleichtern Rechtsausschuß - Drucksache 13/7676 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind —Überweisungsvorschlag: für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen, Innenausschuß (federführend) wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen 12 Minu- Auswärtiger Ausschuß - ten Redezeit erhalten soll. - Ich sehe und höre keinen Rechtsausschuß Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ich eröffne die Aussprache und erteile der Abge- Cem Özdemir, Kerstin Müller (Köln), Amke ordneten Cornelie Sonntag-Wolgast das Wo rt. Dietert-Scheuer, Christa Nickels und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD): Herr Präsi- dent! Meine Kollegen und Kolleginnen! Zur Zeit wird Klare Integrationssignale setzen: Für eine es in den Medien Mode, die Idee der Ausländerinte- sofortige Reform des Staatsangehörigkeits- gration zu Grabe zu tragen. rechts - Drucksache 13/7677 — (Cornelia Schmalz-Jacobsen [F.D.P.]: Ja!) Überweisungsvorschlag: Auf die kürzlich erschienene ziemlich dramatische Innenausschuß (federführend) „Spiegel"-Reportage unter dem Titel „Gefährlich Rechtsausschuß fremd" folgten gleich mehrere Nachfolgeartikel, Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sie müs g) Beratung der Beschlußempfehlung und des sen eine anständige Zeitung lesen!) Berichts des Innenausschusses (4. Aus- schuß) die ebenfalls das Modell einer multikulturellen Ge- sellschaft für gescheitert erklärten. - zu dem Antrag der Abgeordneten Cem Özdemir, Amke Dietert-Scheuer, Kerstin (Unruhe - Glocke des Präsidenten) 16044 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Nun bin ich - das gestehe ich - inzwischen selbst Deswegen der dringende Appell: gegenüber dem Begriff „multikulturell" skeptisch geworden. Die romantische Vorstellung von Men- (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Das stimmt schen höchst unterschiedlicher Herkunft, die herzlich alles nicht!) und harmonisch permanent Verbrüderung feiern, Machen Sie endlich Schluß mit Ihrem Kurs der Starre hält vielleicht der rauhen sozialen Wirklichkeit nicht und des Stillstands; liefern Sie uns eine vernünftige stand. Reform; geben Sie den hierzulande geborenen Kin (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - dern längst hier verwurzelter ausländischer Eltern Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) mit der Geburt die deutsche Staatsbürgerschaft! Sor- gen Sie dafür, daß die Anspruchseinbürgerung ihrer Und es gibt sie leider, die Abschottung und Entfrem- Eltern und Geschwister endlich durchgesetzt werden dung auf beiden Seiten. Es gibt den Rückzug vor al- kann, und zwar in deutlich verkürzten Fristen! lem junger Migranten in ihre abgeschlossenen Zir- kel, es gibt deutsche und ausländische Jugendgangs, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne die sich befehden, es gibt Konflikte um Schulklassen ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) mit hohem Anteil ausländischer Kinder, es gibt Krach um Muezzinrufe im Ruhrgebiet. Das alles ist über- Wir können es nicht dulden, daß Sie die notwendigen haupt nicht zu leugnen, und ich plädiere sehr für Voraussetzungen für die Integration von Migranten eine offene Aussprache. länger blockieren und damit letztendlich auch den inneren und den sozialen Frieden unseres Landes (Beifall der Abg. Co rnelia Schmalz-Jacob aufs Spiel setzen. sen [F.D.P.]) (Dr. Willfried Penner [SPD], zur CDU/CSU Aber, liebe Kollegen und Kolleginnen, wo stecken gewandt: Sie wenden zu viele Gedanken denn die Ursachen, und wie schaffen wir es, daß für den Goldschatz auf!) Deutsche und Zuwanderer friedlich miteinander oder wenigstens nebeneinander leben, und zwar Ich verkenne überhaupt nicht, daß gerade manche auch und gerade in den sozialen Problemgebieten, junge Ausländer zunehmend gewaltbereit sind und nämlich da, wo hohe Arbeitslosigkeit und Angst vor sich stärker fundamentalistischen Strömungen zu- der Zukunft in den Menschen Abwehrgefühle und wenden. Dafür gibt es allerdings mehrere Gründe, Aggressionen erzeugen? Darauf muß die öffentli- und einer davon ist sicherlich: Wer sich beiseite ge- che Diskussion eine Antwort finden. schoben und nicht anerkannt fühlt, wendet sich ir- Integration, liebe Kollegen und Kolleginnen, ist gendwann von diesem Land und dieser Gesellschaft keine Gleichmacherei. Sie ist wechselseitige Annä- in Trotz und Abwehr ab. Deswegen brauchen wir so herung, ist ein Sicheinfinden und ein Sichanfreunden dringend einen Kurswechsel. mit anderen Kulturen. Sie verlangt Verständnisbe- Das sieht übrigens die Mehrheit der Bevölkerung reitschaft und Respekt vor- und füreinander. Darauf auch so. Nach einer INRA-Umfrage sind 52 Prozent muß die Politik in unserem Lande abzielen, aber lei- der Deutschen dafür, daß in Deutschland geborene der ist dieses Ziel von der Bundesregierung schmäh- Kinder den deutschen Paß bekommen. Auch im lich verfehlt worden. Deutschen Bundestag gäbe es eine Allianz, eine (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Mehrheit der Vernunft für diese Reform, könnten ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sich die Befürworter Reform innerhalb der Koalition denn durchsetzen. Politischer Wille zur Integration setzt nämlich vor allen Dingen die Fähigkeit zu deutlichen,- positiven Ich muß ein Wort zu den „jungen Wilden" sagen, und konkreten Signalen voraus. Das wichtigste, die hier eigentlich eher als junge Milde wirken. Ver- meine Damen und Herren, ist die Reform des Staats- ehrte Kolleginnen und Kollegen, es genügt nicht, angehörigkeitsrechts. über ein Jahr hinweg Ihren Reformwillen in Inter- views und Pressekonferenzen kundzutun; hier ist (Zuruf des Abg. Erwin Marschewski [CDU/ das Parlament, hier müssen Sie mit Anträgen oder CSU]) Gesetzentwürfen aufwarten; sonst passiert doch Die Bundesregierung aber bricht ein Versprechen, nichts. das sie schon in der vergangenen Legislaturperiode gegeben und das der Bundeskanzler höchstpersön- (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Wenn Sie lich - vergessen wir das nicht - noch unter dem Ein- so schimpfen, dann bleiben die genauso! - druck des Brandanschlages von Solingen für dring- Heiterkeit) lich erklärt hatte. Seit Jahrzehnten gibt es eine Zuwanderung nach Daß bis heute nichts geschehen ist, läßt sich nicht Deutschland. Der Bundesinnenminister aber argu- mehr mit gegenseitiger Blockade von CDU/CSU und mentiert nach der Devise, daß nicht sein kann, was F.D.P., mit Zaudern und Zögerlichkeiten entschuldi- nicht sein darf. Ich muß schon sagen: Es zeugt von gen. Nein, meine Damen und Herren in der Koali- Realitätsverlust und ideologisch geprägtem Starr- tion, Sie sind in dieser Frage verbohrt, verbockt und sinn, wenn man vor diesen Tatsachen die Augen ver- bar jeder Einsicht. schließt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne (Beifall bei der SPD - Otto Schily [SPD]: Der ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Staatssekretär macht das auch!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16045 Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Wir brauchen ein Gesetz zur Steuerung der Zuwan- standteil zu erklären. Einig sind wir uns auch darin, derung und zur Förderung der Integration. Nötig ist ein daß eine Expertenkommission regelmäßig eine Emp- Konzept, das fair, ehrlich und beständig die Belange fehlung zur Aufnahmekapazität geben soll. der einheimischen Bevölkerung mit unserer Verpflich- tung in Einklang bringt, die sozialen, ökonomischen Aber ich will auch mit Kritik nicht hinterm Berg und politischen Aufgaben angesichts der anhaltenden halten. Ich meine, Sie gehen in Ihrem Einwande- Migration zu bewältigen. Dem dient unser Antrag. rungsgesetz und auch in Ihrem Niederlassungsge- setz zu weitläufig mit dem Familiennachzug um, so Folgendes muß klar sein: wünschenswert manches daran auch sein mag. Erstens. Der Zuzug von Asylsuchenden, Kriegs- Weiter: Spätaussiedler mit anderen Einwande- flüchtlingen und nachziehenden Familienangehöri- rungswilligen gleichzusetzen geht so kurzfristig, wie gen läßt sich nicht mit Quoten festlegen; dafür gibt es Sie es meinen, nicht. Ich halte es auch für falsch, im nämlich internationale Vereinbarungen zum Schutz Gesetz eine Zahl von bis zu 440 000 Zuwanderern pro der Menschenrechte und Ansprüche, die sich aus un- Jahr festzulegen. serem Grundgesetz herleiten. Das ist auch gut so. Die Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John - Zweitens. Zuwanderung kann jedoch do rt politisch CDU, wie Sie wissen - sagt in ihrem grundsätzlichen gestaltet und durch eine Quotierung gesteuert wer- Plädoyer für ein Zuwanderungsgesetz aber auch fol- den, wo sie sich ansonsten andere Ventile suchen gendes - ich zitiere sie -: würde. Das erleben wir alle ja tagtäglich. Wer i llegale Beschäftigung und ruinöse Konkurrenz durch Lohn- Quoten festsetzen heißt nicht Köpfe zählen, son- dumping eindämmen und die Asylverfahren entla- dern ein Bandbreitenmodell schaffen. sten will, muß eigentlich für ein solches Zuwande- Ich finde, darin hat sie recht. Diesem Ziel kommt rungsgesetz sein. unser Antrag sehr viel näher. Wir machen ein faires Drittens. Die angespannte Situation in Deutsch- Angebot, und wir zeigen zugleich - ich meine, das land und die anhaltend hohe Erwerbslosigkeit lassen müssen wir auch - Zuwanderungswilligen ein unge- es jetzt und für die absehbare Zukunft nicht zu, daß schöntes Bild über Bedingungen und Chancen ihres wir neue Wanderungsbewegungen auslösen oder Zuzuges. dazu anregen. Das muß man ganz deutlich sagen. Schließlich, meine Damen und Herren, gäbe es Genau deshalb, Herr Zeitlmann, fordern wir ein Ge- noch einen weiteren Gesetzentwurf, nämlich einen setz, das an jährliche Zuwanderungsquoten durch- von der F.D.P., aber den hat sie nicht vorgelegt. Sie aus strenge Kriterien anlegt. Denn politische Steue- hat ihn nur auf Parteiebene diskutiert, damit der rung ist möglich und auch nötig, wo es den Erf order- flinke Herr Westerwelle auch einmal einen anderen nissen des Arbeitsmarktes und auch der demogra- Akzent setzen kann als die ungebremste Klientelpo- phischen Entwicklung entspricht. litik zugunsten der Begüterten in diesem Lande. (Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Das ent (Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.) spricht nur nicht der Logik! Nullquote!) Die F.D.P. will nämlich die Zuwanderung gesetz- Unsere Vorschläge beziehen sich in erster Linie auf lich regeln, so wissen wir. Aber es fehlt ihr der den wirtschaftlich motivierten Zuzug, aber wir be- Mumm, dazu eine ordentliche parlamentarische Vor- rücksichtigen auch humanitäre Gesichtspunkte und lage zu machen, wie es sich ziemt, wenn wir etwas die berechtigten Interessen des Herkunftslandes. Wer hier in diesem Parlament in Gang setzen wollen. allerdings auf der Grundlage der st rikten Vorbedin- gungen, die wir stellen, eine Zuwanderungserlaubnis- (Beifall bei der SPD und dem BÜND erhält, hat dann aber auch einen festen Anspruch auf NIS 90/DIE GRÜNEN) Hilfen zur Beratung und zur Eingliederung. Wir ha- Meine Damen und Herren auf der rechten Seite die- ben bewußt die Form des Antrags gewählt, weil wir eine offene Diskussion über dieses Thema jetzt wol- ses Hauses, wie wäre es denn, so Sie das wirklich len, und zwar ab jetzt, durchaus auf die Zukunft ge- wollen, wenn Sie einmal Ihre koalitionsinterne richtet. Ich glaube, das wird unserer Demokratie und Kampfeslust nicht nur als beherzte Steuersenker ein- der Meinungsbildung im Parlament guttun. setzten und austobten, sondern mit klaren Voten für eine integrationsorientierte Einwanderungspolitik (Beifall bei der SPD) und die gleichberechtigte politische Teilhabe für hier Daß es ein Gesetz zur Regelung der Einwanderung lebende Ausländer durch eine moderne Staatsange- geben soll, haben inzwischen alle im Bundestag ver- hörigkeitsgesetzgebung? Es wäre doch ganz schön, tretenen Parteien eingesehen mit Ausnahme der wenn die F.D.P. einmal alte und längst verschüttete CDU/CSU in ihrer Gesamtheit; aber auch do rt brök- Tugenden wiederentdeckte. kelt die einheitliche Ablehnungsfront, und der In- (Zurufe von der SPD und der F.D.P.) nenminister gerät mit seiner starren Abwehrhaltung zunehmend in die Isolation. Sie werden das noch - Wir wollen Ihnen nicht zu viele gute Ratschläge ge- weiter erleben. ben, aber ich fände das im Interesse der Sache ganz gut. Ich möchte auch eine Bemerkung zum Gesetzent- wurf von Bündnis 90/Die Grünen machen. Richtig er- Meine Damen und Herren, gerade in den vergan- scheinen mir Analyse und Ansatz. Ebenso richtig ist genen Monaten hat sich die Bundesrepublik auch in die Forderung, Integrationshilfen zum festen Be- der internationalen Gemeinschaft kein gutes Emp- 16046 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast fehlungsschreiben ausgestellt. Ich erinnere an die Vi- formvorstellungen zum Staatsangehörigkeitsrecht im sums- und Aufenthaltsgenehmigung für jugendliche Plenum zu befassen. Wir haben uns diesem Druck Ausländer, die sich nicht positiv auswirkt und bei nicht gebeugt, und wir werden das auch heute nicht den Betroffenen kontraproduktiv zur Integration tun, und zwar einfach deswegen nicht, weil das nie- wirkt. Ich erinnere auch an die jetzt nötigen Bonitäts- mand außer Ihnen will, und das deutsche Volk schon erklärungen für die Beherbergung ausländischer Be- gar nicht. sucher. Ich erinnere an die Denkspiele in Kreisen der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Union über erschwerte Arbeitsaufnahmebedingun- gen für nichtdeutsche Bewerber um einen Arbeits- Unser Ziel ist vielmehr die Integration der auslän- platz. dischen Bevölkerung, und daran werden wir arbei- ten. Meine Damen und Herren, wenn das so weiter- geht, dann entwickelt sich unsere Republik zu einem muffigen Staat der Schikanen und der Abwehr. Das Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege wollen wir nicht, und deshalb wird die SPD so lange Marschewski, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Druck machen, bis Sie sich endlich eines Besseren Abgeordneten Schily? besinnen. Ich danke für die Aufmerksamkeit. Erwin Marschewski (CDU/CSU): Bitte schön, Herr Kollege Schily. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Otto Schily (SPD): Herr Kollege Marschewski, trifft es zu, daß im Bundesinnenministerium ein fertiger Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Nun gebe ich Entwurf für die Reform des Staatsangehörigkeits- dem Abgeordneten Erwin Marschewski das Wo rt. rechts vorhanden ist? (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Also so Erwin Marschewski (CDU/CSU): Herr Präsident! etwas Gemeines!) Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Re- form des Staatsangehörigkeitsrechts ist zweifellos ein Wenn er nicht vorgelegt wird, ist Ihnen bekannt, nicht unwichtiges Thema. Das ist klar. Aber es ist warum er nicht vorgelegt wird? nicht das wichtigste Thema der Innenpolitik und schon gar nicht deutscher Politik. Daher hielten wir Erwin Marschewski (CDU/CSU): Ganz herzlichen es für notwendig, uns zu Beginn dieser Legislaturpe- Dank. Meine Damen und Herren, ich werde gleich riode zunächst andere Vorhaben vorzunehmen, die darüber berichten. Wir sind dabei, unsere Koalitions- für die Zukunft unseres Landes entscheidender sind. aussage selbstverständlich zu erfüllen. Das ist doch gar keine Frage. Wir haben im Bereich der Innenpoli- Die Menschen wollen die notwendigen Reformen. tik Beträchtliches geleistet. Dem stimmen Sie zu; Sie Sie wollen, daß diese Reformen durchgesetzt wer- stimmen im Vermittlungsausschuß vielem zu, weil den, um Arbeitsplätze zu schaffen und zu sichern. Sie erkennen, daß das eine gute Politik ist, Herr Kol- Gerade hier, meine Damen und Herren, sollte die lege Schily. SPD ihre Verweigerungshaltung gegenüber der Ren- tenreform, gegenüber der Gesundheitsreform und Wir werden auch das Staatsangehörigkeitsrecht gegenüber der Steuerreform aufgeben; denn das selbstverständlich in dieser Legislaturperiode neu sind die wichtigsten Themen dieses Landes. ordnen. Das ist unser Versprechen, und das werden wir einhalten. Zur Innenpolitik: Wir wollen erstens eine- große Dienstrechtsreform, die wir zum großen Teil verwirk- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU licht haben. Sie ist nötig. Wir wollen zweitens den und der F.D.P.) Kampf gegen die organisierte Kriminalität. In der Frage der Kriminalitätsbekämpfung sind wir in Eu- Es geht natürlich darum, Fragen zu klären. Wir ropa Spitze, und das wollen wir weiterhin sein. Drit- wollen, daß Ausländer integriert werden. Was heißt heißt - das beispiels- tens wollen wir eine tatsächliche Zuwanderungsbe- denn Integration? Integration grenzung. Das sind die wichtigen Aufgaben dieses weise ist Gegenstand unseres Staatsangehörigkeits- rechts -, daß sich jemand kulturell, sozial und recht- Landes. lich einordnet. Das wird auch im neuen Staatsange- Natürlich ist es bekannt, daß das Staatsangehörig- hörigkeitsrecht stehen. Daß derjenige, der Deutscher keitsrecht, das aus dem Jahre 1913 stammt, veraltet werden will, vor allen Dingen das Grundgesetz ak- und reformbedürftig ist. Das ist klar. Aber es handelt zeptiert - zum Beispiel, Frau Kollegin Sonntag-Wol- sich in diesem Bereich um eine äußerst sensible Ma- gast, akzeptiert, daß Männer und Frauen gleichbe- terie; denn dieses Recht regelt das Grundverhältnis rechtigt sind -, gilt für alle Ausländer. Das ist eine zwischen Staat und Bürger und berührt damit das ganz wichtige Bestimmung. Er muß, wenn er die Selbstverständnis der Menschen in diesem Lande. deutsche Staatsangehörigkeit bekommt, auf die aus- Daher muß diese Reform äußerst behutsam angegan- ländische verzichten. gen werden. Das haben wir getan, und das werden Wir haben diese Politik stets verfolgt, Herr Kollege wir weiterhin tun. Schily. Wir werden den Gesetzentwurf vorlegen, und Sie, die SPD und die Grünen, haben schon mehr- deswegen ist der Vorwurf der Untätigkeit völlig halt- fach erfolglos versucht, uns mit fragwürdigen Re- los. Wir haben größte Vorhaben der Innenpolitik be- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16047 Erwin Marschewski reits verwirklicht. Es ist das letzte große Vorhaben, muß er ausgewiesen werden. Ich bedanke mich bei das wir anfassen werden. Wir tun das deswegen, der SPD, daß wir in diesen Fragen zu einer Meinung meine Damen und Herren, weil wir Politik zum Wohl gekommen sind. Das ist eine vernünftige Ausländer- des deutschen Volkes machen und nicht, wie Sie in politik: Integration für die hier lebenden ausländi- vielen Bereichen, Verweigerung betreiben. schen Mitbürger und natürlich Ausweisung für dieje- nigen, die Gewalt ausüben und das Recht brechen. Ich will Ihnen einmal aufzählen, was wir in der Ver- gangenheit bereits getan haben. Ich mache das, weil Ein weiteres Problem ist der Zuzug nach Deutsch- meine Kollegen, meine Freunde und ich sehr maß- land. Der Zuzug ist zu hoch; er muß wirksam und geblich daran beteiligt waren. Wir haben 1991 das dauerhaft begrenzt werden. Wir haben 4,3 Mi llionen Ausländergesetz liberalisiert. Wir haben zweitens im Arbeitslose und deswegen geht es darum, mißver- Asylkompromiß - ich sehe gerade den ehemaligen ständliche Signale in Richtung mehr Aufnahmebe- Innenminister vor mir -, daran gearbeitet, das Aus- reitschaft in jedem Falle zu vermeiden. Solche Miß- länderrecht - Herr Kollege Seiters, das war damals verständnisse entstehen eben durch die Forderung Ihre Leistung - zu verbessern. nach einem Zuwanderungsgesetz. Da man nicht be- reit ist, den individuellen Anspruch auf Asylrecht in Wir haben - ich glaube, als einziger Staat in der eine institutionelle Garantie umzuwandeln und das Welt - gesetzliche Einbürgerungsansprüche, die so- Recht auf Familienzuzug einzuschränken, führen die gar einklagbar sind. Wir haben die Aufenthaltsfristen Vorschläge zu einer Erhöhung der Zuwanderungs- verkürzt, und wir haben die Einbürgerungsgebühren rate. Dies will niemand in Deutschland; dies wi ll beträchtlich gesenkt. Dies hat zu dem Ergebnis ge- auch die Union nicht. führt, daß sich die Zahl der Einbürgerungen auf 70 000 mehr als verdoppelt hat. Dies gilt auch für die (Beifall bei der CDU/CSU - Zuruf von der Einbürgerung türkischer Mitbürger. SPD) Für uns ist dabei eines klar: Die generelle Zulas- Konkret zu Ihrem Gesetzentwurf: Sie wollen eine sung der doppelten Staatsbürgerschaft ist für uns jährliche Höchstgrenze für die Aufnahme von Aus- nicht diskutabel. Sie birgt die Gefahr in sich, daß sich ländern. Dies könnten wir, wäre diese Höchstgrenze der betreffende Ausländer der Integration verwei- zu verwirklichen, Frau Kollegin, akzeptieren. Daß gert, weil ihm, Herr Kollege Schily, ohnehin die deut- Sie dies aber nicht wollen, zeigt Ihre Politik und Ihr sche Staatsangehörigkeit verliehen wird. Sie kennen Bestreben im Innenausschuß des Bundestages. die weiteren Probleme. Es ist doch nicht anachroni- (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Dann stisch, wenn ich sage: Deutsche Staatsbürgerschaft müssen Sie einmal den Text unseres Antrags bedeutet die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft. lesen!) Ich sage auch: Schicksalsgemeinschaft. In diese darf man nicht nach Geschmack eintreten und austreten. Sie sind doch kaum dafür, daß man abgelehnte Asyl- Doppelte Staatsbürgerschaft, wie sie die Grünen wol- bewerber - „das machen doch sozialdemokratisch re- len, führt doch zu einer Rückversicherungsmentali- gierte Länder nicht" - abschiebt. Sie sind stets für tät, zu Rechtsproblemen im Bereich des Familien- eine Zuwanderung. Sie, aber nicht alle Kollegen von rechts und im Bereich des Erbrechts. der SPD, wollen Zuwanderungserleichterungen im Rahmen des Ausländerrechtes schaffen. Sie kommen Nun zu Ihrem Antrag. Sie wollen die doppelte immer wieder gebetsmühlenartig mit neuen Altfall Staatsangehörigkeit für hier geborene Ausländer. regelungen. Haben Sie denn gefragt, ob die Ausländer, zum Bei- spiel die türkischen Mitbürger, dies überhaupt wol- Zu Ihrem Vorschlag, daß Sie Asylberechtigte, Aus- len? Wollen Sie ihnen die doppelte Staatsbürger-- länder, die aus tatsächlichen rechtlichen Gründen in schaft gegen ihren Willen aufdrängen? Ich frage wei- Deutschland bleiben, Spätaussiedler-, Kriegs- und ter: Ist dies wirklich integrationsfördernd? Sie haben Bürgerkriegsflüchtlinge anrechnen wollen. Das er- die Verpflichtung, dafür den Beweis zu erbringen. gibt eine Zahl von 850 000 Menschen im Jahre Ich wäre für diese Lösung zu gewinnen, wenn Sie 1995. Wenn Ihr Gesetzentwurf verwirklicht würde, den Beweis für die Wirksamkeit erbringen könnten. dürften nach Ihrer Rechnung 850 000 Menschen hier- Ich bitte Sie daher, diesen Beweis zu erbringen. An- bleiben. Das sind mehr, als wir in Deutschland auf- sonsten hätte Montesquieu recht: Wenn es nicht not- nehmen können und in Deutschland brauchen. Das wendig ist, ein Gesetz zu erlassen, dann ist es besser, bedeutet, daß die Einwanderungsquote stets Null keines zu erlassen. - Bis zu dem Beweis werden wir wäre; Null wie Ihr Handeln im Bereich der Innenpoli- uns danach richten. tik. Unser Ziel ist es, das Ausländerrecht zu novellie- Ihre Pläne sind unausgegoren und unschlüssig; sie ren. Herr Kollege Schily, dankenswerterweise sind sind eine Mogelpackung. Sie wollen 850 000 pro Jahr wir uns da sehr nahe gekommen, wo es darum geht, vorweg akzeptieren. Nein, meine Damen und Her- die Situation für junge, ältere und behinderte Aus- ren, wir brauchen keine weitere Einwanderung. länder zu verbessern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ein zweites ist uns genauso wichtig. Es geht uns Wir sind kein Einwanderungsland. Wir brauchen darum, Gewalt zu verhindern. Es ist völlig richtig, vielmehr wirkliche Zuwanderungsbeschränkungen. daß auch Sie diese Auffassung vertreten. Ich be- danke mich dafür. Wenn jemand in Do rtmund de- Nun haben Sie dieser Tage eine Presseerklärung monstriert und die Stadt kurz und klein schlägt, dann abgegeben. Darin fordern Sie die politische, parla- 16048 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Erwin Marschewski mentarische Auseinandersetzung. Wir stellen uns ken Sie dies, meine Damen und Herren der SPD- dieser Aussetzung. Wir treten mit dieser Frage vor Fraktion und der Fraktion der Grünen! unser Volk. Sie werden sehen, was das deutsche Ganz herzlichen Dank. Volk zu Ihren Vorschlägen sagt. (Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Willfried (Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!) Penner [SPD]: Da hat sich der Marschewski An die „vollständig versammelte" Fraktion der in Kasachstan feiern lassen, daß sie den Grünen ein paar Worte zu ihrem Vorschlag. Zu dem, Art. 116 unberührt lassen!) was die generelle doppelte Staatsbürgerschaft anbe- trifft, habe ich bereits einiges ausgeführt. Weiterhin Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe dem wollen Sie, wenn ich Ihren Gesetzentwurf richtig ver- Abgeordneten Cem Özdemir das Wo rt. stehe, eine Erhöhung der Einwanderung in Deutsch- land. Sie wollen, daß der Familiennachzug auf Le- benspartnerinnen und Lebenspartner ausgedehnt Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr werden soll. Präsident! Meine Damen und Herren! In seiner vielbe- achteten Rede hat der Bundespräsident in Ber lin - - (Zuruf von der SPD: Was ist das?) (Dr. Willfried Penner [SPD]: Ich dachte, der - Ich weiß es nicht; das ist unbestimmt und erweitert Marschewski!) die Zuwanderung. - Sie wollen zudem die Ausdeh- nung auf gleichgeschlechtliche Paare. - Nein, in dem Fall war es der Bundespräsident. Die Reden des Bundespräsidenten werden Gott sei Dank Meine Damen und Herren, zu letzterem: Ich rufe in etwas mehr beachtet als die Reden des Kollegen diesem Bereich wahrhaftig nicht nach der Vergan- Marschewski. genheit; damit das klar ist. Aber hier wird ein Rege- lungsbedürfnis gefordert, gleichgeschlechtliche (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Paare als Verwirklichung von Art . 6, dem Schutz von sowie bei Abgeordneten der SPD) Ehe und Familie, im Einwanderungsgesetz einzube- Er hat in seiner Rede wörtlich gesagt: ziehen. Manche Leute in dieser Republik haben, ich sage nicht: den Verstand - das möchte ich aber am Uns fehlt der Schwung zur Erneuerung, die Be- liebsten sagen -, aber doch jedes Maß verloren, reitschaft, Risiken einzugehen, eingefahrene wenn sie fordern, dies im Zuwanderungsgesetz auf- Wege zu verlassen, Neues zu wagen. Ich be- zunehmen. haupte: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) - so der Bundespräsident weiter - Wir wollen eine konsequente Begrenzung der Zu- Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein wanderung. Dies geht durch konsequente Anwen- Umsetzungsproblem. dung des Ausländerrechts, durch nicht immer neue Die Rede des Herrn Kollegen Marschewski war ein Altfallregelungen und meines Erachtens nur durch beredtes Beispiel dafür, daß diese Regierung jede A rt eine Grundgesetzänderung, insbesondere einer Än- von Reformpotential verloren hat, nicht nur in der derung der Artikel 6, 16a und - vielleicht in begrenz- Frage des Staatsangehörigkeitsrechtes. Wir haben es tem Maße; das Denken soll nicht verboten sein - gestern verfolgen dürfen: Sie haben keine Luft mehr, 116. Dies sollte man vielleicht einmal überdenken. eines der dringendsten Probleme dieser Republik in (Dr. Willfried Penner [SPD]: Das haben Sie Angriff zu nehmen. ausgeschlossen!) - (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Ja, Herr Kollege Penner. Nur das führt zu einer sowie bei Abgeordneten der SPD) wirksamen Begrenzung der Zuwanderung. Ich biete Mehr als 80 Jahre hat das Staatsbürgerschaftsrecht Ihnen an - ich habe da Erfahrungen -, in Deutschland mittlerweile auf dem Buckel. Eine ko- (Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ härente Einwanderungsintegrationspolitik, die der NEN]: Allerdings haben Sie da Erfahrung!) Tatsache Rechnung trägt, daß sich die Gesellschaft verändert hat, daß wir nicht mehr in der Gesellschaft wie beim Asylkompromiß gemeinsam mit uns eine der Adenauer-Ära leben, ist von dieser Regierung Regelung anzustreben. Nur dies wäre ehrlich und ganz offensichtlich nicht zu erwarten. wirksam, Herr Kollege Dr. Penner, nicht Ihr Vor- schlag. Der führte zu mehr Zuwanderung, die wir (Uta Titze-Stecher [SPD]: Die sind noch bei nicht wollen. Bismarck!) Zum Schluß: Die Integration der hier lebenden - Stimmt, die sind noch auf dem Niveau von Bis- Ausländer - an diesem Ziel arbeiten wir- muß geför- marck. dert werden. Aber nur derjenige, der integriert ist, (Widerspruch der Abg. Ecka rt von Klaeden darf erwarten, daß wir ihm die deutsche Staatsange- [CDU/CSU] und Andreas Krautscheid hörigkeit verleihen werden; denn es hat doch keinen [CDU/CSU]) Sinn, dies anders zu regeln. Es darf doch hier in Deutschland keine Menschen geben, denen wir zwar - Ich nehme es zurück, nicht die gesamte Fraktion, die Staatsangehörigkeit verliehen haben, die aber nur ein Teil der Fraktion. Ich habe genau aufgepaßt, letzten Endes Fremde in Deutschland sind. Beden- wer wann geklatscht hat. Der Bruch geht mittlerweile Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16049

Cem Özdemir quer durch die Unionsfraktion. Man sieht es schon Integration, nicht einen Fahrplan des Ausländerda- bei der Sitzordnung. Das scheint mir ganz erstaunlich seins in dieser Gesellschaft. zu sein. Wenn wir in dieser Frage jetzt noch eine spontane Abstimmung hinkriegen könnten, hätten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wir, so glaube ich, doch ganz spannende Mehrhei- sowie bei Abgeordneten der SPD - Cornelia ten. Schmalz-Jacobsen [F.D.P.]: Das gehört auch zusammen!) Aber zurück zum Thema: Nach wie vor ist das Kri- - Das gehört zusammen, Frau Schmalz-Jacobsen. terium die Abstammung von deutschen Eltern oder Deshalb sind wir sehr gespannt darauf, wie die An- einem deutschen Elternteil. In der Koalitionsverein- kündigung von Herrn Gerhardt, dieses Thema zum barung vom November 1994 heißt es wörtlich: Chefthema zu erklären, zu we rten ist. Wir sind sehr Die Bundesregierung wird eine umfassende gespannt auf Ihre Vorschläge. Wir sind vor allem dar- Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vorneh- auf gespannt, wie Sie sich in der Koalition bei diesem men ... Die im Einbürgerungsverfahren bisher Thema durchsetzen werden. Ihre steuerpolitischen vorgesehenen Ermessensentscheidungen sollen Vorschläge haben wir zur Genüge vernommen; viel- weitgehend durch Rechtsansprüche leicht haben Sie ja auch zu diesem Thema Vor- schläge und können einen Teil davon in der Koalition - man höre und staune - durchsetzen. ersetzt und Fristen beim Erwerb der deutschen (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Ja, davon Staatsangehörigkeit verkürzt werden. würde ich einmal ausgehen!) Bei der Ankündigung ist es bisher geblieben, ob- - Sehr schön. Sie haben im Anschluß ja noch Gele- wohl wir eine Mehrheit in diesem Hause haben, dar- genheit zu reden. unter, wie gesagt, auch viele Kollegen vom rechten Wir schlagen vor, in diesem Einwanderungsgesetz Rand dieses Hauses. Das heißt, diese Mehrheit die Fragen der Familienzusammenführung und der kommt nicht zum Tragen, weil der Fraktionszwang Arbeitsaufnahme zu regeln. Wir haben ausdrücklich offensichtlich wichtiger ist als eines der dringendsten nicht vorgeschlagen, daß erst die Menschen ins Land Probleme in dieser Gesellschaft. Wieviel Zeit wollen kommen und wir dann einmal schauen, wie wir mit wir eigentlich noch verlieren, bevor wir anfangen, ihnen zurechtkommen. Vielmehr steht klar im Ge- die Ärmel hochzukrempeln und dieses Problem in setzentwurf, daß es vor der Einreise eine Arbeits- Angriff zu nehmen? Dabei hat niemand von der Op- platzgarantie geben muß. Dies ist, so glaube ich, Bei- position bisher verhehlt, daß es auch Probleme gibt spiel dafür, daß wir uns sehr wohl Gedanken darüber im Zusammenleben von Deutschen und Nichtdeut- machen, wie wir die Probleme in dieser Gesellschaft schen. Niemand von der Opposition hat bisher ver- lösen können. hehlt, daß wir auch die Mehrheit der Bevölkerung dieses Landes überzeugen müssen, gewinnen müs- Ich möchte noch etwas zur Frage der doppelten sen für ein gemeinsames Miteinander, Staatsbürgerschaft sagen, weil ich den Eindruck habe, daß dies der entscheidende Punkt ist und (Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Aha!) hierzu Meinungsunterschiede offensichtlich nicht genauso wie wir die Interessen der Nichtdeutschen nur in diesem Hause, sondern auch in der Gesell- dieser Gesellschaft einbeziehen müssen. schaft vorhanden sind. Mir scheint eine grundsätzli- che Verständigung in dieser Frage - guten Willen na- Wir legen Ihnen heute zwei Gesetzentwürfe vor. türlich vorausgesetzt - durchaus möglich. Wir haben Der eine hat sich zum Ziel gesetzt, die Lebenssitua- kürzlich den Vorschlag gemacht, zwischen einer ru- tion von sogenannten Ausländern und Ausländerin- henden und einer aktiven Staatsbürgerschaft zu un- nen zu verbessern durch ein Niederlassungsgesetz, terscheiden. Die Experten, die sich mit diesem das der Situation gerechter wird als das Ausländer- Thema beschäftigen - Frau Schmalz-Jacobsen und gesetz, wie wir es bisher haben. Der andere bemüht andere -, kennen diesen Vorschlag. Ich denke, daß sich um eine transparente und sozialverträgliche Re- eine ruhende und aktive Staatsbürgerschaft eine pro- gelung von Einwanderinnen und Einwanderern. Wir blemadäquate Lösung beinhaltet. In einem solchen wollen über dieses Einwanderungsgesetz künftig die Konzept werden die Rechte und Pflichten von Dop- Frage der Zuwanderung regeln. pelstaatlern wie Wahlrecht, wie beispielsweise auch Wehrpflicht zwischen dem Herkunftsland und der Ich denke, daß diese zwei Gesetze wichtig sind für Aufnahmegesellschaft in bi- oder multilateralen Ab- das Zusammenleben in dieser Gesellschaft. Aber ei- kommen geregelt. nes ist klar: Auch ein Einwanderungsgesetz und ein Niederlassungsgesetz machen so lange keinen Sinn, Spanien beispielsweise hat seine Beziehungen zu wie die Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes Lateinamerika auf diese Weise geregelt und hat bis- nicht in Angriff genommen worden ist. her sehr gute Erfahrungen damit gemacht. Warum sollten wir dieses Problem, beispielsweise in bezug (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf die größte Gruppe von nichtdeutschen Men- und bei der SPD) schen, die bei uns lebt - zwei Millionen Menschen aus der Türkei -, nicht auf diesem Wege lösen? Es macht mit Sicherheit keinen Sinn, Menschen ins Land zu holen, die dann wieder eine Kar riere als Ich denke, mit dieser vernünftigen Lösung könnte Ausländer beginnen. Wir wollen einen Fahrplan der man sowohl den Interessen der Menschen, die hier 16050 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Cem Özdemir leben, als auch denen der Nichtdeutschen in unserer Ich darf mit einer Bitte schließen: Warum können Gesellschaft Rechnung tragen. Wenn Sie Interesse sich nicht einmal alle Abgeordnete, die Interesse an an einer Lösung dieses Problemes haben, bitte ich einer Lösung dieser Frage haben - ganz unabhängig Sie, sich mit diesem Thema ausführlicher zu beschäf- von der Fraktionszugehörigkeit und dem Parteibuch tigen. Ich glaube, das könnte eine Lösung sein, mit -, zusammensetzen, ihre Vorschläge vorbringen und der wir uns in diesem Hause vernünftig aufeinander gemeinsam nach einer vernünftigen Lösung Aus- zubewegen könnten. Ich erkläre es Ihnen gerne schau halten? nachher noch einmal ausführlich, wie es geht. (Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Pizza In der Bundesrepublik Deutschland leben mittler- Connection!) weile mehr als 2 Millionen Bürger mit doppelter Die Frauen haben es uns bei der Vergewaltigung in Staatsbürgerschaft. Jede sechste Ehe ist mittlerweile der Ehe vorgemacht. Wir sollten noch einmal zeigen binational. Die Kinder, die aus diesen Ehen hervorge- können, daß eine Mehrheit der Abgeordneten dieses hen, haben ebenfalls völlig legal die Mehrstaatlich- keit. Der Grundsatz der Vermeidung der Mehrstaat- Hauses in der Lage ist, dieses Problem zu lösen, ohne mit ideologischen Scheuklappen an die Sache heran- lichkeit ist also längst national wie international über- zugehen. holt. Mir ist übrigens auch nicht bekannt, daß diese 2 Millionen Menschen mit doppelter Staatsbürger- Ich danke Ihnen. schaft, wie es die Ausführungen von Herrn Mar- schewski nahelegen, ständig zum Therapeuten ren- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nen und dort auf die Couch müssen, weil sie Loyali- sowie bei Abgeordneten der SPD) tätskonflikte haben und nicht wissen, zu welchem Volk sie gehören. Mir ist dieses bisher nicht unterge- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das kommen, im Gegenteil, ich habe den Eindruck, daß Wort der Abgeordneten Corne lia Schmalz-Jacobsen. man ganz gut damit leben kann und es sehr wohl möglich ist. Cornelia Schmalz-Jacobsen (F.D.P.): Herr Präsi- Bei einem aktuellen Beispiel bitte ich Sie, ebenfalls dent! Meine Kolleginnen und Kollegen! Es gibt mit- eine unbürokratische Lösung zu finden: Es handelt unter bizarre Erhebungen, wie jene, die zu folgen- sich um die Iraner, die ganz besonders betroffen dem Ergebnis gekommen ist: 80 Prozent der jugend- sind. lichen Türken, die in Köln leben, sind auch do rt ge- boren, aber nur 75 Prozent der jugendlichen Deut- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS schen, die in Köln leben, sind dort geboren. Es ist so SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) bizarr, weil es eigentlich nicht so schrecklich viel Meine Kollegin Dietert-Scheuer wird auf dieses über Integration, sondern nur etwas über die Bleibe Thema noch ausführlicher eingehen. Gerade nach zeit aussagt. Ich denke, daß solche Erhebungen ein dem Mykonos-Urteil können wir uns das skandalöse Schlaglicht auf die Art und Weise unserer Diskussion Vorgehen nicht mehr leisten, Iraner zu zwingen, auf werfen. die iranische Botschaft zu gehen, um do rt die Aus- Ich habe vor mehreren Jahren hier gesprochen und bürgerung zu beantragen. Es handelt sich um keine gesagt, man solle zwei Themen aus dem Giftschrank Menschen, die die doppelte Staatsbürgerschaft wol- nehmen, nämlich die Themen Einwanderungsland len, sondern sie sind darauf angewiesen, weil es gar und doppelte Staatsbürgerschaft. Aus dem Schrank nicht anders geht. Diesen sollten wir doch bei allem sind sie nun heraus. Das ist schon einmal einen Streit um die doppelte Staatsbürgerschaft eine unbü- Schritt weiter; sie liegen nämlich auf dem Tisch. Es rokratische Lösung ermöglichen. gibt sehr viel mehr Diskussionen, auch wenn man - (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN manchen Diskussionen eine gewisse Giftigkeit nicht sowie bei Abgeordneten der SPD und der absprechen kann. PDS) Ich möchte mich bemühen, hier sehr sachlich und ohne Schärfen zu reden. Im übrigen sprechen wir ja Zum Abschluß möchte ich Bezug auf das nehmen, hier nicht nur miteinander, sondern auch für die Öf- was Kanzler Kohl gesagt hat: Er bat oder forde rte auf fentlichkeit in Deutschland; das ist übrigens etwas - ich weiß nicht, wie das bei ihm zu verstehen ist - anderes als die deutsche Öffentlichkeit. man möge doch etwas bei den ausländischen Kin- dern tun. Generalsekretär Hintze hat es offenbar als (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Aufforderung verstanden, einen originellen Beitrag ten der CDU/CSU, der SPD und des beizusteuern. Sein Vorschlag einer Kurzzeitstaatsan- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) gehörigkeit zwischen Schulalter und Volljährigkeit ist noch einmal eine Variation, Ich möchte den Standpunkt meiner Fraktion und der Freien Demokratischen Partei darlegen. (Zuruf von der SPD: Was ist das denn?) Zunächst einmal möchte ich auf die Frage zu spre- diese Schnupperstaatsangehörigkeit ist eine intellek- chen kommen, wie die Realität aussieht. Umfassende tuelle Meisterleistung. Offensichtlich führt jedes wei- gesetzliche und politische Antworten auf die Heraus- tere Verzögern einer Lösung dazu, daß immer aben- forderung durch die Migration und ihre Folgen feh- teuerlichere Vorschläge von seiten der Koalition len leider nach wie vor. Es gibt zwar Ansätze, aber kommen. Es wird Zeit, daß wir aus den vorhandenen umfassend und konzise sind sie leider nicht. Jahre- Vorschlägen eine gute Lösung finden. lang hieß es - übrigens parteienübergreifend -, die Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16051

