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Plenarprotokoll 13/247

Deutscher

Stenographischer Bericht

247. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Inhalt:

Erweiterung der Tagesordnung 23099 D Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 23084 A , Ministerpräsident (Hessen) . 23086 C, Zusatztagesordnungspunkt 4: 23088 B Beschlußempfehlung des Ausschusses Dr. Wolfgang Schäuble 23087 A nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Ver- mittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Be- Dr. Hermann Solms F.D.P. 23088 A reinigung vermögensrechtlicher und an- Dr. , Bundesminister AA . 23088 D derer Vorschriften (Vermögensrechtsbe- Dr. Heidi Knake-Werner PDS 23092 A reinigungsgesetz) (Drucksachen 13/10264, 13/11041, 13/11271, 13/11407) 23025 B Günter Verheugen SPD 23093 D Dr. Winfried Wolf PDS 23098 B Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung): , Bundesminister BMI 23101 B a) Erste Beratung des von der Bundes- Günter Graf (Friesoythe) SPD . . . 23103 C regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung SPD 23104A, 23120 B des Bundeshaushaltsplans für das Otto Schily SPD 23104D, 23112D Haushaltsjahr 1999 (Haushaltsgesetz 1999) (Drucksache 13/11100) . . . . 23025 B Kerstin Müller (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 23108B, b) Unterrichtung durch die Bundesregie- 23121A rung Detlef Kleinert (Hannover) F.D.P. . . . 23110D Finanzplan des Bundes 1998 bis 2002 PDS (Drucksache 13/11101) 23025 C 23113A Jürgen Koppelin F.D.P 23114 A SPD 23025 D Dr. F.D.P. 23114 D CDU/CSU 23030A Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Bundesmini Joseph Fischer () BÜNDNIS 90/ ster BMJ 23115 B DIE GRÜNEN 23035 D CDU/CSU 23117 A Dr. F.D.P 23044 A CDU/CSU . 23118 D, 23121 C Dr. PDS 23048 C Hans-Peter Kemper SPD 23119 C Dr. , Bundeskanzler . . . 23052 B Zusatztagesordnungspunkt 5 bis 17: Gerhard Schröder, Ministerpräsident (Nie- dersachsen) 23065 D Beschlußempfehlungen des Petitionsaus- - schusses Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . 23074 C Sammelübersichten 382, 383, 384, 385, Rudolf Scharping SPD 23083 A 386, 387, 388, 389, 390, 391, 393, 394 und II Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. , Donnerstag, den 3. September 1998

396 zu Petitionen (Drucksachen 13/11390, Anlage 1 13/11391, 13/11392, 13/11393, 13/11394, Liste der entschuldigten Abgeordneten 23123* A 13/11395, 13/11400, 13/11396, 13/11397, 13/11401, 13/11403, 13/11404 13/11406) 23099D Anlage Berichtigung 23122 B Amtliche Mitteilungen 23123* D Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23025

247. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Beginn: 9.00 Uhr

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Die Sitzung ist die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für eröffnet. das Haushaltsjahr 1999 (Haushaltsgesetz 1999) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, interfraktio- nell ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die - Drucksache- 13/11100 Beratung der Beschlußempfehlung des Vermittlungs- Überweisungsvorschlag: ausschusses zu dem Gesetz zur Bereinigung vermö- Haushaltsausschuß gensrechtlicher und anderer Vorschriften zu erwei- tern. Über die Vorlage soll jetzt gleich abgestimmt b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- werden. Sind Sie mit dieser Erweiterung der Tages- regierung ordnung einverstanden? - Dann ist das so beschlos- Finanzplan des Bundes 1998 bis 2002 sen. - Drucksache 13/11101 - Damit rufe ich die genannte Beschlußempfehlung Überweisungsvorschlag: des Vermittlungsausschusses auf: Haushaltsausschuß ZP4 Beratung der Beschlußempfehlung des Aus- Wir kommen zum Etat des Bundeskanzleramtes so- schusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes wie zur Außen- und Verteidigungspolitik. Ich erin- (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Be- nere daran, daß wir gestern für die Aussprache sechs reinigung vermögensrechtlicher und anderer Stunden festgelegt haben. Vorschriften (Vermögensrechtsbereinigungs- gesetz - VermBerG) Ich eröffne die Aussprache. Das Wo rt hat der Vor- sitzende der SPD-Fraktion, Rudolf Scharping. - Drucksachen 13/10246, 13/11041, 13/11271, 13/11407 - Rudolf Scharping (SPD): Herr Präsident! Meine Berichterstattung: Damen und Herren! Als ich heute morgen die Zei- Abgeordneter Dr. tung „Die Woche" aufschlug, dachte ich: Jetzt geht das schon wieder los. - Denn der Bundesverteidi- Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - gungsminister äußert sich do rt erneut zu der Debatte Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungen über die Nachfolge von Helmut Kohl und sagt, er sei gewünscht? - Auch das ist nicht der Fall. fest davon überzeugt, daß Herr Schäuble sich schon entschieden habe. Ich habe mir dann gedacht: Wie Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Ver- kann in diesem Wahlkampf eine Partei einen Bun- mittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 sei- deskanzler mit dem irreführenden Titel „Weltklasse" ner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deut- plakatieren und gleichzeitig das Verfallsdatum dazu- schen Bundestag über die Änderungen gemeinsam kleben? abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschluß- empfehlung des Vermittlungsausschusses auf Druck- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne sache 13/11407? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Die Beschlußempfehlung ist bei Stimmenthaltung und der PDS) von Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen des Denn es ist doch wirklich eigenartig, daß uns hier un- Hauses im übrigen angenommen. ter einem außerordentlich groß daherkommenden Titel etwas angeboten wird, was im Kern nichts an- Wir setzen jetzt die Haushaltsberatungen fo rt: - deres ist als die Flucht vor der eigenen Bilanz. 1. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über ten der PDS) 23026 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Rudolf Scharping Meine Damen und Herren, natürlich geht es bei gungen von allen verlangt, der macht Klientelpolitik. einem Haushalt auch um die Frage, wie man Zukunft Deshalb haben wir den Zustand erreicht, daß in anpacken will. Aber das völlig frei von den Erfahrun- Deutschland nur noch solche Menschen von Ihrer gen der Vergangenheit und damit der Bilanz zu ma- Politik etwas haben, die zu privilegierten Minderhei- chen, das wird nun wirklich nicht gelingen. Zukunft ten gehören. Sie verletzten die Interessen der Mehr- zu gestalten und in diesem Sinne daraus Fortschritt heit unseres Volkes und haben das seit längerer Zeit zu machen, das bedeutet, weder Wandel zu ignorie- mit System getan. ren noch sich dem Wandel zu unterwerfen. Wer et- was gestalten will in Deutschland, der muß wirt- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne schaftliche Kraft, soziale Verantwortung und kluge ten der PDS - Dr. Wolfgang Schäuble Vorsorge für die Zukunft neu zusammenbringen. Ge- [CDU/CSU]: Neue Mitte!) nau diese Idee, die unser Land im Wiederaufbau und später auch im Rahmen der europäischen Integra- Es wäre klug gewesen, Kräfte zusammenzuführen. Sie haben aber diese Gelegenheit nicht nur durch tion und seiner weiteren Entwicklung groß gemacht hat, nämlich die wirtschaftliche Kraft mit sozialer haltlose Versprechungen nach der deutschen Einheit Verantwortung und kluger Vorsorge für die Zukunft verpaßt, sondern Sie haben sie - um ein weiteres Bei- zu verbinden, ist von der Politik dieser Bundesregie- spiel zu nennen - im Frühjahr 1996 erneut zerstört. rung zu keinem Zeitpunkt berücksichtigt, sondern Damals bestand die Möglichkeit, ein Bündnis für Ar- im Gegenteil schwer verletzt worden. beit zu schmieden. Sie hatten die Gewerkschaften und die Arbeitgeber zu mehreren Runden im Kanz- (Beifall bei der SPD) leramt eingeladen. Die Gewerkschaften hatten sich um des größeren Ziels der Bekämpfung der Arbeits- Sie haben, Herr Bundeskanzler, viele Gelegenhei- losigkeit willen sogar zu für sie durchaus unangeneh- ten verstreichen lassen, Kräfte zu bündeln, Men- men Schritten bereit erklärt und Konsens signalisiert. schen zusammenzuführen und ihnen eine Anstren- Sie haben dann nach den Wahlkämpfen des Früh- gung abzuverlangen, von der man hätte wissen kön- jahrs 1996 in drei deutschen Ländern dieses Bündnis nen: Es lohnt sich um des Zieles willen, und es geht auf eine unglaublich leichtfertige Weise zerschlagen, dabei gerecht zu. Ein Beispiel dafür ist die Gestal- mit einer Provokation, die übrigens leider auch ein tung der deutschen Einheit. Niemand bestreitet Ih- sehr charakteristisches Element Ihrer Politik darstellt. nen, daß Sie außenpolitisch und mit Blick auf die An die Stelle der Kooperation der wichtigen gesell- staatliche Einheit der Deutschen den richtigen Weg schaftlichen und politischen Kräfte in Deutschland gegangen sind - und das klug und schnell. haben Sie die dumme soziale Konfrontation gesetzt (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der und damit auch das Bündnis für Arbeit, die Chance CDU/CSU) auf gemeinsame Bekämpfung von Arbeitslosigkeit, zerstört. Aber innerhalb Deutschlands sind alle Weichen falsch gestellt worden - alle! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sie haben von Anfang an Illusionen erzeugt. Ich er- Beispiele für eine solch dümmliche soziale Kon- wähne das deshalb, weil es sich in diesen Tagen er- frontation statt der Bündelung von Kräften waren neut abspielt. 1990 haben Sie eine Anzeige veröffent- Ihre Entscheidung über die Lohnfortzahlung, von licht mit einer Garantieerklärung Ihrer Regierung: Es der Sie genau wußten, daß es bei einem Bündnis für bleibt dabei: Keine Steuererhöhung für die deutsche Arbeit unmittelbar wie ein Sprengsatz wirken mußte, Einheit; diese Garantie kann Ihnen nur die Regie- Ihre Entscheidung, das Schlechtwettergeld wegzura- rung Helmut Kohl geben - 25. November 1990. - sieren und damit die zusätzliche Arbeitslosigkeit von Man konnte dem Bundesfinanzminister gestern an- vermutlich über 200 000 Bauarbeitern in Kauf zu neh- sehen, welch schlechtes Gefühl, ja vielleicht sogar men, Ihre Entscheidungen über den Kündigungs- welch schlechtes Gewissen er dabei hat schutz und anderes. Wir werden diese soziale Kon- frontation überwinden, damit wieder gemeinsame (Zurufe von der SPD: Er hat gar keines! - Anstrengung, gemeinsame Zielsetzung und gemein- Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Doch, ein same Verantwortung in Deutschland möglich wird. Gewissen hat er!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne - wir wollen ihm das einmal freundlich unterstellen -, ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wenn er jetzt plötzlich wiederum wenige Tage vor ei- ner Wahl, mit einem ähnlichen Versprechen durch Es ist wahr, daß man im Wandel, den man nicht be- die Lande zieht. streiten kann, auch Gestaltung ermöglichen muß, daß man aber zu dieser Gestaltung noch etwas (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Steuerlüge! - braucht - neben der Klugheit, Kräfte zu bündeln, Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Komm, komm, komm!) Menschen zusammenzuführen, gemeinsame Ziele in gemeinsamer Verantwortung nicht nur zu beschrei- Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer in ben, sondern auch anzustreben -: Man braucht auch den letzten Tagen eines Wahlkampfes und dann im- ein Gespür dafür, ein alltägliches Wissen davon, was Laufe seiner Politik während einer Legislaturpe riode Menschen bewegt und wie sich politische Entschei- nicht klare Ziele benennt und auch Schwierigkeiten dungen bei ihnen auswirken. Auch dieses schlichte deutlich macht sowie gerechte gemeinsame Anstren- Gefühl für Gerechtigkeit und dafür, wie man anstän- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23027

Rudolf Scharping dig mit Menschen umgeht, ist Ihnen im Laufe Ihrer Es ist Ihnen das Gespür für Alltag und für Entwick- Amtszeit immer stärker abhanden gekommen. lung, das einfache Empfinden für Gerechtigkeit ab- handen gekommen, wenn Sie behaupten, es sei aus (Beifall bei der SPD) finanziellen Gründen notwendig, das Rentenniveau Es mag sein, daß Sie, gewissermaßen in einer Auf- zu senken. Das ist eine schamlose Lüge und übrigens wallung zur letzten Runde, CDU-Kundgebungen auch eine schamlose Politik. Die Kürzung des Ren- noch zu einer mehr pflichtbewußten Begeisterung tenniveaus spart in den öffentlichen Kassen weitaus bringen können. Aber es ist auf der anderen Seite lei- weniger Geld, als die Abschaffung der Steuer auf der wahr, daß die große Mehrheit unseres Volkes große Privatvermögen gekostet hat. Das macht deut- nicht mehr die Sicherheit hat, die sie Regierenden lich, welcher Linie Ihre Politik folgt. wüßten noch von den Folgen ihrer Entscheidungen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne für die Haushalte normaler Leute. Das ist das Ele- ten der PDS) ment des Verdrusses, das bis weit in Ihre Koalition hineinragt und in dem sich etwas anderes widerspie- Überlegen Sie sich, wie viele Menschen im Osten gelt, nämlich nicht nur der einfache Überdruß ob Deutschlands jetzt in eine Situation gebracht wer- einer langen Amtszeit und der Verdruß ob der einen den, in der eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme oder oder anderen Ungerechtigkeit, sondern das sichere eine Maßnahme nach § 249 h des Arbeitsförderungs- Gespür dafür, daß Ihrer Politik die Idee, die tragende gesetzes möglich wird, und dann die Träger sagen: Linie, abhanden gekommen ist und daß Sie deshalb Erst mußten wir die ganze Infrastruktur für diese Ar- nicht mehr zur Gestaltung der Zukunft in der Lage beitsplätze dramatisch reduzieren; man hat uns über sind. zwei bis drei Jahre hinweg signalisiert: Macht weni- ger, es geht zu Ende, baut nicht mehr darauf, daß (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE euch der Staat helfen wird. - Jetzt müssen sie das GRÜNEN und der PDS) alles wieder hochziehen, bei der Caritas, beim Diako- nischen Werk und bei vielen anderen Trägern bis hin Setzen Sie sich einmal in Ostdeutschland mit zu den Beschäftigungsgesellschaften im Osten Frauen in einer sogenannten Beschäftigungsgesell- Deutschlands, wieder in der Gewißheit, es könnte im schaft zusammen, mit Frauen, die 1991 ihren Arbeits- Jahr 1999 Schluß sein. Herr Bundeskanzler, man platz verloren hatten und jetzt wegen der Aufstok- macht Arbeitsmarktpolitik nicht im Rhythmus von kung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und der Wahlterminen, man macht sie im Interesse der Men- Mittel dafür im Jahre 1998 eine Chance bekommen, schen. von der sie von Anfang an wissen, sie ist befristet und danach kommt vermutlich keine mehr; sprechen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Sie einmal mit Menschen, die Ihnen auf einem ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Marktplatz voller Empörung erzählen, daß ihre Ren- tensteigerung einige wenige Pfennige beträgt und So ist Ihnen beides abhanden gekommen: die tra- daß sie Sorgen haben; reden Sie einmal mit jungen gende Idee für die Zukunft und das alltägliche Wis- Leuten über ihre Ausbildungsstellen, und konfrontie- sen darum, was Ihre Entscheidungen, was Ihre Poli- ren Sie das dann mit den regierungsamtlichen Stel- tik für normale Familien, in normalen Haushalten mit lungnahmen. normalem Einkommen wirklich bedeuten. Das spürt man besonders deutlich bei der Bekundung bei- Dazu sagt der Bundesminister für Zukunft - er spielsweise Ihres Koalitionspartners, es sei ein letztes sollte einmal für die Zukunft zuständig sein; aber Element der Freiheit auf dem Arbeitsmarkt, daß es auch das ist schon Vergangenheit -, 620 - DM - Verträge gebe. (Beifall bei der SPD) (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Richtig!) Herr Rüttgers: Es gibt keine Lehrstellenkatastrophe. Was für eine Vorstellung haben Sie eigentlich von - Wir können meinetwegen über die Worte streiten. Freiheit? Das ist aber in meinen Augen nicht so wichtig. Wich- (Beifall bei der SPD) tiger ist: Wir verschleudern die Zukunft unseres Lan- des. Ein so reiches und starkes Land wie Deutschland Das erinnert mich an das 19. Jahrhundert, als die Li- hat es nicht nötig, daß auch nur ein einziger Jugend- beralen dachten, Freiheit ohne soziale Dimension sei licher am 1. September ohne Ausbildungsstelle ist. etwas. Es hat sich herausgestellt: Das war wenig. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Deshalb sage ich Ihnen: Schauen Sie sich das ein- GRÜNEN und der PDS) mal an. Sie glauben offenbar, daß Deutschland ein wirtschaftlich starkes und zugleich sozial verantwort- Die Familien, die sich Sorgen um die Zukunft ihrer liches Land bleiben könne, obwohl die Zahl seiner Kinder machen, haben es nicht verdient, daß ein sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze sinkt, Bundeskanzler nur in wohlfeilen Ansprachen - in die Zahl seiner Arbeitsverhältnisse ohne soziale aller Regel zu Neujahr - verkündet, man werde sich Sicherheit aber steigt; Sie glauben offenbar, daß die um die Jugend sorgen, man werde ihr helfen, daß über 5 Millionen betroffenen Menschen es als Frei- aber dann in der praktischen Politik nichts nachfolgt. heit empfinden, daß sie für nur 620 DM ohne soziale Es kommt keine einzige Entscheidung, die helfen Sicherheit arbeiten dürfe. könnte, daß diese bedrückende Situation für Zehn-- tausende von Jugendlichen und Familien überwun- (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Das ist den wird. doch gar nicht der Punkt!) 23028 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Rudolf Scharping Diesen Begriff von Freiheit, der nichts anderes be- Über Ausbildung und Bündnis für Arbeit habe ich deutet als die Freiheit der wirtschaftlich Mächtigen, gesprochen. Schauen Sie sich einmal an, was Sie im zu tun, was sie für richtig halten, teilen wir nicht. Wir Zusammenhang mit Forschung und Entwicklung wollen erreichen, daß Arbeit und soziale Sicherheit und den entsprechenden Haushalten getan haben. zusammenbleiben. (Dr. Peter Struck [SPD]: Richtig!) (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Marga- reta Wolf [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/DIE Wenn man reklamiert, man wolle etwas für die Zu- GRÜNEN]) kunft tun, dann bleibt es ein eigenartiger Wider- spruch in Ihrer Politik, daß wir in wenigen Jahren zur Ich habe hier den Bericht des Landesarbeitsamtes Bezahlung von Zinsen - von Schulden, die Sie ge- Nord. Im Zusammenhang mit Ihrer Vorstellung von macht haben - das Siebenfache dessen aufwenden, Freiheit ist das ein ganz interessantes Beispiel. Die was wir für Forschung und Technologie, Bildung und Arbeitsverwaltung versucht herauszufinden, ob sich Wissenschaft ausgeben - das Siebenfache! Das soll wirklich alle Betriebe - leider tun es längst nicht alle eine Politik sein, die Vorsorge für die Zukunft rekla- - an das halten, was man über Arbeitsschutz, Ar- miert? Es zeigt sich doch schon allein an den finan- beitszeiten, Löhne usw. vereinbart. Dem Bericht des ziellen Entwicklungen - übrigens auch am inneren Landesarbeitsamtes Nord entnehme ich, daß auf Willen Ihrer Politik -: Sie sind nicht mehr fähig, Prio- einer -vorpommerischen Baustelle im ritäten zu setzen, Sie sind nicht mehr fähig, sich auf letzten Jahr ein Stundenlohn von 2,24 DM gezahlt eine gemeinsame Politik zu verständigen, und Sie worden ist. Sie haben sich doch bisher immer gewei- sind auch nicht fähig, die notwendigen Maßnahmen gert, illegale Arbeit, die Bedienung mit Fremdfirmen für die Zukunft auf den Weg zu bringen, und zwar und anderes überhaupt als Thema zu akzeptieren, so, daß unser Volk eine gemeinsame gute Zukunft geschweige denn dafür zu sorgen, daß gegen solche hat. Mißstände konsequent vorgegangen wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne (Beifall bei der SPD) ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) Es ist eine schwere Verletzung des Rechtsbewußt- seins der Bürger, wenn der Gesetzgeber illegale Tä- Es ist wahr: Nur sozial gerechte Gesellschaften tigkeit noch immer so behandelt, als sei es eine Ord- sind auf Dauer leistungsfähig. Das, was ich hier for- nungswidrigkeit. In Zeiten millionenfacher Arbeitslo- muliere, ist nicht allein die Haltung der sozialdemo- sigkeit aber ist illegale Beschäftigung, sind solche kratischen Fraktion in diesem Hause; es ist auch die Mißstände wahrlich kein Kavaliersdelikt. Das ist Haltung der großen gesellschaftlichen Gruppen. Nor- nicht wie falsches Parken im Halteverbot, sondern malerweise würde man sagen: Nun gut, daß die Ge- kriminelle Energie, die sich do rt niederschlägt, und werkschaften in diese Kritik einstimmen, daß viel- das muß entsprechend konsequent angegangen wer- leicht von den großen Wohlfahrtsverbänden die den. Arbeiterwohlfahrt in diese Kritik einstimmt, das er- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- wartet man. Das wäre auch nichts besonders Neues. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Aber man findet zum Beispiel in den beiden christli- chen Wohlfahrtsverbänden - übrigens bei dem größ- So ist Ihnen nicht nur die kluge Einsicht abhanden ten Arbeitgeber der Bundesrepublik Deutschland; gekommen, daß wirtschaftliche Kraft, soziale Verant- beide Wohlfahrtsverbände zusammengenommen wortung und Vorsorge für die Zukunft zusammenge- sind Arbeitgeber von etwa 800 000 Menschen -, die hören, so ist Ihnen nicht nur das Empfinden für die in Deutschland in Krankenhäusern, Sozialstationen alltägliche Wirklichkeit von Menschen abhanden ge- oder auf anderen Feldern bis hin zu Kindergärten tä- kommen, sondern es ist Ihnen auch abhanden ge- tig sind, mittlerweile fast keinen Hauptamtlichen, kommen, nach vorne zu schauen, und zwar so, daß fast keinen Ehrenamtlichen mehr, der sagen würde, man dabei alle im Blick hat und alle einlädt, den Weg er fühle sich mit der gegenwärtigen Politik wohl, er nach vorne mitzugehen. erkenne sich in ihr wieder, er sei der Auffassung, sie trage für die Zukunft. Sie finden niemanden mehr! Sie reden anders, als Sie denken, und Sie handeln Wie weit entfernt sich christdemokratische Politik anders, als Sie reden. Das ist am Ende für die Demo- von ihrem eigenen Anspruch, wenn sie noch nicht kratie alles andere als wünschenswert und auch für einmal mehr im Umfeld der Kirchen den Widerhall die Glaubwürdigkeit ihrer Institutionen alles andere findet, den sie im Interesse des Landes eigentlich fin- als gut. Alle drei Elemente machen den Überdruß den müßte? aus, der sich bis in Ihre Partei hinein verbreitet hat. (Beifall bei der SPD) Herr Bundeskanzler, ich habe folgendes nicht ver- standen: Es gibt Zeiten, da muß man den Weg aus Das ist nicht nur die Folge davon, daß Sie keine diesen Schwierigkeiten so wählen, daß das Nötige Idee mehr haben, sondern auch davon, daß Sie an entschieden wird. Eine eigentlich konzeptionslose die Stelle der fehlenden Idee ein Prinzip gesetzt ha- Politik, deren einziges Konzept noch darin besteht, ben, das gerade im Umfeld der Kirchen sehr genau auf jeden Fall auf den Sesseln sitzen zu bleiben, die erkannt wird. Nie zuvor haben sich die beiden christ- Macht zu behalten, ohne zu wissen, wofür eigentlich,- lichen Kirchen so klar und deutlich in einem gemein- die reicht nicht. Man spürt das auch an diesem drit- samen Wort zur wirtschaftlichen und sozialen Lage ten Element, nämlich der klugen Vorsorge für die Zu- unseres Landes besorgt und kritisch geäußert - nie kunft. zuvor! Dahinter steckt - auch das findet sich in die- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung.; Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23029

Rudolf Scharping sem Wort ausdrücklich wieder - die Sorge, daß die ganz offenkundig so, daß sich, wenn der Weg weiter Verletzung der Idee sozialer Gerechtigkeit und sozia- so wie in den letzten acht Jahren - wegen der deut- len Zusammenhalts noch einen anderen Grund hat. schen Einheit sage ich das jetzt so - gegangen wird, Sie haben nämlich begonnen, die Gesellschaft, das für manche Gruppen in der Bevölkerung etwas ver- Zusammenleben von Menschen „durchzuökonomi- bessern wird. Das kann man gar nicht bestreiten. sieren". Sie haben alles, was in diesem Haus debat- Dann wird sich möglicherweise aber auch sehr tiert worden ist - wenn es um die Lage Behinderter schnell herausstellen, daß die Freude an der Verbes- ging, wenn es um die Lage chronisch Kranker ging, serung der Lebenssituationen kleinerer Gruppen - wenn es um die Frage der kleinen Renten ging, soweit man jedenfalls ein Gefühl und ein Gewissen wenn es um viele andere bedrängte und besorgte für andere hat - einfach dadurch geschmälert und Menschen ging -, immer mit den angeblichen Zwän- getrübt wird, daß sich dieses Land zu stark auseinan- gen von Kosten beantwortet. Wer einer Gesellschaft derbewegt und man nicht mehr für alle Jugendli- dadurch den Zusammenhalt raubt, daß er ihr sugge- chen, für alle sozial Schwachen und für alle Benach- riert, es sei alles nur Ökonomie und kurzatmige teiligten etwas zu tun versucht. Sie haben oft genug Betriebswirtschaft, der ruiniert den sozialen Kitt, versucht, uns einzureden, daß sich die SPD, wenn sie Toleranz, Rücksichtnahme und Zusammenhalt im all- sich so äußere, wie der Bet riebsrat der Nation ver- täglichen Leben. halte; sie kümmere sich nicht um die Leistungsträger. (Beifall bei der SPD) Aber in dieser Rede, Herr Bundeskanzler, steckte immer zugleich eine mißachtende Vorstellung von Meine Damen und Herren, es wäre gut, wir hätten dem, was Leistungsträger sind, nämlich Egoisten. eine Regierung - wir werden sie ja bekommen -, die wieder Stärken mobilisiert, anstatt Schwächen aus- (Beifall bei der SPD) zunutzen. Herr Bundeskanzler, ich hatte in vielen Situationen das Gefühl, daß Sie eher die Schwächen In dieser Rede steckte immer die Unterstellung, der der Menschen kennen, als daß Sie deren Stärken mo- Leistungsträger sei nicht willens und nicht bereit, de- bilisieren. Im Zweifel nutzen Sie eher jene und setzen nen zu helfen, die auf die Starken angewiesen sind. sie auch taktisch ein. Man sieht das ja daran, wie vor- Solidarität und Zusammenhalt in unserem Verständ- her „Weggebissene" jetzt plötzlich aus wahltakti- nis ist nicht nur Zusammenhalt zwischen den Schwä- schen Erwägungen wieder herangezogen werden. cheren, sondern täglich praktizierte Verantwortung der Stärkeren. Das steckt hinter Solidarität und Zu- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sammenhalt. Sie vermitteln Menschen nicht mehr das Gefühl, daß Ihre Politik hat aber bei alldem - nicht immer und sie eine Hoffnung begründen. Sie ermutigen Men- nicht bei jeder einzelnen Entscheidung, aber doch schen nicht und bündeln keine Kräfte, sondern Sie insgesamt - nicht beachtet, daß nur eine kluge Ver- bauen eher auf Eigennutz, Schwäche oder anderes. bindung von wirtschaftlicher Kraft, sozialer Verant- Vor diesem Hintergrund ist zu sagen, daß nur ein im wortung und kluger Vorsorge für die Zukunft - sei es Innern stabiles, starkes Deutschland auch für seine bei Bildung und Ausbildung, beim Schutz der Freunde und Partner stabil und verläßlich ist. Lebensgrundlagen oder an anderer Stelle - unserem (Beifall bei der SPD) Land am Ende eine gute Zukunft öffnet. Sie haben versäumt, zu berücksichtigen, was Ihre Entscheidun- Es mag lange Zeit gutgehen, wenn man den einer gen für das alltägliche Leben der Menschen bedeu- großen Volkswirtschaft und einem bedeutsamen ten. Sie haben versucht, uns einem Wandel zu unter- Land in Europa geschuldeten Respekt mit persönli- werfen, anstatt ihn gemeinsam mit allen gesellschaft- cher Anerkennung verwechselt. Das haben Sie ja oft lichen Kräften zu gestalten. getan. Wenn aber Deutschland im Innern seine Mög- lichkeiten zu Stabilität und Verläßlichkeit nicht or- Herr Bundeskanzler, ich habe Ihnen vorgeworfen, dentlich nutzt und ausbaut, dann ist es auch nach au- daß Sie Ihr eigenes Wo rt nicht ernst nehmen. Am ßen nicht so stabil und verläßlich, wie wir uns das 9. Oktober 1994 erschien in Bonn im Zusammenhang wünschen. Das ist heute nicht das aktuelle Thema; mit einer Debatte, wie wir sie auch in diesen Tagen das weiß auch ich. Es ist auch keine aktuelle Gefahr; erleben, eine Meldung, die im Kopf den Bundesadler auch das weiß ich. Dennoch sollten wir uns bewußt und die Überschrift „Der Bundeskanzler der Bundes- bleiben - auch wegen unserer eigenen historischen republik Deutschland" trägt. Diese Meldung enthält Erfahrungen -, daß wir bei unseren Reden hier nicht eine persönliche Erklärung von Ihnen zu einer Dis- nur die Dimensionen der nächsten dreieinhalb Wo- kussion, die wir vor vier Jahren schon einmal erlebt chen vor Augen haben, sondern in den Dimensionen haben: einer längerfristig angelegten Politik denken und Ich habe wiederholt erklärt, daß ich für die Dauer dementsprechend reden. Wir sollten nicht nur über der gesamten nächsten Legislaturpe riode, d. h. in Zukunftshoffnungen reden, die Sie jetzt kurioserwei- der Zeit von 1994 bis 1998, als Bundeskanzler zur ser wieder als Flucht vor der eigenen Bilanz vermit- Verfügung stehe. Dabei bleibt es. Außerdem teln wollen. Das wird Ihnen niemand durchgehen habe ich deutlich gemacht, daß ich auf keinen lassen. Fall beabsichtige, über 1998 hinaus erneut für das (Beifall bei der SPD) Amt des Bundeskanzlers zu kandidieren. Wir müssen natürlich auch über die Frage der Ge- (Beifall bei der SPD - Zurufe von der SPD: staltung der Zukunft unseres Volkes reden. Es ist Aha!) 23030 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Rudolf Scharping Immerhin handelt es sich um eine offizielle Meldung tei im Bundesrat zum zentralen Thema einer solchen der Bundesregierung. Feierstunde macht, der mißbraucht sein Amt. Ich kann verstehen, daß Sie vielleicht nur noch aus (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Gewohnheit an den Sesseln kleben, auf denen Sie ordneten der F.D.P.) sitzen. Nehmen Sie sie ruhig mit - das ist nicht das Problem -, aber nehmen Sie Ihre eigenen Worte we- Wie sieht Niedersachsen im Ländervergleich aus? nigstens in diesem Falle ernst! Anspruch und Wirklichkeit klaffen gewaltig ausein- ander: Die Arbeitslosenquote liegt um zwei Drittel (Anhaltender Beifall bei der SPD - Beifall über der in Baye rn; das Wirtschaftswachstum in Nie- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ dersachsen ist um fast 50 Prozent niedriger als in DIE GRÜNEN und der PDS) Bayern; die Investitionsquote im Haushalt ist um ein ganzes Viertel niedriger; der Anteil der Selbständi- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat gen in Niedersachsen ist ebenfalls um ein Drittel der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, Michael niedriger als in Bayern. Glos. ( [SPD]: Die Arbeitslosigkeit (Zurufe von der SPD: Oh!) steigt und steigt!) - Richtig, es ist nicht so, daß alles niedriger ist als in Michael Glos (CDU/CSU) (von Abgeordneten der Bayern: Die Zahl der Insolvenzen ist um ein Fünftel CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! höher; die Pro-Kopf-Verschuldung in Niedersachsen Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe ist doppelt so hoch wie in Bayern, und der Anteil der die Gelegenheit gehabt, die Gesichter der drei Her- Kredite am Staatshaushalt ist zweieinhalbmal so ren genau zu beobachten, während Herr Scharping hoch wie in Bayern. geredet hat. Freude bei denen und auch bei Ihnen auf der linken Seite des Hauses kam erst auf, als Sie Herr Schröder will ja mit Blick nach vorne reden. geendet haben, Herr Scharping. Ich bin überzeugt, er sagt auch etwas zu dem Haus- halt in Niedersachsen. Zweimal waren diese Haus- (Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Peter Ram- halte verfassungswidrig, 1995 wegen überhöhter sauer [CDU/CSU]: So war es!) Neuverschuldung, 1996 wegen Plünderung der Kom- Das kann ich gut verstehen. Das letzte vernünftige munen. Deswegen noch einmal, Herr Scharping: Sie haben recht gehabt, als Sie gesagt haben, Schröder Wort, das ich von Ihnen gehört habe, war Ihre Aus- habe in Niedersachsen den Landeshaushalt total rui- sage im „Stern" am 6. Juli 1995. Do rt haben Sie ge- sagt: Schröder hat in Niedersachsen den Landes- niert. haushalt total ruiniert. Eine weitere vernünftige (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Handlung, die mir von Ihnen noch in Erinnerung ist, ist, daß Sie Herrn Schröder als Sprecher für Wi rt Nun haben Ihre Wahlkampfberater - Ihre „spin of- -schaftspolitik entlassen haben. All das war in Ord- ficer" oder wie auch immer Sie sie neuerdings nen- nung. Aber seitdem sind Sie politisch etwas außer nen - eine anonyme Anzeige bestellt, Tritt geraten. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU DIE GRÜNEN]: Da spinnt der Glos!) und der F.D.P.) in der es heißt: Geredet wird viel - wir wissen mehr. - Der Herr Präsident des Bundesrates, der heute Ein anonymer Kreis suggeriert, daß in Niedersachsen auch in seiner Eigenschaft als Kanzlerkandidat an- wirtschaftlich alles in Ordnung sei. Möglicherweise wesend ist, hat vorgestern die Feierstunde zu Ehren ist diese Anzeige von denselben Leuten bezahlt wor- des Parlamentarischen Rates mißbraucht, um gegen den, die damals vor der Niedersachsenwahl eine den Wettbewerbsföderalismus zu Felde zu ziehen. ähnliche Anzeige bezahlt haben. (Dr. Peter Struck [SPD]: Was ist denn das (Klaus Lennartz [SPD]: Die war gut!) für ein Stuß?) Aber eines haben Ihre Berater, lieber Herr Schrö- Sieht man die Ergebnisse seiner Arbeit als Minister- der, bei ihrem Timing nicht geschafft: Sie haben präsident in Niedersachsen, hat man für diese Hal- nämlich versäumt, die Gewerkschaften einzubezie- tung menschlich sehr viel Verständnis. hen. Die „Hannoversche Allgemeine Zeitung" schreibt just heute, Schröder hänge der Makel der (Beifall bei der CDU/CSU) Untätigkeit und des Verdrängens an. Wenn Schröder Die gewaltigen Unterschiede zwischen Nieder- als Kanzlerkandidat vollmundig ein Sofortprogramm sachsen und Bayern beweisen: Entgegen den Be- gegen Jugendarbeitslosigkeit ankündige und als Mi- hauptungen von Herrn Schröder ist die Entwicklung nisterpräsident dies verweigere, dann sei diese Poli- eines Bundeslandes sehr wohl von der Politik der je- tik wenig glaubwürdig. weiligen Landesregierung abhängig. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Genausowenig glaubwürdig ist das Folgende: Sie ordneten der F.D.P.) - verkünden ein Bündnis für Arbeit und wollen gleich- Warum sonst sollten die Bürger bei Landtagswahlen zeitig die Reformen zurückdrehen, die den Auf- wählen? Wer die Blockadepolitik seiner eigenen Par- schwung erst ermöglicht haben. Wenn die Präsiden- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23031

Michael Glos ten der großen Wi rtschaftsverbände Ihnen erklären, BDI wollen Sie die Flächentarifverträge neuen Anfor- ohne Reformen könne es kein Bündnis für Arbeit ge- derungen anpassen; dem DGB versprechen Sie, sich ben, dann müssen sie sich von Ihnen als „ Verbands- nicht einzumischen. Beim BDI beklagen Sie die fuzzis " beschimpfen lassen. schleichende Verstaatlichung des Ausbildungssy- stems; beim DGB halten Sie das Ausbildungssystem (Dr. [CDU/CSU]: Allerhand! für das beste der Welt. Beim BDI begrüßen Sie die in - Zuruf von der SPD: Trio asoziale!) den letzten Jahren gefundenen flexiblen Lösungsan- Ihr Parteivorsitzender, Herr Lafontaine - der heute sätze auf bet rieblicher Ebene; beim DGB beklagen wohl noch kommen wird -, hat vom „Trio asoziale" Sie anschließend die flexible Arbeitsorganisation au- gesprochen. Vielen Dank für diesen Zwischenruf. ßerhalb der Flächentarifverträge. Beim BDI fordern Sie den notwendigen Durchbruch bei der Unterneh- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) mensbesteuerung; beim DGB setzen Sie sich für die - Klatschen Sie ruhig! Ich bin schon der Meinung, Entlastung der Bezieher der unteren und mittleren die Menschen in Deutschland sollten wissen, was auf Einkommen ein. sie zukommt. Ich habe noch die Zeiten erlebt, in (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das wider denen es hieß „Unternehmer gleich Ausbeuter", als spricht sich ja nicht!) die Aktion „Gelber Punkt" gestartet wurde. Wenn Sie glauben, in einer globalisierten Welt mit Unter- Und im Bundesrat waren Sie es, der die Sabotage nehmerbeschimpfungen Arbeit für die Menschen von mit unterstützt hat. schaffen zu können, dann sind Sie auf dem Holzweg. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Eines Ihrer Lieblingsworte, Herr Schröder, heißt In- Statt sich in Niedersachsen Handwerk und Mittel- novation. Sie selbst haben über Ihre Partei gespottet stand anzunehmen, kümmern Sie sich vornehmlich - zu Recht -, die letzte Innovation, der die SPD mit um die Angelegenheiten der Großkonzerne. Über Freuden zugestimmt habe, sei die Einführung des Ihre Rolle bei der Übernahme der Motorenfabrik von Farbfernsehers gewesen. Rolls-Royce durch VW schreibt die „Wirtschafts- woche" - ich zitiere -: (Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mittlerweile stellt sich heraus, daß VW bei der Operation eine gute Millarde Mark Nur, lieber Herr Schröder, auch bei Ihnen klaffen An- spruch und Wirklichkeit auseinander. Nach acht - es ist leicht, so zu handeln, wenn es das Geld ande- Jahren Gerhard Schröder - erst als rotgrüner Schrö- rer Leute ist - der, dann als Schröder pur - müßte Niedersachsen zum Fenster hinausgeworfen hat. Der Kandidat geradezu eine Oase - heute würde man sagen: ein hätte lieber seine Kontrollfunktion im Aufsichts- Jackpot - für Innovationen sein. rat strenger ausüben und beim Geldausgeben ge- (Heiterkeit bei der CDU/CSU) nauer hinsehen sollen. Aber auch hier ist alles nur heiße Luft. Ich nenne die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zahl der Patentanmeldungen auf 100 000 Einwohner: Weiter heißt es in diesem Artikel: in Baden-Württemberg, bei den großen Tüftlern der Nation, sind es 95, in Bayern 83, in Niedersachsen le- Wenn Gerhard Schröder Deutschland so regieren diglich 35. würde, wie er VW beaufsichtigt hat, könnten sich die Steuerzahler auf einiges gefaßt machen. (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten Der Anteil der Beschäftigten in den Bereichen For- der CDU/CSU und der F.D.P.) schung und Entwicklung ist in Bayern fast viermal so hoch wie in Niedersachsen. Da von Ihnen, Herr Meine sehr verehrten Damen und Herren, von der Schröder, in Niedersachsen die Mittel für Wi rt „Rheinischen Post" wurde er gefragt - das zum -schaftsförderung halbiert wurden und die Hilfen für Thema Wirtschaftskompetenz -, welches Ziel er be- Existenzgründer gestrichen worden sind, ist es eine züglich der Staatsquote habe. Darauf hat er gesagt: logische Folge, daß die Selbständigenquote dort Eine Quote unter 50 Prozent sollten wir schon schaf- 20 Prozent niedriger ist als in Baye rn. fen. Die Antwort macht uns klar: Gerhard Schröder will erst noch erreichen, was mit 48 Pro- Ein anderes Thema, das sich Rotgrün so groß auf zent längst erreicht hat. Dafür brauchen wir also kei- die Fahnen schreibt, sind die erneuerbaren Ener- nen neuen Kandidaten. gien. Im Dreijahreszeitraum von 1994 bis 1996 hat Bayern mit 200 Millionen DM fünfmal soviel geför- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - dert wie Niedersachsen. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was sagt der „Bayernku- (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ rier" )? DIE GRÜNEN]: Gucken Sie sich einmal die Energie in Bayern an!) Hier ein Teil der Widersprüchlichkeit dieses Herrn: Dienstags betonen Sie beim BDI die Stärkung- In diesem Zusammenhang würde ich Sie auch einmal des Standortes Deutschland; donnerstags kritisieren bitten, - es wurde angekündigt, daß Sie über die Zu Sie beim DGB die wirtschaftlichen Schwächen. Beim kunft reden wollen -, da auch Sie auf diesem Gebiet 23032 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Michael Glos offensichtlich nur mangelnde Vorsorge bet rieben ha- Reaktor nicht erteilen. Nun frage ich Sie als mögli- ben, etwas Konkretes zur weiteren f riedlichen Nut- chen Kanzler: Werden Sie die Genehmigung erteilen, zung der Kernkraft in Deutschland zu sagen, dazu, oder werden Sie diese Genehmigung verweigern? wie Sie sich das vorstellen. (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - DIE GRÜNEN - Ingrid Matthäus-Maier Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ [SPD]: Das war das erste wahre Wo rt ! - DIE GRÜNEN]: Sie sind ein langsamer Brü- Weiterer Zuruf des Abg. Joseph Fischer ter!) [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Herr Fischer, zu Ihnen komme ich noch. - Herr Fischer, „möglichen" natürlich nach Ihren Wünschen und nach den Wünschen der SPD, nicht (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ nach unseren Wünschen. Wir von der CSU sind da DIE GRÜNEN]: Ich nehme Sie gerne in vollkommen unverdächtig. Empfang, mein Lieber!) (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ An .Ihrer Stelle wäre ich mit unverschämten Zwi- DIE GRÜNEN]: Herr Bundeskanzler, äußern schenrufen sehr vorsichtig. Sie sich! Eine klare Antwort!) Herr Ministerpräsident Schröder, eine andere (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Frage. Sie haben dann lange Gelegenheit zu antwor- ten. Sie haben eine Bildungsoffensive angekündigt. Zurück zu Niedersachsen. Wie steht es denn mit Nach dem Grundgesetz sind die Bundesländer für dem Transrapid? Sie hätten hier eine Chance, eine Bildung zuständig. Das müssen Sie als Bundesrats- Zukunftstechnologie auch mit Ihrem Namen als nie- präsident wissen. Nach acht Jahren Schröder/Trittin dersächsischer Ministerpräsident zu verbinden. Was bzw. Schröder pur müßte Niedersachsen ein Bil- Ministerpräsidenten in der Technologieförderung lei- dungseldorado sein, geradezu eine „bonanza'' der sten können, das wissen wir spätestens seit Franz Jo- Bildung. sef Strauß. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was war mit Herrn Kohl?) Sie, Herr Schröder, haben 1994 6 000 neue Lehrer- planstellen versprochen. Was haben Sie getan? Sie Wenn heute der weltweit als das beste Ver- haben 3 000 Stellen gestrichen und alle verbliebenen kehrsflugzeug anerkannt wird und inzwischen die Lehrer durch saudumme Äußerungen über den Beruf Zahl der Bestellungen die beim amerikanischen des Lehrers noch ein Stück weit demotivie rt. Bayern Flugzeugriesen Boeing übertrifft, dann ist das Ergeb- hat im gleichen Zeitraum 4 000 neue Lehrerstellen nis einer konsequenten Wirtschafts- und Technolo- geschaffen. gieförderung insbesondere des bayerischen Minister- präsidenten Franz Josef Strauß und des Freistaates (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Aber 31 Bayern. Kinder pro Klasse!)

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Zieht ein Bayer hierher, ordneten der F.D.P.) - gemeint ist Niedersachsen - Warum errichtet La Roche zum Beispiel das sechste muß er sich erst mal zwei Jahre hängenlassen, da- Krebsforschungszentrum in Bayern und nicht in Nie- mit er das niedrige niedersächsische Niveau er- dersachsen? Die Antwort ist ganz einfach. Die Hal- reicht. tung der SPD, Ihrer Partei, und Ihres Wunschpart- ners, der Grünen, ist noch immer gegen die Gentech- (Beifall bei der CDU/CSU) nologie gerichtet. Dabei bietet Gentechnik Chancen für die Bekämpfung von Krankheiten, für die Be- Dreimal dürfen Sie raten, von wem dieses Zitat kämpfung von Hunger; Gentechnik heißt Aufbruch stammt. Diese Analyse ist von Ihrem eigenen Innen- in Richtung moderner Arbeitsplätze für die Zukunft. minister und Wunschnachfolger, Glogowski. Wo der Mann recht hat, hat er recht. (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) DIE GRÜNEN]: Je länger ich Ihnen zuhöre, desto eher bin ich dafür!) Wie sieht es im Hochschulbereich aus? Die Mittel sind in Bayern mit gut 60 DM pro Einwohner dreimal Ein weiteres Beispiel. Ein bedeutendes Zukunfts- so hoch wie in Niedersachsen. Die Folgen sind dann projekt nicht nur für Bayern, sondern für Deutsch- kein Zufall. Die Arbeitslosigkeit junger Menschen ist land ist die Neutronenquelle in Garching. Sie dient in Niedersachsen fast doppelt so hoch wie in Bayern. der Materialentwicklung, aber auch der Forschung Beim Bundeswettbewerb „Jugend forscht" 1997 ka- im Gesundheitsbereich. Mit Neutronen kann man men in den sieben Fachgebieten vier Sieger aus dem bekanntlich Tumore und Krebs bekämpfen. Die Freistaat Bayern, ein Sieger aus dem Freistaat Sach- bayerische SPD-Chefin hat ange- sen und keiner aus Niedersachsen. kündigt, eine SPD-Bundesregierung werde die noch ausstehende dritte Teilgenehmigung für diesen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23033

Michael Glos Herr Schröder, wie haben Sie auf dem SPD-Partei- Der niedersächsische Verfassungsschutz wurde tag doch gesagt? „Jede Politik muß sich an ihren Er- unter Rotgrün dezimiert. Kein Wunder, war doch der gebnissen messen lassen." Das ist die Meßlatte, die vom Verfassungsschutz beobachtete Altkommunist bei Ihnen angelegt wird. Trittin von 1990 bis 1994 Minister und stellvertreten- der Ministerpräsident. Dieses Beispiel zeigt auch - (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wir sollen ja nach vorne blicken -, was wir von einer Das gilt auch für den Sozialbereich. Der Sozial- Bundesregierung zu halten haben, Herr Fischer, haushalt in Niedersachsen ist von Ihnen von 5,4 Mil- liarden DM im Jahre 1994 auf 4,8 Milliarden DM im (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Jahre 1997 zusammengestrichen worden. Bayern hat DIE GRÜNEN]: „Der alte Terro rist Fischer" seine Sozialausgaben nicht gekürzt. Baye rn gibt für kommt jetzt!) Krankenhäuser doppelt soviel aus wie Niedersach- bei der Ihr Parteiboß Trittin ein führendes Minister- sen. Ein Wort wie zum Beispiel „ Landeserziehungs- amt übernimmt. geld " ist in Niedersachsen ein Fremdwort. Das kann man dort nicht einmal buchstabieren. Dafür ist Nie- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ dersachsen Spitzenreiter bei den Sozialhilfeempfän- DIE GRÜNEN]: Jawohl! Er wird Minister für gern. Sie, Herr Schröder, haben pro 100 000 Einwoh- bayerische Fragen!) ner zweieinhalbmal mehr Sozialhilfeempfänger als das CSU-regierte Bayern. Das hängt nicht zuletzt Ich zitiere aus der „FAZ": auch mit der dort praktizierten Ausländerpolitik zu- sammen; wir wissen ja, daß jeder dritte Sozialhilfe- Im letzten Jahr seiner Amtszeit als Minister gab empfänger Ausländer ist. Trittin öffentlich zu, daß er als Göttinger Student Immer häufiger entdeckt die SPD vor Wahlen das der konspirativen Kaderorganisation Kommuni- Thema „innere Sicherheit". hat stischer Bund angehört hat, deren Anhänger „die in Schiffbruch erlitten; ausgerechnet in Zerschlagung des Staates" bet rieben und mit Hamburg Schiffbruch zu erleiden ist gewaltig. Auch militanten Gruppen zusammenarbeiteten. In sei- bei Ihnen werden die Menschen erkennen, daß ner Zeit als Mitglied des Göttinger Allgemeinen Worte und Taten auseinanderklaff en. Studentenausschusses veröffentlichte die AStA- Zeitung den berüchtigten „Mescalero"-Artikel, Die Kriminalität liegt in Niedersachsen um fast ein in dem „klammheimliche Freude" über den Ter- Drittel höher als in Bayern. Dafür ist die Aufklärungs- roristenmord an Generalbundesanwalt Buback quote in Bayern um ein Drittel höher als in Nieder- geäußert worden ist. Trittin bekennt sich dazu, sachsen. Das sind knallharte Fakten. daß er damals zu jenen gehört habe, die sich nicht davon hätten distanzieren wollen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der F.D.P.) Das ist die Tatsache. Wie wenig dieser saubere Herr Auch das ist ein Ergebnis Ihrer Politik. Die Nieder- inzwischen dazugelernt hat, haben wir gehört, als er sachsen sind nicht von Haus aus kriminalitätsanfälli- seine Haßtiraden gegen die verkün- ger als die Bayern. dete. (Lachen bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

- Nein, ganz bestimmt nicht; das halte ich sogar dem und in das öffentliche Gelöbnis als ein „per- Herrn Schröder zugute. Tatsache ist, daß Niedersach- verses Ritual" diskriminiert hat. sen Planstellen bei der Polizei streicht, während Bayern nicht gekürzt und die Aufstiegschancen und damit die (Zuruf von der SPD: Peinlich!) Motivation für die Polizeibeamten verbessert hat. Vor einem Jahr haben Sie, Herr Schröder, in der (Beifall bei der CDU/CSU) „ am Sonntag", in der Sie in Kommentaren be- Die Chaostage von Hannover stehen für das Versa- merkenswert gut abschneiden, markig gesagt: Wer gen des Herrn Schröder auf dem Gebiet der inneren unser Gastrecht mißbraucht, für den gibt es nur Sicherheit, beim Schutz des Bürgers vor Verbrechen eines: raus - und zwar schnell. Die bayerische Bun- und Gewalt. desratsinitiative zur erleichterten Abschiebung straf- fällig gewordener Ausländer haben Sie dann aller- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. dings wieder abgelehnt, was einen Teil Ihrer Wider- Dr. Wolfgang Weng [Gerungen] [F.D.P.]) sprüchlichkeit ausmacht. Deswegen frage ich Sie Herr Schröder, Sie hatten damals nicht den Mut, die heute, Herr Schröder: Wie stehen Sie zur Einwande- Verantwortung dafür zu übernehmen. Sie und Ihr In- rung? Gilt noch, was Sie in Ihrem Buch „Reifeprü- nenminister waren angeblich nicht über das infor- fung" geschrieben haben? Da heißt es: miert, was vor sich ging. Gehen mußte der Polizei- präsident. Wer sich so hinter oder vor seine eigenen Wir brauchen keine neuen Mauern, wir brau- Polizeibeamten stellt, der demotivie rt sie und ist chen eine neue Politik. Wir brauchen einen lega- obendrein persönlich auch noch feige. len Weg für Ausländer, in die Bundesrepublik Deutschland einwandern zu können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der F.D.P.) (Zuruf von der SPD: Sehr richtig!) 23034 Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Michael Glos Müssen wir daraus folgern, daß Sie Deutschland Wir wissen, daß Ihre außenpolitischen Erfahrun- künftig wieder zu einem Land massenhafter Zuwan- gen natürlich in allererster Linie auf Kontakten mit derung machen wollen? Fidel Castro (Widerspruch bei der SPD) (Lachen bei der SPD und beim BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN) - Ja, wer mehr Zuwanderung in unser dichtbesiedel- tes Land forde rt , gefährdet den inneren Frieden. Er - war das falsch? - und neuerdings auch auf Kontak- leistet damit radikalen Kräften Vorschub. ten mit dem weißrussischen Diktator Lukaschenko beruhen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der F.D.P. - Kerstin Müller [Köln] Jetzt frage ich: Was ist denn von Ihrer Außenpolitik [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer ist denn und Ihren Schattenaußenministern zu erwarten? hier radikal? Das ist ja unglaublich!) Mein Vorredner, Herr Scharping, wird als solcher ge- handelt. Herr Scharping hat sich gestern einen gro- Es ist ja bekannt, daß Ihr angebliches Vorbild Hel- ßen Flop erlaubt. Er hat Bo ris Jelzin als Sicherheitsri- mut Schmidt ist. Damit es nicht zu einer Verwechs- siko bezeichnet. Dabei vergißt er, daß Jelzin den Ab- lung kommt: ist nicht das Vorbild zug der russischen Soldaten von deutschem Boden von Lafontaine, sondern von Gerhard Schröder. Hel- durchgesetzt und in Moskau, auf Panzern stehend, mut Schmidt hat im November 1981 gesagt: den Reformprozeß gerettet hat.

Mit weit über 4 Millionen Ausländern ist die Auf- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nahmefähigkeit der deutschen Gesellschaft er- Wenn wir schon das Wo rt schöpft, wenn nicht ganz große Probleme entste- „Sicherheitsrisiko" in hen sollen. den Mund nehmen, dann fällt mir ein, der neuerdings versucht, sich Joseph zu nennen, Die SPD-geführte Bundesregierung beantwortete der glaubt, man könne seine Identität und all das, 1982 eine Große Anfrage zur Ausländerpolitik. Ich was einen auf dem Lebensweg geprägt hat, wie zitiere aus der Antwort: Turnschuhe und Jeans abstreifen, um sie anschlie- ßend durch Nadelstreifen und durch dezente Krawat- Nur durch eine konsequente und wirksame Poli- ten zu ersetzen. tik zur Begrenzung des Zuzugs aus Ländern, die nicht Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft (Lachen bei der SPD und beim BÜND sind, läßt sich die unverzichtbare Zustimmung NIS 90/DIE GRÜNEN) der deutschen Bevölkerung zur Ausländerinte- So leicht wird man nicht vom Häuptling der Hausbe- gration sichern. Dies ist zur Aufrechterhaltung setzerszene, der nachgewiesenermaßen Erfahrung des sozialen Friedens unerläßlich. im Umgang mit Molotowcocktails hat, zu einem, der bei diplomatischen Cocktailempfängen glänzen Deswegen sagen wir: Einwanderungsgesetze, wie kann. die SPD und die Grünen sie wollen, sind ein Irrweg. Unser Ziel muß vielmehr sein, illegale Zuwanderung (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nach Kräften zu unterbinden. Das alles ist bitterernst, auch wenn es sehr lustig (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- klingt. Im kommenden Jahr stehen für Deutschland ordneten der F.D.P. - Zuruf von der SPD: und für Europa bedeutende Entscheidungen an. Die Unglaublich!) Bundesrepublik Deutschland übernimmt dann die Ratspräsidentschaft in der EU. Ich darf einmal auf- Es ist ganz selbstverständlich: Wer sich legal und zählen, was alles ansteht: dauerhaft im Land aufhält, der muß sich bemühen, sich selbst zu integ rieren, (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Da wird Helmut Kohl vom (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Platz getrieben! Kohl ist weg!) DIE GRÜNEN]: Das ist die Endphase des Wahlkampfs!) Osterweiterung, die Senkung der hohen deutschen Beitragslast, die Neuordnung der Agrarpolitik und und ihm muß außerdem die Chance gegeben wer- die Reform der Strukturförderung. Deutschland wird den, daß er besser integrie rt wird. an führender Stelle für das Gelingen dieser Reform- vorhaben Verantwortung tragen; der deutsche (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Außenminister ist dann formal EU-Ratspräsident. Ein DIE GRÜNEN]: Hochdeutsch lernen!) Außenminister Fischer wäre in dieser Zeit tatsächlich ein Sicherheitsrisiko für Deutschland und für Europa. Wenn man in diesem Zusammenhang forde rt - wie es die CSU-Landesgruppe in Banz getan hat -, daß (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) die Ausländer, die hierbleiben wollen, auch Deutsch lernen müssen, dann wird man noch als Ausländer- Welchen Beitrag hat Herr Schröder zum Frieden feind diskriminiert. Man faßt sich geradezu an den- und zur Sicherheit Deutschlands geleistet? 1990 hat Kopf. er gegen die deutsch-deutsche Währungsunion und gegen die deutsche Einheit gestimmt. Er soll hier die (Beifall bei der CDU/CSU) Frage beantworten, warum er gegen den NATO- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23035

Michael Glos Doppelbeschluß gewesen ist, der den Zerfall des gestern unrecht hat, die über Sie als Kandidaten ge- Sowjetkommunismus erst ermöglicht hat. Weiterhin schrieben hat - ich zitiere -: soll er hier einmal darstellen, was Helmut Schmidt, mit dem zusammen er jetzt auf Plakaten erscheinen ... der perfekt die Kunst beherrscht, zu allem will, zu dieser Haltung gesagt hat. nichts zu sagen, aber das ausführlich und mit gro- ßer Entschlossenheit. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Ich würde auch gern wissen, warum Herr Schröder Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr 1993 gegen das neue Asylrecht gestimmt hat. Wäre Schröder hat Niedersachsen heruntergewirtschaftet. seine Politik Wirklichkeit geworden, hätten wir heute bei uns jährlich über 500000 zusätzliche Ausländer, (Lachen bei der SPD) die unter dem Stichwort „Asyl" nach Deutschland Mit ihm ist Niedersachsen zu einem Abstiegsland ge- gekommen wären. worden. Wir haben bei der Bundestagswahl die Ich möchte von Herrn Schröder auch gern wissen: Chance, unser Land, die Bundesrepublik Deutsch- Warum hat er in den vergangenen Jahren im Bun- land, vor dem gleichen Schicksal zu bewahren. desrat gegen alle Reformen gestimmt, die Deutsch- (Lachen bei der SPD) land nach vorn gebracht haben? Ich möchte auch noch einmal von ihm wissen: Warum hat er den Wir wollen, daß sich die bewäh rte Politik der Koali- als kränkelnde Frühgeburt bezeichnet? Heute zeigt tion der Mitte mit Helmut Kohl und Theo Waigel fo rt sich im Zeichen der Turbulenzen um uns herum, daß -setzen kann. Diese Koalition steht für einen weiteren der Euro ein Stabilitätsanker nicht nur für Deutsch- Aufschwung in unserem Land, für eine Politik der in- land und Europa, sondern für unser gesamtes Welt- neren Einheit, für einen starken Staat, der seine Bür- währungssystem ist. ger vor Verbrechen und Gewalt schützt, für eine Poli- tik, die die Zuwanderung begrenzt, und für eine Poli- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) tik, die die deutschen Interessen in Europa kraftvoll wahrnimmt. Wir möchten heute von Herrn Schröder auch hören: Warum unterstützt er neuerdings die Zusammenar- Ich verspreche Ihnen am Schluß eines: Wir von der beit seiner Partei mit der PDS in den neuen Ländern CSU werden am 13. September bei der - der Bundesrepublik? Ich möchte auch gern wissen: wahl eine Vorlage geben, die dazu dient, daß am Warum soll bei der Feier unserer Wiedervereinigung 27. September ein Votum erfolgt, diese gute Politik am 3. Oktober die deutsche Nationalhymne in ent- fortzusetzen. stellter Form gespielt werden? Herzlichen Dank. (Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und GRÜNEN]: Das werden Sie in Ihrem Leben der F.D.P.) nicht mehr verstehen! - Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) Vizepräsident Hans - Ulrich Klose: Das Wort hat jetzt der Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- - Moment mal, liebe Genossinnen und Genossen. nen, Joschka Fischer.

Ich habe hier einen Brief vom Kurt-Schumacher- (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE Kreis. Ich glaube, unter Ihnen gibt es welche, die Joseph Fischer GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Her- noch wissen, wer Herr Schumacher war. Diejenigen, ren! Das war Wahlkampf nach CSU-A rt . die es nicht mehr wissen, mögen sich bitte informie- ren lassen. Der Schumacher-Kreis ist bekanntlich (Beifall bei der CDU/CSU) eine Vereinigung von Widerstandskämpfern gegen die NS- und gegen die SED-Diktatur. In dem B rief Das war kaum zu unterbieten. Dafür gibt es Bravo heißt es: Rufe und viel Beifall. Es hätte mich bei Michel Glos auch gewundert, wenn es anders gekommen wäre. Das vorgesehene Musikstück mit der Einfließung der sogenannten „DDR-Hymne" ist anläßlich der Es ist in der Tat ein überzeugendes Bild: In Nieder- Hunderttausende von politischen Häftlingen und sachsen breitet sich die Wüste Sahara aus. der in der Haft und an den Haftfolgen unter dem (Michael Glos [CDU/CSU]: Nein, die Nord Text und den Klängen der „Becherhymne" Um- see!) gekommenen, die alle Freiheit und Leben für un- sere Demokratie und ihre Werte gegeben haben, Die Menschen fliehen; sie fliehen gen Süden. nicht nur eine bodenlose Geschmacklosigkeit, (Heiterkeit im ganzen Hause) sondern eine Verletzung des Andenkens an diese Verfolgten. Große Karawanen machen sich auf den Weg, dem verheißenen Glück zu folgen, von dem sie hier gehört (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) - haben. Das Paradies hat einen Namen: Bayern. Herr Schröder, nutzen Sie die Gelegenheit, heute (Heiterkeit im ganzen Hause - Beifall bei zu zeigen, daß die „Süddeutsche Zeitung" von vor- Abgeordneten der CDU/CSU) 23036 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Joseph Fischer (Frankfurt) Dort herrschen paradiesische Zustände; denn die glücklichen Bayern wird man dieses nicht ignorieren CSU regiert seit anno dunnemals. Der Hausmeister können. im Paradies heißt selbstverständlich Michael Glos. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Heiterkeit im ganzen Hause) und bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ihre Truppe will hier heute im Grunde genommen der PDS) nur Geschlossenheit zeigen. Dabei weiß sie genau, daß die wirklichen Probleme ganz woanders liegen. Ich zitiere, Herr Glos, eine Meldung, die das Faktum Wenn ich mir die Debatte anschaue, die Sie über ganz konkret anspricht. Do rt heißt es: den Bundeskanzler geführt haben, stelle ich fest: Es sind doch die CDU/CSU und die F.D.P., die das Fell Zuzug von Ausländern nimmt ab - Geringeres von Herrn Dr. Kohl bereits verteilen, nicht die Oppo- Bevölkerungswachstum sition. Im vergangenen Jahr sind erstmals seit 1985 (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mehr Ausländer aus Deutschland weggezogen und bei der SPD) als neu hinzugezogen. Insgesamt seien 1997 rund 615 000 Ausländer in die Bundesrepublik gekom- Daß Sie hier abzulenken versuchen, Herr Glos, bu- men, darunter 104 000 Asylbewerber, teilte das chen wir unter Wahlkampf ab. Statistische Bundesamt in Wiesbaden am Don- nerstag mit ... Rund 637 000 Ausländer verließen Ich wünsche mir Michael Glos als Oppositionsfüh- Deutschland im vergangenen Jahr ... rer. Das war eine gute Oppositionsrede. Das wird ein einfaches Regieren, wenn die Opposition nur noch so Das sind die Fakten, meine Damen und Herren. besteht, wie Herr Glos es dargestellt hat. Das wün- Von einer demokratischen Partei erwarte ich, daß sie sche ich mir. der Bevölkerung diese Fakten zur Kenntnis gibt und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht versucht, eine ganze soziale Gruppe als Sün- und bei der SPD) denbock in die politische Auseinandersetzung im Deutschen Bundestag einzubinden, um vom eigenen Aber, Herr Glos, was ich Ihnen nicht durchgehen politischen Versagen abzulenken. lasse - heute ging es wirklich in die Dreckkiste Ihrer politischen Agitation -, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Widerspruch bei der CDU/CSU) der PDS) ist, daß Sie hier auf eine unverhohlene Art und Weise meinen, wieder die rechten Stammtische und die Die heutige Haushaltsdebatte wird man nicht füh- Vorurteile gegenüber den ausländischen Mitbürge- ren können; denn in Wirklichkeit geht es nicht um rinnen und Mitbürgern bedienen zu müssen. den Haushalt. Sowohl Herr Waigel als auch Herr Kohl, als auch die Opposition, wir alle wissen: Der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haushaltsentwurf, wie er jetzt vorliegt, wird den und bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wahltag unter keinen Umständen überdauern. Jeder der PDS) weiß, daß die Rede des Bundesfinanzministers über die wirtschaftlichen Basisdaten, über Haushaltsent- Wir können da unterschiedlicher Meinung sein, aber wicklung, Schuldenentwicklung, Arbeitslosenent- gerade angesichts der Brisanz und angesichts jener wicklung den Wahlkampf nicht überdauern wird. dramatischen Gewaltwelle gegen ausländische Mit- Diese Haushaltsdebatte wurde von Ihnen angesetzt - bürgerinnen und Mitbürger, Menschen anderer was seitens der Mehrheit und der Regierung völlig Hautfarbe, finde ich es infam, hier Fakten nicht dar- legitim ist -, um hier noch einmal ein Forum für den zustellen, sondern zu unterschlagen, Herr Glos. Das Wahlkampf zu haben. werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Natürlich haben Sie nicht den Zustand Ihres eige- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nen Ladens bedacht, als Sie diese Debatte angesetzt sowie bei Abgeordneten der SPD und der haben. Insofern wird man diese Debatte nicht führen PDS) können; denn es geht hier - Herr Glos hat die ganze Sie stellen sich hierhin und agitieren gegen weitere Zeit die Schrecknisse, den Untergang Deutschlands, Zuwanderung. Ich erwarte nicht, daß Sie unsere Po- wenn Gerhard Schröder Bundeskanzler wird, an die sition zur Einwanderung übernehmen. Ich erwarte Wand gemalt - ganz entscheidend darum: Wer steht auch nicht, daß Sie die Position der CDU zur Einwan- denn hier zur Wahl? derung übernehmen. (Zustimmung bei der CDU/CSU - Es zeigt Ihre Zukunftsfähigkeit, daß einer der um- Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Wer strittensten Punkte in der Programmdebatte zwi- denn? - Michael Glos [CDU/CSU]: Das ist schen CDU und CSU die Frage ist: Ist Deutschland wahr!) ein Einwanderungsland, ja oder nein? Man muß mehr als Tomaten, man muß meines Erachtens Bier- Da wird man sich Ihnen, Herr Dr. Kohl, energisch zu- krüge auf den Augen haben, damit man behaupten wenden müssen. - Ich sehe, Herr Solms lächelt schon kann, wir seien kein Einwanderungsland. Selbst im ganz hingebungsvoll. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23037

