Plenarprotokoll 16/62

Deutscher

Stenografischer Bericht

62. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 1: Tagesordnungspunkt 2: Befragung der Bundesregierung: ID 2010 – Fragestunde Politik der Bundesregierung für digitale (Drucksache 16/3230) ...... 6058 B Information und Kommunikation ...... 6053 A , Bundesminister BMWi ...... 6053 B Mündliche Frage 3 (CDU/CSU) ...... 6054 C Sevim Dagdelen (DIE LINKE) Michael Glos, Bundesminister Absprachen zu Deutsch-Vorbereitungskur- BMWi ...... 6054 D sen in der Türkei beim Treffen der Staats- (FDP) ...... 6055 A ministerin im Bundeskanzleramt und Be- Michael Glos, Bundesminister auftragten der Bundesregierung für BMWi ...... 6055 A Migration, Flüchtlinge und Integration mit Franz Obermeier (CDU/CSU) ...... 6055 C der türkischen Staatsministerin für Frauen, Kinder und Soziales im Bundes- Michael Glos, Bundesminister kanzleramt am 26. Oktober 2006 BMWi ...... 6055 C Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/ Antwort DIE GRÜNEN) ...... 6055 D Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin BK . . . . 6058 C Michael Glos, Bundesminister Zusatzfragen BMWi ...... 6056 A Sevim Dagdelen Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU) ...... 6056 C (DIE LINKE) ...... 6058 D Michael Glos, Bundesminister Heike Hänsel BMWi ...... 6056 D (DIE LINKE) ...... 6059 D Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP) ...... 6056 D Michael Glos, Bundesminister Mündliche Frage 5 BMWi ...... 6057 B Heike Hänsel (DIE LINKE) (Weiden) (CDU/CSU) . . . . 6057 B Michael Glos, Bundesminister Entscheidungsgrundlage für die Tatsache BMWi ...... 6057 B der Vermischung ziviler und militärischer Präsenz in Afghanistan Gudrun Kopp (FDP) ...... 6057 D Michael Glos, Bundesminister Antwort BMWi ...... 6057 D Thomas Kossendey, Parl. Staatssekretär BMVg ...... 6060 B Rita Pawelski (CDU/CSU) ...... 6058 A Michael Glos, Bundesminister Zusatzfragen BMWi ...... 6058 B Heike Hänsel (DIE LINKE) ...... 6060 B II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. , Mittwoch, den 8. November 2006

Mündliche Frage 6 Antwort Heike Hänsel (DIE LINKE) Günter Gloser, Staatsminister für Europa . . . 6064 C Maßnahmen zur Vermeidung der Vermi- Zusatzfragen schung ziviler und militärischer Präsenz in (DIE LINKE) ...... 6064 D Afghanistan Antwort Thomas Kossendey, Parl. Staatssekretär Mündliche Frage 16 BMVg ...... 6061 B Alexander Ulrich (DIE LINKE) Zusatzfragen Kenntnis der Presse vom Entwurf des Ar- Heike Hänsel (DIE LINKE) ...... 6061 B beitsprogramms der deutschen EU-Rats- präsidentschaft

Mündliche Fragen 7 und 8 Antwort Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/ Günter Gloser, Staatsminister für Europa . . . 6065 B DIE GRÜNEN) Zusatzfragen Planung eines Tunnels unter der Elbe für Alexander Ulrich (DIE LINKE) ...... 6065 B die geplante A 20 als Mautprojekt; Finan- zierung bei Realisierung als Nicht-Maut- projekt Mündliche Frage 17 Antwort Dr. (DIE LINKE) Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär Durchführung eines Trainingsprogramms BMVBS ...... 6061 D zur Schulung der Präsidentengarde der pa- Zusatzfragen lästinensischen Autonomiebehörde für ei- Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/ nen bewaffneten Kampf gegen die Hamas DIE GRÜNEN) ...... 6062 A durch die USA Antwort Günter Gloser, Staatsminister für Europa . . . 6065 D Mündliche Frage 13 Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) Zusatzfragen Auswirkungen der Aufnahme von Avigdor Dr. Norman Paech (DIE LINKE) ...... 6066 A Lieberman in die israelische Regierung auf den angestrebten Friedensprozess im Na- hen Osten Mündliche Frage 18 Dr. Norman Paech (DIE LINKE) Antwort Günter Gloser, Staatsminister für Europa . . . . 6063 C Auswirkungen der Isolierung der von der Hamas geführten palästinensischen Regie- Zusatzfragen rung auf die Nahostpolitik der Bundes- Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) ...... 6063 C regierung Antwort Mündliche Frage 14 Günter Gloser, Staatsminister für Europa . . . 6066 B Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) Zusatzfragen Verletzung des Waffenstillstands und der Dr. Norman Paech (DIE LINKE) ...... 6066 C UNO-Resolution 1701 durch ungenehmigte israelische Militärflüge über libanesisches Territorium Mündliche Frage 19 Antwort Sevim Dagdelen (DIE LINKE) Günter Gloser, Staatsminister für Europa . . . . 6064 A Auswirkungen der Absprachen zu Deutsch- Zusatzfragen Vorbereitungskursen in der Türkei auf die Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) ...... 6064 B Praxis der Visumerteilung für türkische Staatsangehörige im Rahmen von Fami- lienzusammenführung Mündliche Frage 15 Alexander Ulrich (DIE LINKE) Antwort Günter Gloser, Staatsminister für Europa . . . 6067 A Maßnahmen der Bundesregierung zur Vorantreibung des Nahost-Friedensprozes- Zusatzfrage ses während ihrer EU-Ratspräsidentschaft Sevim Dagdelen (DIE LINKE) ...... 6067 B Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006 III

Mündliche Frage 21 erneuerbaren Energien angesichts der Ver- Dr. (BÜNDNIS 90/ schiebung eines Wärmegesetzes DIE GRÜNEN) Antwort Veränderung der Interessenlage ausländi- Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin BMU . . . . 6070 C scher Finanzinvestoren bezüglich der Übernahme deutscher Unternehmen in Zusatzfragen Abhängigkeit von deren Größe, der Höhe Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ ihrer Substanzwerte in Immobilien und DIE GRÜNEN) ...... 6070 D ihrer Gesellschaftsform durch die so ge- nannte Exit-Tax Mündliche Frage 25 Antwort Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin DIE GRÜNEN) BMF ...... 6067 D Entwicklung der CCS-Technik (CO2-Ab- Zusatzfragen scheidung und -speicherung) ab 2020 zum Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ Standard für alle neuen fossilen Kraft- DIE GRÜNEN) ...... 6068 B werke Antwort Mündliche Frage 22 Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin BMU . . . . 6071 C Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Zusatzfragen Kostenentwicklung für Unterkunft, Hei- Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ zung, Energie und Warmwasserbereitung DIE GRÜNEN) ...... 6071 D seit 2004 sowie Auswirkungen dieser Kos- Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ tenentwicklung und der Anhebung der DIE GRÜNEN) ...... 6072 C Mehrwertsteuer im Jahre 2007 auf die Höhe des Existenzminimums Antwort Mündliche Frage 26 Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ BMF ...... 6069 A DIE GRÜNEN) Zusatzfragen Verwirklichung des Wechsels vom Erdöl Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) ...... 6069 B hin zu nachwachsenden Rohstoffen auch in der Chemie- und Kunststoffindustrie Antwort Mündliche Frage 23 Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin BMU . . . . 6073 B Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Zusatzfragen Entwicklung des Existenzminimums für Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ Erwachsene und Kinder in den Jahren DIE GRÜNEN) ...... 6073 B 2007, 2008 und 2009 sowie Ursachen für unterschiedliche Berechnungen des Exis- Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ tenzminimums vom Bundesfinanzministe- DIE GRÜNEN) ...... 6074 A rium und dem Bundesministerium für Fa- milie, Senioren, Frauen und Jugend Antwort Mündliche Frage 28 Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin DIE GRÜNEN) BMF ...... 6069 D Festlegung von neuen ökologischen Grenz- Zusatzfragen werten im Rahmen des „Memorandums Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) ...... 6070 A für einen ‚New Deal‘ von Wirtschaft, Um- welt und Beschäftigung“ Mündliche Frage 24 Antwort Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin BMU . . . . 6074 B DIE GRÜNEN) Zusatzfragen Strategie hinsichtlich der zu schaffenden Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ Vorreitermärkte für den Wärmemarkt bei DIE GRÜNEN) ...... 6074 C IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006

Mündliche Frage 29 Anlage 2 Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ Mündliche Frage 1 DIE GRÜNEN) Cornelia Hirsch (DIE LINKE) Maßnahmen bei Nichteinhaltung der Förderung einer höheren Studierenden- Selbstverpflichtung der Automobilindustrie quote durch ein gebührenfreies Studium zur Senkung der CO -Emissionen 2 Antwort Antwort Andreas Storm, Parl. Staatssekretär Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin BMBF ...... 6093 C BMU ...... 6075 B

Zusatzfragen Anlage 3 Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 6075 C Mündliche Frage 2 Dr. Uschi Eid (BÜNDNIS 90/ Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) ...... 6076 B Unterstützung von Maßnahmen für die Malariabekämpfung in Tansania durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zu- Zusatztagesordnungspunkt 1: sammenarbeit und Entwicklung Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktio- Antwort nen der CDU/CSU und der SPD: Neue Ent- Karin Kortmann, Parl. Staatssekretärin wicklung am Arbeitsmarkt: Deutlicher BMZ ...... 6093 D Rückgang der Erwerbslosenzahl, mehr Be- schäftigung und Entlastung der öffentli- chen Haushalte Anlage 4 Franz Müntefering, Bundesminister Mündliche Frage 4 BMAS ...... 6076 D Cornelia Hirsch (DIE LINKE) Anstieg der Auswanderungszahlen in den (FDP) ...... 6078 C letzten Jahren, Zusammenhang mit den unsicheren Perspektiven beim Berufsein- Dr. (CDU/CSU) ...... 6080 A stieg, insbesondere von Hochschulabsol- Dr. (DIE LINKE) ...... 6081 B venten Antwort Klaus Brandner (SPD) ...... 6082 A , Parl. Staatssekretär BMI ...... 6094 A Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 6083 B

Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU) ...... 6084 B Anlage 5 Mündliche Frage 9 Dr. (SPD) ...... 6086 A Dr. (DIE LINKE) (Hamm) (CDU/CSU) ...... 6086 D Schlussfolgerungen aus dem am 23. Juni 2006 vom Ombudsrat vorgelegten Ab- (SPD) ...... 6088 B schlussbericht „Grundsicherung für Ar- beitslose“ Peter Rauen (CDU/CSU) ...... 6089 C Antwort Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) ...... 6090 C , Parl. Staatssekretär BMAS ...... 6094 C (CDU/CSU) ...... 6091 C

Nächste Sitzung ...... 6092 D Anlage 6 Mündliche Frage 10 Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) Anlage 1 Erwerbslosigkeit der jüdischen Zuwande- Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 6093 A rer mit Hochschulabschluss in Deutschland Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006 V und den USA, Zusammenhang zwischen Anlage 8 der Nicht-Anerkennung der Hochschulab- Mündliche Frage 20 schlüsse der Zuwanderer aus der ehemali- Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) gen UdSSR und der hohen Erwerbslosig- keit Verhinderung von schlechteren Kreditbe- dingungen für ärmere Menschen durch Antwort private Banken Gerd Andres, Parl. Staatssekretär Antwort BMAS ...... 6095 B Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF ...... 6096 A Anlage 7 Anlage 9 Mündliche Fragen 11 und 12 Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ Mündliche Frage 27 DIE GRÜNEN) Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vorgehen des Bundesministeriums für Arbeit Stärkung des Substitutionsanreizes für Un- und Soziales hinsichtlich der Software A2LL, ternehmen durch Erteilung einer nur be- Kosten; Schadenssumme und zusätzlicher fristeten Zulassung gefährlicher Chemika- Personalaufwand für Fehler mit A2LL lien sowie durch verpflichtenden Ersatz Antwort gefährlicher Stoffe Gerd Andres, Parl. Staatssekretär Antwort BMAS ...... 6095 C Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin BMU . . . . 6096 C

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006 6053

(A) (C) Redetext

62. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006

Beginn: 13.00 Uhr

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Deutschland 2010“, kurz: „ID 2010“, beschlossen. Da- Grüß Gott, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sit- mit stellt sich die Bundesregierung auf die so genannte zung ist eröffnet. zweite Generation des Internets und die neuen techni- schen Möglichkeiten, die die Konvergenz bietet, ein. Ich Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: möchte meinen Kollegen – ganz besonders Frau Kolle- Befragung der Bundesregierung gin Schavan und dem Innenminister, Herrn Kollegen Dr. Schäuble – für die konstruktive Mitarbeit ihrer Häu- Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen ser an der Erarbeitung dieses Programms danken. Kabinettssitzung mitgeteilt: ID 2010 – Politik der Bun- desregierung für digitale Information und Kommu- Wir haben vier Herausforderungen für die IKT-Politik nikation. identifiziert: Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht Erstens. Die Informationsgesellschaft steht derzeit hat der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, (B) vor einem weiteren großen Sprung. Anbieter aus ehe- (D) Michael Glos. mals getrennten Märkten stehen im globalen Wettbe- werb um den Zugang zum Kunden. Dieser zunehmenden Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft und Konvergenz der elektronischen Medien müssen die Technologie: rechtlichen und technischen Rahmenbedingungen Rech- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und nung tragen. Wir brauchen deshalb einfache, schnelle Herren! Der Innovationspolitik kommt im Zusammen- und diskriminierungsfreie Zugänge zu den Frequenzen. hang mit Wachstum und Beschäftigung nach unserer Vor allen Dingen brauchen wir einen Ausbau des Schut- Auffassung sehr große Bedeutung zu. Wir wissen, dass zes geistigen Eigentums und eine bessere technische die Informations- und Kommunikationstechnologien Verzahnung der unterschiedlichen Übertragungs- und eine sehr große Rolle spielen. Gerätetechniken. Damit wollen wir eine bessere wirt- schaftliche Nutzung öffentlicher Informationen, zum Bezogen auf die Bruttowertschöpfung haben die In- Beispiel seitens des Mittelstandes, erreichen. Die Bun- formations- und Kommunikationstechnologien inzwi- desregierung gibt mit 25 regionalen Kompetenzzentren schen den Maschinenbau und den Automobilbau über- Hilfestellung bei der Anwendung des E-Business in Mit- holt. Als Schlüsseltechnologien einer zunehmend telstand, Handwerk und Tourismus. wissensorientierten Wirtschaft wirken die – ich kürze jetzt ab, weil ich mich an die fünfminütige Redezeit hal- Zweitens. Informations- und Kommunikationstechno- ten soll – IKT als Wachstumsbeschleuniger für viele an- logien sind ein wichtiger Bestandteil der Verwaltungs- dere Bereiche. modernisierung. Sie helfen, Bürokratie und Kosten in Verwaltung und Wirtschaft niedrig zu halten. Gleichzei- Derzeit können etwa 40 Prozent des gesamtwirt- tig werden neue Wachstumschancen für Anbieter ge- schaftlichen Wachstums auf den Einsatz dieser Techno- schaffen. Deshalb werden wir in den kommenden Jahren logien zurückgeführt werden, wenn wir den Berechnun- das E-Government-Angebot ausbauen und die Vernet- gen der Boston Consulting Group Glauben schenken zung von Wirtschaft und Staat verbessern. Hinzu kommt dürfen. Die IKT-Branche zählt mit einem Umsatz von die Einführung des elektronischen Personalausweises. rund 135 Milliarden Euro zu den größten Branchen in Weitere Schwerpunkte bei der Integration des Staates in Deutschland. 750 000 Menschen werden in diesem Be- die Informationsgesellschaft sind die Verkehrs- und Ge- reich beschäftigt. Weitere 650 000 Spezialisten arbeiten sundheitstelematik sowie die Digitalisierung von Kultur- in den Anwenderbereichen. gut. Beispiele sind die elektronische Gesundheitskarte Vor diesem Hintergrund hat das Bundeskabinett heute und auf der Seite der Kultur das Projekt „Europäische ein neues Aktionsprogramm „Informationsgesellschaft Digitale Bibliothek“. 6054 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006

Bundesminister Michael Glos (A) Drittens. Weltweit steigen die Nutzung der und damit Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (C) auch die Abhängigkeit von der Informationstechnologie. Vielen Dank, Herr Minister. – Ich bitte, zunächst Fra- Hier stellt unser Land selbstverständlich keine Aus- gen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben nahme dar. Angesichts der Vernetzung von Systemen der berichtet wurde. Das Wort hat der Kollege Dobrindt. Informationstechnologie kann es in kürzester Zeit zu globalen IT-Sicherheitsvorfällen kommen. Enorme fi- Alexander Dobrindt (CDU/CSU): nanzielle Schäden für unsere Gesellschaft könnten die Vielen Dank. – Herr Minister, Sie haben deutlich ge- Folge sein. Deshalb müssen die vorhandenen IT-Infra- macht, dass mit dem Programm „ID 2010“ zusätzliche strukturen an die immer ausgefeilteren Angriffe durch Mittel und Angebote für den weiteren Ausbau der Infor- Viren und andere Schadprogramme angepasst und neue mationstechnologie bereitgestellt werden sollen. Die Sicherheitstechnologien zur Anwendung gebracht wer- zwei Schwerpunkte dieses Programms haben Sie ange- den. sprochen: Es geht darum, den Bereich E-Government auszubauen – das ist ein wichtiger Ansatzpunkt – und Viertens. Die Bundesregierung verfolgt das Ziel, die die Nutzung der Gesundheitstelematik deutlich zu ver- Spitzenstellung Deutschlands im IKT-Bereich zu festi- stärken. gen und auszubauen. Die Wettbewerbsfähigkeit unseres Wirtschaftsstandortes soll durch den Einsatz von IKT Wir Politiker werden im alltäglichen Geschäft vor Ort gesichert und erhöht werden. Das gilt für viele Bran- immer wieder auf das Problem hingewiesen, dass diese chen, in denen IKT angewendet wird, gleichermaßen, Technologien für einen beachtlichen Teil unserer Mit- zum Beispiel für den Maschinen- und Anlagenbau, die bürger nicht zugangsfrei sind. Das betrifft vor allem äl- Automobilindustrie oder die Telekommunikation. tere Leute, von denen man behauptet, sie würden mit diesen Technologien nicht mehr zurechtkommen, und Auch im IKT-Bereich ist die Situation im Hinblick Behinderte, denen der Zugang zu diesen Technologien auf die Umsetzung von Forschungsergebnissen in oftmals verschlossen ist. marktreife Produkte und Verfahren nach wie vor unbe- Ist im Programm „ID 2010“ vorgesehen, dass für äl- friedigend. Die Erhöhung der Fördermittel allein reicht tere Mitbürger und für Behinderte zusätzliche Leistun- nicht aus. Verbesserungsmöglichkeiten liegen in der ge- gen angeboten werden, damit auch diese Gruppen Erfah- zielten Förderung von Verbundvorhaben zwischen Wirt- rungen mit dieser Technologie sammeln können, die wir schaft und Wissenschaft, in der mittelstandsorientierten in Deutschland dringend weiterentwickeln müssen? Kompetenz- und Clusterbildung und in der Unterstüt- zung von Existenzgründungen, die häufig einen direkten Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft und (B) Technologietransfer realisieren. Multimediatechnologien (D) Technologie: bilden die zentrale Grundlage für neue elektronische An- Herr Kollege Dobrindt, Sie haben eine Reihe von Pro- wendungen und Dienstleistungen in Wirtschaft, öffentli- blemen angesprochen. Im Hinblick auf das E-Govern- cher Verwaltung und privaten Haushalten. ment laufen sehr viele Versuche bereits in der Praxis. Insgesamt dienen die Hightechstrategie, die die Bun- Zunächst sollen die entsprechenden Verfahren natürlich desregierung eingeschlagen hat, und die Erhöhung der als Insellösungen eingeführt werden. Ich kann mir vor- Mittel für Forschung und Entwicklung in den nächsten stellen, dass es sehr angenehm wäre, zum Beispiel die sechs Jahren – – Zulassung des eigenen Autos von zu Hause aus auf elek- tronischem Wege erledigen zu können. Für das E-Go- (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Was? vernment ist allerdings in allererster Linie der Bundesin- So lange wollen Sie dranbleiben? Noch sechs nenminister zuständig. Jahre?) Auch die Gesundheitskarte haben Sie erwähnt. Die – Ich meinte: in den vier Jahren dieser Legislaturperiode; Zuständigkeit für dieses Thema hat das Bundesgesund- jetzt sind es also noch drei Jahre. Herr Kollege, um Ihren heitsministerium. Zwischenruf aufzugreifen: Wir bleiben noch länger dran. Ich hatte gestern Gelegenheit, mich bei der Wir wissen nur noch nicht, mit wem wir regieren wer- Initiative D21 zu informieren, die noch von dem frühe- den. ren Bundeskanzler Gerhard Schröder ins Leben gerufen worden ist – vielleicht steht etwas darüber in seinen Me- (Iris Gleicke [SPD]: Na, na, na!) moiren –, um vor allen Dingen das Bewusstsein dafür zu Aber die Union wird auf jeden Fall weiter große Verant- wecken, dass wir im Zeitalter der Informationsgesell- wortung tragen. schaft leben. Inzwischen ist unsere Gesellschaft in dieser Hinsicht weit durchdrungen. Die Jüngeren und auch die In den verbleibenden drei Jahren dieser Legislaturpe- Leute in Ihrem Alter – bis fast an die Schwelle meines riode werden wir, zurückgerechnet auf das erste Jahr, zu- Alters – sind inzwischen firm in der Nutzung des Inter- sätzlich 6 Milliarden Euro für Forschung und Entwick- nets und der elektronischen Möglichkeiten. Bei den Äl- lung bereitstellen. Das hilft auch der Informations- und teren gibt es allerdings noch Probleme. Deshalb möchte Kommunikationstechnologie. man diese Dinge durch mehr Benutzerfreundlichkeit auch den älteren Menschen näher bringen; gerade für sie Danke schön. können diese Möglichkeiten eine große Hilfe bedeuten. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006 6055

Bundesminister Michael Glos (A) Das trifft auch für Behinderte zu. Hier gibt es Modell- Gebiet noch einmal aufzufordern, diese Investitionen (C) versuche und viele Möglichkeiten, die es künftig zu nut- nicht nur in den großen Städten und Ballungszentren, zen gilt. sondern auch in den kleinen Städten und ländlichen Räu- men zu tätigen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege Zeil, bitte. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege Obermeier, bitte. Martin Zeil (FDP): Herr Bundesminister, Sie haben die Schwerpunkte Franz Obermeier (CDU/CSU): der Verbesserung der technologischen und rechtlichen Herr Minister, Sie haben das, was das Kabinett heute Rahmenbedingungen der Nutzung der Informations- und beschlossen hat, sehr eindrucksvoll vorgestellt. Kommunikationstechnologien unterstrichen. Vor die- sem Hintergrund habe ich die Frage: Haben Sie oder hat (Grietje Bettin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Bundesregierung ihre Möglichkeiten genutzt, Ein- NEN]: Ja, sehr eindrucksvoll!) fluss zu nehmen auf die Ministerpräsidenten? Die Minis- In diesem Zusammenhang stellt sich für mich die terpräsidenten haben die Nutzung der technischen Mög- Frage nach den internationalen Rankings hinsichtlich der lichkeiten damit, dass künftig auch auf Internetrechner Nutzung dieser neuen Technologieformen. International und Mobiltelefone GEZ-Gebühren anfallen sollen, nicht gibt es hier sehr große Unterschiede. Sogar in unserem gerade befördert. Sehen nicht auch Sie einen Rückschlag eigenen Land gibt es sie. Meine Frage bezieht sich aber für das von Ihnen gerade erwähnte E-Government? auf die internationale Ebene. Wie wollen Sie die Rats- Sie wissen, dass es bei der Versorgung des ländlichen präsidentschaft im nächsten halben Jahr nutzen, um den Raums, der kleinen Gemeinden, mit Breitbandinternet- IKT-Bereich, den Bereich der Informations- und Kom- anschlüssen große Probleme gibt. Was ist Ihre konkrete munikationstechnologie, voranzubringen, damit wir in Strategie, um hier schnell Verbesserungen zu erreichen? Europa mit der weltweiten Entwicklung Schritt halten können? Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft und Sie haben zu zwei Komplexen gefragt; ich versuche, Technologie: der Reihe nach zu antworten. Herr Kollege Obermeier, wir werden die Ratspräsi- dentschaft Deutschlands in der Europäischen Union Erstens. Die Ministerpräsidenten der Länder haben dazu nutzen, um auf diesem Gebiet zu einheitlicheren (B) (D) beschlossen, dass in Zukunft auch für internetfähige Ge- Standards und Regelungen zu kommen, durch die diese räte Rundfunk- und Fernsehgebühren entrichtet werden wichtige Nutzung künftig erleichtert wird. Europa will müssen; das bedauere ich sehr. Allerdings ist die Gebühr immer stärker regulieren. Ich meine, man sollte erst ein- für Dual-Use-Geräte wie PCs oder Handys, mit denen mal zu möglichst gleichen Standards kommen. man auch Rundfunkprogramm empfangen kann, abge- senkt worden. Aber es ist nun einmal so, dass alle, die Durch die Vergabe von neuen Frequenzen ergeben Zugang zu dem Angebot der öffentlich-rechtlichen Ka- sich sehr viele neue Tätigkeitsfelder, die vorangebracht werden müssen. Das bringt auch ungeheuer viele neue näle haben, Gebühren zahlen müssen. Es ist nach Mei- Chancen mit sich, die darin bestehen, dass zur Produkt- nung der Ministerpräsidenten schwierig, diesen Benut- identifikation viel mehr Elektronik angewandt werden zerkreis außen vor zu lassen. Immerhin hat man sich kann. Die Produkte können in der Verpackung mit klei- entschieden, die entsprechende Gebühr abzusenken. Die nen Sendern ausgestattet werden, die im Niedrigfre- Ministerpräsidenten sagen – ich habe mich an den Vor- quenzbereich funktionieren. Von der Speicherung und sitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz gewandt, Registrierung der Waren, um zu sehen, welche Artikel die zuständig ist, an Herrn Kurt Beck –, man muss über- sich noch in den Regalen befinden, bis hin zur elektroni- gangsweise so verfahren, jedenfalls so lange, bis man zu schen Kasse werden sich viele neue Geschäftsfelder er- einer anderen Art von Benutzergebühr kommt. geben. Zweitens. In die Nutzbarmachung der Breitbandtech- Für all das muss eine gemeinsame und marktfähige nologie auf dem so genannten flachen Land ist, wie ich europäische Lösung gefunden werden, damit selbstver- meine, gerade was den schnellen Zugang über VDSL an- ständlich auch eine grenzüberschreitende Nutzung mög- geht, bisher zu wenig investiert worden – die Investitio- lich ist. nen beschränken sich stark auf die Ballungsgebiete. Was die Breitbandnutzung im Allgemeinen anbelangt, haben wir in Deutschland mittlerweile eine Durchdringung von Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: 93 Prozent. Wir haben es uns zum Ziel gesetzt, in zwei, Frau Kollegin Bettin, bitte. drei Jahren auf 98 Prozent zu kommen. Bei der Breit- bandnutzung müssen wir allerdings unterscheiden zwi- Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): schen herkömmlichen Anschlüssen und dem, was unter Herr Minister, mich würde interessieren, was das spe- dem Stichwort VDSL läuft. zifisch Neue an Ihrem Aktionsplan ist; denn die elektro- Sie geben mir Gelegenheit – damit möchte ich mei- nische Gesundheitskarte usw. ist ja nichts Hochinnovati- nen Beitrag abschließen –, den Marktführer auf diesem ves. 6056 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006

Grietje Bettin (A) Daran anschließend frage ich Sie, welchen Beitrag – das unterstützen wir – ist in Ihrem Ministerium ange- (C) Sie zur Entwicklung der internationalen Informationsge- siedelt. Aber wir tragen auch international Verantwor- sellschaft leisten wollen. Ein Stichwort war hier bei- tung. Darum drehte sich meine Frage. spielsweise der Internationale Solidaritätsfonds. Haben Sie in Ihrem Aktionsplan eine Unterstützung dafür vor- Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft und gesehen? Technologie: Ich sehe eine große Chance darin, dass man heute von Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft und fast jedem Punkt der Welt über das Internet an Informa- Technologie: tionen gelangen kann. Das gilt – allerdings mehr in den In allererster Linie wollen wir die immer stärker nach Zentren – gerade auch für Afrika. Dabei geht es um In- vorne drängende neue Technologie in einen vernünftigen formationen, die man früher nie hätte bekommen kön- Rechtsrahmen stellen, die Vernetzung fördern und damit nen, weder durch Reisen noch durch lebenslanges Ler- vor allen Dingen neue Nutzerkreise und Arbeitsplätze in nen. All das ist den Menschen heute zugänglich. der IuK-Technologie erschließen. Gerade im Bereich der Die Frage, was wir hier vonseiten der Bundesregie- IKT befinden wir uns in einem starken Wettbewerb mit anderen Ländern, in dem wir bisher sehr gut aufgestellt rung tun, müssen Sie an die Adresse der Entwicklungs- ministerin richten. Ich kann Ihnen nicht sagen, ob dafür sind. im Haushalt der Bundesministerin für wirtschaftliche Die von mir vorhin angesprochenen zusätzlichen Mit- Zusammenarbeit und Entwicklung Mittel vorgesehen tel für Forschung und Entwicklung fließen zum Teil na- sind. Meine Aufgabe als Wirtschafts- und Technologie- türlich in diesen Bereich. Das alles soll am 18. Dezem- minister – das haben Sie richtig bemerkt – umfasst in al- ber 2006 gemeinsam mit der anwendenden Industrie auf lererster Linie das, was unserer Wirtschaft und damit den einer großen ressortübergreifenden Konferenz zusam- Menschen in unserem Lande dient, sowie die europäi- mengefasst werden, für die die Bundeskanzlerin die sche Zusammenarbeit. Schirmherrschaft übernommen hat. Hier wird in Zusam- menarbeit mit der Industrie der weitere Rahmen abge- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: steckt. Dabei wollen wir von der Industrie wissen: Was Frau Kollegin Krogmann, bitte. können wir zusätzlich tun, um zu modernen Arbeitsplät- zen in Deutschland beizutragen? Dr. Martina Krogmann (CDU/CSU): Was darüber hinaus international stärker geregelt wer- Herr Minister, Sie haben völlig zu Recht auf die über- den muss, ist der Kampf gegen Computerviren. In die- ragende Bedeutung der IKT-Branche für unsere Volks- (B) sem Zusammenhang ist auch das so genannte Spam zu wirtschaft hingewiesen. Deshalb begrüße ich es, dass die (D) nennen, die Zusendung von unerwünschten E-Mails. Bundesregierung für diesen gesamten Bereich zum ers- Hier brauchen wir eine stärkere internationale Zusam- ten Mal mit der Hightechstrategie und „ID 2010“ eine menarbeit. strategische Ausrichtung entwickelt hat. Bestandteil die- Als weiteren wichtigen Punkt – das fällt ebenfalls in ser neuen Gesamtstrategie ist der IT-Gipfel am den Bereich der Technologie – möchte ich Folgendes an- 18. Dezember dieses Jahres. Welche Erwartungen haben führen: Während unserer Ratspräsidentschaft wollen wir Sie besonders im Hinblick auf die Unternehmen an die- zu einer Absenkung der so genannten Roaming-Gebüh- sen Gipfel? ren bei der Nutzung von Handys kommen. Bisher gibt es oft große Überraschungen, wenn man aufgrund von An- Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft und rufen auf sein Handy im Ausland, etwa im Urlaub, eine Technologie: sehr hohe Rechnung erhält, obwohl man selbst sein Wir wollen das Ganze noch besser koordinieren, ohne Handy sehr wenig genutzt hat. Das muss zugunsten der dabei den notwendigen Wettbewerb zu gefährden. Wir Verbraucher geändert werden. Gerade auf diesem Gebiet müssen natürlich auch aufpassen, dass wir in bestimm- drängen wir auf internationaler Ebene, insbesondere in ten Sektoren nicht auf einen oder ganz wenige Anbieter der Europäischen Union, auf eine Regelung. Es gibt An- angewiesen sind. Die sich hier abzeichnenden Konzen- zeichen, dass es unter der deutschen Ratspräsidentschaft trationsprozesse machen uns Sorgen. Wir wollen von der gelingen könnte, hier zu einer vernünftigen Lösung zu Wirtschaft hören, welche Schnittstellen wir noch besser kommen. vernetzen können. Wir wollen vor allen Dingen die Poten- ziale, die sich hier mittelständischen Firmen bieten, ge- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: nau so wie die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft Herr Minister, Sie gestatten sicherlich eine Nach- weiter fördern. frage. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Otto, bitte. Herr Minister, in meiner Frage ging es mir – Stich- wort Afrika – um die digitale Spaltung der Gesellschaft. Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Roaming ist sicherlich ein wichtiges Thema. Uns aber Lieber Herr Minister Glos, angesichts der bevorste- geht es um die gesellschaftspolitische Dimension der In- henden EU-Ratspräsidentschaft – Sie haben sie mehr- formationsgesellschaft. Die Förderung der Wirtschaft fach erwähnt – ist es besonders bemerkenswert, dass die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006 6057

Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (A) Konflikte zwischen der Wirtschaftspolitik unseres Lan- Allerdings kann die Industrie nicht oft genug aufge- (C) des und der der EU-Kommission zurzeit erheblich zu- fordert werden, die Tatsache zu nutzen, dass aufgrund nehmen. Zu dem Streit über die Europarechtswidrigkeit der geburtenstarken Jahrgänge noch viele junge Men- des neuen Telekommunikationsgesetzes wird meine schen auf den Arbeitsmarkt drängen, und für Ausbil- Kollegin Kopp noch eine kluge Frage stellen. dungsberufe jenseits eines Universitätsstudiums zu wer- ben. Ich glaube, wer in diesem Bereich jetzt nicht (Michael Glos, Bundesminister: Sie machen ausbildet, der verschläft die Zukunft. mich neugierig!) – Sie stellt nur kluge Fragen; ich weiß das. (Iris Gleicke [SPD]: Wohl wahr!) Ich möchte mich auf etwas anderes beziehen. Staats- Wir als Politiker müssen dafür werben – das ist auch ei- sekretär Bernd Pfaffenbach hat laut einem Bericht in der ner der Gründe für das im Dezember geplante Gipfeltref- „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ festgestellt, dass es fen mit der Branche – und den jungen Menschen klar einen grundsätzlichen Dissens zwischen Ihrem Hause, machen, dass darin eine große Bedeutung für die Zu- der Bundesregierung und der EU-Kommission über die kunft liegt. Ausrichtung der Telekommunikationspolitik gebe. Ich Erlauben Sie mir an dieser Stelle einen Hinweis. Ich zitiere aus dem Artikel: halte es für außerordentlich wichtig, dass die Schulen Die Bundesregierung tendiert dazu, die sektorspezi- entsprechend ausgestattet werden – das wird in unserem fische Regulierung so schnell und weitgehend wie Land leider noch sehr unterschiedlich gehandhabt – und möglich zugunsten der allgemeinen Wettbewerbs- dass die Menschen bereits in sehr jungen Jahren an die aufsicht zurückzufahren. Die Kommission hinge- Nutzung der IT-Technik und die damit verbundenen gen neige zu der Auffassung, „daß im Zweifel ein Chancen herangeführt werden. Dadurch kann ein ver- Mehr an Regulierung auch zu einem Mehr an Wett- stärktes Interesse entstehen, was später möglicherweise bewerb führt und dies wiederum zu höheren Inves- zu einem Studium oder einem Beruf in dieser Fachrich- titionen“, heißt es in der Stellungnahme der Bun- tung führt. desregierung. Meine konkrete Frage an Sie lautet: Plant die Bundes- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: regierung tatsächlich – wie es Herr Pfaffenbach öffent- Frau Kollegin Kopp, bitte. lich erklärt hat – eine Wende in der Regulierungspolitik? (Zuruf von der FDP: Jetzt kommt die kluge Frage! – Gegenruf des Bundesministers Glos: Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft und Bisher gab es nur kluge Fragen!) (B) Technologie: (D) Wenn Herr Staatssekretär Pfaffenbach das so gesagt hat, dann ist es sicherlich ernst zu nehmen. Im Übrigen Gudrun Kopp (FDP): kann nach meiner Kenntnis in den Bereichen, in denen Vielen Dank. Bisher gab es nur die Ankündigung ei- der Wettbewerb bereits sehr stark ist, die nationale Regu- ner klugen Frage. lierung zurückgenommen werden. Das gilt selbstver- Herr Minister, wir sind uns sicherlich darin einig, dass ständlich nicht für Produkte, bei denen der Wettbewerb Wettbewerb die beste Voraussetzung für Innovationen noch nicht ausreichend entwickelt ist. ist. Sie haben eben sehr vorsichtig und dezent darauf hingewiesen, dass der Marktführer – Sie meinten wahr- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: scheinlich die Deutsche Telekom – im Bereich der Breit- Herr Kollege Rupprecht, bitte. banddurchdringung – Stichwort: VDSL – eigentlich schon hätte weiter sein können. Heißt das, dass wir von Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU): einer Änderung des § 9 a des TKG dahin gehend auszu- Herr Minister, die IT-Branche ist sehr stark internatio- gehen haben, dass dem Marktführer keine Regulierungs- nal ausgerichtet. Die Unternehmen in dieser Branche ferien gewährt werden? Oder planen Sie hier Änderun- siedeln sich dort an, wo die Know-how-Träger anzutref- gen, die sogar eine Verschärfung bedeuten? Damit fen sind. Deswegen frage ich, ob wir in Deutschland aus- gingen Sie schon zu Beginn der deutschen EU-Ratsprä- reichend IT-Fachkräfte bzw. Know-how-Träger haben, sidentschaft voll auf Konfrontationskurs zur EU-Kom- zumal in Asien bekanntlich hunderttausende neu ausge- mission. Das interessiert mich sehr. bildete Kräfte auf den Arbeitsmarkt drängen? Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft und Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Technologie: Verehrte Frau Kollegin, der derzeitige Stand ist, dass Herr Kollege Rupprecht, Sie sprechen eine Sorge an, die Bundesregierung den von ihr erarbeiteten Gesetzent- die derzeit in der Industrie immer stärker artikuliert wurf dem Parlament und dem Bundesrat zugeleitet hat. wird, nämlich dass sich bei uns zu wenige talentierte Im Moment ist das Parlament am Zug. Entweder tritt das junge Menschen für ein Ingenieur- oder Technikstudium Gesetz so in Kraft, wie wir es konzipiert haben, oder das und die entsprechenden Ausbildungsgänge entscheiden. Parlament und der Bundesrat haben in eigener Zustän- Davon hängt aber unsere künftige Wettbewerbsfähigkeit digkeit Änderungen vorgenommen. Was geschehen ab. wird, weiß ich nicht. Ich bin schließlich kein Prophet. 6058 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006

Bundesminister Michael Glos (A) Nach unserer festen Überzeugung ist das Gesetz, das Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- (C) als Entwurf von der Regierung beschlossen wurde, EU- ministeriums für Bildung und Forschung. Die Frage 1 tauglich. Wir planen keine Lex Telekom, um den Namen der Kollegin Cornelia Hirsch wird schriftlich beantwor- aufzugreifen, den Sie in die Debatte getragen haben. Der tet. vorübergehende Umstand, dass die Regulierung hier Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- nicht so stark ist – das bleibt Sache der Bundesnetzagen- ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und tur –, betrifft aber selbstverständlich alle, die investieren. Entwicklung. Die Frage 2 der Kollegin Dr. Uschi Eid In meinen Augen investiert nicht nur der Marktführer zu wird ebenfalls schriftlich beantwortet. wenig, sondern auch andere Firmen. Ich kann nur auffor- dern und einladen, sehr breit zu investieren; denn die Ich rufe den Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin Nutzung des VDSL-Netzes, also des raschen Netzzu- und des Bundeskanzleramtes auf. Die Fragen beantwor- gangs, kommt der Wirtschaftskraft unseres ganzen Lan- tet Frau Staatsministerin Professor Dr. Maria Böhmer. des zugute. Ich rufe die Frage 3 der Kollegin Sevim Dagdelen auf: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Welche konkreten Absprachen zu Deutschvorbereitungs- Frau Kollegin Pawelski, bitte. kursen in der Türkei wurden beim Treffen der Staatsministe- rin im Bundeskanzleramt und Beauftragten der Bundesregie- rung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Professor Rita Pawelski (CDU/CSU): Dr. Maria Böhmer, mit der türkischen Staatsministerin für Herr Minister, Sie haben vorhin ganz kurz die Versor- Frauen, Kinder und Soziales der Republik Türkei, Nimet gung Deutschlands mit dem Breitband angesprochen. Çubukçu, im Bundeskanzleramt am 26. Oktober 2006 getrof- Das ist ein eminent wichtiger Punkt; denn für viele Un- fen (siehe Presseerklärung der Staatsministerin Professor ternehmen ist der Zugang zum Breitband ein wichtiger Dr. Maria Böhmer vom 26. Oktober 2006)? Standortfaktor. Weil wir das Breitband insbesondere in der Telematik und im Gesundheitswesen brauchen, frage Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin bei der Bundes- ich: Gibt es genügend Breitband in Deutschland und kanzlerin: wenn nein, was kann die Politik tun, um den Ausbau zu Frau Kollegin Abgeordnete, ich beantworte Ihre forcieren? Frage wie folgt: Bei meinem Gespräch mit dem türki- schen Erziehungsminister Celik in Ankara hat er mir das Angebot unterbreitet, Vorbereitungskurse in der Türkei Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft und durchzuführen, um insbesondere jungen Frauen, die im Technologie: Rahmen des Familiennachzugs nach Deutschland kom- Es gibt in Deutschland eigentlich viel Breitband. Es (B) men, die Integration zu erleichtern. Bei den anschließen- (D) fehlt aber an einer ausreichenden Zahl an ganz schnellen den Gesprächen mit Staatsministerin Çubukçu sowohl in Zugängen über VDSL, und zwar nicht über Kupferkabel, Ankara als auch später in Berlin wurde von deren Seite sondern über Glasfaserkabel, was gerade in den von mit Nachdruck die Notwendigkeit eines frühen Erwerbs Ihnen angesprochenen Bereichen notwendig ist. Da die der deutschen Sprache schon vor Einreise nach Deutsch- öffentliche Hand kein Geld hat, das zu fördern und zu in- land betont und der Vorschlag für Vorbereitungskurse er- vestieren, haben wir die angesprochene Gesetzesinitia- örtert. tive auf den Weg gebracht, und zwar – ich betone das noch einmal – nicht gezielt für den Marktführer. Viel- Die Durchführung von Vorbereitungskursen in der mehr stellt sie eine Einladung an alle dar, dort endlich zu Türkei wurde auch bei jüngsten Gesprächen zwischen investieren. Die Aussichten, dass es einen Return of In- Ministerpräsident Erdogan und Bundeskanzlerin Merkel vestment gibt – das müssen alle Aktiengesellschaften ih- thematisiert. Bei ihrem Besuch im Bundeskanzleramt ren Aktionären beweisen, wenn sie investieren wollen; hat Staatsministerin Çubukçu mich darüber informiert, Aktiengesellschaften sind schließlich keine karitativen dass Ministerpräsident Erdogan Erziehungsminister Organisationen –, sollen durch das von uns konzipierte Celik angewiesen habe, die Vorbereitungskurse auf den Gesetz etwas hoffnungsfroher erscheinen. Weg zu bringen. Nähere Details zur Konzeption und praktischen Ausgestaltung der Kurse wurden in den Ge- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: sprächen mit der türkischen Seite nicht erörtert. Dafür Weitere Fragen liegen nicht vor. Gibt es Fragen zu an- werden weitere Gespräche erforderlich sein. deren Themen der heutigen Kabinettssitzung? – Das ist nicht der Fall. Damit beende ich die Themenbereiche der Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: heutigen Kabinettssitzung. Herr Minister, vielen Dank Frau Kollegin, Ihre Zusatzfragen. für die Beantwortung der Fragen. Gibt es sonstige Fragen an die Bundesregierung? – Sevim Dagdelen (DIE LINKE): Das ist nicht der Fall. Dann beende ich die Regierungs- Vielen Dank. – Frau Staatsministerin, laut Pressemel- befragung. dungen der letzten Tage haben sich die Koalitionspartner darüber geeinigt, dass das Beherrschen der deutschen Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Sprache als eine neue Einreisevoraussetzung im Rahmen Fragestunde des Ehegattennachzugs einzuführen sei. Meines Wissens wurden diese Meldungen bis heute nicht dementiert. – Drucksache 16/3230 – Ganz im Gegenteil, vom Kollegen Wiefelspütz von der Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006 6059

Sevim Dagdelen (A) SPD-Fraktion wurde das sogar bestätigt. Ich möchte nern kann, ist die Erhöhung auch Ihrer Meinung nach, (C) wissen, ob die Vermutung stimmt, dass das Angebot der- Frau Ministerin, wünschenswert. artiger Deutschkurse in der Türkei – wenn dem so ist – der Rechtfertigung dieser geplanten Neuregelung dienen Ist es nicht vielmehr eine Auslagerung im Vorfeld? soll und ob es bei Ihnen diesbezüglich verfassungsrecht- Wie schätzen Sie das ein? Es ist zu begrüßen, dass man liche Bedenken gibt; denn in einer Ausarbeitung des sich auf das Land vorbereitet, in dem man Fuß fassen Wissenschaftlichen Dienstes vom 3. April 2006 gibt es möchte und für das man sich als neue Heimat entschie- eine Schlussfolgerung – ich zitiere –: Gegen den Nach- den hat. Man kann Neuzuwanderinnen und Neuzuwan- weis von Deutschkenntnissen als generelle Vorausset- derern Immigrationskurse in Verbindung mit Sprachkur- zung für den Nachzug von ausländischen Ehegatten zu sen in Deutschland anbieten. Ist es nicht eher so, dass ihrem in Deutschland lebenden ausländischen Ehepart- Sie die Verantwortung in das Herkunftsland verlagern, ner bestehen erhebliche verfassungsrechtliche Beden- indem Sie die Teilnahme an den dortigen Sprachkursen ken. zur Bedingung für die Einreise in unser Land machen? Sie sprachen von Härtefallregelungen und Einzelfall- Ich möchte wissen, ob Sie sich diesen Bedenken an- prüfungen. Wie möchten Sie die korrekte Umsetzung Ih- schließen oder ob Sie juristisch begründen können, dass res Vorhabens konkret gewährleisten, obwohl es juris- der Familiennachzug von dem Stand der Sprachkennt- tisch höchst bedenklich ist? Die Bedenken gegenüber nisse abhängig gemacht werden soll. dieser Regelung – der Familiennachzug soll von den Sprachkenntnissen der Neuzuwanderinnen und Neuzu- Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin bei der Bundes- wanderer abhängig gemacht werden – werden auch in kanzlerin: einer Studie des Wissenschaftlichen Dienstes vom Frau Kollegin, Sie wissen, die Beratungen dauern 13. März 2006 geäußert und sie werden von vielen Juris- derzeit an. Bei Regelungen, die den Familiennachzug tinnen und Juristen geteilt. betreffen, gehe ich davon aus, dass die federführenden Ministerien die beabsichtigten Regelungen sowohl in eu- Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin bei der Bundes- roparechtlicher als auch in verfassungsrechtlicher Hin- kanzlerin: sicht überprüft haben. Wenn es zu solchen Regelungen Ihre Frage enthält mehrere Ansatzpunkte. Die Frage kommt, ist davon auszugehen, dass entsprechende Här- nach der Verfassungsmäßigkeit habe ich eben schon be- tefallregelungen vorgesehen werden. antwortet. Ich verweise darauf. Im Übrigen darf ich Ihnen sagen, dass es hier von Es besteht ein Zusammenhang zwischen den Integra- tionskursen in unserem Land, die durch das Zuwande- (B) ganz entscheidender Bedeutung ist, dass wir nicht nur (D) eine nachholende Integration durchführen, sondern dass rungsgesetz rechtlich geregelt sind, und der neuen Ent- es, gerade wenn es um die Situation der Frauen geht, wicklung, dass man sich auf den Umzug nach darauf ankommen wird, eine vorbereitende Integration Deutschland durch den Erwerb von Sprachkenntnissen auf den Weg zu bringen. Diese Überlegungen stehen hin- vorbereitet: Beides ergänzt sich. Wir haben es hier zum ter der derzeit erörterten rechtlichen Regelung. Diese einen mit den Integrationskursen zu tun, die im Bereich Überlegungen sind auch tragend für den Vorschlag, den der nachholenden Integration angesiedelt sind. Hinzu ich von türkischer Seite erhalten habe. Sowohl der Bil- kommt der Ansatz der vorbereitenden Integration. dungsminister als auch die Frauenministerin haben mir Ich glaube, dass es für all diejenigen, die in unser in meinen Gesprächen – es war nicht nur ein Gespräch – Land kommen, außerordentlich hilfreich sein wird, erste wiederholt gesagt, wie wichtig sie das Beherrschen der Sprachkenntnisse schon zu besitzen; denn dann gelingt Sprache oder zumindest einfache Sprachkenntnisse hal- es viel leichter, den Spracherwerb hier in Deutschland ten, damit der Übergang nach Deutschland besser ge- fortzusetzen. Gerade für Frauen bedeutet das, dass sie lingt. Deshalb trete ich persönlich nachdrücklich dafür sich hier sehr viel schneller integrieren können. Wir alle ein, dass wir eine solche vorbereitende Integration errei- miteinander wissen, dass dies gerade für Frauen von chen. höchster Bedeutung ist, damit sie zu einer gleichberech- tigten Teilhabe in unserem Land kommen können. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Sie haben noch eine Zusatzfrage, Frau Kollegin. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Frau Kollegin Hänsel, eine Zusatzfrage, bitte. Sevim Dagdelen (DIE LINKE): Heike Hänsel (DIE LINKE): Nochmals herzlichen Dank. – Es gibt seit In-Kraft- Treten des Zuwanderungsgesetzes am 1. Januar 2005 die Mich interessiert konkret, wie diese Sprachkurse vor Integrationskurse. Ich habe heute in einer Tickermel- Ort, also in ländlichen Regionen wie Anatolien, gewähr- dung gelesen – das möchte ich ausdrücklich hier an die- leistet werden sollen? ser Stelle begrüßen –, dass auch der niedersächsische In- nenminister – er ist von der CDU – das fordert, was wir Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin bei der Bundes- hier seit Monaten auch in den Haushaltsberatungen for- kanzlerin: dern, nämlich dass die Stundenzahl für Integrationskurse Bei Ihrer Frage geht es darum, wie die türkische Seite von 600 auf 900 angehoben wird. Soweit ich mich erin- diese Sprachkurse durchführt. Mir liegen Informationen 6060 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006

Staatsministerin Dr. Maria Böhmer (A) darüber vor, dass der türkische Bildungsminister derzeit Es gibt sehr viele Beschwerden von Hilfsorganisatio- (C) ein Konzept für diese Sprachkurse erarbeiten lässt. Das nen, die vor Ort real erleben, dass eine Gefährdung be- ist ein wichtiger Punkt, über den wir uns mit der türki- steht, weil es bezüglich der Fahrzeuge ein eindeutig ge- schen Regierung austauschen werden. Es ist Aufgabe trenntes Auftreten nicht gibt und weil vor allem die der türkischen Regierung, diese Vorbereitungskurse an- gleichen Jeeps wie bei Hilfsorganisationen verwendet zubieten. werden. Es wurde gesagt, das geschehe aus Kostengrün- den. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Nun zu meiner Frage. Es wird in Afghanistan sehr Vielen Dank, Frau Staatsministerin, für die Beantwor- viel Geld ausgegeben. Wieso ist es nicht möglich, dort tung der Fragen. entsprechende Fahrzeuge zu besorgen? Ist die Motiva- tion nicht zum Teil auch die, dass man, wenn man zivil Ich schließe diesen Geschäftsbereich. auftritt, sich mit zivilen Fahrzeugen über weite Strecken Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri- bewegt, weniger gefährdet ist? ums des Innern auf. Thomas Kossendey, Parl. Staatssekretär beim Bun- Die Frage 4 der Kollegin Cornelia Hirsch wird desminister der Verteidigung: schriftlich beantwortet. Frau Kollegin, Sie sprechen mir geradezu aus dem Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri- Herzen. Auch wir hätten gern mehr Geld für geschützte ums der Verteidigung auf. Die Fragen beantwortet Herr Fahrzeuge im Einsatz in Afghanistan. Das scheitert häu- Parlamentarischer Staatssekretär Thomas Kossendey. fig an den sehr intensiven Diskussionen, die wir mit der Opposition zum Beispiel über die Ausweitung des Ver- Ich rufe die Frage 5 der Abgeordneten Heike Hänsel teidigungshaushalts zu führen haben. auf: Auf welcher Entscheidung beruht es, dass, wie Entwick- Zweiter Punkt. Gerade das Konzept, das wir in lungsorganisationen vor Ort kritisieren und Oberstleutnant Afghanistan verfolgen, das Konzept mit den PRTs, ist Norbert Falkowski auf der Anhörung des Ausschusses für ein ressortübergreifendes Konzept. Unsere Soldaten sind wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zur zivil- da, um den zivilen Aufbau sowie die Helferinnen und militärischen Zusammenarbeit am 25. Oktober 2006 bestä- Helfer aus den Hilfsorganisationen dort zu schützen und tigte und auf Kostengründe zurückführte, sich Bundeswehr- einheiten mit zivilen Fahrzeugen – weißen Jeeps ohne ausrei- gegebenenfalls konstruktiv mitzuarbeiten. Von daher chende Kennzeichnung – in Kunduz und Kabul bewegen und finde ich es zunächst nicht sehr einleuchtend, dass das damit das Risiko der Verwechslung und Vermischung von zi- mit unterschiedlich gekennzeichneten Fahrzeugen ge- (B) viler und militärischer Präsenz provozieren? schehen soll. Außerdem sind alle diejenigen, die in den (D) nicht als militärisch zu identifizierenden Fahrzeugen sit- Thomas Kossendey, Parl. Staatssekretär beim Bun- zen, als Soldaten daran erkennbar, dass sie eine Uniform desminister der Verteidigung: tragen. Ich finde, das reicht. Frau Hänsel, zunächst eine grundlegende Bemerkung Wir haben grundsätzlich – das will ich gern noch ein- zu Ihrer Frage. Es gibt keine rechtliche Verpflichtung zur mal betonen – militärisch gekennzeichnete Fahrzeuge im Kennzeichnung militärischer Fahrzeuge, die in Afgha- Einsatz. Aber in Einzelfällen greifen wir auch deswegen nistan eingesetzt werden. auf Zivilfahrzeuge zurück, weil zum Beispiel nicht im- Die von unseren Bundeswehreinheiten in Afghanistan mer militärische Fahrzeuge in ausreichender Anzahl zur genutzten Fahrzeuge sind grundsätzlich eindeutig als mi- Verfügung stehen. litärische Fahrzeuge gekennzeichnet. In Einzelfällen ste- Dritter Punkt. Von Beschwerden der Organisationen hen den Soldaten aber auch zivile Fahrzeuge zur Verfü- über eine mögliche Verwechslung ist uns im Ministe- gung. Eine Verwechslungsgefahr kann ich da nicht rium nichts bekannt. sehen, weil die deutschen Soldaten, wenn sie die Fahr- zeuge benutzen, Uniform tragen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Darüber hinaus gibt es ungeschützte zivile Fahrzeuge. Sie haben noch eine Zusatzfrage, Frau Kollegin. Die kommen aber grundsätzlich nur innerhalb der Ein- satzliegenschaften zum Einsatz, gehen also sozusagen Heike Hänsel (DIE LINKE): nicht nach draußen. Für diese Fahrzeuge ist daher auch Danke schön. – Bezüglich der Kosten gäbe es natür- keine Kennzeichnung notwendig. lich auch die Möglichkeit, das Mandat zu beenden und dann die Finanzmittel direkt in die zivile Aufbauhilfe in Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Afghanistan zu investieren. Würden auch Sie das als Ihre Zusatzfragen, bitte. eine Möglichkeit ansehen? Natürlich gibt es Beschwerden von vielen Hilfsorga- Heike Hänsel (DIE LINKE): nisationen. In unserem Ausschuss wurde das sogar Danke schön. – Ich wurde darauf hingewiesen, dass schriftlich festgehalten. Es ist schon ein Problem, dass ich Ihnen zum Amtsantritt gratulieren soll. Ich wünsche Entwicklungshelfer – einige wurden angegriffen und so- Ihnen viel Erfolg, vor allem im Hinblick auf eine kon- gar getötet – ganz konkret gefährdet sind, wenn sie nicht struktive Zusammenarbeit auch mit der Opposition. ganz klar getrennt von einer militärischen Präsenz in Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006 6061

Heike Hänsel (A) Afghanistan wahrgenommen werden. Die Truppen dort kennzeichnet sind, benutzen müssen. Das ergibt sich (C) sind Besatzungstruppen und werden von der Bevölke- schlichtweg aus unserem Auftrag. Deswegen sage ich: rung auch so wahrgenommen. Von daher möchte ich Grundsätzlich nutzen wir militärische Fahrzeuge, aber nachfragen: Wie wollen Sie gewährleisten, dass es durch im Ausnahmefall kann es auch dazu kommen, dass wir die Truppenpräsenz keinerlei Gefährdung für den zivilen zivile Fahrzeuge benutzen. Wiederaufbau und die Entwicklungsorganisationen vor Ort gibt? Heike Hänsel (DIE LINKE): Ich hätte noch eine Frage zu den Ausnahmefällen. Thomas Kossendey, Parl. Staatssekretär beim Bun- Wie hoch beziffern Sie den Anteil von zivilen Jeeps im desminister der Verteidigung: Verhältnis zu militärischen bzw. wie oft kommt es vor, Das Konzept, das wir in Afghanistan haben, das dem dass zivile Jeeps benutzt werden? Parlament gerade vor zweieinhalb Monaten noch einmal als Dokument der Bundesregierung zugänglich gemacht Thomas Kossendey, Parl. Staatssekretär beim Bun- worden ist, sagt sehr deutlich, dass die militärische desminister der Verteidigung: Komponente nur eine von vielen ist, mit denen wir Angesichts der Lage in Afghanistan, die mittlerweile Afghanistan helfen wollen. Der Bundesinnenminister, auch im Norden nicht mehr so ruhig ist wie noch vor das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammen- zwei Jahren, legen auch die Soldaten selbst Wert darauf, arbeit und das Auswärtige Amt arbeiten mit dem Vertei- sich in militärischen, das heißt geschützten Fahrzeugen digungsministerium an diesem Aufbau. Das Zurückzie- außerhalb der Einsatzlager zu bewegen. Von daher ist es hen des Militärs aus diesem Konzept würde dazu führen, wirklich die Ausnahme, dass zivile Fahrzeuge benutzt dass all diejenigen, die am zivilen Aufbau mitarbeiten, werden. das ungeschützt tun müssten. Das war von Anfang an nicht das Ziel der Arbeit der Bundesregierung und das ist auch nach wie vor nicht der Wunsch der zivilen Hilfsor- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: ganisationen. Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwor- tung der Fragen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich schließe diesen Geschäftsbereich und rufe den Ich rufe die Frage 6 der Kollegin Heike Hänsel auf: Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Was wird das Bundesministerium der Verteidigung unter- Bau und Stadtentwicklung auf. Die Fragen beantwortet nehmen, damit es zukünftig keine Vermischung ziviler und der Parlamentarische Staatssekretär Ulrich Kasparick. militärischer Präsenz in Afghanistan gibt und Bundeswehrein- (B) heiten sich nur in eindeutig gekennzeichneten Fahrzeugen be- Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Rainder Steenblock (D) wegen? auf: Unter welchen Bedingungen würde die Bundesregierung Thomas Kossendey, Parl. Staatssekretär beim Bun- von ihren Plänen abweichen, einen Tunnel unter der Elbe für desminister der Verteidigung: die geplante Autobahn 20 als Mautprojekt – F-Modell – zu planen, und, wenn das Projekt nicht als Mautprojekt realisiert Die Antwort auf die Frage 6, Frau Kollegin Hänsel, wird, wie soll die Haushaltsfinanzierung für dieses Projekt ge- ergibt sich eigentlich aus dem, was wir gerade bespro- sichert werden? chen haben. Seitens des Bundesministeriums der Vertei- digung sind keine zusätzlichen Maßnahmen beabsich- Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundes- tigt. Wir sehen eigentlich keine Verwechslungsgefahr, da minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: auch in den zivilen Fahrzeugen die Soldaten mit ihrer Lieber Kollege Steenblock, ich schlage vor, die bei- Uniform als Soldaten erkennbar sind. den Fragen, die Sie gestellt haben, zusammen zu bear- beiten. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Haben Sie dazu noch Zusatzfragen? Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Dann rufe ich auch die Frage 8 auf: Heike Hänsel (DIE LINKE): Ist es zutreffend, dass eine Haushaltsfinanzierung zulasten Ja. – Wird es auch in Zukunft gängige Praxis sein, der Länderquoten an den Bedarfsplanmaßnahmen der betei- dass das Militär in der Region dort weiße Jeeps, wie sie ligten Länder Schleswig-Holstein und Niedersachsen gehen häufig auch von Entwicklungshilfeorganisationen gefah- würde und damit entsprechend weniger Geld für die Fertig- stellung anderer Projekte des Vordringlichen Bedarfs zur Ver- ren werden, benutzt? fügung stünde, und, wenn ja, welche Projekte wären davon betroffen? Thomas Kossendey, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister der Verteidigung: Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Ich wiederhole, was ich gesagt habe: Grundsätzlich minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: fahren die Soldaten als Militärfahrzeuge erkennbare und Die A 20 ist insgesamt wichtig für die Verkehrser- gekennzeichnete Fahrzeuge. Wenn militärische Fahr- schließung des Nordens. Um ein solch großes Projekt zeuge nicht in ausreichender Anzahl zur Verfügung ste- wie einen zusätzlichen Elbtunnel in Hamburg als F-Mo- hen, kann es in Ausnahmefällen dazu kommen, dass wir dell umzusetzen, bedarf es einer Vielzahl von Vorunter- zivile Fahrzeuge, die eben nicht als Militärfahrzeuge ge- suchungen. Erste Vorbedingung dafür ist der positive 6062 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006

Parl. Staatssekretär Ulrich Kasparick (A) Ausgang einer Wirtschaftlichkeitsuntersuchung, also ob schen Bundestag eintreten; denn dann haben wir die nö- (C) sich dieses Projekt als F-Modell überhaupt wirtschaftlich tigen Grundlagen, um entscheiden zu können, auf darstellen lässt. Zweite Voraussetzung ist ein abge- welche Weise dieses Projekt finanziell dargestellt wer- schlossenes Vergabeverfahren. den kann. Wenn sich bei den Untersuchungen herausstellen sollte, dass eine Umsetzung im Rahmen eines F-Modells Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nicht infrage kommt, bleibt zur Finanzierung eines sol- NEN): chen Projektes die Haushaltsfinanzierung übrig. In dem Herr Staatssekretär, dieser Tunnel ist in den Bundes- ganz konkreten Fall wäre dann der Deutsche Bundestag verkehrswegeplan ja als F-Modell eingestellt worden. gefordert, weil dieser ja beschließen müsste, dem Ver- Hat die damalige Bundesregierung dieses Modell dort in kehrsministerium entsprechende Mittel zur Verfügung völliger Unkenntnis von Finanzierungs- oder Eignungs- zu stellen. Das hätte natürlich sofort auch Auswirkungen notwendigkeiten eingestellt oder welche neuen Erkennt- auf die Gespräche, die mit den Ländern über die Quoten nisse tauchen jetzt auf, das F-Modell an dieser Stelle in- geführt werden und die in der Regel jährlich stattfinden. frage zu stellen? Die entsprechenden Ministerien stehen darüber ja in ständigem Kontakt. Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Wir stellen das Projekt nicht als F-Modell infrage, Herr Kollege, Sie haben jetzt vier Zusatzfragen. sondern wir wollen, da es sich um ein sehr großes Pro- jekt handelt, die Voruntersuchungen möglichst sorgfältig Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- durchführen. Deswegen dieses zweistufige Verfahren. NEN): Wir sind ja in Deutschland noch Lernende, was die Vielen Dank. – Herr Staatssekretär, gestatten Sie mir Privatfinanzierung von Verkehrsprojekten anbetrifft. Die zunächst einmal eine Richtigstellung: Dieser Tunnel soll Geschichte dieses Tunnelprojektes reicht bis 1987 zu- nicht in Hamburg, sondern in Schleswig-Holstein gebaut rück; damals hat man mit der Planung begonnen. Des- werden. Das ist jedenfalls mein Kenntnisstand. wegen ist der Weg, den wir jetzt vorschlagen, vernünf- Bezüglich der Finanzierung, die Sie ja schon ange- tig: Wir wollen schauen, ob das Projekt als F-Modell sprochen haben, hätte ich als Erstes eine Nachfrage zu geeignet ist – das ist die erste Stufe, die im ersten Quar- dem Finanzierungskonzept. Das ursprüngliche Finanzie- tal nächsten Jahres umgesetzt wird –, und dann anhand rungskonzept ging von Kosten in Höhe von ungefähr einer Wirtschaftlichkeitsüberprüfung klären, ob es sich (B) 380 Millionen Euro aus. Diese Zahl wurde der Öffent- als F-Modell wirtschaftlich darstellen lässt. Die Umset- (D) lichkeit vor Jahren auch bekannt gegeben. Mittlerweile zung dieser zweiten Stufe erwarten wir für Ende nächs- belaufen sich die Baukosten nach Aussagen der Landes- ten Jahres. regierung von Schleswig-Holstein auf 740 Millionen Euro, sie haben sich also fast verdoppelt. Wird ange- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: sichts dieser Kostenexplosion ein neues Finanzierungs- Sie haben noch zwei Zusatzfragen. konzept von der Bundesregierung in Zusammenarbeit mit dem Land Schleswig-Holstein vorgelegt und zu wel- Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- chem Zeitpunkt soll das geschehen? NEN): Welche Auswirkungen hätten denn diese neuen, zu- Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundes- sätzlichen Untersuchungen auf den bisherigen Zeitplan minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: bezüglich der Fertigstellung dieses Querungsbauwer- Vorab noch einmal der Hinweis auf das, was ich eben kes, insbesondere vor dem Hintergrund, dass in Nieder- gesagt habe: Es sind bei diesem Projekt bestimmte Vo- sachsen die Fortführung der A 20 nicht im Vordring- raussetzungen zu erfüllen. Zunächst untersuchen wir die lichen Bedarf steht? Frage, ob der Tunnel überhaupt geeignet ist, im Rahmen eines F-Modells finanziert zu werden. Das Ergebnis die- Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundes- ser Untersuchung wird uns im ersten Quartal nächsten minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Jahres vorliegen. Dann folgt ein zweiter Schritt: Im Rah- Uns geht Gründlichkeit immer vor Schnelligkeit, weil men einer Machbarkeitsstudie wird geprüft, ob man die- die Projekte sonst möglicherweise nicht gut durchdacht ses Projekt als F-Modell wirtschaftlich darstellen kann. sind. Deswegen haben wir dieses Verfahren vorgeschla- Das Ergebnis dieser Studie erwarten wir zum Herbst gen. Prinzipiell kann man davon ausgehen, dass, wenn nächsten Jahres. man in einem solchen Voruntersuchungsprozess auf Ihre Frage bezüglich der Kostenstruktur bezieht sich Schwierigkeiten stößt, sich daraus Verzögerungen erge- insbesondere auf Sachverhalte dieser zweiten Untersu- ben. Bei großen Verkehrsprojekten wie der A 20 oder chung, also ob man das Projekt als F-Modell wirtschaft- anderen Autobahnen ist es ohnehin so, dass man die lich darstellen kann. Wenn die entsprechenden Ergeb- Projekte in Abschnitte unterteilt und sie abschnittsweise nisse vorliegen und es um die konkrete Umsetzung geht, realisiert. Was konkret den Tunnel anbetrifft, sind wir, wird man in einen intensiven Dialog mit den Landesre- denke ich, auf dem richtigen Weg, wenn wir sehr sorg- gierungen und, wie ich vermute, auch mit dem Deut- fältig zweistufig vorgehen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006 6063

