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Bernhard Jahn • Alexander Košenina (Hrsg.) Friedrich Ludwig Schröders Hamburgische Dramaturgie

Bern, 2017. 235 S., 11 s/w Abb., 3 farb. Abb., 2 s/w Tab. Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik. Bd. 31 3 /2017

Herausgegeben von der Philosophischen Fakultät II / • Institut für deutsche Literatur der Humboldt-Universität zu Berlin

br. ISBN 978-3-0343-2759-6 CHF 73.– / €D 62.95 / €A 64.90 / € 59.– / £ 48.– / US-$ 71.95 XXVII eBook ISBN 978-3-0343-2933-0 • CHF 77.– / €D 69.95 / €A 70.80 / € 59.– / £ 48.– / US-$ 71.95

€D inkl. MWSt. – gültig für Deutschland und Kunden in der EU ohne USt-IdNr. · €A inkl.MWSt. – gültig für Österreich

erlo, der Prinzipal im Wilhelm Meister, empfiehlt, den Hamlet durch mutige Streichungen büh- S nentauglich zu machen. Goethe entwirft diese Figur nach Friedrich Ludwig Schröder (1744–1816), Zeitschrift für einem der erfolgreichsten Regisseure seiner Zeit. Er leitete für mehr als zwanzig Jahre das Hamburger

Theater und wirkte zwischendurch auch als Direktor am Burgtheater in Wien. Schröders Erfolgsrezept Neue Folge

für den damals für unspielbar gehaltenen Shakespeare, den er seit dem Hamlet (1776) fast vollständig • auf die Bühne brachte, fasst Goethe prägnant zusammen: Er «hielt sich ganz allein ans Wirksame, al- les andere warf er weg». Der vorliegende Band stellt Schröder nicht nur als Hamburger Theaterleiter und Shakespea- re-Regisseur vor, sondern auch als Schauspieler, produktiven Dramatiker und Übersetzer. Die von Ludwig Tieck eingeleitete vierbändige Auswahl seiner Dramen verdient ebenso neue Aufmerk- GERMANISTIK samkeit wie Schröders Rolle, Lessings naturwahre Schauspielkunst fortgeführt zu haben.

Inhalt: Bernhard Jahn/Alexander Košenina: Vorwort • Bernhard Jahn: Unterhaltung als Metathe- ater. Schröders Hamburgische Dramaturgie am Beispiel seiner «Originaldramen» • Julia Bohnen- gel: «Das hohe, das wahre Tragische». Überlegungen zur Wahl des Eröffnungsstücks von Schrö- ders erster Hamburger Direktion • Martin Schneider: Friedrich Ludwig Schröder als Politiker und Ökonom. Eine Analyse der Zeit von seiner zweiten bis zu seiner dritten Entreprise (1798–1812) • Ma- rion Schmaus: Ökonomie und Familie. Sozialutopien des 18. Jahrhunderts in Schröders Bearbei- tungen («Die Gefahren der Verführung», «Kinderzucht, oder das Testament», «Die heimliche Hei- rat») • Angela Eickmeyer: «Ich hab’ ihn gereizt, seine Vorwürfe verdient.» Schröders Hamburger Neue Folge • XXVII

«Kaufmann von Venedig»: eine philosemitische Bearbeitung? • Alexander Košenina: Dramati- Zeitschrift für Germanistik sche Fremdvölkerkunde: Schröders Bearbeitung von George Colmans Singspiel «Inkle und Yarico» 3/2017 • Anke Detken: Schröders Feigenblatt: Entdeckungen zu Bühnenbearbeitungen aus dem Franzö- sischen • Martin Jörg Schäfer: Die «dritte und eigentlich fremde Natur». Zu Friedrich Ludwig Schrö- ders Konzeption und Praxis des Schauspielens • Jacqueline Malchow: «Niemand darf in seiner Rolle […] etwas thun, das die Täuschung aufhebt.» Friedrich Ludwig Schröder, die Hamburger Thea- tergesetze und das Illusionstheater • Manuel Zink: «Wer spielt denn sonst noch mit?» Schröders «Pri- vatkomödie» als Exempel für naturwahres Schauspiel • Hans-Joachim Jakob: Johann Friedrich Schink als Schröder-Biograph der ersten Stunde. Sein Porträt im dritten Band der «Zeitgenossen» (1818) • Jo- hann Friedrich Schink: Jupiters theatralische Reise. Eine Scene aus der Götterwelt (1791).

Peter Lang Peter Lang AG • Internationaler Verlag der Wissenschaften Internationaler Verlag der Wissenschaften Moosstrasse 1 • P. O. Box 350 • CH-2542 Pieterlen • Schweiz Tel : +41 (0) 32 376 17 17 • Fax : +41 (0) 32 376 17 27 [email protected] • www.peterlang.com G Bernhard Jahn • Alexander Košenina (Hrsg.) Friedrich Ludwig Schröders Hamburgische Dramaturgie

Bern, 2017. 235 S., 11 s/w Abb., 3 farb. Abb., 2 s/w Tab. Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik. Bd. 31 3 /2017

Herausgegeben von der Philosophischen Fakultät II / • Institut für deutsche Literatur der Humboldt-Universität zu Berlin

br. ISBN 978-3-0343-2759-6 CHF 73.– / €D 62.95 / €A 64.90 / € 59.– / £ 48.– / US-$ 71.95 XXVII eBook ISBN 978-3-0343-2933-0 • CHF 77.– / €D 69.95 / €A 70.80 / € 59.– / £ 48.– / US-$ 71.95

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erlo, der Prinzipal im Wilhelm Meister, empfiehlt, den Hamlet durch mutige Streichungen büh- S nentauglich zu machen. Goethe entwirft diese Figur nach Friedrich Ludwig Schröder (1744–1816), Zeitschrift für einem der erfolgreichsten Regisseure seiner Zeit. Er leitete für mehr als zwanzig Jahre das Hamburger

Theater und wirkte zwischendurch auch als Direktor am Burgtheater in Wien. Schröders Erfolgsrezept Neue Folge

für den damals für unspielbar gehaltenen Shakespeare, den er seit dem Hamlet (1776) fast vollständig • auf die Bühne brachte, fasst Goethe prägnant zusammen: Er «hielt sich ganz allein ans Wirksame, al- les andere warf er weg». Der vorliegende Band stellt Schröder nicht nur als Hamburger Theaterleiter und Shakespea- re-Regisseur vor, sondern auch als Schauspieler, produktiven Dramatiker und Übersetzer. Die von Ludwig Tieck eingeleitete vierbändige Auswahl seiner Dramen verdient ebenso neue Aufmerk- GERMANISTIK samkeit wie Schröders Rolle, Lessings naturwahre Schauspielkunst fortgeführt zu haben.

Inhalt: Bernhard Jahn/Alexander Košenina: Vorwort • Bernhard Jahn: Unterhaltung als Metathe- ater. Schröders Hamburgische Dramaturgie am Beispiel seiner «Originaldramen» • Julia Bohnen- gel: «Das hohe, das wahre Tragische». Überlegungen zur Wahl des Eröffnungsstücks von Schrö- ders erster Hamburger Direktion • Martin Schneider: Friedrich Ludwig Schröder als Politiker und Ökonom. Eine Analyse der Zeit von seiner zweiten bis zu seiner dritten Entreprise (1798–1812) • Ma- rion Schmaus: Ökonomie und Familie. Sozialutopien des 18. Jahrhunderts in Schröders Bearbei- tungen («Die Gefahren der Verführung», «Kinderzucht, oder das Testament», «Die heimliche Hei- rat») • Angela Eickmeyer: «Ich hab’ ihn gereizt, seine Vorwürfe verdient.» Schröders Hamburger Neue Folge • XXVII

«Kaufmann von Venedig»: eine philosemitische Bearbeitung? • Alexander Košenina: Dramati- Zeitschrift für Germanistik sche Fremdvölkerkunde: Schröders Bearbeitung von George Colmans Singspiel «Inkle und Yarico» 3/2017 • Anke Detken: Schröders Feigenblatt: Entdeckungen zu Bühnenbearbeitungen aus dem Franzö- sischen • Martin Jörg Schäfer: Die «dritte und eigentlich fremde Natur». Zu Friedrich Ludwig Schrö- ders Konzeption und Praxis des Schauspielens • Jacqueline Malchow: «Niemand darf in seiner Rolle […] etwas thun, das die Täuschung aufhebt.» Friedrich Ludwig Schröder, die Hamburger Thea- tergesetze und das Illusionstheater • Manuel Zink: «Wer spielt denn sonst noch mit?» Schröders «Pri- vatkomödie» als Exempel für naturwahres Schauspiel • Hans-Joachim Jakob: Johann Friedrich Schink als Schröder-Biograph der ersten Stunde. Sein Porträt im dritten Band der «Zeitgenossen» (1818) • Jo- hann Friedrich Schink: Jupiters theatralische Reise. Eine Scene aus der Götterwelt (1791).

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Zeitschrift für Germanistik

Neue Folge XXVII - 3/2017

Herausgeberkollegium

Alexander Kosenina (Geschäftsführender Herausgeber, Hannover) Steffen Martus (Berlin) Erhard Schütz (Berlin) Ulrike Vedder (Berlin)

Gastherausgeberin

Constanze Baum (Hannover)

PETER LANG Internationaler Verlag der Wissenschaften Bern· Bruxelles· Frankfurt am Main· New York· Oxford· Warszawa· Wien Herausgegeben von der Sprach- und literatur- Manuskripte sind, mit zwei Ausdrucken versehen, wissenschaftlichen Fakultät / Institut für deutsche an die Redaktion zu schicken. Literatur der Humboldt-Universität zu Berlin

Redaktion: Für unverlangt eingesandte Manuskripte wird kei­ Prof. Dr. Alexander Kosenina ne Haftung übernommen. (Geschäftsführender Herausgeber) Dr. Brigitte Peters [email protected] Die Autor(inn)en von Abhandlungen und Dis­ Anschrift der Redaktion: kussionen erhalten ein Belegheft sowie die PDF- Zeitschrift für Germanistik Datei des Beitrages. Humboldt-Universität zu Berlin Universitätsgebäude am Hegelplatz, Haus 3 Dorotheenstr. 24 Jahresabonnement(s) zum Preis von D-10099 Berlin 150.- SFR, 130.- €, 139.- €*, 143.- €**, Tel.: 0049 30 20939 609 105.- £, 158.-US-$ Fax: 0049 30 20939 630 pro Jahrgang zzgl. Versandspesen https://www.projekte.hu-berlin.de/zfgerm/ Jahresabonnement(s) für Studierende Redaktionsschluss: 01.05.2017 gegen Kopie der Immatrikulationsbescheinigung 105.- SFR, 91.-€, 98.- €*, 100.-€**, Erscheinungsweise: 3mal jährlich 72.- £, 110.- US-$ Bezugsmöglichkeiten und Inseratenverwaltung: * €-Preise inkl. MWSt. - gültig für Deutschland Peter Lang AG ** €-Preise inkl. MWSt. - gültig für Österreich Internationaler Verlag der Wissenschaften Wabernstrasse 40 - Individuelles Online-Abonnement: CH-3007 Bern € 130.00 / $ 158.00 Tel.: 0041 31 306 1717 - Online-Abonnement für Institutionen: Fax: 0041 31 306 1727 € 260.00 / $ 316.00 [email protected], [email protected] - Online-Bezug einzelner Artikel: http://www.peterlang.com/ € 15.00 / $ 20.00

ISSN 2235-1272

© Peter Lang AG, Internationaler Verlag der Wissenschaften, Bern 2017 Alle Rechte vorbehalten.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Inhaltsverzeichnis

Schwerpunkt: Alte Meister — Malerei in Literatur Dossier

Constanze Baum, Alexander Kosenina - Alte Mark-Georg Dehrmann — Ein vergessener Kos­ Meister - Malerei in Literatur. Vorwort 451 mopolit. August Wilhelm Schlegel (1767—1845) zum 250. Geburtstag 591 Werner Busch — Klingemanns „Nachtwachen von Bonaventura“. Zum Ende des Jüngsten Ge­ richts in seiner religiösen Bestimmung 454 Konferenzberichte Monika SchmiTZ-Emans — Falsche Alte Meister in Jean Pauls „Komet“ 475 Kriegstheater. Darstellungen von Krieg, Kampf Alexander Kosenina — Gefährliche Bilder? Wie und Schlacht in Drama und Theater seit der Antike Kunstbetrachtung literarische Figuren ver-rückt (Internationale Tagung in Berlin v. 8.—10.12.2016) (Goethe, Kleist, Th. Mann, Heym, Schnitzler) 491 (Rebecca Drutschmann) 599 Constanze Baum — Begierde und Brechung. Ti­ Christlob Mylius. Ein kurzes Leben in den Schalt­ zian und die Literatur der Jahrhundertwende 510 stellen der deutschen Aufklärung (Tagung in Siegen v. 3.—5.4. 2017) (Christopher Busch) 601 Mathias Mayer — Die Rezeption des Isenheimer Altars zwischen Ethik und Ästhetik. Grünewald­ Theatergeschichte als Disziplinierungsgeschichte? Spuren in der Literatur des 20. Jahrhunderts 528 Zur Theorie und Geschichte der Theatergesetze des 18. und 19. Jahrhunderts (Symposium in Siegen Hans-Ulrich Treichel — „Kein Goya! Kein El Greco!“. Thomas Bernhards „Alte Meister“ 542 v. 30.—31.3.2017) (Anke Detken) 603

Charlotte Kurbjuhn — Hans Baldung Grien mit Tonspur: Thomas Klings „animierter farb- Besprechungen holzschnitt von 1510“ 557

Sandra Richter, Guillaume G arner (Hrsg.): ,Eigennutz‘ und ,gute Ordnung‘. Ökonomisierungen Projektvorstellung der Welt im 17. Jahrhundert (Roman Widder) 606 Daniele Vecchiato: Verhandlungen mit Schiller. Ethel Matala de Mazza, Joseph Vogl - Gra­ Historische Reflexion und literarische Verarbei­ duiertenkolleg „Literatur- und Wissensgeschichte tung des Dreißigjährigen Kriegs im ausgehenden kleiner Formen“ 579 18. Jahrhundert (Tilman Venzl) 608 FranZ m. Eybl (Hrsg.): Häuser und Allianzen. Houses and Alliances. Maisons et alliances (Daniel Projektbericht Zimmer) 611 Adolf H. Borbein, Eva Hofstetter, Max Cord-Friedrich Berghahn — Diaspora und KunZE, Axel RüGLER (Hrsg.): Johann Joachim Pluralität. Dan Diners „Enzyklopädie jüdischer Winckelmann: Schriften und Nachlaß, Bd. IX: Geschichte und Kultur“ perspektiviert jüdische Vermischte Schriften zur Kunst, Kunsttheorie und Lebenswelten für die globale Gegenwart 586 Geschichte, Bd. IX.1: Dresdner Schriften. Text und Kommentar (Cord-Friedrich Berghahn) 613 4 5 0 Inhaltsverzeichnis

Robert Vellusig (Hrsg.): Gisbert Ter-Nedden: R onald Weber: Peter Hacks, Heiner Müller Der fremde Lessing. Eine Revision des dramati­ und das antagonistische Drama des Sozialismus. schen Werks (Urte Helduser) 615 Ein Streit im literarischen Feld der DDR (Andrea Jäger) 647 Bernhard Echte, Michael Mayer (Hrsg.): Jean Paul Taschenatlas (Sebastian Böck) 618 Carola Hilmes, Ilse Nagelschmidt (Hrsg.): Christa Wolf-Handbuch. Leben — Werk — Wir­ Dirk Göttsche, Florian Krobb, Rolf Parr kung (Jörg Magenau) 649 (Hrsg.): Raabe-Handbuch. Leben — Werk — Wir­ kung (Christian Begemann) 619 Sabine W olf (Hrsg.): Christa Wolf: Man steht sehr bequem zwischen allen Fronten. Briefe Thorsten Carstensen, M arcel Schmid (Hrsg.): 1952—2011; Tanja Walenski (Hrsg.): „Sehnsucht Die Literatur der Lebensreform. Kulturkritik und nach Menschlichkeit“. Christa Wolf und Lew Aufbruchstimmung um 1900 (SafiaAzzouni) 621 Kopelew. Der Briefwechsel. 1969—1997 (Hannes Mathias Mayer, Julian Werlitz (Hrsg.): Hof- Krauss) 652 mannsthal-Handbuch. Leben — Werk — Wirkung Eva Geulen (Hrsg.): ,Complicirte mannigfache (Timm Reimers) 623 Harmonie‘. Erinnerungen an Eberhard Lämmert Birgit Nübel, Norbert Christian Wolf (Petra Boden) 654 (Hrsg.): Robert-Musil-Handbuch (Matthias Luserke- Joachim Kalka (Hrsg.): Friedhelm Kemp: Gesel­ Jaqui) 627 lige Einsamkeit. Ausgewählte Essays zur Literatur Michael Kessler, Paul Michael Lützeler (Johannes Schmidt) 656 (Hrsg.): Hermann-Broch-Handbuch (DanielWeid­ Philip Ajouri, Ursula Kundert, Carsten Roh­ ner) 628 DE (Hrsg.): Rahmungen. Präsentationsformen und JöRG SpäTER: Siegfried Kracauer. Eine Biographie; Kanoneffekte (Erika Thomalla) 658 Jörn Ahrens, Paul Fleming, Susanne Martin, Hans Jürgen Scheuer, Ulrike Vedder (Hrsg.): Ulrike Vedder (Hrsg.): „Doch ist das Wirkliche „Tier im Text“. Exemplarität und Allegorizität auch vergessen, so ist es darum nicht getilgt“. Bei­ literarischer Lebewesen; JUDITH Klinger, An­ träge zum Werk Siegfried Kracauers; Johannes DREAS Krass (Hrsg.): Tiere: Begleiter des Men­ von MolTKE: The Curious Humanist. Siegfried schen in der Literatur des Mittelalters (Sigold Kracauer in America (Erhard Schütz) 631 Richter) 661 K atrin Bedening, Franz Zeder (Hrsg.): Tho­ Achim Aurnhammer, Thorsten Fitzon: Lyri­ mas Mann — Stefan Zweig. Briefwechsel, Doku­ sche Trauernarrative. Erzählte Verlusterfahrung in mente und Schnittpunkte (Reinhard Mehring) 636 autofiktionalen Gedichtzyklen (Sonja Klimek) 664 LorenZ JäGER: Walter Benjamin. Das Leben ULRIKE SteierwalD: Wie anfangen? Literarische eines Unvollendeten; C h ristian M. Hanna, Entwürfe des Beginnens (Jörg Schönert) 667 Friederike ReenTS (Hrsg.): Benn Handbuch. Leben — Werk — Wirkung (Erhard Schütz) 637 Sarah Schmidt (Hrsg.): Sprachen des Sammelns. Literatur als Medium und Reflexionsform des Jürgen K rätzer (Hrsg.): Franz Fühmann; Peter Sammelns (Martina Wernli) 668 Braun, M artin Straub: Ins Innere. Annähe­ rungen an Franz Fühmann; Barbara Heinze, JöRG PeTZEL (Hrsg.): Franz Fühmann. Die Briefe, Bd. 1: Briefwechsel mit Kurt Batt. „Träumen und Informationen nicht verzweifeln“; Uwe BuckendahL: Franz Fühmann: Das Judenauto — ein Zensurfall im Walter FäNDERS: „Ecce homo-Ulk“ aufgefun­ DDR-Literaturbetrieb. Eine historisch-kritische den 671 Erkundung mit einer Synopse aller publizierten Textvarianten (Roland Berbig) 642 Eingegangene Literatur 671 10.3726/ZFG2017-3_606

Besprechungen

Sa n d ra R ic h ter , G uillaum e G a rn er (Hrsg.) ,Eigennutz‘ und gute Ordnung‘. Ökonomisierungen der Welt im 17. Jahrhundert, Otto Har- rassowitz Verlag, Wiesbaden 2016, 605 S.