Cornelia Schmalz-Jacobsen Bundesrepublik sei kein Einwanderungsland. Heute Zahlen, sondern zunächst einmal nach Zielen zu fra- ist das zum Glück nicht mehr so parteienübergrei- gen ist. fend der Fall; aber durch diese Lebenslüge wurde (Otto Schily [SPD]: Wann ist irgendwann?) jahrelang eine der wichtigsten gesellschaftspoliti- schen Aufgaben tabuisiert und blockiert. - Herr Kollege Schily, das Irgendwann gilt für uns beide. Sie haben ja nun ein Eckpunktepapier in Ihrer (Zustimmung des Abg. Cem Özdemir Fraktion vorgelegt. Ich frage Sie: Wird sich irgend- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEND) wann die SPD auf einen Gesetzentwurf einigen? Zugleich wurde übrigens einer der brisantesten (Zuruf von der CDU/CSU: Nein, sagt er!) Gestaltungsbereiche vernachlässigt. Das hat sich ge- zeigt, und es zeigt sich immer wieder: Es gibt immer Jede weitere Erkenntnisverweigerung und jede noch und immer wieder fremdenfeindliche Strafta- defensive Vernachlässigung aus Angst vor dem Bür- ten; ihre Zahl ist deutlich höher als vor der deutschen ger als Wähler halte ich für fahrlässig. Die Migration Vereinigung. Es gibt die Kriminalität gewaltbereiter und ihre Folgen werden uns auch weiter begleiten. junger Ausländer und gewaltbereiter junger Aus- Ausländerpolitik reicht als Antwort auf Einwande- siedler; Frau Kollegin Sonntag-Wolgast hat es ange- rungsfragen nicht aus. Das ist zwar unbequem und sprochen. schwierig, aber wir müssen es leisten. Ein Blick auf die Zugewanderten: Sie sind nicht Mit der ungeregelten Einwanderung und der häu- nur passiv Betroffene, sie sind immer auch Akteure. fig demagogischen Auseinandersetzung darüber so- In ihrer Mehrheit waren sie jahrelang und sind wohl wie mit der Unübersichtlichkeit der Situation wird zum Teil immer noch unschlüssig in einem Zustand die Zuwanderung von vielen Menschen in unserem zwischen unbefristetem Arbeitsaufenthalt und unge- Land als Bedrohung empfunden. Darum ist für den klärter Einwanderungsabsicht. Wir haben nun also gesamten Bereich des Wanderungsgeschehens und eine Einwanderungssituation ohne Einwanderungs- natürlich auch für die Folgeprobleme eine realitäts- land; gleichzeitig haben wir ein Einwanderungsland nahe und - ich wiederhole - umfassende, auf klare ohne klare Einwanderungsentscheidungen der Da- Rechtsgrundlagen gestützte Politik für Migration, In- zugekommenen. tegration und Minderheiten überfällig. Sie muß lang- fristig angelegt sein und Abwägungen mit dem Ar- Wer zum Einwanderungsland wider Willen gewor- beitsmarkt, dem Wohnungsmarkt, der Sozialpolitik den ist, meine Damen und Herren, der darf sich ei- bis hin zur Kulturpolitik im weitesten Sinne vorneh- gentlich nicht darüber wundern, daß er es zum Teil men. mit widerwilligen Einwanderern zu tun hat. Da gibt es Larmoyanz, da gibt es Rückwärtsgewandtheit, das Die Sachkenner sind sich darüber einig, daß wissen wir alles. Aber das stellt uns auf eine ziemlich Deutschland, das nach wie vor ein besonders attrak- harte Belastungsprobe. Es ist eine deutsche Beson- tives Ziel für Zuwanderung ist, einerseits ein Über- derheit. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks maß an Einwanderung fürchtet und auch fürchten begegnen sich hier nicht nur Deutsche und Auslän- muß, andererseits aber auf lange Sicht ein gewisses der, sondern einheimische Ausländer mit einem Maß an Einwanderung braucht. Ich verweise auf das, fremden Paß und fremde Deutsche mit einem deut- was man aus unserer Enquete-Kommission „Demo- schen Paß und mit erheblichen Sprachbarrieren. Sie graphischer Wandel" hört. bilden die zweitstärkste zugewanderte Minderheit. Eine offene, sehr breit geführte Generaldebatte ist Deutschstämmige Aussiedler - von denen spreche nötig und beginnt zum Glück. Es liegen Entwürfe auf ich hier - sind heute Jahr für Jahr die größte Gruppe dem Tisch. Ich möchte mich jetzt nicht im einzelnen der Neuankömmlinge. Das ist eine geradezu klassi- mit Ihrem Entwurf beschäftigen - dazu reicht meine sche Einwanderungssituation. Damit wi ll ich gar Redezeit nicht aus -, hinsichtlich dessen ich vieles nicht die Rechte beschränken, aber man muß es sa- anders sehe. Aber die Entwürfe, die in der Welt sind, gen. haben eines jedenfalls gemeinsam: Sie sind sich dar- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) über im klaren, daß hier Regelungsbedarf ist. Meine Damen und Herren, natürlich sind ver- stärkte Bemühungen um die bessere Eingliederung Nun verdient dieses Thema nicht, daß man solchen der Zugewanderten nötig. Vor allem gilt dies für die Entwürfen einfach zustimmt oder sie ablehnt. Die schon in unserem Land geborenen Kinder. Ich kann Diskussion darüber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Ihnen versichern: Es gibt sehr häufig Gespräche, nur muß tiefer gehen und gründlicher geführt werden. tragen wir sie nicht auf dem offenen Markt aus. (Beifall bei der F.D.P.) Es ist übrigens ein Märchen - das höre ich immer wieder -, daß fast alle Türken ihre Kinder in der Tür- Aber im gemeinsamen Interesse an der Gestaltung kei in die Schule gehen lassen. Lassen Sie mich Zah- der Zukunft sowie an der Sicherung von sozialem len nennen. 1985 hatten noch etwas über 31 Prozent Frieden und kultureller Toleranz muß es doch gelin- der Türken ihre Kinder do rt. Zehn Jahre später, 1995, gen, irgendwann konsensfähige Perspektiven zu fin- waren es nur noch knapp über 8 Prozent, und die den. Ich wünsche mir eine Deeskalation der hoch Zahlen sind kontinuierlich gesunken. Diese Mär, alle lisiert emotiona en und oft völlig irrationalen deut- schicken ihre Kinder weg, ist Quatsch. schen Migrationsdiskussion, und ich wünsche mir die Bereitschaft zu einem pragmatischen Dialog über Wir treten ein für ein Geburtsrecht, also Jus soli, die gemeinsamen Probleme, wobei nicht zuerst nach für die Kinder. Ich wünschte mir, meine Damen und 16052 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Cornelia Schmalz-Jacobsen Herren, wir hätten wenigstens so etwas, wie es die Meine Zeit ist abgelaufen. Zum Schluß will ich Franzosen nach der Verschärfung durch den ehema- noch sagen: Ich appelliere sehr dringend daran, daß ligen Innenminister Pasqua haben. Do rt sind nämlich wir eine vertiefte Diskussion über die Einbürge- die Kinder der dritten Generation nach klassischem rungsregelung für Iraner führen. Das geht so nicht Jus soli sofort Franzosen. Bei der zweiten Generation weiter, meine Damen und Herren. ist das eine formlose Geschichte; per Postkarte kann man den Antrag stellen, und die Kinder werden wie (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der Franzosen behandelt. Nur ist do rt die doppelte SPD und dem Bündnis 90/Die Grünen ) Staatsbürgerschaft kein Problem.

Auf die Umfrage, die ich mir hier auch notiert Dazu hatten wir doch im Ausländergesetz die Härte- hatte, hat bereits die Kollegin Sonntag-Wolgast hin- regelung eingestellt. Da müssen wir mehr tun. gewiesen. Es ist ebenfalls ein Märchen, wenn immer erzählt wird, die Deutschen wollten das alles nicht. Vielen Dank. 52 Prozent - ich wiederhole das - sind dafür, daß hier (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und geborene ausländische Kinder von Eltern mit Dauer- dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bleiberecht Deutsche werden, 42 Prozent sagen nein, dem Rest ist es egal. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe der Abgeordneten Ulla Jelpke das Wort . Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin Schmalz-Jacobsen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schily? Ulla Jelpke (PDS): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist traurig, aber wahr: Die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts ist längst überfällig. Frau Cornelia Schmalz-Jacobsen (F.D.P.): Bitte. Schmalz-Jacobsen, es ist wirklich schwer, den Men- schen klarzumachen, daß es in diesem Haus für ein Otto Schily (SPD): Frau Kollegin, ich habe mit neues Staatsbürgerschaftsrecht und für die doppelte Wohlgefallen gehört, daß Sie wünschen, daß wir ein Staatsangehörigkeit zwar eine Mehrheit gibt, daß Jus soli bekommen. Das wünschen wir auch. Ich diese Mehrheit aber hier nicht zustande kommt, und weiß, daß es auch Kollegen in der CDU-Fraktion zwar seit Jahren. gibt, die das wünschen und wollen, und auch in der Herr Marschewski, Sie haben sich hier heute tat- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gibt es Abgeord- sächlich als einer der rechten Hardliner profiliert. nete, die das wünschen und wollen. Warum gelingt es dann nicht, das umzusetzen? Das ist der Sinn einer (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Ich solchen Veranstaltung, wie wir sie heute hier im Bun- bedanke mich dafür! - Dr. Willfried Penner destag haben. [SPD]: Das kann man nicht sagen!) Meine Frage ist: Wären Sie bereit, heute gemein- - Doch, das würde ich schon sagen, Herr Penner. sam mit uns dafür zu stimmen, daß dieses Jus soli dann auch verwirklicht wird? Herr Marschewski, das Fazit Ihrer Rede lautet: Ein richtiger Deutscher ist eben nur, wer deutschen Blu- tes ist. Ganz offensichtlich haben Sie diese Orientie- Cornelia Schmalz-Jacobsen (F.D.P.): Verehrter rung. Wenn Herr Marschewski auch nur ein wenig Herr Kollege Schily, Sie sind doch durchaus koaliti- Kontakt zu Menschen ausländischer Herkunft ohne onserfahren. einen deutschen Paß hätte, dann wüßte er, daß diese - Menschen schon lange auf ein politisches Signal war- (Dr. Willfried Penner [SPD]: Er ist nur Oppo ten, nämlich, daß sie hier erwünscht sind - Sie sollten sitionsredner! - Zuruf von der CDU/CSU: einmal gerade mit ausländischen Jugendlichen dar- Der doch nicht!) über diskutieren -, daß sie einen Anspruch auf Ein- - Er selber noch nicht. bürgerung haben, wenn sie ihren Lebensmittelpunkt hier haben, und vor allen Dingen, daß ihre Kinder (Zurufe von der CDU/CSU: Er wird es nie nicht wie Ausländer behandelt werden oder als werden? - Vom Zugucken kann man nicht Fremde gelten. Es ist schon gesagt worden - wir alles lernen!) haben das hier öfter betont -: Natürlich sind Kinder, - Ich nehme an, daß der Herr Kollege Schily nicht die hier geboren wurden, Deutsche und sollten den nur auf sich selber hört, sondern die Ohren und die deutschen Paß sofort erhalten. Augen offen hat und Erfahrungen von Kollegen Fast täglich übrigens gehen bei mir B riefe von wahrnimmt. Flüchtlingsorganisationen ein, die dies immer wieder Ich lasse mich hier nicht von Ihnen am Nasenring verlangen und uns auffordern, dies im Bundestag durchs Gelände ziehen. Sie wissen, wofür wir eintre- einzubringen. Kollege Özdemir hat es bereits gesagt: ten. Wir sagen das, wir wiederholen das, und wir be- Herr Marschewski, tun Sie nicht so, als ob es die dop- mühen uns um Lösungen; seien Sie versichert. Zu pelte Staatsbürgerschaft in diesem Lande nicht Lösungen - das ist allerdings in der Tat richtig - müs- gäbe. Fast alle Aussiedler und Aussiedlerinnen ha- sen wir sehr bald kommen. ben die doppelte Staatsbürgerschaft. Ich muß Ihnen sagen: Auch einige ehemalige iranische Staatsange- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) hörige konnten inzwischen die deutsche Staatsan- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16053

Ulla Jelpke gehörigkeit erhalten, auch wenn sie aus der Staats- stimmt, die nicht als Asylsuchende gelten, aber aus angehörigkeit des Iran nicht entlassen wurden. dringenden humanitären Gründen Aufnahme finden wollen. Notlagen lassen sich aber meiner Meinung Dazu muß man natürlich wissen: Wenn ein Mensch nach nicht quotieren. ohne deutschen Paß diesen Antrag auf deutsche Staatsbürgerschaft überhaupt stellt, muß er To rturen Die PDS ist immer für offene Grenzen für Men- durchlaufen, was Bürokratie und Behördengänge an- schen in Not eingetreten. Darunter verstehen wir bei- geht. spielsweise durch staatliche oder auch durch nicht- staatliche Stellen Verfolgte. Notlagen entstehen (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So einfach durch Verfolgung aus rassistischen, religiösen, sexi- soll es ja nicht sein!) stischen Motiven. Aber auch aus ökologischen, öko- Ich möchte Ihnen einmal das Beispiel eines Man- nomisch-sozialen Katastrophen gehen Menschen, nes darstellen, mit dem ich zur Zeit in brieflichem die in Not sind, in die Emigration und kommen hier- Kontakt stehe. Er ist hier in Deutschland geboren. her. Seine Mutter ist Deutsche; sein Vater ist Iraner. Er ist mit seiner Mutter nach Israel ausgewandert, hat do rt Meine Damen und Herren, die Wohlstandsvertei- die israelische Staatsangehörigkeit angenommen, ist lung auf dieser Welt ist schreiend ungerecht. Die dort Staatsbürger und Soldat gewesen, kehrte 1988 Zahl der Umweltflüchtlinge steigt von Tag zu Tag. in die Bundesrepublik zurück und möchte jetzt gerne Der überwiegende Teil der Umweltzerstörung geht die deutsche Staatsangehörigkeit annehmen. auf die wachstumsorientierte Wirtschaftsweise der westlichen Staaten zurück. Von daher tragen wir Ob Sie es glauben oder nicht, er bekommt sie eine Mitverantwortung für die Menschen, die da- nicht. Deutsche Bürokraten machen ihn plötzlich als durch in Not geraten. Iraner aus. Er war niemals im Iran. Er spricht nicht persisch. Er hat auch keine iranischen Ausweispa- Weil immer das Horrorgemälde gemalt wird, daß piere. Die Bundesbehörden fordern von ihm jetzt, die alle nach Deutschland oder nach Westeuropa wollen, Entlassung aus der iranischen Staatsbürgerschaft zu möchte ich Ihnen sagen: 50 Millionen Menschen be- erreichen. Schon die Tatsache, daß man die Forde- finden sich weltweit auf der Flucht, meistens inner- rung der Iraner kennt, daß man dafür do rt zunächst halb ihrer eigenen Herkunftsländer. Nur ein Bruch- den Wehrdienst ableistet, zeigt, wie skandalös deut- teil will überhaupt hierherkommen. Nur ein geringer sche Behörden mit solch einem Fall umgehen. Bruchteil will gen Westen bzw. kommt. Diese Tatsa- chen müssen gesehen werden. Für Herrn Kanther wäre es ein leichtes, sich hier einmal großzügig zu zeigen. Aber selbst diese Größe Wenn hier gefordert wird, die Ursachen von Flucht hat dieser Innenminister nicht. Unverdrossen halten zu bekämpfen, dann muß man sagen, daß diese Bun- er und auch Sie, Herr Marschewski, an dem Märchen desregierung gegenwärtig mit Abschottung und Re- fest, daß wir nicht in einem Einwanderungsland le- pression reagiert, wenn sie davon spricht. Das ist mir ben. Entsprechend will er Menschen anderer Staats- erst in den letzten Tagen wieder deutlich geworden, angehörigkeit draußen halten und möglichst zügig als ich eine Reise an der Ostgrenze durchgeführt alle zurückschicken, wie wir an den bosnischen habe, wo hochgerüstet wird und mit viel Polizei und Flüchtlingen sehen. technischen Geräten Menschen davon abgehalten werden, in dieses Land zu kommen. Dieses Land ist ein Einwanderungsland. Das ha- ben wir heute schon häufiger gehört. Deshalb ist es (Zuruf von der CDU/CSU: Drogenspür wichtig, politische Wege zu finden, mit der Einwan- hunde gibt es auch!) derung real umzugehen. - Wenn Sie beispielsweise diese Gelder dafür einset- Jetzt ein Wort an die Grünen: Ich meine nicht, daß zen würden, Menschen, die hierherkommen und es der Weg, den die Grünen in ihrem Einwanderungs- nötig haben, zu helfen, wäre das allemal sinnvoller, gesetz aufzeigen, der richtige ist. Da fand ich das von als die Bevölkerung systematisch aufzuhetzen. der F.D.P. auf ihrer Pressekonferenz vorgestellte Ein- Herr Marschewski, ich kann der löblichen Liste, wanderungsgesetz ehrlicher. Herr Westerwelle hat die Sie hier vorgetragen haben, nicht zustimmen. nämlich gesagt: Wir wollen nicht mehr, sondern we- Seit der Vereinigung haben wir die Verschärfung niger Einwanderung. Letztendlich haben die Grünen oder faktische Abschaffung des Asylrechts. Wir ha- hinterher sehr schnell und eifrig erklärt, daß auch sie ben massenhaft Verschärfungen im Ausländergesetz, die Einwanderung begrenzen bzw. die Rückführung im Asylbewerberleistungsgesetz. In diesem Jahr, mit organisieren wollen. dem antirassistischen Jahr, haben wir als erstes die Einwanderungsbewilligungen sollen nach dem Visumspflicht für Kinder und Jugendliche von Herrn grünen Gesetz Menschen bekommen, bei denen es Kanther präsentiert bekommen. Man könnte diese um den Nachzug von Familiennachwuchs geht, Aufzählung um einiges erweitern, was an Regelun- gen gegen Menschen ohne deutschen Paß in diesem (Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Nicht nur Bundestag zustande gekommen ist. Nachwuchs!) Zum Schluß möchte ich Ihnen sagen - das ist mein die bereits einen Arbeitsplatz hier vorweisen, was voller Ernst -: sich meiner Meinung nach einzig und allein an der deutschen Wirtschaft orientiert, und die als Spätaus- (Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: War das siedler gelten. Eine Quote ist auch für Menschen be bisher nicht Ihr voller Ernst?) 16054 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 Ulla Jelpke Wenn Sie keine andere Politik machen, dann werden diese dann über viele Jahre nur eine Quote Nu ll fest- Sie den Rechtsextremisten in diesem Land Rücken- legen, weil Sie nicht die Ehrlichkeit besitzen, zu sa- wind geben. Sie kennen alle , Solingen, gen: Wenn wir die jetzige Ist-Zuwanderung reduzie- Mölln, Lübeck und andere O rte, wo es gebrannt hat. ren wollen, dann müssen wir ganz anders ansetzen, Diese Politik führt dazu, daß die Rassisten und nämlich erneut am Art . 16a des Grundgesetzes. Kol- Rechtsextremisten in diesem Land sich aufgewertet lege Marschewski hat es erwähnt. Wenn wir über die fühlen und entsprechend tätig werden. Familienzusammengehörigkeit sprechen, dann müß- ten Sie den Art . 6 heranziehen. (Beifall bei der PDS) (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das wahr!) Wort dem Abgeordneten Wolfgang Zeitlmann. Frau Kollegin Sonntag-Wolgast hat davon gespro- Wolfgang Zeitlmann (CDU/CSU): Herr Präsident! chen, im grundgesetzlich gesicherten Bereich könne Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir behan- man natürlich nicht quotieren. Einverstanden. Aber deln hier Anträge der Opposition, die zum einen auf dann müssen Sie auch ehrlich sagen: Wir werden Gesetze abstellen, die eine Einwanderungsregelung nach menschlichem Ermessen auf Jahre hinaus nur schaffen sollen, und zum anderen darauf, im Staats- eine Null-Quote haben. Dafür hole ich alle Träger angehörigkeitsrecht mehr zu tun. dieser Gesellschaft zusammen und lasse sie ein Taubstummenkonzert geben. Das wird nichts ande- Ich gehe zuerst auf die erste Gruppe ein: das Ein res; denn sie dürfen im Ergebnis keinen Laut geben, wanderungsgesetz. Ich halte die begriffliche Seite sondern sie müssen Null rufen. Das kann es nicht für schon vom Ansatz her falsch. Wir reden in sein. Damit wird die Gesellschaft, ich sage es einmal Deutschland vom Sprachlichen her von Einwande- so: zumindest nicht ehrlicher. rung dort, wo diese Zuwanderung gewollt ist. Typi- sche Einwanderungsländer in der Vergangenheit waren Amerika und Kanada. Dies ist - das müssen Ich frage mich manchmal, warum einige so etwas wir als erstes sagen - in der deutschen Bevölkerung erzählen. Frau Jelpke kann ich wirklich nicht ernst mehrheitlich sicher nicht gewollt. nehmen, wenn sie so tut, als sei das Asylrecht abge- schafft worden. Wir waren damals alle dabei. Da hieß Tatsache ist doch, daß wir mit solchen Einwande- es: Es kommt keiner mehr. Angeblich könnten alle rungsgesetzen - ob wir nun wollen oder nicht - und nur noch per Hubschrauber von oben ins Land gelan- Sie mit Ihren Einwanderungsgesetzen, die Sie vor- gen. Die 120 000 Einwanderer, die wir jetzt jährlich schlagen, Signale nach draußen geben. Ohne Zwei- im Verfahren haben, werden völlig negiert. fel wird der durchschnittliche Informant die Auffas- sung vertreten, es würde etwas erleichtert werden, (Dr. Willfried Penner [SPD]: Es werden sonst hieße es nicht Einwanderung. Auch wenn Sie weniger!) Einwanderungsbegrenzung sagen, ist das Signal falsch. - Es werden zwar ein bißchen weniger, aber es ist im- Im Inneren ist das Signal ähnlich falsch; denn die mer noch mehr als die völlige Abschottung und Ab- Mehrheit dieser Bevölkerung, glaube ich, sieht mit schaffung. Das waren die Ausdrücke, die hier gef al- großer Skepsis auf die wachsende Zahl der im Lande len sind und die ich völlig absurd finde. lebenden Ausländer. Es wird niemand bestreiten können, daß die kritische Sicht der Problematik In- (Zustimmung bei der CDU/CSU) länder/Ausländer im deutschen Volke eher- gewach- sen ist, und zwar in dem Maße, wie in den letzten Wenn wir darüber diskutieren, dann sollten wir Jahrzehnten der Ausländeranteil in unserer Bevölke- ganz ehrlich sein und sagen: Diese Bevölkerung hat rung zugenommen hat. Ängste wegen ihrer eigenen sozialen Probleme. Nun wird das natürlich zusätzlich durch die Pro- Diese sollte ich nicht noch dadurch schüren, indem bleme im Inland angeheizt - ob das vor Jahren ich draufsattle und so tue, als würde ich etwas bei schwerpunktmäßig noch die Wohnung war oder jetzt den Schwierigkeiten verändern, die da sind. in den letzten Jahren der Arbeitsplatz ist. Es wird im- mer ein großes Spannungsverhältnis bleiben. Jetzt komme ich zu dem Thema doppelte Staatsan- Wenn Sie solche Gesetzentwürfe vorlegen, dann gehörigkeit. Ich habe überhaupt kein Verständnis, sollten Sie auch ganz offen sagen, welche Ergebnisse wie eine Opposition einerseits von dem so bewußten und selbstbestimmten Menschen redet, der wisse, Sie erreichen, was die Zuwanderungsbegrenzung anbelangt. Da höre ich: überhaupt kein Ergebnis. Ich was er wolle. Aber dann wiederum sagt man: Einem höre beim einen: Es wird auf absehbare Zeit eine Teil dieser Gesellschaft gebe ich - ob er will oder nicht - mit Geburt - das wird ihm nachgetragen - die Null-Quote sein. Es wird also über die jetzige Zu- lich wanderung hinaus nichts zurückzuführen sein, also deutsche Staatsangehörigkeit. Es ist doch begriff nicht modern, zu sagen: Ob der integriert wird, ob keine Reduzierung. Das ist wenigstens ehrlich. der hierbleibt, ob der wi ll oder ob die Eltern das be- Ich frage mich dann aber: Was soll es dann, wenn stimmen, ist völlig wurscht; ich gebe es ihm mit der Sie Kommissionen einsetzen wollen, die von allen ge- Geburt. Die Antwort darauf, wie modern diese Rege- sellschaftlichen Gruppierungen besetzt sind, und lung nun ist, müssen Sie mir einmal geben. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16055

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Penner hatte keine Zwischenfrage gestellt, er hat ei- Zeitlmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der nen Zuruf gemacht. Frau Kollegin Cornelie Sonntag-Wolgast? Nun ist die Frage, ob Sie eine Zusatzfrage des Kol- (Dr. Willfried Penner [SPD]: Wolfgang, dann legen Schily gestatten. mußt Du aber auch noch etwas zu den zwei Millionen Doppelstaatlern sagen!) (Otto Schily [SPD]: Beantworten Sie erst den Zwischenruf, wenn Sie möchten!) Wolfgang Zeitlmann (CDU/CSU): Ich komme schon noch darauf zu sprechen. (CDU/CSU): Herr Kollege Bitte, Frau Kollegin. Wolfgang Zeitlmann Schily, wenn Sie eine Sekunde länger warten, gehe ich erst einmal auf den Zwischenruf des Kollegen Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD): Herr Kollege Penner ein; denn den Anspruch hat er. Zeitlmann, haben Sie zur Kenntnis genommen, daß wir denjenigen, die in Frage kämen, die Staatsange- Es erscheint mir nicht logisch zu sagen: Wenn es in hörigkeit nicht hinterhertragen? Vielmehr ist es ein deutschen Familien doppelte Staatsangehörigkeiten Angebot, das zum Beispiel von den Erziehungsbe- gibt, dann muß ich deswegen generell noch mehr rechtigten auch ausgeschlagen werden kann. Nie- Doppelstaatler zulassen. Diese Logik entzieht sich mand soll zwangsgermanisiert werden. mir; denn Sie können nicht negieren, daß es, wenn Sie womöglich die ganzen türkischen Familien Dop- Das Zweite ist, daß Sie bei Ihren Schreckensmel- pelstaatler werden lassen, zu Spannungen kommen dungen über die Zuwanderungen pro Jahr doch se- kann. Diese müssen bei einem Doppelstaatler in ei- hen müssen - Herr Kollege Marschewski hat das lei- ner halbdeutschen Familie nicht logischerweise im- der auch verschwiegen -, daß es nicht nur Zuwande- mer da sein. Man muß also schon unterscheiden. rungen gibt, sondern auch Weiterwanderungen und Wenn ich schon zwei Krankheiten habe, muß ich Rückwanderungen. nicht eine dritte fordern.

Wolfgang Zeitlmann (CDU/CSU): Frau Kollegin (Lachen bei der SPD - Dr. Willfried Penner Sonntag-Wolgast, Sie kennen wie ich den Saldo, das [SPD]: Das ist aber eine Metapher, die heißt die verbleibende Positivzuwanderung nach Staatsangehörigkeit als Krankheit zu be Deutschland nach Abzug derer, die weiterwandern. zeichnen!) Diese ist nach meiner Erkenntnis höher als das, was die Wissenschaftler für die notwendige - wie sagt Herr Kollege Penner, ich gebe Ihnen recht: In man- man? - Bluterneuerung forde rn. Sie ist deutlich höher chen Fällen der Doppelstaatler - ich denke jetzt an als das, was ich als Rate kenne, die für die demogra- Aussiedler - wäre mir auch recht, die Herkunftslän- phische Entwicklung dieses Volkes erwartet wird. der wären bei der Entlassung von Menschen aus ih- rer Staatsangehörigkeit nicht so restriktiv oder so fis- Ich gebe zu, daß ich nicht im einzelnen unterschie- kalisch, wie sie sind, und wir könnten die Zumutbar- den habe zwischen Ihrem Vorschlag und dem der keit etwas anders ansetzen, als das derzeit geschieht. Grünen. Sie hätten auch die Gelegenheit gehabt, die Bei manchen der Aussiedler ist es nach jetziger Vorschläge gesondert aufzusetzen oder vielleicht Rechtslage nicht zumutbar, zu sagen: Du mußt deine auch wirklich einen Gesetzentwurf vorzulegen, der bisherige Staatsangehörigkeit erst aufgeben. Das ausformuliert ist. Sie machen es ja ganz elegant, for- wäre unzumutbar, weil einige Staaten beispielsweise dern etwas mit der Nennung von ein paar Eckwerten- 5000 DM verlangen, ehe sie die Menschen aus der und sagen, die Bundesregierung solle dann für Sie Staatsangehörigkeit entlassen. Lassen Sie also bitte einen Gesetzentwurf vorlegen. die Kirche im Dorf! Ich negiere ja gar nicht, daß Sie im Gegensatz zu den Grünen sagen: Wir wollen eine Staatsangehörig- Bitte, Herr Kollege Schily. keit nicht gleich jedem nachtragen, wir wollen die Betroffenen die Staatsangehörigkeit auch ausschla- gen lassen. Nur, ich habe in dem Fall die Grünen ge- Otto Schily (SPD): Herr Zeitlmann, trifft es zu, daß meint, die ganz brühwarm sagen, sie wollen, daß die die CSU sehr massiv dafür eintritt, daß der deutschen Staatsangehörigkeit nachgetragen wird. Sie fordern Minderheit in Polen die Möglichkeit der Mehrstaat- also eine Bringschuld der Deutschen bezüglich der lichkeit erhalten bleibt? hier Geborenen. Das paßt nicht so ganz in meine Welt hinein. (Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt nicht!) Der Kollege Penner fragt: Was ist mit den zwei Mil- lionen Doppelstaatlern? (Dr. Willfried Penner [SPD]: Nein, das ist Wolfgang Zeitlmann (CDU/CSU): Ich sage Ihnen eine Tatsache! Dazu sollst du etwas sagen!) ganz offen: Ich gehe davon aus, daß die hier lebende polnische Minderheit - -

