Bernd Wolf SÜDWESTRUNDFUNK STUDIO KARLSRUHE ARD-Rechtsredaktion Hörfunk
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
Bernd Wolf SÜDWESTRUNDFUNK STUDIO KARLSRUHE ARD-Rechtsredaktion Hörfunk RadioReport Recht Aus der Residenz des Rechts Dienstag, den 22. August 2017 http://www1.swr.de/podcast/xml/swr1/radioreport-recht.xml Mit Bernd Wolf. Hans Christian Ströbele – ein linker Grüner Jurist hört auf. Bernd Wolf: Guten Abend. Hans Christian Ströbele - ein Linker Grüner Jurist hört auf. Hans-Christian Ströbele: Ich wollte die Welt verändern. Ich wollte die Welt revolutionär verändern, Ende der 60iger Jahre, und will das auch noch heute. Bernd Wolf: Christian Ströbele, so etwas wie das Gesicht der Grünen im Deutschen Bundestag, seit vielen Jahren, der einzige Grüne, der je seinen Wahlkreis direkt holte, von Haus aus Strafverteidiger, in den 70ern RAF- Anwalt, für die kommende Wahl kandidiert er, mit 78 Jahren, nicht mehr. Ein Porträt von Frank Wahlig. Frank Wahlig: Seine große Zeit war der Kampf gegen den Obergrünen, später den Außenminister: Joschka Fischer. Was immer der Realpolitiker Fischer wollte, der linke Idealist Ströbele, war dagegen. Auf einem Parteitag wäre es fast zu einer Schlägerei gekommen, Fischer wütend über eine pazifistische Gegenrede Ströbeles, packte ihn am Rand des Parteitages an 1 der Schulter, Ströbele schlug die Hand weg und Fischer schlug - nicht zu. Sein Arm erstarrte in der Bewegung. Auch im Bundestag konnte Ströbele den Außenminister Fischer zur Weißglut treiben. Ströbele hat in der Partei kaum Freunde. Ein Einzelgänger. Ströbele ist so etwas wie ein Aktivist, er kämpft für Links, immer schon. Verteidiger von RAF-Terroristen mit einem gewissen Verständnis für die Sache, nicht für die Morde. Gründer der Berliner Alternativen Liste, der Berliner Grünen also, Mitbegründer der TAZ, der alternativen Tageszeitung, wenn es Streit bei der TAZ gab, brachte Ströbele einen selbstgebackenen Apfelkuchen vorbei - das beruhigte die Gemüter. Im Berliner Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain, gilt Ströbele als lebende Ikone. Im Bundestag ist Ströbele so etwas wie ein Beweis, dass die alternative, linke Kultur der 70er Jahre noch irgendwie ungebrochen ist. Mit all den skurrilen Formen des Anti-Amerikanismus, des Misstrauens der Demokratie und ihrer Vertreter gegenüber. Frank Wahlig aus Berlin. Bernd Wolf: Jetzt tritt er ab von der parlamentarischen Bühne, er sei alt, die Beine unwillig, der Stress werde ihm zu viel, zeitlich und kräftemäßig – er habe sich das gut und lange überlegt, denn er habe vieles gerne gemacht; sowohl in der Opposition als auch in den sieben Jahren rot-grüner Regierung von 1998 bis 2005, sagt er, der Rebell, der Abgeordnete mit der DNA des Oppositionellen. Ist also – frei nach Müntefering, nicht nur Opposition Mist, sondern auch das Regieren? Hans-Christian Ströbele: Also Regierung kann genauso Mist sein, manchmal ist es schlimmer, weil's ein effektiverer Mist ist (lacht) wie Opposition. Und ich kann über eine ganze Reihe der Regierung, die ich miterleben vor allem Dingen auch einzelne Gesetze und Regierungshandeln, was ich dann begleitet habe, sagen, das war schlimmerer Mist als ich wenn die in der Opposition gewesen wären. Bernd Wolf: Zum Beispiel? Hans-Christian Ströbele: Also, in den ganzen inneren Sicherheitsfragen, die jetzt in den letzten Jahren, wo die terroristische Gefahr ja auch objektiv gesehen größer geworden ist, dann in einer Weise reagiert haben, wie's einfach auch dumm ist und völlig daneben und überhaupt nichts bringt und die haben das nur gemacht, ich sage im besseren Wissen, dass das was sie machen eigentlich nichts bewirkt, so zum Beispiel die ganze Diskussion und Einführung der Fußfesseln, die wird keinen Anschlag verhindern, auch keinen schwerer machen oder so was (lacht), da gibt's viele Beispiele dafür, aber das wird nach außen so dargestellt dass jeder denkt, na 2 ja alle Gefährder legen wir jetzt in Fesseln und die können jetzt nichts mehr machen - alles Unsinn, und da sag' ich, da wird die Bevölkerung auch irre geführt, und das ist schlecht. Bernd Wolf: Thema Demokratie und Staat und Rechtsstaat - man beobachtet, dass die Demokratie weltweit ein bisschen auf dem Rückzug sein könnte. In Europa sind Wackelkandidaten Polen, vor allen Dingen im Justizbereich, Ungarn, was in Russland und den USA "Trumputin" so anstellen, ist auch hochproblematisch - warum sieht es denn so aus als habe der demokratische Verfassungsstaat seine Strahlkraft verloren? Hans-Christian Ströbele: Also ich sage, das parlamentarisch- demokratische System führt sich im Augenblick - oder ist auf dem Wege dahin - sich ad absurdum zu führen. Weil das dieses Check-and-Balance ist, also dieses Ausgleichen der Gewalten, der drei großen Gewalten im Staat - Parlament, Regierung und Justiz - das funktioniert nicht mehr richtig, weil bei uns die