Als vor genau 40 Jahren eine junge Göttinger For­ wieder in Regional- und Gewerbegeschichte ver­ schergruppe den von Franklin Mendels geprägten abschiedet. An ihre Stelle ist die These von der Begriff der ,Protoindustrialisierung‘ in Form einer für das 17. Jahrhundert veranschlagten Industrious dreiteiligen Studie in die deutschsprachige Dis­ Revolution (Jan de Vries) getreten.2 Die These von kussion einwarf, stand einiges auf dem Spiel: die einer „Revolution des Fleißes“ ist jedoch insofern Geschichte dessen, was bis dahin ,Hausindustrie‘ gänzlich anders gelagert, als sie dieselbe Umorien­ oder ,Heimgewerbe‘ hieß, der ländlichen Waren­ tierung in erster Linie mit sinkenden Preisen, wach­ produktion für den Weltmarkt, war in den Au­ sender Lebensqualität und sich vervielfältigenden gen von Peter Kriedte, Hans Medick und Jürgen Konsumbedürfnissen erklärt, während die Proto- Schlumbohm: für die „Entstehungsgeschichte des industrialisierungsforschung sich ja gerade für Kapitalverhältnisses“ entscheidend, und darüber Proletarisierungsprozesse interessierte. Darüber hinaus für seine globale Ausgestaltung: Zwischen hinaus sind systematische Perspektiven auf die ländlichen Gewerberegionen und kolonialer Roh­ frühneuzeitliche Ökonomisierung rar geworden. stoffproduktion entstand ein „Weltsystem“, ein Damit ist auch die Frage des ,Übergangs‘ zum „weltwirtschaftliches Netz von asymmetrischen Kapitalismus, die implizit die Frage nach seiner Beziehungen“, das für die auf Dauer gestellte politischen Fabrikation und seinen elementaren Rückständigkeit der globalen Peripherien bis in Funktionsweisen miteinschließt, aus dem Blick die Gegenwart maßgeblich war. Dass der da­ geraten. Eine Ausnahme bildet lediglich die Global malige Debattenbeitrag international für Furore Labour History mit ihrem dezidiert maximalisti­ sorgte, lag auch in der Selbstverständlichkeit, in schen Horizont.3 der die Gruppe einen theoretisch-systematischen Untersuchungen über Ökonomisierungen der Anspruch mit der Materialfülle sozialhistorischer Welt im 17. Jahrhundert rechtfertigen sich vor Empirie konfrontierte, an ihrer eigentümlichen diesem Hintergrund von selbst. Der von SANDRA „theoretisch-narrativen Mischform“. Hier wie Richter und Guillaume Garner herausge­ immer wieder in den Folgejahren betonten sie die gebene Band, der auf das 14. Jahrestreffen des „forschungsstrategische Notwendigkeit expliziter Wolfenbütteler Arbeitskreises für Barockforschung Modellüberlegungen“. Mit der Protoindustrialisie- von 2013 zurückgeht, arbeitet dabei mit einem rungsforschung schien auf einmal nicht mehr die relativ weiten Begriff seines Gegenstands: unter Industrialisierung des 19. und auch nicht mehr die Ökonomie werden „Handlungen und Einrich­ Politische Ökonomie des 18. Jahrhunderts, son­ tungen verstanden, die auf die Herstellung, die dern eben die Protoindustrialisierung spätestens Zirkulation und die Verteilung von materiellen seit dem 17. Jahrhundert zum privilegierten Gegen­ und immateriellen Ressourcen abzielen“ (S. 12). stand der Wirtschaftsgeschichte zu werden, sofern Dabei soll der „Gegensatz von marktförmigen und eben hier die Weichenstellung veranschlagt werden nicht-marktförmigen Gesellschaften“ unterlaufen konnte: hin zur abhängigen Lohnarbeit und zur werden, wobei stets von einem „komplexen Mix Massenproduktion für überregionale Märkte.1 von Einstellungen der Marktteilnehmer“ aus­ Vor allem aufgrund ihrer demographischen zugehen sei und Ökonomisierung „immer auch Thesen wurde die Protoindustrialisierungsfor- Entökonomisierung oder zumindest den Versuch schung seitdem heftig kritisiert und weitgehend derselben“ (S. 23) mit sich bringe. Aus dem Neben­

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 606—670 Zeitschrift für Germanistik XXVII - 3/2017 6 0 7 einander verschiedener Diskurse und Praktiken im „Sektion IV. Marktregulierung, Moral und 17. Jahrhundert eine Zäsur zu konstruieren, wird Theologie für und wider den Markt“ schließt daran eher vermieden. unmittelbar an und führt Beiträge über die Lehre des Der titelgebende Ausgangstext, Leonhard Frons- gerechten Preises, pietistische Heilsökonomie und pergers Von dem Lob des Eigen Nutzens, behauptet die Ökonomisierung der Bevölkerungstheorie schon 1564, dass ausgerechnet „der Eigen Nutz zusammen. schafft vnnd wirckt / daß nichts auff Erdtreich In der Rückschau lassen sich die ersten drei Sek­ mangelt“ (S. 139). Er relativiert dadurch nicht nur tionen unterschiedlichen sozialen Akteuren zuord­ das verbreitete , dass erst das 18. Jahrhundert nen: Kaufleute (Sektion I), Adel (Sektion II) und die Aufwertung des Eigennutzes vollzogen habe, Gelehrte (Sektion III). Marginalisiert wird so mit sondern er eignet sich auch gut, die zwischen der Zunftgeschichte ausgerechnet jenes Forschungs­ ihm und Adam Smith liegende Epoche als langes segment, in dem sich bei Werner Sombart und in 17. Jahrhundert aus dem historiographischen Schat­ der historische Schule der Nationalökonomie die tendasein zu führen. Der Gegensatz von Eigennutz alte Kontroverse um den Gegensatz von Nahrungs­ und „gemeinem Besten“ (bonum commune) bildete prinzip und Gewinnstreben entwickelte hatte. Die eine für die Ständegesellschaft zentrale Semantik Kritik dieser Opposition, auf deren Überwindung aus, an der sich die Phänomene des „Übergangs von schon die Protoindustrialisierungsforschung zielte, der korporativen zur individualistischen Auffassung ist zwar ein Ausgangspunkt des Bands, gleichzeitig der Gesellschaft“4 ablesen lassen. Die Austarierung widmet sich ihm explizit nur ein einziger Beitrag. zwischen Eigennutz und Gemeinnutz sei, so die MURIEL GonZÄLEs Athenas widerlegt am Beispiel Hypothese des Bandes, in einer Epoche massiver der Kölner Leinewebergaffel das Stereotyp vom ,Ökonomisierung‘ zwangsläufig zur zentralen Her­ Konservatismus der Zünfte und zeigt, dass deren ausforderung geworden. Vorschriften sich nicht gegen Konkurrenz per se Der Herausforderung, diesen spannungsreichen wandten, sondern um eine flexible „Wettbewerbs- Prozess in seiner Mehrdeutigkeit abzubilden, be­ regul ierung“ (S. 544) bemüht waren. Dieser auf gegnet der Band in vier Sektionen, die jeweils Reinhold Reith und Josef Ehmer zurückgehende durch eine kurze Einleitung vorgestellt werden, Ansatz wirft die Frage auf, ob mit der Rehabilitie­ was dem Leser bei der Orientierung unter den rung der Marktaffinität der Zünfte die Sensibilität insgesamt 27 Beiträgen hilft. „Sektion I: Expan­ für die jeweiligen politischen Konfliktlinien nicht dierende Märkte und lokaler Handel“ kreist um die schwinden muss. Wenn ,Ökonomisierung‘ kein or­ Herausbildung neuer ökonomischer Akteure und ganischer, sondern auch ein gewaltsamer Prozess war Allianzen im Jahrhundert des Merkantilismus: und ist, müsste ihre Befragung eigentlich zwangs­ um Handelsgerichte und öffentlichen Banken, läufig auch Konflikt- und Protestforschung sein. jüdische Handelsgesellschaften und Frankfurter Daran erinnert aus der Ferne ein weiterer Messen, bis hin zur von Johann Joachim Becher Schlüsselbegriff des Bandes, nämlich jener der für den Fernhandel entworfenen Universalsprache. „moralischen Ökonomie“. MARIAN FüSSEL disku­ „Sektion II. Luxus, Konsumkultur und Mäze- tiert den von E. P. Thompson geprägten und von nat“ analysiert die ubiquitären Luxus-Debatten, die Lorrain Daston umgemünzten Begriff in Bezug sich hauptsächlich als Kritik höfischer Verschwen­ auf die moralische Ökonomie der Gelehrten, was dung darstellten und damit zugleich soziale Hierar­ ihn bis zu einer Analogisierung von Brotpreis und chien destabilisierten. Die Beiträge diskutieren u. a. Gelehrsamkeit führt. Zu ergänzen wäre laut Füssel die Preisgestaltung aufdem Kunstmarkt am Beispiel der Begriff des „symbolischen Kapitals“ (Bour­ von Rubens, die Alamodekritik von Moscherosch dieu), der es erlaube, „Anerkennungsverhältnisse“ und die Konsumgeschichte Hamburgs. und „Verteilungskämpfe“ „bruchlos“ (S. 316) mit­ „Sektion III. Ökonomie des Wissens, Wissen einander zu verknüpfen. Bourdieus Begriff scheint der Ökonomie und Wissensökonomie“ greift das nicht nur geeignet, eine auf Ruf, Vertrauen und Verhältnis von Alchemie und Ökonomie, u. a. bei Kredit beruhende Anwesenheitsgesellschaft zu William Petty und Wilhelm von Schroeder, die beschreiben, sondern seine Relevanz ist gerade auch lutherische Commercium-Lehre und die Ökono­ für die entstehende literarische Öffentlichkeit und misierung des Buchhandels auf. den akademischen Markt zu verzeichnen.

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 606—670 6 0 8 Besprechungen

Während Füssel mahnt, sich trotzdem besser dadurch nachrangigen Rolle zu entlassen, wenn nicht vorschnell „von der materiellen Ökonomie die Betonung der Vielschichtigkeit und wider­ der Märkte [zu] verabschieden“ (S. 315), weckt sprüchlichen Prozesshaftigkeit der ökonomischen die Gewichtung des Bandes insgesamt den ge­ Modernisierung es kaum erlaubt, einschneidende genteiligen Eindruck. Die auffallende Nähe der Zäsuren oder systematische Weichenstellungen zu geistes- und kulturgeschichtlich orientierten Sek­ diagnostizieren. Das Verdienst des transdiszipli­ tionen II—IV fällt jedenfalls genauso in die Augen när angelegten Bandes besteht jedoch darin, die wie das Fehlen einer Reihe von ökonomiehistori­ Vielfalt der Forschung inklusive ihrer Brüche und schen Schlüsselthemen: Zu den Teuerungen und Widersprüche zusammenzuführen. Geldkrisen des 17. Jahrhunderts fehlen genauso Entstanden ist ein trotz allem unersetzliches systematische Darstellungen wie zur Hausväterlite­ Buch, das sich Interessierte aller historisch aus­ ratur, der eigentlichen Vorgängerin der Politischen gerichteten Fächer nutzbar machen können für Ökonomie, oder zur Geschichte absolutistischer einen Überblick über die Bandbreite aktueller Staatsfinanzierung. Themensetzungen und Forschungsansätze. Bemerkenswert ist dafür WOLFGANG KAISERs Ausflug in die Geschichte der White Slavery in Anmerkungen seinem Beitrag zur Rolle des Menschenhandels in der frühen Neuzeit. Kaiser beschreibt nicht nur 1 Peter Kriedte, Hans Medick, Jürgen Schlumbohm: die Kriege mit den Barbareskenstaaten als Quelle Industrialisierung vor der Industrialisierung. Ge­ serviler Arbeit und fasst die „frühneuzeitliche werbliche Warenproduktion auf dem Land in der Gewaltökonomie“ (S. 178) mit schätzungsweise Formationsperiode des Kapitalismus, Göttingen 1977, S. 14, 26, 30, 35. einer Million Mittelmeersklaven ins Auge, er 2 Jan de Vries: The industrious revolution. Consumer skizziert auch die Ökonomie des ,Loskaufs‘, des behaviour and household economy, 1650 to the Gefangenenfreikaufs, die sich vor dem Hinter­ present, Cambridge 2008. grund christlicher Erlösungstheorie vollzog und 3 Marcel van der Linden: Workers of the World. Eine dafür sorgte, dass heute zumindest ein kleiner Teil Globalgeschichte der Arbeit, Frankfurt a. M. 2017. der Sklaven und Zwangsarbeiter quellenförmige 4 Winfried Schulze: Eigennutz und Gemeinnutz. Über Spuren hinterlassen hat. den Normenwandel in der ständischen. Gesellschaft Selten so wie hier scheint sonst die Gewaltsam­ der Frühen Neuzeit. In: Historische Zeitschrift 243 keit dessen auf, was Kriedte/Medick/Schlumbohm (1986), S. 591-626, hier S. 621. nicht als natürliche Ausbreitung des Marktes und nicht als historische „Umstellung“ (S. 434) der Roman Widder ökonomisch-theologischen Semantik, sondern als Humboldt-Universität Berlin politisch bedeutsame „Penetration“ von Markt­ Sprach- und literaturwissenschaftliche Fakultät verhältnissen beschrieben haben. Was bleibt, ist Institut für deutsche Literatur der Eindruck, dass es schwierig sein dürfte, das D-10099 Berlin 17. Jahrhundert aus seiner vorbereitenden und

D a n iele V ecch iato Verhandlungen mit Schiller. Historische Reflexion und literarische Verarbeitung des Dreißig­ jährigen Kriegs im ausgehenden 18. Jahrhundert, Wehrhahn Verlag, Hannover 2015, 3 9 6 S.

