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Deutschland

Kollegin will sich nicht unter Druck setzen lassen. PARTEIEN Dabei sind die Grünen mit dem Entwurf ihres Grundsatzprogramms, vorgestellt am Montag dieser Woche, eigentlich im Be- „Wollt ihr die oder uns?“ griff, selbst ein Gegenmodell zur Kultur des Selbstzweifels zu formulieren. Elf Jah- Mit einem Grundsatzprogramm wollen sich die Grünen re nach dem Ende des Kalten Krieges ha- ben auch die Grünen das Ende der Ideo- von alternativen Zöpfen verabschieden und sich als Reformpartei logien eingeläutet und gerieren sich als mo- profilieren. Doch noch bestimmen Streit und Querelen ihr Bild. derne Reformpartei. „Mit dem Text kann ich was anfangen“, räumte sogar Grünen- ie Grünen können aufatmen. Einen sich mit sich selbst. Statt in der Stunde der Skeptiker Fischer ein. wichtigen Wähler haben sie – we- Not alle Kräfte für den Kampf um Platz Aus dem alten Credo – wir ändern alles, Dnigstens in – schon für sich drei der deutschen Parteienlandschaft zu und zwar sofort – wird eine „Schritt für gewinnen können: Joschka Fischer, Außen- bündeln, arbeiten die Alternativen eifrig Schritt“-Strategie, die einen langen Atem minister und Vizekanzler der Bundesrepu- an ihrer Selbstzerstörung. braucht, um „unsere politischen Ziele und blik Deutschland. Als Bürger dieser Stadt, Junge und alte Funktionäre zanken sich, Visionen“ zu erreichen, heißt es in dem erläuterte er Ende Juni zwei Journalisten ob das Wort „Familie“ einen Verrat an Entwurf. Ist die grüne Reformpartei auf frauenpolitischen Idealen dem Weg nach Godesberg? der Gründerzeit bedeutet. Dem Programmtext zufolge hätten die Die Sechs-Prozent-Partei „Wir Jüngeren müssen zei- Grünen sich immerhin mit weiten Tei- Ergebnisse der Sonntagsfrage für Bündnis 90/Die Grünen gen, dass wir keine 68er Par- len der deutschen Wirklichkeit abgefun- tei mehr sind“, fordert die den: etwa dass es auch unter einer grün Welche Partei würden Sie wählen, wenn am thüringische Abgeordnete mitbestimmten Bundesregierung noch nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre? Katrin Göring-Eckardt. immer Atomkraftwerke, die Nato und Bundestagswahl 8 % September 1998

7 % 6,7%

6 %

5 %

1998 1999 2000 2001 Jeweils erste Emnid-Umfrage des Monats beim Italiener, werde er „die hiesigen Grünen wählen“. Selbstverständlich war das offenbar nicht. Noch ein paar Tage vorher hatte Fischer den grünen Bundestagsabgeord- neten Hans-Christian Ströbele gewarnt, er könne auch an- ders. Die Nominierung der einstigen SED-Frau Sibyll Klotz zur Spitzenfrau der Ber-