Überlappung zwischen Regierung und Parlament - auch personell - so ist, dass ja, die meisten Minister sind ja auch Abgeordnete, gehören der CDU- oder SPD-Fraktion an, die parlamentarischen Staatssekretäre sowieso, und viele, viele Abgeordnete habe ich erlebt aus der Koalition, die ihre Hauptaufgabe darin sehen, sich schützend vor die Regierung zu stellen - das ist aber nicht ihre Hauptaufgabe! Sie sollen die wählen, sie sollen sie kontrollieren, und sollen sie möglicherweise abwählen, oder unterstützen, so. Und deshalb hab' ich in meiner letzten Rede im Bundestag das auch angemahnt, wir müssen die Gewaltenteilung wiederherstellen. Das Parlament muss aus selbstbewussten Abgeordneten bestehen, die ihren Aufgaben, die ihnen eigentlich nach den Grundsätzen der parlamentarischen Demokratie zugewiesen sind, wieder ernst nehmen und praktizieren. Und ich glaube, das ist ein Grund dafür, dass es überall in der westlichen - ich rede jetzt mal nicht von Russland - sondern von der westlichen Welt, also mit den parlamentarischen Demokratien, einen großen Frust in der Bevölkerung gibt, und ich sage zu Recht gibt, über das so genannte "Establishment", also über die herrschende Politik und Politiker. Und das muss man ernst nehmen, man muss sich fragen, woher kommt das, und woran es liegt, natürlich auch nicht nur an dem Programm und so, sondern es liegt auch daran, dass die Glaubwürdigkeit der Politik, vieler Politiker, einfach darunter leidet, weil die Politiker, viele Politiker, es mit der Wahrheit nicht so ernst nehmen. Aber in der Politik ist das ja - verspricht man alles, macht so, und dann macht man das Gegenteil nachher, oder gar nichts. 3 Bernd Wolf: Ich würde gerne einmal zum Bundesverfassungsgericht kommen. Da sind Sie auch schon häufiger aufgetreten - wie zufrieden sind Sie denn in summa mit dem höchsten deutschen Gericht? Hans-Christian Ströbele: Also erst einmal fange ich mit einem Lob an. Wenn das Bundesverfassungsgericht in den 70er Jahren, 60iger, 70iger Jahren, so unabhängige Entscheidungen getroffen hätte und wirklich sich bemüht hätte, das Grundgesetz so wie es gemeint war anzuwenden, dann hätte es Vieles in dieser Zeit über das wir heute klagen, nicht gegeben. Ich hab' beim Bundesverfassungsgericht ja nicht nur Entscheidungen zur Kenntnis genommen, sondern wir haben ja auch immer lange Diskussionen mit den Richtern gehabt und Statements ausgetauscht, auch die Richter haben sich geäußert, habe ich Vieles, ich war nicht immer damit einverstanden, aber Vieles was ich wirklich bemüht hat, gehört und erlebt, das Grundgesetz ernst zu nehmen. Die Grundrechte, vor allem wie Parlamentsrechte ernst zu nehmen, denen wieder Geltung zu verschaffen, da kann man noch sehr viel mehr tun, aber da ist das Bundesverfassungsgericht eine Hoffnung, und zwar unabhängig davon, ob die jeweiligen Richter jetzt von der CDU oder von der SPD oder hin und wieder auch mal von den Grünen vorgeschlagen worden sind, offenbar gibt es da so eine begrüßungswerte Unabhängigkeit in dem Augenblick, wo man Verfassungsrichter ist und Selbstverständnis, da ist man jetzt einfach auch unabhängig dann, da hält man sich aus allem heraus, nicht aus dem Streit um die Sache, da nehmen die ja durchaus teil, aber man behält sich einen unabhängigen Blick, unabhängig davon, wer einen da nominiert hat, und ich bin über jede Entscheidung - ich hoffe ja jetzt noch einmal auf die Entscheidungen des Gerichts, die jetzt vielleicht in den nächsten Wochen irgendwann kommen, wo das Gericht dann, nach der Verhandlung, die wir gehabt haben, auch die Fragerechte, der Abgeordneten und die Antwortpflicht der Bundesregierung neu regelt und in den Blick nimmt und sagt "das hat doch einen Sinn, das Abgeordnete fragen, das ist doch nicht nur, um die Regierung zu ärgern, sondern das geht doch darum, so hat Herr Voßkuhle das auch im Gerichtssaal gesagt, es geht darum, die Abgeordneten zu informieren, damit sie selber dann initiativ werden können und vielleicht ein neues Gesetz anzuregen, in den Bundestag einzubringen, dazu brauchen sie das Wissen erst einmal, über Fakten. Und das ist genau meine Denke. Bernd Wolf: Es gab mal einen Politiker, in den 70ern, Herbert Wehner hieß der, der hat gesagt "Was kümmern uns diese Arschlöcher in Karlsruhe?" - der häufige Vorwurf heute, etwas sachlicher formuliert, ist, das Gericht überschreitet seine Kompetenz innerhalb der dritten Gewalt, es macht Politik - ist da etwas dran aus Ihrer Sicht? 4 Hans-Christian Ströbele: Nein, es macht Politik, das ist richtig, aber in Zeiten wie jetzt muss das Gericht Politik machen, weil eben da Einiges aus den Fugen geraten ist, das war auch seine Aufgabe, dafür ist es erfunden worden (lacht), dafür ist es ins Grundgesetz geschrieben worden, das ist richtig. Und diese Haltung von Wehner, die da etwas Drastisch ausgedrückt worden ist, die finden wir leider bei der Regierung und zwar jetzt