Joseph Fischer (Frankfurt) Denn die entscheidende Frage ist ja, ob es nach Sie Antworten geben müssen, und das ist die Frage, der Devise geht: Wählt Helmut Kohl, damit wir ihn die bei den Wahlen zur Entscheidung ansteht. endlich loswerden! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Widerspruch bei der CDU/CSU) und bei der SPD) Das zumindest ist die Position, wie sie Herr Solms Die Rede von Theo Waigel zur Einbringung des dargestellt hat. Das zumindest ist die Position, wie sie Haushalts gestern war meines Erachtens eine Ab- Herr Westerwelle dargestellt hat. Das ist die Debatte, dankungserklärung. Er hat den Dichter zitiert: „Wo rt wie sie innerhalb der Union von Herrn Dr. Geißler, ist Währung, je wahrer, desto härter." Wenn das der von Herrn Schäuble ganz unverhohlen angezogen Maßstab ist, dann haben Sie gestern politisches wurde. Falschgeld geliefert, Herr Waigel; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) und bei der SPD) Auf der einen Seite werden Sie - Kollege Schar- denn Sie haben wieder geschönt. Sie zitieren das er- ping hat zu Recht darauf hingewiesen - als Weltmei- ste Quartal mit hoffnungsvollen Zahlen. Daß die Er- ster dargestellt, als Garant, als Stabilitätsanker in ei- wartungen für das zweite und dritte Quartal aber ner unruhigen Zeit. Auf der anderen Seite wird nach unten korrigiert werden mußten, daß demnach gleichzeitig verkündet: Aber den wollen wir nach ei- Ihre Annahmen Makulatur sind, daß Beschäftigungs- ner gewonnenen Bundestagswahl möglichst schnell effekte über das wenige hinaus, was wir im konjunk- loswerden. Das ist der Vorgang, von dem diese De- turellen Hoch im Westen haben, vermutlich nicht vor- batte und die Beschimpfung der Opposition durch liegen werden, all das haben Sie nicht angesprochen. Michael Glos und andere ablenken sollen. Genau Die Mehrwertsteuererhöhung, einen krassen Wo rt das können wir uns meines Erachtens nicht erlauben. -bruch des Bundeskanzlers, haben Sie nicht ange- sprochen, Ihren Anschlag auf das Bundesbankgold, die strukturellen Haushaltsrisiken auch nicht. Lesen Herr Dr. Kohl, Sie demonst rieren jetzt wieder Sie- Sie einmal die konservativen Zeitungen, die Wi rt geszuversicht und Geschlossenheit in der Koalition. -schaftszeitungen durch! Nicht e in strukturelles Herr Westerwelle durfte nicht kommen. Haushaltsrisiko haben Sie in Ihrer Zeit als Finanzmi- (Abg. Dr. [F.D.P.] winkt) nister wirklich abgearbeitet. - Doch, da sitzt er jetzt. Entschuldigung, ich nehme Sie loben die Investitionsquote, das Sinken der alles zurück. Staatsquote. Dazu sage ich Ihnen: Wir haben die niedrigste Investitionsquote. Der Kollege Metzger (Zurufe von der CDU/CSU: Alles? - Zustim- hat gestern zu Recht darauf hingewiesen: Das ein- mung bei Abgeordneten der CDU/CSU) zige, was bei der Investitionsquote gestiegen ist, ist der Rüstungsanteil an der Investitionsquote, wäh- - Nur das, was ich über Herrn Westerwelle gesagt rend gleichzeitig dort, wo wir es dringend brauchten habe. Daß er nicht kommen durfte, das nehme ich zu- - Stichwort „Binnennachfrage" -, etwa bei den Kom- rück. Den Rest nehme ich selbstverständlich nicht munen, überall dort, wo Nachfrage stimuliert werden zurück. könnte, die Investitionsquote zusammengebrochen Meine Damen und Herren, das ist der entschei- ist und sich faktisch im Tendenzbereich nu ll bewegt. dende Punkt - ich möchte Sie nochmals darauf hin- Das ist die Situation, mit der wir es hier zu tun haben. weisen -: der und wie sie Zustand dieser Koalition (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit ihrem Bundeskanzler umgeht. Sie wissen ganz und bei der SPD) genau, daß Helmut Kohl nicht in der Lage sein wird, die notwendigen Reformen in diesem Land nach ei- Hohe Arbeitslosigkeit. Wir reden jetzt einmal nicht ner möglicherweise gewonnenen Wahl noch in An- darüber, daß die deutsche Einheit eine besondere griff zu nehmen. Herausforderung war und ist. Das sei konzediert. Aber acht Jahre nach der Einheit können wir nicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, immer wieder nur die deutsche Einheit als Vorwand bei der SPD und der PDS) für das Versagen, für den Reformstau anführen. Sie wissen mittlerweile auch, daß er nicht einmal Hohe Arbeitslosigkeit, stagnierender Aufbau Ost! mehr in der Lage sein wird, diese Wahlen zu gewin- Schauen Sie sich doch einmal die Entwicklung der nen, weil es offensichtlich ist, daß er nicht imstande letzten Arbeitslosenzahlen an, meine Damen und war, diese Reformen anzupacken. Deswegen haben Herren. Das einzige, was es hier an positiver Ent- Sie ihn vor der Wahl in Frage gestellt, deswegen die- wicklung gibt, geht auf eine verstärkte Inanspruch- ses Chaos. nahme von arbeitsfördernden Maßnahmen zurück. Da sage ich Ihnen, Herr Glos: Entscheidend ist (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das ist nicht, ob Sie die Opposition beschimpfen. Entschei- grober Unfug!) dend wird vielmehr sein, welche der politischen Par- - Ich zitiere Herrn Jagoda, ich habe die Presseerklä- teien in der Lage ist, endlich den Reformstau nach rung von seiner Juli-Pressekonferenz hier. sechzehn Jahren Helmut Kohl, nach acht Jahren ver- fehlter Einheitspolitik und vertaner Chancen in die- Ohne diese verstärkte Inanspruchnahme hätten sem Lande aufzubrechen. Das ist die Frage, auf die wir faktisch eine weitere negative Abkoppelung des 23038 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Joseph Fischer (Frankfurt) Arbeitsmarktes Ost. Das ist die Realität in diesem war, aus der „Frankfu rter Allgemeinen Zeitung", die Lande nach acht Jahren Aufbau Ost unter Helmut über jeden Verdacht erhaben ist, entnommen habe. Kohl. Sie plädierten für einen schonenden und freundli- chen Umgang mit dem chinesischen Politbüro. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS der PDS) SES 90/DIE GRÜNEN) Staatsverschuldung, Jugendarbeitslosigkeit - all Da kann ich nur sagen: Der KB, den Sie vorhin im das sind Dinge, zu denen gestern nichts gesagt Zusammenhang mit Jürgen Trittin angeführt haben, wurde; es wurde schöngeredet. Im Gegenteil: Herr war eine maoistische Gruppe. Sie sind ein würdiger Bundeskanzler, Sie haben ja geglaubt, die Position Nachfolger, Herr Glos. „Aufschwung, Aufschwung", das wäre es jetzt, Sie könnten also den Aufschwung verkünden, und der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aufschwung wäre da. Ich sage Ihnen: Dieser Auf- sowie bei Abgeordneten der SPD und der schwung hält genau bis zum 27. September 1998. PDS) Danach werden wir eine ganz andere Situation ha- ben. Ich verstehe den Vorwurf nicht ganz, aber ich möchte Sie an diesem Punkt darauf hinweisen: Sie (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Wider- von der F.D.P. und von Teilen der CDU, von der Bun- spruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.) desregierung waren es doch, die Asien vor zwei Jah- - Dieser Aufschwung hält bis zum 27. September. Das ren noch als das große Vorbild hingestellt haben. hat mit Parteipolitik jetzt nichts zu tun. Ich beteilige (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Völlig frei mich nicht an dieser vordergründigen Debatte. erfunden, was Sie gesagt haben!) Wenn ich mir anschaue, daß wir im wesentlichen Herr Bundeskanzler, Sie sind heute aber hektisch einen exportgestützten Aufschwung haben, wenn - mit Ihren Zwischenrufen. So kenne ich Sie gar nicht. ich sehe, daß die verfügbaren Masseneinkommen seit Jahren rückläufig sind, wenn ich mir den Zusam- Also gut, der Bundeskanzler hat Asien nie gut ge- menbruch der Gemeindefinanzen anschaue, dann funden, dann waren es halt die anderen. Ich nehme sage ich Ihnen: Wenn die exportgestützte Konjunktur das zur Kenntnis. Herr Bundeskanzler, wie konnte durch die veränderten außenwirtschaftlichen Rah- ich nur unterstellen, daß ein Staatsmann von Ihrem menbedingungen tatsächlich unter Druck gerät, Format und Ihrer Weitsicht dem Irrtum unterlegen dann geraten wir hier in eine verflucht gefährliche wäre, daß Asien für uns ein Vorbild sein könnte. Das Situation. Dann haben wir den Reformstau Kohl bei waren selbstverständlich die Kleingeister in Ihrer gleichzeitig noch enger werdenden Finanzspielräu- Fraktion, in der F.D.P. und andere in der Regierung. men - bei einer abnehmenden Konjunktur oder gar bei rezessiven Entwicklungen. Das ist durchaus eine (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Lambsdorff!) Perspektive, die nach dem 27. September 1998 - un- abhängig vom Ausgang der Wahl - in diesem Land - Lambsdorff würde ich nie als Kleingeist bezeich- Wirklichkeit werden kann. nen! Entschuldigung, Graf Lambsdorff. Das würde ich nicht wagen. Wir können an Japan sehen, welche Schwierigkei- ten es macht, wenn ein Land seine Strukturreform Aber ich kann mich an den Gipfel in Davos vor vertagt hat. Diese Vertagung der Strukturreform wer- zwei Jahren erinnern, wo weltweit die Notabeln zu- den Sie nicht bei der Opposition abladen können; sammengekommen sind, wo Asien als Vorbild hinge- denn Sie tragen seit 16 Jahren Verantwortung in die- stellt wurde. Ich kann mich daran erinnern, wie sem Land. Aus dieser Verantwortung werden wir Sie manch führender Vertreter der deutschen Wi rtschaft nicht entlassen. in vertraulichem Gespräch hinter mühselig vorgehal- tener Hand gesagt hat: „Na ja, die nehmen es halt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit der Demokratie noch nicht so genau; da gibt es und bei der SPD) noch einen starken Staat" und ähnliches mehr. Ich kann mich noch gut erinnern: der Bundeskanz- Und heute? Die Globalisierung ist eine Realität. ler auf dem Weg nach Asien, die Fotos mit Suharto Aber wir erkennen an der Asienkrise, daß Globalisie- beim Angeln. Das liegt alles vor. Ich kann mich noch rung nicht die Anarchie unregulierter Märkte bedeu- gut daran erinnern, wie es geheißen hat: Von Asien tet, lernen heißt siegen lernen. Herr Glos, wenn Sie sich so über Jürgen Trittin her- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN machen, dann will ich Ihnen noch einmal ideologi- sowie bei Abgeordneten der SPD) schen Nachhilfeunterricht geben; sondern daß Globalisierung - ich bin nachdrücklich (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Sie für private Investitionen in sich entwickelnden Märk sind ja Experte!) ten, deswegen bin ich auch nachdrücklich für Regeln - globale Regeln braucht, die Investitionssicherheit denn Sie sind hier im wahrsten Sinne des Wortes in- schaffen. eine Nachfolgeposition gerückt. Sie sind ja der letzte Fan des kommunistischen Politbüros in Peking, wie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ich einem Artikel, der mit Ihrem Namen versehen sowie bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23039 Joseph Fischer (Frankfurt) Ich komme zu der obersten Regel. Ich erinnere Wenn ich heute in den Zeitungen lese, daß die mich an den Besuch des Bundeskanzlers bei der Rußlandkrise ein Scheitern auch der westlichen Na- Volksbefreiungsarmee in und an seinen arti- tionalökonomen war, dann spricht vieles für diese gen Diener vor der angetretenen Truppe. Die oberste These, nämlich daß die Formen des Übergangs, das, Regel, die wir lernen müssen, ist, daß Globalisierung was wir als Reformen bezeichnen, in einem hohen eine Globalisierung von Menschenrechten, von Maße eben nur eine kleine spekulative, in den Groß- Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit voraus- städten, in den Metropolen lebende Schicht begün- setzt. Ohne das wird es keine Investitionssicherheit stigt hat, während die Masse des Volkes zurückge- geben. Das konnten wir gerade im Zusammenhang blieben ist. Daraus sind jetzt massive soziale und mit der Asienkrise lernen. politische Risiken entstanden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Es gibt einen breiten Konsens in der Grundorien- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten tierung auch und gerade im Verhältnis zu Rußland. der PDS) Der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister wissen das. Nur rate ich Ihnen dringend, das jetzt Ich komme jetzt zu den zwei Interviews von Wolf- nicht in dem innenpolitischen Wahlkampf aus Grün- gang Schäuble und Ihnen, Herr Bundeskanzler. Ich den des Machterhalts zu zerdeppern und zu zer- meine das berühmte Interview: „Ihr werdet euch schlagen. Diesen Konsens sollten wir unbedingt auf- wundern". CDU/CSU hat sich nach der Lektüre die- rechterhalten und fortentwickeln. ses Interviews gewundert. Wir haben uns gefreut. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sowie bei Abgeordneten der SPD und der NEN) PDS) Wir bedanken uns. Wolfgang Schäuble hat natürlich Die Ostasienkrise ist mitnichten ausgestanden. sofort in einer anderen Wochenzeitung nachgezogen. China steht unter einem gewaltigen Abwertungs- Auch darüber haben wir uns gefreut. Das alles wurde druck. Die Kosten des Hochwassers werden den Ab- mittlerweile dementiert. Helmut Kohl will für volle wertungsdruck auf den Yuan noch vergrößern. Wenn vier Jahre Bundeskanzler werden. es zu einem zweiten Abwertungswettlauf in Ostasien Aber Sie sind als Union nicht so blöde, wie Sie sich kommt, wird die Japankrise voll durchschlagen. Das manchmal darstellen, sondern Sie wissen ganz ge- kann Auswirkungen auf die USA haben, die sich so- nau: Sie brauchen ein neues Thema. Ich finde es wieso in einem moderaten Abschwung befinden. schon interessant, wenn der größte Staatsmann, den Dies kann in Verbindung mit der Rußlandkrise mei- die Union in den 90er Jahren hervorgebracht hat, der nes Erachtens zu Entwicklungen führen, die sehr Pfarrer Hintze, leicht außer Kontrolle geraten. Ich kann Ihnen nur sagen: Politisch heißt das für (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mich - ich möchte jetzt hier nicht auf die weiteren NEN, bei der SPD und der PDS) ökonomischen Details eingehen -, daß Europa im Zusammenhang mit der Rußlandkrise in freudiger schneller wird kommen müssen, als sich das vermut- Erregung - das ist nicht mehr zum Lachen - lich noch heute viele vorstellen. Ich sage das in alle Richtungen. Aus meiner Sicht wird, wenn man diese (Günter Verheugen [SPD]: Das ist zum Fei- Krisen in ihren Konsequenzen einmal sorgfältig ana- xen!) lysiert - es handelt sich hier um die erste wirkliche glaubt, ein neues Thema erkannt zu haben, nämlich Globalisierungskrise -, das bedeuten, daß Europa das Thema Krise: Jetzt brauchen wir Helmut Kohl, schneller wird kommen müssen, als viele heute mei- den Garanten, wenigstens bis über den Wahltag hin- nen. weg, danach kann er in den Ruhestand gehen. Das Herr Waigel: Mit CSU-gefärbten Sätzen - da kann entnehme ich auch einem Interview des Bundesver- ich Oskar Lafontaine nur zustimmen - wie „Der Euro teidigungsministers im Zusammenhang mit der Ent- spricht deutsch" kann das Ganze hochgefährlich wicklung im Kosovo in der „Frankfu rter Rundschau". werden. Der Euro spricht nicht deutsch, und er Das ist der Versuch, innenpolitisch auf außenpoliti- spricht nicht bayrisch. Wenn Sie aus dem Euro ein schen Krisengewinn zu spekulieren. Das wird nicht deutsches Hegemonialprojekt machen, gefährden aufgehen. Aber ich halte das für eine ganz schlimme Sie dieses Projekt. Das wissen Sie so gut wie ich. Entwicklung. Sie müssen wissen, was Sie damit in Frage stellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der PDS) und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS) Wenn wir schon dabei sind: Die EU-Osterweite- rung wird eine der entscheidenden Fragen sein, und Es gibt und hat bisher einen breiten Konsens - bei da werden die CSU und der rechte Flügel der CDU allen Unterschieden - zum Beispiel auch in der Ruß- Farbe bekennen müssen. Ich gehöre nicht zu denen, landpolitik gegeben. Es gibt keine Alternative zu ei- die durch die Lande ziehen und der Bevölkerung ner Stabilisierung Rußlands. Wir müssen das Unsere nach der Devise „Wählt uns" und „Alles wird billi- dazu beitragen. Die entscheidende Frage ist nur: Ist ger" verkünden, daß die EU-Osterweiterung zum eine Stabilisierung Rußlands in der Vergangenheit Nulltarif zu haben sein wird. Faktisch haben wir mit dem ausschließlichen Setzen auf Jelzin erfolgt? schon jetzt eine Südosterweiterung in der Verantwor- 23040 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Joseph Fischer (Frankfurt) tungsübernahme, wenn ich mir die Konsequenzen durch eine neue Mehrheit, durch eine neue Regie- aus der Balkankrise und aus dem Kosovo anschaue, rung abgelöst wird. und zwar nicht zuerst und vor allem im militärischen Teil, sondern diese Länder, diese Völker werden nur Bei allem, was geleistet wurde - die Menschen in im Rahmen einer europäischen Perspektive daran den neuen Bundesländern haben Hervorragendes Herr gehindert werden können, auf diesem blutigen Irr- geleistet, und mit der staatlichen Einheit, weg des Krieges, der Vergewaltigungen und des Dr. Kohl, haben Sie Ihren Platz in den Geschichtsbü- chern errungen, auch wenn ich Ihnen noch einmal Mordens weiterzumachen. sagen möchte: Die Menschen in den neuen Bundes- Wir brauchen für diesen Raum eine europäische ländern zollen Ihnen dafür großen Respekt und sind Perspektive, und wie wir am zivilen Aufbau Bosniens dankbar; aber den Einsturz der Mauer hat nicht sehen, an der großen Leistung, die die Mitarbeiterin- Dr. Helmut Kohl zuwege gebracht, sondern das war nen und Mitarbeiter der EU do rt vollbringen, ist diese die friedliche, gewaltfreie Bürgerbewegung in den alternativlos. Das heißt aber im Klartext, daß wir fak- neuen Bundesländern - tisch hier schon eine Südosterweiterung haben. Die Osterweiterung wird, wenn sie nicht kommt, für un- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ser Land noch wesentlich größere Risiken und we- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten sentlich höhere Kosten mit sich bringen. Das werden der PDS) wir unserer Bevölkerung immer sagen müssen. der entscheidende Punkt ist ein anderer. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der entscheidende Punkt ist, daß wir Ihnen vor- Herr Waigel: Nettozahlerdebatte. Das ist auch so werfen, drei Dinge falsch gemacht zu haben, drei fal- ein Ding. 1992 war es diese Regierung, die die heu- sche Weichenstellungen vorgenommen zu haben. Er- tige Finanzstruktur in Europa akzeptiert hat. stens. Daß Sie in der Koalition unter die Reformer ge- gangen sind, ist gerade anderthalb bis zwei Jahre (Zuruf des Bundeskanzlers Dr. Helmut Kohl) her. Vorher hieß es: Weiter so. Das heißt, wir haben hier einen gewaltigen Reformstau. Zweitens. Wir lei- - Ich kritisiere Sie, Herr Bundeskanzler, nun weiß den noch heute unter der falschen Finanzierung der Gott nicht, sondern ich rede hier mit dem CSU-Par- deutschen Einheit. Ich werde gleich darauf zurück- teivorsitzenden. kommen. Drittens. Wir haben eine massive Gerech- (Erneuter Zuruf des Bundeskanzlers Dr. Hel- tigkeitslücke in diesem Land, und sie wird größer. mut Kohl) Reformstau statt Reformen und falsche Finanzie- - Davon erwähnt er gegenwärtig nichts. rung der Einheit, das hängt unmittelbar zusammen. Der Kollege Scharping hat mit der Anzeige noch ein- Aber Sie wissen doch ganz genau, daß es vor allen mal an das Einheitsjahr 1990 erinnert. Dingen die Struktur der EU-Finanzen ist. Wir zahlen nicht zuviel. Wenn, dann bekommt Deutschland zu- Kollege Schäuble und ich hatten neulich das Ver- wenig aus dem EU-Haushalt zurück. Das liegt wie- gnügen, gemeinsam vor amerikanischen Investoren, derum an der Struktur des EU-Haushaltes. Nun höre Vertretern von Investmentfonds - ich als Vertreter ich Ihnen, Herr Waigel, seit vier Haushaltsdebatten des radikalen Deutschlands, er als Vertreter des kon- zu. In vier Haushaltsdebatten loben Sie, wie tapfer servativen Deutschlands, beide sollten wir für Inve- Sie in Brüssel für die Interessen der bayrischen Bau- stitionen werben -, aufzutreten. Was zumindest ich ern gekämpft haben. Ein großes Problem für meine festgestellt zu haben, ist, daß die Orientierung Deutschland ist, daß der Agrarhaushalt überpropor- der Köpfe sowohl im Inland als auch im Ausland auf tionale Anteile am EU-Haushalt hat, nämlich zirka die Sonderlast deutsche Einheit nicht stattgefunden 50 Prozent. hat. Das hängt unter anderem damit zusammen, daß Sie 1990 den Menschen nicht die Wahrheit gesagt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben, daß Sie den Menschen die Wahrheit nicht zu- sowie bei Abgeordneten der SPD) gemutet haben. Es macht einen großen Unterschied Das heißt, hätten wir hier eine andere Struktur, hät- aus, ob ich eine Last zu tragen habe, von der ich nicht ten Sie hier auf eine Strukturreform gesetzt, meine genau weiß, warum ich Sie zu tragen habe, oder ob Damen und Herren von der Regierung - Sie tragen ich eine Last bewußt schultere und mir auch über die die Verantwortung -, dann könnten wir uns die Net- Strecke des Weges, während der ich diese Last zu tozahlerdebatte in Deutschland schenken. tragen habe, im klaren bin. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der sowie bei Abgeordneten der SPD) PDS) Herr Dr. Kohl, Ihr Ansatz damals bestand in der Wenn man das so sieht, dann wird meines Erach- Aussage: „Keine Steuererhöhungen - wählt CDU!" tens langsam klar, daß es hier um grundsätzliche Ich behaupte, Sie hätten die Wahlen vermutlich so- politische Alternativen geht, um eine politische Alter- gar mit mehr Vorsprung gewonnen, wenn Sie am native, die nicht Aufstieg oder Untergang, Rotgrün 3. Oktober 1990 in einer Regierungserklärung im oder Freiheit, wie Herr Gerhardt sagt - Freiheit statt Deutschen Bundestag dem deutschen Volk die Wahr- Sozialismus hieß das früher -, bedeutet, sondern heit gesagt hätten und die dann notwendigen Zumu- dann wird es darum gehen, ob eine verbrauchte Re- tungen in Form eines Gesetzespaketes auf den Tisch gierungskoalition in demokratischer Normalität gelegt hätten - klar geordnet, für alle durchsichtig Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23041

Joseph Fischer (Frankfu rt) und transparent. Statt dessen bestand Ihre Politik in Man muß sich das einmal vorstellen. Das ist nun einer schleichenden Lastenerhöhung, von der viele wirklich Hilflosigkeit, gepaart mit blankem Zynis- nicht wußten: Warum? Weshalb? Wieso? mus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Im Ausland sah man die reiche Bundesrepublik und der SPD sowie bei Abgeordneten der West. Daß wir es faktisch mit den Folgen eines über PDS) 40 Jahre hinweg in zwei Staaten geronnenen Bürger- krieges, DDR und Bundesrepublik, zu tun haben, Wir halten es für dringend geboten, an erster Stelle eingebettet in die große Konfrontation des kalten die zu hohen Lohnzusatzkosten zu verringern. Wir Krieges, ist nicht angekommen, weder im In- noch im werden nicht mehr Arbeitsplätze bekommen, wenn Ausland. Ich sage Ihnen: Das ist der erste Punkt hin- wir auf diesem Gebiet nicht zu einer richtigen, ech- sichtlich der falschen Finanzierung der Einheit, die ten Entlastung kommen. Wichtiger als Steuerentla- politische Lüge, die damals am Anfang stand. stungen - ehrlich gesagt, ich sehe dazu gar keinen Spielraum; bei den oberen und obersten Einkommen (Beifall bei Abgeordneten des BÜND- sehe ich dazu schon gar nicht die Notwendigkeit - ist NISSES 90/DIE GRÜNEN) eine Senkung der Bruttolohnkosten, das heißt, eine Senkung der Lohnnebenkosten. Nur, ich sage Ihnen klipp und klar: Jede Bundesregierung, die Erfolg im Der zweite Punkt, der nicht nur Gerechtigkeitskon- Kampf gegen die Arbeitslosigkeit haben will, muß sequenzen gehabt hat: Es ist nicht nur zutiefst unge- diese Kosten reduzieren. Sie wissen das so gut wie recht, daß vor allen Dingen die Arbeitnehmerinnen ich. und Arbeitnehmer, nämlich diejenigen, die Sozial- versicherungsbeiträge zahlen, die deutsche Einheit Demnach wird es nach dem Wahltag Steuererhö- zu finanzieren haben, sondern es ist auch in seiner hungen zur Gegenfinanzierung geben müssen. Ent- Auswirkung ökonomisch katastrophal gewesen. weder wird die Mehrwertsteuer erhöht werden - dies Warum? - Weil diese Lüge dazu geführt hat, daß die lehnen wir ab; sie bedeutet im wesentlichen, daß die Lohnzusatzkosten exorbitant nach oben geschnellt sozial Schwachen überproportional herangezogen sind. So wurde Arbeit immer teurer, und so wurden werden und das Handwerk weiter in die Schwarzar- immer mehr Menschen entlassen, anstatt daß im Ver- beit gedrängt wird -, oder aber wir haben endlich hältnis zu den abgebauten Arbeitsplätzen neue Ar- den Mut - wie die Dänen, die Schweden, die Finnen beitsplätze entstanden sind. oder die Niederländer, die ja immer so positiv zitiert werden -, eine Ökosteuer zur Gegenfinanzierung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einzuführen. Wir halten dies für dringend geboten. sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Das heißt, wir haben hier durch eine falsche politi- sche Entscheidung, Herr Dr. Kohl, eine ursächliche Dieser Tage, am 21. Juli 1998, gab es eine hochin- Haftung für den dramatischen Anstieg der Arbeitslo- teressante Mitteilung des Statistischen Bundesamtes: sigkeit. „Arbeitsproduktivität weit mehr gestiegen als Pro- duktivität der Naturnutzung." Das ist hochinteres- Bei allen beeindruckenden Aufbauleistungen, die sant; denn es zeigt sehr klar - ich entnehme das ei- es gibt, bei dem, was die Menschen in den neuen nem Kommentar der „Süddeutschen Zeitung" -, Bundesländern erduldet haben und erdulden, bei al- worum es hierbei geht. Arbeit ist überproportional lem, was es an Solidaritätsleistungen in den alten teuer geworden, auch auf Grund der hohen Produk- Bundesländern gibt: Ich werfe Ihnen vor, daß die tivitätssteigerungen, während der Umweltverbrauch hohe Arbeitslosigkeit - das ist in diesem Wahlkampf läßlich geblieben ist. Hier liegt ein riesiges Entwick- doch mit den Händen zu greifen - mittlerweile zum lungspotential für neue Arbeitsplätze. Das darf man Symbol dieser gescheiterten Einheitspolitik in Ost nicht vergessen. Produktivitätssteigerungen in die- und West geworden ist. Die hohe Arbeitslosigkeit ist sem Bereich werden direkt positive Auswirkungen das Krebsgeschwür, mit dem wir uns herumzuplagen haben. haben. Wenn wir in diesem Bereich im ersten halben Die „Süddeutsche Zeitung" schreibt am 22. Juli Jahr mit einer neuen Regierung keine Trendwende 1998: erreichen, dann wird diese neue Regierung schei- tern. Der Faktor Arbeit wird bei der Produktion nicht grundsätzlich durch Natur ersetzt. Doch diese Es ist an Komik, in Wirklichkeit aber an Zynismus Substitutionsprozesse gibt es durchaus. Politisch eigentlich nicht mehr zu überbieten, wenn Helmut sind also die Weichen genau in die falsche Rich- Kohl vor einigen Wochen verkündet hat, er werde tung gestellt. Wünschenswert wären mehr Ar- nach 16 Jahren Bundesregierung, nach 16 Jahren beitsplätze und weniger Naturverbrauch, vor al- Bundeskanzleramt, nach 16 Jahren Verantwortung lem mit Rücksicht auf künftige Generationen. Mit der ökologischen Steuerreform existiert längst für die Arbeitslosigkeit ein 100 - Tage - Programm ge- gen die Arbeitslosigkeit auflegen, wenn er wiederge- ein Konzept, das die Weichen in die richtige Rich- wählt wird. - tung stellt ... Die Daten aus Wiesbaden beschämen die Regie (Heiterkeit bei der SPD) rungskoalition, die sich vor einigen Wochen eine 23042 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Joseph Fischer (Frankfurt ) unwürdige Diskussion über die Ökosteuer gelei- märkte wollen - die brauchen wir -, Lösungen zu su- stet hat. chen, die die Last nicht in erster Linie bei den Arbeit- nehmerinnen und Arbeitnehmern abladen, so wie - Ich nenne nur den Namen Hintze. Sie es in der Vergangenheit getan haben. Das ist für Fragen Sie Ihren Statistiker: Wer die Deutschen uns ein ganz entscheidender Punkt. 1996 war ein in Zukunft führen will, sollte keine vorgestrige Bündnis für Arbeit bereits in Sichtweite. Sie haben es Stimmungsmache um höhere Benzinpreise be- damals durch die Änderung der Lohnfortzahlung mit treiben. der Konsequenz mutwillig in Frage gestellt, daß wir zwei weitere Jahre verloren haben. Wir haben genü- Ich kann dem eigentlich nichts hinzufügen. gend Zeit verloren, wir brauchen jetzt endlich eine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - neue Politik, die dieses Bündnis für Arbeit realisie rt . Zurufe von der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) - Nein, diese Zahlen vom Statistischen Bundesamt zeigen doch, in welche Richtung die Entwicklung ge- Ein letztes: Wir brauchen direkt und unmittelbar hen muß und soll. Das Problem ist nicht nur, daß Sie eine sozial gerechte Steuerreform. Wir haben die die Einheit falsch finanziert haben, sondern daß Sie Struktur und die Tarife unserer Steuerreform vorge- auch die Möglichkeiten und die Potentiale, neue Ar- legt. Wir wollen den Spitzensteuersatz auf 45 Prozent beitsplätze zu schaffen, schlicht und einfach in wei- und den Eingangssteuersatz auf 18,5 Prozent absen- ten Teilen verschlafen haben. ken und ein steuerfreies Existenzminimum von 15 000 DM. Wir wollen endlich mit den Skandalen Gestern oder vorgestern wurde vom Umweltbun- nach 16 Jahren Bundesregierung unter Dr. Helmut desamt der neue Bericht vom 1. September vorge- Kohl Schluß machen. stellt. Sie und Ihre Paladine verkünden hier ja immer: Deutschland Weltmeister im Umweltschutz. Schauen In diesen 16 Jahren gab es viele schöne Erklärun- Sie sich einmal im UBA-Bericht an, wo wir im EU- gen über Familien. Dazu sage ich Ihnen: Die Fami- Vergleich bei der Nutzung erneuerbarer Energieträ- lien sind - egal, ob Alleinerziehende oder zwei El- ger liegen. Sie stellen fest, daß wir ziemlich weit hin- ternteile, ob mit oder ohne Trauschein - der ten liegen. Hauptlastesel unseres Steuersystems. Wir haben nicht viel zu versprechen, aber das wollen und wer- Ihrer Meinung, daß Bayern hier glänzend dastehen den wir ändern. würde, halte ich ein Beispiel aus Landshut entgegen. Dort bin ich auf Handwerksmeister gestoßen - sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wären eigentlich originäres CSU-Wählerpotential -, und bei der SPD sowie bei Abgeordneten die zusammen mit dem BUND verzweifelt darum ge- der PDS) rungen haben, daß alternative Energien in Bayern gefördert werden. Do rt gibt es keine staatlichen Ein weiteres drängendes Problem ist die Jugendar- Energieagenturen und keine neue Energiepolitik. In beitslosigkeit; sie ist mittlerweile auch ein gesamt- Bayern existiert nur das Kartell CSU und Bayern- deutsches Problem, aber in den neuen Ländern ist sie werk. Das ist die Realität in Bayern. besonders dramatisch. Wenn Sie auf den Vorwurf des Versagens bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslo- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sigkeit so reagieren, daß Sie meinen, jetzt die Ju- sowie bei Abgeordneten der SPD und der gendkriminalität insbesondere im bayerischen Wahl- PDS - Zuruf von der CDU/CSU: Nieder- kampf innenpolitisch instrumentalisieren zu können, sachsen!) dann entgegne ich darauf: Jugendkriminalität ist das Spiegelbild des Versagens der Erwachsenenwelt. Das können Sie am Anteil der Windkraft sehen. Ich bin der Meinung: Wo es Defizite gibt, da muß (Zuruf von der CDU/CSU) gehandelt werden. Das ist eine Frage von verbesser- - Daß Bayern einen höheren Wasserkraftanteil hat, tem Mitteleinsatz und - das muß man hinzufügen - ist kein Argument. Wenn Niedersachsen in den Al- auch eine Frage von mehr Geld. Ich glaube nicht pen liegen würde, hätte es einen noch viel höheren daran, daß wir mit immer neuen Gesetzesverschär- Wasserkraftanteil. Das hätte ich Ihnen nicht zuge- fungen in diesem Bereich etwas erreichen können. In traut, Herr Repnik, daß Sie diesen Zwischenruf ma- der Umweltpolitik kennen wir den Begriff des Voll- chen. Von Ihnen war ich anderes gewöhnt. zugsdefizits. Ich denke, daß dieses Vollzugsdefizit mittlerweile in der Innenpolitik hinsichtlich der Kri- (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Ich habe minalitätsbekämpfung genauso zutrifft. gar nichts gesagt!) Wir haben in diesem reichen Land ein massiv Ein weiterer Punkt neben der Senkung der Lohn- wachsendes Armutsproblem. Man sollte dieses Pro- zusatzkosten ist ein Bündnis für Arbeit. blem nicht unterschätzen. Ich würde es vor allen Din- (Zuruf von der CDU/CSU: Aufhören!) gen auf die kommenden Herausforderungen dieses Landes beziehen. Wir haben nicht das Problem eines - Sie mögen sich darüber mokieren, aber ich sage Ih- neues Rechtsradikalismus, eines neuen Weimar oder nen: Man wird die notwendigen Strukturreformen- ähnliches. Davon rede ich nicht. Ich rede vielmehr weder gegen die Märkte noch gegen die Gewerk- davon, daß wir in Zukunft eher mehr Belastungen als schaften in diesem Land durchsetzen können. Ich Entlastungen für die Bevölkerung bekommen. Des- rate dringend dazu, wenn wir beweglichere Arbeits wegen gilt: Wenn wir eine gemeinwohlorientierte Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23043

Joseph Fischer (Frankfurt) Politik machen wollen, dann wird die Frage der so- Wir setzen auf ein europäisches Staatsangehörig- zialen Gerechtigkeit bei der Lastenverteilung die keitsrecht. Das hätten wir ja schon in dieser Legisla- entscheidende Frage für die Akzeptanz einer solchen turperiode mit Teilen der CDU, mit der SPD und der Politik sein. F.D.P. erreichen können. Verhindert wird es vom rechten Flügel der CDU und von der CSU. Ich sage (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ihnen, meine Damen und Herren von der CSU: Hier und bei der SPD) Gesetzesänderungen zu blockieren und zu verhin- Ich habe vorhin schon die europäische Dimension dern und in Bayern gegen den zu hohen Ausländer- und die Lastenverteilung im Rahmen der deutschen anteil im Wahlkampf zu agitieren, das ist politische Einheit angesprochen. Wenn wir nennenswerte Teile Infamie. unserer Bevölkerung in Niedrigstlohnsektoren, in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dauerarbeitslosigkeit und in Nichtqualifizierung aus- und der SPD sowie bei Abgeordneten der grenzen, dann wird hier dauerhaft ein Potential für PDS) demokratische Instabilität entstehen, die sich dieses Land nicht erlauben kann und nicht erlauben darf. Es geht um diese politischen Veränderungen. Wir müssen damit den Reformspielraum eröffnen. Wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN brauchen die positive Trendwende am Arbeitsmarkt; sowie bei Abgeordneten der SPD) wir brauchen die positive Trendwende bei den Inve- Frau Nolte, ich komme jetzt zu Ihrem Schleiertanz stitionen. Deswegen muß schnell gehandelt werden. um die Frage: „Was ist arm?" Auf die Feststellung, Es darf nicht mehr die Worthülsen über die Arbeitslo- daß in diesem Lande niemand verhungert, können sigkeit geben, die 16 Jahre lang gebraucht wurden. wir uns sehr schnell einigen. Das ist aber nicht der Jetzt müssen wirklich Nägel mit Köpfen im ersten halben Jahr gemacht werden. Das wird die große entscheidende Punkt. In Ihrem Kinder- und Jugend- Herausforderung sein. Anders werden wir die fiskali- bericht - Sie mußten ja von der Presse gezwungen werden, ihn der Öffentlichkeit vorzustellen - sind sche Handlungsfähigkeit nicht zurückgewinnen, um dramatische Zahlen enthalten. Wenn ich lese, daß in die notwendige Bildungsreform und die Maßnahmen den neuen Bundesländern jedes fünfte Kind, das von im Rahmen eines neuen Generationenve rtrages zu fi- der Sozialhilfe lebt, als arm gilt und daß der Anstieg nanzieren. der Sozialhilfebezieherinnen, vor allen Dingen bei All das wird nicht billig werden. Ich sage noch- Alleinerziehenden, in den neuen Bundesländern mals: Wer jetzt den Menschen eine Nettoentlastung eine Größenordnung von über 20 Prozent erreicht oder ähnliches verspricht, der nimmt in Kauf, daß wir hat, dann muß ich Ihnen sagen: Wir bekommen hier unsere Zukunft heute verjubeln und nicht in die Zu- ein neues Problem, dem wir uns verstärkt zuwenden kunft investieren, oder aber er verspricht wider bes- müssen. Der Sozialstaat darf sich eben - im Gegensatz seres Wissen etwas, das er nachher nicht halten zu den Vorstellungen der F.D.P. - nicht verabschie- kann. Wir wissen: Wenn diese Koalition an der Regie- den. rung bleibt, dann wird es weiter nach der Devise In den neuen Bundesländern - ich habe es selbst „die starken Schultern entlasten und die schwachen erlebt, als ich mit den Jugendlichen geredet habe - Schultern belasten" gehen. Das bezeichnen wir als kommt den Jugendlichen der Frust über ihre Situa- Gerechtigkeitslücke. Diese Gerechtigkeitslücke wer- tion sozusagen aus jeder Pore. Die Eltern sind dauer- den wir mit einer neuen Regierung schließen müs- arbeitslos; die Jugendeinrichtungen wurden abge- sen, aus den Gründen, die ich Ihnen gerade darge- wickelt und plattgemacht; sie selbst haben keine Per- stellt habe. spektive und keine Lehrstelle. Diese Jugendlichen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind ein relativ dankbares Potential für rechte Paro- und bei der SPD) len. Man kann sich gut vorstellen, was do rt passieren kann, wenn der Verführer von den rechtsradikalen „Ein hohes Maß an Geschlossenheit"? - Die Koali- Parteien kommt. Wir dürfen diesen Rechtsradikalis- tion hat ihre Souveranität für einen halben Tag wie- mus nicht mehr weiter verschweigen. Vor allen Din- dergefunden. Danach wird es mit der Streiterei wei- gen dürfen wir ihn nicht politisch bedienen. Das ist tergehen. Pfarrer Hintze, Sie werden weiter nach ei- für mich der entscheidende Punkt. nem Thema - ob national oder international - suchen. Ich sage Ihnen: Am 27. September wird die Debatte (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, darüber, wann Helmut Kohl zurücktritt, definitiv ge- bei der SPD und der PDS) löst werden, Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen: (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Ja!) Für uns ist Deutschland ein Einwanderungsland. Wir müssen uns auf diese Situation einstellen. Deswegen und zwar von den Wählerinnen und Wählern. Er wollen wir im ersten halben Jahr ein neues Staatsan- wird der erste Bundeskanzler sein, der abgewählt gehörigkeitsrecht, durch das die zweite und dritte wird. Dann werden Ihre Worte aus diesem bewegen- hier lebende Generation selbstverständlich deutsche den Interview „Ihr werdet euch wundern!" den Staatsbürgerinnen und Staatsbürger werden können. Schlußpunkt unter Ihre politische Laufbahn setzen: Es ist doch absurd, daß türkischstämmige Jugendli- Aus, Punkt, Feierabend! che, die zum Beispiel in Bonn geboren und aufge- Ich bedanke mich. wachsen sind, nach wie vor als Ausländer behandelt werden. Das gibt es in keinem unserer europäischen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Nachbarländer. bei der SPD und der PDS) 23044 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der weil er vier Wochen später seiner grünen Basis das Kollege Dr. Wolfgang Gerhardt, F.D.P. mitteilte, was ich vorgetragen hatte: daß es nämlich notwendig sei, die Bundeswehr zusammen mit Sol- Dr. Wolfgang Gerhardt (F.D.P.): Herr Präsident! daten anderer Demokratien do rt hinzuschicken. Meine Damen und Herren! Oftmals muß man sich als Dies alles, Herr Fischer, steht in einer unglaubli- Bundestagsabgeordneter aus Gründen des Respekts chen Schleifspur Ihrer außenpolitischen Fehlein- vor anderen und der Tugenden der Höflichkeit eine schätzungen in den Zeiten, in denen es darauf ankam. Rede anhören, nach der man sich fragen muß: Was wollte er uns eigentlich sagen? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Sie haben hier bei Bosnien-Entscheidungen zwei- mal gegen die Mehrheit des Hauses gestimmt. Sie Herr Fischer, Sie haben eine alte Tradition fortge- haben gegen den Maastricht-Vertrag gestimmt und setzt: Sie haben zu dem, was in Ihrem Programm sprechen heute über den Euro, als sei er Ihre Erfin- steht, was Sie außen- und wirt schaftspolitisch wollen, dung. Als es darauf ankam, hätten Sie Ihre Hand he- nichts Konkretes gesagt. Deshalb hole ich das jetzt ben sollen. nach. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - Günter Verheugen [SPD]: Das hat dafür Sie sind auch kein Vertreter der Geldwertstabilität, Herr Glos getan!) der dem Bundesfinanzminister vorhalten könnte, ihm Als ich hier meine erste Rede als Bundesvorsitzen- in punkto Geldwertstabilität überlegen zu sein. Ihre der der F.D.P. hielt, hatten vorher gerade Sie gespro- Gruppe hat doch die Demokratisierung der Europäi- chen. Sie hatten die Jugoslawien-Politik der Bundes- schen Zentralbank beschlossen. Ihre Gruppe hat die regierung heftig kritisiert und sich damals gegen den Stabilitätskriterien nicht gewollt. Ihre Gruppe vertritt IFOR-Einsatz der Bundeswehr gewandt. Herr Schar- eine Landschaft des Euro - wie Sie im Magdeburger ping hatte das im übrigen ebenfalls heftig kritisiert. Programm geschrieben haben -, bei der jeder teil Ich durfte Ihnen damals vorlesen - und lese es jetzt nehmen kann, der will. Das führt doch zu keiner noch einmal vor -, was Ihre Gruppe und die ganze Währungsstabilität; das ist eine Nullaussage zu einer sozialdemokratische Fraktion dazu hier im Deut- stabilen europäischen Währung. Dies würde die In- schen Bundestag beschlossen hatte. Sie hatten be- teressen aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schlossen, daß der Deutsche Bundestag sich davon in Deutschland schädigen. leiten lassen solle, „daß es allein den Völkern Jugo- (Befall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) slawiens obliegt, über die Zukunft ihres Landes zu entscheiden". Sie hatten beschlossen, die Bundesre- Sie haben zum Somalia-Einsatz der Bundeswehr, gierung aufzufordern, zusammen mit ihren Partnern der eine humanitäre Hilfsaktion war, um die Men- in der Europäischen Gemeinschaft dafür einzutreten, schen dort vor dem Verhungern zu bewahren, nein daß der innerjugoslawische Dialog über die Zukunft gesagt. Sie haben sich beim Amsterdamer Vertrag des Landes - einschließlich einer staatlichen Neuge- donnernd enthalten und haben gesagt, der Vertrag staltung - friedlich und ohne Androhung von Gewalt öffne wegen der Anbindung an die Europäische zu einvernehmlichen Lösungen führt. Sie hatten Union die Tür zur Militarisierung Europas - und das dann die Bundesregierung beauftragt, sich dafür ein- in einer Zeit, in der sich manche ost- und mittelosteu- zusetzen, daß die Friedenskonferenz über Jugosla- ropäischen Reformstaaten auf Grund ihrer Sicher- wien, gegebenfalls nur mit den kooperationswilligen heitsinteressen nichts sehnlicher wünschen, als der Konfliktparteien, weitergeführt wird. Es sollten alle Stabilitätsgemeinschaft NATO anzugehören. Voraussetzungen geschaffen werden für die völker- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) rechtliche Anerkennung von Slowenien und Kroa- tien. Ich sage das, weil Sie, wenn Sie ein Wettbewerber Sie traten hier auf, als hätten Sie mit all dem nichts für die Regierungsverantwortung sind, die ver- zu tun. Sie kritisierten die Außenpolitik der Bundes- dammte Pflicht haben, der deutschen Öffentlichkeit regierung mit dem damaligen Außenminister, Hans zu sagen, was Sie wollen, und dies nicht dauernd zu Dietrich Genscher, und lehnten den IFOR-Einsatz in verschweigen. Bosnien ab. Und heute rufen Sie dazu auf, daß wir (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) europäisch handlungsfähiger werden sollen. Wo wa- ren Sie denn, als es darum ging, dies zu demonstrie- Ihre Politik ist nicht von dem zu trennen, was an- ren? dere Mitglieder Ihrer Fraktion oder auch Ihrer Partei sagen. Ein Mitglied Ihrer Fraktion hat zu dem wichti- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - gen Sicherheitsaspekt der Bundeswehr anläßlich Günter Verheugen [SPD]: Herr Gerhardt, eines öffentlichen Gelöbnisses, also zu Soldaten, die wissen Sie eigentlich, wovon Sie reden?) unsere Freiheit verteidigt haben, gesagt: - Nein, nein, Herr Verheugen, der Auftritt von Herrn Gelöbnisse sind aggressive militärische Demon- Fischer damals war insbesondere deshalb bemer- strationen, kenswert, - (Zuruf von der PDS: Sehr richtig!) (Günter Verheugen [SPD]: Sie haben „IFOR" gesagt! Das war 1995!) für die öffentlicher Raum beschlagnahmt wird. Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23045

Dr. Wolfgang Gerhardt Das sagt Frau Beer. Sie unterstützt lautstarke und Ich glaube in der Tat, daß wir Deutschen gut bera- phantasievolle Störungen von öffentlichen Gelöbnis- ten wären, die Wiedervereinigung auf lange, sen der Bundeswehr. lange Zeit zu vergessen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Unerhört!) Herr Fischer, zu der Zeit, als Sie das noch nicht für möglich gehalten haben, waren die Mitbürgerinnen Herr Trittin ergänzt das durch eine ganz bemerkens- und Mitbürger, die Sie heute rühmen, sie hätten un- wert andere Sicht. Er sagt: sere Freiheit erkämpft, schon längst auf der Straße.

Der, der am Jahrestag von Lidice ein Gelöbnis (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) veranstaltet und sich dabei auf Traditionen be- ruft, stellt die Bundeswehr in die Tradition der Da traf man sich schon an der Nikolaikirche in Leip- Wehrmacht. zig. Ich weiß nicht, für was Sie vielleicht auf der (Zuruf von der PDS: Sehr richtig! - Zuruf Straße waren. Ich habe gehofft, daß diejenigen sich von der CDU/CSU: Pfui!) durchsetzen, die dort in Leipzig standen und das Schild „Wir sind ein Volk" hochhielten. Das waren bemerkenswerte Aussagen; und diese sind nicht die einzigen. Sie sind auch von Ihnen kriti- Gerhard Schröder hat keine bedeutsameren Erklä- siert worden. Ihre Kollegin Röstel hat den Rücktritt rungen abgegeben als Sie. Gerhard Schröder ist in von Herrn Trittin abgelehnt, aber gesagt, daß die Äu- der „Bild" -Zeitung vom 12. Juni 1989 wie folgt nach- ßerungen bedenklich seien. Andere haben gesagt: zulesen: Das bringt uns unter die 5-Prozent-Hürde. Der Lan- desvorstand der Grünen in Berlin hat sich mit Herrn Nach 40 Jahren Bundesrepublik sollte man eine Trittin solidarisiert. Bayerns Grünen-Chefin hat das Generation in Deutschland nicht über die Chan- für äußerst dumm erklärt. - Es geht mir jetzt nicht cen einer Wiedervereinigung belügen. Es gibt sie darum, welche innerparteiliche Diskussion bei Ihnen nicht. geführt wird. Es geht mir darum, welch Geistes Kind einige Ihrer Vertreter in dieser Diskussion sind. Als sie dann kam, wurde er nicht so recht damit fertig und stimmte gegen die Wirtschafts- und Währungs- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) union. Da muß ich doch sagen: Wer zu dieser Zeit mit der Einheit nicht fertig wurde, soll auch das ver- Wenn Sie für Rotgrün werben und Außenpolitik einte Deutschland nicht regieren können. Darum gestalten wollen, muß die deutsche Öffentlichkeit geht es. wissen, wie Ihre Außenpolitik aussehen soll. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr richtig!) Zu der Außenpolitik, die dieses mögliche Bündnis Sie sieht jedenfalls nicht so aus, daß Sie für Bündnis- betreibt, will ich nur noch eines ergänzen. Herr Mi- partner verläßlich sind. Sie beschädigt die deutschen nisterpräsident Schröder, Sie haben neulich den Interessen, die als Staatsräson in der Bündnisfähig- amerikanischen Präsidenten besucht und ihm Konti- keit unseres Landes liegen. Sie vernachlässigt ekla- nuität in der Außenpolitik zugesagt. Ich habe mich tant unsere Sicherheitsinteressen und beschädigt schon gewundert, daß Jost Stollmann das Programm den Beruf des Soldaten in der Bundeswehr und das der SPD nicht gelesen hat. Sie haben anscheinend Bild des Wehrdienstpflichtigen. Sie erschüttert damit das Programm der Grünen nicht gelesen, sonst hät- einen Punkt der Grundfestigkeit unseres Staates. ten Sie das nicht sagen können. Wir können Sie zum (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Einhalten Ihrer Versprechen bringen, weil wir ganz davon überzeugt sind, daß nicht Joschka Fischer Au- Mir reicht der Rückblick auf Bosnien, Jugoslawien, ßenminister wird, sondern Klaus Kinkel Außenmini- die europäische Handlungsfähigkeit nicht. Ihre au- ster der Bundesrepublik Deutschland nach dem ßenpolitische Begrenztheit in der Aussagefähigkeit 27. September bleiben wird. verstehe ich in diesem Punkt. Einen Teil des Debat- tenbeitrags über Asien haben Sie hier nicht abgege- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - ben - dafür kennen wir Sie zu genau -, um die er- Günter Verheugen [SPD]: Herr Gerhardt, staunten Mitglieder des Bundestages über die asiati- wetten, daß nicht? Was wetten Sie?) sche Lage aufzuklären. Sie haben dies vorgetragen, um davon abzulenken, über die tatsächlichen Grund- - Herr Verheugen, Sie müssen sich nicht nur mit der richtungen Ihrer Außenpolitik sprechen zu müssen. Programmlage der Sozialdemokratischen Partei be- Das war ein reiner Nebelwerfer. schäftigen; die macht mir auch in wirtschaftspoliti- scher Hinsicht große Sorgen. In außenpolitischer Deshalb will ich die außenpolitische Konzeptions- Hinsicht habe ich keine großen Probleme. Sie müs- losigkeit der Grünen zu einem Punkt meiner Betrach- sen sich mit der Programmlage und den Intentionen tung führen, der unser Land betrifft: Herr Fischer, jener beschäftigen, die Sie sich als Bündnispartner wissen Sie noch, wann die Mauer gefallen ist? Am ausgewählt haben. Deshalb helfen die Zwischenrufe 12. Oktober 1989 gab es von Ihnen eine Äußerung im hier nicht weiter. Sie müssen hier erklären, ob Sie die Hessischen , die ich mir wörtlich herausge- Bundeswehr langsam auflösen wollen, ob Sie aus der sucht habe. Sie lautet: NATO austreten oder sie in eine andere Sicherheits- 23046 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Dr. Wolfgang Gerhardt architektur überführen wollen, wie Sie mit den Das können wir noch mit Lächeln zur Kenntnis neh- Krisenreaktionskräften umgehen wollen, men; wahrscheinlich haben wir das auch über- schätzt. Dann kommt aber: (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die braucht ihr dringender Die Verschuldung im nichtsozialistischen Wi rt in eurer Koalition!) -schaftsgebiet ist seit 1971 auf eine Höhe gestie- gen, die die Zahlungsfähigkeit der DDR in Frage die die Grünen im Magdeburger Programm nahezu stellt. sofort zur Disposition stellen. Dieses Land ist aus der größten Katastrophe seiner Geschichte herausge- Weiter heißt es: kommen, weil es bündnisfähig und verläßlicher Bündnispartner war. Die DDR hat ab 1989 eine Schuldendienstrate von 150 Prozent. Die Zahlungsbilanz wird sich (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) 1990 weiter verschärfen. Zur Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit der DDR in den folgenden Es steht nicht nur die Frage an, wie man am deut- Jahren müßten höhere Exportüberschüsse er- schen Arbeitsmarkt Bewegung erzeugt, welches bes- reicht werden. Allein das Stoppen der Verschul- sere Programm man vorlegt, um Jugendarbeitslosig- dung würde im Jahr 1990 eine Senkung des keit zurückzudrängen. Nein, es steht im Kern die Lebensstandards um 25 bis 30 Prozent erfordern Entscheidung an, ob dieses Land seine Geschichte in und die DDR unregierbar machen. diesem Jahrhundert kennt. Spinnereien können wir nicht vertragen. Deshalb muß klarer Kurs gehalten Das ist ja auch eingetreten. Aber daran waren nicht werden. die Treuhand und die Marktwirtschaft schuld. Viel- mehr bemühen sich die Menschen, mit Treuhand (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) und Marktwirtschaft das wiederaufzubauen, was vor- her zerschlagen worden ist. Die ganze Diskussion wird noch auf die Spitze ge- trieben. Ich las neulich, daß Gregor Gysi dem ehema- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) ligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker schreibt, die PDS habe sich doch geändert, und den Deshalb werden wir mit allen Kräften dafür kämp- CDU-Politiker geradezu um öffentliche Fürsprache fen, daß nicht diejenigen auch nur die Chance einer bittet. Zur gleichen Zeit würdigt sein Parteivorsitzen- Regierungsbeteiligung - unter welcher Konstruktion der Gysi Walter Ulbricht in einem Atemzug mit auch immer - bekommen, deren geistige Vorfahren . Das schlägt der öffentlichen Für- dies verursacht haben und deren Nachkommen, die bitte geradezu ins Gesicht. Es ist doch der Panzer- sie um ihre Lebensleistung betrogen haben, das alles trupp Walter Ulbrichts gewesen, der den Prager jetzt wieder aufbauen müssen. Es gehört zu den ge- Frühling niedergetrampelt hat, und es war die Frei- waltigen Anstrengungen auch meiner Partei, die in heitsidee mit Hans-Dietrich Genscher, die es ermög- den neuen Ländern nicht begünstigt ist, sondern do rt licht hat, daß auf dem Prager Botschaftsgelände die schwer zu kämpfen hat, Freiheit verkündet wurde. Das ist doch der Unter- (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ schied. DIE GRÜNEN]: Die Blockflöten! LDPD!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) mit dafür einzutreten, daß die PDS nicht noch einmal Ich will nicht versäumen, das zu wiederholen, weil die Chance bekommt, den Fuß in die Tür zu setzen. man Wahres nicht oft genug sagen kann. Ich wende Sie hätte es schon in Sachsen-Anhalt nicht tun dür- fen. Sie darf es erst recht nicht in Mecklenburg-Vor- mich hier entschieden dagegen, daß wir der PDS in den neuen Ländern überhaupt die Chance geben, pommern. die Menschen hinters Licht zu führen. Nicht die Lieber Herr Ministerpräsident Schröder, wenn Sie Marktwirtschaft hat die Wi rtschaft der DDR ruiniert, heute in der „FAZ" sagen, Sie hätten sich diesen Ent- sondern die SED hatte die Menschen um den Ertrag wicklungen bei Ihren Genossen in Ostdeutschland ihrer Arbeit gebracht. beugen müssen und müßten die Entscheidungen dort respektieren, dann kann ich Ihnen nur sagen: (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Sie hätten vor Sachsen-Anhalt den Mund halten sol- Es ist nachzulesen. Deshalb trage ich es hier noch len, statt die Menschen hinsichtlich dessen zu betrü- einmal vor und bin bereit, die Unterlagen jedem Kol- gen, was sich hinterher do rt wirklich vollzieht. legen und jeder Kollegin zur Verfügung zu stellen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Es müßte zur Pflichtlektüre aller Deutschen gemacht werden. Es geht nicht nur um das, was die Kurt-Schuma- cher-Gesellschaft sagt. Sie und Herr Lafontaine las- (Vorsitz : Präsidentin Dr. Rita Süssmuth) sen es doch zu, daß Ihr Bundesgeschäftsführer alle Im Protokoll der SED über vier ZK-Sitzungen im Jahr neuen Länder geradezu zu diesen Beteiligungen ein- 1989 kann man das genau nachlesen, was die geladen hat. Sie sehen doch staunenden Auges, daß Gruppe der PDS hier nicht wahrhaben will: die PDS in Sachsen-Anhalt jetzt ankündigt, es werde nach dem 27. September eine andere qualitative Zu- Die Feststellung, daß wir hier über ein funktionie- sammenarbeit geben. Ihr Herr Ringstorff aus Meck- rendes System der Leitung und Planung verfü- lenburg-Vorpommern erklärt doch heute in der gen, hält einer strengen Prüfung nicht stand. „FAZ", daß Gerhard Schröder endlich die wahren Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23047

Dr. Wolfgang Gerhardt Verhältnisse im Osten zur Kenntnis nehmen müsse. Sie fordern, anscheinend, um das Ozonloch zu Lieber Ministerpräsident Schröder, das hätten Sie schließen, den Ausstieg aus der Kernenergie; sie ha- vorher sehen müssen. Aber Ihr Betrug an den Wähle- ben große Probleme mit der Gentechnologie; sie wol- rinnen und Wählern in Sachsen-Anhalt darf sich bei len den sofortigen Ausstieg aus der Chlorchemie; sie der Bundestagswahl nicht wiederholen. Deshalb haben Vorschläge gemacht, den Bundesverkehrs- müssen wir jetzt wissen, worum es geht. haushalt um Milliarden zu kürzen. Damit kürzen sie die notwendigen Baumaßnahmen von Autobahnen, (Lebhafter Beifall bei der F.D.P. und der die West-Ost-Verbindungen in Deutschland schaffen CDU/CSU) sollen, die für die Infrastruktur in den neuen Ländern sehr wichtig sind. Sie wollen den Transrapid nicht, braucht jetzt, an der Schwelle zum Deutschland wollen aber eine nationale Energiesteuer. Sie wollen nächsten Jahrtausend, klare Orientierungen und kla- Arbeitszeitverkürzungen pro Woche, äußern sich Es braucht eine verläßliche Außenpolitik. ren Kurs. aber nicht dazu, wie der Arbeitsmarkt damit in Ein- Es braucht klare europäische Orientierung. Es klang gebracht werden kann; denn Arbeitszeitver- braucht Bündnisfähigkeit. Es braucht Modernisie- kürzung nutzt nichts, wenn die Beschäftigungsver- rungsbereitschaft. Es braucht Beschäftigungsimpulse hältnisse nicht denjenigen angeboten werden kön- durch Steuersenkung. Angesichts dessen geht es nen, die die Qualifikation dazu haben. einfach nicht, daß Sie, Herr Ministerpräsident Schrö- der, im Nadelstreifen bei Unternehmern für Steuer- Sie wollen die 620-DM-Jobs abschaffen. Herr senkungen plädieren und abends mit Ballonmütze Schröder ist differenzie rter: Bei Zeitungsverlegern bei Ihren eigenen Genossen nicht mehr die Kraft ha- will er sie nicht abschaffen, bei der SPD jedoch ben, das zu wiederholen, was Sie noch vormittags schon. Jedem, der sie braucht, sagt er sie zu. Wenn er beim Festvortrag gesagt haben. jedoch auf eine Gruppe trifft, die ihm nicht so nahe steht, dann lehnt er sie ab. Das wird eine Mixtur von (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Politik, die in Deutschland kein Beschäftigungswun- Es geht doch nicht - ich will wiederholen, was der der erzeugt, sondern wi rtschaftlich destabilisierend Kollege Glos gesagt hat -, daß der Vorsitzende der wirkt. Sozialdemokratischen Partei gestern in der politi- Seien Sie sich bitte darüber im klaren, was nun schen Auseinandersetzung hier auftritt und die Präsi- gilt: Entweder gibt es einen Aufschwung, oder es denten des DIHT, des BDI und Herrn Hundt von der gibt ihn nicht. Als Herr Kohl von Aufschwung ge- BDA ein „Trio Asozialer" nennt. Diese Herren haben sprochen hat, sagte Schröder, wir hätten keinen. - wie ich auch - andere Vorstellungen, wie man in Dann behauptet er: Ich selbst bin der Aufschwung. Deutschland zu mehr Beschäftigung kommen kann. Aber ihre Vorstellungen sind mindestens genauso (Heiterkeit bei der F.D.P. und der CDU/ ernsthaft zu prüfen wie die des DGB. So mit ihnen CSU) umzugehen ist schäbig. Das sage ich in aller Deut- lichkeit. Wir hatten früher Könige, die immer dachten, sie seien das Land selbst. Neuerdings haben wir Kanz- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) lerkandidaten, die glauben, sie seien der Auf- schwung selbst. Wir müssen uns aber daran gewöh- Die Grünen haben ein gewaltiges Beschäftigungs- programm im Sinn. Herr Fischer hat das aber nicht nen, daß ein Aufschwung nicht durch eine Kanzler- vorgetragen. So muß ich erläutern, was die Grünen kandidatur zustande kommt, sondern durch politi- wirklich wollen, weil Herr Fischer es unterläßt. sche Rahmenbedingungen, durch den Fleiß und die Leistungsbereitschaft vieler Menschen in Deutsch- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) land. Die Grünen wollen eine Grundsicherung ohne Be- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) dürftigkeitsprüfung, die den deutschen Steuerzahler 58 Milliarden DM kosten wird. Ministerpräsident Schröder hat am 5. März 1998 in Mainz erklärt, bei einer Stimme Mehrheit von Rot- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ grün gebe es eine rotgrüne Koalition. Das ist eine der DIE GRÜNEN]: 140 Milliarden DM an Steu- wenigen Aussagen von Gerhard Schröder, die ich erentlastung!) ihm glaube. Die Grünen wollen die Wiedereinführung der Ver- Am 6. August 1998 hat er erklärt, er könne sich mögensteuer, über die das Bundesverfassungsgericht auch eine große Koalition mit Volker Rühe vorstellen. geurteilt hat, daß man von einer hälftigen Teilung Das ist eine der vielen Aussagen, die ich ihm nicht zwischen Staat und P rivaten ausgehen müsse. glaube. Solche und ähnliche Äußerungen über große Koalitionen hat er auch schon vor der Wahl in Sach- Die Grünen wollen den Benzinpreis schrittweise sen-Anhalt ventiliert. Daraus ist aber nichts gewor- auf 5 DM pro Liter erhöhen. Zwar schlagen sie das den. im Kurzprogramm nicht mehr vor, haben aber be- schlossen, daß die Magdeburger Beschlüsse gelten. Herr Ministerpräsident Schröder, ich halte Ihr Ge- Das ist ein einzigartiger Wählerbetrug, der größte, rede von großen Koalitionen für ein reines Täu- den ich je erlebt habe. schungsmanöver. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) 23048 Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Dr. Wolfgang Gerhardt Ich sage Ihnen auch, warum Sie das machen. Sie Es muß den Neid zur Seite drängen. Es muß den ein- wollen mit diesem Gerede die neue Mitte, auf die Sie zelnen in der Breite der Gesellschaft in Verantwor- abzielen, täuschen, um die alte Linke zu installieren. tung bringen. Wir werden das unterbinden. Deshalb ist diese Koalition auf dem Weg ins näch- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) ste Jahrtausend (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Die Koalition ist nicht bei allen Fragen schnell zu DIE GRÜNEN]: Unter Helmut Kohl!) Entscheidungen gekommen. Eine Opposition hat nie eine Bundesregierung vor sich, die sich selbst nur in auf dem richtigen Weg. Wir sind reformbereit. Wir glänzendes Licht stellen kann. Aber zu den Grund- strengen uns an. Wir sagen den Menschen im Wahl- fragen, die in den Jahren anstanden, in denen wir kampf die Wahrheit, und wir wollen sie auffordern, die Verantwortung getragen haben, haben wir gegen in Deutschland nicht mehr rückwärts zu marschieren, Ihren Widerstand die richtigen außen- und verteidi- sondern mit uns nach vorne zu blicken. gungspolitischen Entscheidungen getroffen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Anhaltender lebhafter Beifall bei der F.D.P. Als uns nach der deutschen Einheit klar wurde, und der CDU/CSU) daß wir energisch Reformen anpacken müssen, ha- ben wir sie angepackt. Man könnte sagen: Vielleicht Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat der spät, vielleicht auch zu langsam, wir hätten es coura- Abgeordnete Dr. Gregor Gysi. gierter tun sollen. Aber Sie haben uns doch eher daran gehindert. Sie können hier doch nicht auftre- ten, als hätten Sie das Rad erfunden, wo doch in Dr. Gregor Gysi (PDS): Frau Präsidentin! Meine Da- Ihrem Regierungsprogramm steht, daß Sie a lles das men und Herren! Ich finde, als Abschiedsbeifall für wieder zurückdrehen wollen, was wir begonnen die F.D.P. im Bundestag ist das in Ordnung. Anson- haben. Sie machen das glatte Gegenteil nicht nur der sten wäre der Beifall wirklich überzogen gewesen. Politik, die wir vertreten, sondern von der Politik (Beifall bei der PDS) nahezu aller sozialdemokratischen Parteien in den befreundeten Ländern Westeuropas. Sie können uns Eigentlich sollte hier heute eine Haushaltsdebatte doch hier nicht erzählen, daß dieses deutsche Volk geführt werden. Herr Gerhardt, Sie haben das Wo rt ausgerechnet auf die konservativste deutsche SPD Haushalt nicht ein einziges Mal in den Mund genom- hereinfallen sollte, wo doch , , men. Als wir im Juni gesagt haben, daß es eine reine die Dänen und die Schweden die Systeme noch wei- Wahlkampfshow werden würde, hat die andere Seite tergehender als wir reformiert haben. des Hauses das strikt abgelehnt und gesagt, nein, es sei dringend erforderlich, noch im September über (Zuruf von der SPD: So ein Quatsch!) den Haushalt zu diskutieren. Bisher hat noch über- haupt keine Diskussion darüber stattgefunden. Deshalb ist der Wechsel zu Rotgrün kein beliebiger Regierungswechsel, der hier unter dem Motto „Auf (Beifall bei der PDS) zu neuen Ufern" so schön diskutiert werden könnte. Aber wenn nun gar keiner darüber diskutiert, wi ll Es wäre ein Risiko für Deutschland, weil durch die auch ich es nicht tun. aufgezeigte Konzeption die zarten Pflänzchen des Wachstums zerstört werden würden. (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) - Wieso soll ich mich denn mit einem Papier ausein- andersetzen, von dem jeder weiß, daß selbst dann, Diese Alternative wäre keine modernisierungsbe- wenn Sie weiter regieren, sein Verfallsdatum der reite Regierung. Sie können noch nicht einmal do rt 28. September ist? Danach wird es völlig neu erarbei- in Deutschland, wo Sie Verantwortung tragen, die tet. Schulzeit von 13 auf 12 Jahre verkürzen. Sie können (Beifall bei der PDS) noch nicht einmal ein Stück Flexibilität am Arbeits- markt vertreten. Sie hängen doch den alten Struktu- Diese Art von ineffizienter Arbeit habe ich hier nicht ren nach: flächendeckend, einheitlich, kollektiv. VOL Wehe, es geht jemand einen Sonderweg! Wir erleben hier reinen Wahlkampf. Bei der CDU/ Der größte Fehler, den Sie haben, ist Ihr mentaler CSU weiß man zwar, was man wählt, dafür aber Fehler, daß Sie Menschen, die leistungsbereit sind nicht, wen man wählt. Bei der SPD weiß man zwar, und sich wünschen, vom Ertrag ihrer Leistung etwas wen man wählt, aber nicht sehr genau, was man mehr zu behalten, eher diffamieren und daß Sie ver- wählt. Das ist das eigentliche Problem für die Wähle- suchen, die Menschen glauben zu machen: Wir hel- rinnen und Wähler in der Bundesrepublik Deutsch- fen den Armen, wenn wir die Reichen ausmerzen. - land. Das ist kein Weg. Dieses Land muß auch leistungsbe- (Beifall bei der PDS) reite Menschen stützen. Übrigens war ich gestern in Oggersheim, Herr (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Platitüden!) Bundeskanzler. Ich hatte ein bißchen Bammel - das Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23049

Dr. Gregor Gysi gebe ich zu -, aber ich muß sagen, daß der Kreis der gibt es hier keinerlei Meinungsstreit -, verurteilen Interessierten und selbst der mit der PDS Sympathi- aufs schärfste die Bombardierung der USA-Bot- sierenden erstaunlich groß ist. Das hätte ich nie für schaften durch Terroristen. Aber ich sage auch: Das möglich gehalten. gibt den USA überhaupt nicht das Recht, als Antwort in anderen Ländern herumzubomben. Das ist ein- (Heiterkeit bei der PDS - Bundeskanzler deutig völkerrechtswidrig. Dr. Helmut Kohl: Gute Leute!) (Beifall bei der PDS) - Gute Leute, das stimmt; da gebe ich Ihnen völlig recht. - Allerdings habe ich auch festgestellt: Der Dabei auch noch die, glaube ich, einzige Arzneimit- Wunsch in der Bevölkerung, Sie do rt täglich zu telfabrik des Sudan zu zerstören, wo sowieso schon sehen, ist groß. Sie sollten diesem Wunsch nach dem eine Hungerskatastrophe herrscht, ist noch indisku- 27. September auch nachgeben. tabler.

(Heiterkeit und Beifall bei der PDS) Jetzt unterhalten wir uns einmal über die Alternati- Wenn wir hier von Wahlkampf sprechen, dann ven in diesem Bundestag. Herr Kohl äußert für das müssen wir auch von der A rt der Ausgrenzung spre- Vorgehen der USA Verständnis. Herr Kinkel äußert chen, die ich unerträglich finde. Heute abend findet dafür Verständnis. Herr Scharping findet das richtig in der ARD eine Sendung mit dem Titel „Ihre Wahl" und sagt: Die USA haben das Recht dazu - obwohl es statt, in der es unter anderem um Steuergerechtigkeit ein klarer Völkerrechtsbruch ist. Herr Fischer und geht. Daran nimmt Herr Schäuble für die CDU teil, die Grünen finden es nachvollziehbar. - Das sind die Herr Waigel für die CSU, Herr Gerhardt für die Alternativen, mit denen wir es hier zu tun haben. F.D.P., Herr Lafontaine für die SPD und Herr Fischer Früher, Herr Fischer, hätten die Grünen gegen ein für Bündnis 90/Die Grünen - und mit einer Selbstver- solches Bombardement noch demonstrie rt und auf ständlichkeit wird die PDS ausgeschlossen jeden Fall klar Stellung genommen. Davon haben sie sich meilenweit entfernt. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Gott sei (Beifall bei der PDS) Dank!) Es ist ein klarer Völkerrechtsbruch. - Sie können dazu klatschen -, die seit dem 3. Okto- ber 1990 im Bundestag ist. Dieses Spiel macht die Herr Rühe trifft für die Bundesregierung dann ARD mit. Früher hätten wenigstens die Grünen auch noch die Entscheidung, die geplanten Flüge gegen diese Art von Ausgrenzung protestiert. Heute zur Hilfe für die Hungernden im Sudan auszusetzen. nehmen das alle wie selbstverständlich hin. Kein von Ihrer Seite! Was haben denn die Hungernden im Sudan mit den Bombenattentaten zu (Beifall bei der PDS) tun? Weshalb müssen sie sterben?

