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Sendung vom 14.12.2009, 20.15 Uhr

Michael Glos Bundesminister a.D. im Gespräch mit Werner Reuß

Reuß: Verehrte Zuschauer, ganz herzlich willkommen zum alpha-Forum. Unser heutiger Gast ist , Mitglied des Deutschen Bundestags seit 1976. Keiner war länger als er Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Deutschen , nämlich 12 Jahre lang, von 1993 bis 2005. Und schließlich war Michael Glos Bundeswirtschaftsminister in den Jahren 2005 bis 2009. Ich freue mich, dass er hier ist, herzlich willkommen, Herr Glos. Glos: Grüß Gott. Reuß: "Politik ist die Kunst, sich zu seinen Absichten drängen zu lassen", so der Schriftsteller Sigmund Graff. Sein österreichischer Kollege Johannes Mario Simmel meinte einmal: "Politik kann die Welt nicht groß verändern, aber sie kann gewisse Sauereien abstellen." Was ist Politik für Michael Glos? Glos: Für mich war das natürlich ein Stück Verpflichtung, denn ich bin, ohne mich danach zu drängen, sehr jung in ein Kommunalparlament gewählt worden. Darüber hinaus ging dann auch mein Aufstieg in der Politik viel schneller, als ich gedacht habe. Aber Politik ist ganz klar Dienst am Menschen und bedeutet für mich auch, dass sie bei der Vertretung meiner Heimat beginnt: im Kommunalparlament, im Stadtrat, im Kreistag. Ich wurde damals als 26- Jähriger in den Stadtrat und den Kreistag gewählt. Aufgrund von ein paar Zufällen wurde ich der damals jüngste direkt gewählte Bundestagsabgeordnete der CSU, und zwar im Wahlkreis /Kitzingen. Reuß: "Politiker sind für die Menschen da, nicht die Menschen für die Politiker", sagt der amtierende bayerische Ministerpräsident . Sie selbst haben einmal gesagt: "Ein Politiker ist nur so stark wie das Fundament, auf dem er steht." Wie kann man dieses Fundament prüfen, woher weiß man, wie stark dieses Fundament ist? Wie sah Ihre Arbeit im Wahlkreis aus? Glos: Das Fundament, auf dem man fest stehen kann, ist die eigene Familie. Meine Familie hat immer hinter mir gestanden und meine Frau hat all das mitgetragen, auch alle Probleme, die dann auf sie zugekommen sind. Denn sie war dann ja nach kurzer Zeit alleinerziehende Mutter, weil ich meistens weg war. Das ist also ein wichtiges Fundament. Aber darüber hinaus, und das haben Sie bereits erwähnt, ist der Wahlkreis ganz entscheidend. Wenn man im Wahlkreis so verankert ist, dass man weiß, man wird dort wiedergewählt, kann man natürlich ganz anders auftreten als ein Abgeordneter, der direkt von seiner Partei abhängig ist. Dasselbe gilt auch für die Politiker, die keinen wirklichen beruflichen Hintergrund haben. Deswegen bin ich sehr dafür, dass wir in die Parlamente Menschen wählen, die auch sonst, außerhalb der Politik, ihr Leben und vor allem ihren Lebensunterhalt gut bestreiten könnten. Denn diese Leute sind dann auch sehr viel unabhängiger in ihren Entscheidungen. Reuß: Nun gibt es ja immer Vorbehalte und Klischees, Vorurteile und Urteile über die Politik und die Politiker. Eines der Vorurteile lautet, dass Politiker auf eine sehr spezifische Art und Weise mit der Wahrheit umgehen. Horst Seehofer hat einmal gesagt: "Der Umgang mit der Wahrheit ist ein Problem in der Politik." Sie selbst wurden mal zitiert mit der vielleicht scherzhaft gemeinten Bemerkung: "Es ist nicht so schlimm, in der Politik die Unwahrheit zu sagen, es ist aber gefährlich, die Wahrheit zum falschen Zeitpunkt zu sagen." Wie offen und ehrlich kann man in der Politik eigentlich sein? Glos: In dieser meiner Bemerkung steckte natürlich schon ein bisschen Ironie. Ich habe aber lange gebraucht, um zu lernen, dass Ironie in der Politik nicht ankommt. Reuß: Woran liegt das? Liegt das an den Medien? Glos: Ich weiß nicht, woran es liegt. Ich bin zwar immer wieder davor gewarnt worden, eine ironische Bemerkung zu machen, aber ich kann es halt nicht lassen. Stoiber war z. B. jemand, der für Ironie überhaupt kein Verständnis hatte, der auch nie ironisch gewesen ist. Bei Ironie läuft man auf jeden Fall Gefahr, dass jemand die Aussage anders auslegt und gegen einen verwendet. Ich darf Ihnen ein Beispiel nennen. Ich habe, nachdem ich damals als Außenseiter zum ersten Mal in den Bundestag gewählt worden bin, zu den Leuten, die vor der Wahl über mich gemeint hatten, ich würde das nicht können, auf deren Frage, was ich denn noch werden möchte, gesagt: "Ich bin Bundestagsabgeordneter. Das empfinde ich als ungeheuer viel." "Ja, aber Sie sind doch noch jung! Sie werden sicher noch etwas vorhaben. Wie stellen Sie sich also Ihren Aufstieg in der Politik vor?" Daraufhin habe ich gesagt: "Mein Motto ist eigentlich: Ich wünsche meinem Land nie, dass es Menschen wie mich mal für etwas Richtiges braucht." Das war eine selbstironische Bemerkung, die mir aber später immer wieder um die Ohren geflogen ist: Das ist mir, befreit von jeder Ironie, noch nach 20 Jahren im Deutschen Bundestag vorgehalten worden! Ich finde jedenfalls, dass man diejenigen, die man wählt, auch ein Stück weit so nehmen muss, wie sie sind. Mich hat man auch so nehmen müssen, wie ich bin. Ich habe auch überhaupt nicht vor, mich noch einmal grundlegend zu ändern. Reuß: Das ist ein gutes Stichwort: "die Politiker so nehmen, wie sie sind". Lothar Späth, der ehemalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg, meinte einmal: "Politik war immer eine Bühne." Heute, in der Mediendemokratie, hat man so ein bisschen den Eindruck, dass es bei Politikern eher auf die Wirkung als auf die Inhalte ankommt. Das "Handelsblatt" hat einmal über Sie geschrieben: "Michael Glos ist auch ein großer Schauspieler, oft in seiner Lieblingsrolle: der des Schurken." Lothar Späth hat auf die Frage, welcher