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BUNDESKARTELLAMT 53113 Bonn

3. BESCHLUSSABTEILUNG Kaiser-Friedrich-Straße 16 B 3 – 1002/06 Vormals B10-64/06

FÜR DIE

VERÖFFENTLICHUNG BESTIMMT

GESCHÄFTSGEHEIMNISSE SIND MIT [...] [NÄHERUNGSWERT] GEKENNZEICHNET

Fusionskontrollverfahren Verfügung gemäß § 40 Abs. 2 S. 1 GWB

BESCHLUSS

In dem Verwaltungsverfahren

1. Universitätsklinikum Greifswald der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald – Anstalt öffentlichen Rechts - vertreten durch den Vorstand Fleischmannstraße 8 17475 Greifswald

- Verfahrensbevollmächtigter zu 1. : Rechtsanwalt Dr. Martin Rehborn Rechtsanwälte Steuerberater Westenhellweg 40-46 44137

2. Universität Greifswald – Anstalt öffentlichen Rechts – Vertreten durch den Rektor Prof. Dr. Rainer Westermann Domstraße 11 17487 Greifswald

2

3. Bundesland -Vorpommern vertreten durch den Ministerpräsidenten Dr. Harald Ringstorff Staatskanzlei Schlossstraße 2-4 19053

4. Kreiskrankenhaus gGmbH i.Gr. Chausseestr. 46 17438 Wolgast - vertreten durch den Landkreis

5. Landkreis Ostvorpommern vertreten durch die Landrätin Frau Dr. Barbara Syrbe Demminer Str. 71-74 17389

zur Prüfung eines Zusammenschlussvorhabens nach § 36 Abs. 1 GWB hat die 3. Be- schlussabteilung des Bundeskartellamtes am 11. Dezember 2006 beschlossen:

1.) Das Vorhaben der Beteiligten zu 1. („Universitätsklinikum Greifswald“), 94,5% der Antei- le an der Beteiligten zu 4. („Kreiskrankenhaus Wolgast“) von der Beteiligten zu 5. („Landkreis Ostvorpommern“) zu erwerben, wird untersagt.

2.)

Die Gebühr für die Anmeldung wird auf [...] € und die Gebühr für die Untersa- gungsentscheidung unter Anrechnung der Gebühr für die Anmeldung auf [...] € festge- setzt. Die Gesamtgebühr beträgt [...] € (in Worten: [...] Euro). Die Gebühr sowohl für die 3

Anmeldung als auch für die Untersagungsentscheidung wird der Verfahrensbeteiligten zu 1. auferlegt.

A. SACHVERHALT

1. Angaben zu den Beteiligten 1.1 Universitätsklinikum Greifswald, AöR 1. Das Universitätsklinikum Greifswald ist als Anstalt öffentlichen Rechts Teil der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald mit Sitz in Greifswald. 2. Das Klinikum ist ab dem 1. Januar 2005 mit insgesamt 778 Planbetten (2004: 805 Betten, für 31.12.2008 Soll-Betten: 704) in den Landes-Krankenhausplan aufgenommen worden.1 Es verfügt über 15 medizinische Fachabteilungen2 und ist medizinischer Schwerpunkt für die Aufgaben eines Onkologischen Zentrums, eines Perinatalzentrums, eines Kompetenzzentrums für Schlaganfallversorgung sowie eines Geriatrischen Konsils.3 3. Im Jahr 2005 wurden [...] Patienten akutstationär behandelt. Die Auslastung be- trug bei einer durchschnittlichen Verweildauer von [...] (2004: [...]) Tagen [...]% (2004: [...]%). Das Universitätsklinikum Greifswald erzielte im Jahr 2005 Umsatz- erlöse in Höhe von ca. [...] Mio. € (2004: [...] Mio. €). Davon entfielen ca. [...] Mio. € auf Krankenhausleistungen und ca. [...] Mio. € auf ambulante Leistungen. a. Kreiskrankenhaus Wolgast 4. Das Kreiskrankenhaus Wolgast wird z.Zt. noch als kommunaler Eigenbetrieb des Landkreises Ostvorpommern ohne eigene Rechtspersönlichkeit geführt, soll je- doch in eine gemeinnützige GmbH umgewandelt werden. 5. Es verfügt über 180 Planbetten, davon 7 Intensivbetten (Soll-Betten für 2008: 182) und fünf Fachabteilungen (Innere Medizin, Chirurgie, Gynäkolo- gie/Geburtshilfe, Pädiatrie und HNO).

1 Bescheid des Sozialministeriums MV vom 22. Dezember 2004, Anlage A5 der Anmeldung vom 27.07.2006. Es handelt sich um die Fachrichtungen: Anästhesie, Augenheilkunde, Chirurgie, Kinderchi- rurgie, Frauenheilkunde/Geburtshilfe, HNO-Heilkunde, Haut- und Geschlechtskrankheiten, Innere Medi- zin, Kinderheilkunde, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie, Neurochirurgie, Neurologie, Orthopädie, Strahlen- therapie/Nuklearmedizin, Urologie. 2 Lediglich die Fachbereiche Psychiatrie und Kinder- und Jugendpsychiatrie sind nicht vertreten (s. S. 2 in Anlage A5 der Anmeldung vom 27.07.2006). Zudem wurde die Abteilung für Herzchirurgie an das Klini- kum Karlsburg ausgegliedert (Anmeldung S. 6). 3 S. 3 des Bescheids des Sozialministeriums MV vom 22. Dezember 2004, Anlage A5 der Anmeldung vom 27.07.2006. 4

6. Im Jahr 2005 wurden insgesamt 9.314 (2004: 8.833) Patienten vollstationär be- handelt. Die Auslastung lag im Jahr 2004 bei einer durchschnittlichen Verweil- dauer von [...] Tagen bei [...] %. Das Kreiskrankenhaus erzielte im Jahr 2005 Umsatzerlöse in Höhe von ca. [...] Mio. € (Vorjahre: ca. [...]). Davon entfielen ca. [...] Mio. € auf Krankenhausleistungen und [...] Mio. € auf ambulante Leistungen. 7. Das Kreiskrankenhaus Wolgast gilt nicht als in seiner Existenz bedroht. Anders als viele andere Krankenhäuser kommunaler Träger ist es z.Zt. nicht defizitär.4 Sein vereinbarter Basisfallwert5 lag in den vergangenen Jahren immer deutlich unterhalb von 2.500 €, also durchgängig unterhalb des (durchschnittlichen) Lan- desbasisfallwerts von Mecklenburg-Vorpommern6 (und zwar auch bei Berück- sichtigung des sog. Kappungsbetrages, eines vom Gesetzgeber vorgegebenen Schonbetrages zu Gunsten der Maximalversorger)7, so dass das Krankenhaus in den kommenden Jahren bei einer fortschreitenden Umsetzung des DRG- Systems sogar mit höheren Einnahmen rechnen darf.

2. Vorgeschichte 8. Der Kreistag Ostvorpommerns beschloss am 7. November 2005, das bisher als Eigenbetrieb geführte Kreiskrankenhaus Wolgast zunächst formal und anschlie- ßend auch materiell zu privatisieren. Am 12. Dezember 2005 beschloss er, 94,9% der Anteile der zukünftigen Kreiskrankenhaus Wolgast gGmbH an die U- niversitätsklinikum Greifswald A.ö.R. zu veräußern. Die restlichen Geschäfts- anteile von 5,1% sollen beim Veräußerer, dem Landkreis Ostvorpommern, verbleiben. Der – noch ohne die Genehmigung der Vertragsparteien – von den rechtsanwaltlichen Vertretern vollmachtlos abgeschlossene, notariell beurkunde- te Veräußerungsvertrag datiert vom 30. Dezember 2005.8 Verkauf und Abtretung des Geschäftsanteils erfolgen gemäß § 4 Nr. 2 des Kaufvertrags jeweils wirt-

4 Nach einer Pressemitteilung im Nordkurier – Anklamer Zeitung vom 07.09.2006 habe das Kreiskran- kenhaus Wolgast im Jahr 2005 mit einem Überschuss von knapp 207.300 Euro abgeschlossen und damit den 2004 aufgelaufenen Fehlbetrag von fast 386.000 Euro wieder ausgeglichen. 5 www.aok-gesundheitspartner.de unter bundesverband/krankenhaus/budgetverhand- lungen/basisfallwerte/ unter Datei vereinbarte Basisfallwerte ab 2003. 6 www.aok-gesundheitspartner.de unter bundesverband/krankenhaus/budgetverhand- lungen/basisfallwerte/landesbasisfallwerte/2005/ unter Datei Landesbasisfallwert Mecklenburg- Vorpommern oder unter Übersicht Landesbasisfallwerte 2006. 7 S. Pressemitteilung der Krankenhausgesellschaft Mecklenburg-Vorpommern unter www.aok- gesundheitspartner.de unter bundesverband/krankenhaus/budgetverhand-lungen/basisfallwerte/ : Fest- gesetzt wurde für 2005 der Landesbasisfallwert von 2.636,04 € als Zielwert und in Höhe von 2.585,00 € unter Abzug eines vom Gesetzgeber vorgegebenen Schonbetrages zu Gunsten der Maximalversorger, der im Jahr 2005 konkret als Basis für die Angleichung der hausindividuellen Budgets dient. 8 Anlage A1 der Anmeldung vom 27.07.2006. 5

schaftlich rückwirkend zum 01.01.2006. Der Vertrag enthält keine aufschiebende Bedingung der kartellbehördlichen Zustimmung. 9. Da einer Fachzeitschrift des Krankenhauswesens von Anfang 20069 der beab- sichtigte Zusammenschluss des Universitätsklinikums Greifswald mit dem Kreis- krankenhaus Wolgast zu entnehmen war, machte das Bundeskartellamt mit Schreiben vom 08.02.2006 das Universitätsklinikum Greifswald auf die Anmelde- pflicht des § 39 GWB aufmerksam. Mit Schreiben vom 24.02.2006 bestritt dieses eine Kontrollpflicht, weil das Universitätsklinikum Greifswald als Anstalt öffentli- chen Rechts rechtlich und wirtschaftlich selbständig sei, so dass die fusionskon- trollrechtlichen Schwellenwerte nicht erreicht würden. Selbst wenn das Land Mecklenburg-Vorpommern als herrschendes Unternehmen angesehen würde, läge man noch unterhalb der Schwellenwerte, weil die Universitätsklinika Greifs- wald und sowie das Kreiskrankenhaus Wolgast Umsätze unterhalb von 500 Mio. € erzielten. Das Bundeskartellamt bat daraufhin mit Schreiben vom 28.02.2006 zunächst um Übersendung der Rechtsgrundlagen (Gesetze, Verord- nungen, Satzung) für das Universitätsklinikum. Mit Schreiben vom 24.03.2006 bekundete der rechtsanwaltliche Vertreter des Klinikums seine Vertretungs- macht, kündigte die Anmeldung des Vorhabens an und versicherte gleichzeitig, dass es bis zu einer Entscheidung des Bundeskartellamtes zu keinen Vollzugs- handlungen kommen werde.10 10. Anfang März 2006 wurde von dritter Seite eine „Kommunalaufsichtsbeschwerde wegen des Verkaufs des Kreiskrankenhaus[es] Wolgast“ erhoben. Im Wesentli- chen wurde dabei die Rechtmäßigkeit der Wertermittlung und damit die Geneh- migungsfähigkeit der Veräußerung gemäß §§ 120, 57 Abs. 3 der Kommunalver- fassung Mecklenburg-Vorpommerns in Frage gestellt. Es habe weder eine Aus- schreibung noch ein Bieterverfahren stattgefunden, so dass man davon ausgehe, dass der Verkehrswert des Krankenhauses erheblich über dem von der Universi- tätsklinik zu zahlenden Kaufpreis liege. Eine Veräußerung unter dem vollen Wert sei aber nur genehmigungsfähig, wenn ein – hier nicht erkennbares – besonde- res öffentliches Interesse vorliege. Mit Schreiben vom 30.03.2006 antwortete das Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern, dass der „volle Wert“ eines Eigen-

9 „Krankenhaus“-Magazin, Heft 1/06, S. 67. 10 Auch die Landrätin des Landkreises Ostvorpommern bestätigte in einem Telefonat am 03.07.2006, dass es bisher – abgesehen vom notariellen Kaufvertrag - zu keinerlei Vollzugshandlungen gekommen sei und man eine Entscheidung des Bundeskartellamtes abwarten würde. 6

betriebes auch – wie vorliegend erfolgt – auf der Grundlage eines Wertgutach- tens ermittelt werden könne. Es lägen keine hinreichenden Anhaltspunkte vor, die ein Einschreiten der Rechtsaufsichtsbehörde rechtfertigen würden. Die Ge- nehmigung für die Ausgliederung des Kreiskrankenhauses in eine gemeinnützige GmbH hat das Land Mecklenburg-Vorpommern am 28.09.2006 erteilt, jedoch wurde das Genehmigungsverfahren zur Privatisierung ausgesetzt bis zu einer Entscheidung des Bundeskartellamtes über die angemeldete Fusion. 11. Mit mehrheitlichem Beschluss des Kreistages in nichtöffentlicher Sitzung vom 10.04.200611 beauftragte der Kreistag die Landrätin, den notariellen Geschäfts- anteilskaufvertrag abzuschließen und die notwendige Vertretungsvollmacht zu erteilen.12 12. Mit Datum vom 24.05.2006 übersandte der Rechtsvertreter des Universitätsklini- kums Greifswald dem Bundeskartellamt einen Entwurf einer vorsorglichen An- meldung, der u.a. die bereits zuvor erbetenen Unterlagen zu den Rechtsgrundla- gen des Universitätsklinikums Greifswald enthielt. Daraufhin begann die zustän- dige Beschlussabteilung des Bundeskartellamtes, den Sachverhalt zu ermitteln. Am 09.06.2006 wurden Fragebögen an sämtliche Krankenhäuser Mecklenburg- Vorpommerns versandt. In der ersten Juli-Hälfte 2006 wurden sowohl der Vertre- ter des Klinikums Greifswald und die Landrätin des Landkreises Ostvorpommern wie auch das Bildungsministerium und die Krankenhausplanung im Sozialminis- terium des Landes Mecklenburg-Vorpommern darauf aufmerksam gemacht, dass die vorläufigen Ermittlungen des Bundeskartellamtes auf eine Marktbeherr- schung der Zusammenschlussbeteiligten in Greifswald und Umgebung hinwie- sen, so dass mit einer Untersagungsentscheidung des Bundeskartellamtes zu rechnen sei.

3. Verfahren 13. Mit Schreiben vom 27.07.2006 (Eingang 31.07.2006) reichte der Vertreter des Universitätsklinikums Greifswald mit Kenntnis der anderen Zusammenschlussbe- teiligten – vorsorglich – die Anmeldung des Zusammenschlussvorhabens beim Bundeskartellamt ein. Am 14.08.2006 hat das Bundeskartellamt das Hauptprüf- verfahren eingeleitet.

11 Anlage A2 der Anmeldung vom 27.07.2006: Beschluss-Nr. 207-14/06. 12 Insoweit anders die Anmeldung vom 27.07.2006 auf S. 3, wonach der Kreistag am 10.04.2006 die Umwandlung des Eigenbetriebes in die Kreiskrankenhaus Wolgast gGmbH beschloss. 7

14. Mit Schreiben vom 01.09.2006 wandte sich der Minister für Bildung, Wissen- schaft und Kultur des Landes Mecklenburg-Vorpommern an den Präsidenten des Bundeskartellamtes. Der Antrag der Universität Greifswald sei aus Landessicht und wissenschaftspolitisch zu unterstützen. Der Wissenschaftsrat akzeptiere das Modellklinikum Greifswald (für Community Medicine) nur, wenn alle regionalen Versorgungsbetten Greifswald zugeordnet seien. Die wissenschaftliche Arbeit benötige einen vollständigen Überblick über den Krankenstand in der Region und deshalb auch direkten Zugriff auf alle Krankenhausbetten in der Region. Das Bil- dungsministerium sei dem Wissenschaftsrat gefolgt und habe der Universität Greifswald das Geld zum Erwerb des kommunalen Krankenhauses Wolgast zur Verfügung gestellt. Am 10.10.2006 fand ein Gespräch zwischen Vertretern des Landes Mecklenburg-Vorpommern und des Universitätsklinikums Greifswald so- wie der Beschlussabteilung statt. Dabei wurde insbesondere auf die Bedeutung der Universität für die Stadt Greifswald und die Region Vorpommern hingewiesen sowie auf die wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen einer Untersagungs- entscheidung. 15. Mit Schreiben und Telefax vom 27.10.2006 hat die Beschlussabteilung das Zu- sammenschlussvorhaben abgemahnt und auch der Landeskartellbehörde Meck- lenburg-Vorpommern Gelegenheit gegeben, hierzu Stellung zu nehmen. Mit Schreiben vom 20.11.2006 hat die Anmelderin durch ihren Anwalt vorläufig Stel- lung genommen. Sie vertritt die Auffassung, das Universitätsklinikum stelle sich als ein vom Land unabhängiges Unternehmen dar, so dass die Umsatzschwel- lenwerte des § 35 Abs. 1 GWB nicht überschritten würden. Selbst wenn das Land dennoch als herrschendes Unternehmen angesehen würde, wären nicht sämtliche Landesumsätze zu berücksichtigen, sondern lediglich die Umsätze derjenigen Landeseinrichtungen, die dem Bereich Krankenversorgung zuzurech- nen seien. Zudem sei das Zusammenschlussvorhaben ausschließlich an dem bundesweiten Markt für Universitätskliniken zu messen. Diesen Vortrag hat sie in ihrem Schreiben vom 4. Dezember 2006 weiter vertieft und insbesondere auf den verfassungsrechtlichen Schutz der Freiheit von Wissenschaft und Lehre (Art. 5 Abs. 3 GG) hingewiesen. 16. Entsprechend dem Antrag der Anmelderin ist die Frist des § 40 Abs. 2 GWB bis zum 18. Dezember 2006 verlängert worden. 8

17. Auf einen Auskunftsbeschluss der Beschlussabteilung hat das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern mit Schreiben vom 30.11.2006 und beiliegender ta- bellarischer Übersicht zur Höhe der Umsatzerlöse des Landes geantwortet. Auf- geführt wurden neben den Universitätskliniken Landesbeteiligungen mit mindes- tens 50% Landesanteil, was in der Summe einen Gesamtumsatz von 461,4 Mio. € ergeben würde.13 Nicht in die Landesumsätze einbezogen wurden allerdings die Umsätze rechtlich unselbständiger Landesbetriebe14 sowie von Sonderver- mögen des Landes Mecklenburg-Vorpommern.15 Eine Einbeziehung der Umsät- ze dieser Landesunternehmen von zusammen 212,8 Mio. € ergibt eine Gesamt- summe für die Umsatzerlöse des Landes in Höhe von 674,2 Mio. €.

B. GRÜNDE

I. FORMELLE UNTERSAGUNGSVORAUSSETZUNGEN

1. Anwendungsbereich des GWB und Zusammenschlusstatbestand 18. Der Anwendungsbereich des GWB ist eröffnet, weil die tatbestandlichen Voraus- setzungen des § 35 Abs. 1 GWB erfüllt sind und kein Fall des § 35 Abs. 2 GWB vorliegt. Nach § 130 Abs. 1 GWB findet das Gesetz auch Anwendung auf Unter- nehmen, die ganz oder teilweise im Eigentum der öffentlichen Hand stehen oder die von ihr verwaltet oder betrieben werden. Das Zusammenschlussvorhaben stellt einen Kontroll- und Anteilserwerb im Sinne des § 37 Abs. 1 Nr. 2 und 3 lit. a) GWB dar. 19. Mangels gemeinschaftsweiter Bedeutung besteht vorliegend keine Zuständigkeit der Europäischen Kommission nach § 35 Abs. 3 GWB i.V.m. Art. 1 Abs. 2 und 3, Art. 21 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (im Folgenden: FKVO). Im Hinblick auf das Kreiskrankenhaus Wolgast fehlt es schon an den un-

13 Die Anforderungen von § 38 Abs. 1 Satz 2 und von § 38 Abs. 2 GWB [Herausrechnung von Binnenum- sätzen und Verbrauchsteuern sowie Ansatz von ¾ bei Handelsumsätzen] seien laut Schreiben vom 30.11.2006, S. 2, nicht bezifferbar. 14 Landesgestüt Redefin; Landesanstalt für Personendosimetrie und Strahlenschutzzausbildung. 15 Sondervermögen betrieb für Bau und Liegenschaften; nicht rechtsfähiges Sondervermögen „Staatslot- terien Lotto und Toto in M-V“. 9

ter Art. 1 Abs. 2 lit. b) bzw. c) FKVO benannten Voraussetzungen, wonach ein gemeinschaftsweiter Umsatz von mindestens zwei beteiligten Unternehmen von jeweils mehr als € 250 Mio. erzielt worden sein muss bzw. Umsätze in anderen Mitgliedstaaten erzielt werden müssen. 20. Der Schwellenwert des § 35 Abs. 1 Nr. 1 GWB wird erreicht, weil die dem Land Mecklenburg-Vorpommern zuzurechnenden Umsatzerlöse des Jahres 2005 500 Mio. € überschritten haben. 21. Zwar vertritt das Universitätsklinikum Greifswald die Auffassung, dass es als An- stalt öffentlichen Rechts rechtlich und wirtschaftlich selbständig sei.16 Eine Mehr- heitsbeteiligung des Landes Mecklenburg-Vorpommern im Sinne des § 17 Abs. 2 AktG bestehe nicht, so dass die dortige Abhängigkeitsvermutung nicht greife.17 Zudem treffe das Universitätsklinikum Entscheidungen, ohne maßgeblich durch das Land beeinflusst werden zu können, weil bei zahlreichen möglichen Aktivitä- ten (insb. Kooperationsverträgen, Eröffnung neuer Stationen) das Land über den Aufsichtsrat nicht beteiligt sei.18 22. Dem kann jedoch weder in der Argumentation noch im Ergebnis beigepflichtet werden. Im fusionskontrollrechtlichen Sinne ist – soweit unternehmerische Tätig- keiten bestehen – die Universität Greifswald einschließlich des Universitätsklini- kums ein abhängiges Unternehmen des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Das Land, das auch Träger der Universität Greifswald ist, hat im Jahr 2002 durch Rechtsverordnung19 das Universitätsklinikum Greifswald als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald mit Sitz in Greifswald errichtet, was allein schon den Beherrschungstatbestand des § 17 Abs. 1 AktG erfüllt bzw. für die Erfüllung der Abhängigkeitsvermutung gem. § 36 Abs. 2 S. 1 GWB i.V.m. § 17 Abs. 2 AktG ausreicht. Diese Vorschriften werden sinngemäß auch auf andere Unternehmensformen übertragen,20 was öffentlich- rechtliche Körperschaften gerade nicht ausschließt. Denn ein Unternehmen wird unabhängig von seiner Organisationsform regelmäßig auf das in seinem alleini- gen Besitz stehende Unternehmen Einfluss nehmen. Jedem Inhaber/Träger

16 Schreiben des kfm. Direktors vom 24.02.2006 an die Beschlussabteilung. 17 Stellungnahme (zur Abmahnung) vom 20.11.2006, S. 2. 18 Stellungnahme (zur Abmahnung) vom 20.11.2006, S. 3f. 19 Landesverordnung über die Errichtung des Universitätsklinikums Greifswald der Ernst-Moritz-Arndt- Universität Greifswald als Anstalt des öffentlichen Rechts vom 24. September 2002, Mitteilungsblatt des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur Mecklenburg-Vorpommern, Nr. 11/2002, S. 703 ff so- wie GVOBl. M-V S. 681. 20 Koppensteiner in Kölner Kommentar zum AktG, 2. Aufl. 1988, § 17 Rn. 67 ff; Windbichler, in Groß- kommentar AktG, 4. Aufl., Stand 1.7.1998, § 17 Rn. 27ff. 10

bleibt selbst überlassen, ob er unternehmerische Aktivitäten in seiner Person be- treibt (im öffentlich-rechtlichen Bereich z.B. als Eigenbetrieb) oder diese etwa in eine verselbständigte Körperschaft ausgliedert. Für die objektiv vorzunehmende konzernrechtliche Zurechnung dieser Aktivitäten spielt die Rechtsform keine Rol- le. 23. Daran, dass auch Körperschaften öffentlichen Rechts von ihrem alleinigen Inha- ber bzw. Träger im konzernrechtlichen Sinne abhängig sind, bestehen keine ver- nünftigen Zweifel. Die Argumentation der Antragstellerin kann deshalb nur in der Weise verstanden werden, dass sie incidenter behauptet, das Universitätsklini- kum Greifswald habe ein solch hohes Maß an wirtschaftlicher und sonstiger Au- tonomie erlangt, dass es – ausnahmsweise – noch nicht einmal seinem alleini- gen Inhaber/Träger konzernrechtlich zugerechnet werden könne. Jedoch ist eine solche Argumentation – jedenfalls nach Aktienrecht – gar nicht möglich, weil die Widerlegungsmöglichkeit der Abhängigkeitsvermutung nach § 17 Abs. 2 AktG bereits die Existenz mehrerer Gesellschafter voraussetzt. Denn Beherrschung und Kontrolle durch den Alleineigentümer kann nicht in Frage gestellt werden. 24. Dem steht auch nicht entgegen, dass sich das Land Mecklenburg-Vorpommern bei dem Universitätsklinikum Greifswald im Hinblick auf die Besetzung des Auf- sichtsrates derzeit darauf beschränkt, den/die Vorsitzende(n) des Aufsichtsrats sowie einzelne andere Aufsichtsratsmitglieder zu berufen.21 Denn das Land hat kraft seiner Rechtsetzungs- und Satzungskompetenz letztlich immer die Möglich- keit, die zugunsten der Universität und ihrer Angehörigen bestehenden Entschei- dungsfreiräume wieder zurückzunehmen. Davon abgesehen hat sich das Land im Hinblick auf bestimmte unternehmensstrategische Entscheidungen (u.a. Be- schlussfassung über den Wirtschafts- und Stellenplan) ohnehin das Letztent- scheidungsrecht vorbehalten.22 Angesichts dieser sowohl grundlegenden als auch bis in das operative Geschäft hineinreichenden Kompetenzen des Landes erübrigt sich eine detailliertere Erörterung der tatsächlichen Einflussnahmen des Landes auf das Universitätsklinikum. Die von der Anmelderin im Einzelnen dar-