Aber ich sage Ihnen eines: Das spricht letztlich auch (Beifall bei der PDS) für unsere Qualität. Wer unsere Argumente so fürch- tet, der muß davon ausgehen, daß an ihnen etwas Heute gibt es hier im Bundestag einen Antrag, dran ist. Das nehme ich erst einmal als Bestätigung diese Flüge doch zuzulassen. Wozu ist ein solcher für uns. Antrag erforderlich? Wenn alle dafür sind, hätte die Regierung längst handeln können. Sie wissen doch: (Beifall bei der PDS) Jeder Tag kostet Tausende das Leben. Es gibt über- Es wurde und wird hier viel über Außenpolitik ge- haupt kein Recht zur Verzögerung von Hilfe für sprochen. Ich sage Ihnen: Ich finde es wirklich aben- Hungernde in der Welt. teuerlich, Herr Bundeskanzler, wenn Ihr Generalse- (Beifall bei der PDS) kretär glaubt, die Krise in Rußland für den Wahl- kampf in Deutschland nutzen zu können. Wer den Alternativen gibt es in diesem Bundestag mit Aus- Schaden anderer zum eigenen Vorteil ausschlachten nahme der PDS auch beim Euro nicht. Alle Fraktio- will, verhält sich wirklich indiskutabel, darüber hin- nen haben den Euro begrüßt, aus auch noch unmoralisch und gilt für mich nicht als außenpolitisch verläßlich. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Oh! Jetzt kommt's!) (Beifall bei der PDS) Ich füge hinzu: Herr Jelzin ist ja fast ein Ziehkind und alle wissen, Herr Fischer, was die Folge sein von Ihnen. Sie haben nicht nur eine feste Freund- wird: Lohndumping, Sozialdumping, Dumping bei schaft zu ihm, Sie haben nicht nur sehr viel Geld in ökologischen Standards, weil vorher die Anglei- den Mann gesteckt, sondern Sie haben ihm auch chungsprozesse politisch nicht gewährleistet worden viele Ratschläge gegeben, die er meistens auch be- sind. Das, was wir heute auf den Baustellen erleben, folgt hat. Das Ergebnis sehen wir jetzt in Rußland. werden wir dann in der gesamten Gesellschaft erle- Ich meine, dort ist eine andere Politik dringend erfor- ben. Das führt nicht etwa zu mehr Internationalis- derlich. mus, sondern zu mehr Nationalismus. Es wird auch den Rechtsextremismus bestärken. Deshalb fordern Ich will aber auch zu einem anderen außenpoliti- wir zum Beispiel für die Baustellen nicht nur einen schen Ereignis etwas sagen. Wir alle, glaube ich - da Mindestlohn; wir sagen: gleicher Lohn für gleiche 23050 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Dr. Gregor Gysi Arbeit am gleichen O rt . Das muß durchgesetzt wer- Einheit betrifft, haben Sie versagt. Ob Sie es gerne den. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit auch in der hören oder nicht, ich sage Ihnen: Inzwischen ist die Lohnpolitik und dient der Verhinderung von Natio- PDS die Partei der Einheit geworden. nalismus und Rassismus. (Beifall bei der PDS - Lachen bei Abgeord (Beifall bei der PDS) neten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) In dieser Debatte spielte selbstverständlich auch die Frage der deutschen Einheit eine große Rolle. - Ja, weil wir die einzigen sind, die konsequent for- Jeder hat sich auf seine Art und Weise dieses Themas dern, die Benachteiligung der Ostdeutschen aufzu- angenommen. Vor allen Dingen Herr Gerhardt heben, während Sie sie zementieren wollen. meinte, sich dazu äußern zu müssen. Da muß ich Dazu gehört das Thema Reichtum und Armut. Ich Ihnen sagen, Herr Gerhardt: Als Parteivorsitzender finde es sagenhaft, wie Herr Gerhardt sich hier hin- sollten Sie erstens wissen, daß der Vorsitzende der stellt und sagt: Wir brauchen noch Leistungsträger; PDS nicht Gysi heißt, sondern Bisky. Das sollte sich die wollen noch eine Kleinigkeit von dem behalten, bis zu Ihnen herumgesprochen haben. Zweitens soll- was sie erwirtschaften; man dürfe keine Neidkam- ten Sie wissen, daß Mecklenburg nicht mit kurzem, pagnen unterstützen. - Eine alleinerziehende Sozial- sondern mit langem e gesprochen wird, wenn Sie hilfeempfängerin ist nicht neidisch, sie ist in Not. Das sich schon über dieses Land äußern. ist das eigentliche Problem in dieser Gesellschaft. (Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.: (Beifall bei der PDS) Ach!) In den letzten Jahren hat - das muß jeder zur - Das muß man schon wissen. - Drittens sage ich Ih- Kenntnis nehmen - Armut in der Gesellschaft zuge- nen: Herr Westerwelle - - nommen. Aber es hat eben auch Reichtum zugenom- men. Erklären Sie doch einmal den Menschen, wes- (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.) halb in den sieben Jahren von 1990 bis 1997 bei - Herr Westerwelle hat mir in einer Sendung des 50 Prozent der Bevölkerung die Sparguthaben abge- NDR-Fernsehens mit Lea Rosh erklärt: Sie vertreten nommen haben, aber bei 10 Prozent der Bevölkerung eine Randgruppe. - Das ist interessant. 20 Prozent um über 2000 Milliarden DM zugenommen haben! der Ostdeutschen wählen PDS. Wer 20 Prozent der Davon zahlen sie nicht einmal Steuern. Der Staat hat Ostdeutschen als Randgruppe bezeichnet, davon nichts abbekommen; er ist in derselben Zeit immer ärmer geworden. (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Das habe Erklären Sie doch einmal, weshalb seit 1989 die ich nicht!) Zahl der Einkommensmillionäre um 40 Prozent ge- der macht klar, welche Haltung er zu den Ostdeut- stiegen ist! Es sind inzwischen über 360000. Damn schen hat. Wenn Sie Herrn Schröder vorwerfen, daß ter, Herr Solms und Herr Gerhardt, sind übrigens er Realitäten im Osten zur Kenntnis nimmt, kann ich 800 mit einem Jahreseinkommen - ich spreche nicht Ihnen nur sagen: Es wird höchste Zeit, daß auch Sie vom Vermögen - von 10 Millionen DM und mehr. eine zur Kenntnis nehmen. Sie lautet: Sie sind in kei- Wem wollen Sie das mit dem Leistungsprinzip erklä- nem Landtag, weil Sie eine Nobelpartei der Reichen ren? Da kann man Tag und Nacht schuften: Ein sol- und Vermögenden sind, und dafür gibt es im Osten ches Einkommen ist nicht gerechtfertigt. Ob die al- einfach keine genügende Klientel. Das ist Ihr Pro- leinerziehende Sozialhilfeempfängerin mit drei Kin- blem in den neuen Bundesländern. dern wirklich so viel weniger leistet, versehe ich mit einem großen Fragezeichen. Das hängt nämlich da- (Beifall bei der PDS) von ab, wie man Leistung in der Gesellschaft defi- niert. Wenn wir in der Frage der Einheit weiterkommen wollen, dann müssen wir uns Gedanken darüber ma- (Beifall bei der PDS) chen, ob es wirklich sein kann, daß die Einkünfte bei Ganz abgesehen davon: Niemandem geht es hier 80 Prozent, 70 Prozent, 75 Prozent liegen können, um Gleichmacherei. Aber soziale Unterschiede müs- aber die Preise bei 100 bis 110 Prozent, ob es wirklich sen durch Qualifikation, durch Fleiß, durch Bega- so weitergehen kann, daß Tausende wegen ihrer bung, durch Verantwortung gekennzeichnet und Grundstücke in juristische Prozesse verwickelt sind nachvollziehbar sein. Ich sage Ihnen, das Ganze ist und daß dort , wo juristisch nichts zu holen ist, über inzwischen in dieser Gesellschaft maßlos geworden, Wasser-, Abwasser- und Straßenbaubeteiligungsge- es ist nicht mehr nachvollziehbar. Wenn soziale bühren eine kalte Form der Enteignung stattfindet, Unterschiede maßlos werden, ist das gesellschafts- ob es wirklich so weitergehen kann, daß Tausende in zerstörerisch. den neuen Bundesländern nach wie vor um die Aner- kennung ihrer Berufsabschlüsse ringen müssen und Wie es mit der Entwicklung aussieht, sieht man ja sich in den alten Bundesländern nicht einmal wirk- an einer zweiten Zahl. Die Gewinne und Vermögen sam bewerben können. Bei allem, was es do rt auch in der Bundesrepublik Deutschland waren 1980 mit an positiver Infrastrukturentwicklung gibt: Was Ein-- Abgaben und Steuern in Höhe von 20 Prozent bela- kommen betrifft, was die soziale Frage bet rifft, was stet, 1998 gerade noch mit 7,5 Prozent. Aber die Ge- die riesige Arbeitslosigkeit bet rifft, gerade auch hälter und Löhne waren damals mit 41 Prozent be- unter jungen Leuten, und auch was die kulturelle lastet; sie sind es heute mit 48,5 Prozent. Das sagt Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23051

Dr. Gregor Gysi alles über die schiefe Entwicklung in der Gesell- Sie sagen sich, die Älteren wählen sie sowieso nicht, schaft aus, die die Regierung Kohl zu verantworten sondern eher die Jüngeren, und deshalb können sie hat. Deshalb meine ich auch, sie gehört abgewählt. einen solchen Vorschlag unterbreiten. Mit der PDS wird das nicht zu machen sein. (Beifall bei der PDS) (Beifall bei der PDS - Joseph Fischer Was die Alternativen betrifft, bin ich allerdings [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: über die letzten Monate entsetzt. Alle Parteien, auch Eher umgekehrt bei der PDS!) SPD und Grüne, machen sich ständig eine Birne um die Frage, um wie viele Prozentpunkte der Spitzen- Ich sage Ihnen zum Sofortprogramm noch eins: steuersatz der Einkommensteuer zu senken sei, den Den Finanzierungsvorbehalt und den Hinweis, daß ich erst für das bezahle, was ich ab 120 000 DM pro Sie erst einen Kassensturz machen müssen, halte Jahr als Alleinstehender oder ab 240 000 DM als Ehe- ich nun wirklich für abenteuerlich. Sie sitzen doch partner zu versteuern habe. Ich finde es einfach in- seit Jahren im Haushaltsausschuß. Sie kennen doch diskutabel, daß das der Kernpunkt der gesellschafts- die Steuereinnahmen. Sie kennen die Ausgaben. politischen Auseinandersetzungen ist. Ich meine, wir Sie können doch Vorschläge machen, wie Sie die müßten dafür sorgen, daß er endlich einmal bezahlt Einnahmeseite verändern wollen und wie die Aus- wird, und nicht darum streiten, um wie viele Prozent- gabeseite. Man muß doch nicht Kanzler werden, um punkte dieser Spitzensteuersatz der Einkommen- dazu Vorschläge zu unterbreiten. Glauben Sie, in steuer zu senken ist. allen Ministerien gibt es schwarze Kassen, die Sie aufmachen können? Dann hätten Sie Strafanzeige (Beifall bei der PDS) erstatten müssen. Wenn Sie das nicht glauben, ist Daß die Grünen dabei noch radikalere Vorschläge das ganze Argument mit dem Finanzierungsvorbe- machen als die SPD, was die Senkung betrifft, das halt nicht glaubwürdig, weil Sie die Zahlen in Wirk- zeigt auch, welche Entwicklung die Grünen inzwi- lichkeit kennen. Auf dieser Grundlage hätten Sie schen genommen haben. Ihre Vorschläge unterbreiten können, Herr Schrö- der. (Beifall bei der PDS) (Beifall bei der PDS - Zuruf von der CDU/ Zur Vermögensteuer: Grüne, SPD, PDS waren sich CSU: Ausnahmsweise hat er recht!) einig, daß die Abschaffung falsch ist. Jetzt lese ich Ihr Sofortprogramm, Herr Schröder. Nichts steht Das wichtigste Thema ist selbstverständlich die Ar- darin, daß Sie sie unverzüglich wieder einführen wol- beitslosigkeit. Hier wird immer vom Aufschwung ge- len. Aber wenn Sie sie nicht unverzüglich wieder redet. Aber, Herr Bundeskanzler, Sie müssen doch einführen wollen, können Sie sie auch im Jahre 2000 auch sagen, daß die Reduzierung der Arbeitslosig- nicht erheben. Dann wird es gar nichts mehr in der keit in erster Linie auf ABM zurückzuführen ist. Sie nächsten Legislaturpe riode. Das heißt, auch hier ist auch darauf zurückzuführen, daß wir immer mehr keine Alternative. geringfügig Beschäftigte haben. In Wirklichkeit wer- den wir, sobald die ABM auslaufen werden, wieder Kommen wir zum Sozialen. Wenn die Beiträge zur bei den alten Zahlen sein. Das heißt, strukturell ist Sozialversicherung erhöht werden müßten, dann überhaupt kein Problem gelöst. organisiert diese Regierung stets die Erhöhung der Zuzahlung zu Arzneimitteln, Krankenhaus- und Wir brauchen einen Abbau von Arbeitszeit und vor Kuraufenthalten. Ich finde eine Gesellschaft, die ver- allem von Überstunden, die im letzten Jahr rein rech- sucht, ihre Probleme auf Kosten der Kranken zu nerisch 1 Million Arbeitsplätze entsprochen hätten. lösen, inhuman. Ich finde diesen Ansatz indiskutabel. Wir brauchen endlich einen öffentlich geförderten Ich finde die Formulierung in Ihrem Sofortprogramm Beschäftigungssektor, um Millionen wieder in Be- nicht aussagekräftig, weil Sie sozusagen das Gröbste schäftigung zu bringen und gleichzeitig zu erreichen, zurücknehmen wollen, aber das Prinzip aufrechter- daß notwendige Dienstleistungen verrichtet werden. halten wollen. Aber das Prinzip ist falsch! Immerhin haben die USA das mit ihrem Non-Profit- Sektor versucht - leider mit Billigjobs. Das kommt für (Beifall bei der PDS) uns nicht in Frage. Wir erwarten hier klare Tarif- löhne. Im Bereich der Renten hat diese Regierung ver- sucht, die Probleme dieser Gesellschaft auf Kosten Die Lohnnebenkosten senkt man nicht dadurch, der Rentnerinnen und Rentner zu lösen, indem sie daß man die Mineralölsteuer, die Mehrwertsteuer eine Rentenniveausenkung beschlossen hat. Aber oder die Zuzahlungen erhöht, sondern dadurch, daß auch in Ihrem Sofortprogramm ist es ungenau formu- man den 50prozentigen Arbeitgeberanteil streicht liert. Es scheint so, daß Sie die Senkung für sozusa- und daraus eine Wertschöpfungsabgabe macht, da- gen ganz schwer Betroffene, aber nicht generell mit die Unternehmen endlich nach ihrer wirtschaftli- zurücknehmen wollen. Ich meine, sie muß generell chen Leistungskraft in die Versicherungssysteme zurückgenommen werden. einzahlen und nicht länger nach der Zahl der Be- schäftigten und der Höhe der Bruttolöhne. (Beifall bei der PDS) (Beifall bei der PDS) Daß die Grünen inzwischen auch eine Senkung des Rentenniveaus vorschlagen, finde ich schon ein Auch die Belastungen für die Arbeitnehmerinnen starkes Stück, weil es eine reine Klientelpolitik ist. und Arbeitnehmer könnten wir senken, indem wir 23052 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Dr. Gregor Gysi dazu übergehen, daß auch höhere Beamte, Bundes- ren! Ich muß gestehen, wenn man den Rednern auf- tagsabgeordnete, Minister etc. in die Versicherungs- merksam zuhört, kann man immer noch dazulernen, systeme einzahlen. Darüber hinaus müssen wir durch auch wenn man schon so lange Parlamentarier ist Steuern finanzieren, was durch Beiträge nicht gesi- wie ich. Daß jemand bei seinem Abgang vom Red- chert ist. Ich denke, es gibt zu Ihrer Politik Alternati- nerpult sagt, wenn er nicht wiedergewählt werde, ven; um diese Alternativen gilt es zu streiten. verflache die Kultur in diesem Hause, ist schon sehr ungewöhnlich. Weil Grüne und SPD immer damit argumentieren, daß möglicherweise die PDS einen Regierungswech- (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sel verhindert, sage ich Ihnen: Das war schon 1994 als Argument falsch; denn wäre die PDS nicht in den Aber das paßt zu dem anderen Zitat: Weil die Leute Bundestag eingezogen, wäre die Mehrheit der Koali- sich freuen, kommt der Aufschwung. - So werden tion sogar wesentlich größer gewesen. Das war auch wir in dieser Debatte noch viele Überraschungen er- falsch, als die SPD dieses Argument in den 80er Jah- leben. ren gegen die Grünen benutzt hat und plakatiert hat: Wer Grün wählt, wird sich schwarzärgern. Dies ist die große Debatte vor der Bundestagswahl. Diejenigen, die daran Anstoß nehmen, würden viel größeren Anstoß nehmen, wenn wir die Debatte Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Dr. Gysi, Ihre nicht geführt hätten. Redezeit ist beendet. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (PDS): Ich bin sofort fertig. Dr. Gregor Gysi Das ist also kein Absturz des Parlamentarismus. Das Bei aller Kritik an den Grünen: Es ist nicht ganz ist auch keine Inszenierung, wie hier dümmlicher falsch, daß sie geblieben sind und sich auf dieses Ar- weise von dem einen oder anderen gesagt wurde, gument nicht eingelassen haben. Daß sie es heute sondern es ist die normale Vorlage eines Etats. Wäre gegen die PDS benutzen, zeigt nur, daß auch sie dieser Etat nicht vorgelegt worden, hätten die glei- jetzt undemokratische Ausgrenzungspolitik betrei- chen Leute gesagt: Sie bringen schon gar keinen ben. Etat mehr ein; sie wagen nicht, ihn vorzulegen. - Deswegen ist es richtig, daß der Finanzminister - da- (Beifall bei der PDS) für ist er zu loben - seinen Haushaltsentwurf vorge- Hier will offensichtlich jeder mit jedem koalieren. legt hat. Er ist Grundlage für die Arbeit nach der An uns scheitert ein Regierungswechsel zwar nicht. Bundestagswahl. Jeder von uns kennt die rechtliche Aber was dieser Bundestag wirklich braucht, sind Lage: Diese Vorlage muß erneut eingebracht wer- wir: Opposition. Ohne die PDS wird es hier keine ost- den. Das ist ein ganz normaler parlamentarischer deutschen Themen geben. Vorgang. Deswegen sollten wir jetzt nicht unentwegt fragen, ob Theo Waigel richtig gehandelt hat oder (Lachen und Widerspruch bei der CDU/ nicht. Ich bestehe darauf: Theo Waigel und die Bun- CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- desregierung haben korrekt gehandelt, und das wird NEN und der F.D.P.) so bleiben.

Ohne die PDS wird die soziale Frage nicht mehr im (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Mittelpunkt der gesellschaftspolitischen Auseinan- dersetzung stehen. Ich sage Ihnen: Ohne die PDS Natürlich findet hier ein gewaltiger Schlagab- wird vor allem die Kultur in diesem Hause wesentlich tausch statt. Das kann doch gar nicht anders sein: verflachen. Auf der einen Seite stehen sich hier die Koalition, CDU/CSU und F.D.P., und auf der anderen Seite (Lachen und Widerspruch bei der CDU/ Rotgrün - die Rolle der PDS ist eben noch einmal CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- aufgewärmt worden - gegenüber. Hier geht es in NEN und der F.D.P.) der Tat um Richtungsentscheidungen. Darüber ist zu Leisten Sie sich ruhig diesen Farbtupfer. reden. Herrn Scharping treibt die Frage um: Wer steht zur Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: So, jetzt ist Schluß! Wahl? Herr Scharping, daß Sie die Frage stellen, ver- stehe ich überhaupt nicht.

Dr. Gregor Gysi (PDS): Sie brauchen ihn dringend, (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der weil Sie Opposition brauchen. F.D.P.) (Beifall bei der PDS) Es stehen doch zwei Kandidaten zur Wahl. Es stehen zur Wahl: Gerhard Schröder, Ihr Kandidat, Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Es spricht jetzt Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) - und Helmut Kohl, der Kandidat der CDU/CSU. Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler (von der CDU/ CSU sowie von Abgeordneten der F.D.P. mit Beifall (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge begrüßt): Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- ordneten der F.D.P.) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23053

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl Herr Fischer, Sie stehen nicht zur Wahl. - das hat gerade jemand gesagt -, mit der Bedro- hung, die aus der Krise in Rußland entstehen könnte, (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der Wahlkampf machen! Ich habe so einen Wahlkampf F.D.P.) nie geführt. Als ich heute Ihre laute Stimme hörte, dachte ich: (Zuruf von der SPD: Aber Herr Hintze!) Das ist doch der Klang der Stimme von der Startbahn West. Seien Sie vorsichtig, sonst sind Sie der erste Aber wenn ich mir anschaue, wie Sie 1983 und 1987 Startbahn-West-Kämpfer mit Pensionsanspruch. Das im Zusammenhang mit der Stationierungsdebatte könnte Ihnen passieren. Wahlkampf mit der Kriegsangst der Menschen ge- macht haben, (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.) (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!) wie ausgerechnet Herr Rau über das Land zog und Was soll das eigentlich? Lassen Sie doch die Wäh- ler sprechen! den Menschen Angst einjagte und die Kriegswit- wen mobilisierte - so schäbig hat sich außer Ihnen (Zustimmung bei der SPD) niemand in der jüngsten deutschen Politik verhal- ten. Ich habe etwas dagegen, vor einer Wahl dauernd zu sagen, wer gewinnen wird. Lassen Sie doch die Wäh- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ler sprechen; sie sollen entscheiden! Die Wähler Trotz aller Auseinandersetzungen sollten wir in haben ein klares Personalangebot, und sie haben ein dieser Stunde - ungeachtet aller parteipolitischen klares Programmangebot. Es ist doch nur berechtigt, Unterschiede - noch in der Lage sein, nationale Inter- wenn sich die Wähler die Programme anschauen und essen zu erkennen. Trotz allem, was im Wahlkampf - mißtrauisch, wie Menschen gegenüber Papier sind wichtig ist, können wir nicht Abschied nehmen von - die Frage stellen: Was steht zwischen den Zeilen, der Weltpolitik. Daß krisenhafte Entwicklungen in und wer verkörpert diese Politik? der Welt, jetzt in Rußland, im Kosovo und im Wäh- rungsbereich in Asien, uns zutiefst berühren, müssen Herr Scharping, wenn Sie von Verfallsdaten spre- wir auch den Wählern sagen. Wir müssen ihnen chen: Überlassen Sie die Entscheidung doch dem sagen, daß hier etwas geschieht, was äußerste Vor- Wähler! Ich sehe dieser Entscheidung mit Ruhe ent- sicht und große Klugheit erfordert. Denn der Wohl- gegen, denn ich habe ja inzwischen Erfahrungen mit stand unseres Landes als Exportland Nummer 2 in Ihren Prophezeiungen. der Welt hängt entscheidend davon ab, was sich jetzt 1983 hieß es: In wenigen Wochen ist er weg vom im Währungsbereich in Asien, in Rußland und an- Fenster. 1987 haben Sie es mit einem neuen Kandi- derswo ereignet. Ich bin massiv dagegen, daß es jetzt daten nicht mehr auf die harte, sondern auf die sanfte schon wieder die eine oder andere Gurustimme gibt, Tour versucht. Dann kam Oskar Lafontaine, und die, obwohl man noch gar nicht weiß, wie die Dinge auch der ist es nicht geworden. Dann war Herr Schar- weitergehen, öffentlich behauptet: Das wird alles zu ping Kandidat - zwischendurch gab es übrigens dieser oder jener Verringerung bei der Zuwachsrate noch Engholm; der ist fast vergessen, aber der war des Bruttosozialprodukts führen. Ich habe etwas da- auch kein Kandidat -, und jetzt ist es Herr Schröder. gegen, die Chancen, ein Ereignis in einer guten Wo steht eigentlich geschrieben - warum sollte ich Weise zu lenken, von vornherein mieszumachen. Ich Ihnen die Hoffnung nehmen, Herr Scharping? -, daß bin strikt dagegen, so zu denken; aber ich bin st rikt Sie nicht beim nächstenmal wieder der Kandidat dafür, unsere Verantwortung wahrzunehmen. Das ist sind? es, was wir jetzt brauchen. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) und der F.D.P.) Wir alle können stolz darauf sein, daß Deutschland heute ein ruhender Pol in der Völkergemeinschaft Herr Scharping, Sie kennen doch die Kalenderdaten. und eines der einflußreichsten Länder in der westli- Wenn es nach dem Kalender geht, wird das so sein. chen Welt ist. Ich denke nicht im Traum daran, das Aber wir sollten uns nicht über das übernächste Mal etwa auf meine Person zu konzentrieren. Alle meine unterhalten, sondern über das nächste Mal. Das ist Amtsvorgänger haben an diesem Wege mitgearbei- das, was uns bevorsteht, und im Hinblick darauf wol- tet, jeder zu seiner Zeit und jeder unter ganz be- len wir miteinander um den besten Weg für die Zu- stimmten Bedingungen. Es ist wahr, daß , für kunft ringen. die ich Verantwortung trage, etwas länger ist, daß Man kann diese Debatte heute nicht führen, ohne die weltpolitischen Veränderungen etwas dramati- wenigstens ein kurzes Wo rt zur internationalen Lage scher waren und daß deswegen viele darauf zu sagen. Lassen Sie doch diesen Unsinn, der hier schauen, was die Bundesregierung - der Bundes- aufgebracht wird, als wolle jemand mit der gegen- außenminister, der Bundeskanzler, der Bundesvertei- wärtigen schwierigen internationalen Lage, etwa mit digungsminister, alle, die Verantwortung tragen - der schrecklichen Gefahr für die Menschen im Ko- heute tut und für welche Politik sie steht. Es ist doch sovo verständlich, daß auf diejenigen schaut, die als Alternative auftreten. Es ist doch verständlich, (Zuruf von der SPD: Das hat doch niemand daß die Welt sagt: „Um Gottes willen, was steht uns gesagt!) da ins Haus", wenn ein Schattenaußenminister ge- 23054 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl nannt wird, über den jeder in der Welt den Kopf Länder dieser Erde, auch wenn es im Moment schüttelt. schwierige politische und wi rtschaftliche Probleme hat. Es wird aber wieder an die Spitze kommen; (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) daran habe ich gar keinen Zweifel. Es ist vor allem Es ist kein Grund zur Kritik, sondern ein Grund zur unser mächtigster Nachbar im Osten. Die Lage in Freude, daß die Bundesrepublik Deutschland zwei Mittel-, Ost- und Südosteuropa hängt entscheidend Jahre vor dem Ende dieses Jahrhunderts - mit all davon ab, daß auch die Lage in Moskau stabilisiert dem, was in dieser Zeit an Schrecklichem in deut- wird. Deswegen ist es doch nur natürlich, daß alle, schem Namen geschehen ist - ausgezeichnete Bezie- aber insbesondere die Deutschen, alles tun, um in hungen zu Washington, Pa ris, London, Moskau und diesem Sinne zu wirken. auch zu Tokio und Peking hat. Natürlich haben wir uns die Verhältnisse nicht aussuchen können. Die Das heißt aber auch, daß wir unseren russischen Volksrepublik China ist mit 1,3 Milliarden Menschen Freunden sagen: Ihr könnt nur Hilfe zur Selbsthilfe ein gewichtiger Faktor in der Weltpolitik. Mit dem, erhalten. Die entscheidenden Maßnahmen müssen was Sie hier sagen, kommen Sie international nicht im eigenen Land ergriffen werden: vom Präsidenten, weiter. Wenn Sie - was niemand glaubt - je in das dem künftigen Ministerpräsidenten, dem Parlament Amt des Außenministers kämen, dann müßten Sie und den Verantwortlichen in der Gesellschaft. auch mit dem chinesischen Außenminister bei den Ebenso klar sage ich, daß es abwegig ist, in dieser Si- Vereinten Nationen zusammenarbeiten. Es ist nicht tuation wieder von Geld zu reden, denn die Russen auszudenken, welche Auswirkungen es hätte, wenn müssen zunächst ihre Verpflichtungen einhalten, Sie dort solche Reden wie hier in diesem Hause hal- weil sonst auch in unserem Land und in Europa die ten würden. Zustimmung zu einer Politik der Hilfe auf der Strecke bleiben wird. Das will ich klar und deutlich sagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich sage mit Stolz: Wir genießen weltweit hohes Ansehen, vor allem als berechenbarer, verläßlicher Meine Damen und Herren, wir haben Beiträge, Partner. Unser Rat und unser Beitrag sind gefragt. auch finanzieller Art, für die Entwicklung Rußlands Ich sage noch einmal - das ist auch für die bevorste- geleistet. Warum? Weil es unser mächtigster Nachbar hende Wahl wichtig -: Das Vertrauen, das Deutsch- ist und die Lage in der Region entscheidend von die- land genießt, ist ein kostbares außenpolitisches Kapi- sem Land beeinflußt wird. Rußland hat mit Murren - tal. Wir haben es in Jahrzehnten ha rt erarbeitet. Um der Präsident hat es gestern wieder kritisiert - und es klar zu sagen: Ich denke nicht daran, es aufs Spiel zum Teil zähneknirschend akzeptiert, daß Polen, zu setzen. Tschechien und Ungarn in die NATO aufgenommen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) werden. Wer hätte das heute vor zehn Jahren für möglich gehalten? Es ist mit Blick auf mein Amt überhaupt nichts Be- sonderes, daß ich in diesen kritischen Tagen jede (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Chance wahrnehme, mit den Verantwortlichen in Moskau und Washington und mit meinen Kollegin- Das ist doch ein Erfolg unserer zähen Verhandlungs- nen und Kollegen in der EU über die Entwicklung in politik. Es besteht im übrigen eine Dankesschuld ge- Rußland zu sprechen. Ich bin froh, daß wir volle genüber unseren Nachbarn. Wir haben den Polen Übereinstimmung haben, gerade in der Europäi- immer zugerufen: Wenn ihr euer kommunistisches schen Union. Wir stimmen darin überein, daß die Sta- Regime loswerdet, seid ihr herzlich willkommen. - Es bilität Rußlands und der Fortgang seiner politischen ist doch auch eine Frage der inneren Stabilität unse- und wirtschaftlichen Reformen von existentieller Be- rer Region, daß an der Oder nicht nur die Grenze zur deutung für die Entwicklung Europas und natürlich EU fällt, indem sie ostwärts verschoben wird, sondern auch Deutschlands sind. Aber ich mische mich nicht daß die Oder auch keine NATO-Grenze mehr ist. Das in die Entscheidungen Rußlands ein. Wenn ich hier ist Teil deutscher Sicherheitspolitik. Dafür treten wir sage - alle meine Kollegen denken so -, daß wir hof- ein; dabei bleiben wir. fen, daß Tschernomyrdin durch die Duma die Bestäti- gung für das Amt des Ministerpräsidenten erhält, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) dann steht dahinter die Hoffnung, daß damit wieder ein Mann - was immer er sonst in vielen Bereichen Beim Besuch von in der Ukraine denken mag - ins Amt kommt, der in der Lage ist, geht es in diesen Tagen darum - in dieser Frage mit Augenmaß, aber auch mit Mut die notwendigen stimmen wir völlig überein -, dieses große und im Entscheidungen im Hinblick auf Reformen zu treffen. Wortsinn mächtige Land der Zukunft zu stabilisie- Ohne diese Reformen, ohne Rechtsstaat, ohne frei- ren, ein Land, das - nimmt man die EU zum Maßstab heitliche Demokratie, ohne marktwirtschaftliche - nach der Bundesrepublik Deutschland das zweit- Ordnung und damit vor allem ohne die Chance zu größte ist. sozialer Stabilität wird Rußland keine gute Entwick- Wir haben hier auch über das Baltikum diskutiert. lung nehmen. Wir haben eine lange Tradition der Beziehungen mit Wer darüber redet, sollte wenigstens einmal eine den baltischen Staaten, wobei der Verrat Hitlers Minute darüber nachdenken, was es bedeutet, wenn schlechte Erinnerungen hervorruft. Für die balti- die Dinge in Rußland nicht gut laufen. Rußland ist schen Staaten ist es doch existentiell, daß sich die nicht irgendein Land. Es ist eines der mächtigsten Dinge in Moskau so entwickeln, daß sie ihren Weg in Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23055 Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl der Geschichte selbständig gehen können. Wir brau- über diskutiert, daß unser Handeln Geld kostet. Denn chen darüber doch nicht zu debattieren. wir haben 1945 und in den folgenden Jahren selbst er- lebt, daß andere uns gehollen haben. Trotz all unserer (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Probleme gehören wir immer noch zu den Ländern in Das alles hängt mit dem zusammen, was wir hier jetzt der Welt, denen es am besten geht. Deswegen ist es auf den Weg bringen können. selbstverständlich, daß wir anderen helfen. Es ist noch eine letzte Frage offen - der Minister- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) präsident des Saarlandes hatte gestern die Güte, das Thema wieder anzusprechen -: unsere Zahlungen an Wir haben gesagt, daß wir so lange helfen, bis die Rußland. Es ist wahr, meine Damen und Herren, daß Menschen nach Hause zurückkehren und ihre Häu- wir erhebliche Gelder bezahlt haben. Ich erinnere ser, Schulen und Fabriken wieder aufbauen können. mich aber an Debatten aus den Jahren 1986 bis 1988, Es ist eine gute Sache, daß dieser Prozeß in Bewe- als ganz andere Zahlen im Raume standen. Wir ha- gung gekommen ist. Wir werden ihn weiterhin unter- ben damals gesagt: Das zahlen wir gerne, wenn wir stützen. Aber die EU-Länder - ich sehe einmal von die deutsche Einheit bekommen. Jetzt haben wir Österreich ab - und andere Länder haben in dieser nicht nur die deutsche Einheit erreicht - ich komme Frage im Vergleich zu uns einen Nachholbedarf. Wir darauf noch zu sprechen -, sondern wir haben auch haben mehr als doppelt soviel Flüchtlinge aufgenom- noch einen fristgerechten Abzug der russischen men wie alle anderen Länder in Europa. Ich sage das Truppen erleben dürfen. nicht, um uns zu rühmen, sondern um diese Tatsache festzustellen. Wir brauchen keine Vorträge über Aus- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) länderfreundlichkeit. Wir sind ein ausländerfreundli- Meine Damen und Herren, alle, die jetzt über Boris ches Land und werden es bleiben. Jelzin herfallen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Michael Glos [CDU/CSU]: Herr Schar- Jeder kann - wenige Wochen vor dem Eintritt des ping!) Winters - erahnen, daß eine weitere humanitäre Ka- und mit der konkreten Situation ihren Spott treiben - tastrophe, die Gott verhüten möge, heraufzieht. Des- vor einiger Zeit konnten sie übrigens gar nicht tief wegen müssen EU und NATO alles tun, um ihren genug ihren Diener machen -, will ich daran erin- Einfluß geltend zu machen, daß in dieser Situation - nern, daß es allein dieser Mann war, der 1993/94 ge- sie ist schwieriger als die in Bosnien-Herzegowina, sagt hat: Wir ziehen ab. - Er hat dies gesagt, obwohl weil auf beiden Seiten Intoleranz und vor allem die damals auch die deutsche Seite durchaus Anlaß ge- Unfähigkeit, miteinander zu sprechen, aufgekom- boten hat, über eine Verschiebung ernsthaft nachzu- men sind - die Gewalt ein Ende nimmt, daß es zu denken, wenn man gewollt hätte. Unsere Position Verhandlungen über eine Lösung des Konflikts war nämlich auf Grund der örtlichen Verhältnisse kommt und daß eine umfassende Selbstverwaltung nicht sehr stark. Ich sage dies ohne Vorwurf. Damals möglich wird. Das alles muß jetzt geschehen. Es ist kam das Jahr 1998 als Abzugsjahr in die Diskussion. berechtigt, wenn wir Deutsche, die einen besonderen Daß aber unsere Vorstellungen so umgesetzt wurden, humanitären Auftrag haben, dies all unseren Nach- wie wir sie ausgehandelt hatten, zeigt doch, wie barn sagen. wichtig es ist, sich im guten Kontakt mit Freunden Ich komme zu einer anderen dramatischen Ent- und Partnern gegenseitig nur das Vertretbare zuzu- wicklung in der Welt, nämlich zu der Entwicklung in muten. Diesen Punkt wollte ich heute noch einmal Europa. Wir dürfen nie vergessen - die Entscheidung mit großer Deutlichkeit hervorheben. hinsichtlich des Kosovo hat in diesem Fall viel mit un- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) serer Glaubwürdigkeit zu tun -, daß die deutsche Einigung ohne die Einigung Europas nicht möglich Damit kommen wir automatisch zu einem anderen gewesen wäre. Herr Ministerpräsident Lafontaine, Thema, bei dem ohne Rußland wiederum nichts lau- von mir kennen Sie keine Äußerung - Sie haben ge- fen würde, nämlich zu der Entwicklung im früheren stern wieder eine entsprechende Fama aufgebaut -, Jugoslawien und jetzt vor allem im Kosovo, wo sich daß ich mich als Vater des Euro bezeichne. die Lage dramatisch zuspitzt und wo wir, die Deut- schen, unseren humanitären Verpflichtungen selbst- (Zuruf von der Bundesratsbank) verständlich nachkommen. Ich brauche in dieser - Ich weiß doch, was Sie noch gestern gesagt haben. Frage von niemandem, auch nicht von den USA und von anderen Ländern, Nachhilfe, wie wir uns gegen- (Zuruf: Großvater!) über Flüchtlingen verhalten sollen. - Hören Sie: Großvater ist keine schlechte Position. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Als die Not am größten war - Massenerschießungen, Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Sehr Massenvergewaltigungen, ethnische Vertreibung -, gut!) haben wir das getan, was für ein Volk mit moralischem Ich bin ganz zufrieden, daß ich Großvater bin. An Ih- Anspruch selbstverständlich ist. Wir haben gesagt: rer Stelle würde ich aber in Anbetracht Ihrer politi- Wenn die Menschen do rt unterzugehen drohen, kön- schen Enkel nicht gern Großvater sein. nen wir das nicht zulassen und nehmen sie auf Zeit auf. So sind über 300000 Flüchtlinge zu uns gekom- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU men. Wir haben in diesem Zusammenhang nie dar- und der F.D.P.) 23056 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl Wir haben den Euro, genauso wie die EU, gemein- Dieser bedeutende politische Denker hat beg riffen, sam auf den Weg gebracht. Wahr ist doch - wir müs- was es für die Deutschen heißt, nach 50 Jahren die sen uns doch nicht schämen, das gegenseitig einzu- D-Mark aufzugeben, daß die D-Mark nicht irgend- gestehen -: Die EG ist in die EU umgewandelt wor- eine Währung war und ist, sondern eine Lebenser- den - bis hin zum Währungsbereich -, weil viele fahrung. Er hat gesagt: Leute, wir brauchen die Deut- unserer Nachbarn 1989/90 die Gefahr sahen, daß die schen. Die Deutschen sind auch währungspolitisch Deutschen „wegschwimmen" . eine Säule. - In diesem Geist haben wir die Entschei- dung gefällt. (Ministerpräsident Oskar Lafontaine [Saar- land]: Das habe ich gestern gesagt!) Wissen Sie, was sich da ausgezahlt hat? Daß Män- ner wie und Theo Waigel in vie- - Herr Ministerpräsident Lafontaine, dafür sind Sie len schwierigen, endlosen Sitzungen auf internatio- aber der schlechteste Ratgeber. Sie waren doch ge- nalen Konferenzen, in denen es um währungspoliti- gen den Nato-Doppelbeschluß, genauso wie Herr sche Entscheidungen ging, zwar immer unsere eige- Schröder. Sie haben doch das Mißtrauen in der Welt nen Interessen im Blick hatten, aber vor allem - und gesät, durch Ihre Politik. das macht Politik aus - nach den gemeinsamen Inter- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) essen gefragt haben. Diese Männer haben beg riffen, daß man Politik nicht - schon gar nicht im internatio- Ich bin der letzte, der bestreitet, daß der französi- nalen Bereich - am Kalender und an tagespolitischen sche Staatspräsident François Mitterrand bei diesen Ereignissen ausrichten kann. Auch in diesem Sinne Fragen entscheidend mitgewirkt hat. Wir sind, wie stimmt es, daß man sich im Leben immer wiedersieht. jeder weiß, freundschaftlich verbunden gewesen. Das hat sich für uns ausgezahlt. Am Anfang des Prozesses der deutschen Einheit wa- ren wir in dieser Frage nicht immer einig. Er hat nach (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) seinem Ausscheiden aus dem Amt immerhin noch ein Buch darüber geschrieben. Es war einer der gro- Daß die Erfolgsgeschichte der D-Mark nach 50 Jah- ßen Glücksfälle für Deutschland, daß dieser Mann im ren in eine Erfolgsgeschichte des Euro übergeht, ist entscheidenden Augenblick Präsident der Französi- heute ganz unbestreitbar. Wenn ich mir Sie an- schen Republik war. Ich bin dankbar, daß wir das er- schaue, frage ich mich manchmal: Wo lebe ich lebt haben. eigentlich? (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. (Lachen und Zurufe von der SPD und dem sowie bei Abgeordneten der SPD) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Joseph ] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Dann haben wir in Sachen Währung etwas ent- Fischer [Frankfu rt schieden, was viele für gänzlich unmöglich gehalten NEN]: Gute Frage!) haben. Es ist eigenartig, daß Sie - jetzt wieder - Theo - Schauen Sie sich doch einmal an, was Sie in der De- Waigel angegriffen haben. Das Zitat „Der Euro batte vor gerade einem Jahr im Blick auf die Kriterien spricht deutsch" stammt zudem nicht von ihm. Es ist von Maastricht alles gesagt haben. Alles war falsch - von den Franzosen geprägt worden - halb aus Aner- alles, ohne Ausnahme! kennung, halb aus Mißbehagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Ministerpräsident Oskar Lafontaine [Saar- land]: Das ist es doch!) Meine Damen und Herren, natürlich hatten wir in - Wenn ein französischer Staatspräsident diese Mei- dieser geschichtlichen Stunde auch Schwierigkeiten nung hat, muß er doch nicht Sie in Saarbrücken fra- und haben gelegentlich Fehler gemacht. Aber wir gen. Wo kommen wir denn da hin? wußten: Wenn wir, die Deutschen, die Kriterien nicht seriös erfüllen, bricht das Ganze zusammen. Deshalb (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU haben wir wirklich Tag und Nacht darüber nachge- und der F.D.P.) dacht. Herr Ministerpräsident, wenn Sie wollen, können Eine ganz andere Sache aber ist: Die Gurus haben wir heute abend ein Kolloquium über saarländische nicht recht behalten, auch alle diejenigen nicht, die Politik machen. Sie wissen, ich bin darin Spezialist. uns gesagt haben, mit dem Euro werde die D-Mark Aber ich würde an Ihrer Stelle nicht darauf eingehen, destabilisiert und werde uns der europäische Markt in der Frage schon gar nicht. verlorengehen. in dieser Weise kam, hat eine Menge Daß der Euro Ich habe niemals gesagt - dies ist vorhin behauptet Gründe. Warum soll man nicht auch diese nennen: worden, ich glaube, von Herrn Fischer; er liest viel, Da war die Angst, die Deutschen könnten eine Hege- aber ob er immer alles behält, das weiß ich nicht -, monie errichten. Dies war in einer dramatischen Nacht mit Händen greifbar. Damals - ich will das (Heiterheit bei der CDU/CSU) noch einmal erwähnen - hat François Mitterrand den Ausschlag gegeben. Als der Reihe nach gefragt wir hätten die japanische Karte gespielt. Das habe wurde, wo der Sitz der Europäischen Zentralbank ich nie gesagt. Sie verwechseln mich mit jemand an- sein solle, hat François Mitterrand - er war der vor-- derem. Ich habe immer gesagt: Das ist eine andere letzte Redner - gesagt: „Frankreich" - er sprach nie Kultur, vor der ich Respekt habe; wir haben unsere in der Ich-Form - „stimmt für Frankfu rt ". Da konnte eigenen Möglichkeiten. Wenn man glaubt, daß das niemand gegen Frankfu rt stimmen. Sozialsystem Japans auf uns zu übertragen ist, muß Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23057

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl man jenseits des Mondes leben. Das war nie meine politik nicht unter die Bürokraten fallen! Wo sie recht Meinung. haben, haben sie doch recht.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU - Joseph Herr Scharping, Sie sind doch Vorsitzender der Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- europäischen Sozialisten. Sie könnten doch einmal NEN]: Das hat die F.D.P. erzählt!) bei Ihren Kollegen für etwas Vernunft auf diesem Ge- - Nun gut, auch die F.D.P. ist eine freie Partei. Herr biet werben. Die Strukturpolitik braucht ausreichen- Fischer, wenn ich die Meinungsverschiedenheiten den Spielraum für eine eigenständige nationale Re- innerhalb der F.D.P. und in Ihrer Partei betrachte, gionalpolitik. dann kann ich nur sagen: Wie können Sie überhaupt von einer Partei reden? In Wahrheit sind Sie es auch Ähnliches gilt auch für die Finanzfragen. Warum gar nicht. sagen Sie das, was Sie auch heute wieder behauptet haben, wider besseres Wissen? Sie werfen uns die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Dublin-Entscheidung zu den Finanzen aus dem ordneten der F.D.P.) Jahre 1992 vor. Was hätte ich, was hätte Herr Waigel oder der Außenminister 1992 anderes machen kön- Wenn Sie der F.D.P. vorwerfen, es gebe sie nicht in nen? Wir waren damals in der entscheidenden Phase, den neuen Ländern, kann ich nur fragen: Wo sind Sie in der sich unsere europäischen Nachbarn in der EU denn in den neuen Ländern? gerade mühsam an die deutsche Einheit gewöhnten. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der Ich mußte bei beinahe jeder Entscheidung zur Kennt- F.D.P.) nis nehmen, daß dieser oder jener nur äußerst zöger- lich die Konsequenzen aus der deutschen Einheit Die Leute sind Ihnen doch alle davongelaufen. Mit zog, und zwar auch im Rahmen der EU-Politik. In den früheren Bürgerrechtsbewegungen haben Sie dieser Situation hinzugehen und nach altem, „er- doch gar nichts mehr im Sinn. probtem" Wesen - das uns in diesem Jahrhundert ein (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Drittel des Reichsgebietes gekostet hat - zu sagen, DIE GRÜNEN]: Das meinen auch nur Sie!) am deutschen Wesen soll die Welt genesen, wäre doch keine verantwortliche Politik gewesen. Sie sind doch auf dem Weg, um jeden Preis an die Macht zu kommen. Alles, was Sie einmal beschwo- Wenn Theo Waigel, von mir voll unterstützt, sagt, ren haben, haben Sie doch längst in den Rhein ge- es sind viele Jahre vorbei, es sind durch unser Zutun worfen. Das ist doch die Wahrheit. Länder vor zwölf oder mehr Jahren in die EU ge- kommen, die jetzt eine ganz andere Bilanz haben - (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Länder, die mir sehr sympathisch sind, wenn ich an Jetzt stehen wir vor einer wichtigen Weichenstel- Irland mit seinen Zuwachsraten denke -, und daraus lung. Ich fürchte, manche von uns haben dies - ich müssen wir Konsequenzen ziehen, dann kann ich sage dies ohne Vorwurf, weil die Innenpolitik aus doch nicht sagen: Weil das vor über zehn Jahren vielen Gründen notwendigerweise dominiert - aus oder, wenn Sie bestimmte Luxemburger Entschei- den Augen verloren. Wir treten jetzt innerhalb der dungen nehmen, gar vor zwanzig Jahren so war, Europäischen Union in eine neue Phase ein. Der muß das mit der Lastenverteilung in der EU immer Euro ist die eine Sache; aber es geht auch um die in- so bleiben. Sie sind doch angeblich für Reformen. nere Struktur der Europäischen Union. Es geht um Dann sagen Sie doch: Der Kohl hat recht. Sie kön- die Abgrenzung der Kompetenzen, um größere Bür- nen als der Vorsitzende der europäischen Sozialisten gernähe; es geht um die Erweiterung. Machen Sie doch wenigstens einmal sagen: Er hat zwar grund- sich doch keine Illusionen, Herr Fischer! Ich gebe sätzlich nie recht, aber in dieser einen Sache hat er Ihnen recht: Wenn die Funktionsträger der EU jetzt recht. geheim abstimmen würden - so, daß niemand nach- weisen könnte, wie von dem einzelnen abgestimmt (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) worden ist -, wäre ich nicht sicher, ob es eine Mehr- Deswegen ist es für mich wichtig, daß wir auf die- heit für die Erweiterung gäbe. Das aber kann nicht sem Kurs bleiben. Berechtigt ist auch, über das Geld unsere Politik sein. Für die Deutschen ist es schick- zu reden. Sie kennen die Zahlen doch. Lassen Sie salhaft, daß die Länder Mittelost- und Südosteuropas einmal die deutschen Zahlen weg! Wenn das so fo den Weg in die Europäische Union finden; denn nur rt -geschrieben wird, ist es beispielsweise für unsere so werden wir auch im nächsten Jahrhundert Frieden Nachbarn in Wien völlig unerträglich. Das ist doch und Freiheit haben. nicht nur eine Sache, die uns bet rifft. Deswegen re- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) den wir darüber. Wir machen es nicht mit einer Droh- gebärde. Wir wollen nur ein Stück mehr Gerechtig- Wenn es um die konsequente Beachtung des Sub- keit. Da ich heute dauernd höre, Sie sind für Gerech- sidiaritätsprinzips geht, muß ich Ihnen sagen: Da tigkeit, fordere ich Sie auf: Machen Sie mit, und tun habe ich die ganze Ministerpräsidentenkonferenz Sie etwas auf diesem Weg, dann kommen wir wieder hinter mir, und das will schon etwas heißen. Das ist ja einmal zusammen ein Stück weiter voran. nicht irgendeine Vereinigung, sondern ein hochan- ständiges und achtbares Gremium; ich selbst gehörte Damit bin ich in der Generaldebatte bei der Innen- ihm an. Deswegen weiß ich auch, daß es richtig ist, politik. wenn sie mir sagen: Dränge auf die Subsidiarität, dränge darauf, daß wir in der regionalen Struktur- (Dr. Peter Struck [SPD]: Aha!) 23058 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl - Haben Sie etwas dagegen, daß der deutsche Bun- Daß dann das Tor aufging, war großartig. Dafür deskanzler in dieser Situation zur Außenpolitik re- danken wir Michail Gorbatschow, George Bush und det? denen, die uns geholfen haben, aber auch und nicht zuletzt den Menschen auf den Straßen und Plätzen (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ der damaligen DDR, die eben nicht geglaubt haben, DIE GRÜNEN: Nein!) was führende Sozialdemokraten sagten: Die Idee der Das zeigt nur die Provinzialität, in der Sie versunken Einheit ist überlebt, wir können sie aufgeben. Andere haben sie - die haben das nicht so laut gesagt sind. - verraten. Nein, sie haben denen geglaubt, die (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und durch Wind und Wetter hindurch gesagt haben: der F.D.P.) Wann es sein wird, wissen wir nicht, aber die Idee der Einheit der Nation wird Wirklichkeit werden, Sie haben jetzt ein Thema - wir wollen es einmal wenn das Volk selbst es will. Das haben wir durchge- durchdeklinieren -: 16 Jahre. Sprechen wir darüber setzt, und dafür stehen wir. was war, was ist und was wir für die Zukunft wollen. Ich sage als erstes, so wie es auch (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gestern wunderschön belegt hat: Es waren 16 gute Jahre, und das werden Sie auch am Wahltag merken. Meine Damen und Herren, daß wir in der Zeit 1989, 1990, 1991 nicht in der Lage waren, ein perfek- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) tes Programm vorzulegen, und daß wir und nicht zu- letzt ich Fehler gemacht haben, habe ich oft genug Aber dieses Jahr, 1998, ist so, wie es jetzt ist - übri- gesagt. Ich war in der Verantwortung und stehe auch gens kann auch Ihr Wahlkampf nur auf einer solchen für diese Fehler ein. Aber in den Grundfragen der Basis geführt werden -, nur denkbar und möglich, Nation hat unser Kompaß gestimmt. Ich wäre nie, weil das alles eine Vorgeschichte hat. Wenn Sie jetzt nicht eine Minute, auf den Gedanken gekommen, wieder damit anfangen, man dürfe nicht über Außen- daß ein verantwortlicher deutscher Politiker, ein politik reden, muß ich noch einmal sagen: Sie waren Ministerpräsident, in dieser Schicksalsstunde unse- es, die in Deutschland Angst zu einem Mittel der res Volkes - in einem Moment, in dem die Leipziger Politik machten. Nicht ich bin der Erfinder des gerufen haben: Wenn die D-Mark nicht nach Leipzig NATO-Doppelbeschlusses, das war Helmut Schmidt. kommt, gehen die Leipziger zur D-Mark - gegen den Er ist und war ein kluger Mann. Aber Sie haben ihn Vertrag über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozial- doch wegen des NATO-Doppelbeschlusses gestürzt. union stimmen könnte. Aber Sie beide, die Sie hier Die Helden, die das getan haben, sitzen doch zum sitzen, haben das getan. Teil hier auf dieser Bank. (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) der F.D.P.) Sie haben doch die Straße hier in Bonn und anderswo In vier Wochen ist der achte Jahrestag der deut- mobilisiert; das können Sie, das haben wir auch beim schen Einheit. Es ist doch ganz offenkundig, daß wir Kohle-Kompromiß erlebt. Aber Sie haben nichts er- in diesen acht Jahren weit vorangekommen sind. Sie reicht. Was haben Sie für einen Spott über uns und es akzeptieren, was Kurt Bieden- über mich ausgeschüttet, als ich sagte: Frieden schaf- müssen ja nicht a ll kopf gestern hier gesagt hat. Aber er hat doch in sei- fen mit weniger Waffen! Ich kann heute in Deutsch- ganz unwiderlegbar die Fakten land vermelden: Wir haben weniger Waffen auf un- ner eindeutigen A rt dargestellt. Er hat nicht gesagt, es sei alles bestens. serem Territorium als in langer Zeit unserer Ge- Aber er hat gesagt, daß wir ein großes Stück voran- schichte. Das ist ein Erfolg unserer Friedenspolitik. gekommen sind. Das sagen auch viele Leute in den (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und neuen Ländern, übrigens auch Sozialdemokraten, der F.D.P.) wenn sie nicht im Wahlkampf sind. Gehen Sie doch einmal zu einigen Landesregierungen, die vor Ort ar- Machen Sie nun nicht auch noch eine solche Ge- beiten und wirklich sehen können, was geschehen schichtsfälschung hinsichtlich der Ereignisse vor ist. Sprechen Sie doch einmal mit Ihrem Oberbürger- neun Jahren. Ich finde es falsch. Daß es vor neun meisterkandidaten in Potsdam, den ich im Oderbruch Jahren zu dieser Entscheidung kam, verdanken wir getroffen habe. Der Mann sieht doch, was sich dort den Ereignissen in folgender Reihenfolge: der Ent- entwickelt hat. wicklung in Moskau, als die sowjetische Wirtschaft unter dem Druck der Überrüstung zusammenzubre- Natürlich ist das ein schwieriger Weg. Ich kann chen drohte und Michail Gorbatschow erkannte, er aber nur immer wieder allen, die wie ich aus dem müsse abrüsten, und dem Umstand, daß er in Westen, vom Rhein kommen, sagen: Redet nicht über Amerika auf Präsidenten traf - zunächst auf Ronald die Leute jenseits der damaligen Grenze; wir hatten Reagan, aber dann vor allem auf George Bush -, die nicht deren Lebensbiographie, und es gab do rt an- dieses Gespräch mit ihm aufgenommen haben. Ohne dere Einflüsse und Denkkategorien. Überlegen Sie diese beiden Voraussetzungen - das sage ich mit doch einmal: In ein paar Wochen wählen jetzt 18jäh- aller Härte - hätten alle Demonstrationen in Leipzig, rige in Chemnitz, Leipzig und Schwe rin zum ersten- Chemnitz und sonstwo, vor denen ich den allergröß- mal. Vor neun Jahren waren sie noch in dem, was wir ten Respekt habe - denn diese Leute haben Mut ge- Grundschule nennen würden. Sie waren einem völlig habt -, nicht zum Erfolg geführt. Das wissen Sie so anderen Einfluß von Lehrern und staatlichen Institu- gut wie ich. tionen ausgesetzt. Wer hat ihnen denn - ich meine Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23059

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl jetzt nicht materiell, sondern mental - im täglichen sehen Sie die alten Halden früherer Betriebe, in de- Umfeld geholfen, zumal auch ihre Eltern nach 40 Jah- nen 4000 Menschen beschäftigt waren. Heute sind es ren DDR unsere Erfahrungen nicht hatten? Nun nur noch 400. Das ist ein Teil des Problems, nämlich regen sich alle auf und sagen, die jungen Leute seien daß die Modernisierung Arbeitsplätze kostet und daß auf Irrwegen. Die sind in ihrer großen Mehrheit nicht wir gleichzeitig neue, sichere Arbeitsplätze schaffen auf Irrwegen. Wir müssen bloß - hier bin ich mit Willy müssen. Brandt einig - denen helfen, die sich zu Links- und Rechtsradikalen verlaufen haben, zur politischen Wie sah es denn im Bereich der Telekommunika- Mitte zu finden. Aber ich spreche von Links- und tion vor zehn Jahren aus? Wer hat denn vor zehn Jah- Rechtsradikalen gleichermaßen, und eine Seite da- ren telefoniert? Niemand, nur die hat abgehört. von beachten Sie in der SPD nicht mehr. (Heiterkeit des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) [F.D.P.]) Es ist ja bemerkenswert, daß in der Debatte bis Jetzt hat Ostdeutschland das modernste Telekommu- jetzt der Vorwurf, es gebe keine blühenden Land- nikationssystem in Europa. Das ist doch nicht vom schaften, nicht gekommen ist. Warum nicht? Weil Sie Himmel gefallen. Hier wurde etwas geleistet. das in den neuen Ländern nicht mehr sagen können. Ich höre hier dauernd, Herr Scharping, daß Sie mit (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) den Leuten reden. Ich rede nun wirklich mit vielen Leuten, vielleicht mit mehr Menschen als viele an- In den Jahren nach der Wiedervereinigung sind dere, und höre natürlich ein großes Maß an Kritik. 550 000 Wohnungen in Ostdeutschland neu gebaut worden. Die Hälfte des dortigen Wohnungsbestandes Aber jetzt höre ich durchgängig - etwa aus den Kir- chen - eine andere Botschaft. Sie haben doch gerade ist modernisiert worden. die Bischöfe zitiert. Zitieren Sie dann doch auch ein- Jetzt möchte ich ein Thema ansprechen, zu dem mal das Bischofswort der evangelischen und der ka- ich von Ihnen noch gar nichts gehört habe, nämlich tholischen Kirche von Mecklenburg-Vorpommern; da das Thema Rente. Wo waren Sie eigentlich, als Nor- haben Sie doch ein Beispiel! bert Blüm, ich und andere - auch nach internen Dis- (Zurufe von der SPD) kussionen in der Koalition; das gehört schließlich dazu - über die Übernahme des Rentensystems für - Das weiß ich. Sie sind ein richtiger Umverteiler, in die neuen Länder entschieden haben? Es gab ja auch der ganzen Not, in der Sie hier sitzen. Ansprüche, die man nicht leugnen konnte, wenn die Produktivität weitaus geringer als bei uns war. Wir (Heiterkeit bei der CDU/CSU) haben damals eine politische Entscheidung getrof- Meinen Sie, daß so etwas diesem Thema angemes- fen, die Sie mühsam nachvollzogen haben und die sen ist? zum Beispiel zu folgendem Ergebnis geführt hat: Ein Rentner mit über 40 Versicherungsjahren, der in der Natürlich haben die Menschen Erwartungen ge- damaligen DDR 470 bis 550 Ostmark bekam, hat habt, die in der kurzen Zeit nicht erfüllbar waren. heute eine Rente von 1700 DM. Aber natürlich ist auch klar zu erkennen, daß Ost- deutschland Stück für Stück aufblüht. Schauen Sie Natürlich drücken sich hier auch Unterschiede in sich doch einmal das Opel-Werk in Eisenach an! den Biographien aus. In der DDR-Zeit war es nahezu selbstverständlich, daß beide Ehepartner gearbeitet (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) haben. Entsprechend besitzen jetzt auch beide Ren- Sehen Sie sich doch einmal das Chemiedreieck an! tenansprüche. Das addiert sich zum Beispiel auf Sie brauchen dort noch nicht einmal hinzugehen, 2 x 1 700 DM. Das hat zur Folge, daß die Bürger in denn Sie haben einen der besten Experten dafür in meinem heimatlichen Wahlkreis - Ihrer eigenen Fraktion. Ich bedauere zutiefst, daß der aber auch woanders - fragen: Wieso haben diese Kollege Rappe ausscheidet. Wenn Sie sich anhören, Menschen solche Renten? Die haben doch gar nichts was er und sein Nachfolger in der Gewerkschaft eingezahlt. - Jetzt entsteht auch hier Neid. Ich bleibe über die Chemiepolitik, die ich mit ihm und anderen aber dabei: Menschen aus den entsprechenden Ge- gemeinsam betrieben habe, zu berichten haben, burtsjahrgängen, die die volle Last der Geschichte dann wissen Sie, daß es sich hier um ein Ruhmesblatt getragen und Krieg, Vertreibung und Verzweiflung in der deutschen Industriegeschichte handelt. Dazu erlebt haben, brauchen in besonderer Weise unsere hat die Politik beigetragen. Zuneigung. Das Gefühl der Solidarität in Deutsch- land sollte so stark sein, daß man die Renten dieser (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Menschen bezahlt. Natürlich lassen sich die Probleme mit Händen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) greifen. Der modernste Bet rieb - wahrscheinlich auch der eindrucksvollste -, den wir im Bereich der Herr Scharping, vor ein paar Tagen sagte mir ein Braunkohleveredelung haben, ist die „Schwarze wirklicher Freund der Deutschen - Pumpe". Dieser Betrieb ist die Nummer eins in wir verdanken ihm viel; ich bin stolz darauf, daß er Europa. Aber wenn Sie sich auf eine Halde stellen auch ein Freund von mir ist -, als er mich nach Eck- und sich von oben umschauen, dann sehen Sie auch daten des deutschen Wiedervereinigungsprozesses das ganze Elend im Umfeld. Die „Schwarze Pumpe" fragte und ich ihm unter anderem die Höhe der Ren- ist ein Betrieb für das 21. Jahrhundert. Aber daneben tensumme nannte: So etwas gibt es in Frankreich 23060 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl nicht. - Wenn man sich vorstellt, daß Sie vom Unter- Jetzt stellt sich die Frage: An welchen Standort ge- gang Deutschlands sprechen und Miesmacherei zum hen wir? Daß der Hamburger Bürgermeister sagt, die Hauptpunkt Ihres Wahlkampfes gemacht haben, Produktion will ich nach Hamburg haben, ist bürger- dann kann man nur den Kopf schütteln. meistermäßig. Das kritisiere ich nicht, obwohl ich es nicht verstehe. Denn der Hamburger Bürgermeister (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - müßte jeden Tag eine Danksagung für die deutsche Walter Kolbow [SPD]: Was? Miesmacherei?) Einheit aussprechen. Es gibt keine Region in Deutschland, die soviel von der deutschen Einheit Herr Ministerpräsident Schröder, ich habe ja ange- profitiert hat wie Hamburg. boten, daß die Kanzlerkandidaten sagen, für was sie stehen. Ich muß Sie fragen: Wofür stehen Sie eigent- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) lich in den neuen Ländern? Ich will die Beispiele nennen. Sie haben 1993 - nicht 1983; das ist ja das Sie wissen, daß ich es Ihnen gönne. Aber nun Problem, wenn man ein Buch schreibt; es ist alles bringe ich in dieser Debatte den Standort Rostock - nachprüfbar - geschrieben: „Jede Mark, die wir in nun wahrlich aus vielen Gründen eine geschundene die Modernisierung der Werften Mecklenburg-Vor- Region - ins Spiel. Ich kann nachweisen, daß diese pommerns stecken, ist eine Mark, die wir in die Kon- Region mit einem Großflugplatz, einem Erbstück aus kurrenz der niedersächsischen Werften investieren." der sowjetischen Zeit mit wenigen Problemen im Können Sie mir einmal sagen, meine Damen und Umweltbereich die Chance bietet, schnell zu han- Herren, wo hier noch eine Spur von Solidarität vor- deln. Für die Region würde dies 3000 neue Arbeits- handen sein soll? plätze, und zwar nicht irgendwelche Arbeitsplätze, sondern innovative Arbeitsplätze, bedeuten - nicht (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Bei dem nicht!) nur an der Werkbank sondern auch in Forschung Weder Sie noch ich und auch nicht die allermei- und Innovation. Wenn dann der Bürgermeister von sten, die sich jetzt in diesem Saal befinden, haben Hamburg nein sagt und darauf beharrt, die Produk- ein persönliches Verdienst daran, daß sie nach dem tion in Hamburg anzusiedeln - okay. Ich muß aller- zweiten Weltkrieg auf der Sonnenseite der deutschen dings sagen: Ich verstehe ihn nicht. Aber daß Mini- Geschichte aufgewachsen sind. Wir sind ein Volk. sterpräsident Schröder, der den Aufbau Ost jetzt - Wir haben eine Geschichte mit großen und schreckli- nicht vor drei oder fünf Jahren, sondern jetzt, in den chen Kapiteln. Auch die Rechnung für das Schlimme, letzten Wochen - zur Chefsache macht, die Hambur- das in deutschem Namen und von deutscher Hand ger Position unterstützt, zeigt genau Ihr Denken. Das zur Nazizeit geschehen ist, haben wir heute noch je- ist der Punkt, um den es hier geht. den Tag gemeinsam zu bezahlen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Nun haben wir im Westen das Glück gehabt, nach 1945 auf der Sonnenseite zu stehen. Andere hatten Herr Ministerpräsident, im Prinzip - das ist die er- das Glück nicht. Ich war vergangenen Freitag abend ste Feststellung - haben Sie nichts dazugelernt. Sie in Frankfurt an der Oder, und an diesem Freitag bin haben am Tag vor dem Fall der Mauer gesagt: „Wer ich in Frankfurt am Main. Man kann es beinahe kör- später kommt, muß sich hinten anstellen." Das ist Ihr perlich spüren und kann sehen, wie die Entwicklung Verständnis von Solidarität. war. Die Leute in Frankfu rt an der Oder und die in Frankfurt am Main waren gleichermaßen fleißig und (Heiterkeit des Abg. Dr. Wolfgang Schäuble intelligent. Ich kann keinen Unterschied entdecken. [CDU/CSU]) Aber die eine Seite hatte das Pech, daß sie unter die Herrschaft eines Regimes geriet, das sie um die Ich würde mich schämen, einen solchen Satz ausge- Früchte ihrer Arbeit betrogen hat. Die Leute in sprochen zu haben. Frankfurt am Main konnten ihren Weg - übrigens auch bis hin zu Werksrenten - ganz anders gehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deswegen gilt für mich selbstverständlich der Satz - ob manche im Westen das gern hören wollen oder Die zweite Feststellung betrifft den eigentlichen nicht -: Aufschwung Ost hat Priorität in Deutschland. Punkt - wenn wir über Kandidaten reden, muß dar- Das ist gelebte Solidarität. über gesprochen werden -: Ich glaube nicht, daß Sie die Idee der Einigung Europas wirklich beg riffen ha- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ben oder begreifen wollen. Wir wollen auch in Europa als Deutsche zusammengehören, und zwar Ich bringe ein weiteres Beispiel, auch wenn der ge- im Sinne von Thomas Mann: „Ich bin ein deutscher schätzte Bürgermeister von Hamburg hier ist. Jetzt Europäer und ein europäischer Deutscher. " tut sich auf dem Gebiet der Luftfahrtindustrie end lich etwas Vernünftiges. Als Gegenpol zu den amerikani- Es ist in Ordnung - ich war selbst in der Kommu- schen Bemühungen, einen riesigen und erfolgrei- nalpolitik und in der Landespolitik tätig -, daß man chen Luftfahrt- und Weltraumkonzern zu bilden, tun seinen eigenen Kirchturm sieht. Aber die Perspektive wir uns in Europa jetzt zusammen und machen etwas eines Volkes am Ende dieses Jahrhunderts, wo sich gemeinsam. Wir Deutsche haben daran einen wichti- eine weite Sicht für die Zukunft eröffnet, nur unter gen Anteil. Wir wollen natürlich, daß in Deutschland dem Gesichtspunkt des Nutzens für morgen zu se- nicht nur die Blechschneiderei, sondern die gesamte hen, ist nicht in Ordnung.' Wie wollen Sie eigentlich Produktion des Großflugzeuges stattfindet. den Leuten in Rostock und Chemnitz sagen, ich ma- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23061

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl che den Aufbau Ost jetzt zur Chefsache, wenn Ihr und ich. Ich komme noch darauf zu sprechen. Wir ha- Denken für eine weite Sicht gar nicht ausreicht? Das ben gemeinsam in einer feierlichen und freund- ist der eigentliche Vorwurf, den ich Ihnen mache. schaftlichen Weise die Automesse für Nutzfahrzeuge eröffnet. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Sehr gut!) Unsere Bilanz ist in Sachen deutsche Einheit und Politik für die neuen Länder eindeutig. Wir können Wenn Sie dort verkündet hätten: Ich, Gerhard Schrö- noch stundenlang reden, auch über Fehler, die wir der, will Kanzler werden und der Mann neben mir, gemacht haben; ich räume sie sofort ein. Ich hatte hinter mir - wie immer Sie es nennen wollen - wird kein Patentrezept. Ich habe damals nicht mit Wolf- dann eine Politik des deutschen Weges machen, hät- gang Schäuble und seinem Nachfolger ten die vielen Leute aus aller Herren Länder Sie aus- im Kanzleramt gesessen und aufgeschrieben, wann gelacht. Wie wollen Sie das, Herr Ministerpräsident welcher Schritt zu tun ist. Hans-Dietrich Genscher ist Schröder, in einem globalen System machen? Sie nicht zu Zwei-plus-Vier-Verhandlungen in die Welt sind doch einer der Vorkämpfer der Internationalisie- gereist und hat gesagt: Wir wissen a lles ganz genau. rung von VW gewesen. Ich habe Sie dabei immer un- Wir wußten gar nichts. Wir wußten im Frühjahr 1990 terstützt. Sie sind doch nach Großbritannien gefah- nichts, als gute Freunde aus Europa eine neue Frie- ren und haben hin und her verhandelt. Sie haben denskonferenz mit weit über 150 Teilnehmern forder- alles mögliche gemacht. Sie waren doch immer für ten. Wir haben die Zwei-plus-Vier-Verhandlungen - Internationalisierung. Sie haben sich einen Manager das ist ein großes Verdienst von Hans-Dietrich Gen- aus Spanien geholt; der ist dann wieder gegangen. scher - Gott sei Dank hinbekommen. Sie waren aber immer für Offenheit. Das ist ja in Ord- nung. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der Wir waren im Auftrag der Geschichte - im wahr- F.D.P.) sten Sinne des Wortes - unterwegs. Wir haben da- bei versucht, das Beste zu machen. Aber wir waren Aber Sie können doch keinen deutschen Weg gehen. unterwegs und haben uns nicht in die Büsche ver- drückt und gewartet, bis die Unwetter der Ge- Merken Sie denn nicht, Herr Lafontaine - ich un- schichte vorbeigingen. Das war so und das bleibt terstelle Ihnen das nicht; Sie kennen das Umfeld der so. französischen Kammer besser als ich -, welche Wir- kung solche Äußerungen von einem deutschen Weg (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) haben? Ich denke daran, was der frühere Präsident Giscard d'Estaing mit schmaler Lippe dazu sagen Ihre Politik von damals machen Sie doch gerade würde, nämlich: Die Deutschen sind wieder auf weiter. Es war faszinierend, Herr Ministerpräsident des Saarlandes, Sie zu hören. Sie haben hier gestern einem deutschen Weg. wieder über den deutschen Weg gesprochen; ich (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Das kennen gebe zu: mit vielen intelligenten, auch kessen For- die alles!) mulierungen. Das beherrschen Sie perfekt. Sie haben deswegen einem anderen auch schon die Schau ge- Meine Damen und Herren, das ist wirklich schädlich. stohlen; auch das hat jeder gemerkt. Lassen Sie das doch bitte sein. Das ist auch sachlich unsinnig. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Herr Scharping denkt das gleiche wie ich; er kann es Sie kündigen die Rücknahme von Reformen an. bloß nicht sagen. Ich habe noch immer nicht entdeckt, wie das mit der Rente bei Ihnen gehen soll. Nun können Sie den- (Heiterkeit und lebhafter Beifall bei der ken, was Sie wollen. Ob Sie immer mit ihm einver- CDU/CSU und der F.D.P.) standen sind, ist eine andere Sache; aber auf diesem Herr Ministerpräsident Lafontaine, Sie können Gebiet gibt es keinen besseren Kenner als Norbe rt doch jetzt nicht einen deutschen Weg proklamieren. Blüm. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ (Lachen bei Abgeordneten der SPD) DIE GRÜNEN]: Was denkt Wolfgang - Er war der erfolgreichste Arbeitsminister der Repu- Schäuble?) blik. Das sollten wir alle nicht vergessen. - Lassen Sie doch den Wolfgang Schäuble! Das ist (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - ein ganz prima Mann; das ist ein Freund von mir. Günter Verheugen [SPD]: War!) Zwischen uns beide bringen Sie nichts, Sie schon gar nicht. Wenn Sie das alles zurücknehmen, wird das natür- lich nichts bringen. Vor allem machen Sie jetzt den (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU Eindruck, als sei der Weg in die Zukunft ohne An- und der F.D.P. - Joseph Fischer [Frankfurt] strengungen zu gewinnen. Das ist er natürlich nicht. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!) Vieles von dem, was wir in 50 Jahren Bundesrepublik Wie wollen Sie im Zeitalter der Globalisierung geschaffen haben, ist hervorragend gelungen. Aber einen deutschen Weg beschreiten? Gestern abend in einigen Feldern besteht Handlungsbedarf. In der waren wir zusammen, Ministerpräsident Schröder Frage der Demographie kann das jeder entdecken. 23062 Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl Das ist doch keine politische Frage. Die Zahlen sind schaftswachstum von 2,6 bis 2,8 Prozent, vielleicht so: Die Menschen werden glücklicherweise älter, 2,9 Prozent zu erreichen. und es gibt weniger, die nachwachsen. Herr Ministerpräsident Schröder, wir waren doch Jetzt wollen Sie unsere Reformen zurücknehmen. gestern bei derselben Veranstaltung. Wir haben end- Warum wollen Sie zum Beispiel die Änderungen bei lich einmal einen Verband erlebt, der nicht mit der den befristeten Arbeitsverträgen zurücknehmen? Klage anfing, was alles schlecht sei, sondern ganz Sie wissen doch, daß Sie dann wieder an dem Punkt ehrlich gesagt hat: Die Lage ist gut. Es sind nicht sind, daß das Handwerk und viele andere Bet riebe meine Zahlen, aus denen sich das ergibt; das sind die wieder weniger einstellen. Reden Sie doch einmal Zahlen der Automobilindustrie. Herr Schröder sitzt mit Betriebsräten! Reden Sie einmal mit dem DGB - im Aufsichtsrat eines solchen Unternehmens, andere auch wenn es nicht darum geht, Geld für SPD- auch. Die IG Metall ist mit dieser Branche fest ver- Zwecke aus der DGB-Kasse zu nehmen! Reden Sie bunden. vor allem einmal mit den Leuten, die in den Betrie- ben die Arbeit machen! Ich habe heute beispiels- Wie also lauten die Zahlen? 1998 wird eine neue weise wieder eine interessante Äußerung von Ihrem Höchstmarke bei Produktion, Export und Umsatz er- Nachfolger, Herr Rappe, dem Vorsitzenden der reicht. 1998 werden in Deutschland erstmals über IG Bergbau, Chemie, Energie, darüber gelesen, ob 370 000 Nutzfahrzeuge gebaut, 8 Prozent mehr als im die Löhne drastisch in die Höhe get rieben werden Vorjahr. Der Boom ist ein Spiegelbild der verbesser- sollen. Er hat dabei keinen Namen genannt, aber er ten Wirtschaftslage. Das rührt nicht nur vom Expo rt hat natürlich den Mann von der IG Metall gemeint; her. Die Investitionsgüterindustrie in Deutschland da hat er auch recht. springt an. Die Menschen fassen wieder Mut, auch beim Konsum. Die Pkw-Produktion - das betrifft (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Lafon auch das ; Herr Ministerpräsident Lafon- taine!) taine, daran sind Sie, steuerlich gesehen, ganz un- mittelbar interessie rt - überspringt die 5-Millionen- - An Herrn Lafontaine hat er sicherlich ebenfalls ge- Grenze. Die Automobilindustrie ist abgeschrieben dacht. Der Mann ist eben vernünftig. - Herr Rappe, worden - durch Sie; das zu erwähnen wurde verges- Sie haben eine große Gewerkschaft gut geführt. Sie sen, aber ich will es nachtragen. Aber wir sind den haben die Weltkomposition der Chemie erkannt. richtigen Weg gegangen und haben jetzt wieder fast Man kann gegenüber BASF nicht so tun, als wäre auf 710 000 Leute, die in der Automobilindustrie beschäf- der anderen Seite des Rheins in Maudach die Welt zu tigt sind. Allein seit 1996 wurden 47 Milliarden DM Ende. Auch bei Bayer in Leverkusen funktioniert so investiert. Dadurch sind 54 000 neue Arbeitsplätze etwas nicht. Die Welt ist weiter. entstanden. Meine Damen und Herren, in den neuen Ländern sind seit der Wiedervereinigung 20 Milliar- Wenn die Zahl der Biotechnologieunternehmen - den DM in dieser Branche investiert worden. Das be- da habe ich allen Grund, Jürgen Rüttgers zu danken deutet 100 000 Arbeitsplätze. So ist die Lage in - endlich gestiegen ist, dann doch deswegen, weil Deutschland. Die Miesmacherei, die Sie dauernd vor- Ihr Widerstand endlich ein Stück weit zurückge- bringen, ist ungerechtfertigt. drängt wurde. Die Liberalisierung, der Multimedia- markt oder auch die Renten- und Gesundheitsreform (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) - den ganzen Tag machen Sie dem jeweils zuständi- gen Minister Vorwürfe. Ich wäre gespannt darauf, Herr Ministerpräsident Lafontaine, gestern haben wenn Sie einmal von diesem Pult aus sagen würden, Sie wieder die alte Masche geritten und die Daten was Sie anstelle der jeweiligen Minister tun wollen. vom 1. Januar 1983 mit denen vom heutigen Tag ver- Denn Sie kommen an der Wirklichkeit doch nicht glichen, was in hohem Maße intellektuell unanstän- vorbei. dig ist. Gehen Sie doch in eine beliebige chirurgische Kli- (Günter Verheugen [SPD]: Unanständig? nik! In jedem dritten Bett ist jemand, der in hohem Und Herr Glos heute morgen?) Alter erfreulicherweise eine Operation zur Wieder- - Ja, das ist schon unanständig. herstellung seiner Gesundheit erhält, die vor 30 Jah- ren gar nicht möglich war: Bypass, Hüfterneuerung Die Zäsur von 1989/90 haben Sie einfach ausge- und anderes. Aber das muß bezahlt werden, und das klammert. Und sehen Sie: Die Preise sind stabil. Es muß alles bezahlbar sein. Sie wissen auch ganz ge- gibt keinen Preisanstieg. Die Inflationsrate liegt bei nau, daß das so ist. Darüber braucht man gar nicht zu 0,7, 0,8 Prozent. 1982 lag sie bei 5,3 Prozent. Wir ha- reden. Aber für den Wahlkampf wird eben a lles ne- ben diesen Rückgang erreicht, obwohl wir viele öko- gativ dargestellt, und es wird alles kritisiert. nomische Herausforderungen angehen mußten und zum größten Teil gemeistert haben. Das ist ein super Deswegen darf im Wahlkampf auch kein Auf- Ergebnis, was wir hier erreicht haben. schwung dasein. Aber er ist doch da, meine Damen und Herren. Es nützt a lles nichts. Jeder Mensch kann (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ihn erkennen. Es ist auch die beste Sozialpolitik. Als Antwort auf (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) - Ihre Rede von gestern, Herr Ministerpräsident Lafon- taine: Sie haben mit Recht den Binnenkonsum ange- Wir haben in diesem und im nächsten Jahr alle sprochen. Aber dann müssen Sie doch sagen, es ist Chancen - allen Turbulenzen zum Trotz -, ein Wirt- phantastisch, was wir hier machen. 1 Prozent we- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23063