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege (Otto Schily [SPD]: Nein, die deutsche Min Zeitlmann, ich muß Sie unterbrechen. Herr Kollege derheit in Polen!) 16056 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Wolfgang Zeitlmann - Die deutsche Minderheit, die do rt lebt? werde dem deutschen Wähler aber immer wieder sa- gen, was Sie in Ihrem Gesetzentwurf stehen haben. (Otto Schily [SPD]: Ja! - Zuruf vom Da wird viel Freude aufkommen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: 1,2 Millionen! - Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Das kön Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. nen Sie wirklich nicht mit einem Türken vergleichen! Das ist wirk lich etwas ande (Beifall bei der CDU/CSU) res!) Herr Kollege Schily, ich bin jetzt nicht imstande, Ih- nen zu sagen, was die Meinung meiner Pa rtei ist. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe nun Das haben wir nicht diskutiert. Ich persönlich bin der dem Abgeordneten Günter Graf das Wo rt. Auffassung, daß man in diesem Bereich jetzt irgend- wann einen Schlußstrich ziehen muß. Das ist meine persönliche Auffassung. Entschuldigen Sie bitte, daß Günter Graf (Friesoythe) (SPD): Herr Präsident! ich Ihnen nicht sagen kann, wie der letzte Stand der Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich in Meinungsbildung in meiner Partei dazu ist. Das weiß meinem Redebeitrag auf eine ganz besondere Situa- ich nicht. Ich bin generell der Meinung, daß wir kon- tion konzentrieren, die bisher nur sehr kurz ange- sequent sein müssen: Do rt, wo wir die doppelte sprochen wurde. Das ist die Situation der in Deutsch- Staatsangehörigkeit vermeiden können, sollten wir land lebenden Deutschen aus den ehemaligen Ost- sie dem Ausland auch nicht ohne weiteres zumuten. gebieten, die bei uns Aufnahme gefunden haben Das gilt insbesondere nach Klärung der ganzen euro- und auch weiterhin Aufnahme finden werden. päischen Grenzsituation. Das ist meine persönliche Auffassung. Vorweg will ich eines ganz deutlich bemerken. Aber jetzt lassen Sie mich noch etwas zum Thema Mich hat vorhin sehr überrascht - darüber werden des Integrationsangebotes sagen. Eines muß man wir zu reden haben -, daß der Kollege Marschewski auch einmal deutlich machen dürfen: In Deutschland vor der deutschen Öffentlichkeit gesagt hat, daß man gibt es - im Gegensatz zu vielen anderen Staaten, möglicherweise darüber nachdenken müsse, wie die ich gesehen habe - ein hohes Maß an liberalen man künftig mit dem Art. 116 des Grundgesetzes Angeboten an die bei uns lebenden Ausländer. Den umgehe. Eindruck zu erwecken, wir seien ein halber Abschot- tungsstaat und schrecklich rechtsaußen, ist falsch. (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Das ist Auch von der Frau Ausländerbeauftragten ist zuge- nie verboten!) geben worden: Wir haben viel eher die Tendenz - wenn auch abnehmend - des Abschottens von hier Das hat sich vor fast einem Jahr, als wir gemeinsam lebenden Ausländern. Dieser Bereich wird - wie ich in diesen Staaten waren, noch ganz anders angehört. höre - mit der zunehmenden Islamisierung und Fun- Ich frage mich natürlich, woher dieser Sinneswandel damentalisierung der Gesellschaft immer schwieri- kommt. Aber das werden wir im Innenausschuß des ger werden, gerade im großstädtischen Umfeld. Des- Deutschen Bundestages zu diskutieren und zu be- wegen glaube ich, daß wir nicht mit falschen Zeichen sprechen haben. Mir scheint es jedenfalls eine gute an die Öffentlichkeit gehen und den Eindruck er- Basis zu sein, daß man die Diskussion in diesen Fra- wecken dürfen, als würde sich dieser Staat sperren. gen versachlicht. Im Gegenteil: Auch im Staatsangehörigkeitsrecht sind wir - eben um Angebote zu machen - dabei, zu Mir geht es um folgendes: Nachdem wir den Asyl- liberalisieren und zu vereinfachen, zum Beispiel- in- kompromiß ausgemacht haben, konnte in diesem Zu- dem wir Fristen verkürzen. sammenhang auch eine Vereinbarung über Zuzugs- zahlen der Spätaussiedler und über Maßnahmen der (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Wann Integration getroffen werden. Wir müssen uns heute kommt das denn?) die Frage stellen: Was ist aus dieser Vereinbarung ei- gentlich geworden? Ich wiederhole, was ich an dieser Stelle schon ein- mal gesagt habe: Es muß aber auch klar sein, daß Zutreffend ist sicherlich eines: Die Zahl der Zuzüge nicht eingebürgert werden kann, wer nicht einiger- aus diesen Gebieten ist rückläufig. Nun kann m an maßen deutsch spricht, wer nicht nachweisen kann, Sprachtest ist daß er nicht straffällig geworden ist, und und und. die Frage stellen: Warum? Das Thema in aller Munde. Ich frage mich allerdings, ob die A rt, Dann finden Sie in der deutschen Bevölkerung auch wie das heute gemacht wird, nicht im Grunde ge- das, was wir brauchen, nämlich die Akzeptanz für nommen auch eine Quotierung auf kaltem Wege dar- den ausländischen Mitbürger. Nach meinem Dafür- stellt, indem man die Hürden verwaltungsrechtlich halten werden Sie dann auch weniger rechtsradika- so hoch baut, daß die Leute keine Chance mehr ha- les Gedankengut in der Gesellschaft finden. Sie ben. Ich halte das, wenn es denn so ist, für unehrlich übersehen bei Ihren Vorschlägen völlig, daß Sie für und unaufrichtig. Dann sollte man sich lieber in der Ihre Gesetze eine Akzeptanz in der deutschen Ge- Form unterhalten, daß man deutlich und klar sagt: sellschaft brauchen. Wir haben eine Quote, daran orientieren wir uns, das Herr Özdemir, wenn Sie alle Schwulen dieser Erde sind die Merkmale. über Familienzusammenführung zufriedenstellen wollen, dann wünsche ich Ihnen viel Vergnügen. Ich (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16057 Günter Graf (Friesoythe) Das halte ich für ehrlich und aufrichtig. Man darf der Arbeitslosigkeit ein Drittel beträgt. Dann können nicht auf kaltem Wege verwaltungsrechtliche Be- Sie sich vielleicht vorstellen, was das in einem sol- stimmungen aushöhlen. chen Gebiet für Auswirkungen hat und was do rt für ein sozialer Sprengstoff entsteht. Ich wage gar nicht (Dr. Willfried Penner [SPD]: Wo der Günter daran zu denken, was passiert, wenn diese Entwick- recht hat, hat er recht!) lung anhält. Nun will ich beispielhaft von meinem Landkreis, Es ist ein schwieriges Thema. Wir müssen all dem Landkreis Cloppenburg, berichten. Wenn ich es da- „beispielhaft" sage, dann meine ich, daß das ge- für tun, daß wir die Leute, die berechtigterweise bei nauso für den Ortenaukreis, für Lahr - ich sehe den uns sind, nicht durch unbedachte Äußerungen in Si- tuationen bringen, in denen sie in ihrem Leben in un- Kollegen Peter Dreßen do rt -, für den Rhein-Huns- serem Staat möglicherweise gefährdet sind, wie wir rück-Kreis und für den Kreis Gummersbach, wo der das im Ausländerbereich in den letzten Jahren - das Aussiedlerbeauftragte der Bundesregierung seinen Wort Rechtsextremismus ist hier schon genannt wor- Wahlkreis hat, gilt. Seit 1993 haben wir in bestimm- den - leider erlebt haben. Davor haben wir uns zu ten Gebieten - das sind etwa zehn Landkreise in hüten, und deswegen sage ich das auch. Deutschland - einen massiven Zuzug von Deutschen aus den GUS-Staaten zu verzeichnen. Ich sage das hier vor dem Hintergrund, daß wir viel Nun haben wir das ländermäßig quotiert. Aller- mehr Anstrengungen unternehmen müssen, um In- tegration zu ermöglichen. dings hat es kein Instrument gegeben, das es ermög- licht hätte, eine Steuerung innerhalb der Bundesre- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE publik Deutschland vorzunehmen. Wenn wir uns in GRÜNEN und der PDS) den von mir hier angesprochenen Kreisen - es gibt in Niedersachsen noch einige mehr; ich denke zum Bei- Alle Aufwendungen dafür sind jedoch rückläufig. spiel an Gifhorn und das Emsland - an der vereinbar- Die Verbände bei uns - die Volkshochschulen, die ten Quote orientiert hätten - das hätte für Nieder- katholischen Bildungswerke, die Ca ritas, die AWO - sachsen 9,2 Prozent bedeutet; das wären jährlich sind durch die Mittelkürzungen im Bereich von ABM etwa 20 000 Aussiedler gewesen -, hätte das für den und dergleichen mehr nicht mehr in der Lage, das, Landkreis Cloppenburg im Ergebnis bedeutet, daß was sie bisher geleistet haben, künftig fortzuführen. wir bis zum heutigen Tage etwa 2500 Deutsche aus Gerade gestern fand ich zufällig, aber ganz aktuell den ehemaligen Ostblockstaaten hätten aufnehmen ein Interview mit Dr. Horst Waffenschmidt, Beauf- müssen. Tatsache ist aber, daß wir in diesem Zeit- tragter der Bundesregierung: „Erfreuliche Entwick- raum zirka 20 000 Deutsche aufgenommen haben. lung bei der Integration von Aussiedlern". Das entspricht immerhin einem Bevölkerungsanteil von etwa 17 Prozent; die Zahlen schwanken ein biß- Ich habe mich, als ich das las, gefragt: Erlebst du chen. Das wäre zu verkraften. wirklich in diesem Landkreis, von dem hier berichtet wird, wirklich eine erfreuliche Entwicklung bei der Aber was ist in der gleichen Zeit passiert? Die sei- Integration? nerzeit zugesagten Finanzierungsmittel der Bundes- regierung, die man vereinbart hat, sind im Laufe der Dort findet nichts mehr statt, und ich wi ll an dieser letzten Jahre einseitig aufgekündigt worden. Stelle ganz deutlich sagen, daß wir künftig auch bei den Beratungen zum Haushaltsplan verstärkt dar- (Zuruf von der SPD: Unerhört!) über nachdenken müssen, in den besonders betroffe- Ich nenne einige Stichworte: Überbrückungshilfe nen Gebieten entsprechend finanzielle Hilfen anzu- völlig gestrichen, Pauschalisierung der Rückfüh- bieten, um das aufzufangen, was uns in den letzten rungskosten mittlerweile auf ganz niedrigem Niveau, Jahren dort weggebrochen ist. Begrenzung der Eingliederungshilfe auf sechs Mo- (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Das haben nate, Kürzung der Mittel für die Sprachförderung auf wir doch getan!) sechs Monate, Kürzung der Garantiefondsmittel. Ich will auch noch etwas zu den entstehenden Ko- Um Ihnen einmal zu zeigen, wie sich das entwik- sten sagen, die Unmut in der Bevölkerung schaffen. kelt hat: 1992 450 Millionen DM, 1993 360 Mil lionen Wenn wir im Jahr 1993 im Landkreis Cloppenburg DM, 1994 300 Millionen DM, 1995 180 Millionen Sozialhilfekosten von 23 Millionen DM hatten und DM, dazu kommen allerdings 60 Millionen DM für sich dies innerhalb von drei Jahren auf eine Summe die Otto-Behnecke-Stiftung, die in diesem Bereich von etwa 60 Millionen DM hochschaukelt, dann fehlt tätig ist - das in einer Zeit, in der der Zuzug zuge- den Kommunen, den Städten und Gemeinden, die nommen hat, in der die Arbeitslosigkeit zugenom- Luft zum Atmen. Sie können keine Maßnahmen men hat und in der die Integration dieses betroffenen mehr durchführen. Die letzte Mark, die sie noch für Personenkreises auf dem Arbeitsmarkt schwieriger soziale Integration ausgeben, muß gestrichen wer- geworden ist. Wenn ich Ihnen sage: 22,7 Prozent Ar- den, weil sie ihre Haushalte nicht mehr ausgleichen beitslosigkeit im Landkreis Cloppenburg im April können. Dies kann nicht der Sinn sein. dieses Jahres - der Kollege Carstens weiß das -, kön- nen Sie sich ausrechnen, wie groß die Chancen der- Ich unterstreiche: Das ist eine nationale Aufgabe, jenigen auf dem Ausbildungsmarkt und dem Ar- und in erster Linie ist hier der Bund gefordert, do rt, beitsplatzmarkt bei uns sind, die die deutsche Spra- wo diese Probleme entstehen, auch tätig zu werden. che nicht beherrschen und auch keine Mittel bekom- Da hilft nicht der Hinweis auf das Land, wie das gern men, um die Sprache zu lernen, und deren Anteil an praktiziert wird. 16058 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Günter Graf (Friesoythe) Vielleicht noch einen letzten Satz zum Land Nie- sche Staatsbürgerschaft angenommen hatte. Von ihm dersachsen, weil immer darauf hingewiesen wird, wird verlangt, er solle sich aus einer fiktiven irani- die Landesregierung müsse das über den Länder- schen Staatsbürgerschaft entlassen lassen; die Iraner finanzausgleich regeln. Wie ist die Situation? Be- fordern, daß er do rt Wehrdienst ableistet, obwohl er trachten Sie die Entwicklung in den Jahren 1993 und in Israel Soldat war. Man kann sich vorstellen, wel- 1994: Das Land Niedersachsen hat 20 000 Aussiedler ches Gefährdungspotential das für diesen Mann be- über die Quote hinaus aufgenommen und dafür nicht deutet. einen Pfennig von dieser Bundesregierung erhalten. Iraner, die bei ihren Auslandsvertretungen die Ent- Dies kann nicht in Ordnung sein. lassung aus der iranischen Staatsbürgerschaft bean- (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist in ande tragen, müssen teilweise bis zu 200 Paßbilder vorle- ren Bundesländern auch so!) gen und werden intensiv nach Freunden und Fami- lienangehörigen aus dem Iran befragt. Man kann Ich bitte Sie - das ist mein Appell an Sie - ganz sich an zehn Fingern abzählen, welches Ziel das hat. herzlich, daß Sie bei den Beratungen, wenn es um In- Dennoch wird dieses Verfahren für zumutbar erach- tegration und Steuerung geht, an diese Dinge zu tet, selbst für anerkannte Asylberechtigte aus dem denken und dann nicht wie in der Vergangenheit Iran. Deutsche Ehefrauen von Iranern werden von ohne Diskussion alles das in der Abstimmung nieder- iranischer Seite automatisch als iranische Staatsan- zuschmettern, wie es bisher geschehen ist. Damit gehörige betrachtet. Wenn sich ihre Ehemänner ein- werden Sie der Angelegenheit nicht gerecht. Damit bürgern lassen wollen, müssen sie die gleiche Proze- leisten Sie denen einen Bärendienst, die auch Sie - so dur über sich ergehen lassen; sie müssen Paßbilder hoffe ich jedenfalls - nicht wollen. abgeben, die sie in Verschleierung zeigen. Danke schön. Die Bundesregierung hat nun nach zunehmender (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE öffentlicher Kritik an dieser Praxis mit der iranischen GRÜNEN und der PDS) Regierung die Streichung dieses Passus vereinbart. Das muß durch die Parlamente ratifiziert werden. Wir im Deutschen Bundestag haben dies bereits im letz- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe der ten September getan. Nur, das Gesetz liegt im irani- Abgeordneten Amke Dietert-Scheuer das Wo rt. schen Parlament und wird nicht ratifiziert. (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Das ist ja Amke Dietert-Scheuer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- das Problem! Mehr können wir nicht tun!) NEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolle- gen! Ich will hier auf das spezielle Problem des - Das ist eben das aktuelle Problem, genau, Herr deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens ein- Marschewski. gehen, das von mehreren Kolleginnen und Kollegen Das Problem ist auch, daß angesichts der aus be- bereits angesprochen wurde. kannten Gründen eingetretenen erheblichen Ver- Bekanntlich folgt aus dem Abschnitt II des Schluß- schlechterung der deutsch-iranischen Beziehungen protokolls dieses Niederlassungsabkommens, daß auch für die nächste Zukunft nicht unbedingt damit einbürgerungswillige Iranerinnen und Iraner die Zu- zu rechnen ist, daß das iranische Parlament diese Ra- stimmung des Iran benötigen, um bei uns eingebür- tifizierung vornimmt. Ich meine, es kann nicht ange- gert werden zu können. Das wird so interpretiert: hen, daß Iranerinnen und Iraner dafür bestraft wer- Entlassung aus der Staatsbürgerschaft. den, daß ihre Regierung vom Berliner Kammerge- richt im Mykonos-Urteil zu Recht des Terrorismus Über die normalen Regelungen - die auch- für an- bezichtigt wurde. Das darf nicht sein. dere gelten - nach unserem Staatsbürgerschaftsrecht hinaus, das wir ändern wollen, geht es hier um eine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bilaterale Vereinbarung. Deutsche Behörden sagen, sowie der Abg. Ulla Jelpke [PDS]) sie dürfen darüber nicht hinwegsehen und müssen Wir fordern daher, daß dieses Abkommen in der Pra- eine Einbürgerung verweigern, wenn nicht die Ent- xis nicht angewandt wird und daß Iranerinnen und lassung aus der iranischen Staatsbürgerschaft vor- Iraner bei uns auch unter Hinnahme der Mehrstaat- liegt. lichkeit eingebürgert werden können. Im Gegensatz zu der Praxis mit anderen Ländern, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei denen erfolglose langjährige Bemühungen um und bei der PDS) die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft dazu füh- Wir fordern derzeit noch nicht - wie die PDS - die ren können, daß eine Mehrstaatlichkeit hingenom- vollständige Aufkündigung des deutsch-iranischen men wird, wird dies Iranern in der Regel verweigert, Niederlassungsabkommens, weil das natürlich auch beziehungsweise es werden Entlassungsbemühun- gewisse Nachteile zum Beispiel für im Iran ansässige gen und ein Aufenthalt in der Bundesrepublik von Deutsche mit sich bringen würde, wobei ich mir zirka 20 Jahren verlangt, um schließlich davon abzu- schon vorstellen kann, daß das ein Schritt sein sehen. könnte, über den man nachdenken könnte, wenn es Diese Situation hat gefährliche, schikanöse und in dieser Ratifizierungsfrage keine Fortschritte gibt. teilweise absurde Folgen für die Betroffenen. Frau Aber ich finde, dann wäre es sehr viel sinnvoller, zu Jelpke hat schon den Sonderfall eines Deutsch-Ira- sagen: Wir betrachten uns als nicht mehr daran ge- ners angesprochen, der zwischenzeitlich die israeli- bunden und behandeln einbürgerungswillige Iraner Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16059 Amke Dietert-Scheuer anders, als es do rt vorgesehen ist, und nehmen auch geborenen Kinder von Ausländern. Ich bin sehr zu- eine Mehrstaatlichkeit in Kauf. Denn es ist für diese versichtlich, daß wir in absehbarer Zeit in diesem Menschen einfach nicht zumutbar, sich jahrelang um Hause etwas zur Abstimmung stellen werden, was die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft des Iran dieser besseren Integration der hier geborenen Kin- zu bemühen. der dient. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß das in ab- und bei der PDS sowie bei Abgeordneten sehbarer Zeit erfolgen soll und erfolgen muß. Jeder, der SPD) der schon einmal in solchen Situationen gewesen ist, weiß, daß man am besten nicht auf einem Basar ver- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das handelt, sondern daß man hinter verschlossenen Tü- Wort dem Abgeordneten Dr. Guido Westerwelle. ren versucht, ein sachgerechtes Ergebnis zu erzielen. Das tun wir zur Zeit, und mein Eindruck ist, daß wir zu einer guten Lösung kommen werden. Dr. Guido Westerwelle (F.D.P.): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Dann werden wir sehen, ob Sie zustimmen oder ob Ich will nur drei sehr kurze Bemerkungen machen. Sie, was leider auch ein Teil dieser Debatte ist, stär- ker Ihre parteipolitischen Ziele verfolgen Zuerst zur Frage des Einwanderungsgesetzes. Ich finde, wir sollten für uns festhalten, daß diejenigen, (Lachen bei der SPD) die ein Einwanderungsgesetz vorlegen und eine Ein- als das Ziel der Integration der hier geborenen Kin- wanderungsgesetzgebung fordern, nicht mehr Ein- der im Interesse unserer Gesellschaft und im Inter- wanderung wollen, sondern mehr Kontrolle über vor- esse derjenigen, die hier eine bessere Zukunft, eine handene Einwanderung. Das ist ein großer Unter- integrierte Zukunft haben wollen. schied. (Beifall bei der F.D.P.) Vielen Dank. Das zweite, was ich anmerken möchte, ist, daß es (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - in Deutschland unter den mittlerweile sieben Millio- Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr gut! nen Ausländern etwa zwei Millionen gibt, die jünger - Dr. Willfried Penner [SPD]: Westerwelle ist als 20 Jahre sind. Schon allein dieses Zahlenverhält- der Generalsekretär einer nicht existieren nis macht die Größe der Integrationsaufgabe für un- den Partei! - Ulla Jelpke [PDS]: Machen Sie sere Gesellschaft deutlich. erst einmal Ihre Hausaufgaben!) (Beifall bei der F.D.P.) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Damit gebe ich Deshalb ist es wichtig, darauf hinzuweisen, daß es das Wort dem Abgeordneten Ecka rt von Klaeden. nicht nur darum geht, jungen Menschen bessere Chancen zu geben, sondern darum, daß es im Inter- esse unserer deutschen Gesellschaft ist, die jungen Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Herr Präsident! Menschen, die hier geboren werden, besser zu inte- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben die Sire- grieren. Wir wollen eine bessere Integration der hier nengesänge des Kollegen Özdemir sehr wohl gehört. lebenden Ausländer, und wir wollen vor allen Dingen Leider schlagen sich seine Vorschläge nicht in den eine bessere Integration der hier geborenen Kinder. Anträgen nieder. Aber vielleicht ist das doch einmal Es macht keinen Sinn, daß man diese Kinder mit ei- der Fall, und dann können wir sicherlich auch über nem ausländischen Bewußtsein groß werden läßt, an- die Abstimmungsmodalitäten nachdenken, die hier vorgeschlagen worden sind. statt daß man ihnen von Anfang an eine inländische- Identität vermittelt, da man doch weiß, daß sie a ller Unser Staatsangehörigkeitsrecht - das ist heute Voraussicht nach immer in diesem Land leben wer- schon von vielen gesagt worden - muß insbesondere den. hinsichtlich der hier geborenen Kinder ausländi- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne scher Herkunft novelliert werden. Das ist auch der ten der CDU/CSU) Koalitionsvereinbarung zu entnehmen. Ihre rechtli- che Integration wollen unterschiedliche Modelle er- Wer die Ghettoisierung in den Städten - zu Recht - reichen, die in der Koalition und in unserer Fraktion beklagt, der muß die Ghettoisierung in den Köpfen diskutiert werden. Das geht von der sogenannten verhindern. Denn das ist die Voraussetzung für die Kinderstaatsangehörigkeit von Geburt an, die unter Ghettoisierung in den Städten. anderem von den Kollegen Altmaier, Röttgen, Kraut- (Beifall bei der F.D.P.) scheid, Schnieber-Jastram und Gröhe, um nur dieje- nigen zu nennen, die ich gerade im Blickfeld habe, Eine dritte Bemerkung zur Frage der Koalition und vertreten wird, bis hin zu verschiedenen Vorschlägen zum weiteren Fahrplan. Sie fragen zu Recht nach. zur Kinderstaatszugehörigkeit. Wir verhandeln. Mein Eindruck von diesen Verhand- lungen ist, daß wir vorankommen. (Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Das ist der liberale Flügel!) (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Dage gen ist die Schnecke ein Rennpferd!) Mit welchem Modell wir die Koalitionsvereinba- rung ausfüllen werden, meine Damen und Herren, Ich habe auch den Eindruck, daß wir uns einig wer diskutieren wir zur Zeit in der Fraktion und in der den im Interesse einer besseren Integration der hier Koalition. Aber eines ist klar: Wir werden in dieser 16060 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Eckart von Klaeden Frage in dieser Legislaturperiode zu einer Lösung Das heißt, er ist noch nicht einmal an die Vorausset- kommen, die ein klares und eindeutiges Integrations- zung gebunden, in unserem Land nicht straffällig ge- signal setzt, und wir laden Sie herzlich ein, an diesem worden zu sein. Gerade das Instrument der Differen- Signal teilzunehmen. zierung dürfen wir uns nicht aus der Hand schlagen lassen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zum Einig sind wir uns in der Koalition zweitens auch Einwanderungsgesetz machen. Ein Teil seiner Befür- darin, daß wir die generelle doppelte Staatsangehö- worter geht davon aus, daß es in den nächsten Jah- rigkeit ablehnen. Mir ist es unverständlich, warum ren überhaupt nicht zur Anwendung kommen wird. Sie gerade diesen Punkt immer wieder zur Gretchen- Ein Gesetz aber, das dem Verbesserungsprozeß aus frage des Staatsangehörigkeitsrechts machen. Vollzug und Novellierung entzogen wird, wird ein schlechtes Gesetz sein. (Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN] : Nicht wir, Sie machen das!) Man kann es auch so sagen: Ein Gesetz zu ma- chen, um es gleich auf Halde zu legen, ist so sinnvoll, Herr Kollege Özdemir, Ihre Rede widersp richt lei- als wenn man zur Vorratshaltung Schokolade im Gar- der wieder einmal Ihren Anträgen. Ich habe manch- ten vergräbt. mal den Eindruck, das dient vor allem dazu, die Atti- tüde der Fortschrittlichkeit vor sich herzutragen, aber Da Sie den Ausführungen unserer Fraktion in gleichzeitig eine vernünftige Lösung in der Sache zu diesem Punkt wahrscheinlich nicht zustimmen wol- verhindern. len, will ich Ihnen gern etwas aus einem Antrag auf Ihrem Bundesparteitag in Mannheim 1995 vor- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) lesen. Das war nicht nur aus diesem Grunde ein ganz bemerkenswerter Parteitag. Ich wi ll das in Wir wollen drittens - auch das ist in der Koalition der Ihnen angemessenen Milde tun, Frau Sonntag unstrittig und insbesondere durch einen Beschluß Wolgast. der CSU-Landesgruppe im Januar letzten Jahres auf der Klausurtagung im Wildbad Kreuth so bestätigt Hier geht es um die Fragen eines Einwanderungs- worden - gesetzes. Der Antrag kommt zu dem Ergebnis:

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was Deshalb legen wir dem Bundesparteitag auch haben Sie als Hildesheimer mit der CSU zu ausdrücklich keine Empfehlung zur Schaffung tun?) eines Einwanderungsgesetzes vor. - die Einbürgerungsvoraussetzungen für hier le- (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Das bende Ausländerinnen und Ausländer doppelt ver- war ein Minderheitenvotum im Anhang!) bessern: zum einen durch eine großzügigere Gewäh- - Ja, ja, es gibt manchmal Einbrüche der Realität in rung des Rechtsanspruchs auf Einbürgerung und Ihrer Partei. Deswegen wi ll ich Ihnen die Argumente zum anderen durch eine Reduzierung der Fristen. nennen: Außerordentlich wichtig für die Akzeptanz einer Ein Einwanderungsgesetz ist nicht geeignet - so vernünftigen Ausländerpolitik ist jedoch, folgenden heißt es im Antrag -, dem Argument Rechnung zu Umstand nicht außer acht zu lassen: Wir haben in be- tragen, daß Deutschland ein Einwanderungsland sei. stimmten Deliktsbereichen - auch das gehört hierher Es ist nicht geeignet, die Integrationsanstrengungen - einen erschreckend hohen Täteranteil mit auslän- in diesem Lande zu fördern. discher Staatsbürgerschaft. Dabei handelt- es sich nicht - darauf hat Bundesminister Kanther vorgestern Es wird darauf hingewiesen, daß es eine Fiktion im Deutschlandfunk zutreffend hingewiesen - um ist, zu meinen, wir könnten dieses Einwanderungs- diejenigen, die seit langem, seit vielen Jahren mit gesetz auf junge Menschen beschränken oder wir uns hier leben, aus unserer Gesellschaft nicht mehr könnten angesichts unserer jetzigen Lage auf dem wegzudenken sind und zu ihrem konstitutiven Be- Arbeitsmarkt ein solches Einwanderungsgesetz ge- standteil geworden sind, sondern es geht um diejeni- brauchen. Auch der Vorstellung, daß es notwendig gen, die oft nur zum Zwecke der Begehung von sei, die Möglichkeiten der Zuwanderung nach Straftaten in unser Land kommen. Deswegen heißt Deutschland neu zu regeln, wird überall eine Absage das Zauberwort in der Einbürgerungspolitik „Diffe- erteilt. Deswegen kommt der Antrag zu der Feststel- renzierung" . Diese Möglichkeit dürfen wir uns nicht lung, daß wir zur Zeit kein Einwanderungsgesetz aus der Hand schlagen lassen. brauchen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Lassen Sie mich mit einem Zitat von Kurt Tuchol- sky abschließen, der über die SPD gesagt hat: Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, genau das ist der Grund, Es ist ein Unglück, daß die SPD „Sozialdemokra- warum Ihr Antrag vom 15. Mai abgelehnt werden tische Partei Deutschlands" heißt. Hieße sie ... muß. Dort heißt es: „Reformistische Partei" oder „Pa rtei des kleine- ren Übels" oder „Hier können Familien Kaffee Der Rechtsanspruch auf Einbürgerung verlangt kochen" oder so etwas -: ... so aber macht der La- einen verfestigten Aufenthalt und ist an keine den seine schlechten Geschäfte unter einem ehe- weiteren Voraussetzungen gebunden. mals guten Namen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16061 Eckart von Klaeden Vielen Dank. fahr besteht, daß sich eine soziale Spaltung vertieft, sind fünf Jahre eine lange Zeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Fehler (Zuruf von der SPD: Das ist wahr!) haft informiert, Herr Kollege!) Fünf Jahre sind nicht irgendeine kleine Zeitspanne, so daß man sagen kann: Wir handeln in den nächsten Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe nun fünf Jahren. So kann man mit einem solch ernsten dem Abgeordneten Otto Schily das Wo rt. Problem nicht umgehen. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Rosel Otto Schily (SPD): Herr Präsident! Neuhäuser [PDS]) Meine Damen und Herren, unser Staatsangehö- Daß diese Bundesregierung handlungsunfähig ge- rigkeitsrecht ist jetzt 80 Jahre alt. Ich denke, wir worden ist, hat sich inzwischen herumgesprochen. sind gemeinsam der Auffassung, daß es jetzt not- wendig ist, daß wir die Regelungen des gelten- (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Das meinte den Rechts überprüfen. ... Wir wollen weitere Re- ich mit parteipolitischen Spielen!) gelungen schnell treffen. Das heißt, wir wollen sie Was wir hier vor uns haben, ist nur noch das dahinve- noch in dieser Legislaturperiode verabschieden. getierende Chaos. Sie haben wenigstens in Ihren Jetzt müßte eigentlich brausender Beifall der CDU/ Reihen einige Leute, von denen ich annehme, daß sie CSU-Fraktion kommen; denn das war ein Zitat aus das Richtige erkannt haben. Diese müßten dann einer Ansprache des Bundeskanzlers. auch den Mut haben - da folge ich dem Kollegen Cem Özdemir -, einmal das Parlament und damit die (Heiterkeit und Beifall bei der SPD - Beifall quer durch die Fraktionen vorhandene Mehrheit zur bei Abgeordneten der CDU/CSU) Geltung zu bringen - wie es immerhin in anderen - Sehr gut. Fragen gelungen ist -, so daß wir zu einer vernünfti- gen Reform kommen. Herr Marschewski, der Beifall ist in Ordnung, Sie müssen jetzt nur noch zur Kenntnis nehmen, wann (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Cem der Bundeskanzler das gesagt hat. Das hat er näm- Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) lich am 16. Juni 1993 gesagt, und am 16. Juni 1993 An erster Stelle gilt für eine Staatsangehörigkeits- fehlte etwa noch ein Jahr bis zum Ende der Legisla- reform, daß wir damit eine Integrationsaufgabe zu er- turperiode, und nichts ist passiert. füllen haben. Aber sie gehört auch in den Bereich, in dem wir allenthalben von allen Seiten Beschwö- (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Deshalb rungsformeln hören, nämlich in den Bereich der Mo- machen wir es diesmal anders!) dernisierung und der Vereinfachung der Verwaltung Jetzt erzählen Sie uns wieder etwa ein Jahr vor To- und des Rechts. Wir haben ein völlig zersplittertes, resschluß, Sie werden, Sie wollen und Sie wünschen unübersichtliches Staatsangehörigkeitsrecht. allerlei. Nun müssen Sie allerdings hinnehmen, Herr (Zustimmung des Abg. Erwin Marschewski Marschewski, Herr von Klaeden und Herr Wester- [CDU/CSU]) welle, daß die Glaubwürdigkeit Ihrer Versprechen durch den Zeitablauf gelitten hat. Es wäre nun wirklich an der Zeit, das einmal so zu kodifizieren, daß man vernünftig damit umgehen (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE kann. Wenn Herr Marschewski dazu ja sagt, dann GRÜNEN und der PDS) - freue ich mich darüber. Aber handeln Sie nun endlich Wir wollen keine schönen Worte mehr hören. Wir einmal! wollen nicht mehr am Sonntag schöne Interviews der (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Cem „jungen Zahmen" hören. Wir wollen vielmehr Taten Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - sehen. Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Machen (Beifall bei der SPD) wir doch!) Ich sage einmal zu der von mir sehr hoch geschätz- Einige wollen sich und uns übertreffen. Das finde ten Frau Kollegin Schmalz-Jacobsen: Ich höre Sie ich sehr gut; ich bin für politischen Wettbewerb auf hier des öfteren. Man kann eigentlich alles das, was diesem Gebiet in jeder Weise zu haben. Aber die Be- Sie hier am Pult sagen, unterschreiben. Nur wenn es denkenträger vertreten immer die Meinung, die wir dann an das Abstimmen geht, gilt das Gesagte auf auch heute wieder gehört haben: Die Mehrstaatlich- einmal nicht mehr. So können wir nicht miteinander keit wollen wir nicht. Ich bin nicht dafür, daß wir uns umgehen. zum Ziel setzen, für möglichst viele die Mehrstaat- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE lichkeit herbeizuführen. Das ist sicherlich nicht rich- GRÜNEN und der PDS) tig. Wo man sie vermeiden kann, sollte man sie ver- meiden, um die bekannten Probleme, die damit ver- Es muß endlich einmal nicht nur das Richtige gesagt bunden sein können, nicht herbeizuführen. Aber werden, sondern auch das Richtige getan werden. man sollte diese Frage nicht hochstilisieren. Für eine Integrationsaufgabe, die gerade Jugendli- Ich habe hier einen Ausspruch, den ich für völlig che betrifft, die bei uns leben, und bei denen die Ge- richtig halte. Er stammt von dem Vorsitzenden des 16062 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 Otto Schily Rechtsausschusses, der bekanntlich der CDU ange- Chef das Durchsetzungsvermögen hat, das, was er hört. Herr Eylmann hat gesagt: uns verspricht, auch zu realisieren. Ich muß leider feststellen, daß in dieser Richtung nichts geschieht. Der Ausschluß mehrerer Staatsangehörigkeiten als Ordnungsprinzip ist durchaus vernünftig. Ich denke, diejenigen, die diese Fragen wirklich Aber er erfährt eine fragwürdige, ideologische ernst nehmen, sollten das Angebot akzeptieren, daß Überhöhung. wir die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts ge- meinsam - wenn es Varianten, unterschiedliche Vor- Genau das ist richtig. Diese Erkenntnis muß zu Kon- schläge gibt, dann bin ich bereit, darüber zu reden - sequenzen führen. bald umsetzen. Dem dient auch unser Antrag. Wir (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ haben bewußt die materielle Grundlage dessen of- DIE GRÜNEN) fengelassen. Wir haben gesagt: Wir forde rn die Bun- desregierung auf, ein Reformprojekt vorzulegen. Wir Da Herr Zeitlmann und andere diese Dinge hier so sind bereit, über die Vorstellungen zu reden. Wer hochgespielt haben, muß ich fragen: Herr Zeitlmann, noch andere Vorstellungen hat als wir - bitte schön, ist Ihnen eigentlich entgangen, daß die Mehrstaat- all das ist diskussionsfähig. lichkeit in Rechtsordnungen einiger sehr respektab- ler demokratischer Staaten als Jus so li verwirklicht Sie müssen aber nun wirklich vom Reden zum wurde? Es ergeht auch deutschen Staatsbürgern so, Handeln übergehen. Davon habe ich bisher nichts daß sie - wie Sie das ausgedrückt haben - durch Ge- sehen können. Wenn Sie es aus der Regierung und burt die doppelte Staatsbürgerschaft erwerben. der Koalition heraus nicht schaffen, dann lassen Sie Daran nehmen sie keinen Schaden. uns dies, wie der Kollege Özdemir gesagt hat, über einen Gruppenantrag versuchen. Ich bin gespannt, Ich habe eine Nichte, die in den Vereinigten Staa- ob Herr Altmaier, Herr von Klaeden und andere, die ten geboren wurde. Dadurch hat sie die amerikani- gerne bestimmte Essensveranstaltungen wahrneh- sche Staatsangehörigkeit erworben. Ihre deutsche men, Staatsangehörigkeit hat sie, weil sie aus einer deut- (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) schen Familie stammt, nicht verloren. Sie hat die doppelte Staatsangehörigkeit. Ich habe bei meiner bereit sind, sich auf solche Gruppenanträge einzulas- Nichte keinen Schaden wahrnehmen können. So sen. geht es vielen. Sie sollten die Dinge nicht daran fest- Vielen Dank. machen, urn eine künstliche Hürde zu schaffen, da- mit Sie die Integrationsaufgabe nicht leisten können. (Beifall bei der SPD und der PDS - Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Das war die Seien Sie ehrlich: Es gibt in Ihren Reihen jeman- kulinarische Neidkampagne!) den, der diese Integration überhaupt nicht will. Ich nenne ihn beim Namen. Das ist der Bundesinnenmi- nister Kanther. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Für die Bun- desregierung gebe ich dem Parlamentarischen (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: So ist Staatssekretär Eduard Lintner das Wo rt . es!)

Sie sollten sich endlich einmal eingestehen, daß Ihre Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- „jungen Zahmen" in der Minderheit sind und daß minister des Innern: Sehr geehrter Herr Präsident! sich Ihre Versprechungen, die Sie heute von diesem Meine Damen und Herren! Die heute zu behandeln- Pult aus abgegeben haben, auch in dieser Legislatur- den Anträge und Gesetzentwürfe sind ein Muster- periode nicht erfüllen werden. - beispiel dafür, wie weltfremd man in der Opposition agieren kann. (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Leider wahr! - Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Ihr (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) wärt doch froh, wenn ihr einen unter 40 hät tet!) Nehmen wir uns zunächst einmal die Gesetzent- würfe von Bündnis 90/Die Grünen vor. Man muß Das ist leider die Wahrheit, meine Damen und Her- feststellen, daß es sich dabei um die offenkundige ren. Weigerung handelt, die in Deutschland bestehende Realität zur Kenntnis zu nehmen. Die Realität ist: Wir Zu Herrn Westerwelle. Ich habe irgendwo gelesen onen Arbeitslose, davon allein unge- - Herr Özdemir oder ein anderer, ich weiß es nicht haben 4,5 Milli fähr 900 000 arbeitslose Ausländer, was einem Anteil mehr genau, hat das bereits zitiert -, Herr Gerhardt von zirka 20 Prozent entspricht. Der Ausländeranteil habe erklärt, die Staatsangehörigkeitsreform sei zur bei den Sozialhilfeempfängern ist mit zirka 33 Prozent Chefsache gemacht worden. Darüber freue ich mich sogar noch höher. ja. Nur: Wer ist denn der Chef in der Koalition? Das ist doch die Frage. In dieser Situation, die zudem durch immer knap- per werdende Haushaltsmittel gekennzeichnet ist, (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Das müs kommen nun die Grünen und fordern in ihrem Ent- sen Sie als SPD-Mann gerade sagen! Das wurf für ein Einwanderungsgesetz die Schaffung er- Dreigestirn!) weiterter Zuwanderungsmöglichkeiten. Sie wollen Wenn das nun wirklich zur Chefsache gemacht wor die Aufnahme von 220 000 Zuwanderern in jedem den ist, dann möchte ich doch einmal fragen, ob der Jahr bis ins nächste Jahrtausend hinein, wobei die Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16063 Parl. Staatssekretär Eduard Lintner Zahl der Asylbewerber, derzeit etwa 120 000, sogar friedlichen Zusammenlebens von Deutschen und noch hinzugerechnet werden müßte. Ausländern auswachsen. Zur Begründung wird ausgeführt, eine „bewußt Fast noch frappierender als der Entwurf eines Ein- geplante Einwanderung" liege im Interesse der Bun- wanderungsgesetzes ist das sogenannte Niederlas- desrepublik Deutschland. Der Einwanderungsprozeß sungsgesetz. Mit dem dort enthaltenen absoluten müsse deshalb, wie es heißt, „konstruktiv gestaltet" Ausweisungsschutz wäre dann aber auch der letzte werden. Anreiz beseitigt, sich um eine rasche Integration in Deutschland zu bemühen. Ich muß sogar so weit ge- (Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ hen, zu sagen, daß der Gesetzentwurf das Verhältnis NEN]: Richtig!) von Deutschen und Ausländern schwer belasten würde. Denn es dürfte zum Beispiel den Bürgern Indes: Für eine derartige konstruktive Gestaltung nicht zu vermitteln sein, daß selbst schwerkriminelle bietet der Gesetzentwurf keinerlei Handhabe. Ausländer weiter im Land bleiben sollen, weil sie (Otto Schily [SPD]: Welche bieten Sie sonst - ich zitiere aus der Begründung des Gesetzent- denn?) wurfes - „in der Planung ihrer Zukunft in der Bun- desrepublik Deutschland verunsichert" wären. Im Gegenteil: Gerade in den Bereichen Zuwande- Wo sich die Grünen durch besondere Realitäts- rung aus humanitären Gründen und Familiennach- ferne hervortun, macht es sich die SPD bequem. Man zug, in denen der Gesetzentwurf den Zuzug prak- spart sich die Mühe, einen eigenen Gesetzentwurf tisch völlig freigibt, ist keinerlei Auswahl der Zuwan- auszuarbeiten, der natürlich das Risiko mit sich derer vorgesehen. Vielmehr soll der Familiennach- bringt, daß man daran gemessen werden könnte, zug uneingeschränkt garantiert sein, sogar dann, und beschränkt sich darauf, der Bundesregierung wenn absehbar ist, daß die Nachzugswilligen der So- bruchstückhafte, sogenannte Regelungsvorschläge zialhilfe zur Last fallen werden. Obendrein bleiben vorzulegen. die Verfasser die Antwort schuldig, was mit nach- zugswilligen Familienangehörigen nach Ausschöp- Kommen wir also zu diesen Regelungsvorschlä- fung der Jahresquote eigentlich zu geschehen hat. gen. Die SPD befürwortet ein System der gesteuerten Zuwanderung mit regelmäßig festzulegenden Die vorgeschlagene Regelung wird im Einzelfall Höchstgrenzen. Dabei will sie allerdings keine neuen sogar gegen Integration gerichtet sein, zum Beispiel Anreize für eine weitere Zuwanderung schaffen. Ich dann, wenn die Altersgrenze für den Nachzug von habe zuvor schon dargelegt, daß weder die Bedürf- Kindern von 16 Jahren auf 21 Jahre heraufgesetzt nisse des Arbeitsmarktes noch die demographische wird. Denn dies bedeutet, daß Kinder noch in einem Entwicklung ein Zuwanderungssteuerungsgesetz er- Alter nach Deutschland geholt werden können, in forderlich machen. Wohlweislich benennt auch die dem eine erfolgreiche Eingliederung in das deutsche SPD keine Sektoren, in denen ein Arbeitskräftebe- Schul- und Ausbildungssystem in der Regel nicht darf bestehen soll, der angeblich nur durch Zuwan- mehr zu erwarten ist. Die sprachlichen und sozialen derung gedeckt werden kann. Barrieren werden auf diese Weise höchstens erhöht, nicht aber gesenkt, und damit die Integrationsmög- lichkeiten und Erwerbschancen der Betroffenen er- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege heblich verringert. Ihr Weg in die Bedürftigkeit, das Lintner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge- heißt in die Sozialhilfe, ist damit eigentlich vorpro- ordneten Graf? grammiert. - Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Daß Sie auch nichtehelichen Lebenspartnern und minister des Innern: Bitte schön. gleichgeschlechtlichen Pa rtnern einen Anspruch auf Nachzug einräumen wollen, ist bereits erwähnt wor- den. Günter Graf (Friesoythe) (SPD): Herr Kollege Lint- ner, ich bin ein wenig irritiert. Sie kritisieren die SPD, Ebenso gravierend ist, daß die Verfasser es hin- weil sie in ihrem Antrag über Quoten spricht. Stim- sichtlich der angestrebten Aufnahme von Zuwande- men Sie denn der Auffassung Ihres Kollegen Steffen rern offenbar nicht für nötig halten, zu fragen, ob die Kampeter zu, der im Rahmen eines Seminars der Arbeitsplätze nicht auch mit einem Deutschen oder Konrad-Adenauer-Stiftung am 11. Juni 1992 in einem bereits in Deutschland ansässigen Ausländer Espelkamp besetzt werden können. Dann müßten sie nämlich zu dem Schluß kommen, daß praktisch in keinem Be- (Zurufe von der CDU/CSU: O Gott! - Erwin rufsfeld auf lange Zeit irgendein Zuwanderungsbe- Marschewski [CDU/CSU]: Kurz vor Grön darf gegeben ist. Bei dieser Sachlage muß die Neu- land!) aufnahme von Ausländern zu einem Verdrängungs- -1992, zu einem Zeitpunkt, als das Problem noch wettbewerb zu Lasten der in der Regel besser be- nicht so dringlich war - erklärte, zahlten einheimischen Arbeitnehmer führen - Stich- wort Lohndumping, das ja aus der aktuellen Lage be- daß der Zuzug stärker geregelt werden muß. Das kannt ist. betrifft die Aussiedler, aber auch jede andere Form des Zuzugs. Wir werden in diesem Zusam- Das kann sich - diese Gefahr möchte ich ausdrück- menhang um Quotierungen oder ähnliche Rege- lich auch hervorheben - bis zu einer Gefährdung des lungen nicht herumkommen, so bitter das für die 16064 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Günter Graf (Friesoythe) Betroffenen auch sein mag. Die Tür bleibt weiter Lassen Sie bitte die Finger von einem solchen Ver- offen, nur müssen wir verstärkt Steuerungsinstru- fahren! Damit würden Sie uns allen einen wesentli- mente einsetzen. Dies muß differenzie rt für die chen Dienst erweisen. verschiedenen Gruppen der zuziehenden Perso- Vielen Dank. nen erfolgen. (Beifall bei der CDU/CSU) Jetzt kommt das, was in unserem Antrag fast wo rt -gleich steht: Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich schließe Dabei werden auch die Aussiedler mit zu berück- damit die Aussprache. sichtigen sein. Wenn die Verwaltungspraktiker fragen, wie eine entsprechende Vorschrift umge- Wir kommen zu den Abstimmungen. Interfraktio- setzt werden soll, kann eine ganze Reihe von Kri- nell wird Überweisung der Vorlagen auf den Druck- terien genannt werden, die zur Grundlage von sachen 13/7416, 13/7417 und 13/7511 an die in der Quotierungen werden können: Die demographi- Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- sche Entwicklung in der Bundesrepublik, Not- gen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und wendigkeiten des Arbeitsmarktes oder Finanzie- höre keinen Widerspruch. Damit sind diese Überwei- rungsaspekte des Sozialversicherungssystems. sungen so beschlossen. Wo ist eigentlich der Unterschied zu unserem An- Dann kommen wir zum Antrag der Fraktion der trag? Darauf hätte ich gerne eine Antwort. SPD „Gesetzesinitiative der Bundesregierung zur Re- form des Staatsangehörigkeitsrechtes" auf Drucksa- (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Beides ist che 13/7505. Die Fraktionen der CDU/CSU und gleich schlecht!) F.D.P. haben beantragt, die Vorlage zur federführen- den Beratung an den Innenausschuß und zur Mitbe- Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- ratung an den Rechtsausschuß, an den Ausschuß für minister des Innern: Herr Kollege Graf, über Quoten Arbeit und Sozialordnung und an den Ausschuß für und dergleichen ist ja schon oft geredet worden. Sie Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu überwei- wissen so gut wie ich - das ist im übrigen auch in den sen. Die Fraktion der SPD verlangt sofortige Abstim- Einlassungen der Vorredner zum Ausdruck gekom- mung. Der Überweisungsantrag geht nach ständiger men -: Gerade dadurch, daß Sie selber für die näch- Übung vor. Wir stimmen daher zunächst über den sten Jahre die Quote null anerkennen, geben Sie zu, Überweisungsantrag ab. Ich bitte diejenigen, die daß im Moment ein solches Gesetz völlig wirkungslos dem Überweisungsvorschlag der Koalitionsfraktio- wäre. nen zuzustimmen wünschen, um das Handzeichen. (Günter Graf [Friesoythe] [SPD]: Steht doch (Dr. Uwe Küster [SPD]: Aussitzen!) gar nicht drin!) - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann - Aber faktisch müssen Sie es doch tun, sonst bekom- stelle ich fest, daß der Überweisungsvorschlag mit men Sie doch eine zusätzliche Zahl von Zuwande- den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen des rern, die wir alle nicht verkraften. Sie betonen doch Hauses im übrigen angenommen worden ist. Damit immer, daß das nicht Ziel Ihrer Initiative sei. Daß wir stimmen wir heute nicht in der Sache ab. bei den Aussiedlern Maßnahmen ergriffen haben, Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen die in etwa in die von Ihnen angemerkte Richtung auf den Drucksachen 13/7676 und 13/7677 an die in gehen, haben Sie ja miterlebt, so daß diese Äußerung der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- eigentlich nicht gegen das spricht, was ich hier vor- schlagen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. getragen habe. Dann sind diese Überweisungen so beschlossen. (Günter Graf [Friesoythe] [SPD]: Völlig Wir kommen nun zur Beschlußempfehlung des unbefriedigend!) Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal Bündnis 90/Die Grünen zur Zurücknahme der darauf hinweisen, daß es keinen Sinn macht, eine Visumspflicht für Kinder und Jugendliche aus den Quote festzulegen, wenn die tatsächlich stattfin- früheren Anwerbeländern; das ist die Drucksache dende Zuwanderung diese Quote bei weitem über- 13/7637. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf schreitet und deshalb die Quote auf Jahre hinaus, Drucksache 13/6930 abzulehnen. praktisch auf die volle absehbare Zeit hinaus, mit Ich lasse über die Beschlußempfehlung des Aus- null festgesetzt werden müßte. schusses abstimmen. Wer für die Beschlußempfeh- (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr lung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - wahr!) Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen Das Gesetz ist eine Luftnummer, die wir uns auch der Koalition bei Stimmenthaltung der Fraktion der im Interesse der Betroffenen nicht zumuten sollten. SPD gegen die Stimmen des Hauses im übrigen an- Sie wissen ganz genau, daß allein der Titel Einwan- genommen worden ist. derungsgesetz falsche Hoffnungen wecken würde, die dann nicht erfüllt werden könnten. Die Leute Nun rufe ich die Beschlußempfehlung des Innen- sind aber möglicherweise, weil sie diese tiefere Diffe- ausschusses zu dem Antrag der Gruppe der PDS zur renzierung nicht kennen können und darüber keine Rücknahme der Visums- und Aufenthaltspflicht für Informationen haben, dann doch im Lande. Kinder und Jugendliche aus den ehemaligen Anwer- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16065