(A) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Günter Gloser, Staatsminister für Europa: (C) Sie haben noch eine Zusatzfrage. Ich darf wie folgt antworten: Die Richtlinien der 31. israelischen Regierung unter Premierminister Olmert Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- haben sich durch den Beitritt der Partei „Yisrael Bei- NEN): tenu“ unter Lieberman nicht geändert. Im Übrigen, Herr Meine letzte Frage ist: Können Sie die im Augenblick Kollege, darf ich Ihnen sagen, dass die Bundesregierung zirkulierende Zahl von 740 Millionen Euro als Kosten- zu Regierungsumbildungen in anderen Staaten keine rahmen für das Querungsbauwerk bestätigen – ist das ein Stellung nimmt. Erkenntnisstand, auf den sich die Bundesregierung beru- fen will – oder wird es, bevor die Wirtschaftlichkeitsun- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: tersuchung startet – man muss ja, wenn man über Maut- Ihre Zusatzfragen, Herr Kollege. höhen redet, auch wissen, was das Bauwerk kosten soll –, noch eine neue Kostenschätzung geben? Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung darauf Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär beim Bundes- eingestellt, dass sich durch die Aufnahme von Herrn minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Lieberman in die israelische Regierung der Konflikt Wenn man zu der Erkenntnis kommt, dass das Projekt zwischen Israel und den Palästinensern dramatisch ver- als F-Modell geeignet ist und sich wirtschaftlich darstel- schärfen kann? Ich will einmal zitieren, was Herr len lässt, dann muss man in dem Zusammenhang bei- Lieberman unter anderem gesagt hat: spielsweise die Frage nach der Tunnellänge beantwor- ten. Da gibt es unterschiedliche Denkansätze und Wir müssen die Motivation der Palästinenser ver- Untersuchungsansätze. Von dieser technischen Voraus- nichten. Wenn es nach mir ginge, würde ich ihnen setzung hängen die Kosten ab. Das ist der erste Punkt. mitteilen, dass wir ab morgen früh um zehn die Ge- Das heißt, die Frage, wie hoch die Kosten am Ende tat- schäftszentren in ihren Städten und drei Stunden sächlich sein werden, wird sich im Zuge der Untersu- später alle Tankstellen bombardieren. chungen zeigen. Glauben Sie nicht, dass die Aufnahme von Herrn Das Zweite. Sie sind lange genug Verkehrspolitiker, Lieberman in die israelische Regierung zu weiteren um zu wissen, dass Projekte selten billiger werden, als schärferen Auseinandersetzungen führen wird? sie geplant wurden. Das ist ein gängiger Erfahrungswert. Deswegen kann man realistischerweise davon ausgehen, Günter Gloser, Staatsminister für Europa: dass wir noch gewisse Spielräume haben, wenn es um Herr Kollege Gehrcke, natürlich ist sich die Bundes- (B) die Frage geht, mit welcher Endsumme wir kalkulieren (D) müssen. regierung dessen bewusst, wie schwierig gegenwärtig das Verhältnis zwischen Palästinensern und Israelis ist. Ich komme auf meine erste Bewertung zurück, nämlich Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: dass die Richtlinien der israelischen Politik durch Herrn Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwor- Olmert bestimmt werden und nicht durch Herrn Lieberman. tung der Fragen. Ich darf auch darauf hinweisen – das ist der Kenntnis- Zu diesem Geschäftsbereich liegen keine weiteren stand der Bundesregierung –, dass auch innerhalb der is- Fragen vor. Deswegen schließe ich ihn. raelischen Regierung Kritik an den Äußerungen von Herrn Lieberman laut geworden ist. Ich denke daher, es Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri- ist klar, dass seine Äußerungen nicht der offizielle Kurs ums für Arbeit und Soziales auf. der israelischen Regierung sind. Die Frage 9 der Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann wird aufgrund von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien schrift- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: lich beantwortet. Ihre weitere Zusatzfrage. Die Frage 10 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch wird ebenfalls schriftlich beantwortet. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Herr Staatsminister, ausgerechnet Herr Lieberman ist Auch die Fragen 11 und 12 der Kollegin Brigitte als Minister für strategische Fragen für die Behandlung Pothmer werden schriftlich beantwortet. des Konflikts mit dem Iran verantwortlich. Meinen Sie Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Aus- daher nicht auch, dass das auf der iranischen Seite zu wärtigen Amtes. Die Fragen beantwortet Herr Staatsmi- neuen Ängsten, Sorgen und Verhärtungen führen kann? nister Günter Gloser. Ich rufe die Frage 13 des Kollegen Wolfgang Gehrcke Günter Gloser, Staatsminister für Europa: auf: Herr Kollege Gehrcke, Sie wissen genauso gut wie ich, dass wir keinen Einfluss auf die Besetzung von Mi- Welche Auswirkungen auf den angestrebten Friedenspro- zess im Nahen Osten sieht die Bundesregierung durch die nisterposten in ausländischen Regierungen haben. Aufnahme von Avigdor Lieberman in die israelische Regie- Die israelische Regierung ist sicherlich darüber unter- rung, die von dem zurückgetretenen Minister Ofir Pines-Pas als ein „moralischer Schandfleck“ bezeichnet wurde (verglei- richtet, wie stark die drei EU-Staaten Großbritannien, che „dda“ vom 30. Oktober 2006)? Frankreich und Deutschland im Benehmen mit den 6064 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006

Staatsminister Günter Gloser (A) Vereinigten Staaten von Amerika, Russland und China Günter Gloser, Staatsminister für Europa: (C) an einer Lösung arbeiten, um eine Bedrohung Israels Herr Kollege Gehrcke, ich möchte darauf hinweisen, auszuschließen. Ich kann also keinen Grund für eine ne- dass die Bundeswehr nur ein Teil dieser Mission der Ver- gative Entwicklung sehen. einten Nationen ist. Wie Kofi Annan schon dargelegt hat, verletzten diese Flüge die Resolution der Vereinten Nationen. Es muss daher alles Mögliche getan werden, Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: damit es nicht zu neuen Konflikten kommt. Ich rufe die Frage 14 des Kollegen Wolfgang Gehrcke auf: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Sieht die Bundesregierung in den ungenehmigten israeli- Ich rufe die Frage 15 des Kollegen Alexander Ulrich schen Militärflügen über libanesisches Territorium eine Ver- auf: letzung des Waffenstillstands und der UNO-Resolution 1701? Mit welchen konkreten Maßnahmen plant die Bundes- regierung während ihrer EU-Ratspräsidentschaft den Nahost- Günter Gloser, Staatsminister für Europa: friedensprozess voranzutreiben? Ich darf wie folgt Stellung nehmen: Der Generalse- kretär der Vereinten Nationen unterstreicht in seinem Günter Gloser, Staatsminister für Europa: jüngsten Bericht vom 19. Oktober 2006 zur Umsetzung Herr Kollege Ulrich, ich darf wie folgt antworten: Die der Resolution 1559 seine Erwartung, dass diese Flüge, Bundesregierung wird gemeinsam mit den Partnern in die eine Verletzung der libanesischen Souveränität dar- der Europäischen Union und im Nahostquartett intensiv stellen und im Widerspruch zu den Resolutionen 425, nach Möglichkeiten suchen, den Nahostkonflikt einer 1559 und 1701 des Sicherheitsrates stehen, vollständig umfassenden Friedenslösung näher zu bringen. Der Bun- eingestellt werden. Aus Sicht der Bundesregierung ist desminister des Auswärtigen hat sich für die Wiederbe- die vollständige Umsetzung und Respektierung der VN- lebung und mögliche Erweiterung des Aufgabenbereichs Resolution 1701 unabdingbare Grundlage zur Stabilisie- des Nahostquartetts ausgesprochen. Gegenwärtig führt rung der Lage im Libanon. er mit den Partnern des Quartetts Gespräche, in denen die in der Quartetterklärung vom 20. September 2006 geäußerte Bereitschaft thematisiert wird, über eine Er- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: weiterung des Aufgabenbereiches nachzudenken, und Ihre Zusatzfragen, bitte. dies nicht nur beschränkt auf den Kernkonflikt Israel-Pa- lästina, sondern auch die Regionalkonflikte in Bezug auf Libanon und Syrien einbeziehend. In Gesprächen mit Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): (B) den Partnern hat der Bundesminister des Auswärtigen (D) Ich kann nur ausdrücklich das bekräftigen, was der für diese Haltung geworben. Generalsekretär der Vereinten Nationen gesagt hat. Hat Herr Minister Jung, der als letzter Minister direkte Ge- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: spräche mit der israelischen Regierung geführt hat, den Ihre Zusatzfragen, bitte. Protest der Bundesregierung, die an UNIFIL beteiligt ist, gegen diese Flüge der israelischen Regierung direkt übermittelt? Alexander Ulrich (DIE LINKE): Herr Staatsminister, gibt es im Rahmen der Ratspräsi- dentschaft und damit als Teil des Kleeblatts eine Initia- Günter Gloser, Staatsminister für Europa: tive der Bundesregierung, auf die Durchführung einer Die Bundesregierung hat gerade in den letzten Wo- Nahostfriedenskonferenz zu drängen? chen immer deutlich gemacht, dass es im Hinblick auf die Waffenruhe, die glücklicherweise mithilfe der Reso- Günter Gloser, Staatsminister für Europa: lution der Vereinten Nationen geschaffen werden konnte, Herr Kollege Ulrich, nach Verabschiedung der ent- engste Gespräche und auch den Austausch von Informa- sprechenden Resolution in den Vereinten Nationen tionen geben muss, um mögliche Missverständnisse zwi- wurde deutlich gemacht, dass wir nicht nur Entscheidun- schen Israel und den Vereinten Nationen, insbesondere gen, sondern endlich auch eine politische Lösung benöti- den Ländern, die an der Mission UNIFIL beteiligt sind, gen. Angesichts der Entwicklung haben wir vorgeschla- auszuräumen. gen, den Bereich Libanon und Syrien mit einzubeziehen. Ich glaube, Sie werden mir darin zustimmen, dass Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: eine solche Konferenz zum Erfolg führen muss. Wir Ihre weitere Zusatzfrage. können nicht wieder eine Niederlage gebrauchen. Des- halb führt die Bundesregierung derzeit in Abstimmung mit der finnischen Ratspräsidentschaft Gespräche da- Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): rüber. Wir werden dieses Thema während der deutschen Herr Staatsminister, Sie haben auf eine Frage geant- EU-Ratspräsidentschaft auf die Agenda setzen. Aber ich wortet, die ich überhaupt nicht gestellt habe. Ich versu- bitte um Nachsicht, dass wir ein solch umfassendes Pro- che es also noch einmal: Ich möchte wissen, ob die Bun- jekt nicht von heute auf morgen in Gang setzen können. desregierung als Teil dieser Mission ihren Protest der Dazu bedarf es der Abstimmung im Rahmen des Nahost- israelischen Regierung direkt übermittelt hat. quartetts, aber auch der Einbeziehung der Konfliktpar- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006 6065

Staatsminister Günter Gloser (A) teien. Ob dazu sechs Monate ausreichen werden, be- Günter Gloser, Staatsminister für Europa: (C) zweifle ich. Aber dieses Thema steht während der Herr Kollege Ulrich, wir wissen nicht, aus welcher deutschen Ratspräsidentschaft ganz oben auf der Tages- Quelle – ich stelle hier keine Vermutungen an – die ordnung. Presse diese Informationen erhalten hat. Ich wiederhole die Bewertung der Bundesregierung, die ich bereits in Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: einer früheren Fragestunde dargestellt habe: Bis jetzt wurde kein Beschluss zum Präsidentschaftsprogramm Sie haben noch eine Zusatzfrage. gefasst. Dies geschah zum einen deshalb, weil immer noch abgewartet werden muss, wie die Entwicklung in- Alexander Ulrich (DIE LINKE): nerhalb der Europäischen Union verläuft und was aktuell Herr Staatsminister, wie beurteilt dann die Bundesre- in das Programm einbezogen werden muss. Zum ande- gierung die Debatte im Europaparlament, dass das EU- ren warnen wir vor einer zu frühen Bekanntgabe, nicht Parlament selbst initiativ werden und Abgeordnete der deswegen, weil wir nicht informieren wollen, sondern in Konfliktparteien zu Beratungen einladen will? Respekt vor der finnischen Präsidentschaft. Vergleich- bare EU-Staaten haben ihr Programm circa vier, fünf Wochen vor Beginn ihrer Präsidentschaft vorgestellt. Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Herr Kollege Ulrich, natürlich hat die Bundesregie- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: rung vor dem Europäischen Parlament Respekt. Wir sind Sie haben noch eine Zusatzfrage. nicht dazu da, diese Initiativen zu kommentieren. Natür- lich muss es entsprechende Gespräche geben. Alexander Ulrich (DIE LINKE): In der Europäischen Union haben wir uns aber zum Können wir als Abgeordnete aufgrund dieser negati- einen darauf verständigt, dass in der jetzigen Phase eine ven Erfahrung davon ausgehen, dass die zwischen Bun- Reihe von Kontakten notwendig ist und mit den Bünd- destag und Bundesregierung in diesem Zusammenhang nispartnern, im Nahostquartett – ich wiederhole das – getroffene Vereinbarung gerade im Vorfeld der EU-Rats- und natürlich auch mit den Vereinten Nationen die Situa- präsidentschaft offensiv gelebt wird? tion ausgelotet werden muss. Zum anderen müssen wir sehen, wie die Konfliktparteien in einen solchen Prozess Günter Gloser, Staatsminister für Europa: einbezogen werden können. Darüber hinausgehende Ini- Sie wissen um unsere Debatte aufgrund einer einstim- tiativen liegen in der Autonomie der jeweiligen Berei- mig beschlossenen Vereinbarung des Deutschen Bundes- che, im konkreten Fall in der des Europaparlaments. tages mit der Bundesregierung. Ich bin überzeugt, dass (B) Sie von allen Ressorts und der Bundesregierung früh in (D) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: den Prozess einbezogen werden. Ich bitte aber um Rück- Ich rufe die Frage 16 des Kollegen Ulrich auf: sichtnahme, da es bisher keinen Beschluss der Bundesre- gierung gibt. Es macht schließlich keinen Sinn, ein Pa- Wie erklärt die Bundesregierung die Tatsache, dass der pier, das jede Woche verändert wird, der Öffentlichkeit Presse („Die Welt“ vom 12. Oktober 2006) der Entwurf des Arbeitsprogramms der deutschen EU-Ratspräsidentschaft be- oder auch den Parlamentariern zu unterbreiten. kannt ist und den Abgeordneten und Mitgliedern des EU-Aus- Die Bundeskanzlerin hat vor wenigen Wochen im schusses, die täglich damit arbeiten müssten, nicht? Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union die Schwerpunkte dargestellt, an denen sich die Günter Gloser, Staatsminister für Europa: EU-Ratspräsidentschaft orientieren wird. Wenn wir im Den Abgeordneten des Deutschen Bundestages wird Kabinett entsprechende Beschlüsse gefasst haben – vo- das Programm der deutschen EU-Präsidentschaft nach raussichtlich Ende November –, werden sie Ihnen unmit- Billigung durch das Bundeskabinett, die voraussichtlich telbar zugeleitet. Ende November erfolgen wird, übermittelt. Dem Vorsit- zenden des Europaausschusses wurde aufgrund dessen Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: hervorgehobener Stellung in EU-Angelegenheiten be- Ich rufe die Frage 17 des Kollegen Dr. Norman Paech reits ein Entwurf des Arbeitsprogramms nach Kenntnis- auf: nahme durch das Kabinett zur persönlichen Unterrich- Ist der Bundesregierung bekannt, dass die US-Regierung tung und vertraulichen Behandlung übersandt. in einem Militärlager in Jericho im Westjordanland ein Trai- ningsprogramm durchführt, mit dem die Präsidentengarde der palästinensischen Autonomiebehörde für einen bewaffneten Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Kampf gegen die Hamas gerüstet werden soll (vergleiche Herr Kollege, Ihre Fragen bitte. „Haaretz“ vom 31. Oktober 2006), und, wenn ja, hält die Bun- desregierung dies für einen konstruktiven Beitrag zu einer Friedensregelung im Nahen Osten? Alexander Ulrich (DIE LINKE): Wäre es vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Günter Gloser, Staatsminister für Europa: schon eher Informationen aus dem Ministerium an die Herr Kollege Paech, der Bundesregierung sind ent- Presse weitergeleitet wurden, nicht notwendig, von die- sprechende Presseberichte bekannt. Nach Kenntnis der sem Zeitplan abzuweichen und dieses Haus über die Bundesregierung trifft es nicht zu, dass in Jericho Trai- Maßnahmen und Pläne zu informieren? ningsmaßnahmen durchgeführt werden, mit denen die 6066 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006

Staatsminister Günter Gloser (A) dem Präsidenten der palästinensischen Autonomiebe- dung der Hamas statt. Die Bundesregierung teilt daher (C) hörde unterstehenden Sicherheitskräfte für einen bewaff- nicht die Einschätzung, dass Ursache dieser Auseinan- neten Kampf gegen die Hamas gerüstet werden. dersetzungen die Isolierung der Hamas-geführten Regie- rung ist. Bekannt ist der Bundesregierung, dass es im Rahmen der Mission des US-Sicherheitskoordinators General- leutnant Dayton konkrete Überlegungen gibt, die Präsi- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: dialgarde für Einsätze an Grenzübergängen auszubilden. Ihre erste Zusatzfrage. Nach Kenntnis der Bundesregierung ist mit entsprechen- den Ausbildungsmaßnahmen nicht vor Beginn des Dr. Norman Paech (DIE LINKE): nächsten Jahres zu rechnen. Sie gehen aber ebenfalls davon aus, dass die Aus- einandersetzungen zwischen Hamas und Fatah militä- risch geführt werden. Meine Frage dazu: Was gedenkt Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: die Bundesregierung im Rahmen einer neuen Strategie Ihre Zusatzfrage, bitte. zur Friedenslösung zu unternehmen? Ist sie bereit, die Blockade gegenüber der Hamas aufzugeben und sich mit Dr. Norman Paech (DIE LINKE): der gewählten Regierung, dem gewählten Parlament in Herr Staatssekretär, dann ist Ihnen wohl auch be- Bezug auf eine Friedenslösung auseinander zu setzen? kannt, dass nach Presseberichten, ähnliche Lager im Gazastreifen eingerichtet werden sollen? Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Herr Kollege, Sie wissen, dass es diesbezüglich von Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Anfang an eine Position der Europäischen Union gege- Herr Kollege Dr. Paech, es gibt Pressemeldungen, ben hat. Voraussetzung für die Aufnahme der Kontakte aber eine solche Situation ist der Bundesregierung nicht zwischen der Europäischen Union – damit auch die je- bekannt. weils bilateralen Kontakte – und der Hamas-geführten Regierung war ein deutliches Signal. Die Bedingungen Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: waren: die Anerkennung des Staates Israel, das Eintreten in die Roadmap und der Verzicht jeglicher Gewalt. – Sie haben noch eine Zusatzfrage. Wenn ich die jüngsten Meldungen richtig deute, gibt es Bewegung zwischen den beiden Parteien, der Hamas Dr. Norman Paech (DIE LINKE): und der Fatah, innerhalb Palästinas. Es ist zu hoffen, Das ist insofern etwas seltsam, als mir diese Berichte dass es hier letztendlich zu einer Lösung kommt und ein von der Deutschen Botschaft in Tel Aviv zugesandt wor- deutliches Signal ausgesendet wird, dass die Bedingun- (B) (D) den sind. Kann ich davon ausgehen, dass Sie diesen gen erfüllt sind, damit die Kontakte zwischen der Euro- Berichten intensiv nachgehen werden und uns dann, päischen Union und der Hamas-geführten Regierung in eventuell auch schriftlich, über Ihre Konsequenzen in- den palästinensischen Gebieten aufgenommen werden formieren? können.

Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Selbstverständlich. Sollte es ein solches Dokument Sie haben noch eine Zusatzfrage. geben, werde ich dem nachgehen und Sie dann entspre- chend unterrichten. Dr. Norman Paech (DIE LINKE): Nach jüngsten Meldungen – entsprechende Meldun- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: gen gab es auch heute Morgen – hat die israelische Re- Ich rufe die Frage 18 des Kollegen Dr. Norman Paech gierung heftige militärische Interventionen im Gazastrei- auf: fen unternommen, verbunden mit vielen Zerstörungen und vielen Toten. Ist die Bundesregierung bereit, um den Ist der Bundesregierung die Einschätzung der US-Regie- rung bekannt, wonach die Isolierung der von der Hamas ge- Friedensprozess zu fördern, intensiv auf die israelische führten palästinensischen Regierung zu einer bewaffneten Regierung einzuwirken, um diese militärischen Aktio- Auseinandersetzung zwischen der Hamas und der Fatah füh- nen im Gazastreifen zu beenden? ren werde (vergleiche „Haaretz“ vom 31. Oktober 2006), und, wenn ja, welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus für ihre eigene Nahostpolitik? Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Kollege Paech, Sie kennen den Ausgangspunkt: Die Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Konflikte zwischen Israelis und Palästinensern haben sich wiederum verschärft. Bis heute haben wir noch kei- Der Bundesregierung sind entsprechende Pressebe- nes der Probleme gelöst. Die entführten israelischen Sol- richte bekannt. Vor dem Hintergrund der Bemühungen daten wurden noch nicht freigelassen. von Präsident Abbas zur Bildung einer palästinensischen Regierung auf der Grundlage seiner eigenen Friedens- Es wird deutlich gemacht, dass sich die Situation agenda bereiten gerade die jüngsten bewaffneten Aus- nicht weiter verschärfen darf. Wir nehmen Einfluss und einandersetzungen zwischen Fatah-nahen und Hamas- machen deutlich: Es gibt gewisse Rechte, auch das nahen Milizen der Bundesregierung Sorge. Bedauerli- Selbstverteidigungsrecht des israelischen Staates; bei ih- cherweise finden diese Auseinandersetzungen zwischen rer Durchsetzung ist aber auf die Verhältnismäßigkeit Mitgliedern der Fatah und der Hamas bereits seit Grün- der Mittel zu achten. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006 6067

(A) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich weise hierbei noch einmal auf die Ausführungen von (C) Ich rufe die Frage 19 der Kollegin Sevim Dagdelen Frau Kollegin Böhmer hin. Wenn es davon abweichende auf: Überlegungen gäbe, müssten die europarechtlichen und Werden die getroffenen Absprachen Auswirkungen auf verfassungsrechtlichen Aspekte berücksichtigt werden. die Praxis der Visumerteilung für türkische Staatsangehörige In diesem Fall ist aber noch keine Richtlinie umgesetzt im Rahmen von Familienzusammenführung haben und, wenn worden. Man befindet sich hierbei in einer Debatte. Wir ja, welche? müssen die Debatte, auch hier im Deutschen Bundestag, abwarten. Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Sehr geehrte Frau Kollegin, wenn ich es richtig ver- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: standen habe, wurde ein Teil Ihrer Frage von Frau Staatsministerin Böhmer schon beantwortet. Auch ich Sie haben noch eine Zusatzfrage. gebe Ihnen aber gern eine Antwort. (Sevim Dagdelen [DIE LINKE]: Nein, danke!) Die Gespräche zwischen der Beauftragten der Bun- – Sie haben also keine Zusatzfrage mehr. desregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration und der türkischen Seite bezogen sich allein auf den Be- Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereiches. reich des Ehegattennachzugs, also nicht auf den umfas- Vielen Dank, Herr Staatsminister, für die Beantwortung senden Familiennachzug nach Deutschland. Auswirkun- der Fragen. gen des angedachten Kooperationsansatzes auf den Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri- Ehegattennachzug können sich ergeben, wenn das gel- ums der Finanzen auf. Die Fragen beantwortet Frau Par- tende Aufenthaltsgesetz die Erteilung des Visums bzw. lamentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks. der Aufenthaltserlaubnis von Kenntnissen der deutschen Sprache des Nachziehenden abhängig macht. Beim Ehe- Die Frage 20 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch wird gattennachzug zu in Deutschland lebenden Ausländern schriftlich beantwortet. sind Kenntnisse der deutschen Sprache nach geltender Ich rufe die Frage 21 des Kollegen Dr. Gerhard Rechtslage grundsätzlich keine Nachzugsvoraussetzung. Schick auf: Etwas anderes gilt lediglich, wenn der in Deutschland Wie verändert sich durch die so genannte Exit-Tax, mit der lebende Ehegatte seit weniger als zwei Jahren im Besitz die Einbringung von Immobilien in REITs erleichtert werden einer Aufenthaltserlaubnis ist und die Ehe erst nach ihrer soll, die Interessenlage ausländischer Finanzinvestoren bezüg- lich der Übernahme deutscher Unternehmen in Abhängigkeit Erteilung geschlossen wurde. In diesen Fällen wird auf von deren Größe, der Höhe ihrer Substanzwerte in Immobi- dem Ermessenswege über den Ehegattennachzug ent- lien und deren Gesellschaftsform, zum Beispiel börsenno- (B) schieden. Insoweit können – ich hoffe, wir sind uns tierte bzw. nicht börsennotierte Aktiengesellschaft, GmbH (D) darüber einig – Sprachkenntnisse des nachziehenden etc.? Ehegatten als Ermessensgesichtspunkt bei der Visumser- teilung Berücksichtigung finden. In diesen Fällen sind Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim positive Auswirkungen durch vorbereitende Sprachkurse Bundesminister der Finanzen: im Hinblick auf die Erteilung eines Visums zu erwarten. Herr Kollege Schick, völlig unabhängig von der Ein- führung deutscher REITs und der steuerlichen Begünsti- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: gung durch die Exit-Tax können in- und ausländische Fi- Ihre Zusatzfrage, bitte. nanzinvestoren deutsche Unternehmen übernehmen, um diese später in einzelne Unternehmensteile aufzuspalten Sevim Dagdelen (DIE LINKE): und einzeln zu verkaufen. Durch die Exit-Tax kann ein Herr Staatsminister, danke für die teilweise Beant- Unternehmensteil, nämlich die Immobilien, steuerer- wortung meiner Frage. – Sie meinten, dass Sprachkennt- leichtert an REITs und offene Immobilienfonds verkauft nisse aller Voraussicht nach entscheidend im Rahmen werden. der Ermessensentscheidung bei der Visumserteilung Gleichwohl erscheint es unwahrscheinlich, dass die werden könnten. Etwa 55 000 Menschen, rund ein Vier- zeitlich befristete Exit-Tax die Gefahr für deutsche Un- tel davon aus der Türkei, sind im vergangenen Jahr über ternehmen erhöht, von in- und ausländischen Finanzin- den so genannten Familiennachzug – Sie haben zwi- vestoren mit dem Ziel der Zerschlagung übernommen zu schen Ehegattennachzug und Familiennachzug unter- werden. schieden – hierher gekommen. Ich möchte wissen, was die bestimmten Voraussetzungen sind. Inwieweit können Die Interessenlage in- und ausländischer Finanzinves- Sie vor dem Hintergrund, dass die Familienzusammen- toren bezüglich der Übernahme deutscher Unternehmen führung und entsprechend der Ehegattennachzug nach dürfte, unabhängig von ihrer Rechtsform und Größe, Art. 6 Grundgesetz geschützt sind, dem Prinzip der Ver- durch die Möglichkeit der steuerbegünstigten Veräuße- hältnismäßigkeit gerecht werden? rung der Unternehmensimmobilien durch die Exit-Tax aus folgenden Gründen in keinem nennenswerten Um- fang beeinflusst werden: Günter Gloser, Staatsminister für Europa: Frau Kollegin, ich habe gerade in meiner Antwort Die Investitionsentscheidung internationaler Finanz- ausdrücklich gesagt, dass die Teilnahme an Sprachkur- investoren hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, sen keine Voraussetzung für den Ehegattennachzug ist. zum Beispiel von der wirtschaftlichen Lage des 6068 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006

Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks (A) Portfoliounternehmens, von stillen Reserven in den ein- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (C) zelnen Wirtschaftsgütern, einschließlich Grund und Sie haben noch eine Zusatzfrage. Boden sowie Gebäuden, oder von Belastungen der Grundstücke mit Grundpfandrechten. Daher dürfte eine einzelne steuerliche Regelung wie der vorgesehene § 3 Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Nr. 70 des Einkommensteuergesetzes nicht den Aus- NEN): schlag für die Entscheidung solcher Investoren geben. Zwischen der Zielsetzung der Exit-Tax, dass Firmen- immobilien leichter an die Börse gebracht werden Ein Finanzinvestor mit Zerschlagungsinteresse wird können, und der Zielsetzung von Unternehmensüberneh- ein Unternehmen nur dann kaufen, wenn die Unterneh- mern, Substanzwerte aus einem Unternehmen herauszu- mensteile einzeln mehr wert sind als in der Gesamtheit. ziehen und an den Kapitalmärkten zu vermarkten, be- Hierbei wird es auf den Wert des jeweiligen operativen steht eine gewisse Parallelität. Diese Parallelität – darauf Geschäftsfeldes, zum Beispiel Finanzen oder Maschi- zielte meine Frage – würden Sie nicht ausschließen? nenbau, ankommen. Der Wert des Immobilienbesitzes sollte gegenüber dem Wert des Geschäftes eher eine Randgröße sein. Dementsprechend ist die Frage der Ver- Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim wertungsmöglichkeiten von Immobilien zwar ein, je- Bundesminister der Finanzen: doch nicht der maßgebliche Aspekt bei der Entschei- Herr Kollege, ich muss noch einmal differenzieren. dung, ob ein Finanzinvestor ein Unternehmen kauft oder Zum einen gibt es bestehende Unternehmen, die in ihren nicht. Portfolios stille Reserven in Form von Immobilien ha- ben, die dem Betriebsvermögen zwar zugeordnet sind, Eine Exit-Tax dürfte zwar bei Unternehmen, in deren die aber nicht mit dem gemeinen Wert, sondern mit dem Besitz sich Immobilien mit stillen Reserven befinden, Buchwert bewertet sind. Ein bestehendes Unternehmen, grundsätzlich wertsteigernd wirken; von dieser Wertstei- welches auch immer, kann seine Immobilien unter den gerung profitieren aber nur die aktuellen Eigentümer und günstigeren Bedingungen der Exit-Tax veräußern, wenn nicht die potenziellen Erwerber, da die Wertsteigerung der Rechtsrahmen das im Laufe des nächsten Jahres er- bei den zu erzielenden Verkaufserlösen naturgemäß ein- möglicht. Damit würde das Unternehmen aber seine Ka- gepreist werden müsste. Vor allem bereits jetzt markt- pitalisierung stärken, weil die Finanzmittel dann zum ge- gängige, veräußerungsfähige und damit für Finanzinves- meinen Wert als Eigenkapital verbucht würden. Das toren interessante Unternehmensimmobilien weisen Eigenkapital würde durch die Veräußerung der eigenen stille Reserven auf und fallen damit unter den Anwen- Immobilien also in Höhe der Differenz zwischen dem dungsbereich der Exit-Tax. bisherigen Buchwert der Immobilien und deren Kapital- (B) Unternehmensspezifische Immobilien werden ledig- wert gestärkt. Für Finanzinvestoren ist es zunächst ein- (D) lich dann Verkehrswerte über den Buchwerten aufweisen, mal schwieriger, ein solches Unternehmen zu überneh- wenn von einer langfristigen Nutzung gleichbedeutend men, weil die Höhe des Eigenkapitals gestiegen ist. mit einer langfristigen Betriebsfortführung ausgegangen werden kann. Wertsteigerungen bei Unvermietbarkeit der Für sie stellt das also keine Erleichterung dar, sondern Immobilien erscheinen nicht plausibel. Bislang unattrak- eher ein Hindernis. Denn das Eigenkapital müsste, wie tive Immobilien werden für Finanzinvestoren auch durch ich schon sagte, in den Kaufpreis eingepreist werden. die Exit-Tax nicht attraktiv. Darüber hinaus fragten Sie, ob Finanzinvestoren durch die Exit-Tax angezogen werden. Nach meinem Dafür- halten ist das eher unwahrscheinlich. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ihre Zusatzfrage, bitte. Eine andere Frage, die Sie gestellt haben, lautet: Wenn ein Finanzinvestor ein deutsches Unternehmen er- Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- worben hat, kann dann solch ein neuer Besitzer zum Bei- NEN): spiel die Immobilien des Unternehmens veräußern? Ja, das ist nicht ausgeschlossen. Handelt es sich aber um Frau Staatssekretärin, verstehe ich Sie richtig, dass Immobilien, die für die Fortführung des Unternehmens Sie nicht ausschließen können, dass Finanzinvestoren notwendig sind, so müsste auch ein neuer Besitzer die von der erleichterten Veräußerung von Immobilien und Immobilien wieder zurückmieten, um seinen Betrieb deren Einbringen in REITs Gebrauch machen und inso- überhaupt fortführen zu können; das hätte allerdings weit von der Steuervergünstigung, die die Exit-Tax dar- auch für den vorherigen Besitzer gegolten. stellt, profitieren?

Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Bundesminister der Finanzen: Ich rufe die Frage 22 der Kollegin Dr. Barbara Höll Es ist selbstverständlich nicht auszuschließen, dass Fi- auf: nanzinvestoren ein Unternehmen erwerben und anschlie- Wie haben sich seit 2004 die Kosten der Unterkunft, Heiz- ßend Immobilien veräußern. Ihre Frage richtete sich aber und Energiekosten, Kosten der Warmwasserbereitung in den darauf, ob Finanzinvestoren durch die Exit-Tax angeregt einzelnen Jahren entwickelt und wie müssen sich nach An- würden, vermehrt Unternehmensbesitz in Deutschland sicht der Bundesregierung diese Kostenentwicklungen sowie die Anhebung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte in zu erwerben. Das ist aufgrund des eben von mir Darge- 2007 auf die Höhe des Existenzminimums für Erwachsene stellten eher unwahrscheinlich. und Kinder auswirken? Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006 6069

(A) Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim den Aussagen treffen. Dies fällt in die Zuständigkeit des (C) Bundesminister der Finanzen: Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Selbstver- Frau Kollegin Höll, die vom Statistischen Bundesamt ständlich wird die höchstrichterliche Rechtsprechung in im Rahmen der Verbraucherpreisstatistik veröffentlich- diesem Zusammenhang Berücksichtigung finden. Wie ten Indizes bilden lediglich die Preisentwicklung ab. Sie und auf welche Weise dies der Fall sein wird, dazu ver- liefern aber keine Aussagen über tatsächlich anfallende mag ich heute noch keine Ausführungen zu machen. Al- Ausgaben. So steht beispielsweise kein separater Index lerdings ist nach den Vorgaben des Bundesverfassungs- zur Entwicklung der Heizkosten zur Verfügung. gerichts, vor deren Hintergrund wir dem Parlament den Existenzminimumbericht zuleiten, keine Regionalisie- Nach dem Beschluss des Deutschen Bundestages vom rung der Kosten, was das steuerliche Existenzminimum 2. Juni 1995 berichtet die Bundesregierung regelmäßig, anbelangt, vorgesehen. alle zwei Jahre, im Rahmen einer Prognoserechnung über die Entwicklung des von der Einkommensteuer zu verschonenden Existenzminimums von Erwachsenen Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: und Kindern. Mit Schreiben vom 31. Oktober 2006 Sie haben noch eine Zusatzfrage. wurde dem Präsidenten des Deutschen Bundestages und dem Vorsitzenden des Finanzausschusses des Deutschen Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Bundestages der Sechste Existenzminimumbericht, der Frau Staatssekretärin, was das Vorgehen zur Berech- das Berichtsjahr 2008 betrifft, zugeleitet. nung des steuerfreien Existenzminimums betrifft, haben Ergebnis dieses Berichts ist, dass die steuerlichen Sie mündlich darauf hingewiesen, dass es hierfür ver- Freibeträge nach derzeitigem Sachstand noch bis ein- schiedene Grundlagen gibt: sowohl gesetzliche als auch schließlich 2008 ausreichend bemessen sind. Bei der Er- statistische, unter anderem die Wohngeldstatistik des mittlung der steuerfrei zu stellenden Beträge für die Jahres 2004, die bis 2008 und sogar darüber hinaus fort- Komponenten der Sozialhilfe – Regelsatz sowie Unter- geschrieben wird. Inwieweit wurden diese Berechnungs- kunfts- und Heizkosten – werden feststehende Erhö- grundlagen in der Vergangenheit mit der realen Entwick- hungsfaktoren berücksichtigt. Die Prognose zur Ent- lung daraufhin abgeglichen, ob die angenommene wicklung der Unterkunfts- und Heizkosten umfasst Steigerung, die Sie zugrunde gelegt haben, tatsächlich daher auch die Erhöhung des allgemeinen Umsatzsteuer- der Realität entsprach? Inwiefern wird dies in der Zu- satzes ab dem 1. Januar 2007. Ob und in welcher Höhe kunft geschehen? Oder basiert die Berechnung aus- eine Überwälzung der Umsatzsteuererhöhung auf die schließlich auf der Wohngeldstatistik? Verbrauchsausgaben erfolgt, lässt sich zurzeit nicht ab- schätzen. Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim (B) Im Übrigen ist im Hinblick auf die Erhöhung der Um- Bundesminister der Finanzen: (D) satzsteuer zu berücksichtigen, dass ab dem 1. Janu- Nein, die Basierung erfolgt nicht nur auf der Wohn- ar 2007 nur der allgemeine, nicht aber der ermäßigte Um- geldstatistik, sondern auch auf der Einkommens- und satzsteuersatz angehoben wird. Daher erhöht sich die Verbrauchsstichprobe, also nach einem umfassenden Umsatzsteuer, die auf eine Reihe von Gütern und Dienst- Ansatz, bei dem neben den Wohnkosten und den Wohn- leistungen, die zum notwendigen Bedarf gehören, gezahlt werden muss, nicht. Das gilt zum Beispiel für Lebensmit- nebenkosten selbstverständlich auch die Entwicklung tel, den Personennahverkehr, Bücher und Zeitschriften. der Kosten aller erdenklichen Güter des täglichen Be- Die tatsächlichen Auswirkungen der Umsatzsteuer- darfs berücksichtigt wird. Die Modalitäten für die Be- erhöhung und anderer Preisveränderungen auf die Ver- rechnung des Existenzminimums sind vom Bundesver- brauchsausgaben fließen in die Einkommens- und Ver- fassungsgericht bereits als nicht zu beanstanden bewertet brauchsstichprobe 2008 ein, sodass diese dann bei der worden. Neubemessung der Regelsätze berücksichtigt werden. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich rufe die Frage 23 der Kollegin Dr. Barbara Höll Ihre Zusatzfragen, bitte. auf: Wie wird sich nach Berechnungen der Bundesregierung in Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): den Jahren 2007, 2008 und 2009 das Existenzminimum für Erwachsene und Kinder entwickeln und wo liegen die Ursa- Danke, Frau Staatssekretärin. – Wir haben gestern zur chen für die – laut Presseberichten – unterschiedlichen Be- Kenntnis nehmen können, dass in einem Urteil des Bun- rechnungen des Existenzminimums seitens des Bundesminis- dessozialgerichts angeordnet wurde, die regionalen Un- teriums der Finanzen einerseits und seitens des terschiede der Wohn- und Heizkosten im Hinblick auf Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Ju- ALG II und Grundsicherung zukünftig stärker zu be- gend andererseits? rücksichtigen. Inwieweit wird sich das auf die Berech- nungsgrundlagen der Höhe des steuerfreien Existenzmi- Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim nimums auswirken? Bundesminister der Finanzen: Wie bereits ausgeführt, hat die Bundesregierung aktu- Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim ell den Sechsten Existenzminimumbericht, der im Ein- Bundesminister der Finanzen: vernehmen mit allen Ressorts erstellt wurde, vorgelegt. Frau Kollegin Höll, zur Umsetzung dieses Urteils des Demnach ergibt sich für das Berichtsjahr 2008 kein Be- Bundessozialgerichts kann ich noch keine abschließen- darf, die Steuerfreibeträge für das Existenzminimum von 6070 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006

Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks (A) Erwachsenen und Kindern zu erhöhen. Nach derzeiti- Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- (C) gem Stand ist allerdings mit einer Anpassung des Kin- minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- derfreibetrags ab 2009 zu rechnen. In welchem Umfang heit: eine Erhöhung erforderlich wird, ist rechtzeitig – im Sehr geehrter Herr Kollege Fell, Ihre Frage nach dem vierten Quartal 2007, also in einem Jahr – anhand aktu- Vorreitermarkt Wärme im Bereich der erneuerbaren alisierter Werte abzuschätzen. Energien beantworte ich wie folgt: Die Bundesregierung hat mit dem Marktanreizprogramm ein bewährtes Instru- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: ment, mit dem sowohl der Ausbau der erneuerbaren Ihre Zusatzfragen, bitte. Energien im Wärmemarkt als auch die Entwicklung von innovativen Technologien in diesem Bereich wirksam gefördert werden. Seit dem Jahr 2000 wurde mit der Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Förderung ein Investitionsvolumen von insgesamt Danke. – Bei der Festlegung des Steuerfreibetrags für 5,8 Milliarden Euro ausgelöst. Die Bundesregierung hat das Existenzminimum von Kindern haben wir neben den mit dem Wärmemarkt somit bereits einen wichtigen Vor- Sachkosten weitere Kosten zu berücksichtigen, die Kin- reitermarkt im Sinne der Rede von Minister Gabriel, auf der verursachen. In der typisierenden Betrachtung gibt die Sie sich beziehen, geschaffen. Sie beabsichtigt, die- es nur eine Gruppe: Kinder von 0 bis 18 Jahren. Jugend- sen durch eine Neuausrichtung des Marktanreizpro- liche über 18 Jahren, die ALG II beziehen, können nach gramms weiter auszubauen. der Änderung von diesem Jahr nicht mehr aus dem elter- lichen Haushalt ausziehen und eine eigene Bedarfsge- Die Absage von Minister Gabriel an ein Wärmegesetz meinschaft bilden. Halten Sie es vor diesem Hintergrund bezieht sich dagegen lediglich auf ein konkretes Instru- für gerechtfertigt, sie weiter wie Kinder einzustufen? ment, das eine Finanzierung über die Verbraucher im Müsste hier nicht die Typisierung verändert werden? Wege des Umlageverfahrens nach dem Vorbild des EEGs vorsieht. Eine solche zusätzliche Belastung kann angesichts der ohnehin schon hohen Kosten für Heiz- Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim energie und der Belastungen durch die Erhöhung der Bundesminister der Finanzen: Mehrwertsteuer den Bürgerinnen und Bürgern nicht zu- Nein, Frau Kollegin Höll. Es ist richtig: Die jungen gemutet werden. Das bedeutet aber nicht, dass sich der Menschen, denen der Einstieg ins Berufsleben bisher Staat aus seinem Engagement für den Ausbau der erneu- noch nicht geglückt ist und die infolgedessen weiter bei erbaren Energien im Wärmemarkt zurückzieht. Ganz im ihren Eltern leben, haben, solange sie unter 25 Jahre alt Gegenteil, wir wollen den Ausbau der erneuerbaren (B) sind, keinen Anspruch mehr auf Arbeitslosengeld II in Energien im Wärmemarkt über das Marktanreizpro- (D) einem eigenen Haushalt. Doch auch bei den jungen gramm weiter ermöglichen und damit den Vorreiter- Menschen zwischen 18 und 25 Jahren, die sich in Aus- markt im Wärmebereich weiter ausbauen. bildung befinden und für die die Eltern Kindergeld be- ziehen, sind wir mit der Typisierung zufrieden. Was für diejenigen gilt, die in Ausbildung sind, kann genauso Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: gelten für diejenigen, die den Einstieg ins Berufsleben Ihre Zusatzfragen, bitte. leider noch nicht gefunden haben. Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. – Ich teile Ihre Das reicht mir; danke. Einschätzung, dass das Marktanreizprogramm ein be- währtes Instrument ist. Allerdings wissen Sie genauso Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: gut wie wir, dass es in diesem Bereich seit Mitte dieses Jahres eine Haushaltssperre gibt, weil entsprechend der Frau Staatssekretärin, vielen Dank für die Beantwor- Nachfrage nicht genügend Mittel bereitgestellt werden tung der Fragen. können. Die momentane Haushaltsberatung lässt be- Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe- fürchten, dass diese Mittel sogar noch gekürzt werden. riums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Wir hatten im Ausschuss gerade Gelegenheit, gemein- auf. Die Fragen beantwortet Frau Parlamentarische sam darüber zu debattieren. Staatssekretärin Astrid Klug. Insofern frage ich Sie erneut, warum ausgerechnet bei Ich rufe die Frage 24 des Kollegen Hans-Josef Fell diesem, wie Sie selbst sagen, innovativen Instrument ge- auf: kürzt werden soll; denn der Markt verträgt das nicht. Da- neben will Bundesminister Gabriel auch kein neues Ge- Welche Strategie hat die Bundesregierung im Sinne des durch den Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und setz auf den Weg bringen, obwohl es Diskussionen Reaktorsicherheit, , in seiner Rede „Innovativ darüber gibt, in einem solchen Gesetz eben keine Um- für Wirtschaft und Umwelt“ am 30. Oktober 2006 vorge- lage nach dem Vorbild des Erneuerbare-Energien-Geset- brachten Ziels, „Vorreitermärkte zu schaffen“, für den Wär- zes vorzusehen, sondern andere Möglichkeiten zu eröff- memarkt bei erneuerbaren Energien, nachdem Bundesminis- ter Sigmar Gabriel noch am gleichen Tag ein Wärmegesetz nen. Eine klare Absage an ein Wärmegesetz an sich lässt aus Kostengründen auf unabsehbare Zeit verschoben hat? diese Option nicht mehr zu. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006 6071

(A) Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- durch das Ordnungsrecht und regulierende Maßnahmen, (C) minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- zum Durchbruch verhelfen wollen. heit: Herr Kollege Fell, Sie haben in Ihren Ausführungen Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: deutlich gemacht, dass die Nachfrage nach dem Markt- Ich rufe die Frage 25 des Kollegen Hans-Josef Fell anreizprogramm riesengroß ist. Das heißt, es ist ein be- auf: währtes Instrument, das von denjenigen angenommen Welche konkreten Maßnahmen beabsichtigt die Bundesre- wird, die sich in den Bereichen der erneuerbaren Ener- gierung, um die CCS-Technik – CO2-Abscheidung und -Spei- gien und der Wärmetechnik engagieren und in diese in- cherung – spätestens ab 2020 zum Standard für alle neuen fos- vestieren wollen. silen Kraftwerke zu machen, wie dies im „Memorandum für einen ,New Deal’ von Wirtschaft, Umwelt und Beschäfti- In diesem Jahr gab es 65 000 Anträge mehr, als wir gung“ durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit gefordert wird, und sind damit auch die aufgrund des Finanzvolumens, das für das Marktanreiz- neuen Kraftwerke gemeint, die bis 2020 gebaut werden? programm zur Verfügung steht, bewilligen konnten. Das zeigt, dass das ein sinnvolles und nachgefragtes Instru- Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- ment ist. Sie wissen, dass es derzeit Verhandlungen mit minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- dem Haushaltsausschuss darüber gibt, die Mittel für das heit: nächste Jahr aufzustocken, um die Anträge, die in die- sem Jahr nicht abgewickelt werden konnten, in das Herr Kollege Fell, Sie fragen nach der CCS-Technik. nächste Jahr übernehmen und nachträglich bescheiden Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: zu können und um genügend finanziellen Spielraum zu Die Bundesregierung hält die CCS-Technologie für haben, damit die Nachfrage im nächsten Jahr befriedigt eine interessante Option. Es geht um die CO2-Abschei- werden kann. dung und -Speicherung. Deswegen ist sie Bestandteil der Forschungsprogramme des Bundes. Ob und wann die Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: CCS-Technologie marktreif werden kann, kann derzeit allerdings noch nicht beantwortet werden. Hierfür ist Sie haben noch eine Zusatzfrage. noch eine Vielzahl von Fragen zu klären, die unter ande- rem im Rahmen der Forschungsprogramme des Bundes Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): untersucht werden. Frau Staatssekretärin, mit diesem Marktanreizpro- gramm beziehen Sie sich nur auf Technologien, die sich Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: bereits im Markt befinden: Sonnenkollektoren, Holzpel- Ihre Zusatzfragen, bitte. (B) letsheizungen und einige andere mehr. Gerade im Wär- (D) memarkt gibt es aber auch Optionen für zukünftige inno- Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): vative Technologien. Bundesminister Gabriel betont Frau Staatssekretärin, Ihre Antwort ging nicht ganz in immer wieder, dass er genau dafür Anreize schaffen will. Richtung meiner Frage; denn ich habe deutlich gefragt, welche Maßnahmen die Bundesregierung ergreifen will, Welche Möglichkeiten sehen Sie angesichts des um die CCS-Technik ab 2020 zum Standard zu machen. Rückgangs der Mittel und eines nicht in Angriff genom- Ein solcher Standard ist notwendig – das wurde von der menen Wärmegesetzes, neue Technologien auf den Bundesregierung in verschiedenen Veröffentlichungen Markt zu bringen? Die Unternehmen harren seit Jahren auch dokumentiert –, weil ansonsten die Kohlendioxid- und sind technologisch so weit. Wenn es nicht mehr Mit- emissionen aufgrund der steigenden Anzahl an Kohle- tel und kein Wärmegesetz gibt, dann sehe ich keine kraftwerken weiterhin zunehmen. Momentan gibt es le- Chance dafür, hier voranzukommen. diglich die Hoffnung, dass diese CCS-Technik irgendwann einmal zum Standard wird. Welche Maßnah- Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- men wollen Sie ergreifen, um die Unternehmen schon minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- heute dazu zu bringen, wenigstens bis 2020 nachzurüsten? heit: Herr Kollege Fell, ich habe eben betont, dass wir der- Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- zeit intensiv daran arbeiten, das Marktanreizprogramm minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- finanziell auszubauen, um mehr Mittel zur Verfügung zu heit: haben, und die Förderkriterien weiterzuentwickeln, da- Herr Kollege Fell, ich ergänze meine Antwort gerne mit über das Marktanreizprogramm Anreize für die Ent- um konkrete Angaben. Die Bundesregierung fördert die wicklung neuer und innovativer Technologien gesetzt Erforschung der CCS-Technik sowohl in der Frage der werden. Kraftwerkstechnologie – diese Aufgabe übernimmt das Bundeswirtschaftsministerium – als auch in der Frage Sie wissen, dass wir für dieses Programm auch Mittel der sicheren Speicherung. Diese Mittel werden aus dem aus dem Bereich Forschung und Entwicklung zur Verfü- Etat des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gung stellen. In der Rede des Ministers auf der Konfe- zur Verfügung gestellt. Derzeit sind in Deutschland auf renz, die Sie in Ihrer Frage angesprochen haben, war es dem Gebiet des CO2-freien Kraftwerks zwei Pilot- ein ganz wichtiges Thema, dass wir in diesen Bereichen projekte avisiert: ein 30-Megawatt-Kraftwerk von neuen Technologien mit einem intelligenten Mix aus In- Vattenfall, das 2008 in Betrieb gehen soll, sowie ein 450- novationsförderung und Markteinführungsprogrammen Megawatt-Großkraftwerk von RWE, das 2014 ans Netz bis hin zur Forschungs- und Exportförderung, flankiert gehen soll. 6072 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006

Parl. Staatssekretärin Astrid Klug (A) Darüber hinaus – das darf ich noch ergänzen – enga- sein. Also brauchen wir in diesem Bereich eine entspre- (C) giert sich Deutschland auch auf europäischer Ebene auf chende Technologie. Wir unterstützen alle Anstrengun- dem Gebiet der Erforschung und Weiterentwicklung die- gen, diese Technologie im Bereich der CO2-Abschei- ser Technologie. Die von der EU-Kommission unter- dung anwendungs- und marktreif zu machen, um sie stützte Plattform „Zero Emission“ ist ein Zusammen- dann in neuen Kraftwerken einsetzen zu können. schluss der beteiligten Akteure in Europa, welche das (Zuruf des Abg. Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/ Ziel verfolgt, das CO2-freie Kohlekraftwerk bis 2020 EU-weit als Standard zu etablieren. Auch diese Arbeit DIE GRÜNEN]) findet unsere volle Unterstützung. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Hierzu eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Sie haben noch eine Zusatzfrage. Kotting-Uhl.

Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Staatssekretärin, gestatten Sie mir, erneut darauf Ich möchte zuerst von meinem Kollegen Fell über- hinzuweisen, dass es mir nicht, wie Sie gerade ausge- mitteln, dass er mit der Antwort nicht ganz einverstan- führt haben, um Pilotprojekte und Fördermaßnahmen den ist. Aber ich glaube, diese Frage müssen Sie bilateral geht, sondern darum – wie dies auch in dem „Memoran- klären. dum für einen ‚New Deal’ von Wirtschaft, Umwelt und Beschäftigung“ durch das Bundesministerium für Ich möchte dieses Thema noch weiter vorantreiben. Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit gefordert Uns geht es auch um die Frage der Genehmigungspraxis. wird –, schon heute Standards dafür festzulegen, die Sie haben eben selber ausgeführt, dass es nicht nur da- CCS-Technologie spätestens ab 2020 zu implementie- rum gehen kann, ob die Technologie funktioniert oder ren? Das ist eine andere Maßnahme als die Unterstüt- nicht, sondern es wird vor allem auch um die Möglich- zung von Forschung, Entwicklung und Pilotprojekten. keit der Speicherung, also um ein sicheres Endlager ge- hen. Wenn man glaubt, dass diese Technologie kommen wird, ist es wichtig, Kraftwerksbetreiber schon heute Sie haben sicherlich genauso wie ich von der aktuel- darauf hinzuweisen, ihre Anlagen nachzurüsten. Eine len Studie der Forscher der Universität Austin gehört. andere Möglichkeit ist es, Genehmigungen für neue Darin wurde festgestellt, dass die 1 600 Tonnen CO2, die vor zwei Jahren vor der Küste von Texas unter das Meer (B) Kraftwerke daran zu binden, dass die Anlagen mit dieser (D) Technologie, sofern sie dann vorhanden ist, tatsächlich in Sandsteinformationen geleerter Ölfelder gepumpt ausgestattet werden. Das vermisse ich in Ihrer Antwort; wurden – das war eine der Optionen –, dazu geführt ha- denn genau darum geht es in meiner Frage. ben, dass der pH-Wert in den fraglichen Reservoirs in ganz kurzer Zeit von nahezu neutralen 6,5 auf 3 gefallen ist. Die Zeitschrift „New Scientist“ schreibt, das sei so, Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- als wenn Milch zu Essig werde. Konsequenz sind unge- minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- heure ökologische Folgeschäden. heit: Herr Kollege, ich glaube, ich habe ziemlich deutlich Ich will damit sagen: Sie als Bundesregierung ver- gemacht, dass bei der CCS-Technik noch sehr viele of- trauen sehr stark auf eine Technologie, die zu einem be- fene Fragen erforscht werden müssen. Schließlich geht stimmten Zeitpunkt einsatzfähig sein soll, wobei aber es nicht nur um die Frage der Abscheidung, sondern es noch nicht feststeht, ob sie – auch im Sinne ökologischer geht auch um die Frage der Speicherung. Eine der offe- Nachhaltigkeit – jemals einsatzfähig sein wird. Ich nen Fragen ist, wo eine Speicherung erfolgen kann. Sie glaube, wir sind uns darin einig, dass wir die ökologi- wissen, dass die Bundesregierung die Speicherung in der sche Nachhaltigkeit an dieser Stelle nicht vernachlässi- Tiefsee aus ökologischen Gründen ablehnt. Also muss gen dürfen. hier investiert und geforscht werden, um zu alternativen Lösungen zu kommen und diese Technologie anwen- Vor dem Hintergrund, dass wir noch nicht wissen, ob dungsreif zu machen. Wenn diese Fragen beantwortet die Technologie tatsächlich einsatzfähig sein wird, frage sind, dann werden wir uns über die Standards und den ich Sie: Werden Genehmigungen mit der Auflage erteilt, Zeitpunkt ihrer Einführung sowohl für neue Kraftwerke dass 2020 die Nachrüstung auf diese neue Technologie als auch für die Nachrüstung unterhalten können. erfolgt – so habe ich Herrn Bundesminister Gabriel ver- standen –, oder wird die Genehmigung nur dann erteilt, In einem Punkt sind wir uns völlig einig: Wir brau- wenn die Technologie bereits einsatzfähig ist? Das wäre chen diese Technologie. Wir haben im Bereich des Kli- der nächste Schritt, der aber meiner Ansicht nach konse- maschutzes das Zwei-Grad-Ziel vor Augen und verfol- quent wäre, wenn man es mit dem Vermeiden weiterer gen in diesem Zusammenhang sehr ambitioniert eine Emissionssteigerungen ernst meint. Werden dann nur Doppelstrategie: die Förderung der erneuerbaren Ener- noch Kohlekraftwerke genehmigt, die bereits mit dieser gien und die Einführung von Effizienztechnologien. Technologie ausgestattet und damit garantiert CO2-frei Trotzdem werden wir auch in der Zukunft national wie sind, statt Genehmigungen im Hinblick auf eine derzeit international auf die Nutzung der Kohle angewiesen noch völlig in den Sternen stehende Option zu erteilen? Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006 6073

(A) Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- minister, der in dem relativ kurzen Absatz über Bioplas- (C) minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- tik und Bioraffinerie feststellt: heit: Um eine Technologie zum Gegenstand eines Geneh- Die amerikanische Umweltschutzbehörde EPA schätzt, dass kompostierbares Bioplastik bis zu migungsverfahrens zu machen, muss man über diese 94 Prozent jene Plastikprodukte der Endkonsumen- Technologie verfügen und sie muss verantwortbar sein. ten vermindern könnte, die heute noch im Abfall Wir vertrauen in diese Technologie, aber wir haben sie landen. noch nicht. Wir sind der Meinung, dass alle Anstrengun- gen unternommen werden müssen, um eine Lösung im Insofern scheinen auch das Kreislaufwirtschafts- und Sinne von Clean Coal zu finden, weil wir genau wissen, Abfallgesetz und die Verpackungsverordnung eine Rolle dass wir nicht nur bei uns in Deutschland, sondern vor zu spielen. Gibt es konkrete Überlegungen in Bezug auf allem auch weltweit zumindest mittelfristig auf die Nut- entsprechende Änderungen, damit die Biokunststoffe zung der Kohle angewiesen sein werden. Wir brauchen eine reelle Chance erhalten? dafür saubere Kohletechnologien und deshalb engagie- ren wir uns in diesem Bereich. Aber man kann, wie ge- Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- sagt, diese Technologie erst dann zum Gegenstand kon- minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- kreter Genehmigungsverfahren machen, wenn man heit: darüber verfügt und wenn sie verantwortbar ist. Auch in diesem Bereich investieren wir in die For- schung. Das ist einer der von uns identifizierten Zu- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: kunftsmärkte. Wir haben das Memorandum „Ökologi- Ich rufe die Frage 26 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl sche Industriepolitik“ vorgelegt, weil wir in diesem auf: Bereich Handlungsbedarf und enorme Potenziale auch Wird sich die Bundesregierung nach der Vorlage des „Me- für die hiesige Wirtschaft – gerade der Chemie- und der morandums für einen ,New Deal‘ von Wirtschaft, Umwelt Kunststoffindustrie – sehen. und Beschäftigung“ durch das Bundesministerium für Um- welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit dafür einsetzen, dass Mit diesem Memorandum geben wir eine erste Ant- auch in der Chemie- und Kunststoffindustrie der Wechsel vom wort. Darauf aufbauend wollen wir die Leitmärkte der Erdöl hin zu nachwachsenden Rohstoffen vollzogen wird, und Zukunft ausbauen und herausfinden, in welchen Berei- welche Maßnahmen sind konkret dazu geplant? chen wir welche Antwort geben müssen. Diese reichen vom Ordnungsrecht und entsprechenden Gesetzesände- Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- rungen über Anreize im Bereich Top Runner bzw. der minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- Markteinführung bis hin zum Ausbau von Forschung (B) heit: und Entwicklung. In diesem Zusammenhang haben wir (D) Ihre Frage, die sich auf die nachwachsenden Roh- mit der Hightechstrategie der Bundesregierung für viele stoffe im Bereich der Chemie- und Kunststoffindustrie Bereiche bereits eine Antwort gegeben, wohl wissend, bezieht, beantworte ich wie folgt: Selbstverständlich dass es die erste Antwort ist. wird sich die Bundesregierung weiterhin dafür einset- zen, dass auch in der Chemieindustrie in zunehmendem Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Maße nachwachsende Rohstoffe als Grundstoffbasis die- Sie haben noch eine Zusatzfrage. nen. Dazu soll die notwendige Grundlagenforschung weiter gefördert werden, um neben den bekannten ökolo- Sylvia Kotting-Uhl gischen Vorteilen der CO2-Neutralität und der potenziell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): besseren Energieeffizienz auch die Ablösung risikorei- Danke schön, Frau Präsidentin. – Frau Staatssekretä- cher herkömmlicher Basischemikalien durch neuartige rin, ich danke Ihnen und Ihrem Ministerium für diese Synthesen zu erreichen. Initiative. Aber um beim Abfallgesetz bzw. der Verpa- ckungsverordnung zu bleiben, deren Novellierung dem- Weiterhin sollen die Bedingungen für die nachhaltige nächst ansteht: Wird zum Beispiel daran gedacht, die Bereitstellung von Biomasse – das heißt für die sichere Verpackungsverordnung dahin gehend zu ändern, dass Verfügbarkeit großer Mengen zur Herstellung von neuen zum einen Verpackungen auf Basis nachwachsender Massengrundstoffen – wissenschaftlich geklärt werden. Rohstoffe wie Biokunststoffe in Zukunft einen fairen Dazu hat das BMU unter anderem im September 2006, Marktzugang bekommen und zum anderen die Verwen- also vor kurzem, ein wissenschaftliches Fachgespräch dung nachwachsender Rohstoffe für Verpackungskunst- durchgeführt und die erste Internationale IUPAC-Tagung stoffe als eine Form der Produktverantwortung aus- für grüne und nachhaltige Chemie vom 10. bis 15. Sep- drücklich anerkannt wird? tember dieses Jahres in Dresden finanziell gefördert. Eine zweite Möglichkeit – als Zusatz, nicht als Alter- native gedacht – wäre, neben der Verpackungsverord- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: nung die Biomasseverordnung und die Düngemittelver- Ihre Zusatzfragen, bitte. ordnung so zu überarbeiten, dass biologisch abbaubare Biokunststoffe über die Biotonne entsorgt und verwertet Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): werden können. Die bisherigen gesetzlichen Defizite Danke schön, Frau Staatssekretärin. – Das ist das eine verhindern, dass Biokunststoffe zur Marktreife oder Standbein, aber uns geht es auch um das andere, nämlich breiten Marktanwendung kommen. Ist an solche Maß- um konkrete Maßnahmen. Ich zitiere den Herrn Bundes- nahmen gedacht? 6074 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006