Dass Friedrich Schiller die Strategien der Unter­ wie er schreibt, „Permeabilität von Kunst- und haltungsliteratur seiner Zeit nicht nur aufmerksam Massenliteratur“ dazu „ermutig [t] “, auch Schillers registrierte, sondern auch selbst anzuwenden Wallenstein in den Kontext „bisher kaum beachte­ verstand, ist von der Forschung längst erkannt. ter Texte verschiedener auctores minores“ zu stellen Daniele Vecchiato fühlt sich aufgrund dieser, und dergestalt „neues Licht“ auf die Trilogie „zu

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 606-670 Zeitschrift für Germanistik XXVII - 3/2017 609 werfen“ (S. 23). Wahrscheinlich ist es auf diese zwischen ,Höhenkamm-‘ und ,Trivialliteratur‘ als Absicht, ein etabliertes Forschungsfeld punktuell fruchtbar erweisen“ kann (S. 21 f.). Mit seinem zu differenzieren, zurückzuführen, dass Vecchiato Plädoyer für eine Zusammenbetrachtung von auf einen Forschungsüberblick im klassischen hoch- und niedriggewerteter Literatur assoziiert Sinne verzichtet. Statt das Thema der Arbeit sich Vecchiato mit Anliegen der Sozialgeschichte als Desiderat sichtbar zu machen, konstatiert er der Literatur, wenn auch nicht ausgesprochener­ „bedeutende Lücken“ der Forschung und lässt maßen, so doch der Sache nach.1 Da es ihm nicht eine Art Rechenschaftsbericht über die „in den zuletzt um dem Nachweis des „ungeheuren“ (S. 14) letzten Jahren erschienenen Publikationen zum und „außerordentlichen Komplexitätsgewinn[s]“ Dreißigjährigen Krieg“ (S. 27) und über die „für (S. 353) Schillers zu tun ist, setzt er das Konzept die Ziele dieser Arbeit“ besonders „ergiebige [n]“ des ,Trivialen‘ überdies analytisch ein. Anders (S. 29) Beiträge folgen. als die Texte der minores, die z. B. „stilistisch wie Die Studie, die sowohl der Universität Venedig auch inhaltlich keine besondere Qualität“ (S. 155) als auch der Humboldt-Universität zu Berlin als aufwiesen, habe Schiller „faszinierende“ (S. 262) Dissertationsschrift vorlag, avisiert zwei Ziele: Figuren geschaffen und „hintergründig“ (S. 328) Erstens soll, aufbauend auf der Beobachtung einer und „filigran“ (S. 357) allererst „das ästhetische zeitgenössischen Konjunktur des Wallenstein­ Potential“ des Wallenstein-Stoffs „verwirklich^]“ Stoffs, ein „systematischer Überblick über das (S. 290). komplexe Phänomen der historischen Reflexion Da die Wallenstein-Werke der anderen Auto­ und der literarischen Verarbeitung des Dreißig­ ren in erster Linie untersucht werden, um einen jährigen Kriegs im ausgehenden 18. Jahrhundert“ Vergleich mit Schillers Trilogie zu ermöglichen, gegeben und anhand „fast vergessener, für einen aber auch wechselseitige Einflüsse im Sinne Umriss der Kulturgeschichte der Zeit jedoch hoch nachweislicher Rezeptionsakte zu prüfen, leuchtet interessanter Autoren [...] die Konturen eines der Aufbau der Arbeit ein: Nach einem Kapitel weitverzweigten Diskursgeflechtes rekonstruiert“ zur Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs, in der (S. 21) werden. Diese Autoren, deren Auswahl sich Schiller der historischen Figur Wallenstein Vecchiato allerdings nicht begründet, sind bislang erstmals intensiv zuwandte, folgt ein Kapitel zu tatsächlich eher wenig behandelt worden: Gerhard Naubert und sodann eines zur populären Wahr­ Anton von Halem, Johann Nepomuk Komareck, nehmung sowie historiographischen und litera­ Benedikte Naubert, Andreas Georg Friedrich von rischen Behandlung der Figur Gustav II. Adolf, Rebmann und Niklas Vogt. Zweitens sollen die wobei vor allem auf den Schriftsteller und His­ „Tauschprozesse“ und „Tauschverhandlungen“ toriker Vogt Bezug genommen wird. Das vierte Schillers mit diesen „minores“ (S. 24) sichtbar Kapitel identifiziert in Texten der „minores-Trias gemacht werden. Halem, Komareck und Rebmann“ (S. 199) ver­ Der Begriff ,Verhandlung‘ spielt nicht nur auf schiedene thematische Aspekte, die in einem letz­ den Titel der Arbeit, sondern „offensichtlich“ ten Kapitel auf die Wallenstein-Trilogie bezogen auch auf einen zentralen Terminus des New werden. Dergestalt wird ein Bogen von Schillers Historicism an. Die Arbeit folgt allerdings, so Geschichtsoptimismus im Zeichen des universal­ Vecchiato, „grundsätzlich nicht den Methoden geschichtlichen Programms bis hin zu seinem — so des New Historicism“, sondern die begriffliche das Schlusswort der Arbeit — „tiefen Pessimismus“ Anlehnung an Stephen Greenblatt soll lediglich (S. 359) geschlagen, der für die Zeit des Wallen­ die Grundannahme bezeichnen, „dass ein Text stein konstitutiv ist. durch rhizomische Muster mit den verschiedenen Das erste Kapitel zeichnet Schillers geschichts­ Teilen der Kultur verbunden ist, die ihn nähren, theoretische Ansichten nach und betont vor allem, und dass ein Text mit diesen Teilen der Kultur welche Bedeutung „die genuin künstlerische Kon­ aktiv kommuniziert und negoziiert“. Hiermit struktionsleistung“, „die Kunst als balancierende hebt Vecchiato keineswegs auf eine Text-Kontext- Kraft“ (S. 79) auch für den Historiker Schiller be­ Theorie ab, sondern umschreibt die Annahme, saß. Im Zusammenhang der Verortung innerhalb dass für einen „gekonnten Literaturstrategen wie der Geschichte des historischen Denkens — hier als Schiller [...] sich die Überwindung der Grenze Übergang „von der Geschichtsauffassung und Ge­

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 606—670 6 1 0 Besprechungen schichtsschreibung der deutschen Aufklärung hin hinaus, dass Schiller viele Aspekte aufnimmt und zum sogenannten ,Historismus‘ des 19. Jahrhun­ im Sinne einer anthropologischen Verfeinerung als derts“ (S. 36) beschrieben — fragt man sich aller­ Einzelelemente einer komplexen, sich eindeutigen dings, warum die große Studie von Daniel Fulda Zuschreibungen entziehenden Figur integriert. nicht intensiver und diejenige von Dirk Niefanger Allerdings zeigen sich in diesem Abschlusskapitel gar nicht rezipiert wurde.2 Auch das zweite, dritte auch die Grenzen des stets nur Einzelaspekte und vierte Kapitel bringen umfassende Inhaltsan­ fokussierenden ,analytischen Kommentars‘, aus gaben, ausführliche kulturgeschichtliche Referate dem freilich keine Interpretationen im Sinne des und überdies interessante biographische Skizzen. „Verstehens von Texten in ihrer Ganzheit“4 her­ Indem Vecchiato eher beiläufig von „analytischem vorgehen kann. Kommentar“ (S. 108) spricht, gibt er eine tref­ Auch die Verwendung verschiedener Unter­ fende Beschreibung seines Vorgehens. So nimmt suchungskonzepte schränkt die Ergiebigkeit der er die untersuchten Texte zum Anlass, um für Arbeitsheuristik ein: So wird z. B. der Begriff den Umgang mit dem Wallenstein-Stoff typische ,Diskurs‘ im Sinne eines thematischen Reservoirs, Themen und Bewertungsmuster in den Blick zu auf das der jeweilige Dichter „[zu]greifen“ (S. 218) bekommen. kann, und nicht als generatives Prinzip verstan­ In Bezug auf die Kontextaufarbeitungen ist al­ den, das den Bedingungsrahmen der poetischen lerdings kritisch anzumerken, dass der Neuerungs­ Aussage bildet. Ferner lässt der thematische Fokus anspruch nicht immer klarliegt: Da z. B. über die der Arbeit formale Aspekte fast vollständig aus allgemein bekannte ,Lesewut‘ des 18. Jahrhunderts dem Blick geraten, und auch der organologi- ohne erkennbaren Grund und ohne entsprechen­ sche Gattungsbegriff steht einer integrierenden den Kommentar detailreich referiert wird (vgl. Interpretation entgegen; es ist etwa von der S. 88—97), muss der Leser bereits ein ausgewiesener „embryonale[n] Form“, der „vollen Reife“ (S. 21) Kenner der Materie sein, um den Neuheitswert und der „Geburt“ (S. 103) des ,historischen Ro­ der Ausführungen stets zutreffend beurteilen zu mans‘ die Rede. können. Auch die Auswahl der referierten Kon­ Die in beispielhafter Absicht vorgebrachten texte leuchtet nicht immer ein: Warum wird etwa inhaltlichen, methodologischen und terminolo­ wiederholt auf die „Herausbildung eines modernen gischen Einwände sollen indes nicht von den un­ Nationalbewusstseins“ (S. 102) abgehoben, ohne bestrittenen Qualitäten der Arbeit ablenken, der diesen intensiv erforschten Fundamentalprozess es insgesamt gelingt, auf einen wichtigen Kontext der (nicht nur) deutschen Geschichte auch nur von Schillers Wallenstein detailreich aufmerksam ansatzweise kulturgeschichtlich einzuordnen? zu machen. Vecchiato bietet zwar keine Systema­ Warum wird die Militär- und Kriegsgeschichte tik, aber einen bunten Strauß kulturgeschichtlich der Zeit gar nicht rezipiert, obwohl die Arbeit hochinteressanter Aspekte, die bei der literari­ doch von der „Verarbeitung des Dreißigjährigen schen Behandlung des Stoffs zu beobachten sind, Kriegs im ausgehenden 18. Jahrhundert“ (S. 21) und kann deren Bedeutung für Friedrich Schiller handelt und Friedrich Schiller bei der Arbeit am überzeugend aufzeigen. Indem die Arbeit auch Wallenstein wiederholt Militärs um Rat anging.3 die Werke anderer Autoren ,analytisch kommen­ Warum wird beim Referat von Überlegungen tiert“, wird sie auch in der Halem-, Komareck-, Rousseaus vollständig auf Forschung und dadurch Naubert-, Rebmann- und Vogt-Forschung Leser auf den Aufweis der eminenten Brisanz von dessen finden. politik- und sozialtheoretischem Denken verzichtet (vgl. S. 252-257)? Das fünfte Kapitel bildet den Zielpunkt der Ge­ Anmerkungen samtargumentation, indem hier die „Konvergenzen 1 Vgl. als forschungsgeschichtlich wichtiges und frü­ und Divergenzen“, „die Übereinstimmungen und hes Beispiel der Trivialliteratur-Forschung Helmut Unterschiede“ (S. 300) der Wallenstein-Dichtung Kreuzer: Trivialliteratur als Forschungsproblem. In: Schillers einerseits und derjenigen der anderen DVjs 41 (1967), H. 2, S. 173-191. Autoren andererseits in den Blick kommen. Die 2 Daniel Fulda: Wissenschaft aus Kunst. Die Entste­ Argumentation läuft auf die gut begründete These hung der modernen deutschen Geschichtsschrei-

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bung, 1760—1860, Berlin, New York 1996; Dirk 4 Axel Spree: Interpretation. In: RLL, Bd. 2, hrsg. v. Niefanger: Geschichtsdrama der Frühen Neuzeit Harald Fricke, Berlin, New York 2000, S. 168—172, 1495-1773, Tübingen 2005. hier S. 168. 3 Die einschlägigen Stellen sind leicht zu finden in den Zeugnissen aus Schillers Briefwechsel bei Frithjof Tilman Venzl Stock: Kommentar. In: Friedrich Schiller: Werke Universität Stuttgart und Briefe in 12 Bdn., Bd. 4: Wallenstein, hrsg. Institut für Literaturwissenschaft (NDL II) v. F. S., Frankfurt a. M. 2000, S. 545-1260, hier Keplerstr. 17 S. 585-651. D—70174 Stuttgart

Franz M. Eybl (Hrsg.) Häuser und Allianzen. Houses and Alliances. Maisons et alliances (Das Achtzehnte Jahrhundert und Österreich, Bd. 30), Verlag Dr. Dieter Winkler, Bochum 2016, 338 S.

Das Europa der Könige im 17. und 18. Jahrhun­ zen des Hauses Habsburg ausgerichtete Band dert, dem Leonhard Horowski jüngst eine mo­ analysiert schwerpunktartig einen Bereich des numentale Darstellung gewidmet hat, zeichnet 18. Jahrhunderts, den „man rückblickend meis­ sich insbesondere durch eine starke Verflechtung tens wie ein Nebengleis oder gar eine Sackgasse und Durchdringung persönlicher und politischer behandelt“4 hat, und verspricht damit nicht zuletzt Beziehungen aus, in denen möglichst zahlreiche auch produktive Irritationen im Hinblick auf den und gute Verbindungen die Pfunde sind, mit denen „Aufklärungsprozess[ ]“ (S. 9). Die jüngere For­ sich am besten wuchern lässt. Für eine mannigfach schung hat vermehrt aufAffinitäten und Wechsel­ unter- und miteinander verwandte und verheiratete beziehungen zwischen höfischer bzw. adliger Kul­ „internationale Herrschaftselite“ gilt, dass ihre tur und Aufklärung aufmerksam gemacht,5 mithin Angehörigen in „Netzwerke“ eingegliedert sind, in auf die Fragwürdigkeit eines Erklärungsmodell denen sie „gar nicht anders können, als von Anfang verwiesen, dem zufolge sich das Bürgertum im an möglichst viele der anderen Schachfiguren im 18. Jahrhundert mit einer spezifischen Literatur Auge zu behalten“.1 In einem solchen System, das im Gepäck vom Hof emanzipiert und den Adel auf permanente gegenseitige Beobachtung abon­ als dominante Sozialformation ablöst.6 niert ist und von einer komplexen „Ökonomie In die gleiche Kerbe schlägt auch der Er­ der Ehre“2 verwaltet wird, geht es folglich darum, öffnungsbeitrag des Heftes, wenn VIRGINIA dem jeweiligen Konkurrenten immer einen Schritt HAGN anhand der mitunter sexuell expliziten voraus zu sein, um die eigenen Interessen oder die Freundschaftsbriefe Isabellas von Parma, der Interessen der eigenen Familie durchzusetzen und Gattin Josephs II., an ihre Schwägerin Erzherzo­ Positionsgewinne in einem Gefüge zu erzielen, das gin Marie Christine am Wiener Hof den adligen auf die europäischen Höfe und ihre Dynastien hin Ausprägungen des aufklärerisch-empfindsamen ausgerichtet ist. Macht, Ressourcen und soziale Be­ „Freundschaftskults“ auf der Spur ist: Isabella ziehungen werden an den Höfen des Ancien Régime zeigt, dass sie „über theoretische und literarische verteilt, während diese für ihre Regierungsfähigkeit Hintergründe des Freundschaftsdiskurses in­ aufdie Bildung und Erhaltung eines funktionieren­ formiert war“ (S. 30 f.) und die der Konzeption den Klientelnetzwerks angewiesen sind.3 nach aufrichtige und uneigennützige Freund­ Die Häuser und Allianzen, die der von FRANZ schaftskommunikation durchaus ihren Platz im M. EYBL herausgegebene 30. Jubiläumsband auf instrumentelle Kommunikation angelegten des Jahrbuchs Das Achtzehnte Jahrhundert und höfischen Raum finden konnte.7 Hier ließe sich Österreich in den Blick nimmt, fügen sich damit für weitergehende Untersuchungen an Studien in die internationale wie die auf inhaltliche Breite anschließen, die die adlige Herkunft auch der ausgerichtete Programmatik des Herausgebers deutschen Empfindsamkeitsdiskurse konstatie- (vgl. Eybl, S. 9): Der insbesondere auf die Allian­ ren.8 Anhand der Hochzeit Isabellas von Parma

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 606—670 6 1 2 Besprechungen mit dem habsburgischen Thronfolger untersucht um 1700 nach, Angehörige des Fürstenhauses in Elfriede Iby die Strategien, mit der dynastische hohe geistliche Stellungen im Reich einzusetzen Allianzen ins Werk gesetzt und gefestigt wer­ oder sich mittels einer kalkulierten Heiratspolitik den. Das Zeremoniell der zur Bestätigung des der habsburgischen Unterstützung zu versichern, österreichisch-französischen Bündnisses im Zuge um die Macht des Herzogtums zu konsolidieren des Renversement des alliances geschlossenen und sich somit auch den Zudringlichkeiten des Ehe mobilisiert den gesamten Medienapparat des großen Nachbarn Frankreich zu erwehren. Noch Habsburgerstaats: Festbeschreibungen, Gemälde­ einmal wird deutlich, wie sehr eine genaue Beob­ zyklen und Festtafeln fügen sich zusammen mit achtung der Machtverhältnisse im europäischen den eigentlichen Trauungszeremonien zu einem Staatengefüge und eine exakt darauf abgestimmte „Gesamtkunstwerk“ (S. 38), das das dynastische Heirats- und Klientelpolitik im Zentrum des herr­ Bündnis unterstreichen soll. Rudolf MORAWITZ scherlichen Interesses stehen. kann am Beispiel des Hofstaats der Fürsten Ester­ Die Beiträge des Hefts, die abseits des Schwer­ hazy in Eisenstad und Fertöd zeigen, wie sehr die punkts Häuser und Allianzen liegen, teilen sich in Höfe als Gravitationszentren einer sozialen wie die beiden Sektionen Kunst und Wissenschaft in kulturellen Elite wirken. Selbst an dem vergleichs­ Theorie und Vermittlung sowie Forschungen und weise kleinen und geographisch abgelegenen Hof Materialien auf. versammelt sich ein europäisches Hofpersonal In der ersten dieser Sektionen widmet sich ebenso wie eine stetig wachsende Gruppe an Hof­ Daniela Haarmann mit den Antiquaren des künstlern9 um den Komponisten Joseph Haydn, 18. Jahrhunderts einer wichtigen Voraussetzung um einen für das fürstliche Repräsentationsbe­ der sich zunehmend institutionalisierenden wissen­ dürfnis benötigten „Opern- und Theaterbetrieb schaftlichen Praxis, JäNOS Jernyei-Kiss indes der aufrecht zu erhalten“ (S. 55). dekorativen Funktion spätbarocker Freskenräume. Auf die Schwierigkeiten, Kalküle und Chan­ In zwei literaturwissenschaftlichen Beiträgen cen, die bei der Durchsetzung dynastischer und werden Karl von Knoblauchs dialogischer Kom­ territorialer Politik im Spiel waren, stellen auf mentar zur französischen Revolution (Gerhard unterschiedliche Weise die weiteren Beiträge des KaTSCHNIG) und Giovanni Battista Grasers Bei­ thematischen Schwerpunkts ab. David PRUONTO trag zur Poetologie des lateinischen Lehrgedichts zeichnet anhand des militärischen und politischen (ISABELLA Walser) vorgestellt. Die zweite Sektion Aufstiegs des italienischen Marquis Francesco schließlich liefert Materialien etwa zu infrastruktu­ Maria Malaspina am Kaiserhof nach, welche rellen Fragen wie dem Aufbau eines Straßennetzes Karrieremöglichkeiten sich aus den unklaren in Böhmen (PETER Popelka) und den Wäldern Verhältnissen der spanischen und österreichischen Siebenbürgens (D orin-Ioan Rus). Daneben Lehenspolitik in Italien ergaben. Er verweist auch stehen Beobachtungen zur Rekonstruktion von auf ein notorisches Problem, mit dem die Fürsten Aufführungen und Aufführungsbedingungen bei der Auswahl ihrer Vasallen rechnen mussten, der wandernden Schauspieltruppen mit Hilfe von von denen sie nicht zuletzt die Versorgung mit Spielhandschriften (STEFAN HuLFELD, MATTHIAS finanziellen Mitteln erwarteten: „C’est surtout Mansky, Eva-Maria Hanser), Wilhelm Haefs et toujours l’argent qui manqua!“ (S. 73) STEFAN bio-bibliographische Skizzen zu bisher vernach­ SEITSCHEK verfolgt die Verhandlungen zur An­ lässigten Vertretern der österreichischen Spätauf­ erkennung der Pragmatischen Sanktion, die die klärung sowie die Fortsetzung eines Überblicks habsburgische Thronfolge sichern sollte, aus der über Sekundärliteratur zur lateinischen Sprache Perspektive der Tagebücher des Habsburgerkaisers in Ungarn (GäBOR AlmäSI). Karl VI. und gewinnt daraus „Einblicke in die Der vorliegende Band des Jahrbuchs der Öster­ Verhandlungen abseits von Konferenzprotokollen“ reichischen Gesellschaft zur Erforschung des Acht­ sowie in die „Einflüsse von Akteuren im unmit­ zehnten Jahrhunderts bietet weniger definitive telbaren Umfeld des Kaisers“ (S. 96), der die Ver­ Ergebnisse als vielmehr ein Kompendium an handlungen mit „zunehmender Ungeduld“ (S. 93) anregenden Forschungsansätzen und in aller Vor­ erlebte. Schließlich zeichnet Renate ZEIDINGER läufigkeit skizzierten Forschungsprogrammen, die die Bestrebungen des Herzogtums Lothringen zu einem großen Teil auf noch ungehobenes Ma­