Politiker auch Filmstar sein könnte, gemeint: "Die meisten, aber in ungewollten Rollen." Sehen Sie das auch so? Braucht man in der großen Politik ein bisschen schauspielerisches Talent, um gewisse Wirkungen, die man haben möchte, erzielen zu können? Glos: Natürlich gehört das auch ein bisschen dazu. Und vor allem gehört dazu, dass man sich nicht immer sofort in die Karten schauen lässt. Die Rolle des Schurken ist jedoch immer relativ unbeliebt. Gert Fröbe hätte man sich nicht so leicht als smarten Liebhaber vorstellen können. Insofern muss jeder halt das spielen, was ihm steht. Aber zurück zum Thema "Politik": Es macht einen großen Unterschied, ob man in der Politik in der Regierung sitzt oder Angreifer ist, also in der Opposition, und deshalb versucht, mit allen legalen und gerade noch oberhalb der Gürtellinie sich befindenden Mitteln versucht, selbst an die Regierung zu kommen, weil man davon überzeugt ist, dass das wichtig ist. Ich wollte z. B. alles tun, damit Rot-Grün wieder beendet wird. Ich war da natürlich schärfer im Angriff als in anderen Phasen meines Lebens als Politiker. Als einer der Oppositionsführer, der ich gewesen bin, muss man diese Rolle schon auch ausfüllen. Ich finde überhaupt, dass jeder in der Politik genau die Rolle spielen muss, die er innehat. Wenn man Minister ist, dann ist das etwas anderes, als wenn man ein junger Rebell ist, der seinen Aufstieg machen möchte. Reuß: Franz Josef Strauß hat einmal gesagt: "Entscheidend ist nicht, was ankommt, sondern worauf es ankommt." Der Moralist Joseph Joubert meinte einmal: "Politik ist die Kunst, die Menge zu leiten: nicht wohin sie gehen will, sondern wohin sie gehen soll." Muss man als demokratisch gewählter Politiker manchmal auch Entscheidungen treffen, die zwar zum Wohle des Volkes, aber nicht immer nach dem Willen der Mehrheit des Volkes sind? Glos: Das ist richtig. Um bei Franz Josef Strauß zu bleiben: Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie er einmal – ich war ja sogar noch mit ihm im Bundestag zusammen – zu uns jüngeren Abgeordneten gesagt hat: "Wenn dein Weg immer berechenbar ist, werden sie ihn dir verstellen." Entscheidend ist also das Ziel, während man durchaus mal den Weg dahin so einschlagen kann, dass nicht sofort jeder weiß, wie man ihn geht, weil man dann auf diesem Weg auch nicht angegriffen werden kann. Reuß: Das Vertrauen in einen Politiker basiert ja auch darauf, dass man weiß, wo er steht, wofür er steht, für was er einsteht. Die "Süddeutsche Zeitung" schrieb einmal über Sie: "Michael Glos ist ein Konservativer, er selbst hält sich für einen Liberalen." Wo würden Sie sich denn innerhalb der CSU selbst einordnen? Glos: Ich würde mich gerne als liberal-konservativ sehen, und so sehe ich mich auch. Ich bin eigentlich einmal der CSU aus Enttäuschung darüber beigetreten, dass die FDP mit der SPD koaliert hat. Das und der Freundeskreis waren die ausschlaggebenden Gründe, warum ich in eine Partei eingetreten bin. Noch ein paar Jahre vorher hatte ich mir überhaupt nicht vorstellen können, in die CSU einzutreten. Und ich habe mich dann später auch mit allen Liberalen immer vertragen, sowohl mit denen, die sich offiziell Liberale nennen wie auch mit den Liberalen in anderen Parteien. Reuß: Nun haben wir heute ja große Probleme: Wirtschaftskrise, Finanzkrise usw. Man könnte den Eindruck haben, die Politik kann dabei fast alles lösen. Sie haben einmal gesagt: "Die Politiker wissen auch nicht alles." Und Erwin Teufel meinte: "Die Politik muss in ihrem Gestaltungsanspruch bescheidener werden." Gibt sich Politik manchmal zu omnipotent? Wo sind die Grenzen staatlich-politischen Handelns? Glos: Ich glaube, dass die Politiker oft in eine Rolle hineingedrängt werden, in der ihnen abverlangt wird, alles zu wissen und immer so zu tun, als ob das, was sie gerade sagen, das einzig Richtige wäre. Demgegenüber kommen diejenigen Politiker, die auch sich selbst gegenüber etwas skeptischer sind, in den Medien schlechter weg. Die Politik kann sicherlich nicht alles. Die Politik kann auch nicht die Zeiten bestimmen, in denen wir leben, sie kann nicht die Entwicklungen, die von außen auf uns zukommen, beeinflussen. Sie kann nicht einmal verhindern, dass bei uns im Land innerhalb der Regeln, die wir haben, zu viel Missbrauch getrieben wird. Hier kann man z. B. sofort auf die Finanzmärkte zu sprechen kommen, die verrückt gespielt haben, weil die Gier und die Zügellosigkeit auf allen Seiten mit den Menschen durchgegangen sind. Ausgegangen ist das von den Vereinigten Staaten, wo man die halbe Welt zu einer großen Spielbank gemacht hat, bei der dann sehr viele gutgläubig mitgespielt haben, weil sie überhaupt nicht wussten, dass im Grunde genommen nur eine Casino-Mentalität dahintersteckt statt einer ernsthaften Finanz- und Wirtschaftspolitik. Reuß: Sind denn die Reaktionen auf die heutige Krise Ihrer Meinung nach scharf genug? Denn in der Bevölkerung entsteht oft der Eindruck, dass die Gewinne bei den Banken privatisiert, aber die Risiken vergesellschaftet werden. Glos: Dieser Eindruck kann sich in letzter Zeit wieder verstärken und auch ich halte es für skandalös, dass hohe Boni ausgeschüttet werden für Erfolge, von denen man nicht weiß, ob man sie nur 14 Tage später immer noch als Erfolge betrachten kann. Hier ist es also dringend notwendig, dass es eine Verhaltensänderung gibt. Reuß: Wir kommen später selbstverständlich auf die Politik zurück, aber ich möchte hier jetzt gerne eine inhaltliche Zäsur machen und unseren Zuschauern den Menschen Michael Glos näher vorstellen. Sie sind am 14. Dezember 1944 in Brünnau geboren, einer kleinen Gemeinde, die heute um die 200 Einwohner hat. Sie gehört