21 § 4 Abs. 5 der Landesverordnung vom 24. September 2002, aaO. i.V.m. § 4 der Satzung des Universi- tätsklinikums Greifswald der Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald vom 7. Mai 2003, Anlage A4 der Anmeldung vom 27.07.2006. 22 Zustimmungsvorbehalt gemäß § 4 Abs. 1 und 5 der Landesverordnung vom 24.09.2002, aaO., S. 704. 11

gelegten Entscheidungsfreiräume des Klinikums23 betreffen lediglich bestimmte Maßnahmen des operativen Tagesgeschäfts. 25. Auch wenn das Land seine rechtlichen Beherrschungsmöglichkeiten tatsächlich nicht in Anspruch nehmen würde, spräche dies nicht gegen die konzernrechtliche Abhängigkeit des Klinikums. Selbst bei bloßen Mehrheitsbeteiligungen ist eine tatsächliche Ausübung für den beherrschenden Einfluss nach § 17 Abs. 1 AktG nicht erforderlich, sondern es genügt die Möglichkeit der Einflussnahme, soweit diese beständig und umfassend gewährt ist.24 Erst recht ist das Land als alleini- ger Träger kraft seiner Rechtsetzungskompetenz sowohl in der Lage, seine Kon- trollmöglichkeiten über das Universitätsklinikum zu intensivieren, als auch dessen grundlegenden Strukturen zu ändern.25 26. Die Umsatzerlöse des Landes Mecklenburg-Vorpommern liegen auch oberhalb der 500-Millionenschwelle. Bei der Umsatzberechnung sind die Umsätze der be- teiligten Unternehmen einschließlich der mit ihnen nach § 36 Abs. 2 GWB ver- bundenen Unternehmen aus allen sachlichen und räumlichen Tätigkeitsgebieten zu berücksichtigen26 und nicht nur die Klinik-Umsätze.27 Auf die Frage, in wel- cher Rechtsform oder Betriebseinheit Umsätze erzielt werden, kommt es nicht an, so dass auch unselbständige Landesbetriebe und Sondervermögen einbezo- gen werden. Entgegen der Auffassung des Landes, nach der es sich bei den Sondervermögen nicht um Umsatzerlöse i.S.d. § 277 HGB handele28, gelten die Umsätze der „Staatslotterien Lotto und Toto in Mecklenburg-Vorpommern“ ohne weiteres als Umsatzerlöse,29 da es sich bei der Veranstaltung von Glücksspielen

23 Stellungnahme (zur Abmahnung) vom 20.11.2006, S. 3f: Erweiterung des MVZ um weitere Fachrich- tungen / Erwerb von weiteren Tochtergesellschaften im Bereich Krankenhauslogistik / Geschäftsfelder- weiterung der Service Zentrum Gesellschaft z.B. im Bereich Sterilisation / Gründung von Zentren zur Behandlung spezieller Erkrankungen, z.B. Spine Center, Gefäßzentrum, Handzentrum / Schwerpunktbil- dung durch Eröffnung neuer Stationen, z.B. Weaning-Station, Pneumologische Station / Errichtung von speziellen Behandlungsmöglichkeiten für ausländische Patienten / Kooperation mit Krankenkassen (In- tegrierte Versorgung) / Kooperation mit Gebietskörperschaften wg. Rettungsdienst / Kooperation mit an- deren Gesundheitseinrichtungen und Krankenhäusern. 24 Hüffer, AktG, 6. Aufl. 2004, § 17 Rn. 4, 6; Windbichler in Großkommentar AktG, 4. Aufl., Stand 1.7.1998, § 17 Rn. 19. 25 In anderen Bundesländern werden Universitätskliniken sogar privatisiert, wobei auch der Veräuße- rungserlös dem jeweiligen Land zusteht. 26 Bechtold, GWB, 4. Aufl. 2006, § 38 Rn. 3. 27 So aber Stellungnahme vom 20.11.2006, S. 4f. 28 Schreiben des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur Mecklenburg-Vorpommern vom 30.11.2006, S. 2. 29 Nach dem Firmenprofil in Hoppenstedt Großunternehmen (www.hoppenstedt-grossunternehmen.de) ist die Geschäftstätigkeit der Verwaltungsgesellschaft Lotto und Toto in Mecklenburg-Vorpommern mbH - als 100%ige Tochtergesellschaft des Landes M-V - die Durchführung von Lotterien und Sportwetten. Dort wird als Umsatz für das Jahr 2005 EUR 116,6 Mio. angegeben. 12

um eine gewerbliche Dienstleistung handelt30 und Erlöse aus Dienstleistungen ebenfalls in § 277 HGB ausdrücklich erwähnt werden. Weder eine besondere Zweckbestimmung31 noch die Tatsache, dass ein Teil der Einnahmen wieder ausgeschüttet werden, ändert die Qualifizierung und die Quantifizierung der Um- sätze. Schon aus der im Gesetz gesondert geregelten Behandlung von Handels- umsätzen (§ 38 Abs. 2 GWB: Ansatz nur zu 75%) ist zu folgern, dass es darüber hinaus keine weiteren Abzugsmöglichkeiten gibt. Insbesondere spielen die Wert- schöpfung oder gar der im Unternehmen verbleibende Ertrag für die Umsatzer- mittlung keine Rolle. 27. Der Hinweis des Landes Mecklenburg-Vorpommern, dass die von ihm selbst an- gegebenen Umsatzerlöse nicht die Anforderungen gemäß § 38 Abs. 1 Satz 2 und § 38 Abs. 2 GWB (Abzug von Konzern-Binnenumsätzen und Verbrauch- steuern) berücksichtigen würden32 ist unbeachtlich. Abgesehen davon, dass es allein Aufgabe des Landes selbst ist, diese Berechnungen durchzuführen und es sich deshalb auf einen fehlenden Abzug nicht berufen dürfte (venire contra fac- tum proprium), ist diese Frage hier nicht relevant, weil die angegebenen Umsätze ganz überwiegend aus den Bereichen Krankenhäuser und Lotto/Toto stammen. Diese Umsatzerlöse sind aber bereits kraft Gesetzes (§ 4 Nr. 9 b und Nr. 16 UStG) von der Mehrwertsteuer befreit und das Vorliegen von Binnenumsätzen kommt insoweit ebenfalls nicht in Betracht.

II. MATERIELLE UNTERSAGUNGSVORAUSSETZUNGEN

1. Sachlich relevanter Markt 1.1 Allgemeines 28. Das Zusammenschlussvorhaben betrifft den Markt für Krankenhausdienstleistun- gen, der auch als Krankenhausmarkt bezeichnet wird. Es handelt sich um den Angebotsmarkt für stationäre medizinische Dienstleistungen, die von den Kran- kenhäusern gegenüber ihren Patienten erbracht werden. Davon abzugrenzen

30 Vgl. „Klassifikation der Wirtschaftszweige“ des Statistischen Bundesamtes, Abschnitt O unter 92.7 „Erbringung von sonstigen Dienstleistungen für Unterhaltung, Erholung und Freizeit“, 92.71 „Spiel-, Wett- und Lotteriewesen“, 92.71.3 „Wett-, Toto- und Lotteriewesen: - Verkauf von Lotterielosen. 31 Der Dienstleistungsbegriff ist weit und auch öffentlich-rechtliche Gebühren können Umsätze iSd. GWB sein, wie z.B. die Rundfunkgebühren (KG WuW/E 4811 ff, 4824 f. Radio WDR). 32 Schreiben des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur Mecklenburg-Vorpommern vom 30.11.2006, S. 2. 13

sind im Klinikbereich im Wesentlichen nur die Märkte für Rehabilitationseinrich- tungen sowie für Alten- und Pflegeheime. Reine Privatkliniken (insb. für sog. Schönheitschirurgie), die nicht in die Krankenhauspläne der Länder aufgenom- men sind und auch keine Verträge nach § 108 SGB V mit den Krankenkassen abgeschlossen haben, werden ebenfalls nicht in den allgemeinen Krankenhaus- markt einbezogen, weil ihre Leistung mangels Erstattung seitens der Kranken- kassen von den Patienten in aller Regel nicht als realistische Alternative angese- hen wird. Jedoch gehören Fachkliniken in der Regel genauso in den Kranken- hausmarkt wie eine Unterteilung des Marktes in einzelne Fachrichtungen bzw. Abteilungen eines Krankenhauses grundsätzlich abzulehnen ist.33

1.2 Keine Relevanz einer engeren Marktabgrenzung im konkreten Fall 29. Zwar hat das Oberlandesgericht Düsseldorf in dem Beschwerdeverfahren Rhön Klinikum AG u.a. ./. Bundeskartellamt34 wegen der Untersagung des Erwerbs der Kreiskrankenhäuser Bad Neustadt und Mellrichstadt durch Rhön einen Beweis- beschluss mit Datum vom 05.10.2005 erlassen, aus dem hervorgeht, dass der Kartellsenat derzeit die sachliche Marktabgrenzung im Krankenhausmarkt fach- abteilungsbezogen sieht und innerhalb der Abteilungen auch unterschiedliche Märkte im Hinblick auf die verschiedenen Versorgungsstufen abgrenzt. Diese dif- ferenzierte Art der sachlichen Marktabgrenzung bedeutet eine strukturelle Ver- engung des Marktes, indem der Krankenhausmarkt als „Vollversorgungsmarkt“ in zahlreiche einzelne und kleinere Fachabteilungsmärkte aufgespalten wird. Jede engere Marktabgrenzung – sei es in sachlicher oder in räumlicher Hinsicht – führt jedoch auch zum Ausweis höherer bzw. niedrigerer Marktanteile in den unter- schiedlichen Einzelmärkten. Da aber bereits die Marktbeherrschung in einem einzigen Markt den Untersagungstatbestand begründet, führt eine solche Veren- gung des Marktes zur früheren und häufigeren Annahme von Marktbeherr- schung. Demzufolge kann in solchen Fällen, in denen bereits eine in Relation zum OLG Düsseldorf weitere Marktabgrenzung zum Ergebnis einer marktbeherr- schenden Stellung führt, insoweit die Frage der zutreffenden Marktabgrenzung

33 Zu den Grundlagen der sachlichen Marktabgrenzung durch die zuständige Beschlussabteilung in Kran- kenhausfällen wird verwiesen auf die Begründung zum Beschluss B10-109/04 vom 23.03.2005, Tz. 63 - 82. 34 VI-Kart 6/05 (V). Zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit der engeren sachlichen Marktabgrenzung des OLG Düsseldorf s. auch die Beschlüsse B10-70/05 vom 16.12.2005 (Klinikum Nürnberg/LKr Nürn- berger Land) Tz. 22ff sowie B10-90/05 vom 08.03.2006 (UKE/Altonaer Kinderkrankenhaus), Tz. 10ff (= S. 16ff). 14

dahinstehen, weil die Auffassung des OLG Düsseldorf erst recht zur Annahme von Marktbeherrschung - wenn auch auf anderen, kleineren sachlichen Märkten - führen würde (siehe hierzu auch Tz. 108, 133f). 30. Davon abgesehen erbringt praktisch jedes Krankenhaus in erheblicher Weise standortgebundene Querschnittsleistungen (z.B. Diagnostik), die von den fach- abteilungsbezogen medizinischen Leistungen losgelöst sind, die aber für die Pa- tienten als Nachfrager der Leistungen erhebliche Bedeutung haben. Hinzu kom- men solche Wettbewerbsparameter wie Qualität der medizinischen Pflege, die Unterbringung und die Verpflegung, die das qualitative Erscheinungsbild eines Krankenhauses als Ganzes in erheblicher Weise mit prägen. Dies schließt nicht aus, dass sich kleinere und meist private Kliniken oder auch ganze Kranken- hausketten ggf. nur auf bestimmte Fachbereiche (z.B. Psychiatrie oder Augen- heilkunde) spezialisieren können, um als Spezialist auf den verschiedenen regi- onalen Krankenhausmärkten erfolgreich zu sein. In solchen Fällen ist eine zu- sätzliche Betrachtung solcher möglicher Spezialmärkte erforderlich, was aber ge- rade in Mecklenburg-Vorpommern nicht erforderlich erscheint. Denn die relativ geringe Bevölkerungsdichte erschwert hochgradige Spezialisierungen, so dass hier weit überwiegend die Allgemeinkrankenhäuser das Bild der gesamten Kran- kenhauslandschaft prägen. Letztlich ist die Heterogenität und Komplexität des Marktes im Hinblick auf die Breite und die Qualität der angebotenen Leistungen im Rahmen der materiellen Beurteilung des Zusammenschlussvorhabens zu be- rücksichtigen und zu prüfen, inwieweit sich das unterschiedliche Angebot der Wettbewerber auf ihre Fähigkeit auswirkt, den wettbewerblichen Verhaltenspiel- raum der am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen hinreichend zu kontrol- lieren.

1.3 Kein bundesweiter Krankenhaus-Markt für Universitätskliniken 31. Die Anmelderin ist der Auffassung, dass das Zusammenschlussvorhaben einen eigenständigen Markt für Universitätskliniken betreffe. Dessen Dienstleistungs- spektrum unterscheide sich durch den Bereich Forschung und Lehre deutlich von dem anderer akutstationärer Krankenhäuser, welche lediglich im Bereich Patien- tenversorgung tätig seien.35 Angesichts von über 30 Universitätskliniken, die weit verstreut in der gesamten Bundesrepublik liegen, würde den beiden eher kleine-

35 Stellungnahme (zur Abmahnung) vom 4. Dezember 2006, S. 8. 15

ren Universitätskliniken des Landes Mecklenburg-Vorpommern keine marktbe- herrschende Stellung zukommen.36 32. Im Einzelnen macht die Anmelderin folgendes geltend:37 - Hauptaufgabe von Universitätskliniken sei gemäß Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG primär Forschung und Lehre.38 Die Krankenversorgung sei „lediglich Basis für den durch das Universitätsklinikum zu leistenden Forschungs- und Lehrauf- trag.“39 Das Bundeskartellamt übersehe, „dass das Universitätsklinikum Greifswald nicht allein im Bereich der Patientenversorgung tätig ist, sondern vielmehr vordergründig Dienstleistungen für Forschung und Lehre bereit stellt.“40 Es verkenne zudem, „dass der Umstand, dass das Universitätsklini- kum Greifswald neben der Maximal- und Schwerpunktversorgung einen ho- hen Anteil an Grund- und Regelversorgung erfüllt, gerade nicht gegen, son- dern für einen eigenen Markt der Universitätskliniken spricht.41 Denn die Grund- und Regelversorgung der regionalen Bevölkerung sei am Universi- tätsklinikum Greifswald besonderer Schwerpunkt der universitären Forschung („Versorgungsepidemiologie“, Forschungsschwerpunkt „Community Medici- ne).42 - Gemäß § 97 Abs. 1 und 2 des Gesetzes über die Hochschulen des Landes Mecklenburg-Vorpommern sei ein Universitätsklinikum eine zentrale Be- triebseinheit der Hochschule und gliedere sich u.a. in Kliniken und medizini- sche Institute. In den Instituten fände vornehmlich – fachübergreifend experi- mentelle und klinische – Forschung statt. - Im Vergleich zu Allgemeinkrankenhäusern seien die erbrachten Leistungen nicht funktionell austauschbar. Insbesondere für schwerstkranke Patienten oder solche mit seltenen Erkrankungen seien Universitätskliniken wegen ihrer modernsten Technik und des hohen Forschungsniveaus nicht mit Allgemein- krankenhäusern austauschbar. - Das Kreiskrankenhaus Wolgast verfüge mit den Abteilungen für Inneres, Chi- rurgie, Gynäkologie, Pädiatrie und HNO über ein Grundsortiment an klassi-

36 Anmeldung vom 27.07.2006, S. 14 – 21. 37 Anmeldung vom 27.07.2006, S. 14 – 21 sowie Stellungnahme (zur Abmahnung) mit Schreiben vom 4. Dezember 2006, S. 2 ff. 38 Unter Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 8.04.1981 – 1 BvR 608/79, BVerfGE 57,70 (95). 39 Stellungnahme (zur Abmahnung) vom 4. Dezember 2006, S. 2. 40 Stellungnahme (zur Abmahnung) vom 4. Dezember 2006, S. 2. 41 Stellungnahme (zur Abmahnung) vom 4. Dezember 2006, S. 4. 42 Stellungnahme (zur Abmahnung) vom 4. Dezember 2006, S. 2.

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schen Fachabteilungen, welches in fast jedem Krankenhaus vorgehalten werde. Diese Abteilungen würden vollumfänglich auch von den umliegenden Krankenhäusern Kreiskrankenhaus , Hanse-Klinikum , Sa- na-Krankenhaus sowie Klinikum Neubrandenburg erbracht. Im Ame- os-Diakonie-Klinikum in Anklam fehle lediglich die HNO-Abteilung. 33. Der Anmelderin ist insoweit zuzustimmen, als Universitätskliniken auch andere Aufgaben und andere Möglichkeiten haben, als die lokale/regionale Bevölkerung mit allgemeinen Krankenhausdienstleistungen zu versorgen. Universitäten sind relativ frei, sich neben Forschung und Lehre anderen Bereichen bzw. anderen unternehmerischen Tätigkeiten vielfältigster Art zuzuwenden.43 Das Kranken- haus ist lediglich ein einzelner Teilbereich der universitären Aktivitäten, aber nur um diesen geht es hier. Universitätskliniken sind in den jeweiligen Krankenhaus- plänen der Länder erfasst, sie dienen der Krankenhausversorgung der Bevölke- rung und sie verhandeln ihre Budgets bzw. rechnen ihre Fälle genauso mit den Krankenkassen ab, wie andere Kliniken auch. Dies gilt im übrigen auch dann, wenn nicht mehr die Universität bzw. das Land der Träger ist, sondern aufgrund einer Privatisierung die Universitätsklinik von einer privaten Krankenhauskette geführt wird. 34. Universitätskliniken sind wie andere Krankenhäuser auch in die Krankenhaus- pläne der Bundesländer aufgenommen. Sie dienen – neben ihren akademischen Zielen – der lokalen bzw. regionalen Krankenhausversorgung der Bevölkerung. Unklar bleibt, inwieweit die Universitätsklinik Greifswald auf einem angeblichen bundesweiten Markt für Universitätskliniken tätig sein will. Insoweit ist zu berück- sichtigen, dass die Gesamtzahl der stationären Behandlungen der Universitäts- klinik unterhalb von [33.000] Fällen liegt, gleichzeitig aber mehr als [29.000] Fälle allein aus der von der Beschlussabteilung abgefragten Region (nordöstliche Hälf- te von Mecklenburg-Vorpommern) rekrutiert werden. Die Differenz von kaum mehr als [...] Fällen kann auf alle übrigen Regionen Mecklenburg-Vorpommerns sowie der gesamten übrigen Bundesrepublik entfallen. Wenn zusätzlich berück- sichtigt wird, dass darunter angesichts der unmittelbar in der Ferienregion Ostsee (Rügen und ) befindlichen Lage des Universitätsklinikums zahlreiche Ur- lauberpatienten enthalten sein dürften, die nur urlaubsbedingt in Greifswald be- handelt wurden, so wird erkennbar, dass die Universitätsklinik Greifswald (wie

43 Z.B. Ausgründungen von Unternehmen im naturwissenschaftlich-technischen Bereich. 17

andere Universitätskliniken und Maximalversorger auch) im Hinblick auf die Krankenhausversorgung nahezu ausschließlich regionale Bedeutung hat. 35. In den regionalen Krankenhausmärkten hingegen ist die Auswahlentscheidung – auch bei schwerwiegenden Erkrankungen – keineswegs auf Universitätskliniken beschränkt. Es gibt nur einzelne spezielle Behandlungen, die schon aufgrund des mit ihnen verbundenen enormen technischen Aufwands und der Vorhaltung medizinischer Kompetenz lediglich an wenigen Standorten stattfinden können. Dies gilt beispielsweise für Transplantationszentren oder ähnliche Einrichtungen, so dass insoweit tatsächlich eigenständige Spezialmärkte mit ggf. landesüber- greifender Bedeutung abgegrenzt werden könnten. Zahlenmäßig fallen diese Spezialfälle innerhalb des Marktes für Krankenhausdienstleistungen allerdings praktisch nicht ins Gewicht. Im übrigen würde man insoweit auch nicht formal nach Universitätskliniken und anderen Kliniken abgrenzen, sondern nach den konkreten medizinischen Leistungen. Anbieter können neben anderen großen Krankenhäusern (sog. „Maximalversorger“) auch hochspezialisierte Fachkliniken sein. Dies zeigt sich nicht zuletzt am Beispiel der Krankenhausversorgung in Greifswald und Umgebung selbst. In dieser Region verfügt nämlich gerade nicht das Universitätsklinikum Greifswald über eine hochspezialisierte Herzchirurgie44, sondern ausschließlich das mit lediglich 216 Planbetten wesentlich kleinere Klini- kum Karlsburg, das als Herz- und Diabetes-Zentrum für das Land Mecklenburg- Vorpommern ausgewiesen ist. 36. Dagegen sind die Bereiche Forschung und Lehre von dem Krankenhausmarkt zu differenzieren. Zwar kommt jedenfalls der Bereich der klinischen Forschung als Markt im Sinne des GWB in Betracht. So geht eine Studie45 davon aus, dass die Unternehmen im Jahr 2003 in Deutschland rund 1,5 Mrd. € in die klinische Ent- wicklung neuer Medikamente investiert hätten.46 Da klinische Forschung i.d.R. unabhängig von räumlichen Standorten betrieben werden kann, könnten die Märkte in diesem Bereich eher weit, also z.B. bundesweit oder sogar europa- bzw. weltweit abzugrenzen sein. Zudem würde es sich nicht zwingend um einen „Markt für Universitätskliniken“ handeln, selbst wenn ein großer Teil der klini-

44 Ebenso wenig ist die Uniklinik Greifswald Transplantationszentrum. 45 Nach FTD vom 21.09.2006, aaO.: Studie von A.T. Kearney und der Fraunhofer Gesellschaft München. 46 Laut FTD aaO. entfallen 45 % aller Forschungsausgaben der Pharmaunternehmen in Deutschland auf die klinische Forschung (insb. Phase-III-Studien). 18

schen Forschung von Universitäten bzw. über deren Tochterunternehmen47 oder das Koordinierungszentrum für Klinische Studien (KKS) geleistet wird. Letztlich kann hier aber dahinstehen, ob und inwieweit es sich bei den Bereichen For- schung und Lehre um eigenständige Märkte im Sinne des Kartellrechts handelt. Denn es steht nicht in Frage, dass der beabsichtigte Erwerb des Kreiskranken- hauses Wolgast in erster Linie Auswirkungen auf den Markt für die akutstationä- re Krankenversorgung hat. Ein Zusammenschluss ist aber bereits dann zu unter- sagen, wenn die Untersagungsvoraussetzungen der Fusionskontrolle nur auf ei- nem einzigen vom Zusammenschluss betroffenen Markt erfüllt sind. Jedenfalls bei einem – wie hier – rechtlich und wirtschaftlich unteilbaren Zusammenschluss ist dieser insgesamt zu untersagen.48

1.4 Keine Differenzierung nach Angebotsbreite und -tiefe 37. Die Auffassung der Anmelderin könnte dagegen unter dem Gesichtspunkt der sachlichen Marktabgrenzung von Krankenhausdienstleistungen Bedeutung er- langen. Soweit sie behauptet, dass die in den Universitätskliniken erbrachten Leistungen sachlich nicht vergleichbar und erst recht nicht funktionell austausch- bar mit dem medizinischen Angebot normaler Allgemeinkrankenhäuser seien, nimmt sie eine Unterteilung des von der Beschlussabteilung angenommenen sachlich relevanten Gesamtmarktes „akutstationäre Krankenhausleistungen“ vor. Eine solche Differenzierung käme im Hinblick auf die unterschiedliche Angebots- breite (Stichworte: Grundsortiment oder spezialisiertes Zusatzangebot wie Au- genheilkunde, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie etc.) und auch im Hinblick auf die unterschiedliche Angebotstiefe (Stichworte: Grund-/Regelversorgung oder Ma- ximalversorgung bzw. sog. Spitzenmedizin) der jeweiligen Krankenhäuser in Be- tracht. Letztlich macht sich die Antragstellerin damit die oben dargestellte – vor- läufige - Auffassung des Kartellsenats des OLG Düsseldorf im Beweisbeschluss zu eigen, ohne jedoch die Konsequenz zu ziehen und den Krankenhausmarkt in die entsprechenden Fachgebiete und Versorgungsstufen konkret einzuteilen. 38. Im Folgenden wird daher kurz der Ermittlungsansatz und die Ermittlungsergeb- nisse der Beschlussabteilung im Beschwerdeverfahren Rhön AG/ Landkreis Bad Neustadt referiert und im weiteren dargestellt, dass sich bezogen auf das hier be-

47 Z.B. in : Charité Research Organisation, Hannover: Hannover Clinical Trial Center, , Schleswig-Holstein. 48 Ruppelt in Langen/Bunte, Band 1, 10. Aufl. 2006, § 40 Rn. 6. 19

troffene Zusammenschlussverfahren und die betroffenen Krankenhäuser keine Anhaltspunkte ergeben, die die Übertragung dieser Ergebnisse auf den vorlie- genden Fall zweifelhaft erscheinen ließe.