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 606—670 Zeitschrift für Germanistik XXVII - 3/2017 6 1 3 terial zurückgreifen und verweisen. Die Beiträge 2002, S. 11-31; ferner Steffen Martus: Aufklärung. schlagen Breschen in ganz unterschiedliche und Das deutsche 18. Jahrhundert - ein Epochenbild, mitunter entlegene Bereiche des 18. Jahrhunderts, Berlin 2015, S. 44 ff. an die künftige Forschung anschließen kann. 6 Vgl. zur Differenzierung der Kategorie Bürgerlichkeit Hans-Edwin Friedrich, Fotis Jannidis, Marianne Willems (Hrsg.): Bürgerlichkeit im 18. Jahrhundert, Anmerkungen Tübingen 2006. 7 Vgl. Stollberg-Rilinger (wie Anm. 3), S. 490, 494. 1 Leonhard Horowski: Das Europa der Könige. Macht 8 Vgl. Burkhard Meyer-Sickendiek: Zärtlichkeit. Zu und Spiel an den Höfen des 17. und 18. Jahrhunderts, den aristokratischen Quellen der bürgerlichen Emp­ Berlin 2017, S. 11 f. findsamkeit. In: DVjs 88 (2014), H. 2, S. 206-233. 2 Andreas Pe^ar: Die Ökonomie der Ehre. Der hö­ 9 Vgl. dazu grundlegend Martin Warnke: Hofkünst­ fische Adel am Kaiserhof Karls VI. (1711-1740), ler. Zur Vorgeschichte des modernen Künstlers, Darmstadt 2003. 2. überarb. Aufl., Köln 1996; vgl. ferner Ute Daniel: 3 Vgl. für den Wiener Hof zuletzt und mit Hinweisen Hoftheater. Zur Geschichte des Theaters und der auf weitere Literatur Barbara Stollberg-Rilinger: Höfe im 18. und 19. Jahrhundert, Stuttgart 1995. Maria Theresia. Die Kaiserin in ihrer Zeit. Eine Biographie, München 2017, S. 43 ff. Daniel Zimmer 4 Horowski (wie Anm. 1), S. 10 f. 5 Vgl. grundlegend Ute Daniel: Höfe und Aufklärung Humboldt-Universität zu Berlin in Deutschland - Plädoyer für eine Begegnung der Sprach- und literaturwissenschaftliche Fakultät dritten Art. In: M. Ventzke (Hrsg.): Hofkultur und Institut für deutsche Literatur aufklärerische Reformen in Thüringen. Die Bedeu­ D-10099 Berlin tung des Hofes im späten 18. Jahrhundert, Köln u. a.

A d o lf H. B o rbein , Eva H o fstetter , M a x K u n z e , A xel Rüg ler (Hrsg.) Johann Joachim Winckelmann: Schriften und Nachlaß, Bd. IX: Vermischte Schriften zur Kunst, Kunsttheorie und Geschichte, Bd. IX. 1: Dresdner Schriften. Text und Kommentar, bearb. v. Balbina Bäbler, M ax Kunze, Adelheid Müller, unter Mitwirk. v. Doreen Paula, Philipp von Zabern Verlag, M ainz 2016, L II + 462 S.

Pünktlich zum 300. Geburtstag Johann Joachim antiquarischen Studiums, arbeitet Winckelmann Winckelmanns am 9.12.2017 liegen in Band IX.1 die Einzigartigkeit und Vorbildlichkeit der an­ der historisch-kritischen Werkausgabe jene Schrif­ tiken griechischen Kunst heraus und begründet ten ediert und kommentiert vor, die einst den so ihre Bedeutung für die europäische Kunst kometenhaften Aufstieg des aus ärmlichsten Ver­ des 18. Jahrhunderts. Dabei zeichnet er in den hältnissen stammenden Antiquars und Ästhetikers Griechen das Bild einer antiken Humanität, in zur europäischen Berühmtheit begründeten. Im dem die politische Verfasstheit, das Klima und Zentrum dieser kleinen und doch so wirkmäch- die Schönheit einen idealischen Moment in der tigen Texte stehen die Gedancken über die Nach­ Geschichte der Menschheit schufen. Aus diesem ahmung der Griechischen Wercke in der Mahlerey historisch einzigartigen Ideal nun resultiert für und Bildhauer-Kunst (künftig: Gedanken), deren Winckelmann die normative Rolle der griechi­ Erscheinen im Jahr 1755 einen, vielleicht sogar schen Kunst, für die er ein glänzendes Paradox den entscheidenden Wendepunkt des europäischen findet: „Der eintzige Weg für uns groß, ja, wenn Klassizismus markiert. es möglich ist, unnachahmlich zu werden, ist Die Gedanken sind mit ihrer Schwerpunkt­ die Nachahmung der Alten, [...] sonderlich der verschiebung von Rom nach Athen ein Fanal des Griechen“ (S. 56). Von den Gedanken sollten in Philhellenismus. In dieser Schrift, entstanden den kommenden zwei Generationen immer neue als Befreiungsschlag nach Jahren des intensiven ästhetische Debatten angestoßen werden; sie „sind

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 606-670 6 1 4 Besprechungen für das 18. Jahrhundert der eigentlich markante Carl Ludwig Fernow und Johannes Schulze er­ Ausgangspunkt in der Diskussion um das Klassi­ arbeiteten Ausgabe der Werke (11 Bde., Berlin sche und Schöne in der Kunst“.1 1808—1826) noch in der philologisch zuverlässi­ Aus diesen Gründen spielen die Gedanken auch geren, von Joseph Eiselein vorgelegten Ausgabe im gegenwärtigen literatur-, kultur- und kunstwis­ der Sämtlichen Werke (12 Bde., Donauöschingen senschaftlichen Lehrbetrieb eine wichtige Rolle. [!] 1825—1829) enthalten ist. Dazu gehört etwa Für Seminarzwecke hat Max Kunze bereits 2013 ein in Westeuropa bislang unbekannter Entwurf eine historisch-kritisch edierte und vorzüglich zu den Gedanken, der erstmals 1992 in russischer kommentierte Studienausgabe beim Reclam- Übersetzung publiziert wurde. Das Manuskript Verlag vorgelegt, die außer den Gedanken selbst gelangte im 19. Jahrhundert auf mäandernden auch das Sendschreiben über die Gedancken von Wegen (u. a. durch die Hände Herders) an die der Nachahmung und die Erläuterung der Gedan- Öffentl iche Bibliothek St. Petersburg, die es seit cken von der Nachahmung bringt.2 Damit können 1851 besitzt. Sein Abdruck in der vorliegenden schon die Leser(innen) der Reclam-Ausgabe den Ausgabe zeigt auf faszinierende Weise, wie intensiv diskursiven Kontext diese wichtigen Frühschrift Winckelmann an der Verbindung von darstelleri­ Winckelmanns nachvollziehen. scher Eleganz mit historischer und terminologi­ Der nun vorliegende Teilband IX.1. der Ausga­ scher Präzision arbeitete. be von Winckelmanns Schriften und Nachlaß geht Das Petersburger Manuskript gibt — wie eine über das bei Reclam Gebotene freilich weit hinaus. ganze Reihe weiterer Vorstudien und Entwürfe Er versammelt und erschließt nicht nur die 1755 in dieser Ausgabe — interessante Einblicke in die gedruckten Gedanken, das Sendschreiben und die Entstehung und Disposition der Gedanken. Im Erläuterung, sondern auch sämtliche Fragmente, einleitenden Kommentar heißt es dazu: „Jenseits Entwürfe und Ergänzungen. Damit werden die der nachvollziehbaren Textgenese zeigt das St. Pe­ formativen Jahre Winckelmanns zwischen seiner tersburger Manuskript zugleich auch die ortho­ Zeit als Bibliothekar beim Reichsgrafen Heinrich graphischen Eigenheiten der Sprachauffassung von Bünau und dem Sprung nach Rom nachvoll­ W.s in dieser frühen Phase seines Schreibens.“ ziehbar. Hier sehen wir Winckelmanns „Eigenheiten der An den Anfang dieser staunenerregenden Bil­ Sprachauffassung“, die in den jeweiligen Drucken dungsgeschichte führen die ersten beiden Texte: von fremder Hand geglättet und nivelliert wurden Die (nur in Abschrift von fremder Hand über­ (S. XXXIV). Durch die nunmehr nachvollziehba­ lieferte) Beschreibung der vorzüglichsten Gemälde ren Streichungen und Ergänzungen in der ersten der Dreßdner Gallerie, die zwischen 1752 und und zweiten Auflage der Gedanken ist auch genauer 1754 entstand, zeigt Winckelmanns erste Ver­ zu beobachten, wie sich Winckelmann mit seiner suche, Kunstwerke vor dem Hintergrund der Schrift im ästhetischen und philosophischen Feld ästhetischen Debatten seiner Zeit zu erfassen und positioniert, wo er auf aktuelle Debatten reagiert zugleich Sammlungs- und Präsentationskontexte und wo er schließlich eigene Standpunkt zwischen darzustellen. Das Fragment Über Xenophon hin­ der Entstehung der ersten Skizzen und dem end­ gegen, das sich mit einem von Winckelmanns gültigen Druck radikal revidiert. ausgesprochenen Lieblingsautoren beschäftigt, In dieser Hinsicht sind die auf den Seiten lässt beobachten, wie er sich darin übt, gelehrte 161—198 abgedruckten (leider unkommentierten) Zusammenhänge essayistisch zusammenzufas­ Rezensionen der Gedanken von besonderem In­ sen.3 Beide Texte können exemplarisch für den teresse. Hier ist die unmittelbare, umfassende und Mehrwert dieser Ausgabe einstehen, die sowohl internationale Wirkung der kleinen Schrift und Winckelmanns Experimentieren mit unterschied­ ihrer Satellitentexte dokumentiert. Beim Lesen lichen Schreibarten wie seine Auseinandersetzung der Reaktionen so unterschiedlicher Autoren wie mit dem ästhetischen und philosophischen Wissen etwa Gottsched, Nicolai, Klopstock, Suard und der Zeit dokumentiert. Millar auf Winckelmanns Agenda entfaltet sich Darüber hinaus bringt der vorliegende Band eine intellektuelle Landkarte, die die kulturelle aber auch Unbekanntes, das weder in der großen, A-Synchronizität der europäischen Aufklärung unter der Ägide Goethes von Heinrich Meyer, und die Unterschiedlichkeit der auf das antike

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Griechenland gerichteten Hoffnungen auf faszi­ Anmerkungen nierende Weise deutlich macht.4 1 Norbert Miller, Helmut Pfotenhauer: Winckelmann, Zur philologischen Vollständigkeit des vor­ Mengs, Heinse. In: H. Pfotenhauer, N. Miller, liegenden Bandes — zu der auch der Abdruck der M. Bernauer (Hrsg.): Frühklassizismus. Position Vignetten, Illustrationen und des Buchschmucks und Opposition: Winckelmann, Mengs, Heinse der Originaldrucke zählt — kommt auf den Seiten Frankfurt a. M., Frankfurt a. M. 1995, S. 325—338, 201—416 der umfangreiche und bebilderte Sach- hier S. 326. kommentar hinzu. Er führt die Leser(innen) tief 2 Johann Joachim Winckelmann: Gedancken über in die Welt der ästhetischen Debatten der Auf­ die Nachahmung der Griechischen Wercke in der klärung und sorgt durch die Abbildungen der von Mahlerey und Bildhauer-Kunst / Sendschreiben / Erläuterung, hrsg. v. Max Kunze, Stuttgart 2013. Winckelmann erwähnten Kunstwerke zugleich 3 Vgl. Max Kunzes Einleitung, S. XI. für ein hohes Maß an Anschauung. Damit ist 4 Vgl. dazu auch den klassischen Aufsatz von Norbert diese Ausgabe der Dresdner Schriften Winckel- Miller: Europäischer Philhellenismus zwischen manns selbst eine Kunstgeschichte in nuce, eine, Winckelmann und Byron. In: Propyläen Geschichte in der sich die Vorlieben und Abneigungen eines der Literatur (6 Bde.), Bd. IV: Aufklärung und Ro­ ganzen Zeitalters bebildert und kommentiert mantik. 1750—1830, Berlin 1988, S. 315—366, bes. finden. S. 315—325. Den Herausgeber(inne)n ist mit diesem groß­ formatigen, verlegerisch ansprechend gestalteten Cord-Friedrich Berghahn Band ein schönes Geburtstagsgeschenk gelungen, Technische Universität Carolo-Wihelmina zu über das sich Winckelmanns, der sehr auf die Braunschweig buchkünstlerische Gestaltung seiner Texte achtete, Institut für Germanistik sicher gefreut hätte. Bienroder Weg 80 D—38106 Braunschweig

R obert V ellusig (Hrsg.) Gisbert Ter-Nedden: Der fremde Lessing. Eine Revision des dramatischen Werks, Wallstein Verlag, Göttingen 2016, 489 S.

Mit einem deutlichen Bekenntnis zur Streitlust unterhaltsam. Bedauerlich ist aber, dass durch hat der 2014 verstorbene Lessing-Forscher GlSBERT den Tod des Verfassers eine Fortsetzung dieses TER-NEDDEN seine Studie Der fremde Lessing ver­ Argumentationsaustauschs ausbleiben muss. Aller­ sehen, die der Grazer Germanist ROBERT VELLUSIG dings beansprucht Ter Nedden auch für sich, einen 2016 im Wallstein Verlag postum herausgegeben letztgültigen Kommentar abgeliefert zu haben, hat. Ein „Kommentar zu einem begnadeten Pole­ seine „Revision des dramatischen Werks“ Lessings miker“, so Ter-Nedden in seiner Einleitung, könne (so der Untertitel) soll mit einer seit mehr als zwei „nicht unpolemisch verfahren“ (S. 33). Man mag Jahrhunderten von Missverständnissen geprägten Ter-Neddens Buch damit auch als Dokument einer Lessing-Philologie gewissermaßen endgültig ab­ inzwischen eher im Verschwinden begriffenen rechnen. Seinem Vorhaben liegt die Auffassung Fachkultur lesen, die die wissenschaftliche Kontro­ zugrunde, Lessing, der Klassiker der Aufklärung, verse als Mittel des Erkenntnisgewinns genutzt hat. dessen dramatisches Werk zum unumstrittenen Ter-Neddens Verfahrensweise beruht darauf, Kanon der deutschen Literatur gehört, einen im­ vermeintliche Fehllektüren der Lessing-Forschung mensen Apparat germanistisch-literaturwissen­ zu entlarven und ihnen eine durch philologisches schaftlicher Forschung hervorgebracht hat und bis Quellenstudium fundierte Auslegung entgegen­ heute einen festen Platz in den Theaterspielplänen zuhalten. Dies macht das Buch anschaulich und einnimmt, sei bei aller Hochschätzung und Ver­ seine Lektüre auch fast durchgehend geradezu ehrung unverstanden und „fremd“ geblieben. Es