zu Prichsenstadt im Landkreis Kitzingen in Unterfranken und liegt etwa 30 Kilometer südlich von Schweinfurt. Wie sind Sie aufgewachsen, wie war Ihre Kindheit? Glos: Mein Vater starb, als ich zehn Jahre alt war, ich war das älteste von drei Geschwistern. Ich habe noch eine jüngere Schwester, sie ist zwei Jahre jünger als ich. Mit meiner jüngsten Schwester war meine Mutter schwanger, als mein Vater plötzlich starb. Mir war eigentlich ein Stück vorgezeichnet, dass ich den elterlichen Betrieb übernehmen soll – was ich dann später auch in der Tat getan habe. Wir hatten bei uns zu Hause einen Getreidemühlen- und Landwirtschaftsbetrieb. Ich kann meine Vorfahren väterlicherseits bis zu dem Zeitpunkt zurückverfolgen, an dem die Pfarrbücher im Dreißigjährigen Krieg verbrannt sind. Meine Kindheit war also geprägt durch die Tatsache, dass meine Mutter Witwe und alles sehr schwierig war: Sie musste diesen kleinen Betrieb alleine weiterführen, was nicht sehr lustig war. Ich selbst musste deswegen bereits sehr früh Verantwortung übernehmen. Ich habe es meinem Vormund zu verdanken, dass ich die Realschule besuchen durfte, weil alle anderen haben gesagt, ich solle möglichst schnell raus aus der Schule und mich um den elterlichen Betrieb kümmern. Mit 15 Jahren war ich dann mit der Realschule bereits fertig. Ich war, wenn ich mich richtig erinnere, in meiner Klasse der Einzige, der sich nicht gefreut hat, dass die Schule zu Ende ist. Ich hätte dann gerne einen anderen Weg eingeschlagen, aber mein Weg war nun einmal vorgezeichnet und ich habe dann, wie sich das gehört, diesen Weg ganz normal durchlaufen. Im Handwerk muss man eine Lehrzeit und eine Gesellenzeit absolvieren, um dann die Meisterprüfung machen zu können. Anschließend habe ich dann den Betrieb übernommen und habe auch schon sehr früh geheiratet, was ich aber nie bereut habe. Meine Frau hätte gerne noch zwei Jahre mit der Hochzeit gewartet, aber weil meine Mutter dann nicht mehr gesund war, haben wir das vorgezogen. Das heißt, wir haben unseren privaten Weg so eingerichtet, dass er auch zum Betrieb passte. Und dann bin ich eben, wie gesagt, unversehens in die Politik hineingeraten, die dann mein Leben ein Stück weit bestimmt hat. Reuß: Das ist schon sehr interessant, wenn man das bei Ihnen nachliest: Sie haben mit 24 Jahren den elterlichen Betrieb übernommen. Bis dahin sind Sie, wenn ich das so salopp formulieren darf, politisch nicht auffällig gewesen. Von da an aber ging es relativ schnell: Sie gehörten zu den Gründungsmitgliedern und waren sogar CSU-Vorsitzender in Ihrer Heimatgemeinde. Sie waren im Gemeinderat und im Kreistag. Der Dichter Hans Henny Jahnn meinte einmal: "Politik ist die Kunst, verschiedene Meinungen unter einen Hut zu bringen." Ist das in der Kommunalpolitik anders als in der Landes- und Bundespolitik? Spielt dort die Parteipolitik keine so große Rolle? Was kann man denn von der Kommunalpolitik für die "große" Politik lernen? Glos: Die Kommunalpolitik ist quasi die Schule der Politiker. Ich finde, das ist sogar eine sehr gute Schule, weil die Politiker dort mit den Problemen der Menschen direkt konfrontiert sind. Das, was sie zu entscheiden haben, wirkt sich oft schon am nächsten Tag oder in der nächsten Woche auf die Menschen aus: Wird das eine Vorhaben genehmigt und das andere nicht? Wo werden die Prioritäten gesetzt bei den sicherlich bescheidenen Investitionen? Demgegenüber dauert es in der sogenannten großen Politik länger, bis die Auswirkungen der politischen Entscheidungen bei den Menschen ankommen. Als Politiker kann man sich da auch noch hinter vielen anderen Mechanismen verstecken. Demgegenüber war es im Stadtrat – wir sind nach Prichsenstadt in eine kleine Stadt eingemeindet worden – so, dass da jeder zuschauen konnte, wie beim Problem X oder beim Problem Y einer die Hand hebt, während der andere die Hand unten lässt. Insofern finde ich, dass man dann, wenn man über die Kommunalpolitik in die Bundespolitik hineinwächst, ein gutes Fundament hat. Reuß: 1976 war dann in mehrfacher Hinsicht ein sehr spannendes Jahr. Sie wurden mit einer Stimme Mehrheit als Bundestagskandidat nominiert. Anschließend wurden Sie dann mit einem sehr, sehr guten Wahlergebnis direkt in den Bundestag gewählt. Ihre Zeit als ganz junger Bundestagsabgeordneter begann ja mit einem Paukenschlag. 1976 war als rheinland-pfälzischer Ministerpräsident Kanzlerkandidat, hat aber diese Wahl knapp verloren. Mit über 48 Prozent hatte er fast die Mehrheit der Mandate erreicht. Vielleicht war es der Frust über diese knappe Niederlage, dass es ein bisschen Ärger gab in der Union, es gab Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Parteivorsitzenden von CDU und CSU und es gab dann diesen Beschluss, dem bis heute dieser historische Hauch anhaftet: der Trennungsbeschluss von Wildbad Kreuth. Die CSU-Landesgruppe im Bundestag hat die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU zunächst aufgekündigt. Einige Monate später wurde dieser Beschluss dann wieder zurückgenommen. Wie haben Sie denn diese Zeit erlebt? Sie waren ja ganz neu dabei in der CSU-Landesgruppe – und dann gab es gleich einen solchen Paukenschlag! Glos: Das war mein erstes größeres politisches Erlebnis, wenn ich das mal so nennen darf. Ich habe mir damals auch nicht träumen lassen, dass ich dann zwölf Mal hintereinander unsere Treffen in Kreuth würde leiten dürfen, denn diese Klausurtagung in Wildbad Kreuth, die mit diesem Paukenschlag begonnen hatte, wird ja bis zum heutigen Tag jedes Jahr aufs Neue gemacht. Viele Journalisten haben ja geglaubt, da würde es nun jedes Jahr eine solche Sensation geben. Das war aber leider nicht möglich. Immerhin ist