Deutschland MICHAEL KAPPELER / DDP (L.); VIRGINIA MAYO / AP (R.) / DDP (L.);MICHAEL KAPPELER VIRGINIA MAYO Grüne Ströbele, Fischer: „Subkutane Unzufriedenheit von Teilen der Basis“

Fischers Truppe der eigenen Sache so si- GRÜNE cher gewesen, dass sie „die subkutane Un- zufriedenheit von Teilen der Basis mit der Oligarchisierung der Partei“ sträflich un- „Fischer quälen“ terschätzte. Andererseits war Ströbele selbst vom Neben dem heimlichen Vorsitzenden hat sich eine neue Ausgang der Abstimmung offenkundig überrascht. Konsequent pflegt er zwar seit Führungsfigur etabliert: Hans-Christian Ströbele. Der will verhin- eh und je das Image des aufrechten Lord- dern, dass aus den Grünen eine Partei wie jede andere wird. siegelbewahrers der Grünen, die nach sei- nem Willen niemals zu einer Partei wie ie ein Schatten hing der Mann mit Mandate als Parlamentarier wollen sie auf jede andere werden sollen, doch seine dem roten Schal und dem grauen jeden Fall behalten. Unbeugsamkeit blieb für das Establishment WSchopf an . Ge- Zielstrebig demontierte der streitbare bisher stets berechenbar. duldig wartete er, als der Außenminister Ströbele so nicht nur das Führungsge- Nur in Bremen hatte er sich verkalku- mal hier, mal da zwischen den Stuhlreihen spann. Er verstieß auch gegen das unge- liert. Kaum war das Ergebnis bekannt, des Reichstags mit Abgeordneten plauder- schriebene „Prinzip Joschka“, wonach das stürzte er schon aufs Podium, um Kuhn te, und schlich dem Häuptling selbst dann grüne Spitzenpersonal nicht gegen den und Roth zu versichern, sein Einsatz in noch hinterher, als der seine Stimmkarte Willen des heimlichen Parteichefs ausge- Sachen Machtbegrenzung habe sich auf zur Wahl des Kanzlers abholte. hebelt werden kann – schon gar nicht von keinen Fall gegen die beiden Vorsitzenden Dass der Abgeordnete Hans-Christian einer Minderheit. gerichtet – weder menschlich noch poli- Ströbele die Nähe zu den Mächtigen sucht, „Ströbele wählen heißt Fischer quälen“, tisch. Doch da war es schon zu spät. ist eher selten. Doch am Dienstag vergan- hatte der Szene-Anwalt im Wahlkampf Wie nun eine Lösung der skurrilen gener Woche – in den Pausen, die die Pro- plakatieren lassen – und damit das erste Führungskrise aussehen könnte, kristal- zedur zur Bestätigung Gerhard Schröders grüne Direktmandat gewonnen. Niemand lisierte sich Ende vergangener Woche im Berliner Parlament mit sich brachte – kann ihm nun vorwerfen, er hätte sein Ver- heraus. Nach einem Vorschlag mehrerer folgte der derzeit prominenteste Linksab- sprechen nicht eingehalten. Landesverbände sollen im kommenden weichler der Republik seinem Parteifreund Das Debakel in Bremen dürfte auch Jahr alle Parteimitglieder in einer Urab- und Vizekanzler auf Schritt und Tritt. Schröder kaum gleichgültig lassen. Der stimmung endgültig entscheiden. Für die Es gab jede Menge Klärungsbedarf – und Spontigeist der Grünen hat sich noch längst Übergangszeit würde die rigide Unverein- der ansonsten weniger anhängliche Grüne, nicht verflüchtigt, und die knappe Mehr- barkeit von Amt und Mandat ruhen, um der seine Partei drei Tage vorher auf der heit im erscheint latent gefähr- Kuhn und Roth eine Wiederwahl beim Delegiertenkonferenz in Bremen in eine det. Von den 55 Abgeordneten des klei- Dezember-Parteitag in Hannover zu er- schwere Krise gestürzt hatte, wollte ein nen Koalitionspartners lassen sich zwar nur möglichen. bisschen gut Wetter machen. noch wenige der -Fraktion zuordnen Mit dem ersten Teil der Initiative könn- In einer brillant-demagogischen Rede – doch die reichen aus, allzeit Unruhe zu te sich selbst Ströbele anfreunden. Die hatte der 63-jährige Jurist aus - stiften. „Wir haben eine Sperrminorität“, Idee, den Grundsatzstreit „irgendwann“ Kreuzberg dafür gesorgt, dass mehr als ein erklärte Ströbele schon unmittelbar nach per Urabstimmung zu klären, sei „gar nicht Drittel der Abgeordneten den erfolgreichs- der Bundestagswahl. so schlecht“, erklärte der Altfundi am ver- ten Vorstand in der Geschichte der Grünen Dass in Bremen eine diffuse Minderheit gangenen Freitag. öffentlich demütigten. Mit ihrem Votum be- aus „alten Fundis und frustrierten Ossis“, Um dem Vorwurf zu entgehen, sie lasse stätigten sie das Dogma, wonach Bundes- so ein führender Grüner, die Partei schwer nach dem Desaster nun so lange abstim- tagsabgeordnete nicht gleichzeitig Vorsit- unter Druck bringen konnte, ist zugleich men, bis ihr das Ergebnis zupass kommt, zende sein können. Bleibt es dabei, werden auch die Schuld des Spitzenteams. Mit sei- hat sich die Führung vorerst ein striktes und die Jobs in nem „Hochmut“ habe es viele Delegierte Schweigegebot verordnet. Motto: Partei, der Partei aufgeben müssen, denn ihre verärgert. Nach dem Wahlerfolg sei sich dein Wille geschehe.