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 606—670 6 1 6 Besprechungen bestehe daher eine „unabgegoltene Bringschuld der Zitieren der Bergpredigt (Mt 5-7) in das Gebot professionellen Lessing-Philologie gegenüber ihrem der Vergebung verkehrt. Die antiken Verführungs­ Autor wie gegenüber seiner nicht-philologischen Erzählungen bildeten zudem für Lessing eine Al­ Leserschaft“ (S. 31). ternative zum zeitgenössischen Tugenddiskurs und Diesen Anspruch letztgültiger Klärung verbin­ seiner Überhöhung jungfräulicher Unberührtheit, det Ter-Nedden mit dem literaturtheoretischen wie sie etwa Richardsons „Pamela“ propagiere. Programm einer philologischen Hermeneutik, Genau dieses kombinatorische Verfahren, das im­ die in der Lage sein soll, eine in den Texten ent­ mer auch einen Bruch mit „Plotmustern“ (S. 245) haltene Autorintention objektiv zu erschließen. bedeute, kennzeichne die Innovativität der Dra­ Vermeintliche Widersprüche, Inkohärenzen oder matik Lessings. Mehrdeutigkeiten in den Texten seien demgegen­ Die Herausarbeitung dieses „dramatischen über ein Ausdruck interpretatorischer Schwächen, Zeigeverfahrens“ besteht demnach in der Decodie­ nicht zuletzt eine Ignoranz gegenüber Lessings rung der „Schlüsselzitate“, anhand derer die jeweils Quellen. Mit der jetzt erschienenen Studie, die zugrundeliegenden Prätexte zu erschließen sind. an die 1986 erschienene Habilitationsschrift des Im Fall von Miss Sara Sampson ist dies etwa Saras Verfassers über Lessings Trauerspiele sowie zahlrei­ merkwürdige, sich nicht handlungsimmanent che Aufsätze anschließt, legt Ter-Nedden nun eine erschließende Perhorreszierung eines drohenden solche Auslegung vor. Unwetters auf See gegenüber Mellefont, falls dieser Die Grundlage dazu bildet ein von Ter-Nedden von ihr verlange, unverheiratet mit ihr aus ihrem bereits früher eingeführtes Theorem des „Lessing­ Vaterland England nach Frankreich zu flüchten Codes“, eines spezifischen Textverfahrens Lessings, (I/7, 445). Anders als zahlreiche Kommentatoren, das aus der Anverwandlung literarischer Vorlagen die in Saras Rede eine Anspielung auf die biblische in einer besonderen „dramatischen Zeigetechnik“ Jona-Geschichte erkannt hatten, identifiziert Ter- bestehe (S. 32). Lessings Dramen, so Ter-Nedden, Nedden diese Stelle als Verweis auf die antiken stellten eine produktive Aneignung der antiken Li­ Medea-Erzählungen, für die das Motiv der gefähr­ teratur wie auch der zeitgenössischen europäischen lichen Schifffahrt zentral sei. Literatur dar, die sich jeweils über „Schlüsselzitate“ Die Codierung mittels Schlüsselzitaten kann rekonstruieren lasse. Dieses literarische Verfahren auch in einer direkten Aufrufung von Prätexten stehe im Dienst einer philosophisch-theologischen bestehen. Dies gilt etwa für das Lustspiel Minna Lehre: „Alle seine Stücke wollen als dramatisierte von Barnhelm, hier macht Ter-Nedden zwei neu­ Religionsphilosophie verstanden werden“ (S. 32). zeitliche Quellen geltend, die in der Figurenrede Wiederholt zitiert Ter-Nedden Lessings Diktum, direkt zitiert werden, Molieres Le Misanthrope und die „Bühne zur Kanzel“ machen zu wollen, leider Shakespeares Othello. Ter-Nedden rekonstruiert ganz ohne das ironische Augenzwinkern, mit dem jedoch über diese Verweise hinausgehende, bis in Lessing dieses Programm verkündet hatte. einzelne kleine Motive reichende Parallelen in den In erhellenden Einzelanalysen demonstriert Handlungskonstruktionen und deutet deren phi­ Ter-Nedden, wie Lessing vor allem antike Vor­ losophische Anverwandlung zu einem „Spiel vom lagen mit biblischen Texten oder der europäischen Soldatenglück als Theodizee“ (S. 303). Gerade neuzeitlichen Literatur überblendet und auf diese Shakespeares Othello wird in Ter-Neddens Analyse Weise eine Modernisierung dramatischer Plots zu einer wichtigen Folie für Lessings Dramen, zugunsten seiner religionsphilosophischen Gehalte entsprechende Referenzen erweist der Verfasser leistet. So zeigt er, wie im Fall von Miss Sara Samp­ auch für Emilia Galotti. son der antike Medea-Stoff Euripides’, Senecas Ter Neddens Deutungen beeindrucken durch und Ovids adaptiert und christlich transformiert diese detaillierte Herausarbeitung des intertex- wird. Lessing zitiere mit den beiden Frauenfiguren tuellen Verfahrens Lessings und die Erschließung Sara und Marwood den Medea-Mythos anhand des umfangreichen Bestandes vor allem antiker, Ovids Heroiden, in denen neben Medea noch aber auch neuzeitlicher Quellen, über den der eine weitere von Jason verlassene Geliebte, Medeas umfassend gebildete Aufklärer Lessing verfügte, Vorgängerin Hypsipyle eine Rolle spielt. Das mit den er aber Ter-Nedden zufolge auch bei seinen Medea verbundene Rachemotiv werde durch ein Leser(inne)n und möglicherweise auch bei seinem

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Theaterpublikum vorausgesetzt hat. Erst die philo­ ,Fremdheit‘ durch seine Stellung im Schatten der logische Dechiffrierung ermöglicht demnach das deutschen Klassik bestimmt. Erst die Generation Verständnis der Dramen. Wiederholt bezeichnet nach Lessing habe im Zuge der Empfindsamkeit er Lessings Dramen auch als „Lehrstücke“ und den Rationalismus überwunden, nicht zuletzt verortet sie damit in einer religionsdidaktischen durch den „Eintritt der Frauen in die Schriftkul­ Gattungstradition. tur“ und die Entstehung einer „alphabetisierten Dass diese philologische Position auf der Aus­ und literarisierten männlich-weiblichen Kommu­ blendung des Theatertheoretikers und -praktikers nikationsgemeinschaft“ (S. 21). Lessing beruht, der ja nicht zuletzt mit seiner Lessings literarische Sozialisation sei hingegen Affekttheorie in die Literaturgeschichte einge­ geradezu durch das Fehlen einer intellektuellen gangen ist, macht die Analyse des Trauerspiels Gemeinschaft mit Frauen, wie sie etwa Goethe Emilia Galotti deutlich. Emilias provozierendes mit seiner Schwester Cornelia geteilt habe, geprägt. Eingeständnis über ihre Verführbarkeit durch Dies mag biografisch stimmen, trifft jedoch sicher ihr „warmes Blut“ (V,7) — eine Schlüsselstelle, die nicht für die Frauenfiguren in Lessings Werk, deren offensichtlich keinen Zitatcharakter hat, sondern herausragende Stellung gerade Ter-Neddens Analy­ eine Erfindung des Autors Lessing ist — wird von sen verdeutlichen. Wenn Ter-Nedden Lessing als Ter-Nedden schlicht als unglaubwürdig und den „älteste[n] moderne[n] Intellektuelle[n]“ als „performativer Widerspruch“ abgetan: Die und „älteste[n] moderne[n] Dramatiker“ (S. 26) Rationalität, mit der Emilia ihre Sinnlichkeit bezeichnet, hebt er Lessings Bedeutung für den thematisiere, strafe die Behauptung selbst Lügen. literarischen Aufbruch der zweiten Hälfte des Den Ausgang des Dramas kann Ter-Nedden so­ 18. Jahrhunderts hervor. Mit der These des „frem­ mit nur noch als Abgleiten der Figuren in „Wahn den Lessing“ schreibt er jedoch das von ihm selbst und Verblendung“ (S. 320) interpretieren. Die kritisch referierte Lessing-Bild des „unpoetischen Bedeutung des Sinnlichen wird von Ter-Nedden Dichters“ (S. 23) fort. mithin auf der Ebene der Dramenhandlung Man muss Ter-Nedden darin nicht folgen und ebenso marginalisiert wie für die Dramenpoetik auch nicht jede seiner Deutungen teilen. Seine Lessings, das Funktionieren der dramatischen analytische Aufarbeitung von Lessings Verfahren, Illusion bleibt genauso unberücksichtigt wie die „Literatur aus Literatur“ (S. 31) zu machen, ist Mitleidskonzeption. jedoch äußerst aufschlussreich, gerade weil sie sich Immer wieder insistiert Ter-Nedden auf dem nicht im Nachweis von Quellen erschöpft, sondern Primat der Rationalität und dem damit einher­ zeigt, wie die intertextuellen Referenzen für eine gehenden Konstruktionscharakter der Dramen philosophische Reflexion genutzt werden. Damit Lessings. Diese Einschätzung Lessings verbindet leistet die Studie einen wichtigen Beitrag zum Ver­ er auch mit einer literarhistorischen Situierung: ständnis des dramatischen Werks Lessings, birgt Lessing repräsentiere den Typus des ,gelehrten darüber hinaus aber auch ein Potenzial für weitere Dichters‘, der für die deutschsprachige Literatur produktive Auseinandersetzungen. bis weit in das 18. Jahrhundert hinein kennzeich­ nend sei und mit dem die deutsche von und für Urte Helduser Männer verfasste Literatur sich von der stärker Universität zu Köln auf Emotionalität und Geselligkeit ausgerichteten Institut für Deutsche Sprache und Literatur I und von Männern und Frauen gleichermaßen Albertus Magnus Platz geprägten höfischen Kultur in der romanischen Li­ D—50923 Köln teraturtradition unterscheide. Zudem sei Lessings

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B ern h a rd E c h t e , M ich ael M ayer (Hrsg.) Jean Paul Taschenatlas, Nimbus Verlag, Wädenswil 2016, 488 S.

Anlässlich der Feierlichkeiten um den 250. Ge­ Aufklärung wie auch der Literatur angesteckt. burtstag Jean Pauls formierte sich vor einigen Einem Keim, der in den beschaulichen Verhältnis­ Jahren der Verein Jean Paul 2013 e. V., unter dessen sen dieser Vielleicht-Zweihundertseelengemeinde Koordination eine beachtliche Zahl von Jubi­ offenbar so gut gedieh, dass der Autor seinen Kol­ läumsveranstaltungen, -ausstellungen, -projekten legen im Rückblick empfahl: „,Lasse sich doch kein und -publikationen realisiert wurde. Als eine späte Dichter in einer Hauptstadt gebären und erziehen, Frucht dieser Initiative ist im Nimbus-Verlag nun sondern wo möglich in einem Dorfe, höchstens in der Jean Paul Taschenatlas erschienen. Hervorge­ einem Städtchen.““ (S. 249) gangen ist dieser aus der überregionalen Litfaßsäu­ Was folgte, war ein Dasein „auf dem Sprung“ lenausstellung Jean Pauls Orte, der „dezentrale [n] (S. 5) — zunächst als Gymnasiast bei den Groß­ Grundidee“1 des Jubiläumsjahres. eltern in Hof, dann als Theologiestudent in Und doch handelt es sich bei dem 488 Seiten Leipzig. Der Geldmangel zwang ihn zur Flucht starken Band keineswegs um einen Ausstellungs­ vor den Gläubigern nach Schwarzenbach, wo er katalog im Sinne einer Zweitverwertung von sich als Hauslehrer verdingen musste, bis ihn der Texten, die ehemals in den städtischen Raum ge­ literarische Erfolg und die damit einhergehende schrieben standen und nun lediglich in Buchform Unabhängigkeit nach Weimar, in das geistige vorlägen. Vielmehr ist den Herausgebern BERN­ Zentrum seiner Zeit trieben. Die Liebe zu Karoline HARD Echte und M ichael Mayer hier ein be­ Meyer sowie zur pulsierenden Literaturszene rund merkenswertes ,Doppelwerk‘ geglückt: Einerseits um die preußische ,Bürgerkönigin‘ Luise zog ihn zeichnen die darin versammelten Autoren (allesamt weiter in das ferne Berlin. Kaum hielt es ihn lange ortskundige Jean-Paul-Kenner) die Konturen jenes an einem Ort: „,Er reiset immer, er packt im Leben wechselhaften ,Reiselebens‘ nach, indem sie dessen nie aus.‘“ (S. 5) Auch nicht bei seinem stufenwei­ Stationen lokalisieren und so den Spuren nachspü­ sen Rückzug in das oberfränkische Idyll (1801: ren, die der Dichter an insgesamt 30 Wohnorten, Meiningen, 1803: Coburg, 1804: Bayreuth). Erst Wirkungsstätten und Besuchszielen hinterlassen der Tod seines Sohnes Max (1821) und die fort­ hat. Das Ergebnis ist eine vollwertige Biographie schreitende Erblindung setzen seinem Reisedrang — weder vom Werk noch der Person, sondern vom ein allmähliches Ende und lassen Ruhe einkehren Raum her gedacht. Zugleich animiert das Format in diese Dichterbiographie, die so seltsam geprägt seine Leser, sich auf eben jene Spuren nicht nur scheint von Ruhelosigkeit, Reiselust und jenem geistig, sondern auch körperlich zu begeben. Der „närrischen Bunde zwischen Fernsuchen und Kompass wird so zum Wegweiser, die literaturge­ Nahesuchen“3. schichtliche Qualität des Buches ergänzt um ein Dass es sich lohnen kann, einen derartigen literaturtouristisches Potenzial. Lebenslauf mit einem etwas unkonventionellen Verortungen eines literarischen Lebens. „[...] nur Format einzufangen, stellen Echte und Mayer mit Reisen ist Leben, wie umgekehrt das Leben Reisen ihrem Atlas eindrucksvoll unter Beweis: „Atlanten ist [ . ] Wie glänzet man, wie dichtet, wie erfindet kannte man bisher hauptsächlich als geographische und philosophiert man, wenn man dahinläuft, so oder historische Nachschlagewerke, während wie Montaigne, Rousseau und die Meernessel nur Schriftstellern gewöhnlich Handbücher gewid­ leuchten, wenn sie sich bewegen!“2 Der Urheber met werden.“ (S. 5) Indem er Lebenswirklichkeit dieser Zeilen hatte ein durchaus bewegtes Leben. und Werk des Dichters — zwei Dimensionen, die Schon früh träumte der im fränkischen Wunsiedel im Falle Jean Pauls ohnehin außerordentlich eng geborene Johann Paul Friedrich Richter — der spä­ miteinander verflochten sind4 — auf derselben ter unter dem aus Bewunderung für Jean-Jacques Karte verortet, bietet der Atlas seinen Lesern eine Rousseau gewählten Pseudonym berühmt werden biographische Erzählung von alternativer Struktur. sollte — sich lesend hinaus in die Welt. In Joditz, Nicht Chronologie, sondern Topologie gliedert das unter dem Dach des väterlich-protestantischen Narrativ, nicht die lückenlose Abfolge von Daten, Pfarrhauses wurde Jean Paul mit dem Keim der sondern der schlaglichtartige (das Gesamtbild

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 606—670 Zeitschrift für Germanistik XXVII - 3/2017 619 stets fragmentierende) Zoom hinein in regionale seine Neugierde vor Ort befriedigen lässt, sondern Momentaufnahmen, die sich aus pointiert ge­ auch Wege in virtuelle Wissensräume - wie eine schriebenen Texten, Ereignislisten, Verweisen auf Jean Paul-App - gewiesen. vertiefende Literatur sowie reichlich historischem Dabei gelingt den Autoren durchweg der Bild- und Kartenmaterial zusammensetzen lassen. Spagat zwischen wissenschaftlichem Gehalt und So erfahren wir etwa von Jean Pauls früher und anekdotischer Leichtigkeit. Ob nun als Abend­ anhaltender Liebe zu Bayreuth, seinem zugleich lektüre für den heimischen Ohrensessel oder als letzten Lebensmittelpunkt, dem er in Werken wie Weggefährte auf dem nächsten Städtetrip - der dem Siebenkäs oder Dr. Katzenbergers Badereise Jean Paul-Taschenatlas ist in beiden Fällen eine über Jahrzehnte hinweg immer wieder Tribut zoll­ Empfehlung wert. te. Von seinem Verhältnis zu Berlin lernen wir hin­ gegen, dass es darum trotz Anfangsbegeisterung Anmerkungen alsbald eher ambivalent („,Hier bleib’ ich nicht! ‘“, 1 , zuletzt: 1.3.2017. „,das Schlimmste gelitten, und das Beste geschrie­ 2 Jean Paul: Das Kampaner Tal oder über die Un­ ben““ (S. 187) habe, können indes repräsentativ für sterblichkeit der Seele, nebst einer Erklärung der die teils extremen Gegensätze stehen, die Erlebtes Holzschnitte unter den 10 Geboten des Katechismus. wie Erdichtetes hier gleichermaßen durchziehen. In: N. Miller (Hrsg.): Jean Paul. Sämtliche Werke, Erwähnung findet natürlich auch der vielleicht Bd. I.4, München 1962, S. 561-716, hier S. 585. am Innigsten mit unserer Jean-Paul-Rezeption 3 Jean Paul: Selberlebensbeschreibung. In: N. Miller verbundene Ort: die berühmte Rollenwenzelei, (Hrsg.): Jean Paul. Sämtliche Werke, Bd. I.6, Mün­ jene idyllisch gelegene Gastwirtschaft, in die sich chen 1963, S. 1037-1103, hier S. 1081. der alternde Dichter zum Schreiben (und vor 4 Entsprechend stellt der Atlas allerhand Bezüge zwischen fiktionalen Handlungsorten und deren Konflikten mit der Ehefrau) zurückzog und dort biographisch-geographischen Vorlagen her und sein vielgelobtes fränkisches Bier genoss. begreift den ,Lebensraum“ des Dichters stets auch Anleitung, ein wenig wie Jean Paul zu sein. Über als das Kontinuum seines literarischen Schaffens. das Kolorit der historischen Karten legen sich stets aktuelle Ortspläne, mittels derer der Taschenatlas Sebastian Böck seinen Gebrauchswert als „literarischer Reisebe­ Georg-August-Universität Göttingen gleiter“ (S. 6) gewinnt. So sind für jedes Kapitel DFG-Graduiertenkolleg 1787 die wichtigsten Jean Paul-Adressen von Heute Literatur und Literaturvermittlung im Zeitalter der wie Damals verzeichnet. Dem Literaturreisenden Digitalisierung werden nicht nur Informationen zu Gaststätten, Heinrich-Düker-Weg 12 Museen, Hotels, Sehenswürdigkeiten oder Buch­ D-37073 Göttingen handlungen an die Hand gegeben, mit denen sich

D irk G ö t t sc h e , F lo rian K robb, R olf Parr (Hrsg.) Raabe-Handbuch. Leben — Werk — Wirkung, J. B. Metzler Verlag, Stuttgart2016, 385 + VIIIS.