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl niger Inflation bedeutet rund 20 Milliarden DM mehr Deswegen will ich Ihnen noch einmal sagen - es Kaufkraft. Zu Beginn meiner Amtszeit lag die Infla- muß doch eigentlich möglich sein, das in dieser tionsrate bei 5 Prozent. Jetzt rechnen Sie das Ganze Runde auszusprechen -: Wir erleben jetzt - Jürgen doch einmal zusammen. Sie können mit keiner Steu- Rüttgers weist immer wieder darauf hin - auch bei erreform der Welt erreichen, was wir hier mit siche- der Ausbildung, die erfreulich gut läuft - ich habe ren Preisen und einer stabilen Währung geschafft ha- Grund, vielen zu danken -, daß wir immer mehr an ben. der Entwicklung vorbei ausbilden. Es findet keine ausreichende Konzentration auf neue, wichtige Be- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) rufsfelder statt. Da müssen die Länder, der Bund, die Meine Damen und Herren, wie lauteten die Vor- Wirtschaft und, ich denke, auch die Gewerkschaften würfe, ein Jahr zurückgeblendet: Das, was ihr da an einen Tisch und überlegen, was wir machen kön- macht, wird alles Geld aus dem Land hinaustreiben; nen, ohne eine Lenkung vorzunehmen, damit sich die Turbulenzen werden euch umwerfen. Und jetzt? diese Dinge richtig entwickeln. Schauen Sie sich die Märkte doch an. Die können Also, ich bin ganz sicher, wir werden auch ohne wir nicht bestimmen. Die Anleger tun das, was sie Ausbildungsabgabe - und die wird nicht kommen, wollen. Und sie gehen nach Deutschland. Wenn wir weil Sie nicht kommen - das Ganze vernünftig ver- im Augenblick einen stärkeren Zustrom von in- wirklichen können. ternationalem Kapital nach Deutschland haben, dann ist das doch eine phantastische Sache, wo- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) mit kein Mensch zu Beginn des Jahres rechnen konnte. Wir wollen soziale Marktwirtschaft, damit das noch einmal klar ausgesprochen ist. Wir sind über- Wir sind auch beim Arbeitsmarkt auf dem richtigen zeugte Anhänger Ludwig Erhards. Weg. Im Januar hieß es: Es wird 5 Millionen Arbeits- wäre entschieden dagegen, wenn man den Beg riff lose geben. Sie hatten daran schon Ihre Freude. Min- „sozial" aus dieser besten Gesellschaftsform der destens einmal im Monat kam eine Dame im Fernse- modernen Geschichte herausstreichen würde. Wir hen - frisch gestylt -, deren Abneigung wir beide tra- brauchen einen breiten Handlungsspielraum, den gen müssen, Herr Ministerpräsident; wir haben auch die Politik vorzugeben hat, damit man in der Wirt- viel Gemeinsames. schaft wirtschaften kann. (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Die kann Aber wir wünschen keine Wirtschaftsentwicklung, sich auch selbst nicht ertragen!) in der die Verantwortlichen in den Unternehmen aus- - Das kann ich jetzt nicht untersuchen; da sind Sie schließlich - so wichtig das auch ist - den Kurs ihrer weitsichtiger als ich. - Diese Dame hat uns immer ge- Aktien betrachten und a lles, was damit zusammen- sagt: Es wird 5 Millionen Arbeitslose geben. Und hängt, wichtig nehmen, dabei aber die Menschen im dann ist diese Prognose zusammengebrochen. Was Betrieb aus den Augen verlieren. Das ist keine so- haben wir jetzt? - Knapp über 4 Millionen. Wir haben ziale Marktwirtschaft. Für uns gehören auch die eine deutliche Trendwende, auch im Vergleich zum Menschen dazu. vergangenen Jahr. Die 4 Millionen Arbeitslosen sind viel zuviel. Im nächsten Monat werden es unter 4 Mil- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) lionen sein. Im Jahresschnitt wird die Zahl aber über Wir brauchen Freiheit, Eigenverantwortung und 4 Millionen liegen. Das ist die eine Seite. Freiräume für Privatinitiative. Damit ist man automa- Die andere Seite ist, daß wir über 1,5 Millionen tisch bei der Steuerreform. Da muß ich nun sagen: freie Stellen haben und dringend Leute gesucht wer- Gestern habe ich dazu Erstaunliches gehört. Die Kol- den. Deswegen ist es doch so wichtig, daß jetzt keine legin aus der ersten Bank hat sich sehr erregt und Ausbildungsabgabe eingeführt wird und daß wir alle möglichen Leute aus dem Vermittlungsausschuß vielleicht nach der Wahl - jetzt ist es unmöglich - zu angegriffen. Jetzt lese ich Ihnen einmal vor, Frau Kol- einem vernünftigen Gespräch zusammenkommen: legin, was Herr Schröder im Februar 1997 dazu wört- Politik, Gewerkschaften und Wirtschaft. lich gesagt hat: (Zurufe von der SPD) Jeder, der jetzt so tut, als würden die ganzen Aus- einandersetzungen - Jetzt hören Sie doch erst einmal zu, was ich vor- schlage. Sehen Sie, es ist beinahe wie bei dem - es geht hier um die Steuerreform - Pawlowschen Hundeversuch. Sie brauchen mich nur anzuschauen, dann sind Sie dagegen. nur um der Sache willen stattfinden, ist entweder ein Trottel oder ein Zyniker. Es geht jetzt nicht um (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU die Sphäre der reinen Lehre, sondern um die mas- sowie bei Abgeordneten der F.D.P. - Günter sive Auseinandersetzung in der Frage, wer Verheugen [SPD]: Wir haben „Aha" gesagt! Deutschland nach 1998 regieren wird. - Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wir wun- dern uns nur!) (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Sie wissen, der Pawlowsche Hundeversuch hat etwas- - Das ist ein Interview von Ihnen. Mehr sagen wir mit Tiefenpsychologie zu tun. Hier aber haben wir es doch gar nicht. Wir haben Sie gar nicht beschul mit Politik zu tun. digt, Sie seien Zyniker. Das mache ich überhaupt 23064 Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl nicht. Das kommt mir bei Ihnen sowieso nicht in den Nicht anders ist es doch in der Sozialpolitik. Sie Sinn. können es drehen, wie Sie wollen. Kein Mensch in Deutschland schafft die soziale Ordnung ab oder Wir glauben auch nicht, daß hier irgend jemand kippt den Sozialstaat. Das ist doch a lles dummes ein Trottel ist. Aber eines glauben wir: daß Sie ganz Zeug. Wir zahlen in Deutschland jährlich 12500 DM bewußt und ohne Wenn und Aber Ihre ganzen Kolle- pro Kopf an Sozialleistungen. In Großbritannien sind gen - Herr Beck sitzt dabei; Anfang 1999 muß Ihr es 7 500 DM, in Frankreich 11 500 DM und in Italien Kollege in Hessen in die Landtagswahl gehen - fest- 6 700 DM: Das ist der zusammengebrochene deutsche gezurrt und gesagt haben: Ihr müßt jetzt mitmachen; Sozialstaat! Wir geben jede dritte Mark für Soziallei- dieses Mal müssen wir drankommen; noch einmal stungen aus. Aber die Frage ist doch berechtigt, ob vier Jahre Opposition ertragen wir nicht. Deswegen wirklich jede Mark, die wir ausgeben, auch dort hin- haben Sie blockiert. Das ist der einzige Grund. Alles kommt, wo sie hin soll, oder ob sich nicht auch Tritt- andere können Sie vergessen. brettfahrer in den Besitz des Geldes bringen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Herr Ministerpräsident Lafontaine, lassen Sie mich das feststellen: Sie können noch so viel drohen und Diese Koalition denkt nicht im Traum daran, den sagen: Wenn wir nicht dran kommen, gibt es keine Sozialstaat abzuschaffen. Wir waren, zum Teil mit Steuerreform. Ihre Kollegen werden Ihnen von der Ihnen gemeinsam, an allen großen Programmen be- Fahne gehen. Sie riechen das Geld. teiligt: an der großen Rentenreform, der Montanmit- bestimmung, am Betriebsverfassungsgesetz, an (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Familienleistungen - Erziehungsgeld, Erziehungsur- Das macht sinnlich. Sie haben es auch schwerer. Sie laub, Anrechnung von Kindererziehungszeiten in der können nicht zu Theo Waigel gehen und sagen: Du Rentenversicherung -, an der Pflegeversicherung bis mußt mir alles bezahlen. Selbst Herr Beck bekommt hin zur Vermögensbildung. Wir bleiben ein noch etwas. Aber er hat mehr, weil er Vorgänger Sozialstaat Deutschland. Aber wir können das Geld hatte, die etwas geschafft haben. Herr Scharping, nur einmal ausgeben, das wir vorher erarbeitet ha- das meinen Sie doch auch, oder? ben. Das heißt, die Programme müssen finanzierbar sein. Mit einem Wort : Gehen Sie davon aus, daß, was (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der immer Sie jetzt sagen, die Republik auf diesem Weg F.D.P.) bleiben wird.

Wenn das so ist, wird er abspringen und mit ihm Sie haben, Herr Ministerpräsident, gestern in Ihrer alle anderen. Ich bin mir sicher, Herr hessischer Mi- Rede auf der Automobilmesse etwas sehr Kluges ge- nisterpräsident, daß Sie abspringen werden, weil Sie tan, indem Sie - was ich voll unterstütze - den wichti- Vernunft haben. Leider Gottes ist der Ministerpräsi- gen Bereich Bildung und Innovation angesprochen dent von Nordrhein-Westfalen nicht mehr da. Oder haben. Aber, meine Damen und Herren und Herr Mi- habe ich ihn übersehen? nisterpräsident, das ist nicht nur eine Frage des Gel- (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Er ist des, sondern auch eine Frage der Motivation und der schon abgesprungen!) Grundlagen. Hochqualifizierte Arbeitnehmer, Spit- zenforschung, modernste Produkte, dynamische - Nein, er ist nicht abgesprungen. Auch er hat seine Innovation - wissen Sie, was das übersetzt heißt? - Probleme. Aber die haben wir alle. Daß ein Land Leistungseliten braucht. Wenn davon die Rede ist, führt das bei Ihnen zu einem Sturm der Ich komme zu etwas anderem. Ich habe seine Re- Entrüstung. Bei Eliten haben Sie immer eine Vorstel- gierungserklärung gelesen. Das war die erste Regie- lung aus uralten Zeiten. Aber jede Demokratie rungserklärung, die ich gelesen habe, die so klang, braucht Leistungseliten, wenn sie überhaupt eine als hätte es vorher gar nichts gegeben. - Johannes Zukunft haben will. Rau ist schon völlig vergessen, aber das ist eine an- dere Sache. - Für all diese Dinge braucht er doch (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Geld. Glauben Sie im Ernst, daß er die Blockade mit- macht, wo er doch einen Finanzminister hat, der zu Jetzt schauen Sie sich doch einmal die Schulpläne den klügsten Leuten in der Branche gehört und der Ihres Partners, der Grünen, an, wie es danach in Zu- schon das letzte Mal bereit war abzuschließen? kunft in den Schulen aussehen wird. Da kann man Wir werden nach der Wahl - der jetzige Bundes- wirklich nur sagen: Schule macht Freude, weil zum kanzler wird auch nach der Wahl der neue Bundes- Beispiel die Beurteilungen wegfallen sollen. Schauen kanzler sein - die Vorlage sofort einbringen. Wir wer- Sie sich einmal an, was sie in diesem Zusammenhang den natürlich miteinander reden. Wir haben nicht im Hinblick auf den Wettbewerb tun wollen. Sie wol- allein die Macht. Die ist in der Bundesrepublik zwi- len die besten Hochschulen und Schulen in Europa. schen beiden Kammern geteilt. Wir werden Kompro- Aber warum haben Sie dann gegen das neue Hoch- misse schließen; aber es werden keine faulen Kom- schulrahmengesetz gestimmt? promisse sein. Sie werden sehen: Am Ende gibt es - Theo Waigel hat dazu gestern gute Vorschläge ge- Leider ging das heute früh, Herr Ministerpräsident, macht - eine Entscheidung. im Lärm unter, als der Herr Kollege Glos ein paar Tat- sachen genannt hat. Es war nicht vor ewiger Zeit, (Joachim Poß [SPD]: Schlaumeier Waigel!) daß Ihr denkbarer Nachfolger, Herr Glogowski - Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23065 Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl aber er wird ja Innenminister bleiben - gesagt hat - sten Wochen streiten - auf Straßen und Plätzen, im wörtliches Zitat -: Fernsehen und überall - und sagen, für welche Poli- tik wir stehen. Auf Straßen und Plätzen treffe ich Sie Zieht ein bayrisches Kind hierher, ja nicht, da bin ich ziemlich allein. - gemeint ist Niedersachsen - (Widerspruch bei der SPD) muß es sich erst einmal zwei Jahre hängenlassen, damit es das niedrige niedersächsische Niveau - Das ist wohl wahr. Das wissen Sie sehr genau, und erreicht. es ärgert Sie auch. - Wir wollen den Menschen sa- gen: Zukunft gibt es nicht zum Nulltarif. Wir haben (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) die Chance, uns auf unsere Kraft zu besinnen und Ich habe daran nun wirklich keine Freude; denn es uns, wenn es notwendig ist, Anstrengungen abzuver- ist eine Unverschämtheit, den Eltern und den Kindern langen. in Niedersachsen etwas zuzumuten, was überhaupt Wir müssen dabei verläßlich bleiben und dürfen nicht diskutabel ist. Es ist die Aufgabe des Staates, nicht unberechenbar werden. Wir müssen sehen, daß Schutz und Schirm für Familien mit Kindern zu bieten. jetzt nicht Risiko, sondern Sicherheit nötig ist. Ich bin Es ist die Aufgabe des Staates, dafür zu sorgen, daß ganz sicher, daß wir eine gute Chance haben, dies das Recht zur Erziehung der Kinder vor Gott und den den Menschen in den nächsten Wochen klarzuma- Menschen zuerst bei den Eltern liegt, und es ist die chen. Lassen Sie uns jetzt nicht darüber streiten, wer Aufgabe des Staates, den Eltern und den Kindern bei die bessere Chance hat. Warten wir es bis zum Wahl- einer bestmöglichen Wegbereitung für die Zukunft zu abend ab! Ich bin mir ziemlich sicher, daß wir uns helfen. Das geht natürlich nicht ohne Leistung. Wer dann in diesem Saal wiederfinden werden. Herr da nur von den Rechten und nicht mehr von den Scharping, Sie werden wieder die Opposition führen. Pflichten redet, führt die Kinder auf einen Irrweg. Das ist eine gute Ordnung, die sich da anbahnt. Dem Minister sollten Sie einmal sagen - ich weiß nicht, ob er etwas von der Polizei versteht; da habe (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/ ich nach den Chaostagen meine eigene Meinung -, CSU und der F.D.P. - Die Abgeordneten der daß er doch wenigstens zu dem Punkt schweigen CDU/CSU erheben sich) soll. Das ist eine wirkliche Beleidigung für die Eltern und auch für die Kinder in Niedersachsen; denn sie Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Es spricht jetzt der haben genauso Anspruch auf eine erstklassige Aus- Ministerpräsident des Landes Niedersachsen, Ger- bildung wie alle anderen. hard Schröder. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Zu vielen Themen der Innenpolitik ist schon ge- Ministerpräsident Gerhard Schröder (Niedersach- sprochen worden. Ich will nur eines sagen: Ich finde sen) (von der SPD mit Beifall begrüßt): Frau Präsiden- es sehr erstaunlich, mit welcher Keßheit Sie jetzt tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Thesen zur Innenpolitik verkünden, die gar nicht zu Bundeskanzler, Sie haben eine lange Rede gehalten. Ihrer Politik passen, weder in Niedersachsen noch sonstwo. Wenn ich mir vorstelle, wer dazu auserse- (Michael Glos [CDU/CSU]: Eine gute Rede!) hen ist, das Amt des Innenministers wahrzunehmen, habe ich ein bleibendes Bild von Solidarität in Es war eine Rede über die Vergangenheit. Jeder, der Deutschland vor Augen: Am Abend der ersten freien Ihnen zugehört hat, wird gespürt haben, daß Sie mit Wahl in der DDR erschien dieser Zeitgenosse, hielt der Gegenwart Schwierigkeiten haben. eine Banane hoch und sagte: Die Menschen sind ein- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne gekauft worden - er, der vermutlich gerade aus der ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Toskana kam und deswegen wußte, wie man leben kann. Ich finde es ziemlich schäbig, in dieser A rt und Wer mit der Gegenwart und mit den Realitäten Weise mit Menschen umzugehen. Schwierigkeiten hat, wie Sie es hier deutlich ge- macht haben, der hat sie natürlich erst recht mit der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Zukunft. Sie sind nicht zukunftsfähig. Wir stehen zwei Jahre vor dem Ende des Jahrhun- derts und an der Schwelle eines neuen Jahrtausends. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Wir Deutsche haben allen Grund, vor der Geschichte DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der all denen zu danken, die uns geholfen haben und in PDS) eine Lage gebracht haben, die es uns ermöglicht hat, Niemand in diesem Haus - und ich erst recht nicht mit einer guten Perspektive in die Zukunft zu gehen. - bestreitet Ihnen Ihre Verdienste um die Herstellung Deutschland braucht jetzt eine beständige und klare der staatlichen Einheit. Politik. Alle Experimente bringen nur Gefahren. Vor zwei Tagen haben wir den 50. Jahrestag des Zusam- (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das mentritts des Parlamentarischen Rates begangen. war Weltklasse!) Das Werk, das damals von großartigen Männern und Frauen begonnen wurde, hat einen guten Weg ge-- Aber während Sie das gemacht haben und während nommen. Es kommt jetzt darauf an, diesen Weg wei- Sie sich darum verdient gemacht haben, hat Ihre terzugehen. Deswegen lassen Sie uns in den näch- Politik dafür gesorgt, daß dieses Volk, daß die Deut- 23066 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Ministerpräsident Gerhard Schröder (Niedersachsen) schen sozial gespaltet worden sind. Das ist das, was lastung auf 45,5 Prozent angestiegen. Das bedeutet: ich Ihnen vorwerfe. In Ihrer Regierungszeit, Herr Dr. Kohl, bleiben den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern von jeder (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ verdienten Mark kaum mehr als 50 Pfennig. Dies DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der muß sich aus sozialen und ökonomischen Gründen PDS) ändern. Es hat gestern in der Debatte schon eine Rolle ge- spielt - ich zitiere noch einmal, Herr Bundeskanzler -: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Diese neue Regierung ist notwendig geworden, und des Abg. [PDS]) weil sich die alte, die bisherige Regierung als un- fähig erwies, gemeinsam die Arbeitslosigkeit zu Wo wir gerade bei der Bildung von Eliten sind - bekämpfen, das Netz sozialer Sicherheit zu ge- ich werde noch einmal darauf zurückkommen -: Die währleisten und die zerrütteten Staatsfinanzen Belastung dieser Menschen läßt in den Hintergrund wieder in Ordnung zu bringen ... treten, daß die wirkliche Kraft dieser Volkswirtschaft nicht von den Eliten kommt, die Sie offenbar im Diese Koalition der Mitte wird unser Land aus der Auge haben. Nein, die wirkliche Kraft dieser Volks- Krise führen. wirtschaft und die wirklichen Leistungsträger dieser Das, Herr Bundeskanzler, haben Sie am 13. Okto- Nation sind diejenigen, die als Arbeitnehmerinnen ber 1982 gesagt, und zwar vor einem ganz bestimm- und Arbeitnehmer die Werte in diesem Land schaf- ten gesellschaftlichen Hintergrund. Erinnern wir uns: fen und die in der Zeit Ihrer Regierung bis weit über Im Herbst 1982 gab es in Deutschland 1,8 Millionen die Fahnenstange hinaus belastet worden sind. Arbeitslose. Im Herbst 1998- das ist Gegenwart und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne nicht Vergangenheit - gibt es 4,1 Millionen Arbeits- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN lose. Sie, Herr Dr. Kohl, haben seinerzeit den Bun- und der PDS) deskanzler Helmut Schmidt als Kanzler der Arbeits- losigkeit gescholten. Ich stelle fest: Sie sind der Kanz- Sie haben sich über die Sanierung der Staatsfinan- ler der Arbeitslosigkeit. Ihre Regierung hat das be- zen verbreitet. In den letzten 16 Jahren - das ist die wirkt. Realität - ist die Staatsverschuldung um weit über 1 Billion DM auf das Rekordniveau von 1,5 Billionen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- DM angewachsen. Dazu, meine Damen und Herren, ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) hat der Bundeskanzler heute nichts gesagt. Er hat auch nichts dazu gesagt, wie er diese Schulden redu-

Sie haben seinerzeit von einer geistig - moralischen zieren will. Er ist in Belanglosigkeiten oder in die Dis- Wende gesprochen, vor der Deutschland in der Zeit kussion internationaler Angelegenheiten ausgewi- Ihrer Regierung stehe, und haben das insbesondere chen. Der Vorwurf, Herr Dr. Kohl, den man Ihnen auf die Lebenssituation der jungen Menschen in machen muß, ist, daß Sie die Lebenswirklichkeit der Deutschland bezogen. Aber während Ihrer Regie- durchschnittlich verdienenden Menschen in rungszeit ist die Ausbildungsnot immer größer ge- Deutschland entweder nicht mehr kennen oder nicht worden, und Sie haben wenig getan, um diesen jun- zur Kenntnis nehmen wollen. Beides ergibt eine f al- gen Menschen eine Perspektive zu geben. sche Politik. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der und der PDS) PDS) Statt geistig-moralischer Orientierung hat die ver- Um auf die Situation in Ostdeutschland einzuge- zweifelte Situation vieler junger Leute dafür gesorgt, hen: Sie sind in der Tat, wie Sie es nennen, über die daß sie anfällig geworden sind für Drogenkonsum Straßen und Plätze gezogen und haben den Men- und ähnliches, daß sie wieder einmal anfällig gewor- schen Versprechungen gemacht. Von blühenden den sind für den rechten Sumpf. Dies, verehrter Herr Landschaften und von ähnlichem mehr war die Rede. Bundeskanzler, ist die Folge einer Politik, die die ma- Wie sieht denn Ihre Bilanz hinsichtlich des Aufbaus teriellen Lebensinteressen der Jugendlichen nicht in Ost wirklich aus, meine sehr verehrten Damen und den Mittelpunkt der deutschen Politik gestellt hat. Herren? Die Zahl der Arbeitslosen betrug in den (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- neuen Ländern 1994 1,1 Millionen und beträgt 1998 ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 1,5 Millionen. Das ist die Wirklichkeit in den neuen Ländern, die Sie entweder verdrängen oder schon Sie haben sich gerühmt, Ihre Politik werde die gar nicht mehr wahrnehmen wollen. Das ist das Ge- Lage der Arbeitnehmerfamilien in Deutschland ver- fährliche an der Politik, für die Sie stehen. bessern. Was aber ist die Wahrheit? Der Bund der Steuerzahler, der wahrlich nicht im Geruch steht, Die wirtschaftliche Entwicklung in Ostdeutschland eine Vorfeldorganisation der deutschen Sozialdemo- ist im Gegensatz zu Ihren Behauptungen nicht besser kratie zu sein, hat die Gesamtbelastung der Arbeit- geworden. Der Anpassungsprozeß in der Wirtschaft nehmerinnen und Arbeitnehmer durch Steuern und- Ostdeutschlands hat seit 1997 einen Rückschlag erlit- Abgaben berechnet: 1980 trug der durchschnittlich ten. 1997 blieb das Wachstum im Osten um 0,6 Pro- verdienende Arbeitnehmer eine Gesamtbelastung zent hinter dem im Westen zurück. Auch im Jahre von 38,6 Prozent. Im Jahre 1997 war die Abgabenbe- 1998 wird es nach allen Prognosen nicht anders sein. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23067

Ministerpräsident Gerhard Schröder (Niedersachsen) Die Ursachen dafür haben etwas mit Ihrer verfehl- Dies alles sind Zitate von Dr. Kohl aus der Bundes- ten Politik zu tun. Was man in den neuen Ländern tagsdebatte vom 5. Februar 1982. Die damaligen An- braucht, sind eben nicht Investitionen in Bürotürme, griffe des heutigen Bundeskanzlers auf Helmut die niemand brauchen kann und die zu Einnahme- Schmidt fallen auf ihn zurück. Auch so kann man mit verlusten führen, und sind eben nicht Investitionen der Vergangenheit umgehen. in Luxuswohnungen, die niemand bezahlen kann. Was man vielmehr braucht, ist eine vernünftige Ei- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ genkapitalausstattung der kleinen und mittleren Un- DIE GRÜNEN) ternehmen. Dafür haben Sie in der letzten Zeit nicht Ich fand es im übrigen angemessen - und kritisiere gesorgt. das kein bißchen -, daß Sie sich mit der Situation in Rußland und in Südostasien beschäftigt haben. Zu- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE treffend fand ich auch die Bemerkung: Niemand GRÜNEN und der PDS) kann ein Patentrezept vorweisen, mit dem man von Was man braucht, ist der Aufbau und der Ausbau außen die russische Krise zu lösen imstande wäre. einer Forschungslandschaft. Nur mit ihr ist man in Nur, was sollen Äußerungen wie die, man wolle jetzt der Lage, durch den Transfer von Erkenntnissen da- Dampf in den Wahlkampf bringen, weil man „die für zu sorgen, daß die mittelständischen Unterneh- russische Krise spielen" könne, wie der Generalse- men in Ostdeutschland, die auch dort das Rückgrat kretär Ihrer eigenen Partei - doch nicht irgend je- der Wirtschaft bilden, Anschluß an zukünftig zu ent- mand! - das formuliert hat. wickelnde Produkte und Verfahren finden können. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie sich den Arbeitsmarkt in den neuen Ländern anschauen, dann werden Sie feststellen, Wer versucht, auf diese Weise Wahlkampf zu ma- daß die Ausgaben für eine aktive Arbeitsmarktpolitik chen, der handelt verantwortungslos. Wer es mir ständig zurückgegangen sind. Ich nenne die entspre- nicht glaubt, soll es wenigstens Ihnen glauben. Sa- chenden Zahlen. 1992: 41 Milliarden DM, 1993: gen Sie es doch Ihrem Generalsekretär, der das ver- 42,3 Milliarden DM, 1994: 34,7 Milliarden DM, 1995: bockt hat. 29,8 Milliarden DM, 1996: 25,2 Milliarden DM, 1997: 18,5 Milliarden DM. Aber, meine Damen und Herren, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ 1998 betrugen die Ausgaben 20,2 Milliarden DM. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS) (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Übrigens lohnt es durchaus, sich mit den Ursachen DIE GRÜNEN]: Sieh an!) der russischen Krise ein wenig auseinanderzusetzen. Warum wohl? Dafür gibt es doch nur einen einzigen Man könnte daraus ja etwas lernen. Es gibt unzwei- Grund: Sie haben Angst davor, daß die Ergebnisse felhaft viele Ursachen für diese Krise. Aber die eine Ihrer Politik im Osten wahrgenommen werden. Sie halte ich für zentral. In der Ära Ihres Saunafreundes versuchen jetzt hastig, mit neuen Mitteln Trostpflä- Jelzin sterchen zu verteilen. (Widerspruch bei der CDU/CSU) (Vorsitz : Vizepräsidentin Dr. ) hat es eine ganz bestimmte Entwicklung in Rußland gegeben. Diese Entwicklung ist dadurch gekenn- Dies reicht aber nicht. Was man braucht, ist eine Ver- zeichnet, daß in unvorstellbar kurzer Zeit märchen- stetigung der Mittel für den Arbeitsmarkt in den hafter Reichtum in den Händen einiger weniger - neuen Ländern. Dafür wird eine neue Regierung sor- übrigens, nicht wenige von ihnen sitzen in der Regie- gen. rung selbst - gelandet ist. Das Geld wird aus dem (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Land gezogen und dann - das können Sie lesen - an DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der der Côte d'Azur verpraßt, während die arbeitenden PDS) Menschen in Rußland auf ihren Lohn warten müssen und die Rentnerinnen und Rentner an der Hunger- Die Bewertung der Bilanz die Sie vorzulegen ha- grenze - und manchmal darunter - vor sich hinvege- ben, gebe ich Ihnen in Form eines Zitates. Im Steno- tieren. graphischen Bericht des Deutschen Bundestages (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE heißt es: GRÜNEN und der PDS) Ihre Regierungszeit ist die Regierungszeit der Was man daraus lernen kann, ist das Folgende: Schulden und der Arbeitslosen. Eine Gesellschaft, die eine solche Entwicklung zu- Es heißt weiter: läßt, die nicht darauf achtet, daß die ihre Strukturen wenigstens noch ein wenig mit sozialer Gerechtig- Eine schwache Regierung, die nur noch ein Ziel keit zu tun haben, ist nicht nur unsozial; nein, sie hat, nämlich in den Sesseln zu bleiben, deprimie rt geht über kurz oder lang auch ökonomisch vor die das Land. Hunde. Das ist die Lehre, die wir aus der Krise in Rußland zu ziehen haben. Und weiter: (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Sie haben das Vertrauen der Mehrheit der Deut- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der schen nicht nur enttäuscht; Sie haben es verloren. PDS) 23068 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Ministerpräsident Gerhard Schröder (Niedersachsen) Diese Lehre haben wir übrigens auch selbst zu be- Kommunikation. Diese Dimension kommt bei Ihnen herzigen: Im Verbund mit ökonomischer Modernisie- nicht vor, meine Damen und Herren. rung ist sozialer Ausgleich keine Draufgabe auf eine funktionierende Ökonomie, sondern Bedingung da- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ für, daß Ökonomie auch in Zukunft funktionieren DIE GRÜNEN sowie des Abg. Rolf Kutz kann. mutz [PDS] - Michael Glos [CDU/CSU]: Da ist ja sogar der Stollmann nobelpreisver (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dächtig!) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Es ist völlig richtig: Wir brauchen die Erweiterung. PDS) Ich finde völlig in Ordnung, wie Sie dies begründet haben, auch unter Rückgriff auf die deutsche Ge- Ich fand es völlig in Ordnung, daß Sie über den schichte gerade gegenüber den Staaten, die früher Prozeß der europäischen Einigung geredet haben. im Ostblock zusammengepreßt waren. Dann aber Ihre besonderen Verdienste in diesem Bereich wi ll will ich von denen, die die Beitrittsverhandlungen ich überhaupt nicht schmälern. Warum sollte ich das führen bzw. vorbereiten, hören, wie und in welchen tun? Aber es ist schon interessant, wie Sie über die Zeiträumen sie sich Freizügigkeit vorstellen, welche Perspektive Europas reden; es ist interessant, daß Sie Übergangsfristen sie vereinbaren wollen. Dazu blei- über den Bau des Hauses Europa reden, ohne auf die ben Sie jede Antwort schuldig. Das wird dazu führen, ökonomische Fundierung einzugehen. Was Sie ge- daß Sozial- und Lohndumping in Deutschland wei- sagt haben, war alles nicht falsch. Aber jetzt geht es tergehen. Das können die Arbeitnehmerinnen und darum, die notwendigen Entscheidungen für die po- Arbeitnehmer aber nicht verkraften, meine Damen litische Union nachzuliefern, damit die gemeinsame und Herren. Währung auf Dauer ein Erfolg wird. Was Sie bislang darüber geredet haben, reicht nicht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Sie sagen zum Beispiel kein Wort übe r die Notwen- digkeit und die Anstrengungen, die Sie unterneh- Über diese Fragen der Gegenwart haben Sie we- men wollen, um in Europa eine Harmonisierung der der im Hinblick auf den nationalen noch im Hinblick Unternehmensteuern zu erreichen, damit diese unse- auf den internationalen Maßstab ein einziges Wo rt lige Standortkonkurrenz innerhalb eines gemeinsa- verloren. Sie, Herr Bundeskanzler, haben sich, was men Marktes zu Lasten der Arbeitnehmerinnen und ich verstehen kann, in der Vergangenheit verloren. Arbeitnehmer aufhört. Das ist Ihr eigentliches Problem: Sie sind nicht in der Lage, die gewaltigen schöpferischen Kräfte, die es in (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Deutschland gibt, zu bündeln und in das nächste DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Dagmar Jahrtausend zu führen. Enkelmann [PDS]) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Dagmar Kein Wort haben wir darüber gehört, daß in diesem Enkelmann [PDS]) gemeinsamen Markt, wenn es nicht erhebliche öko- nomische Verwerfungen geben soll oder wenn ge- Ihre Bilanz ist mäßig. Deswegen kann sich Deutsch- waltige Transfers von den reichen Ländern in die är- land vier weitere Jahre Kohl nicht leisten. meren Länder zu leisten sind, zumindest soziale Mindeststandards vereinbart werden müssen, damit (Beifall bei der SPD) Sozialdumping nicht an der Tagesordnung ist. Im übrigen wird dies auch innerhalb Ihrer eigenen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Partei so gesehen. Ich halte es für ganz falsch, wie DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der die Diskussion, die Ihre Parteifreunde sich Ihnen ge- PDS) genüber leisten, interpretie rt wird. Es geht nicht nur darum, daß da einer Ihren Job haben wi ll - wer auch Kein Wort haben wir von diesem Bundeskanzler ge- immer. Es hat mit etwas ganz anderem zu tun, näm- hört zu der Frage, was diese Bundesregierung beitra- lich damit, daß die Frauen und Männer in Ihrer Frak- gen will, damit das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche tion und in Ihrer Partei eines ziemlich genau spüren: Arbeit am gleichen O rt " durchgesetzt werden kann. Mit Ihnen, Herr Bundeskanzler, kann diese Wahl nicht mehr gewonnen werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Rolf Kutz- DIE GRÜNEN) mutz [PDS]) Deswegen robben einige weg, und andere gehen In Berlin wird gebaut. Das ist gut so; das ist auch aufrecht von der Fahne. In jedem Fall ist es so, daß, notwendig. Aber in Berlin kann man studieren, was bezogen auf Sie, Herr Bundeskanzler, nur noch dar- passiert, wenn man es verabsäumt, sich in einem ge- über nachgedacht wird, wie man Sie denn möglichst meinsamen Markt um die sozialen Fragen zu küm-- schmerzlos los wird. mern. Dieser gemeinsame Markt, dieses Europa, ist eben nicht nur ein Ort ökonomischen Austauschs, (Dr. [CDU/CSU]: So ein sondern ebenso ein Ort der sozialen und kulturellen Unfug! Das ist ja unglaublich!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23069

Ministerpräsident Gerhard Schröder (Niedersachsen) Das ist die Solidarität, die Sie wirklich zu erwarten stelle ich ganz ohne Eifer fest, daß wir jetzt 48 Prozent haben, auch wenn Beifall „verordnet" wird. und Sie 35 Prozent haben. Das kann so weitergehen. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD, dem (Beifall bei der SPD) Bündnis 90/Die Grünen und der PDS - Bun deskanzler Dr. Helmut Kohl: Nennen Sie In dem ganzen Vorgang liegt, jedenfalls nach mei- doch einmal die Bundestagswahlergeb ner Wahrnehmung, auch eine gewisse Tragik. nisse! - Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Billiger geht es nicht!) (Widerspruch bei der CDU/CSU) Lassen Sie uns also noch eine Weile über die Straßen Sie liegt darin, daß wir Sozialdemokraten am Anfang und Plätze besonders in Niedersachsen ziehen, an- unserer Kampagne gesagt haben: „Danke, Helmut, derswo meinetwegen auch. Die Ergebnisse, die wir es reicht." Ihre Leute haben schon das Danke verges- erzielen, sprechen für sich. sen. (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Aber nicht bei Arbeitsplätzen! Da sind Sie am Schluß!) (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS - Michael Glos Was Innovation angeht, ist mir ein Thema wichtig. [CDU/CSU]: Reden Sie doch einmal zur Es gibt keine Auseinandersetzung darüber, daß man Sache! Das ist ja peinlich!) auf die neuen Technologien, auf die Informations- technologie, auf die Biotechnologie, setzen muß. Das geschieht. Aber wie ist das denn bei den Diskussio- Ich will Ihnen deswegen einige Punkte nennen, nen um die Energiepolitik? Energie ist sicherlich die die wir nach vorne bringen werden. Kein Zweifel, Basis einer Volkswirtschaft, denn ohne vernünftige dieses Land, diese Volkswirtschaft, muß auf Innova- Energieversorgung funktioniert sie nicht, gegenwär- tionen setzen und muß die Fähigkeit, Innovationen tig nicht und auch nicht in Zukunft. schneller in Produkte und Verfahren umzusetzen, besser als in der Vergangenheit entwickeln. (Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Aus stieg!) (Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/ Alle Möglichkeiten, sich die Option zu schaffen - das CSU]: Platitüden!) wäre ökonomisch und ökologisch vernünftig -, ohne die Kernenergie auszukommen, deren Entsorgungs- Ich könnte mich, verehrter Herr Dr. Kohl, auf Sie notwendigkeiten selbst Ihrer Umweltministerin jeden berufen. Sie haben sich gestern nahezu enthusia- Tag Probleme bereiten, haben Sie und niemand an- stisch auf einen Prozeß berufen - ihn habe ich be- ders blockiert. schrieben -, der in dem Land, aus dem ich komme und das 20 Prozent der Anteile an Volkswagen hält, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ablief. Hier kann man studieren, wie man mit Unter- DIE GRÜNEN) stützung des Großaktionärs, im übrigen auch mit Un- Von dem, was ich dazu gesagt habe, habe ich terstützung der Landesregierung, nichts zurückzunehmen. Bei der Frage der Zeit- räume, in denen man sich die Option, ohne Kernen- (Michael Glos [CDU/CSU]: Rolls-Royce! - ergie auszukommen, schaffen kann, gibt es auf unse- Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Milliar- rer Seite des Hauses sicher große Unterschiede. Ich den in den Sand gesetzt!) halte es nicht für möglich, in den nächsten fünf oder zehn Jahren auszusteigen. Das weiß hier jeder und Innovationen sehr viel schneller als in der Vergan- soll auch jeder wissen. genheit in neue Produkte umsetzt und damit welt- weit erfolgreich ist. (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Schau'n mer mal!) (Beifall bei der SPD - Widerspruch bei der Aber wer eine vernünftige, weil sichere Energiever- CDU/CSU - Michael Glos [CDU/CSU]: Aus sorgung etablieren wi ll, der muß sich wenigstens purer Großmannssucht!) darum bemühen, diese Option zu schaffen. Ein Un- fall irgendwo würde uns in unüberwindbare energie- Nur soviel zu Niedersachsen. politische und auch ökonomische Schwierigkeiten bringen. Hier liegt der Grund, warum ich in der Tat Der Bundeskanzler redet gerne darüber, daß er, dafür bin, auch in Zukunft auf die Verfeuerung fossi- wie er es nennt, über die Straßen und Plätze zieht. ler Brennstoffe zu setzen, also Kohle und Braunkohle Seit 1983 habe ich den Herrn Bundeskanzler auf den in Deutschland mit besseren Wirkungsgraden als Straßen und Plätzen in Niedersachsen gelegentlich Energie zu nutzen. getroffen. 1986 hatte die Union in Niedersachsen 50 Prozent, und die SPD hatte 36 Prozent. Nachdem (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wir viele Male gemeinsam über die Straßen und Hier liegt auch der Grund, warum ich der Auffassung Plätze des Landes gezogen sind, bin, daß wir es uns angelegen lassen sein sollten, die - gewaltigen ökonomischen Möglichkeiten, die in den (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem Technologien der Energieeinsparung stecken, für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) uns zu nutzen. Hier liegt ferner der Grund, warum 23070 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Ministerpräsident Gerhard Schröder (Niedersachsen) ich nicht das geringste dagegen habe, dafür zu sor- ter Kriegerwitwe mit fünf Kindern - Schulgeld bezah- gen, daß Wind- und Solarenergie besser als in der len mußten, die Schulbücher nicht kostenlos waren Vergangenheit genutzt werden, nicht zuletzt deswe- und die Fahrt zur nächsten Stadt, in der das Gymna- gen, weil das auch eine industriepolitische Kompo- sium war, auch selbst finanziert werden mußte. nente hat: (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das hat (Beifall bei der SPD) die CDU verändert, nicht die SPD!) nicht so sehr, weil wir in Deutschland Solarzellen Das sind meine eigenen Erfahrungen, die Gott sei produzieren können, sondern vielmehr, weil die ge- Dank heute wegen der Bildungspolitik der Sozialde- samten Produkte, die hinter den Brennstoffzellen mokraten niemand mehr machen muß, die übrigens stecken, hochinteressant, hoch wertschöpfend und häufig der Gleichmacherei geziehen worden sind. deshalb sehr wichtig sein können. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Lachen bei der CDU/CSU) DIE GRÜNEN) Die Zahlen, die ich Ihnen eben aus der Erhebung Kein Wort des Bundeskanzlers zu der Aufgabe, Indu- des Studentenwerkes vorgelesen habe, weisen auf striepolitik zu betreiben, indem man sich eine Mög- die gefährliche Entwicklung hin, daß es wieder ein- lichkeit eröffnet, eine ebenso umweltschonende wie mal dazu kommen könnte, daß die Entscheidung, ob preiswerte, aber doch auch ökonomisch vernünftige jemand zu Deutschlands höheren und hohen Schulen Alternative zur Kernenergie zu schaffen. gehen kann oder nicht, nicht etwa von seiner Intelli- (Zurufe von der CDU/CSU: Kein einziger genz abhängt. Ich sage Ihnen sehr deutlich: Meine konkreter Satz! - Bla, bla, bla!) Partei und ich werden es nie zulassen, daß die Frage, ob jemand auf Grund von Bildung bessere Lebens- Dann haben Sie, Herr Bundeskanzler, hier lange chancen als jemand anderes erhält, von Mamas oder und in hohen Tönen über die Notwendigkeit von Papas Geldbeutel abhängt. Das soll nie wieder in Ausbildung und Bildung geredet. Aber wie ist denn Deutschland geschehen. die Situation, seit Sie regieren? (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE (Michael Glos [CDU/CSU]: Fragen Sie die GRÜNEN und der PDS) Bayern! - Zuruf von der CDU/CSU: Wie ist es in Niedersachsen?) Das ist der Grund, warum wir Vorschläge zum BA- föG gemacht haben. Das ist auch der Grund, warum Die Forschungs- und Entwicklungsausgaben sind in wir das von Ihnen mit diesen Einschränkungen und Ihrer Regierungszeit kontinuierlich zurückgenom- mit diesem Aufbau sozialer Barrieren, die sich gegen men worden; Forschung und Entwicklung sind zu- Chancengleichheit richten, beschlossene Hochschul- rückgegangen. rahmengesetz nicht etwa blockiert - Unsinn zu ver- meiden ist keine Blockade; vielmehr ist es vernünftig -, ( [CDU/CSU]: Scharlatan!) sondern abgelehnt haben. Kurz vor der Wahl kommen Sie mit einer Mogelpak- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ kung, die Sie ein 550-Millionen-DM-Programm nen- DIE GRÜNEN) nen, einer Mischung aus Ihnen abgetrotzten BAföG- Erhöhungen und anderem, und sehen sich nicht ein- Sie werden es erleben, wie wir die Möglichkeiten zur mal in der Lage, die Schulden, die Sie bei den Län- Veränderung, die hier gegeben sind, nutzen werden dern für deren Vorfinanzierung des Hochschulaus- - aber ohne die soziale Diskriminierung der Kinder baus haben, in anständiger Weise zu bezahlen. Das aus Arbeitnehmerfamilien. Darauf können Sie sich ist Ihre Politik auf dem Sektor von Forschung und verlassen. Entwicklung. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) Ich habe überhaupt kein Problem mit dem Beg riff Aber ernster ist eine andere Entwicklung, die in Ih- der Elite. rer Regierungszeit eingetreten ist und die mich sehr persönlich betrifft. Nach den Ermittlungen des Deut- ( [CDU/CSU]: Du gehörst auch schen Studentenwerkes hat sich die soziale Struktur nicht dazu!) bei den Studenten von 1982 bis 1997 stark verändert. Natürlich braucht auch eine Demokratie Eliten. Aber Das Deutsche Studentenwerk schreibt: Gemessen die Frage ist, wie sie gebildet werden und wie frei am Einkommen und Bildungsabschluß der Eltern hat der Zugang zu den angeblichen oder tatsächlichen der Anteil von Studenten aus einkommensschwäche- Eliten ist. Dazu sage ich: Elitebildung kann in einer ren Familien von 23 Prozent 1982 auf 14 Prozent 1995 Demokratie nur dann funktionieren, wenn Bildungs- abgenommen. Das ist ein interessanter Vorgang, der barrieren, die den Zugang zu den Eliten versperren, mich deshalb sehr persönlich bet rifft, weil ich die beseitigt, und nicht neu aufgebaut werden, wie Sie Zeit noch kenne, in der Kinder aus Arbeiterfamilien das gemacht haben. nicht deshalb, weil sie dümmer als andere gewesen wären, nicht zu Deutschlands höheren und hohen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Schulen gehen konnten, sondern deshalb, weil wir DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der damals - so war es jedenfalls bei uns zu Hause: Mut- PDS) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23071

Ministerpräsident Gerhard Schröder (Niedersachsen) Ein weiterer Punkt, um den es uns geht und über schäftigen. Es geht um jene Jobs, die im Westen den in der letzten Zeit viel geredet worden ist, ist die 620 DM und im Osten 520 DM bringen. Ich weiß, es Orientierung dieser Industriegesellschaft in Richtung gibt aus den Gewerkschaften und auch von dem ei- auf eine Dienstleistungsgesellschaft. Kein Zweifel: nen oder anderen aus meiner Partei die Forderung: Die Entwicklung moderner Gesellschaften bringt Schafft diese Jobs ab! eine solche Orientierung mit sich. Das wird nicht an- ders zu machen sein. Aber es einfach laufen zu las- Ich bin dabei - auch aus eigener Erfahrung - zu- sen und politisch nicht zu regeln, das wird sich als rückhaltender. Meine Mutter mußte früher als Putz- gefährlicher Irrtum erweisen. frau unter diesen Bedingungen arbeiten. Das habe ich noch nicht ganz vergessen. Ich bin ziemlich si- Eine Tendenz, die darin besteht, daß die großen cher, daß diese Jobs für viele ein zusätzliches Ein- Handelsketten aus einem Vollerwerbsarbeitsverhält- kommen bedeuten, mit dem man vielleicht den Ur- nis drei 620-DM-Jobs machen, ist sozial schädlich laub finanziert oder auf andere Weise zur Gestaltung und ökonomisch unvernünftig. des Lebensunterhaltes beiträgt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Daher - da haben Sie mich falsch zitiert, wenn Sie DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der es überhaupt richtig zitieren wollten - bin ich nicht PDS) für die Abschaffung dieser Jobs. Aber darüber nach- Wenn es um die Entwicklung einer Dienstleistungs- zudenken, ob es nicht sinnvoll ist, statt einer pau- gesellschaft geht, dann besteht die Aufgabe darin, schalen Versteuerung dieser Jobs eine pauschale hier wirksame Mißbrauchskontrollen einzuführen Versicherungspflicht einzuführen, ist doch wohl alle und deutlich zu machen, daß diejenigen - vor allem Mühen wert . Das sollten wir in Angriff nehmen. Frauen -, die diese Jobs haben, eigene Ansprüche (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ bei den Sozialversicherungsträgern erwerben müs- DIE GRÜNEN) sen. Wenn Sie dann - wie es in Österreich der Fall ist - (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- denjenigen, denen der Arbeitgeber - der dadurch ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nicht mehr belastet wird - diese 620-DM-Jobs versi- In diesem Zusammenhang möchte ich eine Bemer- chert hat, die Möglichkeit geben, selbst etwas drauf- kung zu dem Modell machen, das hier unter dem zulegen, wenn sie wollen und können, haben Sie zwei Stichwort Kombilohn diskutiert worden ist. Der Bun- Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Sie gewähren - deskanzler - Sie sehen, daß ich ihm gestern genau wenn auch kleine - eigene Ansprüche, Sie begrenzen zugehört habe - hat vor den Vertretern der Automo- aber auch die Mißbräuchlichkeit solcher Arbeitsver- bilindustrie gesagt, daß er noch gar nicht so recht hältnisse. Ich finde, so herum wird ein Schuh daraus. wisse, ob das der Weisheit letzter Schluß sei, was Das ist Orientierung auf Dienstleistungen, ohne das Blüm gerade vorgelegt habe. Prinzip sozialer Sicherheit über Bord zu werfen. (Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler: Ich bin (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ für das Expe riment! Bleiben Sie bei der DIE GRÜNEN) Wahrheit! - Joseph Fischer [Frankfurt] Wir haben ferner deutlich zu machen: Wie soll es [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Präsi- mit der Steuerreform weitergehen? Darüber hat der dentin, Unruhe auf der Regierungsbank!) Parteivorsitzende, hat Oskar Lafontaine gestern das - Nein, Herr Bundeskanzler, das ist ja aufgeschrie- Notwendige gesagt. Ich will hier zwei Dinge deutlich ben worden. Sie können mir schon glauben. Sie ha- machen: Ich freue mich natürlich auch, daß Sie nun ben es vielleicht vergessen; das wi ll ich gerne einräu- nach mehrjähriger Diskussion, dreieinhalb Wochen men. Aber das war schon so. vor der Bundestagswahl, Ihre nicht finanzierbaren Steuerreformpläne vergessen und auf das Modell der Sie haben dort deutlich gemacht, daß Sie auch SPD einschwenken. nicht genau wüßten, ob dieses Modell das richtige sei. Aber wir wissen eines: Wenn man wirklich in die- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sem Bereich Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren DIE GRÜNEN - Lachen bei der CDU/CSU will, dann macht es schon Sinn, sich an der Finanzie- und der F.D.P. - Dr. Wolfgang Schäuble rung der Lohnzusatzkosten zu beteiligen. Das ist der [CDU/CSU]: Quatsch!) Grund, warum das Modell, das in unserer Fraktion Das ist bemerkenswe rt. entstanden ist, das ökonomisch vernünftigere ist, weil es weniger Mitnahmeeffekte ermöglicht. Des- Wenn man sich in allen Einzelheiten anschaut, was wegen werden wir es auch umsetzen. Theo gestern vorgetragen hat, landet man genau da- bei: maximal 10 Milliarden DM Nettoentlastung, bei (Beifall bei der SPD) den Eingangssteuersätzen geringe Differenzen, beim Mir ist dabei gleichgültig, ob Sie das „Kombilohn" Spitzensteuersatz - man höre und staune - kaum oder sonstwie nennen. Die Bezeichnung ist nicht noch Differenzen. Das kann man nicht glauben, wichtig; vielmehr kommt es auf den Inhalt an. Dar- wenn man frühere Erklärungen kennt. über sollte - wenn Sie dazu bereit sind - in der Tat noch einmal gesprochen werden. - (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Er hat getobt! - Joseph Fischer [Frankfu rt] In diesen Zusammenhang gehört auch ein anderer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaub Punkt, wenn wir uns schon mit diesem Thema be- lich!) 23072 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Ministerpräsident Gerhard Schröder (Niedersachsen) Im übrigen denke ich: Es ist alles - wohl aus einem Flächentarifverträge fortsetzen oder ob man sie einzigen Grund - eine Kopie dessen, was wir vorge- durchlöchern will. Wir sind gemeinsam mit den Ge- schlagen haben. Meine Damen und Herren, Sie - ich werkschaften für eine Politik, die den Flächentarif meine damit die Abgeordneten der Koalitionsfraktio- verteidigt, ihn aber so öffnet, daß unternehmensbe- nen - müssen mitbekommen haben, wenn Sie über zogene Notwendigkeiten realisie rt werden können. die Straßen und Plätze ziehen, daß die Menschen in Dafür gibt es viele Beispiele - im übrigen auch bei Deutschland ganz genau spüren, daß all Ihre vergan- Volkswagen und Conti, über die wir gestern geredet genen Steuerpläne einen gewaltigen Mangel hatten: haben. Sie waren mit einer gewaltigen Gerechtigkeitslücke bedacht. Das war ihr Mangel. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Diese Politik werden wir mit den Freunden in den PDS - Jürgen Türk [F.D.P.]: Wo denn?) Gewerkschaften durchsetzen, weil es eine Notwen- digkeit ist. Sie sind nicht so verfahren, unten und oben etwas zu geben, sondern Sie haben insbesondere die Men- Flexibilisierung der Organisation der Arbeit, schen, die jeden Tag in die Fabriken und Verwaltun- Hilfe seitens der Beschäftigten, wenn das Unterneh- gen gehen und hart arbeiten, kontinuierlich belastet, men in der Krise ist - das ist in den Bet rieben und Un- um oben entlasten zu können. Das nenne ich Ge- ternehmen entgegen dem, was die Verbandsvertreter rechtigkeitslücke. Das ist das Merkmal Ihrer Steuer- so von sich geben, längst Wirklichkeit. politik. Weil Sie das in Ihren Wahlkreisen spüren, ge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) hen Sie von dem ab, was am Petersberg noch so eine Art Offenbarung gewesen ist. Das ist der Grund - Wir werden das Prinzip, daß die Arbeitnehmerinnen und nichts anderes. und Arbeitnehmer in einer Krise auf soziale Leistun- gen verzichten, um ein anderes Prinzip ergänzen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Wir werden nämlich dafür sorgen, daß, wenn die DIE GRÜNEN) Krise überwunden ist, auch die Arbeitnehmerinnen Wir bleiben dabei: Für die Menschen, die ein und Arbeitnehmer Anteil am neuen Erfolg des Unter- durchschnittliches Einkommen mit nach Hause brin- nehmens haben. Das ist Gerechtigkeit. Sie betreiben gen, um sich und ihre Familien durchzubringen, wird das Gegenteil. es mit der Realisierung unserer Vorstellungen nach dem 27. September insgesamt gesehen eine Entla- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ stung von 2 500 DM geben, eine Entlastung, die si- DIE GRÜNEN) cher in den Konsum fließen und auf diese Weise der Ich will mich auch mit dem beschäftigen, was Sie Binnenkonjunktur aufhelfen wird. Denn wir leiden in besonders kritisieren, nämlich mit dem, was wir für der Tat noch immer darunter, daß die Binnenkon- den Fall der Regierungsbildung vereinbart haben, junktur unterentwickelt ist. Da braucht es noch einen um die Fehlentwicklungen, die Sie zu verantworten Schub. Dieser kann durch die Entlastung der arbei- haben, zu korrigieren. tenden Menschen mit bewerkstelligt werden. Das ist der erste Eckpunkt unserer Steuerpolitik. (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Sagen Sie doch was zu Steuern!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) - Ich sage das sofort. Der zweite Eckpunkt unserer Steuerpolitik hat in Übrigens: Wer darüber redet, der tut gut daran, der Tat etwas mit den kleinen und mittleren Unter- sich einmal mit dem Reformbegriff auseinanderzu- nehmen zu tun. Da ist keine Differenz in den Aussa- setzen, den Sie im Volk unterzubringen versuchen. gen, Herr Gerhardt, wie Sie versucht haben, den Zu Zeiten Willy Brandts und Helmut Schmidts galt Menschen, die uns zuhören und zuschauen, zu sug- eine Reform als etwas, mit dem man die Lebenslage gerieren, sondern das entspricht einander. Auf der ei- der arbeitenden Menschen verbesserte. Deshalb gab nen Seite Entlastung der Durchschnittsverdiener es Zustimmung für Reformkonzepte. und auf der anderen Seite bei den Unternehmensteu- ern Konzentration auf das, was man Mittelstand Heute hat sich das grundlegend geändert. Wenn nennt - das ist eine vernünftige, die Wi rtschaft in einer der durchschnittlich verdienenden Menschen Deutschland stärkende und damit arbeitsplatzsi- heute das Wort „Reform" nur hört, bekommt er schon chernde und arbeitsplatzschaffende Politik. Die wird einen Schrecken und denkt: Jetzt wollen Kohl und in Deutschland nach dem 27. September üblich wer- Blüm wieder an mein Portemonnaie - so verkommen den. ist der Reformbegriff in Ihrer Regierungszeit. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE DIE GRÜNEN) GRÜNEN und der PDS) Der nächste Punkt. Modernität und Modernisie- Das ist der G rund, warum ich nicht sehen kann, rung von Wirtschaft hat mit flexiblerer Organisation wieso in dem Versprechen, die Lohnfortzahlung im der Arbeit zu tun; das ist gar keine Frage. Dann geht Krankheitsfall wiederherzustellen, die Rücknahme es um die Bedingungen, dann geht es zum Beispiel einer Reform liegen könnte. Was ist denn das für eine darum, ob man die friedenserhaltende Funktion der Reform? Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23073

Ministerpräsident Gerhard Schröder (Niedersachsen) Übrigens: Kluge Unternehmensleitungen haben Um das dritte zu nennen, was wir als Korrektur von sich - 70 Prozent sind damit befaßt - mit ihren Be- Fehlentwicklungen angekündigt haben: Beschäfti- triebsräten längst auf 100 Prozent Lohnfortzahlung gen wir uns doch einmal mit dem Gesundheitssy- verständigt. Wie kann man nur der Auffassung sein, stem! Die Deutschen waren zu Recht stolz darauf, ein daß das, was für 70 Prozent eine Selbstverständlich- Gesundheitssystem zu haben, in dem eben nicht der keit ist, für die restlichen 30 Prozent nicht gelten Grundsatz gilt: Wenn du arm bist, mußt du früher sollte? Das ist doch Spaltung des Volkes in einer sol- dran glauben. chen Frage und das Gegenteil von Zusammenführen. (Lachen bei der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Gerhard Jüt- - Ich behaupte auch gar nicht, daß das jetzt schon temann [PDS]) gelten würde. Im übrigen hat dies auch etwas mit der Frage zu (Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/ tun, wie man die Beschäftigten in den Bet rieben zu CSU]: Ein Schelm, der Böses dabei denkt!) mehr Arbeit, zu mehr Leistungen bringen zu können Aber es gibt Entwicklungen, die Sie eingeleitet ha- glaubt. Die eine Seite meint: Wenn wir nur gehörig ben, die ich für gefährlich halte. Druck machen, wenn wir nur gehörig Angst entste- hen lassen, dann funktioniert das schon. Dies, meine (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Damen und Herren, ist nicht unsere Vorstellung. Die Ich nenne Ihnen zwei. Entwicklung einer Industriegesellschaft beruht auf immer mehr Produkten, die wissensbasiert sind. Wir Da gibt es die Maßnahme, chronisch Kranken, brauchen immer mehr immer besser ausgebildete Menschen, die Schmerzen erleiden, die Lebensangst Menschen. Niemand sollte sich dem Irrtum hinge- haben müssen, die besten Medikamente nur dann zu ben, diese Menschen wären zu Leistungen zu brin- geben, wenn sie kräftig draufzahlen können. Viele gen, indem man ihnen angst macht. Nein, man muß können das nicht. Das ist doch nicht in Ordnung. Das sie motivieren! Kluge Unternehmer haben das ver- kann man doch nicht machen! standen. Das ist der erste Punkt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS - Widerspruch bei der CDU/CSU und PDS - Michael Glos [CDU/CSU]: Ausge- der F.D.P. - Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: rechnet Herr Schröder!) Sie wissen doch, daß es Einkommensgren zen gibt! Sie wissen doch, daß das nicht - Sie haben es nicht kapiert. Das weiß ich wohl. stimmt!) Zweitens. Wie war das bei der Rente? Sie haben Da gibt es, ebenfalls von Ihnen angeordnet, für eine Rentenformel eingeführt, die ein Absenken der diejenigen, die nach 1979 geboren sind, keine Be- Rente von 70 auf 64 Prozent bedeuten wird. Wen trifft zahlung des Zahnersatzes durch die Krankenkassen das vor allen Dingen? - Das trifft doch insbesondere mehr. Meine Damen und Herren, das ist doch eine jene zumeist älteren Frauen, die ihre Männer im Politik, die Sie nach dem Muster gemacht haben: Krieg verloren haben, Wenn wir dem Volk schon weniger zu beißen geben, (Lachen bei der CDU/CSU) wozu braucht es dann gesunde Zähne? die ihre Kinder durchgebracht haben und die vor al- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ len Dingen die Lasten des Aufbaus im Westen getra- DIE GRÜNEN - Widerspruch bei der CDU/ gen haben. Denen an die Rente zu gehen ist nicht CSU und der F.D.P.) nur sozial ungerecht, nein, es ist unanständig, was Wer diese Fehlentwicklungen zurücknimmt, der Sie da machen. blockiert keine Reformen, der nimmt auch keine Re- (Lebhafter Beifall bei der SPD - Beifall beim formen zurück, sondern der sorgt für ein gesellschaft- BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der liches Klima, PDS - Widerspruch bei Abgeordneten der (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Sie brau CDU/CSU) chen wirklich einen Kulturbeauftragten!) - Ich weiß, daß Sie sich darüber aufregen - weil Sie in dem Reformen, verstanden als die Verbesserung Druck bekommen, weil die Menschen das nicht der Lebenslage der breiten Schichten der arbeiten- mehr mitmachen, was Sie ihnen in den letzten 16 Jah- den Bevölkerung, überhaupt erst wieder möglich ren zugemutet haben. werden. Dieses Klima haben Sie zerstört. (Beifall bei der SPD - Widerspruch bei der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne CDU/CSU - [CDU/CSU]: ten der PDS) Nur Polemik!) Ich will mich zum Schluß Sie werden das am 27. September dieses Jahres mer- ken. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - und der F.D.P.) (Christian Schmidt [Fü rth] [CDU/CSU]: Ihnen geht es nicht um das deutsche Volk! mit dem befassen, was diese Koalition, was insbeson Ihnen geht es nur um sich selber!) dere der Bundeskanzler als Wahlkampfstrategie aus- 23074 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Ministerpräsident Gerhard Schröder (Niedersachsen) gegeben haben und was er hier heute, nur sehr not- Ich würde es auch deshalb gerne machen, weil ich dürftig kaschiert, zum besten gegeben hat. Da geht immer lesen muß, ich sei für Sie nicht zu greifen. es, so behauptet Ihr Generalsekretär - - Greifen Sie doch einmal. Warum denn nicht, meine Damen und Herren? Was meinen Sie, wie viele inter- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ essiert wären! DIE GRÜNEN]: Wie heißt er?) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ - Ich bin der Auffassung, verehrter Herr Fischer, man DIE GRÜNEN) sollte bei Herrn Hintze nicht immer vom „Pfarrer Hintze" reden. Das ist eine Beleidigung all der Pfar- Kommen Sie aus der Beschäftigung mit der Ver- rer, die in Deutschland ihre Arbeit tun. Da müssen gangenheit hervor. Widmen Sie sich den Aufgaben, Sie ganz vorsichtig sein. die wir heute und in der Zukunft haben. Lassen Sie uns das alles ganz ruhig und ganz gelassen miteinan- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- der diskutieren. Dann können die Menschen in ten der PDS - Dr. Peter Ramsauer [CDU/ Deutschland entscheiden. Ich bin ganz sicher, sie CSU]: Was haben ausgerechnet Sie mit werden sich entscheiden am 27. September, und Pfarrern am Hut?) zwar für diese, die linke Seite des Hauses. Ich wollte über das reden, meine sehr verehrten Vielen Dank, meine Damen und Herren. Damen und Herren, was die Wahlkampfstrategie (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD sein soll. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Bei (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Sie fall bei Abgeordneten der PDS) sollten über Anstand reden!) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Immer wieder hört man - ein bißchen ist das ja auch jetzt der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Wolf- in dieser Debatte erkennbar gewesen -, Sie bereiten gang Schäuble. sich auf etwas vor, was Sie, Herr Bundeskanzler, La- gerwahlkampf nennen. Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU) (von der CDU/ (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Und CSU und der F.D.P. mit Beifall begrüßt): Frau Präsi- Sie Anstand!) dentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mi- nisterpräsident Schröder, Kanzlerkandidat der SPD, Das ist ein hochinteressanter Begriff, mit dem man hat im Schlußteil seiner Ausführungen, denen wir so- sich ein wenig beschäftigen sollte. Wer einen Lager- eben aufmerksam gelauscht haben, davon gespro- wahlkampf führen will, Herr Bundeskanzler, der chen, daß ein Bundeskanzler in Deutschland eher zu- trennt ja wohl das Volk in die Guten auf der einen sammenführen müsse als spalten dürfe. Herr Mini- Seite - das sind natürlich, denke ich einmal, nach Ih- sterpräsident Schröder, Sie wollen Kanzler werden. rem Verständnis Ihre Wähler - und die Schlechten Helmut Kohl ist es. auf der anderen Seite. (Klaus Lennartz [SPD]: Er wird es!) Wer einen Lagerwahlkampf führen wi ll, der ver- sucht ganz bewußt, das Volk zu spalten, Wenn wir die beiden Reden, die wir von Helmut Kohl und Herrn Schröder soeben gehört haben, in (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: So denken der Erinnerung auf uns wirken lassen, dann merken Sie!) wir, wer als Bundeskanzler Deutschland zusammen- führt und wer spaltet und teilt. um seine Macht abzusichern. Das ist das, was Sie versuchen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der SPD) In einem war die Rede von Herrn Schröder bemer- kenswert. Es ist wieder klar - insofern hat die De- Ich sage aber deutlich: Es ist nicht Aufgabe eines batte sogar etwas gebracht, auch Ihre Rede -: Die Al- deutschen Bundeskanzlers, das Volk über einen La- ternativen sind eine Fortsetzung der von Helmut gerwahlkampf zu spalten. Es ist Aufgabe eines deut- Kohl geführten Regierung, unserer Koalition, oder schen Bundeskanzlers, es zusammenzuführen. Ir- Rotgrün in Deutschland. gendwann hatten Sie das einmal beg riffen. Aber in- zwischen haben Sie es aufgegeben. Das ist Ihr Pro- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) blem. Alles, was Sie in den letzten Wochen und Monaten (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ an Ablenkungsmanövern, Vertuschungsmanövern DIE GRÜNEN) und Täuschungsmanövern inszeniert haben, ist durch Ihre demagogische Neidrede entlarvt worden. Wir werden in den nächsten dreieinhalb Wochen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - meinethalben auf den Straßen und Plätzen ins Ge- Günter Verheugen [SPD]: Das muß ja geses spräch kommen. Ich würde ja wirklich gerne einmal sen haben!) mit Ihnen die Lage der Nation vor den Kameras des deutschen Fernsehens diskutieren. - Von neuer Mitte war nicht mehr viel zu spüren, aber von alter Linken war viel zu spüren: (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23075