es mir ein ganzes Stück später gelungen, in Kreuth Stoiber zum Kanzlerkandidaten zu machen. Die anschließende Bundestagswahl war dann leider nicht total erfolgreich, es haben insgesamt 10000 Stimmen gefehlt, sonst wäre Stoiber Kanzler geworden. Insofern hat Kreuth schon etwas mit dem Selbstverständnis der CSU zu tun, auch mit dem Selbstverständnis, dass wir eine eigenständige Partei sind, dass wir in der Bundespolitik zwar im Schulterschluss mit unserer Schwesterpartei Politik gestalten, dass wir aber intern natürlich schon auch darauf achten, dass unsere eigenen Rechte, und damit auch ein Stück weit die der bayerischen Bevölkerung, durchgesetzt werden. Reuß: Wenn ich es richtig nachgelesen habe, fand Ihr erster Auftritt im Bundestagsplenum an Ihrem Geburtstag statt, nämlich am 14. Dezember. Glos: Ja, das stimmt. Reuß: Am gleichen Tag hatte auch der frisch gewählte Bundestagspräsident und spätere Bundespräsident Geburtstag. Beide wurden Sie geehrt: Ich kann mir vorstellen, dass das doch ein besonderes Ereignis gewesen ist. Man spricht zum ersten Mal im Bundestag als neu gewählter Abgeordneter. Ich kann mir darüber hinaus vorstellen, dass das auch ein Tag für ganz besondere Vorsätze gewesen sein kann. War das bei Ihnen so? Glos: Einer wie ich hat natürlich Herzklopfen, wenn er zum ersten Mal den Deutschen Bundestag betritt. Das war etwas, mit dem ich noch ein paar Jahre vorher überhaupt nicht gerechnet hatte. Auf der anderen Seite habe ich an diesem Tag aber auch den Weg von Karl Carstens, der an diesem Tag zum Bundestagspräsidenten gewählt worden ist, sehr intensiv mitverfolgt – davor war er Fraktionsvorsitzender gewesen, später wurde er Bundespräsident. Ich war dann auch bei seinem Begräbnis mit dabei. Da fängt man dann immer wieder zu rechnen an, wie lange es eigentlich her ist, dass man festgestellt hat, dass man am gleichen Tag Geburtstag hat. Das ist immer auch ein Anlass, um über die Endlichkeit, die uns Menschen innewohnt, nachzudenken. Aber ansonsten hatte ich, wie gesagt, einen guten Start im Deutschen Bundestag. Auch hier haben mir wieder ein paar Zufälle und ein paar gute Freunde geholfen. Ich war vom ersten Tag meiner Parlamentstätigkeit an ordentliches Mitglied im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages. Das hat für mich eigentlich die Weichen gestellt: Ich bin im Kern Finanzpolitiker, da ich Haushaltspolitiker war. Aus diesem Grund habe ich auch viele Freundschaften in diesem Bereich wie z. B. zu von der FDP. Ich war steuer- und finanzpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Wir haben Steuerreformen und Steuergesetze gestaltet. Das war in der Zeit, bevor ich dann für die Landesgruppe insgesamt Verantwortung übernommen habe. Reuß: Sie haben es vorhin bereits angedeutet: Wenn man das alles so liest, dann bekommt man den Eindruck, dass die Ämter immer auf Sie zukamen. Das ging dann nämlich relativ rasch. Die Stationen haben Sie bereits genannt. Es gibt eine Geschichte, bei der ich Sie aber gerne fragen möchte, ob sie überhaupt stimmt. Als Sie in den Bundestag kamen, wurde , der spätere Bundesinnenminister, Chef der CSU- Landesgruppe. Ich habe gelesen, er hätte Sie einmal einbestellt und Ihnen eine Standpauke gehalten, worauf Sie dann wiederum gedacht hätten, dass Sie selbst irgendwann auf diesem Stuhl sitzen wollen. Stimmt das? Glos: Diese Geschichte stimmt. Da war übrigens noch ein Kollege mit dabei, der eigentlich der Sünder war. Mein Name war da lediglich mitgenannt worden, als Fritz Zimmermann irgendetwas diesbezüglich gesteckt worden war. Fritz Zimmermann konnte sehr direkt sein im Umgang, insbesondere mit den Hinterbänklern in der CSU-Landesgruppe, zu denen ich am Anfang ja zwangsläufig noch gehört habe. Ich habe mir gedacht, dass man in dieser Position eine große Machtfülle haben müsse, wenn jemand mit frei gewählten Abgeordneten so umgehen kann, wie das der Fritz Zimmermann damals mit uns beiden gemacht hat. Und in der Tat, das war der allerdings nicht einzige Grund dafür, dass ich dann angestrebt habe, Landesgruppenvorsitzender zu werden. Das war wirklich das Amt, das ich mir gewünscht habe und das ich eigentlich auch ein Stück weit systematisch angegangen bin. hat aber immer gesagt, das Amt müsse zum Mann kommen, nicht der Mann zum Amt. Bei mir war es auf meinem Weg wirklich so, dass ich mich nie sehr stark um etwas beworben habe, sondern ich habe immer darauf vertraut, dass es schon so sei, wie Theo Waigel gesagt hatte. Wenn ich mir heute aber die Verhaltensweisen von Kolleginnen und Kollegen anschaue, dann empfinde ich das oft als peinlich: Da wird man regelrecht angegangen von ihnen, dass sie dieses oder jenes Amt gerne haben wollen. Entweder haben sich die Zeiten geändert oder ich. Aber die Menschen sind wohl einfach sehr unterschiedlich. Reuß: Im Januar 1993 war es dann so weit: Es gab eine kleine Kabinettsreform, Wolfgang Bötsch, der damalige CSU-Landesgruppenchef, wurde Bundesminister und Sie wurden in einer Kampfabstimmung zum Vorsitzenden der CSU-Landesgruppe gewählt. Sie hatten bei dieser Wahl mehr als doppelt so viele Stimme wie Ihr Gegenkandidat. Glos: Das mag sein, aber ich habe mir das gar nicht gemerkt. Reuß: Was sind denn so die zwei, drei wichtigsten Aufgaben, die der CSU- Landesgruppenchef hat? Er ist ja auch gleichzeitig erster stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Gesamtfraktion der CDU/CSU. Glos: Er muss zuallererst den eigenen Verein gut zusammenhalten. Die Landesgruppe muss nämlich eine Kampfgemeinschaft sein, weil wir automatisch eine Minderheit sind in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Zweitens waren wir immer die Speerspitze der Opposition, denn