Mit Raabe nimmt ein Schwerpunkt zum deutsch­ und Perspektivenerweiterung der Realismus­ sprachigen Realismus in der Reihe der Metzler­ Forschung begrüßen. Handbücher Konturen an: Das Gottfried-Keller- Im Zentrum des Raabe-Handbuchs stehen Handbuch ist bereits erschienen, Storm und Stifter naturgemäß die Besprechungen der einzelnen werden in diesem Jahr folgen. Schon jetzt zeichnet „Werke und Werkgruppen“ (II), der Romane und sich die große konzeptuelle Verschiedenheit dieser Erzählungen, der schmalen Lyrik, aber auch des Nachschlagewerke ab - statt dies aber kritisch zu zeichnerischen Werks (bedauerlicherweise ohne sehen, darf man es wohl eher als eine Bereicherung alle Abbildungen). Trotz der großen Zahl von

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Raabes literarischen Texten fallen die Artikel Raabe zusammengesehen werden, dessen „Werk recht ausführlich aus, was dem Informationsgrad sich so gründlich und kritisch wie kein anderes des hinsichtlich Werkentstehung, Stoffgeschichte, deutschen Realismus mit diesem Hauptthema des Forschungsperspektiven und Analyse sehr zugute­ späteren 19. Jahrhunderts beschäftigt“ (S. 293); kommt (die Beiträge zu den Hauptwerken umfas­ damit wird zugleich ein neuerer Akzent der jün­ sen im Schnitt immerhin zwischen fünf und acht geren Literaturwissenschaft produktiv vorgeführt. zweispaltige Seiten, selbst Nebenwerke werden sel­ Besonders einlässlich fallen die Stichworte ten mit weniger als drei Seiten bedacht). Gerahmt ,Geschichte‘ und ,Realismus‘ aus. Die Artikel über werden die Werkartikel auf der einen Seite durch „Raabes Geschichtsbild“ (HUGO AUST), „Zeitge­ einen „Grundlagen“-Teil (I), der Beiträge zu Leben schichte“ und „Modernisierung und Industriali­ und Werk (A), zur Poetologie Raabes (B) sowie sierung“ (beide JULIA BerTSCHIK) bieten nicht nur seiner Rezeption und Wirkung (C) enthält, auf einen historischen und diskursiven Rahmen für das der anderen durch einen Block „Kontexte, Themen Werk Raabes, sondern tragen auch der durchaus und Diskurse“ (III), der Raabes Verhältnis zur Ge­ realismustypischen Tatsache Rechnung, dass ein schichte rekonstruiert (A), „kulturgeschichtliche guter Teil seiner Texte sich in irgendeiner Weise Bezüge“ (B) namhaft macht (Judentum, Scho­ mit Geschichte, den ,modernen‘ Umbrüchen ihrer penhauer, Wissenschaftsgeschichte, Religion) und Wahrnehmung bzw. aktuellen, aber als historisch schließlich „literaturgeschichtliche Bezüge“ (C) in wahrgenommenen Entwicklungen befasst und chronologischer Folge rekonstruiert. diese narrativ reflektiert. Die Beiträge, von denen hier aus Platzgrün­ Intensiv fällt auch die Verortung Raabes im den nur einige wenige erwähnt werden können, literarischen Realismus aus, die sich angesichts stammen von Raabe-Forschern verschiedener Ge­ der spärlichen poetologischen Äußerungen des nerationen, bewegen sich überwiegend auf einem Autors auf die .„gedichtete Dichtungstheorie‘“ erfreulich hohen Niveau und bieten gelegentlich (S. 18) in seinen Werken sowie auf sein Verhältnis nicht nur Resümees des Forschungsstands, sondern zu den Autoren zwischen Romantik und Früher darüber hinaus innovative Forschungsleistungen. Moderne stützen muss. Die einschlägigen Artikel Die Rahmung fällt in puncto Diversifikation zu Romantik (NlCHOLAS Saul), Vormärz (LOTHAR der Themen eher zurückhaltend aus. Zu den im L. Schneider), Realismus (Dirk Göttsche) Vorwort genannten „wiederkehrenden Problem­ und Moderne (MARIANNE WÜNSCH) zeigen stellungen“ (S. VII) gibt es — anders etwa als in Raabe als intensiven Beobachter und Leser der den sehr viel deutlicher poetologisch und kultur­ Literatur seiner Epoche, der seine eigene Position wissenschaftlich ausgerichteten Handbüchern zu in der Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Georg Büchner und E.T.A. Hoffmann — nur we­ literarischen Strömungen entwickelte. Das gilt nige Querschnitte. Hier wäre noch mehr denkbar schon für die Romantik, deren bei Raabe doch gewesen. erstaunlich intensive „Anverwandlungen [...] Wie fruchtbar solche Querschnitte sind, zeigen immer im Dienst eines komplexen und skeptischen die Artikel im III. Teil, etwa die zu Schopenhauer Realismusbegriffs“ (S. 349) stehen. Ähnlich verhält (S0REN R. FAUTH), Wissenschaftsgeschichte (PHI­ es sich mit den Mit-Realisten, zu denen Raabe LIP AjOURl) oder Religion (HEINRICH DETERING), mehr (Grenzboten-Realismus) oder weniger Dis­ der die lebenslangen „narrativen Experimente“ tanz hielt, um sein eigenes Konzept einer eigenen (S. 315) des tendenziell agnostischen Raabe mit experimentierfreudigen, hochgradig reflektierten der christlichen und metaphysischen Tradition und zunehmend selbstreferentiellen realistischen resümiert. Besonders verdienstvoll scheinen Literatur zu entwickeln, die aber, so die Position mir zwei Schwerpunktsetzungen: Der Artikel des Bandes, noch vor der Schwelle der Frühen zum Judentum (FLORIAN KROBB), der die lange Moderne angesiedelt sei. zurückreichende Debatte um Raabes (von ihm Nur teilweise überzeugend scheint mir die selbst geleugneten) Antisemitismus differenziert strukturelle Entscheidung, „Raabes Realismus­ aufrollt und weiterführt, und der zu „Raabe in verständnis“ (Dirk Göttsche) im I. Kapitel zu postkolonialer Sicht“ (DIRK GöTTSCHE), in dem behandeln, die Bezüge zum realistischen Umfeld die zahlreichen Reflexe der Kolonialgeschichte bei seiner Zeit aber (gleichfalls GÖTTSCHE) im III. Ka­

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 606—670 Zeitschrift für Germanistik XXVII - 3/2017 621 pitel. Ähnliches gilt auch, wenn der Artikel zu renden, dabei aber gut lesbaren Band handelt, der „Raabe in internationalen Bezügen“ (CHRISTOPH in Zukunft für die Beschäftigung mit Raabe eine Zeller), also zu Raabes intertextuellen Bezie­ unverzichtbare Grundlage abgeben wird. hungen zur Weltliteratur, am Anfang steht, die „Literaturgeschichtlichen Bezüge“ jedoch, wie Christian Begemann erwähnt, am Schluss. Ludwig-Maximilians-Universität München Das sind jedoch periphere Einwände. Fazit Institut für Deutsche Philologie ist, dass es sich beim Raabe-Handbuch um einen Schellingstraße 3 RG sehr substantiellen, perspektivenreichen und in D—80799 München einigen Punkten über das Bekannte hinausfüh­

T h o rsten C a r sten sen , M arcel S ch m id (Hrsg.) Die Literatur der Lebensreform. Kulturkritik und Aufbruchstimmung um 1900, transcript Verlag, Bielefeld 2016, 3 4 6 S.

Die zu Beginn des 20. Jahrhunderts Boheme Als eine solche erscheint die Lebensreform und Bürgertum bewegende weltanschauliche oft, wenn man ihre völkischen Tendenzen in den Mischung aus Kapitalismuskritik, Vegetarismus, Blick nimmt. Felix Saure tut dies in seiner Unter­ Anarchie, Nacktturnen und Ökologie ist, der suchung der vom Protagonisten der sog. Volkserzie­ üblichen Bezeichnung als ,die Lebensreform‘ zum hung Wilhelm Schwaner gegründeten, nach seiner Trotz, kaum auf einen Nenner zu bringen. Es hessischen Heimatregion benannten Zeitschrift erscheint also angemessen, sich diesem Phänomen Upland. Zu deren ideologischer Ausrichtung trug im berüchtigten wissenschaftlichen Publikations­ anfangs maßgeblich der Autor Philipp Stauff bei. format des Sammelbandes zu nähern. Schließlich Aufschlussreich ist, dass Saure nicht allein Inhalt ist das noch immer gewichtigste Werk zu diesem und Gestaltung der Zeitschrift analysiert, sondern Thema, ein Ausstellungskatalog, ebenfalls eine auch die in den Heften enthaltene Werbung. Hier Sammelveröffentlichung.1 Auch im vorliegenden zeigt sich die Paradoxie der Heimattümelei: Eine Band, herausgegeben von THORSTEN CaRSTENSEN von Industrie und städtischen Massen geprägte und Marcel Schmid, wird die Lebensreform Moderne wird zwar vorderhand abgelehnt, moder­ vorrangig als Komplex aus diversen, oft in sich ne Kommunikationsmittel wie das Telefon werden widersprüchlichen Reformbewegungen sichtbar, aber gerne kommerziell genutzt. der sich einer klaren Zuordnung im politischen Die völkische Komponente der mit dem Bund Spektrum entzieht und sowohl fortschrittliche wie für Heimatschutz beginnenden ökologischen Be­ rückschrittliche Denkweisen umfasst. wegung, die sich in Heimatkunst und -literatur Dass die verschiedenen Bewegungen dennoch manifestierte, betont auch THORSTEN CarsTEN­ zentrale Gemeinsamkeiten aufweisen, zeigt der SEN. Am Beispiel des Kunstwart arbeitet er die Beitrag von THOMAS RoHKRÄMER, der gut als Bedeutung der Zeitschriften für die Lebensreform Einführung in das Thema zu lesen ist. In seinem als Medium der Zivilisationskritik heraus. Er zeigt, gelungenen historischen Abriss legt er dar, dass die wie vor allem beim Bürgertum mit einer volkspä­ Reformversuche in fast allen Bereichen des Lebens dagogisch gedachten Ästhetisierung der Alltags­ geprägt waren von einem gemeinschaftlichen kultur eine antirationale Haltung einherging, die optimistischen Streben nach Aufbruch in geistig­ pathetisch das Gefühl dem Verstand vorzog. kultureller Hinsicht. Leitend waren der Wunsch Der lebensreformerische Diskurs fand zu gro­ nach körperlicher Gesundheit und der damals neue ßen Teilen in Zeitschriften und nichtfiktionalen Gedanke des Naturschutzes. Damit widerspricht Texten wie z. B. Ratgebern statt. Autoren wie der Rohkrämer einer Interpretation der Lebensreform Kunstkritiker Heinrich Pudor, dessen Sprache KAI als primär kulturpessimistische Gegenkultur. BUCHHOLZ in diesem Band betrachtet, oder der

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 606—670 6 2 2 Besprechungen vielgelesene Publizist Reinhold Gerling, dessen Landerziehungsheime nach. Der konservative und Gymnastikratgeber CHRISTIANE BarZ beschreibt, kulturkritische Speyer idealisierte das Landschul- tauchen in Literaturgeschichten nicht auf. leben, das realiter intolerante und antisemitische Dem literarhistorischen Kanon und seinen Tendenzen aufwies. Dennoch schlug er keinen Epochen setzt BJÖRN SPIEKERMANN den Begriff völkischen Ton an, sondern vertrat in seinen Texten einer „literarischen Lebensreform“ entgegen, den eine deutlich optimistische, demokratische, Tradi­ er anhand von Programmschriften der 1880er und tion und Moderne verbindende Position. 1890er Jahre erläutert, die üblicherweise dem Natu­ Die Jugend war nicht allein das Objekt neuer ralismus zugeordnet sind. Das bereits dort geforderte Erziehungsmodelle und Thema in der Literatur, sie individualistische Ineinandergreifen von Kunst und war auch ein wesentlicher Akteur der Lebensreform. Leben sei nicht in erster Linie politisch gedacht. In Dem eklektischen Umgang der Jugendbewegung seinem Aufsatz, der offensichtlich auf seiner Dis­ mit Literatur widmet sich JOHANNES THUNs sertation von 2007 beruht, zeichnet Spiekermann die Aufsatz, dem allein ein schlüssiges Fazit fehlt, am literarische Lebensreform als generell optimistische Beispiel der begeisterten Aufnahme von Stefan Bewegung, die zwar keine formalen, jedoch durch­ Georges Lyrik im humanistisch orientierten Bund aus inhaltliche Neuerungen in der Literatur bewirkte, Südlegion und im deutsch-jüdischen Bund Die indem sie besonders die Sexualität thematisierte. Werkleute. Hierbei zeigt sich, dass eine Projektion Die Literatur der Lebensreform ist somit über eigenen gemeinschaftlichen Erlebens in die Texte ihre Funktion zu bestimmen, die u. a. darin be­ deren Rezeption leitete. steht, das Schreiben über vormals tabuisierte Literatur fungierte als Spiegel und sogar als Mit­ Themen zu ermöglichen. So skizziert SVEN HALSE tel zur Veränderung des individuellen Lebens auch in seinem soliden Beitrag die Charakteristika in der Naturheilbewegung. EKKEHARD W. Ha­ des lebensreformerischen Körperdiskurses in der RING legt in seinem Beitrag über das Sanatorium Lyrik der Jahrhundertwende. Nietzsches Primat Jungborn dar, wie das alltägliche Schreiben von des Leibes, Gedanken des Vitalismus, der monis­ Tagebüchern, Ansichtskarten oder Gelegenheits­ tischen Einheitsidee und Darwins Evolutionsthe­ lyrik Teil des lebensreformerischen Konzepts der orie beeinflussen die Darstellung des Körpers im Selbstreform war. Kreislauf von Leben und Tod sowie der befreiten, Gerade die Idee, dass eine Reform des eigenen zumeist weiblichen Sexualität im Naturkontext. Selbst grundlegend möglich und darüber hinaus Wie Halse an aussagekräftigen Beispielen zeigt, gesellschaftlich wirksam sein könne, rief kritische schrieben nicht nur Autoren wie Richard Dehmel Stimmen hervor. Der an sich naheliegende Ver­ oder Gottfried Benn in dieser Weise, sondern such, auch diese im Band zu Wort kommen zu auch Autorinnen wie Else Lasker-Schüler, Hedwig lassen, gelingt allerding s nicht ganz. Sowohl PAUL Dransfeld oder Marie-Madeleine. NoRTHs philosophische Auseinandersetzung mit Die Rolle von Schriftstellerinnen in der Le­ Sloterdijk, Nietzsche und Kafka als auch ROBERT bensreform ist bislang wenig untersucht und gerät Walter-Jochüms und Kirk Wetters’ Darstel­ auch in diesem Band nur am Rande in den Blick. lung von Doderers genereller Reformskepsis sind So wird der Einfluss der Reformpädagogin Ellen argumentativ nur lose mit der historischen Lebens­ Key auf Rainer Maria Rilke in ERICH UNGLAUBs reformbewegung verbunden. PETER SPRENGELs eingehender Analyse von Rilkes Lyrik sichtbar. Per­ Beitrag über Gerhart Hauptmanns wechselhaftes sönliche Bekanntschaft sowie die Lektüre von Keys Verhältnis zu lebensreformerischen Prinzipien, Schriften, besonders über die Dichterin Elisabeth wie z. B. Abstinenz, ist wenig überraschend, aber Barrett-Browning, prägten Rilkes Konzeption von unterhaltsam zu lesen. gleichberechtigter Liebe und Ehe. Bei der Lektüre des Bandes ergeben sich durchaus Neue Lebens- und Lernkonzepte bildeten den Anregungen zu weiterer Forschung im Feld der Hintergrund für Wilhelm Speyers in den 1920er literarischen Lebensreform, etwa zum Antirationa­ Jahren erfolgreiche Großstadtromane und Jugend­ lismus oder zum Verhältnis von Gemeinschaft und bücher. In ihrer interessanten inhaltlichen und Masse. Der Band wirkt jedoch in seiner Gesamt­ formalen Betrachtung dieser Texte weist SOPHIA gestaltung übereilt. Laut Einleitung und Inhalts­ EberT deren Bezug zur Reformpädagogik der verzeichnis ist er in die Großkapitel „Kontexte“,

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 606-670 Zeitschrift für Germanistik XXVII - 3/2017 623

„Orte“ und „Autoren“ eingeteilt, doch fällt auf, Anmerkung dass diese Einteilung im Buch selbst dann nicht, 1 Kai Buchholz, Rita Latocha, Hilke Peckmann, Klaus z. B. durch Zwischenüberschriften, umgesetzt ist. Wolbert (Hrsg.): Die Lebensreform. Entwürfe zur Auch widersprechen sich Einleitung und Inhalts­ Neugestaltung von Leben und Kunst um 1900, verzeichnis hinsichtlich der Zuordnung einzelner 2 Bde., Darmstadt 2001. Beiträge zu den genannten Rubriken. Der Ein­ leitung hätte nicht nur im Hinblick darauf eine Safia Azzouni abschließende Überarbeitung gutgetan, wie auch Danckelmannstr. 18 dem gesamten Buch ein gründliches Lektorat zu D—14059 Berlin wünschen gewesen wäre.

M athias Mayer, Julian W erlitz (Hrsg.) Hofmannsthal-Handbuch. Leben — Werk — Wirkung, J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2016, 4 2 6 S.