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch bestaaten auf, Drucksache 13/7637. Der Ausschuß Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7036 abzu- die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich lehnen. sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so be- schlossen. Ich lasse über die Beschlußempfehlung des Aus- schusses abstimmen. Wer für die Beschlußempfeh- Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wo rt dem lung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Abgeordneten Michael von Schmude. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen Michael von Schmude (CDU/CSU): Herr Präsident! der Koalition und der Fraktion der SPD gegen die Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Stiftungs- Stimmen des Hauses im übrigen angenommen wor- erlaß vom 14. November 1994 wurde eine wichtige den ist. Lücke in der Reihe der bestehenden Stiftungen ge- Nun rufe ich die Beschlußempfehlung des Innen- schlossen. Der vorliegende Gesetzentwurf sieht nun ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur die Umwandlung der bisher unselbständigen Otto- Erleichterung der Einbürgerung jugendlicher Aus- von-Bismarck-Stiftung in eine rechtsfähige Stiftung länder, Drucksache 13/7637, auf. Der Ausschuß emp- öffentlichen Rechts vor. Damit wird Rang und Bedeu- fiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/7090 abzuleh- tung des Wirkens Otto von Bismarcks angemessen nen. Rechnung getragen und der Stiftung zugleich eine tragfähige überparteiliche Basis für ihre zukünftige Ich lasse über die Beschlußempfehlung des Aus- Arbeit gegeben. schusses abstimmen. Wer ihr zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - (Vorsitz : Vizepräsident Hans-Ulrich Klose) (Otto Schily [SPD]: Guck mal, die „jungen Bereits 1985 wurde auf Anregung von Bundes- Wilden"!) kanzler. mit den Vorbereitungen zur Gründung dieser Stiftung begonnen. Das Land Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich Schleswig-Holstein, ursprünglich einmal bereit, sich fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen an der Finanzierung maßgeblich zu beteiligen, ver- der Koalition und der Gruppe der PDS gegen die sagte sich nach mehrjährigen Verhandlungen in Stimmen des Hauses im übrigen angenommen wor- Etappen mit fadenscheinigen Begründungen. den ist. (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Mit (Dr. Uwe Küster [SPD]: Doppelzüngig, wie guten Gründen!) immer!) Dabei wurden, Frau Kollegin Sonntag, nicht nur die Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Interessen Schleswig-Holsteins mißachtet, sondern Drucksache 13/7784 (neu) an die in der Tagesord- auch die historische Bedeutung des Wirkens Otto nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind von Bismarcks von Friedrichsruh aus verkannt, der Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen die Geschichte des Deutschen Reiches zwischen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlos- 1871 und 1890 von seinem Wohnsitz im Sachsenwald sen. aus leitete. Damit sind wir am Ende dieses Tagesordnungs- Ziel war und ist es, den Nachlaß des Staatsmannes punktes. und Gründers des Deutschen Reiches sowohl der deutschen als auch der internationalen Öffentlichkeit Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 8 auf: und damit vor allem Wissenschaft und Forschung zu- gänglich zu machen. Zweite und dritte Beratung des von den Abge- ordneten Dr. Klaus-Dieter Uelhoff, Michael Die einmalige Chance, den historischen Bahnhof von Schmude, Dr. Rolf Olderog, weiteren Ab- Friedrichsruh aus dem Jahre 1880 als Teil des En- geordneten und der Fraktion der CDU/CSU sembles Bismarck-Museum und -Mausoleum von der sowie den Abgeordneten Ina Albowitz, Jürgen Deutschen Bahn AG zu erwerben, wurde vom Bun- Koppelin und der Fraktion der F.D.P. einge- desinnenminister 1994 genutzt, um dort die Stiftung brachten Entwurfs eines Gesetzes über die Er- künftig zu etablieren. Sanierung und Umbau des Bahnhofsgebäudes sind beschlossen und ebenso wie richtung einer Otto - von Bismarck - Stiftung die Kosten für die laufende Arbeit der Stiftung im - Drucksache 13/3639 - Bundeshaushalt bereits eingeplant. Für die Gebäu- (Erste Beratung 86. Sitzung) deherrichtung sind 7,5 Millionen DM vorgesehen, für die jährlichen Kosten der Stiftung 1 Million DM. Mit Beschlußempfehlung und Bericht des Innen- der Fertigstellung rechnen wir 1999. ausschusses (4. Ausschuß) - Drucksache 13/4186 - Die Bündelung der verschiedenen Einrichtungen in Friedrichsruh stellt ein gesamtstaatlich bedeutsa- Berichterstattung: mes Kulturerbe Deutschlands dar. Der Fami lie von Abgeordnete E rika Steinbach Bismarck ist besonders zu danken. Sie hat durch die Siegfried Vergin Bereitstellung der Archiv- und Bibliotheksbestände Manfred Such aus dem Nachlaß des Reichskanzlers die Gründung Cornelia Schmalz-Jacobsen der Stiftung überhaupt erst ermöglicht und damit Ulla Jelpke den Weg frei gemacht für diese wissenschaftliche 16066 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Michael von Schmude und kulturelle Institution, die künftig das Zentrum Wir begrüßen dieses eindrucksvolle Engagement der Bismarck-Forschung sein wird. führender Historiker und stimmen diesem Gesetzent- wurf gerne zu. Zentraler Aspekt ist die historisch-politische Bil- dung. Die Darstellung und Erforschung der Ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) schichte des 19. Jahrhunderts, der Übergang zum 20. Jahrhundert und die durchaus pluralistische Aus- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die einandersetzung mit der zentralen Figur dieser Epo- Kollegin Uta Titze-Stecher, SPD. che sind Aufgaben der Stiftung. Das Spannungsfeld Deutschland und Europa hat Uta Titze-Stecher (SPD): Herr Präsident! Liebe Kol- Bismarck stets beschäftigt. Deutsche und europäi- leginnen und Kollegen! Ganz so einfach ist die Ent- sche Geschichte haben bis in unsere Zeit hinein ei- scheidung für diese Stiftung ja nicht, Herr Kollege nen Bezug zu seinem Wirken. hat von Schmude. Immerhin haben Sie vor fast einem Politik gestaltet in einer Zeit des Umbruchs und der Jahr, kurz vor der parlamentarischen Sommerpause, Neuordnung. Seine Antworten auf die außenpoliti- an einem späten Juniabend, kurz vor Mitternacht schen Herausforderungen, aber auch auf die großen versucht, fast unbemerkt von der Öffentlichkeit eine sozialen Probleme, haben Weichen gestellt. Idee, sprich: eine Ideologie zum Gesetz werden zu lassen, (Otto Schily [SPD]: Aber die falschen!) (Ina Albowitz [F.D.P.]: Bitte?) Dies gilt ebenso für die Entwicklung vom Obrigkeits- über die nicht einmal im zuständigen Fachausschuß, staat hin zu einer demokratischen Öffnung. dem Innenausschuß, ausführlich diskutiert wurde - in der gegenseitigen Annahme der Mitglieder, das Die Stiftung hat ihre Arbeit aufgenommen und tritt sei alles auf höchster Ebene geritzt, geregelt, be- mit ersten Seminaren an die Öffentlichkeit. Zu nen- schlossen. nen wären Themen wie „Deutsche Sozialpolitik einst Alles wäre seinen diskreten Gang gegangen; und heute", „Bismarck und Europa". Haushalts- und Innenausschuß hatten schon zuge- Die rot-grüne, von der PDS tolerierte Landesregie- stimmt, nur noch die Handzeichen für die zweite und rung von Sachsen-Anhalt hat die Bismarck-Stiftung - dritte Lesung fehlten. Auf meine ständigen Anfragen man höre! - um Unterstützung der von ihr zum - ich bin Berichterstatterin im Haushaltsausschuß für 100. Todestag Bismarcks geplanten Veranstaltung im eben diesen Komplex, nämlich die Innenpolitik - ist nächsten Jahr gebeten. mir nie eine saubere Antwort gegeben worden. Es wurde vielmehr immer nur darauf verwiesen, daß (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Hört, hört!) das auf oberster Ebene entschieden werde und es schon entschieden sei. Im letzten Moment bin ich auf Es ist um so bedauerlicher und unverständlicher, daß einen Artikel in der „Süddeutschen Zeitung" gesto- sich heute Teile der Opposition, die in allen Aus- ßen. schüssen diesen Gesetzentwurf mitgetragen haben, jetzt aus nicht nachvollziehbaren Gründen verwei- Frau Kollegin gern. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Titze-Stecher, ich muß Sie einmal unterbrechen, weil (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Sehr wahr! - Vol ich Sie fragen muß, ob Sie eine Zwischenfrage zulas- ker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ sen. NEN]: Wir erklären das gleich!) - Uta Titze-Stecher (SPD): Das habe ich schon mitbe- Die Bismarck-Stiftung verdient es nicht, durch un- kommen. Ich möchte diesen Gedanken zu Ende brin- gerechtfertigte Unterstellungen diskreditiert zu wer- gen. den. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das müssen Sie Es geht hier nicht, wie es einige wenige vom linken mir aber wenigstens sagen. Rand aus böswillig behaupten, darum, aus F ried- richsruh einen Wallfahrtsort der Rechten zu machen, Uta Titze-Stecher (SPD): Wenn Sie mir das jetzt sondern es geht um die vorurteilslose Auseinander- auch noch von meiner Redezeit abziehen, dann ist setzung mit einer wichtigen Epoche unserer Ge- das schon fast böswillig. schichte. (Zustimmung bei der CDU/CSU) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das ziehe ich Ihnen nicht ab. Namhafte Histo riker, die diese Stiftung durch ihre Mitarbeit fördern, sind Garanten dafür; unter ande- rem die Professoren Gall, Frankfu rt, Hildebrand, Uta Titze-Stecher (SPD): In Ordnung. Ich erlaube Bonn, Kolb, Köln, Kahlenberg, Rovan, Pa ris, sowie eine Zwischenfrage. Herr Kollege von Schmude. Knopp, Präsident der Stiftung Preußischer Kultur- besitz. Dem Beirat gehört darüber hinaus auch der Michael von Schmude (CDU/CSU): Frau Kollegin, frühere amerikanische Außenminister Henry Kis- stimmen Sie mir zu, daß der Haushaltsausschuß nicht singer an. kurz vor Mitternacht, sondern nach ausführlicher Be- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16067

Michael von Schmude ratung dieses Gesetzentwurfes am 28. Februar letz- Eine solche Entscheidung, Herr Abgeordneter ten Jahres bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/ Schmude und Frau Abgeordnete Albowitz, muß m an Die Grünen und der Gruppe der PDS beschlossen doch nicht verschämt diskutieren. Warum diskutie- hat, dem Gesetzentwurf zuzustimmen, und zwar mit ren Sie darüber nach der Antwort der Bundesregie- allen Stimmen der Sozialdemokraten? Stimmen Sie rung nicht aufs neue im Innenausschuß? mir weiter zu, daß der Innenausschuß des Bundesta- ges, der am 13. März 1996 abschließend beraten hat, (Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE ebenfalls mit den Stimmen der Sozialdemokraten, GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischen von Bündnis 90/Die Grünen und der F.D.P. gegen frage) eine Stimme der Gruppe der PDS zugestimmt hat? Sie haben diese Bundesstiftung in eine Reihe mit den bestehenden gestellt. Wir haben Bundesstiftun- Uta Titze-Stecher (SPD): Das ist richtig, Herr Kol- gen für den ersten Präsidenten der Weimarer Repu- lege. Meine Bemerkung zielte allerdings zum ersten blik, für zwei Kanzler der Bundesrepublik - auf die zweite und dritte Lesung hier vor fast einem Adenauer und Brandt, wie bekannt - und für den Jahr ab. Bundespräsidenten Theodor Heuss. Alle diese durch Bundesstiftungen geehrten Staatsmänner sind demo- Meine Bemerkung hat zum zweiten die Informa- kratisch gewählt worden, standen demokratischen tion enthalten, daß, eine ordentliche Debatte im zu- Staatswesen vor. Der Beschluß zur Errichtung der ständigen Fachausschuß nicht stattgefunden hat. Bundesstiftungen ist einvernehmlich erfolgt. Wenn Mehrere Debatten darüber im Haushaltsausschuß, das in diesem Falle nicht möglich ist, dann - das sage deren Zeuge ich war, wurden immer durch Nachfra- ich Ihnen als Schlußsatz - verantworten Sie das bitte gen von mir veranlaßt, weil ein Konzept sehr lange alleine. nicht vorgelegt und die Struktur der Gremien von uns kritisiert wurde. Erst nach langem Fordern der (Abg. Jürgen Koppelin [F.D.P.] meldet sich SPD wurde ein wissenschaftlicher Beirat vorgesehen, ebenfalls zu einer Zwischenfrage) dessen hochkarätige Besetzung Sie - Sie haben Kis- singer genannt - jetzt so lobend erwähnt haben. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Kollegin Genau diese Dinge sind erst zustande gekommen, Titze-Stecher - - nachdem im letzten Jahr auf Druck der SPD die zweite und dritte Lesung - denn es lag eine Kleine Uta (SPD): Das war meine Antwort; Anfrage vor, die ich angestoßen hatte - abgesetzt Titze-Stecher ich möchte fortfahren. worden ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Ina Keine Zwischen- Albowitz [F.D.P.]: Das ist nicht wahr!) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: fragen? Es sind zwei weitere angemeldet. Daß wir uns heute von Ihnen zu Recht und auch kritisch vorhalten lassen müssen, daß wir zunächst (SPD): Kollege Koppelin weiß, zugestimmt haben, ist keine Schande, Herr Ko llege. Uta Titze-Stecher daß ich rechts blind bin. - Ich habe Sie nicht gesehen. Genau die Antworten der Bundesregierung - ich Selbstverständlich. kann unsere ganzen Nachfragen und die Antworten der Bundesregierung hier nicht vorbeten - haben uns veranlaßt, eine komplette Kehrtwendung inhaltlicher Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Dann ist aber zu- Art vorzunehmen. - nächst der Kollege Beck an der Reihe. Ich werde sauber begründen, in welchen Punkten wir gegenüber dem vorliegenden Gesetzentwurf, der Uta Titze-Stecher (SPD): Bitte. im übrigen nicht geändert worden ist, noch immer Vorbehalte und Bedenken anzumelden haben und warum wir deswegen heute entschieden gegen die Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Danach Herr Errichtung einer Bundesstiftung sind. Koppelin. Im übrigen ein letzter Gedanke - bitte als Antwort, Herr Präsident -: Es geht ja nicht darum, daß hier Uta Titze-Stecher (SPD): Das entwickelt sich ja. Ich kein Geld für die Forschung zur Person und zum Wir- freue mich darüber. ken Bismarcks bereitgestellt wird. Diese Stiftung ist bisher, wie Sie wissen, unselbständig. Diese unselb- ständige Funktion bedeutet natürlich, daß je nach Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Haushaltslage des Bundes Mittel gekürzt werden Frau Kollegin Titze-Stecher, da ich nicht den Aus- können. Anders ist dies bei einer Bundesstiftung. schüssen angehöre, die diesen Stiftungsantrag bera- Das ist mehr als eine Ehe. Sie können sich faktisch ten haben, würde ich als Parlamentarier für mein Ab- nur durch ein zweites Gesetz aus einer Bundesstif- stimmungsverhalten gerne wissen, welche Rolle bei tung lösen. Das ist der Punkt, um den es heute geht. der Diskussion in den Fachausschüssen die Informa- tion gespielt hat, die wir kürzlich im „Spiegel" lesen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne konnten: daß sich im Umfeld dieser Stiftung und der ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Stiftungsgremien namhafte Persönlichkeiten rechts- 16068 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Volker Beck (Köln) extremer und verfassungsfeindlicher Parteien bewe- Uta Titze-Stecher (SPD): Sie dürfen sie stellen. gen. Welche Rolle hat das gespielt? (Michael von Schmude [CDU/CSU]: Jürgen Koppelin (F.D.P.): Danke schön. Sie haben Unglaublich!) berichtet, wie engagiert Sie im Haushaltsausschuß aufgetreten sind. Ich habe hier das Protokoll des Zu welchem Zeitpunkt ist den Bundestagsfachaus- Haushaltsausschusses vom 28. Februar 1996. Sie sind schüssen bekanntgeworden, was wir da im „Spiegel" zwar Berichterstatterin, haben aber an der Sitzung lesen konnten? nicht teilgenommen. Das kann ja einmal vorkom- (Michael von Schmude [CDU/CSU]: Das ist men. ja unglaublich!) Uta Titze-Stecher (SPD): Das hatte ich Herrn Kuhl- Uta Titze-Stecher (SPD): Ich kann Ihnen dazu wein überlassen. keine Antwort geben, weil ich nur stellvertretendes Mitglied im Innenausschuß bin. Ich bin ordentliches Jürgen Koppelin (F.D.P.): Der Herr Kollege Purps Mitglied im Haushaltsausschuß. Da sind diese Infor- hat Sie vertreten. Sie waren also, wie gesagt, nicht mationen, die ich dem „Spiegel" der letzten Woche da. entnommen habe, auf die Sie anspielen, noch nicht bekannt gewesen. Uta Titze-Stecher (SPD): Ja. Ich habe allerdings durchaus vor, in meiner Rede darauf einzugehen, daß der Verein „Bismarckbund Jürgen Koppelin (F.D.P.): Deswegen konnten Sie e.V. " mit dem Schirmherrn Fürst Ferdinand Bismarck sich da auch nicht so engagieren, wie Sie es hier dar- an der Spitze unter seinen 500 Mitgliedern Bismarck- gestellt haben. Wie erklären Sie dann, daß alle Ver- Medaillen-Träger und Funktionäre hat, die dem treter der Sozialdemokraten, der Kollege Purps vor- rechtsextremen Dunstkreis zuzuordnen sind, bei- neweg, durchaus erklärt haben, daß Ihre Fraktion zu- spielsweise einen Herrn, der Europaabgeordneter stimmen wird? Da Sie den Zeitpunkt und die A rt der war und den Republikanern angehört, und einen Diskussion kritisiert haben, frage ich Sie: Ist es nicht Herrn, der der verbotenen Freiheitlichen Deutschen auch in Ihrer Fraktion üblich, daß die Tagesordnung, Arbeiterpartei angehörte. Das ist alles dem „Spiegel" die langfristig bekannt ist, vorbereitet wird? letzter Woche zu entnehmen. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Manche Sachen sind offensicht GRÜNEN]: Das Gesetz muß zurück in den lich erst später bekanntgeworden!) Ausschuß!) Ich denke, wenn das bekanntgeworden wäre, Herr Uta Titze-Stecher (SPD): Ich bin Berichterstatterin von Schmude, dann würden Sie sich heute schwerer für den Etat des Innenministeriums seit 1994, wie Sie tun, hier zu sagen, es gehe nur um das Andenken wissen, Herr Kollege Koppelin. Vor meiner Zeit war und die Erinnerung an einen, wie ich zugebe, wichti- dies der Kollege Purps. Ich kann und wi ll hier keinen gen Staatsmann. Aber, Herr von Schmude, das Ent- Kollegen vorführen. Es war bei allen Kollegen gleich, scheidende ist - - an die ich Fragen gerichtet habe: Wer um Himmels willen hat das wo beschlossen? Wo hat eine Diskus- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Sie beantworten sion stattgefunden? Aus welchen Gründen soll hier die Frage von Herrn Beck. eine Bundesstiftung entstehen? - Mir sind - ich wiederhole mich - nie ordentliche, Uta Titze-Stecher (SPD): Ich habe sie beantwortet: einsehbare Antworten gegeben worden. Der Kollege Das war damals mir nicht bekannt. Purps hat mir nur gesagt: Uta, diese Sache ist auf oberster Ebene geklärt. - Nun werde ich einmal ganz Ich nehme an, da Aumühle im Wahlkreis von deutlich: So etwas wird - wie bei den anderen Stif- Herrn Schmude liegt und die Bekanntschaft zum Für- tungen - zwischen den Parteivorsitzenden bespro- sten vorausgesetzt wird, wie ich weiß, ist die Frage chen und abgemacht. Also mußte ich davon ausge- eher an den Kollegen Schmude zu richten. hen, daß zwischen Kanzler Kohl und unserem dama- (Beifall der Abg. Dr. Edith Niehuis [SPD]) ligen Parteivorsitzenden alles geregelt war. Mein Nachbohren bei verschiedenen Personen hat Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Jetzt eine Zwi- dann aber ergeben, daß es gar keine Festlegungen schenfrage des Kollegen Koppelin. gab, (Zuruf von der CDU/CSU: Ein kurzes Jürgen Koppelin (F.D.P.): Verehrte Kollegin, Sie Gedächtnis!) wissen, wie ich Sie schätze. sondern daß es den Wunsch des Kanzlers gab, dem Fürsten anläßlich eines Besuchs auf Schloß F ried- Uta Titze-Stecher (SPD): Danke. richsruh 1988 in die Hand zu versprechen: Der alte Otto von Bismarck kriegt seine Bundesstiftung, und Jürgen Koppelin (F.D.P.): Deswegen fällt es mir zwar so rechtzeitig, daß zum 100. Todestag 1998 a lles fast schwer, diese Frage zu stellen. geritzt und geregelt ist. - Es gab keine schriftliche Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16069

Uta Titze-Stecher Absprache zwischen CDU und SPD. Weisen Sie sie - Das ist mir recht. Wolf-Michael, ich kann das so al- mir nach, Herr von Schmude. Sie werden keinen les zweimal sagen; vielleicht überzeuge ich die Kolle- SPD-Parteivorsitzenden des Wortbruchs bezichtigen gen dann. können. Das habe ich eruiert. (Ina Albowitz [F.D.P.]: Mit Populismus nicht!) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Kollegin Es gibt niemanden, der so gut erforscht worden ist. Titze-Stecher, mir liegt der Wunsch nach einer weite- Es gibt - schauen Sie nach Berlin; ich bin extra hin- ren Zwischenfrage vor. Gestatten Sie sie? gefahren - von keiner Person so viele steinerne Zeugnisse. Bismarck wird jedes Jahr geehrt, zum Beispiel im Mausoleum im Sachsenwald. Er hat also Uta Titze-Stecher (SPD): Aber immer. seine Fangemeinde. Die soll er auch haben; das ist jedem unbenommen. Jeder soll an das glauben, was er will. Wir haben Religions- und Glaubensfreiheit. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Dr. Lippelt, bitte. Warum hier eine Lücke sein soll, Herr von Schmude, hat sich mir nicht erschlossen, es sei denn, Sie meinen eine Bundesstiftung. Ich habe erklärt, Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): daß diese Person eben nicht in eine Reihe mit demo- Frau Kollegin, da nach den Gründen gefragt wurde kratisch gewählten Staatsleuten gehört. Das, was Sie und als Grund im wesentlichen die Bedeutung der anführen, nämlich daß eine vorurteilslose Beschäfti- Persönlichkeit Otto von Bismarcks und die Notwen- gung mit einem wichtigen Teil der Geschichte durch digkeit, sich seinem Werk stärker zu widmen, ange- die Stiftung gewährleistet werden soll, ist für mich führt wurde, frage ich Sie: Ist Ihnen bekannt, daß überhaupt keine Begründung, weil genau dies, also zwei bis drei Historikergenerationen in der zweiten die Beschäftigung mit der ambivalenten Figur und Hälfte des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahr- Person und auch mit der Politik und dem Wirken hunderts fast nichts anderes getan haben, als das Otto von Bismarcks, seit über hundert Jahren stattfin- Werk Otto von Bismarcks zu erforschen, daß es in- det. Sonst gäbe es doch nicht eine wachsende Fange- folge dieser enormen Forschungsarbeit hervorra- meinde. Das ist geradezu der schlagende Beweis da- gende Biographien gibt - bis hin zu Lothar Galls letz- für, daß Ihre Begründung absolut nicht stichhaltig ist. ter Biographie -, daß also, wenn überhaupt etwas be- trieben worden ist, Forschung bet rieben worden ist (Beifall bei der SPD und der PDS - Zuruf von der CDU/CSU) (Ina Albowitz [F.D.P.]: Wo ist die Frage?) - Ich bitte Sie jetzt, mir zu ermöglichen, meine Rede fortzusetzen. Gleichwohl bin ich Ihnen dankbar für zu politischer Geschichte, auch zur Sozialgeschichte, die Fragen, da dadurch einige Dinge in a ller Klarheit so daß von daher nicht der geringste Anlaß be- gesagt werden konnten. steht - - (Zurufe von der SPD und der CDU/CSU) Der Bund hatte bereits 1993, bevor das Parlament sich inhaltlich mit der Sache und auch bevor der - Ich bin vor lauter Empörung über Ihre Begründung, Haushaltsausschuß sich mit der haushaltsmäßigen Herr von Schmude, vom Fernsehen aufgesprungen, Seite beschäftigt hat, den völlig maroden histori- habe mich aufs Rad geschwungen und bin hierher schen Bahnhof Friedrichsruh für eine halbe Million gekommen, um diesen Punkt einmal klarzustellen. DM gekauft. Das war der erste Schritt. Den zweiten Schritt stellte die Zurverfügungstellung von 7,5 Mil- (Ina Albowitz [F.D.P.]: Sie strahlen noch vor lionen DM seitens des Bundes für die Sanierung die- Empörung!) ses maroden Gebäudes dar. Ich frage deshalb die Rednerin, ob ihr bekannt ist, (Dr. Uwe Küster [SPD]: 7,5 Millionen für daß es über keinen deutschen Politiker so viele Meter einen Bahnhof! Ist ja happig!) guter Forschung in den Regalen der Universitätsse- - Zu den Zahlen komme ich gleich, ich bin Mitglied minare gibt wie über Otto von Bismarck, und ob sie des Haushaltsausschusses. glaubt, daß es dennoch einen Grund gibt, diese Stif- tung zu errichten. Bis zur Ausfinanzierung der Stiftung im Jahre 1999 ist sie in angemieteten Räumen untergebracht, wofür (Zuruf von der CDU/CSU: Das war nicht an Miete rein rechnerisch vom 1. Juli 1996 bis Ende doll!) Dezember 1999 noch einmal 76 000 DM anfallen. Der reine Betriebshaushalt der zu 100 Prozent vom Bund institutionell geförderten Otto-von-Bismarck-Stiftung Uta Titze-Stecher (SPD): Sie haben absolut recht: beläuft sich in vier Jahren auf 1,4 Mil lionen DM. Es gibt keinen Staatsmann, keinen Politiker des ge- samten 19. Jahrhunderts - ich habe das als Teil in Roundabout, das können Sie sich ausrechnen, sind meine Rede eingebaut -, der so gründlich erforscht das 8,5 Millionen DM; und das in einer Zeit - jetzt und analysiert worden ist wie diese Person. bitte ich die lieben Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushaltsausschuß um Zustimmung -, in der (Zuruf des Abg. Wolf-Michael Catenhusen wir uns gerade beim Einzelplan 06 des Innenministe- [SPD]) riums bemühen, die vielen, vielen Empfänger institu- 16070 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Uta Titze-Stecher tioneller Förderung daran zu gewöhnen, sich auf die der Forschung, die nicht rechtfertigt, daß Sie Bundes- Projektförderung umzustellen, damit wir mehr Ge- mittel einsetzen. staltungsfreiheit haben. In Zeiten maroder Staatsfi- nanzen - ich erinnere Sie an die Debatte, die gestern (Ina Albowitz [F.D.P.]: Sie reden ja ein du gelaufen ist; Stichwort: Operation Goldschatz -, in mes Zeug heute!) Zeiten globaler Minderausgaben, Defizite, Haus- Das Andenken an das Wirken des Staatsmannes Bis- haltssperrungen und Kürzungen im sozialen Bereich marck soll, so steht es im Gesetzentwurf, für die In- haben Sie die Chuzpe, so ein Bubenstück vorzule- teressen der Allgemeinheit gesammelt und verwaltet gen, Steuermittel für eine Bundesstiftung zu verlan- werden. gen, für eine Stiftung mit einem völlig überflüssigen Stiftungszweck. Auf die Anfrage von Ihnen, Herr Kollege Schmude, habe ich schon gesagt, daß kein Politiker des 19. Jahr- ll bei der SPD und der PDS) (Beifa hunderts so genau erforscht wurde. Deswegen wirft Wir sind keine Kulturbanausen. Der Bahnhof dieses Anliegen von Ihnen die Frage auf: Wieviel Bis- Friedrichsruh verdient durchaus Unterstützung. Wir marck braucht das Land noch? Braucht es ihn über- haben im Bundesetat Denkmalschutzmittel; ich kann haupt? Ausgewiesene Histo riker, die mir bekannt mir durchaus vorstellen, daß kein Mensch etwas da- sind - Ihnen vielleicht nicht, Herr Schmude -, wie gegen hätte, den Bahnhof mit diesen Mitteln herzu- Mommsen und Faulenbach, bestätigen meinen Ver- richten. Die Frage ist, ob sich die Fami lie Bismarck dacht, daß unter dem Deckmantel der politischen Bil- die Sanierung vom Bund sponsern lassen muß. Herr dung handfeste Interessen zum Tragen kommen. Schmude, Sie haben ausgeführt, die Fami lie Bis- Faulenbach beispielsweise spricht von einem kaum marck habe aus Großmut aus ihren Archiven eine kaschierten Versuch einer Subventionierung. ganze Menge zur Verfügung gestellt. Man muß die (Unruhe) volle Wahrheit wissen: Die volle Wahrheit ist, daß das eine Dauerleihgabe ist, die, wie Sie mir selbst sagten, nach dem Tode des alten Fürsten durchaus in Frage Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Darf ich darum gestellt ist. Wer schützt mich denn davor, daß sich die bitten, daß nicht von Bank zu Bank kommuniziert Erben der Familie jedes Blatt vergolden lassen, das wird, wenn hier vorne gesprochen wird. heißt, vom Bund bezahlen lassen wollen? Ein weiterer Punkt dazu: Archiv und Bibliothek Uta Titze-Stecher (SPD): Faulenbach kritisiert nicht sind leihweise eingebracht. Was ist denn mit dem nur das zu geringe Maß an Öffentlichkeit, sondern Mausoleum? Was ist denn mit den Memorabilia? Die spricht vom „kaum kaschierten Versuch einer Sub- Teile, bei denen zahlende Besucher auftauchen, be- ventionierung von Einrichtungen der Familie Bis- hält die Familie für sich. Ich denke, daher sind durch- marck". Und Mommsen - Mommsen ist nicht irgend- aus Nachfragen angebracht. wer, sondern ein ausgewiesener Historiker - we rtet das Gesetz zur Errichtung der Bundesstiftung als Die Kritik der SPD-Bundestagsfraktion macht sich Versuch, „der Geschichtswissenschaft eine weiterge- aber weniger, also nicht prioritär, an den Budget- hende Funktion im Sinne der Schaffung eines natio- kosten fest, sondern vor allem am Stiftungszweck - nalen Selbstbewußtseins zu geben". Da sind wir dazu bin ich, durch die Fragen aufgemuntert, schon beim Punkt; das ist es, was Sie und der Kanzler wol- eingegangen -, an der Gremienstruktur und an der len! Darum geht es Ihnen und den geistigen Geburts- Konzeption. Was bekommt denn der Steuerzahler für helfern dieser Bundesstiftung! sein Geld? Der geplanten Stiftung geht es nicht darum, For- Ginge es nach den Vorstellungen des Bonner Hi- m- schungslücken zu füllen - denn die gibt es gar nicht storikers Professor Klaus Hildebrand, des Schöpfers mehr -, sondern darum, eine politische Figur zu hero- der Konzeption - einer Konzeption übrigens, die bis isieren, zu popularisieren und zu politischen Zwek- heute noch nicht vom hochkarätig besetzten wissen- ken zu nutzen. Der Adressatenkreis ist schon ge- schaftlichen Beirat beurteilt worden ist; und Sie wol- nannt worden - in der Ausgabe des „Spiegel" von len hier schon die endgültige Beschlußfassung voriger Woche ist das nachzulesen. Das ist weder gut durchziehen -, noch neu; das ist bereits im letzten Jahrhundert (Zuruf von der CDU/CSU: Sie ist beurteilt durch den Bismarck-Kult zur Genüge getan worden worden!) - siehe steinerne Zeugnisse. Die Folgen für Deutsch- land und seine Stellung in der Welt waren - wie be- dann würde Friedrichsruh zum Zentrum der Bis- kannt - verhängnisvoll. marckforschung in der Welt werden. Wenn man diese Konzeption durchliest - was ich getan habe -, Deshalb fragen wir weiter: Sollen da etwa die Ge- dann merkt man, daß das eine Daueraufgabe ist, schichtsbilder aus dem Kanzleramt gesponsert wer- den? Will sich der „Kanzler der Einheit" in die Nach- (Ina Albowitz [F.D.P.]: Was wird denn zu folge des Eisernen Kanzlers begeben? den anderen Stiftungen gesagt?) (Beifall des Abg. Volker Beck [Köln] so wie der Sozialismus, wie wir früher einmal in der [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) SPD gesagt haben. Das heißt, die Fami lie Bismarck mit all ihren Erben wird immer zu erforschen sein, Oder versteht er so die Umsetzung seiner Vorstellun- weil sie existiert. Ich denke, das ist eine Ausweitung gen von der geistig-moralischen Wende? Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. 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Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Kollegin wenn es mühsam ist - über Bundesmittel in eine Titze-Stecher, Herr Kollege Uelhoff hat den Wunsch Reihe mit den Personen zu stellen, die bisher durch nach einer Zwischenfrage. Gestatten Sie ihn? Bundesstiftungen geehrt wurden, das verbietet sich. Die Finanzierung der Stiftung mit Bundesmitteln können Sie bei diesem Stiftungszweck nicht rechtfer- Uta Titze-Stecher (SPD): Bitte. tigen.