das waren ja am Anfang Oppositionszeiten. Anschließend ging es selbstverständlich darum, eine Regierung zu stützen und dabei in der Unionspolitik vor allem eine bayerische Handschrift durchzusetzen. Wir sind immer auch ein Stück weit die Konservativeren gewesen, innerhalb der verschiedenen Strömungen, die es in einer solch großen Fraktion natürlich gibt. Dabei standen wir immer im engen Schulterschluss mit der bayerischen Staatsregierung und den Landtagskolleginnen und -kollegen, um Verständnis für die Bundespolitik zu gewinnen, die manchmal schon auch ein wenig in Konkurrenz zur Landespolitik steht. Natürlich ist es leichter, beim Bund Forderungen zu stellen, als diese Forderungen dann selbst verwirklichen zu müssen. Hier gibt es daher immer ein gewisses Spannungsverhältnis. Ich glaube, es ist mir aber immer gut gelungen, das in einen Erfolg umzusetzen. Insofern war das wirklich mein Lieblingsamt und ein Amt, das ich angestrebt habe. Aber es war dann höchste Zeit, dass ich auch wieder etwas anderes gemacht habe. Ich habe dieses Amt nämlich zu lange besetzt. Obwohl ich bereits erneut in geheimer Wahl für vier Jahre zum Landesgruppenvorsitzenden gewählt worden war, kam dann dieses Ministeramt über Nacht unversehens auf mich zu. Reuß: Sie haben ja als Landesgruppenchef mehrere Fraktionsvorsitzende erlebt: Wolfgang Schäuble, , Angelika Merkel. Wie war denn jeweils das Verhältnis zu den Fraktionsvorsitzenden? War das immer von Kooperation geleitet oder gab es da schon auch Konkurrenz? Glos: Natürlich gibt es da schon auch mal Konkurrenz und es gibt auch die Differenzen, die dann eben ausgetragen werden müssen. Aber das Ganze lief immer sehr fair und vertrauensvoll ab. Ich habe also nie jemanden irgendwie ausgetrickst oder auszutricksen versucht, ich habe auch nie mit Unwahrheiten gearbeitet usw. Wenn es darum ging, dieses oder jenes zu erreichen, dann habe ich immer die Karten offen auf den Tisch gelegt. Aus diesem Grund hat man immer fair zusammenarbeiten können. Ich habe nach wie vor zu den von Ihnen Genannten ein sehr freundschaftliches Verhältnis. Ich glaube auch viel dazu beigetragen zu haben, dass Bundeskanzlerin geworden ist. Reuß: Wenn man Ihnen so zuhört, dann bekommt man den Eindruck, dass da bei Ihnen auch ein hohes Maß an Gelassenheit und Ruhe vorhanden ist. Weil das womöglich mit dieser Ihrer Einstellung zu tun haben könnte, möchte ich zumindest ganz kurz Folgendes ansprechen. Sie sind Mitte der 90er Jahre sehr schwer erkrankt. Führt das dann danach, wenn man das alles durchgestanden hat, auch dazu, dass man die eigenen Einstellungen gegenüber dem Leben, der Politik und insgesamt die Prioritäten verändert? Glos: Ja und nein. Wissen Sie, man denkt dann natürlich mehr über das eigene Leben nach, denn die Endlichkeit des eigenen Seins wird einem dann doch stärker bewusst. Aber nach einiger Zeit kommt man dann doch wieder in den alten Trott hinein. Mir hat meine Krankheit damals nicht geschadet, d. h. ich habe keinen Dauerschaden davongetragen. Aber insofern ist das schon richtig: Ich habe anschließend so manche Kleinigkeit nicht mehr so wichtig genommen wie davor. Man fragt sich vor allen Dingen: Welche Ergebnisse bringst du? Denn ich betreibe ja die Politik nicht zur Unterhaltung für mich selbst oder für andere. Insofern glaube ich schon auch, dass einen das ein bisschen verändert. Für weitergehendere Aussagen diesbezüglich bräuchte es aber wohl einen Psychoanalytiker, der mich analysiert, denn ich glaube, ich bin der Falsche, um mich hier ganz genau selbst beurteilen zu können. Reuß: Sie haben vorhin zwei interessante Dinge gesagt. Das eine war diese Lehre von Franz Josef Strauß, den eigenen Weg nie ganz offen zu legen, weil einem dieser Weg ansonsten verstellt wird. Gleichzeitig aber haben Sie gesagt, dass Sie nie versucht haben, jemanden reinzulegen oder auszutricksen. In den Medien aber gelten Sie sehr wohl als begabter "Strippenzieher", wenn ich das mal so salopp sagen darf. Sie haben vorhin die Kanzlerkandidatur von angesprochen. Man hatte damals den Eindruck, er selbst hätte sich etwas geziert und Sie hätten ihn dazu doch etwas gedrängt. Andererseits haben Sie das bereits sehr früh bei der Klausur in Wildbad Kreuth öffentlich thematisiert, nämlich im Januar 2001. Aber mittendrin hörte man Michael Glos einmal sagen, auch Wolfgang Schäuble wäre ein ganz passabler Kandidat. War dieser Vorschlag also taktisch bestimmt? Denn Sie haben mit diesem Vorschlag ja Angela Merkel und Edmund Stoiber so ein bisschen unter Zugzwang gesetzt. Denn da musste dann irgendwann eine Entscheidung fallen. Glos: 1994 hatte mir mal Theo Waigel ein Ministeramt angeboten, aber ich habe ihm damals geantwortet: "Lieber Theo, ich mache das gerne, aber sag mir, wer dir die Landesgruppe bei der -Einführung zusammenhält?" Denn diesbezüglich gab es ja sehr widerstrebende Impulse: von der Staatsregierung, von der Landtagsfraktion und auch von der Landesgruppe. Ich jedoch wollte den Euro und ich habe dann dafür gesorgt, dass die Landesgruppe hinter dem Parteivorsitzenden und Finanzminister Theo Waigel stand – auch diejenigen, die nicht so sehr davon überzeugt waren. Das ist ein Beispiel von vielen, wo ich aus wirklicher Überzeugung heraus und nicht aufgrund von taktischen Überlegungen gehandelt habe. Denn ich war davon überzeugt, dass es Europa unumkehrbar macht, wenn wir eine gemeinsame Währung haben. Und heute in der Finanzkrise wissen wir ja erst recht: Wir wären andernfalls zu einem Spielball der Märkte geworden. Damals hatte mir also Theo Waigel bereits einmal ein Ministeramt angeboten. Als ich ihm geantwortet habe, dass ich ihm lieber bei der Euroeinführung helfen würde, hat