In einem Brief an Julius Meier-Graefe vom Einführungen und Hilfsmittel, die nicht nur einen 24.6.1918 formulierte Hugo von Hofmannsthal Überblick zu Biographie, den vielfältigen und (1874—1929) eine Einschätzung seines Lebens und mitunter schwer zu kategorisierenden Werkgrup­ Werks, deren Richtigkeit auch beinahe 100 Jahre pen und den wichtigsten Forschungsergebnissen später bestehenbleibt: Er habe den Eindruck, liefern, sondern auch mit Hofmannsthal Unver­ „dass meine Person nicht leicht zu kennen ist und trauten einen schnellen Einblick gewähren, sind dass auch mein Oeuvre [...] ganz ungewöhnlich rar. Bisher hat einzig Mathias Meyers Monographie unübersichtlich ist“.1 Damit soll keineswegs Hugo von Hofmannsthal (1993) aus der Sammlung behauptet werden, dass es sich bei „Person“ und Metzler diese Aufgaben in zuverlässiger Weise er­ „Oeuvre“ Hofmannsthals um heutzutage schlecht füllt und darüber hinaus auch den Blick auf unbe­ erschlossene und erforschte Gegenstände handelt; kanntere Texte des Autors gelenkt. Es dürfte seit ih­ das Gegenteil ist der Fall: Publikationen aus dem rem Erscheinen wohl kaum eine Veröffentlichung Nachlass setzen bereits unmittelbar nach Hof­ oder ein Seminar zu Hofmannsthal gegeben haben, mannsthals Tod ein, Deutungen wurden sogar ohne dass in der ein oder anderen Phase auf sie schon zu Lebzeiten vom Autor selbst befördert zurückgegriffen wurde. Gemeinsam mit seinem und unterstützt, wovon insbesondere das Dossier Mitarbeiter JULIAN WERLITZ hat MATHIAS MEYER Ad me ipsum Zeugnis ablegt. Seither wurden, meist nun auch das vorliegende Hofmannsthal-Handbuch im S. Fischer Verlag, zahlreiche Briefwechsel mit herausgegeben und damit kurz vor Abschluss der Schriftstellerkollegen und Freunden veröffentlicht; SW erstmals eine große Bilanz unter Hinzuzie­ außerdem erschienen mehrere Werkausgaben, die hung vieler maßgeblicher Hofmannsthal- und aufwendig edierten und kommentierten Sämt­ Moderne-Spezialisten vorgelegt. Das Handbuch lichen Werke (SW) liegen nach über 40 Jahren übertrifft an Umfang und Anspruch die frühere und einigen Krisen beinahe vollständig, in 40 Einführung und wird von nun an zweifellos den von geplanten 42 Bänden vor. Die Vielzahl und Einstieg für jede eingehendere Beschäftigung mit Vielfältigkeit der Forschungsbeiträge zu Hof­ Hofmannsthals Biographie und Werk bieten. mannsthal verdeutlichen exemplarisch schließlich Dem Untertitel nicht nur dieses Metzler-Hand­ die „Hofmannsthal-Bibliographien“, von denen buches — Leben — Werk — Wirkung — entsprechend, die Übersicht der letzten 30 Jahre auch online lassen sich die sieben Abschnitte des Hofmannsthal­ zugänglich ist, sowie das seit 1993 erscheinende Handbuchs in drei Teile gliedern: Die ersten drei Hofmannsthal-Jahrbuch. Abschnitte (S. 1—128) enthalten biographische und „[U]ngewöhnlich unübersichtlich“ sind Le­ kulturgeschichtliche Artikel, stellen Briefkorres­ ben und Werk trotz dieser regen Editions- und pondenzen vor und verhandeln unter dem Titel Forschungstätigkeit gleichwohl geblieben, denn „Felder Horizonte Kreise“ (S. 95—128) Hofmanns-

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 606—670 6 2 4 Besprechungen thals Verhältnis zu unterschiedlichen Nationen, „Neun exemplarische[n] Begegnungen“ (S. 43—69) ihren Sprachen und Literaturen, aber etwa auch werden dann die wichtigsten Freundschaften und zentralen Einflussgrößen und Reflexionsfiguren Briefwechsel vorgestellt. Jeweils eigene Artikel cha­ wie Antike und Orient, Moliere, Goethe und rakterisieren etwa Hofmannsthals Kooperationen Shakespeare. Diesem Abschnitt folgt der Haupt­ und Differenzen mit Stefan George, Harry Graf teil, die Vorstellung des Werkes in Einzelartikeln, Kessler oder Richard Strauss, das Kapitel „Jugend­ untergliedert nach Gattungen. Obwohl nicht alle freunde“ (Ulrike Tänzer, S. 43—46) beschreibt Artikel einzelnen Werken gelten, sondern mitunter u. a. den lebenslangen Austausch mit Leopold auch Textgruppen überblickshaft zusammenge­ von Andrian oder Edgar Karg von Bebenburg. Es führt werden, umfasst dieser Teil 104 durchnum­ gehört zu den großen Vorzügen des Handbuchs, merierte Beiträge (S. 130—384). Lediglich vier dass sich die Artikel nicht nur in diesem ersten Beiträge konstituieren das abschließende Kapitel Teil wechselseitig ergänzen und den Überblick „Wirkungen“ (S. 386-406). Dangel-Pelloquins im Detail vertiefen; auf eine Annäherungen an Hofmannsthals Biographie Zeittafel, die viele Metzler-Handbücher im An­ sind und waren von jeher von einer spürbaren hang enthalten ist und einen schnellen Überblick Verlegenheit geprägt, die zum einen von Hof­ zu Lebens- und Publikationsdaten ermöglicht mannsthals eigenen Reserven gegenüber dem hätte, wurde dagegen leider verzichtet. „läppischen Biographismus“ herrührt,2 zum an­ Übergänge vom Leben zum Werk eröffnen die deren und vor allem aber auf den oft beklagten Beiträge im Abschnitt „Kontexte der Kreativität“, Umstand zurückzuführen ist, dass es bis heute die etwa Hofmannsthal als Herausgeber oder Brief­ keine ,große‘ Hofmannsthal-Biographie gibt, die schreiber vorstellen oder seine Rolle als Gründer aus der einschüchternden Zahl an veröffentlichten der Salzburger Festspiele und seinen Umgang mit und unveröffentlichten Briefwechseln, Aufzeich­ den Medien charakterisieren. Gleiches gilt für die nungen und Selbstäußerungen ein konturiertes „Felder Horizonte Kreise“: Skizzenhafte Über­ und revidierbares Bild formt. So wie die jüngeren blicke zeigen, wie bewandert Hofmannsthal in den Publikationen zu Hofmannsthals Leben jeweils europäischen Literaturen war und welch enormen schon im Titel deutlich machen,3 dass diese ,große‘ Einfluss einzelne Dichter — etwa Swinburne für Biographie in ihnen (noch) nicht geliefert werden England oder Calderón für Spanien —, aber auch soll und einmal mehr lesenswerten Ausschnitten die Nationalbilder in unterschiedlichen Phasen auf und Skizzen der Vorzug gegeben werden muss, so sein Schreiben ausübten. tragen auch die Artikel des Handbuches dieser Der umfangreichste Teil des Handbuchs widmet schwierigen Forschungslage Rechnung: Den kul­ sich, wie bereits erwähnt, dem Werk, gegliedert in turgeschichtlichen Kontext von Hofmannsthals jene Untergruppen, die sich bereits in den unter­ Leben und Schreiben eröffnet der Abschnitt schiedlichen Werkausgaben bewährt haben und für „Wien vor, um und nach 1900. Schnittpunkte Hofmannsthal charakteristische Gattungshybri­ eines europäischen Weltuntergangs“ (S. 1-30), der de wie „lyrische Dramen“ oder „Erfundene Ge­ Artikel etwa zur Moderne, Philosophie, Ästhetik, spräche und Briefe“ enthalten. Jede größere und Musik, aber auch schon einen ersten Überblick kleinere Werkgruppe erhält eine überblickshafte zur „Familie Hofmannsthal“ (Karlheinz Ross­ Einführung mit Literaturhinweisen, worauf die BACHER, S. 13-16) enthält. Es folgen „Längs- und Artikel zu einzelnen Werken folgen, größere Text­ Querschnitte einer Biographie“ (S. 32-94), wie­ gruppen wurden nur bei den Prosaschriften ge­ derum eine Überschrift, die sich von vornherein bildet. von ,der‘ Biographie Hofmannsthals distanziert. Besonders kleinteilig wird die Lyrik (S. 130— Gleichwohl ist der für jedes Autoren-Handbuch 167) behandelt. Einem konzisen Überblick von unverzichtbare biographische Überblicksartikel Jörg Schuster (S. 130-132) folgen 15 Artikel, enthalten: Unter der Überschrift „Phasen eines Le­ die mit wenigen Ausnahmen einzelnen Gedichten benslaufs“ fasst Elsbeth Dangel-Pelloquin im gewidmet sind. Hier treten die Schwierigkeiten längsten Beitrag des Handbuchs Hofmannsthals zutage, die sich zwangsläufig ergeben, wenn Lebensstationen, Korrespondenzen und Publika­ zwischen dem Gebrauchscharakter eines Hand­ tionskontexte prägnant zusammen (S. 32-42). In buchs, der sich im Referat von bereits entwickel­

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 606—670 Zeitschrift für Germanistik XXVII - 3/2017 625 ten Deutungsparadigmen bewährt, und einer ren etwa geradezu mustergültig die Artikel zu Der exemplarischen Analyse, wie sie etwa in Reclams Schwierige und Der Rosenkavalier von SIGRID Nie- „Interpretationen“-Reihe enthalten sind, vermittelt berle (S. 233-236, 246-250) oder Christoph werden muss. So werden form- und gattungs­ Königs Gegenüberstellung der Turm-Fassungen geschichtliche Details sowie ein Nachvollzug (S. 213-218) vor. In anderen Artikeln wird der der dichterischen Sinnentfaltung unter stetem Gang durch die Handlung direkt mit den for­ Rückgriff auf einzelne Verse und Motive geliefert, schungsgeschichtlich relevanten Analyseaspekten zugleich aber an die Ergebnisse der Forschung zu­ und Zitaten verknüpft, was den Einstieg zumindest rückgebunden, was den Handbuchartikel zwischen für den mit Hugo von Hofmannsthal nicht allzu zwei gleichermaßen dichten Textsorten zu stellt: vertrauten Leser deutlich erschwert. zwischen das Gedicht selbst und die referierten Der letzte Teil „Wirkungen“ umfasst vier Kapi­ Gedichtinterpretation(en). Die Entscheidung der tel: Während die Herausgeber gemeinsam das Feld Herausgeber gegen Artikel zu Gedichtgruppen der „literarischen Resonanz“ von Hofmannsthals oder gar ,Phasen‘ bleibt jedoch nachvollziehbar: Zeitgenossen bis hin zu Walter Kappachers Roman Die lyrische Produktion Hofmannsthals, die Der Fliegenpalast (2009) abstecken, stellt Hans- ihn - zunächst noch als Gymnasiast unter dem ALBRECHT KOCH schlaglichtartig die Stationen Pseudonym ,Loris‘ - in Wien bekannt machte, der Bühnen- und Inszenierungsgeschichte von entstand in einem so kurzen Zeitraum - zwischen Hofmannsthals Dramen und Opern vor. MICHAEL 1890 und 1898 - und ist auf eine überschaubare W oll („Wissenschaft“, S. 396-400) und KONRAD Zahl von Gedichten begrenzt: im Kern eben jene, Heumann („Nachlass/Editionen/Institutionen“, die 1903 und in einer erweiterten zweiten Ausgabe S. 401-406) haben die äußerst schwierigen Auf­ 1904 unter dem Titel Ausgewählte Gedichte im gaben, auf jeweils wenigen Seiten die umfangreiche Verlag der Blätter für die Kunst gesammelt und Editions- und Forschungsgeschichte zu umreißen, veröffentlicht wurden. mit einer übersichtlichen Gliederung und dem Bei den Essays sind die Herausgeber den um­ Blick für das Wesentliche glänzend gelöst. Ein gekehrten Weg gegangen: Mit gleichem Recht knapper Anhang mit einer Auswahlbibliographie, wie für das spezifische Gedicht könnte man den einem Personen- und Werkregister runden das genauen Nachvollzug von Argumenten und der Handbuch ab. Verwendung von Begriffen für mehr der Essays Die konkrete Benutzung eines Handbuchs vor fordern, die vornehmlich wiederum unter na­ dem Hintergrund spezifischer Forschungsinteres­ tionalliterarischer Perspektive zusammengefasst sen und Fragestellungen lässt sich im Rahmen einer worden sind. Ein gutes Beispiel, wie erhellend dies Rezension allenfalls im Ansatz simulieren. Eines sein kann, liefert etwa ROLAND INNERHOFER für ist bei der umfassenden, von der Gebrauchspraxis die große Rede Das Schrifttum als geistiger Raum abweichenden Lektüre jedoch umso deutlicher her­ der Nation (1927) (S. 377-379). vorgetreten: Zu beinahe jedem Themenkomplex Die größte Werkgruppe bilden „Dramen, lassen sich einzelne Artikel miteinander kombinie­ Libretti und Ballette“. In allen Artikeln wird ren, ohne dass sich dabei Überschneidungen und man zuverlässig einen ersten, auf den umfangrei­ Wiederholungen ergeben, sondern vielmehr das chen Apparat der SW gestützten Überblick Spektrum jeweils merklich ergänzt und erweitert und einen bibliographischen Einstieg auf dem wird. Kaum jemand, der etwa ANNA-KATHARINA neusten Forschungsstand erhalten. Hinsichtlich GisberTZ’ Ausführungen zu Hofmannsthals der Lesefreundlichkeit gibt es insbesondere im „Selbstdeutungen“ (S. 89-94) zur Kenntnis ge­ „Inhalt und Analyse“-Teil jedoch auch erhebliche nommen hat, wird etwa darauf verzichten wollen, Unterschiede - wie bei allen Projekten, an denen ergänzend KATJA KALUGAs Vorstellung des Text­ so viele Beteiligte, mit jeweils unterschiedlichen korpus „Aufzeichnungen/Autobiographisches“ Interesselagen, mitgewirkt haben. Deutlich über­ (S. 379-382) heranzuziehen - und umgekehrt. sichtlicher und als Einführung zugänglicher sind Gleiches gilt etwa für die Artikel „Frankreich“ und die Artikel, die zunächst eine Inhaltsskizze liefern „Essays zur französischen Literatur“ von STEFANIE und darauf die wichtigsten Analyse-Aspekte im Arend (S. 99-101, 347-349). Und einen weit Sinne eines Forschungsüberblicks liefern. Dies füh­ umfassenderen Einblick in Hofmannsthals Ver­

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 606-670 6 2 6 Besprechungen hältnis zu den bildenden Künsten erhält, wer sich men, das zugleich das bisher erschreckendste nicht nur auf URSULA Renners Artikel „Kunst Ergebnis dieser Kooperation ist: Papier und Satz und Kunstwerke“ stützt, sondern ihn mit denen zu lassen das Heft eher als unwillig auf Grundlage Der Tod des Tizian, Die Briefe des Zurückgekehrten der online-Publikation erstelltes Nebenprodukt (beide Sabine Schneider, S. 174—176, 329—333) erscheinen. Es wäre nicht nur aus Respekt vor den und den „Essays zur Bildenden Kunst“ (wiederum Mühen, die die Herausgeber und alle Beteiligten in Ursula Renner, S. 357—359) kombiniert. ein Unternehmen wie das vorliegende Handbuch Freilich spiegelt diese von den Herausgebern investieren, aber auch im Sinne aller künftigen gewählte Strenge in der Wahrung von Gattungs­ Benutzer dieser auf Dauer und Nachhaltigkeit an­ grenzen, Textgruppen und systematischen Zusam­ gelegten Publikationen dringend angeraten, wenn menhängen auch die Vielgestalt und Spezifik von hier von Verlagsseite noch einmal umgedacht und Hofmannsthals Schreibweisen, die etwa in vielen in Zukunft wieder die Qualität der Handbücher Forschungsbeiträgen verlorengeht. Leider korres­ der Vorjahre zum Maßstab wird. pondiert mit den vielfältigen Synergieeffekten der Handbuchartikel ein Problem in der Benutzung: Anmerkungen Das von den Autoren und Herausgebern erstellte Bezugsgeflecht, das den Artikeln insbesondere 1 Hugo von Hofmannsthal: Briefwechsel mit Julius Meier-Graefe, hrsg. v. Ursula Renner, Freiburg i. Br. zwischen dem ersten, systematischen Teil und 1998, S. 48. dem Werkkatalog unterliegt, muss der Leser in der 2 Hugo von Hofmannsthal — Rainer Maria Rilke: Regel selbst erschließen, denn allzu selten finden Briefwechsel 1899—1925, hrsg. v. Rudolf Hirsch, sich Querverweise auf verwandte Artikel, selbst Ingeborg Schnack, Frankfurt a. M. 1978, S. 149. wenn sie von denselben Verfasser(inne)n stam­ 3 Vgl. Ulrich Weinzierl: Hofmannsthal. Skizzen men. Dabei dürfte ein solches in Handbüchern zu seinem Bild, Wien 2005; Wilhelm Hemecker, übliches Verweissystem doch nicht das geringste Konrad Heumann (Hrsg.): Hofmannsthal. Orte. Argument für die durchgehende Nummerierung 20 biographische Erkundungen, Wien 2014. der Kapitel gewesen sein, die im eng gesetzten 4 Das vorliegende Handbuch steht in dieser Hinsicht Inhaltsverzeichnis leicht mit den Seitenzahlen zu qualitativ zwischen Roland Borgards (Hrsg.): Tiere. Ein kulturwissenschaftliches Handbuch, Stuttgart verwechseln sind und in den blassgrauen Kopfzei­ 2016, bei dem mitunter die Buchstaben zum Seiten­ len unscheinbar wirken. rand hin nachgerade unscharf werden, und Ursula Es ist damit abschließend ein Punkt berührt, Amrein (Hrsg.): Gottfried-Keller-Handbuch. Leben der nicht nur das Hofmannsthal-Handbuch, — Werk — Wirkung, Stuttgart 2016, bei dem Druck sondern — soweit ich sehe — alle vom Jahr 2016 an und Papier noch deutlich besser sind, was man erschienenen Metzler-Handbücher und ihrer ver­ insbesondere an den graufarbigen Zwischentiteln legerischen Betreuung betrifft: Die Überarbeitung und Kolumnen erkennen kann. Für Druck und des Layouts, vor allem aber die Druck- und Papier­ Bindung ist in beiden Fällen die CPI books GmbH, qualität fallen gegenüber den Titeln der Vorjahre Leck, verantwortlich, in den Jahren zuvor war es, bei — z. T. stark — ab.4 Dies mag daran liegen, dass die deutlich besserer Qualität, Kösel. Im Hofmannsthal­ Handbuch findet sich zum Druck lediglich auf Herstellung des Metzler Verlages seit Beginn des einer der letzten unnummerierten Verso-Seiten der Jahres 2016 in den Händen der Gruppe „Springer stempelartige Hinweis: „Printed by Printforce, The Nature“ liegt, einem Gemeinschaftsunternehmen Netherlands“. der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck und des Springer Verlages. Diese Information lässt sich Timm Reimers dem Editorial des ersten Heftes der Deutschen Suarezstr. 40 Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und D—14057 Berlin Geistesgeschichte (DVjs) vom März 2016 entneh­

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Birgit N ü b e l, N orbert C h r istia n W olf (Hrsg.) Robert-Musil-Handbuch, Verlag Walter de Gruyter, Berlin, Boston 2016, 1054 S.