(A) Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- Politik. Nahezu sämtliche Bereiche der Umweltpolitik in (C) minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- Deutschland werden heute europäisch beeinflusst, also heit: auch die Grenzwerte. Das gilt insbesondere für ökologi- Das sind Fragen, über die wir gerne diskutieren kön- sche Grenzwerte und Standards. Die Politik der Bundes- nen. Sie wissen, dass es bei der nun anstehenden Ände- regierung zielt deshalb darauf, ihre politischen Vorstel- rung der Verpackungsverordnung um eine andere Frage lungen in den Prozess der europäischen Gesetzgebung geht, nämlich wie wir Trittbrettfahrer ausschalten kön- erfolgreich einzubringen und umzusetzen. nen. Diese Frage werden wir mit der nun anstehenden Änderung der Verpackungsverordnung beantworten. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ihre Zusatzfrage, bitte, Frau Höhn. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Fell. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bundesminister Gabriel hat konkret gesagt, dass er Frau Staatssekretärin, wenn die Verpackungsverord- die Grenzwerte auch deshalb hochsetzen will, um mehr nung novelliert wird, um Trittbrettfahrer auszuschließen, Innovation zu erreichen. Nun höre ich, dass eigentlich ist das, denke ich, eine gute Gelegenheit, weitere Maß- die EU dafür zuständig ist. Das heißt, er hat in seinem nahmen zur Unterstützung der Produkte aus nachwach- „Memorandum für einen ,New Deal‘ von Wirtschaft, senden Rohstoffen zu implementieren. Das darf nicht Umwelt und Beschäftigung“ etwas festgeschrieben, was auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden. Vor er gar nicht tun kann. In welchen Bereichen wollen Sie diesem Hintergrund möchte ich Sie fragen, ob die müh- auf EU-Ebene Initiativen ergreifen, um die Grenzwerte sam erreichten Vorteile der Verpackungsverordnung, im Sinne des Bundesministers und seines „New Deals“ zum Beispiel die Befreiung der Produkte aus nachwach- zu verschärfen und damit mehr Innovation zu erreichen? senden Rohstoffen von den DSD-Gebühren, durch die Novelle gefährdet sind. Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- heit: minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- Frau Kollegin Höhn, ich möchte darauf hinweisen, heit: dass Deutschland Mitglied der EU ist und dass wir die Ich beantworte Ihnen Ihre Frage wie folgt ganz deut- europäische Politik beeinflussen und mitgestalten, insbe- lich: Wir haben im Bereich der haushaltsnahen Erfas- sondere im Hinblick auf unsere Ratspräsidentschaft im (B) sung von Wertstoffen ein Problem mit Trittbrettfahrern. nächsten Jahr. Ich möchte betonen, dass wir in den (D) Dieses Problem wird mit der nun anstehenden Novellie- Grenzwerten sehr wohl ein wichtiges Instrument für In- rung der Verpackungsverordnung gelöst. Wir haben novationsanreize sehen. Deutschland ist nicht ohne schon genug damit zu tun, dafür einen vernünftigen, Grund Weltmarktführer in vielen Bereichen der Umwelt- mehrheitsfähigen Vorschlag vorzulegen; daran arbeiten technologien. Das hat unter anderem damit zu tun, dass wir. Darauf wird es eine Antwort geben. wir in den letzten Jahrzehnten und Jahren in Deutschland eine sehr ambitionierte Umweltpolitik mit ambitionier- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: ten Grenzwerten verfolgt haben. Dadurch sind Techno- Die Frage 27 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl wird logien entstanden, die wir weltweit anbieten können, aufgrund Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Frage- weil andere Länder ähnliche Probleme haben. Wir sehen stunde und für die schriftlichen Einzelfragen schriftlich in den Grenzwerten einen wichtigen Innovationsanreiz, beantwortet. nicht nur um unsere umweltpolitische und ökologische Situation in Deutschland zu verbessern, sondern auch Ich rufe die Frage 28 der Kollegin Bärbel Höhn auf: um Technologien zu entwickeln, die auf dem Weltmarkt, In welchen Bereichen plant die Bundesregierung konkret dem Leitmarkt Umwelt, eine Chance haben. Wir bringen die Festlegung von neuen ökologischen Grenzwerten, um die uns daher auf europäischer Ebene sehr konkret und di- vom Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktor- sicherheit, Sigmar Gabriel, in seinem „Memorandum für ei- rekt ein. nen ,New Deal‘ von Wirtschaft, Umwelt und Beschäftigung“ formulierte Zielvorgabe umzusetzen, mit „ambitionierten Ich will das an einem Beispiel deutlich machen. Wir Grenzwerten ... gezielt Innovationsanreize“ auszulösen, und diskutieren zurzeit über die Weiterentwicklung der euro- bis wann ist mit der Festsetung dieser Grenzwerte jeweils zu päischen Abgasnormen für PKWs und LKWs. Wir ma- rechnen? chen uns in den Bereichen Euro 5 und Euro 6 für ambi- Bitte, Frau Staatssekretärin Klug. tionierte Grenzwerte für PKWs stark. Dabei geht es darum, die Feinstaubgrenzwerte und insbesondere die Stickoxidgrenzwerte ambitioniert weiterzuentwickeln. Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- Das Gleiche gilt für die neuen Grenzwerte für schwere minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- heit: Nutzfahrzeuge im Euro-6-Bereich. Das ist ein konkretes Beispiel für einen Bereich, für den wir uns auf europäi- Frau Höhn, Ihre Frage nach ambitionierten Grenzwer- scher Ebene stark machen. Darin sehen wir einen wichti- ten als Innovationsanreize beantworte ich wie folgt: Um- gen Innovationsanreiz, weil sich daraus neue Technolo- weltpolitik ist eine hochgradig europäisch integrierte gien für den Kraftfahrzeugbereich entwickeln. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006 6075

(A) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (C) Sie haben noch eine Zusatzfrage. Ihre Zusatzfragen, bitte.

Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Staatssekretärin, darf ich Ihre Antwort so verste- Frau Staatssekretärin, wir wissen, dass diese Selbst- hen, dass sich die groß angekündigte Aussage des Minis- verpflichtung der Automobilhersteller bisher de facto an ters, mit ambitionierten Grenzwerten – rechtzeitig und diesem Ziel weit vorbei geht. Es bedürfte schon einer planungssicher angekündigt – löse die Politik gezielt In- großen Kraftanstrengung, um das in den letzten Jährchen novationsanreize aus, allein auf die europäische Ebene zu erreichen. Anstatt der Reduktion um 25 Prozent gibt es im Moment nur eine Reduktion von 12,4 Prozent. Das und allein auf den Verkehrsbereich bezieht oder gibt es ist gerade einmal die Hälfte dessen, was angestrebt wird. konkrete weitere Pläne? Nun hat der Umweltkommissar Stavros Dimas vor weni- gen Tagen angekündigt, dass er eine gesetzliche Rege- Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- lung vorlegen wird, weil die Selbstverpflichtung nach minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- den jetzigen Zahlen nicht greift. Wird die Bundesregie- heit: rung diesen Vorstoß des Umweltkommissars unterstüt- Frau Kollegin Höhn, Sie vermitteln den Eindruck, als zen? ob Grenzwerte etwas Neues wären. Wir haben seit vielen Jahren Grenzwerte. Es geht darum, dass wir dieses In- Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- strument auch in der Zukunft nutzen. Sie wissen, dass minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- diese Debatte im Umweltbereich in erster Linie auf euro- heit: päischer Ebene geführt werden muss, weil von dort die Ich habe eben gesagt, dass die EU-Kommission zum entsprechenden Verordnungen und Richtlinien ausge- Ende dieses Jahres eine Mitteilung angekündigt hat, in hen, die wir dann national umsetzen müssen. Genau dort der genau diese Frage beantwortet werden soll, nämlich bringen wir uns in diese Diskussion ein. Deutschland wie es mit der Verringerung weitergehen soll und was war bei der Weiterentwicklung von Grenzwerten immer die europäische Strategie bei der Verringerung der CO2- ein Motor. Der Verkehrsbereich ist dafür nur ein Bei- Emissionen, die aus dem Verkehr resultieren, sein soll. spiel. Wir haben immer gesagt, dass wir von der Automobilin- dustrie erwarten, dass sie die Selbstverpflichtung, die sie eingegangen ist, einhält. Das ist sie ihrer eigenen Glaub- (B) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: würdigkeit schuldig und wir sind es unserer politischen (D) Ich rufe die Frage 29 der Kollegin Bärbel Höhn auf: Glaubwürdigkeit schuldig, dass wir mit anderen Instru- menten reagieren, wenn die Automobilindustrie ihre Welche Maßnahmen bereitet die Bundesregierung in Um- setzung des „Memorandums für einen ,New Deal‘ von Wirt- Selbstverpflichtung nicht einhält. Kommissar Dimas hat schaft, Umwelt und Beschäftigung“ für den Fall vor, dass die genauso wie Kommissar Verheugen mehrfach angekün- Automobilindustrie das Ziel ihrer Selbstverpflichtung, die digt, dass die EU-Kommission darauf antworten wird, CO2-Emissionen von neu zugelassenen PKW bis 2008 auf man aber der Automobilindustrie die Zeit geben muss, höchstens 140 Gramm pro Kilometer zu senken, verfehlt? bis zum Auslaufen der Frist, die sie hat, nämlich 2008, das Ziel zu erreichen. Wir erwarten von der Automobil- Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- industrie, dass sie allen Ehrgeiz entwickelt, das Verspre- minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- chen, das sie gegeben hat, einzuhalten. Wir werden eine heit: Antwort geben, wenn die Automobilindustrie das nicht schafft. Ich beantworte Ihre Frage nach der Selbstverpflich- tung im Bereich der CO2-Emissionen der Automobilin- dustrie wie folgt: Bei der von Ihnen angesprochenen Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Selbstverpflichtung handelt es sich um eine Vereinba- Frau Kollegin Höhn, Sie haben noch eine Zusatz- rung der Dachverbände der internationalen Automobil- frage. industrie mit der EU-Kommission. Ziel der bisherigen Selbstverpflichtung ist die Senkung der CO2-Emissionen Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): aller Neuwagen im Mittel auf 140 Gramm pro Kilome- Gerne, danke schön. – Frau Staatssekretärin, die Au- ter. Die EU-Kommission hat angekündigt, bis Ende die- tomobilindustrie gibt an, dass immer größere Autos auf ses Jahres eine Mitteilung an den EU-Rat vorzulegen, dem Markt seien und deshalb dieses Ziel durch den die sich mit dem weiteren Vorgehen bei der CO2-Minde- Automobilbestand konterkariert werde. Man hat auf- rung der PKW in der EU auseinander setzt. Die Bundes- grund dieser Aussagen den Eindruck, dass sie selber regierung wird sich im Rat dafür einsetzen, dass die nicht mehr daran glaubt, dass sie das Reduktionsziel bis CO2-Emissionen von PKW weiter reduziert werden und 2008 noch erreicht. Deshalb würde mich interessieren, dass sichergestellt ist, dass dieses Ziel tatsächlich er- wie die Bundesregierung das einschätzt. Glaubt die Bun- reicht wird. National ist es das Ziel der Bundesregierung, desregierung daran, dass die Automobilindustrie dieses durch Umstellung der Kfz-Besteuerung die Einführung Ziel erreicht? Ich bitte um eine klare Antwort: Ja oder verbrauchsarmer PKW zu fördern. nein? 6076 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006

(A) Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- Astrid Klug, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- (C) minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- heit: heit: Wir erwarten von der Automobilindustrie, dass sie Herr Kollege Fell, Sie wissen, dass wir auch im Be- dieses Ziel erreicht und ihr Versprechen einhält. Wir se- reich Forschung und Entwicklung engagiert sind, um hen an den aktuell vorliegenden Zahlen natürlich, dass emissionsarme und möglichst emissionsneutrale Tech- es Automobilunternehmen gibt, die ganz gut im Rennen nologien zu fördern. Sie wissen auch, dass man EU-weit liegen, ihr Versprechen einzuhalten, und dass es andere das Vorhaben verfolgt, über das 140-Gramm-Ziel hi- gibt, die von dem Erreichen dieses Ziels noch ziemlich nauszugehen: Das Ziel ist, bis zum Jahr 2012, bezogen weit weg sind. Wir erwarten von der Automobilindus- auf die PKW-Neufahrzeuge, durchschnittlich 120 Gramm trie, dass sie alle Anstrengungen unternimmt, dieses Ziel CO2-Emissionen pro Kilometer zu erreichen. Daran wird über entsprechende technologische Innovationen zu er- sich die Strategie der EU-Kommission orientieren. Sie reichen. wird im Rahmen unserer Präsidentschaft entsprechend diskutiert werden. Sie haben Recht: Es gibt einen Trend hin zu großen, schweren Fahrzeugen. Das erleichtert es der Automobil- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: industrie nicht, diesen Weg erfolgreich zu beschreiten. Vielen Dank, Frau Staatssekretärin für die engagierte An das Versprechen, das die Automobilindustrie gege- Beantwortung der Fragen. ben hat, war keinerlei Bedingung geknüpft; es hieß nicht, man könne dieses Ziel nur erreichen, wenn irgend- Wir sind damit am Ende der Fragestunde. welche Voraussetzungen erfüllt seien. Wir erwarten also, Ich unterbreche die Sitzung des Deutschen Bundesta- dass sie auch auf die mit diesem Trend verbundenen Fra- ges bis zum Beginn der Aktuellen Stunde um 15.30 Uhr. gen eine entsprechende technologische Antwort geben kann. (Unterbrechung von 15.03 bis 15.30 Uhr) Wir arbeiten parallel an der Umstellung der Kfz- Vizepräsidentin : Steuer auf eine Steuer auf CO2-Basis, um auch über die- ses Instrument für die Automobilindustrie und insbeson- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die un- dere für den Verbraucher Innovationsanreize zu geben, terbrochene Sitzung wieder. sich für verbrauchsarme und damit weniger CO2-emittie- Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: rende Fahrzeuge zu entscheiden. Aktuelle Stunde (B) auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und (D) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: der SPD Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Fell. Neue Entwicklung am Arbeitsmarkt: Deut- licher Rückgang der Erwerbslosenzahl, mehr Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Beschäftigung und Entlastung der öffentlichen Frau Staatssekretärin, aufgrund der neuesten Meldun- Haushalte gen von Klimaforschern über die Klimaentwicklung ist Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem ein Grenzwert von 140 Gramm pro Kilometer – wenn er Bundesminister für Arbeit und Soziales, Herrn Franz überhaupt erreicht wird – eigentlich ein Wert, durch den Müntefering. noch viel zu viele CO2-Emissionen in die Atmosphäre zugelassen werden. Ich möchte Sie deswegen fragen, ob (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dirk die Bundesregierung a) auch Strategien unterstützt, die Niebel [FDP]: Das Interesse an der Showver- darauf abzielen, diesen Grenzwert deutlich weiter zu anstaltung scheint gering zu sein!) senken, und ob die Bundesregierung b) auch Technolo- gien unterstützt, die Autos ohne jeglichen CO2-Ausstoß Franz Müntefering, Bundesminister für Arbeit und ermöglichen. Soziales: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Japanische Firmen – ich erwähne ausdrücklich Toyo- Als wir mit dieser Koalition begonnen haben, haben wir ta – arbeiten an diesem Konzept und werden bald mit uns entschieden, 2006 einen Weg zu gehen, den nicht entsprechenden Automobilen auf den Markt kommen. alle erwartet hatten. Wir haben nämlich nicht weiter an Ich weiß, dass die deutsche Automobilindustrie daran der Sparspirale gedreht, sondern haben in die Zukunfts- nicht arbeitet, abgesehen von einem Wasserstoffauto, fähigkeit des Landes investiert. das irgendwann einmal – vielleicht 2020 – auf den Markt kommen soll. Aber es gibt in Deutschland kein Bestre- Wir haben, aufsetzend auf den Änderungen im Steu- ben, Nullemissionsautos, beispielsweise mit den neuen, errecht der vergangenen Jahre, ein 25-Milliarden-Euro- bald auf den Markt kommenden Batterien, zu entwi- Programm angeschoben, das von erheblicher Bedeutung ckeln. Deswegen meine Frage an die Bundesregierung: für den privaten investiven Bereich sein sollte. Diese Er- Haben Sie vor, politische Strategien zu verfolgen, die wartungen sind in Erfüllung gegangen: Die Menschen darauf abzielen, die deutsche Automobilindustrie dahin investieren auf dem Gebiet der energetischen Gebäude- gehend zu beeinflussen, dass sie diesen Weg endlich sanierung, der Modernisierung und der Verbesserung geht? von Wohnungen und Häusern. Sie investieren so viel, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006 6077

Bundesminister Franz Müntefering (A) dass wir haben nachlegen müssen. Das konnten wir auch Was noch interessant ist: In den letzten beiden Mona- (C) leisten. Der Bundesfinanzminister hat im Vorgriff auf ten sind zum ersten Mal in nennenswertem Umfang – im das kommende Jahr schon in diesem Jahr zusätzlich letzten Monat waren es 82 000 – Menschen, die 360 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, damit diese Arbeitslosengeld II bezogen haben, in Beschäftigung ge- Investitionen weitergeführt werden können. Das ist et- kommen. Das sind solche, die bei der Zahlung des was, was ganz besonders dem Handwerk, den kleinen Arbeitslosengeldes I herausgefallen sind und dann und mittleren Unternehmen vor Ort zugute kommt. Es Arbeitslosengeld II erhalten, die meist lange arbeitslos kann schnell ausgeschrieben werden. Es muss nicht eu- gewesen sind. Sie haben jetzt wieder eine Chance, im ropäisch ausgeschrieben werden. Das ist etwas, das den Arbeitsmarkt anzukommen. Darauf richtet sich unser kleinen Firmen ganz besonders gut tut. Bemühen natürlich in ganz besonderer Weise. Dies ist einer der Aspekte gewesen – wir wissen, es Die Bundesagentur hat Anfang des Jahres, im Fe- war nicht der einzige; der Export war auch sehr gut; der bruar, angedeutet, sie könne in diesem Jahr vielleicht ein Maschinenbau lief sehr, sehr gut –, die im Verlaufe des Plus machen. Das wäre dann zum ersten Mal seit 1987 Jahres dazu geführt haben, dass sich die Dinge deutlich der Fall. Seit 1988 hat man da in jedem Jahr einen Zu- zum Guten gewandt haben. schuss gebraucht. Wir haben heute das Gutachten vom Sachverständi- (Dirk Niebel [FDP]: Die verdienen jetzt richtig genrat bekommen. Ich habe dort zurückgefragt: Was war Geld!) denn eigentlich die Schätzung vor einem Jahr? Was wurde uns für dieses Jahr prognostiziert und was ist da- Im Februar hat uns die Bundesagentur gesagt, sie werde raus geworden? – Darauf hat der Sachverständigenrat in diesem Jahr 1,8 Milliarden Euro übrig behalten. Das geantwortet, man habe nicht voraussehen können, wie wird sich tatsächlich auf rund 9,8 Milliarden Euro belau- gut es laufen würde. Auch wir konnten es nicht voraus- fen. Niemand weiß es ganz genau. Das wird in der Grö- sehen, aber wir haben darauf gehofft und wir haben als ßenordnung von 9 bis 10 Milliarden Euro liegen. Koalition dafür gearbeitet. Dieses Jahr hat sich gelohnt. Die Frage ist: Wie kommt das? Natürlich spielt die Wir haben in der Koalition auf eines abgestellt, näm- 13. Zahlung der Beiträge eine Rolle, die man hier nicht lich darauf, etwas für den Arbeitsmarkt zu tun, weil wir vertieft zu erläutern braucht. Aber wichtig ist vor allen wissen: Das ist die entscheidende Voraussetzung dafür, Dingen: Es werden weniger Menschen arbeitslos und dass die Menschen mehr Zuversicht gewinnen, dass sie die, die arbeitslos sind, kommen schneller wieder in Ar- mehr Sicherheit für die Zukunft bekommen, dass mehr beit. Die Bundesagentur nimmt bei den Arbeitslosenver- Geld in die Steuerkasse und in die Kassen der sozialen sicherungsbeiträgen zusätzliches Geld ein. Es sind mehr (B) (D) Sicherungssysteme fließt. Dieses Ergebnis am Arbeits- Menschen beschäftigt. Es wird mehr Lohn gezahlt. Es markt, das wir heute haben, ist ein Erfolg. Ein Jahr große gibt mehr Beiträge, übrigens nicht nur bei der Arbeitslo- Koalition – darauf sind wir miteinander stolz. senversicherung, sondern auch bei der Krankenversiche- rung und der Rentenversicherung. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Für die Rentenversicherung gibt es zum ersten Mal Das Ergebnis der letzten Zählung war: Es gibt wieder eine positive Perspektive. So können wir hoffen, 471 000 Arbeitslose weniger als vor einem Jahr. Das dass wir für sie im Jahr 2008 keine zusätzlichen Anstren- sind 10,3 Prozent weniger. gungen im Bundeshaushalt unternehmen müssen und dass auch die Beiträge stabil bleiben. Angesichts dieser (Dirk Niebel [FDP]: Wer hat denn vor einem Perspektive schlafe ich ein wenig ruhiger als noch vor Jahr regiert?) einem Dreivierteljahr. Das ist eine kleine Großstadt oder eine große Kleinstadt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Daran kommt auch die FDP nicht vorbei. Ich hoffe, dass wir diese positive Entwicklung fort- (Dirk Niebel [FDP]: Sie haben auch vor einem schreiben können. Jahr schon regiert!) Wir haben ja inzwischen entschieden, dass der Bei- Ganz viele Menschen in Deutschland, die vor einem Jahr tragssatz zur Bundesagentur von 6,5 Prozent auf keine Arbeit hatten, haben jetzt Arbeit. 4,2 Prozent sinkt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Dirk Niebel [FDP]: Inklusive Merkelsteuer!) Zum ersten Mal seit vielen Jahren liegt die Quote Das macht ein Volumen von 16,6 bis 17 Milliarden Euro wieder unter 10 Prozent. Es sind 4,085 Millionen Ar- aus, jeweils hälftig zugunsten von Arbeitnehmern und beitslose. Es sind zu viele; dazu sage ich gleich noch ein Arbeitgebern. Durch das Senken des Beitragssatzes zur Wort. Wir geben uns damit nicht zufrieden. Aber Tatsa- Arbeitslosenversicherung wird eine Entlastung von che ist: Zum Beispiel 101 000 unter 25-Jährige weniger 8,3 bis 8,5 Milliarden Euro bei den Arbeitnehmern aus- sind arbeitslos. 86 000 Ältere, über 50-Jährige, weniger gelöst. sind arbeitslos. Das ist auch ein Zeichen dafür, dass das insgesamt in den Generationen gut verteilt ist. Ost- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nachdem ihr deutschland ist im Übrigen ganz ordentlich mit dabei. vorher erhöht habt!) 6078 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006

Bundesminister Franz Müntefering (A) Ehrlicherweise muss man die Erhöhungen, die in ande- viel Arbeit gibt – da sind wir nicht blauäugig –, aber es (C) ren Bereichen vorgenommen werden, gegenrechnen. gibt guten Grund, sich über die 471 000 Menschen, die Aber das, was am 1. Januar nächsten Jahres stattfindet, nicht mehr arbeitslos sind, zu freuen. Ein bisschen stolz stellt eine deutliche Entlastung für die Arbeitnehmer dar. dürfen wir als Koalition darauf doch wohl sein. Das kann außerdem auch dazu beitragen, dass neue Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Kaufkraft entsteht und es zusätzlich neue Impulse gibt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Der Sachverständigenrat hat am heutigen Tag den Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Blick nach vorne gerichtet, über den 1. Januar 2007 hi- Das Wort hat nun der Kollege Dirk Niebel, FDP- naus. Entgegen dem, was uns viele kluge Leute in den Fraktion. vergangenen Monaten gesagt haben, sagt er nun: Die ne- gativen Folgen der Mehrwertsteuererhöhung, die die (Beifall bei der FDP – Zurufe von der SPD) FDP und andere immer wieder beschrien haben, könnten doch etwas geringer ausfallen. Dirk Niebel (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und (Dirk Niebel [FDP]: Nennen Sie es Merkel- Herren! Ich möchte es von vornherein klarstellen: Wir steuer!) freuen uns über jeden Menschen, der in diesem Land Die FDP wurde natürlich nicht explizit erwähnt; ich kam nicht mehr arbeitslos ist. Aber die Bürgerinnen und Bür- darauf, weil ich, während ich das sagte, zu Herrn Niebel ger, die diese Aktuelle Stunde verfolgen, sollten unge- schaute. Gerade Ihnen, Herr Niebel, möchte ich sagen: fähr einordnen können, welcher Zweck mir ihr verbun- Alle, die Katastrophen prophezeit haben, werden erle- den ist. Hans-Ulrich Jörges hat es in seinem ben, dass wir relativ ruhig über den 1. Januar kommen wöchentlichen Zwischenruf im „Stern“ sehr deutlich auf und auch im nächsten Jahr ein relativ hohes Wachstum den Punkt gebracht. haben werden. Damit wird es uns gelingen, die Arbeits- (Klaus Brandner [SPD]: Das hat er heute losigkeit noch weiter zu reduzieren. schon einmal erzählt! Herr Niebel erzählt im- Eines hat sich die Koalition nämlich fest vorgenom- mer dasselbe! Das ist typisch FDP!) men: Wir wollen den Menschen mehr Chancen auf dem – Herr Brandner, das war im Ausschuss, also nicht öf- Arbeitsmarkt eröffnen und insbesondere den Jungen eine fentlich. – Man sollte es schon richtig einordnen, was die Chance auf Ausbildung geben, damit sie in das Erwerbs- Regierung hier macht. Im „Stern“ von morgen steht fol- leben hereinwachsen können. Bei all dem, was wir tun, gender Ausspruch von Jörges: (B) haben wir genau dies als oberstes Ziel im Blick. Wir wis- (D) sen nämlich ganz genau – dieses Jahr beweist das –: Die Koalition feiert „Wohlfühlwochen“ im Stile ei- Wenn man die Arbeitslosigkeit in Deutschland verrin- ner Hamburger-Braterei – und das Volk kotzt ab. gert, gibt man damit einen entscheidenden Impuls zur Ich zitiere weiter: Lösung all der Probleme, die wir haben. Die Patienten, (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP) – damit sind Sie von der Bundesregierung gemeint – – Da klatscht die FDP mit; wir tun aber etwas dafür, die keinen Arzt an sich heranlassen, sind kenntlich durch chronisch verzückte Minen und eine Wende- (Zuruf von der FDP: Man muss es bloß richtig rethorik, die Glück für alle verheißt. machen!) So weit der „Stern“ morgen. zum Beispiel mit der Mehrwertsteuererhöhung, die Sie nicht wollen. Von den 3 Prozentpunkten Erhöhung fließt (Klaus Brandner [SPD]: Kriegen Sie Geld dafür, 1 Prozentpunkt unmittelbar an die Menschen zurück, dass morgen der „Stern“ gekauft wird?) nämlich dank der Senkung der Beiträge zur Arbeitslo- Das zeigt: Diese Aktuelle Stunde hat nur einen einzigen senversicherung. 1 Prozentpunkt fließt in die Kasse des Hintergrund, nämlich eine populistische Selbstbeweih- Bundes und 1 Prozentpunkt in die Kasse der Länder. räucherung. (Dirk Niebel [FDP]: Es war etwas anderes ver- Vielmehr ist es doch so, dass es die Wirtschaft trotz sprochen!) mittlerweile acht Jahren rot-grüner Politik in Deutsch- land geschafft hat, ein kleines Jobwunder zustande zu Nun kommt es darauf an, ob wir mit diesem Geld etwas bringen, welches aber noch lange nicht ausreicht, um die Vernünftiges machen. Das tun wir, indem wir unser Probleme der Menschen in Deutschland zu lösen. 25-Milliarden-Euro-Programm fortsetzen. Hiervon wer- den auch im Jahr 2007 wieder etwa 6 bis 6,5 Milliarden (Beifall bei der FDP) Euro zur Verfügung stehen, um kleine und mittlere In- vestitionen vor Ort, in den Häusern und an Grundstü- Fakt ist, dass immer noch über 4 Millionen Menschen cken, weiterhin anzustoßen. Arbeit suchen. Fakt ist, dass diese Bundesregierung im- mer noch vor allem auf Abkassieren setzt statt darauf, Alles in allem kann man zwar angesichts der derzeiti- den Menschen das Geld zurückzugeben. Das konnte gen Situation nicht jubeln, weil es, wie wir wissen, noch man heute deutlich in der Sitzung des Ausschusses für Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006 6079

Dirk Niebel (A) Arbeit und Soziales merken, als der Kollege Weiß von wirtschaften kann sie bestimmt nicht; sie kann gar nichts (C) der CDU/CSU sagte: Die schlechte Nachricht für die erwirtschaften. Alles, was sie zu viel hat, hat sie Arbeit- Bürger war die Erhöhung der Rentenversicherungsbei- nehmern und Arbeitgebern weggenommen. Es ist nur lo- träge auf 19,9 Punkte. Die gute Nachricht ist, dass wir gisch, dass man es diesen zurückgibt. einen „Beitragssenkungsspielraum“ haben und auf 19,7 Punkte kommen könnten. Aber weil wir die Leute (Beifall bei der FDP) nicht verunsichern wollen, nutzen wir diesen Beitrags- Aber dann seien Sie doch auch hier konsequent, Herr senkungsspielraum nicht, damit sie nicht auf die Idee Müntefering. kommen, es könnte irgendwann einmal wieder nach oben gehen. (Bundesminister Franz Müntefering unterhält sich auf der Regierungsbank mit Staatssekretär (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Planungssicher- Gerd Andres) heit nennt man das! – Peter Weiß [Emmendin- gen] [CDU/CSU]: Vollständig zitieren wäre – Frau Präsidentin, was ist denn das für ein Parlaments- besser!) verständnis? Das ist eine Art von Politik, die genau das Prinzip, (Heiterkeit) das der Kollege Müntefering im Zusammenhang mit sei- nem Investitionsprogramm genannt hat, widerspiegelt: Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Man nimmt den Menschen das selbst verdiente Geld Der Herr Minister hört Ihnen zu. weg, katalysiert es durch einen teuren Verwaltungsappa- rat, zieht die Verwaltungskosten ab und gibt es den Men- schen quasi wie einem Taschengeldempfänger und vor- Dirk Niebel (FDP): zugsweise auch noch zweckgebunden an anderer Stelle Der Kollege Müntefering ist offenkundig nicht in der wieder zurück. Das ist nicht unsere Vorstellung vom Lage, die Ergebnisse des Evaluierungsberichts seiner ei- mündigen Bürger. Die Menschen können mit dem Geld, genen Bundesregierung zur Kenntnis zu nehmen, die das sie selbst verdienen, Besseres machen als Sie in Ihrer schon Mitte des Jahres deutlich gemacht haben, welche großen Koalition. arbeitsmarktpolitischen Instrumente nicht zur Integra- tion in den ersten Arbeitsmarkt dienen, sondern pure (Beifall bei der FDP) Geldverschwendung sind. Aber das sind Ihre sozialde- mokratischen Steckenpferde, die Sie weiter reiten mö- Sie haben davon gesprochen, wie schön alles sei. Die gen. Optisch möge man sich das einmal vorstellen; Bundeskanzlerin hat vor knapp einem Jahr ihre Regie- wahrscheinlich brechen Sie sich dann das nächste Bein, rungserklärung unter die Überschrift „Freiheit wagen“ (B) wenn Sie das tatsächlich bis zum Ende durchführen. (D) gesetzt. Welche Freiheit meinen Sie eigentlich? Sie stel- len fest, dass – das finde ich einen bemerkenswerten (Dr. Uwe Küster [SPD]: Pfui! Peinlicher Lernfortschritt – Steuermehreinnahmen dazu dienen Mensch!) können, die Haushalte zu konsolidieren. Das ist gut; das ist auch unsere Ansicht. Aber Sie haben nicht festge- – Der Kollege hat „Schwein“ zu mir gesagt. Ich halte das stellt, dass die Steuermehreinnahmen nicht das Ergebnis nicht für parlamentarisch, aber das ändert nichts. Es ord- staatsorientierter Politik, sondern das Ergebnis einer net Sie ungefähr da ein, wo Sie politisch hingehören. Sie wachstumsorientierten Wirtschaftspolitik gewesen sind, haben sich da selbst ein Zeugnis ausgestellt. die unter der letzten Bundesregierung ihren Ausdruck in (Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie sind peinlich! einem Steuersenkungskonzept gefunden hat, das ohne Nicht parlamentarisch!) das Zutun der FDP im Land Rheinland-Pfalz im Bundes- rat niemals Gesetz geworden wäre. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (Lachen bei der SPD und der CDU/CSU) Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende. – Es wäre nicht durchgekommen; es wäre an der Blocka- dehaltung der Union im Bundesrat gescheitert. Die Dirk Niebel (FDP): Rheinland-Pfälzer unter Ihnen wissen das. Ja, Frau Präsidentin. – Nutzen Sie die Beitragssen- kungsspielräume, die sich bieten, indem Sie eine ver- Das zeigt eines ganz deutlich: Ein wachstumsorien- nünftige Arbeitsmarktpolitik durchführen und den Men- tierter wirtschaftspolitischer Pfad, eine Steuersenkungs- schen das Geld zurückgeben, das ihnen unnötigerweise politik, die Menschen und Betrieben in diesem Land weggenommen worden ist, damit sie die Chance haben, mehr vom selbst Verdienten übrig lässt, ist immer noch mitmachen zu dürfen. Außerdem überlegen Sie sich, ob besser als staatsdirigistische Programme. Insofern müs- es vielleicht hilfreich und sinnvoll wäre, das Parlament sen wir einfordern, was die Bundeskanzlerin gesagt hat: irgendwann einmal zur Kenntnis zu nehmen, oder ob die mehr Freiheit wagen! Das ist das Entscheidende. Arroganz der Macht sich in ihren „Wohlfühlwochen“ Sie tun so, als wenn die Bundesagentur jetzt richtig eingenistet hat, sodass Herr Jörges im Endeffekt wahr- Geld verdienen würde und als sei es ein Goodwill seitens scheinlich doch Recht hat. der Bundesregierung, den Bürgern von diesem zu viel Vielen Dank. weggenommenen Geld etwas zurückzugeben. Die Bun- desagentur kann alles Mögliche, aber Überschüsse er- (Beifall bei der FDP) 6080 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006