1.4.1 Ermittlungen des Bundeskartellamtes

(1) Ermittlungskonzept 39. Die Beschlussabteilung hat in dem bei dem Kartellsenat des OLG Düsseldorf anhängigen Verfahren B10-123/04 (Rhön/Landkreis Rhön-Grabfeld)49 die kon- krete Leistungsstruktur50 bei allen Krankenhäusern in Bayern abgefragt und die Ergebnisse analysiert. Hierbei hat sich herausgestellt, dass sowohl eine fachrich- tungsbezogene Marktabgrenzung als auch eine Abgrenzung nach Versorgungs- stufen aufgrund des erheblichen Überschneidungsbereichs zwischen den Fach- abteilungen und den Krankenhäusern unterschiedlicher Versorgungsstufen abzu- lehnen ist. 40. Die Beschlussabteilung hat alle bayerischen Krankenhäuser danach befragt, wel- che und wie viele Fälle ein Krankenhaus in welcher Fachabteilung im Jahre 2004 behandelt hat. Ein Fall wurde definiert nach der abgerechneten Leistung im Sin- ne der DRG-Liste des Jahres 2004. Damit konnte die Beschlussabteilung im Grundsatz für jeden einzelnen abgerechneten Fall feststellen, welche und wie viele von diesen Leistungen (DRG) erbracht wurden und zwar in welchen Fach- abteilungen und in welchem Krankenhaus der unterschiedlichen Versorgungsstu- fen. 41. Das Bundeskartellamt ist dabei davon ausgegangen, dass die Leistungsbe- schreibung nach dem DRG-Katalog den am besten geeigneten Maßstab zur Leistungsbeschreibung darstellt. Denn die DRG beschränken sich nicht auf die Beschreibung einer Erkrankung, sondern verbinden sie mit der Art der Behand- lung, so dass die DRG die erbrachte Leistung eines Krankenhauses im Hinblick auf die Versorgungstiefe am besten widerspiegeln. Darüber hinaus lässt die Feingliederung der DRG – es handelte sich im Jahre 2004 um mehr als 800 ein- zelne DRG – eine ausreichende Trennschärfe im Hinblick auf eine Zuordnung zu Versorgungsstufen einerseits und zu Fachabteilungen andererseits erwarten. Al-

49 OLG Düsseldorf, Rhön-Klinikum AG u.a. ./. Bundeskartellamt, Aktz.: VI – Kart 6/05 (V). 50 Mit Ausnahme von Psychiatrie/Kinder-und Jugendpsychiatrie/Psychosomatik, für die keine DRG beste- hen. 20

lerdings ist auch hier keine „Einzelfallgerechtigkeit“ in dem Sinne zu erwarten, dass jeder individuelle Behandlungsfall eine punktgenaue Zuordnung im Hinblick auf das medizinisch-technische Leistungsvermögen zulässt. Hierauf kommt es bei der generalisierenden Betrachtung im Rahmen der Marktabgrenzung bei der Fusionskontrolle ohnehin nicht an, da die DRG nur individuelle „Produkte“ in ei- nem größeren sachlich relevanten Markt darstellen. Ein weiterer Vorzug der DRG ist aus wettbewerblicher Sicht, dass es sich nicht um krankenhausplanerische Vorgaben handelt, sondern die DRG tatsächliche Marktleistungen beschreiben, die konkret definiert sind, denen bestimmte Preise zugeordnet werden und über deren mengenmäßigen Leistungsumfang verhandelt wird. Unterschiedliche Leis- tungstiefen oder Schweregrade, die innerhalb ein und derselben DRG auftreten, werden danach jedenfalls von den betroffenen Wirtschaftskreisen als nicht so er- heblich angesehen, dass sich hieraus ein unterschiedliches Entgelt ableiten lie- ße. Den DRG kommt daher nach Auffassung der Beschlussabteilung unter den gegebenen sozialrechtlichen Rahmenbedingungen die größte Marktnähe zu, sie stellen daher für den zu beurteilenden Sachverhalt die bestmögliche Differenzie- rung der in Krankenhäusern erbrachten Leistungen dar. 42. Durch die Abfrage der DRG für jeden einzelnen Behandlungsfall, den das einzel- ne Krankenhaus in seinen einzelnen Fachabteilungen erbracht hat, lässt sich somit objektiv, d.h. ohne subjektive Wertungseinflüsse Dritter feststellen, welche Leistungen in welchen Krankenhäusern welcher Versorgungsstufe und in wel- cher Fachabteilung tatsächlich erbracht worden sind. Die festgestellten absoluten Zahlen über die tatsächlich durchgeführten Behandlungsfälle für die einzelnen Leistungen (DRG) lassen sich dann prozentual in sog. Behandlungsquoten dar- stellen, die z.B. angeben, zu wie viel Prozent eine bestimmte Leistung (DRG) in Krankenhäusern der Regelversorgung oder einer anderen Versorgungsstufe er- bracht worden ist. 43. Dies schließt natürlich nicht das Wertungsproblem aus, ab welcher absoluten Zahl (oder ab welcher Behandlungsquote) die Schlussfolgerung berechtigt ist, dass es sich um eine Leistung (DRG) handelt, die „üblicherweise“ in einem Kran- kenhaus einer bestimmten Versorgungsstufe oder einer Fachklinik erbracht wird. Das Bundeskartellamt hat insofern davon abgesehen, für die Üblichkeit einen einheitlichen Schwellenwert - im Sinne einer Behandlungsquote - zugrunde zu legen. Es hat demgegenüber versucht, über ein Stufenmodell zu einer sachge- 21

rechten Zuordnung zu gelangen, um so eine möglichst transparente und nach- vollziehbare Begründung seiner Auffassung zu ermöglichen. 44. Die Ergebnisse dieser Ermittlungen beruhen auf den Angaben von bayerischen Krankenhäusern, auf die ca. 83% aller Betten entfallen. Insgesamt wurden mehr als 2 Mio. Einzelfälle zugeordnet.

(2) Ermittlungsergebnisse im Hinblick auf die Versorgungsstufen (-tiefe) 45. Die Beschlussabteilung geht davon aus, dass nach ihren Ermittlungen und ihrer Wertung mindestens 82,7% aller Fälle, d.h. unter Einschluss aller Versorgungs- stufen und Fachrichtungen, als Fälle zu interpretieren sind, die im Sinne des Be- weisbeschlusses des OLG Düsseldorf „üblicherweise“ dem Leistungsumfang von Krankenhäusern der Versorgungsstufen I und II – hier als Regelversorgung be- zeichnet - entsprechen. Aufgrund der erheblichen Überschneidungen im Leis- tungsbereich der betroffenen Krankenhausgruppen ist das Bundeskartellamt der Auffassung, dass eine Differenzierung des sachlichen Marktes nach Versor- gungsstufen nicht sachgerecht ist. 46. Die Beschlussabteilung hat drei Kriterien benannt, um festzustellen, ob eine ein- zelne Leistung „üblicherweise“ der Regelversorgung zuzuordnen ist. Dies sind: (RV1) die Leistungen (DRG) die überwiegend, also zu mehr als 50%, in Kran- kenhäusern der Stufe 1+2 erbracht werden (Stufe 1 = RV1) (RV2) die Leistungen (DRG), bei denen der Behandlungsanteil der Regelversor- gung zwar nicht 50% erreicht, aber in Krankenhäusern der Schwerpunkt (SV)-, Maximalversorgung (MV, einschließlich Universitätskliniken) sowie in Fachkrankenhäusern (FKH) auch kein höherer Behandlungsanteil er- reicht wird. (RV3) die Leistungen (DRG), die zwar nicht die häufigsten Fallzahlen in Kran- kenhäusern der Regelversorgung erreichen, aber auch keine eindeutige Zuordnung auf eine andere Krankenhausgruppe möglich ist, weil die be- stimmte Leistung von mehr oder weniger allen Krankenhausgruppen er- bracht wird, ohne dass sich ein bestimmter Schwerpunkt herausgebildet hat. Damit sind diese Leistungen solche Leistungen, die auch üblicherwei- se in Krankenhäusern der Regelversorgung erbracht werden. 47. Das Ergebnis der Ermittlungen ist in der folgenden Tabelle zusammengefasst dargestellt. 22

Tabelle 1: Verteilung der Leistungen auf Versorgungsstufen

Stufen DRG Behandlungsquote Fälle Anzahl Gewicht RV SV MV FKH Anzahl Gewicht RV1 57 7,1% 55,9% 23,0% 11,2% 9,9% 292.801 13,4% RV2 287 35,6% 41,6% 25,8% 18,9% 13,7% 1.155.413 53,1% RV3 150 18,7% 24,7% 30,0% 26,8% 18,6% 352.947 16,2% RV 494 61,4% 40,6% 26,2% 19,2% 14,1% 1.801.161 82,7% SV 40 5,0% 13,3% 39,0% 25,2% 2,6% 82.997 3 ,8% FKH 44 5,5% 9,0% 13,5% 25,9% 51,5% 68.018 3,1% MV 228 28,3% 11,6% 19,6% 53,2% 15,7% 225.998 10,3% Total 806 100% 35,6% 25,6% 23,1% 15,7% 2.178.174 100%

48. Nach den Ermittlungen gibt es danach insgesamt 494 DRG, auf die ca. 1,8 Mio. Fälle aller Fälle entfallen, die den Kriterien RV1, RV2 und RV3 genügen und da- mit zumindest als Fälle angesehen werden dürfen, die üblicherweise auch in Krankenhäusern der Regelversorgung behandelt werden. Dies entspricht 82,7% aller Behandlungsfälle. 49. Aufgrund der Zuordnung jeder Leistung zu den einzelnen Krankenhausgruppen konnten die Fallzahlen zusammengefasst werden und daraus für jede einzelne Krankenhausgruppe berechnet werden, wie hoch die Anzahl und der Anteil der Fälle ist, die „üblicherweise“ in Krankenhäusern der Regelversorgung bzw. „übli- cherweise“ in den anderen Krankenhausgruppen behandelt werden. Die prozen- tuale Fallverteilung ergibt sich aus der folgenden Tabelle.

Tabelle 2: Anteil der Regelversorgungsfälle in den Versorgungsstufen

Gesamt Kranken- Kranken- Kranken- Fachkran- haus d. RV haus d. SV haus d. MV kenhaus FKH RV1 13,4% 21,1% 12,1% 6,5% 8,7% RV2 53,1% 62,0% 53,5% 43,3% 46,3% RV3 16,2% 11,3% 19,0% 18,7% 19,1% RV 82,7% 94,4% 84,6% 68,5% 73,9% SV 3,8% 1,4% 5,8% 4,1% 5,5% MV 10,4% 3,4% 7,9% 23,9% 10,3% FKH 3,1% 0,8% 1,7% 3,5% 10,3% 100% 100% 100% 100% 100% 23

50. Der Tabelle kann entnommen werden, dass von allen Fällen, die von allen Kran- kenhäusern behandelt wurden, in 82,7% aller Fälle es sich um Leistungen han- delt, die üblicherweise in Krankenhäusern der Regelversorgung erbracht werden. Entsprechend hoch ist dieser Anteil in Krankenhäusern der Regelversorgung. Hier werden zu 94,4% die Leistungen erbracht, die üblicherweise in Kranken- häusern dieser Stufe behandelt werden. Die Regelversorger erbringen jedoch auch in einem geringen Maße, und zwar zu 5,6% Leistungen, die in höheren Versorgungsstufen erbracht werden. 51. Die Ermittlungen zeigen jedoch auch, dass sich die Leistungen der Regelversor- ger und die der anderen Krankenhausgruppen nicht klar voneinander trennen lassen, sondern sich demgegenüber weitestgehend überschneiden. So entfallen noch 84,6% aller Leistungen, die die Schwerpunktversorger erbringen, auf Leis- tungen, die üblicherweise auch in Krankenhäusern der Regelversorgung erbracht werden. Dies verdeutlicht noch einmal, dass sich diese Krankenhäuser nicht we- sentlich im Hinblick auf die Leistungstiefe, sondern allenfalls im Hinblick auf die Leistungsbreite - und hier auch nur im geringen Umfang – unterscheiden. Auch der Anteil der Leistungen, die üblicherweise von Maximalversorgern erbracht werden, ist bei Schwerpunktversorgern mit 7,9% eher gering und nicht einmal deutlich höher als der Anteil bei den Regelversorgern (dort 3,4%). Insgesamt un- terscheidet sich gerade das Leistungsprofil der Schwerpunktversorger nur ge- ringfügig von allen anderen Krankenhausgruppen. Dies ist insbesondere an dem geringen Prozentsatz der Fälle erkennbar, die überwiegend von den Schwer- punktversorgern erbracht werden. Dieser Prozentsatz liegt nur bei 5,8%. 52. Selbst die Maximalversorger (einschließlich Universitätskliniken) erzielen mit 68,5% noch mehr als zwei Drittel ihrer Leistungen mit der Behandlung von Krankheitsbildern, die üblicherweise auch in Krankenhäusern der Regelver- sorgungsstufe erbracht werden. Allerdings verfügen sie über ein deutlich ausge- prägteres eigenständiges Leistungsprofil als die Schwerpunktversorger. Immer- hin erbringen die Maximalversorger mit 23,9% - also mit fast jedem vierten Fall – Leistungen, die zumindest schwerpunktmäßig in Krankenhäusern dieser Versor- gungsstufe erbracht werden. Allerdings muss im Hinblick auf die qualitative Beur- teilung dieses Anteils berücksichtigt werden, dass insoweit auch die Überschnei- dungen zu anderen Krankenhausgruppen nicht unerheblich sind. Denn die den 24

Maximalversorgern zugeordneten Leistungen werden zwar zu 53,2% von ihnen, aber damit gleichzeitig auch insgesamt zu 46,8% von den anderen Kranken- hausgruppen erbracht (siehe oben Tabelle 1). Auch dies verdeutlicht noch ein- mal exemplarisch den insgesamt hohen Überschneidungsbereich des Leistungs- angebotes zwischen allen Krankenhausgruppen und belegt nach Auffassung der Beschlussabteilung, dass eine sachliche Marktabgrenzung nach den Versor- gungsstufen nicht sachgerecht ist.

(3) Ermittlungsergebnisse im Hinblick auf die Versorgungsbreite 53. Bei der Frage nach der Versorgungsbreite geht es um die Frage, ob die einzel- nen Fachabteilungen eines Krankenhauses sachlich eigenständige Märkte bil- den. Hierzu ist von Bedeutung, ob Fachrichtungen hinreichend klar abzugrenzen sind. Dies wäre der Fall , wenn – wie es das OLG Düsseldorf noch in seinem Beweisbeschluss angenommen hat - bei den Überschneidungen zwischen den Fachrichtungen nur um unbeachtliche Ungenauigkeiten in Randbereichen han- deln würde. Die Ermittlungsergebnisse der Beschlussabteilung konnten diese Hypothese nicht bestätigen. 54. Für die Beantwortung der Frage hat die Beschlussabteilung für jede DRG die individuelle Behandlungsquote berechnet, mit der die DRG in einer Abteilung be- handelt worden ist. (Beispiel: Die DRG yxz bezeichnete eine Mandeloperation für ein Kind. Für die DRG seien 100 Fälle festgestellt worden und von diesen Fällen seien 50 in der Pädiatrie, 30 in der HNO und 20 in der Chirurgie durchgeführt worden, so ermittelt sich die entsprechende Behandlungsquote in den entspre- chenden Abteilungen mit 50%, 30% und 20%.) 55. Für die qualitative Beantwortung der Frage hat die Beschlussabteilung aus Grün- den der Nachvollziehbarkeit und Transparenz insgesamt sechs Kategorien ent- wickelt, um den Umfang des Überschneidungsbereiches zu bewerten. In der fol- genden Tabelle sind nur die beiden Stufen 1 und Stufe 2 dargestellt, bei denen die Beschlussabteilung noch angenommen hat, dass im Falle ihrer Erfüllung die Leistungen (noch) als fachabteilungsspezifisch angesehen werden könnten. Die Stufe 1 umfasst dabei die Leistungen, in der eine Fachabteilung eine Behand- lungsquote von über 80% für eine bestimmte DRG erbracht hat. In der Stufe 2 werden auch noch solche Leistungen als fachabteilungsspezifisch angesehen, wenn sie zu mindestens 50% von einer Fachabteilung erbracht wird, und sich die 25

übrigen Behandlungsquoten auf mehrere andere Fachabteilungen so verteilen, dass keine andere Fachabteilung mindestens 20% erreicht. Wurden niedrigere als die vorgenannten Behandlungsquoten für eine Abteilung erreicht, wurde die Leistung nicht als fachabteilungsspezifisch angesehen. 56. Das Ergebnis kann der folgenden Tabelle entnommen werden:

Tabelle 3: Anteil fachspezifischer Leistung in einzelnen Fachabteilungen51

ABTEILUNG Fall- Stufe 1 Stufe 2 S1+S2 gewicht INN 38,4% 64,3% 7,5% 71,7% CHI 22,1% 38,2% 13,5% 51,8% GUG 13,4% 88,9% 2,0% 90,9% ORT 3,5% 0,0% 0,0% 0,0% HNO 3,1% 57,5% 13,9% 71,4% URO 4,0% 55,8% 11,4% 67,2% KIN 4,8% 5,6% 0,8% 6,4% NEU 3,4% 6,7% 0,0% 6,7% NCH 1,2% 0,0% 20,6% 20,6% HUG 1,3% 3,3% 5,4% 8,7% AUG 1,6% 86,7% 4,6% 91,3% HCH 0,7% 0,1% 1,6% 1,7% STR 0,6% 2,4% 27,4% 29,8% KCH 1,1% 0,0% 0,0% 0,0% MKG 0,4% 17,1% 14,1% 31,2% NUK 0,3% 73,2% 0,0% 73,2%

57. Auf Grund der in der Tabelle dargestellten Ermittlungsergebnisse – und ohne Berücksichtigung sonstiger qualitativer Gesichtspunkte - ist die Beschlussabtei- lung der Auffassung, dass allenfalls die beiden Fachabteilungen GUG und AUG den Anforderungen an eigenständige sachlich relevante Märkte genügen könn- ten. Nur in diesen beiden Fachabteilungen werden mehr als 90% der dort be- handelten Fälle mit Leistungen (DRG) erzielt, die weit überwiegend nur dort (S1+S2) behandelt werden. So weit bei diesen Leistungen Überschneidungen mit anderen Fachabteilungen bestehen, bleiben sie relativ gering. 58. Die Fachabteilungen ORT, KIN, NEU, NCH, HUG, HCH, STR, KCH und MKG können erkennbar keine eigenständigen sachlich relevanten Märkte sein, da die

51 INN = Innere Abteilung, CHI = Chirurgie, GUG = Gynäkologie und Geburtshilfe, ORT = Orthopädie, HNO = Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, URO = Urologie, KIN = Kinderheilkunde bzw. Pädiatrie, NEU = Neu- rologie, NCH = Neurochirurgie, HUG = Haut- und Geschlechtskrankheiten, AUG = Augenheilkunden, HCH = Herzchirurgie, STR = Strahlentherapie, KCH = Kinderchirurgie, MKG = Mund-Kiefer-Gesichts- Chirurgie, NUK = Nuklearmedizin. 26

Mehrheit der dort behandelten Fälle auf Leistungen (DRG) entfallen, die weit ü- berwiegend in anderen Fachabteilungen behandelt werden. Den Extremfall bildet hier die Fachrichtung Orthopädie. Hier entfallen über 70% aller Fälle auf Leistun- gen (DRG), in denen die Fachabteilung Orthopädie nicht einmal die höchsten Behandlungsquoten erreicht. Soweit die Orthopädie überhaupt die höchsten Be- handlungsquoten bei einzelnen DRG erreicht, liegen sie jedenfalls nicht über 50%, so dass der Überschneidungsbereich mit anderen Fachabteilungen (hier insbesondere zur Chirurgie) erheblich ist. 59. In den Fachabteilungen Inneres, Chirurgie, HNO, Urologie und Nuklearmedi- zin entfallen zwischen 50% und 75% der Fälle auf Leistungen (DRG), die über- wiegend in ihrer jeweiligen Fachabteilung behandelt werden (S1+S2). Dieser An- teil ist zwar gewichtig, verdeutlicht aber gleichzeitig auch, dass in diesen Abtei- lungen mit Anteilen zwischen 25% und fast 50% auch Fälle behandelt werden, die überwiegend in den Leistungsbereich anderer Fachabteilungen fallen. Dar- über hinaus ist beachtlich, dass der Überschneidungsbereich zu anderen Fach- abteilungen zusätzlich dadurch erhöht wird, dass – in der Gegenrichtung - auch andere Fachabteilungen Leistungen erbringen, die nach der gewählten Definition (S1+S2) jedenfalls weit überwiegend den hier betrachteten Fachabteilungen zu- zuordnen wären. Für die Innere Abteilung liegt der Überschneidungsbereich für diese Leistungen bei ca. 10% (von 71,7%) der Fälle, bei der Chirurgie sogar bei über 17% (von 51,8%). Insoweit geht die Beschlussabteilung davon aus, dass es sich jedenfalls nicht nur um wettbewerbsrechtlich irrelevante Unschärfebereiche zwischen verschiedenen Fachabteilungen handelt. 60. Die Beschlussabteilung weist darüber hinaus noch auf einen zusätzlichen Ge- sichtspunkt hin, der sich aus der vorgenannten fachabteilungsspezifischen Dar- stellung nicht ergibt, der für die Gesamtbeurteilung aber nicht unerheblich er- scheint. Betrachtet man das Datenmaterial aus der Perspektive der Leistungen (DRG), so kann festgestellt werden, dass sich von den einzelnen 806 beobachte- ten DRG nur 503 DRG (also ca. 62%) – mit den vorgenannten Einschränkungen – überhaupt einzelnen Fachabteilungen zuordnen lassen. Alle übrigen DRG (ca. 40%), auf die rund ein Drittel aller Fälle entfallen, müssen nach der vorangestell- ten Definition als fachunspezifische Leistungen angesehen werden, da sie in ei- nem erheblichen Umfang in den verschiedenen Krankenhäusern in mehreren, unterschiedlichen Fachabteilungen behandelt worden sind. 27

1.4.2 Übertragung der Ermittlungsergebnisse auf das zu beurteilenden Zusam- menschlussvorhaben

(1) Differenzierung nach der Angebotsbreite 61. Diese generellen, am Beispiel Bayern empirisch ermittelten Erkenntnisse, wer- den auch im vorliegenden Fall konkret bestätigt. Die Universitätsklinik Greifswald verfügt über zahlreiche Fachbereiche, über die ihre Wettbewerber im räumlich re- levanten Markt nicht verfügen. Dennoch steht sie auch insoweit im Wettbewerb zu den umliegenden Allgemeinkrankenhäusern. Denn letztere können z.B. im Rahmen ihrer Abteilungen für Innere Medizin und Chirurgie auch solche Leistun- gen erbringen, für die das Universitätsklinikum spezielle Fachabteilungen vorhält (insb. Orthopädie, Unfallchirurgie, Neurochirurgie, Kinderchirurgie, Mund-Kiefer- Gesichtschirurgie, HNO, Urologie). So unterstreicht die allgemeine Chirurgie des Krankenhauses Wolgast (welches weder über Fachabteilungen für Orthopädie, Unfallchirurgie noch über Neurochirurgie oder Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie ver- fügt), dass sie über eine Zusammenarbeit mit niedergelassenen Fachärzten ihr operatives Spektrum auf dem Gebiet der Wirbelsäulen- und orthopädischen Chi- rurgie deutlich erweitern konnte, und dass zu ihren besonderen Versorgungs- schwerpunkten u.a. auch alle Formen der Gesichts-, Mund- und Kieferchirurgie gehören.52