Dr. Klaus-Dieter Uelhoff (CDU/CSU): Frau Kollegin (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Titze-Stecher, da Sie nach dem Sinn der Stiftung fra- ten der PDS - Dr. Klaus-Dieter Uelhoff gen, frage ich Sie, warum im Haushalts- und im In- [CDU/CSU]: Ich habe nur Ihren Gesetzent nenausschuß alle Sozialdemokraten der Begründung wurf zitiert!) des Gesetzentwurfes und damit dem Sinn der Stif- tung zugestimmt haben. In der Begründung heißt es, Kein Mensch würde sich aufregen, und es gäbe daß durch diese Stiftung das Andenken an den er- keine Debatte, wenn Sie es bei dem belassen hätten, sten deutschen Reichskanzler gewahrt und lebendig was bereits besteht, nämlich bei einer unselbständi- erhalten werden und die Stiftung „insgesamt einen gen Stiftung. Davon gibt es schließlich viele. Aber Beitrag zum Verständnis der deutschen Geschichte nein, das genügt Ihnen ja nicht! Sie wollen - ich sage leisten" soll. In der Drucksache 13/4186 heißt es, daß es einmal ganz drastisch - für Ihre Klientel die Errich- im Haushaltsausschuß die Fraktionen der CDU/CSU, tung einer Bundesstiftung, damit nie mehr etwas SPD und F.D.P. - im Innenausschuß sogar die Bünd- passieren kann. Dieses Gesetz ist so etwas wie ein nisgrünen - der eben genannten Begründung zuge- eherner Ehevertrag, aus dem Sie nur mit einem stimmt haben. neuen Gesetz wieder 'herauskommen. Sie wissen das; und genau deswegen wollen Sie das Gesetz Ich verstehe nicht, warum Sie jetzt der Meinung durchdrücken. Hätten Sie es sein lassen, wäre diese sind, das gelte alles nicht. Warum haben Ihre Kolle- Debatte nie geführt worden und hätte nie geführt gen in beiden Ausschüssen zugestimmt? werden müssen. Denn selbstverständlich erkennt auch die SPD den Rang und die Bedeutung des Uta Titze-Stecher (SPD): Ich habe diese Frage be- Staatsmannes Otto von Bismarck an. Wir sind weder reits beantwortet, weil sie schon einmal gestellt kleinkariert noch unpolitisch. wurde, aber ich mache es gerne noch einmal. Beide Ausschüsse sind davon ausgegangen, daß die Zu- (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Na, na, na!) stimmung der entscheidenden Parteien bereits durch Vorgespräche eingeholt worden sei und somit auf Satte 8 Millionen DM an Bundesgeldern für Per- dem Tisch liege. Das war aber nicht der Fa ll. Mir sönlichkeitskult sind unangebracht und hätten auch wurde gesagt, das sei bereits auf oberster politischer eine gefährliche Präzedenzfallwirkung: Von F ried- Ebene eingetütet und in trockenen Tüchern. Dann rich dem Großem bis zu Hermann dem Cherusker sagt man im Ausschuß natürlich nicht, man sehe das wäre dann für jeden Geschmack und für jede polit- anders und stimme dagegen. bildnerische Absicht eine Figur zur Verfügung. Was kann - das im Nachgang zu Ihrer Frage, Herr Kollege (Ina Albowitz [F.D.P.]: Dann stellen Sie sich Uelhoff - der Antidemokrat Bismarck, der von Golo aber ein Armutszeugnis aus!) Mann „der nervöse Barbar" genannt wurde, der das - Wenn schon, dann ist es ein Armutszeugnis für alle, Parlament als Pest, bestenfalls als notwendiges Übel Frau Kollegin, nicht nur für die SPD. betrachtet hat, zum Demokratie- und Verfassungs- verständnis dieser Republik beitragen? (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Vielleicht haben Sie die falschen Leute im Ausschuß!)- (Beifall bei der SPD und der PDS sowie der Abg. Annelie Buntenbach [BÜNDNIS 90/ Wir haben wenigstens nachgefragt. DIE GRÜNEN]) (Zurufe von der SPD - Gegenrufe von der CDU/CSU und der F.D.P.) Das müßte er, wenn die Etatisierung im Bereich poli- tische Bildung gerechtfertigt sein sollte. So ist es aber - Vielleicht lassen Sie mich die Antwort in Ruhe und nicht. Frieden geben und hören Sie zu. Es nimmt Ihnen nie- mand die Möglichkeit, am Ende zuzustimmen. (Dr. Klaus-Dieter Uelhoff [CDU/CSU]: Haben Sie die Sozialgesetzgebung völlig vergessen?) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Darf ich darum bitten, daß die Rufe von Bank zu Bank aufhören. So - Die Sozialgesetzgebung hat der Staatsmann Otto etwas ist einfach unfair, wenn hier vorne jemand von Bismarck doch nicht aus Mitleid mit der leiden- spricht. den Arbeitnehmerschaft geschaffen, sondern um ge- nau die Wirkung und das Wirken der entstehenden Uta Titze-Stecher (SPD): Herr Uelhoff, ich kann Ih- sozialdemokratischen Arbeiterpartei zu beschränken nen nur sagen: Niemand hat etwas gegen den Zweck und zu verhindern. Was Sie da sagen, zeugt von aus- der Stiftung, wenn er im Rahmen einer privaten Stif- gesprochener historischer Unkenntnis. Er war ein tung verfolgt wird. Diese kann sponsern, wer von der Mann, der Katholiken, Mitglieder der Zentrumspar- Sache überzeugt ist. In heutiger Zeit ausgerechnet tei als Reichsfeinde gebrandmarkt hat. Das macht im diese Person - ich muß mich da wiederholen, auch übrigen auch die Akzeptanz bei den Katholiken, bei 16072 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Uta Titze-Stecher spielsweise hier im rheinischen Raum, äußerst pro- Die Frage ist: Welches Interesse hat die „Allge- blematisch. meinheit" - wie es in Ihrem Gesetzentwurf heißt - ei- gentlich an Bismarck? Dazu ist schon vieles gesagt (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Daß die worden. Immerhin hat der „große Staatsmann" ein Bayern hier so ruhig sind, verstehe ich über recht sonderbares Männerwahlrecht eingeführt, ist haupt nicht!) für die Sozialistengesetze verantwortlich oder hat Wenn Sie sich darüber hinwegsetzen, liebe Kolle- Sätze wie den folgenden von sich gegeben - ich zi- ginnen und Kollegen der Koalition, daß bisher bei al- tiere -: ler Kontroverse der Bewe rtung der politischen Lei- Nicht durch Reden und Parlamentsbeschlüsse stung verschiedener Personen doch der Konsens der werden die großen Fragen der Zeit entschieden, Bedeutung dazu geführt hat, daß wir einvernehmlich sondern durch Eisen und Blut. eine Bundesstiftung beschlossen haben, müßte Sie doch genau dieser Punkt dazu bringen, jetzt Einhalt Nun denn, die Otto-von-Bismarck-Stiftung soll nur zu gebieten und zu sagen: Das Einvernehmen ist der „politischen Bildung" und der „Pflege des Ge- nicht herzustellen; wir verzichten auf die Errichtung schichtsbewußtseins " dienen. Nach der geistig-mo- einer Bundesstiftung. ralischen Wende kommt jetzt offensichtlich die gei- stig-monarchistische Wende. (Beifall bei der SPD und der PDS) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Achten Sie bitte SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) auf die Zeit. Haushaltspolitisch ist dieser Gesetzentwurf über- haupt nicht zu begründen. Das hat die Kollegin Uta Titze-Stecher (SPD): Wieviel habe ich noch? Titze-Stecher dankenswerterweise schon in der letz- ten Haushaltsdebatte und auch heute wieder ganz klar herausgestellt. Sie hat damals schon den Ver- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Gar nichts mehr. dacht geäußert, daß es mehr um die Förderung der Familie des Fürsten von Bismarck geht als um die Uta Titze-Stecher (SPD): Da es mir dank der Fra- Förderung von Geschichtsbewußtsein. gen gelungen ist, hier vor allem klarzumachen, wie problematisch die SPD die Person, die Form, die Gre- (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Stimmt doch gar mienstruktur, überhaupt das Verhältnis zwischen nicht!) Leistung und Geld ansieht, denke ich doch, daß auch So, wie die Besitzverhältnisse und die Gremienstruk- klar herausgekommen ist, warum wir eine Bundes- tur der Stiftung aussehen, ist das sehr naheliegend. stiftung mit der aufgezeigten Ausrichtung unter dem 7,5 Millionen DM kostet die Einrichtung, und die von Deckmantel der politischen Bildung ablehnen. Sie ist Bismarcksche Fami lie zahlt gar nichts. ein „erschreckendes Zeichen von zunehmendem Mangel an demokratischer Kultur", so Susanne Mil- (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Wofür denn ler. auch?) Letzter Satz: Meine Damen und Herren von der Aber das Geld liegt ja auf der Straße, und andere Koalition, wenn Sie dies so wollen, im Dissens mit Probleme hat die Regierung offensichtlich nicht. dem Rest des Hauses, dann müssen Sie das allein verantworten. Wissen Sie eigentlich, was Fürst Ferdinand von Bismarck in Friedrichsruh treibt? Er ist unter ande- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE- rem Schirmherr des Bismarckbundes. Das ist eine GRÜNEN und der PDS) dubiose Vereinigung, in der an führender Stelle Rechtsextreme wirken, unter anderem ein ehemali- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die ger Europaabgeordneter der Republikaner. Diese Kollegin Annelie Buntenbach, Bündnis 90/Die Grü- Leute versammeln sich mehrfach im Jahr im Sach- nen. senwald. - Hier fand, glaube ich, eine der „demokra- tischen Bildungsveranstaltungen" statt, auf die schon angespielt worden ist. - Dort reden sie dann den Für- Annelie Buntenbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sten mit „Seine Durchlaucht" an. Dann verleiht der NEN): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Her- Fürst als - ich zitiere - „Anerkennung für die bewie- ren! Ich möchte erst einmal folgendes klarstellen: sene vaterländische Gesinnung" einen „Bismarck Wenn man eine Meinung vertreten und eine Abstim- Orden" oder ein „Ritterkreuz 1. Klasse des Ordo Mi- mung hinter sich gebracht hat und danach Informa- litaris Teutonicus" . tionen eingeholt, das diskutiert und sich begründet eine neue Meinung gebildet hat, dann ist diese Mei- nungsänderung überhaupt keine Schande. Was völ- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Kollegin lig daneben ist und was Sie hier machen, ist, wider Buntenbach, gestatten Sie eine Zwischenfrage des besseres Wissen an falschen Entscheidungen festhal- Kollegen Koppelin? ten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Annelie Buntenbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bei der SPD und der PDS) NEN): Aber bitte. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16073

Jürgen Koppelin (F.D.P.): Frau Kollegin, sind Sie zur Kenntnis nimmt, weil damit seine Frage endgül- bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß sich Ihre Partei- tig beantwortet sein dürfte. freunde, zum Beispiel in Schleswig-Holstein - in der Region auch Sozialdemokraten -, überhaupt nicht Diese ganzen militaristischen Dinge - Bismarck scheuen, mit diesem Herrn zusammen gegen den Orden, Ritterkreuz 1. Klasse -, die ich genannt habe, Transrapid zu demonstrieren? könnte man noch als eher komisch bezeichnen. Aber das hört endgültig dann auf, wenn man sich klar- macht, daß sich in dieser Gesellschaft auch alte und Annelie Buntenbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- neue Nazis befinden, darunter zum Beispiel ein ehe- NEN): Wer zu welchen Demonstrationen kommt, dar- mals führender Funktionär der militanten Neonazi- auf habe ich hier keinen Einfluß, darüber diskutieren gruppe FAP, die der Bundesinnenminister aus gutem wir an dieser Stelle nicht. Es geht darum, daß Sie Grund verboten hat. diese Institution als Bundesstiftung auf Dauer fördern wollen und damit diese Spielwiese für Rechtsex- Der Fürst selbst bewegt sich in Kreisen von Ge- treme und für Monarchisten mit Geldern des Bundes schichtsrevisionisten und „Neuen Rechten". Darauf ausstatten wollen. Das finde ich absolut unerträglich. verweisen die eingeladenen Festredner der „Reichs- gründungsfeiern" in Friedrichsruh, zum Beispiel Al- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fred Schickel oder Karlheinz Weißmann. Ein anderer sowie bei Abgeordneten der SPD und der Festredner war Stefan Wartisch, Mitbegründer des PDS) „Hamburger Kreises ", dem der Verfassungsschutz Außerdem habe ich gehört, daß hervorragende Ab- eine - ich zitiere - „Frontstellung zum Modell des de- geordnete der CDU/CSU auch schon die Ehre dieser mokratischen Verfasssungsstaates" bescheinigte. Auszeichnung hatten, nämlich das „Ritterkreuz Auch jener Historiker, den die fürstliche Familie über 1. Klasse des Ordo Militaris Teutonicus" verliehen zu Jahre hinweg beschäftigte, um das Bismarcksche bekommen. Geschichtsbild geradezurücken, paßt gut in dieses Konzept.

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Kollegin Meine Damen und Herren von den Regierungs- Buntenbach, ich muß Sie noch einmal fragen: Gestat- fraktionen, Sie haben einen Histo riker mit der Kon- ten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Uta Titze zeption beauftragt, der sich schon 1986 im Historiker- Stecher, wobei ich dem Hause - wenn ich mir die Be- streit eindeutig als Geschichtsrevisionist „verortet" merkung erlauben darf - raten würde, es mit den hat. Sie wollen mit einem Antidemokraten politische Zwischenfragen etwas mäßiger zu halten? Bildung machen. Sie haben schon jetzt das Publi- kum, das Sie dafür verdienen. Was Sie hier mit Ge- setzesrang fördern wollen, ist eine Spielwiese für Annelie Buntenbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Monarchisten und Rechtsextreme. NEN): Bitte sehr. Wir lehnen die Errichtung einer solchen Stiftung ab. Bitte. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS) Uta Titze-Stecher (SPD): Herr Präsident, bisher ka- men die Zwischenfragen weniger von unserer Seite. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die Frau Kollegin, ist Ihnen bekannt, daß die Koalition Kollegin Ina Albowitz, F.D.P. im Haushaltsausschuß in der entscheidenden Sitzung (Otto Schily [SPD]: Die Kollegin sagt jetzt eine Absenkung des ursprünglich veranschlagten- was zum Transrapid!) Betrages für die Otto-von-Bismarck-Stiftung vorgese- hen hat, weil der Fürst offensichtlich Widerstand ge- gen die Einrichtung von Trassen in seinem Sachsen- Ina Albowitz (F.D.P.): Ich habe Sie akustisch nicht wald geleistet hat? Es handelt sich um Trassen im verstanden, Herr Kollege. Zuge des Transrapidbaus. (Otto Schily [SPD]: Sie werden jetzt etwas (Lachen bei der SPD) zum Transrapid sagen!) Teilen Sie nicht meine Meinung, daß die jetzt in - Nein, überhaupt nicht. Ich habe nur fünf Minuten, Aussicht gestellten Gelder auch zur Bef riedung und in denen ich eigentlich etwas zur Otto-von-Bismarck zur Klarstellung in diesem Punkt gedacht sein könn- Stiftung sagen wollte. ten? Der Gesetzentwurf ist im übrigen kein Regierungs- (Lachen und Zurufe von der SPD und dem entwurf, sondern ein Entwurf, der von Abgeordneten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der Regierungskoalition eingebracht wurde. Da ich selber zu diesen Abgeordneten gehöre, möchte ich ihn hier doch gern noch einmal begründen. Annelie Buntenbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Diese Feststellung erscheint mir recht plausi- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE bel, der Zusammenhang einleuchtend. Ich bin sehr GRÜNEN]: Begründungsbedürftig ist er dankbar für die Information, die ich natürlich nicht allerdings! - Dr. Helmut Lippelt hatte, weil ich nicht Mitglied des Haushaltsausschus- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ent ses bin. Ich denke, daß auch Herr Koppelin das gern täuscht uns aber!) 16074 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn; Donnerstag, den 5. Juni 1997

Ina Albowitz - Herr Lippelt, ich bereite Ihnen sehr ungern Enttäu- weiß nicht, woher Sie Ihre Weisheiten haben. Im schungen; das wissen Sie. Aber ab und zu kann ich übrigen fände ich es angesichts der im Grundgesetz Ihnen das nicht ersparen. festgelegten Unabhängigkeit der Abgeordneten ziemlich schlecht, wenn man sagen wollte: Ich mache Meine Damen und Herren, ich habe mich über nur das, was mein Parteivorsitzender macht, und im Teile der Diskussion, die vorhin hier gelaufen ist, ein übrigen gebe ich meinen Verstand an der Lobby ab. wenig gewundert - nicht, weil ich Ihnen möglicher- weise populistische Beweggründe beim Hin- und (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Herrücken unterstellen wollte; was ich eigentlich gar nicht vorhatte und was ich jetzt auch lasse, weil das Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Kollegin Thema viel zu ernst ist -, sondern weil ich denke, daß Albowitz - - auch ein Mann wie Bismarck zu unserem Land ge- hört. Ina Albowitz (F.D.P.): Ich hätte von dem Kollegen (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und Vergin, den ich außerordentlich schätze, und von der CDU/CSU - Dr. Helmut Lippelt [BÜND dem Kollegen Such, die sich mit der Stiftung im In- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber selbstverständ nenausschuß und den anderen Ausschüssen ausein- lich!) andergesetzt haben, erwartet, daß sie sich während der Beratung der Anträge dazu deutlich geäußert Ich glaube, wir können ihn nicht wegdiskutieren. Er hätten. Der Kollege Kuhlwein hat in der beratenden gehört, wenn wir ihn aus einer monokausalen Be- Ausschußsitzung gesagt, daß er diese Stiftung, aber trachtungsweise herausnehmen, zu unserer Nation. gleichzeitig auch eine außerordentlich kritische Be- (Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE trachtungsweise wünsche. Die Kollegin Heyne hat GRÜNEN]: Aber er wird jetzt verhunzt!) sich für die Grünen genauso geäußert. Das alles kön- nen Sie nachlesen. Beide forde rten eine kritische Dieser Mann ist vor 99 Jahren gestorben. Er hat sich, Auseinandersetzung mit Bismarck in der Stiftung. glaube ich, um Europa und um Deutschland verdient Frau Kollegin, ich habe das Protokoll mitgebracht; gemacht. Sie können das nachlesen. Ich habe das extra alles (Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE herausgesucht, weil mir ähnliches schwante. GRÜNEN]: Richtig! Aber er wird jetzt ver Nein, meine Damen und Herren, ganz so einfach, hunzt!) wie Sie es sich heute zu machen versuchen, ist es nicht. Ich denke, wir sind es der Nachwelt schuldig, Er ist ein facettenreicher Politiker; er ist von uns au- ßerordentlich kritisch zu betrachten. daß wir einen Mann wie den Reichskanzler von Bis- marck, den man durchaus kritisch sehen kann, solide (Zuruf von der SPD: Antidemokrat!) und historisch sauber und ordentlich aufarbeiten las- sen. Und das ist im Rahmen einer Stiftung möglich. - Ich glaube, wir täten ihm Unrecht, wenn wir ihn nur so betrachten würden. Aber das maße ich mir (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) nicht an, Herr Kollege. Ich bin keine Historikerin; ich bin auch keine Wissenschaftlerin. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Kollegin, Herr Kollege Lippelt, das, was Sie vorhin gesagt Sie wollten die Zwischenfrage nicht zulassen? haben, es sei genügend geforscht worden, teile ich nicht. Ina Albowitz (F.D.P.): Nein. Sie haben eben diesbe- züglich appelliert, und ich hatte ohnehin nur wenige Ein Teil dessen, was das Leben und Werk- Bis- Minuten. marcks ausmacht - es geht hier nicht um den gegen- wärtigen Fürsten, Frau Buntenbach, sondern es geht um den Reichskanzler aus dem letzten Jahrhundert -, Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat ist uns von der Familie von Bismarck in einer Dauer- jetzt die Kollegin Ulla Jelpke, PDS. leihgabe zur Verfügung gestellt worden - und das in einer sehr eindeutigen und festgelegten Weise. Die Ulla Jelpke (PDS): Herr Präsident! Meine Damen Vermutung, die die Kollegin Titze-Stecher eben ge- und Herren! Im Gegensatz zu den Vertretern der äußert hat, daß nämlich die Erben das verändern Unionsparteien freue ich mich, daß die SPD und die könnten, ist unbegründet. Das ist ausgeschlossen. Grünen aus ihrem früheren Abstimmungsverhalten gelernt haben und heute gegen diese Stiftung stim- Ich habe mich ein bißchen länger damit beschäf- men werden. Es war für mich klar, daß ich im Innen- tigt. Wenn man Antragstellerin ist, sollte man das ei- ausschuß dagegen stimmen würde. gentlich tun. Ich habe es getan, weil ich das ja vor Ih- nen vertreten muß. Wer sich ein bißchen mit der Ver- Vielleicht vorweg ein kleiner Hinweis: Ferdinand gangenheit, mit dem Nachlaß und mit dem, was sich von Bismarck läßt sich mit dem Adelstitel anreden, aus der Wiedervereinigung ergeben hat, beschäftigt aber in diesem Land ist es von Gesetzes wegen hat, wird dem geschichtlichen Erbe eher gerecht. Es eigentlich nicht mehr üblich. Deswegen sollten viel- geht hier nicht um Glorifizierung, sondern es geht leicht auch wir damit aufhören, ihn mit seinem Adels- urn die sachliche Aufarbeitung bestimmter Themen. titel zu benennen. Das nur als kleiner Hinweis. Es geht hier um keine Kanzlervereinbarung und Im übrigen möchte ich noch einmal aus der Be- auch um keine Vereinbarung der Parteispitzen. Ich gründung für diese Stiftung zitieren. Dazu heißt es Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16075

Ulla Jelpke im Antrag, Bismarck werde geehrt als „Vertreter ei- Also, meine Damen und Herren, ich bin in der Tat ner europäisch ausgerichteten Sicherheits- und Frie- der Meinung, daß Sie diese Dinge erneut prüfen soll- denspolitik und als Begründer der deutschen Sozial- ten. Im Innenausschuß sind wir gar nicht dazu ge- politik". kommen, eine wirkliche Fachdiskussion zu führen. Es ist schon gesagt worden, daß er für die Soziali- (Ina Albowitz [F.D.P.]: Wann waren Sie stengesetze und für die Verfolgung von Sozialdemo- eigentlich da?) kraten verantwortlich war. Nach der Reichsgründung Wir haben schon gehört, daß diese Stiftung den 1871 betrugen die Militärausgaben des Staatshaus- Steuerzahler 8,5 Millionen DM kosten wird. Ich bin halts 70 Prozent. Das ist nicht wenig, wenn man von wie viele andere Kollegen der Meinung, daß dieses „Friedenspolitik" spricht. Geld für soziale und andere wichtige Aufgaben aus- (Beifall bei Abgeordneten der PDS und der gegeben werden sollte, aber nicht für so eine Stif- SPD) tung.

Es ist auch kein Zufall, meine Damen und Herren, Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Kollegin! daß die rechtsextreme Zeitung „Nation und Europa" diese Bismarck-Stiftung - sollte hier heute so abge- stimmt werden - begrüßt und sich über sie sehr er- Ulla Jelpke (PDS): Ich komme zum Schluß. freut zeigt. Ich meine, daß sich die Koalitionsparteien nicht dem Argument verschließen dürfen, das Frau Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Nein, Sie müs- Buntenbach hier bereits vorgetragen hat, dem Argu- sen jetzt sofort zum Schluß kommen. Sie haben Ihre ment nämlich, daß diese Stiftung ein Tummelplatz Redezeit um anderthalb Minuten überschritten. für Rechtsextremisten werden wird. Ich möchte nur ein paar Namen nennen: Robe rt Ulla Jelpke (PDS): Darf ich noch einen Satz sagen? Jahn, erster Beisitzer und Protokollführer des 1981 gegründeten Bismarckbundes, hatte einige Jahre zu- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Einen! Ich passe vor an einem Treffen der illegalen NSDAP/AO teilge- auf! nommen und wurde dort beauftragt, die „Orga Nord- deutschland" aufzubauen. Ulla Jelpke (PDS): Ich möchte meine Kollegin bit- Hugo Wellems, von 1983 bis 1995 stellvertrender ten, sich folgendes Zitat wirklich einmal durch den Vorsitzender des Bismarckbundes, war zur Zeit des Kopf gehen zu lassen, wenn sie hier von Demokratie Faschismus Referent im - man höre und staune! - spricht: „Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda". Nicht durch Reden und Parlamentsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden, Emil Schlee - er ist hier schon genannt worden - sondern durch Eisen und Blut. war Europaabgeordneter der Republikaner. (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne Einige Funktionäre waren in mittlerweile verbote- ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE nen Organisationen wie der Wiking-Jugend und der GRÜNEN) FAP aktiv. Andere organisierten sich in der „Aktions- front Nationaler Sozialisten" oder in der „Stillen Hilfe für Kriegsgefangene und Internierte". Letztere be- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat müht sich ausschließlich um die Betreuung von SS- jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Carstens. - Offizieren. Kein Wunder also, daß die Zeitschrift „Nation und Europa" triumphiert ! Manfred Carstens, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister des Innern: Herr Präsident! Meine ver- Der Bismarckbund arbeitet eng mit rechtsextremen ehrten Kolleginnen und Kollegen! Heute soll die Vereinen wie der „Staats- und wirtschaftspolitischen Otto-von-Bismarck-Stiftung den Punkt auf das i be- Gesellschaft" aus Hamburg, dem „Schulverein zur kommen. Ich glaube, das ist die Kurzfassung dessen, Förderung der Rußlanddeutschen", dem „Hambur- was hier zur Beschlußfassung ansteht; denn wir ha- ger Kreis" und nicht zuletzt der rechtsextremisti- ben schon eine Otto-von-Bismarck-Stiftung unselb- schen Zeitung „Junge Freiheit" zusammen. ständiger Art, angegliedert an das BMI, und diese Stiftung soll nun eine selbständige Stiftung des öf- Personelle Überschneidungen gibt es aber auch fentlichen Rechts werden. Wenn ich mir die Mehr- mit Schützenvereinen. Beispielsweise ist Albrecht heitsverhältnisse anschaue, bin ich sicher, daß das Schiller, Vorsitzender des Bismarckbundes, zugleich auch so beschlossen werden wird. Ich sage das ins- Bundesvorsitzender der „Lützower Jäger". Nach An- besondere deswegen, weil es eigentlich bedauerlich gaben eines vertraulichen Hamburger VS-Berichts ist, daß man so etwas nicht einvernehmlich be- bietet dieser Verein seinen Angehörigen die Mög- schließt. Aber das ist nicht in Richtung Koalition, son- lichkeit, an Schießübungen teilzunehmen. Der Be- dern in diesem Falle in Richtung Opposition gespro- richt gelangt zu der Einschätzung, daß sich die Aus- chen. bildung bei den „Lützower Jägern" an der Bundes- wehr orientiert und daß seine Wehrsportübungen - Frau Kollegin Titze-Stecher hat hier eingestehen ich zitiere - „von Mal zu Mal an Professionalität und müssen, daß auch die Kolleginnen und Kollegen des Effektivität gewinnen". Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages 16076 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Parl. Staatssekretär Manfred Carstens und wohl auch die Kolleginnen und Kollegen des In- Traditionen im nationalen und europäischen Zusam- nenausschusses im letzten Jahr zugestimmt haben. menhang bis auf unsere Tage fortbestünden. Die Ab- Nun ist von der Kollegin Titze-Stecher gesagt wor- sichten, die heute weitgehend Vergangenheit seien - den - ich muß hinzufügen, daß ich sie persönlich sehr das ist wahr -, und die Wirkungen, die bis in die Ge- schätze - , daß es neue Fakten gebe, die dazu geführt genwart reichten, müßten miteinander verglichen hätten, zu einer veränderten Einschätzung zu kom- werden. Diese fortdauernde Aufgabe der histori- men. schen Wissenschaft gehöre zum kulturellen Erbe ei- ner Nation. Das ist eine Möglichkeit, der man durchaus positiv gegenüberstehen kann, aber es könnte ja auch sein, Dieser Meinung schließe ich mich an. Ich würde daß sich die SPD-Kolleginnen und SPD-Kollegen im mich freuen, wenn es hier zu einem Mehrheitsbe- nachhinein haben beeinflussen lassen, ohne daß es schluß käme. neue Fakten gibt. Das wäre dann nicht mehr ganz so angenehm. Wenn ich den Informationen trauen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU kann, die ich habe, dann wird es sich eher um den und der F.D.P.) zweiten Fall handeln, der dazu geführt hat, daß die Schönen Dank. Kolleginnen und Kollegen der SPD ihre Position ge- ändert haben. Wie dem auch sei, es geht heute (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge darum, die Beschlußfassung herbeizuführen. ordneten der F.D.P.) Zwischenzeitlich ist eine Summe von 300 000 DM im Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages zur Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich schließe die Sperrung vorgesehen. Ich habe den Eindruck, daß Aussprache. man sich bei der Art und Weise, wie der Haushalts- Wir kommen zur Abstimmung über den von den ausschuß arbeitet, nicht darauf einstellen kann, daß Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten dieses Geld - für was auch immer - in 1997 zur Verfü- -Gesetzentwurf über die Errichtung einer Otto-von gung stehen wird. Ich kann mir vorstellen, daß dieser Bismarck-Stiftung. Das ist die Drucksache 13/3639. Betrag dazu verwandt wird, die Kreditaufnahme zu reduzieren, was ja auch nicht schlecht wäre für unser Der Innenausschuß empfiehlt auf Drucksache 13/ Land. Darauf tippe ich eher, auch wenn ich nicht da- 4186, den Gesetzentwurf unverände rt anzunehmen. nach gefragt wurde, was meine Meinung dazu ist. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim- men wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Be- und der F.D.P.) ratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge- Ich möchte noch den Punkt Bereicherung bzw. gen die Stimmen der Opposition angenommen. Förderung der Familie ansprechen. Das ist nun wirklich nicht mehr nachzuvollziehen. Wenn man Wir kommen zur sich anschaut, was die Familie dritten Beratung (Beifall des Abg. Jürgen Koppelin (F.D.P.]) und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die an Buchbeständen und Archivmaterial als eine auf dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- Dauer angelegte Leihgabe unentgeltlich zur Verfü- ben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der gung stellt, dann ist das doch nichts, was mit einer Gesetzentwurf ist in dritter Beratung angenommen; Förderung der Familie in Zusammenhang gebracht Mehrheitsverhältnisse wie vor. werden kann. Insofern muß ich das st rikt und klar zu- - rückweisen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10a bis 10e auf: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU a) Erste Beratung des von der Bundesregierung und der F.D.P.) eingebrachten Entwurfs eines Postgesetzes (PostG) Durch die Rechtsform einer selbständigen und rechtsfähigen Stiftung soll die Autonomie zum Aus- - Drucksache 13/7774 - druck kommen, die der überparteilich zu führenden Überweisungsvorschlag: Einrichtung eingeräumt werden soll. Der vorliegende Ausschuß für Post und Telekommunikation (federführend) Gesetzentwurf orientiert sich deshalb an vergleich- Innenausschuß baren Einrichtungen, von denen soeben die Rede Rechtsausschuß war. Die rechtliche Konstruktion ist inzwischen bei Ausschuß für Wirtschaft allen Stiftungen erprobt, und zwar sowohl im Bet rieb b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans der Einrichtungen als auch in der Publikationstätig- Martin Bury, Gerd Andres, Arne Börnsen (Rit- keit. terhude), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Ich möchte zu Protokoll geben, was der bereits er- Infrastruktur sichern, Wettbewerb fördern - wähnte Historiker Professor Dr. Klaus Hildebrand, Grundsätze zur Neuordnung des Postsektors der eine Konzeption für die Arbeit der Stiftung er- stellt hat, zum Ausdruck gebracht hat. Er hat darin - Drucksache 13/4582 - unter anderem darauf hingewiesen, daß das dama- Überweisungsvorschlag: lige Reich zwar inzwischen in die Geschichte einge- Ausschuß für Post und Telekommunikation (federführend) gangen sei, aber zahlreiche seiner Institutionen und Ausschuß für Wirtschaft Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16077 Vizepräsident Hans-Ulrich Klose c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Etwa ein Jahr nachdem wir das Telekommunika- Dr. Manuel Kiper, Elisabeth Altmann (Pom- tionsgesetz in diesem Hause mit großer Mehrheit - melsbrunn), Simone Probst und der Fraktion jedenfalls auch mit der Mehrheit der Sozialdemokra- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ten und ihrer Postpolitiker - verabschiedet haben, Dienstleistungen für das 21. Jahrhundert: haben wir heute die erste Lesung des Postgesetzes Vom Postamt zum Bürgerservicebüro auf der Tagesordnung, da wir uns 1994, als wir die - Drucksache 13/6556 - Postreform II im Rahmen der Verfassungsänderung beschlossen haben, darauf verständigt haben, daß Überweisungsvorschlag: nicht nur der Telekommunikationsbereich, sondern Ausschuß für Post und Telekommunikation (federführend) auch der Postbereich nicht nur privatisiert, sondern Innenausschuß auch liberalisiert werden soll. Wir haben damals Zeit- Ausschuß für Wirtschaft gesetze geschaffen, so daß das derzeit geltende Ge- d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ger- setz für die Post am 31. Dezember 1997 ausläuft und hard Jüttemann, Wolfgang Bierstedt, Eva Bul- deshalb am 1. Januar 1998 eine neue Rechtsgrund- ling-Schröter, Dr. Gregor Gysi und der Gruppe lage erforderlich ist. der PDS Festschreibung und Sicherung von sozialen Unser Gesetzentwurf sieht vor, daß grundsätzlich Standards und Leistungsgarantien im Postge- jedermann die gewerbsmäßige Beförderung von setz Briefen gestattet wird, vorausgesetzt er beantragt eine Lizenz. Eine Lizenz erhält nur der, der über die - Drucksache 13/7094 — notwendige Fachkunde, Zuverlässigkeit und Lei- Überweisungsvorschlag: stungsfähigkeit verfügt. Das sind im Grunde genom- Ausschuß für Post und Telekommunikation (federführend) men die einzigen Voraussetzungen. Ausschuß für Wirtschaft e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Bisher haben wir bereits im Bereich der sogenann- Berichts des Ausschusses für Post und Tele- ten Info-Post, früher als Massendrucksachen be- kommunikation (17. Ausschuß) zu dem Antrag kannt, eine Liberalisierung für Sendungen bis hinun- ter auf 100 Gramm. Ab 1. Januar 1998 soll die Beför- der Abgeordneten Hans Martin Bury, A rne Börnsen (Ritterhude), Klaus Ba rthel, weiterer derung dieser sogenannten adressierten Massensen- Abgeordneter und der Fraktion der SPD dungen sowie ein kleiner Teil der Beförderung von Normalbriefen völlig liberalisiert werden. Der weit Remailing unterbinden - Arbeitsplätze in überwiegende Teil des heutigen Monopols soll aller- Deutschland sichern dings der Deutschen Post AG bis Ende des Jahres - Drucksachen 13/4448, 13/6550 - 2002 in Form einer sogenannten Exklusivlizenz zur Beförderung vorbehalten werden. Hierdurch wird Berichterstattung: dem Unternehmen ein sozialverträglicher Übergang Abgeordnete Elmar Müller (Kirchheim) vom Monopol zum Wettbewerb ermöglicht. Hans Martin Bury Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für Die im In- und Ausland vorliegenden Liberalisie- die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. rungserfahrungen lassen erwarten, daß sich die Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist es so Deutsche Post AG im Wettbewerb selbstverständlich beschlossen. gut behaupten wird. Ich rechne deshalb nicht mit ne- gativen Auswirkungen durch diese Marktöffnung, Ich eröffne die Aussprache. Das Wo rt hat der Bun- insbesondere nicht für den geplanten Börsengang desminister Dr. Bötsch. - der Post AG am Ende dieses Jahrzehnts. Ganz im Ge- genteil: Der künftige Anleger wi ll wissen, wie sich ein Unternehmen im Wettbewerb behauptet. Ich Dr. Wolfgang Bötsch, Bundesminister für Post und glaube, der Börsengang der Telekom hat dies deut- Telekommunikation: Herr Präsident! Meine sehr ver- lich gezeigt: ehrten Damen und Herren! Ich gehe davon aus, daß mir die Damen und Herren Kollegen, die uns jetzt In der Frage der Exklusivlizenz gehen die Auffas- verlassen, in Zukunft keine B ri efe mehr über sungen von Bundesregierung und Opposition bzw. schlechte postalische Leistungen schreiben, in denen Bundesrat derzeit leider noch relativ weit auseinan- ich aufgefordert werde, diese abzustellen. Alle ande- der. Die Bundesratsforderung, die vorgesehene Ex- ren Kollegen, die hierbleiben, dürfen mir auch in Zu- klusivlizenz auch auf die sogenannte Info-Post zu er- kunft solche B riefe schreiben. strecken, findet offensichtlich die Zustimmung der (Zuruf von der SPD: Können Sie etwas zur SPD-Fraktion, wenn ich die Äußerungen im Vorfeld postpolitischen Bedeutung von von Bis richtig beurteile. Sie treten de facto für eine Fortfüh- marck sagen?) rung des privaten Monopols und gegen die Möglich- keit des Eintritts kleiner und mittelständischer Unter- - Zur postpolitischen Bedeutung von von Bismarck nehmen in den Markt ein. Dies, Herr Kollege Bury - kann ich leider nichts sagen. Wir sind nicht mehr bei ich spreche Sie an, weil Sie den Ansatz eines Zwi- diesem Tagesordnungspunkt. Er hat immerhin zuge- schenrufs gemacht haben -, standen, daß Bayern auch nach 1871 eigene B rief- marken haben konnte, als Ludwig II. dies von ihm (Heiterkeit - Hans Ma rtin Bury [SPD]: Ich verlangt hat. habe nicht einmal zugehört!) 16078 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Bundesminister Dr. Wolfgang Bötsch läßt sich wohl weder mit der Infrastruktursicherung Hans Martin Bury (SPD): Herr Präsident! Liebe Kol- noch mit beschäftigungspolitischen Argumenten be- leginnen und Kollegen! Mit postpolitischen Debatten gründen. Denn, meine Damen und Herren, was ist hier im Haus ist es wie mit dem Briefträger: Beide noch schlimmer als ein staatliches Monopol? - Ein kommen immer später. privates Monopol. Deshalb müssen wir nach der Pri- Seit dem Inkrafttreten der Postreform II, also seit vatisierung der Post AG zum 1. Januar 1995, das Juli 1994, weiß der Bundespostminister, daß die bis- heißt: nach der Umwandlung in eine Aktiengesell- herigen Bestimmungen für den Postsektor am 31. De- schaft, in Stufen, also anders als bei der Telekom, vor- zember 1997 auslaufen. Das SPD-Konzept für ein gehen. Und um auf das einzugehen, was schon in neues Postgesetz liegt dem Bundestag seit über ei- Zwischenrufen geäußert wurde: Ich gebe zu, daß wir nem Jahr vor. Die offenkundige Handlungsunfähig- uns darauf nach langwierigen Verhandlungen in der keit dieser Regierungskoalition hat jedoch dazu ge- Koalition geeinigt haben. Es ist aber, wie wir an an- führt, daß die Gesetzesberatungen erst heute begin- deren Beispielen sehen, in Koalitionen so üblich, daß nen können. man nicht in allen Punkten von vornherein einer Auf- fassung ist. Wir als Bundesregierung haben aber ei- Wer die Entwicklung des Regierungsentwurfes nen Gesetzentwurf vorgelegt. verfolgt, stellt fest, daß sich die Regierungskoalition immer mehr von der europäischen Entwicklung ab- Ein Verzicht auf einen Endtermin beim Postmono- gekoppelt hat. Während die Europäische Union in pol wäre - ich sage es vorsichtig - verfassungsrecht- dem vorliegenden Richtlinienentwurf über „gemein- lich in höchstem Maße bedenklich und würde dar- same Vorschriften für die Entwicklung des Binnen- über hinaus die für eine Marktbetätigung unerläßli- marktes der Postdienste der Gemeinschaft und die che Planungssicherheit für andere beeinträchtigen Verbesserung der Dienstequalität" die Aufrechter- und infolgedessen die Investitionstätigkeit und die haltung einer hochwertigen flächendeckenden Ver- Beschäftigungsentwicklung negativ beeinflussen. sorgung mit Postdienstleistungen in den Mittelpunkt (Zuruf des Abg. Otto Schily [SPD]) stellt und folgerichtig eine schrittweise und kontrol- lierte Marktöffnung vorsieht, wi ll die Regierungsko- - Ich habe leider den Zwischenruf des postpoliti- alition ohne Rücksicht auf Verluste nur eines: die ra- schen Experten Schily nicht verstanden, so daß ich dikale und vollständige Liberalisierung des Post- nicht mitlachen kann. marktes. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist Mit ihrer ideologischen Fixierung auf den Wettbe- auch besser so!) werb als Selbstzweck hat sich vor allem die F.D.P. durchgesetzt. Die Sicherung des Infrastrukturauftra- Vielleicht teilt er es mir nachher mit. Seine Zwischen- ges im Postwesen, die das Grundgesetz ausdrücklich bemerkungen sind ja durchaus nicht unwitzig, wie vorschreibt, interessiert diese Bundesregierung und ich aus anderen Debatten weiß, wenn auch manch- die sie tragenden Parteien ebensowenig wie der Er- mal haarscharf neben der Sache. halt von Arbeitsplätzen. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Es ist (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Leider! besser, einen Zwischenruf neben der Sache - Otto Schily [SPD]: Die sie ertragenden zu machen als eine ganze Rede!) Parteien!) Da paßt es ins Bild, daß sich der Bundespostmi- - Das ist wohl wahr. nister vor wenigen Tagen zum Ankündigungsmi- Übrigens: Der für die Jahrtausendwende geplante nister für einen weiteren drastischen Personalabbau Börsengang der Deutschen Post AG würde durch in den Postunternehmen gemacht hat. Während der ein Offenlassen der Frage, wann die Exklusivlizenz Bundeskanzler landauf, landab verspricht, die Ar- ausläuft, sehr beeinträchtigt, wenn nicht gar unmög- beitslosigkeit bekämpfen zu wollen, zeigt sein Post- lich gemacht. Insofern wird das, was der Bundesrat minister, was bei dieser Koalition wirklich Sache ist, hier vorschlägt, nämlich nach jeweils zwei oder vier und kündigt den weiteren Abbau von über 70 000 Ar- Jahren eine Überprüfung vorzunehmen, mit Sicher- beitsplätzen in den Postunternehmen an. heit nicht der Situation gerecht. So sieht die konkrete Beschäftigungspolitik dieser Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf Bundesregierung aus: Statt tatkräftig und entschlos- Sie bitten, die Ausschußberatungen so zügig zu füh- sen die mit dem neuen Telekommunikationsgesetz ren, daß wir zum Ende des Jahres das Postgesetz tat- gegebenen Möglichkeiten zu nutzen und Innovatio- sächlich verabschieden können und zum 1. Januar nen und Arbeitsplätze zu fördern, macht der Bundes- 1998 den Verfassungsauftrag erfüllen, ein neues postminister genau das Gegenteil. Durch seine zö- Postgesetz als Grundlage des postpolitischen Han- gerliche Haltung erschwert er neuen Anbietern den delns in Deutschland zur Verfügung zu haben. Marktzugang und verhindert damit das Entstehen neuer Arbeitsplätze. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Der Bundespostminister wird seiner Aufgabe, als (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Regulierer klare und verbindliche Rahmenbedingun- gen für einen fairen Wettbewerb zu schaffen, in kei- ner Weise gerecht und gefährdet damit die Markt- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der chancen der deutschen Wi rtschaft im weltweiten Zu- Kollege Hans Martin Bury, SPD. kunftsmarkt Telekommunikation. Statt im Zweifel für Deutscher Bundestag- 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16079 Hans Martin Bury den Newcomer zu entscheiden, folgt Ihre Telekom- auch in Zukunft eine hochwertige, flächendeckende munikationspolitik dem Motto: „In dubio pro Theo" - Versorgung mit Postdienstleistungen zu erschwing- im Zweifel für den Finanzminister. lichen Preisen für alle Bürgerinnen und Bürger zu er- möglichen. So stellt auch die Europäische Kommis- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne sion in ihrem „Grünbuch über die Entwicklung des ten der PDS) Binnenmarktes für Postdienste" fest, daß eine voll- Ein schlimmes Beispiel für die Blockadepolitik des ständige Liberalisierung des Postsektors - ich zitiere Bundespostministers ist seine völlig verfehlte ur- - „auf Kosten des Universaldienstes gehen würde, sprüngliche Vorlage zur Erhebung von Lizenzgebüh- vor allem auf Kosten der für jedermann tragbaren ren. Bis zu 80 Millionen DM sollten danach von ei- Gebühren". nem Unternehmen für die bundesweite Lizenz für Als Mindestangebot, das von jedem Mitgliedstaat Übertragungswege und Sprachtelefondienst gezahlt garantiert werden muß, werden im Richtlinienent- werden. Diese Summen sind vor allem für die mittel- wurf der EU unter anderem Postsendungen bis zwei ständische Wirtschaft eine unüberwindbare Markt- Kilogramm, Postpakete bis zehn Kilogramm - wobei zugangsbarriere. Die Verunsicherungen durch den die Gewichtsgrenze national auf 20 Kilogramm ange- Bundespostminister haben bereits dazu geführt, daß hoben werden kann - sowie Einschreib- und We rt innovative junge Unternehmen ihren Standort ins -sendungen als Universaldienst festgelegt. Darüber Ausland verlagert haben. -hinaus gibt es Vorgaben über die Dichte der Abhol Die Ankündigung, entgegen den gesetzlichen und Zugangspunkte für die Kunden. Festlegungen der Postreform II, Telekom-Aktien zu Die Bundesregierung dagegen beschränkt mit ih- verscherbeln, um Haushaltslöcher zu stopfen, ist der rem Gesetzentwurf diesen Universaldienst als soge- vorerst jüngste Beleg für das unprofessionelle Vorge- nannte Grundversorgung auf Briefsendungen bis zu hen der Bundesregierung. Die „Börsen-Zeitung" ti- einem Gewicht von 1000 Gramm und bleibt damit telt zu Recht „Finger weg, Herr Waigel!" und weit hinter den Vorgaben der Europäischen Union schreibt weiter wörtlich: und den Infrastrukturverpflichtungen des Grundge- Auch das „Auffüllen" der Nachfrage von beim setzes zurück. Börsengang nicht ausreichend zum Zug gekom- Die SPD fordert die Festlegung eines qualitativ menen Adressen würde den Markt beeinflussen hochwertigen Universaldienstes, der den Anforde- und wäre nicht nur ein Verstoß gegen den Emis- rungen der Europäischen Union entsprechen muß. sionsprospekt, sondern ein eklatanter Vertrau- Der künftige Universaldienst darf nicht auf eine Mi- ensbruch. Man muß dabei gar nicht an die Pro- nimalversorgung im Briefdienst beschränkt werden. zeßlawine denken, die vor allem aus den USA auf Im Zusammenhang mit dem Universaldienst müssen Emittent und Emissionsbanken zurollen würde. auch verbindliche Vorgaben für ein ausreichendes Der Finanzplatz Deutschland wäre diskreditiert, flächendeckendes Netz von Annahmestellen, Trans- der vermeintliche Big Bang zur Förderung der portkapazitäten und Zustelleinrichtungen im Gesetz Aktienkultur könnte der Todesschuß gewesen bzw. den darauf fußenden Verordnungen vorgesehen sein. All dies gilt auch bzw. erst recht, wenn Bonn werden. eigens das Gesetz ändern wollte, um sich aus den Finanznöten zu befreien. (Dr. Manuel Kiper [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Sehr richtig!) So unsolide wie der Bundeshaushalt ist der Ent- wurf dieses Postgesetzes. Ohne eine solide, dauer- Denn wir wollen auch in Zukunft ein flächendecken- hafte Finanzierung des Infrastrukturauftrages und des Netz von Postfilialen. der Sonderbelastungen der Deutschen Post- AG, zum (Beifall bei der SPD und der PDS) Beispiel für die Altersversorgung ihrer Mitarbeiterin- nen und Mitarbeiter, bedeutet die Liberalisierung, Der Bundespostminister wäre gut beraten, auf die wie sie von der Regierungskoalition durchgedrückt Forderungen der SPD im Gesetzgebungsverfahren werden soll, Verschlechterung der Dienstleistungs- einzugehen, wenn er nicht ein ähnliches Desaster qualität, weitere Schließung von Postfilialen und den wie mit seinem Entwurf für eine Lizenzgebührenver- drastischen weiteren Abbau von Arbeitsplätzen. ordnung erleben will. (Beifall bei der SPD und der PDS) (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr richtig!) Meine Damen und Herren, die SPD forde rt eine Neuordnung des Postsektors, mit der die flächen- Bekanntlich mußte er seine Entwürfe zurückziehen deckende Infrastruktur gesichert, die Nachfrage der und ändern, weil sie mit den europäischen Vorgaben, Kunden optimal befriedigt und die berechtigten Be- an denen er im übrigen selbst beteiligt war, nicht lange der Arbeitnehmer gewährleistet werden. Wett- übereinstimmten. Wir hatten Sie damals in der Ple- bewerb und Infrastruktursicherung schließen einan- nardebatte vorher darauf hingewiesen. In der Post- der nicht aus. Fairer Wettbewerb kann entscheidend und Telekommunikationspolitik sind wir gewohnt, dazu beitragen, Wachstum und Innovationen, kun- daß der eine Minister nicht weiß, was der andere tut. denorientierte und preisgünstige Dienstleistungen zu Daß aber derselbe Minister in Bonn nicht weiß, was ermöglichen. er in Brüssel tut, hat schon eine neue Qualität. Die vielzitierten Kräfte des freien Marktes und des (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der Wettbewerbs reichen allein jedoch nicht aus, um PDS) 16080 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Hans Martin Bury Zur Finanzierung defizitärer Teile des Universal- ende aus. Wir machen dann nächstes Jahr mit neuen dienstes sieht der Regierungsentwurf eine befristete Mehrheiten ein neues Gesetz. Exklusivlizenz für die Deutsche Post AG zur Beförde- rung von Briefsendungen mit einem Gewicht von (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne weniger als 100 Gramm bis zum 31. Dezember 2002 ten der PDS) und danach eine sogenannte Fondslösung vor. Die Befristung der Exklusivlizenz ist sachlich nicht zu be- gründen und inhaltlich unzureichend. Sie ist löchrig Faire Wettbewerbsbedingungen und ein funk- wie ein Schweizer Käse. Hinzu kommt, daß der lu- tionsfähiger Ausgleich von Defiziten aus dem Univer- saldienst sind auch deshalb erforderlich, um für die krative Zukunftsmarkt Infopost ab Januar 1998 voll- ständig für den Wettbewerb freigegeben und nicht in Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Deutschen Post die Exklusivlizenz einbezogen werden soll. Dadurch AG eine sozialverträgliche Bewältigung des Struk- entgehen der Deutschen Post AG Einnahmen, die turwandels zu ermöglichen. Die Deutsche Post AG zur flächendeckenden Versorgung mit Universal- hat die Anpassungsmaßnahmen im Personalbereich, dienstleistungen benötigt werden. Gleichzeitig sollen die schon in der Vergangenheit sehr schmerzlich Mißbrauchs- und Umgehungsmöglichkeiten für das waren, bisher ohne betriebsbedingte Kündigungen befristete Briefmonopol eröffnet werden, die in der durch normale Fluktuation, Vorruhestandsregelun- Praxis kaum zu kontrollieren sein werden. Darüber gen etc. halbwegs erträglich für die Betroffenen hinaus sollen nach Ihrer Vorstellung Anbieter von regeln können. Mit dem verfehlten Postgesetzent- Infopost nicht lizenziert werden. Das hat zur Folge, wurf der Bundesregierung und den daraus resultie- daß ausgerechnet der Wachstumsmarkt Infopost renden Umsatzeinbußen für die Post werden sozial nicht zur Deckung von Defiziten bei Leistungen der verträgliche Anpassungsmaßnahmen erheblich er- Grundversorgung im Rahmen möglicher Ausgleichs- schwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht. Auch zahlungen beitragen würde. deshalb sind wir gegen dieses Postgesetz.