42 44/2002 In Berlin wurde währenddessen ein neu- er Akt der ewig gleichen Aufführung unter dem Titel „Immer Ärger mit Ströbele“ ge- rade noch abgewendet. Am Abend vor der Parlamentsentscheidung über die Verlän- gerung des Bundeswehrmandats in Maze- donien hatten der Pazifist Ströbele und sein Mitstreiter der Frak- tion mitgeteilt, man wolle sich im Plenum enthalten – wie bei zwei Mazedonien-Ab- stimmungen zuvor. Nach der fehlenden Stimme bei der Kanzlerwahl hätte die Koalition so schon wieder mit Abweichlern leben müssen, und Fischer persönlich versuchte, die beiden Friedensfreunde zu überzeugen. Mit Er- folg: Am Ende votierten sie für die Man- datsverlängerung. Unter den johlenden Zwischenrufen von Unionsabgeordneten („Wendehals!“) begründete Ströbele seine geänderte Einstellung: Inzwischen habe sich herausgestellt, dass die „nicht in Mazedonien ist, um zu töten, zu vernichten und zu zerstören, sondern aus- schließlich zum Schutz der Beobachter“. Nach der Sitzung wählte die Bundes- tagsfraktion den Quälgeist sogar zu einem ihrer vier stellvertretenden Chefs, zustän- dig für Innen- und Rechtspolitik. Die Per- sonalie, versicherten Spitzenleute eilig, sei schon „vor Bremen“ verabredet gewesen. Doch nach dem Parteitag sind die Ver- hältnisse anders als vorher, und so sorgte der bevorstehende Aufstieg Ströbeles in- nerhalb der Fraktion zunächst einmal für Unmut. Ein Abgeordneter nach dem andern bezweifelte, dass der Kandidat gewillt sei, eine „konstruktive Rolle“ zu spielen. Ausgerechnet Fritz Kuhn, der Ströbele seinen wenig erbaulichen Status als Vor- sitzender auf Abruf verdankt, warb dar- aufhin in Einzelgesprächen für den Kon- trahenten. Der linke Flügelmann sollte für seinen fatalen Bremer Einsatz weder be- lohnt noch abgestraft werden. Nur eines zähle: seine Kompetenz in der Innen- und Rechtspolitik. Am Ende schaffte es Ströbele knapp – mit 28 von 52 Stimmen. Einbinden aber, er- klärte er umgehend, habe er sich nie lassen, und daran werde sich auch in Zukunft nichts ändern. Er weiß, was er seinem Image schuldig ist. Schließlich hatte der Altlinke schon un- mittelbar nach der Bundestagswahl erklärt, er verdanke sein Direktmandat „nicht mehr der Partei, sondern meinen Wähle- rinnen und Wählern“. Das klang wie eine Drohung. Wie er sich beim Konvent, der über das politische Schicksal der Vorsitzenden Roth und Kuhn entscheidet, verhalten wird, mochte der zur Neben-Führungsfigur avan- cierte Unsicherheitsfaktor in der vergan- genen Woche noch nicht offenbaren. „Es würde schon reichen“, stöhnt ein Fraktionsmitglied, „wenn er da einmal die Klappe hält.“ Gerd Rosenkranz der spiegel 44/2002 43