(2) Differenzierung nach Angebotstiefe 62. Da der Krankenhausplan des Landes Mecklenburg-Vorpommern keine Aufteilung der Krankenhäuser in unterschiedliche Versorgungsstufen kennt, wäre es allen- falls möglich, anhand der nach dem DRG-System abgerechneten Leistungen die Versorgungstiefe von Krankenhäusern verschiedener Größenordnungen mitein- ander zu vergleichen. 63. Aus ihren Ermittlungen in Bayern hatte die Beschlussabteilung die Erkenntnis gewonnen hat, dass zwischen den unterschiedlichen Krankenhausgruppen keine klaren Trennungslinien verlaufen. Im Gegenteil überschneidet sich das Leis- tungsangebot praktisch aller Krankenhäuser erheblich. Selbst die Maximalver- sorger (einschließlich Universitätskliniken) erbringen noch mehr als zwei Drittel

52 Qualitätsbericht Wolgast, S. 15; s.a. S. 17: Hüftgelenkendoprothese als fünfthäufigste OPS-Nummer. Aus www.kliniken.de unter /qualitaetsberichte/kliniken/plz 28

ihrer Leistungen mit Fällen, die üblicher Weise auch in Krankenhäusern der Re- gelversorgung erbracht werden, bei den Schwerpunktversorgern liegt der Pro- zentsatz sogar bei fast 85%. Auch diese Erkenntnisse können im konkreten Fall durch eine Analyse der Qualitätsberichte der betroffenen Kliniken belegt werden. 64. Die hohen Überschneidungsbereiche mit sonstigen Allgemeinkrankenhäusern zeigen sich bei einer Analyse der häufigsten DRG-Fälle des Universitätsklini- kums.53 Besonders typisch ist, dass die TOP-1 DRG der Universitätsklinik Greifswald (702 Fälle) – wie bei den meisten anderen Krankenhäusern und ins- besondere Wolgast (305 Fälle) auch – die normale Versorgung eines Neugebo- renen ist.54 Auch die weiteren TOP-60 DRG in Greifswald weisen in aller Regel auf übliche Krankheitsbilder hin. 65. Dabei soll die Bedeutung der Universitätsklinik Greifswald für die Krankenhaus- versorgung der Bevölkerung in Ostvorpommern und Umgebung nicht gering ge- schätzt werden. Anhand der Vielzahl und Bedeutung onkologisch und neurolo- gisch induzierter TOP-DRGs (bzw. ICD-Diagnosen und OPS-Eingriffen) ist z.B. erkennbar, dass im Vergleich zu den Allgemeinkrankenhäusern ihrer Umgebung die Universitätsklinik Greifswald insb. in den Bereichen Onkologie und Neurolo- gie Besonderheiten aufweist, weil hier auch zahlreiche besonders anspruchsvolle Krebsbehandlungen55 und operative Eingriffe am Schädel bzw. am Gehirn56 vor- genommen werden. 66. Aber abgesehen davon, dass alle Krankenhäuser – je nach Qualifikation und Neigung der jeweiligen (Chef-)Ärzte – ihre durchaus eigenen Spezialitäten auf- weisen, ändert dies nichts an der Tatsache, dass z.B. onkologische und neurolo- gische Erkrankungen ebenfalls an anderen Allgemeinkliniken oder in dafür spe- zialisierten Fachkliniken behandelt werden. Allein die Tatsache, dass ein Univer- sitätsklinikum medizinische Eingriffe anbietet, über die die Wettbewerber seiner Umgebung nicht verfügen, bedeutet noch nicht, dass die jeweiligen Krankenhäu- ser sich insoweit nicht als Wettbewerber gegenüberstehen. Denn dieselbe

53 S. Universitätsklinikum Greifswald Qualitätsbericht 2004, S. 9 ff. Die Analyse erfolgt anhand des Quali- tätsberichts des Universitätsklinikums von 2004. Zwar ist zwischenzeitlich bereits der (nicht strukturierte) Qualitätsbericht 2005 auf der homepage des Universitätsklinikums Greifswald einsehbar, er kann jedoch nicht ausgedruckt werden und kommt nicht als Vergleichsmöglichkeit in Betracht, zumal Qualitätsberichte der anderen Kliniken für 2005 noch nicht zur Verfügung stehen. Veröffentlicht werden die Qualitätsberich- te der Kliniken auf deren jeweiliger homepage und z.B. auch unter www.qualitaetsberichte.de. 54 „P67“ = Gesundes Neugeborenes, Aufnahmegewicht >2499 gr. 55 S. z.B. „K42 = Spezielle Strahlentherapie von Schilddrüsenkrankheiten durch die Verabreichung von radioaktiv markiertem Jod“, welche die TOP-2 DRG ist mit der insgesamt ungewöhnlich hohen Fallzahl von 660 Fällen. 56 TOP-DRG 20 des Universitätsklinikums Greifswald mit 307 Fällen: „B02“ = Eröffnung des Schädels. 29

Krankheit wird bei den kleineren Allgemeinkrankenhäusern möglicherweise „kon- servativ“ (= nicht operativ) oder mit sonstigen alternativen Heilmethoden behan- delt. Die Unterscheidung der Krankenhäuser nach Behandlungstiefe erscheint daher aufgrund der hohen Überschneidungsbereiche aus Nachfragersicht grund- sätzlich ebenso wenig zielführend wie ihre Unterscheidung nach Angebotsbreite. Letztlich wird selbst von Seiten der Zusammenschlussbeteiligten nicht geltend gemacht, dass die Universitätsklinik Greifswald ausschließlich oder zum weit ü- berwiegenden Teil nur solche Fälle behandeln würde, die üblicherweise in „nor- malen“ Allgemeinkrankenhäusern nicht behandelt werden. Auch Universitätskli- niken sind auf die Zufuhr „normaler“ bzw. „einfacher“ Fälle existentiell angewie- sen, denn sie erhöhen damit ihre Grundauslastung und sie benötigen solche Fäl- le auch zu ihren Ausbildungszwecken.

1.5 Zusammenfassung 67. Die Beschlussabteilung hält an ihrer Auffassung fest, dass im Rahmen der wett- bewerbsrechtlich gebotenen Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände sich nur die Abgrenzung eines einheitlich sachlich relevanten Marktes für Kranken- hausleistungen rechtfertigen lässt und die zweifellos bestehende Heterogenität des Marktes im Rahmen einer qualitativen Beurteilung vor dem Hintergrund des konkreten Einzelfalls zu werten ist. Ausschlaggebend für die Auffassung des Bundeskartellamtes sind einerseits die Ermittlungsergebnisse seiner empirischen Erhebung und andererseits eine Reihe zusätzlicher struktureller Gesichtspunkte. 68. Die Ermittlungen haben deutlich gezeigt, dass zwischen den unterschiedlichen Krankenhausgruppen keine klaren Trennungslinien verlaufen. Im Gegenteil über- schneidet sich das Leistungsangebot praktisch aller Krankenhäuser erheblich. Selbst die Maximalversorger (einschließlich der Universitätskliniken) erbringen noch mehr als zwei Drittel ihrer Leistungen mit Fällen, die üblicher Weise auch in Krankenhäusern der Regelversorgung erbracht werden, bei den Schwerpunkt- versorgern liegt der Prozentsatz sogar bei fast 85%. Nicht zuletzt betont auch das Universitätsklinikum Greifswald selbst, dass es neben der Maximal- und der Schwerpunktversorgung „einen hohen Anteil an Grund- und Regelversorgung er- füllt“,57 um den Studierenden eine praxisnahe und bevölkerungsorientierte Aus-

57 Bericht des Universitätsklinikums in Krankenhaus Umschau 6/2006, S. 4 unter der Überschrift „Lehre“ (Sonderdruck, veröffentlicht auch in www.klinikum.uni-greifswald.de unter home/presse/pressemit- teilungen). 30

bildung zu ermöglichen. Zudem sieht es „in der Grundversorgung, im dadurch gegebenen Mix der Fälle, die [das] Haus behandelt, einen echten Vorteil auch in Sachen Finanzierung.“58 69. Auch eine fachrichtungsbezogene Marktabgrenzung ist aufgrund des erheblichen Überschneidungsbereichs zwischen den Fachabteilungen abzulehnen. Allein für fast 40% aller DRG, auf die gut ein Drittel aller Fälle entfallen, lassen sich nicht einmal Fachabteilungen eindeutig zuordnen, weil der Überschneidungsbereich mit anderen Fachabteilungen zu groß ist. Dies gilt insbesondere für die meisten Fachabteilungen, die schwerpunktmäßig den Maximalversorgern zugeordnet werden könnten, hier ist der Überschneidungsbereich mit anderen Fach- abteilungen besonders hoch. Selbst diejenigen Leistungen (DRG), die schwer- punktmäßig einer Fachabteilung zugeordnet werden können, zeigen weit über- wiegend noch Überschneidungen mit anderen Fachabteilungen in Größen- ordnungen, die nach Auffassung des Bundeskartellamtes nicht mehr als wettbe- werbsrechtlich irrelevante Unschärfebereiche bezeichnet werden können. Aus- nahmen bilden hier allenfalls die Gynäkologie und Geburtshilfe sowie die Augen- heilkunde, deren fachspezifische Fälle die 90%-Schwelle überschreiten, sowie ggf. die psychiatrischen Fachabteilungen, die aus technischen Gründen hier nicht weiter untersucht wurden. 70. Berücksichtigt man zusätzliche strukturelle Umstände, so verfestigt sich die An- nahme eines einheitlichen Krankenhausmarktes. Zu diesen Umständen gehört u.a. der Aspekt, dass ein Krankenhaus in erheblicher Weise standortgebundene Querschnittsleistungen (auch Diagnostik) anbietet, die von den fachabteilungs- bezogenen medizinischen Leistungen losgelöst sind, die aber für die Patienten als Nachfrager der Leistungen von nicht unerheblicher Bedeutung sind. Hierzu gehören insbesondere die medizinische Pflege, die Unterbringung und die Ver- pflegung, die das qualitative Erscheinungsbild eines Krankenhauses in erhebli- cher Weise mit prägen. 71. Dies schließt nicht aus, dass sich Krankenhausketten ggf. nur auf bestimmte Fachbereiche (z.B. Psychiatrie oder Augenheilkunde) spezialisieren könnten, um als Spezialist auf den verschiedenen regionalen Krankenhausmärkten erfolgreich zu sein. In solchen Fällen ist eine zusätzliche Betrachtung solcher möglicher Spezialmärkte erforderlich, was aber einer Beurteilung der entsprechenden kon-

58 Pressemitteilung vom 15.07.2005, www.klinikum.uni-greifswald.de unter ho- me/presse/pressemitteilungen mit der Überschrift: „Mix ist für Wirtschaftlichkeit des Klinikums gut“. 31

kreten Fallkonstellationen vorbehalten bleiben sollte. Im Regelfall ist – wie hier auch - die Heterogenität eines Marktes im Hinblick auf die Breite und die Qualität der angebotenen Leistungen im Rahmen der materiellen Beurteilung eines Zu- sammenschlussvorhabens zu berücksichtigen und zu prüfen, inwieweit sich das unterschiedliche Angebot der Wettbewerber auf ihre Fähigkeit auswirkt, den wett- bewerblichen Verhaltenspielraum der am Zusammenschluss beteiligten Unter- nehmen hinreichend zu kontrollieren.

2. Räumliche Marktabgrenzung 72. Das Zusammenschlussvorhaben betrifft das Angebot von Krankenhausdienst- leistungen im räumlichen Gebiet Greifswald und Umland59, das sich aus den Postleitzahlgebieten Greifswald (17460 - 17509), Wolgast (17430 - 17459), Use- dom (17400 - 17429), Anklam (17380 - 17399), Demmin (17100 -17129) und (18000 - 18519) zusammensetzt. Dabei geht die Beschlussabteilung davon aus, dass aus Nachfragersicht der räumlich relevante Markt auf das Kerngebiet – bestehend aus Greifswald, Wolgast und Usedom – zu beschrän- ken wäre. Vor dem Hintergrund, dass insbesondere das Uniklinikum Greifswald im benachbarten Umland – bestehend aus Anklam, Demmin und Grimmen – noch relevante Marktanteile erreicht, wurde - zugunsten der Zusammenschluss- beteiligten und um insoweit unnötige Auseinandersetzungen zu vermeiden - der materiellen Prüfung auch das Gesamtgebiet Greifswald und Umgebung zugrun- de gelegt, ohne abschließend die räumliche Marktabgrenzung entscheiden zu müssen.

2.1 Bedarfsmarktkonzept 73. Zweck der räumlichen Marktabgrenzung ist es, das relevante räumliche Gebiet zu ermitteln, in dem der Wettbewerb im betroffenen sachlichen Markt im Hinblick auf den zu beurteilenden Zusammenschluss stattfindet. Eine pauschalierende Betrachtung ist dabei nicht angemessen, sondern es müssen die tatsächlichen Marktverhältnisse im konkret betroffenen Gebiet geprüft werden60. Maßgebend ist dabei, wo sich bei einer Gesamtwürdigung der Marktverhältnisse der (räumli-

59 Diese Bezeichnung ist als rein formale Benennung zu verstehen und bedeutet nicht, dass die einbezo- genen Gebiete (alleine) als Umland bzw. Einzugsgebiet der Stadt Greifswald zu verstehen sind. 60 BGH vom 13.07.2004, WUW/E DE-R 1302/1303 – Sanacorp/ANZAG. 32

che) Schwerpunkt des Wettbewerbsgeschehens befindet.61 Auch für die räumli- che Marktabgrenzung gilt grundsätzlich das Bedarfsmarktkonzept. Die Abgren- zung des räumlich relevanten Marktes bestimmt sich nach den aus der Sicht der Nachfrager gegebenen räumlichen Ausweichmöglichkeiten62. Hierbei sind die tatsächliche Anschauung der Abnehmer und das tatsächliche Abnehmerverhal- ten von Bedeutung63. Abzustellen ist nicht auf bloß theoretische Ausweichmög- lichkeiten, sondern auf die Angebotsalternativen, die den Abnehmern tatsächlich zur Verfügung stehen. Vorliegend ist daher zu prüfen, in welchem Umfang Pati- enten aus den verschiedenen Gebieten welche Krankenhäuser tatsächlich nut- zen und damit unter räumlichen Gesichtspunkten als gegeneinander austausch- bar ansehen. 74. Im Rahmen der Gesamtwürdigung kann auch das Angebotsverhalten von Be- deutung und im konkreten Einzelfall sogar bestimmend sein, wenn das Produkt – wie z.B. Abonnement-Tageszeitungen – überwiegend von Personen nachgefragt wird, die im Kernabsatzgebiet ansässig sind.64 Darüber hinaus sind im Rahmen der Gesamtwürdigung der Wettbewerbsbedingungen sowohl bei einer angebots- orientierten Einzugsstatistik einzelner Krankenhäuser als auch bei der nachfra- gerbezogenen Marktanteilsverteilung aller Krankenhäuser eines Gebietes u.a. die einseitigen oder gegenseitigen Wanderungsbewegungen von Patientenströ- men zu berücksichtigen. 75. Irrelevant sind in diesem Zusammenhang sowohl von der Sache her als auch von der Zahl der Fälle medizinische Sondertatbestände. Dies sind zum einen Einzelfälle, die eine besondere, hochspezialisierte medizinische Behandlung er- fordern. Für solche Fälle mag es eigene, spezielle Marktsegmente geben, für die eine weite räumliche Marktabgrenzung sachgerecht sein kann (besonders an- spruchsvolle Organtransplantationen). In Grenzfällen ist sogar ein weltweiter Markt denkbar (Trennung von siamesischen Zwillingen). Diese Bereiche sind im vorliegenden Fall jedoch nicht betroffen, da jedenfalls die erworbenen Kranken- häuser nicht über ein solches Angebot verfügen. Auch „Zufalls-Patienten“, wie beispielsweise Urlauber, sind für die wettbewerbliche Beurteilung nicht relevant.

61 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21. September 2001, Trienekens/GMVA Niederrhein, Kart 25/01 (V), juris-Dokument-Nr.: KORE44012003, Rz. 15. 62 Vgl. Langen/Bunte-Ruppelt, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, 10. Auflage 2006, § 19 Rdnr. 25 mwN. 63 OLG Düsseldorf, a.a.O., Rz. 15. 64 OLG Düsseldorf, Beschluss v. 27.10.2004, S. 13 – Holtzbrinck/Berliner Verlag. 33

Ihr Wohnsitz spiegelt das tatsächliche Einzugsgebiet eines Krankenhauses nicht realistisch wider. 76. Zum anderen gibt es Fälle, die beispielsweise aufgrund einer Notsituation eine Behandlung im nächstgelegenen Krankenhaus erfordern und den Betroffenen keine relevanten Ausweichmöglichkeiten lassen oder Fälle, in denen die Ent- scheidung sogar von Dritten für den Patienten getroffen werden muss, weil er hierzu nicht (mehr) in der Lage ist. Unabhängig von der Tatsache, dass auch hier im Einzelfall durchaus noch Entscheidungsmöglichkeiten gegeben sein können (z.B. ob bei einem Schlaganfall das nächstgelegene Krankenhaus oder ein ent- fernteres Krankenhaus mit "stroke unit" angefahren wird), sind auch solche Fälle bei der Betrachtung der Patientenströme mit zu berücksichtigen. Zum einen gibt es zahlreiche Märkte, in denen bestimmte Nachfrager aus rechtlichen, wirtschaft- lichen oder tatsächlichen Gründen keine Wahlmöglichkeiten haben, ohne dass diese Nachfrager aus der wettbewerblichen Beurteilung auszublenden wären. Zum anderen verstärkt unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten ein hoher Anteil der "captive user" eher die Marktstellung eines Anbieters. Zudem ist es bei der Gesamtwürdigung von Bedeutung, wenn eine Teilgruppe eines Marktes kei- ne oder nur begrenzte Ausweichmöglichkeiten hat. 77. Die hier dargestellten Besonderheiten, die rein theoretisch Anhaltspunkte einer- seits zur Erweiterung und andererseits zur Verengung des räumlich relevanten Marktes liefern könnten, werden im Folgenden nicht weiter isoliert berücksichtigt. Es handelt sich um Sondertatbestände, die sich in ihrer Wirkung zwischen den Krankenhäusern tendenziell ausgleichen und die für das tatsächliche Wettbe- werbsgeschehen bei Krankenhäusern keine entscheidende Rolle spielen.

2.2 Datenerhebung 78. Die Beschlussabteilung hat neben den Beteiligten sämtliche andere Plan- Krankenhäuser des Landes Mecklemburg-Vorpommern angeschrieben und da- nach befragt, wie viele ihrer Patienten aus welchen (fünfstelligen) Postleitzahlbe- reichen des Ermittlungsgebiets stammen. Im räumlichen Kerngebiet liegen neben den vom Zusammenschluss betroffenen Krankenhäusern – dem Universitätskli- nikum Greifswald sowie dem Kreiskrankenhaus Wolgast - drei weitere Kliniken sowie im relevanten Umland ebenfalls drei weitere Krankenhäuser. Um auch mögliche Patientenströme aus dem Ermittlungsgebiet in weiter entfernte größere 34

Krankenhäuser zu erfassen, wurden zudem weitere große Kliniken bzw. Kran- kenhausgruppen aus benachbarten Bundesländern in die Befragung einbezo- gen, darunter das Krankenhaus in Schwedt (nördliches ) sowie die Charité und die Kliniken der Vivantes GmbH aus Berlin. Insgesamt wurden 37 Krankenhäuser in die Erhebung einbezogen. 79. Das Ermittlungsgebiet, das sich um Greifswald und Wolgast erstreckt, umfasst eine Fläche von ca. 20.000 Quadratkilometern. Die Gliederung der PLZ-Gebiete erfolgt zunächst nach dem von dem Zusammenschluss betroffenen räumlichen Markt über die nördlich anschließende Insel Rügen, die nördlichen Gebiete Stral- sund, Zingst und Ribnitz und setzt sich dann im Gegenuhrzeigersinn von Westen nach Süden fort. 35

Darstellung des Ermittlungsgebietes

36

Gesamtgebiet Greifswald - Kerngebiet Greifswald - • K 1 - Greifswald Stadt und Umgebung (PLZ-Gebiet 17460 - 17509) • K 2 - Wolgast (PLZ-Gebiet 17430 - 17459) • K 3 - Usedom (PLZ-Gebiet 17400 - 17429) - Umland Greiswald - • U 1 - Anklam (PLZ-Gebiet 17380 - 17399) • U 2 - Demmin (PLZ-Gebiet 17100 - 17129) • U 3 - Grimmen (PLZ-Gebiet 18500 - 18519)

Insel Rügen (PLZ-Gebiet 18520 - 18609)

Gebiet Nord (N) • N 1 - Stralsund (PLZ-Gebiet 18400-18469) • N 2 - Zingst (PLZ-Gebiet 18350-18379)

Gebiet Nordwest (NW) • NW 1 - Rostock (PLZ-Gebiet 18000-18199) • NW 2 - Ribnitz (PLZ-Gebiet 18300-18349)

Gebiet West (W) • W 1 - Güstrow (PLZ-Gebiet 18260-18299) • W 2 - Teterow (PLZ-Gebiet 17160 - 17179)

Gebiet Süd (S) • S 1 - Waren (PLZ-Gebiet 17180-17219) • S 2 - Malchin (PLZ-Gebiet 17130-17159) • S 3 - Neubrandenburg (PLZ-Gebiet 17000-17099) • S 4 - Neustrelitz (PLZ-Gebiet 17220-17259) • S 5 - (PLZ-Gebiet 17350-17379) • S 6 - Löcknitz (PLZ-Gebiet 17300-17329)

80. In dem vorgenannten Ermittlungsgebiet sind im Jahr 2005 insgesamt 256.358 Fälle behandelt worden.

2.3 Ermittlungsergebnisse 81. Nach den Ermittlungen des Bundeskartellamtes umfasst der räumlich relevante Markt das Kerngebiet mit den Postleitzahlgebieten Greifswald Stadt und Umge- bung (17460 - 17509), Wolgast (17430 - 17459) und Usedom (17400-17429), sowie in seiner denkbar weitesten Ausdehnung zusätzlich das Umland beste- hend aus den Postleitzahlgebieten Anklam (17380 - 17399), Demmin (17100- 17129) und Grimmen (18000 - 18519). Entscheidender Gesichtspunkt für die 37

vorgenommene Marktabgrenzung ist, dass die Patienten aus diesen Gebieten weit überwiegend nur die Krankenhäuser in diesem Gebiet als tatsächliche, hin- reichende Alternativen ansehen.65 Das schließt nicht aus, dass Einwohner aus diesen Gebieten - insbesondere aus den Randlagen – auch Krankenhäuser aus benachbarten Gebieten nicht nur theoretisch nutzen können. Dies führt nicht zur Erweiterung des räumlich relevanten Marktes, weil von diesen Krankenhäusern keine so starken Marktwirkungen ausgehen, dass sie das Marktgeschehen im vorgenannten räumlich relevanten Markt mit prägen. Das tatsächliche Markt- potential der benachbarten Krankenhäuser wird in realistischer Weise durch den Marktanteil abgebildet, den diese Krankenhäuser im Rahmen der medizinischen Versorgung für Patienten aus dem räumlich relevanten Markt erbringen. 82. Im Folgenden wird ausgehend von der Analyse des räumlichen Tätigkeitsschwer- punktes der am Zusammenschluss Beteiligten über die Darstellung und Wertung der Einzugsgebiete der Wettbewerbskrankenhäuser eine nachfragerorientierte Marktanteilsbetrachtung vorgenommen, die auf den tatsächlichen Patienten- strömen basiert. Aus Geheimhaltungsgründen werden - soweit im Einzelfall er- forderlich - die absoluten Werte weggelassen oder nur in einer bestimmten Grö- ßenordnung angegeben. Die in Bezug auf Einzugsgebiete und Marktanteile ein- zelner Krankenhäuser angegebenen Prozentsätze schwanken um 2,5%-Punkte, so dass der tatsächliche Wert innerhalb einer Spanne von 5% liegt. Der Wert 2,5% bezeichnet die Spanne von 1% bis 2,5%. Werte unter 1% sind aus Grün- den der Übersichtlichkeit im Regelfall mit 0 ausgewiesen. Fallzahlen von weniger als 15.000 schwanken um 500 Fälle, Fallzahlen von mehr als 60.000 um 2.000 Fälle um den angegebenen Wert. Der Wert 500 bezeichnet Fallzahlen zwischen 50 und 500. Weniger als 50 Fälle werden im Regelfall mit 0 ausgewiesen.