(A) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: dafür zu sorgen, dass sich das wirtschaftliche Wachstum, (C) Das Wort hat nun der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe für das wir zurzeit haben, in neue Arbeitsplätze nieder- die CDU/CSU-Fraktion. schlägt und dass arbeitslose Menschen in diese Stellen vermittelt werden. Wir werden uns weiterhin darum (Beifall bei der CDU/CSU) kümmern, dass dieses Potenzial genutzt wird. Auch diese große Zahl an offenen Stellen ist ein Riesenerfolg Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): dieser Koalition. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Der Oktober 2005 war der letzte Monat vor der Wahl der SPD) von zur Bundeskanzlerin. Aktuell liegen die Arbeitsmarktzahlen für den Oktober 2006 vor. Das Auch in den neuen Ländern ist die Situation deutlich ist eine gute Gelegenheit, Bilanz zu ziehen. Was ist pas- besser geworden. Dort ist die Zahl der offenen Stellen siert, seit die Wählerinnen und Wähler die CDU/CSU gegenüber dem Vorjahr um 45 000 auf 153 000 angestie- zur stärksten und die Grünen zur schwächsten Kraft in gen. Wir werden mit den Instrumenten, die wir entwi- diesem Hohen Hause gewählt haben? ckelt haben, weitermachen und wir werden weiter daran arbeiten, dass sich wirtschaftliches Wachstum verstärkt (Heiterkeit bei der CDU/CSU) in Arbeitsplätze umsetzen lässt. Wir sind dabei noch Ein paar Ergebnisse in Stichworten: 471 000 Arbeits- lange nicht am Ziel. Aber nach einem Jahr kann man sa- lose weniger als vor einem Jahr. Erstmals seit vier Jahren gen, dass wir eine hervorragende Zwischenbilanz für liegt die Arbeitslosenquote unter 10 Prozent. Was hätten den Arbeitsmarkt vorlegen können. Sie von den Grünen darum gegeben, wenn Sie solche (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Zahlen hätten präsentieren können! Das ist ein Erfolg neten der SPD) der großen Koalition. Diese Erfolge schlagen sich auch in einer Verbesse- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- rung der Lage für die Sozialversicherungssysteme nie- neten der SPD) der. Erinnern wir uns daran, wie die Situation der Ren- Ich fahre fort: 153 000 Arbeitslose weniger als im tenversicherung vor einem Jahr war. Erstmals in der September. 82 000 Menschen aus dem Bereich des Geschichte unseres Landes brauchte die Rentenversiche- Arbeitslosengeldes II sind wieder in Beschäftigung ge- rung einen Kassenkredit des Bundesfinanzministers, um kommen. Das letzte Hilfsargument der Opposition war, über die Runden zu kommen. Die Lage ist immer noch die Langzeitarbeitslosigkeit sei gestiegen. Es ist in der angespannt; das ist wahr. Aber wir haben die Rentenfi- (B) Tat richtig: Die Kurzzeitarbeitslosigkeit abzubauen ist nanzen konsolidiert und stabilisiert. Wir werden auf die- (D) einfacher. Wenn die Kurzzeitarbeitslosigkeit stark und sem Weg weitergehen. Das ist ein großer Fortschritt ge- die Langzeitarbeitslosigkeit nicht ganz so stark abgebaut genüber der Situation vor zwölf Monaten und ein werden, dann ist der Anteil der Langzeitarbeitslosen hö- Riesenerfolg der großen Koalition und der Bundesregie- her. Aber nehmen Sie zur Kenntnis: Auch im Bereich rung. des Arbeitslosengeldes II haben wir Erfolge. Denn auch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – die Langzeitarbeitslosigkeit geht in Deutschland zurück. Dirk Niebel [FDP]: 13 Beiträge!) Auch das ist ein Erfolg der großen Koalition. Was wir an Steuermehreinnahmen und an Beitrags- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- mehreinnahmen haben, geben wir an die Menschen wei- neten der SPD) ter. Der Minister hat entsprechende Beitragssenkungen Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäf- angekündigt. tigten nimmt unverändert zu. Zuvor war sie jahrelang ra- Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch sa- pide gesunken. Heute gibt es 258 000 sozialversiche- gen: Die Grünen hatten ursprünglich eine Aktuelle rungspflichtig Beschäftigte mehr als vor einem Jahr. Wir Stunde beantragt, in der das „Infragestellen der Sozial- liegen wieder bei fast 27 Millionen sozialversicherungs- versicherungsreformen“ behandelt werden sollte. Als sie pflichtigen Beschäftigungsverhältnissen. Das ist gut für erfahren haben, dass diese Aktuelle Stunde erst am Frei- das Land und für die Wirtschaft und ein Riesenerfolg für tagnachmittag auf die Tagesordnung kommt, war ihnen die große Koalition. dieses Thema nicht mehr so wichtig. Aber diese Aktu- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- elle Stunde wäre auch in der Sache unsinnig gewesen. neten der SPD) (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Nächstes Thema: Zahl der offenen Stellen. Die BA NEN]: Sagen Sie einmal etwas zu Herrn hat bekannt gegeben, dass bei ihr 626 000 offene Stellen Rüttgers!) gemeldet sind. Nimmt man noch die Stellen von privaten Seien Sie ganz unbesorgt: Uns von der CDU/CSU lie- Arbeitsvermittlern und von Internetstellenbörsen hinzu, gen Menschen mit einer großen Lebensleistung und ei- kommt man sogar auf 825 000 offene Stellen. Jeder ner großen Beitragsleistung sehr am Herzen. Das ist weiß: Nicht jede offene Stelle ist tatsächlich gemeldet. nichts Neues. Solche Lebens- und Beitragsleistungen zu Wir können davon ausgehen, dass wir über 1 Million of- würdigen, ist uns ein Anliegen. fene Stellen haben, die zu besetzen sind. Das spornt uns an, mit unserer Arbeitsmarktpolitik weiterzumachen und (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006 6081

Dr. Ralf Brauksiepe (A) Das gilt für die Rentenversicherung: Wir werden bei (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (C) der Rente bis 67 Jahre Ausnahmen für Menschen, die neten der FDP) eine entsprechend lange Zeit Beiträge geleistet haben, Aber sie hat ihn auch nicht verhindert. einführen. Wir werden auch bei der Arbeitslosenversi- cherung darüber reden, wie man eine lange Zeit der Bei- Das wird in 2007 in der Tat ganz anders aussehen. tragsleistung entsprechend berücksichtigen kann. (Dirk Niebel [FDP]: Merkelsteuer!)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Neben der Erhöhung der Mehrwert- und der Versiche- Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit. rungsteuer gibt es Kürzungen bei der Beschäftigung im öffentlichen Dienst und bei Hartz IV, die Streichung der Eigenheimzulage, die Versteuerung von Abfindungen, Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Kürzungen beim Kindergeld und bei der Pendlerpau- Sie können auch in diesem Punkt unbesorgt sein – wir schale, die Halbierung des Sparerfreibetrages und die haben heute einen entsprechenden Vorschlag vorgelegt –: Einschränkung der steuerlichen Abzugsfähigkeit des Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung sinkt auf häuslichen Arbeitszimmers. Alles in allem summiert 4,2 Prozent. Wir senken die Beiträge weiter, nachdem sich dies – so hat das Institut für Makroökonomie und die zuvor beschlossene Senkung noch nicht einmal in Konjunkturforschung herausgefunden – im nächsten Kraft getreten ist. Das ist ein Rekordtempo. Wir sind auf Jahr auf eine Wachstumsbremse von über 28 Milliarden dem richtigen Weg. Nörgeln Sie nicht! Gehen Sie auf Euro. diesem Weg mit! Dies ist die größte Konjunkturbremse, die es jemals in Herzlichen Dank. der Geschichte der Bundesrepublik gegeben hat. Da der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- private Verbrauch und der Staat keinen Beitrag leisten neten der SPD) werden, gehe ich davon aus, dass wir im nächsten Jahr ein Wachstum haben werden, das so gering ist, dass es wieder zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit kommen Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: wird. Nächster Redner ist der Kollege Dr. Axel Troost für die Fraktion Die Linke. Auf dem Arbeitsmarkt ist derzeit ein Rückgang der Zahl der registrierten Arbeitslosen um 470 000 zu ver- (Beifall bei der LINKEN) zeichnen. Es gibt erstmals wieder einen Zuwachs bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und den Mi- nijobs. Trotz allem wird es im Jahresdurchschnitt weiter- (B) Dr. Axel Troost (DIE LINKE): (D) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir le- hin 4,8 Millionen registrierte Arbeitslose geben und die ben in einem Wirtschaftssystem – die einen nennen es Beschäftigungslücke wird von 6,33 Millionen fehlenden „Marktwirtschaft“, die anderen „Kapitalismus“ –, das Arbeitsplätzen nur auf 6,2 Millionen sinken. Gleichzei- seit 150 Jahren nach zyklischen Entwicklungen verläuft. tig stellen wir während des derzeitigen Aufschwungs In der Tat, nach Jahren der Stagnation haben wir 2006 eine Erhöhung und Verfestigung der Langzeitarbeitslo- das erste Mal seit langem wieder wirtschaftliches sigkeit fest. Wachstum. Ein Wachstum von 2,2 bis 2,4 Prozent führt Kurzum, wir haben einen zyklischen Aufschwung. zu einem deutlichen Beschäftigungszuwachs. Das führt zu einer Verbesserung der Situation auf dem Schauen wir einmal, woher die Wachstumsbeiträge Arbeitsmarkt. Aber das ist keine Wende im Bereich der kommen. Das ist zum einen der Außenbeitrag und da Arbeitsmarktentwicklung. Wir werden vielmehr stei- sind zum anderen die privaten Investitionen festzustel- gende Probleme mit Massen- und Langzeitarbeitslosig- len, die nach Jahren der Stagnation endlich angesprun- keit haben. gen sind. Dies ist im Wesentlichen auf Nachholbedarf Es kommt noch viel schlimmer: Seit Jahrzehnten gab zurückzuführen. Dabei handelt es sich nicht um Erweite- es den gesellschaftlichen Konsens, dass, wenn man es rungs-, sondern in erster Linie um Rationalisierungsin- schon nicht schafft, wesentlich zum Abbau der Arbeits- vestitionen. Es gibt keinen Beitrag vom Staat losigkeit beizutragen, zumindest eine aktive Arbeits- ( [SPD]: Degressive AfA!) marktpolitik betrieben und gesagt wird: Wir wollen ge- meinwohlorientierte Arbeit statt Arbeitslosigkeit. Mit und so gut wie keinen Beitrag durch den privaten Kon- diesem Konsens haben Sie gebrochen. Mit der Hartz- sum zum Wachstum. Das ist auch nicht verwunderlich, Gesetzgebung sind faktisch alle Instrumente der aktiven wenn man sich die Entwicklung der Verteilung der Ein- Arbeitsmarktpolitik abgeschafft worden. Es gab einmal kommen in den letzten Jahren anschaut: Fast der ge- Instrumente wie den § 249 h AFG und SAM, um Arbeit samte Zuwachs der Einkommen stammt aus Unterneh- statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Jetzt gibt es nur mertätigkeit und Vermögen. noch die 1-Euro-Jobs. Das ist perspektivlos und ohne ir- gendwelche Chancen für die davon Betroffenen. Neben dem Export und den Ausrüstungsinvestitionen ist sonst nichts vorhanden, was zum Wachstum beiträgt. Insofern hat sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt Insofern kann man sagen: In diesem Jahr hat die große aus meiner Sicht drastisch verändert. Arbeitslos zu sein, Koalition mit ihrer Politik nicht zum Aufschwung beige- führt zu Ausgrenzung und zu einer Verstärkung der Ar- tragen. mut. Ich war in der letzten Woche auf einer großen 6082 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006

Dr. Axel Troost (A) Arbeitsmarktkonferenz in Erfurt. Einer meiner Mitrefe- Für mich ist dies kein Schulterklopfen angesichts der (C) renten hat nur gesagt: Die Exportwirtschaft hat kein Inte- Tatsache, dass innerhalb von zwei Jahren mehr als resse am Abbau der Arbeitslosigkeit. Dazu kann ich nur 600 000 Menschen aus der Arbeitslosigkeit in Arbeit ge- sagen: wie wahr. Die Exportwirtschaft nutzt eine hohe führt wurden. Herr Niebel, Sie haben von einer populis- Arbeitslosenquote aufgrund der Schwächung der Ge- tischen Selbstbeweihräucherung gesprochen. Ich finde, werkschaften zur Senkung der Lohnstückkosten. es ist eine Schande, dass Sie vor dem Hintergrund, dass viele Menschen wieder eine Chance erhalten haben, mit (Beifall bei der LINKEN) solchen Worten in diesem Parlament auftreten. Für sie ist dies die beste Basis für eine weitere Expan- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sion. Für die Menschen in diesem Lande ist dies keine der CDU/CSU – Dirk Niebel [FDP]: Ach gute Basis. Insofern gibt es nichts zu beschönigen. Wir Gott! Mir blutet das Herz!) brauchen eine andere Politik, eine Politik, die wirklich zum Abbau der Massenarbeitslosigkeit beiträgt. Wir haben aufgrund des Wirtschaftswachstums, das wir auch in den kommenden Jahren erwarten, größere Danke schön. Chancen, das Beschäftigungsniveau zu stabilisieren. (Beifall bei der LINKEN) Trotz des hohen Ölpreises werden Verbesserungen am Arbeitsmarkt sichtbar werden, werden mehr Menschen Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: eine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben. Diese Chance haben sie wegen einer verlässlichen Politik. Nächster Redner ist der Kollege Klaus Brandner für die SPD-Fraktion. In diesem Zusammenhang möchte ich, an meinen Kollegen Brauksiepe gerichtet, sagen, dass wir nicht (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der wollen, dass die Verunsicherung in diesem Land durch CDU/CSU – Zuruf von der FDP: Das Schön- Sozialpopulimus ein Stück weit vergrößert wird. reden geht weiter!) (Dirk Niebel [FDP]: Sie dürfen „Populismus“ Klaus Brandner (SPD): sagen, aber ich darf das nicht!) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle- Was Herr Rüttgers seit einigen Wochen betreibt, ist So- ginnen und Kollegen! Die SPD hat es sich zum Ziel ge- zialpopulismus. Es ist derselbe Sozialpopulismus, den setzt, mehr Menschen in Arbeit zu bringen. Der Bundes- wir gerade von der Linksfraktion gehört haben, die be- minister hat die eindrucksvollen Zahlen genannt: Wir streitet, dass die Arbeitsmarktpolitik auf hohem Niveau haben einen kontinuierlichen Rückgang der Arbeitslo- fortgesetzt worden ist. (B) senzahl und eine kontinuierliche Zunahme der Erwerbs- (D) tätigkeit zu verzeichnen. Die Zahl der offenen Stellen hat (Beifall bei der SPD – Dirk Niebel [FDP]: Ich zugenommen; sie liegt mittlerweile bei mehr als finde, es ist eine Schande, wenn Sie so reden!) 800 000. Besonders erfreulich aber ist, dass die Zahl der Ich will klar sagen: Wir wollen keine Politik für Äl- sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im August tere auf dem Rücken der Jüngeren. dieses Jahres gegenüber dem Vorjahr um mehr als 258 000 gestiegen ist. Auch die Zahl der Langzeitar- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ beitslosen ist zurückgegangen; im Oktober dieses Jahres DIE GRÜNEN) waren, verglichen mit dem Vorjahr, 122 000 Menschen Das spaltet die Gesellschaft. Wir haben das Risiko „Al- weniger langzeitarbeitslos. – Diese Zahlen machen deut- ter“ bei der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes berück- lich, dass die Chancen für die Menschen in diesem Land sichtigt, indem diejenigen, die 55 Jahre oder älter sind, besser geworden sind. 18 Monate Arbeitslosengeld erhalten. Wir wollen kein (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Abschieben in die Arbeitslosigkeit. Wir wollen einen der CDU/CSU) Mentalitätswechsel in den Betrieben und in der Gesell- schaft. Wir wollen keinen Rückschritt in die Frühverren- 122 000 ehemalige Langzeitarbeitslose haben wieder tung. Boden unter den Füßen. Sie haben wieder Chancen für sich und ihre Familien. Das ist aller Ehren wert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Uns, der großen Koalition, ist das – wie in der Ver- gangenheit auch der rot-grünen Koalition – nicht genug. Wir nehmen die Sorgen der Menschen ernst. Wir wollen Es ist aber ermutigend, dass die Arbeitsmarktzahlen keine Politik der Verunsicherung; das habe ich deutlich deutlich besser sind; das muss uns ein Ansporn sein. gemacht. In diesem Zusammenhang ist für uns eine Ver- Diese Entwicklung zeigt im Übrigen, dass die Politik, längerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes um die wir verfolgen, richtig ist und wirkt. sechs Monate bei einer durchgängigen Beitragszahlung über 40 Jahre nicht banal. Was die Menschen aber tat- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der sächlich brauchen, ist Beschäftigung. Die gibt es nicht CDU/CSU) durch größere Verunsicherung in diesem Land. Die Opposition mag sagen, dass in dieser Aktuellen (Beifall bei der SPD) Stunde nur ein Schulterklopfen stattfindet. Es bleibt dabei: Arbeitslosen ist nicht geholfen, wenn (Zuruf von der FDP: Richtig!) sie möglichst lang Lohnersatzleistungen erhalten. Die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006 6083

Klaus Brandner (A) Vorstellung, dies würde helfen, geht an der Realität vor- fentlichten Jahresgutachten 2006/07 von einem „Zick- (C) bei. Je länger man aus dem Erwerbsleben raus ist, desto Zack-Kurs“, umschreibt die Streitkultur und geht auf die schwieriger ist es, in das Erwerbsleben wieder einzustei- „Selbstblockade“ ein. Er hat deutlich gemacht, dass die gen. Unser erster Grundsatz lautet – dafür stehen wir ge- gute wirtschaftliche Entwicklung mit einer schlechten meinsam –: Wir setzen auf die schnelle Vermittlung in Regierung gepaart ist. Arbeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten und bei der FDP) der CDU/CSU – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir haben einen Aufschwung. Das ist gut. Ich sage Es hat lang genug gedauert, bis ihr das kapiert Ihnen für die Grünen: Wir wissen, dass dieser Auf- habt!) schwung zum einen mit der positiven Weltkonjunktur zu Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kolb, wollen wir nicht, tun hat, zum anderen aber auch eine Frucht vieler müh- dass der Vorschlag von Herrn Rüttgers umgesetzt wird: samer Reformen von Rot-Grün in der Vergangenheit ist. Wir freuen uns, dass die Arbeitslosigkeit im Oktober un- Er möchte die Kinder für die langzeitarbeitslosen Eltern ter 10 Prozent gesunken ist. Das ist für jeden Arbeits- in Haftung nehmen. losen, der eine Beschäftigung gefunden hat, gut. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Sie müssen aber genau hinschauen. Im Oktober gab DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: es 470 000 Arbeitslose weniger, aber 60 000 Langzeit- Das ist ja verkehrte Welt, was Sie hier ma- arbeitslose mehr als im selben Monat des Vorjahres. – chen!) Ich sehe, dass wieder mit dem Kopf geschüttelt wird. Ich Wir wollen nicht, dass diejenigen, die sich im Alter von nenne aber die realen Zahlen; das hat mit Relativität etwa 30 Jahren in der Aufbauphase befinden, die eine nichts zu tun. In der Tat schreitet eine Entwicklung Familie gründen und Geld für den Bau eines Eigenheims voran, bei der die Langzeitarbeitslosigkeit langsam ab- zurücklegen, zu Leistungen für ihre Eltern verpflichtet gebaut wird. werden, wenn diese im Alter von vielleicht 55 Jahren Sie von der Koalition fahren aber ein hohes Risiko; langzeitarbeitslos werden. das wird von vielen bestätigt. In 53 Tagen wird die Mehrwertsteuererhöhung kommen. Sie wird mit dem (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Zickzackkurs, den Sie vorgelegt haben, gepaart. Sie dür- DIE GRÜNEN) fen Ihre Augen vor dem Problem der Langzeitarbeits- Wir wollen ein Miteinander, nicht ein Gegeneinander der losigkeit nicht verschließen; Sie müssen die Langzeit- Generationen. arbeitslosen fördern. Sie müssen endlich auf das, was vor Ort passiert, reagieren: Beispielsweise werden die (B) Wir müssen über den Kündigungsschutz reden. Wir für die Förderung von Langzeitarbeitslosen zur Verfü- (D) müssen auch einen Trend am Arbeitsmarkt im Blick gung gestellten Mittel von den Arbeitsagenturen nicht behalten: Trotz der positiven Arbeitsmarktentwicklung ausgeschöpft. Wir müssen eine Debatte darüber voran- gibt es nach wie vor einige Hunderttausend Menschen, treiben, wie man das ändern kann. die dauerhaft keine Chance auf dem so genannten ersten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Arbeitsmarkt haben. Diese Menschen dürfen nicht aus- geschlossen werden. Sie brauchen eine Chance auf Teil- Eine solche Debatte muss im Vordergrund stehen, nicht habe. Wir werden sie nicht abschieben. Deshalb treten die populistische sozialpolitische Debatte, die Sie, Herr wir für eine öffentlich geförderte Beschäftigung ein; das Brauksiepe, in dieses Haus hineingetragen haben. ist Programm der SPD. Herr Rüttgers hat eine billige Sozialpopulismusde- (Beifall bei der SPD) batte vom Zaune gebrochen. Auf seinem Paket steht zwar „Gerechtigkeit“, es enthält aber soziale Unver- schämtheiten. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Thea Dückert (Zuruf von der SPD: Das ist wahr!) für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen. Ich werde Ihnen belegen, dass dieses Paket die Älteren wieder in die Frühverrentung führen würde und dass es Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ganz klar gegen die Jüngeren gerichtet ist. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) von den Koalitionsfraktionen, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Inszenierung eines Eigenlobs in dieser Aktuel- Ich habe gestern ein Machtwort der Kanzlerin ver- len Stunde! misst. Sie hatte die Chance, vor den Vertretern der BDA einem sich am Horizont abzeichnenden Kurs Einhalt zu (Beifall bei der FDP) gebieten, der wieder zu mehr Frühverrentungen in Sie scheinen das nötig zu haben – ich verstehe das –, Deutschland führen kann. In den 90er-Jahren waren wir weil die Bevölkerung nach einem Jahr Schwarz-Rot sehr schon einmal auf dieser schiefen Bahn. Die geringe Er- enttäuscht ist; das schlägt sich in den Umfragewerten werbsquote älterer Menschen am Arbeitsmarkt – das ist nieder. ein Desaster – und die hohe Quote langzeitarbeitsloser älterer Erwerbspersonen sind auf diese miserable Früh- Nicht nur die Bevölkerung, sondern auch der Sach- verrentungspraxis zurückzuführen. Und Sie reden ihr verständigenrat ist enttäuscht. Er spricht im heute veröf- das Wort! 6084 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006

Dr. Thea Dückert (A) Es wird noch schlimmer. Wenn man sich diesen ar- wissen Maß an Realitätsverweigerung, von dem Kum- (C) beitsmarktpolitischen Irrweg zu Gemüte führt, stellt man mer, nicht in der Regierung zu sein, und auf der anderen fest, dass er nicht nur – heuchlerisch – gegen die Alten Seite von dem Kummer, nicht mehr in der Regierung zu gerichtet ist. Ein 55-Jähriger muss nach den Plänen von sein. Rüttgers mehr als 15 Jahre gearbeitet haben, um das zu erhalten, was er heute nach drei Jahren Beschäftigung (Dirk Niebel [FDP]: So ein Glück, dass jetzt erhält, nämlich 18 Monate Arbeitslosengeld. nur noch die Koalition reden darf! – Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie haben den Kummer der Regierung!) und bei der SPD) Anders kann ich die Reden, die Sie hier gehalten haben, Nach diesen Vorschlägen müsste man zehn Jahre arbei- wirklich nicht interpretieren. ten, um ein Jahr lang Arbeitslosengeld zu bekommen. Nach geltendem Recht muss man nur zwei Jahre dafür (Dirk Niebel [FDP]: Sie können jetzt ja 35 Minu- arbeiten. Diese Regelung trifft die Jungen, die Frauen ten lang erklären, warum alles gut wird!) und diejenigen, die diskontinuierliche Erwerbsbiogra- Liebe Frau Kollegin Dückert, ich habe mir während fien haben. Diese Regelung ist in hohem Maße sozial Ihrer Rede überlegt, welche Rede Sie wohl gehalten hät- ungerecht und arbeitsmarktpolitisch problematisch, weil ten, wenn Sie noch in der Regierungsverantwortung auf unserem Arbeitsmarkt diskontinuierliche Erwerbs- stünden. Welche Zahlen hätten Sie präsentiert? Welche biografien vorausgesetzt werden. Erklärung hätten Sie dafür vorgelegt? Herr Glos will auch noch den Kündigungsschutz lo- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: ckern. Auch das trifft die jungen Leute aus der so ge- Wie fanden Sie die Rede von Herrn nannten Praktikumsgeneration, die gar keine Chance ha- Brandner?) ben, früh in den Arbeitsmarkt zu kommen. Sie sind doppelt betroffen, weil sie gleichzeitig für ihre Eltern Im Zweifel hätten Sie gesagt: Die Zahlen sind so gut, aufkommen sollen, wenn sie arbeitslos werden. weil die Grünen mit in der Regierung sind. Sie haben Ihre Ausführungen zu einem guten Maße dazu genutzt, Hören Sie auf, die Langzeitarbeitslosigkeit wegzure- die Aktuelle Stunde, die Sie beantragt, aber wieder zu- den! Kümmern Sie sich darum! Fördern Sie! Hören Sie rückgezogen haben, hierher zu verlegen. Sie werden auf, die Weichen für eine Arbeitsmarktpolitik zu stellen, aber gestatten, dass ich auf das eigentliche Thema dieser die Arbeitsplätze für ältere Arbeitnehmerinnen und Ar- Aktuellen Stunde zu sprechen komme. beitnehmer gefährdet, die wieder zu mehr Frühverren- tungen führt, die uns ins Desaster führt! Manchmal, insbesondere bei der Opposition, hat man (B) den Eindruck, in den vergangenen zwölf Monaten wäre (D) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: nichts passiert, wir hätten zwölf Monate lang Däumchen Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen. gedreht. (Dirk Niebel [FDP]: Das wäre die bessere Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Variante gewesen!) Ich komme zum Schluss. – Nehmen Sie die Senkung Ich will auf das hinweisen, was in den vergangenen der Lohnnebenkosten, die Sie zum Beispiel im Bereich zwölf Monaten tatsächlich passiert ist. Ich erinnere an der Arbeitslosenversicherung vorhaben, zum Anlass, um die Föderalismusreform, die wir unter einer anderen Re- die Lohnnebenkosten für gering Qualifizierte und für die gierungskoalition unter Umständen gar nicht zustande Bezieher kleiner Einkommen zu senken. Damit tun Sie gebracht hätten. Wir haben unser Staatswesen neu ge- etwas für den Arbeitsmarkt! Hören Sie auf, den konjunk- ordnet. Wir haben es wieder vom Kopf auf die Füße ge- turellen Aufwärtstrend durch Maßnahmen wie die Mehr- stellt und dafür gesorgt, dass der Bund größere Hand- wertsteuererhöhung oder einen Zickzackkurs bei den So- lungsfähigkeit bekommt. Ich finde, das ist ein Gewinn zialreformen zu bremsen! für unser Land. Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN neten der SPD) sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir haben nicht nur über Bürokratieabbau geredet, sondern wir haben damit begonnen, Bürokratieabbau zu Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: betreiben. Wir haben ein erstes Mittelstands-Entlas- Das Wort hat nun der Kollege Stefan Müller für die tungs-Gesetz auf den Weg gebracht, ein zweites ist in CDU/CSU-Fraktion. Vorbereitung. Und wir haben einen Normenkontrollrat (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- eingerichtet. Nach vielen Jahren des Redens über den neten der SPD) Bürokratieabbau wird jetzt endlich etwas getan. Nun zur Arbeitsmarktpolitik. Wir haben Fehlentwick- Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): lungen bei Hartz IV korrigiert. Wir haben drei Reform- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! gesetze auf den Weg gebracht, um zum einen Einsparun- Die bisherigen Reden der Vertreter der Oppositionsfrak- gen zu erzielen und zum anderen die nach wie vor tionen waren auf der einen Seite geprägt von einem ge- knappen finanziellen Ressourcen denjenigen zukommen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006 6085