Dr. Wolfgang Schäuble Neid, Angst, Teilen, Spalten - und gar nichts von Zu- hört wirklich zu den unglaublichen Dingen, wie da- kunft. Ich dachte gestern, Herr Lafontaine müsse die mals und in der Folgezeit, bis in die letzten Monate Alternative spielen, weil Sie ja eine Doppelstrategie hinein, der Ministerpräsident des Landes Nieder- haben. Heute morgen war das bei Herrn Scharping sachsen jeden Beitrag nationaler Solidarität immer noch einmal so. Bei Herrn Lafontaine hatte ich das dann verweigert hat, wenn er nicht in Ostdeutsch- Gefühl, er bewirbt sich um den Ehrenvorsitz in der land, sondern in Westdeutschland geredet hat. Auch PDS; so hat er gestern jedenfalls geredet. heute wieder: kein Wort etwa zu der Frage, wo der Produktionsstandort sein soll, wenn wir die Großflug- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - zeuge der Airbuslinie bekommen, während der Bun- Widerspruch bei der SPD) deskanzler sich klar, mutig und entschieden dafür Jetzt redet Herr Schröder in derselben Weise. Das ausgesprochen hat, daß er nach Mecklenburg-Vor- zeigt: Es geht nicht um Zukunft, sondern es geht pommern kommen soll. Das ist nationale Solidarität darum, ein Zerrbild von der Wirklichkeit zu zeigen und Führungsstärke, und die Menschen gegeneinander aufzuhetzen. Das (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wird Ihnen nicht gelingen. nicht Ihr kleinliches Wo rt „keine Mark niedersächsi- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) scher Steuerzahler für den Aufbau der neuen Bun- Sie haben dem Bundeskanzler am Anfang Ihrer desländer" , das wir alle noch gut in Erinnerung ha- Rede vorgeworfen, daß er sich in seiner Rede auch ben. mit den 16 Jahren seiner Regierungstätigkeit kurz bi- Natürlich haben wir durch die Wiedervereinigung lanzierend befaßt hat. Anschließend haben Sie sich - Herr Biedenkopf hat es gestern eindrucksvoll ge- aber lange mit dieser Bilanz beschäftigt, wenn auch sagt - neue ökonomische Probleme. Wir haben auch in einer verzerrenden Weise. Wenn der Bundeskanz- die Situation, daß uns die konjunkturelle Entwick- ler aber nichts zu den 16 Jahren gesagt hätte, in de- lung der Weltwirtschaft durch die Sonderlage in nen er - zum Glück für unser Land - die Verantwor- Deutschland etwas später getroffen hat und daß wir tung getragen hat, dann hätten Sie ihn ja auch kriti- deswegen bei der Anpassung an Veränderungen, die siert. andere in Europa früher in den 90er Jahren vollzogen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) haben, ein Stück weit notwendigerweise später ge- wesen sind. Aber wir haben uns auf den Weg ge- Ich spreche das nur noch einmal an, weil Sie das in macht. Wir sind auf dem richtigen Weg, und wir sind einer Weise gesagt haben, daß man wirklich denken gut vorangekommen. Es wird darüber zu reden sein, muß: Leben wir eigentlich, was unsere Wahrneh- was wir in den nächsten Jahren machen müssen. mung angeht, im selben Land? Wenn Sie 1982 mit 1998 vergleichen und in diesem Vergleich einfach Sie haben nicht eine der Fragen beantwortet. Sie unterschlagen, daß 1989/90 eine Zeitenwende in haben gesagt, wir sollten Sie doch fassen. Das ist Deutschland, Europa und der Welt, mit Frieden und schwer. Michael Glos hat Ihnen heute morgen jede Einheit und der Wiedervereinigung in Deutschland, Menge konkreter Fragen gestellt. Sie haben nicht stattgefunden hat, eine einzige beantwortet. Auch Wolfgang Gerhardt hat Ihnen jede Menge konkreter Fragen gestellt. Sie (Dr.-Ing. Paul Krüger [CDU/CSU]: Das hat haben nicht eine einzige beantwortet. er nicht mal erwähnt!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - dann ist das ein Vergleich, der so absurd ist, wie er Günter Verheugen [SPD]: Ärgerlich!) nur sein kann. Mir hat in einem heute morgen ausgestrahlten (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Rundfunkinterview ein Journalist vom Deutschland- funk vorgehalten: Deswegen muß man sich, wenn man bilanziert, die 80er und die 90er Jahre schon ein wenig anschauen. Bislang konnte man den Eindruck in diesem Wahlkampf bekommen, die Union bekommt den In den 80er Jahren haben wir Preisstabilität, dauer- Kandidaten Schröder nicht zu fassen. haftes Wachstum, 3 Millionen zusätzliche Arbeits- plätze bis 1989, eine Rückführung der Staatsquote Ich zitiere weiter: von knapp 52 Prozent in 1982 auf unter 46 Prozent in 1989 geschafft - eine ungeheure Erfolgsgeschichte Er entzieht sich inhaltlicher Zuordnung, er steht der deutschen Politik und eine Voraussetzung dafür, für alles und nichts zugleich. Was wollen Sie da- daß wir die historische Herausforderung der deut- gegen tun? schen Einheit und der Überwindung der Folgen von (Günter Verheugen [SPD]: Das hat er gesagt 40 Jahren Teilung und Sozialismus so gut bewältigen im Deutschlandfunk?) konnten. Das ist der erste Abschnitt in der Bilanz. Meine Antwort darauf: „Dies den Wählern bewußt (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) machen. " Er steht für alles und nichts. Der zweite Abschnitt ist, daß die Wiedervereini- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gung kam. Sie haben sie nicht gewollt; Sie haben da- gegen gestimmt. Sie haben sie auch nicht für möglich Aber Sie können auch die „Süddeutsche Zeitung" gehalten. Man könnte endlos darüber reden. Es ge- nehmen. Sie haben es ja so mit der Kultur. Da hat im 23076 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Dr. Wolfgang Schäuble Feuilleton in der Berichterstattung über diesen fabel- sen lassen, was Sie in acht Jahren zustande gebracht haften Auftritt mit Herrn Reich-Ranicki gestanden: haben, und das ist miserabel in Niedersachsen. Er sagt zu allem nichts, aber das ausführlich. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Ministerpräsident Oskar Lafontaine [Saar Gerhard Schröder bei „Talk im Turm" . land]: Warum ist er denn dann gewählt wor (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU den?) und der F.D.P. - Günter Verheugen [SPD]: - Jetzt will er erst einmal gewählt werden. - In Nie- Das haben Sie schon einmal zitiert!) dersachsen dürfen Sie die nächsten Jahre bleiben. - Natürlich, das können Sie auch noch einmal hören, Dagegen haben wir im Moment gar nichts. Das ist und, wenn Sie dazwischenrufen, ein drittes Mal. nun einmal so entschieden. Wir wollen nicht, daß Sie nach Bonn kommen. Dann bleibt der Punkt - damit müssen wir uns be- schäftigen -: Was ist der bessere Weg? (Beifall des Abg. Michael Glos [CDU/CSU]) (Günter Verheugen [SPD]: Sagen Sie ihn Darum geht es im Augenblick. doch einmal!) Den Ausbildungsnotstand zu beklagen und auf - Sobald Sie aufhören dazwischenzureden, Herr Ver- den Vorhalt: „Warum ist die Jugendarbeitslosigkeit heugen. Herr Verheugen hat offenbar einen etwas in Niedersachsen doppelt so hoch wie in Baden- gestiegenen Adrenalinspiegel. Das kann ich nach Württemberg oder Baye rn?" zu sagen: „Ich verfüge der schwachen Vorstellung von Herrn Schröder auch nicht über die Makroökonomie" ist eine so faule verstehen. Da tut mir ja jeder Sozialdemokrat ein biß- Ausrede; denn die Makroökonomie ist in Nieder- chen leid. sachsen dieselbe wie in Baye rn und Baden-Württem- berg, aber die Landespolitik ist schlechter, und dafür (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - tragen Sie Verantwortung. Lachen bei der SPD - Günter Verheugen [SPD]: Sagen Sie einmal, was Sie machen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich will an die Rede von Herrn Schröder vor zwei Wir können Sie ja nicht an dem messen, was Sie Tagen im Museum Koenig, 50 Jahre Parlamentari- als Kanzler einmal anrichten; vielmehr müssen wir - scher Rat, anknüpfen, und zwar an die Erklärung: auch die deutschen Wählerinnen und Wähler - Sie Wir wollen keinen Wettbewerbsföderalismus. Ich an dem messen, was Sie bisher als Ministerpräsident sage Ihnen: In einer Zeit, in der die Herausforderun- zustande gebracht haben. gen groß sind, in der sich bei uns ungeheuer vieles an sozialen Verhältnissen ändert, auch in der Welt (Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr wahr!) um uns herum, in der der Wettbewerb härter wird, Sie sagen immer, 16 Jahre sei lange. Ja gut, das ist kann man nicht einfach nur zurückblicken und glau- relativ. Ich sage immer - selbst Sie haben gesagt: der ben, man könnte die Leute mit den Parolen von vor- Bundeskanzler hat es in den 16 Jahren gut gemacht -: gestern noch heute in den Besitzständen festhalten, Wenn ich die Wahl habe zwischen einem, der es seit die wir für die Zukunft ein Stück weit überprüfen 16 Jahren gut macht, und einem, der es seit 8 Jahren müssen. Da ist der Satz „Wir wollen keinen Wettbe- nachweislich schlecht macht, dann ist mir der mit 16 werbsföderalismus" ein Programm für den Nieder- guten Jahren viel lieber als der mit 8 schlechten Jah- gang Deutschlands. ren. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Unser System der Dezentralisierung, das unser Unser Bundesstaat, unsere Ordnung mit Subsidia- Grundgesetz besser vorbereitet als die Verfassungen rität und Dezentralisierung wird mit dem jetzigen anderer Länder - Bund, Länder, Gemeinden, Tarifau- Bundeskanzler um so besser gelingen und um so tonomie, Autonomie von Arbeitgebern und Gewerk- bessere Ergebnisse für die Menschen erzielen. Das schaften, Unabhängigkeit der Bundesbank, die zu ist wichtig. Deswegen ist dieses Wo rt vom Wettbe- akzeptieren Lafontaine noch heute schwer fällt; des- werbsföderalismus so sehr Gift und so verräterisch wegen kritisiert er sie immer und sagt, die Bundes- für Ihre falschen Vorstellungen. Je mehr jeder seinen bank hätte in früheren Jahren die Zinsen senken Teil an Verantwortung wahrnimmt, um so besser ist müssen -, dieses Ordnungsprinzip der Dezentralisie- es. Hätten wir überall so erfolgreiche Landesregie- rung, mit der die deutsche Wirtschaft in den letzten rungen, wie wir sie dort haben, wo die Union regiert Jahren ihre Wettbewerbsfähigkeit entscheidend ver- - in Bayern, in Baden-Württemberg, in Sachsen und bessert hat, ist ein zukunftsfähiges Prinzip, aber nur anderswo -, dann wäre es um ganz Deutschland bes- unter der Voraussetzung, daß jeder seinen Teil an ser bestellt. Verantwortung wahrnimmt und dann auch an dem Erreichten gemessen wird. (Beifall bei der CDU/CSU) Herr Schröder, wir sind hier nicht im Niedersächsi- Hätten wir überall so schlechte Ergebnisse wie im schen Landtag. Was do rt zu machen ist, das kann Saarland und in Niedersachsen, dann wäre es schon gut. Meistens schweigen Sie- schlechter in Deutschland. Eine der großen Streitfra- auch auf seine entsprechenden Vorhaltungen. Wenn gen, eine der Alternativen lautet: Dezentralisierung Sie aber Kanzlerkandidat sind und Kanzler werden oder bürokratischer Zentralismus. Sie setzen auf zen- wollen, dann müssen Sie sich ein wenig an dem mes- tralistische Regelungen. Ich nenne Ihnen ein anderes Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 2307

Dr. Wolfgang Schäuble Beispiel: Tarifautonomie. Tarifautonomie gelingt und Herren, schafft man Rahmenbedingungen für nicht, wenn man sagt: Für die Lohnerhöhungen sind mehr Arbeitsplätze. Das ist unser Weg. Wir sind auf die Gewerkschaften verantwortlich, an der Arbeitslo- dem richtigen Weg; er muß weitergegangen werden. sigkeit ist die Regierung schuld. So geht es nicht. Je- Es darf nicht zur Rolle rückwärts kommen. der muß seinen Teil beitragen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deswegen will ich Ihnen die Sache mit der Lohn- In einer Zeit - ich komme nachher noch auf das fortzahlung und auch die mit dem Schlechtwetter- Thema Kombilohn zu sprechen -, wo es weltweit und geld noch einmal erklären: Sie haben Unrecht, wenn auch mitten in Europa ein Wohlstandsgefälle und Sie sagen, das habe nichts genützt oder sei falsch viele Möglichkeiten zu intensiver Arbeitsteilung und oder sonst etwas. So sind Tarifautonomie und Dezen- enger Verflechtung gibt, stehen wir nicht nur bei der tralisierung im Interesse der Zukunftsfähigkeit unse- industriellen Produktion in Konkurrenz um jeden Ar- res Landes. Was haben wir hier denn geregelt? Wir beitsplatz, ob uns das gefällt oder nicht. Daß 14 Tage haben niemandem etwas verboten. Ich höre immer Urlaub in der Karibik billiger als im Schwarzwald an- den Quatsch, auch die Vorstandsmitglieder würden geboten werden, stellt, wie ich immer sage, für das 100 Prozent im Krankheitsfall bekommen. Ich weiß Fremdenverkehrsgewerbe im Schwarzwald oder an- das gar nicht; ich weiß nur, daß es keine gesetzliche dere Problembereiche eine strukturelle Herausforde- Regelung gibt, die das vorschreibt. Wir haben ledig- rung dar. lich gesagt, der Gesetzgeber bestimmt nicht, daß die Lohnfortzahlung bei 100 Prozent liegen muß; viel- Wenn wir in einer solchen Welt wettbewerbsfähig mehr müssen 80 Prozent sein. Die Tarifparteien kön- sein wollen, also die Grundlagen für Wohlstand, Be- nen zwar mehr vereinbaren, aber sie müssen das schäftigung, soziale Sicherheit auch für die Zukunft dann so vereinbaren, daß das wirtschaftlich tragbar sichern wollen, müssen wir uns auf unsere Stärken bleibt. Das System hat funktioniert. Diejenigen, die besinnen und konzentrieren. Deshalb ist es so wich- 100 Prozent Lohnfortzahlung vereinbart haben, ha- tig, daß an unseren Schulen und Hochschulen Spit- ben in denselben Tarifverträgen an anderer Stelle zenleistungen erbracht werden. Das Versagen der Einsparungen vereinbart, die die Lohnzusatzkosten SPD-geführten Länder in der Bildungspolitik ist da- um 20 Milliarden DM gesenkt haben. her eine Katastrophe im Hinblick auf die Zukunft Deutschlands. Darum geht es; das ist der Zusammen- (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: So ist es!) hang. So senkt man Lohnzusatzkosten, und so schafft man (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Rahmenbedingungen für mehr Arbeitsplätze. Sie bestreiten das. Vielleicht machen Sie den Feh- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ler, Gerechtigkeit mit Gleichheit gleichzusetzen. Die- Ihr Rezept bringt uns mehr Arbeitslosigkeit. ses Mißverständnis ist vielleicht gutgemeint - gutge- meint ist aber nicht immer gut gemacht. Auch im Wenn Sie das jetzt rückgängig machen würden, Wahlkampf muß man sich bei aller Gegensätzlichkeit dann würden Sie den Fehler wiederholen, den Willy nicht die guten Absichten absprechen, da die Wege Brandt am Anfang seiner Regierungszeit gemacht eben doch unterschiedlich sind. Wer immer nur hat. Er hat als Bundeskanzler eine Vollbeschäfti- Gleichheit in den Vordergrund schiebt, wird unsere gungsgarantie abgegeben und hat damit die Tarif- Stärken nicht ausnutzen und damit nicht den Vor- partner von der Verantwortung entbunden. Wenn Sie sprung erzielen, den wir brauchen, um auszuglei- ankündigen, die 100 prozentige Lohnfortzahlung ge- chen, was wir an höherem Wohlstand und damit setzlich wieder einzuführen, dann muß dafür im Ta- auch an höheren Kosten haben. Deswegen ist rifbereich nicht mehr gespart werden. Kein Gewerk- Gleichheit als oberstes Ziel in der Bildungspolitik ge- schafter wird mehr einen Tarifvertrag unterschreiben fährlich. Wir brauchen Chancengleichheit, müssen können, mit dem irgendeine Mark gespart wird, um aber zugleich auch bestmögliche Ergebnisse fördern. so etwas zu regeln. Der Starke, der seine Leistung verweigert, handelt Hinsichtlich des Schlechtwettergeldes gilt das- gegenüber dem Schwachen unsolidarisch. Deswe- selbe. Auch das wollen Sie rückgängig machen. Ma- gen ist all das kein Gegensatz, sondern die Voraus- chen wir es ein bißchen spaßiger. setzung für soziale Gerechtigkeit und Solidarität. (Peter Dreßen [SPD]: Da haben sie ja mehr (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ausgegeben, als sie gedacht haben!) Das gilt für die Schulen, für die Hochschulen und für - Ja, die menschliche Natur ist eben so: Wenn es die die berufliche Bildung. Allgemeinheit bezahlt, daß ich nicht arbeiten muß, Natürlich ärgert sich mancher, der im Handwerk wenn es mir zu kalt ist, dann ist es mir ziemlich über Bedarf ausbildet. Man kann dem Handwerk nur schnell kalt. Deswegen hatten wir in Deutschland dankbar sein, längere Schlechtwetterperioden als in Schweden, ob- wohl es in Schweden kälter sein soll. Von daher ist (Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr richtig!) die Regelung richtig, daß die Bundesanstalt einen daß es diesen überdurchschnittlichen Beitrag in der Zuschuß bezahlt, aber die Bauwirtschaft einen Teil Vergangenheit geleistet hat und auch gegenwärtig selber tragen muß. Auf die Weise überlegt sie, wie für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes leistet. sie das erwirtschaften und trotzdem wettbewerbsfä- hig bleiben kann. So sind die Lohnzusatzkosten in (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU der Bauwirtschaft gesenkt worden. So, meine Damen und der F.D.P.) 23078 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Dr. Wolfgang Schäuble Natürlich ärgert sich mancher, daß andere weniger Man muß die Frage stellen, warum diejenigen Un- leisten. Natürlich ist man dann der Versuchung nahe ternehmen im Bereich der Biotechnologie, die jetzt zu sagen: Können wir das nicht mit einer Abgabe wieder nach Deutschland zurückkehren, nicht in oder Umlage anders regeln? Es ist menschlich, Ge- SPD-regierte Länder wie zum Beispiel Niedersach- rechtigkeit mit Gleichheit gleichzusetzen. Aber, sen gehen, sondern in Länder, wo CDU oder CSU die meine Damen und Herren, was passiert? maßgebliche Regierungsverantwortung tragen. Sie wissen nämlich: Wo Rotgrün regiert, da nützt das be- Erstens werden die Großen sagen: Da es ja eine ste Bundesgesetz nichts, weil es do rt den ausstiegs- Abgabe gibt, kaufen wir uns von der Verpflichtung orientierten Vollzug gibt. Das ist Gift für die Zukunft. zur Ausbildung frei. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Zweitens müßte jeder Bet rieb mindestens einmal Zuruf des Ministerpräsidenten Oskar Lafon monatlich melden, wieviel Arbeits- und Ausbil- taine [Saarland]) dungsplätze er hat. Dann muß festgelegt werden, welche Ausnahmen es geben soll und was sich dar- - Na, verehrter Herr Ministerpräsident. Da Sie inzwi- aus ergibt. Das Ganze muß dann kontrolliert werden. schen wieder anwesend sind - wie schön -, können Dann haben wir nicht nur eine neue Abgabe, son- Sie etwas in Ordnung bringen. Sie reden viel vom dern eine neue Bürokratie. Aber in Deutschland ha- Bündnis für Arbeit. In diesem Zusammenhang muß ben wir genügend Steuern, Abgaben und Bürokratie. man einmal lesen, was die niedersächsischen Ge- Wir sollten keine neuen einführen. Damit würde man werkschaften zum Bündnis für Arbeit in Niedersach- die Leistungsfähigkeit unseres beruflichen Systems sen mit Herrn Schröder sagen. Herr Ministerpräsi- schwächen. dent und SPD-Vorsitzender Lafontaine, reden Sie (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) doch nicht mehr vom Bündnis für Arbeit, solange Sie die führenden Repräsentanten der deutschen Wi rt Den konkreten Fragen nach modernem wissen- Trio asoziale bezeichnen. Das ist doch ein-schaft als schaftlichem Fortschritt und technologischer Erneue- unglaublicher Skandal. rung sind Sie ja ausgewichen. Sie haben weder et- was zum neuen Großflugzeug von Airbus, noch zu (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Transrapid gesagt. Es gilt wohl in der SPD immer Herr Lafontaine, ich verstehe schon, daß Ihnen dieser noch die Beschlußlage ihres letzten Parteitags, auf Ausdruck ein bißchen unangenehm ist. Im Stenogra- dem sie sich gegen den Bau der Transrapidstrecke phischen Protokoll der gestrigen Bundestagssitzung von Hamburg nach Berlin ausgesprochen hat. taucht der Begriff nicht auf. Dort ist er gestrichen; (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Gegen die (Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.: öffentliche Finanzierung!) Oh!) - Natürlich, Sie haben sich gegen den Bau ausge- dort taucht er nicht auf. Ich habe das Protokoll vorlie- sprochen. gen. Herr Lafontaine, das beste ist, Sie gehen nach- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Nein, das her an dieses Pult und nehmen diesen Beg riff mit stimmt nicht!) dem Ausdruck des Bedauerns zurück. Das wäre ganz gut. Ich sage Ihnen: Wenn wir in andere Länder und in andere Kontinente die Magnetschwebebahn-Tech- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - nologie in den kommenden Jahren verkaufen wollen, Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ aber auf die Frage: „Wo fährt diese Bahn bei euch?" DIE GRÜNEN]: Auf den Knien!) antworten: „Bei uns tut es auch die Postkutsche! ", - Herr Fischer, bei Ihnen haben wir nun wirklich dann kauft keiner diese Magnetschwebebahn. nicht die Hoffnung, mit Sekundärtugenden rechnen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zu können. Wer soviel vom Bündnis für Arbeit redet, der kann doch nicht als SPD-Vorsitzender auf eine Zu der vom Bundeskanzler angesprochenen Not- solche Weise gegenüber den führenden Repräsen- wendigkeit haben Sie ebenfalls nichts gesagt: Wenn tanten der deutschen Wi rtschaft - man muß mit ihnen wir eine Zukunft mit mehr Arbeitsplätzen, mit weite- nicht einer Meinung sein; aber den Respekt vor An- rem wirtschaftlichem Wohlstand, sozialer Sicherheit dersdenkenden sollte man in einer demokratischen und Gerechtigkeit wollen, dann müssen wir bei- Gesellschaft wie in der unseres Landes doch bewah- spielsweise im Bereich der Chemie und der Pharma- ren -, vom Trio asoziale reden. Das geht doch nicht! zie an der Spitze bleiben. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Sie reißen doch in diesem Lande Gräben auf - Dazu ist es eben notwendig, daß die modernen For- Klassenkampf statt Pa rtnerschaft -, die wir gar nicht men von chemischer und pharmazeutischer For- mehr zuschütten können. Die Krokodilstränen, die schung und Produktion in Deutschland stattfinden. hinterher vergossen werden, kenne ich wohl. Nein, Daher war es richtig, daß wir gegen Ihren Wider- das muß in Ordnung gebracht werden. stand das Gentechnikgesetz novelliert haben. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Haben wir - Ich sage Ihnen: Sie bekommen nicht mehr Arbeits- doch gemacht!) plätze in Deutschland, wenn Sie weniger Arbeitge- ber haben. Wenn Sie den Neid als Mittel der polemi- - Sie haben doch dagegengestimmt. schen Propaganda nutzen, werden Sie das Land Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23079

Dr. Wolfgang Schäuble nicht voranbringen, sondern zurückstoßen. Das ist Lassen Sie sich von meiner Kollegin Hannelore die Wahrheit. Rönsch einmal erzählen, wie die Einrichtungen für Behinderte in der DDR vor der Wende ausgesehen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) haben. Dann reden Sie nicht mehr von sozialer Ge- Die Ausnutzung von Neid und Angst ist nicht zu- rechtigkeit zu Zeiten der deutschen Teilung, sondern kunftsträchtig. darüber, welche Wärme in diesem Land erreicht wor- den ist. (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deswegen sagen wir, daß wir den Menschen ein Meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit Stück weit Mut machen müssen. der Rente will ich auch noch das sagen: Wir haben die schwere Verantwortung, unser Land voranzu- Wir müssen aber auch die Lage realistisch be- bringen. Dazu braucht man viel Solidarität. Wenn schreiben. Natürlich gibt es Probleme. Keiner von man die Worte der beiden großen Kirchen ein biß- uns - ich genausowenig wie andere - steht im Ver- chen weniger instrumentalisiert - insofern, als man dacht, daß er Probleme verschweigen würde. Aber nicht nur einzelne Passagen herauszieht -, dann er- wer bestreitet, daß wir in diesem Lande gut vorange- kennt man die Sorge, daß steigender Wohlstand kommen sind, oder wer den Satz von Kurt Bieden- nicht unbedingt die Gemeinschaftskräfte stärkt, son- kopf, den Helmut Kohl heute wiederholt hat, bestrei- dern möglicherweise eher dazu führt, daß der Egois- tet, daß es den Deutschen in diesem Jahrhundert mus wächst. Deswegen brauchen wir eine stärkere wahrscheinlich nie so gut ging wie am Ende dieses Orientierung an Werten, wie sie zum Beispiel die Fa- Jahrhunderts, der nimmt doch den Menschen den milie vermittelt. Mut und die Motivation, Zukunft zu gestalten. Ein Deswegen ist es grundfalsch, wenn Sie in einer Bi- solches Vorgehen ist deshalb Unfug. lanz der vergangenen 16 Jahre verschweigen, daß (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) die Familienpolitik in Deutschland in der Regie- rungszeit Helmut Kohls und unserer Koalition der Wer sich mit den Sorgen der Menschen in den Mitte auf eine neue, moderne, zukunftsträchtige neuen Ländern beschäftigt, der muß so viel Kraft ha- Grundlage gestellt worden ist. ben, Solidarität einzufordern, wie sie der Bundes- kanzler heute bewiesen hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Wir haben die Anrechnung von Erziehungszeiten in DIE GRÜNEN]: Stoiber!) der Rentenversicherung eingeführt. Wir haben Erzie- hungsurlaub und Erziehungsgeld eingeführt. Und in - Dazu gehört auch Finanzminister Theo Waigel, der den Ländern, in denen CDU oder CSU regieren, gibt die Solidarität seit Jahr und Tag im Haushalt in Zah- es das Landeserziehungsgeld, während es das in de- len umsetzt. nen, wo die SPD regiert, nicht gibt. Das zeigt: Wir stehen für Familie und Wertorientierung - und Sie Seit 1993 sinken die Ist-Ausgaben im Bundeshaus- eben nicht. An diesen Unterschied muß man denken. halt Jahr für Jahr, obwohl die Leistungen für den Das ist wichtig für die Zukunftsfähigkeit unseres Aufbau der neuen Bundesländer in dieser Zeit nicht gesunken sind. Das ist praktische Solidarität. Dies Landes. darf man nicht leugnen, sonst verrät man die deut- Es hat doch keinen Sinn, im Zusammenhang mit sche Einheit. der Rente ständig für alle Probleme irgendwelche Minderheiten zu Sündenböcken zu machen. Die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Rentenversicherung hat ein objektives Problem, das Natürlich haben die Menschen gewaltige Verwer- sich aus der demographischen Entwicklung sowie fungen zu bewältigen. Viele der Arbeitsplätze sind aus der Entwicklung von Ausbildungszeiten und Ar- weggefallen. Dies war im übrigen nicht Folge von beitsmarkt ergibt. Das kann niemand bestreiten. Wer Treuhand und sozialer Marktwirtschaft, sondern die aber wie Lafontaine, Scharping und Schröder den Folge des Sozialismus. Das alles haben Wolfgang Menschen einredet, die Fremdrenten seien das ein- Gerhardt, Michael Glos und Bundeskanzler Helmut zige Problem in der Rentenversicherung, der täuscht. Kohl schon gesagt. Unsere Rentenversicherung ist ein Generationen- Aber wahr ist auch: Den älteren Menschen geht es vertrag. Die jeweils Erwerbstätigen zahlen mit ihren heute viel besser, als sie es sich zu Zeiten der DDR je- Beiträgen nicht ihre eigenen Renten, sondern die mals haben träumen lassen. Renten der jeweils Älteren. Wie hätte man denn nach dem Krieg eine Rentenversicherung aufbauen wol- (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Das ist len? Hätte man 30 Jahre lang Beiträge sammeln sol- doch wahr!) len, um erst dann Renten auszuzahlen? Das ist doch grober Unfug; das geht gar nicht. Bei der Pflegeversi- Wer wie Sie über Renten redet, sollte dazusagen, wie cherung war das genau das Gleiche. Wir haben ein hoch die Renten in der früheren DDR für diejenigen System der Umlage zwischen den Generationen, So- gewesen sind, die nicht Zusatzrenten wegen partei- oder systemnaher Tätigkeit bekommen haben: Die lidarität zwischen den Generationen. Später zahlen die Kinder. Unsere Rentenversicherung bedeutet: Höchstrente betrug 490 Mark der DDR. Wenn eine neue Bevölkerungsgruppe dazukommt - (Zustimmung bei der CDU/CSU) zum Beispiel die Menschen aus Ostdeutschland, der 23080 Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Dr. Wolfgang Schäuble früheren DDR -, dann kommt sie entweder ganz in Sie in der Lage sein. Sie aber kündigen an, man ma- das Rentensystem oder gar nicht. Die Lösung, die Sie che die Rentenreform rückgängig und senke die Bei- haben, nach der die Erwerbstätigen in Thüringen tragssätze. 1994 ist es dem Kollegen Scharping pas- und Mecklenburg-Vorpommern zwar Beiträge zah- siert, daß er brutto und netto verwechselt hat. Jetzt len sollen, aber die Rentner in Thüringen und Meck- verwechseln Sie plus und minus; das ist ja noch lenburg-Vorpommern keine Rente bekommen sollen, schlimmer. Die Ausgaben steigen, die Einnahmen ist gegen das Prinzip unserer Rentenversicherung sinken - das geht nun wirklich nicht. und gegen das Prinzip nationaler Solidarität in Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Herr Schröder, Sie haben auch von der Gesund- heitsreform gesprochen. Was Sie zu den chronisch Sie können für die Aussiedler eine eigene Kasse Kranken gesagt haben, war schon ziemlich unglaub- auflegen. Bei Bleichhohen Beitragssätzen würde lich. diese einen Überschuß aufweisen; denn die jungen (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Das war Aussiedler zahlen mehr Beiträge, als die älteren Aus- Spitze, ja! - Zuruf von der CDU/CSU: Er siedler heute an Rente bekommen. weiß es nicht besser!) (Zurufe von der CDU/CSU: Sehr wahr!) Wir wollen es Ihnen also noch einmal verdeutlichen: Was Sie sagen, ist erstens unwahr, ist zweitens eine Die Zuzahlung für Medikamente ist bei chronisch Diffamierung der Aussiedler Kranken auf 1 Prozent des Verdienstes begrenzt. Darüber hinaus gibt es sozial Schwächere, und von (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Ja!) denen haben Sie gesprochen, Herr Ministerpräsi- und verstellt drittens den Blick für die wirklichen dent. Deswegen haben Sie eigentlich noch mehr ge- Probleme der Rentenversicherung und für das, was täuscht. Sozial Schwächere sind nämlich von der Zu- wir tun müssen, um ihre Funktionsfähigkeit zu si- zahlung befreit. chern. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Es gibt 20 Millionen Menschen in Deutschland, die Wenn das Ausbildungsalter schon steigt, das Ren- überhaupt keine Zuzahlung leisten müssen. Deswe- tenalter sinkt und die Lebenserwartung steigt, dann gen, Herr Ministerpräsident Schröder, ist das, was darf das Ausbildungsalter nicht noch höher werden. Sie gesagt haben, eine schlimme Verhetzung der Deswegen hat die Bildungspolitik auch für die Ren- Menschen in Deutschland. tenversicherung eine Bedeutung. Das Durchschnitts- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) alter bei Abschluß der Ausbildung beträgt heute 24 Jahre und steigt weiter an. Wir brauchen Zeit zum Natürlich weiß ich, daß die Versuchung groß ist. Umsteuern. Wenn man sich ein wenig versteuert, Die Menschen, die für Medikamente eine geringe Ei- dann korrigiert man das eben; daran ist nichts genleistung erbringen müssen - die chronisch Kran- Schlimmes. Wer nicht bereit ist, zuzugeben, daß er ken 1 Prozent, die anderen 2 Prozent -, freuen sich einmal etwas nicht richtig vorausgesehen hat, und nicht darüber. Aber was soll man denn machen, aus Erfahrungen zu lernen, der ist nicht politik- und wenn die gesetzliche Krankenkasse 1996 Medika- zukunftsfähig. Grundsätzlich aber muß die Rentenal- mente im Wert von 8 Milliarden DM bezahlt hat, die tersgrenze allmählich nach oben geschoben werden. dann auf dem Müll gelandet sind? Im übrigen sollten Sie nicht versprechen, dies Ich will Ihnen nicht unterstellen, daß Sie die Me- rückgängig zu machen. Die finanzielle Belastung auf thode der SED/PDS wählen wollen. Man könnte Grund der steigenden Lebenserwartung kann, wenn diese Verschwendung natürlich bekämpfen, indem die Rente sicher bleiben soll, nicht mehr ausschließ- man immer dann, wenn jemand eine Apotheke ver- lich von den zukünftigen Beitragszahlern getragen läßt, diesen beobachten läßt und kontinuierlich kon- werden; sie muß vielmehr hälftig verteilt werden. Da- trolliert, ob er die Medikamente auch einnimmt. durch sinken die Renten nicht. Sie steigen auch in Aber wenn man das nicht wi ll, dann muß man an die Zukunft, aber langsamer als in der Vergangenheit. Eigenverantwortung der Menschen und an ihr eige- nes Interesse appellieren. Es hilft nichts; die Men- Meine Damen und Herren, mit Ihrer Debatte um schen gehen mit anderer Leute Geld immer großzü- das Niveau täuschen Sie die Menschen. Sie reden ih- giger um als mit dem eigenen. Deswegen ist eine be- nen ein, daß die Renten sinken. Die allermeisten älte- grenzte Zuzahlung der einzige Weg, um sparsam zu ren Mitbürger aber sagen: Wenn die Rente sicher wirtschaften. So erhalten wir das bestmögliche Sy- bleibt und die Währung so stabil, wie sie es mit Hel- stem gesundheitlicher Versorgung. mut Kohl und Theo Waigel in Deutschland geworden ist, dann akzeptieren wir, daß die Renten in Zukunft (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) langsamer steigen. Das ist soziale Sicherheit; und Für Sie ist doch das Vorbild - obwohl er dazu gibt es keine Alternative. sich dagegen wehrt. Das kann ich auch verstehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ihr Ruf in der internationalen Presse ist ja nicht mehr sehr gut. Selbst der „Economist" schreibt: Würden Und wissen Sie: Wenn Sie die Lohnzusatzkosten Sie von dem einen Gebrauchtwagen kaufen? Ich senken wollen, müssen Sie sparen. Das ist genauso denke auch an das, was die „" ge- wie bei den öffentlichen Haushalten. Dazu müssen schrieben hat; das ist schon schlimm. Wenn Sie sich Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23081

Dr. Wolfgang Schäuble aberliarden so auf England DM berufen, durch dann muß ich die Ihnen sa-Verbreiterung der Bemes- gen: In England zahlt das staatliche Gesundheitssy- sungsgrundlage. Eine Nettoentlastung von 10 Milliar- stem teure Operationen wie das Einsetzen eines den DM gibt ein Volumen für eine Steuersatzsen- Herzschrittmachers oder eines künstlichen Hüftge- kung zum 1. Januar 1999 von 20 Milliarden DM. lenks nicht, wenn der Patient älter als 60 Jahre ist, weil man sagt: Das lohnt doch nicht mehr in deinem Jetzt sagen Sie - dies habe ich mit dem Wo rt „un- Alter. anständig" bezeichnet -, das sei nun eine Annähe- rung an das SPD-Konzept. Was der Bundesfinanzmi- Meine Damen und Herren, das ist nicht unsere nister gesagt hat, kann man doch nicht verwischen Vorstellung. Unsere Vorstellung ist: Jeder soll die und verzerren. Man kann anderer Meinung sein, bestmögliche gesundheitliche Versorgung erhalten. aber man soll doch nicht falsches Zeugnis gegen ihn Das aber ist teuer, und deswegen muß man sparsam reden. Er hat gesagt, das hat natürlich nur dann ei- wirtschaften. Anderenfalls kann man es nicht für die nen Sinn, wenn wir in demselben Gesetz zugleich Zukunft sichern. die gesamte Steuerreform beschließen. Die müssen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wir in zwei Stufen bis zum Jahr 2002 in Kraft setzen. Das war vor ein paar Jahren übrigens auch schon so. Wir sind übrigens mit dieser Politik auf dem richti- Die erste Stufe macht nur einen Sinn, wenn die gen Weg. Das haben Sie bei Ihrem Horrorgemälde zweite Stufe gleich mit beschlossen wird. So geht es, ganz vergessen. Wir haben in Deutschland in diesem und so schaffen wir es auch. Jahr, 1998, eine der stärksten Wachstumsentwicklun- gen unter allen vergleichbaren Industrieländern. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

(Ministerpräsident Oskar Lafontaine [Saar- Meine Damen und Herren, Ihre ganze Demagogie land]: Im ersten Quartal!) gegen alle Vorschläge, die Bemessungsgrundlage zu - Nicht im ersten Quartal. - Wir haben glänzende verbreitern, ist herzzerreißend. Eigentlich wettern Prognosen der OECD, wir haben glänzende Urteile Sie gegen die Ausnahmen von der Besteuerung. der OECD. Dies ist gerade die Folge unserer Reform- Aber wenn man sich daranmacht, haben Sie - Lafon- politik. Sie werden in der internationalen Presse doch taine hat es gestern wieder vorgeführt - eine sehr deswegen so kritisiert, weil Sie das rückgängig ma- seltsame Sprache. Es ist furchtbar, wie Sie das diffa- chen wollen und den Anspruch haben, Sie würden mieren. In Wahrheit ist es so: Wenn wir alle Steuer- Deutschland dann in eine gute wi rtschaftliche Zu- sätze um etwa ein Drittel senken, dann müssen wir kunft führen. Das geht nicht. Unsere Reformen, unser auch möglichst alle Ausnahmen von der Besteuerung Weg der Dezentralisierung, die Mitwirkung von Ar- beseitigen. Dann zahlen trotzdem alle weniger Steu- beitgebern, Wirtschaft und Gewerkschaften, haben ern. Deswegen haben wir auch eine Nettoentlastung dazu geführt. Die Lohnzusatzkosten sinken im Jahr von 30 Milliarden DM, die Sie nicht wollen. Es ist 1998, die Lohnstückkosten sind seit drei Jahren rück- doch ein Stück aus dem Tollhaus, in derselben Rede läufig. Die Mark ist stabil wie nie zuvor. Das Zinsni- zu sagen, wir sind gegen eine richtige Nettoentla- veau ist auf einem historischen Tiefststand. Die Aus- stung, und gleichzeitig zu behaupten, wir senken landsinvestitionen sind als Folge unserer Reformpoli- aber stärker die Steuern als ihr. Da haben Sie schon tik in einem drastischen Ausmaß wieder gestiegen. wieder plus und minus verwechselt. Das, meine Damen und Herren, ist die Vorausset- zung dafür, daß wir auch einen Rückgang der Ar- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) beitslosigkeit um eine Dreiviertelmillion in wenigen Monaten haben. Wir haben immer noch zuviel Ar- Wir haben eine Nettoentlastung vorgesehen. Des- beitslose. Aber wir sind auf dem richtigen Weg. Des- halb zahlen mit unserer Steuerreform alle weniger wegen darf es keine Rolle rückwärts geben. Steuern. Nur so geht es. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Mit der Haushaltspolitik des Bundes schaffen wir den Spielraum für Nettoentlastungen. Mit der Haus- Zur Steuerreform. Wir haben so oft darüber disku- haltspolitik von Regierungen, in denen CDU und tiert, man ist es fast schon leid. Aber Sie machen hier CSU und in Baden-Württemberg CDU und F.D.P. re- wirklich ein Schurkenstück. gieren, schaffen wir auch den Spielraum auf Länder- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Na, na! Jetzt ebene für Steuerentlastungen. Nur wer sparsam wirt- ist aber Schluß!) schaften kann, kann auch Steuern senken. Anders geht es nicht. Das ist die Alternative. - Nein, nein, Entschuldigung. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sie dürfen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) hier alles sagen!) Meine Damen und Herren, ein Letztes möchte ich Wir waren alle Zeugen, als Bundesfinanzminister in diesem Zusammenhang noch sagen: Wir haben in Waigel gestern gesagt hat: Als Folge unserer Finanz- dieser Koalition unter Bundeskanzler Helmut Kohl politik haben wir den Spielraum bereits im Haushalt die Kraft aufgebracht, auch schwierige Entscheidun- 1999 - den beraten wir nämlich zur Zeit - für eine gen durchzusetzen. Wer ein wenig Verstand hat und Nettoentlastung von 10 Milliarden DM. Deswegen sich ein wenig aus der Leidenschaft des Wahlkamp- hat er gesagt: Wir könnten einen ersten Schritt der- fes befreien kann, wird doch zugeben, daß es eine Steuerentlastung bereits zum 1. Januar 1999 in Kraft politische Herkulesarbeit war, vier Monate vor einer setzen bei einer Gegenfinanzierung von etwa 10 Mil Bundestagswahl die Entscheidung für die Europäi- 23082 Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Dr. Wolfgang Schäuble sche Währungsunion vertrags- und termingerecht Jedermann weiß es, und darüber ist zu entscheiden. durchzusetzen. Wir gehen den Weg (Günter Verheugen [SPD]: Das konnten Sie (Günter Verheugen [SPD]: In die Opposi doch nur mit unserer Hilfe machen!) tion!) - Ach was, der Herr Kanzlerkandidat hat von „krän- außenpolitischer Verläßlichkeit. Wir gehen den Weg kelnder Frühgeburt" gesprochen. Wenn das Hilfe ist, europäischer Integration. Wir gehen den Weg der So- dann weiß ich es nicht. Ist denn das Aufhetzen von lidarität in Deutschland und in Osteuropa. Wir kon- Menschen Hilfe? zentrieren uns darauf, uns auf unsere Stärken zu be- sinnen und nicht über die Schwächen zu lamentie- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - ren. Wir gehen den Weg, unsere Wettbewerbsfähig- Zuruf des Abg. Günter Verheugen [SPD]) keit auszubauen, um den wirtschaftlichen Wohlstand - Verehrter Herr Verheugen, Sie können zwischenru- zu erhalten und die Mittel für soziale Gerechtigkeit fen, wie Sie wollen. Das haben die Menschen in die- zu haben. Es nützt doch alles nichts: Wenn man nicht sem Lande verstanden. In jedem Wahlkampf - vor wirtschaftlich leistungsfähig ist, hat man auch keine zwei Jahren schon in Baden-Württemberg - ist es das soziale Gerechtigkeit. gleiche. Dann kam das Wo rt von der „kränkelnden Angesichts des neuen Weges der SPD, ein Zerrbild Frühgeburt" . Hier haben Sie gelegentlich staatsmän- von der sozialen Wirklichkeit zu zeichnen, muß man nische Reden gehalten. Wir erleben ja sogar Fischer doch einmal sagen: Diese Regierung und diese Koali- gelegentlich in Nadelstreifen. Aber draußen hetzen tion haben der Familie einen neuen Stellenwert ge- Sie die Menschen auf und schüren deren Angste. geben. Diese Regierung und diese Koalition haben „Kränkelnde Frühgeburt!" der Solidarität mit den Menschen in Ostdeutschland (Günter Verheugen [SPD]: Wer hetzt hier? eine hervorragende Bedeutung gegeben. Diese Re- Stoiber hetzt in Baye rn ! - Weiterer Zuruf gierung und diese Koalition haben die Pflegeversi- von der SPD: Warum nennen Sie Stoiber cherung geschaffen und damit bewiesen, daß man nicht?) auch in schwierigen Zeiten die Kraft zur Prioritäten- setzung haben kann. Das ist praktizierte Politik für Es war eine Großtat dieser Regierung von Helmut soziale Sicherheit, nicht das Neidgerede der SPD. Kohl und dieser Koalition, die Entscheidung für die wirtschaftliche Integration Europas zustande zu brin- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gen. Aber dazu muß man Freiheit und Verantwortung (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sowie Leistung und Solidarität in einem Zusammen- hang sehen. Wer es voneinander trennt, weil er den Meine Damen und Herren, wenn wir uns in diesen Wettbewerb nicht will oder ihn fürchten muß, ist we- Tagen die Entwicklung rund um die Welt und die der zu Leistung noch zu Solidarität in der Lage. Des- Sorgen in Rußland anschauen - der Bundeskanzler wegen ist unsere an Werten orientierte, auf Werte hat eindringlich darüber gesprochen -, dann bin ich und Institutionen gegründete Politik die für die Zu- jedesmal, wenn ich eine entsprechende Meldung kunft bessere. lese oder höre, froh und dankbar, daß wir gegen den Widerstand von Rotgrün die Entscheidungen für die Meine Damen und Herren, wir haben am Ende europäische Integration zustande gebracht und die dieses Jahrhunderts schwierige Herausforderungen NATO so wirkungskräftig gehalten haben. So ein- und große Veränderungen. Wir haben aber auch fach und klar ist es: Das ist der bessere Weg für die große Chancen. Wir haben viel Grund zur Dankbar- Zukunft. keit für das, was diesem Land nach solchen Katastro- phen in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts in den (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zweiten fünfzig Jahren geschenkt worden ist. Wir werden im kommenden Jahrhundert darauf Wir haben Grund, auf das stolz zu sein, was wir angewiesen bleiben, verläßliche Pa rtner zu haben. mitgestaltet haben. Wir haben es nicht alleine gestal- Das heißt, wir müssen selber verläßlich bleiben. Wer tet. Politik gestaltet nicht alleine, auch keine Regie- in den vergangenen Jahren so oft das Gegenteil ge- rung. Aber wir haben Rahmenbedingungen geschaf- redet hat wie Schröder, Fischer, Trittin und Lafon- fen und haben mit Fleiß, Tüchtigkeit, Engagement taine, der ist außenpolitisch nicht berechenbar und und mit Unterstützung der Menschen ein liebens- gewinnt keine verläßlichen Freunde, sondern wird würdiges und lebenswertes Land geschaffen. Dafür uns in die Isolierung führen. Dazu paßt ja das Ge- in den kommenden Jahren miteinander zu arbeiten schwätz Ihres Wirtschaftsministerkandidaten vom lohnt die Anstrengung. deutschen Sonderweg. Könnte es etwas Dümmeres am Ende dieses Jahrhunderts geben? Es gibt keinen Herzlichen Dank. deutschen Sonderweg, sondern nur den Weg von (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und Wettbewerbsfähigkeit und Integration. der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Meine Damen und Herren, unser Weg für die kom-- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege menden Jahre ist klar. Schäuble, Sie haben in Ihrer Rede auf die gestrige Debatte und auf einen Satz Bezug genommen, den (Walter Kolbow [SPD]: Ja, Opposition!) Sie im Stenographischen Bericht vermißt haben. Ich Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23083

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer habe das nachprüfen lassen. Er fehlte tatsächlich. Es der schwierigen Situation, die wir vermutlich noch verhält sich aber so, daß er nicht auf Betreiben von auf Jahre hinaus dort vorfinden werden. Herrn Ministerpräsident Lafontaine gestrichen wor- Ein weiterer Punkt: In der Debatte hat es eine Rolle den ist; vielmehr war es ein Fehler des Stenographi- gespielt, wie wir mit Fragen in bezug auf den sozia- schen Dienstes, der aber - len Konsens umgehen und wie sich das auf die Ko- (Unruhe und Lachen bei der CDU/CSU) operationsbereitschaft auswirken könnte. Jetzt ist hier - unter dem teilweise höhnischen Gelächter der - ich kann Ihnen nur sagen, was ich beim Nachfra- CDU/CSU-Fraktion - schon einiges zu der Bemer gen erfahren habe - bereits eine Berichtigung her- kung gesagt worden, von der Herr Schäuble vermu- ausgegeben hat. Der Satz ist also jetzt im Protokoll. tet hatte, daß sie auf Betreiben von Herrn Lafontaine Es ist ganz eindeutig ein Fehler des Stenographi- aus dem Stenographischen Bericht gestrichen wor- schen Dienstes gewesen. den sei. (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Manipula- Ich will Ihnen nur eines sagen: Wenn der Präsident tion! - Gegenruf des Abg. Joseph Fischer des Bundesverbandes der Deutschen Indust rie nicht [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: nur beiläufig, sondern ganz ausdrücklich in einem Meine Güte, geht's euch schlecht, wenn ihr Interview sagt, Tarifbruch in Ostdeutschland sei vor- schon den Stenographischen Dienst bildlich, also damit sagt, vertragswidriges Verhalten braucht! Wirklich wahr! Das ist das aller- in Ostdeutschland und Vertrauenswürdigkeit zu zer- letzte!) stören sei vorbildlich, dann ist das asoziales Verhal- - Ich habe versucht, es zu klären. Soviel zur Klarstel- ten. Da kann man sagen, was man will. lung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Wir fahren jetzt in der Debatte fo rt. Das Wort hat ten der PDS) jetzt der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten, Herr Kollege Schäuble, weil wir im Deutschen Rudolf Scharping. Bundestag mit den Feststellungen der amtierenden Präsidenten sorgfältig umgehen sollten, sage ich Ih- Rudolf Scharping (SPD): Frau Präsidentin! Meine nen noch einmal: Es ist tatsächlich so, daß auf Betrei- Damen und Herren! In aller Kürze: In dieser Debatte ben von Herrn Lafontaine und seinen Mitarbeitern hat mehrfach die Frage eine Rolle gespielt, wie ver- im Büro - ich habe hier einen entsprechenden Ver- läßlich Politik ist und wie genau und wie sehr sie sich merk vorliegen - der Fehler im Stenographischen Be- der alltäglichen Erfahrungen, Sorgen und Hoffnun- richt, nämlich das inkriminierte Wort vom „Trio aso- gen der Menschen vergewissert. In diesem Zusam- ziale" wegzulassen, korrigiert worden, dieser Aus- menhang, Herr Kollege Schäuble, ist folgendes inter- druck also aufgenommen worden ist. Insofern sind essant zu wissen. Sie haben einiges zum Aufbau Ost Sie einer fehlerhaften Information aufgesessen. Es ist gesagt und dabei auch die eine oder andere Vermu- nicht weiter schlimm, und wenn es korrigiert worden tung geäußert. Ich erinnere mich sehr gut, daß wir im ist, ist es ja auch gut. März 1993 über einen neuen Länderfinanzausgleich und über ein föderales Konsolidierungskonzept ge- (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Ich sprochen haben. Ich weiß, daß die Gespräche dar- habe es doch vorliegen!) über zwischen dem damaligen bayerischen Minister- Dasselbe gilt übrigens für den Transrapid. Sie ha- präsidenten, dem jetzt immer noch amtierenden Fi- ben unsere Parteitagsbeschlüsse dazu nicht gelesen. nanzminister und mir geführt worden sind. Der neue Das gilt auch für Renten. Ich will aber nicht noch ein- Länderfinanzausgleich ist am 1. Januar 1995 in Kraft mal alles aufzählen, sondern zu einem dritten Punkt getreten. kommen: Ich habe nach dieser Debatte besser als Ich möchte Ihnen dazu - auch mit Blick auf man- vorher verstanden, warum es zu einem direkten Ge- che Bemühungen - nur eines sagen: Es ist kein Zei- spräch zwischen den Herren Kohl und Schröder im chen von Verläßlichkeit, wenn man zweieinhalb deutschen Fernsehen nicht kommt. Ich habe das jetzt Jahre nach Inkrafttreten des Länderfinanzausgleichs sehr gut verstanden. die Solidarität faktisch aufkündigt, indem man ohne (Beifall bei der SPD) vorheriges politisches Gespräch das Bundesverfas- sungsgericht bemüht. Wenn man den Verlauf der Debatte betrachtet, sieht man, daß sie offenkundig - ich sage Ihnen das (Dr. [F.D.P.]: Das auch mit Blick auf mancherlei Gespräche, die ich in stimmt überhaupt nicht!) Europa zu führen habe - in vielen Punkten anders ist Das macht deutlich, daß Sie ganz offenkundig eine als 1994. Sie ist auch in dieser Hinsicht anders als wesentlich andere Vorstellung von Verläßlichkeit 1994: Sie können nicht mehr verbreiten - kein Mensch glaubt es Ihnen mehr -, daß irgend jemand und Solidarität haben als wir. in Europa mit einer sozialdemokratischen Regierung (Beifall bei der SPD) in Deutschland Sorgen verbindet. Im Gegenteil, man verbindet Hoffnungen damit, nicht nur in Fragen der Daß es einen Wettbewerb innerhalb des Föderalis- europäischen Währung, sondern auch bei der Be- mus gibt, ist übrigens genauso klar wie die Forde-- kämpfung der Arbeitslosigkeit gemeinsam voranzu- rung, daß es einen solidarischen Ausgleich inner- kommen. halb des Föderalismus geben muß, insbesondere we- gen des Aufbaus im Osten Deutschlands und wegen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 23084 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Rudolf Scharping Daß beispielsweise Dänemark im nächsten Jahr in Deutschland als „Trio asoziale" bezeichnet. Das ist Vollbeschäftigung erreichen wird, ist eine interes- indiskutabel! sante Nachricht. Ich könnte Ihnen viele solche Dinge nennen. Da aber Europa und die Außenpolitik nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wirklich umstritten sind, jedenfalls nicht in den Wir haben übrigens - für ein Wahljahr relativ un- Grundfragen, will ich es bei diesen kurzen Hinwei- gewöhnlich - diesen Haushalt rechtzeitig konzipiert, sen bewenden lassen. Mehr lohnt sich angesichts der vorgestellt und eingebracht, wozu Sie von 1969 bis Bemerkungen von Herrn Schäuble und der schlich- 1982 insgesamt nur ein- oder zweimal gekommen ten Tatsache nicht, die diese Debatte deutlich ge- sind. Das beweist Verläßlichkeit und Glaubwürdig- macht hat: Es fehlt Ihnen vielleicht nicht an Macht- keit der Haushaltspolitik. willen, nicht an Beharrungsvermögen. Das kann gut sein. Das kann man auch respektieren. Woran es Ih- Wenn ich sage oder aufnehme, was eine französi- nen fehlt, ist eine überzeugende Idee, eine glaub- sche Stimme gesagt hat, nämlich „Der Euro spricht würdige Politik. Die aber haben wir. Deswegen wer- deutsch", dann ist das nichts anderes, als darzustel- den die Wahlen auch so ausgehen, wie sie ausgehen. len, daß Konvergenzkriterien, Vertrag von Maas- tricht, Stabilitätspakt, Stabilitätserklärung, Konver- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- genz, die gegenwärtige Stabilität und der Sitz der ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN]) Bank in Frankfu rt großartige Erfolge der deutschen Stabilitätsphilosophie sind, auf die wir stolz sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Herr Minister Theo Waigel. Die Eigenkapitalrendite in Deutschland - eine sehr interessante Zahl; es lohnt sich wieder, Kapital in Be- trieben anzulegen; es lohnt sich zu investieren - liegt Dr. Theodor Waigel, Bundesminister der Finanzen: jetzt wieder über 11 Prozent und ist damit doppelt so Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hoch wie die risikolose Anlage von Finanztiteln. Das möchte etwas zu dem, was der Kollege Scharping zeigt, unser Weg, den Standort Deutschland zu be- über den Länderfinanzausgleich gesagt hat, anmer- haupten und zu verbessern, hat sich gelohnt. Er führt ken. Aber das ist nur eine Arabeske. Natürlich hat zu mehr Beschäftigung, zu weniger Arbeitslosigkeit. der bayerische Finanzminister gewechselt. Damals Dieser Weg muß weitergegangen werden. war das der Herr von Waldenfels, zwischenzeitlich ist es der . Der Ministerpräsident hat auch (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge gewechselt. ordneten der F.D.P.) (Günter Verheugen [SPD]: Aber nicht der Übrigens, Herr Ministerpräsident Schröder, VW Bundesfinanzminister! Sie waren gemeint!) würde genausogut laufen, wenn Sie nicht Mitglied im Aufsichtsrat wären. - Nein, ich wollte Ihnen das nur sagen, weil Sie es (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der falsch gesagt haben. Das ist aber nicht wichtig. F.D.P.) (Günter Verheugen [SPD]: Nein, Sie waren Das, was Sie Bayern neiden, nämlich rechtzeitig gemeint!) Geld umzusetzen, Privatisierung zu nutzen für Inno- vationen, für die Wissenschaft, für mehr Bildung, für Ich habe mich damals schon dagegen gewandt, mehr Lehrer, daß eine Übernivellierung stattfindet. Wir haben uns damals leider nicht durchgesetzt. Wir konnten uns (Günter Verheugen [SPD]: Eine Zehntel ein halbes Jahr weitere Verhandlungen nicht leisten, stelle pro Schule!) darum haben wir dem zugestimmt. Aber es war auch damals schon falsch, zu einer Übernivellierung von für mehr Polizisten, das könnten auch Sie erreichen, fast 99 Prozent zu kommen. Darum muß das geändert wenn Sie dort privatisieren und die Mittel dafür ver- werden. wenden würden. Sie sind mit Ihrer Industriepolitik gescheitert. So holen Sie den Abstand nie auf. Wir hatten vorher für Kosten politischer Führung (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ein paar hundert Millionen Mark im Haushalt. Jetzt sind es über 1 Milliarde DM. Es ist völlig indiskuta- Eine Unverschämtheit von Ihnen, Herr Schröder, bel, daß zum Beispiel das Land Rheinland-Pfalz war es, zu unterstellen, die Trümmerfrauen wären 220 Millionen DM für Kosten politischer Führung be- von der Senkung des Rentenniveaus betroffen. Das kommt, genauso wie es auf die Dauer inakzeptabel ist eine bodenlose Unterstellung! Sie wissen ganz ge- ist, daß die Gehälter des saarländischen Ministerprä- nau, daß die gegenwärtigen Rentner - dazu gehören sidenten und seiner Regierung inklusive des Kochs auch die Trümmerfrauen - davon nicht betroffen zu 40 Prozent aus dem Bundeshaushalt beglichen sind. Wir haben für die Trümmerfrauen etwas er- werden. Das wollen wir ändern. reicht, nämlich die Anrechnung von Erziehungszei- ten. Sie haben dazu in Ihrer Regierungszeit nichts, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) aber auch gar nichts beigetragen. Sie sollten sich bei - uns bedanken. Auch wenn das Protokoll jetzt wieder stimmt: Es ist indiskutabel, wenn hier ein Repräsentant, ein Mi- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge nisterpräsident eines Landes unbescholtene Bürger ordneten der F.D.P.) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23085

Bundesminister Dr. Theodor Waigel Übrigens fehlt Ihnen, Herr Schröder, jeder Grund, dem Motto gemacht wird: Do rt erhöhen, wo keine die Pfarrer in Deutschland in Schutz zu nehmen oder Steuern und keine Sozialabgaben mehr gezahlt wer- Herrn Hintze zu attackieren. Es ist schon einmal ein den müssen. Auch hier glatte Demagogie von Ihrer sozialdemokratischer Kandidat schlecht damit gefah- Seite! ren, sich zu Kirchenfragen auf Kanzeln zu äußern und zu sagen, man solle nicht aufhören, Kirchen- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) steuer zu zahlen - um später einräumen zu müssen, Zur Rentenfrage. Auch heute werden Renten be- daß er selber gar keiner Kirche angehört, was sein steuert . Das Bundesverfassungsgericht hat eine ge- gutes Recht ist. - Damit hier Ihr Spiel zu treiben, das rechte Besteuerung angemahnt. Wenn nach unseren steht Ihnen nicht zu. Dafür gibt auch Ihr B rief an die Vorstellungen der Alleinstehende bis 2 600 DM Rente Kirchen nicht die notwendige Legitimation. Seien Sie steuerfrei erhalten kann und erst ab der nächsten also ein bißchen vorsichtiger mit solchen flapsigen Mark in die Besteuerung kommt und Verheiratete bis Bemerkungen. 5 200 DM Rente steuerfrei erhalten können und erst (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ab der nächsten Mark in die Besteuerung kommen, ordneten der F.D.P.) kann niemand behaupten, daß dies eine rentnerun- freundliche Besteuerung sei. Im Gegenteil, es ist eine Herr Ministerpräsident des Saarlandes, Sie haben sehr gerechte und gut begründbare Besteuerung, zu die Blockade organisiert, jetzt können Sie einmal die der der Vorsitzende des DGB ausdrücklich gesagt Solidarität der Länder organisieren, um mit ihnen ge- hat, er halte das für richtig. meinsam den Haushaltsnotstand des Saarlandes zu beseitigen. Sie haben allen Grund, sich beim Bund (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zu bedanken, der den Haushaltsnotstand des Saar- landes über Jahre hinweg allein aus seiner Kasse be- Meine Damen und Herren, unser Konzept der hoben hat. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu Steuerreform unterscheidet sich von Ihrem grundle- 1992 definitiv erklärt, dies sei eine Aufgabe von gend. In einem einzigen Gesetzentwurf würden wir, Bund und Ländern gleichermaßen; das wird in dem müßten wir und werden wir das gesamte Paket, wie entsprechenden Urteil mehrmals erwähnt. Jetzt, da wir es am 30. Juli des letzten Jahres verabschiedet Sie die Blockade organisiert haben, sollten Sie zu Ih- haben, verabschieden. Das heißt: Eingangssteuersatz ren sozialistischen Ministerpräsidentenkameraden 15 Prozent, Körperschaftsteuersatz 35 Prozent, ge- reisen und denen sagen, sie sollen sich beteiligen. werbliche Einkünfte 35 Prozent, Ausschüttungssatz Wir werden uns zur Hälfte beteiligen; um die andere 25 Prozent, Spitzensteuersatz 39 Prozent. Hälfte müssen Sie sich im Kreis der Länder küm- mern. Die neuen Bundesländer werden davon nicht (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Aha!) betroffen sein; das möchte ich hier auch in aller Klar- - Natürlich. Das habe ich schon gestern gesagt, Frau heit darstellen. Matthäus-Maier. Da brauchen Sie doch nicht heute (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- „Aha!" zu rufen. Haben Sie gestern geschlafen? Das ordneten der F.D.P.) habe ich alles gestern wörtlich gesagt. Herr Lafontaine, wieder sind Sie mit all den Fragen Jetzt sind wir bereit, in einer ersten Stufe, zusam- zu Steuern und Ausnahmetatbeständen gekommen. mengefaßt mit dem Gesamtkonzept, wie wir es ei- Keiner ist so oft wie Sie an dieses Rednerpult gegan- gentlich schon zum 1. Januar 1998 vorhatten, weitere gen und hat mich aufgefordert, die Vorschläge von Senkungen der Steuersätze durchzuführen: beim Herrn Professor Bareis, die die Kommission unter sei- Eingangssteuersatz genauso wie oben, beim Körper- ner Leitung entwickelt hat, aus der Schublade zu schaftsteuersatz genauso wie bei den gewerblichen nehmen, um damit das Existenzminimum oder eine Einkünften, und zwar - auch das ist meines Erach- große Steuerreform zu finanzieren. In den Vorschlä- tens ein großer Unterschied zu Ihnen - indem wir, gen von Bareis waren die Vorschläge, die in unserem Bund, Länder und Kommunen, eine reale Nettoent- Konzept sind, und andere enthalten. Nicht ein einzi- lastung in 1999 in einer Gesamthöhe von 10 Milliar- ges Mal haben Sie gefordert, ich solle bei der Umset- den DM für vertretbar halten. Der Bund ist jedenfalls zung eine Reihe von Ausnahmen - Schichtarbeit, in der Lage, das aufzubringen, ohne daß die Netto- Nachtarbeit oder Rentenbesteuerung - machen. Jetzt kreditaufnahme erhöht wird. Das wäre genau der sagen Sie, dies sei schlimm und falsch. Dabei weiß je- richtige Zeitpunkt, um die Konjunktur zu stützen und der: Jawohl, für Nachtarbeit, für Schichtarbeit, für im internationalen Bereich das richtige Signal zur Lö- Samstags- und Sonntagsarbeit muß mehr gezahlt sung der Probleme der Weltwirtschaft zu geben. Das werden. Die Frage ist nur, ob das die übrigen Steuer- ist der Grund. Das Konzept wird und muß zusam- zahler finanzieren sollen oder ob dies Schritt für menhängend, als Ganzes, verabschiedet werden. Schritt in die Tarifverträge aufgenommen werden muß. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wer sich gegen die 620-DM-Verträge wendet und Übrigens kommt das DIW in einer aktuellen Studie sagt, daß durch ihre Freistellung von der Sozialpflich- sogar bei einer etwas niedrigeren Wachstumsan- tigkeit die Sozialkassen geplündert würden, der muß nahme für 1998 zur Annahme von Steuermehrein- auch ein Augenmerk darauf haben, daß dieser Be- nahmen von über 3 Milliarden DM. Sie wissen, daß reich zwischenzeitlich ein Volumen von 15 Milliarden uns das DIW sonst mit Prognosen, die das Staatsdefi- DM hat und mancher Tarif in manchen Bereichen - zit anbelangen, nicht übermäßig nahe steht. Sie se- denken Sie an die Druckindustrie - nur noch nach hen also: Was ich sage, ist durchaus realistisch. 23086 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Bundesminister Dr. Theodor Waigel Noch ein Wort zu den Schulden. Es ist schon ein Bilanz, die ich hier vorweisen kann, obwohl wir die starkes Stück, wenn jemand, der so von der Solidari- größten finanzpolitischen Herausforderungen in der tät des Bundes lebt wie der Ministerpräsident des zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts zu bewältigen Saarlandes, mir die Schulden vorhält. Ein Drittel der hatten. Schulden von insgesamt 1,5 Billionen DM habe ich beim Amtsantritt übernommen. Ein Drittel geht auf (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) die sozialistische Erblast zurück, die nachrechenbar Letzte Bemerkung. Die neuesten Zahlen aus Nü rn ist und die ich mir von niemandem vorwerfen lasse. Trendwende ist da. Die dem Bun--berg belegen: Die (Beifall bei der CDU/CSU) deshaushalt zugrunde liegende Zahl der Arbeitslo- sen von 4,3 Millionen wird unterschritten. Diese posi- Ein Drittel haben wir, habe ich zu verantworten. Das tive Entwicklung wirkt sich schon in diesem Jahr un- sind etwa 50 Milliarden DM pro Jahr. Diese Verant- mittelbar auf den Haushalt aus. Die Planung für wortung trage ich vor dem Hintergrund, in jedem 1999, die eine Rückführung der Mittel um 4 Milliar- Jahr etwa das Doppelte an die neuen Länder und den DM vorsieht, ist voll gedeckt. Dies beweist die knapp 5 Prozent davon an das Saarland überwiesen Solidität, die Tragfähigkeit und die Zukunftsfähigkeit zu haben. dieses Haushaltsentwurfs und der Finanzpolitik die- Meine Damen und Herren, das, was Sie hier ge- ser Regierung. stern an böser Demagogie so bewußt ans Fernsehpu- Vielen Dank. blikum gerichtet haben, fällt in sich zusammen. Sie, Herr Lafontaine, sind der Ungeeignetste, um hier je- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) mand anderem einen Vorwurf machen zu dürfen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat ordneten der F.D.P.) jetzt der Ministerpräsident des Landes Hessen, Hans Übrigens haben Sie, Herr Lafontaine, gestern be- Eichel. hauptet, es wäre schön, die Zahlen von 1982 zu ha- ben. Ministerpräsident Hans Eichel (Hessen): Frau Prä- (Ministerpräsident Oskar Lafontaine [Saar- sidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! land]: Ja, richtig!) Erstens. Es hält einen doch nicht auf dem Stuhl, wenn man all das von denen, die es besser wissen - Ja, richtig, murmelt er da vor sich hin. müssen, hört - sehr verehrter Herr Bundesfinanzmi- nister, auch sehr verehrter Herr Schäuble -, was sie Der Anteil der Bundesausgaben am Bruttoinlands- zum Thema Steuerreform und zur Haltung der So- produkt betrug 1982 15,4 Prozent. Das war der zialdemokratie in diesem Punkt sagen. Die Wahrheit Höchststand. Heute liegen wir weit darunter - der ist eine ganz einfache; hinter ihr stehen übrigens, niedrigste Stand trotz der riesigen Herausforderun- wenn Sie genau hinsehen, auch die Ministerpräsi- gen. denten der von Ihnen regierten Länder. Meine Damen und Herren, die Steuerquote betrug 1982 rund 26 Prozent. Inzwischen liegt sie bei Es war und ist nämlich nicht zu verantworten, den 22,5 Prozent. Nur, ich wünschte mir, daß bei unserer Menschen eine Steuerreform mit einer Nettoentla- Steuerreform nicht die Steuerjongleure am meisten stung von 30 Milliarden DM - im übrigen sind es ja profitiert hätten, sondern die Arbeitnehmer, die Ar- gar nicht 30 Milliarden DM, sondern deutlich mehr - beiter, die Handwerker. Das, Herr Lafontaine, haben zu versprechen. Die Einnahmeausfälle, die das be- Sie verhindert. deutet, sind angesichts der Situation der öffentlichen Haushalte nicht zu verantworten. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Vorsitz : Vizepräsident Dr. ) Nun noch zur Staatsquote. Sie wissen sehr wohl: damals über 50 Prozent, jetzt unter 48 Prozent. Und Sie verschweigen dabei noch, daß Sie gleichzeitig zum Staatsdefizit: 1982 waren es 3,3 Prozent; 1983, eine Mehrwertsteuererhöhung um einen Punkt pla- bereits unter Gerhard Stoltenberg, 2,6 Prozent, und nen, um wenigstens einen Teil der Ausfälle, die Sie 1989 war es ein Überschuß im Staatshaushalt von bei der Einkommensteuerreform haben, gegenzufi- 0,1 Prozent. Das hat uns die Möglichkeit und die nanzieren. Sagen Sie den Menschen doch bitte auch, Chance gegeben, die deutsche Einheit vernünftig zu daß Sie das planen. finanzieren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Vernünftig?) Sie wissen doch wie ich, daß wir Ende vergange- Auch das ist das Ergebnis der Politik von 1982 bis nen Jahres ein ganzes Stück näher beieinander wa- 1989. ren und daß Ihre Aussage unisono gewesen ist: Wir (Beifall bei der CDU/CSU) machen eine aufkommensneutrale Steuerreform. Was Sie im September vergangenen Jahres noch al- Jetzt waren wir in 1996 bei 3,4 Prozent, in 1997 un- les abgelehnt haben, war Ihre Position im Dezember zweifelbar bei 2,7 Prozent, wir werden in 1998 bei vergangenen Jahres. Dies verschweigen Sie heute etwa 2,5 Prozent sein und im nächsten Jahr bei 2 Pro- und ziehen mit anderen Parolen in den Bundestags- zent. Meine Damen und Herren, das ist eine stolze wahlkampf. So ist es doch. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23087