2.3.1 Angebotsseitige Betrachtung 83. Die Analyse der anbieterorientierten Einzugsgebietsstatistiken der Krankenhäu- ser der am Zusammenschluss Beteiligten wie auch die ihrer Wettbewerber hat keine Anhaltspunkte ergeben, die eine räumliche Marktabgrenzung über den

65 Die Frage der zumutbaren, wohnortnahen Versorgung wird nicht generell definiert. Der Landesaus- schuss für Krankenhausplanung in NRW hat sich z.B. auf folgende Operationalisierung verständigt: "Eine wohnortnahe Versorgung, insbesondere im ländlichen Raum, ist dann sichergestellt, wenn ein Kranken- haus nicht weiter als 15 bis 20 km entfernt ist, es sei denn, dass wegen topographischer oder verkehrsin- frastruktureller Gegebenheiten das Krankenhaus nicht in der sonst üblichen Zeit erreichbar und eine kür- zere Entfernung angemessen ist." Aus Fritz/Gilow/Paffrath, "Instrumente des Operations Research in der praktischen Krankenhausplanung", in Krankenhaus-Report 2003, S. 149, 167. 38

Markt Greifswald und Umland hinaus rechtfertigen könnten. Im Gegenteil bestä- tigen sowohl die engen Einzugsgebiete der Krankenhäuser der am Zusammen- schluss Beteiligten wie auch die Einzugsgebiete der in die Prüfung einbezogenen Krankenhäuser ihrer Wettbewerber in benachbarten Regionen, dass auch diese weitestgehend deutlich voneinander abgegrenzte Einzugsgebiete haben und da- her nicht das Wettbewerbsgeschehen im räumlich relevanten Markt prägen. 84. Der räumliche Schwerpunkt des Wettbewerbsgeschehens, das durch das Zu- sammenschlussvorhaben betroffen ist, wird zunächst durch den Schwerpunkt des räumlichen Tätigkeitsgebiets der am Zusammenschluss beteiligten Unter- nehmen beschrieben.

(1) Einzugsgebiet des Universitätsklinikums Greifswald 85. Das Universitätsklinikum Greifswald liegt im Zentrum des Gebietes Greifswald und Umland. Es wies im Jahre 2005 31.329 akutstationäre Fälle aus. Davon ent- fielen zwischen 52,5% und 55% auf das Kerngebiet und weitere 20% auf das Umland. Patienten, die außerhalb des räumlich relevanten Marktes wohnen, nut- zen das Klinikum in geringerem Umfang. Die höchsten Zahlen von Patienten, die außerhalb des betrachteten Gebietes wohnen und im Klinikum Greifwald behan- delt wurden, stammen aus Rügen (rd. 2.000 Fälle) und dem Gebiet Nord mit rd. 2.000 Fällen. Diese absolut gesehen nicht geringe Fallzahl stellt aber nur einen vergleichsweise geringen Anteil der Gesamtzahl der Patienten des Klinikums dar (jeweils zwischen 5% und 10%). Zudem zieht das Klinikum auch aus den einzel- nen, noch weiter entfernt liegenden Gebieten (etwa S 5 und S 6) in absoluten Zahlen eine zumindest relevante Anzahl von Patienten an, die aber nur einen ge- ringen Anteil (ca. 2,5%) repräsentieren. Dabei handelt es sich um ein in vielen regionalen Krankenhausmärkten zu beobachtendes Phänomen, dass größere Universitätskliniken – allein wegen der Breite des Versorgungsumfangs - Patien- ten auch aus entfernter liegenden Gebieten anziehen. Dieser einseitige Patien- tenstrom aus anderen Gebieten (Einwanderungen) führt aber nicht dazu, dass al- le Herkunftsgebiete dieser Patienten in den räumlich relevanten Markt einzube- ziehen wären. Dies ergibt sich alleine daraus, dass einseitige Einwanderungen tendenziell eher ein Zeichen dafür sind, dass die Krankenhäuser des Einwande- rungsgebietes eine höhere Attraktivität aufweisen als die Krankenhäuser des Auswanderungsgebietes. Aus Sicht der Nachfrager des Einwanderungsgebietes 39

verstärkt dieser Gesichtspunkt daher eher die Annahme, dass die Krankenhäu- ser des Auswanderungsgebietes für sie keine hinreichende Angebotsalternative darstellen. Allerdings kann aufgrund der Heterogenität und Komplexität der Kran- kenhausdienstleistungen aus den Wanderungen zwischen Versorgungsgebieten nicht unmittelbar auf eine besondere wettbewerbliche Überlegenheit des Ein- wanderungsgebietes geschlossen werden. Denn Einwanderungen bzw. Aus- wanderungen können u.a. auch ihre Ursache in einem unterschiedlichen Ange- bot haben. Verfügen z.B. die Krankenhäuser in einem Gebiet über keine psychi- atrische Abteilung, so liegt die Ursache für die entsprechenden (notwendigen) Auswanderungen gerade nicht in der wettbewerblichen Überlegenheit, sondern in der Komplementarität des Angebotes. Insoweit bedarf es in jedem Einzelfall, in dem relevante Überschneidungen zwischen Gebieten festgestellt werden, einer Analyse der Gründe für die Austauschbeziehungen und einer entsprechenden Gesamtbetrachtung aller Umstände. 86. Für das Universitätsklinikum Greifswald lässt sich ein deutlicher regionaler Schwerpunkt feststellen, allerdings auch nicht unerhebliche Einwanderungen aus zum Teil weiter entfernten Gebieten. Im Einzelnen ergeben sich für das Universi- tätsklinikum Greifswald folgende Fallzahlen und Anteile an der Gesamtzahl aller Patienten sowie die hiermit verbundenen Marktanteile im jeweiligen Gebiet:

Tabelle 4: Einzugsgebiet und Marktanteile der Universitätsklinik

Fallzahlen Uni- Anteil der Patienten Marktanteile versitätsklinikum aus dem jeweiligen im jeweiligen Greifswald aus Gebiet an allen Pati- Gebiet dem jeweiligen enten des Universi- Gebiet tätsklinikums Greifswald in % in % Gebiet Greifswald 23.000 72,5 40 - Kerngebiet 16.500 52,5 55 -Umland 6.000 20 25 Insel Rügen 2.000 7,5 12,5 Gebiet Nord 2.000 7,5 10 Gebiet Nordwest 500 2,5 0 Gebiet West 250 0 0 Gebiet Süd 2.500 7,5 5

87. Aufgrund seiner Eigenschaft als Universitätsklinik erbringt das Klinikum Greifs- wald nur insgesamt ca. ein Drittel aller Fälle in den Fachabteilungen Inneres und Chirurgie und ca. zwei Drittel in den übrigen Sonderfachabteilungen. Hierbei liegt 40

das Gewicht der Inneren Abteilung und der Chirurgie im Kerngebiet und in Rü- gen bei ca. 40% und sinkt in den übrigen Gebieten auf bis zu 17%. Dies verdeut- licht, dass ein sehr hoher Anteil der Patienten des Klinikums Rügen aus anderen Gebieten aufgrund des speziellen Angebots der Universitätsklinik einwandern. Da das Bundeskartellamt aus verfahrensökonomischen Gründen kein Datenma- terial für alle Fachabteilungen und erst Recht nicht auf Ebene der DRG erhoben hat, kann insoweit keine exakte Angabe darüber gemacht werden, in welchem Umfang die Fälle des Universitätsklinikums, die es mit Patienten erzielt hat, die außerhalb des Kerngebietes bzw. des Gesamtgebiets Greifswald wohnen, aus dem Umstand erfolgt, dass in diesen Gebieten die spezifischen Leistungen nicht nach der Art oder der Qualität erbracht werden können, und somit die Leistung des Klinikums einen komplementären und keinen wettbewerblichen Charakter hat. Jedenfalls muss vor diesem Hintergrund der erste Anschein, der aus dem Umstand gefolgert werden könnte, dass die Universitätsklinik einen relativ hohen Anteil von Patienten außerhalb des Kerngebietes bzw. des Gesamtgebietes Greifswald behandelt, deutlich relativiert werden. Denn ein erheblicher Teil der Patienten wird lediglich deshalb in das Uniklinikum Greifswald gehen, weil eine entsprechende Leistung von den Krankenhäusern des eigenen Gebietes gar nicht erbracht werden kann.

(2) Einzugsgebiet des Kreiskrankenhauses Wolgast 88. Auch der Schwerpunkt der wettbewerblich relevanten Tätigkeit des zu erwerben- den Kreiskrankenhauses Wolgast liegt im räumlich relevanten Markt. Der Anteil der Patienten aus diesem Markt an der Gesamtfallzahl des Krankenhauses be- trägt 82,5%. Aus den anderen Gebieten zieht das Kreiskrankenhaus Wolgast weder in absoluten Zahlen eine berücksichtigenswerte Zahl von Patienten an, noch stellen diese relativ einen zu berücksichtigenden Anteil an den Patienten des Krankenhauses dar. Auch die Marktanteile des Kreiskrankenhauses Wolgast in den anderen Gebieten sind zu vernachlässigen, weil sie dort unter 1% liegen. Im Einzelnen ergeben sich für das Kreiskrankenhaus Wolgast die nachfolgend dargestellten Fallzahlen und Anteile an der Gesamtzahl aller Patienten sowie hiermit verbundene Marktanteile in den jeweiligen Gebieten:

41

Tabelle 5: Einzugsgebiet und Marktanteile des Krankenhauses Wolgast

Fallzahlen des Anteil der Patienten Marktanteile Kreiskranken- aus dem jeweiligen im jeweiligen hauses aus dem Gebiet an allen Pati- Gebiet jeweiligen Gebiet enten des Kranken- hauses in % in % Markt Greifswald 8.000 85 15 - Kerngebiet 7.500 82,5 25 - Umland 500 2,5 0 Insel Rügen <100 0 0 Gebiet Nord <100 0 0 Gebiet Nordwest <100 0 0 Gebiet West <100 0 0 Gebiet Süd <100 0 0

89. Der Umstand, dass das Krankenhaus Wolgast nicht über 95% seiner Patienten aus dem Kerngebiet erzielt, liegt einzig in dem Umstand begründet, dass es sich bei dem betroffenen Gebiet um ein typisches Urlaubsgebiet handelt und insoweit der Anteil der „Zufalls-Patienten“, also von Patienten, die sich das Krankenhaus nicht aus sachlichen Gründen ausgewählt haben, sondern „zufällig“ am Ort er- krankt sind, sehr hoch ist. Das Krankenhaus Wolgast hat den Anteil von Urlau- bern an seinen Fallzahlen selbst mit ca. 18-20% geschätzt66.

(3) Einzugsgebiete der Wettbewerbskrankenhäuser 90. Auch die Krankenhäuser der Wettbewerber haben weit überwiegend ein klar be- grenztes Einzugsgebiet. In der folgenden Tabelle 6 ist für alle befragten Kran- kenhäuser in Prozent dargestellt, wie viele ihrer Patienten aus den entsprechen- den Postleitzahlgebieten stammen. Um Missverständnisse zu vermeiden, wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die nachfolgend dargestellten individuel- len Patientenströme des jeweiligen Krankenhauses keine Rückschüsse auf des- sen Marktstellung in den jeweiligen Gebieten ermöglicht (hierzu weiter unten un- ter Tz. 96 ff.), da diese im wesentlichen von dem Marktvolumen und den Fallzah- len des jeweiligen Krankenhauses abhängt67. Nach der vorangestellten Übersicht werden die Einzugsgebiete der einzelnen Krankenhäuser näher erläutert.

66 Schreiben Landkreis Ostvorpommern Kreiskrankenhaus Wolgast vom 22.06.2006 (Ermittlungsakte, Register Nr. 10). 67 Beispiel: Das Neurologische Rehabilitations-Zentrum in Greifswald erzielt zwar 25% seiner Patienten aus Greifswald, erreicht damit aber trotzdem nur einen Marktanteil von unter 1%, da es eine sehr kleine Einrichtung ist, die insgesamt deutlich weniger als 1.000 Fälle behandelt hat. 42

Tabelle 6: Einzugsgebiete der Wettbewerbskrankenhäuser

Greifs- Kern- Umland Rügen Nord Nord- West Süd wald markt west % % % % % % % % Kerngebiet Uni Greifswald 72,5 52,5 20 7,5 7,5 2,5 0 7,5 KH Wolgast 85 82,5 2,5 0 0 0 0 0 Bethanien 80 62,5 17,5 5 5 2,5 0 10 NRZ 25 17,5 10 10 7,5 7,5 5 20 KH Karlsburg 37,5 20 15 7,5 5 2,5 5 30 Umland KH Ameos Anklam 82,5 10 72,5 0 0 0 0 12,5 KKH Demmin 67,5 2,5 65 0 0 0 5 25 DRK-KH Grimmen 75 2,5 72,5 0 20 2,5 0 0 Rügen Sana 0 0 0 85 2,5 0 0 0 Gebiet Nord Hansa-Klinikum 7,5 2,5 5 10 75 5 0 2,5 Gebiet Nordwest Universitätsklinikum 0 0 0 0 2,5 67,5 5 2,5 Klinikum Südstadt 0 0 0 0 0 80 5 0 -Klinik 0 0 0 0 15 72,5 0 0 Gebiet West KH Güstrow 0 0 0 0 0 5 70 0 DRK-KH-Teterow 0 0 0 0 0 0 90 7,5 Gebiet Süd Klinikum Müritz 0 0 0 0 0 0 5 95 Klinik Amsee 7,5 2,5 5 2,5 2,5 2,5 10 60 KH Malchin 5 0 5 0 0 0 7,5 85 D. Bonhoeffer Klinik 5 2,5 5 0 0 0 0 90 DRK-KH-Strelitz 0 0 0 0 0 0 0 90 Ameos Uckermünde 10 2,5 7,5 0 0 0 0 80 Asklepios 2,5 0 2,5 0 0 0 0 75

(3.1) Einzugsgebiete der Wettbewerbskrankenhäuser im Kerngebiet 91. Im Kerngebiet liegen drei Wettbewerbskrankenhäuser, das Klinikum Karlsberg mit 216 Betten, das evangelische Fachkrankenhaus Bethanien mit 153 Betten sowie das Neurologische Rehabilitationszentrum (NRZ) Greifswald mit 46 (akut- stationären Plan-) Betten. Bei allen drei Krankenhäusern handelt es sich um Fachkrankenhäuser. Trotz seiner Eigenschaft als psychiatrische Fachklinik ver- fügt das Krankenhaus Bethanien mit 62,5% im Kernmarkt und mit 85% im Ge- samtgebiet Greifswald nur über ein sehr enges Einzugsgebiet. Bei dem Klinikum Karlsburg handelt es sich um eine renommierte Fachklinik der Inneren Medizin, mit dem Schwerpunkt für Kardiologie und Diabetes. Das Klinikum Karlsburg und das Neurologische Rehabilitationszentrum Greifswald rekrutieren daher ihre Pa- 43

tienten nur zu rd. 20% bzw. 17,5% aus dem Kerngebiet und zu insgesamt 37,5% bzw. 25% aus dem Gesamtmarkt Greifswald. Die übrigen Patienten entstammen mit relativ gleichmäßiger Verteilung überwiegend dem gesamten Ermittlungsge- biet. Diese Verteilung ist nicht ungewöhnlich, sondern entspricht dem Erfah- rungswert, dass Fachkliniken im Gegensatz zu Allgemeinkrankenhäusern regel- mäßig über ein größeres Einzugsgebiet verfügen. Dieser Sachverhalt führt bei wertender Betrachtung aber nicht dazu, dass sie alle Gebiete, aus denen sie Pa- tienten gewinnen, zu einem einheitlichen räumlichen Markt vernetzen, wenn sich im Übrigen durch die Allgemeinkrankenhäuser deutliche Schwerpunkte feststel- len lassen. So liegt der Fall auch hier. Das Uniklinikum Greifswald und das Kreis- krankenhaus Wolgast akquirieren im Kernmarkt 52,5% bzw. 82,5% und im Ge- samtgebiet 72,5% bzw. 85 % ihrer Patienten aus den entsprechenden Gebieten. Ein vergleichbares Einzugsgebiet hat sogar das Fachkrankenhaus Bethanien. Da die beiden anderen Fachkrankenhäuser in den betroffenen Gebieten nur Markt- anteile von unter 1% (NRZ) bzw. ca. 5% erzielen, können sie aufgrund ihrer ge- ringen Größe und ihres geringen Gewichtes die benachbarten Gebiete nicht in wettbewerblich relevanter Weise vernetzen.

(3.2) Einzugsgebiete der Wettbewerbskrankenhäuser im Umland 92. Auch die im Umland von Greiswald gelegenen Wettbewerbskrankenhäuser, das DRK-Krankenhaus in Grimmen, das Kreiskrankenhaus Demmin, sowie das AMEOS Diakonie-Klinikum Anklam, gewinnen 75%, 67,5% bzw. 82,5% ihrer Pa- tienten aus dem räumlichen Gesamtgebiet Greifswald. Die Betrachtung des Ge- samtgebietes verdeckt jedoch relevante Einzelaspekte, die in der nachfolgenden Tabelle 7 (mit der üblichen Spanne, siehe Tz 82) dargestellt werden.

Tabelle 7: Detaildarstellung des Einzugsgebietes der Umlandkrankenhäuser Greifs- Kern- Umland Anklam Demmin Grimmen Nord Süd wald markt Gesamt % % % % % % % Umland KH Ameos Anklam 82,5 10 72,5 70 0 0 0 12,5 KKH Demmin 67,5 2,5 65 0 62,5 5 0 25 DRK-KH Grimmen 75 2,5 72,5 0 0 72,5 20 0

93. Aus der vorangestellten Tabelle werden drei Aspekte deutlich: Zum Ersten ist erkennbar, dass bei rein angebotsorientierter Betrachtung des Einzugsgebiets 44

der drei Umlandkrankenhäuser - und ohne Betrachtung des Nachfragerverhal- tens - die Zusammenfassung der Krankenhäuser und ihre Einbeziehung in einen Gesamtmarkt Greifswald eher fernliegend wäre. In den drei jeweiligen Gebieten des Umlandes hat jeweils das in diesem Gebiet ansässige Krankenhaus seinen deutlichen Tätigkeitsschwerpunkt. Zum Zweiten wird deutlich, dass die drei be- troffenen Krankenhäuser untereinander in ihren jeweiligen Gebieten fast über- haupt nicht in Wettbewerb treten, da sie aus den jeweils anderen Gebieten des Umlandes nahezu keine Patienten behandeln. Zum Dritten ist aus der Übersicht zu erkennen, dass ihr Einzugsgebiet - außerhalb ihres eigenen Gebietes – schwerpunktmäßig nicht einmal in Richtung auf das Kerngebiet von Greifswald, sondern in die nördlich bzw. südlich angrenzenden Gebiete ausstrahlt. Beson- ders deutlich wird dies für die Krankenhäuser aus Demmin und Grimmen; nur 2,5% ihrer Patienten stammen aus dem Kerngebiet, jedoch 20% aus dem Gebiet Nord (für das DRK-Krankenhaus Grimmen) und sogar 25% aus dem Gebiet Süd (für das Kreiskrankenhaus Demmin). 94. Bereits hier kann somit festgestellt werden, dass die Einbeziehung der drei Kran- kenhäuser des Umlandes von Greifswald in einen Gesamtmarkt Greifswald nicht damit begründet werden kann, dass die Krankenhäuser des Umlandes einen re- levanten Anteil ihrer Patienten aus dem Kerngebiet von Greifswald beziehen. Wie sogleich dargestellt wird, erreichen sie dementsprechend dort auch nur sehr geringe Marktanteile. Ihre Einbeziehung könnte sich allenfalls nur dadurch recht- fertigen, dass die Universität Greifswald ihrerseits einen relevanten Anteil ihrer Patienten aus dem Umland anzieht.

(3.3) Einzugsgebiete der Wettbewerbskrankenhäuser mit Sitz außerhalb des Ge- samtgebietes Greifswald 95. Den in Tabelle 6 dargestellten Ermittlungsergebnissen ist zu entnehmen, dass auch die außerhalb des Gesamtgebietes Greifswald gelegenen Krankenhäuser im Wesentlichen eng begrenzte und klar voneinander abgrenzbare Einzugsge- biete haben, womit sich auch die Wettbewerbsstrukturen und -bedingungen in diesen Gebieten signifikant von denen im Gesamtgebiet Greifswald unterschei- den. Indizien für relevante Überschneidungen, welche für die Annahme größerer räumlich relevanter Märkte aus angebotsorientierter Sicht sprechen würden, lie- gen nicht vor. Nur drei Krankenhäuser (Hanse-Klinikum Stralsund, die Klinik Am- 45

see in Waren und das AMEOS-Diakonie-Klinikum Ueckermünde) gewinnen Pati- enten in relevanter Höhe (ca. 7,5%) aus dem Gesamtgebiet Greifswald. Der Schwerpunkt liegt dabei jeweils in dem Gebiet des Umlandes, das in räumlicher Nähe zu den Nachbargebieten liegt. Keines der Krankenhäuser kann aus dem räumlichen Kerngebiet mehr als 2% seiner Patienten auf sich ziehen. Es handelt sich somit um übliche Austauschbeziehungen in geringem Umfang zwischen be- nachbarten regionalen Märkten, die ggf. im Rahmen der Prüfung einer marktbe- herrschenden Stellung zu berücksichtigen sind.

2.3.2 Nachfragerorientierte Marktanteilsbetrachtung 96. Für die Beurteilung der räumlichen Marktabgrenzung kommt es entscheidend auf das tatsächliche Patientenverhalten an, d.h. auf die empirisch feststellbaren Ent- scheidungen, welche Krankenhäuser aus Sicht der Nachfrager, die in einem Ge- biet wohnen, aufgesucht werden und damit untereinander als im Wesentlichen austauschbar angesehen werden. 97. Im Folgenden wird das konkrete Patientenverhalten im Jahre 2005 im Markt Greifswald und Umland im Vergleich zu dem Patientenverhalten der benachbar- ten Gebiete aufgezeigt und belegt, dass jeweils der weit überwiegende Teil der Patienten aus einem Gebiet Krankenhäuser aufsucht, die in seinem Gebiet bzw. in der nächstgelegenen Großstadt liegen, so dass sich die Marktanteile der je- weiligen Anbieter in den jeweiligen Gebieten deutlich unterscheiden. 98. Dabei wird der Marktanteil dargestellt, den alle Krankenhäuser eines Gebietes im eigenen Gebiet und den benachbarten Gebieten erzielen. Die Zuordnung der Krankenhäuser zu einzelnen Gebieten folgt aus ihrem Standort. Die Fallzahlen ergeben sich aufgrund der Angaben der Krankenhäuser. Der Marktanteil wird auf Basis der Fallzahlen aller einbezogenen Gebiete (einschließlich der befragten Großkrankenhäuser in weiterer Entfernung bis nach Berlin) berechnet und nicht nur auf Basis der Fallzahlen der in den unmittelbaren Vergleich einbezogenen Krankenhäuser in den verglichenen Gebieten.68

68 Sofern in einem Gebiet nur ein Krankenhaus ansässig oder die Größe der Wettbewerber im Verhältnis zu diesem Krankenhaus vernachlässigbar ist, wurden die Marktanteile aus Geheimhaltungsgründen nicht genau angegeben, sondern liegen in einer Spanne um +/- 2,5%-Punkten um den angegebenen Wert. Der Wert 2,5% bezeichnet die Spanne von 1% bis 2,5%. Marktanteile von weniger als 1% werden in der Re- gel nicht ausgewiesen. 46

Tabelle 8: Marktanteilsverteilung

Greifs- Kern- Umland Rügen Nord Nord- West Süd wald markt west % % % % % % % % Kerngebiet Uni Greifswald 40 55 25 12,5 10 0 0 5 KH Wolgast 15 25 0 0 0 0 0 0 Bethanien 2,5 5 2,5 0 0 0 0 0 NRZ 0 0 0 0 0 0 0 0 KH Karlsburg 5 5 5 5 2,5 0 2,5 2,5 Summe Kerngebiet 65,1 92,0 32,7 18,7 11,9 1,3 2,5 6,7 Umland KH Ameos Anklam 7,5 2,5 12,5 0 0 0 0 0 KKH Demmin 12,5 0 25 0 0 0 2,5 5 DRK-KH Grimmen 5 0 12,5 0 5 0 0 0 Summe Umland 23,9 <2,5 49,9 <1 <5 <1 <2,5 <5 Summe Greifswald 89,0 <95 82,6 <20 <17 <2,5 <5 <10 Rügen Sana 0 0 0 60 0 0 0 0 Gebiet Nord Hansa-Klinikum 5 2,5 5 15 75 2,5 0 0 Gebiet Nordwest Universitätsklinikum 0 0 0 2,5 5 50 10 2,5 Klinikum Südstadt 0 0 0 0 0 30 2,5 0 Bodden-Klinik 0 0 0 0 5 10 0 0 Summe Nordwest <1 <1 <1 <2,5 7,5 91,5 13,3 <2,5 Gebiet West KH Güstrow 0 0 0 0 0 2,5 47,5 0 DRK-KH-Teterow 0 0 0 0 0 0 15 0 Summe West <1 <1 <1 <1 <1 <2,5 51,7 Gebiet Süd Klinikum Müritz 0 0 0 0 0 0 2,5 15 Klinik Am See 0 0 0 0 0 0 2,5 2,5 KH Malchin 0 0 0 0 0 0 2,5 5 D. Bonhoeffer Klinik 5 2,5 5 0 0 0 2,5 40 DRK-KH-Strelitz 0 0 0 0 0 0 0 7,5 Ameos Uckermünde 2,5 0 2,5 0 0 0 0 7,5 Asklepios Pasewalk 0 0 0 0 0 0 0 10 Summe Süd 5,9 <3 9,5 <1 <1 <1 5,5 84,4

(1) Bedeutung der Krankenhäuser außerhalb des Gesamtgebietes Greifswald aus Nachfragersicht 99. Aus der vorstehenden Tabelle kann entnommen werden, dass der weit überwie- gende Teil der Patienten im Grundsatz ein Krankenhaus in enger räumlicher Nä- he zu seinem Wohnsitz oder die Krankenhäuser der am nächsten gelegenen Großstadt auswählt. Dieses grundsätzliche Verhalten entspricht der Erfahrung, die auch aus anderen Fällen gewonnen werden konnte. Im vorliegenden Fall er- gibt sich im Ergebnis, dass die Nachfrager aus dem Kerngebiet Greifswald zu 92% die Krankenhäuser des Kerngebietes aufsuchen und mit 82,6% auch die 47

Eigenversorgung des Gesamtgebietes Greifswald noch außerordentlich hoch ist. Die Krankenhäuser außerhalb des Gesamtgebietes Greifswald kommen erkenn- bar aus Nachfragersicht für die Patienten aus dem Kerngebiet und auch nicht für das Gesamtgebiet als wettbewerbliche Alternative in Betracht. Die Krankenhäu- ser dieser Gebiete erreichen im Kerngebiet keine Marktanteile von 2,5%, nur das Gebiet Süd erreicht knapp unter 3%. Auch im Gesamtgebiet Greifswald sind die Auswanderungen gering und erreichen im Verhältnis zum Gebiet Nord mit unter 5% und zum Gebiet Süd mit 5,9% ihre höchsten aber dennoch vergleichsweise geringen Werte. Auf Grund der insgesamt sehr geringen Auswanderungen in die benachbarten Gebiete bedarf es im vorliegenden Fall keiner Einzelanalyse mehr auf der Ebene der Teilgebiete.

