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PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum

Bild 1: Spiel- und Aufent- haltsmöglichkei- ten für Anwohner und Besucher in Neugraben- Fischbek. © Josephine Vogelmann, steg mbH

Hamburgs neuestes Quartier gestaltet Gemeinschaft durch Stadtnatur

Urbanisierung, Städtebau, Stadtökologie, Stadtgrün, Nachhaltigkeit

Clara Grimes

Die Hansestadt Hamburg erfreut sich einer anhaltenden Beliebtheit und damit einhergehenden wachsenden Einwohnerzahlen. Wie viele Städte in Deutschland und Europa sieht sich die Stadt damit allerdings auch mit einer zunehmend angespannten Situation auf dem Wohnungsmarkt konfrontiert.

Für die Stadt Hamburg bedeutet Bezirk Hamburg-. Kon- wartet, für die sowohl die gu- der Zuzug vor allem, dass für die kret heißt das für die Stadt, dass ten Verkehrsanbindungen in die wachsende Bevölkerung auch die bestehenden Siedlungskerne Hamburger Innenstadt, als auch zunehmend Wohnungen ge- von Neugraben und Fischbek die Ruhe der umliegenden Natur baut werden müssen – und das so erweitert werden müssen, und Schutzgebiete attraktiv sind. schnell. Um der steigenden Nach- dass die Natur- und EU-Vogel- Einen Wandel dieser Größenord- frage zu begegnen, plant man in schutzgebiete von Moorgürtel nung auf naturverträgliche Weise Hamburg deshalb nun drei neue und Fischbeker Heide geschont zu vollziehen, stellt eine Heraus- Wohngebiete im Süd-Westen der werden. Heute wohnen rund forderung für die städtische Pla- Stadt: Vogelkamp Neugraben, 31 000 Einwohner in Neugraben- nung dar. Über das EU finanzierte Fischbeker Heidbrook und Fisch- Fischbek. Bis ins Jahr 2025/26 CLEVER Cities-Projekt sucht die beker Reethen. Alle drei Gebiete wird ein Bevölkerungszuwachs Stadt nun nach innovativen Lö- liegen in dem grün geprägten von rund 12 000 Menschen er- sungen aus der Natur.

1 · 2020 TRANSFORMING CITIES 21 PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum

Quartier im Wandel Gestaltung naturbasierter Noch im Frühsommer 2018 konn- Lösungen te man bei einem Spaziergang die Das ambitionierte Projekt soll be- kleinen, verschlafenen Dorfker- stehende Orte und Dorfkerne in ne von Neugraben und Fischbek Neugraben-Fischbek durch einen durchqueren, vorbei an Schulen „Korridor“ in Form eines Leitsys- und Kirchen, offenen Feldern tems verbinden und dabei neue und einer Reihe temporärer Erfahrungen der Einwohner mit Flüchtlingsunterkünfte. Diese der Natur ermöglichen. Zu die- sind heute neuen Straßenzügen sem Zweck sollen entlang des mit bereits fertig bezogenen Häu- Korridors naturbasierte Projekte sern gewichen: Das Viertel befin- implementiert und Regenwasser- det sich sichtbar im Wandel. managementlösungen auspro- Solch schnelle Zuwuchsraten biert werden. durch vor allem junge, ortsfrem- Dies umfasst auch naturba- de Bewohner machen die Ge- sierte Spiel- und Aufenthalts- meinschaft und den Zusammen- möglichkeiten wie den geplanten halt im Viertel zu einem wichtigen Naturerlebnisplatz für Anwohner Thema. Die aktive Beteiligung und Besucher. Teile des Leitsys- neuer Gruppen an der Mitge- tems sollen gemeinsam mit An- staltung des Stadtteils verspricht wohnern und Bürgern mitentwi- viel für die Zukunft der Region. ckelt werden, wie etwa durch die Allerdings stellt das Zusammen- Initiative „Made in Süderelbe“. Bild 2: Gemeinsam werden neue Hochbeete gebaut. wachsen neuer und alter Vier- Mithilfe neuer Techniken und © Josephine Vogelmann, steg Hamburg mbH tel sowie der aktive Austausch Apps, wie der „Sensafety“-App zwischen neu zugezogenen und der TU Berlin, soll vor allem das alteingesessenen Mitbürgern im- Vertrauen in öffentliche Grünflä- mer auch eine Herausforderung chen als sichere Aufenthaltsorte JAN PASTOORS dar. Dies gilt auch für eine aus- gestärkt werden. Darüberhinaus Projektleitung CLEVER Cities, Freie und Hansestadt Hamburg – Bezirksamt Harburg reichende soziale Beteilung von werden auch soziale Aspekte be- Schülern und jungen Menschen, dacht und aufgegriffen. So sollen „Mit diesen neuen Wohnungsbauprojekten besteht eine die künftig vielleicht selber ein- vor allem sozial benachteiligte große Chance, das Wachstum Hamburgs nachhaltig mal in Neugraben-Fischbek eige- Gruppen durch gezielte Einla- mitzugestalten sowie die lokale Infrastruktur in Neu- ne Haushalte gründen könnten. dungen zu informellen Veran- graben-Fischbek bedarfsgerecht zu qualifizieren und zu Das Bezirksamt Harburg hat staltungen und Picknicks aktiv erweitern. Herausforderung für Stadtplanung und -er- durch seine erfolgreiche Bewer- eingebunden werden. Eine erste neuerung ist es hierbei, die Eingriffe in den Naturhaus- bung für das EU-Projekt CLEVER Aktion dieser Art fand bereits halt gering zu halten und mithilfe von naturbasierten Cities einen geeigneten Hand- diesen Sommer statt – als ein Teil Lösungen, die im Rahmen des CLEVER Cities-Projekts lungsrahmen geschaffen, um der Anwohner*innen der neuen entwickelt werden, einen positiven Beitrag für Mensch wichtige Aspekte der zu bewälti- Wohnhäuser Hochbeete gemein- und Natur zu leisten.“ genden Herausforderungen und sam neu bepflanzte. Aufgaben für die Stadtentwick- Entlang des CLEVER-Korridors FRAUKE RINSCH lung mit einem hamburgweiten und innerhalb des Projektgebie- Projektleitung, steg Hamburg mbH Projektverbund zu bearbeiten. tes ist geplant, in Zusammenar- „Damit Grünflächen tatsächlich durch die Einwoh ner*in- Teil des Teams sind sowohl re- beit mit öffentlichen und priva- nen mitbenutzt werden, müssen diese aktiv an der Pla- levante Abteilungen der Stadt ten Akteuren, Gründächer als nung und Gestaltung beteiligt werden. Im Sommer 2019 Hamburg, als auch die Stadt- sogenannte Trittsteine zu qualifi- fand mit Bewohner*innen der öffentlich-rechtlichen Un- erneuerungs- und Stadtent- zieren und damit die Verbindun- terkunft ein mehrsprachiger Beteiligungsworkshop statt, wicklingsgesellschaft Hamburg gen zwischen den umliegenden in dessen Folge der Bau von Hochbeeten gemeinsam (STEG), die Universität Naturschutzgebieten zu stärken. realisiert werden konnte. Die Aktionen haben allen Betei- Hamburg, das Hamburgische Beispielsweise kann die Einrich- ligten viel Spaß gemacht. Die Bewohner*innen und auch Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) tung von Nisthilfen für lokale Vo- Mitarbeiter*innen erfreuen sich der Kräuter und pflegen und die Technische Universität gelarten und das Anbringen von diese nun gemeinsam.“ (TU) Hamburg. Totholzelementen für Wildbienen