Die SPD fordert, daß zur Sicherung des Universal- Hinzu kommt, daß Wettbewerber der Post, aber dienstes und zur Finanzierung der Sonderbelastun- auch die Post selbst zunehmend auf geringfügig Be- gen der Deutschen Post AG im neuen Postgesetz ein schäftigte ohne tarifvertragliche und sozialversiche- reservierter Bereich für die Beförderung sowohl von rungsrechtliche Absicherung zurückgreifen werden. Briefen als auch von Infopost vorgesehen wird, der Eine solche Entwicklung wäre für die Betroffenen aus Praktikabilitätsgründen einheitlich bei einer Ge- verhängnisvoll und würde zu Lasten der sozialen Si- wichtsgrenze von 100 Gramm festgelegt werden soll. cherheit der Arbeitnehmer, der sozialen Sicherungs- Umfang und Dauer dieses reservierten Bereiches systeme und eines fairen Wettbewerbs gehen. Das sollten regelmäßig unter Berücksichtigung der Ent- wollen wir verhindern. Wir brauchen nicht immer wicklung im Postsektor überprüft und gegebenen- mehr ungesicherte Jobs, Scheinselbständige und falls angepaßt werden. Insofern, Herr Bötsch, ziehen Turnschuhbrigaden, sondern qualifizierte, sozial ab- auch die von Ihnen vorgebrachten verfassungsrecht- gesicherte Arbeitsplätze bei der Post und in anderen lichen Bedenken nicht. Unternehmen.

Ich würde mir wünschen, daß sich die CDU/CSU (Beifall bei der SPD und der PDS) nicht länger von ihrem Juniorpartner - den Feinden der Post - an der Nase herumführen ließe und Rück- Die SPD forde rt deshalb, daß im Postgesetz Lizenz- grat genug hätte, zu ursprünglichen Einsichten zu- auflagen vorgesehen werden, mit denen sicherge- rückzukehren. - stellt wird, daß künftige Lizenznehmer die in ihrem Bereich üblichen Arbeitsbedingungen einhalten. Sol- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne che Lizenzauflagen sind verfassungsrechtlich zuläs- ten der PDS - Zurufe von der CDU/CSU) sig und wirtschafts- und gesellschaftspolitisch gebo- ten, um den Weg in eine Volkswirtschaft von Tage- - Man kann an der F.D.P. verzweifeln oder darüber löhnern zu verhindern. lachen. Ich trage es mit Humor. Notwendig sind im neuen Postgesetz auch Rege- Was der CDU/CSU allerdings blüht, wenn sie sich lungen zur Unterbindung aller Formen des soge- weiterhin zum Anhängsel der F.D.P. und ihrer rück- nannten Remailings. Die betroffenen Unternehmen, sichtslosen Politik zu Lasten der Arbeitnehmer und die in ihrer Existenz bedroht sind, aber auch die Verbraucher macht, können Sie an den Wahlergeb- Deutsche Post AG haben keine Zeit, darauf zu war- nissen in Frankreich und Großbritannien deutlich ab- ten, daß irgendwann in ein paar Jahren endlich ein lesen. neues Endvergütungssystem im internationalen Post- verkehr beschlossen wird, das dem Remailing den (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Dann Boden entzieht. Bis das geschieht, sind die betroffe- rächen wir uns mit gnadenloser Opposi nen Dienstleister, Rechenzentren, Druckereien etc. tion!) bereits pleite oder abgewandert und die Arbeits- plätze in Deutschland vernichtet. Das hat die Anhö- Insofern stört es mich auch nicht, wenn wir in den Be rung ausdrücklich bestätigt. Deshalb sind für eine ratungen zum Postgesetz nicht zu einer Einigung Übergangszeit bis zum Inkrafttreten eines neuen, ko- kommen. Im Zweifel läuft das Gesetz zum Jahres stengerechten Endvergütungssystems nationale ge- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16081

Hans Martin Bury setzliche Regelungen zur Unterbindung des Remai- Dieses Postgesetz gibt der Post eine neue Qualität, lings erforderlich. die weit in das nächste Jahrhundert hinein Bestand haben soll. Das heißt, wir diskutieren und entschei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne den über die Zukunft des Unternehmens Deutsche ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Post AG, und ich hoffe, daß das Gesetz in seiner Qua- und der PDS) lität und in seinen Auswirkungen ebenso lange wie Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD hat ihr das hält, was wir in den letzten Jahrhunderten an Konzept zur Neuordnung des Postsektors bereits am Postqualität erlebt haben. 8. Mai 1996 im Deutschen Bundestag eingebracht. Ihnen dürfte nicht entgangen sein, daß wir uns mit Wir setzen damit auch für alle Unternehmen unseren Kernforderungen in weitgehender Überein Rahmenbedingungen, die künftig in diesem Markt stimmung mit dem Bundesrat - übrigens nicht nur postalische Dienstleistungen anbieten wollen. Das mit den A-Ländern - befinden. Sie haben jetzt die hat nicht nur auf diejenigen Arbeitsplätze Auswir- Wahl, mit uns ein vernünftiges Postgesetz zu verab- kungen, die bei der Post auf Grund stärkeren Wett- schieden oder ohne Gesetz ins Wahljahr zu gehen. bewerbs tatsächlich wegfallen werden, sondern auch Wir haben beim Telekommunikationsgesetz eine ver- für Arbeitsplätze - das stelle ich im Gegensatz zu nünftige Einigung hinbekommen. Die einzige Mög- Ihnen, Herr Bury, auch fest -, die bei den Wettbewer- lichkeit, die CDU/CSU auch an der Regelung des bern bereits bestehen oder aber in Zukunft entstehen Postmarktes zu beteiligen, ist eine Einigung noch in werden. diesem Jahr. Anderenfalls machen wir es im näch- Natürlich haben p rivate Wettbewerber Kostenvor- sten Jahr ohne sie. teile. Das sei nicht verschwiegen; das betont die Post- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE gewerkschaft immer, wenn sie von gleichen Bedin- GRÜNEN und der PDS) gungen redet. Die Kostenvorteile der privaten Wett- bewerber bestehen darin, daß wir heute bei der Post Lohnnebenkosten in der Größenordnung von Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der 125 Prozent und weit über 1000 freigeste llte Betriebs- Kollege Elmar Müller, CDU/CSU. und Personalräte haben. Das ist eine im Grunde ge- nommen unvorstellbare Größenordnung, und natür- Elmar Müller (Kirchheim) (CDU/CSU): Herr Präsi- lich werden bestehende oder künftige Mitbewerber dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur nicht mit solchen Belastungen in den Markt gehen. Entschuldigung der SPD muß gesagt werden, daß sie durchaus modernere Wi rtschaftspolitiker hat, die Dieses Gesetz hat seit Bestehen der Bundesrepu- sich von dem abheben, was Herr Bury hier geboten blik die größte Bedeutung für die zukünftige posta- hat. lische Infrastruktur, für das Dienstleistungsangebot und insbesondere für die Preise, was für die Bürger (Beifall bei der CDU/CSU - Birgit Hombur natürlich wichtig ist. ger [F.D.P.]: Aber keine jüngeren!) Es ist deswegen nicht verwunderlich, daß dieses Allerdings muß ihm möglicherweise zugestanden Gesetz in seiner Auswirkung vorweg natürlich auch werden, daß seine Rede in Frankfurt-Niederrad beim jetzt schon von den interessierten Gruppen diskutiert Sitz der Deutschen Postgewerkschaft niedergeschrie- wird. Aber unsere Aufgabe ist es, eben nicht nur ben worden ist. Aber darüber sind wir hinweg, Herr Gruppeninteressen nachzugehen, wie das Herr Bury Kollege Bury. vorhin getan hat, sondern wir müssen ein Gesetz ma- (Otto Schily [SPD]: Das ist ausgesprochen chen, das allen gleichermaßen, vor allem dem Bür- schwach!) - ger, in Zukunft nützt. Ich bin allerdings auch dafür dankbar, daß wir Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf ist heute zum erstenmal eine Aussprache zu unserem gut gelungen. Er bietet eine hervorragende Grund- Fachbereich, der Post, haben, die nicht, wie Sie, Herr lage, um in unseren weiteren Beratungen - darauf, Postminister, immer sagen, im Schutz der Dunkelheit denke ich, werden auch Sie, Herr Bury, Wert legen - stattfindet, sondern tatsächlich einmal im Sonnen- und insbesondere auf Grund der nach der Sommer- schein. pause stattfindenden Anhörung einzelne Regelun- gen durchaus noch zu diskutieren und, wenn mög- (Arne Börnsen [Ritterhude] [SPD]: Aber bei lich, den gegensätzlichen Interessen gerecht zu wer- Sonnenuntergang!) den. Ich hoffe, das ist ein guter Auftakt für dieses Gesetz; entsprechend sollen auch die Beratungen dieses Ge- An dieser Stelle möchte ich aber davor warnen, setzentwurfes sein. daß hier verantwortliche Politiker, wie Sie soeben ge- hört haben, weniger das Gemeinwohl und einen da- Meine Damen und Herren, mit der Liberalisierung mit immer verbundenen Interessenausgleich im des Postmarktes erreichen wir nicht nur ganz andere Auge haben, sondern offensichtlich knallharte Klien- Dimensionen als bei der Telekommunikation, son- telpolitik betreiben. dern daran sind zumindest ebenso viele Menschen beteiligt: diejenigen, die bei der Post arbeiten, (Beifall bei der CDU/CSU - Zurufe von der ebenso wie unsere Mitbürger, die als Kunden der SPD: Das war an Herrn Bötsch gerichtet! - Post verbunden sind. Oder an Herrn Rexrodt!) 16082 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Elmar Müller (Kirchheim) Wenigstens in der Postpolitik, meine Damen und als sie öffentlich immer wieder dargestellt wird. UPS Herren, ist es uns in der Vergangenheit - auch darauf ist wirklich einer der potentesten Mitbewerber, und wurde hingewiesen - in der Regel gelungen, ausge- genau UPS beweist, daß die sogenannten Turnschuh wogene Regelungen zu erreichen. Das Telekommu- brigaden überhaupt keine Rolle spielen. nikationsgesetz ist durchaus ein gutes Beispiel dafür. (Otto Schily [SPD]: Das ist doch keine Ant Mehr als eine Viertelmillion Menschen arbeiten wort auf die Frage! Wollen Sie nicht eine bei der Post. Wir wissen, daß viele durch zunehmen- Antwort auf die Frage geben?) den Wettbewerbsdruck und die notwendige Steige- rung der Produktivität des Unternehmens in ihrer be- Deshalb muß es unser aller Anliegen sein, daß wir ruflichen Existenz gefährdet werden. Das bestreiten den Begriff Turnschuhbrigaden, der ständig im Raum wir nicht. Bedauerlich ist dabei, daß die Deutsche schwirrt, in diesem Bereich in Zukunft einfach nicht Postgewerkschaft und leider auch die Unterneh- mehr verwenden. mensführung den Postmitarbeitern suggeriert, nicht die ohnehin notwendige Produktivitätssteigerung Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege und die damit verbundenen Arbeitsverluste seien der Müller, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Grund, sondern das Postgesetz sei verantwortlich für Kollegen Dr. Kiper? die zukünftig durch Automatisierung wegfallenden Arbeitsplätze. Hier macht man sich die Angst von Menschen für die eigenen Zwecke zunutze. Elmar Müller (Kirchheim) (CDU/CSU): Bitte sehr. Wer sich aber wie die SPD blauäugig und ohne die Unternehmenszahlen kritisch zu hinterfragen, dazu Dr. Manuel Kiper (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): hinreißen läßt, seine Politik nicht auf Fakten, sondern Herr Kollege Müller, ist Ihnen das Arbeitsgerichtsur- auf Horrorszenarien aufzubauen, der wird seiner Ver- teil aus Hannover von vor zwei Monaten bekannt antwortung auch gegenüber den bereits über 100 000 geworden? In einem Arbeitsgerichtsprozeß, bei dem Beschäftigten, die schon heute bei Mitbewerbern der es um einen Konkurrenten der Post AG ging, hatten Post einen Arbeitsplatz gefunden haben, und gegen- Angestellte gegen dieses Frachtunternehmen ge- über den vielen Menschen, die im Zuge der Liberali- klagt, weil sie der Meinung waren, es könne doch sierung dort noch ihre Arbeit finden werden, nicht nicht angehen, daß ihre Verträge über Jahre hinweg gerecht. jeden Tag aufs neue geschlossen werden, und daß sie eigentlich Anspruch auf Lohnfortzahlung im (Beifall bei der CDU/CSU) Krankheitsfall hätten, weil es sich im Grunde um Ich möchte die Zahlen zu dem nennen, was Herr einen durchlaufenden Arbeitsvertrag handle? Diese Bury vorhin mit dem Stichwort Turnschuhbrigaden Kolleginnen und Kollegen haben vor dem Arbeits- abqualifiziert hat. Allein UPS hat heute über 15 000 gericht nicht recht bekommen, sondern es wurde für festangestellte Mitarbeiter, und - hören Sie zu, Herr Rechtens befunden, daß bei diesem Frachtunterneh- Bury - ganze 43 davon sind in sogenannten geringfü- men das Arbeitsverhältnis jeden Tag aufs neue be- gigen Beschäftigungsverhältnissen tätig, prozentual gründet wurde. also weniger als im öffentlichen Dienst. Soviel zu dem, was Sie vorhin oder was auch die Gewerk- Elmar Müller (Kirchheim) (CDU/CSU): Meine Da- schaftler in den letzten Monaten als Turnschuhbriga- men und Herren, wir kennen natürlich die Unsicher- den abqualifiziert haben. heiten, die die Wettbewerber derzeit haben. Ich denke, genau mit diesem Gesetz schaffen wir für den künftigen privat organisierten Markt und den Wett- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr- Kollege Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- bewerb Sicherheit, so daß die Wettbewerber künftig gen Börnsen? ohne diese ungleichen Voraussetzungen am Markt mitmischen und hoffentlich noch mehr fest ange- stellte Mitarbeiter haben können. Elmar Müller (Kirchheim) (CDU/CSU): Bitte sehr. (Beifall bei der CDU/CSU) Arne Börnsen (Ritterhude) (SPD): Herr Kollege Müller, ist Ihnen aus Gesprächen mit UPS bekannt, Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege daß diese Firma uns angekündigt hat, daß auch UPS Müller, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des aus Gründen der Wettbewerbsgleichheit gezwungen Kollegen Jüttemann? wäre, solche sozial nicht abgesicherten Beschäfti- gungsverhältnisse vermehrt einzuführen, wenn die Bundesregierung keine weiteren sozialen Absiche- Elmar Müller (Kirchheim) (CDU/CSU): Bitte, Herr rungsmaßnahmen gesetzlich fixiert, um bei Wettbe- Kollege Jüttemann. werbern Turnschuhbrigaden zu verhindern? Gerhard Jüttemann (PDS): Herr Kollege Müller, es Elmar Müller (Kirchheim) (CDU/CSU): Ich glaube, wäre einmal interessant, einen Vergleich zu ziehen, Herr Kollege Börnsen - vielen Dank für die Frage -, was ein Beschäftigter bei der Deutschen Post AG und daß dieses Thema uns alle angeht. Genau in diesem was die Kollegen bei UPS verdienen, damit deutlich Bereich - das wollte ich vorhin mit meinem Beispiel wird, wohin Sie wollen, das heißt welche Löhne und sagen - scheint die Wirk lichkeit ganz anders zu sein, welche Beschäftigung Sie anstreben. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16083

lichElmar Müllerdiejenigen, (Kirchheim) (CDU/CSU): die Ich dafür gehe da- zuständig sind - das sind von aus, daß die Besoldungsstruktur der Post be- nicht die Postpolitiker, sondern diejenigen, die im so- kannt ist. Die Struktur bei UPS ist so, daß do rt 15 000 zialen Bereich Verantwortung tragen -, dieses Unter- festangestellte Mitarbeiter ganz offensichtlich in nehmen im Auge haben. Lohn und Brot sind und deshalb auch ihr Auskom- Dazu sage ich ausdrücklich: Kollege Börnsen, ich men haben dürften. und andere haben mehrmals an Begegnungen mit (Otto Schily [SPD]: Wieder keine Antwort Vertretern dieser Firma teilgenommen. Nicht nur auf die Frage!) Herr Börnsen, wie ich vermute, sondern auch wir ha- ben seit diesem Zeitpunkt dieses Unternehmen nicht Deshalb, so denke ich, ist nicht nur das, was wir jetzt nur mündlich, sondern auch schriftlich aufgefordert, tun, sondern auch das, was wir auf den Weg bringen, uns die Arbeitsverhältnisse genau darzulegen. Ich eine gute Voraussetzung, um auf diesem Markt wei- glaube, daß auch das dazu beigetragen hat, daß bei teren Wettbewerb und damit vor allem auch noch diesem Unternehmen darauf geachtet wird, daß man mehr Arbeitsplätze zu schaffen. es sich auf Grund des Ansehens in der Öffentlichkeit nicht leisten kann, genau das zu tun, was Sie diesem Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege Unternehmen wiederholt und fälschlicherweise vor- Müller, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des werfen. Das, was vor zwei Jahren war, scheint ganz Kollegen Bury? offensichtlich korrigiert zu sein. Deshalb war es ein vernünftiger Weg, im Dialog mit diesem Unterneh- men inzwischen einen Vergleich herzustellen. Elmar Müller (Kirchheim) (CDU/CSU): Wir können das gerne fortsetzen, Herr Präsident. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ebenso- wenig verantwortlich handelten a ll diejenigen, die Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Auch ich wollte das im Wettbewerb zu erreichende Umsatzvolumen - darauf hinweisen: Das Ganze wird ja noch an die das ist einer der Beiträge des Kollegen Bury gewesen Ausschüsse überwiesen. Es wird do rt noch beraten. - mit Umsatzverlusten der Post gleichsetzten. Alle Er- fahrungen des Auslandes zeigen nun einmal, daß (Hans Martin Bury [SPD]: Trotzdem!) das marktbeherrschende Unternehmen selbst nach - Ich weiß das. Dies ist ein fürsorglicher Hinweis des vielen Jahren noch immer 80 bis 90 Prozent des ehe- amtierenden Präsidenten. maligen Monopolbereichs halten kann. Von einem plötzlichen Wegbrechen des Marktes kann also über- Wollen Sie, Herr Müller, die Frage zulassen? haupt keine Rede sein, wie im übrigen bereits bei der erfolgten Freigabe der Infopost bis zu einem Gewicht Elmar Müller (Kirchheim) (CDU/CSU): Ich möchte von 100 Gramm bewiesen wurde. Dabei hatten das dem Herrn Präsidenten recht geben. Unternehmen und insbesondere die Postgewerk- schaft Milliardenverluste vorausberechnet. Statt des- (Hans Martin Bury [SPD]: Sie haben mich sen weist die aktuelle Postbilanz einen Gewinn von angesprochen, Herr Kollege! Deshalb wollte nahezu einer halben Milliarde DM aus. Ich bitte Sie, ich fragen!) sich daran zu erinnern, daß die Post AG noch vor - Also dann, wenn Sie darauf Wert legen, Herr Kol- vier, fünf Jahren bis zu 2 Milliarden DM jährlich an Quersubventionen von der Telekom benötigte und lege Bury. erhielt. Das ist, denke ich, der Beweis für den Erfolg der Gesetzgebung von der Postreform II bis heute. Hans Martin Bury (SPD): Herr Präsident, vielen Dank. Immer wieder wird mit Sonderbelastungen von über 5 Milliarden DM Stimmung gemacht; das sind Da Sie, Herr Kollege Müller, mich angesprochen, die sogenannten Pensionslasten. Auch dies ist ein Ar- dann aber die Fragen der Kollegen allesamt nicht be- gument der SPD, das fälschlicherweise vorgetragen antwortet haben, möchte ich Sie fragen, ob Sie die wird. Bis zum Jahre 2003 wird sich diese Sonderbela- Frage von Herrn Börnsen nicht verstanden haben stung, wie wir wissen, auf unter 1 Milliarde DM redu- oder ob Ihnen tatsächlich entgangen ist, daß die zieren. Firma UPS noch vor zwei Jahren keine sozialversi- cherungsrechtlich nicht abgesicherten Arbeitsver- In unserer politischen Verantwortung für die Mitar- hältnisse hatte und uns seinerzeit aufgefordert hat, beiter der Post und im Wissen um die noch bestehen- Maßnahmen zu treffen, die verhindern, daß sie aus den besonderen Belastungen haben wir uns für einen Wettbewerbsgründen gezwungen ist, ihrerseits un- schrittweisen und wohldosierten Übergang vom Mo- geschützte Arbeitsverhältnisse in größerem Umfang nopol zum Wettbewerb entschieden. Von etwa zu schaffen. Ist Ihnen weiterhin entgangen, daß die 16 Milliarden DM Umsatz im heutigen Monopolbe- Firma UPS dies dank der Schlafmützigkeit der Bun- reich werden 10 Milliarden DM, das heißt mehr als desregierung in der Zwischenzeit tut und der Auffas- die Hälfte, weiter der Exklusivlizenz unterfallen. sung ist, daß sie in noch weit größerem Umfang dazu Zu klären wird auch sein, welche Auswirkungen gezwungen sein wird, wenn Sie weiterhin nicht han- die Herausnahme der Infopost aus dem lizenzierten deln? Bereich haben wird. Wir werden uns nicht dem Vor- wurf aussetzen, politische Kompromisse jenseits von Elmar Müller (Kirchheim) (CDU/CSU): Daran, Herr Zahlen und Fakten, möglicherweise zu Lasten der Kollege Bury, können Sie erkennen, daß offensicht- Post AG, mitzutragen. Auch die Auswirkungen eines 16084 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Elmar Müller (Kirchheim) Netzzugangs für Mitbewerber werden noch zu dis- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der kutieren sein. Kollege Dr. Kiper, Bündnis 90/Die Grünen. (Otto Schily [SPD]: Das ist eine wahrhaft aufrüttelnde Rede!) Dr. Manuel Kiper (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen Kein Maßstab für unsere politische Entscheidung und Kollegen! Wir sagen ja zum Wettbewerb. Wir sa- sollte dagegen der derzeitige Stand der Diskussion gen aber nein zu einer vorrangigen Neuordnung des zum Richtlinienentwurf der EU sein. Zum einen ist Postbereichs unter dem Gesichtspunkt des Börsen- der reservierbare Bereich nach den dortigen Vorstel- werts der Post AG und unter dem Gesichtspunkt der lungen lediglich eine absolute Obergrenze, wie Sie, Haushaltssanierung. Wir sagen nein - Herr Bury, eben vorgetragen haben, die national zu unterschreiten jederzeit möglich ist. Andererseits (Zuruf von der CDU/CSU: Ihr sagt zu allem dient der Entwurf im wesentlichen der Einführung nein!) von europaweiten Leistungsstandards, die wir in Deutschland schon längst erreicht haben. - Ich habe gerade gesagt: Wir sagen ja zum Wettbe- werb, verehrte Kollegin. Wir sagen aber nein zu aus- Ich hoffe im übrigen, daß andere europäische Re- gedünnten Infrastrukturleistungen; denn insoweit gierungen - insbesondere nenne ich dabei Frank- haben wir ganz klar auch die Vorgaben des A rt. 87 f reich, Dänemark und die Niederlande - gleichfalls des Grundgesetzes zu erfüllen. schrittweise auf wettbewerbsverzerrende Monopole verzichten, und zwar auch deshalb, weil es genau (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ihre Monopolunternehmen sind, die nun versuchen, und bei der PDS) auf den deutschen Markt zu kommen. Bei dem von der Regierungskoalition vorgelegten Gesetzentwurf stellt sich eine Reihe von Fragen. Ich bin also der festen Überzeugung, daß der der- Dazu gehört die Frage: Wird durch dieses Gesetz zeitige Entwurf der EU-Richtlinie nicht unverände rt langfristig die Tarifeinheit im Raum gewahrt, oder bleiben wird. Es ist selbstverständlicherweise davon wird sie unterminiert? Wir werden diese Frage in den auszugehen, daß ein Eingreifen des Staates zur Si- Ausschußberatungen vertiefen und klären müssen. cherung des Universaldienstes nicht erst im Falle ei- nes unwahrscheinlichen Marktversagens, wie es Wir werden auch die Frage aufwerfen müssen: darin heißt, erforderlich oder gar zulässig ist. Das ist Wird hier flächendeckend ein Sozialdumping vor- nicht unsere Konzeption. Sie erscheint uns wenig programmiert oder nicht? - Kollege Müller, ich habe wettbewerbsgerecht und soll deshalb nicht so blei- den Eindruck, daß Sie blauäugig an die gesamte Ent- ben. Vielmehr sollten den Unternehmen von Anfang wicklung herangehen. Es wäre schön, wenn es nicht an bestimmte Verpflichtungen und Lasten auferlegt zu diesem Sozialdumping käme. Aber bislang sieht werden. es eher so aus, daß die Wettbewerber ein Sozial- dumping organisieren. Meine Damen und Herren, die Vorstellungen des Bundesrates werden wir sehr sorgfältig zu prüfen ha- Ich möchte daran erinnern, daß insbesondere der ben. Dabei ist jedoch jetzt schon festzustellen, daß Beruf des Briefträgers kein leichter ist, sondern daß eine vom Bundesrat geforderte unbefristete Exklu- er unter Arbeitsschutzgesichtspunkten mit sehr vie- sivlizenz weder rechtlich möglich noch sinnvoll len Belastungen verbunden ist. Von daher halte ich wäre, da nur eine klare Bef ristung Planungssicher- hohe Sozialleistungen in diesem Bereich für durch- heit sowohl für die Deutsche Post AG als auch für die aus angemessen. Wettbewerber bedeutet. Wir werden auch der Frage nachgehen müssen, ob Im Falle einer unbefristeten Exklusivlizenz erschei- die Qualität der zukünftigen Postdienstleistungen nen auch die vorgesehenen Entlassungen des Unter- im Universaldienst ausreichend festgeschrieben nehmens - darauf lege ich Wert - ab 1999 nicht mehr wird. Kollege Bury hat dankenswerterweise bereits gerechtfertigt. Das ist, denke ich, ein wichtiges Argu- darauf hingewiesen, daß es nicht nur darum gehen ment. Diese Aktion soll gerade dem Ziel dienen, im kann, Herr Minister, den Bereich bis 1000 Gramm Jahre 2003, wenn die Exklusivlizenz ausläuft, eine festzuschreiben, sondern daß zu einer ausreichenden volle Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen. Grundversorgung erheblich mehr gehört als das, was bislang im Gesetz steht. Ich bin guten Mutes, daß die Gutmütigen und die Fortschrittlichen Ihrer Fraktion im Ausschuß - dazu Ich möchte nicht verhehlen, daß ich ursprünglich zähle ich den Kollegen Börnsen - diesem Gesetzge- skeptisch gegenüber der 100-Gramm-Grenze für ei- bungsvorhaben wie den vorausgehenden durchaus nen reservierten Bereich war, wie er jetzt von der Re- positiv gegenüberstehen. gierungskoalition festgeschrieben worden ist, und daß ich auch skeptisch war bezüglich einer Befri- (Hans Martin Bury [SPD]: Herr Börnsen stung. Ich meine aber, daß - das hat Kollege Müller mußte weg! Er kann sich jetzt nicht hier dargestellt - die sti llen Reserven, die es bei der wehren!) Post AG offensichtlich gibt, Anlaß zu der Frage ge- ben, ob ein reservierter Bereich mit einer solch hohen Ich freue mich auf eine konstruktive Zusammenar- Grenze unbefristet notwendig ist. beit. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Zurufe von der SPD und der PDS) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16085