Stefan Müller (Erlangen) (A) zu lassen, die wirklich hilfsbedürftig sind, nicht aber – nein –, aufzulösen. Von tatsächlicher Innovationsfähig- (C) denjenigen, die es nicht sind. keit und neuen Ideen zeugt dieser Vorschlag weiß Gott nicht. Die Zahlen – sie sind schon angesprochen worden – sprechen eine eindeutige Sprache: Die Zahl der Unter- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nehmensinsolvenzen ging zurück. Die Arbeitsmarktda- neten der SPD) ten haben sich verbessert. Im EU-Herbstgutachten wird vorhergesagt, dass Deutschland das Defizitkriterium Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt hat auch spätestens im Jahr 2008 weit unterschreiten kann und Rückwirkungen auf die Finanzlage der Bundesagentur. dann wahrscheinlich eine Verschuldung in Höhe von nur Ich gebe Ihnen Recht, dass die BA kein Geld erwirt- noch 1,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aufweist. schaftet hat. (Klaus Brandner [SPD]: Das behauptet doch (Dirk Niebel [FDP]: Das ist die Neuverschuldung, überhaupt keiner!) Herr Kollege, nicht die Verschuldung!) Vielmehr nimmt sie von den Beitragszahlern mehr Geld Das gibt wirklich Anlass zur Freude. ein und gibt, weil sich die Vermittlung verbessert hat, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) weniger Geld aus. Ich bin sofort bei Ihnen, wenn es da- rum geht, dass dieses Geld den Menschen zurückgege- Wenn ich mir die Ergebnisse des Ifo-Konjunkturtests ben werden muss, die es zuvor aufgebracht haben, näm- ansehe, stelle ich fest, dass sich auch die Einschätzung lich den Beitragszahlern. der Betriebe verbessert hat. All das wird dazu beitragen, dass zum Beispiel die Auswirkungen der Mehrwertsteu- In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinwei- ererhöhung nicht in der Art und Weise eintreten werden, sen, dass wir uns heute früh in der Sitzung des Arbeits- wie Sie sie vorhergesagt haben. Das Ifo-Institut jeden- und Sozialausschusses darauf geeinigt haben, den Bei- falls geht davon aus, dass die dämpfenden Wirkungen tragssatz zur Arbeitslosenversicherung nicht nur um der Mehrwertsteuererhöhung nicht in dem Maße stattfin- 2 Prozentpunkte zu senken, wie wir es im Übrigen schon den werden, wie Sie es vermuten. beschlossen hatten, sondern um 2,3 Prozentpunkte. Denn die Sozialabgaben sind in diesem Land ein wesent- (Dirk Niebel [FDP]: In welchem Maße finden liches Einstellungshemmnis. sie denn dann statt? Sagen Sie uns das doch mal bitte!) (Dirk Niebel [FDP]: Ach so! Deswegen ma- chen Sie das mit der Rente!) – Herr Niebel, ich möchte einmal wissen, wo Sie Ihre (B) Glaskugel versteckt haben. Sie nehmen für sich in An- Ich finde, wir sind auf einem guten Weg. (D) spruch, genau vorhersagen zu können, wie die wirt- Weil Sie ständig unterschiedliche Rechnungen aufma- schaftliche Entwicklung im nächsten Jahr verlaufen chen, will ich eines festhalten: Selbst wenn man alle Er- wird. höhungen, die an anderen Stellen durchgeführt werden, (Dirk Niebel [FDP]: Herr Müntefering hat das gegenrechnet, wird am 1. Januar 2007 eine Senkung der doch im letzten Wahlkampf genau beschrie- Lohnnebenkosten bzw. der Sozialabgaben zu verzeich- ben! Es ist zwar nicht schön, daran zu erin- nen sein. nern, aber die Merkel-Steuer kommt von Ih- (Dirk Niebel [FDP]: Sie haben die Gesund- nen! Mit dem, was er gesagt hat, hat er völlig heitsreform vergessen! – Markus Kurth Recht gehabt!) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Da Vielleicht warten wir einfach einmal ab, wie sich die Si- kommt auch noch eine Gesundheitsreform auf tuation im nächsten Jahr tatsächlich darstellt. uns zu!) Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen. Wir sind froh darüber, dass die positive wirtschaftli- che Entwicklung auch den Arbeitsmarkt erreicht; diese Die Daten zur wirtschaftlichen und finanziellen Ent- Daten sind schon angesprochen worden. Natürlich hat wicklung machen erstens deutlich, dass eine Wende zum der deutliche Rückgang der Arbeitslosigkeit etwas damit Besseren erkennbar ist. zu tun, dass die wirtschaftliche Dynamik zugenommen hat. Allerdings hat sich auch die Vermittlungstätigkeit (Dirk Niebel [FDP]: Komisch, dass das Volk der Bundesagentur für Arbeit verbessert. das ganz anders sieht! Wie erklären Sie sich das?) (Dr. Rainer Stinner [FDP]: Wie bitte? Ach Gott!) Zweitens können wir ein Jahr nach dem Regierungs- wechsel feststellen, dass die Richtung, die die große Ko- Deshalb verstehe ich auch Ihre Initiativen nicht, die da- alition eingeschlagen hat, stimmt. rauf zielen, die Bundesagentur jetzt, da wir den Eindruck haben und es tatsächlich so ist, dass sich ihre Vermitt- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – lungstätigkeit verbessert Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Nicht schlecht! So eine Rede bei so ei- (Dirk Niebel [FDP]: Ja, ja! Und richtig Geld nem Zickzackkurs! Wer läuft bei Ihnen eigent- verdient sie auch noch, nicht wahr?) lich in welche Richtung?) 6086 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006

(A) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: stellt werden, die gleichzeitig helfen, die Umwelt zu sa- (C) Nun hat für die SPD-Fraktion der Kollege nieren und Sozial- und Umweltfolgen negativer Art zu Dr. Hermann Scheer das Wort. vermeiden. Diese Industriezweige können so groß wer- den wie heute die Automobilindustrie. Vor allem können (Beifall bei der SPD) sie traditionelle Energiezweige wieder befruchten, etwa die Stahlindustrie. Die Automobilindustrie werden sie Dr. Hermann Scheer (SPD): befruchten müssen. Wenn die Automobilindustrie diesen Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- Weg nicht kompetent und mutig mitgeht, bestehen große gen! Wir sind es gewohnt, im Zusammenhang mit der Gefahren für unsere Volkswirtschaft. Denn jeder weiß, Arbeitsmarktpolitik fast nur noch über Konjunkturpoli- welche Rolle die Automobilindustrie spielt und nur spie- len kann, wenn sie diese technologische Entwicklung, tik und Arbeitsmarktorganisation zu reden. Beides ist die eine tiefe ökologische und soziale Komponente hat, sicher wichtig. Aber ich denke, das Augenmerk sollte in federführend mitgestaltet. sehr viel stärkerem Maße auf die strukturpolitischen Ef- fekte gelenkt werden. Denn auf dem Gebiet der Struktur- Das sind die Ansätze. Wenn wir die Wende auf dem politik haben wir in den letzten Jahren sehr wichtige Arbeitsmarkt, die spürbaren Aktivitäten im zurücklie- Grundlagen geschaffen, die nun zur Entfaltung kommen. genden Jahr betrachten, sehen wir, dass die größte Rolle Ich bin mir relativ sicher, dass vieles an der Wende auf spielt, was wir mit der Vervierfachung der Mittel für das dem Arbeitsmarkt weniger auf die Aktivitäten von Glo- Programm für die ökologische Altbausanierung erreicht balplayern zurückgeht – deutschen Globalplayern – als haben. Ich wundere mich, dass das so selten genannt auf die Stimulierung der Aktivitäten von Regional- wird. playern. Die Summe der neu geschaffenen Arbeitsplätze wurde Das, was in den letzten Jahren unter Rot-Grün begon- statistisch noch nicht genau erfasst. Angesichts der In- nen worden ist, verspricht nun von der großen Koalition vestitionsmittel, die hier geflossen sind – sie haben sich fortgesetzt zu werden. Dies ist vor allem bei der Mobili- vervierfacht –, können wir damit rechnen, dass alleine in sierung des neuen Industriezweiges der Energietechno- diesem Sektor im letzten Jahr eine sechsstellige Zahl an logien und hier insbesondere auf dem Gebiet der erneu- neuen Arbeitsplätzen geschaffen werden konnte. erbaren Energien der Fall. Wir hatten und haben hier (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem jährliche Wachstumsraten von 30 Prozent, immer noch. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Investitionsaufkommen geht überwiegend in bin- nenwirtschaftliche Aktivitäten und ist allein auf dem Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Stromsektor mittlerweile größer als das Investitionsauf- Herr Kollege, ich muss Sie an Ihre Redezeit erinnern. (B) kommen der vier großen deutschen Stromkonzerne zu- (D) sammen. Neue Industriezweige entstehen und sind auf dem Weg, große Exportchancen zu nutzen. Auf dem Dr. Hermann Scheer (SPD): Sektor der Anlagentechnologien haben wir die Chance, Ich glaube, durch die verstärkte Aufmerksamkeit da- zum Weltmarktführer zu werden. rauf wurden zusätzliche politische Aktivitäten stimuliert und manche letztlich fruchtlosen Auseinandersetzungen Das heißt, hierin stecken Chancen, wie sie vor vielen über diese Frage zum Wohle von uns allen beendet. Jahrzehnten von dem berühmten Ökonomen Kondratjew beschrieben worden sind. Er sprach von langen Wellen Danke schön. einer neuen Konjunktur, die strukturpolitisch ausgelöst (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem worden ist. Eine solche lange Welle kam etwa durch die BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Eisenbahn zustande, durch die Elektrifizierung, durch das Automobil, durch das Fernsehen, durch die Weiße Ware. Eine ähnliche Entwicklung, nur nicht mit Arbeits- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: platzeffekten in weltweitem Maßstab – denn wir müssen Das Wort hat nun der Kollege Laurenz Meyer für die in der Kategorie einer fortgeschrittenen Industrienation CDU/CSU. denken –, haben wir auf dem Gebiet der Informa- (Beifall bei der CDU/CSU) tionstechnologien. Mit den vorigen langen Wellen ver- gleichbare Arbeitsplatzeffekte gehen mit diesen Techno- Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU): logien allerdings nicht einher. Das liegt daran, dass ihr Charakter – ohne dass dies gegen sie spräche – in einem Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zahlen und Ergebnisse, die vor uns liegen und über umfassenden Strukturwandel besteht, der mit Arbeits- die wir heute sprechen, sind sicher allemal viel besser, platzabbau, im Dienstleistungsbereich und im Produk- als wir sie uns für dieses Jahr erhofft haben. tionsbereich, verbunden ist. Konjunktureffekte haben diese Technologien durchaus, aber eben keine entspre- Ich muss ganz offen sagen, dass ich es zu Beginn die- chenden Arbeitsplatzeffekte. ses Jahres nicht für möglich gehalten habe, dass wir in- nerhalb eines Jahres den Prozess, in dem über Jahre hin- Doch auf dem Gebiet der Energietechnologien haben weg 400 000 bis 500 000 sozialversicherungspflichtige wir wieder die Chance auf Arbeitsplatzeffekte. Wenn wir Arbeitsplätze verloren gegangen sind, diesen Kurs halten und uns nicht selber bremsen, wenn wir nicht zu viel Bedenkenträgerei zeigen, können hier (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: 1,5 Millionen Industriezweige entstehen, können Technologien herge- seit 2001!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006 6087

Laurenz Meyer (Hamm) (A) umdrehen und 200 000 und mehr zusätzliche sozialversi- änderung in den Köpfen. Die Flexibilität in den Betrie- (C) cherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse schaffen ben ist größer geworden. Das wurde sicherlich auch können. Ich habe es für eine wirklich sehr anspruchsvolle durch viele politische Diskussionen bewirkt, bei denen und ambitionierte Zielsetzung gehalten, als das in den die Kollegen von der SPD sich zunächst übrigens relativ Koalitionsverhandlungen besprochen worden ist. schwer getan haben. Dass uns das in diesem Jahr gelungen ist, ist Voraus- (Dirk Niebel [FDP]: Das spricht für betriebli- setzung für vieles, über das wir zurzeit diskutieren. Das che Bündnisse!) ist allerdings auch das Ergebnis der Regierungspolitik. Herr Müntefering hat zu Recht auf das 25-Milliarden- Das, was Frau Dückert angesprochen hat, halte ich für Euro-Programm hingewiesen, das eben kein Investi- ein ernstes Thema. Gerade in diesen Wochen beschäfti- tionsprogramm im alten schmidtschen Sinne, sondern gen wir uns – Herr Müntefering, genau das machen wir zielgerichtet ist. Denken Sie nur an die mit der Effizienz- gerade – mit dem harten Kern der Arbeitslosen. Die steigerung in den Häusern verbundene Senkung des Frage ist: Was können wir für die weniger Qualifizierten CO2-Ausstoßes. Dies ist der günstigste Weg, um eine tun, die selbst in dieser Phase der Strukturveränderun- CO2-Minderung zu erreichen – viel günstiger, als ir- gen, in der zusätzliche Arbeitsplätze entstehen, keinen gendwo auf dem platten Land noch zusätzliche Windrä- Arbeitsplatz finden, weil diese Arbeitsplätze aufgrund der zu subventionieren. der Produktivität und des Lohngefüges in Deutschland kaum noch angeboten werden? Das ist der Punkt. Da (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Genau! – müssen wir ansetzen. Sie werden das nie einsehen. Des- Zuruf von der SPD: Beides!) wegen werde ich nicht weiter darauf eingehen. Wir müs- Das ist die Situation. sen uns um diejenigen kümmern, die anders keinen neuen Arbeitsplatz finden. Das werden wir auch tun. Sie Das, was Herr Scheer eben gesagt hat, ist völlig rich- werden sehen: Wir kümmern uns auch um diejenigen, tig, aber wir müssen uns auf die Teilbereiche konzentrie- die unter normalen wirtschaftlichen Bedingungen keine ren, in denen das wirklich etwas bringt. Mit der An- neue Stelle finden. schubfinanzierung für die Offshore-Anlagen gemäß dem Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz und Ähnli- Herr Brandner, lassen Sie mich auf einen Punkt ein- chem mehr haben wir das jetzt wieder getan. Das muss gehen, damit das ganz klar ist. Ich sage Ihnen ganz of- dort geschehen, wo das Sinn macht. fen: Mit der Diskussion um links, rechts und Populismus kann ich überhaupt nichts anfangen. Es wird Sie fürch- Bei den Menschen in Deutschland hat sich auch viel terlich enttäuschen, wenn ich Ihnen sage, dass ich die getan. Vor wenigen Wochen war ich bei Rolls-Royce in (B) Forderung von Jürgen Rüttgers in den entsprechenden (D) Brandenburg, Antrag für den Düsseldorfer Parteitag hineingeschrieben (Klaus Brandner [SPD]: Schon wieder ein habe. Spätestens jetzt müssten Sie die Sache mit dem neues Auto gekauft!) Linkspopulismus vergessen. Ich sehe das ganz anders. wo ich mir die Produktion der Flugzeugturbinen angese- (Klaus Brandner [SPD]: „Sozialpopulismus“ hen habe. Ein weiterer Teil der Produktion von Flug- habe ich gesagt!) zeugturbinen für Airbus wird jetzt nach Deutschland verlegt. – Lassen Sie mich doch wenigstens ausreden. – Es geht nicht nur um das Gerechtigkeitsgefühl der Menschen. (Zuruf des Abg. Dirk Niebel [FDP]) Ich finde es besser, sich nach der Lebensarbeitszeit zu – Herr Niebel, hören Sie jetzt gut zu: Es tut sich hier richten, und zwar auch in der Rente, als nach dem Alter. viel. Das müsste Sie eigentlich freuen und das müssten (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auch Sie bejubeln. – Das haben übrigens auch die Ar- NEN]: In der Rente?) beitnehmer bewirkt. Es geht nicht nur um die Fertigung der Turbinen, sondern auch um das neue Instandhal- Nur das Alter zu nehmen, halte ich für das falsche Krite- tungswerk, das jetzt in Thüringen gebaut wird. rium. Die Arbeitslosenversicherung ist auch heute keine reine Schadensfallversicherung. Für junge Menschen Zum Schluss gab es einen Wettbewerb zwischen Arn- oder solche, die nur ganz kurz gearbeitet haben, gilt eine stadt in Thüringen und Tschechien. Nach Meinung der andere Regelung als für diejenigen, die schon viele Jahre Verantwortlichen in Großbritannien, die den Auftrag gearbeitet haben. Für die älteren Menschen gilt wie- nach Thüringen gegeben haben, wurde der Wettbewerb derum eine andere Regelung. Dass das stringent ist, kann dadurch entschieden, dass die Menschen in Thüringen heute keiner behaupten. Darüber sollte man in Ruhe re- bei den Abmachungen über die Arbeitszeiten flexibler den. waren als die Menschen in Tschechien. Das war auch notwendig: Wenn eine Turbine zur Überholung angelie- Einen anderen Punkt halte ich aber für noch viel fert wird, dann muss gearbeitet werden, wenn keine da wichtiger. Den Ausdruck „Schonvermögen bei Renten- ist, dann vielleicht nicht. Die thüringischen Arbeitneh- ersparnissen“ finde ich falsch. mer waren flexibler und haben sich darauf eingelassen. Dass der Auftrag nach Thüringen vergeben wurde, ist bei einem Gehaltsgefüge, das unverändert gegen Thürin- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: gen gesprochen hätte, bemerkenswert und zeigt die Ver- Herr Kollege, bitte denken Sie an Ihre Redezeit. 6088 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006

(A) Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU): Ich komme zu diesen „tollen“ Statistiken, die es man- (C) Ich bin beim letzten Punkt und möchte dazu nur noch chen Leuten angetan haben. Aber sie sind in Wirklich- zwei Sätze sagen. – Es ist nämlich so, dass der Staat je- keit wie Wegweiser für einen Betrunkenen: Er weiß den den Euro, den er in Zeiten von Arbeitslosengeld II ein- Weg, aber er geht ihn nicht. Deswegen sind die Wegwei- spart, hinterher erneut zahlen muss, wenn die Menschen ser hin und wieder falsch. – Schauen wir uns einmal die im Alter in Rente gehen. Statistiken zum Wirtschaftswachstum an, die immer wieder vorgetragen werden. Vor ganz kurzer Zeit hat uns (Klaus Brandner [SPD]: Herr Meyer, wie die OECD noch gesagt, dass das Wirtschaftswachstum lange sind Sie denn schon im Parlament? Sie in diesem Jahr 1,8 und im nächsten Jahr 1,2 Prozent be- haben das in der Vergangenheit abgelehnt!) tragen wird. Der Sachverständigenrat hat am 2. Novem- – Nein, das habe ich in der Vergangenheit nie abgelehnt. – ber, also zwei Monate später, von einem Wachstum von Hier kann es ausschließlich um Beiträge gehen. 2,3 in diesem und von 1,4 Prozent im nächsten Jahr ge- sprochen. Die Bundesregierung geht mittlerweile etwas zuversichtlicher von einem Wirtschaftswachstum von in Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: diesem Jahr 2,4 und im nächsten Jahr von 1,5 Prozent Herr Kollege, Ihre Redezeit ist überschritten. aus.

Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU): (Dirk Niebel [FDP]: Wem sollen wir jetzt glauben?) Ich komme kaum dazu, meinen Satz zu Ende zu brin- gen. Ich würde sagen: Es ist an der Zeit, dass wir uns auf- grund dieser kurzen Halbwertszeiten der Statistiken eher Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: mit den echten Zahlen befassen und uns über diese Ent- Das hilft aber leider nichts. wicklung freuen. (Dirk Niebel [FDP]: Die finden Sie doch alle in (Ulrich Maurer [DIE LINKE]: Sternstunde der Statistiken wieder! Das ist doch das Blöde!) Koalition! Lassen Sie ihn weitermachen!) Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass uns Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU): prognostiziert worden ist, wir würden erst im nächsten Es geht ausschließlich um Rentenansprüche, nicht um Jahr die kritische Marke von 10 Prozent Arbeitslosigkeit eine Lebensversicherung, also um Beiträge, die mit unterschreiten. Jetzt haben wir es schon im Oktober ge- 65 Jahren ausgezahlt werden. schafft. (B) (Klaus Brandner [SPD]: Die sind alle sicher! (Dirk Niebel [FDP]: Das sagt eine Statis- (D) Sie sind nicht auf dem Laufenden!) tikerin!) Dabei muss man auch berücksichtigen, von welcher Das sollten wir in Erinnerung behalten. Das werden wir Lage wir ausgegangen sind. Wir haben es geschafft, die in aller Ruhe miteinander besprechen, und zwar so, wie Zahl der 5,2 Millionen Leistungsempfänger um 1,2 Mil- es die Menschen von uns erwarten. lionen Menschen – darunter mehr als 600 000 Sozialhil- (Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Brandner feempfänger – zu senken. [SPD]: Die Rente ist schon heute gesichert! – (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Ralf Dirk Niebel [FDP]: Trefft euch doch einmal Brauksiepe [CDU/CSU] – Dirk Niebel [FDP]: zum Kaffee!) Sie haben es geschafft, sie aus dem Leistungs- bezug herauszukriegen!) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Das Wort hat nun die Kollegin Doris Barnett für die Die Zahl der Selbstständigen – das freut mich, weil SPD-Fraktion. wir auch darauf immer wieder drängen – hat sich allein im dritten Quartal dieses Jahres um 40 000 erhöht. Das (Beifall bei der SPD) ist doch ein Erfolg. Dieses Jobwunder hat seine Ursa- chen und es hat auch eine relativ lange Vorlaufzeit ge- Doris Barnett (SPD): habt. Aufbauend auf der Lissabonstrategie, die wir im Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jahr 2000 vereinbart haben, haben wir vor einigen Jah- Eigentlich dreht sich doch die Debatte um die Wende am ren die Agenda 2010 mit vielen Gesetzen beschlossen, Arbeitsmarkt. Da können wir uns seit langer Zeit wieder die dazu geführt haben, dass wir allmählich die Ernte un- freuen: Wir haben etwas erreicht. Lassen Sie uns das seres Erfolges einfahren können. doch nicht wieder mit tausend Nichtigkeiten aus anderen (Widerspruch des Abg. Dr. Axel Troost [DIE Ressorts kleinreden. LINKE]) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir haben auch den Mittelstand gefördert und eine Unternehmensteuerreform vorgelegt. Das alles wird sich Wir freuen uns darüber, dass es wieder mehr Arbeits- entsprechend auswirken. plätze gibt. Die Menschen sind wieder zuversichtlich und können für sich und ihre Familien den Lebensunter- An dieser Stelle sollten wir auch dankbar zur Kennt- halt verdienen. nis nehmen – ich freue mich sehr darüber –, dass die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006 6089

Doris Barnett (A) Arbeitnehmerschaft und allen voran ihre Gewerkschaf- die Menschen weiter zu verbessern, statt sie mies zu ma- (C) ten über Jahre mit moderaten Lohnabschlüssen dafür ge- chen. sorgt haben, dass der Standort Deutschland wieder inte- Ich hoffe, dass es künftig zu mehr Einstellungen ressant wird. Heute Morgen hat uns der Kollege kommt, dass die Entlassungswelle endlich gebremst Hofbauer von der CSU im Ausschuss mitgeteilt, dass ein wird und dass wir vielleicht zu der Einsicht kommen, Betrieb aus seinem Wahlkreis, der über die Grenze nach dass es hin und wieder zu Managementfehlern kommt, Tschechien verlagert worden ist, wieder nach Deutsch- die insbesondere für die Existenz der Arbeitnehmer we- land zurückkehrt, weil die Arbeitsbedingungen insbe- sentlich gravierender sind als das Kündigungsschutzge- sondere für qualifizierte Kräfte in seinem Wahlkreis bes- setz, das zwar vielleicht die eine oder andere Einstellung ser sind. verhindern mag, aber letztlich ein Segen für die Men- (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Weil schen in unserem Land ist. Bayern so gut regiert wird!) Vielen Dank. Angesichts des Mangels an Fachkräften gibt das Anlass (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zur Hoffnung und zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg der CDU/CSU – Dirk Niebel [FDP]: Ich sind. glaube, mit den Managementfehlern hat Frau Barnett diese Regierung gemeint! – Dr. Thea Herr Meyer, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo dass wir zum Beispiel mit dem KfW-Programm mit ei- ist eigentlich Herr Glos?) nem Volumen von 1,4 Milliarden Euro viel angestoßen haben. Die Mittel aus diesem Programm, mit dessen Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Hilfe zum Beispiel Häuser energetisch saniert werden Nun hat der Kollege Peter Rauen für die CDU/CSU- können, waren schon im Mai ausgeschöpft. Das hat sich Fraktion das Wort. auch auf das Handwerk ausgewirkt: Zurzeit sind unter anderem 21 000 Elektrikerstellen, 18 000 Schlosserstel- len, 14 000 Installateurstellen, je 8 000 Maurer- und Ma- Peter Rauen (CDU/CSU): lerstellen sowie je 6 000 Zimmerer- und Dachdeckerstel- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! len offen. Das zeigt, dass unsere Maßnahmen Wirkung Frau Barnett hat Recht: Man sollte hier gelegentlich haben. Jetzt brauchen wir Menschen, die diese Arbeiten auch über gute Nachrichten sprechen; denn bei dem, was verrichten können. Den Handwerker, der das eigene sich im Land entwickelt, spielt die Psychologie ebenfalls Häuschen sanieren soll, sucht man nicht mit einer euro- eine große Rolle. paweiten Ausschreibung; den sucht man sich vor Ort Es steht außer Frage: Die Steuerschätzungen dieses (B) und man braucht ihn auch vor Ort. Herbstes und die Arbeitsmarktzahlen im Oktober waren (D) gute Nachrichten. Das wird sich meiner Meinung nach Insofern besteht ein entsprechender Bedarf an Aus- fortsetzen. Deutlicher als mit den Arbeitsmarktzahlen und Weiterbildung. Deutschland ist ein attraktiver Stand- lässt sich die stattgefundene Trendwende nicht beschrei- ort. Hier kann Geld verdient werden und es wird viel ben. Deshalb möchte ich auf diese Zahlen genauer ein- Geld verdient. Die Wirtschaft hat sich auf den Weg ge- gehen. macht, und zwar so erfolgreich, dass viele Tausend neue Arbeitsplätze geschaffen wurden. Diese Entwicklung Wir hatten im September 2000 mit über 28 Millionen soll auch im Januar 2007 anhalten. Insofern ist noch gar sozialversicherungspflichtig Beschäftigten den Höchst- nicht gesagt, dass der durch die Mehrwertsteuererhö- stand und im Februar dieses Jahres den Tiefstpunkt – da- hung befürchtete Knick tatsächlich eintritt. mals gab es im Vergleich zu 2000 rund 2,5 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte weniger – er- (Dirk Niebel [FDP]: Wie war denn das im reicht. Im Jahresschnitt haben wir von 2000 bis 2005 Wahlkampf, Frau Barnett?) rund 1,7 Millionen bis 1,8 Millionen ordentliche Be- schäftigungsverhältnisse verloren. Bedenken Sie: Fünf- Vielleicht geht er wie ein laues Lüftchen an uns vorbei. einhalb Jahre, 65 Monate hintereinander, war die Zahl Drücken Sie uns besser die Daumen, statt alles mies zu der Beschäftigten, die Beiträge zahlen, geringer als im machen! Vorjahresmonat. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Dieser Trend wurde im April dieses Jahres mit einem CDU/CSU) Plus von 18 204 ordentlich Beschäftigten endgültig ge- brochen. Im Mai gab es ein Plus von rund 104 000, im Es geht um die Menschen, die wir vertreten. Wir kön- Juni ein Plus von rund 153 000, im Juli ein Plus von nen doch nicht so tun, als wäre alles schlecht, was hier 233 896 und im August ein Plus von 258 016. Der Auf- gemacht wird. Wir machen es schließlich für die Men- wuchs ist zwar langsam, aber sehr stabil. Er findet aus- schen in unseren Wahlkreisen. nahmslos in allen Bundesländern statt. In den neuen (Dirk Niebel [FDP]: Haben Sie nicht in Lud- Bundesländern ist der Zuwachs prozentual sogar etwas wigshafen die Merkelsteuer plakatiert? Ich stärker als in den alten Bundesländern; das ist aus meiner habe das Plakat doch vor Ihrem Haus gese- Sicht sehr erfreulich. Ich gehe davon aus, dass sich diese hen!) Entwicklung im September und im Oktober dieses Jah- res fortgesetzt hat – die entsprechenden Zahlen werden Deswegen wäre es wichtig, dass wir zusammenarbeiten wir erst zwei Monate später erhalten – und dass es darü- und alles unternehmen, um die Arbeitsbedingungen für ber hinaus weitergeht. 6090 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006

Peter Rauen (A) Die positive Entwicklung der Zahl der ordentlich Be- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (C) schäftigten und der Anstieg bei den Steuereinnahmen Nun hat das Wort die Kollegin Silvia Schmidt für die sind für mich zwei Seiten ein und derselben Medaille. SPD-Fraktion. Das eine hängt mit dem anderen zusammen. Wenn im Schnitt – wie in den letzten fünf Jahren geschehen – (Beifall bei der SPD) 1,8 Millionen sozialversicherungspflichtige Stellen ab- gebaut werden und wenn wir von einem Durchschnitts- Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD): verdienst in Höhe von 2 500 Euro im Monat ausgehen, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und dann bedeutet das, dass den Sozialkassen 24 Milliarden Herren! Gestatten Sie mir, für die ständigen Schwarz- Euro im Jahr fehlen, dass die dadurch verursachte Ar- seher und Jammerer vom Dienst deutliche Zahlen zu beitslosigkeit den Staat – unterstellt, dass das durch- nennen, die wir mit unserer positiven, aktiv betriebenen schnittliche Arbeitslosengeld bei 1 000 Euro liegt – rund Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik insbesondere in 23 Milliarden Euro kostet und dass dem Fiskus – unter- den neuen Bundesländern erreicht haben. Diese Zahlen stellt, dass bei einem Durchschnittsverdienst von kann niemand leugnen. 2 500 Euro rund 200 Euro Steuern im Monat gezahlt Wir sehen, die Arbeitsmarktsituation in Deutschland werden – 4,5 Milliarden Euro fehlen, genauso wie den hat sich deutlich verbessert, ganz besonders in den neuen Sozialkassen. Das heißt, allein dieser Rückgang macht Bundesländern, nur redet keiner darüber. 50 Milliarden Euro pro Jahr aus. Nun haben wir endlich die Trendwende geschafft; das ist unglaublich wichtig. (Zuruf von der SPD: Doch!) Es ist daher richtig, darüber zu sprechen. Diese Aktuelle Über den anderen Punkt redet auch niemand – der Stunde ist keine Showveranstaltung. wird immer verdrängt –: Wirtschaft schafft Arbeits- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- plätze, Politik kann nur Rahmenbedingungen setzen. Die neten der SPD) Tatsache, dass sich bereits 56 000 Menschen weniger in der Arbeitslosigkeit befinden, ist ein positives Zeichen. Ich bin fest überzeugt davon: Damit die positive Ent- Das sollte man verdammt noch einmal zur Kenntnis neh- wicklung auf dem Arbeitsmarkt anhält, ist es zwingend men. geboten, dass zu viel gezahlte Beiträge an die Arbeitneh- mer und die Firmen zurückgezahlt werden. Die von der Wir haben in die neuen Länder investiert und das Regierung beschlossene Senkung des Arbeitslosenversi- zahlt sich nun aus. Der Bund hat für die Gemeinschafts- cherungsbeitrags um 2,3 Prozentpunkte ist daher richtig, aufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruk- genauso wie die Entscheidung, die Steuermehreinnah- tur“ in den neuen Ländern von 2003 bis 2005 6,2 Milliarden Euro bereitgestellt. Mit den Fördermitteln (B) men für eine Verringerung der Nettokreditaufnahme und (D) für einen Einstieg in die Steuerfinanzierung der Kran- wurde ein Investitionsvolumen von rund 24 Milliarden kenversicherung zu nutzen, um die Beiträge zu stabili- Euro angestoßen. Die gewerbliche Wirtschaft konnte so sieren. 66 000 zusätzliche Dauerarbeitsplätze in den neuen Bun- desländern schaffen. 189 000 Arbeitsplätze wurden (Klaus Brandner [SPD]: Richtig!) allein dadurch gesichert. Kleine und mittlere Unterneh- men haben hiervon profitiert, zum Beispiel die Meyen- Ich bin überzeugt, dass wir, wenn wir diesen Weg burger Möbel GmbH in Brandenburg. Da sind es konsequent weitergehen – indem wir jeden Spielraum, 269 Arbeitsplätze und 13 Ausbildungsplätze. Das ist die der durch mehr Leistung entsteht, nutzen, um die Lohn- eine Seite der Medaille. nebenkosten zu reduzieren mit dem Ziel, dass die Men- schen, die Arbeit haben, netto mehr in der Tasche haben Die andere Seite ist natürlich die aktive Arbeitsmarkt- und dass die Arbeitskosten sinken –, erfolgreich sein politik seit dem Jahr 2005. 5,9 Milliarden Euro wurden werden und so mehr sozialversicherungspflichtige Be- von der Bundesagentur für Arbeit allein in die neuen schäftigung schaffen werden. Nur so werden wir letzt- Länder investiert. Trotz des Rückgangs von Maßnahmen endlich die Probleme auf dem Arbeitsmarkt lösen kön- der aktiven Arbeitsförderung in den letzten Jahren, der nen. in den neuen Ländern um die 20 Prozent betrug, ist die Arbeitsmarktpolitik auf einem hohen Niveau weiterge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- führt worden. neten der SPD) (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: 1-Euro-Jobs!) Diesen Weg konsequent weiterzugehen und nicht Ich nenne Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitation neuen sozialen Populismus zu betreiben, ist für den Ar- und zur beruflichen Weiterbildung. Es gab insgesamt beitsmarkt wesentlich wichtiger, als wir uns alle vorstel- 500 000 Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik len. Das Ganze dient dem Wohl unserer Gesellschaft, und das waren nicht nur solche zur Schaffung von 1-Euro- dem Funktionieren der sozialen Sicherungssysteme und Jobs. Es ist richtig, in die Zukunft, also in junge Men- letztlich der Sanierung der Staatsfinanzen und ist daher schen zu investieren. im Sinne unserer Kinder und Enkel. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Schönen Dank. der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Sie haben jetzt einen Rechtsanspruch. Für diese Integra- neten der SPD) tion wurden alleine seit 2005 rund 5,1 Milliarden Euro Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006 6091