er gesagt: "Jawohl, aber beklag dich niemals, wenn du der erste Landesgruppenvorsitzende wirst, der nicht Bundesminister war." Wir wussten nämlich, dass 1998 die Wahl nur noch sehr schwer gewonnen werden kann. Und nun komme ich zu Ihrer Frage zurück: Als Helmut Kohl 1998 nach 16 Jahren als Bundeskanzler abgelöst worden ist, ging es um die Frage, wer 2002 ins Rennen geht. Wer hat eine Chance, eine politische Kraft abzulösen, die noch relativ neu im Amt ist? Und Gerhard Schröder war ja immerhin jemand, von dem die SPD als einem harten Kämpfer an der Spitze heute nur träumen kann. Es ging also darum, wer die größte Kompetenz hat. Und schon damals begannen ja unsere Wirtschaftsprobleme. Es war klar, dass Edmund Stoiber in Bayern eine sehr gute Bilanz aufzuweisen hatte. Das wäre dann ja auch fast gelungen. Aber er hat natürlich auch mit sich gekämpft, ob er sich um dieses Amt bewerben soll oder nicht. Die CDU war auch nicht wirklich voll begeistert von seiner Kandidatur. Zwischendurch hatte er deswegen durchaus auch mal das Gefühl, er möchte nicht antreten. In diesem Moment bin ich ein Stück weit mit Wolfgang Schäuble angekommen, von dem ich ebenfalls überzeugt war – und bin –, dass er das Zeug zum Kanzler hatte. Aber der Rest war dann ja eine Entscheidung der CDU. Jedenfalls empfinde ich es nach wie vor als richtig, dass Edmund Stoiber damals angetreten ist. Er hat mit seiner Kandidatur und der folgenden Wahl dazu beigetragen, dass es dann nicht einmal mehr vier Jahre gedauert hat, bis Rot-Grün am Ende gewesen ist. Denn man darf ja nicht vergessen, dass die Legislaturperiode nach 2002 nur drei Jahre und nicht vier Jahre dauerte. Die Pflöcke dafür sind bei der Bundestagswahl eingeschlagen worden. Reuß: Sie gelten auch als jemand, der eine klare Sprache spricht und der im Angriff auch durchaus mal hinlangen kann, wenn ich das so salopp formulieren darf. Sie haben z. B. einmal die beiden damaligen Grünen- Bundesminister Trittin und "Ökostalinisten" genannt. Es gab damals auch eine sogenannte Visa-Affäre: Es ging in dieser Affäre darum, dass unter Rot-Grün das Auswärtige Amt angewiesen worden war, etwas unbürokratischer Visa zu erteilen. Daraufhin kam es zu zigtausendfachem Missbrauch, weswegen es dann auch einen Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags gab. Dabei wurden wohl auch erstmals Zeugenbefragungen live im Fernsehen übertragen. Die ganze Sache hatte ziemlich großes Aufsehen erregt. Es befanden sich damals millionenfach illegal Menschen in Europa, die dort der Schwarzarbeit und der Prostitution nachgingen. Sie haben dann in einem übertragenen Sinne den Bundesaußenminister Joschka Fischer als "Zuhälter" bezeichnet, haben sich dann aber im Anschluss daran für diese Äußerung entschuldigt. Dennoch: War das eine spontane Äußerung, die sozusagen aus der Erregung heraus gefallen ist? Oder war das schon ein bisschen mit Bedacht gewählt? Glos: Erstens: Ich habe damals diesen Untersuchungsausschuss mit durchgesetzt, denn es war damals auch bei uns in der Fraktion umstritten, welchen Untersuchungsausschuss wir machen sollen. Es gab damals starke Kräfte im geschäftsführenden Fraktionsvorstand, die wollten, dass der nächste Untersuchungsausschuss Toll Collect behandeln solle. Ich habe dazu nur gesagt: "Ihr seid verrückt! Man macht keinen Untersuchungsausschuss gegen die eigene deutsche Wirtschaft! Was macht ihr denn, wenn dieses System dann doch funktioniert, bis euer Untersuchungsausschuss eingesetzt ist?" Es kam dann immer mehr auf, welcher Missbrauch mit den Visa betrieben worden ist. Der grüne Außenminister, der ja das Multikulturelle sehr vertreten, die Einwanderung sehr gefördert und solche Dinge wohl offensichtlich geduldet hat, sie also nicht rechtzeitig abgestellt hat, musste sich dann eben verantworten. Es gab zu diesem Zeitpunkt gerade eine Haushaltsdebatte: In den Debatten kommt es schon mal vor, dass man etwas sagt, das man besser nicht auf die Goldwaage legt. Ich war da aber einfach ein Stück weit Opfer meiner fränkischen Ausdrucksweise, denn ich habe gesagt: "Herr Bundesaußenminister, Sie sind ein Zuhälter, wenn man so will." Ich hätte stattdessen sagen müssen: "Das, was Sie getan oder bewirkt haben, könnte man auch als Zuhälterei bezeichnen." Und in diesem Sinne habe ich es auch gemeint, ich habe das lediglich sprachlich nicht astrein genug ausgedrückt. Es kam dann zu einem Ordnungsruf gegen mich und zu turbulenten Szenen. Ich habe mich entschuldigt, sobald ich das Protokoll meiner Rede gelesen und gesehen habe, dass ich das sprachlich nicht exakt so ausgedrückt hatte, wie ich das wollte. Ich finde, das kommt in einer Debatte halt einfach mal vor. Reuß: Wie hat Fischer darauf reagiert? Gab es ein persönliches Gespräch zwischen Ihnen deswegen? Glos: Fischer hat natürlich eine Weile beleidigt reagiert. Er ist ja eine Diva, ein großer Schauspieler gewesen. Aber letztlich hat dieser Untersuchungsausschuss viel dazu beigetragen, dass anschließend in Schleswig-Holstein Rot-Grün die Landtagswahlen verloren. Dies wiederum hat einen Dominoeffekt ausgelöst, der nach Nordrhein-Westfalen gewirkt hat. Reuß: Das war dann im Mai 2005. Glos: Dass Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen die Landtagswahl verlor, hat bewirkt, dass die Legislaturperiode im Deutschen Bundestag nur drei und nicht vier Jahre gedauert hat. Reuß: Weil nämlich damals noch in der Wahlnacht der Bundeskanzler verkündete, dass er Neuwahlen anstreben und die Vertrauensfrage stellen würde. Es kam dann auch tatsächlich so. Der Bundestag wurde aufgelöst und es gab vorgezogene Neuwahlen. Aber auch diese Wahl bot ein paar Überraschungen. Es kam nur zu einem knappen Sieg der Union; man hatte aber eigentlich mit einem größeren Sieg gerechnet. Diese Wahl war in vielerlei Hinsicht bemerkenswert: Ich glaube, seit 1949 haben bei dieser Wahl die beiden großen Parteien, also Union und SPD, zum ersten Mal nicht mehr die Marge von 70 Prozent der Zweitstimmen überschritten. Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, dann hat damals keine Partei in irgendeinem Bundesland über 50 Prozent erreicht. Ist es so, wie wir das auch in Bayern erfahren, dass wir in einer Zeit leben, die zu einer Erosion der großen Parteien führt? Glos: Ich befürchte, dieser Prozess ist noch nicht am Ende. Es wird jetzt sehr darauf ankommen, wie es mit der SPD weitergeht. Das hängt wiederum damit zusammen, wie es mit den Linken weitergeht. Insofern war die letzte Bundestagswahl ein Desaster gerade für die SPD. Aber auch für die Union fiel sie nicht glorreich aus. Das Ganze hatte ein Stück weit mit der Unzufriedenheit mit der Großen Koalition zu tun, mit der gefühlten Unzufriedenheit auch im Mittelstand usw.: Das hat das letzte Wahlergebnis zumindest auf Unionsseite so ausfallen lassen. Bei der SPD war es so, dass sie zwei Mal Konkurrenz von links hatte, einmal über die Ökolinken, also die Grünen, und andererseits von der PDS zusammen mit der WASG, die sich dann "Die Linke" genannt haben. Auf der anderen Seite war ich selbst jedoch in meinen Erwartungen gedämpft im Hinblick auf das Ergebnis für die Union. Denn es ist ja klar: Wenn es im Deutschen Bundestag sechs Parteien gibt – wenn wir die CSU mit Recht als eigene Partei rechnen –, dann wird es schwierig, dass eine Partei alleine mit absoluter Mehrheit ein Land regiert. Genau so ist es dann eben gekommen. Wir müssen sehen, ob das Ganze in Zukunft noch stärker auseinander fleddert oder ob es da doch wieder Rückbesinnungen gibt. Reuß: Aber ist es aufgrund der von Ihnen beschriebenen Gemengelage nicht schwierig, wenn sich Parteien hinsichtlich ihrer Koalitionsaussagen bereits so festlegen? Man konnte nach der Bundestagswahl 2005 nur staunen, wie schwierig die Regierungsbildung war. Da reichte es für die beiden Wunschblöcke Schwarz-Gelb und Rot-Grün nicht, die FDP sagte, sie stünde für eine Ampel nicht zur Verfügung, während die Grünen sagten, sie stünden nicht für eine Jamaika-Koalition zur Verfügung. Die Regierungsbildung war daher sehr schwierig. Müssen also die demokratischen Parteien nicht doch alle untereinander koalitions- und damit regierungsfähig sein? Denn letztlich ist das ja das Votum des Wählers, das man doch irgendwie annehmen muss. Glos: Das ist richtig. Wir waren ja koalitionsfähig, und zwar zusammen mit der SPD. Dafür mussten aber viele zuerst einmal über den eigenen Schatten springen. Sie haben ja schon erwähnt, dass als mögliche Alternative die Flagge eines kleinen Karibikstaates sehr bekannt wurde. Ich weiß nicht, ob der Tourismus in Jamaika dadurch gesteigert wurde. Diese Koalitionsfähigkeit ist also grundsätzlich schon vorhanden. Aber es gab damals eben gar keine andere Möglichkeit, als die sogenannte Große Koalition. Die SPD hat dafür einen hohen Preis bezahlen müssen, wenn ich das Wahlergebnis der jüngsten Bundestagswahl zum Maßstab mache. Reuß: Es gab dennoch weitere Turbulenzen nach der Bundestagswahl 2005. Zunächst einmal trat der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering zurück, weil er den von ihm favorisierten Generalsekretär in der eigenen Partei nicht durchbrachte, also keine Mehrheit für ihn fand. Plötzlich erklärte auch Edmund Stoiber, der als Superminister vorgesehen war, dass er für dieses Amt nicht zur Verfügung stünde. Konnten Sie damals seine Entscheidung verstehen oder war die auch für Sie überraschend? Glos: Sie war natürlich auch für mich überraschend. Das Ganze ging ja sehr rasch und sehr schnell. Geschehen ist das in der allerletzten Phase der Koalitionsbildung: Die Koalitionsverhandlungen waren insoweit bereits geführt. Edmund Stoiber hatte sie zum Thema "Wirtschaft" geführt, während ich in einer kleinen Gruppe zusammen mit Steinmeier die Verhandlungen geführt habe über die Außen-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik und die zur Europapolitik. Es ist dann so gekommen, wie Sie gesagt haben. Es ist, um auf Ihre Frage zurückzukommen, eines richtig: Es hat sich durch den Rücktritt von Müntefering als SPD- Parteivorsitzendem gezeigt, dass es eine Gruppe außerhalb der Regierung geben wird, dass es also weitere Koalitionsrunden geben wird. Denn ansonsten wären ja alle Parteivorsitzenden, die diese Regierung trugen, nämlich Angela Merkel, Edmund Stoiber und Franz Müntefering, im Kabinett gewesen, was wiederum bedeutet hätte, dass es diese Koalitionsgespräche nicht mehr in diesem Maße gegeben hätte, weil man sich dann natürlich am Rande des Kabinetts oder bei Kabinettsvorbesprechungen hätte verständigen können. Durch den Rückzug von Müntefering war aber klar, dass der neue Parteivorsitzende der SPD sein Mitspracherecht nur von außerhalb des Kabinetts wahrnehmen wird. Und so hat der Parteivorsitzende der CSU für sich ebenfalls die Möglichkeit gesehen, im Bund volle Mitsprache zu haben und gleichzeitig Ministerpräsident in Bayern zu bleiben. Ich hatte dafür persönliches Verständnis, aber wie die Geschichte dann gezeigt hat, stand das Ganze letztlich doch unter einem schlechten Stern, wenn ich so sagen darf. Denn es war einfach so, dass sich weite Teile der bayerischen Bevölkerung bereits auf diese Entscheidung von Edmund Stoiber, nach Berlin zu gehen, eingestellt hatten. Auch im Landtag hatte man sich auf diese Entscheidung von Edmund Stoiber eingestellt. Die Rücknahme dieser Entscheidung von Edmund Stoiber ist daher nicht überall so