(2) Verhältnis der Krankenhäuser im Gesamtgebiet Greifswald untereinander 100. Der vorangestellten Tabelle kann entnommen werden, dass aus Sicht der Nach- frager des Kerngebietes die Krankenhäuser aus dem Umland von Greifswald nur in einem sehr geringen Umfang aufgesucht werden. Alle drei betroffenen Kran- kenhäuser erreichen nicht einmal gemeinsam einen Anteil von 2,5% an der Ver- sorgung des Kerngebietes. Aus Sicht der Nachfrager des Kerngebietes wäre bei einer rein nachfragerorientierten Betrachtung somit zweifelsohne der räumlich re- levante Markt auf das Kerngebiet Greifswald zu beschränken. 101. Der Tabelle kann weiter entnommen werden, dass die Nachfrager aus dem Um- land im Durchschnitt nur zu 50% (die Einzelwerte liegen zwischen 40% und 60%) die Krankenhäuser ihres jeweiligen Gebietes aufsuchen und - im Durchschnitt mit über 30% (die Einzelwerte liegen zwischen 25% und 40%) erkennbar auch Kran- kenhäuser des Kerngebietes – im wesentlichen die Universitätsklinik Greifswald und das Krankenhaus Karlsburg – als Alternative ansehen. Die übrigen Kranken- häuser außerhalb des Gesamtgebietes stellen auch für die Nachfrager des Um- landes – wie oben dargestellt – keine hinreichende wettbewerbliche Alternative dar. Aus Sicht der Nachfrager des Umlandes, wäre – weil sowohl die Kranken- häuser des Umlandes als auch die des Kerngebietes für sie eine hinreichende wettbewerbliche Alternative darstellen - der räumlich relevante Markt das Ge- samtgebiet Greifswald.

48

2.3.3 Gesamtbetrachtung angebots- und nachfragerorientierter Faktoren 102. Das Zusammenschlussvorhaben betrifft das Universitätskrankenhaus Greifswald und das Kreiskrankenhaus Wolgast. Beide Krankenhäuser haben ihren jeweili- gen – einzigen – Standort im Kerngebiet Greifswald. Das erworbene Kranken- haus Wolgast behandelt auch – abgesehen von den Urlaubern – zu über 95% Patienten aus diesem Gebiet. Das Zusammenschlussvorhaben betrifft daher im Wesentlichen – im Sinne des Bundesgerichtshofes (siehe Tz. 73, FN 60) – das Wettbewerbsgeschehen im Kerngebiet Greifswald. 103. Die folgende graphische Darstellung visualisiert noch einmal die Ergebnisse der Ermittlungen aus angebots- und nachfragerorientierter Sicht.

100,0%

90,0%

80,0%

70,0%

60,0%

50,0%

40,0%

30,0%

20,0% Nord Rügen 10,0% Grimmen Demmin 0,0% Anklam Kerngebiet Anklam Kerngebiet Demmin Nord Rügen Grimmen Kerngebiet Anklam Demmin Grimmen Rügen Nord

104. In der Horizontalen verdeutlicht die Graphik den Nachfrageaspekt, also die Marktanteile im Markt. Aus der vorderen Linie der Kegel wird erkennbar, dass die Marktanteile im Kerngebiet Greifswald nahezu ausschließlich von Krankenhäu- sern des Kerngebietes gehalten werden und die Marktanteile von Krankenhäu- 49

sern aus benachbarten Gebieten – wie oben im Detail beschrieben - sehr gering sind. Dies gilt – wenn auch nicht mit dieser Deutlichkeit - auch für die zum Ver- gleich herangezogenen Gebiete Rügen und das Gebiet Nord, für die der Umfang der Auswanderungen noch durch kleinere Kegel im Kerngebiet sichtbar ist. 105. In der Vertikalen verdeutlicht die Graphik den Angebotsaspekt, also mit welchem wettbewerblichen Gewicht sich das Einzugsgebiet eines anderen Gebietes in den benachbarten Gebieten auswirkt. Hier wird wiederum deutlich, dass das Kerngebiet Greifswald einen nicht unbedeutenden Anteil an der Versorgung des Umlandes (Anklam, Demmin und Grimmen) hat. Im Bezug auf das Gebiet Anklam entspricht der Kegel der Krankenhäuser im Gebiet sogar in etwa dem Kegel des Kerngebietes, d.h. von den Patienten aus Anklam lassen sich in etwa gleich viele in Anklam und in Greifswald behandeln. Demgegenüber verdeutli- chen die Kegel der Gebiete Rügen und des Gebietes Nord zum einen die hohe Eigenversorgung der Gebiete und die nur geringen Auswanderungen in das Kerngebiet. 106. Vor dem Hintergrund dieser Ermittlungsergebnisse ist die Beschlussabteilung der Auffassung, dass für den vorliegenden Fall der Kernmarkt Greifswald den räum- lich relevanten Markt bildet. Entscheidend ist hierbei, dass im Rahmen der Zu- sammenschlusskontrolle der Nachfragerseite die entscheidende Bedeutung beizumessen ist. Diese spricht im vorliegenden Fall eindeutig für eine engere räumliche Marktabgrenzung. Das wettbewerbliche Gewicht, insbesondere der Universitätsklinik Greifswald und des Krankenhauses Karlsburg, im benachbar- ten Umland ist zwar erheblich, eröffnet jedoch für die Patienten aus dem Kern- gebiet gerade keine hinreichenden Wettbewerbsalternativen, sondern nur für die Patienten aus dem Umland. Darüber hinaus sind die Krankenhäuser des Umlan- des – wie oben dargestellt – nicht einmal im relevanten Umfang auf das Kernge- biet Greifswald ausgerichtet, sondern sie nehmen allenfalls an der Versorgung ihres jeweiligen nördlich, westlich oder südlich gelegenen Umlandes Teil. 107. Letztlich könnte die Abgrenzung des räumlich relevanten Marktes auch dahinge- stellt bleiben, da die Untersagungsvoraussetzungen nicht nur auf dem Kernmarkt Greifswald, sondern auch im größeren Gesamtgebiet Greifswald vorliegen.

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3. Marktbeherrschung 108. Für die Prüfung, ob Marktbeherrschung auf einem relevanten Markt vorliegt, ist eine umfassende Gesamtbetrachtung aller für die Marktstärke eines Unterneh- mens relevanten Umstände vorzunehmen. Die Höhe des Marktanteils stellt im Rahmen der Prüfung der Untersagungsvoraussetzungen nach § 36 Abs. 1 GWB ein besonders aussagekräftiges und bedeutsames Merkmal dar.69 109. Auf dem räumlich relevanten Markt, dem Kerngebiet Greifswald („Kerngebiet“ = PLZ-Bereiche Greifswald, Wolgast und Usedom) besteht bereits heute eine ein- zelmarktbeherrschende Stellung des Universitätsklinikums Greifswald. Etwas anderes ergibt sich auch nicht, wenn das Gesamtgebiet Greifswald – bestehend aus dem Kerngebiet und dem Umland (Bereiche Anklam, Demmin und Grimmen) – der materiellen Beurteilung zugrunde gelegt würde. Die marktbeherrschende Stellung ergibt sich aus den nachfolgend erläuterten Elementen.

3.1. Marktanteile 110. Die Marktanteile werden auf der Grundlage von Fallzahlen errechnet, die sich nur auf akut-stationäre Patienten beziehen. Die Aufnahme/Entlassung eines Pa- tienten gilt als ein Fall, interne Verlegungen werden nicht berücksichtigt. Wird je- doch ein Patient mehrmals während eines Jahres in ein Krankenhaus eingewie- sen, handelt es sich um entsprechend viele Fälle. 111. Die hier zugrunde gelegte Marktanteilsberechnung auf Basis von Fallzahlen dürf- te mit hoher Wahrscheinlichkeit den Marktanteil des Universitätsklinikums Greifs- wald geringer ausfallen lassen als er sich im Vergleich zu einer wertmäßigen An- teilsberechnung darstellen würde. Denn im Universitätsklinikum Greifswald, als einzigem Krankenhaus der Maximalversorgung, werden im Vergleich zu den be- nachbarten Krankenhäusern geringerer Versorgungsstufen häufiger überdurch- schnittlich schwere Fälle behandelt. Dementsprechend liegen auch die Budgets bzw. Pflegesätze von Krankenhäusern der Maximalversorgung im Grundsatz ü- ber denjenigen niedrigerer Versorgungsstufen und geringerer Spezialisierung.70 Auch der Umstand, dass die Krankenhausplanungsbehörden in Deutschland ih- ren Beurteilungen ausschließlich Fallzahlen zugrunde legen, spricht für die Ge-

69 BGH vom 13.07.2004, WUW/E DE-R 1302/1303 – Sanacorp/ANZAG. 70 Das Universitätsklinikum Greifswald verfügt – im Vergleich zu seinen Wettbewerbern – über einen hö- heren vereinbarten Basisfallwert, vgl. aok-gesundheitspartner.de (unter Gesundheitspartner / Bund / Krankenhaus / Budgetverhandlungen / vereinbarte Basisfallwerte 2005, Stand 18.10.2005). 51

eignetheit dieses Maßstabes. Im Übrigen sind die Marktanteilsabstände zwi- schen den beteiligten Unternehmen und ihren Wettbewerbern so hoch, dass selbst unterstellte Abweichungen zwischen einer fall- und umsatzbezogenen Be- rechnung keinen relevanten Einfluss auf die materielle Bewertung haben können. Marktvolumen und Marktanteile wurden für jeden Postleitzahlbereich einzeln un- ter Addition sämtlicher Fallzahlen aller befragten Krankenhäuser ermittelt. 112. Auf Basis der Markterhebung auf dem hier abgegrenzten Markt für Krankenhaus- dienstleistungen erreichten die Beteiligten und ihre Wettbewerber im Jahre 2005 im räumlich relevanten Markt die in Tabelle 9 dargestellten Marktanteile: Alle fol- genden Marktanteilsangaben, auch die der am Zusammenschluss beteiligten Un- ternehmen, werden aus Geheimhaltungsgründen wiederum grundsätzlich nur mit einem Wert angegeben, der innerhalb einer Spanne von bis zu +/-2,5% um den tatsächlichen Wert schwankt (Beispiel: ein Angabe von 20% bedeutet, dass der tatsächliche Marktanteil zwischen 17,5% und 22,5% liegen kann). Davon ausge- nommen sind Marktanteile zwischen 1% und 2,5%, sie werden mit „<2,5%“ an- gegeben. Ausgewiesen sind darüber hinaus auch die Wettbewerber, die Markt- anteile ab einer Höhe von 0,1 % erzielen. Ihr Marktanteil wird mit „<1%“ darge- stellt.

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Tabelle 9: Marktanteilsverteilung vor dem Zusammenschluss

KRANKENHAUS Kerngebiet Kerngebiet Greifswald und Umland Fallzahlen insgesamt 30.149 55.210 Marktanteile in % 1 Universitätsklinikum Greifswald 55 40

2 Kreiskrankenhaus Wolgast 25 15

3 Klinikum Karlsburg, Greifswald 5 5 4 Psych. Krankenhaus Bethanien, Greifsw. 5 5 5 Bonhoeffer-Klinikum Neubrandenburg <2,5 5 6 Ameos-Diakonie-Klinikum Anklam <2,5 7,5 7 Hanse-Klinikum Stralsund <2,5 5

8 Kreiskrankenhaus Demmin <1 10 9 Klinikum der Universität Rostock <1 <1 10 Ameos-Klinikum, Ueckermünde <1 2,5 11 Charité – Universitätsmedizin Berlin <1 <1 12 Neurol. Reha-Zentrum, Greifswald <1 <1 13 Asklepios-Klinik Pasewalk <1 <1 14 DRK-Krankenhaus Grimmen <1 <1 15 Klinik Amsee, Waren <1 <1 16 Klinikum Südstadt Rostock <1 <1 17 Helios-Kliniken Schwerin <1 <1 18 Sana-Krankenhaus Rügen <1 <1 19 Vivantes, Berlin <1 <1 20 Müritz Klinikum, Waren <1 <1

Restliche Marktanteile insgesamt (mind. 21 <1 <1 Krankenhäuser mit Marktanteilen von unter 0,1%) GESAMT 100 100

(1) Absoluter Marktanteil 113. Danach erzielte das Universitätsklinikum Greifswald im sachlich und räumlich relevanten Markt bereits vor dem beabsichtigten Zusammenschluss einen Marktanteil von 55% und überschreitet damit deutlich die Einzelmarktbeherr- schungsvermutung des § 19 Abs. 3 Satz 1 GWB.

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(2) Marktanteilsabstand 114. Der zweitgrößte Wettbewerber im räumlich relevanten Markt ist das Kreiskran- kenhaus Wolgast mit einem Marktanteil von 25%. Die beiden nächstfolgenden Wettbewerber sind das Klinikum Karlsburg und das Fachkrankenhaus für Psy- chiatrie, das Evangelische Krankenhaus Bethanien in Greifswald, die wiederum mit weitem Abstand mit Marktanteilen von jeweils 5% folgen. Sie liegen sämtlich im räumlich relevanten (Kern-)Markt. Alle Wettbewerber hingegen, deren Kran- kenhäuser außerhalb dieses Kernmarktes liegen, erreichen dort nur einen Marktanteil von jeweils weniger als 2,5%, was wiederum für die räumliche Abge- schlossenheit des Marktes spricht. Der absolute Marktanteilsvorsprung des Uni- versitätsklinikums Greifswald gegenüber dem nächstfolgenden Wettbewerber ist mit 30%-Punkten erheblich. Gegenüber den zwei weiteren Wettbewerbern, deren Marktanteil 5% beträgt, erreicht das Universitätsklinikum Greifswald einen mehr als achtmal höheren Marktanteil. Darüber hinaus gibt es nur noch drei weitere Wettbewerber, die jeweils einen Marktanteil oberhalb von 1% aufweisen.

(3) Marktanteile im Kerngebiet + Umland 115. Rein vorsorglich analysiert die Beschlussabteilung auch die Marktstellung der beteiligten Krankenhäuser im größeren Gebiet, welches das Kerngebiet und das Umland von Greifswald (Anklam, Demmin und Grimmen) mit erfasst. Zwar spie- len die Krankenhäuser dieses zusätzlichen Gebietes auf dem Markt Greifswald praktisch keine Rolle, so dass insoweit keine relevanten wechselseitigen Aus- tauschbeziehungen bei den Patientenströmen vorliegen. Jedoch hat das Univer- sitätsklinikum Greifswald in diesen Gebieten eine relevante Bedeutung (im Ein- zelnen siehe hierzu Tz. 94 ff, 98.). 116. Vergleichbare Marktanteilsstrukturen liegen – wenn auch nicht ganz so stark ausgeprägt – auf dem vorsorglich mitgeprüften Gesamtgebiet (= Kerngebiet ein- schließlich Umland) vor. Der Marktanteil der Universitätsklinik Greifswald liegt auch hier mit 40% noch deutlich über der Einzelmarktbeherrschungsvermutung des § 19 Abs. 3 Satz 1 GWB. Der Marktanteilsabstand zum nächstfolgenden Wettbewerber, dem Krankenhaus Wolgast, sinkt nur um 5%-Punkte und ist mit 25% immer noch sehr erheblich. Größere Veränderungen ergeben sich nur in der Reihenfolge und nicht so sehr im wettbewerblichen Gewicht der übrigen Wettbewerber. Herauszuheben ist hierbei insbesondere das Krankenhaus Dem- 54

min, das zwar im Kernmarkt nur Marktanteile von unter 1% erzielen kann, aber im größeren Gebiet bei 10% liegt. Auch dies verdeutlicht noch einmal die unter- schiedlichen Marktstrukturen im Kerngebiet und im Umland von Greifswald.

(4) Marktanteile ohne Berücksichtigung der Psychiatrie 117. Für die wettbewerbliche Gesamtbeurteilung der Marktanteile ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass das Universitätsklinikum Greifswald eine rein somatisch ausgerichtete Klinik ist. Sie verfügt über keine psychiatrische Abteilung. Die Fra- ge, ob es in Mecklenburg-Vorpommern einen eigenständigen Markt für Psychi- atrie71 (einschließlich Kinder- und Jugendpsychiatrie) gibt, braucht hier nicht ent- schieden zu werden. Tatsächlich gibt es sowohl psychiatrische Fachkliniken72 als auch Allgemeinkrankenhäuser, die über psychiatrische Fachabteilungen verfü- gen.73 Jedenfalls in Greifswald und Umgebung besteht insoweit eine klare Tren- nung zwischen den rein somatisch tätigen Kliniken (Universitätsklinik Greifswald, Kreiskrankenhaus Wolgast, Klinikum Karlsburg, DRK-Krankenhaus Grimmen, Kreiskrankenhaus Demmin, Ameos-Klinikum Anklam) einerseits und der dortigen Fachklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (Ev. Krankenhaus Bethanien in Greifswald) andererseits. Da die Überschneidungsbereiche zwi- schen den somatischen Fachabteilungen und der Psychiatrie verhältnismäßig gering sind, stellen jedenfalls bei wertender Betrachtung sämtliche psychiatri- schen Fachabteilungen sowie die psychiatrischen Fachkrankenhäuser keine ef- fektiven Wettbewerber des Universitätsklinikums Greifswald dar. Würde man deshalb die Psychiatrie aus dem sachlich relevanten Markt herausrechnen, so würde sich der Marktanteil des Universitätsklinikums Greifswald auf 60% und der des Kreiskrankenhauses Wolgast auf 27,5% erhöhen, weil insbesondere die

71 Darunter fallen nach dem Krankenhausplan Mecklenburg-Vorpommern auch die Bereiche Psychothe- rapie und Psychosomatik. 72 Evangelisches Krankenhaus Bethanien in Greifswald mit 128 vollstationären Betten und 25 Tageskli- nikplätzen in Greifswald und Demmin; Carl-Friedrich-Flemming-Klinik in Schwerin (Träger: Helios Kliniken Schwerin GmbH)mit 255 Betten Psychiatrie, 40 Betten KJP und 22 Tagesklinikplätzen; Tagesklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Rostock (Träger: ASB) mit 36 Tagesklinikplätzen; Tagesklinik für KJP/Psychotherapie in Rostock (Träger: ASB) mit 30 Tagesklinikplätzen. 73 Hanse-Klinikum Stralsund (Träger: Damp) mit 120 Betten Psychiatrie, 50 Betten KJP sowie 25 Tages- klinikplätzen Psychiatrie und 16 Tagesklinikplätzen KJP; Ameos Diakonie-Klinikum in Ueckermünde mit 90 Betten Psychiatrie und 3 Tagesklinikplätzen Psychiatrie; Müritz-Klinikum Waren mit 68 Betten Psychi- atrie und 27 Tagesklinikplätzen Psychiatrie; Krankenhaus mit 62 Betten Psychiatrie und 22 Ta- gesklinikplätzen Psychiatrie; Klinikum der Universität Rostock mit 164 Betten Psychiatrie und 4 Tageskli- nikplätzen Psychiatrie; KMG Klinikum Güstrow mit 53 Betten Psychiatrie und 15 Tagesklinikplätzen Psy- chiatrie; Dietrich-Bonhoeffer-Klinikum Neubrandenburg mit 72 Betten Psychiatrie und 18 Tagesklinikplät- zen Psychiatrie. 55

Fallzahlen der psychiatrischen Fachklinik in Greifswald (Ev. Krankenhaus Betha- nien) aus dem Marktvolumen herausfielen.

(5) Marktanteile in einzelnen Fachrichtungen 118. Gerade vor dem Hintergrund, dass die sachliche Marktabgrenzung der Be- schlussabteilung von einem Gesamtmarkt für Krankenhausdienstleistungen aus- geht, kommt der zusätzlichen Betrachtung einzelner sachlicher Teilmärkte eine besondere Bedeutung zu, um die Heterogenität des Marktes angemessen würdi- gen und bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigen zu können. 119. In der folgenden Tabelle sind die Marktanteile in den Fachabteilungen im Kern- gebiet Greifswald dargestellt, über die das zu erwerbende Krankenhaus Wolgast verfügt. Die Beschlussabteilung hat sich aus verfahrensökonomischen Gründen bei der Ermittlung auf diese Fachabteilungen beschränkt, weil sich nur hier das Zusammenschlussvorhaben schwerpunktmäßig auswirkt. Auf diese Fachabtei- lungen entfiel insgesamt ein Anteil von 75,4% des Marktvolumens im Kerngebiet. Klarstellend wird nochmals darauf hingewiesen, dass die Beschlussabteilung da- von ausgeht, dass es zwischen den Fachabteilungen zum Teil erhebliche Über- schneidungsbereiche gibt (siehe hierzu im Einzelnen Tz. 56 ff sowie 69 ff.) . Ins- besondere ist darauf hinzuweisen, dass erfahrungsgemäß in Krankenhäusern der Maximalversorgung Leistungen in speziellen Fachabteilungen erbracht wer- den, die in Krankenhäusern niedrigerer Versorgungsstufen z.B. in der Inneren Abteilung oder der Chirurgie erbracht werden. Im Übrigen sind jeweils nur die Krankenhäuser aufgeführt, die im Kerngebiet Greifswald einen Marktanteil von mindestens 1% erreicht haben.