Dr. Manuel Kiper - Lieber Kollege Bury, ich möchte darauf hinweisen, nötig, nicht das überholte Festhalten an irgendwie daß die Post AG inzwischen selbst davon ausgeht, gearteten Postfilialen in einer bestimmten Zahl. Das daß die Reservierung nur bis zum Jahre 2002 benö- kann nicht das Ziel sein. Tatsächlich muß das Ziel tigt wird und daß sie dann flächendeckend sehr wohl eine nachfrageorientierte Dienstleistungsgesellschaft im Wettbewerb bestehen kann. Von daher und ange- sein. sichts der exorbitanten Erhöhungen der Vorstands- einkommen bei der Post AG frage ich mich, ob die Einige Schritte sind mit der Postreform gegangen Post AG, insbesondere von seiten der SPD-Fraktion, worden. Weitere Schritte sind unserer Meinung nach hier nicht manchmal zu sehr mit Samthandschuhen möglich und notwendig. Aber diese Schritte müssen angefaßt wird. hin zum Bürger getätigt werden und nicht weg vom Bürger. Hier werden schließlich die Arbeitsplätze der (Zuruf von der PDS) Zukunft bei der Post AG geschaffen werden können. Im Zuge der Ausschußberatungen werden wir prü- (Zuruf von der SPD: Der Minister nickt!) fen müssen, ob Verbesserungen notwendig sind. Die Festschreibungen hinsichtlich der Qualität in diesem Die Haushaltslöcher von heute dürfen nicht die Zu- Gesetz müssen offensichtlich verschärft werden. kunft der Post von morgen kosten. Ganz offensichtlich muß auch die Tarifeinheit im Ich danke Ihnen. Raum festgeschrieben werden. Auch Remailing-Re- gelungen - da stimme ich dem Kollegen Bury zu - (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) müssen so lange festgeschrieben werden, bis ein in- ternational fairer Ausgleich der Postgebühren ge- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der schaffen ist. Kollege Dr. Max Stadler, F.D.P. Ich möchte daran erinnern, daß der Gang zur Börse Verkauf der Post AG ganz offensichtlich zu und der Dr. Max Stadler (F.D.P.): Herr Präsident! Meine sehr im Vordergrund der Postpolitik der Regierungs- sehr geehrten Damen und Herren! Das Postgesetz koalition stehen. Das heißt nichts anderes, als daß schließt die Liberalisierung der Märkte der alten Post hier letztlich eine schnelle Mark für den Bundeshaus- ab. Die F.D.P. hat sich stets für eine schnelle Öffnung halt bzw. für das Stopfen von F.D.P.-Löchern im Bun- eingesetzt, um über Wettbewerb zu einem kosten- deshaushalt geschaffen werden soll, günstigen, qualitativ guten und innovativen Angebot (Dr. Max Stadler [F.D.P.]: Die gehören schon an Dienstleistungen zu kommen. Verbraucher und dem Waigel!) Unternehmen werden gleichermaßen die Gewinner dieser Entwicklung sein. die Lasten aber der nächsten Generation aufgebür- det werden; denn es gilt nach wie vor § 16 des Post- Die Liberalisierung kommt spät, nach unserer personalrechtsgesetzes. Durch ihn - das ist unbestrit- Meinung fast zu spät. Wie sie im Endeffekt aussehen ten - gibt es bis 2010 Lasten aus den Pensionen für wird, ist anders als beim Telekommunikationsgesetz den Bundeshaushalt von immerhin 172 Milliarden noch nicht endgültig vorhersehbar. Beim TKG gab es DM. Die Verantwortung der Postunternehmen für ja eine Annäherung der Standpunkte nicht nur inner- ihre Pensionslasten wird nach diesem Gesetz herun- halb der Koalition, sondern auch zwischen Koalition tergefahren. Da kommt also etwas auf die nächste und Opposition. Der Entwurf des Postgesetzes ist bis Generation zu. Das ist keine christliche Politik. Das heute streitig geblieben, so daß sich möglicherweise ist kein fairer Generationenvertrag. Dies hat nichts ein Vermittlungsverfahren am Ho rizont abzeichnet. mit Nachhaltigkeit zu tun, sondern ist eher Ausdruck Dabei ist aber nach Art . 87 f des Grundgesetzes klar, daß ein dauerhaftes, also unbef ristetes Monopol der der Haltung: Nach uns die Sintflut. - Deutschen Post AG auch nur in Teilbereichen recht- Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte lich unzulässig wäre. Entsprechende Forderungen abschließend darauf verweisen, daß wir bereits letz- insbesondere der Postgewerkschaft sind daher chan- tes Jahr den Antrag in den Bundestag eingebracht cenlos. haben, sich ein modernes Dienstleistungskonzept vorzunehmen und die Postversorgung einzubetten in Dagegen haben wir in den koalitionsinternen Ver- eine flächendeckende Dienstleistungsversorgung, handlungen für die Zeit bis zum Ablauf des Jahres die wesentlich variabler, flexibler, vernetzter ist. Ich 2002 ein Teilmonopol, die sogenannte Exklusivli- erinnere an die Bürgerbüros, wie sie vor acht Jahren zenz, als Kompromiß akzeptiert. Dabei hat die F.D.P. in Niedersachsen bereits als Konzept vorgelegt wor- durchgesetzt, daß dieses bef ristete Monpol nicht alle den sind. Ich erinnere an das Modellvorhaben in Bis Briefsendungen bis 350 Gramm umfaßt. Dies wäre le- mark in Sachsen-Anhalt, wo gebündelte Dienstlei- diglich die Verlängerung des Monopols in einem stungen vorgehalten wurden. Die Post hat sich ge- neuen Gewande gewesen, da dann 98 Prozent des weigert, dabei mitzumachen. Die Informationstech- Marktes für Briefsendungen im geschützten Bereich nologie und die Computervernetzung bieten uns verblieben wären. doch die Möglichkeit, gebündelt Dienstleistungen in Vielmehr erstreckt sich die Exklusivlizenz nach der Fläche vorrätig zu halten; nur muß dieses Kon- dem vorliegenden Gesetzentwurf nunmehr auf B rief- zept auch richtig entwickelt werden. sendungen bis 100 Gramm. Dies entspricht zwar Wir müssen die Mentalität der Behördenpost kon- nicht den Ursprungsforderungen der F.D.P., ist je- zeptionell ad acta legen. Die Ausrichtung auf eine doch vetretbar, um der Post AG den Übergang in den nachfrageorientierte Dienstleistungsgesellschaft ist freien Wettbewerb zu erleichtern. Dagegen halten 16086 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Dr. Max Stadler wir eine Regelung, wie sie vom Bundesrat vorge- zu hoch empfundenen Kostenniveau. Administrative schlagen wurde, wonach das Monpol zwar irgend- Abwehrmaßnahmen sind unserer Meinung nach die wann einmal fallen soll, der Endzeitpunkt jetzt je- schlechtere Verteidigungsstrategie als der von uns doch noch nicht bestimmt wird, für völlig kontrapro- bevorzugte Wettbewerb in Form einer offensiven Ge- duktiv. Das ist wirklich die schlechteste vorgeschla- genstrategie. gene Lösung zum Problem der Dauer eines Teilmo- nopols. Die flächendeckende Grundversorgung mit Post- dienstleistungen, die der Bund nach Art. 87 f des Der Hauptsinn der Neuregelung besteht doch Grundgesetzes zu sichern hat, bleibt gewährleistet. darin, zugunsten der Verbraucher Wettbewerb zuzu- Sollte die Post AG diese nicht kostendeckend vor- lassen. Wettbewerb bedeutet, daß neue Investoren nehmen können und der Wettbewerb nicht automa- im bisherigen Monopolbereich tätig werden sollen. tisch die Lücke schließen, so können die Dienstlei- Die potentiellen Investoren brauchen aber zuverläs- stungen an diejenigen Wettbewerber ausgeschrie- sige Rahmendaten. Dazu gehört eine klare zeitliche ben werden, der sie zu den geringsten Kosten erbrin- Fixierung des endgültigen Übergangs vom Monopol gen kann. Ein etwa anfallendes Defizit wird dann in den freien Wettbewerb. entsprechend den Marktanteilen auf die Wettbewer- (Beifall des Abg. Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]) ber umgelegt. Die Regelung im Telekommunikati- onsgesetz stand dafür natürlich Pate. Ohne eine solche klare zeitliche Vorgabe würde auf längere Sicht Wettbewerb verhindert, zumindest Schließlich sei wegen der weiteren Anträge, die weit hinausgezögert. Dies kann nicht gewollt sein. heute zur Behandlung anstehen, noch auf das im De- zember 1996 vorgelegte neue Postfilialkonzept ver- Die F.D.P. tritt ferner für den freien Netzzugang wiesen. Meiner Meinung nach muß man der alten der Wettbewerber ein. Existenzgründer und mittel- Poststelle mit unzureichender Öffnungszeit und ent- ständische Unternehmer werden somit auch dann sprechend deutlicher Ablehnung durch die Kunden nicht mit hohen Marktzutrittsbarrieren zu kämpfen keine Träne nachweinen. Ich stimme mit dem Kolle- haben, wenn sie nicht sofort alle Dienstleistungen gen Kiper völlig überein, daß das bloße Vorgeben anbieten können. Sie dürfen auf Teildienstleistungen von bestimmten Zahlen nicht das Entscheidende ist. der Post AG zurückgreifen, für die sie selbstverständ- Entscheidend ist vielmehr, daß ein Angebot gemacht lich entsprechende Entgelte zu zahlen haben. wird, das wirklich bürgernah ist und vom Kunden ak- Im Vorfeld ist vielfach die Befürchtung geäußert zeptiert wird. Das System der Postagenturen ist ein worden, daß durch Wettbewerb Arbeitsplätze in gro- Schritt in die richtige Richtung. ßer Zahl verlorengehen werden. Unserer Meinung (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) nach liefert der Kurier-, Express- und Paketmarkt das Gegenbeispiel. Nach den mir vorliegenden Informa- Beispiele aus dem Ausland - etwa aus Großbritan- tionen sind im Wettbewerb mehr als 40 000 Arbeits- nien - sind selbstverständlich nicht ohne weiteres auf plätze bei den Privaten geschaffen worden. Nun ist die Bundesrepublik Deutschland übertragbar, weil vorhin schon ein Disput über die Qualität dieser Ar- die Ausgangsvoraussetzungen zum Teil nicht über- beitsplätze entstanden, bei dem mir das Mißtrauen einstimmen. Sie zeigen aber, daß der Phantasie der Opposition gegen den p rivaten Sektor übertrie- kaum Grenzen gesetzt sind, wenn neue Formen von ben erscheint. verbraucherfreundlichen Postjobs eingeführt werden sollen. Mit einer offensiven Marktstrategie sollte es Wir sind der Meinung, daß selbstverständlich auch der Deutschen Post AG daher auch gelingen, weiter- die Deutsche Post AG ausgezeichnete Chancen am hin flächendeckend präsent zu sein. Markt behält. Sie hat hinreichend Zeit, sich auf die Öffnung der Märkte einzustellen. Auch unter diesem (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Aspekt ist die Übergangsfrist durchaus vertretbar. Die Deutsche Post AG startet als überragender Wett- bewerber mit guter Logistik und flächendeckender Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Leistung. Sie hat daher zum Beispiel bei der begrenz- Kollege Gerhard Jüttemann, PDS. ten Freigabe der Infopost statt zuvor befürchteter Verluste nach der Liberalisierung Gewinne erzielt, Gerhard Jüttemann (PDS): Herr Präsident! Meine obwohl andere Wettbewerber am Markt ebenfalls er- Damen und Herren! Ich freue mich heute ganz be- folgreich sind. Kollege Müller hat es ganz deutlich sonders, meine Besucher hier begrüßen zu können. gesagt: Freigabe eines Sektors für den Wettbewerb Da hat man in diesem Hohen Hause ja selten Glück. bedeutet nicht etwa völligen oder großen Verlust für die Post AG in dem entsprechenden Sektor. Sie muß (Beifall bei der PDS) ihren Umsatz dann eben im Wettbewerb erwirtschaf- ten. Dazu hat sie die besten Chancen. Die bekanntesten Räuber in der Welt der Märchen und Sagen, ob sie nun Störtebeker, Schinderhannes Wenn, wie wir erwarten, nach Abschaffung des oder Robin Hood hießen, zeichneten sich dadurch Monopols Postdienstleistungen in Deutschland preis- aus, daß sie den Armen gaben, was sie den Reichen werter werden - das ist der Hauptsinn der Veranstal- nahmen. Bei den heute modernen Räubern ist es ge- tung -, dann wird sich das vorhin angesprochene nau umgekehrt. Sie nehmen den Armen, um es den Problem des Remailings deutlich entschärfen. Beim Reichen zuzuscheffeln. Diese A rt des Raubes ist des- Remailing handelt es sich doch um nichts anderes als halb so beliebt, weil sie unverfänglicher als die erst- um ein Ausweichen der Verbraucher vor einem als genannte ist: Man setzt sich nicht nur keinerlei staat- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16087

Gerhard Jüttemann licher Verfolgung aus, nein, man nutzt den Staat so- schäftigter durch Turnschuhbrigaden zu stoppen. Sie gar als Werkzeug des Beutezuges. würden auch dafür sorgen, daß das bestehende Post- filialnetz erhalten bleibt und durch Ausweitung des (Beifall bei der PDS) Angebots um kommunale und private Dienstlei- Voraussetzung ist nur eines: Sie nennen die gigan- stungen erweitert wird, statt die Schließung Tausen- tische Umverteilung von arm zu reich Reform. Beim der und aber Tausender Filialen einfach hinzuneh- Postraub wählen Sie also entsprechend die Bezeich- men. nung Postreform. Dann versprechen Sie den Leuten das Blaue vom Himmel: Die reformierte Post wird bil- Aber um all das geht es Ihnen eben nicht. Sonst liger sein und ein umfangreicheres sowie qualitativ wären Sie vielleicht wie Frankreich vor der Privatisie- besseres Leistungsangebot haben. Durch die Postre- rung der Post zurückgeschreckt. Oder Sie würden form wird Wettbewerb entstehen, und dadurch wird sich wenigstens so vorsichtig verhalten wie die Euro- es wieder neue Arbeitsplätze geben. päische Union, die Briefsendungen bis zu 350 Gramm einschließlich Infopost reservieren will und Qualitäts- Genau dies waren die Argumente, mit denen in standards für den Universaldienst vorgibt. Aber auch diesem Hause 1994 der Gesellschaft die Postprivati- über deren Richtlinien setzen Sie sich arrogant hin- sierung schmackhaft gemacht wurde. Aber der Kai- weg, weil für Sie entgegen Ihrem parlamentarischen ser, den Sie hier vor zweieinhalb Jahren präsentier- und sonstigen Geschwätz nur eines zählt: totale Frei- ten, war nackt. Er ist es noch immer. Inzwischen pfei- heit bei der Gestaltung der Verwertungsbedingun- fen es sogar die Spatzen von den Dächern: Post und gen des Kapitals zur Stärkung des sogenannten Telefon sind nicht billiger, sondern teurer geworden, Standortes Deutschland. und die Preise ziehen weiter an. Das Leistungsange- bot ist nicht umfangreicher geworden, im Gegenteil, Nach seriösen Berechnungen würde die Post durch es wird ständig ausgedünnt. die Einschränkung der Exklusivlizenz auf unter 100 Gramm 6,8 Milliarden DM verlieren. Aber eine Nehmen Sie nur die Zahl der Postfilialen. Ende Milliarde DM Umsatzverlust bedeutet zwangsläufig 1993 waren es noch über 20000, im Februar dieses den Verlust von 10000 sozialversicherungspflichti- Jahres waren es schon weniger als 12000, von denen gen Arbeitsplätzen. aber demnächst nur 5 000 übrigbleiben werden. Die Qualität der Leistungen nimmt ab statt zu; Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Achten Sie bitte denn Qualität anzubieten kostet Geld, und gerade auf die Zeit. das wird eingespart.

Der entstehende Wettbewerb schließlich sieht so Gerhard Jüttemann (PDS): Die PDS fordert daher: aus, daß sich einige konkurrierende Firmen die pro- Bleiben Sie wenigstens bei der EU-Vorgabe einer Ex- fitträchtigen Postrosinen herauspicken und sich an- klusivlizenz für Briefsendungen bis 350 Gramm! Ge- sonsten einen Teufel um die Postversorgung scheren. ben Sie die Infopost nicht für den Wettbewerb frei! Die Arbeitsplätze, die entstehen, sind so gut wie Damit könnten Sie tarifliche Arbeitsplätze bei der samt und sonders prekäre Beschäftigungsverhält- Deutschen Post AG sichern. nisse, nicht sozialversichert und Löhne am Existenz- minimum. Derweil vernichtet die Deutsche Post AG Von einer Perspektive für die Jugend will ich hier Zehntausende von tarifgebundenen Arbeitsplätzen, gar nicht weiter reden. Sie wissen, wie die Situation 75000 seit 1990, und jährlich kommen weitere 15000 aussieht. unter den Hammer. (Beifall bei der PDS) So weit, so katastrophal ist schon die jetzige Lage. Nun kommen Sie mit einem Postgesetz, das den ver- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege, heerenden Gang der Dinge nicht bremsen, sondern letzter Satz! weiter beschleunigen würde. Und wieder kommen Sie mit den alten, verlogenen Argumenten, daß es Ih- nen um eine bessere Postversorgung und um Ar- Gerhard Jüttemann (PDS): Tritt das vorliegende beitsplätze gehe. Zeigen Sie mir den außerhalb Ihrer Gesetz so, wie es ist, in Kraft, sind die Tage der Post Koalition, der das noch glaubt! gezählt und ihre Totengräber jedem bekannt. Man muß sich nur auf den Regierungsbänken umsehen. Ginge es Ihnen tatsächlich um das, was Sie vorge- ben, dann hätten Sie eine Mehrheitsbeteiligung der Danke für Ihre Aufmerksamkeit. Post AG an der Postbank AG ermöglichen müssen, (Beifall bei der PDS) weil Sie ganz genau wissen, daß die beschlossene Minderheitsbeteiligung einen dauerhaften Verbund zwischen den beiden Aktiengesellschaften unmög- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich schließe die lich macht. Aussprache. Ginge es Ihnen um das, was Sie vorgeben, dann Interfraktionell wird die Überweisung der Vorla- hätten Sie im Postgesetz Leistungskriterien und gen auf den Drucksachen 13/7774, 13/4582, 13/6556 Qualitätsstandards festgelegt, die nicht unterboten und 13/7094 an die in der Tagesordnung aufgeführ- werden dürfen. Vor allem hätten Sie soziale Stan- ten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- dards im Postbereich festgeschrieben, um die unsäg- verstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Über- liche Auswechslung tariflich abgesicherter Postbe- weisungen so beschlossen. 16088 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be- bb) Bericht des Haushaltsausschusses schlußempfehlung des Ausschusses für Post- und (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Ge- Telekommunikation zum Antrag der Fraktion der schäftsordnung SPD zur Unterbindung des Remailing und Siche- -Drucksache 13/7628- rung der Arbeitsplätze in Deutschland, Drucksache 13/6550. B erichterstattung: Abgeordnete Hans Georg Wagner Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksa- Wilfried Seibel che 13/4448 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- b) Beratung der Beschlußempfehlung und des schlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuß) - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von SPD - zu dem Antrag der Abgeordneten und PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Dr. Barbara Holl und der weiteren Abgeord- Grünen angenommen. neten der PDS Recht auf ein Girokonto Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: - zu dem Antrag der Abgeordneten Lilo a) - Zweite und dritte Beratung des von der Blunck, Hans Martin Bury, Brigitte Adler, Bundesregierung eingebrachten Entwurfs weiterer Abgeordneter und der Fraktion der eines Gesetzes zur Umsetzung von EG- SPD Richtlinien zur Harmonisierung bank- und wertpapieraufsichtsrechtlicher Vorschrif- Privatgirokonto ten -Drucksachen 13/137, 13/1306, 13/7627- - Drucksache 13/7142 - Berichterstattung: Abgeordnete Gisela Frick (Erste Beratung 163. Sitzung) Dr. Uwe-Jens Rössel Jörg-Otto Spiller - Zweite und dritte Beratung des von der Wolfgang Steiger Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Begleitgesetzes zum Gesetz zur Um- Dazu hegt ein Entschließungsantrag der Gruppe setzung von EG-Richtlinien zur Harmoni- der PDS vor. sierung bank- und wertpapieraufsichts- rechtlicher Vorschriften Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - -Drucksache 13/7143- Keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. (Erste Beratung 163. Sitzung) Ich weise vorsorglich darauf hin, daß wir am Ende dieser Debatte eine längere Abstimmung haben. - Zweite und dritte Beratung des von den Ab- geordneten Margareta Wolf-Mayer, Andrea Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Kollege Fischer (Berlin) und der Fraktion BÜNDNIS Wolfgang Steiger, CDU/CSU. 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung eines Rechtes Wolfgang Steiger (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr auf ein Girokonto Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! -Drucksache 13/351 - In nur drei Sitzungen des Finanzausschusses wurde eine knapp 200 Seiten starke Novelle des Kreditwe- (Erste Beratung 35. Sitzung) sengesetzes und anderer Gesetze von der ersten An- hörung bis zur Beschlußvorlage bearbeitet. Die inten- - Zweite und dritte Beratung des von den Ab- sive und erfolgreiche Behandlung dieser auch für den geordneten Hans Martin Bury, Joachim Poß, Deutschen Bundestag doch schwierigen Materie war Anke Fuchs (Köln), weiteren Abgeordneten nur möglich durch die gute Vorarbeit des Bundesmi- und der Fraktion der SPD eingebrachten nisteriums der Finanzen und eine konstruktive, rein an Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der den sachlichen Aspekten ausgerichtete Diskussion - Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsver- ein Politikstil, den ich mir angesichts der vielen Refor- kehr men auch für andere Politikfelder wünschen würde. -Drucksache 13/856- Mittlerweile diskutieren wir heute über die (Erste Beratung 35. Sitzung) 6. KWG-Novelle. Vor nicht einmal drei Jahren be- schloß dieses Haus die fünfte Novelle, die zum 1. Ja- aa) Beschlußempfehlung und Bericht des nuar 1996 in Kraft trat. Dieser Blick auf die Zeitläufte Finanzausschusses (7. Ausschuß) macht deutlich, mit welcher Geschwindigkeit sich - Drucksache 13/7627 - Entwicklungen an den Finanzmärkten vollziehen und was der Gesetzgeber sich teilweise nicht nur sel- Berichterstattung: ber, sondern auch den Marktteilnehmern, die die Ge- Abgeordnete Gisela Frick setze umzusetzen haben, zumuten muß. Dr. Uwe-Jens Rössel Jörg-Otto Spiller Vor diesem Hintergrund ist es notwendig - dies Wolfgang Steiger wurde auch bei der aktuellen Novelle im Finanzaus- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16089 Wollgang Steiger schuß herausgearbeitet -, daß wir verstärkt darauf Die Bereiche, die nach wie vor der Gewerbeord- achten müssen, daß Gesetze noch lesbar und damit nung unterworfen sind, sind dabei besonders im verstehbar sind. Auge zu behalten. Hierzu haben wir eine gründliche Prüfung vorgeschlagen. Insbesondere ist aus unserer (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr richtig!) Sicht dabei herauszuarbeiten, ob weitere gesetzliche Regelungen notwendig sind. Dies ist eine Aufgabe, die angesichts des schwierigen Sachverhaltes leider nur sehr selten als einfach und Darüber hinaus werden mit der Umsetzung der Ka- gelungen zu bezeichnen ist. pitaladäquanz - und BCCI-Folgerichtlinie wichtige Vorschriften zur Beaufsichtigung von Risiken bei Ge- (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Leider auch schäften mit Finanzinstrumenten, Regelungen zur richtig!) Berechnung der Eigenmittel und zum Informations- austausch zwischen den Aufsichtsbehörden erlassen. Fakt ist, daß sich mit der Umsetzung der Wertpa- Sie tragen letztlich auch dazu bei, daß das Ansehen pierdienstleistungs- sowie der Kapitaladäquanz- und des Finanzplatzes Deutschland und seine Vertrau- BCCI-Folgerichtlinie das Tempo der Änderungen im ensbasis gestärkt werden. deutschen Bankenaufsichtsrecht und damit auch die Regelungsdichte erhöht haben. Oftmals stehen den Nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der inter- nationalen Bemühungen zur Deregulierung neue nationalen Aufsichtsentwicklungen' und der zuneh- europäische Anforderungen entgegen. menden Bedeutung von Finanzkonglomeraten soll- ten wir uns künftig auch mit der Frage befassen, in- Bankenaufsicht ist nicht nur zum eigenen Schutz wieweit die bisherigen Aufsichtsstrukturen kommen- von Banken und Finanzdienstleistern da. Eine funk- den Anforderungen noch entsprechen. So eröffnet tionierende Bankenaufsicht ist auch ein Stück Ver- beispielsweise die internationale Vereinigung der braucherschutz. Letztlich kann ein Sparkassen- und Versicherungsaufsichtsbehörden ein permanentes Bankkunde in Deutschland bei einer funktionieren- Sekretariat unter dem Dach der Bank für Internatio- den Aufsicht darauf vertrauen, daß in einem Banken- nalen Zahlungsausgleich in Basel, die sich wiederum krisenfall beim Bundesaufsichtsamt für das Kredit- unter anderem mit der internationalen Koordination wesen in Berlin rechtzeitig die Alarmglocken läuten der Bankenaufsicht beschäftigt. Als Ziel wird eine bzw. die Aufsichtsregeln schon präventiv wirken. verstärkte Zusammenarbeit der beiden Organisatio- nen genannt - eine aus meiner Sicht interessante Eine strenge und moderne Aufsicht ist richtig und Entwicklung, die auch von Deutschland aus weiter nötig. Eine effiziente Bankenaufsicht ist auch ein po- beobachtet werden sollte. sitiver Standortfaktor für die deutsche Kreditwirt- schaft im internationalen Wettbewerb und leistet ei- Neben den bereits genannten Punkten haben wir nen wichtigen Beitrag zum Ansehen des Finanzplat- noch eine Reihe wichtiger Änderungen in der zes Deutschland, aber nur so lange, wie sie den 6. KWG-Novelle durchsetzen können, die für die Marktteilnehmern Raum zum Atmen läßt. Denn ge- Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands auf den interna- nauso wie sich die Aufsicht positiv auf den Wettbe- tionalen Finanzmärkten von großer Bedeutung sind. werb auswirken kann, besteht bei zu gut gemeinten Regelungen die Gefahr des ungerechtfertigten Mit der Änderung in § 18 KWG sind wir insbeson- Markthemmnisses - ein Aspekt, den es bei dem zu- dere dem Mittelstand und den Banken, die sich die- nehmend internationaler werdenden Wettbewerb, ser Klientel widmen, einen großen Schritt entgegen- der mit der Einführung des Euro eher noch zu- als gekommen. Durch die Anhebung der Grenze für die abnehmen wird, zu beachten gilt, wenn wir auch Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse eines weiterhin über eine weltweit präsente, leistungsfä- Kreditnehmers von bislang 250 000 DM auf nunmehr hige Bankenlandschaft hierzulande verfügen wollen. 500000 DM versprechen wir uns eine wichtige, glei- Angesichts der divergierenden Interessen der Betrof- chermaßen unbürokratische und wirkungsvolle Hilfe fenen ist das sicherlich eine Gratwanderung, der wir im täglichen Geschäft und eine Beschleunigung der uns aber auch in Zukunft stellen müssen und die wir Kreditausreichung an den gerade in Deutschland so mit Blick auf die aktuelle Novelle auch in diesem wichtigen Mittelstand. Jahr wieder erfolgreich abschließen werden. Meine Damen und Herren, gestern fand eine öf- Im Sinne eines verbesserten Verbraucherschutzes fentliche Anhörung des Wirtschaftsausschusses zum werden mit dem vorhegenden Gesetzentwurf nun- Thema „Verbesserte Bereitstellung von Risikokapi- mehr durch Ausweitung des Katalogs der Bankge- tal" statt. schäfte im KWG auch Finanzgeschäfte der Aufsicht (Hans Martin Bury [SPD]: Die Anhörung unterstellt, die bislang am sogenannten grauen Kapi- fand zu unserem Antrag statt!) talmarkt unkontrolliert getätigt werden konnten. Trotz des anscheinend risikoaversen deutschen Anle- Heute machen wir mit der Umsetzung der Kapital- gers hat sich hierzulande abseits der normalen Bank- adäquanz- und Wertpapierdienstleistungsrichtlinie und Börsengeschäfte ein Markt für Waren- und Devi- einen weiteren wichtigen Schritt in diese Richtung. sentermingeschäfte sowie für die Vermittlung von Beide Richtlinien werden sich positiv auf eine Inten- Einlagengeschäften mit Unternehmen außerhalb des sivierung des Wettbewerbs auf dem deutschen Emis- europäischen Wirtschaftsraums von erheblichem sionsmarkt auswirken. Damit verknüpfen wir die Er- Umfang entwickelt. Ihn gilt es mit dem Entwurf einer wartung, daß es zu einem verstärkten Wettbewerb staatlichen Aufsicht zu unterstellen. und zu einer Belebung in dem Nischenmarkt für 16090 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Wolfgang Steiger junge und für kleine und mittlere Unternehmen kom- Jörg-Otto Spiller (SPD): Herr Präsident! Meine Da- men wird. men und Herren! Herr Kollege Steiger, es ist Ihnen doch noch gelungen, ein bißchen Farbe hineinzu- Weitere Initiativen der Koalition zur Belebung der bringen, allerdings mit einer nicht zutreffenden Be- Finanzmärkte werden mit dem 3. Finanzmarktförde- hauptung, was die Finanzpolitik der Sozialdemokra- rungsgesetz in den nächsten Monaten folgen. Im tie angeht. übrigen ist bei der Anhörung gestern der Entwurf des 3. Finanzmarktförderungsgesetzes, Herr Staats- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sekretär, deutlich gelobt worden. Es ist herausgestellt DIE GRÜNEN) worden, wie wichtig er für einen funktionierenden Jede Gesetzgebung zur staatlichen Aufsicht über Finanzmarkt ist. das Bankwesen, über Finanzdienstleistungen und über den Wertpapierhandel hat ein Spannungsver- Auch dabei werden wir mit diesem Gesetz die not- hältnis zu beachten. Einerseits darf die Funktionsfä- wendigen Rahmenbedingungen für einen modernen, higkeit der Finanzmärkte nicht durch ein Übermaß zukunftsorientierten Kapitalmarkt setzen, der vor al- an staatlichen Regelungen beeinträchtigt werden; lem auch den kleinen und mittleren Unternehmen andererseits hat der Staat nicht nur ein legitimes In- zugute kommen soll. teresse, sondern auch eine Verpflichtung, für ein hin- reichendes Maß an Sicherheit, Verläßlichkeit und Über eines müssen wir uns natürlich bei allen Transparenz zu sorgen. Schritten, die wir unternehmen, klar sein: letztlich liegt es an den Betroffenen selber, ob sie die Möglich- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) keiten, die sie vom Gesetzgeber geboten bekommen, nutzen oder nicht. Das Wort „Kredit" heißt „Vertrauenswürdigkeit". Ein gänzlich sich selbst überlassener Finanzmarkt Deshalb denke ich, daß es wichtig ist, daß wir in bietet dafür erfahrungsgemäß leider keine ausrei- diesem Zusammenhang auch über die steuerpoliti- chende Gewähr. Ein Mindestmaß an staatlich gesetz- schen Rahmenbedingungen diskutieren; denn ge- ten Regeln für die am Markt tätigen Institute ist des- rade hinsichtlich des Eigenkapitalmarktes ist es von halb unverzichtbar. Seine vertrauensbildende, seine besonderer Bedeutung, daß die steuerpolitischen Vertrauen auch rechtfertigende Wirkung kann ein Rahmenbedingungen funktionieren. Hier hat gerade solches Regelwerk nur erzielen, wenn es Verände- die Opposition noch einen erheblichen Nachholbe- rungen des Marktgeschehens Rechnung trägt. darf, denn das Spiel, auf der einen Seite dogmatische Zwei Stichworte sollen dazu genügen: die fo rt Finanzpolitiker, die den klassenkämpferischen Ideen -schreitende Internationalisierung der Finanzmärkte von gestern nachhängen, und auf der anderen Seite und die Vielfalt neuer Finanzinstrumente. ein paar moderne Finanzmarktpolitiker, die den Fi- nanzmarkt modernisieren wollen, zu präsentieren, Eine Anpassung des deutschen Aufsichtsrechts ist wird auf Dauer nicht funktionieren. deshalb nicht allein wegen der notwendigen Umset- zung von EG-Richtlinien erforderlich, sondern auch (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) von der Sache her gesehen. Ob jede Einzelbestim- mung des leider sehr komplizierten, kaum noch les- Ebensowenig funktionieren wird die Umsetzung bar geratenen Gesetzentwurfs eine ideale Antwort der Oppositionsidee zum Girokonto für jedermann. auf dieses Spannungsverhältnis ist, lasse ich einmal Wenngleich dieses Thema immer eine Schlagzeile beiseite. Ich will mir trotzdem die Randbemerkung wert ist, so müssen wir doch zur Kenntnis nehmen, erlauben, daß bei Bankern die Abkürzung „KWG" daß sich die vom Bundesfinanzminister ausgehan- nicht ausschließlich mit „Kreditwesengesetz", son- delte Empfehlung des Zentralen Kreditausschusses dern auch als „Keiner weiß Genaues" übersetzt wird. vom Juni 1995 grundsätzlich bewährt hat. Nur noch vereinzelt scheint es zu Kontoverweigerungen und (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) Kontokündigungen zu kommen. Dies zeigen nicht Es wäre natürlich schöner, wenn wir ein lesbareres zuletzt auch die Zahlen der Bundesarbeitsgemein- Gesetz hätten. schaft Schuldnerberatung. Eine neue Regelung möchte ich aber mit nach- Trotz dieser alles in allem erfreulichen Entwick- drücklicher Unterstützung hervorheben: den neuen lung ist es aber richtig, daß der Deutsche Bundestag § 25 a des Kreditwesengesetzes. Er basiert auf dem die weitere Entwicklung im Auge behält und sich bis richtigen Grundsatz, daß die Pflicht zur Sicherheits- Ende 1999 über den aktuellen Sachstand erneut in- verantwortung, zur Risikobegrenzung nicht bei den formiert. Hiermit konnte eine Entschließung gefaßt staatlichen Aufsichtsbehörden anfängt, sondern in- werden, die nicht nur eine Mehrheit im Finanzaus- nerhalb der Institute. schuß fand, sondern die - wie die gesamte 6. KWG- (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr richtig!) Novelle - auch ohne Überregulierung der Sache die- nen wird. Jedes Kreditinstitut oder Finanzdienstleistungsin- stitut - so bestimmt § 25 a Kreditwesengesetz - muß (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) über geeignete Regelungen zur Steuerung, Überwa- chung und Kontrolle der Risiken sowie über ange- messene Regelungen verfügen, an Hand derer sich Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der die finanzielle Lage des Instituts jederzeit mit hinrei- Kollege Jörg-Otto Spi ller, SPD. chender Genauigkeit bestimmen läßt. Ebenso muß es Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16091 Jörg-Otto Spiller über eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation, zumutbar ist". Es gibt eine Reihe von Beispielen da- über ein angemessenes internes Kontrollverfahren für, wann das für das Institut unzumutbar ist. Das ist sowie über angemessene Sicherheitsvorkehrungen es beispielsweise dann, wenn für den Einsatz der elektronischen Datenverarbei- tung verfügen. die bezweckte Nutzung des Kontos zur Teil- nahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr nicht Diese eigenverantwortliche Steuerung und Kon- gegeben ist, weil das Konto durch Handlungen trolle muß zudem bei der Auslagerung bestimmter vollstreckender Gläubiger blockiert ist oder ein Bereiche auf andere Unternehmen gewährleistet Jahr lang umsatzlos geführt wurde. sein. Materiell ist diese Vorschrift zwar schon im Rah- men von Durchführungsverordnungen und Verwal- Das heißt, gerade die Gruppe von Fällen, auf die tungsvorschriften in Kraft, aber daß dieser Grundsatz Schuldnerberaterorganisationen und Verbraucher- in das Gesetz aufgenommen worden ist, verleiht ihm schutzorganisationen immer wieder als besondere den Rang, der ihm tatsächlich gebührt. Problemfälle hinweisen, sind ausdrücklich aus dem an sich guten Grundsatz „generelles Recht auf ein (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr richtig!) Girokonto" ausgenommen. Hier sehen wir nach wie Es ist außerdem gelungen, mit dieser Novellierung vor Handlungsbedarf des Gesetzgebers. ein relativ breites Spektrum von neuen Finanzge- (Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei schäften, das heißt insbesondere Finanzdienstlei- Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE stungen, in den Aufsichtskreis einzubeziehen. Ich GRÜNEN) will aber nicht verschweigen, daß nach unserer Auf- fassung nach wie vor ein weiterer Handlungsbedarf Lassen Sie mich noch zwei Einzelregelungen er- besteht: Der sogenannte graue Kapitalmarkt macht wähnen, die ich als erfreulich empfinde. Herr Kollege weiterhin Kümmernisse. Steiger hat schon auf den § 18 des Kreditwesengeset- (Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Jeden Tag zes hingewiesen. Wir haben ja bisher die Situation, neu!) daß es im Nachhinein nach geltendem Recht nicht nur als grob fahrlässig, sondern als absolut unzuläs- - Sie haben recht, es gibt fast jede Woche neue Mel- sig zu bezeichnen ist, daß der Schlossermeister Au- dungen, die Besorgnis erwecken. gust Borsig für den Bau seiner ersten Lokomotive ei- nen Kredit bekommen hat, denn er hatte keine Si- Wir haben die etwas untypische Situation, daß es cherheiten. bei dem Kompetenzstreit zwischen den verschiede- nen Ebenen, in diesem Fall Bund und Länder, einmal Nach § 18 des Kreditwesengesetzes ist bisher Vor- nicht darum geht, „wer darf was tun, wer darf die Zu- schrift, daß sich die Bank bei der Gewährung einer ständigkeit an sich reißen", sondern es gibt ein Kreditsumme von insgesamt 250 000 DM an einen Schwarzer-Peter-Spiel, denn niemand wi ll die Zu- einzelnen Kreditnehmer genau über die wirtschaftli- ständigkeit haben. Hier besteht noch ein Handlungs- chen Verhältnisse des Kreditnehmers, insbesondere bedarf. Das ist auch in der Entschließung, die Ihnen an Hand der Jahresabschlüsse, zu vergewissern vorliegt, aufgegriffen worden. hatte. Das heißt aber mit anderen Worten: Für ein junges Unternehmen, das Jahresabschlüsse über- Herr Kollege Steiger, ein Punkt noch, wo wir nicht haupt noch nicht vorlegen kann, ist diese Regelung übereinstimmen, „Recht auf ein Girokonto". Das ist ein ausgesprochenes Hindernis. In diesem Punkt gab im vorliegenden Gesetzentwurf leider nicht hinrei- es in dem Ausschuß erfreulicherweise einen Kon- chend behandelt worden, deswegen bestehen wir sens. Die Summe ist auf 500 000 DM erhöht worden. darauf, daß unsere eigenen Anträge ebenfalls Ge- genstand der Abstimmung sind. Das heißt ja nicht, daß die Banken jetzt blind das Geld herausgeben sollen. Sie sollen jetzt in eigener (Beifall bei der SPD und der PDS) Verantwortung entscheiden, welche Risiken zu tra- gen sie bereit sind. Das Recht auf Teilnahme am bargeldlosen Zah- lungsverkehr - ich will nicht sagen, daß das ein (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr richtig!) Grundrecht ist - hat heute so wesentliche Auswir- kungen auf Alltagssituationen, daß ich nicht nach- Ein zweiter Punkt, der auch von allgemeinerem In- vollziehen kann, daß Sie das mit ziemlich leichter teresse ist, betrifft die Einlagensicherung. Wir hatten Hand beiseite schieben. bisher die Situation, daß bei Banken nur Einlagen auf Konten durch den Einlagensicherungsfonds (Beifall bei der SPD - Carl-Ludwig Thiele wirklich gesichert waren. Darüber besteht hinrei- [F.D.P.]: Das haben wir nicht gemacht!) chende Klarheit. Es gab vor nicht allzu langer Zeit Es trifft zu, daß es sich dadurch ein bißchen gebes- die Situation, daß nach dem Zusammenbruch einer sert hat, daß der Zentrale Kreditausschuß, also die Bank Kunden, die dort Bankschuldverschreibungen Selbstorganisation der Banken und Sparkassen, eine erworben hatten, leider feststellen mußten, daß sie freiwillige Regelung in Form einer Empfehlung vor- über den Einlagensicherungsfonds nicht abgesichert gelegt hat. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen, das waren. Es ist jetzt durch § 23 a des Kreditwesengeset- eine Ausnahme in dieser Empfehlung ist. zes eindeutig festgelegt worden, daß die Bank die Kunden deutlich darauf hinzuweisen hat, wenn bei- „Das Kreditinstitut", so heißt es in der Empfehlung spielsweise Bankschuldverschreibungen, also andere vom 20. Juni 1995, „ist nicht verpflichtet, ein Giro- „rückzahlbare Gelder", wie es in § 23 a heißt, aus konto für den Antragsteller zu führen, wenn dies un- dieser Absicherung herausgenommen worden sind. 16092 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Jörg-Otto Spiller Ich will mir noch eine abschließende Bemerkung Girokonto, so wie wir es fordern, nicht für notwendig. über die Funktionsfähigkeit der Aufsichtsämter er- Sie ist der Meinung, daß sich die Situation durch die lauben. Über die Wirksamkeit der staatlichen Auf- Empfehlung des Zentralen Kreditausschusses fühl- sichtsämter entscheiden nicht ausschließlich A rt und bar entschärft habe. Man braucht sich aber nur die Umfang ihrer Befugnisse. In der Praxis nicht minder konkreten Zahlen anzusehen, um zu erkennen, daß wichtig ist die Ausstattung mit qualifizierten Mitar- unser Antrag, das Recht auf ein Girokonto gesetzlich beitern. Wie in den Ausschußberatungen deutlich festzuschreiben, weiterhin notwendig ist, zumindest wurde, haben sowohl das Bundesaufsichtsamt für dann, wenn man es mit dem Anliegen ernst meint, das Kreditwesen wie das Bundesaufsichtsamt für den daß auch sozial Schwache - davon gibt es durch die Wertpapierhandel Stellenbesetzungsprobleme. Übri- Politik dieser Bundesregierung, die oben gibt und gens wird durch die Novellierung des Gesetzes die unten nimmt, immer mehr - über ein Girokonto ver- Anzahl der Stellen erweitert. Schon jetzt ist es aber fügen können. für beide Aufsichtsämter schwierig, alle Stellen zu Die Studie der Schuldnerberatung belegt mit har- besetzen. Das hat einen einfachen Grund: Die Leh- ten Zahlen - Herr Kollege Steiger, ich denke, das ist rergehälter, bestenfalls Gymnasiallehrergehälter, die genau das Gegenteil von dem, was Sie ausgeführt die Aufsichtsämter bieten können, sind für erfahrene haben -, daß die Bereitschaft der deutschen Banken, Kenner des Bank- und Börsenwesens wenig attrak- Girokonten auf Guthabenbasis für sozial Schwache tiv. einzurichten, vor allem auf dem Papier existiert und (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: weit davon entfernt ist, ein dringend notwendiges Machen die nichts nebenher?) Maß an sozialer Mindestversorgung zu sichern. Hier liegt geradezu ein Musterbeispiel für die Anstatt den Arbeitslosen, den sozial Schwachen Fragwürdigkeit des starren öffentlichen Dienst- und ein Recht auf ein Girokonto zu sichern, wollen Sie Besoldungsrechts vor. Beide Aufsichtsämter sollten den Arbeitslosen ohne Konto künftig auch noch die mehr Spielraum für die Gestaltung von Gehältern er- daraus resultierenden Kosten aufdrücken und somit halten. Den öffentlichen Haushalt müßte dies über- bei der Bundesanstalt für Arbeit 80 Mil lionen DM haupt nicht belasten, denn beide Ämter finanzieren sparen. sich aus Gebühren und Umlagen, die von den ihrer Mit dem Recht auf ein Girokonto könnten die Ko- Aufsicht unterstehenden Instituten aufgebracht wer- sten der öffentlichen Hand erheblich reduziert wer- den. Auch einen größeren Spielraum beider Ämter den. Bund, Länder und Kommunen müssen für Zah- bei der Bemessung jener Umlagen und Gebühren lungsanweisungen rund 140 Mil lionen DM jährlich wäre denkbar, etwa nach dem Grundsatz: je weniger ausgeben, und die Betroffenen sind durch die Konto- Kontrollaufwand der Ämter dank guter institutsinter- losigkeit mit zirka 5 Prozent ihres Haushaltseinkom- ner Kontrolle, desto geringer die Kosten für die Insti- mens belastet. tute. Meine Damen und Herren, ein Recht auf ein Giro- Schließlich sollte Verwaltungsreform auch für den konto darf nicht länger ein Gnadenakt der Banken Bund kein Fremdwort sein. sein. Im auslaufenden 20. Jahrhundert ist die Teil- Ich danke Ihnen. nahme am öffentlichen Leben vom bargeldlosen Zah- lungsverkehr abhängig. Personengruppen davon (Beifall bei der SPD) auszunehmen ist diskriminierend. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die bei der SPD und der PDS) Kollegin Ursula Schönberger, Bündnis 90/Die Grü- nen. Ich komme zum zweiten Teil des Tagesordnungs- punktes. Wenn man der Meinung ist, daß der Finanz- binnenmarkt erstrebenswert ist, ist es völlig unver- Ursula Schönberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ständlich, warum die Bundesregierung ausgerechnet Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen diese für den Finanzplatz Deutschland existentielle und Kollegen! Gestatten Sie mir zu dieser Beratung Richtlinie, die eine Schlüsselrolle für die Schaffung eine Vorbemerkung. Es ist schon merkwürdig, daß des Finanzbinnenmarktes spielt, so stiefmütterlich das Recht auf ein Girokonto mit der Umsetzung der hat schmoren lassen. Die Einführung eines europäi- EG-Richtlinie zur Harmonisierung bank- und wert- schen Passes für Wertpapierdienstleistungsunterneh- papieraufsichtsrechtlicher Vorschriften in einen Ta- men und die Schaffung von einheitlichen Regelun- gesordnungspunkt gefaßt wurde, so nach dem Motto: gen zu ihrer Risikoabsicherung und Beaufsichtigung Bei beidem handelt es sich um Geld. gewährleisten verbesserte Finanzierungsbedingun- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: gen für die Unternehmerinnen und Unternehmer Sie müssen sich bei Ihrem Geschäftsführer und gleichsam einen angemessenen Schutz für die beschweren!) Verbraucherinnen und Verbraucher. Erleichterte Zu- lassungsvoraussetzungen. für Wertpapierhandelshäu- Tatsächlich hat das überhaupt nichts miteinander zu ser sind ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer tun. verbesserten Risikokapitalversorgung in der Bundes- republik. Lassen Sie mich mit unserem Antrag, Recht auf ein Girokonto für jedermann, beginnen. Die Bundesre- Dennoch gibt es gravierende Mängel an der Um- gierung hält ein gesetzlich verbrieftes Recht auf ein setzung der Richtlinie. So wurde die Chance ver- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16093 Ursula Schönberger säumt, alle Finanzdienstleistungsunternehmen einer Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der einheitlichen Aufsicht durch das Bundesaufsichtsamt Kollege Carl-Ludwig Thiele, F.D.P. für den Wertpapierhandel zu unterstellen. Kollege Spiller ist darauf bereits eingegangen. Carl-Ludwig-Thiele (F.D.P.): Sehr geehrter Herr Weite Teile der Anbieter des sogenannten grauen Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kol- Kapitalmarktes unterstehen nach wie vor lediglich legen! Sehr geehrte Frau Schönberger, ich freue den Gewerbeaufsichtsbehörden, die mit der Prüfung mich, Sie hier heute im Plenum kennenle rnen zu dür- dieser Geschäfte sowohl fachlich als auch kapazitäts- fen. Wir haben mehrfach im Finanzausschuß - zwei- mäßig völlig überfordert sind. Es ist doch bekannt, mal ganztägig - zu dem Thema beraten und hatten daß die entsprechenden Regelungen in der Gewer- dazu eine ganztägige Anhörung. Einen Beitrag der beordnung nicht ausreichend sind, um eine effektive Grünen in diesem Zusammenhang habe ich leider Überwachung zu ermöglichen. Es ist auch bekannt, nicht feststellen können. Das ist jetzt nicht auf Ihre daß der graue Kapitalmarkt der Hauptbereich des Person gemünzt; da gab es Umstände. Aber es hätte Anlagebetrugs in Deutschland ist. Jährlich entstehen ja dann die Möglichkeit bestanden, daß andere Per- durch dubiose Geschäfte volkswirtschaftliche Schä- sonen seitens der Grünen die von Ihnen vorgetrage- den in mehrfacher Milliardenhöhe. Es ist nicht ver- nen Anregungen durchaus hätten einbringen kön- ständlich, warum dies nicht bei der Umsetzung die- nen. ser Richtlinie mit aufgenommen worden ist. (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Der Kollege Fischer!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS) Das habe ich vermißt. Die Vereinheitlichung im europäischen Binnen- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) markt sollte eigentlich der Vereinfachung dienen. Parlamentsarbeit lebt davon, daß man sich einbrin- Dazu muß ich sagen: Die 6. KWG-Novelle hat dieses gen kann. Wenn man sich nicht einbringt, dann muß Ziel vollständig verfehlt. Wenn schon die Sachver- man mit der Kritik etwas vorsichtig sein. ständigen auf einer Anhörung sagen, daß man be- reits das jetzige KWG kaum verstehen könne, die Das vorliegende Gesetz stellt nicht nur einen wich- 6. Novelle nun selbst für Fachleute endgültig nicht tigen Schritt zur Harmonisierung der Finanzdienst- mehr zu verstehen ist, ist das ein Armutszeugnis für leistungen in Europa dar. Ich halte es auch aus einem diejenigen, die das Gesetz zu verantworten haben. anderen Grunde für sehr erfreulich: Es gibt endlich wieder einmal ein Projekt aus dem Finanzbereich, in Teilweise beinhaltet das KWG Paragraphen mit dem zügige und konstruktive Beratungen mit der 80 Absätzen und Unterabsätzen. Gerade im Hinblick Opposition möglich waren. Ich wünschte mir, daß auf den Finanzbinnenmarkt und die doch gewollte das häufiger der Fall wäre. Gerade bei der so drin- verstärkte Tätigkeit ausländischer Banken und Fi- gend notwendigen Steuerreform hätten wir dann nanzdienstleister in der Bundesrepublik wächst die schon mehr Klarheit. Ich hoffe deshalb, daß die Bera- Notwendigkeit, ein transparentes und verständliches tungen zur Steuerreform in ähnlich konstruktiver Gesetz zu haben. Und was haben wir tatsächlich? Weise im Finanzausschuß geführt werden wie bei Wenn die ausländischen Banken konstatieren, daß diesem Gesetz. Die bisherigen Erfahrungen lassen dieses Gesetz auf Grund seiner sprachlichen Kon- da Positives erhoffen. struktion noch nicht einmal ins Englische übersetz- bar ist, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Bundespräsident Herzog hat den politischen Ver- (Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Hört! Hört!) antwortungsträgern in Bund und Ländern zu Recht dann muß man die Vermutung äußern dürfen, daß es gesagt, daß notwendige Reformen beschlossen und sich nicht um eine Strategie zur Stärkung, sondern nicht zerredet werden dürfen. eher zur Schwächung des Finanzplatzes Deutschland (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: handelt. Sehr gut!) Lassen Sie mich zuletzt noch einen Punkt anspre- Die Anhörung im Finanzausschuß hat gezeigt: Wir chen. Dieser betrifft die finanzielle Belastung, die zu- brauchen die Steuerreform. Wir brauchen sie so sätzlichen Kosten, die diese Novelle mit sich bringt. schnell wie möglich. Wir brauchen sie jetzt. Es ist von 500 Millionen DM Mehrkosten jährlich die Die Bürger und die Wirtschaft müssen so schnell Rede, die insbesondere das mittelständische Kredit- wie möglich wissen, mit welchem Inhalt die notwen- gewerbe treffen werden. dige und von den Sachverständigen geforderte Um- Meine Damen und Herren, diese Novelle ist ent- setzung der Steuerreform erfolgt. Deshalb appelliere täuschend unzureichend. Sie verpaßt die Chancen ich auch an dieser Stelle an die SPD, keine Sontho- des positiven Signals, ja, sie setzt die falschen Si- fen-Strategie der verbrannten Erde zu betreiben, gnale und bestätigt die im Ausland schon sprichwört- sondern in Bund und Ländern der staatsbürgerlichen lich gewordene Behäbigkeit des deutschen Finanz- Verantwortung gerecht zu werden. marktes. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Meine sehr geehrten Damen und Herren, das vor- und bei der PDS) liegende Gesetzespaket setzt verschiedene europäi- 16094 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Carl-Ludwig Thiele sche Richtlinien um. Die Wertpapierdienstleistungs- mehr Zeit, sich auf die notwendigen Änderungen richtlinie enthält umfangreiche Regelungen für die einzustellen. Zulassung und Beaufsichtigung der gewerbsmäßi- gen Wertpapierdienstleister. Hervorzuheben ist der Eine Reihe von Fragen konnte noch nicht abschlie- sogenannte europäische Paß. Es ist eine bedeutende ßend beraten werden. Der vorliegende Entschlie- Erleichterung für die Unternehmen, daß künftig die ßungsantrag enthält daher einige Prüfaufträge an die Zulassung in einem europäischen Staat zu Aktivitä- Bundesregierung. So soll geklärt werden, wie die ten innerhalb der gesamten EU berechtigt. Wichtig Deutsche Ausgleichsbank der Kreditanstalt für Wie- ist auch, daß die am grauen Kapitalmarkt tätigen Un- deraufbau bei den Refinanzierungsmöglichkeiten ternehmen künftig von der Aufsicht erfaßt werden. gleichgestellt werden kann. Diese Gleichstellung ist notwendig, um die den Mittelstand fördernde Aus- Mit der Umsetzung der Kapitaladäquanzrichtlinie gleichsbank abzusichern. Dieses ist die gemeinsame werden wichtige Aufsichtsregeln für die Geschäfte Auffassung des Finanzausschusses. Ich gehe davon mit Finanzinstrumenten harmonisiert. Auch am Fi- aus, daß die Bundesregierung den gemeinsam poli- nanzplatz Deutschland erhalten so international tä- tisch getragenen Willen zu einer solchen Regelung tige Unternehmen ein Stück mehr Berechenbarkeit auch umsetzt. Im Finanzausschuß des Deutschen und Transparenz. Bundestages bestand dahingehend Übereinstim- Das vorliegende Gesetzespaket enthält viele wei- mung, diesem Prüfauftrag eine klare politische Ent- tere Regelungen, mit denen unter anderem das Ver- scheidung zugrunde zu legen und in diesem Sinne trauen der Anleger in den Kapitalmarkt, die Funkti- tätig zu werden. Von einigen Regelungen im Bereich onsfähigkeit des Zahlungsverkehrs sowie die Geld- der Aufsicht wurde abgesehen, da dem Ausschuß die wäschebekämpfung verbessert werden. notwendigen Informationen noch nicht vorlagen. Das gilt im Bereich des grauen Kapitalmarktes sowie für Meine Damen und Herren, der Finanzausschuß die Verfolgung von Kursmanipulationen. hat auch diesmal viele Anregungen der Sachverstän- digen und der öffentlichen Anhörung aufgenommen. Die F.D.P. wird sich im übrigen dafür einsetzen, Der vom Finanzausschuß abgeänderte Gesetzent- daß der sogenannte aktivische Unterschiedsbetrag so wurf weist erhebliche Verfahrenserleichterungen für gehandhabt wird, wie es der Gesetzgeber bei den die betroffene Kreditwirtschaft im Sinne von weniger Beratungen der Fünften KGW-Novelle entschieden Formularen und Verwaltung auf. hat. Die neuere Auffassung des Bundesaufsichtsam- Eine wesentliche Erleichterung für die Kreditinsti- tes für das Kreditwesen zur Behandlung des aktivi- tute stellt zum Beispiel die Verdoppelung der Grenze schen Unterschiedsbetrages ist nach Auffassung der für die Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse F.D.P. nicht durch den Text der Fünften KGW-No- bei der Vergabe von Krediten dar. Sie beträgt statt velle abgedeckt. Dieses ergibt sich auch aus dem Be- bisher 250 000 DM künftig 500 000 DM und verrin- richt zur Fünften KGW-Novelle. Es ist deshalb für gert den Verwaltungsaufwand in den Kreditinstitu- mich absolut unverständlich, wie vor diesem Hinter- ten unwahrscheinlich. Mehr als 50 Prozent Verwal- grund eine entsprechende vom Willen des Gesetzge- tungsaufwand kann allein durch diese Regelung ein- bers nicht abgedeckte Meinung geäußert werden gespart werden. konnte, die zu erheblichen finanziellen Belastungen unserer Kreditwirtschaft führt. Ich gehe davon aus, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) daß dieses entsprechende Schreiben des Bundesauf- Zudem ist es gerade für Existenzgründer und für sichtsamtes für das Kreditwesen überprüft wird und kleinere Unternehmen von entscheidender Bedeu- die vorgesetzte Behörde, das Bundesfinanzministe- tung, daß nicht schon ab einem Kreditbetrag von rium, den Willen des Gesetzgebers beachtet und die 250 000 DM, sondern künftig erst ab 500 000 DM ein entsprechende Mitteilung korrigiert. aufwendigeres Verfahren praktiziert werden muß. Die bisherige Grenze von 250 000 DM hatte zur (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Folge, daß in der Regel Kreditsuchende mit erhebli- Meine Damen und Herren, das vorliegende Gesetz cher zeitlicher Verzögerung an die von ihnen benö- ist ein weiterer Schritt zur Stärkung der internationa- tigten Kredite gelangten. Zukünftig ist es für Exi- stenzgründer und kleinere Unternehmer leichter, len Wettbewerbsfähigkeit unseres Finanzplatzes. Kredite zu erhalten. Das ist ein ganz entscheidender Weitere Schritte müssen allerdings folgen. Die F.D.P. Punkt. setzt sich für eine Verbesserung des Finanzplatzes Deutschland ein. Es muß doch auch in Deutschland Ein spürbarer Beitrag zur Deregulierung ist die möglich sein, leichter Zugang zu Kapital zu erhalten. Streichung der Meldepflicht für die Kreditinstitute Wir brauchen in Deutschland Existenzgründer und bei Änderung der Satzung oder des Gesellschafter- eine neue Kultur der Selbständigkeit. Wir als F.D.P. vertrags gegenüber dem Aufsichtsamt. Auch die sind der Auffassung, daß gerade die kleinen und Pflicht zur Anzeige von Veränderungen bei Zweig- mittleren Bet riebe die Arbeitsplätze in Deutschland stellen wurde deutlich reduziert. Für vereinfachend schaffen, die wir dringend brauchen. Hierfür werden halte ich die Klarstellung, daß Geldautomaten in die- wir uns im Rahmen des anstehenden Dritten Finanz- sem Zusammenhang keine Zweigstellen von Banken marktförderungsgesetzes einsetzen. Ferner brauchen sind. Bislang wurde das anders betrachtet. Schließ- wir eine Verbesserung der Produkte und Anlage- lich wurde das ursprünglich vorgesehene Inkrafttre- möglichkeiten. Es gibt noch viel zu tun, um eine Ver- ten des Gesetzes am 1. August 1997 deutlich nach besserung der p rivaten Altersvorsorge auch über den hinten verschoben. Damit erhalten die Betroffenen Kapitalmarkt zu erreichen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16095