1 · 2020 22 TRANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum und Insekten einen Beitrag zu dern das Erlernte auch an Freun- einer naturbasierten Dachgestal- de und Familie weitergeben zu tung in der Siedlung leisten. Auch können. anhand unterschiedlicher Fassa- denbegrünungsprojekte sollen Vision die vielen positiven Effekte na- Multifunktionale, öffentlich mit- turnaher Lösungen demonstriert gestaltete Grünflächen dienen und für die Stadtteile genutzt nicht nur als Basis für eine so- werden. Zudem werden Projek- zial inklusive und dynamische te für ein Regenwassermanage- Nachbarschaft, sondern können ment wichtiger Bestandteil sein, künftig potenziell Jobs schaffen. um unter anderem das Thema Im CLEVER Cities-Projekt werden Klimaanpassung zu veranschau- die kommerziellen Potenziale lichen. So findet sich die Idee der der implementierten naturba- Schwammstadt in den Projekten, sierten Maßnahmen ermittelt. womit ein praktischer Beitrag Mit Hilfe des HWWI sollen inno- zum Schutz überschwemmungs- vative ökonomische Projekte mit gefährdeter Orte im Gebiet ge- wirtschaftlichen Chancen dann leistet werden kann. weiter unterstützt werden. Dies Wissenschaftliche Projektpart- betrifft beispielsweise Firmen die Funke ner werden die Maßnahmen be- Lösungen rund um das Thema Filterschacht® gleiten, dabei neue Baumetho- Stadtnatur umsetzen und sich den und -materialien testen, die damit für eine Weitervermark- DN 1000 Leistung der Regenwasserrück- tung qualifizieren. haltung und die Auswirkungen Um weitere Ideen der Bewoh- von naturbasierten Lösungen auf ner des Projektgebiets im Rah- Niederschlagswasser das Wohlbefinden der Anwohner men des Projektes aufzugreifen dokumentieren und auswerten. wird im Laufe des Jahres 2020 reinigen Im Projektgebiet Neugraben- das CLEVER-Mobil, ein mobiles auf kleinstem Raum! Fischbek werden darüber hinaus Beteiligungstool, die Stadttei- Schulhöfe nachhaltig und im Ein- le aufsuchen, um naturbasierte klang mit der Natur neugestal- Lösungen zur Stadtentwicklung tet. Höfe die bisher außerhalb zu kommunizieren und Anregun- der Schulzeiten nicht zugänglich gen entgegenzunehmen. Der As- mit DIBt-ZulassungZ-84.2-19 waren, werden zukünftig auch pekt der engen Einbindung der öffentlich begehbar sein. Ein Bürger*innnen und weiterer Sta- wichtiger Teilaspekt dieser Neu- keholder entspricht dabei dem gestaltung ist die gezielte Einbe- nachhaltigen Grundgedanken ziehung der Schüler*innen. von CLEVER Cities. Neben der Beschaffenheit der Schulanlagen sind die Schulen selbst, aufgrund ihrer Rolle für Umwelt- und Nachhaltigkeitsbil- dung, ein wichtiges Element von CLEVER Cities. Zusätzlich zu den Gemeinschaftsgärten auf dem AUTORIN Schulhof werden deshalb Projek- te zur Regenwasserbewirtschaf- tung einen weiteren, praktisch erlebbaren Zugang zum Thema Funke Kunststoffe GmbH Clara Grimes 59071 Hamm-Uentrop ermöglichen. Die Schüler*innen Officer at ICLEI haben dabei nicht nur die Gele- www.funkegruppe.de ICLEI – Local Governments for [email protected] genheit, mehr über Umwelt und Sustainability Tel.: 02388 3071-0 Nachhaltigkeit zu lernen, son- Kontakt: [email protected]

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