Tabelle 10: Marktanteile in ausgewählten Fachrichtungen

INN CHI INN+CHI GUG KIN HNO in % in % in % in % in % in % Gewicht der Fach- 33,3 14,3 47,6 10,0 13,1 4,7 abteilung Uni Greifswald 45 50 45 55 72,5 85 KKH Wolgast 35 40 37,5 37,5 25 10 Klinikum Karlsburg 15 - 10 - - - Ameos Anklam 2,5 5 5 2,5 - - KKH Demmin 2,5 - 2,5 - - - Klinikum Stralsund - - - 2,5 - - 56

120. Der Tabelle kann entnommen werden, dass – wie zu erwarten war – die Markt- anteile der betroffenen Unternehmen in den einzelnen Fachrichtungen um den Marktanteil des Gesamtmarktes schwanken. Je stärker ein Krankenhaus spezia- lisiert ist, desto größer sind die Schwankungen. So erreicht das Fachkranken- haus (Herz- und Diabeteszentrum) Klinikum Karlsburg auf dem sachlich relevan- ten Gesamtmarkt nur Marktanteile von 5%, erreicht aber in seinem Spezialge- biet, das einzelne Fachrichtungen der Inneren Abteilung (plus Herzchirurgie) um- fasst, einen um das Dreifache höheren Marktanteil. Allerdings verfügt es dem- entsprechend auf allen anderen sachlichen Teilmärkten über einen Marktanteil von 0%. Die Schwankungen der fachbezogenen Marktanteile des Universitätskli- nikums Greifswald sind demgegenüber deutlich moderater. In den großen Fach- richtungen Innere Medizin und Chirurgie liegen seine Marktanteile wegen seiner differenziert ausgebildeten Fachabteilungsstruktur unter seinem Gesamtmarktan- teil, dafür überschreiten seine Marktanteile in den Fachrichtungen Kinderheilkun- de und HNO mit über 70% bzw. über 80% deutlich den Mittelwert.

(6) Zusammenfassung 121. Bereits aufgrund des absoluten Marktanteils des Universitätsklinikums Greifs- wald von 55% und seines weiten Marktanteilsvorsprungs von 30% gegenüber seinem nächst größeren Wettbewerber ist die überragende Marktstellung dieser Klinik im Verhältnis zu ihren Wettbewerbern begründet. Letztlich kann dies je- doch dahin stehen, da jedenfalls eine Reihe von weiteren zusätzlichen strukturel- len Gesichtspunkten für die Annahme einer überragenden Marktstellung des U- niversitätsklinikums Greifswald im Verhältnis zu seinen Wettbewerbern im Kern- gebiet Greifswald als auch im erweiterten räumlichen Gebiet (Kerngebiet + Um- land) sprechen. Diese werden erkennbar, wenn sämtliche Krankenhäuser im räumlichen Markt sowie weitere benachbarte Krankenhäuser in ihrer jeweiligen wettbewerblichen Situation und im Vergleich zum Universitätsklinikum Greifswald beleuchtet werden.

3.2 Breite des Versorgungsangebots und technische Ausstattung 122. Sowohl im Hinblick auf Zahl und Umfang seiner Fachabteilungen sowie auch im Hinblick auf die Ausstattung mit medizintechnischen Geräten ist das Universi- 57

tätsklinikum Greifswald seinen Wettbewerbern im räumlich relevanten Kerngebiet Greifswald und auch denen im Umland von Greifswald weit überlegen. Es verfügt über 15 verschiedene Fachabteilungen, wobei selbst die kleinste Abteilung (Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie) noch 20 Betten ausweist. Es hat laut Kranken- hausplan die Aufgaben eines Onkologischen Zentrums, eines Perinatalzentrums, eines Kompetenzzentrums für Schlaganfallversorgung (stroke-unit) und eines Geriatrischen Konsils.74 123. Dadurch, dass die Universitätsklinik eng mit den ebenfalls im Kerngebiet Greifs- wald gelegenen Fachkliniken Evangelisches Krankenhaus Bethanien (Psychiat- rie) und Neurologisches Rehabilitationszentrum Greifswald gGmbH (Früh-Reha Neurologie)75 zusammenarbeitet, erweitert sie auf kooperativer Basis indirekt die Breite ihres Versorgungsangebots. Diese drei Greifswalder Krankenhäuser arbei- ten letztlich komplementär zusammen, ohne sich gegenseitig als effektive Wett- bewerber gegenüber zu stehen. Jedenfalls sind beide Fachkrankenhäuser u.a. auf Zulieferungen der Universitätsklinik angewiesen, während eine umgekehrte Abhängigkeit der Universitätsklinik nicht festgestellt werden kann. 124. Zudem verfügt das Universitätsklinikum über eine eigene Krankenhausapotheke und über eine Ausstattung an medizintechnischen Großgeräten76, wie sie in ver- gleichbarer Form ansonsten nur noch die vier anderen großen Kliniken Mecklen- burg-Vorpommerns aufweisen, nämlich die Helios Kliniken Schwerin, das Klini- kum der Universität Rostock, das Hanse-Klinikum Stralsund (Damp-Gruppe) und das Dietrich-Bonhoeffer-Klinikum Neubrandenburg. Es werden in Greifswald mo- dernste Technologien und Krankenhaus-IT-Systeme eingesetzt,77 die eine digita- le Vernetzung gerade auch der radiologischen Diagnostik erlauben. 125. Dagegen verfügen sowohl die Wettbewerber im räumlich relevanten Markt Greifswald (Evangelisches Krankenhaus Bethanien in Greifswald, Neurologi- sches Rehabilitationszentrum Greifswald, Klinikum Karlsburg und das Kreiskran- kenhaus Wolgast) als auch die Wettbewerber im Umland von Greifswald (Ame-

74 S. zu den Einzelangaben: Vierter Krankenhausplan des Landes Mecklenburg-Vorpommern ab 1. Janu- ar 2005, B. Spezieller Teil, S. 27 (Krankenhaus-Einzelblatt Nr. 07). 75 Die neurologische Frührehabilitation der Phase B wird akutstationär im Krankenhaus erbracht und über DRGs mit den Krankenkassen abgerechnet, so dass sie nicht zum Rehabilitationsmarkt, sondern zum allgemeinen Krankenhausmarkt zählt. 76 2 Computertomographen, 1 Magnetresonanztomograph, 1 Linksherzkathetermessplatz, 2 Linearbe- schleuniger, 1 Lithotripter; laut Vierter Krankenhausplan des Landes Mecklenburg-Vorpommern ab 1. Januar 2005, B. Spezieller Teil, S. 27 (Krankenhaus-Einzelblatt Nr. 07). 77 Bericht des Universitätsklinikums in Sonderdruck Krankenhaus Umschau 6/2006, S. 4 (Sonderdruck, veröffentlicht auch in www.klinikum.uni-greifswald.de unter home/presse/pressemitteilungen). 58

os-Diakonie-Klinikum Anklam, Kreiskrankenhaus Demmin, DRK-Krankenhaus Grimmen)78 jeweils nur über höchstens sechs Fachabteilungen79 und – mit Aus- nahme des Klinikums Karlsburg80 – über keine oder nur eine sehr geringe Aus- stattung an medizintechnischen Großgeräten.

3.3 Finanzkraft und Konzernverbund 3.3.1 Land Mecklenburg-Vorpommern als Träger der Universität Greifswald 126. Die Gesamtumsätze des Landes Mecklenburg-Vorpommern betrugen im Jahr 2005 mehr als 500 Mio. €. Davon entfielen allein über [...] Mio. € auf die Umsätze der beiden Universitätskliniken in Rostock und Greifswald. 127. Bestes Beispiel für die Finanzkraft des Universitätsklinikums Greifswald bzw. des hinter ihm stehenden Bundeslandes ist die Tatsache, dass für die Errichtung des neuen und partiell bereits 2004 in Betrieb genommenen Klinikkomplexes bis zu seiner kompletten Fertigstellung im Jahr 2009 mehr als 250 Mio. Euro in den Bau, die Infrastruktur und die Ausstattung fließen werden.81 Dagegen betragen die Gesamtumsätze des nächstfolgenden Wettbewerbers des Universitätsklini- kums Greifswald (Kreiskrankenhaus Wolgast) deutlich weniger als ein Zehntel dieser Investitionssumme.

3.3.2 Wettbewerber im Kerngebiet Greifswald 128. Im Vergleich zum Universitätsklinikum Greifswald verfügen seine Wettbewerber nur über erheblich geringere finanzielle Ressourcen. Die Wettbewerber im räum- lich relevanten Markt Greifswald sind wesentlich kleiner und können praktisch nicht auf die finanziellen Ressourcen eines Konzernverbundes zurückgreifen. Das Kreiskrankenhaus Wolgast gehört zwar dem Landkreis Ostvorpommern, je- doch handelt es sich dabei um einen der ärmsten Landkreise in Mecklenburg- Vorpommern, der nach Angaben der Antragstellerin zur Konsolidierung seines Haushalts auf den Veräußerungserlös durch den Verkauf seines Krankenhauses

78 Es handelt sich um insgesamt sieben Kliniken, davon drei Fachkrankenhäuser und vier Allgemeinkran- kenhäuser: Evangelisches Krankenhaus Bethanien in Greifswald (Fachklinik Psychiatrie), Neurologisches Rehabilitationszentrum Greifswald (Fachklinik), Klinikum Karlsburg (Herz- und Diabeteszentrum) einer- seits und Kreiskrankenhaus Wolgast, Ameos-Diakonie-Klinikum Anklam, Kreiskrankenhaus Demmin, DRK-Krankenhaus Grimmen als Allgemeinkliniken andererseits. 79 Lediglich das Krankenhaus Demmin weist 6 Abteilungen aus, darunter jedoch die Abteilungen für HNO und Urologie nur als Belegabteilungen mit lediglich 2 bzw. 4 Planbetten. Alle anderen Krankenhäuser im räumlich relevanten Markt haben noch weniger Fachabteilungen. 80 1 Computertomograph, 2 Linksherzkathetermessplätze, 1 Digital-Subtraktionsangiograph. 81 Bericht des Universitätsklinikums in Sonderdruck Krankenhaus Umschau 6/2006, S. 4 aaO. 59

angewiesen ist. Das Klinikum Karlsburg (216 Planbetten) gehört zwar zur Klini- kengruppe Dr. Guth aus Hamburg, jedoch handelt es sich dabei um eine sehr kleine Klinikgruppe, die neben dem Klinikum Karlsburg nur über zwei kleinere (Privat-)Kliniken in Hamburg (Klinik Dr. Guth mit 70 Plan-Betten bzw. 126 Betten insg. und die Belegklinik Praxisklinik Mümmelmannsberg mit 73 Betten) sowie eine Rehaklinik mit 169 Betten (Curschmann-Klinik in Timmendorfer Strand) ver- fügt. Die beiden in Greifswald selbst befindlichen Fachkrankenhäuser gehören zu unabhängigen Trägern aus dem freigemeinnützigen Bereich, nämlich einer Stif- tung (Johanna Odebrecht-Stiftung Evangelisches Krankenhaus Bethanien mit 153 Planbetten) bzw. einer Selbsthilfeorganisation für Behinderte (Bundesver- band für Rehabilitation und Interessenvertretung Behinderter e.V., Bonn, „BDH“ als Träger der Neurologisches Rehabilitationszentrum Greifswald gGmbH mit 46 akutstationären Planbetten und 66 Rehabetten).82

3.3.3 Wettbewerber im Umland 129. Die Wettbewerber im Umland sind kleinere Krankenhäuser der Grund- und Re- gelversorgung, nämlich das Kreiskrankenhaus des Landkreises Demmin (213 Betten), das DRK-Krankenhaus Grimmen (104 Betten) sowie das Ameos- Diakonie-Klinikum Anklam (111 Betten). Der Landkreis Demmin verfügt über kei- ne weiteren Kliniken. Der DRK-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern e.V.83 verfügt zwar über mehrere Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens, darunter auch insgesamt vier Krankenhäuser. Es handelt sich dabei jedoch um sehr kleine und weit verstreut liegende Häuser. Allenfalls ist mit der Ameos- Gruppe ein in weiteren Bundesländern tätiger Krankenhauskonzern84 in Ostvor- pommern vertreten, der über eine höhere Finanzkraft85 verfügt, die aber nicht an die des Landes Mecklenburg-Vorpommern heranreicht. Jedoch handelt es sich auch hier lediglich um ein kleines Allgemeinkrankenhaus in Anklam mit 111 Bet- ten. Darüber hinaus hat Ameos in Mecklenburg-Vorpommern nur noch ein All- gemeinkrankenhaus in Ueckermünde (Ameos Diakonie-Klinikum mit 259 Betten).

82 S. www.nrz-greifswald.de unter Allgemeines / Qualitätsbericht 2004, dort S. 5, 6. Der BDH verfügt neben zwei Kliniken in Greifswald (NRZ Greifswald und Neurologische Tagesklinik Greifswald) über sechs weitere, ebenfalls neurologische Einrichtungen in Süddeutschland. Das NRZGreifswald ist kein akademisches Lehrkrankenhaus, aber als An-Institut der Universität Greifswald in die akademische Lehre eingebunden.) 83 lv-mecklenburg-vorpommern.drk.de. 84 www.krankenhaus-anklam.de (unter Unternehmen / Portrait Ameos-Gruppe). 85 Bilanzsumme laut eigenen Angaben im Internet (aaO unter Unternehmen / Portrait Ameos-Gruppe / Daten&Fakten) ca. 350 Mio. €. 60

3.4 Größen- und Verbundvorteile 130. Allein dadurch, dass das Universitätsklinikum Greifswald mit 778 Planbetten im räumlich relevanten Markt das mit Abstand größte Krankenhaus ist, hat es ge- genüber seinen Wettbewerbern erhebliche Größen- und Verbundvorteile. Die nächstgrößten Kliniken im Kernmarkt Greifswald und auch im Umland von Greifswald verfügen lediglich über kaum mehr als 200 Planbetten.86 Diese Grö- ßennachteile können die Wettbewerber auch nicht über eventuelle Konzernver- bünde kompensieren. Soweit sie nämlich ausnahmsweise überhaupt Konzern- verbindungen aufweisen (dazu Tz. 128 f), handelt es sich vorwiegend um kleine Krankenhausgruppen, die nicht den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten in Ostvor- pommern haben. So ist für die kleinere Klinikgruppe Dr. Guth aus Hamburg87 das Klinikum Karlsburg das einzige Akut-Krankenhaus und auch die einzige Ein- richtung der Gruppe in ganz Mecklenburg-Vorpommern. Der DRK- Landesverband Mecklenburg-Vorpommern e.V.88 führt vier Krankenhäuser in diesem Bundesland, die aber sehr klein und über das gesamte Land verstreut sind, nämlich die Krankenhäuser in Teterow (103 Betten), in Neustrelitz (Meck- lenburg-Strelitz, 166 Betten), in Grimmen (bzw. Süderholz/Bartmannshagen, 104 Betten) und in Grevesmühlen (118 Betten). Nur die schweizerische Ameos- Gruppe89 hat das Potential, über die typischen Vorteile eines – allenfalls mittel- großen – Krankenhauskonzerns zu verfügen. Jedoch handelt es sich neben den beiden Krankenhäusern in Mecklenburg-Vorpommern (Anklam und Ueckermün- de mit 111 bzw. 256 Betten) in den anderen Bundesländern lediglich um zwei weitere kleinere Allgemeinkrankenhäuser und mehrere psychiatrische Kliniken sowie Heime. 131. Im Gegensatz dazu verfügt das Land Mecklenburg-Vorpommern als Träger der Universitätsklinik Greifswald noch über eine weitere Universitätsklinik, nämlich das Klinikum der Universität Rostock mit 1067 Planbetten. Allein die Kranken- hausumsätze des Landes mit diesen beiden Uni-Kliniken betragen über 314 Mio. €. Zwar spielen die Kliniken in Rostock für den hier räumlich relevanten

86 Klinikum Karlsburg: 216 Planbetten; Kreiskrankenhaus Demmin: 207 Planbetten und 6 Tagesklinikplät- ze; Kreiskrankenhaus Wolgast: 180 Planbetten. 87 www.drguth.de. 88 lv-mecklenburg-vorpommern.drk.de. 89 Bilanzsumme laut eigenen Angaben im Internet (www.ameos.de unter Unternehmen/Portrait Ameos- Gruppe/Daten&Fakten) ca. 350 Mio. €. 61

Markt wegen der nicht unerheblichen räumlichen Entfernung praktisch kaum eine Rolle, jedoch dürfte im Bereich der Spitzenmedizin eine Kooperation der Univer- sitätskliniken von beiderseitigem Vorteil sein. Auch sind generell Verbundvorteile – zumindest aber Reputationsgewinne – zugunsten des klinischen Bereichs durch Forschung und Lehre einer Universität zu erwarten, zumal die klinische Forschung in Greifswald auch seitens des Bundes finanziell gefördert wird.90 Da- von abgesehen ist das Universitätsklinikum Greifswald einem bundesweiten Einkaufsverbund von mehreren – überwiegend norddeutschen – Universitätskli- niken angeschlossen91, wodurch weitere Synergieeffekte erzielt werden können. Das Universitätsklinikum selbst betont, es sei „eines der wenigen in Deutschland, das kontinuierlich schwarze Zahlen schreibt.“92

3.5 Vertikale Verflechtungen 132. Auch im Hinblick auf vertikale Verflechtungen mit sonstigen Einrichtungen des Gesundheitswesens ist das Universitätsklinikum Greifswald seinen Wettbewer- bern im Kernmarkt wie auch im Umland von Greifswald weit überlegen. So ver- fügt das Universitätsklinikum im Gegensatz zu allen anderen Wettbewerbern93 über ein Medizinisches Versorgungszentrum94 (MVZ), das aus den Abteilungen für Strahlentherapie95 und für Psychiatrie/Psychotherapie besteht und über eine telemedizinische Anbindung96 an das Universitätsklinikum verfügt. Die zahlrei- chen Kontakte mit Patienten und niedergelassenen Ärzten97, die das Universi- tätsklinikum allein über sein MVZ aufbaut, können auch für die Akquisition statio- närer Patienten bzw. zur Verfestigung der Beziehungen zu den Nachfragern oder

90 Bericht des Universitätsklinikums in Sonderdruck Krankenhaus Umschau 6/2006, S. 4 aaO. 91 B10-82/06. 92 Bericht des Universitätsklinikums in Sonderdruck Krankenhaus Umschau 6/2006, S. 1 aaO. 93 Laut www.die-gesundheitsreform.de/zukunft_entwickeln/medizinische_versorgungszentren/pdf/ uebersicht_mvz_deutschland (Stand September 2006) gibt es in Mecklenburg-Vorpommern lediglich sechs MVZ, davon zwei in Greifswald. Das andere MVZ in Greifswald ist eine krankenhausunabhängige Kooperation von Fachmedizinern für Mikrobiologie und Laboratoriumsmedizin, die als Laborärzte typi- scherweise keinen Kontakt mit Patienten haben, sondern von Ärzten und Krankenhäusern beauftragt werden. 94 S. z.B. Qualitätsbericht 2004 Universitätsklinikum Greifswald, S. 167, 168: Abteilung für Strahlenthera- pie (mit zwei Kassenarztsitzen) und Abteilung Psychiatrie/Psychotherapie (mit einem Kassenarztsitz). 95 Laut dem Geschäftsführer des MVZ, der gleichzeitig auch kaufmännischer Direktor des Universitätskli- nikums ist, findet dort insbesondere ambulante Strahlentherapie statt, und zwar in „Kooperation mit den über 200 Arztpraxen und den Krankenhäusern im nordöstlichen Einzugsbereich...“. Zitiert aus Innovati- ons-report vom 29.08.2006, www.innovations-report.de/html/berichte/medizin-gesundheit/bericht- 69598.html. 96 Bericht des Instituts für Community Medicine der Universität Greifswald in www.thieme- connect.com/ejournals/abstract/gesu/doi/10.1055/s-2005-920652. 97 S. FN 55: „Kooperation mit über 200 Arztpraxen“. 62

Nachfragedisponenten genutzt werden. Dies gilt auch fachübergreifend. Zwar hat das Universitätsklinikum Greifswald keine stationäre Fachabteilung für Psychiat- rie. Dennoch leiden psychiatrische (und erst recht psychosomatische) Patienten überdurchschnittlich häufig unter körperlichen Beschwerden, so dass auch diese Patientenkontakte für die somatischen Fachabteilungen des Klinikums genutzt werden können. 133. Besondere Vorteile hat das Universitätsklinikum Greifswald im Hinblick auf medi- zinische Kooperationsmöglichkeiten mit Wettbewerbern und anderen Einrichtun- gen des Gesundheitswesens. Jedes nichtuniversitäre Krankenhaus hat ein Inte- resse daran, seine Reputation mit dem Titel eines „Akademisches Lehrkranken- hauses (der Universität Greifswald)“ aufzuwerten. Auch für niedergelassene Ärz- te ist es ein Wettbewerbsvorteil, wenn sie mit einer engen Kooperation zum nächstgelegenen Universitätsklinikum ihre fachliche Reputation unterstreichen können. Nach eigenen Angaben der Universität Greifswald98 wurde dieser Titel eines akademischen Lehrkrankenhauses der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald vier Krankenhäusern der Region verliehen, nämlich dem Dietrich- Bonhoeffer-Klinikum in Neubrandenburg, dem Kreiskrankenhaus Demmin, dem Sana-Klinikum auf Rügen und dem Asklepios-Klinikum in Pasewalk. Zudem wür- den Verhandlungen mit weiteren Krankenhäusern der Region laufen. Dabei wer- den typischerweise medizinische Kooperationen des Universitätsklinikums mit den betroffenen Krankenhäusern ausgebaut bzw. neu begründet. 134. Hinzu kommt, dass das Universitätsklinikum enge Kooperationen mit den beiden ebenfalls in Greifswald gelegenen Fachkliniken Evangelisches Krankenhaus Be- thanien (Psychiatrie) und Neurologisches Rehabilitationszentrum Greifswald gGmbH (Früh-Reha Neurologie)99 aufweist. Letzteres ist ein sog. „An-Institut“ an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität. Da beide Krankenhäuser wegen ihrer fachli- chen Spezialisierung nicht als effektive Wettbewerber des Universitätsklinikums auftreten, bietet sich für sie eine intensive vertikale Kooperation mit der Universi- tät an. 135. Letztlich ergibt sich für die ganze Region kein ausgeglichenes Netzwerk von ge- genseitigen Kooperationen oder von mehreren verschiedenen Kooperationsnet-

98 www.uni-protokolle.de/nachrichten/id/110121/ (EMA-Universität Greifswald vom 02.12.2005). 99 Die neurologische Frührehabilitation der Phase B wird akutstationär im Krankenhaus erbracht und über DRGs mit den Krankenkassen abgerechnet, so dass sie nicht zum Rehabilitationsmarkt, sondern zum allgemeinen Krankenhausmarkt zählt. 63

zen. Stattdessen gibt es fast nur zahlreiche kleinere und mittlere Krankenhäuser von vorwiegend lokaler oder enger regionaler Bedeutung, die miteinander eher im Wettbewerb um eine Kooperationsbeziehung zum Universitätsklinikum Greifswald stehen. Einzig das Klinikum Karlsburg als Herz- und Diabeteszentrum Mecklenburg-Vorpommern bietet sich für die Allgemeinkliniken der Region als weiterer Kooperationspartner für eine spezialisierte medizinische Versorgung an. Die Kooperationen erfolgen hier jedoch offen für alle Kliniken auf rein medizini- scher Basis.100

3.6 Vergleich der Krankenhausträger in Mecklenburg-Vorpommern 136. Auch bei einem auf das gesamte Bundesland Mecklenburg-Vorpommern bezo- genen Vergleich der Krankenhausträger zeigt sich, dass das Land Mecklenburg- Vorpommern bereits jetzt der mit Abstand größte Krankenhausträger ist. Es ver- fügt mit den beiden Universitätskliniken über mehr als 1.800 Planbetten. Der nächstfolgende Wettbewerber, der in Mecklenburg-Vorpommern ausschließlich in Schwerin tätige Fresenius-Helios-Konzern verfügt dort über 1.333 Planbetten. Die schwerpunktmäßig an der Ostseeküste tätige Damp Kliniken- und Tou- ristikgruppe101 ist in Mecklenburg-Vorpommern mit den Kliniken Wismar (475 Planbetten) und Stralsund (647 Planbetten), also mit insgesamt 1.122 Planbetten vertreten. Die Evangelische Krankenhausbetriebsgesellschaft mbH in Neubran- denburg102 ist Träger des Dietrich-Bonhoeffer-Klinikums Neubrandenburg (1.001 Planbetten), das als akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Greifswald ausgewiesen ist, und sie betreibt das nahegelegene kleine Krankenhaus der Re- gelversorgung in Malchin (120 Betten). Die ansonsten mit vier kleineren Kliniken in Brandenburg und Sachsen-Anhalt tätige KMG Kliniken AG betreibt in Meck- lenburg-Vorpommern ihr mit Abstand größtes Haus, nämlich das Klinikum Güst- row mit 377 Planbetten. 137. Letztlich sind die Krankenhausmärkte in Mecklenburg-Vorpommern durch fünf große Kliniken in Schwerin, Rostock (Universitätsklinikum), Stralsund, Greifswald (Universitätsklinikum) und Neubrandenburg geprägt, die ergänzt werden durch fünf mittelgroße Kliniken in Wismar, Rostock (Klinikum Südstadt der Hansestadt

100 In fachspezifischer Hinsicht kooperiert Klinikum Karlsburg zudem mit anderen Herz-(und Diabetes)- Zentren z.B. in Berlin, Cottbus und Bad Oeynhausen. 101 www.damp.de 102 www.dbk-nb.de. 64

Rostock), Güstrow, Waren und Pasewalk. Typischerweise sind nahezu alle diese Kliniken jedenfalls in ihrem lokalen Umfeld kaum dem Wettbewerb anderer grö- ßerer Krankenhausträger ausgesetzt. Da zudem die Entfernungen zwischen den genannten Kliniken (mit Ausnahme der beiden Kliniken in Rostock) erheblich sind, kann sich die Wettbewerbskraft der Kliniken und ihrer Träger nicht gegen- seitig neutralisieren. Dies zeigt sich am Kernmarkt Greifswald mehr als deutlich. Selbst wenn man die Marktanteile aller genannten großen und mittelgroßen Krankenhäuser (außer Universitätsklinikum Greifswald selbst) zusammenrech- nen würde (= 9 der 10 größten Krankenhäuser Mecklenburg-Vorpommerns), so blieben diese neun Krankenhäuser im Kernmarkt Greifswald immer noch bei ei- nem Marktanteil von zusammen deutlich unter 5%.