gut angekommen. Reuß: Sie wurden dann Bundeswirtschaftsminister und man hatte den Eindruck, dass das nicht Ihr Traumjob sei. Im Zuge Ihrer Amtsführung gab es auch immer mal wieder Kritik an Ihnen aus den eigenen Reihen, die Sie selbst als "Friendly Fire" bezeichnet haben. Sie hatten angekündigt, das ordnungspolitische Gewissen der Koalition zu sein; das "Handelsblatt" schrieb einmal über Sie, dass die Kritik an Ihnen nicht ganz berechtigt sei, denn das Wirtschaftsministerium sei nun einmal eine Schaltzentrale der Ohnmacht, hätte also zu wenig Kompetenzen. Wie haben Sie denn als Bundesminister Ihren Handlungs- und Gestaltungsspielraum empfunden? Glos: Erstens war das eine wirtschaftlich gute Zeit. Ich würde mir heute für unser Land diese gute Zeit zurückwünschen. Dies war aber nicht nur der Tüchtigkeit des Bundeswirtschaftsministers zu verdanken, sondern das lag einfach an den Umständen: Wir hatten in der Weltwirtschaft insgesamt ein Wachstum. Ich habe mich vor allem auch auf Wunsch der deutschen Industrie sehr stark um den Außenhandel bemüht – und ich denke, wir werden auch in Zukunft in Deutschland in aller erster Linie nur von den Exportmärkten leben können. Zweitens ist es sehr schwer, das ordnungspolitische Gewissen darzustellen, wenn man mit der SPD in einem Boot sitzt und der Finanzminister von der SPD gestellt wird. Die Erwartungen gerade der traditionellen Unionswähler an die Handlungsmöglichkeiten des Bundeswirtschaftsministers waren stärker als dessen reale Möglichkeiten, weil ja alles zuerst einmal in Koalitionszirkeln abgesprochen werden musste. Ich war als Bundeswirtschaftsminister lediglich einmal in einem Koalitionsgespräch mit dabei und erinnere mich sehr gut daran. Es ging damals um die Steinkohleförderung in Deutschland. Mir ist es dabei gelungen, diese Förderung mit Zustimmung aller Beteiligten friedlich peu a peu zu beenden, weil das auf die Dauer ein Subventionsgrab gewesen ist. Ich durfte also zu diesem Thema einmal in der Koalitionsrunde mit vortragen. Ansonsten ist es Sache der Parteivorsitzenden, wen sie mit zur Koalitionsrunde nehmen. Ich habe ansonsten in meinem Leben sehr viele Koalitionsrunden erlebt, bin aber dann, nachdem ich Bundeswirtschaftsminister war, praktisch von meinem eigenen Parteivorsitzenden Edmund Stoiber "abgeschaltet" worden für diese Koalitionsrunden. Reuß: Man hatte den Eindruck, dass Sie auch ein bisschen verletzt waren, als Sie dann schließlich 2009 um die Entbindung von diesem Amt gebeten haben. "Politik ist ein hartes Geschäft, das muss jeder wissen, der sich für die Politik entscheidet," haben Sie selbst einmal gesagt. Ist Politik aber vielleicht nicht nur ein hartes, sondern manchmal auch ein undankbares und gelegentlich sogar ein unmenschliches Geschäft? Glos: Das Leben besteht ja nicht nur aus Dankbarkeit. Wie viele Kinder verhalten sich undankbar gegenüber ihren Eltern usw. Dankbarkeit ist eine Kategorie, die in die Politik ohnehin nicht hineingehört. Die Politik lebt davon, immer wieder nach vorne zu streben – und nicht von solchen alten Kategorien. Auf der anderen Seite war mir bei der Betrachtung meines Lebenskalenders klar, dass ich nach meinem 65. Lebensjahr – und ich steuere ja unmittelbar darauf zu – nicht mehr einer Regierung angehören will, wie auch immer diese Regierung aussehen mag. Man muss irgendwie auch mit den eigenen Kräften haushalten; vielleicht ist diese Erkenntnis eine Nebenwirkung meiner damaligen Erkrankung. Damals hatte ich mir fest vorgenommen, zu einem bestimmten Zeitpunkt aus dem Geschirr ganz vorne rauszugehen. Ich wollte damals, dass dieses Amt noch während der laufenden Periode nachbesetzt wird. Ich habe mich dann gefreut, dass es Karl-Theodor zu Guttenberg geworden ist. Und einer der Gründe – das steht auch in meinem Rücktrittsschreiben drin –, warum ich zu diesem Zeitpunkt gegangen bin, lag darin, dass ich wollte, dass das Amt des Bundeswirtschaftsministers bei der CSU bleibt, denn dieses Amt war ja vor mir noch nie bei der CSU gewesen. Dieses Amt war auch 40 Jahre lang nicht mehr bei der Union gewesen. Das heißt, ich bin damals ja in ein Haus gekommen, in dem man überhaupt nicht mehr wusste, wie ein Unionsmann aussieht. Da ich auch noch aus Bayern kam, hat man mich sofort gefragt, wo denn meine Lederhose sei. Ich wollte also, dass dieses Amt in Händen der CSU bleibt. Das ist dann aber jüngst von den Spitzen der neuen Koalition anders entschieden worden. Reuß: Wir sind bereits wieder ganz am Ende unserer Sendezeit. Ich darf mich ganz, ganz herzlich bedanken für dieses für mich sehr angenehme Gespräch. Ich würde gerne, wenn Sie erlauben, mit ein paar Kurzbeschreibungen über Sie enden wollen. Die Nachrichtenagentur "Associated Press" bezeichnete Sie einmal als "brillanten Strippenzieher", die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" nannte Sie einen "Vollblutparlamentarier", das "Handelsblatt" einen "meisterlichen Handwerker der Macht" und der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl sagte über Sie: "Wenn der Michael Glos in seinen Bart nuschelt und ganz unschuldig aufblickt, ist das der Moment, in dem man über den Tisch gezogen wird." Zuletzt sei noch die "Berliner Zeitung" zitiert: "Michael Glos besitzt eine schnelle Intelligenz, ein sicheres Urteil, ein ausgeprägtes Machtbewusstsein, aber auch Zuverlässigkeit und Loyalität." Dem kann und will ich nichts hinzufügen. Noch einmal ganz herzlichen Dank. Verehrte Zuschauer, das war unser alpha-Forum, heute mit Michael Glos, dem ehemaligen Bundeswirtschaftsminister. Herzlichen Dank für Ihr Interesse, fürs Zuhören und Zuschauen und auf Wiedersehen.

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