liner Alternativen hielt Fischer URBAN MARCO für wenig überzeugend. „Jetzt Minister Fischer, Künast: Personalkrieg statt Sachfragen müsst ihr mir erst mal er- klären“, verlangte Fischer von Ströbele, Die Granden der Partei diskutieren, die gibt – und noch lange ge- „warum ich hier die Grünen wählen soll.“ ob die Aufstellung von Spitzenkandida- ben wird. Ja, warum eigentlich? Diese Frage schei- ten im Wahlkampf eigentlich eine gute Zugleich hebt der Entwurf die Stärke nen sich in ganz Deutschland alarmierend Idee ist. „Die Betonung der bekann- der Partei hervor: den Umweltschutz. Die viele Wahlbürger zu stellen. Umfragen se- ten Persönlichkeiten wird maßlos über- ökologische Frage ist der rote Faden des hen die Partei mittlerweile schon auf Platz schätzt“, behauptet der linke Flügelpatri- neuen Programms und hilft, den Verdacht fünf der deutschen Parteienskala – hinter arch Ströbele. abzustreifen, in Wahrheit strebe die Par- der FDP und der PDS. Nicht nur bei der Die Parteivorsitzenden zermartern sich teiführung eine Wende ins Neoliberale an. Berliner Lokalabstimmung droht den Grü- unterdessen das Hirn, ob sie auch im Ob die Debatte um das neue Programm nen die Fortsetzung einer bislang 17-teili- sitzen dürfen, obwohl das mit die Grünen beflügeln wird oder sie in in- gen Serie von Niederlagen; der Trend alten Prinzipien der Gewaltenteilung neren Kämpfen zerreißt, muss sich indes könnte bis zur Bundestagswahl im Herbst bräche. Die Trennung von Amt und Man- erst noch erweisen. Selbstzerfleischung 2002 anhalten. dat bedeute eine „Schwächung der Pro- gehört zur grünen Tradition. Doch die Grünen reagieren auf die Her- fessionalität“ der Grünen-Spitze, findet „Wenn wir uns selbst begeistern, dann ausforderung wie gehabt: Sie beschäftigen Parteichef schon lange – seine können wir auch andere begeistern“, hat-

26 29/2001 te einst den mutlosen Den Dritten im Kabinett, Jürgen Trittin, gangenen Wahlen vor allem bei den Erst- Sozialdemokraten auf dem Mannheimer möchten sie am liebsten aus der ersten Rei- wählern die empfindlichsten Einbußen hin- Parteitag zugerufen – und damit die he fern halten. Schon nach der Debatte um nehmen müssen. SPD aus dem Dämmerschlaf der ewigen die Entlassung des hoffnungslos unpo- Ob das langt, Otto Normalbürger für Opposition gerissen. So viel Freude an sich pulären Umweltministers im Frühjahr woll- die Partei zu interessieren oder gar zu selbst wird man bei den Grünen schwerlich ten die Frontleute Trittin als Altlast ent- begeistern, ist zweifelhaft. Wahrscheinli- finden. sorgen. cher ist, dass die internen Querelen auch Der Krach hat schon begonnen: Die Doch die Parteilinke hält, angeführt von künftig die Schlagzeilen über die Grünen Fraktionsvorsitzenden Rezzo Schlauch und Claudia Roth, erbittert dagegen. Zwar seien bestimmen. Kerstin Müller attackierten vorige Woche Künast und Fischer bei weitem populärer als Allem voran die Debatte um die Tren- eine Riege von Nachwuchspolitikern, die ihr Kollege Trittin, aber dessen Portfolio sei nung von Amt und Mandat, die außerhalb das Thema „Familienpolitik“ als das zen- nun mal nach allen Umfragen das mit Ab- der Partei kaum noch einer versteht. Ge- trale Zukunftsthema verankern wollten. stand wichtigste Thema für Grün-Wähler, dacht war die Norm, dass Mandatsträger Das sei doch ein „ideologisierter Überbe- argumentiert sie. Deshalb müsse der Ver- in den Parlamenten keine Regierungs- griff“, schimpfte Schlauch. Für Grüne gehe such, die Umweltpolitik ohne den Umwelt- und Parteiämter bekleiden dürften, ur- es nicht um Familie, sondern um „Frauen- minister zu verkaufen, fehlschlagen. sprünglich als Riegel gegen Filz und Äm- politik“, belehrte Müller. Bei grünen Personalkriegen aber zählen terhäufung. Bis heute sitzen deshalb die Die Jungen reagierten empört. Man Sachfragen nur bedingt. Gut möglich, dass Parteivorsitzenden der Grünen nicht im müsse schon „sehr viel ideologischen Bal- es am Ende wieder eine Einigung nach grü- Bundestag. last mit sich rumschleppen“, konterte die nem Chaosmuster geben wird: Alle hohen Doch längst hat sich das starrsinnige Parlamentarische Staatssekretärin im Um- Würdenträger – die drei Minister und je Festhalten an dieser Regel als ein eklatan- weltministerium, Simone Probst, 33, dass zwei Partei- und Fraktionschefs – werden ter Nachteil erwiesen, weil Spitzenleute einem „das Wort Familie nicht über die für die Wahlplakate fotografiert. Dann ent- der Partei deshalb die parlamentarische Lippen geht“. scheiden die Kreisverbände, welche der Bühne nicht für sich nutzen können. Die „Altvordern“ (Schlauch) erkennen sieben Reklametafeln sie bestellen und auf- Claudia Roth etwa musste ihr Bundestags- in dem Versuch, das „Leben mit Kindern“ hängen wollen. mandat niederlegen, als sie im März an Stelle der zur Verbrauchermi- nisterin aufgestiegenen Rena- te Künast zur Parteichefin gekürt wurde. Seit geraumer Zeit schon bearbeiten Joschka Fischer und Fritz Kuhn die Co-Partei- chefin Roth, mit ihnen ge- meinsam dieses Uralt-Prinzip der Grünen zu kippen. Was sei, so versuchte Fischer nach einer Bundestagsdebatte die Linke zu ködern, eigent- lich der „emanzipatorische Vorteil“, dass sie als Partei- chefin nicht im Plenum reden dürfe? Claudia Roth will erst nach Gesprächen „mit engen Freunden“ in den Sommer- ferien entscheiden, ob sie sich dem Vorstoß von Kuhn und Fischer anschließt und im nächsten Jahr als Vorsit- zende der Grünen zugleich