Carl-Ludwig Thiele Ich hoffe, daß wir, wie auch bei diesem Gesetz, Betrugsfälle entfallen bundesweit allein auf diese konstruktiv, sachlich und zielorientiert bei den noch Anlageform. Gerade die Bundesrepublik Deutsch- anstehenden Finanzmarktgesetzen zusammenarbei- land ist nach Einschätzung der Verbraucherzentrale ten werden. Ich darf mich für die außerordentlich Berlin heute zu einem Eldorado für Kapitalanlagebe- konstruktive Mithilfe des Finanzministeriums bei trüger geworden. diesem Gesetzgebungsvorhaben bedanken. Der Schaden, den solche Geschäftemacher hierzu- Herzlichen Dank. lande anrichten, wird auf immerhin 40 bis 60 Milliar- den DM jährlich beziffert. Hunderttausende Anlege- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) rinnen und Anleger sind, teilweise mit dem Gesamt- verlust ihrer Ersparnisse, betroffen. Jüngste Fälle Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der sind die Hanseatische Aktiengesellschaft und, heute Kollege Dr. Uwe-Jens Rössel, PDS. bekanntgeworden, der Konkurs von Euro Kapital Hamburg, von dem insbesondere Zehntausende ost- deutscher Anlegerinnen und Anleger betroffen sind Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS): Herr Präsident! Liebe - ein wenig ruhmreicher Zustand. Kolleginnen und Kollegen! Die vom federführenden Finanzausschuß zur Umsetzung von EG-Richtlinien Für die nach Auffassung der PDS-Gruppe drin- über bank- und wertpapieraufsichtsrechtliche Fra- gend notwendige Einbeziehung des grauen Kapital- gen vom 20. Dezember 1996 verabschiedeten Ge- marktes in die Aufsichtspflichten der zuständigen setzentwürfe stellen durchaus in einer Reihe von Bundesaufsichtsämter sollten internationale Erfah- Punkten Schritte in die richtige Richtung dar. rungen aus dem angelsächsischen Raum aufgegrif- fen werden. So sind in Großbritannien seit Jahren er- Hinter dem Paragraphendschungel des umfangrei- folgreich wirkende Aufsichtsinstitutionen gesetzlich chen Gesetzpaketes werden jedoch bestehende Re- befugt, unseriöse Anbieter schnell vom Markt zu ent- gelungen vielerorts nicht etwa vereinfacht, sondern fernen, wenn von ihnen nicht schlüssig dargelegt weiter verkompliziert - von der Sprache möchte ich wird, wo und wie die weit über dem marktüblichen in diesem Zusammenhang gar nicht reden . Das ist Zins liegende Rendite realisiert werden soll. Zudem wahrlich kein Ruhmesblatt für den von der Bundes- werden von diesen Aufsichtsinstitutionen in Großbri- regierung so hochgelobten Finanzplatz Deutschland. tannien bei entsprechenden Fällen ganz empfindli- Darin steckt überhaupt viel Zündstoff. Dieser che Bußgelder verhängt. Warum soll das in Deutsch- Zündstoff geht nicht nur Expertinnen und Experten, land nicht möglich werden? Ich finde dafür keinen sondern auch Otto und Emma Normalverbraucher plausiblen Grund. an. Nach wie vor wird vielen Menschen in der Bundes- So soll die im Gesetzentwurf vorgesehene Einbe- republik das Recht auf ein privates Girokonto ver- ziehung der sogenannten Finanzdienstleistungsun- weigert bzw. wird eine bestehende Kontoverbindung ternehmen in die spezielle Kontrolle durch die Bun- seitens der Kreditinstitute gekündigt. Damit beginnt desaufsichtsämter für das Kreditwesen bzw. für den vor allem für finanzschwache Bürgerinnen und Bür- Wertpapierhandel lediglich auf die Vertreiber von ger - es ist bereits davon gesprochen worden - ein Warentermin-, Finanztermin- und Devisenterminge- Teufelskreislauf mit einer beispiellosen wirtschaftli- schäften sowie von Penny-Stocks, amerikanischen chen und sozialen Ausgrenzung. Die Empfehlung Billigaktien, begrenzt bleiben. des Zentralen Kreditausschusses geht wohl in die richtige Richtung, reicht aber - das zeigen die Analy- Der übrige gefährliche und sehr oft vermögensver- sen von Schuldnerberatungsstellen, Herr Steiger - nichtende Bereich dubioser Geldanlagegeschäfte- des doch wohl nicht aus. Notwendig ist, so meinen wir, sogenannten grauen Kapitalmarktes, zu denen Betei- eine gesetzliche Verankerung des Rechts auf ein Pri- ligungssparpläne, dubiose Bankgarantiegeschäfte, vatgirokonto, wie es die Oppositionsfraktionen hier zins- und tilgungsfreie Darlehen oder modifizierte vorgetragen haben. Schneeballsysteme gehören, soll bei der Kontrolle durch die genannten Bundesaufsichtsämter jedoch Achten Sie bitte weiter ausgespart und statt dessen von den Gewer- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: auf Ihre Redezeit. beämtern wahrgenommen werden, die gleichzeitig auch die Bockwurstbuden kontrollieren. Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS): Leider haben wir nur Die Gewerbeämter verfügen über keine fachlichen vier Minuten. und logistischen Voraussetzungen für die Ausübung dieser Aufgabe; das haben sie in den letzten Jahren Aus all den genannten Gründen ist eine gesetzli- leider gezeigt. Das ist für die PDS nicht hinnehmbar. che Verankerung des Rechts auf ein Privatgirokonto Aus diesem Grunde sind wir auch mit den vorge- umgehend und ohne Verschiebung auf den Sankt- schlagenen Prüfungsaufträgen nicht einverstanden; Nimmerleins-Tag unerläßlich. dieser Schritt ist zu knapp bemessen. (Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Ger Das Gros der Verbraucher - so die Einschätzung lingen] [F.D.P.]) der Verbraucherzentrale Berlin - legt das Geld aber - Das wird sich beim nächsten Mal ändern, Herr nicht in den genannten Termingeschäften, sondern Weng; da bin ich sicher. in dem viel gefährlicheren Bereich des grauen Kapi- talmarktes an. Über 90 Prozent der ausgewerteten (Beifall bei der PDS) 16096 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Dr. Uwe-Jens Rössel Wir lehnen deshalb den Gesetzentwurf der Bun- daß das wirklich eine erhebliche Erleichterung und desregierung ab, werden uns beim entsprechenden Verringerung von Verwaltungsaufwand ist und ins- Begleitgesetz enthalten und bitten um Zustimmung besondere den kleineren Unternehmen der Zugang zu unserem Entschließungsantrag, der umfassend zu zum Kreditmarkt erleichtert wird. diesen Themen Stellung nimmt. Auf die im Wertpapierhandelsgesetz geforderte Ich danke für die Aufmerksamkeit. Hinweisbekanntmachung im Bundesanzeiger, auf die vom Emittenten vorgenommene Ad-hoc-Publizi- (Beifall bei der PDS - Dr. Wolfgang Weng tät, wird künftig verzichtet. Wir hatten das einge- [Gerlingen] [F.D.P.]: Wenn nicht einmal die führt, aber es hat sich als nicht brauchbar erwiesen. eigenen Leute zuhören, sollte man nicht Auch das ist ein Hinweis darauf, daß wir sehr wohl mehr Redezeit fordern!) flexibel handeln und entsprechende Veränderungen vornehmen werden. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Hansgeorg Für Börsenmakler werden die rechtlichen Möglich- Hauser. keiten erweitert, sich vor dem Hintergrund der durch die Umsetzung der Wertpapierdienstleistungsrichtli- nie veränderten Wettbewerbslage im europäischen Hansgeorg Hauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- Wirtschaftsraum zu Wertpapierhandelshäusern wei- desminister der Finanzen: Sehr geehrter Herr Präsi- terzuentwickeln. dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit den vorliegenden Ge- Meine Damen und Herren, die in Umsetzung der setzentwürfen wird der Anlegerschutz in Deutsch- Richtlinie künftig erfolgende Aufsicht über große Be- land entgegen den Äußerungen, die wir bisher ge- reiche des sogenannten grauen Kapitalmarktes hört haben, weiter ausgebaut. Die Bundesregierung macht allerdings eine nennenswerte Erhöhung des ist dabei bestrebt, die Belastungen für die Kreditinsti- Personalbestandes der Aufsichtsbehörden erforder- tute und die künftig erstmals unter Bundesaufsicht lich. Das ist ein Punkt, der leider bei den Forderun- gestellten Finanzdienstleistungsinstitute auf das not- gen nach zusätzlichen Inaussichtstellungen vielzu wendige Maß zu begrenzen. Vorschläge für eine wenig beachtet wird. sachgerechte Deregulierung wurden, soweit das Nach derzeitigem Kenntnisstand ist davon auszu- möglich war, entsprechend aufgegriffen. gehen, daß bis zu 7500 Unternehmen zusätzlich un- Ich kann das, was Kollege Thiele gesagt hat, nur ter die Aufsicht durch das Bundesaufsichtsamt für bestätigen: Wenn man im Finanzausschuß keinerlei das Kreditwesen und das Bundesaufsichtsamt für entsprechende Anregungen zusätzlich einbringt, den Wertpapierhandel fallen werden. Es ist zu erwar- dann muß man auch hinnehmen, daß diese Vor- ten, daß gerade Unternehmen aus dem grauen Kapi- schläge nicht berücksichtigt werden. Jedenfalls ha- talmarkt deshalb in weit größerem Maße, als dies bei ben wir von den Experten, von den Verbänden ge- den bereits seit geraumer Zeit unter Aufsicht stehen- hört, daß zumindest da, wo es möglich war, ein aus- den Instituten der Fall ist, versuchen werden, sich reichendes Maß an Deregulierung in dieses Gesetz unter Ausnutzung aller rechtlichen Mittel den Auf- aufgenommen worden ist. sichtsanforderungen zu entziehen. Hinzu kommen natürlich zusätzliche Aufgaben, die wir mit diesem Einige besonders markante Eckpunkte der Geset- Gesetz neu geschaffen haben. zesvorhaben, die auch eine entlastende und begün- stigende Wirkung für die betroffenen Wirtschafts- Mit Bezug auf das von der Verbraucherschutzseite kreise haben können, sollen hier herausgehoben vorgebrachte Anliegen, den Anwendungsbereich werden. des Gesetzesvorschlages auf weitere Bereiche des so- genannten grauen Kapitalmarkts zu erweitern, weise Mit dem Inkrafttreten der Gesetze wird Unterneh- ich darauf hin, daß die Gesetzentwürfe bereits durch men, die gewerbsmäßig Wertpapierdienstleistungen die Einbeziehung der Vermittler von Warenterminge- erbringen, künftig der in der Wertpapierdienstlei- schäften und der Drittstaateneinlagenvermittler zum stungsrichtlinie vorgesehene sogenannte europäi- Schutz der Anleger über die Vorgaben der Wertpa- gewährt. Das heißt, die Zulassung im Hei- sche Paß pierdienstleistungsrichtlinie hinausgehen. Die Fir- matland ermöglicht den Unternehmen, ihre Tätigkeit men müssen zuverlässige und fachlich geeignete Ge- in allen Staaten der Europäischen Union auszuüben. schäftsleiter haben, und die Geschäftstätigkeit wird Mit diesem erleichterten Zugang zu den Märkten der einer laufenden Solvenzaufsicht unterliegen. Damit übrigen EU-Mitgliedstaaten wird die Wettbewerbs- wird der Verbraucherschutz auf einem wesentlichen position deutscher Kreditinstitute nachhaltig verbes- Gebiet des Finanzdienstleistungssektors nachhaltig sert. Darüber hinaus eröffnet dieser Zugang zu den verbessert. europäischen Börsen deutschen Universalbanken neue geschäftliche Betätigungsfelder. Auch das sollte Bevor weitere gesetzliche Maßnahmen erwogen nicht vergessen werden. werden, sollten aus Sicht der Bundesregierung die im grauen Kapitalmarkt noch bestehenden Problem- Die übrigen Punkte sind zum großen Teil bereits felder etwas gründlicher analysiert werden. erwähnt worden. Ich darf noch einmal auf die Ver- dopplung der Grenze für die Offenlegung der wirt- Vor diesem Hintergrund begrüßt die Bundesregie- schaftlichen Verhältnisse bei Kreditvergaben hinwei- rung den Entschließungsantrag des Finanzausschus- sen, die nun auf 500 000 DM angehoben ist. Ich ses, mit dem die Bundesregierung aufgefordert wird, glaube, man kann nicht stark genug herausstellen, zusammen mit den Ländern - das ist ein wichtiger Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16097

Parl. Staatssekretär Hansgeorg Hauser Punkt - einen Überblick über den grauen Kapital- Für die Bundesregierung möchte ich feststellen, markt und die do rt angebotenen Finanzprodukte so- daß sich der Versuch einer Lösung der Probleme in wie Vorschläge für eine Verbesserung der Aufsicht diesem Bereich über eine Empfehlung bewäh rt hat. über den Bereich des grauen Kapitalmarkts zu erar- Es kann dabei sicher nicht davon ausgegangen wer- beiten und spätestens im nächsten Jahr vorzulegen. den, daß das gewählte Verfahren einer freiwilligen Damit wird eine fundierte Entscheidungsgrundlage Lösung bereits in jedem Fall den gewünschten Erfolg geschaffen. Das Thema ist zu vielschichtig, um mit gebracht hat. Die Bundesregierung nimmt die ihr Schnellschüssen ein bef riedigendes Ergebnis zu er- durch Verbraucherorganisationen gegebenen Hin- reichen. weise auf Nichtbeachtung der Empfehlung ernst und wird auch in Zukunft das Verhalten der Kreditinsti- Meine Damen und Herren, dieses Thema ist hier tute in diesem Bereich weiter beobachten. sehr stark in den Mittelpunkt gestellt worden, ob- wohl wirklich andere Dinge im Vordergrund stehen Die Bundesregierung geht aber zugleich davon müssen. Man sollte hier doch bitte etwas mehr an die aus, daß nach wie vor kein Bedürfnis für eine gesetz- Eigenverantwortung appellieren. Es ist dringend liche Regelung zu sehen ist. In dieser Einschätzung notwendig, daß stärkere Aufklärung erfolgt. Das sieht sie sich durch den Entschließungsantrag des Fi- gebe ich gerne zu. Die Eigenverantwortung der An- nanzausschusses bestätigt. leger aber sollte wirklich stärker betont werden. Man (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) kann wirklich nicht verstehen, daß Versprechungen und Angebote, es würden Kapitalrenditen von 80 Ich schließe die oder 100 Prozent erreicht, ernst genommen werden. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Aussprache. Solche Anleger passen bei einem Kauf eines Ge- brauchtautos zehnmal besser auf und rennen zu Wir kommen zur Abstimmung über den von der zehn verschiedenen Anbietern, bevor sie einen sol- Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur chen Kauf tätigen. 10 000 DM werden hier aber ohne Umsetzung von EG-Richtlinien zur Harmonisierung weiteres und ohne jegliche Bedenken angelegt, weil bank- und wertpapieraufsichtsrechtlicher Vorschrif- man solchen Versprechungen unterliegt. Eigenver- ten. Das sind die Drucksachen 13/7142 und 13/7627 antwortung sollte hier mehr gefragt sein. Nr. 1.

(Beifall bei der CDU/CSU) Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Hand- Zum Thema „Girokonto für jedermann". Dieses zeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Thema beschäftigt den Bundestag schon seit gerau- Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit mer Zeit. Nicht zuletzt auf Grund der Bemühungen -den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD des Finanzministeriums und intensiver Gespräche Fraktion gegen die Stimmen der Gruppe der PDS bei mit den Verbänden der Kreditwirtschaft ist eine be- Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen ange- friedigende Lösung des Rechts auf ein Girokonto ge- nommen. funden worden. Wir haben im Juni 1995 mit den im Dritte Beratung Zentralen Kreditausschuß zusammengeschlossenen und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die Verbänden erreicht, daß eine Empfehlung ausge- dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- sprochen worden ist. Sie sieht vor, daß alle Kreditin- ben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der stitute, die Girokonten für alle Bevölkerungsgruppen Gesetzentwurf ist damit angenommen; Mehrheits- führen, für jeden in ihrem jewei ligen Geschäftsgebiet verhältnisse wie vor. ein Girokonto bereithalten. Abstimmung über den von der Bundesregierung Natürlich ist es richtig, daß man trotz allem nicht eingebrachten Entwurf eines Begleitgesetzes zur jedem ein solches Girokonto einräumen muß. Be- Umsetzung von EG-Richtlinien zur Harmonisierung stimmte Geschäfte müssen auch nicht zugelassen bank- und wertpapieraufsichtsrechtlicher Vorschrif- werden, wie beispielsweise Überziehungen. Jedem ten, Drucksachen 13/7143 und 13/7627 Nr. 2. Institut ist es im übrigen freigestellt, darüber hinaus- Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der gehende Dienstleistungen anzubieten. Die Bereit- Ausschußfassung zustimmen wollen, um das Hand- schaft zur Kontoführung ist grundsätzlich gegeben zeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - und unabhängig von Art und Höhe der Einkünfte. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit Insbesondere werden Eintragungen bei der Schufa den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD- allein kein Grund sein, die Führung eines Girokontos Fraktion bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die zu verweigern. Grünen und PDS angenommen. Die Kreditinstitute werden allerdings nicht dazu Dritte Beratung angehalten, ein Girokonto auch dann zu führen, und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die wenn dies für das Kreditinstitut unzumutbar ist. dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- Auch hierüber dürfte, wie die vorliegenden Entwürfe ben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der bzw. Anträge zeigen, dem Grunde nach unter uns Gesetzentwurf ist damit angenommen; Mehrheits- kein Dissens bestehen. Zu den Fallgestaltungen, in verhältnisse wie vor. denen eine Kontoführung als unzumutbar bewe rtet werden kann, enthält die Empfehlung eine Aufzäh- Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent- lung von Fallbeispielen. wurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Rege- 16098 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose lung eines Rechtes auf ein Girokonto auf Drucksache Stimmen der PDS bei Stimmenthaltung von 13/351. Der Finanzausschuß empfiehlt auf Drucksa- Bündnis 90/Die Grünen angenommen. che 13/7627 Nr. 3, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der Fraktion Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/351 ab- dem Antrag der Fraktion der SPD zu Privatgirokon- stimmen. ten, Drucksache 13/7627 Nr. 6. Der Ausschuß emp- fiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/1306 abzuleh- Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu- nen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - stimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschluß- dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfrak- damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Ko- tionen gegen die Stimmen der Opposition angenom- alitionsfraktionen gegen die Stimmen von men. Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Stimmenthal- tung der SPD-Fraktion abgelehnt. Nach unserer Ge- Der Finanzausschuß empfiehlt unter Nr. 7 seiner schäftsordnung entfällt damit die weitere Beratung. Beschlußempfehlung auf Drucksache 13/7627 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent- Beschlußempfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthal- wurf der Fraktion der SPD zur Sicherung der Teil- tungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stim- nahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr, Drucksa- men der Fraktionen bei Stimmenthaltung der che 13/856. Der Finanzausschuß empfiehlt auf Gruppe der PDS angenommen. Drucksache 13/7627 Nr. 4, den Gesetzentwurf abzu- lehnen. Ich lasse über den Gesetzentwurf der Frak- Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- tion der SPD auf Drucksache 13/856 abstimmen. Ich ßungsantrag der Gruppe der PDS auf Drucksache bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen 13/7659. Wer stimmt für diesen Entschließungsan- wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? trag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Ent- - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter schließungsantrag ist mit den Stimmen der Koali- Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen tionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt. Es Stimmen der PDS bei Stimmenthaltung von entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Beratung. Wir sind damit, verehrte Kolleginnen und Kolle- Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu gen, am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. dem Antrag der Gruppe der PDS zum Recht auf ein Girokonto. Das ist die Drucksache 13/7627 Nr. 5. Der Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 13/ destages auf morgen, Freitag, den 6. Juni 1997, 9 Uhr 137 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußemp- ein. fehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Be- Die Sitzung ist geschlossen. schlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koali- tionsfraktionen und der SPD-Fraktion gegen die (Schluß der Sitzung: 21.20 Uhr) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 178. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1997 16099*

Anlage zum Stenographischen Bericht

Anlage entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschli Liste der entschuldigten Abgeordneten eßlich Lummer, Heinrich CDU/CSU 5. 6. 97 * entschuldigt bis Abgeordnete(r) Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 5. 6. 97 * einschließlich Erich Marten, Günter CDU/CSU 5. 6. 97 * Antretter, Robe rt SPD 5. 6. 97 * Dr. Pfaff, Martin SPD 5. 6. 97 Blunck, Lilo SPD 5. 6. 97 Dr. Probst, Albe rt Böttcher, Maritta PDS 5. 6. 97 CDU/CSU 5. 6. 97 * Dr. Reinartz, Bertold Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 5. 6. 97 * CDU/CSU 5. 6. 97 Scharping, Rudolf Dreßler, Rudoll SPD 5. 6. 97 SPD 5. 6. 97 Dr. Scheer, Hermann SPD Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 5. 6. 97* 5. 6. 97 * Schloten, Dieter SPD Haack (Extertal), SPD 5. 6. 97 * 5. 6. 97 * Karl Hermann Schoppe, Waltraud BÜNDNIS 5. 6. 97 90/DIE Hedrich, Klaus-Jürgen CDU/CSU 5. 6. 97 GRÜNEN Horn, Erwin SPD 5. 6. 97 * Terborg, Margitta SPD 5. 6. 97 * Hornung, Siegfried CDU/CSU 5. 6. 97 * Dr. Vollmer, Antje BÜNDNIS 5. 6. 97 Dr. Hoyer, Werner F.D.P. 5. 6. 97 90/DIE Dr. Jacob, Willibald PDS 5. 6. 97 GRÜNEN Jung (Limburg), CDU/CSU 5. 6. 97 Vosen, Josef SPD 5. 6. 97 Michael Wallow, Hans SPD 5. 6. 97 Junghanns, Ulrich CDU/CSU 5. 6. 97 * Welt, Jochen SPD 5. 6. 97 Köhne, Rolf PDS 5. 6. 97 Zierer, Benno CDU/CSU 5. 6. 97 * Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 5. 6. 97 Zwerenz, Gerhard PDS 5. 6. 97 Kriedner, Arnulf CDU/CSU 5. 6. 97 * Dr. Graf Lambsdorff, F.D.P. 5. 6. 97 Otto * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union