Silvia Schmidt (Eisleben) (A) ausgegeben, davon 2,1 Milliarden Euro in den neuen zu Ihrem Image; das ist Ihr Weltbild. Sie wollen Still- (C) Bundesländern. Das sind alleine schon 40 Prozent. Bun- stand, aber die Welt dreht sich weiter. desweit wurden über 600 000 Jugendliche unterstützt, Vielen Dank. 260 000 in den neuen Ländern. Das am 1. September ge- startete Bund-Länder-Programm im Rahmen des Ausbil- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) dungspaktes verpflichtet den Bund, bis 2009 zusätzlich 88 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Das Ergebnis all dieser Maßnahmen ist: Die Zahl der Als letzter Redner in dieser Debatte hat nun der Kol- Arbeitslosen im Alter von 15 bis 24 Jahren in den neuen lege Norbert Barthle für die CDU/CSU-Fraktion das Ländern ist um über 24 000 Personen gesunken. Das Wort. sind immerhin 13 Prozent. Das ist gut, wir kennen aber (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und durchaus noch die Zahlen der jugendlichen Arbeitslosen. der SPD) Wir haben dafür gesorgt, dass sich die jungen Leute qua- lifizieren können. Das ist gerade in den neuen Bundes- Norbert Barthle (CDU/CSU): ländern wichtig; denn hier herrscht ein akuter Fachkräf- Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen temangel. und Kollegen! Die heutige Aktuelle Stunde beschäftigt Wir haben auch noch folgende Programme für Lang- sich auch mit dem Zusammenhang zwischen der Situa- zeitarbeitslose bzw. für die älteren Arbeitslosen gerade tion auf dem Arbeitsmarkt und den öffentlichen Haus- in den neuen Bundesländern angeschoben: Das Bundes- halten. Lassen Sie mich auf diesen Aspekt noch etwas eingehen. programm „Perspektive 50 plus – Beschäftigungspakte für Ältere in den Regionen“ fördert 62 Regionalprojekte, Ich will zuallererst sagen: Die Wende auf dem Ar- davon allein 23 Regionalprojekte in den neuen Bundes- beitsmarkt wirkt sich auf die Situation unserer öffentli- ländern. Das sind immerhin 40 Prozent der zur Verfü- chen Haushalte ausgesprochen positiv aus. Das tut uns gung stehenden Mittel. Das heißt, hier wurden zusätzlich allen gut. über 1 100 Arbeitsplätze geschaffen. Daran kann man (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und nicht vorbeigehen. Das muss man einfach wahrnehmen. der SPD) Sonst fragt man sich, wie Arbeitsmarktpolitik in Zukunft noch aussehen soll. Mit dem Projekt „30 000 Zusatzjobs Wie gut uns das tut, will ich denjenigen, die immer für Ältere ab 58 Jahren“ wurden weitere 7 300 Men- von „Schönreden“ sprechen – Herr Kollege Niebel von schen in den neuen Ländern gefördert. der FDP, Frau Dückert von den Grünen, Linke sowieso –, (B) kurz vor Augen führen, indem ich einen kurzen Blick auf (D) (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Wir haben die Situation vor eineinhalb Jahren werfe. Noch im 1,6 Millionen Arbeitslose in den neuen Bun- Jahre 2005 haben wir jeden Tag 1 000 sozialversiche- desländern!) rungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse verloren, Frau Dückert. Im Sommer des Jahres 2005 wurde ein Bundes- Das sind Ergebnisse, die sich sehen lassen können. haushalt für das Jahr 2006 aufgestellt, der das Bundes- Ich fordere alle auf, besonders die Linkspartei, das zur kabinett vor ein finanzielles Desaster gestellt hat. Dieser Kenntnis zu nehmen und zu sagen: Ja, das ist ein Schritt Haushalt sah so schlimm aus, dass das Kabinett ihn noch in die richtige Richtung. nicht einmal zur Kenntnis genommen hat. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Aber zu (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) wenig!) Die heutige Situation ist fundamental anders und Rund 19 400 ältere Arbeitslose weniger in den neuen – wohl wahr – ein Grund zur Freude. Bundesländern – das ist ein Zeichen. Das sind immerhin 5 Prozent. Der Arbeitsmarkt in den neuen Ländern ist (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ein guter Indikator für einen stabilen und nachhaltigen der SPD) Aufschwung. 47 000 neue sozialversicherungspflichtige In dieser Situation besteht tatsächlich die Perspektive auf Beschäftigungsverhältnisse gibt es jetzt in den neuen eine nachhaltig positive Entwicklung. In diesen Tagen Bundesländern. Das ist genau wie in den alten Bundes- war in der „Stuttgarter Zeitung“ ein Kommentar zu le- ländern ein Zuwachs um 1 Prozent. Dieses Zeichen soll- sen, der in etwa lautete: Wäre Altbundeskanzler ten wir nicht missachten. Schröder noch im Kanzleramt, würde er dort mit Sicher- heit jede Woche ein Feuerwerk zünden. Das ist wohl Wir verschließen die Augen vor den noch anstehen- wahr. den Problemen nicht. Wir kennen die bedrückenden Zahlen und wir werden auch reagieren. Das zeigen wir Es ist richtig – ich stimme Minister Müntefering voll – Klaus Brandner hat es vorhin deutlich gemacht –: Wir und ganz zu –: Der Schlüssel für die Sanierung unserer wollen den dritten Arbeitsmarkt entwickeln. Haushalte, für die Konsolidierung des Bundeshaushalts, für die Aufrechterhaltung unserer sozialen Sicherungs- (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Wann denn?) systeme ist der Arbeitsmarkt. Aber verschließen Sie die Augen vor der Trendwende (Dirk Niebel [FDP]: Das haben wir immer ge- nicht! Sie wollen Hoffnungslosigkeit pflegen. Das passt sagt! Das ist völlig richtig!) 6092 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. 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Norbert Barthle (A) Wenn es uns gelingt, dafür zu sorgen, dass diese positive Branding, das neue Markenzeichen dieser Koalition (C) Entwicklung anhält, dann werden alle unsere Probleme wird, wesentlich leichter zu lösen sein. (Dirk Niebel [FDP]: Großartig!) (Dirk Niebel [FDP]: Unstreitig! Klatscht mal! – dann haben wir Großartiges geleistet. Es ist ein Riesen- Beifall bei Abgeordneten der FDP) erfolg für diese Koalition. Der beste Beleg dafür ist tatsächlich die Steuerschät- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dirk zung, die uns vor wenigen Tagen vorgelegt wurde. Diese Niebel [FDP]: Was müssen die Arbeitslosen zu Steuerschätzung verspricht uns für die Jahre 2006 und solchen Worten sagen!) 2007 Steuermehreinnahmen von nahezu 40 Milliarden Wie wichtig das ist, wissen wir nicht nur deshalb, Euro. Das ist der größte Anstieg seit der deutschen Wie- weil ein konsolidierter Bundeshaushalt Voraussetzung dervereinigung. Das versetzt uns in die gute Situation, ist für solide Politik, für einen handlungsfähigen Staat beim Haushalt 2006 – wie wir immer sagen, ein Über- und auch für die immer wichtiger werdende Generatio- gangshaushalt – deutlich nachsteuern zu können. nengerechtigkeit. Das, Kollegin Dückert, ist auch Nach- Auch wenn von den annähernd 40 Milliarden nur haltigkeit im besten Sinne des Wortes. Sie hätten lange knapp 19 Milliarden Euro beim Bund ankommen – vom genug Zeit gehabt, das zu realisieren. Jetzt dürfen Sie es Rest profitieren Gott sei Dank die Länder und die Ge- wenigstens beklatschen. meinden, die somit wieder mehr investieren können –, so (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- muss man festhalten, dass wir den größten Teil der fast NEN]: Sie wollen von mir beklatscht werden? 9 Milliarden Euro Mehreinnahmen für das Jahr 2006 Dann müssen Sie was Besseres vorbringen!) dazu verwenden, die Nettokreditaufnahme deutlich ab- zusenken: Statt 38,3 Milliarden Euro werden wir bei Wie wichtig das ist, vermittle ich meinen Wählerin- etwa 30 Milliarden Euro landen, vielleicht sogar darun- nen und Wählern im Wahlkreis immer so: Nur 1 Milli- ter. Das wäre trotz dieser hohen Kreditaufnahme immer- arde neue Schulden bedeuten 30 Millionen neue Zinsen hin ein positives Zeichen. Wir würden die Maastrichtkri- Jahr für Jahr. 30 Millionen Zinsen bedeuten: Eine Orts- terien dann nicht mehr reißen, sondern bei 2,2 Prozent umfahrung im Wahlkreis kann nicht gebaut werden. Das landen. Damit würden wir einen Konsolidierungspfad gilt Jahr für Jahr. Bei 20 Milliarden neuen Schulden sind einschlagen, den wir hoffentlich weiterhin beschreiten es Jahr für Jahr 20 Ortsumfahrungen, die nicht gebaut können. werden können. Deshalb müssen wir gemeinsam diesen Weg weiter beschreiten. Wie sieht die Situation im Jahr 2007 aus? Gerade jetzt (B) Diese große Koalition hat die Kraft, die Neuverschul- (D) führen wir im Haushaltsausschuss die abschließenden dung noch weiter herunterzufahren. Die Situation auf Beratungen zum Haushalt 2007 durch. Wir werden auch dem Arbeitsmarkt gibt uns dazu die notwendigen Vo- dort die knapp 9 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen raussetzungen. sinnvoll verwenden. 3 Milliarden Euro davon sind schon etatisiert. Von den restlichen 6 Milliarden Euro fließen Herzlichen Dank. etwa 4 Milliarden Euro in den Bereich Haushaltsrisiken (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) auf dem Gebiet des Arbeitsmarktes. Die restlichen gut 2 Milliarden Euro werden wir zur Absenkung der Netto- kreditaufnahme verwenden. Das heißt, wir senken die Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Neuverschuldung, und zwar auf voraussichtlich etwa Die Aktuelle Stunde ist damit beendet. 19,6 Milliarden Euro. Das wäre die geringste Neuver- Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. schuldung seit der deutschen Wiedervereinigung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- Wenn als Botschaft aus dieser Aktuellen Stunde und tages auf morgen, Donnerstag, den 9. November 2006, aus den Beratungen im Hohen Hause in diesen Tagen 9 Uhr, ein. von uns nach außen getragen wird, dass die große Koali- Die Sitzung ist geschlossen. tion, die Koalition aus SPD und CDU/CSU, ein Syno- nym für Haushaltskonsolidierung ist, dass dies das neue (Schluss: 16.52 Uhr) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006 6093

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Anlage 2 Liste der entschuldigten Abgeordneten Antwort des Parl. Staatssekretärs Andreas Storm auf die Frage der entschuldigt bis Abgeordneten Cornelia Hirsch (DIE LINKE) (Druck- Abgeordnete(r) einschließlich sache 16/3230, Frage 1): Wie bewertet die Bundesregierung den Einbruch bei den Annen, Niels SPD 08.11.2006 Studienanfängerzahlen in Nordrhein-Westfalen, und zieht sie daraus die Konsequenz, in den Verhandlungen mit den Bun- desländern zum Hochschulpakt 2020 auf die Sicherung eines Bartsch, Dietmar DIE LINKE 08.11.2006 gebührenfreien Studiums in den Ländern hinzuwirken, um un- ter anderem ihr Ziel einer höheren Studierendenquote nicht zu Blumentritt, Volker SPD 08.11.2006 verfehlen? Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 08.11.2006 Für das Studienjahr 2006/2007 liegen noch keine sta- tistisch verlässlichen Angaben über die Zahl der Stu- Friedhoff, Paul K. FDP 08.11.2006 dienanfänger vor. Ein Rückgang der Zahl der Studienan- fänger kann verschiedene Ursachen haben, unter Dr. Gerhardt, Wolfgang FDP 08.11.2006 anderem die Tatsache, dass für bestimmte Fächer ein lo- Göring-Eckardt, Katrin BÜNDNIS 90/ 08.11.2006 kaler Numerus Clausus eingeführt wurde. Mit dem ange- DIE GRÜNEN strebten Hochschulpakt 2020 wird das Ziel verfolgt, die Hochschulen in die Lage zu versetzen, eine wachsende Griese, Kerstin SPD 08.11.2006 Zahl von Studienanfänger auszubilden. Für die Entschei- dung darüber, ob und inwieweit Studiengebühren an den Gröhe, Hermann CDU/CSU 08.11.2006 jeweiligen Hochschulen eingeführt werden, sind die Länder zuständig. Die Bundesregierung geht davon aus, Haibach, Holger CDU/CSU 08.11.2006 dass die Länder bei der Ausgestaltung ihrer Studienge- Hill, Hans-Kurt DIE LINKE 08.11.2006 bührensysteme die Vorgaben, die sich insbesondere aus der Verfassung ergeben, beachten. Hoppe, Thilo BÜNDNIS 90/ 08.11.2006 (B) (D) DIE GRÜNEN

Landgraf, Katharina CDU/CSU 08.11.2006 Anlage 3 Link (Heilbronn), FDP 08.11.2006 Antwort Michael der Parl. Staatssekretärin Karin Kortmann auf die Frage Löning, Markus FDP 08.11.2006 der Abgeordneten Dr. Uschi Eid (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/3230, Frage 2): Merten, Ulrike SPD 08.11.2006 Welche Maßnahmen für die Malariabekämpfung in Tansa- nia unterstützt das Bundesministerium für wirtschaftliche Zu- Müller (Düsseldorf), SPD 08.11.2006 sammenarbeit und Entwicklung und in welchem Umfang? Michael Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam- Paula, Heinz SPD 08.11.2006 menarbeit und Entwicklung (BMZ) unterstützt keine spezifischen Maßnahmen zur Malariabekämpfung in Raidel, Hans CDU/CSU 08.11.2006 Tansania. Die Schwerpunkte der deutschen Entwick- lungszusammenarbeit (EZ) in Tansania sind „Entwick- Röspel, René SPD 08.11.2006 lung des Gesundheitssektors, inklusive HIV/AIDS- Schily, Otto SPD 08.11.2006 Bekämpfung“, „Entwicklung des Wassersektors“ und „Unterstützung lokaler Regierungsführung“. Im Sinne Dr. Schui, Herbert DIE LINKE 08.11.2006 der „Paris Declaration on Aid Effectiveness“ und der da- rin angestrebten Arbeitsteilung der Geber konzentriert Steppuhn, Andreas SPD 08.11.2006 sich die deutsche EZ bewusst im Rahmen ihres Gesund- heitsschwerpunktes auf die Themen HIV/AIDS, Ge- Weinberg, Marcus CDU/CSU 08.11.2006 sundheitsfinanzierung und „Human Resources“ und un- Weißgerber, Gunter SPD 08.11.2006 terstützt die Malariabekämpfung nicht direkt. Die Behandlung und Verhütung von Malaria gehört aber zu Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 08.11.2006 dem so genannten Essential Health Package, das priori- tär in allen Gesundheitsdiensten in Tansania angeboten Wolff (Wolmirstedt), SPD 08.11.2006 wird. Daher tragen Maßnahmen zur Verbesserung der Waltraud Gesundheitsdienste im Rahmen des deutschen Gesund- 6094 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006

(A) heitsschwerpunktes indirekt zur Malariabekämpfung Anlage 5 (C) bei. Das Programm der tansanischen Regierung zur Ma- lariabekämpfung wird mit erheblichen Mitteln von ande- Antwort ren Gebern gefördert. Zu diesen Gebern gehören die des Parl. Staatssekretärs Gert Andres auf die Frage der Schweiz, die Niederlande, Japan, Großbritannien, Irland Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) und die USA. Der „Global Fund to fight AIDS, Malaria (Drucksache 16/3230, Frage 9): and Tuberculosis“, zu dessen Finanzierung Deutschland Welche Schlussfolgerungen hat die Bundesregierung aus im Zeitraum 2002 bis 2006 mit einem Anteil von dem am 23. Juni 2006 vom Ombudsrat vorgelegten Ab- 4,7 Prozent beigetragen hat (Stand 31. Oktober 2006), schlussbericht „Grundsicherung für Arbeitslose“ gezogen? unterstützt das Malariabekämpfungsprogramm in Tansa- nia mit 75 Millionen US-Dollar. Die Bundesregierung geht davon aus, dass die ge- stellte Frage sich auf die „Grundsicherung für Arbeitsu- chende“ bezieht. Der Ombudsrat hat im Wesentlichen zu folgenden Fragen Empfehlungen gegeben: Personal in den Arbeitsgemeinschaften, Organisation in den Arbeits- Anlage 4 gemeinschaften, Bürgernähe, Steuerung und Arbeitsver- mittlung von SGB-Il-Leistungsempfängern. Die Organi- Antwort sationsformen für die Bewältigung der Grundsicherung des Parl. Staatssekretärs Peter Altmaier auf die Frage der für Arbeitsuchende beruhen – worauf der Ombudsrat zu Abgeordneten Cornelia Hirsch (DIE LINKE) (Druck- Recht hinweist – auf Empfehlungen des Vermittlungs- sache 16/3230, Frage 4): ausschusses. Soweit der Ombudsrat Empfehlungen zu den Arbeitsgemeinschaften macht, sind sie nicht ohne Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass laut weiteres umsetzbar. Der Ombudsrat empfiehlt nämlich den Zahlen des Statistischen Bundesamtes die Zahl der Men- einerseits, die Arbeitsgemeinschaften als weitgehend schen, die aus der Bundesrepublik Deutschland auswandern, selbstständige Organisationen der Bundesagentur für Ar- in den letzten Jahren deutlich angestiegen ist, und inwieweit müssen aus ihrer Sicht insbesondere die unsicheren Perspekti- beit mit weitgehendem Ermessensspielraum auszuge- ven beim Berufseinstieg, die unter anderem für immer mehr stalten. Er empfiehlt aber andererseits, die Bundesländer Hochschulabsolventen durch mehrjährige Praktika-Schleifen stärker und umfassender in die Rechts- und Fachaufsicht gekennzeichnet sind, für diese Entwicklung verantwortlich einzubeziehen. Das erscheint im Hinblick auf das verfas- gemacht werden? sungsrechtliche Verbot der Mischverwaltung problema- Die Gesamtstatistik der Menschen – deutsche und tisch. Zur Frage, ob die Arbeitsgemeinschaften in der bestehenden Ausgestaltung Mischverwaltungen sind, ausländische Staatsbürger –, die aus Deutschland fort- (B) liegt dem Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbe- (D) gezogen sind, hat sich nach den offiziellen Zahlen des schwerde vor. Die Bundesregierung wird die Entschei- Statistischen Bundesamts in den letzten Jahren insge- dung des Bundesverfassungsgerichtes abwarten. Ich samt nicht wesentlich geändert. Zugenommen hat aller- gehe davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht über dings in letzter Zeit die Zahl der Fortzüge Deutscher ins die Verfassungsbeschwerde Anfang 2007 entscheiden Ausland. Hinsichtlich der Einschätzung dieser Entwick- wird. Nach Auffassung der Bundesregierung kommt es lung wird auf die Große Anfrage der Abgeordneten darauf an, die Effizienz der bestehenden Organisations- , Rainer Brüderle und anderen sowie formen zu verbessern. Dies ist Thema der von Bundes- der Fraktion der FDP vom 30. Oktober 2006 – Bundes- minister Müntefering geleiteten Arbeitsgruppe „Arbeits- tagsdrucksache 16/3210 – zur „Auswanderung markt“. Dabei wird es auch darauf ankommen, die Rolle Hochqualifizierter aus Deutschland“ hingewiesen, de- der Beteiligten zu klären, um Reibungsverluste und ren ausführliche Beantwortung vorbereitet wird. Die Missverständnisse zu vermeiden. Bundesregierung nimmt dieses Thema sehr ernst und beleuchtet es aus arbeitsmarkt-, wirtschafts- und migra- Soweit der Ombudsrat Entscheidungen anmahnt, die tionspolitischer Sichtweise. Zur Frage, inwiefern Pers- insbesondere den befristet Beschäftigten Rechtssicher- pektiven beim Berufseinstieg eine Rolle für die Zahl heit hinsichtlich ihres Arbeitsverhältnisses gibt, beab- der Fortzüge aus Deutschland gespielt haben, liegen sichtigt die Bundesagentur für Arbeit in enger Abstim- mung mit der Bundesregierung, die haushaltsrechtlichen derzeit keine statistischen Daten vor. Hierzu wird eben- Voraussetzungen für zusätzliche Stellen in ihren Haus- falls auf die oben angeführte Große Anfrage vom 30. halt für 2007 zu schaffen. Die vom Ombudsrat angespro- Oktober 2006 hingewiesen. Eine quantitative Aussage chenen arbeits-, dienst- und tarifrechtlichen Fragen kön- zur Beschäftigung von Hochschulabsolventen in Prakti- nen teilweise nur von den Ländern geregelt werden. kantenverhältnissen ist derzeit ebenfalls noch nicht Bundesminister Müntefering hat sich beispielsweise an möglich. Eine Sonderauswertung der vom Hochschulin- die Länder mit dem Anliegen gewandt, die Vorausset- formationssystem durchgeführten repräsentativen Längs- zungen für Personalvertretungen in den Arbeitsgemein- schnittuntersuchung für Studienabsolventen des Jahr- schaften zu schaffen. Hinsichtlich der Arbeitsvermitt- gangs 2005 wird voraussichtlich Anfang 2007 lung von SGB-II-Leistungsempfängern wird die vom vorliegen. Im Übrigen hat die Bundesregierung bereits Ombudsrat vorgeschlagene starke Segmentierung des mehrfach deutlich gemacht, dass sie eine missbräuch- Arbeitsmarktes abgelehnt. Sie läuft den Zielen der liche Ausnutzung von Praktikantenverhältnissen nicht Grundsicherung für Arbeit zuwider und kann dazu füh- toleriert. ren, dass insbesondere Langzeitarbeitslose in den struk- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006 6095

(A) turschwachen Regionen von den persönlichen Ansprech- Hochschulabsolventinnen und -absolventen darstellt. (C) partnern oder Fallmanagern ausschließlich auf öffentlich Das gilt insbesondere für Abschlüsse von solchen Stu- geförderte Beschäftigungsmaßnahmen verwiesen wer- diengängen, die in Deutschland mit einem Staatsexamen den und das Ziel der Eingliederung in den regulären Ar- abgeschlossen werden. Die Anerkennung ausländischer beitsmarkt aufgegeben wird. Öffentlich gefördete Be- Hochschulabschlüsse liegt nicht in der Zuständigkeit des schäftigung und insbesondere die Arbeitsgelegenheiten Bundes, sondern fällt in den Kompetenzbereich des je- in der Mehraufwandsvariante sind „ultima ratio“ und bil- weiligen Landes, in dem eine Zugewanderte oder ein den die erste Stufe einer (Wieder-)Eingliederung in den Zugewanderter den Wohnsitz hat. Gleichwohl hat der Arbeitsmarkt. Diese Systematik darf auch dann nicht in- Bund großes Interesse daran, dass die Praxis der Aner- frage gestellt werden, wenn zum Beispiel Angebote auf kennung ausländischer Bildungsabschlüsse nicht zu ei- dem Arbeitsmarkt für gering qualifizierte Arbeitnehmer ner vermeidbaren Erschwerung der beruflichen Integra- derzeit nicht in dem erforderlichen Umfang vorhanden tion Zugewanderter führt. Ein Vorschlag für die sind. Diese Problematik hat der Ombudsrat zwar grund- Erörterung des Problems in der Arbeitsgruppe Wissen- sätzlich zutreffend analysiert. Allerdings verkennt er an schaft des Integrationsgipfels liegt vor. Ziel des Integra- dieser Stelle die breite Differenziertheit der Gründe, die tionsgipfels ist die Vorlage eines Nationalen Integra- zur Hilfebedürftigkeit führen können. Um zwei Bei- tionsplans im Sommer 2007. spiele zu nennen: Es beziehen ja auch Personen Arbeits- losengeld II, die bereits sozialversicherungspflichtig be- schäftigt sind. Ebenso gehören hierzu Alleinerziehende, die häufig durchaus gut qualifiziert und gut vermittelbar Anlage 7 sind, die aber wegen der Erziehung ihres Kindes keine Arbeit aufnehmen können. Die Forderung nach Sonder- Antwort regelungen zur längerfristigen öffentlich geförderten Beschäftigung („gesellschaftlich anerkannte Tätigkeits- des Parl. Staatssekretärs Gerd Andres auf die Fragen der felder“) wird derzeit ebenfalls unter Vorsitz von Bundes- Abgeordneten Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE minister Franz Müntefering in der von der Bundesregie- GRÜNEN) (Drucksache 16/3230, Fragen 11 und 12): rung eingesetzten Arbeitsgruppe „Arbeitsmarkt“ unter Was hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales dem Themenkomplex „3. Arbeitsmarkt“ mit Experten mittlerweile hinsichtlich des weiteren Vorgehens mit der Soft- diskutiert. Die entsprechenden Vorschläge sollten wir ware A2LL entschieden, und mit welchen zusätzlichen Kos- abwarten. ten ist durch diese Vorgehensweise zu rechnen (vergleiche hierzu die Antworten der Bundesregierung auf die Kleine An- frage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN [Fragen 13 bis 15] auf Bundestagsdrucksache 16/1469)? (B) (D) Wie hoch beziffert die Bundesagentur für Arbeit aktuell Anlage 6 (November 2006) die Schadenssumme und den zusätzlichen Personalaufwand, die im Zusammenhang mit Fehlern von Antwort A2LL aufgetreten sind? des Parl. Staatssekretärs Gerd Andres auf die Frage der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) Zu Frage 11: (Drucksache 16/3230, Frage 10): Die Bundesagentur für Arbeit ist der Aufforderung Ist der Bundesregierung bekannt, dass 40 Prozent der jüdi- schen Zuwanderer mit Hochschulabschluss in unserem Land des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales mit erwerbslos sind und in den USA nur 3 Prozent, und sieht die Schreiben vom 5. September 2006 nachgekommen, als Bundesregierung einen Zusammenhang zwischen der Nicht- Leistungsträger über die Zukunft der Software zur Be- anerkennung der Hochschulabschlüsse der Zuwanderer aus rechnung der Leistungen nach dem SGB II zu entschei- der Ex-UdSSR und der hohen Erwerbslosigkeit (vergleiche den. Die Bundesagentur für Arbeit hat mitgeteilt, dass „Berliner Zeitung“ vom 2. November 2006)? sie sich für eine zentrale Computersoftware zur Leis- Die Religionszugehörigkeit von Arbeitslosen und Ar- tungsgewährung entschieden hat. Gleichzeitig hat die beitssuchenden wird nicht statistisch erfasst. Insofern Bundesagentur für Arbeit ein Verfahren aufgesetzt, mit liegen weder Daten über die Anzahl arbeitsloser jüdi- dem die Tragfähigkeit, Flexibilität, Zuverlässigkeit, scher Zuwanderer, noch über deren Bildungsabschlüsse Ausbaufähigkeit und Wartbarkeit der Software A2LL vor. Aussagen, ob ein Zusammenhang zwischen der bewertet werden soll. Hierzu wurden dem Auftragneh- Nicht-Anerkennung von Hochschulabschlüssen dieses mer T-Systems Enterprise Services (TSES) ein umfang- Personenkreises und einer hohen Erwerbslosigkeit be- reicher Fragenkatalog vorgelegt. Außerdem soll auch ein steht, können daher nicht getroffen werden. Die Erfah- externer Gutachter eingeschaltet werden, um eine Risi- rungen der Otto Benecke Stiftung e. V. (OBS) aus der kobewertung zu ermöglichen. Von dem Ergebnis der Ri- Beratung von Zugewanderten und aus der Vorbereitung sikobewertung wird es abhängen, für welchen Zeitraum und Durchführung von Maßnahmen im Rahmen des A2LL fortgeführt wird und zu welchem Zeitpunkt eine Akademikerprogramms zur beruflichen Eingliederung Ausschreibung für die Entwicklung einer neuen Soft- bestimmter Personengruppen mit Hochschulabschluss, ware erfolgt. Das Bundesministerium für Arbeit und So- das seit 1985 mit Mitteln des BMBF durchgeführt wird, ziales hat keine Einwände gegen die Entscheidung erho- bestätigen allerdings, dass die Praxis der Anerkennung ben und das aufgesetzte Verfahren akzeptiert. Da die der Abschlüsse in vielen Fällen ein erhebliches Hinder- endgültige Entscheidung noch offen ist, können die Kos- nis für die berufliche Eingliederung von zugewanderten ten gegenwärtig noch nicht beziffert werden. 6096 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 62. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. November 2006

(A) Zu Frage 12: Bankkrediten an ärmere Kunden vor. Für Kredite an Pri- (C) vatkunden gilt nach den neuen Risikoregelungen der Im März 2005 hat die Bundesagentur für Arbeit den Bankenaufsicht ausdrücklich eine Ausnahme von dem im Zusammenhang mit Fehlern oder durch fehlende ansonsten geltenden Prinzip der Risikoeinstufung in Ab- Funktionalitäten von A2LL entstandenen Schaden auf hängigkeit von der Zahlungsfähigkeit und den übrigen knapp 28 Millionen Euro beziffert. Aktuellere Zahlen relevanten Risikokomponenten im Einzelfall. Vorgese- wurden bisher nicht erhoben, da bereits damit die ver- hen ist eine Sonderbehandlung für das Massenkreditge- tragliche Haftungshöchstgrenze von 5 Millionen Euro schäft mit einer pauschalen und zudem günstigen Risi- überschritten ist. Gegenwärtig prüft die Bundesagentur koeinstufung. für Arbeit allerdings, in welcher Höhe darüber hinausge- hend im Haftungs- oder Kulanzwege weiterer Schadens- ersatz erlangt werden kann. Im Übrigen wird auf die Anlage 9 Antworten der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE (Fragen 16 und 18) auf Bun- Antwort destagsdrucksache 16/1559 und auf die Kleine Anfrage der Parl. Staatssekretärin Astrid Klug auf die Frage der der Fraktion DIE LINKE (Frage 4) auf Bundestags- Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE drucksache 16/2316) verwiesen. GRÜNEN) (Drucksache 16/3230, Frage 27): Bedeutet die vom Bundesministerium für Umwelt, Natur- schutz und Reaktorsicherheit in seinem „Memorandum für ei- Anlage 8 nen ,New Deal’ von Wirtschaft, Umwelt und Beschäftigung“ Antwort geäußerte Absicht mit einer innovationsorientierten Umwelt- politik dazu beitragen zu wollen, eine doppelte Dividende für der Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks auf die Umwelt und Wirtschaft zu erzielen, dass sich die Bundesre- gierung bei den europäischen Beratungen zur Neugestaltung Frage der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch (DIE der europäischen Chemikalienpolitik (REACH) dafür einset- LINKE) (Drucksache 16/3230, Frage 20): zen wird, den Substitutionsanreiz für Unternehmen zu stär- Was hat die Bundesregierung unternommen, um zu ver- ken, indem eine Zulassung gefährlicher Chemikalien nur be- hindern, dass private Banken ärmeren Menschen schlechtere fristet erteilt wird sowie der verpflichtende Ersatz gefährlicher Kreditbedingungen gewähren als reicheren Menschen (ver- Stoffe vorgeschrieben wird? gleiche „Süddeutsche Zeitung“ vom 21. Oktober 2006)? Nein. Die Bundesregierung unterstützt hinsichtlich Die Aussage, private Banken gewährten ärmeren der Ausgestaltung des Zulassungsverfahrens den Ge- Menschen schlechtere Kreditbedingungen als reicheren meinsamen Standpunkt des Rates vom Juni 2006. Dieser Menschen, kann auf der Grundlage der Erkenntnisse, sieht ein Regelungssystem vor, von dem zum einen An- (B) über die die Bundesregierung verfügt, nicht bestätigt reize zur Substitution besonders Besorgnis erregender (D) werden. Nach vorliegenden Informationen entspricht es Stoffe ausgehen und das zum anderen den Belangen der im Übrigen nicht der generellen Praxis der Kreditinsti- betroffenen Industrie hinreichend Rechnung trägt. Zu tute, die Kreditkonditionen allein in Abhängigkeit von nennen sind hier unter anderem die Liste der Zulassungs- den Eigenkommensverhältnissen der Kreditnehmer fest- kandidatenstoffe, der Rechtsanspruch auf Zulassung bei zulegen. Vielmehr sind auch andere Faktoren, wie etwa adäquat kontrolliertem Risiko, die vom Antragsteller die Modalitäten für die Auszahlung des Kreditbetrages verpflichtend durchzuführende Substitutionsanalyse und und dessen Tilgung sowie die Kreditlaufzeit, von Bedeu- die regelmäßige Überprüfung der Zulassungsentschei- tung. Auch zählt es nicht zu den Aufgaben der Bundes- dungen nach einer an den Umständen des Einzelfalls ori- regierung, auf die Vereinbarung der Kreditbedingungen entierten Frist. Die Ausgestaltung des Zulassungsverfah- zwischen Kreditinstitut und Kunde unmittelbar Einfluss rens wird zu einer steigenden Nachfrage nach Stoffen zu nehmen. Soweit die bankaufsichtrechtlichen Risiko- führen, die nicht zulassungsbedürftig sind. Daher können vorschriften nach dem Kreditwesengesetz angesprochen Innovationen in diesem Bereich für Unternehmen wirt- sind, so sehen diese keine Schlechterbehandlung von schaftlich interessant sein.

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