MARCO URBAN MARCO wieder für den Bundestag Parteichef Kuhn, Minister Trittin: Selbstzerfleischung gehört zur Tradition kandidiert. Kuhn wünscht sich jedenfalls Amt und Mandat, zur Klammer des grünen Selbstverständ- Die Wahlkampfplanung wird durch sol- will aber auf das Signal seiner Amtskolle- nisses zu machen, einen Angriff auf den ei- chen Hickhack schon seit Monaten gin warten. genen Lebensentwurf. Wer „über das The- gelähmt. Dabei bereitet die Ökopartei zum Einig sind sich die grünen Führungs- ma Kinder“ die Gleichberechtigung der ersten Mal eine professionell geführte kräfte bislang nur, wenn es darum geht, Frauen zurückdrängen wolle, wetterte Par- Kampagne für 2002 vor. Meinungsforscher die Freidemokraten als möglichen Koali- teichefin Claudia Roth, 46, beim Grünen- analysieren die Akzeptanz der Grünen tionspartner des regierenden Kanzlers aus- Frauenrat, „macht einen großen politi- beim Volk und feilen an Botschaften für die zustechen. schen Fehler“. Zielgruppen. Die Kernsätze des Grund- Der Wähler müsse sich entscheiden, ob Auch das Thema Spitzenkandidaten löst satzprogramms sollen auf einer Art er „Schröder plus Ökologie oder Schröder in der Partei Beißreflexe aus. Fischer, Kuhn Scheckkarte unter das Volk gebracht wer- plus Neoliberalismus“ wolle, tönt Trittin. und Verbraucherministerin Renate Künast den – knackige Schlagworte statt langwei- Außenminister Fischer bringt das Dilemma wollen mit einer Doppelspitze in den Bun- liger Faltblätter. der Bürger auf die griffige Formel: „Wollt destagswahlkampf ziehen – mit den bei- Eine eigene „Jugend-Kampa“ soll sich ihr die oder uns?“ den Vorzeige-Ministern der rot-grünen Re- um die Erst- und Nachwuchswähler küm- Möglicherweise eine gefährliche Frage. gierung, Fischer und Künast. mern. Schließlich hat die Partei in den ver- Ralf Beste, Christoph Mestmacher

der spiegel 29/2001 27