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Minister- bisher auch kein Ministerpräsident Ihrer Couleur ei- präsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage von ner solchen Steuerreform zustimmen würde. Sie ver- Herrn Schäuble? schanzen sich doch bloß hinter der Mehrheit im Bun- desrat und hoffen, daß sie nicht selber die Hand für ihre Interessen heben müssen. Das ist die Wirklich- Ministerpräsident Hans Eichel (Hessen): Ja, ich ge- statte eine Zwischenfrage. keit. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Bitte schön, Wenn Sie mit Herrn Stoiber reden, was sagt er Herr Kollege Schäuble. dann denn selbst über die Bildungspolitik und über die Polizei und dazu, daß er für all das nicht mehr ge- Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Herr Minister- nug Geld hat? Warum strengt er als erster die Klage präsident Eichel, damit wir nicht den Eindruck er- zum Länderfinanzausgleich an? - Weil er das Geld wecken, wir hätten irgendwelche Geheimverhand- nicht mehr hat. Auch das ist wahr. Deswegen müssen lungen geführt und das sei anders gewesen - das wir Ordnung in die Staatsfinanzen bringen. Deswe- kommt der Öffentlichkeit alles ein bißchen komisch gen ist Ihre Bilanz höchst unvollständig ausgefallen. vor -: Sie verwechseln jetzt wieder die erste Stufe mit der Gesamtreform. (Beifall bei der SPD) Auch in der vom Bundestag beschlossenen Steuer- Der Grund, warum ich hier reden wollte, ist aber reformgesetzgebung - Petersberger Konzept - war ein anderes Thema: Ich bin als hessischer Minister- die erste Stufe aufkommensneutral vorgesehen. Das präsident nicht mehr länger bereit, hinzunehmen, ist nicht neu, das war immer so. Das Gesamtkonzept daß Sie immer so tun, als sei die Welt in Baden - Würt- war die Entlastung, so wie Sie es beschrieben haben. temberg und Bayern in Ordnung, aber an rotgrün re- Gestern hat der Bundesfinanzminister gesagt, wir gierten Ländern gingen Unternehmer, Investoren könnten jetzt die erste Stufe mit einer Nettoentla- usw. vorbei. Wenn Sie Hessen nicht hätten, das mit stung von 10 Milliarden DM in Angriff nehmen. Das großem Abstand die größte Wirtschaftskraft aller Flä- ist ein weitergehender Schritt. Aber wir haben immer chenländer in Deutschland hat, mit großem Abstand die Position vertreten: beide Stufen in einem Schritt die höchsten Wirtschaftswachstumsraten hat, die zusammen. höchsten Produktivitätszuwachsraten hat, dann sähe es mit Ihrer Finanzpolitik noch ganz anders aus. (Zuruf von der SPD: Die Frage!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ - Meine Frage ist: Wären Sie so liebenswürdig, dies DIE GRÜNEN) hier klarzustellen, damit in der deutschen Öffentlich- keit kein falscher Eindruck aufrechterhalten wird? Das will ich Ihnen ein bißchen belegen; so geht das nämlich nicht. Ich reise mit Geschäftsführern hessi- scher Töchter amerikanischer Konzerne nach Ame- Ministerpräsident Hans Eichel (Hessen): Noch ein- rika, um dort den Zerrbildern entgegenzuwirken, die mal, Herr Schäuble: Wir haben - da hatten wir Ein- Sie und vor allen Dingen unverantwo rtliche Ver- vernehmen - im Dezember vergangenen Jahres - bandsfunktionäre in Amerika über die deutsche das war die Geschäftsgrundlage - über eine aufkom- Wirtschaft malen. Die Geschäftsführer sagen mir: mensneutrale Steuerreform verhandelt. Was in ferne- Unsere Zahlen sind zwar p rima, aber in Amerika rer Zukunft, wenn denn die wirtschaftliche Lage es glaubt uns das keiner, weil gerade wieder Leute da- zuläßt, möglich wäre, ist ein anderes Thema. Wenn gewesen sind, die ein schlimmes Bild von Deutsch- Sie dann diese schönen Wunschvorstellungen be- land gemalt haben. Die deutsche Botschaft sagt: Wir schreiben, wie gerne wir alle die Steuern noch weiter können gar nicht soviel nacharbeiten, um wieder aus senken wollten - da können wir in jeden Wettbewerb der Welt zu schaffen, was einige in Washington an- mit Ihnen eintreten. gerichtet haben. Das ist die Rolle einer sozialdemo- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) kratisch geführten Landesregierung - auch einer rot- grünen Landesregierung -, wenn es darum geht, für Die Frage ist, was Sie in der jeweiligen Situation Arbeitsplätze und Innovation im Lande zu sorgen. So konkret verantworten können. Auch Sie vertraten im können Sie das doch mit uns nicht machen. Dezember vergangenen Jahres die Position, man müsse aufkommensneutral vorgehen. Mehr konnte (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zu dieser Zeit nicht beschlossen werden. Bei Ihnen Es kommt doch nicht von ungefähr, daß Standard war gleichzeitig noch ein Punkt Mehrwertsteuerer- & Poor's Hessen ein Triple A in der Finanzpolitik zu- höhung enthalten, die wir in der Tat nicht gewollt ha- ordnet; eine höhere Bewe rtung gibt es, wie Sie wis- ben; denn eine Mehrwertsteuererhöhung um zwei sen, nicht. Ich bitte Sie, das jetzt definitiv und ein für Punkte haben wir für ganz unerträglich für die Bin- allemal zur Kenntnis zu nehmen. Ich nehme es nicht nenkonjunktur in diesem Lande gehalten. mehr hin, daß die einen immer nur laut reden, aber (Beifall bei der SPD) beim Zahlen ganz klein sind - wir Hessen sind soli- darisch seit fast 50 Jahren -, und gleichzeitig so tun, Ich will aber noch ein paar Sätze zu Ihrer Bilanz sa- als ob sie die Nummer eins wären. Das sind sie mit- gen, Herr Bundesminister Waigel. Sie verschweigen, nichten. Wenn die Bayern einmal soweit sind wie wir in welcher Situation sich die öffentlichen Haushalte Hessen seit Jahrzehnten und der Abstand nicht stän- inzwischen befinden. Das ist doch der Grund, warum dig größer würde, dann könnten wir darüber reden. 23088 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Ministerpräsident Hans Eichel (Hessen) Ich bitte, das zur Kenntnis zu nehmen und künftig mensteuerreformkonzepte anschließend entschei- solche Reden zu unterlassen, weil ich als hessischer den. Denn wir wollten nicht die Kröten, die in Ihrem Ministerpräsident für mein Land solche Reden nicht Konzept enthalten sind und die Sie auf diese Weise mehr hinnehme. in unser Konzept schmuggeln wollten, schlucken. Darüber brauchen wir gar nicht zu reden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Ruth Sie haben noch ein anderes Problem: Wir haben Ih- Fuchs [PDS]) nen mit einer Mehrwertsteuererhöhung von einem Prozentpunkt aus der Patsche geholfen, damit ver- mieden wurde, daß die Rentenversicherungsbeiträge Zu einer Kurz- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: auf 21 Prozent steigen. intervention gebe ich das Wo rt dem Abgeordneten Dr. Solms. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sie wissen doch ganz genau: Das hätten wir gar nicht Dr. Hermann Otto Solms (F.D.P.): Herr Ministerprä- nötig gehabt, wenn die geringfügigen Beschäfti- sident Eichel, Sie haben ein kurzes Gedächtnis. Es ist gungsverhältnisse und die Scheinselbständigen in nicht einmal ein Jahr her, daß wir zusammengeses- der Versicherung berücksichtigt würden. sen und darüber verhandelt haben. Es ist schlußend- lich daran gescheitert, daß Sie im Zusammenhang (Beifall bei Abgeordneten der SPD) mit einer aufkommensneutralen ersten Stufe der Sie wissen doch auch, daß wir es fertiggebracht hät- Steuerreform die Anhebung der Mineralölsteuer ge- ten, wenigstens für diese notwendige Strukturreform fordert haben, als ökologischen Bestandteil einer sol- eine Mehrheit zuwege zu bringen, wenn das nicht an chen Reform - ich weiß nicht, was daran Reformeri- der F.D.P. gescheitert wäre. sches sein soll, wenn man Steuern erhöht -, und daß Sie darauf bestanden haben, daß diese erste Stufe Dann fragen Sie einmal, wer im Dezember vergan- die alleinige Stufe der Steuerreform sein sollte und genen Jahres konstruktive Politik gemacht hat, Sie nicht die erste Stufe eines Gesamtkonzeptes. Deswe- oder wir. gen ist das gescheitert. Darauf muß hingewiesen werden. (Beifall bei der SPD) Was der Bundesfinanzminister Theo Waigel jetzt Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das vorgeschlagen hat, ist eine Gesamtsteuerreform mit Wort dem Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Klaus einer Nettoentlastung von mindestens 30 Milliarden Kinkel. DM, die auf zwei Stufen aufgeteilt werden soll, bei der die erste Stufe bereits zum 1. Januar 1999 mit ei- ner Nettoentlastung von 10 Milliarden DM ausgestat- Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister des Auswärtigen: tet werden so ll, aber im Zusammenhang verabschie- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es det, so daß Sie, Herr Ministerpräsident Eichel, sich ist verständlich, daß innenpolitische Fragen in Wahl- von der zweiten Stufe nicht still und heimlich wieder kampfzeiten gerade in einer Haushaltsdebatte so verabschieden können, weil Sie das Geld natürlich stark im Vordergrund stehen. Es ist auch verständ- brauchen, um Ihre Wahlgeschenke zu finanzieren, lich, daß wir uns in der Nachkriegszeit und vor allem und kein Geld haben, um es dem Steuerzahler zu- in der Zeit nach der Wiedervereinigung sehr stark rückzugeben, der Anspruch auf diese Entlastung hat, unter anderem auch mit innenpolitischen Fragen und und zwar ganz unabhängig davon, ob er Arbeitge- Problemen beschäftigt haben. Vielleicht haben wir ber, Selbständiger oder Arbeitnehmer ist. Alle haben uns manchmal, vor allem in der Zeit nach dem Fall einen Anspruch auf eine Nettoentlastung. des Eisernen Vorhangs, auch zu sehr auf innenpoliti- sche Probleme fokussiert. Deswegen ist die Geschichtsklitterung hier zu kor- rigieren. Daran sind diese Gespräche gescheitert. Sie Das Schicksal Deutschlands entscheidet sich aber wollten nur eine Umfinanzierung in einer ersten in der Außenpolitik. Unser Land steht vor großen au- Stufe und keine Reform. ßenpolitischen Herausforderungen. Man konnte in den letzten Monaten den Eindruck haben, als wür- (Beifall bei der F.D.P.) den die außen- und sicherheitspolitischen Fragen vor allem im Wahlkampf nicht die Rolle spielen, die ih- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Minister- nen eigentlich zukommt. Wenn ich mir jetzt aber die präsident, Sie können darauf antworten. Sie haben Krisen der Welt - im Kosovo, in Rußland, in Asien, im drei Minuten Redezeit. Kongo, die Hungerkatastrophe im Sudan und den in- ternationalen Terrorismus - anschaue, dann muß ich ( [F.D.P.]: Muß aber nicht sein!) feststellen: Wir haben wahrhaftig keine Verschnauf- pause. Ministerpräsident Hans Eichel (Hessen): Herr Am 15. März 1998 hat Jürgen Trittin in der „Welt Dr. Solms, das war übrigens eine vernünftige Posi- am Sonntag" erklärt: „Die Diskussion um die Außen- tion, die auch andere CDU-Politiker bezogen haben. politik interessie rt vor allem die Leitartikler. " Schön Lassen Sie uns das verabschieden - das hätten wir ja- wär's! So kann man wirklich schnell danebenliegen. gemacht -, was wir vor der Bundestagswahl noch verabschieden können, und lassen Sie die Wählerin- (Beifall bei der F.D.P. sowie des Abg. Hans nen und Wähler über die unterschiedlichen Einkom- Peter Repnik [CDU/CSU]) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23089

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel Nein, Deutschland kann sich keine außenpoliti- - Ich bin öfter do rt gewesen als Sie, Herr Verheugen, schen Traumtänzereien und Irrlichtereien leisten. Wir und habe auch mehr bewegt als Sie. Freundliche sind nämlich ein großer Tanker und kein kleines Bei- Grüße! - boot. Deutschland ist bevölkerungsmäßig das zwölft- größte Land der Welt. Deutschland ist die drittgrößte (Beifall bei der F.D.P. - Günter Verheugen Wirtschaftsnation der Welt. Deutschland ist die [SPD]: Ich war am Tag vorher da!) zweitgrößte Exportnation der Welt. Deutschland ist Welch ein Unterschied zu der ersten Reise dorthin im nach der Wiedervereinigung das mit weitem Abstand Januar 1995! Wir sind damals in einer ukrainischen größte Land in der Europäischen Union. Es hat rund UNPROFOR-Maschine mit Panzerwesten und Stahl- 24 Millionen Einwohner mehr als die nächstgrößeren helmen auf dem Kopf geflogen. Ich werde niemals Länder: Großbritannien, Frankreich und Italien. die Eindrücke von der ersten Fahrt in die Stadt ver- Nach wie vor sind wir auch das wirtschaftsstärkste gessen: Ruinen, Trümmer, frische Gräber. Gut zwei- Land in der Europäischen Union. einhalb Jahre nach Dayton haben wir Grund zu vor- Wir genießen großes Vertrauen in der Welt, in der sichtigem Optimismus. Die geschundene Stadt Sara- Nachkriegszeit errungen, unter anderem vor allem jevo blüht - allerdings langsam - wieder auf und durch liberale Außenminister, aber auch durch alle kommt wieder voran. Das Land ist militärisch stabil, Bundeskanzler und alle Regierungen, die dazu bei- und wir Deutschen haben Entscheidendes dazu bei- getragen haben. Dieses Vertrauen ist unser wichtig- getragen. Wir können stolz auf den Einsatz unserer stes Kapital, das wir überhaupt besitzen. Deshalb Soldaten sein, denen ich ausdrücklich noch einmal müssen sich vor allem die Grünen schon ein klein danken möchte. wenig anhören, wie die Welt auf das reagie rt, was in (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne der letzten Zeit nach außen und nach innen zu hören ten der CDU/CSU) war. Sie haben die Schmähreden von Herrn Trittin wirk- Das gilt auch für Herrn Schröder als Kanzlerkandi- lich nicht verdient. daten der SPD. Was er zu manchen außenpolitischen Fragen gesagt hat, Wir können stolz auf die deutschen Nichtregie- rungsorganisationen, auf die humanitären Organisa- (Günter Verheugen [SPD]: Was denn?) tionen und auf sehr viel Privatengagement sein. hat nicht gerade dazu beigetragen, das Vertrauen zu Wenn ich als Außenminister dieses Landes in Ge- erhöhen. Wer die NATO-Öffnung ablehnt und die biete der Welt komme, wo es schwierig und kompli- Auflösung der NATO anstrebt, wer sich letztlich dem ziert ist, wo Not und Elend herrschen, treffe ich auf Vertrag von Amsterdam verweigert, wer die Bundes- deutsche Nichtregierungsorganisationen, die do rt wehr verleumdet, vorbildlich tätig sind - egal, ob das in Ruanda oder Burundi ist, egal, ob es auf dem Balkan, in Latein- (Günter Verheugen [SPD]: Von wem reden amerika oder in vielen Krisengebieten Afrikas ist. Sie jetzt?) Die Arbeit der deutschen Nichtregierungsorganisa- der muß sich sagen lassen, daß er das Vertrauen ver- tionen und der humanitären Einrichtungen und das spielt und daß er außen- und sicherheitspolitische private Engagement von Deutschen in den Elends- Verantwortung für dieses Land nicht übernehmen und Notgebieten der Welt sind vorbildlich. Herzli- darf. chen Dank! (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU ten der CDU/CSU - Günter Verheugen sowie bei Abgeordneten der SPD) [SPD]: Von wem reden Sie?) Madeleine Alb right war zeitgleich mit mir in Sara- Genauso wie Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, jevo. Unsere Aufenthaltszeit hat sich allerdings nur mache ich im Augenblick viel Wahlkampf. Ich habe eine halbe Stunde überschnitten. So haben wir ver- das Gefühl, daß die Menschen vor grüner Verantwor- einbart, uns nicht zu treffen, um uns nicht gegensei- tung in der Außen-, Sicherheits- und Wirtschaftspoli- tig die kurze Zeit, die uns beiden für den Besuch zur tik zunehmend Angst haben. Und ich habe das Ge- Verfügung stand, „wegzunehmen". Aber als ich fühl, daß auch im Ausland, bei meinen Pa rtnern und hörte, was sie als amerikanische Außenministerin zur Freunden, mit denen ich rede, etwas sorgenvoll auf Frage der Rückführung von Flüchtlingen aus den 27. September in Deutschland gesehen wird. Deutschland gesagt hat, habe ich dem massivst wi- dersprochen. Ich gebe dem Bundeskanzler recht: Wir (Konrad Gilges [SPD]: Kinkel ist auch ein haben von niemandem Belehrungen über die Auf- Angstfaktor!) nahme von Flüchtlingen und Asylbewerbern anzu- Wir haben unsere Verantwortung als Koalition bis- nehmen. her darin gesehen, Deutschlands Gewicht für Frie- den, Sicherheit und Wohlstand in ganz Europa in die Wir tragen auch jetzt, was die Aufnahme von Ko- sovo-Albanern als Asylbewerber in Deutschland an- Waagschale zu werfen. Was Krieg, Gewalt und Zer- belangt, die mit Abstand größte Last. Auch da ge- störung anrichten, haben wir in Bosnien erlebt, und bührt den Deutschen Dank. Wir waren human bei das erleben wir im Augenblick wieder im Kosovo. Ich der Aufnahme und werden human bei der Rückfüh- war vor drei Tagen wieder - das zwölfte Mal - in Sa-- rung bleiben. Aber Deutschland kann sich nicht al- rajevo, um ein neues Werk von VW mit zu eröffnen. lein alle Not und alles Elend auflasten. Das müssen (Zuruf des Abg. Günter Verheugen [SPD]) wir den Bürgern und auch unseren Pa rtnern und 23090 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel Freunden sagen, die jetzt womöglich mit dem Finger bleme, weil sie sich nicht am Dialogprozeß beteili- auf uns zeigen. Hätten sie uns mal Lasten abgenom- gen. Aber sie sind über Jahre kujoniert, drangsalie rt men, anstatt uns anzuklagen, daß wir bei der Rück- und unterjocht worden. Sie haben versucht, ihr führung inhuman seien! Das sind wir nicht. Wir las- Schicksal selber in die Hand zu nehmen. Jetzt kön- sen uns da von niemandem etwas sagen. nen wir ihnen nicht vorwerfen, daß sie so agieren, wie sie agieren. Wir müssen sie vielmehr zur Ver- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - nunft zurückbringen. Das muß jetzt außenpolitisch Günter Verheugen [SPD]: Sehr diploma- erreicht werden. Und Herr Milosevic muß wissen: tisch!) Die Staatengemeinschaft wird eine humanitäre Kata- Meine Damen und Herren, unser Land muß - es ist strophe nicht noch einmal hinnehmen. Er muß ferner notwendig, dies zu sagen - ab 1. Januar 1999, also di- wissen: Wir können und wir werden auch militärisch rekt nach der Bundestagswahl, außen-, sicherheits- reagieren, wenn es zu keiner politischen Lösung und wirtschaftspolitisch eine Verantwortung schul- kommt. Dazu sind wir fest entschlossen. tern, wie es sie in der Nachkriegszeit in der Form nie (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) zu schultern gab. Wir haben die Präsidentschaft in der Europäischen Union inne. Zentrale Fragen ste- Ich will noch einmal etwas zu Herrn Trittin sagen, hen an: der Euro, die Erweiterung. Wir brauchen ein weil er hinsichtlich der Außenpolitik der Mann im neues europäisches Finanzsystem. Wir brauchen Hintergrund ist. Wenn es um außenpolitisch wichtige eine Agrarstrukturreform. Wir müssen die in Amster- Fragen im Deutschen Bundestag ging, saß der Kol- dam nicht geregelten Fragen institutioneller A rt lö- lege Fischer - sonst nicht gerade zurückhaltend - sen. Hiermit gekoppelt - das hat es auch noch nie ge- stets mit verquälter Miene in der ersten Reihe. Er hat geben - haben wir die Präsidentschaft in der Westeu- aber zu diesen Themen nicht gesprochen, sondern ropäischen Union und - das ist angesichts der derzei- hat jeweils andere sprechen lassen müssen. Diese tigen Weltlage fast noch wichtiger - die Präsident- Tatsache muß man den Deutschen noch einmal in Er- schaft unter den G-8-Staaten. Bei G 8 sind auch noch innerung rufen. Sonst ist Herr Fischer um kein fre- die Japaner und Rußland dabei. Im ersten Halbjahr ches Wort verlegen. Aber in diesen Debatten hat er 1999 haben wir einen ersten europäischen Latein- geschwiegen. Als es um die NATO-Erweiterung amerikagipfel. Wir haben die Mittelmeerkonferenz ging, saß er mit verquältem Gesicht in der ersten -Barcelona III, einen EU-ASEM-Gipfel und einen EU Reihe - keine Stellungnahme. Als es um die Verträge ASEAN-Gipfel. von Amsterdam ging, saß er mit verquältem Gesicht in der ersten Reihe, später sich nach hinten verzie- Ich wiederhole noch einmal: In der Nachkriegszeit hend - keine Stellungnahme. Als es um den SFOR- hat es keine Situation mit vergleichbarer Verantwor- Einsatz - früher - ging, saß er ebenfalls mit verquäl- tung gegeben. Ich meine schon, daß nicht so ganz tem Gesicht in der ersten Reihe - keine Stellung- von der Hand zu weisen ist, worauf wir von seiten nahme. der Koalition mit Recht hinweisen: daß in dieser Zeit - wie bei einem großen Tanker - erfahrene Leute am Jetzt dreht ausgerechnet Herr Trittin sozusagen Ruder stehen sollten und nicht politische Leichtma- eine Last-minute-Kurve in der Avus und erklärt, daß trosen, wie es zumindest die Grünen in außen- und die Grünen plötzlich für die Bundeswehr und sogar sicherheitspolitischen Fragen sind. für einen verlängerten Einsatz in Bosnien sind. Dazu kann ich nur sagen: Hoffentlich merken die Deut- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) schen, um was es am 27. September an den Wahlur- Deutsche Außenpolitik, liebe Kolleginnen und Kol- nen geht. legen, ist Friedenspolitik für ganz Europa. Dazu ge- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) hört natürlich auch, daß wir uns im Kosovo engagie- ren. Vertreibungen und Gewalt müssen dort endlich Und wie man hört, sind die Grünen - das muß man ein Ende haben. Es gibt keine andere Möglichkeit, der bundesrepublikanischen Bevölkerung ebenfalls als auf eine politische Lösung zuzusteuern, die eine sagen - auch gegen Maßnahmen zur Friedenser- umfassende Autonomie beinhalten muß. Wir werden zwingung. Herr Trittin nennt diese Maßnahmen „mi- kein unabhängiges Kosovo schaffen können. Das litaristisches Abenteurertum" und „interventionisti- müssen wir allen Beteiligten sagen. Deswegen müs- sche Großmachtpolitik". Wer so redet, leidet unter sen beide Seiten - das ist im Augenblick äußerst Realitätsverlust. schwierig - in einen Dialog eintreten, der im Ergeb- nis zu einer möglichst weitgehenden Autonomielö- Im übrigen möchte ich auf einen Punkt hinweisen, sung führen muß. Diese muß dann allerdings militä- der in Deutschland vergessen zu sein scheint: Wir risch abgesichert werden. Es wird so wie in Bosnien waren nicht in der Lage ? uns selber vom Tyrannen zu gehen müssen; anders wird es nicht möglich sein. befreien, nicht einmal diejenigen, die am 20. Juli Die NATO hat sich dazu ja auch bereit erklärt. Zu- 1944 einen ehrenhaften Versuch unternommen hat- nächst sind ein Waffenstillstand und ernsthafte Ge- ten. Es bedurfte gewaltsamer - genauer: militärischer spräche zwischen beiden Parteien notwendig. Wir - Aktionen, um uns sozusagen den Wiederaufbau, müssen deshalb den Druck auf Belgrad noch weiter den Neubeginn in Demokratie, Rechtsstaat und verstärken. Denn klar muß sein: Die Hauptverant- Marktwirtschaft zu ermöglichen. Hätte sich die freie wortung trägt Herr Milosevic. Welt damals auf den heutigen Standpunkt der grü- nen Partei gestellt, würde die Welt heute anders aus- Unabhängig davon bereiten uns jetzt auch die Ko- sehen. Dieser Punkt wird in Deutschland vergessen: sovo-Albaner in Gestalt der UCK gewaltige Pro- Wir konnten uns vom Tyrannen nicht selber befreien. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23091

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel Deshalb ist eine solche Haltung, die von vornherein Wir müssen deutlich und klar sagen, daß jemand, eine Intervention, auch wenn sie vom Sicherheitsrat der Verbrechen gegen die Menschlichkeit begeht, der Vereinten Nationen abgesichert ist, ausschließt, nicht mehr ruhig schlafen darf, übrigens genausowe- eine unmoralische und im übrigen auch eine fatale nig wie all diejenigen, die Kinder sexuell mißbrau- und geschichtslose Haltung. Das muß man deutlich chen und damit auch noch Geschäfte machen. und klar sagen. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) ten der CDU/CSU) Auf Grund der Gespräche gestern morgen in den Wir müssen international durchsetzen, daß Ausschüssen ist es meine Aufgabe, auch etwas über diesen Schweinereien durch Surfen im Internet ent- Rußland zu sagen. Wir schauen mit großer Sorge gegenwirken darf. Das ist das erste, was wir durch- nach Rußland, insbesondere nach Moskau. Das Land setzen müssen. befindet sich in ganz schwierigem Fahrwasser. Was dort geschieht, betrifft uns - ob wir wollen oder nicht (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne - ganz unmittelbar. Europa wird es auf Dauer nur gut ten der CDU/CSU und der SPD) gehen, wenn es auch Rußland gut geht. So einfach Die menschenverachtenden Anschläge von ist der Zusammenhang. Rußland darf nicht kollabie- Omagh, Nairobi und Daressalam haben uns ren. Dieses Land steht vor Herkulesaufgaben. Es schmerzhaft vor Augen geführt, daß die Geißel des muß seine Währung und seine Finanzen stabilisie- Terrorismus uns alle bedroht. Wir müssen den Zyni- ren. Es muß ausreichend Liquidität schaffen, um die kern der Gewalt als Staatengemeinschaft entschlos- Wirtschaft anzukurbeln. Es muß die Strukturrefor- sen entgegentreten und die Quellen des Terrorismus men anpacken. Es braucht eine Roßkur. Vor allem austrocknen: ungelöste Konflikte, soziales Elend, aber muß Rußland Vertrauen zurückgewinnen, denn ideologischer und religiöser Fanatismus. Für Terroris- ohne Vertrauen werden keine Investitionen kommen. mus darf es kein Pardon geben. Geld und Investitionen sind nun einmal wie ein scheues Reh. Sie gehen nur auf die Lichtung, wenn Wir dürfen uns nicht in einen neuen Kampf der sie sicher ist. Deshalb ist die zentrale Aufgabe für Kulturen einlassen. Wir brauchen vielmehr den Dia- Rußland, das Vertrauen zurückzugewinnen. log der Kulturen, vor allem mit der Welt des Islam. Deshalb ist die Auswärtige Kulturpolitik so wichtig. Rußland muß wissen: Pa rtnerschaft und Freund- schaft bedeuten für uns keine Schönwetterveranstal- Und deshalb möchte ich zum Schluß noch etwas tung. Wir werden dieses große und wichtige Land zum Kulturpapst in spe, Herrn Naumann, sagen: auf seinem schwierigen Weg weiter begleiten. Aber Manches von dem, was von ihm gesagt wurde, ist die Last der Reformen kann Rußland niemand ab- bisher nicht so richtig wahrgenommen worden. nehmen. Wir wollen, daß ein stabiles, demokrati- Zunächst zur Auswärtigen Kulturpolitik und den sches und starkes Rußland den Platz in Europa und Goethe-Instituten: Die Reaktion auf seine Interview- in der Welt einnimmt, der ihm gebührt - politisch orgie war eindeutig und klar. Die Mitgliederver- und wirtschaftlich. Wir wollen Rußland weiterhin sammlung der Goethe-Institute hat einstimmig er- umfassend einbeziehen - durch eine neue Sicher- klärt, solch einen Blödsinn wollten sie nicht. heitsarchitektur in Europa, durch die Zusammenar- beit mit der EU und durch die Zusammenarbeit im Aber ich habe noch etwas viel Gefährlicheres an- Rahmen der G 8. Weil wir ein besonderes Vertrau- zusprechen, was Herr Naumann wohl am allerwenig- ensverhältnis zu diesem großen und wichtigen Land sten überlegt hat. Vor ein paar Jahren habe ich, da- entwickelt haben, kommt dabei gerade auf Deutsch- mals noch mit Herrn Kosyrew und Herrn Sidorow, die land in der nächsten Zeit sehr viel Verantwortung zu. Verhandlungen über die Rückführung der Kulturgü- Wir haben eine ganz wichtige Rolle, eine Rolle, die ter aus Moskau begonnen. Herr Naumann erklärt versucht, die Entwicklungen in der Balance zu hal- nun, darauf sollten wir verzichten - obwohl Rußland ten. Das haben viele in Deutschland noch nicht wahr- völkervertragsrechtlich, wegen unserer Vereinbarun- genommen. gen in Sachen Kultur sowie wegen des deutsch-russi- schen Vertrages, verpflichtet ist, diese zurückzuge- Meine Damen und Herren, das Grundgesetz ver- ben. Herr Naumann hat völlig übersehen - daran pflichtet unsere Außenpolitik auf die Achtung der sieht man, wie flach und oberflächlich Leute damit und der Unsere Menschenwürde Menschenrechte. umgehen, die, zumindest was die praktische Politik Außenpolitik tritt weltweit für Menschenrechte und anbelangt, von Tuten und Blasen keine Ahnung ha- Menschenwürde ein. Das muß auch in Zukunft so ben -, daß Präsident Jelzin vor dem Verfassungsge- bleiben. richt in Moskau zwei Klagen eingereicht hat, die un- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- sere Position unterstützen. Herr Naumann fällt dem ten der CDU/CSU) russischen Präsidenten in den Rücken! Dies gilt für das Beispiel der Landminen - das Ot- (Widerspruch des Abg. Wolf-Michael tawa-Abkommen hat geholfen -; das gilt jetzt für die Catenhusen [SPD]) Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs, Und er hat noch ein Zweites übersehen, was viel was - auch das muß man einmal sagen dürfen - mit schlimmer ist: Er hat nämlich vergessen, daß ein ein Erfolg deutscher Diplomatie war. - nicht unwesentlicher Teil der Kulturgüter, um die es (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- hier geht - ich weiß das, weil ich mir das im Pusch- ten der CDU/CSU) kin-Museum in Sankt Petersburg angesehen habe -, 23092 Deutscher Bundestag - 13. Wahlpe riode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel von Eichmann geraubter jüdischer Besitz ist. Ange- Natürlich haben Sie mit Ihrer Politik auch Erfolge sichts dessen möchte ich doch die Frage stellen, ob aufzuweisen; das ist unbest ritten. Sie haben die wirt- Herr Naumann als selbsternannter Kulturpapst in schaftlichen Rahmenbedingungen für die Unterneh- spe - der alles weiß, der kam, sah und siegte - sich men durch Deregulierung und Sozialabbau erfolg- genau überlegt hat, was er da gesagt hat. reich verbessert. Sie haben staatliche Unternehmen privatisiert, und Sie haben in der Tat der deutschen Meine Damen und Herren, am 27. September geht Exportwirtschaft in die Gewinnzone verholfen. Das es um eine klare Entscheidung. Sie lautet: Soll in Zu- Problem aber ist, daß diese Erfolge von dramatischen kunft Verläßlichkeit oder Wankelmut, Geradlinigkeit Folgeerscheinungen für die Mehrheit der Menschen oder Irrlichterei in der Außenpolitik die Weichen stel- begleitet werden. len? Die Menschen in Deutschland haben - ich wie- derhole das - zumindest große Sorge, wenn nicht gar Bei der Rentenreform, die der Bundeskanzler auf Angst vor von Grünen mitbestimmter Außen-, Sicher- seiner Habenseite verbucht hat, hat er leider unter- heits- und Wirtschaftspolitik. Ich bin sehr sicher, daß schlagen, daß die Rentenüberleitung allein den Bei- ich mich da nicht täusche. tragszahlerinnen und Beitragszahlern aufgehalst wurde, statt sie aus dem Steueraufkommen zu finan- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) zieren. Das hat, wie Sie genau wissen, dramatische Folgen für die Leistungsfähigkeit des Sozialsystems. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das Es ist auch unredlich, die Renten von Männern und Wort der Abgeordneten Frau Dr. Heidi Knake-Wer- Frauen in Ostdeutschland einfach zu addieren und ner. zu sagen, ihnen gehe es so gut. Nein, hier wird die Lebensleistung von zwei Menschen bewe rtet. Das könnten Sie endlich einmal zur Kenntnis nehmen. Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Dramaturgie (Beifall bei PDS) dieser Debatte ist ein bißchen eigenwillig. Deshalb, Herr Außenminister, werden Sie erlauben, daß sich Sie hätten auch sagen sollen, was die Erhöhung unser Kollege Wolf nachher mit Ihnen beschäftigen des Rentenalters der Frauen für diese bedeutet. Was wird. -Sie damit erreicht haben, ist zutiefst unsozial, frauen und jugendfeindlich. Ich werde zur Innenpolitik zurückkommen, weil (Unruhe) der Bundeskanzler - wie Sie - eben gesagt hat, daß es am 27. September einen Richtungsentscheid ge- ben wird. Ich finde, da hat er ausnahmsweise einmal Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Entschuldigen recht. Sie, Frau Kollegin. (Beifall bei der PDS) Nun muß ich wirklich eingreifen, meine Herren. So geht es nicht. Wenn Sie Gespräche führen wollen, Am 27. September wird nämlich darüber entschie- dann verlegen Sie diese bitte in den hinteren Teil des den, ob die von Bundeskanzler Kohl 16 Jahre lang Raumes. - Herr Minister Rühe, das gilt auch für Sie. verfolgte Richtung fortgesetzt wird oder die Chance für einen Richtungswechsel gewahrt bleibt. Bei der Bundestagswahl wird nämlich darüber entschieden, Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): Er hört gar nicht. Er ob weiterhin Millionen von Menschen bis weit in das merkt gar nicht, daß hier eine Debatte stattfindet. nächste Jahrhundert hinein ohne Arbeit sind, ob für Zehntausende von Jugendlichen der Einstieg ins Er- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Bundes- werbsleben einem Lotteriegewinn gleichkommt, ob minister Rühe, soll ich Ihretwegen die Sitzung unter- bei Arbeitslosen, Kranken, Asylbewerberinnen und brechen, oder kann es weitergehen? Asylbewerbern und Flüchtlingen weiterhin gnaden- Bitte fahren Sie fo los der Rotstift angesetzt wird und immer mehr Men- rt, Frau Kollegin. schen in diesem Land von Armut und Obdachlosig- keit bedroht sind. Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn die Gewinne und Vermögens- (Unruhe) einkommen heute den gleichen Steuersätzen unter- Ich sage Ihnen: Am 27. September wird auch noch lägen wie vor dem Regierungsantritt Kohls, dann über etwas anderes entschieden, nämlich darüber, hätte Minister Waigel jährlich 100 Milliarden DM ob die Gewinne der großen Unternehmen und die mehr in seinen Kassen. Darauf haben Sie aber be- Vermögen der Reichen weiter wachsen wußt verzichtet, und deshalb sind die Kassen leer. Statt dessen streichen Sie soziale Leistungen, kürzen (Unruhe) und bauen ab - und dies betrifft all die Menschen, die auf öffentliche Solidarität angewiesen sind. Statt - ich finde, Herr Präsident, Sie könnten mir jetzt bei die sozialen Sicherungssysteme armutsfest und lei- der ersten Reihe der SPD etwas Gehör verschaffen - stungsfähig zu machen, singen Sie das Hohelied der oder ob sich die soziale Spaltung in diesem Lande privaten Vorsorge. Das ist zutiefst unsozial. vertieft. In Wahrheit nämlich, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, sind Sie die Spalter (Beifall bei der PDS) dieser Gesellschaft und nicht wir. Darauf ist der Kollege Blüm, der hier für Arbeit (Beifall bei der PDS) und Soziales zuständig ist, auch noch stolz. Erst ge- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23093

Dr. Heidi Knake-Werner stern hat er die 98 Milliarden DM, die jährlich in sei- Jetzt, kurz vor den Wahlen, greifen Sie zu einem nem Bereich gespart werden, damit gerechtfertigt, Mittel, das Sie bisher immer als Rückfall in die Mot- daß er dies für die Beitragszahler, die abhängig Be- tenkiste des Staatssozialismus denunzie rt haben. Sie schäftigten getan habe. Was haben die - darf ich Sie pumpen Geld in den öffentlich geförderten Beschäfti- das einmal fragen - eigentlich davon gehabt? Haben gungssektor - sinnvoll und lange von uns gefordert. Sie vielleicht deren Beitragssätze gesenkt? Nein, die Aber daß Sie es jetzt tun, ist ein durchsichtiges wahl- sind so hoch wie nie zuvor. Obendrein haben Sie ih- taktisches Manöver auf dem Rücken der Arbeitslo- nen noch die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ge- sen. Das zeigt die Charakterlosigkeit Ihrer Politik. kürzt und das Schlechtwettergeld gestrichen. Das ist (Beifall bei der PDS) die Bilanz Ihrer Politik. Profitiert haben allein die Un- ternehmen und sonst niemand. Das ist Klientelpolitik Obendrein - weil das gestern von Minister Blüm im- reinsten Wassers. mer wieder bemüht worden ist - ist genau das Wäh- lerbetrug. Wir sind weit entfernt von einer Trend- (Beifall bei der PDS) wende am Arbeitsmarkt. Auch das wissen Sie. Ihr Fi- Bei einer Bilanz Kohlscher Politik stehen auf der ei- nanzplan drückt das deutlich aus. nen Seite die Erfolge für die Bezieher von Gewinnen Allein schon deshalb wird am 27. September eine und Vermögenseinkommen und auf der anderen Richtungsentscheidung getroffen werden müssen. Seite eben der dramatische Abbau von Arbeitsplät- Die Wählerinnen und Wähler wissen das. Ob damit zen und die höchsten Arbeitslosenzahlen seit Kriegs- allerdings ein Richtungswechsel verbunden sein ende, die zunehmende Verarmung. Knapp 3 Millio- wird, das wage ich noch ein bißchen zu bezweifeln. nen Menschen sind in diesem Land von Sozialhilfe Ein Kanzlerkandidat, der nach seinem eigenen Be- abhängig, in Ostdeutschland jedes fünfte Kind. Das kenntnis wenig anders, aber alles besser machen ist in einem so reichen Land wie der Bundesrepublik will, will eben keinen Richtungswechsel, sondern in doch unglaublich. erster Linie an die Macht kommen, wogegen ich im Die wirtschaftliche Roßkur, mit der Sie in den Moment gar nichts habe. neuen Ländern ganze Industrien plattgemacht ha- ben, hat eben keine blühenden Landschaften hervor- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin, gebracht, sondern nur ein blühendes Geschäft für ich bitte, zum Schluß zu kommen. die westdeutschen Aufkäufer und eine Wirtschafts- struktur, die so aussieht, daß auf 1000 Einwohner halb soviel Industriearbeitsplätze kommen wie in Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): Aber jemand, der Spanien. Ist das nicht ein unglaublicher Skandal? außerdem das wenige, was er anders machen will -

Da nehmen Ihnen die Menschen in Ostdeutsch- Frau Kollegin, land einfach nicht mehr ab, daß der Aufschwung Ost Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Sie müssen zum Schluß kommen. für Sie oberste Priorität hat. Was hier passiert ist, ist nicht Weltklasse, das ist noch nicht einmal Kreis- klasse. Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): - ich bin sofort fer- tig -, noch unter einen Finanzierungsvorbehalt stellt, (Beifall bei der PDS) drückt sich vor der Notwendigkeit, einen Richtungs- Was haben Ihre Reformen für den Arbeitsmarkt wechsel bei der Verteilung des gesellschaftlichen tatsächlich bewirkt? Was hat die Auflockerung des Reichtums einzuleiten. Soziale Gerechtigkeit unter Kündigungsschutzes gebracht? Gar nichts, nicht ein- einem Finanzierungsvorbehalt ist eben keine soziale mal im Handwerk. Im Gegenteil, do rt sind Arbeits- Gerechtigkeit. Deshalb brauchen wir nicht nur einen plätze zu Hunderttausenden vernichtet worden. Und Regierungswechsel, sondern einen wirklichen Rich- Rexrodt will den Kündigungsschutz, wie er heute in tungswechsel in der Politik. einem Interview verkündet, noch weiter auflockern. (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Einen Rednerwechsel Was hat die Änderung des Ladenschlußgesetzes brauchen wir jetzt!) gebracht? Nichts weiter als eine immense Zunahme Dazu brauchen Sie die PDS. Die wird den nötigen von 620- und 520-DM-Jobs. Ich sage es noch einmal Druck von links in diesem Parlament entfalten, zu- in aller Deutlichkeit: Das sind keine Jobs, die Zuver- sammen mit den vielen, vielen Menschen außerhalb dienst bringen, sondern das sind für 3 Millionen des Parlaments, die die Entwicklung mit Interesse Frauen die einzige Einnahmequelle. Deshalb wollen verfolgen. wir sie nicht streichen, aber wir wollen jede bezahlte Arbeitsstunde sozialversichern. Danke. (Beifall bei der PDS) (Beifall bei der PDS) Der Obermegaflop in Ihrer Beschäftigungspolitik sind nun wirklich die Jobs in Privathaushalten. Sie Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das haben mickerigste Ergebnisse erzielt. Aber dafür Wort dem Abgeordneten Günter Verheugen. nehmen Sie einen Steuereinnahmeverlust von 300 Millionen DM hin. Das Bemerkenswerteste an Günter Verheugen (SPD): Herr Präsident! Meine dieser Initiative, die Sie gestartet haben, ist, daß sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich mich manche Hausangestellten mehr Steuern zahlen als auf der Regierungsbank umschaue, dann kann ich ihre Arbeitgeber. nicht den Eindruck gewinnen, daß die internationale 23094 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Günter Verheugen Lage so ernst ist, wie sie der Bundeskanzler und Europa hat auch etwas mit Solidarität zwischen Staa- auch der Bundesaußenminister heute dargestellt ha- ten und Nationen zu tun. ben. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß sie es mit der Vorlage des Haushaltes so ernst gemeint ha- Ich sage dies ganz gezielt an die Adresse der CSU, ben; denn sonst würde es sie vielleicht interessieren, weil die Kollegen der CDU, die hier anwesend sind, was das Parlament zu ihrem Haushalt zu sagen hat. davon ausgenommen sind. Sie wissen vielleicht auch Das ist aber offensichtlich nicht der Fall. gar nicht, was ihre Kolleginnen und Kollegen von der CSU an den Wochenenden in bayerischen Bierzelten Ich verzichte darauf, den Bundesaußenminister erzählen. Ich weiß das, weil ich do rt selbst meinen herbeirufen zu lassen; aber ich stelle fest, daß er bei Wahlkreis habe und die bayerischen Heimatzeitun- der Beratung seines Haushaltes nicht anwesend ist. gen lese. Was dort gesagt wird, zieht Ihnen wirklich die Schuhe aus. Sie müssen sich einmal ansehen, in (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das geht welcher Tonart und mit welchen Forderungen die so aber nicht! Das ist unanständig! - Gün- CSU an Europa herangeht. ther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Er hat aber einen guten Staatsminister!) Aber ich muß hier gar nicht an irgendwelche Bier- zeltreden erinnern. Der bayerische Ministerpräsident - Sie wissen, wie schwach das Argument ist, das Sie höchstselbst benutzt ja das Thema Europa immer gerade gebraucht haben. Sie verdanken es wirklich wieder, um am rechten Rand Stimmen zu fangen. nur meiner guten Laune, die ich nach der phantasti- Aber es ist ein gefährliches Unternehmen - meine schen Rede von Gerhard Schröder habe, Damen und Herren, ich muß Ihnen das wirklich sa- (Beifall bei der SPD) gen -, zum Beispiel an die Adresse Polens und Tsche- chiens Forderungen zu richten, die erfüllt sein müs- daß ich mich mit dem begnüge, was ich gesagt habe. sen, bevor diese beiden Staaten Mitglied der Euro- päischen Union werden können, und zwar Forderun- Meine Damen und Herren, wir haben in den letz- gen, die nicht irgendwo im Kriterienkatalog der ten Jahren in den Grundfragen der Außen- und Si- Europäischen Union stehen, sondern die die CSU al- cherheitspolitik einen Konsens erreicht. Ich halte es lein entdeckt hat. Das ist unsolidarisch. Das ist un für wichtig, auch heute daran zu erinnern, daß ein europäisch. Das schadet den Interessen unseres Lan- Land in der Lage Deutschlands einen solchen Kon- des und weckt Zweifel daran, ob diese Regierung es sens zwischen den großen demokratischen Kräften wirklich damit ernst meint, daß sie sich klar und ent- braucht. schlossen für die Osterweiterung der Europäischen (Beifall des Abg. Otto Schily [SPD]) Union einsetzen wird. Ich bestätige ausdrücklich das, was der Bundes- Dafür muß man sich nicht entschuldigen, sondern kanzler heute morgen dazu gesagt hat. Die Osterwei- man kann stolz darauf sein, daß man das erreicht hat. terung der Europäischen Union liegt ganz besonders Deshalb ist es auch wichtig - unabhängig vom in unserem Interesse, und zwar deshalb, weil wir Ausgang der Bundestagswahl, der für mich seit wollen, daß sich politische Stabilität, Demokratie, heute keine Frage mehr ist -, unsere Freunde und Rechtsstaatlichkeit und soziale Marktwirtschaft auf Nachbarn in der Welt darauf hinzuweisen, daß die einen immer größeren Teil Europas ausdehnen kön- Kontinuität in den Grundfragen und Prinzipien der nen. Davon haben alle Seiten etwas, auch wir. deutschen Außenpolitik gesichert ist. Wir wissen, Es ist ganz richtig, was Herr Kinkel über Rußland daß Deutschland ein Land ist, das wie kein anderes gesagt hat - das gilt nämlich ganz allgemein -: Uns in der Welt auf das Vertrauen seiner Nachbarn und kann es auf Dauer nur gutgehen, wenn es auch unse- seiner Partner angewiesen ist. Es ist ein Land, das für ren Nachbarn gutgeht. Das gilt für alle und ist - ganz alle, die mit ihm zu tun haben, zuverlässig und bere- nebenbei bemerkt - ein Satz aus dem Wahlpro- chenbar sein muß. Deshalb ist es so wichtig, daß die gramm der Solzialdemokratischen Partei. Grundlagen unserer Außen- und Sicherheitspolitik klar sind. Es darf kein Zweifel daran aufkommen, (Beifall bei der SPD - Ina Albowitz [F.D.P.]: welchen Kurs unser Land steuern wird. Wie schön! - Dr. [SPD]: Politik mit Gefühl!) Das heißt zunächst einmal: Deutschland will und muß zusammen mit seinen Freunden und Partnern - Es ist so. der Motor der europäischen Einigung bleiben. Die zweite Feststellung, die getroffen werden muß, (Beifall bei der SPD) bezieht sich auf das Atlantische Bündnis. Die NATO ist die Institution in Europa, die langfristig unsere Si- Europa ist und bleibt unser großes Thema. Es ist cherheit garantiert. Sie hat zusätzliche wichtige Auf- nicht vollendet. Ich sehe mit Besorgnis eine Diskus- gaben übernommen, zunächst Aufgaben politischer sion, die sich in den letzten Monaten bei uns in Natur. Wir verstehen die NATO-Osterweiterung in Deutschland entwickelt hat und schon zu sehr vielen erster Linie als einen politischen Prozeß, in dem Sta- Irritationen bei unseren Freunden geführt hat, näm- bilität exportiert wird. Wir sehen in der Zukunft keine lich eine Diskussion darüber, was wir eigentlich bei Lage in Europa entstehen, die den klassischen Auf- dem, was wir in Europa einzahlen, herausbekom-- trag der NATO, nämlich Bündnisverteidigung gegen men, als wäre Europa ein Kassenautomat, in den eine Aggression von außen, im Augenblick als aktu- man oben eine Geldmünze hineinwirft und aus dem ell erscheinen ließe. Aber unabhängig davon, ob die- man unten irgend etwas im selben Wert herauszieht. ser Auftrag aktuell ist oder nicht, sind die Hand- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23095

Günter Verheugen lungsfähigkeit, die Stärke und der innere Zusam- Genauso wenig wie wir in unserem eigenen Land menhalt eines solchen Bündnisses ein Faktor der Sta- Marktwirtschaft pur für verträglich halten - das tut bilität in Europa, auf den wir nicht verzichten kön- noch nicht einmal die F.D.P. von heute -, genauso nen. Unser deutsches Interesse ist also darauf gerich- wenig können wir im Weltmaßstab allein die Markt- tet, dieses Bündnis handlungsfähig und kohärent zu kräfte für die Quelle des Fortschritts und der Dyna- erhalten, die Osterweiterung entsprechend den Be- mik halten. Diese Dynamik kann so enorm, so de- schlüssen von Madrid voranzubringen und die Politik struktiv sein - wie wir es in Lateinamerika, in Südost- der offenen Tür wirklich zu betreiben. asien und eben auch in Rußland erleben - daß einem vernünftigen Menschen klar sein muß: Hier muß ein Der Bundeskanzler hat heute morgen historisch vereinbarter Rahmen her, der nicht nur soziale und richtige Worte über die baltischen Staaten gesagt. ökologische Mindeststandards schafft, sondern zum Das war richtig; so etwas hat man selten von ihm ge- Beispiel schwache Volkswirtschaften auch davor be- hört. Er hat aber nichts darüber gesagt, womit die wahrt , von Finanzmanipulationen und -spekulatio- baltischen Staaten eigentlich rechnen können, bei- nen einzelner Spekulanten oder Konzerne bis ins spielsweise in bezug auf ihre Sicherheit und in bezug Mark getroffen zu werden. auf ihre Integration in den europäischen Kooperati- onsprozeß. Ich stelle es nur fest. Vor uns liegt eine Reihe von wichtigen Aufgaben, auf die in der Rede des Herrn Außenministers hinge- (Karl Lamers [CDU/CSU]: Dann sagen Sie wiesen worden ist. Davon ist die EU-Präsidentschaft es doch!) ganz gewiß die wichtigste. Wir sollten heute nicht Der dritte Punkt, den wir festhalten müssen, betrifft das Programm für die deutsche EU-Präsidentschaft die revolutionären und grundlegenden Veränderun- verkünden. Es wäre klug und auch nur fair, die Er- gen in Europa, die nach 1989/90 einen großen Trans- gebnisse der österreichischen Präsidentschaft abzu- iormationsraum geschaffen haben, der sich sehr un- warten. Ich habe übrigens großes Vertrauen in diese terschiedlich entwickelt. Es hat keinen Sinn, die Au- Präsidentschaft, daß sie die Lösung der schwierigen gen davor zu verschließen, daß es in diesem großen Fragen, die zur Zeit in Europa behandelt werden, ein Transformationsraum Staaten gibt, die sehr schnell gutes Stück vorantreiben wird. eine moderne demokratische und auch eine gute Was wir aber heute schon ungefähr erkennen kön- ökonomische Entwicklung durchlaufen, aber daß es nen, ist, daß wir unter der deutschen Präsidentschaft auch andere Staaten gibt, bei denen der Prozeß sehr die Osterweiterung voranbringen und die sehr langsam verläuft und bei denen es sogar Rückschritte schwierige Frage der EU-Finanzen regeln müssen. gibt. Ich will hier sehr deutlich sagen, daß die Position der Ich will nachher noch etwas zu Rußland sagen. Ich jetzigen Bundesregierung dazu in sich völlig wider- will nur daran erinnern, daß die ganze Dimension sprüchlich ist. Man kann nicht einerseits sagen: Wir des Problems erst sichtbar wird, wenn man sich klar- wollen weniger bezahlen, wir wollen mehr bekom- macht, daß eine sozial explosive und katastrophale men, und andererseits: Die Osterweiterung darf Lage nicht nur in Rußland, sondern beispielsweise nichts kosten, und die Agrarpolitik darf nicht refor- auch in der Ukraine besteht und daß das ganze Ri- miert werden. Das paßt in überhaupt keiner Weise siko, das sich politisch daraus ergeben kann, erst er- zusammen. faßt werden kann, wenn man beide Länder im Zu- (Beifall bei der SPD) sammenhang betrachtet. Unsere Partner in Europa - das wissen Sie, Herr Ho- Unser deutsches und europäisches Interesse kann yer, sehr gut - sind inzwischen ein wenig ratlos, was und muß darauf gerichtet sein, die Transformations- sie eigentlich mit der derzeitigen deutschen Europa- prozesse in Osteuropa, in Südosteuropa und in Mit- politik anfangen sollen. teleuropa mit allen unseren Möglichkeiten zu unter- stützen. Hier tun wir eine Menge. Diese Unterstüt- Nach unserer Meinung werden die institutionellen zung wird und muß fortgesetzt werden. Unsere deut- Reformen unter der deutschen Präsidentschaft nicht sche Botschaft an diese Staaten kann nur lauten: Un- zum Abschluß gebracht werden können. Die unter- sere gemeinsame Zukunft liegt in Europa. Wir wollen schiedlichen Positionen der einzelnen Pa rtner sind so mit euch gemeinsam die Voraussetzungen dafür stark, daß wir uns hier ruhig etwas Zeit lassen sollten. schaffen, daß alle, die es wollen und können, den Die Fragen sind auch schwierig: Mehrheitsentschei- Weg nach Europa finden. dungen, Zusammensetzung der Kommission, Rolle des Parlamentes. Hierbei kommt es auf Gründlich- Der letzte Punkt, den ich erwähnen wi ll: Deutsch- keit und nicht darauf an, etwas zu einem bestimmten land muß ein besonderes Interesse an starken und Zeitpunkt fertig zu haben. Es muß in dem Augen- handlungsfähigen internationalen Institutionen ha- blick fertig sein, in dem die ersten Mitglieder aus ben. Wir müssen auch ein Interesse an einer erfolg- Mitteleuropa und aus Osteuropa in die Europäische reichen Reform der Vereinten Nationen und an er- Union eintreten, wenn die Erweiterung also faktisch folgreich arbeitenden internationalen Finanzinstitu- vollzogen wird. Dann müssen wir diese Fragen gere- tionen haben. Inzwischen hat wohl ein jeder beg rif- gelt haben. Es kann aber nicht schaden, schon mit fen - andere haben es schon früher gesagt -, wie der Diskussion zu beginnen. wichtig es geworden ist, daß diese Institutionen ge- nutzt werden, um einen ungezügelten, ungehemm- Ich bin leider davon überzeugt, daß sich die deut- ten, ungebremsten Kapitalismus im Weltmaßstab in sche Präsidentschaft auch mit den großen außenpoli- einen Ordnungsrahmen zu bringen. tischen und internationalen Krisen, mit denen wir 23096 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Günter Verheugen konfrontiert sind, wird befassen müssen. Sie sind ist so klar wie nur etwas. Das würde nämlich voll- heute alle schon genannt worden. Ich wi ll dazu ei- kommen gegen unsere eigenen Interessen verstoßen. nige Bemerkungen machen. Daß wir keiner Entwicklung Vorschub leisten dürfen, die den in Rußland auf beiden Seiten - leider - vor- Ich fange mit Rußland an. Was Rußland angeht, handenen Trend zu autoritären Systemen verstärkt, haben wir als Deutsche in der Tat Anlaß zu ernster das sollte uns allen klar sein. Besorgnis. Wir müssen dabei aber erkennen, daß un- sere Möglichkeiten, die Prozesse, die jetzt in Rußland Ich glaube nicht daran - um das hier ganz klar zu ablaufen, von außen positiv zu beeinflussen, sehr ge- sagen -, daß wir besser dran wären mit einem Ruß- ring sind. Ich glaube allerdings, daß es umgekehrt land, das von einem autoritären System beherrscht durchaus möglich ist, die Prozesse in Rußland nega- wird, welcher Art auch immer. Denn wir sollten aus tiv zu beeinflussen. Wenn tatsächlich noch irgend je- der europäischen Geschichte in diesem Jahrhundert mand in diesem Haus die Wahnsinnsidee verfolgen gelernt haben, daß Diktaturen und autoritäre Sy- sollte, das Thema „Angst vor den Russen" dazu be- steme, die ja nur existieren können, weil sie die Men- nutzen zu wollen, eine bestimmte Wahlkampfsitua- schen unterdrücken, auf Dauer keine wirkliche Sta- tion zu ändern oder herzustellen, kann man dem nur bilität erzeugen, wie der Zusammenbruch der kom- sagen, daß er nicht nur national, sondern auch inter- munistischen Staatenwelt deutlich gezeigt hat. national unverantwortlich handelt. Meine Damen und Herren, ein Wo rt zum Kosovo. (Beifall bei der SPD) Wenn Herr Kinkel jetzt hier wäre, müßte ich ihn war- nen. Er hat heute wieder einmal sehr starke Worte Das würde Auswirkungen in Rußland haben. Es gebraucht. Ich habe von ihm noch im Ohr: Wir wer- würde genau zu dem führen, was wir vermeiden den dort kein zweites Bosnien entstehen lassen. Ich müssen, nämlich daß die reformbereiten Kräfte, die habe von ihm noch im Ohr: Man muß so etwas am demokratischen Kräfte in Rußland das Vertrauen in Anfang stoppen. Jetzt sagt er: Wir werden eine hu- uns verlieren. Es kommt jetzt aber darauf an, daß die- manitäre Katastrophe nicht hinnehmen. Die humani- ses Vertrauen bestehenbleibt. täre Katastrophe steht aber bevor. Wenn es nicht ge- Wir sollten unseren russischen Pa rtnern sagen, daß lingt, interne Flüchtlinge vor dem Winter in ihre Dör- wir von ihnen erwarten, daß sie über ihren Weg fer zurückzubringen und sie dort zu versorgen, dann selbst entscheiden, daß es in unserem gemeinsamen wird die Fluchtbewegung aus dem Kosovo heraus ei- Interesse liegt, daß dies ein Weg ist, der die demokra- nen viel größeren Umfang haben als jetzt. tischen, rechtsstaatlichen und marktwirtschaftlichen Es ist vollkommen klar: Das Zielland dieser Flucht- Reformen in einer Weise fortsetzt, daß die soziale Ba- bewegung wird Deutschland sein; daran gibt es gar lance des Landes wiederhergestellt wird. Das wird keinen Zweifel. 400 000 Albaner leben bei uns. Fast sehr schwierig sein. Wenn das geschehen ist und jeder, der im Kosovo lebt, wird in Deutschland Be- wenn wir wissen, wer unsere künftigen Pa rtner in kannte oder Verwandte haben. Es ist ein ganz natür- Rußland sein werden, dann - aber erst dann - wer- liches Verhalten, zu sagen: Dann gehe ich dahin. Die den wir darüber zu reden haben, was wir und andere deutsche Kosovo-Politik kann aber nicht bestimmt konkret tun können, um diesen Weg erfolgreich zu sein von der Furcht, es könnten neue Flüchtlinge machen. kommen, sondern die deutsche Kosovo-Politik muß Wir haben auch Anlaß, uns ein paar ernste Fragen bestimmt sein von dem Versuch, eine tragfähige und zu stellen. Wir haben Anlaß, uns zum Beispiel die dauerhafte politische Lösung zu finden. Ich fürchte, Frage zu stellen, ob Rußland richtig beraten worden daß wir davon sehr, sehr weit entfernt sind. ist. Es hat eine Menge Leute gegeben, die die Big- Ich sehe auch große Widersprüche innerhalb der Bang-Theorie für sehr waghalsig gehalten haben. Regierung. Der Bundesverteidigungsminister spricht Daß man eine zentralistische Planwirtschaft sozusa- davon, daß eine glaubwürdige militärische Bedro- gen mit einem großen Knall in eine Marktwirtschaft hung besteht und daß man notfalls auch ohne Man- verwandeln kann, das haben viele nicht geglaubt, dat gezielte Luftschläge vornehmen muß. Der Bun- auch ich nicht. Ich kann Russen verstehen, die heute desaußenminister schließt das ausdrücklich aus und sagen: Das, was der Westen uns geraten hat, hat kann sich nach einer entsprechenden Vereinbarung letztlich nur dem Westen selbst genützt. eine SFOR-ähnliche Operation vorstellen. Wo ist das Geld geblieben, das aus dem Westen, In der Mandatsfrage ist der Streit zwischen diesen auch von uns, in großem Umfang nach Rußland ge- beiden Ministern nur notdürftig kaschiert. Der Ver- flossen ist? Es ist nicht im Land geblieben, um do rt teidigungsminister sagt, daß die Krise auf Albanien die Lebensbedingungen der Menschen zu verbes- und Mazedonien übergreifen wird. Der Außenmi- sern. Wir sollten da durchaus auch etwas selbstkri- nister sagt, daß das nicht geschehen wird. - Herr Ho- tisch sein und uns fragen, ob künftige Hilfe für Ruß- yer guckt mich erstaunt an. Herr Kinkel ist nicht auf land nicht besser geplant werden kann, nicht effekti- Straßen und Plätzen unterwegs, sondern war in der ver eingesetzt werden kann und ob nicht auch eine letzten Woche in bayerischen Redaktionsstuben. Da wirkliche Erfolgskontrolle durchgeführt werden muß man nicht die Sorge haben, es kämen keine kann. Leute; das verstehe ich also. Da gibt er Interviews, (Beifall bei der SPD) die man hinterher lesen kann. Selbst wenn es das „Selber Tagblatt" ist: Wir lesen es. Darin steht wört- Daß wir Rußland nicht allein lassen dürfen, daß wir lich: „Kinkel: Das wird nicht geschehen." Das es in dieser Situation nicht hängenlassen dürfen, das schließt er aus. Die Bundesregierung ist sich also we- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23097

Günter Verheugen der in der Analyse noch in dem einig, was geschehen diesem Thema muß ich Sie fragen, Herr Staatsmini- soll, noch hat die Bundesregierung es bisher ver- ster, ob es wirklich eine kluge deutsche Politik ist, mocht, uns zu sagen, wie das politische Lösungskon- wenn sich der Bundeskanzler und der Bundesaußen- zept aussieht. minister hier mit ungewöhnlich starken und undiplo- matischen Worten eine amerikanische Besorgnis ver- Ich glaube, daß wir hier nach dem 27. September bitten. Die amerikanische Besorgnis hinsichtlich der keine Weltklasseleistung übernehmen werden. Viel- Flüchtlingsrückkehr aus Deutschland nach Bosnien mehr muß einiges aufgeräumt und in Ordnung ge- ist keine Kritik im Prinzip. Die Amerikaner sagen bracht werden. nicht: Ihr dürft das nicht tun. Vielmehr lautet die Auch hier ist wieder die Mitwirkung Rußlands der amerikanische Kritik: Ihr tut das zu forciert und an entscheidende Punkt. Darauf hat auch der Bundes- manchen Stellen zu massiert, und das führt in dem kanzler heute mit Recht hingewiesen. Wir müssen sehr schwierigen politischen Prozeß vor den Wahlen dafür sorgen, daß Rußland vollständig und seiner Be- dort zu ethnischen Spannungen, die dazu führen deutung entsprechend in diese Prozesse einbezogen können, daß nicht die demokratischen Kräfte gewin- ist. Ob die russischen Klagen darüber, daß das nicht nen und der nationalistische Rückschlag kommt. geschieht, berechtigt sind oder nicht, kann ich nicht (Bundesminister F riedrich Bohl: Das ist ja beurteilen. Wir sind bei diesen Verhandlungen nicht lächerlich!) dabei. Aber die russischen Klagen sind da, daß sie immer erst nachträglich informiert werden und nicht - Ich weiß nicht, ob das lächerlich ist. Jedenfalls hat gleichberechtigt am Verhandlungsprozeß teilneh- Ihre Regierung bei der OSZE in Sarajevo einen Be- men. Das halte ich für einen Fehler. Denn irgend- richt über die Auswirkungen der deutschen Flücht- wann kann und wird der Zeitpunkt kommen, wo lingsrückkehr nach Bosnien angefordert. Dieser Be- man auf das russische Verhalten angewiesen ist. richt der OSZE ist abgegeben worden, und er enthält Wenn die Signale stimmen, die heute aus Moskau die Warnung, auf die sich die amerikanische Regie- kamen, haben wir eine gewisse Hoffnung, daß sich rung bezieht. Sie selbst haben ihn angefordert. Daß nun doch etwas bewegen wird. Sie diesen Bericht dem Parlament und der deutschen Öffentlichkeit nicht zur Kenntnis gegeben haben, hat Die Kosovo-Krise ist Teil der Balkankonflikte ins- ja mit Wahlkampfgesichtspunkten zu tun. Das weiß gesamt. Es bestehen Rückwirkungen und Zusam- ich. Aber tun Sie bitte nicht so, als wüßten Sie nicht, menhänge. Deshalb zum Schluß noch ein Wo rt zu daß diese amerikanischen Hinweise eine sachliche Bosnien. Ich wiederhole hier, was ich schon mehrfach Begründung in einem Bericht haben, den die OSZE gesagt habe: Der militärische Schutz des politischen auf Anforderung der deutschen Bundesregierung an- Prozesses, um den es eigentlich geht, funktioniert. gefertigt hat. Das ist eine beachtliche Leistung. Die Bundeswehr hat damit sehr viel getan, um einen sich selbst tra- (Beifall bei der SPD) genden Friedens- und Demokratisierungsprozeß in Legen Sie den Bericht hier vor, dann können Sie sa- Bosnien-Herzegowina möglich zu machen. Die Bun- gen, ob die Sache richtig ist oder falsch. deswehr erledigt die Aufgabe in einer, wie ich finde, vorbildlichen Weise, die dem Ansehen unseres Lan- Wir haben in Washington bei den Gesprächen mit des sehr nützt, und verdient Dank dafür. der amerikanischen Regierung den deutschen Stand- punkt ganz klar und entschieden vertreten und ge- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der sagt: Wir können das nicht, was sich die Amerikaner F.D.P.) vorstellen, nämlich jetzt einfach den Prozeß der Dank verdienen auch die vielen Helfer von Freiwilli- Rückkehr stoppen. Aber wir können bei der Rück- genorganisationen, von Hilfsorganisationen und un- kehr darauf achten, daß sie nicht mehr Probleme sere Mitarbeiter in den internationalen Institutionen, schafft als löst. Genau das ist ja der Punkt. die unter den nicht ganz einfachen Bedingungen Die Amerikaner sind bereit, obwohl sie, wenn ich dort in Bosnien leben und arbeiten. die Geographie richtig im Kopf habe, an diesen Teil Aber die politischen Prozesse, um die es eigentlich Europas nicht direkt angrenzen, Milliarden von Dol- geht, kommen nur sehr langsam voran. Ich muß Ih- lars und Tausende von Soldaten zur Sicherheit dieser nen leider sagen, daß sich, von der deutschen Öffent- Region zur Verfügung zu stellen. Ich denke, die ame- lichkeit unbeachtet, die Entwicklung im serbischen rikanische Regierung hat sehr wohl ein Recht, der Landesteil, in der Republika Srpska, deutlich ver- deutschen Regierung zu sagen, wenn sie an einer schlechtert hat und wir keineswegs damit rechnen Stelle Besorgnis hat. Die Reaktion des Kanzlers und können, jedenfalls nicht sicher sein dürfen, daß bei des Außenminister „Wir lassen uns da von nieman- den Wahlen in zehn Tagen die gemäßigten Kräfte dem belehren" ist unangemessen, gerade angesichts dort die Macht behalten werden. Es besteht in der dessen, was die USA in Bosnien tun und was eigent- Republika Srpska die Gefahr eines nationalistischen lich die Europäer tun müßten, wie jeder weiß. Das Rückschlags auf Grund der sehr schwierigen sozialen möchte ich Ihnen doch sehr deutlich gesagt haben. und ökonomischen Lage für die Menschen do rt, die Wir können die Rückkehr der Flüchtlinge nach nicht schnell genug Erfolge gesehen haben. Bosnien, die wir ja gemeinsam wollen, nur sicherstel- Das bedeutet - an die Adresse des Bundesinnenmi- len, wenn die politischen Verhältnisse so sind, daß nisters, der ja hier ist -, daß Sie keine Chance haben die Menschen für sich selbst in eine sichere Umge- werden, die Flüchtlingsrückkehr in die Republika bung zurückkehren können, daß ihre persönliche Si- Srpska zu betreiben. Die Bedingungen fehlen. Zu cherheit garantiert ist und daß die Menschen auch 23098 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Günter Verheugen sozial, ökonomisch und kulturell wieder integrie rt sondere das Recht der aus Polen Vertriebenen und werden. Aber genau das geschieht im Augenblick vor allem von deren Nachkommen auf „Freizügigkeit nicht. Da ist noch sehr viel Arbeit zu leisten. und Niederlassungsfreiheit" in Polen gewährleistet werden. Dies wurde zumindest indirekt an die Frage Ich sage Ihnen noch einmal: Sie können in bezug geknüpft, ob Polen überhaupt in die EU kommt. Die auf die Flüchtlingsrückkehr alles vergessen, und Sie Bundesberufsvertriebene, Frau Steinbach, goß noch kriegen ganz schnell wieder eine offene Konfliktsi- weiteres Öl ins Feuer und forde rte, Polen müsse die tuation in Bosnien-Herzegowina, wenn die nationali- Vertriebenen international entschädigen. stischen Kräfte in diesem Land die Macht entweder behalten oder dort, wo sie sie bereits verloren hatten, Das alles ging dann selbst unserem Außenminister wiedergewinnen können. zu weit. Die Bundestagspräsidentin, Frau Meine Damen und Herren, Kosovo, Bosnien, Ruß- Dr. Süssmuth, flog eigens nach Polen, um auf absolut land, Ukraine, Ostasien - über Afrika habe ich noch berechtigte, heftige Reaktionen des polnischen Par- gar nicht gesprochen; wie immer kommt Afrika et- laments zu reagieren. In der Sache allerdings halten was zu kurz bei uns -: Wir haben es mit einem be- Sie von der Regierung bis heute daran fest, es gebe achtlichen internationalen Krisenszenario zu tun, das noch offene Fragen im Osten, die polnische West- unsere Aufmerksamkeit in der nächsten Legislatur- grenze sei keineswegs eine Grenze wie andere, die periode des Bundestages voll in Anspruch nehmen absolut sicher sei; vor allem die Gebiete, in denen vor wird und bei dem es nur gut sein kann, wenn wir uns mehr als 50 Jahren auch Deutsche siedelten, könnten zu Beginn der nächsten oder am Ende dieser Legisla- über den Hebel EU wieder deutsch besiedelt wer- turperiode noch einmal vergewissern, was deutsche den. Interessen, was deutsche Ziele und was die Prinzi- Das ist für uns eine Politik des Unfriedens. Damit pien unserer deutschen Außen- und Sicherheitspoli- werden von Ihnen bewußt die Vorgeschichte der Ver- tik, die wir gemeinsam tragen können, sind. treibung und damit Ang riffskrieg und Völkermord, Schönen Dank. Herr Lummer, unter den Tisch gekehrt oder relati- viert. Die PDS sagt nein zu diesem neuen Revanchis- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- mus über den Umweg Europäische Union. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Beispiel 2: Rüstung und Krieg. Kanzler Kohl sagte in seiner Rede, noch nie habe es auf deutschem Bo- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das den weniger Soldaten und Waffen gegeben. Das ist Wort dem Abgeordneten Dr. Winfried Wolf. Unfug, Herr Dr. Historiker. Natürlich war die Wehr- macht vor 1933/34 viel schwächer, und es gab in die- Dr. Winfried Wolf (PDS): Sehr geehrter Herr Präsi- sem damals größeren Deutschland weit weniger Waf- dent! Verehrte Damen und Herren! US-Präsident Ge- fen als heute. orge Bush formulierte im Jahre 1990: „We create a new world order" . Diese neue Weltordnung war na- Was aber weitaus wichtiger ist: Der Verteidigungs- türlich umfassend gemeint - als eine A rt Weltphiloso- etat steigt mit dem Haushalt 1999 nicht nur zum phie. Diese Philosophie des Neuen und Besseren ver- zweitenmal an. Vor allem werden auch allerorten breitete die Bundesregierung damals, und sie ver- Waffen beschafft, die die Bundeswehr angriffsfähig breitet sie heute wieder mit diesem Haushalt. Wird machen sollen. Das ist der gemeinsame Nenner von also heute über die Außenpolitik im umfassenden Eurofighter - jetzt „Taifun" genannt -, neuem Hub- Sinn debattiert, dann ist auch über diese Philosophie schrauber und Großraumflugzeug „Future Large Air- zu diskutieren. craft" : Sie alle machen diese Armee zum Angriffs- krieg fähig. Nun war die vorausgegangene bipolare Weltord- nung zweifellos kein Glückszustand der Menschheit. Wieder sattelt die CSU eins drauf: Pünktlich zur Es gab kalten Krieg im Westen, und es gab mehrere Wahl kommt der Spatenstich zum Bau des For- Angriffskriege des Westens - zum Beispiel in Kuba, schungsreaktors München II. Damit wird, gegen alle Nicaragua und Vietnam, aber auch einen solchen der internationalen Proteste in Ost und West, in einem Sowjetunion in Afghanistan. deutschen Reaktor atombombenfähiges Uran gebrü- tet. Doch die neue Weltordnung von heute ist ähnlich abschreckend. Nicht zufällig sagte George Bush den Herr Gerhardt fragte in seiner Rede eine andere zitierten Satz am Beginn des neuen Golfkrieges. Partei, wie sie es denn mit den Krisenreaktionskräf- Diese neue „world order" ist gekennzeichnet von ten halte. Herr Fischer versuchte dabei, sich ins Ak- Chaos, Krieg und Unfrieden. Dafür trägt diese Bun- tenstudium zu vertiefen. Wir von der PDS antworten desregierung in erheblichem Maß Verantwortung, darauf, wie die Grünen und wie Sie, Herr Fischer, vor vor allem die Herren Kohl, Kinkel und Rühe. Ich vier Jahren geantwortet haben: Weg damit! möchte dies an drei Beispielen verdeutlichen. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Erster Fall: deutsch-polnische Beziehungen. In DIE GRÜNEN]: Trotzki!) diesem Sommer wurden diese für unser Land wichti- gen Beziehungen in eine extreme Belastungsprobe Wir fordern, daß radikal abgerüstet wird, daß gerade geschickt. Dieses Parlament verabschiedete im Mai - die Sondereinheiten für Auslandseinsätze verschwin- unter anderem gegen unsere Stimmen - eine Resolu- den und daß im Rüstungsbereich frei werdendes tion. Danach soll mit der EU-Osterweiterung insbe- Geld zum Kampf gegen Arbeitslosigkeit und, Herr Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23099

Dr. Winfried Wolf Fischer, zum ökologischen Umbau der Gesellschaft Ich glaube, das Verfallsdatum von Herrn Kohl verwandt wird. kann deutlicher festgemacht werden als das von Jel- zin. Es lautet: 27. September dieses Jahres. (Beifall bei der PDS) (Zuruf von der CDU/CSU: Ihres steht aber Beispiel 3: Weltwirtschaft und Rußlandkrise. Mit auch fest!) „ We create a new world order" war auch gemeint, Danke schön. dieser neue globale Kapitalismus bringe Wohlstand, Ordnung und Abbau von Erwerbslosigkeit. Auch das (Beifall bei der PDS) erwies sich - absehbar - als Schimäre. Seither muß- ten wir einen weiteren Anstieg der Erwerbslosenzah- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich möchte auf len im Westen und der dritten Welt sowie einen An- die Geschäftslage aufmerksam machen. Es folgt jetzt stieg der Auslandsschulden der Länder der dritten noch der Themenbereich Haushalt des Bundesmi- Welt feststellen. nisters des Innern und des Bundesministers der Ju- stiz. Dafür waren interfraktionell anderthalb Stunden Seit Herbst 1997 haben wir die Asienkrise. Heute vorgesehen. Ich nehme an, daß das die Höchststrafe -in der Debatte leugnet jeder auf den Regierungs und anderen Bänken, je nach Asien gewiesen zu ha- (Heiterkeit) ben. Tatsächlich haben Sie dies getan, mit leuchten- - die Höchstzeit, meine ich - ist, die wir verabredet den Augen und glänzenden Bilanzen. Wiederum haben. Ich möchte vor allen Dingen darauf aufmerk- Herr Fischer von den Bündnisgrünen belehrt uns sam machen, daß im Anschluß daran eine Reihe von heute, diese Krise sei ausgebrochen, weil do rt nicht Abstimmungen stattfinden, und zwar auch zu Vorla- genügend Freiheit geherrscht habe, weil es keine gen des Petitionsausschusses. - Bitte, Herr Kollege Gewährleistung der Menschenrechte und weil es zu- Hörster. viel Dirigismus gegeben habe. (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Herr Präsi Umgekehrt paßt der Schuh. Je freier die Märkte, dent, es war interfraktionell vereinbart, die desto größer das Chaos, desto brutaler das Gesetz Abstimmung zu den Petitionen jetzt zu des Dschungels. Denn diese Krise erfaßt nicht nur machen!) das diktatorisch regierte Indonesien - es gibt sie - Vor der Debatte zur inneren Sicherheit? auch in Mexiko. Das Chaos regiert nicht nur im auto- kratisch regierten Malaysia -: es herrscht auch in (Joachim Hörster [CDU/CSU]: Ja, vor der Brasilien und vor allem auch in Japan. Debatte!) - Das ist eine aparte Wendung. Aber ich bin einver- Dieser Tage haben wir nun die Rußlandkrise: freier standen. Fall des Rubels, freier Fall von Jelzin. Eine Mischung von Mafiaökonomie, Manchesterkapitalismus und Es ist also vereinbart worden, über 13 Beschlußem- Vetternwirtschaft tut sich auf. Wieder wird dies zum pfehlungen des Petitionsausschusses abzustimmen, Fall für Clinton, zum Fall für Kohl. Der erste fliegt und zwar ohne Aussprache. Ist das Haus mit dieser hin, der zweite telefonie rt. Erweiterung der Tagesordnung einverstanden, von der wir hören, daß sie während der Haushaltsbera- hat sich gerade vor einem Gericht tung stattfinden soll? - Ich sehe und höre keinen Wi- über eine sogenannte „unangemessene Beziehung" derspruch. im Detail ausgelassen. Erfreulicherweise ist die Poli- Dann rufe ich die soeben aufgesetzten tik in diesem Land noch nicht auf das Niveau solcher Zusatzpunkte 5 bis 17 auf. oraler Konfessionen gesunken.

(Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Ich rufe auf: DIE GRÜNEN]: Na, na! Keine Vorurteile!) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuß) Dabei finde ich etwas ganz anderes als die bigotte Sammelübersicht 382 zu Petitionen US-amerikanische Medienöffentlichkeit obszön. Ich finde die Gemeinsamkeit, die Clinton, Jelzin und - Drucksache 13/11390 - Kohl verbindet, obszön. Wer der Sammelübersicht zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimm- enthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Sammel- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, übersicht mit den Stimmen des Hauses bei Stimment- Ihre Redezeit ist abgelaufen. Sie müssen zum Schluß haltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der kommen. Gruppe der PDS angenommen worden ist.

Ich rufe auf: (PDS): Alle drei verbindet das Dr. Winfried Wolf Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- machiavellistische Prinzip: Machterhalt um jeden - tionsausschusses (2. Ausschuß) Preis. Kohl und Clinton halten an Jelzin fest, weil sie Sammelübersicht 383 zu Petitionen sich einen Teufel um demokratische Rechte scheren und die Interessen ihrer Banken verteidigen. - Drucksache 13/11391 - 23100 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Wer der Sammelübersicht zustimmt, den bitte ich Ich rufe auf: um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimm- enthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß diese Sam- Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- melübersicht mit demselben Stimmenverhältnis wie tionsausschusses (2. Ausschuß) soeben angenommen worden ist. Sammelübersicht 388 zu Petitionen - Drucksache 13/11400 - Ich rufe auf: Wer der Sammelübersicht zustimmt, den bitte ich Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimm- tionsausschusses (2. Ausschuß) enthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Sammel- Sammelübersicht 384 zu Petitionen übersicht mit den Stimmen des Hauses bei Stimment- haltung der Gruppe der PDS angenommen worden - Drucksache 13/11392 - ist. Wer der Sammelübersicht zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimm- Ich rufe auf: enthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß diese Sam- Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- melübersicht mit den Stimmen der Koalition, der tionsausschusses (2. Ausschuß) Fraktion der SPD und der Gruppe der PDS bei Sammelübersicht 389 zu Petitionen Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen angenommen worden ist. - Drucksache 13/11396 - Wer der Sammelübersicht zustimmt, den bitte ich Ich rufe auf: um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimm- enthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Sammel- Beratung der Beschlußempfehlung des Petiti- übersicht mit den Stimmen des Hauses bei Stimment- onsausschusses (2. Ausschuß) haltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Sammelübersicht 385 zu Petitionen Gruppe der PDS angenommen worden ist. - Drucksache 13/11393 - Ich rufe auf: Wer der Sammelübersicht zustimmt, den bitte ich um Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthal- tionsausschusses (2. Ausschuß) tungen? - Dann stelle ich fest, daß die Sammelüber- Sammelübersicht 390 zu Petitionen sicht mit den Stimmen des Hauses gegen die Stim- men der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung der - Drucksache 13/11397 - Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen wor- Wer der Sammelübersicht zustimmt, den bitte ich den ist. um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimm- enthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Sammel- Ich rufe auf: übersicht mit demselben Stimmenverhältnis ange- nommen worden ist. Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuß) Sammelübersicht 386 zu Petitionen Ich rufe auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- - Drucksache 13/11394 - tionsausschusses (2. Ausschuß) Wer der Sammelübersicht zustimmt, den bitte ich Sammelübersicht 391 um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimm- - Drucksache 13/11401 - enthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Sammel- übersicht mit den Stimmen des Hauses gegen die Dazu liegt ein Änderungsantrag der Gruppe der Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und PDS, Drucksache 13/11410, vor, über den wir zuerst der Gruppe der PDS angenommen worden ist. abstimmen. Wer dem Änderungsantrag der Gruppe der PDS zustimmt, den bitte ich um das Handzei- chen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich Ich rufe auf: stelle fest, daß der Änderungsantrag mit den Stim- Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- men des Hauses bei Stimmenthaltung der Fraktion tionsausschusses (2. Ausschuß) Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Sammelübersicht 387 zu Petitionen Gruppe der PDS abgelehnt worden ist. - Drucksache 13/11395 - Wir kommen zur Beschlußempfehlung des Petiti- onsausschusses in der ursprünglichen Fassung. Wer Wer der Sammelübersicht zustimmt, den bitte ich ihr zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimm- Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle enthaltungen? - Dann stelle ich fest, daß die Sammel- fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen übersicht mit den Stimmen des Hauses bei Stimment- des Hauses gegen die Stimmen der Gruppe der PDS haltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Gruppe der PDS angenommen worden ist. Grünen angenommen worden ist. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23101

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Ich rufe auf: für das Abhören von Gangsterwohnungen und vieles mehr. Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuß) Wir haben aber mehr getan. Wir haben unsere voll- Sammelübersicht 393 ziehenden Aufgaben genauso wahrgenommen. Wir - Drucksache 13/11 403 - haben die große BGS-Reform zustande gebracht, mit Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. der unsere Grenzpolizei von der vormaligen Zonen- - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ich stelle grenze zu ihren neuen wichtigen Aufgaben an die fest, daß die Beschlußempfehlung mit den Stimmen Außengrenze gebracht worden ist. Wir haben die des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Gen-Datei nach vorangegangener Änderung der Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS an- Strafprozeßordnung geschaffen, um für Wiederho- genommen worden ist. lungstäter das Risiko, besonders für jene besonders widerwärtige Gruppe von Gewalttaten oder Mord die sich gegen Frauen und Kinder richten, zu stei- Ich rufe auf: gern. Wieder war bemerkenswe rt, wie viele linke Be- Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- denkenträger durch die Republik gewandelt sind tionsausschusses (2. Ausschuß) und meinten, aus Gründen des Datenschutzes gehe Sammelübersicht 394 das alles gar nicht. Es geht! Wir haben diese Mög- lichkeit anschließend im Bundestag durch ein Zu- - Drucksache 13/11404 - satzgesetz noch erweitert - von wegen Bedenken. Wer der Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Wir haben die Bundespolizei aufgestockt, und das Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß sie mit den in Zeiten finanzieller Engpässe bei allen öffentlichen Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Gruppe Kassen. Es lohnt sich schon ein Blick darauf und eine der PDS angenommen worden ist. Überlegung dazu, wie die Politik in Deutschland in Sicherheitsfragen weitergehen soll. Über 3 000 Stel- Ich rufe auf: len sind beim Bundesgrenzschutz dazugekommen, um unsere Grenzsicherheit gegen Kriminalität und il- Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- legalen Zuzug zu stärken. Diejenigen Länder, die tionsausschusses (2. Ausschuß) von der CDU, der CSU oder einer Koalition von CDU Sammelübersicht 396 und F.D.P. regiert werden - Sachsen, Bayern, Baden- - Drucksache 13/11 406 - Württemberg - haben gleichfalls über 3 000 neue Po- lizeistellen geschaffen. Die fünf sozialdemokratisch Wer der Beschlußempfehlung zustimmt, den bitte regierten Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen, ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Hamburg, Hessen und Saarland haben in den glei- Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, daß sie mit den chen fünf Jahren 1 083 Polizeistellen gestrichen. Herr Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Gruppe Schröder, der vor der Hamburger Bürgerschaftswahl, der PDS bei Stimmenthaltung der Fraktion auch jetzt wieder und immer dann, wenn es ihm pas- Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden ist. send erscheint, die größten Sprüche in bezug auf in- Dann kehren wir zur Beratung des Haushaltes des nere Sicherheit klopft, hat seit 1992, in sechs Jahren, Bundesministers des Innern und des Bundesministers 642 Planstellen bei der Polizei gestrichen. der Justiz zurück. Wir hatten anderthalb Stunden vereinbart. (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Finanzminister Kanther!) Ich gebe das Wort dem Bundesminister des Innern, Manfred Kanther. Mehr Sicherheit mit weniger Polizei - ein sonderba- res Rezept. Manfred Kanther, Bundesminister des Innern: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Her- Dem entsprechen allerdings - das wird uns auch in ren! Die innere Sicherheit und ihre Verbesserung, Zukunft begleiten - die Unterschiede bei den Sicher- der Kampf gegen Straftäter und Verbrechen ist eine heitsdaten zwischen Nord- und Süddeutschland. Wie der Hauptaufgaben der Innenpolitik in dieser Legis- erklärt sich denn, daß in Bayern 64 Prozent und in laturperiode für die Koalition gewesen und wird es Niedersachsen 48 Prozent aller Straftaten aufgeklärt auch in Zukunft bleiben. Wir haben ein enormes ge- werden? Wer kann denn erklären, warum in Bayern setzgeberisches Pensum erledigt, und Baden-Württemberg knapp 6 000 Straftaten auf 100 000 Einwohner kommen, in Niedersachsen 7 400 (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr und in Schleswig-Holstein, das ja im Verhältnis zu wahr!) anderen Ballungsgebieten von Urbanität nur so mit dem Verbrechensbekämpfungsgesetz, mit dem strotzt, 9 000 Straftaten -50 Prozent mehr als in Bay- Gesetz gegen Korruption und Bestechlichkeit, mit ern. Das hat doch vor allem etwas mit dem Aspekt der Verschärfung der Strafbarkeit von Sexualstrafta- der Prävention zu tun. Nichts ist doch ein wirksame- ten, mit der Verschärfung des Ausländerrechts gegen res Zeichen für gelungene Vorbeugung, als daß die schwerkriminelle Ausländer, mit Gesetzen zur Be- Zahl der Straftaten auf einem einigermaßen niedri- kämpfung der organisierten Kriminalität - Geldwä- gen Level gehalten wird. Niedersachsen steht in be- schebekämpfung -, mit der endlich erfolgten Schaf- zug auf die sogenannte Polizeidichte, also bei der fung der notwendigen rechtlichen Voraussetzungen Anzahl der Polizeibeamten pro Kopf der Bevölke- 23102 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Bundesminister Manfred Kanther rung, auf dem 16. Platz im Vergleich der Bundeslän- auch das hat es ja gegeben -, dann haben Sie im der, also auf dem allerletzten. Bundesrat das Gezappel weitergeführt. In der Regel haben sich dann die grün-rot regierten Länder der (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr Stimme enthalten. Wie wollen Sie denn Deutschland wahr!) regieren, wenn Sie sich in sicherheitspolitischen Fra- Immer dann, wenn Sicherheitsfragen vor Wahlen, gen der Stimme enthalten oder gespalten antreten? insbesondere bei demoskopischen Umfragen, eine Es gibt keinen Konsens in der SPD über die Sicher- Rolle spielen, tauchen Sozialdemokraten auf und ru- heitspolitik. fen sie als ihr Anliegen aus. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das (Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE zeigen wir Ihnen dann schon!) GRÜNEN]: Aber Sie!) Auf der anderen Seite ist das Abstimmungsverhalten Aber die vier Jahre dazwischen tun sie nichts dafür. in der Unionsfraktion stets einmütig. Dieser Unter- Nun stellen wir uns vor, daß diese Grundhaltung in schied ist für die Sicherheit in unserem Land schon die Bundespolitik einginge. sehr wesentlich. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der CDU/CSU - DIE GRÜNEN]: Untergang des Abendlan- [CDU/CSU]: Sehr richtig!) des!) Die Aufgabe besteht ja da rin, die Zahl der Strafta- - Nein, nicht Untergang des Abendlandes, Herr Fi- ten weiter zu vermindern. Wir haben Erfolge erzielt. scher, sondern Verschlechterung der inneren Sicher- Die Zahl der Straftaten ist schon im zweiten Jahr hin- heit durch grüne und rote Politik. Das wäre die Per- tereinander gesunken, und die Aufklärungsquote ist spektive. gestiegen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - (Günter Graf [Friesoythe] [SPD]: Auch in Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist Niedersachsen! - Dr. Eberhard Brecht doch Unsinn!) [SPD]: Besonders in Sachsen-Anhalt!) Diese Perspektive wollen wir nicht. Was will man Aber natürlich ist ein Level von 6,5 Millionen Strafta- denn mit einer SPD anfangen, die alle wichtigen Ent- ten bei weitem zu hoch. Damit kann man nicht zu- scheidungen verzögert oder, wenn sie sich schließ- frieden sein. Es wird auch zukünftig eine st rikte Si- lich durchringt, mit der Hälfte der Truppe vollzieht? cherheitspolitik erforderlich sein. Diese Politik wer- Bei dem wichtigen Änderungsgesetz zum Asylrecht, den wir sowohl im Bereich des Bundes als auch hin- das Sie fünf Jahre lang verzögert haben - daraus re- sichtlich der Notwendigkeit, die Länder - insbeson- sultierte ein Zuzug von über 1 Million Menschen, un- dere die sozialdemokratisch regierten Länder - zu ter dem wir jetzt leiden -, hat die Hälfte plus sechs der gleichen Politik zu bewegen, in der nächsten Le- der Abgeordneten Ihrer Fraktion zugestimmt. In der gislaturperiode fortführen. In den sozialdemokratisch Frage des Abhörens von Gangsterwohnungen haben regierten Ländern Norddeutschlands süddeutsche Sie die Hälfte minus einen Abgeordneten aus Ihrer Sicherheitsergebnisse zu erreichen muß ein erstes Fraktion bewegen können, mit uns zu stimmen und wichtiges Ziel der Kriminalitätsbekämpfung sein. die notwendige Verfassungsänderung herbeizufüh- ren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.) (Günter Graf [Friesoythe] [SPD]: Was wollen Sie eigentlich?) Im Rahmen dieser Politik haben wir noch ein ande- res Feld bestellt. Wenn man das nicht tut, kann man Was machen Sie eigentlich in einer rotgrünen Re- in unserer Zeit keinen Erfolg mehr haben. Wir haben gierung, die Sie dem deutschen Volk anbieten, wenn das Instrumentarium der internationalen Maßnah- Sie immer nur die halbe Truppe in wichtigen Fragen men gestärkt, die über unsere Grenzen hinweg im hinter sich haben Kampf gegen die internationale Kriminalität wirken: Schaffung und gesetzliche Verankerung von Euro- (Beifall bei der CDU/CSU) pol, Schaffung des Schengener Außengrenzsystems, und die Grünen in Sicherheitsfragen Allesverweige- des wirksamsten Grenzsicherungssystems der Welt, rer sind? Die Grünen haben gegen jedes dieser wich- Abschluß von Rückführungsabkommen, die die tigen Sicherheitsgesetze gestimmt. Ihr Programm ist Rückführung von Ausländern ohne Bleiberecht in eine einzige Absage an eine entschlossene Sicher- ihre Heimatländer regeln, und Abschluß von Abkom- heitspolitik. men über• Zusammenarbeit insbesondere mit den mittelosteuropäischen Ländern. (Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!) Wir werden dafür sorgen, daß in der Zukunft im Zuge der Vertiefung und Erweiterung der Europäi- Es enthält eine Absage an das neue Asylrecht, das schen Union neben den wichtigen Säulen Verteidi- Sie kippen wollen, an die Abschiebehaft und an die gung und Wirtschaft die Gewährleistung der inneren Rückführungsabkommen, das Verlangen nach Ab- Sicherheit als dritte Säule eine entscheidende Rolle schaffung der Höchststrafe für Mord und viele an- spielen wird. In diesem Bereich wird es ganz sicher dere Beiträge. - keine diplomatischen Kompromisse unter Aspekten Wenn Sie sich dann in einer Reihe von Fällen end- der Grenzöffnung und Freizügigkeit geben, solange lich durchgerungen haben, mit uns zu stimmen - nicht diese Sicherheitsfragen absolut bef riedigend Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23103

Bundesminister Manfred Kanther gelöst sind. Wir sind bereit, dafür sehr viel Hilfe zu - Eine Lüge? 1998 gab es in Niedersachsen 642 und leisten. in Nordrhein-Westfalen 2242 Polizisten weniger als 1992. Auch auf einem anderen wichtigen Feld, in der (Günter Graf [Friesoythe] [SPD]: Diese Zah Ausländerpolitik, haben wir erhebliche Erfolge er- zielt. Wir haben vor sechs Jahren 438 000 Asylbewer- len werde ich Ihnen widerlegen!) ber in diesem Land gehabt, nicht zuletzt deshalb, Niedersachsen steht im Vergleich aller Bundesländer weil die Sozialdemokraten die notwendige Änderung in bezug auf die Polizeidichte an 16. und damit letz- der Gesetze verzögert haben. ter Stelle, Herr Graf. Da Sie aus Niedersachsen kom- men, müßten Sie das eigentlich wissen. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das hatten wir doch schon! - Dr. Eberhard (Beifall bei der CDU/CSU) Brecht [SPD]: Diese Schallplatte kommt immer wieder!) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Im letzten Jahr gab es noch etwas über 100 000 Asyl- Graf? - Bitte schön. bewerber. Das heißt: Der Umfang des Problems hat sich um drei Viertel reduziert; das Problem besteht aber durchaus fo rt . Da wir mit einer klugen, aber Günter Graf (Friesoythe) (SPD): Ich wollte eigent- auch strikten Politik den Umfang des Problems um lich nicht dazwischengehen, aber Sie haben mich ge- drei Viertel reduziert haben, nehmen wir mit Recht in reizt, Herr Minister. Angesichts der Tatsache, daß Sie Anspruch, auch den Rest des Problems schrittweise seit Monaten und Jahren ständig über Niedersach- lösen zu können. sen herziehen, möchte ich Sie an die Zeit erinnern, als Ihr Parteikollege, der niedersächsische Minister- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge präsident Albrecht - über ein Jahrzehnt - das Sagen ordneten der F.D.P.) hatte. Schauen Sie sich die Zahlen an. Die Vereidi- gung neuer Polizisten hätte er zu dieser Zeit in sei- Jeder, der die Integration von Ausländern als eine nem Wohnzimmer durchführen können. Man hat Hauptaufgabe der deutschen Innenpolitik für viele nämlich nur eine Handvoll Leute eingestellt. Dann Jahre, für Jahrzehnte, ansieht - das tun wir, und das schauen Sie sich die Entwicklung in Niedersachsen tue insbesondere ich -, muß wissen, daß diese Inte- seit 1990 an! Dies sollten Sie mit Zahlen belegen, an- gration nur gelingen kann, wenn nicht ständig durch statt gegenüber der deutschen Öffentlichkeit billige weiteren Zuzug und auf Grund immer größerer Polemik zu betreiben. Fremdheit aus immer ferneren Weltgegenden die (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Probleme überhandnehmen und die Integrations- kräfte des eigenen Volkes überfordert werden. All die Maßnahmen, die den Zuzug begrenzen - dazu Manfred Kanther, Bundesminister des Innern: Sie gehören Maßnahmen zur Grenzsicherung, schnelle machen mir die Arbeit sehr leicht. Ich habe extra das Verfahren, Rückführung und Begrenzung des Lei- Jahr 1992 gewählt. Damals hieß der Ministerpräsi- stungsrechts -, gehören zu einer verständigen Inte- dent Schröder. Heute sind genau 642 Polizisten weni- grationspolitik als Angebot an diejenigen Ausländer, ger im niedersächsischen Landesdienst als 1992. die dauerhaft und rechtmäßig in unserem Lande le- Deshalb ist mein Vorhalt an Ihre Adresse, mehr Si- ben. An dieser Politik werden wir festhalten. cherheit könne man nicht mit weniger Polizei herbei- führen, absolut richtig. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich sage noch einmal: Die Zusammenführung der Das ist ein Aspekt, über den man nicht nur reden, Kräfte vor Ort - das ist der Kerngedanke der Aktion sondern dessen Leitsätze man in die Praxis umsetzen Sicherheitsnetz -, jener von Polizei, Justiz, Ord- muß. Deshalb fordere ich immer wieder - das ist ein nungsbehörden, Kommunalverwaltungen und Kom- wichtiger Aspekt des von mir vorgeschlagenen Si- munalpolitik, ist eine entscheidende Aufgabe, wenn cherheitsnetzes -, daß wir Prävention auf allen Ge- wir Prävention ernst nehmen. bieten großschreiben und daß wir nicht nur ständig neue Gesetze schaffen, sondern sie auch durchfüh- Für unser in Sachen Technik hochentwickeltes ren. Wir müssen die Debatte zu einem Teil vom Kopf Land ist das Vorbeugen mittels technischer Hilfsmit- auf die Füße stellen: von der Gesetzgebung hin zur tel eine riesige Chance. 30 Prozent weniger Woh- Durchführung vor O rt . nungseinbrüche als vor fünf Jahren, ein Viertel weni- ger Kraftfahrzeugdiebstähle nach Einführung der Das geht nicht mit weniger Polizei - wie das in den elektronischen Wegfahrsperre als vor fünf Jahren - sozialdemokratisch regierten Ländern versucht wird (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Übri -, sondern das kann man allenfalls mit dem gleichen gens auch in Niedersachsen!) Stand an Polizeikräften. - das sind sichtbare Erfolge einer Politik, die auf Vor- (Günter Graf [Friesoythe] [SPD]: Das ist beugung als den wichtigsten Aspekt der Kriminali- eine Lüge, Herr Minister!) tätsbekämpfung überhaupt setzt. 23104 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Minister, schen Ländern, sage ich: Das liegt in vielen Punkten gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten an der Generalanlage Ihrer Politik. Schily? (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr rich tig!) Bundesminister des Innern: Manfred Kanther, Es liegt am Bereitstellen von Geldern und an der Bitte. Schwerpunktsetzung. Sehr häufig liegt es auch an (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Der kann dem grünen Einfluß auf Ihre Politik. Wenn zum Bei- doch gleich reden! Eine halbe Stunde hat spiel die sozialdemokratische Landesregierung in der Zeit!) Schleswig-Holstein die Freigabe von Einstiegsdro- gen, von Cannabis-Produkten, zum freien Kauf in Apotheken verlangt Otto Schily (SPD): Ich glaube, wir sollten die Dinge gleich klarstellen. Es hat doch keinen Zweck, darauf (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: nachher in meinem Redebeitrag einzugehen. Unglaublich! Ausgerechnet in Apotheken!) Sie haben sich zur Personalstärke der Polizei in und dies bei Bundesbehörden beantragt, dann wird Niedersachsen erklärt, Herr Kanther. Ich habe hier man doch wohl behaupten dürfen, daß der grüne die Antwort der Niedersächsischen Landesregierung Einfluß auf die sozialdemokratische Innenpolitik ver- auf eine Anfrage, in der es heißt: heerend ist. Gegenüber dem letzten von einer CDU-geführ- ten Landesregierung zu verantwortenden Haus- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Minister, halt 1990 verfügt die Polizei des Landes 1998 über gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, diesmal wesentlich mehr Stellen. Es ergibt sich ein Plus des Abgeordneten Kemper? von 904 Stellen; unter Berücksichtigung der im Haushalt 1989 von der damaligen Landesregie- Manfred Kanther, Bundesminister des Innern: Jetzt rung eingebrachten 575 kw-Vermerke, die dann möchte ich keine Zwischenfrage mehr zulassen. Die auf Initiative der neuen SPD-geführten Landesre- Zeit ist abgelaufen, und ich komme zum Ende. gierung gestrichen wurden, bedeutet dies sogar ein Plus von 1479 Stellen. Jenseits aller Phrasen (Hans-Peter Kemper [SPD]: Das ist die (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ihrer Wahrheit!) Phrasen!) - Das ist die Wahrheit, Herr Kanther. Würden Sie gilt in der Kriminalitätsbekämpfung beinhart der Ihre Ausführungen jetzt freundlicherweise korrigie- Grundsatz: An ihren Taten sollt ihr sie erkennen. ren? (Erwin Marschewski [CDU/CSU]. Sehr wahr!) Manfred Kanther, Bundesminister des Innern: Wir können sowohl die Leistungsbilanzen der letzten Nein, Herr Schily, das ist Ihre Wahrheit. Jahre im Bund als auch die Leistungsbilanzen der (Lachen bei der SPD) unionsregierten Länder Ihrer Haltung und Ihren Ar- beitsergebnissen in den Ländern gegenüberstellen; Seit Ihre Partei in Niedersachsen regiert, seit 1992, ist dabei schneiden wir sehr positiv ab. In allen wesent- die Zahl der Polizeistellen um 642 vermindert wor- lichen Fragen waren Sie unsichere Kantonisten. Was den. Spielen Sie nicht mit den Zahlen und den Zeit- haben Herr Schröder und Herr Voscherau vor der abschnitten! Hamburger Bürgerschaftswahl an Sicherheitsphra- (Zuruf von der SPD: Spielen Sie nicht mit sen in die Welt geblasen? Anschließend sind sie eine den Zahlen!) Koalition mit den Grünen eingegangen, und von Si- cherheitsfragen spricht kein Mensch mehr. Damit Wenn Sie damit jonglieren, wird die Darstellung au- uns das in der Bundesrepublik Deutschland nicht tomatisch falsch. Bei meiner Antwort bleibe ich. passiert, werden Sie diese Wahl nicht gewinnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Dr. Eberhard Brecht [SPD]: Beziehen Sie Dr. Eberhard Brecht [SPD]: Es steht das sich nicht immer auf ein falsches Bezugs hohle Wort im hohlen Raum!) jahr!) Sie verheißen uns eine rotgrüne Bundesregierung. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe dem Da wird man Sie doch fragen dürfen, was Sie in den Abgeordneten Otto Schily das Wo rt. zehn Ländern, in denen Sie regieren, in denen Sie In- nenminister oder Justizminister - manchmal sogar tto Schily (SPD): Herr Präsident! Meine Damen beide - stellen, für die innere Sicherheit im Vergleich O und Herren Kollegen! Da wir uns diese Nachmittags- zu den unionsregierten Ländern zustande gebracht sitzung nicht ersparen, obwohl ich der Meinung bin, haben. daß hier wahrscheinlich all das, was wir früher schon Da auffällig ist, daß alle Ergebnisse bezüglich der- gesagt haben, wiederholt wird, sollten wir die Gele- Sicherheit in den süddeutschen Ländern wesentlich genheit nutzen, noch einmal die Positionen gegen- besser sind als in den von Ihnen regierten norddeut- überzustellen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23105

Otto Schily Gestatten Sie mir aber vorweg eine persönliche Be- nicht in einen Gegensatz zu bringen versuchen. Das merkung. Seit der Kollege Geißler Herrn Dr. Kohl ei- halte ich für die richtige Konzeption. nen Blackout attestiert hat, erfreue ich mich der be- (Beifall bei der SPD) sonderen Aufmerksamkeit des Bundeskanzlers. Die- ser meinte heute wiederum, in einer Schlußdebatte Herr Kanther, Sie haben sich heute redlich bemüht, meinen Namen anführen zu müssen wegen eines polemisch zu werden. Das gelingt Ihnen eigentlich Vorganges, den ich bedauere und für den ich mich recht schlecht. Das spricht für Sie. Ich finde, wir soll- vor diesem Hause entschuldigt habe. Ich habe da- ten auch in der heißen Wahlkampfphase nicht ver- mals angesichts eines enttäuschenden Wahlergeb- gessen, daß wir uns in dieser Legislaturpe riode in nisses eine Südfrucht vorgezeigt. Gut, das war dane- vielen Fragen geeinigt haben. Das ist kein Schaden ben; das sage ich ganz freimütig. Aber ich habe mich für dieses Land, im Gegenteil. Das war nicht eine dafür entschuldigt, und irgendwann muß einmal ein große Koalition, sondern eine ganz große Koalition. Schlußpunkt gesetzt werden. Ich will anerkennend gerade an die Adresse der F.D.P. sagen, daß wir in dieser Frage sicherlich um (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kerstin die richtige Lösung gerungen haben, aber auch zu Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) vernünftigen Ergebnissen gekommen sind. Das sollte Wenn wir aber schon eine Vergangenheitsbewälti- hier nicht außer Betracht bleiben. gung versuchen, frage ich: Was ist mein Verhalten im Wenn Sie in diesem Zusammenhang sagen, es Vergleich dazu, daß der amtierende Bundeskanzler hätte an uns gelegen, daß manche Ergebnisse nicht in jenem Jahr das gesamte deutsche Volk belogen früher erzielt werden konnten, dann möchte ich doch hat? Ich spreche von der Steuerlüge. Ich habe bis daran erinnern, daß die Verhandlungen über ein heute nicht gehört, daß sich der Bundeskanzler vor Konzept zur Bekämpfung der organisierten Krimina- diesem Haus dafür entschuldigt hat. Das wäre doch lität inklusive der akustischen Wohnraumüberwa- einmal eine Möglichkeit zur Selbstkritik. chung erst dann in Gang kommen konnten, als die (Beifall bei der SPD) F.D.P. ihren Mitgliederentscheid über die Bühne ge- bracht hatte. Also hat es nicht etwa an der SPD gele- Soviel zu dieser persönlichen Angelegenheit. gen, daß sich die Dinge etwas verzögert haben. Wenn wir heute über die innere Sicherheit spre- Sie haben heute wieder den Versuch unternom- chen, möchte ich einen Dank an die Kriminalbeam- men, die Länder zu vergleichen. Herr Kanther, ich ten in der gesamten Welt an den Anfang stellen, ei- rate Ihnen, in Zukunft damit etwas vorsichtiger um- nen Dank auch an die Kollegen des Bundeskriminal- zugehen. Auch ich könnte jetzt einige Vergleiche an- amtes. Sie werden sich erinnern: Angesichts der ab- stellen. Ich könnte zum Beispiel die Kriminalitätsstei- scheulichen Vorgänge um Kinderpornographie, die gerung von 1996 auf 1997 vortragen. Da haben wir in in Holland seinerzeit aufgedeckt wurden, habe ich Baden-Württemberg eine Steigerung von 1,4 Prozent, die Forderung aufgestellt, eine internationale Task in Bayern von 1,2 Prozent, in Niedersachsen eine Ab- einzurichten. So etwas hat sich gebildet. Die Force nahme von 0,7 Prozent und in Nordrhein-Westfalen Kriminalpolizeien haben international sehr gut zu- von 0,9 Prozent. sammengearbeitet und einen Kinderpornoring schlimmsten Ausmaßes aufgedeckt. Ich glaube, wir (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Hört! haben Anlaß, an dieser Stelle diesen Kollegen für die Hört!) großartige Leistung zu danken, die sie erbracht ha- Wir können die Regierungszeit von Herrn Stoiber mit ben. der Regierungszeit von Gerhard Schröder verglei- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der chen. Dann werden Sie feststellen, daß in der Regie- F.D.P.) rungszeit von Herrn Stoiber die Kriminalitätsrate um das Vierfache gegenüber dem Wert der Steigerung Wenn es um die innere Sicherheit zu tun ist, dann der Kriminalitätsrate in Niedersachsen gestiegen ist. geht es zuallererst auch um die Verteidigung der Würde des Menschen. Wenn wir gegen Kriminalität Ich halte von solchen Vergleichen überhaupt kämpfen, geht es um die Verteidigung der Würde nichts, weil wir, wie ich finde, mit Zahlen der polizei- des Menschen. Deshalb habe ich vor kurzem hier in lichen Kriminalstatistik vorsichtig umgehen sollten. Bonn durchaus bewußt von einem Grundrecht auf Si- Ich glaube, das, was Sie da machen, ist falsch. Im cherheit gesprochen. übrigen - Sie selber machen das wohl nicht; das ist auch in Ordnung -: In manchen Papieren der CDU/ (Beifall bei der SPD) CSU steht dann, Niedersachsen sei ein Eldorado für Wer meint, ein Grundrecht auf Sicherheit sei die Er- Verbrecher. Das ist eine Beleidigung der niedersäch- findung konservativer Professoren, der irrt sich und sischen Polizei, die dort ebenso gute Arbeit leistet beweist damit nur seine Unkenntnis der deutschen wie die Polizei in anderen Ländern. Verfassungs- und Rechtsgeschichte. Schon in der Vir- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ginia Bill of Rights war das Grundrecht auf Sicherheit ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - enthalten. Es setzt sich über die verschiedenen Ver- Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Kennen fassungsdokumente bis zur Europäischen Menschen- Sie das CDU-Papier?) rechtskonvention fort, in der in Art. 5 das Grundrecht auf Freiheit und Sicherheit verankert ist. In der Poli-- Wenn man schon vergleicht, dann sollten Sie daran tik für die innere Sicherheit kommt es darauf an, daß erinnert werden, daß gute Sicherheitspolitik darin ih- wir Freiheit und Sicherheit gewährleisten und sie ren Ausdruck findet, wie man seine Polizisten be- 23106 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Otto Schily zahlt. Wissen Sie, in welchen Ländern die Polizei am besten steht. Wenn dort 90 Prozent der Akten in digi- schlechtesten bezahlt wird? - In Baden-Württemberg talisierter Form ankommen und dann in Papierform und in Bayern, während die anderen Länder, gerade abgelegt werden, ist das nicht gerade Ausweis eines auch das rotgrün regierte Hessen, mit der zweigeteil- modernen Standards in einer solchen Behörde. Ich ten Laufbahn vorangekommen sind. Damit finden könnte Ihnen dazu noch einiges anführen; aber ich wir Beifall bei der Gewerkschaft der Polizei, darauf will es nicht weiter ausbreiten, um nicht meine Rede will ich nur hinweisen. Rudolf Scharping weist darauf zu sehr zu verlängern. hin, daß auch in Rheinland-Pfalz einiges in Gang ge- Sie haben ferner zu Recht angesprochen, daß kommen ist. heute die Fragen der Kriminalpolitik weitgehend (Günter Graf [Friesoythe] [SPD]: Und in auch auf europäischer Ebene anzugehen sind. Wir Niedersachsen!) haben mit Ihnen gemeinsam dafür gestimmt, daß wir - Und in Niedersachsen. - Wir sehen, daß gerade in Europol bekommen. Die Einrichtung von Europol war schon immer eine Forderung der SPD; Günter diesen Ländern die Bezahlung der Polizei besser ist. Graf hat sich besonders mit der Forderung hervorge- (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Die zwei tan, daß diese wichtige europäische Polizeibehörde geteilte Laufbahn ist nicht zu bezahlen!) eingerichtet wird. Wir haben das hier gemeinsam be- Wir könnten uns da über einiges untereinander schlossen. Es gibt zwar einige Probleme mit dem Im- verständigen. Um Ihnen zu erklären, daß man mit munitätenprotokoll. Aber ich will das jetzt nicht noch der Kriminalstatistik etwas vorsichtiger umgehen einmal aufrühren; es ist eine Spezialfrage. Jedenfalls kann, will ich Ihnen ein Beispiel berichten. Ich habe ist völlig richtig, daß wir für eine solche europäische es mir nicht selber erarbeitet, sondern es stammt aus Linie sind. Man muß aber auch daran arbeiten, dies einem Werkstattgespräch, das wir vor einiger Zeit auszubauen. mit zahlreichen Polizeipräsidenten aus dem gesam- Man muß auch darauf achten, wo sich im Rahmen ten Bundesgebiet und einigen Generalstaatsanwäl- der europäischen Zusammenarbeit neue Angriffsflä- ten geführt haben. In diesem Werkstattgespräch hat chen für die organisierte Kriminalität bieten. Hier mir der Polizeipräsident einer westdeutschen Groß- muß ich Ihnen einen Vorwurf machen. Ich bin sehr stadt erzählt, er habe seine Polizei damit beauftragt, für die neue europäische Währung, die uns viele Vor- mit Frauengruppen intensiver zusammenzuarbeiten. teile bietet. Aber leider bietet sie auch neue Angriffs- Das Ergebnis dieser sehr erfolgreichen Zusammenar- flächen für die organisierte Kriminalität, was Geldfäl- beit war, daß die Frauen mehr Selbstvertrauen und schung angeht. Sie haben es bis heute nicht ge- mehr Vertrauen zur Polizei gewonnen haben. Sie schafft, zumindest die Zuständigkeit zu regeln. Wer wissen, daß Frauen in unserem Land heute immer ist denn in Zukunft für Fälle der Fälschung europäi- noch durch Gewaltverbrechen sehr gefährdet sind. scher Banknoten zuständig? Ist es UCLAF oder Euro- Die Folge davon war, daß sich das Anzeigeverhalten pol? Das ist bis heute nicht geklärt. Da hätten Sie nun der Frauen signifikant verändert hat und Gewaltver- wirklich etwas eiliger vorangehen können, wenn Sie brechen, die an Frauen begangen wurden, in sehr hier schon über Europa reden. viel größerem Umfange angezeigt wurden. Natürlich kamen dann in der Kriminalstatistik mehr Gewaltver- (Beifall bei der SPD) brechen vor, so daß ein naiver Betrachter hätte den- Natürlich tun sich da schwierige Fragen auf. Nie- ken können, der Polizeipräsident habe schlecht gear- mand, der seriös ist, kann an dieser Stelle verspre- beitet. Aber der Polizeipräsident und seine Polizei chen, daß wir das im Handumdrehen lösen können. haben gut gearbeitet, weil Verbrechen aufgedeckt Das muß man ehrlicherweise so formulieren. und verfolgt wurden. Es wird auch für uns eine wichtige Aufgabe sein, Ich will damit nur sagen, daß man mit Kriminalsta- gerade die Harmonisierung des Strafverfahrens und tistiken vorsichtig sein muß. des materiellen Strafrechts auf europäischer Ebene (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kerstin voranzutreiben. Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es ist gut, daß wir uns in manchen Fragen, die die Wenn in einem bestimmten Land bestimmte Krimi- repressive Seite der Kriminalitätsbekämpfung betref- nalzahlen relativ niedrig sind, muß man immer damit fen, geeinigt haben. Es ist allerdings schlecht, daß rechnen, daß es ein großes Dunkelfeld gibt. Dann Sie in der Frage der Prävention versagt haben. Wenn können die günstigen Zahlen möglicherweise sogar Sie, Herr Kanther, über Prävention sprechen, dann eher auf einen Mißerfolg hindeuten. Ich rate also zur sprechen Sie eigentlich auch nur immer über die ge- Vorsicht mit derlei Zahlen; da kommen wir in ein setzlichen Instrumente, über die Polizei und über die schwieriges Gelände. Staatsanwaltschaft. Das ist mir schon aufgefallen. Es fällt Ihnen dazu nie etwas anderes ein. Das ist halt so; Herr Kanther, Sie haben darauf hingewiesen, im in dieser Beziehung kann man bei Ihnen offenbar Bund sei alles zum Besten bestellt. Leider kann ich nicht mehr viel ändern. Ihnen das nicht bestätigen. Ich höre durchaus Klagen aus Wiesbaden über die dortige personelle Ausstat- In der Antwort der Bundesregierung auf unsere tung. Ich höre Klagen darüber, daß dort gut ausgebil- Anfrage zur Jugendkriminalität finden sich folgende dete Polizeibeamte, die nun wahrlich etwas Besseres Formulierungen der Bundesregierung: Für eine vor- zu tun hätten, für Kanzleiarbeiten herangezogen- beugende Auseinandersetzung und Bekämpfung werden. Ich höre, daß es mit der technischen Ausstat- von Kinder- und Jugenddelinquenz müssen als Bela- tung des Bundeskriminalamtes auch nicht zum aller- stungsfaktoren neben Wertekonflikten, Orientie- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23107

Otto Schily rungsproblemen und Desorientierung soziale Pro- Manchmal denke ich, daß Ihre Flucht vor der Wirk- blemlagen, Arbeitslosigkeit, soziale Randlagen, Ar- lichkeit so weit geht, daß es Ihnen sogar ohne Com- mut und Ausgrenzung in Betracht gezogen werden, puter gelingt, sich in virtuelle Welten zu begeben. auch wenn ein unmittelbarer Ursache-Wirkungszu- sammenhang zwischen den genannten Faktoren und (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist wahr!) der Kinder- und Jugenddelinquenz im einzelnen nicht nachweisbar ist. Daher sind sowohl erzieheri- Wie kann man eigentlich die Behauptung aufrechter- sche als auch soziale Maßnahmen und Konzepte zu halten, es habe keine Zuwanderung stattgefunden, berücksichtigen, und zwar von allen gesellschaftli- wenn knapp 7,5 Millionen Menschen ausländischer chen Gruppen und verantwortlichen Instanzen. Herkunft unter uns leben? Was sind denn diese 7,5 Millionen Menschen? Was soll das denn sein? Weiter heißt es: Für die Integration der nachwach- Findet diese Entwicklung irgendwo außerhalb unse- senden Generation in die Gesellschaft der Bundesre- rer Grenzen, etwa in einem exterritorialen Gebiet, publik Deutschland sind nach wie vor Ausbildung, statt? - Nein, das ist Zuwanderung. Wenn Sie diesen Beruf und Arbeitsleben von grundlegender Bedeu- Menschen, die gute Arbeit leisten, die einen hohen tung. Insofern kommt einer ausbildungs- und arbeits- Beitrag zu den Sozialversicherungskassen leisten platzfördernden Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik und die zum Teil auch als Unternehmer gute Arbeit der unterschiedlichen Akteure besonderes Gewicht leisten, die gleichen Rechte verweigern und sie damit zu, um einem Anwachsen von Risiko- und Randgrup- zu Bürgern zweiter Klasse machen, dann begehen pen entgegenzuwirken. Dazu sage ich: Wie wahr, Sie eine schwere Unterlassungssünde, hemmen die aber genau hier haben Sie versagt. Sie haben eben Integration und gefährden auch die innere Sicher- nicht dafür gesorgt, daß alle Jugendlichen einen Ar- heit. beitsplatz und einen Ausbildungsplatz finden. Auch damit haben Sie der inneren Sicherheit schwer ge- (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Wenn er schadet, Herr Kanther. Deutscher ist und nicht mehr Türke, dann klaut er nicht mehr? So ein Quatsch!) (Beifall bei der SPD) - Nein, das begreifen Sie offenbar immer noch nicht. Das ist Ihr Problem. Wenn wir es eine Legislaturperi- Es wäre Ihre Aufgabe gewesen, frühzeitig mit Frau ode lang nicht geschafft haben, Sie davon zu über- Nolte Kontakt aufzunehmen und sich zu erkundigen, zeugen, werde ich es in den letzten Minuten dieser wie es den Kindern in unserer Gesellschaft eigentlich Legislaturperiode auch nicht schaffen. Das ist leider geht. Wenn die Aussagen in dem Bericht, der jüngst so. Herr Kollege, mein didaktisches Vermögen ist er- vorgelegt worden ist, stimmen, nämlich daß heute schöpft. eine hohe Zahl von Kindern in den neuen Bundeslän- dern unter der Armutsgrenze lebt, daß auch im rei- (Beifall bei der SPD) chen Westen über 10 Prozent der Kinder in ähnlichen Aber eines müssen Sie doch begreifen: Wenn man Verhältnissen leben und daß über eine 1 Million Kin- einem jungen Menschen, der hier geboren ist, der der und Jugendliche in Haushalten leben müssen, hier die deutsche Sprache quasi als seine Mutterspra- die auf Sozialhilfe angewiesen sind, dann spiegelt che lernt, sagt, daß er eigentlich doch nicht zu uns sich darin auch ein Faktum, das dem Bereich der in- gehört, wird bei diesem der Eindruck entstehen, daß neren Sicherheit zuzurechnen ist. es besser ist, sich in seine Gruppe zurückzuziehen und sozusagen ein Fremdkörper in der Gesellschaft (Beifall bei der SPD - Fritz Rudolf Körper zu bleiben. Das sollten Sie begreifen. [SPD]:Das ignorieren die doch alles!) (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Dann Wenn man diese Entwicklungen betrachtet, dann fängt er an zu klauen, ja?) kann man nicht einfach sagen: Wir müssen eben Sie werden es aber nicht begreifen. Vielleicht lernen mehr Gefängnisse bauen. 1m Bereich der inneren Si- Sie es in der Opposition, Herr Kollege. Das wäre cherheit gilt ähnliches wie in der Umweltpolitik. Ei- ganz gut. Deshalb ist es ein Erziehungsprogramm für nige von Ihnen haben das mühsam lernen müssen. Sie, daß Sie in die Opposition gehen. Auch bei der inneren Sicherheit gilt: Die Vorsorge ist allemal besser als die Nachsorge; sie ist sogar billi- (Beifall bei der SPD) ger. Ich möchte zum Schluß, damit ich die Debatte nicht allzusehr. verlängere, nur noch über einen Gesichts- (Beifall bei der SPD) punkt sprechen, der mir am Herzen liegt und von dem ich glaube, daß er in diese Debatte hineinge- Auf dem Gebiet haben Sie versagt. hört. Natürlich konnte ich nicht alle Gesichtspunkte ansprechen, die in dieser Debatte eigentlich hätten Sie haben überhaupt, was die Integration angeht, angesprochen werden müssen. Aber eines möchte versagt. Dieser Aspekt ist wesentlich, wenn man ich sagen: Zur Prävention - soziale, organisatorische, über die Zuwanderer redet. Herr Kanther, Sie gehö- technische Prävention - gehört auch etwas, von dem ren zu denen, die sich beharrlich weigern, die Wirk- ich glaube, daß wir uns darauf besinnen sollten, näm- lichkeit anzuerkennen. lich eine kulturelle Prävention. Wir tragen alle ge- meinsam eine Verantwortung, von der sich niemand (Vorsitz : Vizepräsidentin Michaela Geiger) ausschließen darf. Deshalb sagen wir auch: Die Ge- 23108 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Otto Schily währleistung der inneren Sicherheit ist eine gesamt- An das, was Sie hier mühsam zusammengeklaubt ha- gesellschaftliche Aufgabe. ben - Herr Kanther konnte ja nur wenige Beispiele nennen -, glauben Sie nämlich selber nicht, und die Wir sollten auch in solchen Wahlkampfzeiten einen Menschen draußen glauben erst recht nicht daran. Moment innehalten und prüfen, ob die geistige Ver- fassung in unserem Land dazu angetan ist, daß wir (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Erzählen sagen können: Wir haben alles getan, um den Zu- Sie mal was über innere Sicherheit, Frau sammenhalt, um das Wertebewußtsein in unserer Kollegin!) Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Im Ältestenrat haben Sie abgelehnt, hier über Ihre Der bedeutende polnische Schriftsteller Andrzej Innen- und Rechtspolitik, über den Haushalt zur In- Szczypiorski hat gerade in den letzten Tagen die gei- nenpolitik zu reden. Das ist Teil Ihrer Wahlkampf- stige Verfassung der Deutschen kritisiert. Er bemän- kampagne, mit der Sie von Ihren eigenen Versäum- gelte, daß im deutschen Bewußtsein heute eine tie- nissen ablenken wollen - über diese Versäumnisse fere Reflexion über die Natur des Menschen und sein haben wir heute morgen gesprochen -, von Ihren Schicksal fehle. Das Volk der Philosophen und Dich- Versäumnissen in der Arbeitsmarktpolitik, in der So- ter rede ausschließlich über den Euro, die Zinssätze, zialpolitik. Deshalb tischen Sie in Wahlkampfzeiten - Dividenden, Zolltarife und Investitionen. Seiner An- leider auch in diesem Parlament - immer wieder sicht nach sind ohne eine Verbesserung des Men- diese unsäglichen Diskussionen über die Bedrohun- schen alle Zukunftsvisionen we rtlos. gen der „Inneren Sicherheit" auf, statt wirklich über Der Österreicher Robe rt Schneider schrieb: Maßnahmen zur Bekämpfung von Kriminalität zu re- den. Wer mit halbwegs wachen Augen durch dieses große, unfaßlich schöne Land reist, den kann Aber schauen wir uns Ihre Politik doch einmal an. diese Seelenmüdigkeit nicht unberührt lassen. Aus unserer Sicht ist Ihre Politik der Repression - Im Kampf eines jeden gegen jeden, im gotter- Herr Kanther, der Innenminister, hat ja einige Ge- bärmlichen Opportunismus und der schwitzen- setze aufgezählt, die Sie auf den Weg gebracht ha- den Eilfertigkeit ... verkümmert das Herz. ben: von Vorbeugung, von Prävention ist überhaupt keine Rede - dramatisch gescheitert. Sie haben seit Meine Damen und Herren, ich glaube, daß es 16 Jahren nichts anderes gemacht, als Strafen zu ver- wichtig ist, daß wir über allem Streit nicht vergessen: schärfen - wie beim großen Lauschangriff und beim Es geht auch um den sozialen und kulturellen Zu- Asylrecht - und Bürgerrechte abzubauen. Sie haben sammenhalt in unserer Gesellschaft. Es geht auch allein in dieser und in der letzten Wahlperiode mehr darum, daß wir den A rt . 1 des Grundgesetzes mit Le- als 40 Strafverschärfungen und Grundrechtsein- ben erfüllen. Nur wenn wir über innere Sicherheit im schränkungen beschlossen: Verbrechensbekämp- Lichte einer solchen Betrachtungsweise reden, kom- fungsgesetz, OrgKG, Ausdehnung der Kronzeugen- men wir zu den richtigen Ergebnissen. regelung, BKA-Gesetz, G-10-Gesetz. Vielen Dank. Ich frage mich: Haben Sie jemals Bilanz gezogen? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Ja! Haben wir!)

Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat Darüber haben Sie heute nämlich nicht geredet. Herr jetzt die Abgeordnete Kerstin Müller, Bündnis 90/Die Kanther war jedenfalls nicht in der Lage, hier eine Bi- Grünen. lanz darüber vorzulegen, was all die Strafverschär- fungen, von denen er gesprochen hat, was die Politik der Repression überhaupt gebracht haben. Ich Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen glaube, es gibt einen Grund, warum er diese Bilanz und Kollegen von der Koalition! Ich finde, die De- nicht zieht: weil das Ergebnis niederschmetternd ist. batte, die wir hier führen, ist recht gespenstisch. Die Seit 1982 stieg die Kriminalitätsrate stetig an, al- Einleitung von Herrn Kanther hat den Sinn und lein in den alten Bundesländern um 1 Million Strafta- Zweck der Debatte aufgezeigt. Sinn und Zweck ten. Mit anderen Worten: Diese Politik der Strafver- sollte sein, Rotgrün in puncto Sicherheitsfragen quasi schärfungen ist dramatisch gescheitert. Sie sind nicht als Schreckgespenst an die Wand zu malen. in der Lage, nicht willens, eine Bilanz über die vielen (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Das Änderungen, die Sie vorgenommen haben, vorzule- ist auch ganz einfach! - Erwin Marschewski gen. Das ist eine rein symbolische Politik gewesen. [CDU/CSU]: Das ist die Wahrheit!) Sie haben quasi reine Placebomaßnahmen ergriffen um die Bürger zu beruhigen und ihnen zu suggerie- - Das war der Sinn und Zweck. Das scheint ein we- ren, mit solchen Strafverschärfungen könne man nig mühsam zu sein, und wenn man ins Plenum wirklich etwas für die Sicherheit der Bürger und schaut, sieht man, daß es irgendwie nicht so recht Bürgerinnen tun. Im Wahlkampf macht man das funktioniert hat. Ich glaube auch, daß zuerst der gerne. Aber das Gegenteil ist der Fall: Sie sind nicht Schock von heute vormittag verdaut werden muß. in der Lage, hier eine positive Bilanz vorzulegen. Die Ich glaube, das Ganze wird Ihnen auch nicht hel- Bilanz ist negativ; sie ist schlecht. fen. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das müssen die (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Doch!) Länder machen!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23109

Kerstin Müller (Köln) Die Zahl der Straftaten ist angestiegen. Das bedeutet, Sie Wahlkampf führen. Aber Sie trauen sich nicht, in daß die Politik der Repression, die Politik, auf die Sie puncto Drogenpolitik das den Bürgerinnen und Bür- gesetzt haben, dramatisch gescheitert ist. gern zu sagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Norbert Geis [CDU/CSU]: Völlig falsch!) und bei der SPD) Das beste Beispiel - auch darauf möchte ich hier Dieser Bereich steht exemplarisch für den geschei- gerne noch eingehen - für das Scheitern Ihrer Politik terten und falschen Weg Ihrer Kriminalpolitik. Des- in diesem Bereich ist die katastrophale Bilanz in der halb sagen wir: Wir brauchen nicht nur eine moderne Drogenpolitik. Herr Kanther hat das Thema ange- Drogenpolitik. Vielmehr müssen wir uns bei der Be- sprochen. Einige rotgrün regierte Länder versuchen kämpfung der Kriminalität endlich generell an die dennoch, entgegen den Widrigkeiten auf Bundes- Bekämpfung der Ursachen machen, statt wirkungs- ebene, entgegen den schlechten bundespolitischen los nach härteren Strafen zu rufen. Der Kollege Schily Rahmenbedingungen, andere Wege zu gehen. Das hat das hier noch einmal deutlich gemacht. Sie wol- ist richtig. len, indem Sie das nicht tun, indem Sie nicht über die (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist falsch! Ursachen reden, von Ihrem eigenen Versagen in der Die sollen mal nach Schweden gehen!) Arbeitsmarkt-, in der Sozialpolitik ablenken. Sie, Herr Kanther, haben dennoch eine katastrophale Sie wollen sich nicht fragen, warum wir eine so Bilanz. Die Zahl der Drogentoten ist seit dem Amts- enorme Beschaffungskriminalität haben. Fast 50 Pro- antritt von Kohl dramatisch gestiegen. Wir hatten zent der einfachen Diebstähle, so schätzt man - das 1997 mindestens 1 500 Drogentote sind offizielle Zahlen, nicht unsere Zahlen -, begehen Drogenabhängige aus sozialer Verelendung heraus. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist Ihr Diese Beschaffungskriminalität könnte man ab- schlimmer Einfluß!) bauen. und im ersten Halbjahr dieses Jahres einen Anstieg um mehr als 17 Prozent. Das ist doch eine negative (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Das sind Bilanz. Ich finde es nicht nur heuchlerisch, ich finde 3,5 Prozent!) es auch zynisch, angesichts solcher Zahlen in der - Nein, nein. Drogenpolitik noch immer eine repressive Linie fah- ren zu wollen. Was sind die Ursachen für eine zunehmende Ju- gend- und Kinderkriminalität, die Sie so beklagen? (Beifall des Abg. Otto Schily [SPD]) Die Ursachen liegen doch in Ihrer Politik, sie liegen Sie haben damit diese Drogentoten zu verantworten. in einer verfehlten Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, sie liegen in einer hohen Arbeitslosigkeit, sie liegen Reden Sie einmal mit Eltern, die drogenabhängige, im Lehrstellenmangel der Jugendlichen, sie liegen in heroinabhängige Kinder haben. Ich habe mit solchen der zunehmenden Armut von Kindern und Familien Eltern gesprochen. Die sagen ganz klar: Unser Kind und in ganz schlimmen Gewalterfahrungen, die Kin- würde noch leben, wenn Sie eine andere, eine libe- der in ihren Familien zunehmend machen - allein rale Drogenpolitik verfolgen würden, Herr Kanther 150 000, so die offiziellen Zahlen. Das sind die Ursa- und sehr geehrte Kollegen von der Koalition. chen für eine Zunahme von Kriminalität. Statt diese (Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie haben keine Ursachen anzugehen, kriminalisieren Sie die Folgen Ahnung! - Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] Ihrer eigenen Politik. Sehr geehrte Damen und Her- [F.D.P.]: Lassen Sie es doch im Müsliladen ren von der Koalition, wer Zero-Toleranz gegenüber verkaufen!) Kriminalität predigt, aber weich gegenüber der Be- kämpfung der Ursachen ist, der hat für mich jede - Sieht die Frau Oberbürgermeisterin Roth in Frank- Glaubwürdigkeit verloren, über die Bekämpfung von furt das auch so? Ich glaube, nicht. Kriminalität zu reden. Sie haben Frau Roth gestern in Ihrem Spot vorge- stellt, weil die Oberbürgermeisterin von Frankfurt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN endlich mal ein bißchen mehr Flair, ein bißchen mehr sowie bei Abgeordneten der SPD) Modernität in Ihren Wahlkampf bringen soll. Was Sie Statt Jugendliche häufiger in den Knast oder in ge- verschweigen, ist, daß die Oberbürgermeisterin Roth schlossene Heime wegzusperren - auch diese De- in Frankfurt eine sehr vernünftige Drogenpolitik batte hatten wir jetzt im Wahlkampf -, statt dieser un- macht, daß sie nach ihrem Amtsantritt gezwungen seligen Diskussion über die Herabsetzung des Straf- war, all das fortzusetzen, was Rotgrün in Frankfurt mündigkeitsalters bei. Kindern sollten wir lieber über eingeleitet hatte, weil es erfolgreich war, weil es dort die wachsende Armut von Kindern reden. Auch ich die Zahl der Drogentoten herabgesetzt hat, weil wir möchte hier noch einmal auf den Zehnten Kinder- dort weniger Beschaffungskriminalität haben. Des- und Jugendbericht kommen, den Sie nicht so gerne halb haben selbst Frankfu rter Banker und Geschäfts- veröffentlichen wollten, weil er nicht in den Wahl- leute gesagt: Dieser Weg muß fortgesetzt werden. kampf paßte. Frau Nolte mußte sozusagen von der Deshalb ist Frau Roth heute sogar dafür, daß ein Mo- Presse, von den Medien gezwungen werden, hierzu dellprojekt für eine ärztlich kontrollierte Abgabe von Stellung zu nehmen. Heroin in der Bundesrepublik - das entspricht dem Antrag, der im Bundesrat anhängig war - durchge- (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: So ein führt wird. Das ist Ihre Oberbürgermeisterin, mit der Unsinn!) 23110 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Kerstin Müller (Köln) - Genauso war es! den Einwanderinnen und Einwanderer und an die hier Geborenen geben. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das war so!) Herr Kanther, sehr geehrte Kolleginnen von der Koalition, Sie machen hier genau das Gegenteil. Sie Was sagt denn der Zehnte Kinder- und Jugendbe- haben auch heute morgen wieder ausländerfeindli- Daß die Lage dramatisch ist, daß der Erhalt richt? - che Stimmung geschürt und auf dem Rücken der von Sozialhilfe in der Bundesrepublik nicht mehr vor ausländischen Minderheiten eine Wahlkampfdebatte Armut schützt, daß im Westen fast jedes neunte Kind, geführt. Ich halte das für sehr, sehr gefährlich. Es daß im Osten sogar jedes fünfte Kind inzwischen arm stärkt die Rechtsradikalen, es liefert ihnen praktisch ist, daß wir in den neuen Ländern eine Zunahme der die Stichworte. Sie machen Stimmung gegen auslän- Zahl der Sozialhilfeempfänger um mehr als 20 Pro- dische Mitbürgerinnen und Mitbürger. zent haben. Angesichts dieser Lage finde ich eine Diskussion über höhere Strafandrohungen und ver- ( [CDU/CSU]: Unverschämt! mehrtes Wegsperren hilflos und zynisch. Denn eine Es ist unglaublich!) solche Wegsperrmentalität löst die Probleme nicht, Ich hoffe, daß das Klima nicht wieder zu deren Lasten sie verschärft sie nur. kippt. Auch wir wollen mehr Sicherheit für die Men- schen. Weil wir das wollen, müssen wir vor allen Din- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Jetzt ist aber gen eines tun, nämlich eine andere Arbeitsmarkt-, Ihre Redezeit endgültig zu Ende. eine andere Sozialpolitik und eine andere Jugend- politik in diesem Land einleiten. Die gegenwärtige Politik ist nämlich das Hauptproblem, und die stellt Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- inzwischen ein Sicherheitsrisiko für dieses Land dar, NEN): Ich bin gleich fertig. nicht die Innen- und Rechtspolitik von Rotgrün, Herr Ich hoffe auch - und ich bin ganz zuversichtlich, Kanther. vor allen Dingen nach der Diskussion heute morgen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -, daß wir nach dem 27. September hier endlich mit sowie des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgit einer großen Mehrheit dieses Hauses eine Reform ter] [SPD]) des Staatsbürgerschaftsrechts einleiten können, die längst überfällig ist und für die es auch in der Gesell- Wir wollen eine integrative Sozialarbeit. Wir brau- schaft eine Mehrheit gibt. Wir brauchen die doppelte chen eine Initiative gegen Jugendarbeitslosigkeit. Staatsbürgerschaft. Wir müssen den Menschen, die Wir wollen eine Ausbildungsplatzumlage, weil es hier geboren sind und lange hier leben, signalisieren, nicht länger zu verantworten ist, daß Jugendliche daß sie zu dieser Gesellschaft gehören. Wir dürfen keine Ausbildungsplätze finden. Wir brauchen nicht sie nicht länger ausgrenzen. mehr Justiz, sondern mehr Jugendhilfe. Vielen Dank. Ich finde es unverantwortlich, einerseits höhere Ju- gendkriminalität zu beklagen und andererseits über (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Kürzung von Mitteln für die Schließung von Ju- sowie bei Abgeordneten der SPD und der gendzentren mitverantwortlich zu sein. Ich finde es PDS) auch unverantwo rtlich, über die angebliche Laxheit des Jugendstrafrechtes zu klagen. Das Jugendstraf- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat recht ist überhaupt nicht lax, sondern sieht einen jetzt der Abgeordnete Detlef Kleine rt, F.D.P.-Frak- sehr differenzie rten Katalog von Reaktionsmöglich- tion. keiten vor. Ich plädiere nachdrücklich dafür, an dem Maßnahmenkatalog, den wir im Jugendstrafrecht Detlef Kleinert (Hannover) (F.D.P.): Frau Präsiden- und Jugendhilferecht haben, festzuhalten und nicht tin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es nach härteren Strafen usw. zu rufen. Denn dort ha- ist wirklich ganz erstaunlich, was in der Innen- und ben wir die Möglichkeit etwa des Täter-Opfer-Aus- Rechtspolitik geleistet worden ist. Wir haben es alle gleiches, bei dem wir der Meinung sind: Diesen müs- in den Listen in den letzten Wochen und Monaten sen wir ausweiten. Wir müssen diesen Maßnahmen- gesehen. Auch erstaunlich ist daran, mit welchem katalog auf die Heranwachsenden anwenden. Und Maß von Einigkeit - da hat Herr Schily vollkommen an den Beginn eines jeden Jugendstrafverfahrens recht - die großen Vorhaben, die für uns alle schwer gehört eigentlich der Täter-Opfer-Ausgleich. Das waren, hier verabschiedet worden sind. Frau Müller, sind Dinge, die wir ändern wollen. Das ist auch viel auch über so etwas könnte man sich einig werden, erfolgversprechender bei der Bekämpfung der Krimi- wenn Sie nicht immer so ein abstraktes Ziel hätten, nalität. ohne gleichzeitig etwas Konkretes zum Weg zu sa- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gen. Einen letzten Punkt möchte ich von unserer Seite Es ist für uns alle bei Fragen der inneren Sicherheit noch ansprechen. Ich komme dann zum Ende. Ich wichtig, das Gleichgewicht zu halten zwischen der möchte einen Punkt noch nennen, bei dem wir als Freiheit, die auch und gerade durch die Sicherheit zu Bündnisgrüne ganz großen Reformbedarf sehen. Das bewahren ist, weil die Freiheit sonst nichts we rt ist, ist das Staatsbürgerschaftsrecht. Wir wollen ein- und den Maßnahmen, die für die innere Sicherheit ganz, ganz klares Signal an die zweite und dritte hier nun einmal erforderlich sind. Wenn man Sie, Frau lebende Generation, an die seit langem hier leben- Müller, hier so reden hört, was alles an Prävention zu Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23111

Detlef Kleinert (Hannover) tun ist, dann bestreite ich überhaupt nicht, daß es Wenn man aber den jungen Leuten gegenüber auch in Zukunft noch viele Möglichkeiten für Phan- eine allgemeine Gleichgültigkeit im Hinblick auf tasie und Tatkraft gibt. Nichts ist vollkommen. Es jede Art von zwischenmenschlichen Formen - die ja wird vieles zu tun sein. Wir sollten im Wettbewerb Sinn machen und die die frühesten Formen der So- versuchen - ohne beckmesse risch zu sagen, wer ge- zialisierung ganz selbstverständlich mit sich bringen rade vorne liegt oder nicht -, die Dinge zu bessern. - propagiert, das Schulwesen entsprechend einrich- tet und viel mehr an Rechte als an Pflichten und viel Daß wir, bis die Prävention greift, alles gehen und mehr an die Schulung der Konfliktfähigkeit als an treiben lassen und uns von Ihren Parolen - bezüglich die Fähigkeit der Konfliktbewältigung denkt, so daß des Wegsperrens und ähnlich abfälliger Bemerkun- inzwischen die Lehrer aller Schulformen sagen, daß gen über die Justiz, die sich sehr viel Mühe mit der die Experimente, denen sie wie auch die Schüler un- Findung einer gerechten Strafe im Einzelfall macht - terworfen wurden, gescheitert sind, dann muß man beeinflussen lassen, kann doch nicht sein. Ich kann diese Erkenntnis nachdrücklich in die Prävention doch nicht erst einmal einige Jahre Chaos veranstal- einbeziehen. ten, nur weil Sie die Hoffnung haben, durch Freigabe von Rauschgift und dergleichen in Zukunft keine Kri- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) minellen mehr im Lande zu haben. Das bezweifle ich übrigens ganz stark. Man kann sich nicht immer nur seinen Teil heraussu- chen, wenn man sich hier - zu Recht - über die Fra- (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Ger- gen der Prävention unterhält. lingen] [F.D.P.] - Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: - Sieht Frau Es ist beachtlich, was geschehen ist. Das ist schon Leutheusser-Schnarrenberger das auch so?) gesagt worden. Wir haben uns innerparteilich sehr viel Mühe gemacht und haben dadurch zu einer ge- Ich bin ja bereit, über diesen Punkt zu sprechen. wissen Verzögerung - aber was ist in einem so wich- Da gibt es in unserer Fraktion unterschiedliche Stim- tigen Gesetzgebungsvorhaben schon eine Verzöge- mungen, aber wohl doch eine sich bildende Mehr- rung? - beigetragen, indem wir unsere Mitglieder heit, daß wir über die ärztliche Behandlung der befragt haben, und zwar unter sehr ausführlicher Rauschgiftsucht als Krankheit - auch mit den dazu Darlegung des Problems von beiden Meinungsseiten geeigneten Medikamenten; das schließt Rauschgifte her. ein - mit uns reden lassen. Auf dieser Basis konnten wir, dann allerdings legi- Das ist aber eine ganz andere Sache, als wenn Ihre timiert, versuchen - so wie überhaupt in der Rechts- Freunde in Schleswig-Holstein den Apothekern an- politik; sei es nun in Fragen, die die innere Sicherheit sinnen, das, womit man die Gesundheit ruiniert, da betreffen und die keineswegs mit dem Strafrecht und zu verkaufen, wo man normalerweise Mittel zur För- auch nicht mit der Organisation der Polizei erledigt derung der Gesundheit anbietet. sein dürfen und sollen; sei es auch in Fragen des Zi- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) vilrechts mit all seinen Einflüssen -, auch auf die Ge- staltung unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit Ein- Ich würde mir das nicht nur für Apotheken verbitten, fluß zu nehmen. selbst für Bioläden würde ich es nicht für richtig hal- ten. All diese Dinge haben wir, in erster Linie mit unse- rem Koalitionspartner, aber immer wieder auch - (Heiterkeit bei der F.D.P. und der CDU/CSU) dankenswerterweise bei sehr großer Aufgeschlos- Darüber kann man ja im einzelnen reden, wenn senheit - mit der sozialdemokratischen Partei zu erör- man ganz genau sagt, wie man sich das vorstellt, da- tern versucht. Durch die Grünen sind wir in den mei- mit man den Bürgern auch die Gelegenheit gibt, sten Fragen nicht wesentlich behindert worden, weil nicht nur Schlagworte zur Kenntnis zu nehmen, son- sie sich bis heute bei der Übung aufgehalten haben, dern selbst mit nachzudenken, wo das Risiko größer sich in aller Regel der Stimme zu enthalten - was na- ist und wo es geringer ist, daß sich die Sache durch türlich den Denkapparat und die Entscheidungskraft das, was man tut, etwa verschlechtert. schont. Bei der Prävention fällt mir auch einiges zum (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU Thema Schule ein. und der F.D.P.) (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Oder zum Mit der Sozialdemokratie aber haben wir uns in Thema Familie!) den großen Fragen zusammengefunden. Wenn so viel über Gesetzesflut geredet wird, dann muß man Bei der Prävention fällt mir auch einiges zu den frü- auch wissen: Natürlich sind alle diese Gesetze im heren Haltungen der Grünen ein. Ich stehe ja über- Laufe dieser Legislaturpe riode und in den letzten haupt nicht an, zu erklären, daß Sie hier sehr ordent- 10 Jahren angesprochen worden. Aber es finden sich lich und manierlich anzuschauen sind - das war ja auch Novellierungen von Gesetzen, die auf diese auch nicht immer der Fall. Weise weniger Text, besseren Text und einleuchten- (Heiterkeit bei der F.D.P. und der CDU/CSU deren Text bekommen haben. Es finden sich darun- - Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE ter eine Menge von Gesetzen, die mehr Verantwor- GRÜNEN]: Dazu gibt es auch keine Pflicht!) tung an den Bürger zurückgeben und die übertrie- bene und sehr kostspielige Fürsorge des Staates zu- Da hat sich ja einiges geändert. rückdrängen. 23112 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Detlef Kleinert (Hannover) Ich erwähne nur noch ganz kurz das Kindschafts- abwegig ist, weil Natur und Technik des Geschäfts recht und die an sich selbstverständliche Lösung, zu- Zuverlässigkeit voraussetzen, weil man sonst aus nächst einmal auf die Vernunft der Eltern in der Sor- dem Geschäft raus ist. Ich kenne hier niemanden, gefrage zu rechnen, statt automatisch dem Richter der dreimal versucht hätte, mich hinter die Fichte zu zuzumuten, den Eltern vorzuschreiben, wer die führen, und mit dem ich ein viertes Mal versucht ha- Sorge haben soll. Das sind doch Fortschritte, die wir ben würde, eine Vereinbarung zu treffen, ge- gemacht haben, schweige denn mündlich. Aber hier werden ständig mündliche Verabredungen getroffen, unter einzel- (Beifall bei der F.D.P. sowie des Abg. Erwin nen und unter Gruppen, und sie werden auch einge- Marschewski [CDU/CSU]) halten. Das ist gut so; es muß so sein, anders funktio- und es läßt sich in vielen Gesetzen genauso belegen, niert es nicht. Es ist von der ganz überwiegenden daß hier mehr Verantwortung an den Bürger zurück- Zahl der Mitglieder des Hauses immer so gehalten gegeben worden ist. Das ist unser Ziel. worden. Auch dafür meinen herzlichen Dank! (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Schließlich möchte ich noch ein wenig - das liegt Sehr gut!) heute nach dem Vormittag geradezu in der Luft - aufrührerisch wirken, ein wenig agitieren, indem ich Daß wir dabei gut zusammengearbeitet haben, sage: Wichtig ist für die Abgeordneten natürlich möchte ich zum Schluß, Frau Präsidentin, mit einer auch die Unabhängigkeit. Das gilt auch in der Koali- kleinen Geschichte unterstreichen. Ich habe vor lan- tion gegenüber der eigenen Regierung. ger Zeit - das ist so etwa 15 Jahre her - im Volksthea- ter in Wien einmal ein Stück von Nestroy gesehen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Da sagt der eine Rivale - das war eine furchtbar sowie bei Abgeordneten der SPD und des wilde Rivalisiererei, wie meistens in diesen Nestroy- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Stücken - zum anderen: Das sollten wir immer wieder einmal scharf ins Auge Form und Inhalt, mein Herr, Ihrer Äußerungen fassen, denn sonst brauchten wir wirklich kein Parla- streiten miteinander um die Palme der Nieder- ment. Der Versuchungen sind viele, sich in vorausei- tracht. lendem Gehorsam für die Position des Parlamentari- schen Staatssekretärs in Empfehlung zu bringen. (Heiterkeit) (Heiterkeit) Da habe ich mir gesagt: Das ist etwas Schönes für den Deutschen Bundestag. Irgend jemand wird dir Das sind Übungen, die dem täglichen Verhalten und über den Weg laufen, und dann bringst du das ein- dem aufrechten Gang doch in einigen Fällen sehr mal an, natürlich indem du sagst, Nestroy hätte es so schaden können. gesagt, denn man selber sagt so etwas nicht, aber (Beifall der Abg. Eva Bulling-Schröter [PDS]) das bringst du einmal an. Ich rate davon ab. Versuchen wir, einigermaßen der Nun muß ich heute feststellen: Ich habe es nicht menschlichen Natur entsprechend so zu bleiben, wie angebracht, und zwar nicht etwa wegen schwachen wir es immer versucht und meistens auch erreicht ha- Gedächtnisses, sondern weil keine Veranlassung be- ben. standen hat. Es ist das Haus eben doch besser als sein Ruf und besser als das, was darüber erzählt Noch einmal sehr herzlichen Dank. wird, wie man das auch in dieser Stunde wieder fest- (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der stellen kann. Dafür möchte ich mich bei allen bedan- SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ken, vorzüglich dem Rechtsausschuß, danach dem Innenausschuß, dann aber auch dem ganzen Hause. Wir haben ja viele Dinge zusammen getan, gelegent- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Lieber Herr Kol- lich auch außerhalb unseres Landes. Das wird immer lege Kleinert, das war Ihre letzte Rede in diesem wieder kritisiert, aber sehr zu Unrecht; Bundestag. Sie gehören dem Bundestag seit 1969, also seit fast 30 Jahren, an. Sie waren lange Zeit der (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr wahr!) rechtspolitische Sprecher der F.D.P.-Fraktion. Sie ha- denn wir hätten sonst den einen weniger schätzen ben an unendlich vielen Entscheidungen und Kom- gelernt, und wir hätten vielleicht auch bei manchem promissen mitgewirkt, und Sie haben unendlich viele anderen nicht so früh erkannt, daß er wirklich ein be- Reden hier frei gehalten, was nicht ganz selbstver- sonders krummer Haken ist. ständlich ist. Sie haben sich große Verdienste um den Bundestag erworben. Wir bedanken uns ganz herz- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - lich bei Ihnen. Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Ein paar davon kenne ich!) (Beifall im ganzen Hause) Bei all diesen Unternehmungen haben wir uns min- Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention dem destens angenehm kollegial und in vielen Fällen Abgeordneten Otto Schily, SPD. auch freundschaftlich verhalten und sind uns so be- gegnet. Otto Schily (SPD): Frau Präsidentin! Herr Kollege Wir haben festzustellen, daß die Idee, Politiker wä- Kleinert, erlauben Sie mir, ein paar Worte zu Ihnen ren in besonderem Maße anfällig dafür, sich nicht für zu sagen. Wir kennen uns eine Weile aus den ihr dummes Geschwätz von gestern zu interessieren, verschiedensten parlamentarischen Situationen. Ich Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23113