3.7 Das Land Mecklenburg-Vorpommern als Krankenhausplanungsbehörde 138. Das Land Mecklenburg-Vorpommern ist – wie die anderen Bundesländer auch – verantwortlich für die Krankenhausplanung und die Investitionsfinanzierung sämtlicher im Bundesland zugelassenen Krankenhäuser. Gleichzeitig ist es im Hinblick auf die beiden Universitätskliniken (Rostock und Greifswald) auch Trä- ger bzw. Inhaber dieser Krankenhäuser. Dies führt zu potentiellen Interessenkon- flikten, da die Landesregierung versuchen könnte, auf dem Wege der Kranken- hausplanung und der Investitionsfinanzierung die Interessen ihrer eigenen Klini- ken stärker zu berücksichtigen, als die Interessen anderer Träger. Sowohl die Höhe der für die einzelnen Krankenhäuser finanzierten Anlageinvestitionen als auch die Planungstätigkeiten der Länder haben jeweils nicht unerhebliche Aus- wirkungen auf die Wirtschaftlichkeit ihrer eigenen Krankenhäuser wie die ihrer Wettbewerber. Die Zahl der Planbetten ist mitentscheidend für die Höhe der staatlichen Investitionsfinanzierung. Und auch die Verteilung der Planbetten und die Art der verschiedenen Fachabteilungen hat mittelbar Einfluss auf die Rentabi- lität der Krankenhäuser, weil bestimmte – möglicherweise besonders lukrative Eingriffe – die Existenz einer entsprechenden Abteilung voraussetzen können. 139. Zwar sind die Länder in ihrer Funktion als Planungsbehörden zu Neutralität ver- pflichtet. In der Praxis scheinen die Interessen der freigemeinnützigen und der privaten Krankenhausträger aber bisweilen erst auf verfassungsrechtlicher Ebe- ne Berücksichtigung zu finden. So hat das BVerfG entschieden, dass zwar die Interessenkollision (Land als Planungsbehörde und Krankenhausträger) hinzu- 65

nehmen sei, weil eine Behörde auch in eigener Sache entscheiden könne, dass aber nicht mit dem Hinweis auf bereits bestehende (eigene) Kapazitäten jeder Neuzugang in den Krankenhausbedarfsplan verhindert werden dürfe.103 140. Rein theoretisch ist damit das – ohnehin schon von der Verfassung geforderte - Neutralitätsgebot der Landes-Krankenhausplanung abgesichert, und aus der Pla- nungskompetenz der öffentlichen Hand dürfte deshalb kein Wettbewerbsvorteil der öffentlich-rechtlichen Krankenhäuser entstehen. Da jedoch nicht jede pla- nungsrechtliche Streitigkeit vor die Gerichte, insbesondere vor das Bundesver- fassungsgericht gebracht werden kann, bleiben die strukturellen Vorteile des Landes in seiner Doppelfunktion als Landeskrankenhausbehörde und als Träger von Krankenhäusern zumindest latent vorhanden.

3.8 Gesamtbetrachtung 141. Bereits vor dem Zusammenschlussvorhaben verfügt das Universitätsklinikum Greifswald sowohl im Kernmarkt Greifswald als auch im Gebiet Greifswald und Umland über einen wettbewerblichen Verhaltensspielraum, der von seinen deut- lich kleineren Wettbewerbern nicht hinreichend kontrolliert werden kann. Die ü- berragende Marktsstellung wird bereits durch Marktanteile von 55% (im Kernge- biet Greifswald) bzw. 40% (unter Einschluss des Umlandes) belegt, die weit o- berhalb der Einzelmarktbeherrschungsvermutung liegen. Darüber hinaus ist im Kerngebiet bereits der Marktanteilsabstand zum nächstfolgenden Wettbewerber mit 30%-Punkten sehr groß und zu den weiteren Wettbewerbern mit fast 50%- Punkten außerordentlich hoch. Die außergewöhnliche Marktstruktur wird auch daran deutlich, dass kein Wettbewerber – außer das zu übernehmende Kreis- krankenhaus Wolgast – im Kerngebiet einen Marktanteil hat, der über 7,5% hi- nausgeht. In einzelnen sachlichen Teilmärkten erreicht die Universitätsklinik Greifswald sogar Marktanteile von über 70% (Kinderheilkunde) bzw. über 85% (HNO). Letztlich konnten auch keine sonstigen strukturellen Wettbewerbspara- meter gefunden werden, welche die auf die Marktanteilsstruktur begründete marktbeherrschende Stellung relativieren könnten. Im Gegenteil ist das Universi- tätsklinikum Greifswald allen Wettbewerbern im räumlichen Markt und im Umland

103 BVerfG vom 4. März 2004 (1 BvR 88/00), NJW 2004, 1648 = juris Nr. KVRE321260401 mit dem Hin- weis, dass der Hamburger Krankenhausplan 2005 den vom Gericht aufgestellten Bedenken Rechnung trägt. 66

in allen relevanten Wettbewerbsparametern deutlich überlegen, so dass auch in- soweit die marktbeherrschende Stellung des Klinikums belegt ist.

4. Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung 142. Durch den Erwerb des Kreiskrankenhauses Wolgast würde die marktbeherr- schende Stellung des Universitätsklinikums Greifswald auf dem Markt für Kran- kenhausdienstleistungen im räumlich relevanten Kernmarkt Greifswald als auch im größeren Gebiet unter Einschluss des Umlandes erheblich verstärkt werden. Jedenfalls wäre die Entstehung einer marktbeherrschenden Stellung zu erwarten (§ 36 Abs. 1 GWB).

4.1 Marktanteilsaddition 143. Durch das Zusammenschlussvorhaben käme es zu einer erheblichen Marktan- teilsaddition, und zwar sowohl im räumlich relevanten Kernmarkt, als auch im erweiterten räumlichen Gebiet unter Einschluss des Umlandes.

Tabelle 10: Marktanteilsverteilung nach dem Zusammenschluss

KRANKENHAUS Kerngebie t Kerngebiet Greifswald und Umland Fallzahlen insgesamt 30.149 55.210 Marktanteile in % 1 Universitätsklinikum Greifswald 55 40 2 Kreiskrankenhaus Wolgast 25 15 Beteiligte Unternehmen 80 55

3 Klinikum Karlsburg, Greifswald 5 5 4 Psych. Krankenhaus Bethanien, Greifsw. 5 5 5 Bonhoeffer-Klinikum Neubrandenburg <2,5 5 6 Ameos-Diakonie-Klinikum Anklam <2,5 7,5 7 Hanse-Klinikum Stralsund <2,5 5 8 Kreiskrankenhaus Demmin <1 10 9 Ameos-Klinikum, Ueckermünde <1 2,5 GESAMT 97,3 90,5

144. Die Marktanteile des Universitätsklinikums Greifswald würden sich durch den Erwerb des nächstfolgenden und damit wichtigsten Wettbewerbers, des Kreis- krankenhauses Wolgast, im Kernmarkt Greifswald um 25% auf insgesamt 80% 67

und in einem erweiterten Markt Greifswald und Umland um 15% auf insgesamt 55% erhöhen. 145. Da nach dem Zusammenschlussvorhaben im räumlich relevanten Kernmarkt kein Wettbewerber mehr einen Marktanteil von über 7,5% erreicht, würde der Marktanteilsabstand zu den nächstfolgenden Wettbewerbern auf deutlich über 70 Prozentpunkte anwachsen. Selbst im erweiterten Gebiet Greifswald und Um- land würde sich der Marktanteilsabstand deutlich auf über 40 Prozentpunkte er- höhen. 146. Hinzu kommt, dass sich die Verstärkungswirkung des Zusammenschlusses nicht nur bei denjenigen Fachgebieten besonders auswirkt, in denen das Universitäts- klinikum bereits bisher eine außergewöhnlich starke Stellung hat, sondern – auf- grund des sachlichen und regionalen Tätigkeitsschwerpunktes des Kreiskran- kenhauses Wolgast – auch in den beiden Kernabteilungen, der Inneren Abtei- lung und der Chirurgie, zu ganz erheblichen Marktanteilsadditionen führen.

Tabelle 11: Marktanteile nach dem Zusammenschluss in ausgewählten Fachrichtungen im Kernge biet Greifsw ald

INN CHI INN+CHI GUG KIN HNO in % in % in % in % in % in % Uni Greifswald 45 50 45 55 72,5 85 KKH Wolgast 35 40 37,5 37,5 25 10 Beteiligte 80 90 82,5 92,5 97,5 97,5 Klinikum Karlsburg 15 - 10 - - - Ameos Anklam 2,5 5 5 2,5 - - KKH Demmin 2,5 - 2,5 - - - Klinikum Stralsund - - - 2,5 - -

147. So würden sich - zusammenschlussbedingt – die Anteile des Universitätsklini- kums Greifswald im Bereich der Kinderheilkunde um 25% und im Bereich HNO um 10% in beiden Fachrichtungen auf insgesamt über 95% erhöhen. Die addier- ten Marktanteile im Bereich der Inneren Medizin und der Chirurgie würden um 35% bzw. 40% auf 80% bzw. 90% anwachsen. Marktanteile in dieser Größen- ordnung sind allein aus sich heraus geeignet, den Nachweis der Marktbeherr- schung zu begründen. 68

4.2 Behinderung der Wettbewerber und Verhinderung potenziellen und nach- stoßenden Wettbewerbs 148. Durch den Zusammenschluss würde der bisher größte Wettbewerber des Uni- versitätsklinikums Greifswald als Wettbewerber entfallen und seine Kapazitäten würden allein den erwerbenden Marktbeherrscher weiter verstärken. Die übrigen Wettbewerber würden außerdem nicht nur weiter auf Abstand gehalten, sondern auch geschwächt werden. Ihre ohnehin bereits geringe Auswahl an Kooperati- onspartnern würde sich weiter verengen und die Abhängigkeit vom Klinikum Greifswald sich weiter verstärken. Auch ein Markteintritt neuer Wettbewerber wird schwieriger, wenn geeignete Akquisitionsobjekte fehlen.104 149. Soweit Wettbewerber oder andere Einrichtungen bisher schon mit dem Kreis- krankenhaus Wolgast kooperieren, sind diese bestehenden Beziehungen stark gefährdet, denn das Universitätsklinikum Greifswald verfügt – mit Ausnahme der psychiatrischen Bereiche – über alle Fachabteilungen, über eine fortschrittliche medizintechnische Ausrüstung, über hochspezialisierte Labore etc., so dass die Universität – anders als ihre Wettbewerber – praktisch im eigenen Haus alle denkbaren medizinischen Leistungen selbst erbringen kann und die bisher be- stehenden medizinischen Kooperationen des Krankenhauses Wolgast, z.B. mit Fachkliniken oder sonstigen Einrichtungen der Umgebung, komplett auf das Uni- versitätsklinikum und den angeschlossenen Instituten übertragen kann. Ange- sichts der von ihr selbst gegenüber der Beschlussabteilung vorgetragenen Un- terauslastung des Universitätsklinikums105 und seiner verhältnismäßig geringen jahresdurchschnittlichen Auslastungszahlen (2004: 72,4% bei 7,3 Tagen Ver- weildauer; 2005: 76,8% bei 7,5 Tagen Verweildauer) erscheint die Gefährdung der bisherigen Kooperationen, die das Kreiskrankenhaus Wolgast mit Wettbe- werbern des Universitätsklinikums aufweist, auch nicht nur hypothetisch, sondern ist im Gegenteil konkret zu erwarten. 150. Eine weitere wesentliche Bedeutung des beabsichtigten Zusammenschlusses liegt in der Verhinderung nachstoßenden Wettbewerbs. Aufgrund seiner Stellung als einziges Krankenhaus des Landkreises Ostvorpommern, hält sich der von dem Kreiskrankenhaus Wolgast unmittelbar ausgehende Wettbewerbsdruck auf

104 Der Markteintritt durch Neugründung eines Allgemein-Krankenhauses ist in der gegenwärtigen Situati- on im Gesundheitswesen praktisch ausgeschlossen. 105 S. Protokoll über Gespräch am 10.10.2006. 69

das Universitätsklinikum Greifswald bisher in den Schranken seiner medizini- schen Kompetenzen. Wenn das Kreiskrankenhaus aber – statt an das Universi- tätsklinikum Greifswald – an einen Wettbewerber veräußert würde, könnte dieser seine eigenen medizinischen und sonstigen Ressourcen dafür nutzen, die Wett- bewerbsfähigkeit des Kreiskrankenhauses Wolgast – auch im Hinblick auf die Konkurrenz zum Universitätsklinikum – zu verbessern. Die ohne den angemelde- ten Zusammenschluss zu erwartende Verbesserung der Wettbewerbsstrukturen im Krankenhausmarkt Greifswald ist ebenfalls nicht nur hypothetisch. Allein das von einem Wettbewerber eingeleitete Kommunalaufsichtsverfahren106 gegen die – seiner Auffassung nach „unter Wert“ – beabsichtigte Veräußerung zeigt, dass es mindestens einen ernsthaften weiteren Interessenten für das Kreiskranken- haus gibt. Zudem hat die Antragstellerin selbst die Auffassung vertreten, dass der Landkreis schon aus finanziellen Gründen gezwungen sei, sein Krankenhaus zu veräußern.107 151. Die Veräußerung des Kreiskrankenhauses Wolgast an das Universitätsklinikum würde die Wettbewerbsbedingungen im räumlich relevanten Markt nachhaltig und praktisch irreversibel verschlechtern. Jeder andere Erwerber außer dem U- niversitätsklinikum hätte ein ungeteiltes Eigeninteresse daran, die Existenz des Kreiskrankenhauses dauerhaft zu sichern und es in seiner Wettbewerbskraft ge- rade gegenüber dem Universitätsklinikum zu stärken. Nur wenn dem jeweiligen Erwerber dies gelingt, wird sich seine Investition in den Erwerb des Kreiskran- kenhauses amortisieren können. Ganz anders wäre die Interessenlage jedoch bei einem Erwerb durch das Universitätsklinikum Greifswald. Für dieses kann es günstiger sein, die Leistungserbringung beider Häuser räumlich im Sinne der Op- timierung von Synergieeffekten zu steuern bzw. das Krankenhaus in Wolgast langfristig in seiner Bedeutung zurückzustufen oder sogar zu schließen. Denn das Universitätsklinikum Greifswald kann angesichts seiner relativ geringen Ent- fernung zu Wolgast davon ausgehen, dass die Patienten, wenn sie das bisherige Angebot in Wolgast nicht mehr vorfinden, sich direkt nach Greifswald begeben werden. Die Bettenkapazitäten des Kreiskrankenhauses Wolgast dürften in dem bereits heute partiell und im Jahr 2009 komplett neu errichteten Klinikkomplex108

106 S. o. Tz. 10. 107 S. Protokoll über Gespräch am 10.10.2006. 108 Laut eines Berichts des Universitätsklinikums in Krankenhaus Umschau 6/2006, S. 4 (Sonderdruck, veröffentlicht auch in www.klinikum.uni-greifswald.de unter home/presse/pressemitteilungen) entsteht 70

auf dem Campusgelände der Universität wohl auch unproblematisch aufgenom- men werden können.

4.3 Zusammenfassung 152. Der Erwerb des Kreiskrankenhauses Wolgast würde nicht nur die einzelmarktbe- herrschende Stellung des Universitätsklinikums Greifswald im Kernmarkt Greifs- wald bzw. Greifswald und Umland erheblich stärken, sondern er würde auch die verbliebenen Wettbewerber im Markt weiter schwächen und die zukünftigen Be- dingungen für potentiellen und nachstoßenden Wettbewerb im betroffenen Markt nachhaltig und irreversibel verschlechtern.

5. Keine Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen 153. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor noch sind von den Beteiligten Tatsachen vorgetragen worden, die Anlass zu der Annahme geben, dass die Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung des Universitätsklinikums Greifswald im Markt Greifswald bzw. Greifswald und Umland durch gleichzeitige Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen auf anderen Märkten überwogen würde (§ 36 Abs. 1 2. Hs. GWB). In einem mündlichen Gespräch mit der Beschlussabteilung wurden wissenschafts- und regionalpolitische bzw. betriebswirtschaftliche Gründe gel- tend gemacht, die die Notwendigkeit einer Stärkung der Universitätsklinik Greifswald betrafen, um die Existenz der medizinischen Fakultät in Greifswald langfristig abzusichern. Eine fusionsbedingte Verbesserung von Marktstrukturen auf anderen Märkten wurde hingegen nicht dargelegt.

6. Kein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 3 GG 154. Nach Auffassung der Anmelderin sei der Erwerb des Kreiskrankenhauses Wol- gast erforderlich, „um den grundgesetzlich gemäß Art. 5 Abs. 3 GG zugewiese- nen Wissenschaftsauftrag, den das Universitätsklinikum Greifswald insbesonde- re im Bereich Community Medicine erfüllt, nachhaltig sicherzustellen.“109 Nach der Finanzierungssystematik des Landes Mecklenburg-Vorpommern würden die Budgets der Hochschulmedizin zu Lehre und Forschung durch die Anzahl der

dort das modernste Kompaktklinikum Deutschlands. Es würden 21 Kliniken und 19 Institute in einem maßgeschneiderten Komplex vereint. 109 Stellungnahme (zur Abmahnung) vom 4. Dezember 2006, S. 8.

71

Studierenden definiert.110 Diese Anzahl könne nur gehalten bzw. erweitert wer- den, wenn ein entsprechender Planbettenzuwachs erfolge. Nach einer Empfeh- lung des Wissenschaftsrates bestünde für ein Klinikum einer medizinischen Fa- kultät eine Untergrenze von etwa 850 Planbetten. Diese werde in Greifswald z.Z. deutlich unterschritten.111 Zudem könne mit dem Kreiskrankenhaus Wolgast ein Personalrotationsprinzip Kapazitäten zur Entlastung des wissenschaftlichen Per- sonals in Greifswald schaffen, damit diesem mehr Zeit für Forschung und Lehre bleibe, um so eine weitere Abwanderung des wissenschaftlichen Personals ins Ausland zu verhindern.112 Die Anmelderin führt weiter aus: „Der Forschungsver- bund Community Medicine stellt mit seinen Strukturen und Institutionen seit sei- ner Gründung ein wissenschaftliches Alleinstellungsmerkmal der Region Greifs- wald dar. Durch den ausgeprägten Bevölkerungs-, Präventions- und Versor- gungsbezug ist Community Medicine heute ein wichtiger Standortfaktor für die Gesundheitswirtschaft in Greifswald und Vorpommern.“ 113 155. Es kann dahinstehen, ob und inwieweit die vorliegende Untersagungsentschei- dung überhaupt ursächlich dazu führen kann, dass Forschung und Lehre insbe- sondere im Bereich „Community Medicine“ an der Universität Greifswald einge- schränkt werden. Immerhin ergibt sich aus den vom Bildungsministerium vorge- legten Unterlagen114 zu „Community Medicine“115, dass es hier eher um konkrete Gesundheitspolitik geht, die einen dezentralisierten, breitflächigen Ansatz verfolgt und sich besonders auch auf den niedergelassenen Bereich stützt116, so dass eine Zentralisierung der Aktivitäten auf einen einzigen Träger das Gesamtkon- zept nicht zu unterstützen scheint. In den vorgelegten Unterlagen wird sogar festgestellt, dass es in Greifswald zusätzliche von den Universitäten genutzte Betten bei Kooperationspartnern gibt.117 Davon, dass diese Betten von Koopera- tionspartnern in die Trägerschaft des Universitätsklinikums gelangen müssten, ist nicht die Rede.

110 Stellungnahme (zur Abmahnung) vom 4. Dezember 2006, S. 7. 111 Stellungnahme (zur Abmahnung) vom 4. Dezember 2006, S. 7. 112 Stellungnahme (zur Abmahnung) vom 4. Dezember 2006, S. 7 f. 113 Stellungnahme (zur Abmahnung) vom 4. Dezember 2006, S. 6. 114 Telefax des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur Mecklenburg-Vorpommern vom 26.09.2006, insg. 12 Seiten, mit Auszügen aus verschiedenen Beiträgen. 115 Telefax vom 26.09.2006, Seite 8/12: Auszug aus Landeskonzept Hochschulmedizin in Mecklenburg- Vorpommern von 1994 sowie Seite 9/12 und 10/12: Auszug aus Empfehlungen des Wissenschaftsrates vom 11.11.2005. 116 Telefax aaO., S. 9/12: „Unter Community Medicine wird die am Gemeinwohl orientierte medizinische Betreuung des Individuums verstanden.“ 117 Telefax aaO., S. 10/12. 72

156. Im übrigen beruhen die Möglichkeiten von Forschung und Lehre selbst nach dem eigenen Vortrag der Anmelderin ursächlich auf Finanzierungsentscheidungen des Landes.118 Die fusionskontrollrechtliche Untersagungsentscheidung be- schränkt dagegen lediglich die externe Expansion des Universitätsklinikums im Krankenhausmarkt, also den Zukauf von Marktanteilen im Bereich der Patienten- versorgung. 157. Schließlich gehören die Vorschriften über die Fusionskontrolle zu den (allgemei- nen) Gesetzen, in deren Rahmen die Angelegenheiten der örtlichen Gemein- schaften119 und auch die Angelegenheiten des Hochschulwesens sowie der For- schungsförderung eigenverantwortlich zu regeln sind.

7. Ergebnis 158. Der Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung an der Kreiskrankenhaus Wolgast gGmbH i.Gr. durch das Universitätsklinikum Greifswald ist zu untersagen, weil durch das Zusammenschlussvorhaben die bereits bestehende marktbeherr- schende Stellung des Universitätsklinikums Greifswald auf dem Markt für statio- näre Krankenhausleistungen im räumlich relevanten Markt Greifswald bzw. Greifswald und Umland verstärkt würde. Ein Eingriff in die Freiheit von For- schung und Lehre durch die Untersagungsentscheidung liegt nicht vor.

GEBÜHREN

159. [...] 160. [...] 161. [...] 162. [...] 163. [...]

118 Stellungnahme (zur Abmahnung) vom 4. Dezember 2006, S. 7. 119 So zum Verhältnis Fusionskontrolle und Grundrecht auf kommunale Selbstverwaltung: BGH, Be- schluss vom 11.07.2006 – KVR 28/05 – „Deutsche Bahn/KVS Saarlouis“, Entscheidungstext, Umdruck S. 8. 73

[...] 164. [...] 74

RECHTSMITTELBELEHRUNG

Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde zulässig. Sie ist schriftlich binnen einer mit Zustellung des Beschlusses beginnenden Frist von einem Monat beim Bundeskartell- amt, Kaiser-Friedrich-Straße 16, 53113 Bonn, einzureichen. Es genügt jedoch, wenn sie innerhalb dieser Frist bei dem Beschwerdegericht, dem Oberlandesgericht Düsseldorf, eingeht. Die Beschwerde ist zu begründen. Die Frist für die Beschwerdebegründung beträgt zwei Monate. Sie beginnt mit der Zustellung der angefochtenen Verfügung und kann auf Antrag vom Vorsitzenden des Beschwerdegerichts verlängert werden. Die Beschwerde- begründung muss die Erklärung enthalten, inwieweit der Beschluss angefochten und seine Abänderung oder Aufhebung beantragt wird, und die Tatsachen und Beweismittel angeben, auf die sich die Beschwerde stützt. Beschwerdeschrift und Beschwerdebegründung müssen durch einen bei einem deut- schen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.120

Heistermann Krueger Bangard

120 Es wird darauf hingewiesen, dass diese Entscheidung - dem Tenor nach - im Bundesanzeiger (§ 43 Nr. 2 GWB) sowie - im Volltext - gegebenenfalls anderweitig veröffentlicht wird (z.B. auf der Home- page des Bundeskartellamtes). Sie werden deshalb gebeten, der Beschlussabteilung innerhalb von einer Woche ab Erhalt der Entscheidung mitzuteilen, ob die Entscheidung Geschäftsgeheimnisse enthält, die vor Veröffentlichung zu löschen sind. Bitte begründen Sie die von Ihnen gewünschten Löschungen.