Otto Schily glaube, wir übertreiben nicht, wenn wir Sie als einen Union und SPD, Herr Schily, so, als wären ausgerech- der großen Parlamentarier dieses Hauses würdigen. net diese Opfer der sozialen Ausgrenzung, wie Flüchtlinge, Migranten und Obdachlose, die Haupt- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem verursacher von Kriminalität. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.) Wir verdanken Ihnen viele sachkundige, auch hei- Aber als erstes müssen wir die gesellschaftlichen tere Beiträge, die manchmal, wenn so etwas wie Ursachen von Kriminalität erkennen und bekämpfen. Kampfstimmung entstand, die Atmosphäre etwas ge- Das ist hier bereits gesagt worden; ich habe das sehr löst haben. Sie sind einer der markanten Persönlich- wohl gehört. keiten dieses Hauses. Mein ganz großer Respekt und Herr Schily, man darf aber nicht nur auf die Bun- Dank gilt Ihnen für diese Arbeit. Ich hoffe, daß wir desregierung schauen; vielmehr muß man auch Ihre Ihnen freundschaftlich verbunden bleiben. Länderregierungen angucken. Ich vermag leider Danke schön. kaum einen Unterschied zwischen der Politik Ihrer Partei und der der Bundesregierung zu erkennen. (Beifall im ganzen Hause) Man kann nicht nur darüber jammern, daß die Rei- chen immer reicher werden; vielmehr muß man Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat Reichtum tatsächlich auch begrenzen, damit Armut jetzt die Abgeordnete Ulla Jelpke, PDS. bekämpft wird. (Beifall bei der PDS) Ulla Jelpke (PDS): Frau Präsidentin! Meine Damen 1993 sind an der deutschen Ostgrenze bzw. im Mit- und Herren! Der Wahlkampf, den wir hier in den telmeer Tausende von Flüchtlingen und Migranten letzten drei Tagen erlebt haben bzw. in den Städten elendig umgekommen. Ungeachtet dessen geht die und in den Straßen erleben, ist davon geprägt, daß polizeiliche Menschenjagd auf Flüchtlinge und Mi- vor wenigen Monaten in Sachsen-Anhalt die rechts- granten auch an den Grenzen, insbesondere an der extremistische DVU vor allem mit Themen aus den Ostgrenze, weiter. Sicherheitsnetze und Schleier- Bereichen innere Sicherheit, Rassismus und Auslän- fahndung fördern rassistisches Vorgehen der Polizei. derfeindlichkeit entsprechend Stimmen gewonnen Der erste Berliner Polizeikessel zeigte uns die Aus- hat. wirkungen des Bundesgrenzschutzgesetzes, daß Wenn man die Plakate der Unionsparteien und nämlich „ausländisch aussehende Menschen" - so auch die der SPD betrachtet, dann finde ich es er- heißt es in diesem Gesetz - selektiert und entspre- schreckend, wie viele Parolen sich inzwischen im chend kriminalisiert und diskreditiert werden. Wahlkampf ähneln. „Kriminelle Ausländer raus - Zur Zeit zieht durch dieses Land eine Karawane aber schnell!" Ihr Kanzlerkandidat Schröder nennt von Flüchtlingen und deutschen Unterstützerinnen die Dinge gleich beim Namen und sagt: Man muß und Unterstützern mit der Parole: Wir haben keine diejenigen Ausländer, die kriminell geworden sind, Wahl, aber wir haben eine Stimme. Wie kann es an- am Kragen packen und rausschmeißen. Ich meine, gehen, daß Menschen, die 30 oder 40 Jahre in diesem daß dieses Verhalten zu einem ganz bestimmten Land leben und arbeiten, nur deshalb, weil sie kei- Klima in diesem Land beiträgt, zu einem Klima, das nen deutschen Paß haben, immer noch kein Wahl- in diesen Tagen im Parlament leider nicht diskutiert recht haben? Warum können diese Menschen nicht wurde. mitbestimmen? Warum können diese Menschen Wenn wir heute auf den Straßen immer wieder Pa- nicht unter der Bedingung an den Wahlen teilneh- rolen wie „Arbeitsplätze zuerst für Deutsche" oder men, daß sie hier wenigstens fünf Jahre ihren Le- „Deutsches Geld für deutsche Arbeitsplätze" lesen bensmittelpunkt haben, wenn sie mitbestimmen und und diese Parolen das Bild der Straßen prägen, dann mitgestalten wollen? Die PDS hat sich natürlich im- muß man sich fragen, ob das nicht eigentlich schon mer wieder dafür eingesetzt. Wir sind der Meinung, die Politik in diesem Land ist und wie es eigentlich daß nur dadurch, daß diese Menschen die gleichen angehen kann, daß diese programmatische Nähe in Rechte wie Deutsche haben, Rassismus und Auslän- der Mitte unserer Gesellschaft dazu führt, daß Rechte derfeindlichkeit in diesem Land bekämpft werden in diesem Land immer mehr akzeptiert werden. können. Ich möchte Sie daran erinnern: Im vergangenen Was lesen wir statt dessen in diesem Haushalt? Jahr, im Jahr gegen den europäischen Rassismus, 32 Millionen DM sollen auch nächstes Jahr wieder gab es in diesem Land 11700 Delikte, die einen für die Vertriebenenverbände ausgegeben werden, rechtsextremistischen bzw. rassistischen Hintergrund die in ihren Reihen rassistische und ausländerfeindli- hatten, 3000 Straftaten mehr als im Vorjahr. Tageszei- che Parolen dulden und offen zulassen, daß die polni- tungen meldeten einen Höchststand rechter Delikte sche und tschechische Grenze in Frage gestellt und seit der Einheit. 1997 wurden zahlreiche Brandan- über diese Länder in hetzerischer Weise berichtet schläge auf Flüchtlingsunterkünfte, auf Kirchen und wird. Trotzdem sollen auch im nächsten Jahr wieder auf Pfarrer, die Kirchenasyl gewährten, verübt. Ich 32 Millionen DM für diese Verbände ausgegeben meine, daß dies für dieses Land ein Skandal ist. werden. Die Kohl-Regierung nutzt die soziale Unsicherheit Ganz zu schweigen von Denkfabriken oder Stif- der Menschen aus, um von den Folgen ihrer sozialen tungen: Die im vergangenen Jahr gegründete und Kahlschlagpolitik abzulenken. In einer an Spießig- mit Finanzmitteln ausgestattete Bismarck-Stiftung keit kaum zu überbietenden A rt und Weise tun wird im kommenden Jahr wieder 4 Millionen DM er- 23114 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Ulla Jelpke halten. Es ist nachgewiesen worden, daß Rechtsex- macht hat, daß sie weiterhin einen revanchistischen tremisten in diesen Organisationen bzw. Stiftungen Weg gegenüber Polen gehen wi ll. Sie hat nämlich ihr Unwesen treiben. wörtlich - auch im Bundestag - gesagt, die Vertrei- bung sei das schlimmste Verbrechen, was jemals (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Quatsch!) Deutschen widerfahren ist. Wie soll jemand, der so - Das ist kein Quatsch. Das kann ich Ihnen nachwei- etwas sagt - dazu brauche ich selber nicht allzuviel sen. Ich habe leider dafür nicht die Zeit, sonst würde zu sagen -, über die NS-Geschichte in diesem Lande ich es hier gerne tun. aufklären? Das ist wohl kaum möglich. Ich kann Ihnen nachweisen, daß sich solche Orga- Meine Damen und Herren, ich weiß, daß meine Re- nisationen und auch die Rechtsextremisten dadurch, dezeit gleich vorbei ist. Lassen Sie mich daher zum daß sie gefördert werden, entsprechend motiviert Schluß sagen, daß Sie eine große Verantwortung für fühlen. Ich meine, daß diese Bagatellisierung mit die Ausgrenzungspolitik tragen, die Sie in den ver- dazu beiträgt, daß nicht ganz ausgeschlossen werden gangenen Monaten und Jahren durch die faktische kann, daß vielleicht im nächsten Bundestag auch Abschaffung des Asylrechts und durch die immer eine rechtsextremistische Partei sitzt. Ich bin er- schärferen Gesetze im Ausländerrecht betrieben ha- schrocken darüber, wie wenig dieses Thema hier ben. Sie haben in diesem Wahlkampf bisher nicht ge- problematisiert wird und wie wenig auf die eigene zeigt, daß Sie den Rechtsextremisten nicht den Weg Politik geschaut wird, um diese Entwicklungen zu weisen bzw. sie zurückweisen wollen. verändern. Ich denke, auch dieser Punkt gehört zur Bilanz ei- ner Haushaltsdebatte und zur Bilanz einer Legislatur- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Frau Abgeord- periode. Ich bedaure wirklich, daß in diesen zwei Ta- nete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord- gen kaum Worte gefallen sind, die verdeutlichen, neten Koppelin? daß Rechtsextremisten in diesem Land nichts zu su- chen haben und daß man sie entsprechend bekämp- Ulla Jelpke (PDS): Ja, gerne. fen muß, (Beifall bei der PDS und beim BÜNDNIS 90/ Vizepräsidentin Michaela Geiger: Bitte schön. DIE GRÜNEN)

Jürgen Koppelin (F.D.P.): Frau Kollegin, ich bin Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ich erteile das Mitglied des Kuratoriums der Bismarck-Stiftung. Die Wort zu einer Kurzintervention dem Abgeordneten Führung besteht aus fünf Personen, nämlich aus dem Max Stadler, F.D.P.-Fraktion. früheren Bundesfinanzminister Stoltenberg, dem frü- heren Bundesfinanzminister Matthöfer, meiner Per- Dr. Max Stadler (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine son und zwei Mitgliedern der Familie Bismarck. Kön- lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin nen Sie vor diesem Hintergrund Ihre Behauptung Jelpke hat sich mehrfach in ihrem Beitrag auf die aufrechterhalten, daß sich in dieser Bundesstiftung Rede von Otto Schily bezogen, der momentan nicht Rechtsextreme tummeln? im Plenarsaal ist. (Zuruf von der SPD: Er kommt gleich!) Ulla Jelpke (PDS): Sie wissen, daß die Bismarck- Stiftung aus dem Bismarck-Bund hervorgegangen Ich möchte daran anknüpfen und anregen, ob wir ist. nicht nach dem Wahlkampf in aller Ruhe darüber dis- kutieren und uns einigen sollten, wie wir den von (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Das ist dummes Herrn Schily gebrauchten Begriff des Grundrechts Zeug!) auf Sicherheit, den er aus der Menschenrechtskon- - Natürlich kann ich Ihnen an Hand von Personen vention zitiert hat, zutreffend und präzise gebrau- und Inhalten belegen, daß Teile dieses Bismarck- chen. Der deutschen Grundrechtstradition ent- Bundes in diese Stiftung eingegangen sind. spricht es bekanntlich, daß die Grundrechte als Ab- wehrrechte gegen staatliche Maßnahmen konzipiert (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Das ist dummes sind. Was Herr Schily gesagt hat, paßt also nicht so Zeug!) recht in diesen Rahmen hinein. Ich bin gerne bereit, Ihnen dieses Material zukom- Grundrechte sind zudem dadurch gekennzeichnet, men zu lassen, damit Sie das nachvollziehen können. daß man gerichtlichen Beistand anrufen kann, um sie (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Das stimmt nicht! durchzusetzen. Es erscheint mir sehr fraglich, ob im - Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Dann sogenannten Status positivus tatsächlich gerichtlich kriegen Sie die Parteizeitung der PDS, da einklagbare Ansprüche gegen den Staat bestehen steht das alles drin!) können, etwa bestimmte Maßnahmen zur Aufrecht- erhaltung der inneren Sicherheit zu treffen. Nach Sie können im übrigen auch in Anfragen an den Bun- meinem Verständnis ist es deswegen der präzisere destag nachlesen, daß das zweifellos der Fall ist. Sprachgebrauch, von einer Grundpflicht des Staates Ich brauche aber bloß Ihre Kollegin E rika Stein- zu sprechen. Es herrscht herkömmlicherweise völlige bach zu zitieren, die im Sommer - das hat ja gerade Einigkeit darüber, daß es geradezu einer der Staats- mein Kollege Winni Wolf hier dargelegt - für entspre- zwecke ist, Sicherheit, auch innere Sicherheit, -zu ge- chende Skandale gesorgt hat, indem sie deutlich ge- währleisten. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23115

Dr. Max Stadler Möglicherweise ist dies nur ein Streit um Worte. Rechtspolitik überhaupt nicht denkbar. - Herzlichen Wenn dieser Beg riff nur in Wahlkampfzeiten ge- Dank also auch von dieser Seite. braucht wird, um eine bestimmte politische Zielset- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne zung zu definieren, dann wäre dagegen nichts einzu- ten der CDU/CSU) wenden. Aber wenn man diesen Begriff juristisch präzise gebrauchen und ernst nehmen würde, dann Meine sehr verehrten Damen, meine Herren; ich würde sich als nächstes die Frage nach der Konkur- will hier vorwiegend für den engeren Bereich der Ju- renz von Grundrechten stellen. In diesem Zusam- stizpolitik sprechen. Es ist schon bemerkenswe rt, menhang müßte man die Frage beantworten, wie ein welch eindrucksvolle Bilanz diese Koalition vorlegen solches Grundrecht auf Sicherheit in Konkurrenz zu kann. Bemerkenswert ist auch - Herr Schily ist nicht anderen Grundrechten stünde, etwa beispielsweise mehr da; zu dem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Woh- tz Rudolf Körper [SPD]: Kommt wieder!) nung. An diesem Beispiel erkennt man, daß diesem (Fri Begriff eine praktische politische Bedeutung zu- ich will das dennoch aufgreifen -, daß für weite Teile kommt. Daher habe ich mich zu Wort gemeldet. dieser Arbeit die Zustimmung der größten Oppositi- onsfraktion gewonnen werden konnte. Nur durch Ist es nicht so, daß es ganz selbstverständlich die eine solche Gemeinsamkeit waren diese Dinge mei- Aufgabe, die Pflicht und der Zweck des Staates ist, stens möglich. innere Sicherheit zu gewährleisten? Zu diesem Zweck gibt er etwa der Polizei und der Justiz be- Aber ebenso ist es ein Faktum, daß Grüne und PDS stimmte Eingriffsbefugnisse an die Hand. Diese Ein- - auch das spricht Bände - sich beharrlich jedem griffsbefugnisse finden wiederum ihre Grenze in den noch so kleinen Schritt zur Kriminalitätsbekämpfung verschiedenen Grundrechten. Zum einen dürfen verweigert haben. Wie auf dieser Basis Rotgrün ir- diese Grundrechte überhaupt nicht eingeschränkt gend etwas zur Förderung der inneren Sicherheit werden, wie etwa die Menschenwürde oder aber das beitragen könnte, ist mir völlig schleierhaft. formelle Hauptgrundrecht auf Anrufung eines Ge- Von Reformstau konnte jedenfalls auf dem Feld richtes. Zum anderen besteht eine Konkurrenz zu der inneren Sicherheit überhaupt nicht die Rede Grundrechten, wie etwa' dem Grundrecht auf Unver- sein, und zwar nicht nur auf strafrechtlichem Gebiet, letzlichkeit der Wohnung. sondern auf anderen Feldern ebenso; ich denke nur - ich erwähne es ausdrücklich - an das Familienrecht, innerhalb dessen wir unter anderem die große Kind- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Denken Sie an schaftsrechtsreform zustande gebracht haben, aber die Zeit! auch an das Prozeß- und vor allem das Wirtschafts- recht, wo eine Reihe von wichtigen Reformstücken zustande gebracht worden sind. Das ist ein erfreuli- Dr. Max Stadler (F.D.P.): In diesem Fall muß eine ches Stück Bilanz am Ende der Legislaturpe riode. Abwägung der notwendigen Maßnahmen, die taug- lich sind und die den geringstmöglichen Eingriff dar- Ich will aber doch - weil das bei der ganzen Dis- stellen, stattfinden. Das ist das grundrechtlich abge- kussion hier im Mittelpunkt gestanden hat - vorwie- sicherte Prinzip der Verhältnismäßigkeit. gend auf das strafrechtliche Feld zu sprechen kom- men. Mein Reformprogramm für diese Legislaturpe- Ich glaube, wenn einmal der Pulverdampf des riode findet sich im Bundesgesetzblatt. Mein Reform- Wahlkampfes verflogen ist, dann sollten wir über den programm für die nächste Legislaturpe riode wird präzisen Sprachgebrauch und die politischen Folgen hierauf aufbauen und umfaßt schlicht zweierlei: zum miteinander sine ira et studio diskutieren. einen die Justizreform - inklusive der Juristenausbil- dungsreform - sowie zum anderen den Ausbau des gemeinsamen europäischen Rechtsraumes. Vizepräsidentin Michaela Geiger: Da der Adressat Zurück zur Kriminalitätsbekämpfungspolitik und nicht anwesend ist, gibt es keine Antwort auf diese den dazu in den zurückliegenden Monaten gegebe- Kurzintervention. nen Impulsen, zumindest zu jenen, die unter der Führung des BMJ, des Bundesministers der Justiz, Ich erteile jetzt das Wort dem Bundesminister der gegeben worden sind. Justiz, Edzard Schmidt-Jortzig. Erstens. Seit April ist mit dem 6. Strafrechtsreform- gesetz eine grundlegende Reform in Kraft. Sie hat im Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Bundesminister der Strafgesetzbuch Wertungen aus der Kaiserzeit korri- Justiz: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! giert. Seit mehr als 125 Jahren ist das nun endlich zu- Auch mir liegt es am Herzen, zunächst ein Wo rt des stande gebracht worden. Immateriellen Rechtsgü- Dankes an die Adresse von Detlef Kleine rt zu richten, tern, wie Leben, körperliche Unversehrtheit und se- und zwar - ohne daß ich mich vergewissert habe, ob xuelle Integrität, wurde ein höheres Gewicht gegen- ich das tun darf - für sämtliche Justizminister seit über materiellen Rechtsgütern, wie etwa wirtschaftli- 1969. Ich jedenfalls habe ihn in meinem Amt als ei- chen Interessen, verliehen. Wir haben damit, so nen ganz großartigen Ratgeber, vor allen Dingen glaube ich, ein eindeutiges und klares Signal gegen aber auch als jemanden erlebt, der ganz praktisch- Gewalt gesetzt; denn die zunehmende Gewaltbereit- Kompromisse schmieden kann. Ohne eine solche Fä- schaft ist eines der dramatischsten Entwicklungszei- higkeit und ohne dera rtige Leistungen und Hilfen ist chen in der Kriminalität. 23116 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Bundesminister Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Zweitens. Seit Anfang dieses Jahres ist das Gesetz die Wege geleitet, nämlich die Kommission für die zum Schutz vor Sexualstraftaten in Kraft. Es wird die Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems. Sicherheit vor einschlägig vorbestraften Tätern nach- Wahrscheinlich werden uns nun eine ganze Menge haltig erhöhen. Auch daran sieht man, daß manches interessanter Diskussionsanstöße auf den Tisch ge- nette Wort, was von den Grünen zur Prävention ge- legt: über den überwachten Hausarrest, den Führer- kommen ist, absolut an der Realität vorbeigeht. Oh- scheinentzug auch bei Nichtverkehrsdelikten, die nehin ist bemerkenswe rt, daß Sie, Frau Müller, bei Strafbarkeit juristischer Personen, die Schadenswie- diesem Thema für die Grünen gesprochen haben. dergutmachung, die gemeinnützige Arbeit und man- Mir ist nicht bewußt, daß Sie Mitglied im Rechtsaus- ches mehr. Diese Vorschläge, wenn sie schlüssig und schuß, daß Sie Mitglied im Innenausschuß sind. verfolgenswert sind, werden wir in der kommenden (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Das hat man an Legislaturperiode umzusetzen haben. der Rede gemerkt!) So wichtig diese Reformen waren und so wichtig Ihre Praktiker, die daran arbeiten, schienen nicht in Reformen des Gesetzesrechts generell sind, so wenig der Lage zu sein, Beiträge zu dieser Debatte zu lie- nützt es, wenn sie sich nur auf bedrucktem Papier fern. finden. Entscheidend ist ihre Umsetzung durch die Polizeien, durch die Justizen der Länder. Und hier Drittens. Als flankierende Maßnahme wird das hapert es. Wir haben in Deutschland kein Gesetzes- Zeugenschutzgesetz den Einsatz von Videotechnolo- defizit mehr, sondern ein Vollzugsdefizit. gie ermöglichen, um den traumatisierten, jedenfalls gedemütigten Opfern die Konfrontation mit ihrem Ich will es mir ersparen, den mir in Zahlen vorlie- Peiniger im Gerichtssaal zu ersparen. genden Vergleich etwa zwischen Niedersachsen und anderen norddeutschen Ländern oder Bayern und Viertens. Eine weitere flankierende Maßnahme ist Baden-Württemberg hier vorzutragen. das DNS-Identifizierungsgesetz; Herr Kollege Kan- ther hat schon darauf abgehoben. Es wird die Aufklä- (Otto Schily [SPD]: Rheinland-Pfalz! Da rungsarbeit bei schweren Verbrechen deutlich ver- haben wir F.D.P.-Verantwortung!) bessern. - auch mit Rheinland-Pfalz;' das ginge auch im Be- Fünftens. Dem organisierten Verbrechen sind wir reich der Justiz. mit einem ganzen Paket von Gesetzen zu Leibe ge- rückt. Die akustische Wohnraumüberwachung zu Stichwort: beschleunigte Verfahren. Man kann in Beweiszwecken, wie wir es jetzt korrekt und vorneh- der Tat feststellen, wie viele Straftaten pro 100 000 mer ausdrücken, hat zwar den meisten Staub aufge- Einwohner wo geschehen sind. Das alles ist hochin- wirbelt, weil wir uns anfänglich in einigen weltan- teressant und belegt, daß wir die Länder, insbeson- schaulichen Schützengräben gegenübergelegen ha- dere die, deren Ministerpräsidenten im Wahlkampf ben. Viel wichtiger aber werden die Maßnahmen zur den Mund besonders voll nehmen, immer wieder Bekämpfung von Geldwäsche und Korruption daran erinnern müssen, daß es ihre Aufgabe ist, die Bundesgesetze umzusetzen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und vor allen Dingen der erleichterte Zugriff auf das (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) verdächtige Vermögen sein. und für die Leistungsfähigkeit der Umsetzungsappa- In diesem Zusammenhang ist bereits seit Mai das rate zu sorgen. Experiment in Kraft, die Finanzbehörden mit in die Wenn es richtig ist, daß die innere Sicherheit eine Pflicht zu nehmen. Es wird hochinteressant sein, wesentliche Rolle bei der Entscheidung des Wählers durch die jetzt sogar durch die Verfassung vorge- am 27. September spielt - man könnte gewisse Zwei- schriebene Berichtspflicht den Nachweis zu erhalten, fel daran haben, wenn man sich das große Echo auf ob wir hier in irgendeiner Weise weiterkommen. Ich die Debatte hier im Plenum vor Augen führt -, dann bin da sehr optimistisch. glaube ich jedenfalls, daß zur Kenntnis genommen Schließlich und endlich will ich darauf hinweisen, wird, daß diese Koalition ihre Aufgabe bezüglich der daß ich in Rom bei der Schaffung des ständigen In- Gesetze gut erfüllt hat und da, wo weiterhin Reform- ternationalen Strafgerichtshofes für die deutschen bedarf besteht, Reformen entschieden und, wie ich Interessen eingetreten bin und daß ich es für einen meine, auch zielführend in Angriff genommen hat. ganz großen Fortschritt halte, daß wir die Einrichtung Im übrigen sind die Vollzugsdefizite von anderen zu eines solchen Strafgerichtshofes erreicht haben. verantworten, die jetzt in die Bundespolitik drängen. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Ich hoffe, der Wähler wird das alles in Ruhe und in ten der SPD) Sorgfalt und sehr kritisch beurteilen und danach Nur wenn wir es schaffen, zumindest für die Kernver- seine Stimmentscheidung treffen. brechen eine weltweite Strafverfolgung zu organisie- Vielen Dank. ren, werden wir dem Gedanken des Rechts als re- gelnder Norm in der Welt gerecht und uns als Garant (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) von Weltinnen- und -friedenspolitik ernsthaft Gehör verschaffen können. Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat Meine Damen und Herren, für die nächste Legisla- jetzt der Abgeordnete Norbe rt Geis, CDU/CSU-Frak- turperiode haben wir bereits etwas Maßgebliches in tion. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23117

Norbert Geis (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine In diesen Zusammenhang gehört ferner, daß wir sehr verehrten Damen und Herren! Auch seitens der vor der Alltagskriminalität nicht zurückweichen dür- CDU/CSU-Fraktion herzlichen Dank an Detlef Klei- fen. für die langjährige Zusammenarbeit in der Ko- nert (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) alition. Es darf nicht sein, daß wir den Ladendiebstahl baga- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) tellisieren. Es darf auch nicht sein, daß wir den Ge- Wir haben in der Rechts- und in der Innenpolitik brauch von Rauschgift, auch in kleineren Mengen, vieles zuwege gebracht. Man kann darüber streiten, bagatellisieren. Hier muß in der Tat Nulltoleranz ob das alles immer richtig gewesen ist. Aber vieles ist herrschen. geschehen. Vieles wäre aber nicht geschehen ohne die Unterstützung, die kluge Verhandlungsführung (Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE und die Durchsetzungsfähigkeit von Detlef Kleine rt GRÜNEN]: 1500 Drogentote!) in der eigenen Fraktion; das muß gesagt werden. - Liebe Frau Müller, Sie müßten nach Schweden ge- Ohne seine Durchsetzungsfähigkeit und das gute hen. Dort gab es einmal eine Politik, die genau der Zusammenspiel wäre dies alles nicht möglich gewe- Politik entsprach, die Sie heute hier von uns gefor- sen. Wenn es wirklich einmal nicht weitergegangen dert haben. Es gab eine Kehrtwende: Vor zehn Jah- ist, dann gab es oft genug Runden in ganz p rivatem ren ist man dort zurückgekehrt zu einer Nulltoleranz. Kreis mit Erwin Marschewski, Detlef Kleine rt und Es gibt nicht einmal gegenüber dem Eigengebrauch meiner Wenigkeit. Dort haben wir immer einen Weg eine Duldung des schwedischen Staates. Mit dieser gefunden. Ich werde dies und diese Freundschaft in Politik hat Schweden große Erfolge erreicht. der nächsten Legislaturpe riode sehr vermissen. Wir wünschen dir, lieber Detlef, a lles Gute für die Zu- Ich glaube, daß wir uns in einzelnen Ländern vor- kunft. zuwerfen haben, daß wir, wenn die Rauschgiftkrimi- nalität um sich greift, zu lasch sind. Wenn wir nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) so lasch wären, wenn wir stärker vorgehen würden, Ich möchte einen Gedanken aufgreifen, den vorhin dann hätten wir in diesem Bereich und auch in ande- Frau Jelpke genannt hat. Es ist richtig: Die innere Si- ren Bereichen weniger Kriminalität. Das jedenfalls cherheit ist nicht nur ein Thema für die Rechtspar- beweisen die Zahlen aus Bayern und Baden-Würt- teien. Die innere Sicherheit war immer Thema in die- temberg. Wir haben in Bayern und Baden-Württem- sem Haus, Thema für alle politischen Parteien, die berg in der Tat die niedrigste Kriminalitätsrate im hier in diesem Haus vertreten sind. Wir haben in die- ganzen Bundesgebiet. sem Bereich - das ist heute oft genug gesagt worden Hierher gehört natürlich auch die Aufklärungs- - gemeinsam vieles über die Parteigrenzen hinweg quote. zustande gebracht. Es ist ein Thema für die Bevölke- rung insgesamt. Ich glaube, daß wir uns hier keine (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr Versäumnisse vorwerfen zu lassen brauchen, auch wahr!) nicht vorwerfen lassen dürfen, denn jedes Versäum- Es ist von entscheidender Bedeutung, daß wir zu ei- nis führt sofort zu einem Anwachsen der Kriminalität, ner noch größeren Aufklärungsquote kommen; denn weil dies von den Straftätern sofort ausgenutzt wird. der Täter liest in der Tat nicht das Strafgesetzbuch, Es führt zu einer Verunsicherung in der Bevölkerung sondern er kalkuliert, ob er entdeckt wird oder nicht. und dann wiederum zum Anwachsen des Extremis- Wenn die Gefahr groß ist, daß er entdeckt wird, dann mus auf linker und rechter Seite. wird er es unter Umständen lassen. Deswegen ist die Meine sehr verehrten Damen und Herren, es darf Aufklärungsquote die beste Prävention. Hier ist nicht im Bereich der inneren Sicherheit keine rechtsfreien zuletzt auf Drängen des Bundesministers in der In- Räume geben. Es darf nicht sein, daß die Polizei nenministerkonferenz die Aufklärungsquote in der kläglich vor Gewalt zurückweicht. Die Polizei und Vergangenheit entscheidend angestiegen. Wir liegen die Behörden müssen in der Tat den starken Staat re- jetzt bei 50 Prozent. Aber der Unterschied zwischen präsentieren, weil sonst bei gewaltsamen Demonstra- den Bundesländern ist noch zu groß. Wir haben in tionen, bei Massenansammlungen oder in Fußball- Bayern eine Aufklärungsquote von 64,3 Prozent. In stadien Gewalt um sich greift. Hier muß die Polizei dem Gebiet am Untermain, aus dem ich komme, liegt präsent sein. Deswegen brauchen wir in allen Län- sie sogar bei 70 Prozent. dern den Unterbindungsgewahrsam. Diese Forde- (Peter Conradi [SPD]: Aber nicht bei Steuer rung ist über die Parteigrenzen hinweg gestellt wor- vergehen!) den, als die deutschen Hooligans in Frankreich ihre Untaten begangen haben. - Auch bei Steuervergehen, lieber Herr Conradi. Da sind Sie völlig falsch informiert. Das wird von Ihnen Wir sollten uns aber auch dann gegen die Polemik immer als Alibi benutzt. Es geht um die Aufklärung der Bedenkenträger wenden, wenn nicht so spekta- von Verbrechen und Kriminalität, wozu auch Ver- kuläre Vorkommnisse zu vermelden sind, bei denen stöße gegen das Steuerstrafrecht gehören. es aber trotzdem zum Gebrauch des Unterbindungs- gewahrsams kommt. Wenn dann behauptet wird, wir Insbesondere in den Ländern, die von der SPD re- hätten es mit einem Polizeistaat zu tun, kann man giert werden, muß mehr für die Aufklärung von nur sagen: Das ist nicht der Fall. Wir brauchen den- Straftaten getan werden. Die Zahlen jedenfalls spre- Unterbindungsgewahrsam, um Gewalttaten von chen gegen die von der SPD regierten Länder. Dazu vornherein im Keim zu ersticken. gehört, daß die Polizei entsprechend ausgestattet 23118 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Norbert Geis sein muß. Es muß möglich sein, daß die Polizei schon wurde ja in der Vergangenheit sehr stark angegrif- am Tatort alle Informationen abrufen kann, die ir- fen. Aber dann, wenn alles versagt hat, wenn das gendwo im Computer gespeichert sind, und daß ein Kind oder der Jugendliche nicht aufhört, straffällig Verbund zwischen Polizei, Staatsanwaltschaften, Ge- zu werden, wenn er an keinem Kaufhaus vorbeige- richten und auch Justizvollzugsanstalten in den Län- hen kann, ohne etwas „mitgehen" zu lassen, wenn dern besteht. er den Drogen ausgesetzt ist und wenn die Eltern Wir haben jedenfalls mit der Einrichtung der Gen- versagen, dann ist es notwendig, daß wir als letztes datei und dem DNA-Identifizierungsgesetz kurz vor Mittel auch die Möglichkeit haben, solche Kinder der Sommerpause einen wesentlichen Beitrag dazu und Jugendliche in einem geschlossenen Heim un- geleistet, daß es den Sexualstraftätern im Wiederho- terzubringen und sie auf diese Weise von der Straße wegzubringen. lungsfall sehr schwerfallen wird, sich zu verbergen. Das ist meiner Meinung nach ein ganz entscheiden- Zum repressiven Bereich will ich noch folgendes der Schritt nach vorne. sagen. Es ist wirklich diskussionswürdig, ob es rich- tig ist, wenn es gang und gäbe wird, bei (Beifall bei der CDU/CSU) Heranwach- senden das Jugendstrafrecht anzuwenden. Es stellt Es gehört dazu, daß wir eine stärkere Präsenz der sich auch die Frage, ob nicht das Strafmaß bei Heran- Polizei vor Ort haben. Wir haben die Erfahrung ge- wachsenden, die schwerste Straftaten begehen, von macht, daß eine solche Präsenz präventiv wirkt. Vor- 10 auf 15 Jahre Freiheitsentzug erhöht werden sollte. hin ist Frankfurt genannt worden. Es gab dort stän- Es ist nicht einzusehen, daß ein 20jähriger mit 10 Jah- dig Raubüberfälle in U-Bahn-Stationen. Dann hat ren Freiheitsentzug für einen Mord bestraft wird, man am Ende und am Anfang eines solchen U-Bahn- während der 21jährige Mittäter lebenslänglich be- Schachtes Polizisten hingestellt, und die Raubüber- kommt. Hier muß umgedacht werden, zumindestens fälle haben aufgehört. Vorher sind die Jugendlichen müssen wir das stärker diskutieren. Natürlich ist an älteren Damen vorbeigerast, haben ihnen die auch die Frage des Führerscheinentzugs bei Jugend- Handtasche weggerissen und sind irgendwo im Ge- lichen, die gerade den Führerschein gemacht haben, tümmel verschwunden. Das ist vorbei. Die Präsenz auch dann zu diskutieren, wenn sie kein Straßenver- der Polizei bewirkt, daß bei Gewalttaten, aber auch kehrsdelikt begangen haben. bei ganz einfachen Delikten die Straftäter sich von In der vergangenen Legislaturpe ri vornherein überlegen, ob sie es wagen sollen oder ode haben wir einiges zuwege gebracht. Wir können hier nur Ge- nicht. setze machen. Die Länder müssen sie durchführen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, in die- Soweit sich uns die Aufgabe gestellt hat, zu reagie- sem Zusammenhang das Stichwort Sicherheits- ren und vielleicht auch zukünftige Entwicklungen zu wacht, das oft belächelt wird: Ich glaube, es ist ein beeinflussen, sind wir ihr in dieser Legislaturperiode richtiger Weg, wenn zivile Personen in die öffentliche gerecht geworden. Dafür herzlichen Dank an den Ju- Sicherheit und in die Einhaltung der öffentlichen stizminister, an den Innenminister und an das ganze Ordnung eingebunden werden. Hier beschreitet Haus. Bayern einen guten Weg; dies ist auch ein Vorbild für Danke schön. andere Bundesländer. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ein Wort zur Jugendkriminalität, weil uns ständig erschreckende Statistiken von den zuständigen Be- hörden auf den Tisch kommen. Bei der Jugendkrimi- Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat nalität ist das wichtigste die Prävention. Darüber jetzt der Abgeordnete Erwin Marschewski, CDU/ brauchen wir nicht zu streiten; das ist übereinstim- CSU-Fraktion. mende Meinung. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aber (Zuruf von der SPD: Sehr gut! Arbeitsplätze jetzt bitte nicht noch einmal das gleiche!) und Ausbildungsplätze!) Es geht darum, daß die Jugendämter, die Kommunen Erwin Marschewski (CDU/CSU): Frau Präsidentin! und Schulen zusammenarbeiten, daß Gespräche von Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer Gutes Polizei und Jugendamt mit den Jugendlichen statt- tut, sollte auch darüber sprechen. Das ist notwendig, finden, um Gewalt zu verhindern und schon im Keim um den Menschen draußen zu zeigen, wer wirklich zu ersticken. In den Bereich der Jugendhilfe gehören Probleme gelöst hat, Herr Kollege. insbesondere die gerichtlichen Maßnahmen, die wir (Wilhelm Schmidt [Salzgitter]: [SPD]: Aber nach dem Jugendgerichtsgesetz bereits haben; ich den gleichen Unsinn dreimal, das ist wirk denke an Trainingskurse, an den Täter-Opfer-Aus- lich übertrieben!) gleich, an Arbeitsleistungen. Diese Dinge gehören Die heutige Debatte hat gerade gezeigt, daß CDU schon zur Prävention. Dazu gehört auch die Verant- wortung der Medien. Es ist völlig klar, daß exzessive und CSU die Parteien der inneren Sicherheit sind. Gewaltszenen einen Nachklang bei gewaltbereiten Wir beweisen dies erneut mit diesem Etat. Jugendlichen haben oder zumindest Gewaltbereit- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das schaft wecken. habe ich befürchtet!) - Noch ein Wort zur Unterbringung von jugendli- Wir haben Schwerpunkte innerhalb dieses Etats zu chen Straftätern und straffällig gewordenen Kindern gunsten des Bundeskriminalamtes, des Bundes in sogenannten geschlossenen Heimen; auch das grenzschutzes und der Bereitschaftspolizeien der Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23119

Erwin Marschewski Länder gesetzt, weil wir einfach garantieren wollen, Erwin Marschewski (CDU/CSU): Sofort. Ich will daß die Bürger in diesem Land weiterhin in Sicher- dies eben zu Ende ausführen. - Unsere Politik hatte heit leben können, weil wir den Gangstern Paroli bie- auch beträchtlichen Erfolg. Der Anstieg der Krimina- ten wollen und weil wir die organisierte Kriminalität lität ist gebremst. Die Kriminalität steigt nicht, sie bekämpfen wollen, die oft mit der Alltagskriminalität geht, Frau Kollegin, seit zwei Jahren zurück, und - zusammenhängt. was besonders wichtig ist und immer wiederholt wer- den muß - die Aufklärungsquote liegt bei über Eines ist übrigens falsch, Frau Kollegin Müller: Die 50 Prozent, ist also so hoch wie seit 25 Jahren nicht Beschaffungskriminalität beträgt vielleicht 2 bis mehr. Unsere Politik hatte Erfolg. 3 Prozent und nicht 50 Prozent. Das ist völlig falsch. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Darüber hinaus wollen wir - da sind wir, Herr Kol- lege Schily, in diesem Hause sicherlich einer Mei- Bitte schön, Herr Kollege. nung - das Rechtsbewußtsein verbessern. Deswegen ist es eben falsch, Kriminalität und Rechtsbrüche zu Hans-Peter Kemper (SPD): Herr Kollege Mar- verharmlosen. Deswegen ist es eben falsch, Gewalt- schewski, da wir uns im Innenausschuß immer gut taten zur Durchsetzung politischer Ziele zu akzeptie- verstanden haben, will ich nicht, daß Sie mit einem ren. Deswegen ist es falsch, wenn in Nordrhein großen Irrtum in die neue Legislaturpe riode gehen. Westfalen, aber auch in Schleswig-Holstein und in Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß nicht anderen Ländern sogenannte Bagatelldelikte oft 60 Prozent der ausländischen Mitbürger organisierte nicht mehr verfolgt werden. Wer das hinnimmt, der Kriminelle sind, sondern daß die organisierte Krimi- schafft einen Anreiz, kriminell zu werden, er erhöht nalität zu 60 Prozent in den Händen von Ausländern die Furcht der Bevölkerung vor Verbrechen, und er liegt? verführt Minderjährige. Ich weiß natürlich, daß die Erziehung ausgespro- Erwin Marschewski (CDU/CSU): Ich habe Sie im- chen wichtig ist, gar keine Frage, auch in bezug auf mer für einen intelligenten Kollegen gehalten. Ich die Prävention. Man muß den jungen Leuten sagen, tue das auch weiterhin. Aber dies müssen Sie bewußt was sie machen dürfen und was sie nicht machen falsch verstanden haben: dürfen. Man muß den jungen Menschen insbeson- (Widerspruch bei der SPD) dere in den Familien und Schulen sagen, daß sie das Leben und die Gesundheit anderer schützen müssen 60 Prozent der organisierten Kriminalität liegt in den und fremdes Eigentum zu achten haben. Das ist rich- Händen von Ausländern. Das ist eindeutig. Das ist tig. Gesellschaftliche Ursachen - das weiß ich - spie- das, was ich sage. Das muß man immer wieder sa- len selbstverständlich eine Rolle. Das hat Franz von gen. Liszt schon unterstrichen. Das gilt über die Anomie- (Hans-Peter Kemper [SPD]: Das haben Sie bis hin zur Sozialisationstheorie. Natürlich spielen so nicht gesagt!) gesellschaftliche Zwänge eine Rolle. Das ist gar keine Frage. Aber eines, meine Damen und Herren Ich wiederhole: Unsere Gesetze haben mit dazu bei- von SPD und Grünen, ist auch klar: Trotz dieser ge- getragen, auch dem zu begegnen. sellschaftlichen Zwänge ist jeder für sich selbst ver- Nun komme ich wieder zu Ihnen, Herr Kollege. Sie antwortlich. Deswegen müssen wir neben der Prä- haben für den Wahlkampf ein Positionspapier zur in- vention - Kollege Geis hat das bereits gesagt - auch neren Sicherheit vorgelegt. Grenzen setzen. Nicht Verfahrenseinstellung bei vielfachem Diebstahl, sondern Bestrafung ist das ge- (Zuruf von der SPD: Das ist ein gutes eignete Mittel. Deswegen müssen wir bei Kriminali- Papier!) tät auch bestrafen. Das haben wir gemacht. Man Dieses Papier erweckt sicherlich den Eindruck bzw. muß das, was Bundesminister Kanther vorhin ausge- Sie wollen den Eindruck erwecken, daß Union und führt hat, immer wiederholen. Deswegen haben wir, SPD ähnliche Botschaften verkünden. Sie sprechen auch gegen die Gewalt von rechts und links, das Ver- darin von einer bürgernahen Polizei. Natürlich bin brechensbekämpfungsgesetz geschaffen. Wir haben ich dafür. Sie sprechen von der Modernisierung der uns dadurch entschlossen gegen Kriminalität zur Polizei. Natürlich bin ich dafür. Sie sprechen von ei- Wehr gesetzt: Bekämpfung von Sexualdelikten, Gen- ner schnelleren und spürbareren Reaktion von Poli- datei, Geldwäschegesetz, Zeugenschutzgesetz, Aus- zei und Justiz. Dafür bin ich erst recht; das ist gar länderrechtsnovelle. keine Frage. Es handelt sich um Selbstverständlich- keiten. Was aber auffällt, ist, meine Damen und Her- Man muß einfach sagen dürfen, was richtig, was ren von der SPD: Dafür sind die Länder zuständig, da leider wahr ist, nämlich daß über 60 Prozent der Aus- die Länder für die Polizei zuständig sind. länder an organisierter Kriminalität beteiligt sind. Weiterhin haben wir die Hauptverhandlungshaft ge- Ich sage noch einmal, daß Sie da etwas tun kön- schaffen. Warum haben Sie dazu nein gesagt? Das nen. Natürlich können Sie die Zahl der kriminellen sind Dinge, die wir in dieser Zeit geleistet haben. Taten allein durch Prävention nicht verändern. Das ist sicher nicht denkbar. Aber Sie können besser auf- klären. In meinem Land Nordrhein-Westfalen - ich Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr Abgeordne-- bin stolz darauf, Nordrhein-Westfale zu sein, keine ter Marschewski, gestatten Sie eine Zwischenfrage Frage - liegt die Aufklärungsquote bei schlappen des Kollegen Kemper? 48 Prozent. In Baye rn liegt sie - Glückwunsch an die 23120 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Erwin Marschewski Bayern - bei nahezu 65 Prozent. Herr Kollege Schily, Erwin Marschewski (CDU/CSU): Man kann durch das ist eine wichtige Zahl. Zwischenfragen versuchen, Dinge auf den Kopf zu stellen. Sie wissen genau, daß das Beichtgeheimnis Gestatten Sie bereits jetzt im Grundgesetz geschützt wird. Aber Vizepräsidentin Michaela Geiger: wenn Sie Apotheker, Hebammen, Zeitungsboten als eine Zwischenfrage? Ausnahmen hinstellen, ist das wirklich kein Lausch- angriff. Das ist eine Nullnummer, und dafür tragen Erwin Marschewski (CDU/CSU): Jetzt möchte ich Sie die Verantwortung. Ich sage Ihnen: Wenn wir zu Ende ausführen. nach der Wahl wieder die Mehrheit haben, werden wir das umgehend ändern. Wir werden auch dafür Vizepräsidentin Michaela Geiger: Sie lassen also sorgen, daß die optische Überwachung eingeführt keine Zwischenfragen mehr zu? wird, weil das dringend vonnöten ist. Herr Kollege Schily, ich weiß, was Sie in der letzten Erwin Marschewski (CDU/CSU): Ich überlege mir Debatte zu diesem Thema gesagt haben; ich habe das von Fall zu Fall. Aber Sie haben bereits einmal mir das sogar aufgeschrieben. Sie haben gesagt, Ihr gefragt, Herr Kollege. Sie können vielleicht nachher Verhalten stünde in keiner Weise im Widerspruch zu noch einmal fragen. Dagegen ist nichts zu sagen. dem, was Sie in den Verhandlungen vertreten hätten. Herr Kollege Schily, das ist eine schlechte Ausrede, Herr Kollege Schily, jetzt komme ich zu Ihnen. Der eine schlimme Entschuldigung. Sie haben der inne- Handlungskatalog der SPD zur inneren Sicherheit ren Sicherheit damit einen schlechten Dienst erwie- muß sich an Ihrem tatsächlichen Verhalten messen sen. Sie haben ihr sogar Schaden zugefügt. lassen. Fakt ist: Auch wenn Sie am Ende mehreren Gesetzen zugestimmt haben, haben Sie Gesetze ver- Hinzu kommt - das muß man immer wieder sagen zögert. Dies hat dazu geführt, daß manches nicht in -: Sie wollen eine Koalition mit den Grünen, Herr unserem, aber in Ihrem Sinne entschärft werden Kollege Schily. Jetzt will ich Ihnen mal sagen, wie oft mußte. Ich denke hier an die Hauptverhandlungs- die Grünen nein gesagt haben. haft. (Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Im Ausländerrecht sind wir im Vermittlungsaus- GRÜNEN]: Was sagt denn Herr Hirsch, was schuß zu einem Ergebnis gekommen. Das ist wahr. sagt denn Herr Lambsdorff dazu?) Dafür bin ich Ihnen sehr dankbar. Aber dies wird von - Ich weiß, daß Sie auch neun Kollegen von der F.D.P. den rotgrünen Ländern nicht vollzogen. Es werden haben gewinnen können. Das ist sicherlich richtig; Härtefallkommissionen geschaffen, die das Ganze das ist wahr. Die Grünen haben also mit neun Kolle- auf den Kopf stellen. Das ist das Problem. gen von der F.D.P. - ich bedauere dies - mit der SPD Oder zu Ihrem persönlichen Schicksal, zum soge- und mit der PDS dieses Gesetz gecancelt. Das ist nannten Lauschangriff, dem Einsatz technischer Mit- keine gute Sache - wenn man mit Ihnen auch tel in Gangsterwohnungen. Ausnahmen gibt es für manchmal zusammenarbeiten kann, Herr Schily. Geistliche, Verteidiger, Stenotypistinnen, Zeitungs- Ich komme zu der Koalition mit den Grünen. Die boten, Apotheker, Zahnärzte. Dies haben Sie ge- Grünen haben nein gesagt zum Gesetz zur Bekämp- meinsam mit den Grünen und der PDS, dieser Sicher- fung von Sexualdelikten. Sie haben nein gesagt zum heitskoalition für diese Republik, wie Sie sie wollen, genetischen Fingerabdruck. Sie haben nein gesagt gemacht. zur Hauptverhandlungshaft. Sie haben nein gesagt (Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE zu Europol. Frau Kollegin, ich habe Ihr Programm ge- GRÜNEN]: Und die F.D.P., immerhin! - lesen: Sie wollen die Bereitschaftspolizei abbauen; Abg. Otto Schily [SPD] meldet sich zu einer Sie wollen vor allen Dingen die lebenslange Frei- Zwischenfrage) heitsstrafe für Mörder und Vergewaltiger aufheben. Frau Kollegin, dies ist mehr als ein Skandal. Ich - Herr Kollege Schily, Sie können gleich die nächste denke, daß die deutsche Bevölkerung dies entspre- Frage mit beantworten. Wir haben ein Jahr lang ver- chend würdigen und bei der Wahl beachten wird. handelt. Wir hatten einen gemeinsamen Entwurf, dem Sie zugestimmt haben. Warum haben Sie dazu Meine Damen und Herren, innere Sicherheit ist nein gesagt und diesem Rumpfgesetz zugestimmt? der ständige Versuch, sich dem Verbrechensgesche- hen anzupassen, das heißt, durch Gesetze zu errei- chen, daß wir die Möglichkeit haben, die Gangster Ihre Zwischen- Vizepräsidentin Michaela Geiger: zu bekämpfen. frage, Herr Schily.

Die Frau Abge- (SPD): Ich wi ll die Debatte wahrlich Vizepräsidentin Michaela Geiger: Otto Schily ordnete Müller hat den Wunsch zu einer Zwischen- nicht verlängern, aber ich muß sagen: Soweit ich frage. weiß, sind Sie ein überzeugter Kirchenchrist, Herr Kollege Marschewski. Wollen Sie hier heute wahrlich unsere Entscheidung kritisieren - Sie haben ja die Erwin Marschewski (CDU/CSU): Ich möchte zu Ausnahmebestimmung für Geistliche kritisiert -, daß Ende reden, sonst wird es zu spät, Frau Kollegin. - das Beichtgeheimnis in jeder Weise absolut respek- Wir wollen die optische Wohnraumüberwachung ein- tiert wird? Wollen Sie das wirklich kritisieren? Das führen. Wir wollen bei der Korruptionsbekämpfung kann ich mir gar nicht vorstellen. insbesondere die Telefonüberwachung ermöglichen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23121

Erwin Marschewski Wir müssen auch darüber nachdenken, die Auswei- heißt, daß die Vollstreckung der lebenslangen Haft sungsvorschriften für kriminelle Ausländer zu ver- unterschiedlich gehandhabt wird. Was ich gefordert schärfen. Derzeit sind drei Jahre Freiheitsstrafe erfor- habe, was wir als Bündnisgrüne in unserem Pro- derlich, damit jemand ausgewiesen wird. Ich meine, gramm fordern, ist die Umsetzung dieses Bundesver- es ist vonnöten, diese Zeit beträchtlich herabzuset- fassungsgerichtsurteiles, nichts weiter! zen: auf zwei Jahre oder ein Jahr. Ich sage Ihnen: Wir werden dies tun. Vizepräsidentin Michaela Geiger: Zur Antwort bitte Wir werden in der Innenpolitik weitere Aufgaben Herr Abgeordneter Marschewski. haben. Wir wollen sicherstellen, daß im Internet wie im Mobilfunk, was ganz wichtig ist, kein rechtsfreier Erwin Marschewski (CDU/CSU): Frau Kollegin! Raum besteht. Wir wollen vor allen Dingen Prozesse Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie haben verkürzen. Eines ist besonders wichtig: Wir müssen vorhin gemeint, ich sei ein Kirchgänger. Das ist kein darauf hinwirken, daß Gerichte den Strafrahmen Schimpfwort. Ich meine, es täte dem einen oder an- besser ausschöpfen, als dies bisher geschieht. deren ganz gut, wieder einmal in eine Kirche zu ge- (Beifall bei der CDU/CSU) hen, auch einmal ein bißchen nachzudenken. Ich glaube, das ist eine ganz gute Sache. Es kann doch nicht sein, daß Vergewaltiger und Kin- dermörder schon nach sehr kurzen Haftzeiten frei Ich begrüße, Frau Kollegin, daß Sie klargestellt ha- herumlaufen, Frau Kollegin. ben, daß die Grünen von diesem Beschluß, die le- benslange Freiheitsstrafe für Mörder und Vergewalti- Meine Damen und Herren, ich glaube, mit unseren ger abzuschaffen, nicht abrücken. Ich begrüße die- Initiativen haben wir die Weichen richtig gestellt. Wir sen Beschluß. Ich will das immer wieder der deut- werden auf diesem Weg weitergehen. CDU und CSU schen Bevölkerung sagen. Meine Rechtsauffassung sind die Parteien der inneren Sicherheit. ist eine ganz andere. Herzlichen Dank. (Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU) GRÜNEN]: Gegen das Bundesverfassungs gericht!)

Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ich erteile das Übrigens, wenn Sie sagen, der Kollege Geis habe Wort zu einer Kurzintervention der Abgeordneten sich nicht mit Ruhm bekleckert: Ich vertrete vollkom- Kerstin Müller, Bündnis 90/Die Grünen. men seine Auffassung. Kollege Geis ist ein fähiger Rechtspolitiker, der sich unwahrscheinlich bemüht hat, für die innere Sicherheit in diesem Lande vieles (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kerstin Müller zu tun. Ich bin Norbert Geis sehr dankbar. NEN): Ich weiß, es wollen alle nach Hause. Aber: Herr Marschewski, ich hätte es nicht gedacht, aber (Beifall bei der CDU/CSU - Norbe rt Geis jetzt haben Sie doch noch das Thema „lebenslange [CDU/CSU]: Danke schön!) Haft" angesprochen. Ich möchte das, was Sie dazu behauptet haben, zumindest kurz richtigstellen. Der Vizepräsidentin Michaela Geiger: Weitere Wort Herr Abgeordnete Geis hat sich auch nicht gerade -meldungen zu diesen Themenbereichen liegen nicht mit Ruhm bekleckert, als er vor einigen Wochen dar- vor. über sprach. Das Haushaltsgesetz 1999 und der Finanzplan des Sie wissen ganz genau, Herr Marschewski, daß die Bundes 1998 bis 2002 sollen gemäß § 95 der Ge- lebenslange Freiheitsstrafe in der Bundesrepublik de schäftsordnung an den Haushaltsausschuß überwie- facto längst abgeschafft ist. Das Bundesverfassungs- sen werden. gericht hat schon 1977 entschieden, daß der Resozia- lisierungsgedanke auch beim Vollzug der lebenslan- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Er gen Freiheitsstrafe gilt und daß wegen des Grund- soll umgehend beraten!) rechts der Menschenwürde niemand, auch nicht der- Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. jenige, der zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt Dann ist die Überweisung so beschlossen. ist, bis zum Ende seiner Tage hinter Gittern bleiben muß, ohne daß er die Chance - so das Bundesverfas- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind am sungsgericht im Originalton - zu einer bewährungs- Schluß unserer Tagesordnung und damit am Ende bedingten Entlassung bekommt. Insofern halte ich der voraussichtlich letzten Sitzung der 13. Wahlperi- Ihre Reaktion, mit Verlaub, für eine ziemliche Heu- ode des Deutschen Bundestages. chelei. (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Sie haben den Auftrag des Bundesverfassungsge- Und wir waren dabei!) richtes seinerzeit nicht umgesetzt, was dazu führt - Diese 13. Wahlperiode ist die letzte Wahlperiode, eine unveröffentlichte Studie des Bundesjustizmi- während der der Deutsche Bundestag in vollem Um- nisteriums kommt zu diesem Schluß -, daß wir Ge- fang in Bonn tagt. Hinter uns liegen vier arbeitsrei- rechtigkeit in diesem Land zum Beispiel in Mecklen- che Jahre, Jahre erfolgreicher, manchmal auch müh- burg-Vorpommern und in Sachsen unterschiedlich samer Gesetzgebungsarbeit, handhaben. In Sachsen beträgt die Vollstreckungs-- dauer durchschnittlich 25,5 Jahre, in Mecklenburg- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das Vorpommern sind es durchschnittlich 15 Jahre. Das kann man sagen!) 23122 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Vizepräsidentin Michaela Geiger Jahre kontroverser Debatten, aber vielfach auch des sagen und ihnen Wünsche für ihren Konsenses über die Fraktionsgrenzen hinweg in weiteren Lebensweg mitgeben. grundlegenden Fragen. Ich möchte die in den ver- gangenen vier Jahren geleistete Arbeit zum Anlaß Mein Dank gilt auch den Schriftführerinnen und nehmen, Ihnen allen ganz herzlich für Ihr Engage- Schriftführern und nicht zuletzt den vielen Mitarbei- ment und Ihren Einsatz zu danken. terinnen und Mitarbeitern, die vor und hinter den Kulissen ihren Dienst tun. (Beifall im ganzen Hause) Mein besonderer Dank gilt den vielen Kolleginnen und Kollegen, die dem 14. Deutschen Bundestag Ohne sie könnten wir unsere parlamentarische Ar- nicht mehr angehören werden. Viele von ihnen beit nicht leisten. haben im Parlament, aber auch in der Regierung an herausgehobener Stelle über viele Jahre gewirkt. Wir werden unsere parlamentarische Arbeit im Wenn ich jetzt in den Raum blicke, sehe ich den Herbst in der 14. Wahlperiode fortsetzen. Allen, die Kollegen Dr. Hirsch, den Kollegen Conradi, den Kol- dabeisein werden, wünsche ich eine glückliche legen Kleinert, den Kollegen Dr. Feldmann und den Hand zum Wohle unseres Volkes. Ich hoffe, daß es Kollegen Dr. Weng, die ausscheiden werden. Ich im laufenden Wahlkampf nicht zu viele Blessuren freue mich, daß ich Sie hier noch einmal verabschie- geben wird. den kann. Es ist ja bereits bei den verschiedenen Ab- schiedsreden von hier aus Ihnen allen im Namen des Ich bedanke mich und schließe die Sitzung. Parlaments gedankt worden. Ich wi ll deshalb nicht (Beifall im ganzen Hause) noch einmal auf alle einzelnen eingehen, sondern al- len ausscheidenden Kolleginnen und Kollegen Dank (Schluß der Sitzung: 18.24 Uhr)

Berichtigung Aufgrund einer fälschlichen Handhabung des § 118 LOBT durch den Stenographischen Dienst ist im Stenographischen Bericht über die 246. Sitzung in der Rede von Ministerpräsident Lafontaine (Saar- land) auf Seite 22916 A der dritte Satz im dritten Ab- satz unvollständig wiedergegeben. Er lautet voll- ständig: Deshalb ist das Trio - ich möchte sagen: Trio aso- ziale - Henkel, Stihl und Hundt auch so gegen unsere Politik. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23123*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Liste der entschuldigten Abgeordneten Rupprecht, Marlene SPD 3. 9. 98 entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Scheel, Christine BÜNDNIS 3. 9. 98 90/DIE Adler, Brigitte SPD 3. 9. 98 GRÜNEN Antretter, Robe rt SPD 3. 9. 98 * Schmidbauer (Nürnberg), SPD 3. 9. 98 Horst Bachmaier, Hermann SPD 3. 9. 98 Schönberger, Ursula BÜNDNIS 3. 9. 98 Becker-Inglau, Ingrid SPD 3. 9. 98 90/DIE Brunnhuber, Georg CDU/CSU 3. 9. 98 GRÜNEN Eßmann, Heinz Dieter CDU/CSU 3. 9. 98 Schulte (Hameln), B rigitte SPD 3. 9. 98 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 3. 9. 98 * Seuster, Lisa SPD 3. 9. 98 Frick, Gisela F.D.P. 3. 9. 98 Stiegler, Ludwig SPD 3. 9. 98 Genscher, F.D.P. 3. 9. 98 Welt, Jochen SPD 3. 9. 98 Hans-Dietrich Wöhrl, Dagmar CDU/CSU 3. 9. 98 Gysi, Andrea PDS 3. 9. 98 Haack (Extertal), SPD 3. 9. 98 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Ver- Karl-Hermann sammlung des Europarates Hoffmann (Chemnitz), SPD 3. 9. 98 Jelena Ibrügger, Lothar SPD 3. 9. 98 Dr. Jacob, Willibald PDS 3. 9. 98 Anlage 2 Jung (Limburg), CDU/CSU 3. 9. 98 Michael Amtliche Mitteilungen Kauder, Volker CDU/CSU 3. 9. 98 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU- Lattmann, Herbe rt CDU/CSU 3. 9. 98 Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäi- Lemke, Steffi BÜNDNIS 3. 9. 98 sche Parlament zur Kenntnis genommen oder von 90/DIE einer Beratung abgesehen hat. GRÜNEN Auswärtiger Ausschuß Dr. Lucyga, Christine SPD 3. 9. 98 * Drucksache 13/10487 Nr. 2.23 Drucksache 13/10588 Nr. 1.3 Marx, Done SPD 3. 9. 98 Innenausschuß Matschie, Christoph SPD 3. 9. 98 Drucksache 13/3117 Nr. 2.11 Drucksache 13/10487 Nr. 2.6 Mosdorf, Siegmar SPD 3. 9. 98 Müller (Berlin), PDS 3. 9. 98 Finanzausschuß Manfred Drucksache 13/10263 Nr. 1.3 Drucksache 13/10361 Nr. 2.52 Müller (Zittau), SPD 3. 9. 98 Drucksache 13/10487 Nr. 2.12 Drucksache 13/10588 Nr. 2.22 Christian Drucksache 13/10588 Nr. 2.27 Drucksache 13/10588 Nr. 2.39 Nelle, Engelbert CDU/CSU 3. 9. 98 Drucksache 13/10892 Nr. 2.9 Drucksache 13/10892 Nr. 2.47 Pesch, Hans-Wilhelm CDU/CSU 3. 9. 98 Drucksache 13/11106 Nr. 1.2 Drucksache 13/11106 Nr. 2.17 Peters, Lisa F.D.P. 3. 9. 98 Drucksache 13/11106 Nr. 3.1 Reichard (Dresden), CDU/CSU 3. 9. 98 Drucksache 13/11106 Nr. 3.2 Drucksache 13/11204 Nr. 2.2 Christa Drucksache 13/11204 Nr. 2.13

Dr. Rochlitz, Jürgen BÜNDNIS 3. 9. 98 Haushaltsausschuß 90/DIE Drucksache 13/10892 Nr. 2.21 GRÜNEN Drucksache 13/11106 Nr. 2.11 23124* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998

Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 13/7216 Nr. 2.11 Drucksache 13/7216 Nr. 2.12 Drucksache 13/10263 Nr. 1.6 Drucksache 13/7216 Nr. 2.13 Drucksache 13/10263 Nr. 1.7 Drucksache 13/7216 Nr. 2.14 Drucksache 13/10263 Nr. 1.9 Drucksache 13/10263 Nr. 2.11 Drucksache 13/7216 Nr. 2.15 Drucksache 13/10263 Nr. 2.13 Drucksache 13/7216 Nr. 2.16 Drucksache 13/10263 Nr. 2.19 Drucksache 13/7216 Nr. 2.17 Drucksache 13/10263 Nr. 2.23 Drucksache 13/7216 Nr. 2.18 Drucksache 13/10263 Nr. 2.24 Drucksache 13/7216 Nr. 2.25 Drucksache 13/10263 Nr. 2.25 Drucksache 13/7306 Nr. 2.1 Drucksache 13/10263 Nr. 2.27 Drucksache 13/7306 Nr. 2.7 Drucksache 13/10487 Nr. 2.9 Drucksache 13/7306 Nr. 2.12 Drucksache 13/10487 Nr. 2.15 Drucksache 13/7306 Nr. 2.14 Drucksache 13/10487 Nr. 2.16 Drucksache 13/7306 Nr. 2.19 Drucksache 13/10487 Nr. 2.22 Drucksache 13/7306 Nr. 2.22 Drucksache 13/10588 Nr. 2.20 Drucksache 13/7541 Nr. 2.10 Drucksache 13/10588 Nr. 2.23 Drucksache 13/7541 Nr. 2.15 Drucksache 13/10588 Nr. 2.29 Drucksache 13/7541 Nr. 2.16 Drucksache 13/10588 Nr. 2.31 Drucksache 13/7706 Nr. 2.7 Drucksache 13/10588 Nr. 2.41 Drucksache 13/7706 Nr. 2.16 Drucksache 13/10588 Nr. 2.42 Drucksache 13/7706 Nr. 2.23 Drucksache 13/10892 Nr. 2.3 Drucksache 13/7706 Nr. 2.24 Drucksache 13/10892 Nr. 2.6 Drucksache 13/7706 Nr. 2.25 Drucksache 13/10892 Nr. 2.7 Drucksache 13/7706 Nr. 2.26 Drucksache 13/10892 Nr. 2.8 Drucksache 13/7867 Nr. 2.2 Drucksache 13/10892 Nr. 2.10 Drucksache 13/7867 Nr. 2.3 Drucksache 13/10892 Nr. 2.15 Drucksache 13/7867 Nr. 2.8 Drucksache 13/10892 Nr. 2.16 Drucksache 13/7867 Nr. 2.10 Drucksache 13/10892 Nr. 2.18 Drucksache 13/8106 Nr. 2.6 Drucksache 13/10892 Nr. 2.24 Drucksache 13/8106 Nr. 2.9 Drucksache 13/10892 Nr. 2.25 Drucksache 13/8508 Nr. 1.2 Drucksache 13/10892 Nr. 2.27 Drucksache 13/8508 Nr. 2.3 Drucksache 13/10892 Nr. 2.33 Drucksache 13/8508 Nr. 2.9 Drucksache 13/10892 Nr. 2.35 Drucksache 13/8508 Nr. 2.10 Drucksache 13/10892 Nr. 2.36 Drucksache 13/8508 Nr. 2.11 Drucksache 13/10892 Nr. 2.37 Drucksache 13/8508 Nr. 2.15 Drucksache 13/10892 Nr. 2.39 Drucksache 13/8508 Nr. 2.27 Drucksache 13/10892 Nr. 2.41 Drucksache 13/8508 Nr. 2.33 Drucksache 13/10892 Nr. 2.44 Drucksache 13/10892 Nr. 2.46 Drucksache 13/8615 Nr. 2.2 Drucksache 13/10892 Nr. 2.50 Drucksache 13/8615 Nr. 2.12 Drucksache 13/8615 Nr. 2.16 Drucksache 13/8615 Nr. 2.17 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 13/8615 Nr. 2.19 Drucksache 13/5687 Nr. 2.34 Drucksache 13/8615 Nr. 2.20 Drucksache 13/6357 Nr. 2.4 Drucksache 13/8615 Nr. 2.30 Drucksache 13/6357 Nr. 2.25 Drucksache 13/8615 Nr. 2.32 Drucksache 13/6357 Nr. 2.29 Drucksache 13/8615 Nr. 2.34 Drucksache 13/6454 Nr. 1.1 Drucksache 13/8615 Nr. 2.37 Drucksache 13/6454 Nr. 1.13 Drucksache 13/8615 Nr. 2.38 Drucksache 13/6766 Nr. 2.9 Drucksache 13/8615 Nr. 2.40 Drucksache 13/6766 Nr. 2.11 Drucksache 13/8615 Nr. 2.41 Drucksache 13/7017 Nr. 2.2 Drucksache 13/8615 Nr. 2.42 Drucksache 13/7017 Nr. 2.8 Drucksache 13/8615 Nr. 2.50 Drucksache 13/7017 Nr. 2.10 Drucksache 13/8615 Nr. 2.52 Drucksache 13/7017 Nr. 2.17 Drucksache 13/8615 Nr. 2.56 Drucksache 13/7017 Nr. 2.18 Drucksache 13/8615 Nr. 2.64 Drucksache 13/7017 Nr. 2.19 Drucksache 13/8615 Nr. 2.66 Drucksache 13/7017 Nr, 2.21 Drucksache 13/8615 Nr. 2.73 Drucksache 13/7017 Nr. 2.22 Drucksache 13/8615 Nr. 2.81 Drucksache 13/7017 Nr. 2.23 Drucksache 13/8615 Nr. 2.82 Drucksache 13/7017 Nr. 2.24 Drucksache 13/8615 Nr. 2.85 Drucksache 13/7017 Nr. 2.26 Drucksache 13/8615 Nr. 2.87 Drucksache 13/7017 Nr. 2.27 Drucksache 13/8615 Nr. 2.103 Drucksache 13/7017 Nr. 2.29 Drucksache 13/7017 Nr. 2.30 Drucksache 13/9086 Nr. 2.13 Drucksache 13/7017 Nr. 2.31 Drucksache 13/9086 Nr. 2.22 Drucksache 13/7017 Nr. 2.32 Drucksache 13/9086 Nr. 2.24 Drucksache 13/7017 Nr. 2.33 Drucksache 13/9086 Nr. 2.25 Drucksache 13/7017 Nr. 2.34 Drucksache 13/9086 Nr. 2.28 Drucksache 13/7017 Nr. 2.37 Drucksache 13/9086 Nr. 2.29 Drucksache 13/7017 Nr. 2.41 Drucksache 13/9086 Nr. 2.32 Drucksache 13/7117 Nr. 2.9 Drucksache 13/9086 Nr. 2.42 Drucksache 13/7117 Nr. 2.13 Drucksache 13/9086 Nr. 2.50 Drucksache 13/7216 Nr. 1.1 Drucksache 13/9086 Nr. 2.58 Drucksache 13/7216 Nr. 2.1 Drucksache 13/9086 Nr. 2.77 Drucksache 13/7216 Nr. 2.2 Drucksache 13/9086 Nr. 2.78 Drucksache 13/7216 Nr. 2.5 Drucksache 13/9477 Nr. 2.1 Drucksache 13/7216 Nr. 2.6 Drucksache 13/9477 Nr. 2.3 Drucksache 13/7216 Nr. 2.7 Drucksache 13/9477 Nr. 2.4 Drucksache 13/7216 Nr. 2.9 Drucksache 13/9477 Nr. 2.5 Drucksache 13/7216 Nr. 2.10 Drucksache 13/9477 Nr. 2.7 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 247. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. September 1998 23125*

Drucksache 13/10892 Nr. 2.19 Ausschuß für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie Drucksache 13/10892 Nr. 2.23 und Technikfolgenabschätzung Drucksache 13/10892 Nr. 2.28 Drucksache 13/10361 Nr. 2.28 Drucksache 13/10892 Nr. 2.40 Drucksache 13/10892 Nr. 2.43 Drucksache 13/10892 Nr. 2.49 Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 13/9086 Nr. 2.76 Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Drucksache 13/10263 Nr. 2.22 Drucksache 13/10588 Nr. 1.1 Drucksache 13/10588 Nr. 2.28 Drucksache 13/10892 Nr. 2.14 Drucksache 13/10588 Nr. 2.19 Drucksache 13/10588 Nr. 2.34 Drucksache 13/10892 Nr. 2.32

Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 13/10263 Nr. 2.2 Drucksache 13/725 Nr. 176 Drucksache 13/10892 Nr. 2.2 Drucksache 13/9819 Nr. 1.12 Drucksache 13/9819 Nr. 2.18 Drucksache 13/10263 Nr. 1.5 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 13/10487 Nr. 2.7 Drucksache 13/6593 Nr. 1.7 Drucksache 13/10487 Nr. 2.19