Handbücher boomen, keine Frage. Und so ist es gewesen wäre und das Handbuch dadurch hätte nur folgerichtig, dass endlich auch Robert Musil entlasten können. mit einem Handbuch beehrt worden ist! An diesem Handbuch haben 44 Wissenschaft- Ein solch gewichtiges Buch aber angemessen ler(innen) mitgearbeitet. Das macht einen einheit­ zu rezensieren, ist ein schwieriges Unterfangen, lichen Deutungshabitus unmöglich, aber genau vielleicht unmöglich. Denn ein Handbuch lebt darin liegt auch die Stärke des Handbuchs. Es nachgerade davon, dass höchst unterschiedliche lässt unterschiedliche Darstellungs- und Inter­ Individuen mit höchst unterschiedlichen Perspek­ pretationsansätze zu Wort kommen. Für unerfah­ tiven, Meinungen und Deutungen zu einem Team rene Benutzer ist das schwierig, für den wissen­ versammelt sind. Im vorliegenden Fall konnten die schaftlichen Fortschritt indes unverzichtbar. Herausgeberin BIRGIT NüBEL und der Herausgeber Betrachten wir den Aufbau: Nach einem aus­ NORBERT Christian Wolf eine Heerschar ausge­ gezeichneten 30-seitigen biografischen Abriss von wiesener Expert(inn)en zur Mitarbeit gewinnen. Oliver Pfohlmann (Kap. I) folgt Kapitel II mit Das ist zweifellos eine Bereicherung und eine der Darstellung des historischen Kontextes. Dies Stärke dieses Handbuchs. reicht von einer Einführung in das Thema Moder­ Allerdings stockt einem als Musil-Forscher ne bis hin zum zeitgenössischen Literaturbetrieb. schon bei den ersten Zeilen des Handbuchs der Kapitel III widmet sich dem Werk. In histori­ Atem. Da werden die verschiedenen beruflichen scher Abfolge der Erscheinungsdaten werden die Seiten Robert Musils aufgezählt: Schriftsteller, Mi­ einzelnen Werke Musils vorgestellt. Der Törleß, litär, Ingenieur und promovierter Philosoph — was die Dissertation, die Erzählungen, die Dramen, aber ist mit dem Psychologen Musil? Immerhin der Mann ohne Eigenschaften und der Nachlass zu hat er Psychologie studiert und wurde in diesem Lebzeiten. Ob die kategoriale Einteilung in selbst­ Fach promoviert. Seine Erfindung des sogenannten ständig und unselbstständig erschienene Schriften Musil’schen Variationskreisels reagierte seinerzeit Musils hilfreich ist, darf bezweifelt werden. Hier auf den Empirieschub in der Farbpsychologie. Wo wäre eine stringente Chronologie überzeugender finde ich dazu etwas im Handbuch? gewesen, um zu verstehen, wie sich diese ungeheure Im Vorwort wird der konzeptuelle Gedanke Lebenstextur namens Robert Musil wie ein Myzel dargelegt, dem die einzelnen Artikel verpflichtet entwickelt. Außerdem wurde in diesem Kapitel auf sein sollten: Es soll ein Überblick über die in der die Wiedergabe der Erscheinungsdaten verzichtet, Tat kaum noch überschaubare Sekundärliteratur so dass der erste Zugriff auf Informationen via In­ geboten werden und zugleich sollen auch „neue haltsverzeichnis weder logisch noch zielführend ist. Forschungsperspektiven“ generiert werden, so steht Danach folgen fünf umfangreiche Kapitel zum es im Vorwort. Das ist ein großer Anspruch, der Leitgedanken „Systematische Aspekte“ (Kap. IV— jedes Handbuch überfordert. Und so bietet auch VIII), dabei spielen klassische soziale Aspekte keine nicht jeder Artikel am Ende den Blick auf offene Rolle. Lediglich im Kapitel über die Mode wird oder differente Forschungsfragen. Und was den das etwas gezielter angedeutet, dann aber durch Überblick betrifft, nicht immer gelingt das, vor den diskursgeschichtlichen Zugriff sogleich wieder allem dann, wenn zwar gewissenhaft, aber im neutralisiert. Wie haben die Menschen zwischen Detail immer wieder auch sehr großzügig über 1900 und 1942 gelebt, was haben sie verdient, wie wissenschaftliche Entwicklungen in der Musil­ waren die sozialen Verhältnisse, mit denen Musil Forschung referiert wird. Allein die Bibliografie konfrontiert wurde oder denen er auswich? Diese umfasst 155 eng bedruckte Seiten mit ca. mehr als Fragen bleiben unbeantwortet. 3.000 Titeln (vgl. S. 877—1032). Das wirkt sehr Das IV. Kapitel ist sicherlich der Kern des unübersichtlich und zu fragen wäre, ob man über Handbuchs, es ist ein umfangreiches Kapitel zu entsprechende Online-Angebote der Internationa­ systematischen Aspekten von Wissen und Wissen­ len Robert-Musil-Gesellschaft nicht besser beraten schaft. Das reicht wiederum von der militärischen

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Ausbildung, Naturwissenschaft, Mathematik, Lo­ philosophiegeschichtliche Situierung einen völlig gik über Philosophie, Psychiatrie, Gestalttheorie, neuen Rahmen narrativer Möglichkeiten für die Psychoanalyse bis hin zu Biologie, Sexualwissen­ Literatur der klassischen Moderne eröffnet. In schaft und Kriminologie. der herangezogenen Forschungsliteratur fehlen Dem schließt sich, nicht ganz so umfangreich, die Arbeiten von Marschner und Luserke über das V. Kapitel mit systematischen Aspekten zu den Möglichkeitssinn. Im VIII. Kapitel werden Kultur und Gesellschaft an. Unter anderem die systematischen Aspekte mit den Stichworten sind Stadt, Verkehr, Unfall, Kakanien, Politik, Narration, Sprache, Bildlichkeit und Textbezüge Sexualität, Militär, Krieg, Sport und Mode die abgeschlossen. Das IX. Kapitel über die Musil­ einzelnen Themen. Hier vermisst man schmerzlich Rezeption schließt den Band ab. ein eigenes Lemma zu Technik, das die diversen Zwar wird eingangs ein polyperspektivischer technikgeschichtlichen und Musils eigene tech­ Zugriff betont, was themeninduziert auch nach­ nikaffinen Texte zusammenführt. Außerdem ist zuvollziehen ist, aber die Verpflichtung auf eine ein Blick in die Literatur der Zeit immer hilfreich, immanente Struktur der „systematischen Aspek­ um sich vor einseitigen Bedeutungserhebungen zu te“ hätte doch zu Beginn einer Selbstreflexion bewahren. Zu denken ist natürlich an Karl Valen­ und damit einer Anleitung für die Leser(innen) tins Satire Warum werden die Menschen von Fahr­ bedurft. Denn was ist der konzeptuelle Rahmen zeugen überfahren?, die er zu einer Zeit schreibt, (Framework), dem die Struktur des Handbuchs wo Robert Musil in sein Tagebuch notiert: „Nach verpflichtet ist? einer offiz. amerikan. Statistik wurden dort 1924 Ein großes Manko für die erwünschten Be­ durch Autos 190 000 Personen getötet u. 450 000 nutzer in Wissenschaft, Studium und Schule liegt verletzt“ (Tb I, S. 639), eine Notiz, die ja dann darin, dass es über kein Begriffsregister verfügt. bekanntlich unverändert in das erste Kapitel des Dieser Verzicht schmälert ein sonst verdienstvolles Mann ohne Eigenschaften übernommen wird (vgl. Unternehmen. Um aber nicht beckmesserisch zu MoE I, S. 11), auch wenn es sich um eine maßlos erscheinen, was als Rezension völlig unangemessen übertriebene Zahlenangabe handelt. wäre, will ich so bilanzieren: Das Musil-Handbuch Das VI. Kapitel arbeitet die systematischen ist ein Handbuch, das überfällig war, den Heraus­ Aspekte an den Leitbegriffen von Literatur, Kunst gebern sei’s gedankt, dass es nun endlich vorliegt. und Neuen Medien auf. Das VII. Kapitel folgt Und insgesamt ist es eine solide Arbeit. den systematischen Aspekten ,Mentale Kon- struktionen‘ zu Mystik, anderer Zustand, Gestalt­ Matthias Luserke-Jaqui losigkeit, Möglichkeitssinn und Utopie. Besonders Technische Universität Darmstadt die Ausführungen zum Möglichkeitssinn fallen Institut für Sprach- und Literaturwissenschaft mit nur einer einzigen Seite entschieden zu kurz Landwehrstr. 54, 2. OG aus, wenn man bedenkt, dass Musils Schreib­ D-64289 Darmstadt und Denkfigur des Möglichkeitssinns und ihre

M ich ael K essler, Paul M ich a el Lü tzeler (Hrsg.) Hermann-Broch-Handbuch, Verlag Walter de Gruyter, Berlin, Boston 2015, 670 S.

Hermann Broch (1886-1951) war lange einer der Robert Musil oder Robert Walser, von Kafka zu wichtigsten Autoren der ,klassischen Moderne“; schweigen, doch deutlich zurück. Dabei hat der seit einer Weile ist es hingegen deutlich ruhiger verdiente Herausgeber der kommentierten Ge­ um ihn geworden. Sicher, es entstehen weiterhin samtausgabe und Biograph PAUL MICHAEL LüT- Arbeiten zu Broch, regelmäßig werden Tagungen ZELER verschiedentlich darauf hingewiesen, wie veranstaltet, ein Arbeitskreis von Broch-Forschern aktuell Brochs Werk ist, etwa im Zusammenhang hat sich gebildet. Aber in Forschung und Lehre mit Menschenrechtsfragen oder auch Problemen tritt Broch gegenüber anderen Autoren wie etwa des Exils. Das vorliegende Handbuch könnte ein

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Zeichen dafür sein, dass Broch wieder wichtig zeichnet wird: Lange sei die Forschung durch das wird oder jedenfalls wichtig werden kann: Es zieht „Etikett des avantgardistischen Romans“ (S. 44) eine Summe der Forschung und gibt Impulse für bestimmt und begrenzt worden; seit den 1970er die Zukunft. Jahren gebe es ein neues Interesse an Themen Handbücher sind eine Mode geworden, gerade wie Menschenrechten oder der Moderne; auch in der Germanistik, wo vor allem die Autorenhand­ der Theatererfolg Brochs und die literarische bücher wie Pilze aus dem Boden schießen. Böse Wirkung wird hier gewürdigt (etwa bei Thomas Zungen haben schon von einem Alexandrinismus Bernhardt, Christoph Ramsmayr, Barbara Frisch­ gesprochen, der nicht mehr selber forscht, sondern muth oder Ernst Wilhelm Händler); schließlich vorhandenes Wissen kompiliert und zusammen­ wird Brochs Spuren in Christian Paetzolds Film fasst. Tatsächlich verdichten solche Handbücher Barbara (S. 52) nachgegangen. Gerade was diese Forschung in einer Weise, die sie anschlussfähig Wirkungsgeschichte angeht, hätte man sich gerne macht, aber das ist keine Verfallserscheinung, noch mehr gewünscht. sondern notwendig, weil Forschungsfragen heute Im engeren Sinne ein Forschungsüberblick ausgreifender und interdisziplinärer geworden ist der Beitrag von GÜNTHER MARTENS, der sind. Sie sind daher auch darauf angewiesen, dass „Grundzüge, Schwerpunkte, Desiderate“ der disziplinäre Forschungsergebnisse — und das sind Forschung nachzeichnet und darstellt, „wie Broch, Autorforschungen ja in hohem Maße — leicht der lange in der Diskussion über die Poetik und zugänglich sind. Für Broch, der als schwieriger die Theorie des modernen Romans eine wichtige Autor gilt, stellt eine solche Verdichtung daher Rolle gespielt hat, zunehmend zum Gegenstand eine wichtige Chance dar. einer interdisziplinär ausgerichteten Forschung Handbücher können freilich auch sehr ver­ geworden ist“ (S. 530). Ausgegangen sei die schieden sein; das vorliegende entscheidet sich Forschung von geistesgeschichtlichen, bald aber für eine starke Werkzentriertheit: Auf 100 Seiten auch poetologischen Lektüren (v. a. im wichtigen über „Hermann Broch und seine Zeit“ — einen Buch von Dorit Cohn), die bald durch historische biographischen Abriss und eine Liste von biogra­ Kontextualisierungen ergänzt wurden. In diesem phischen Kurzinformationen über Brochs Freun­ Überblick wird die v. a. von Karl Menges nach de und Bekannte — folgen 350 zu den Werken, 1968 vorgebrachte radikale Kritik an Boch nur en inklusive der Briefe; sowie ein 20-seitiger Abriss passant erwähnt (vgl. S. 533) — das ist bedauerlich, zur Broch-Forschung. Abgerundet wird das Ganze weil die Rezeption gerade in solchen Kontroversen durch eine Forschungsbibliographie der letzten Profil gewinnt. An der jüngeren Forschung wer­ 30 Jahre, eine Zeittafel und ein Namensregister. den Untersuchungen zum einen als „innovativ“ Unvermeidlicherweise gibt es eine Reihe von beurteilt, welche „die Texte verstärkt als implizite Überschneidungen, bedauernswert ist, dass auf oder explizite Verhandlung einer interkulturellen Querverweise verzichtet wurde. Selbstverständlich Erfahrung in den Blick“ (S. 537) nimmt. Zum unterscheiden sich die Beiträge in ihrer Anlage, anderen hebt Martens Untersuchungen hervor, ihrem Zugriff und vor allem in der Art, wie sie auf die von der Spannung zwischen Form und ethi­ die Forschung rekurrieren — und es übersteigt hier schem Anspruch ausgehen: „Es ist dieser ethische die Möglichkeiten einer Rezension, sie einzeln zu Anspruch, der nicht recht eigentlich zu dem Label besprechen, Exemplarisches muss daher genügen. des Modernismus und Avantgardismus passen Ist die Funktion von Handbüchern wirklich die will“ (S. 543). Eine solche Fragestellung zeigt in der Verdichtung der Forschung, so empfiehlt es der Tat das Potential von Brochs Werk: Es könnte sich, von den Forschungsüberblicken auszugehen, dazu beitragen, die gar nicht so zahlreichen Kon- die im Band vor allem an zwei Stellen gegeben zeptualisierungen der ,Moderne‘ zu revidieren und werden: PAUL Michael LüTZELERs einleitender zu komplizieren. Martens’ Überblick schließt — bei Beitrag zur Biographie Brochs — der selbst ganz allem Optimismus —mit einer kritischen Note: ohne Hinweise auf die Forschung auskommt — „Dass der Autor nicht dieselbe Vertrautheit bei wird durch konzise 10 Seiten über die öffentliche allen Lesern und Forschern beanspruchen kann, Wirkung Brochs abgeschlossen, in denen die führt in der Forschung mitunter dazu, dass sehr wesentl ichen Stadien seiner Rezeption nachge­ viel Wissen über den Autor nicht vorausgesetzt,

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 606—670 6 3 0 Besprechungen sondern immer wieder neu aufgerollt werden JÜRGEN Heizmanns Beitrag über Der Tod des muss.“ (S. 541) Vergil entwickelt weniger eine eigene Lektüre, Tatsächlich gehen denn auch einige Beiträge er referiert verschiedene Problemfelder wie den des Handbuchs weniger von der Darstellung der Künstlerroman oder das Verhältnis zu Joyce; ähn­ Forschung und ihren Trends aus, sondern zeich­ lich widmet BARBARA MAHLMANN-BAUERs Auf­ nen eher die werkbiographischen Kontexte nach, satz zur Verzauberung der Entstehungsgeschichte, die zum großen Teil schon in der Kommentierten der Frage der Mythenkritik und der Rolle des Werkausgabe entwickelt worden sind. Das geschieht Dionysischen besondere Aufmerksamkeit; D o­ etwa bei den weniger bekannten Werkgruppen, zu REN Wohllebens Interpretation der Schuldlosen denen bislang kaum geforscht wurde: über Brochs rekonstruiert ebenfalls die Entstehungsgeschichte Dramen (Paul M ichael LüTZELER), zu den aus den Korrepondenzen und widmet dem Profil Novellen, die Monika RiTZER aufgrund ihres „ex­ der einzelnen Figuren besondere Aufmerksamkeit. perimentellen“ Charakters als „Schlüssel“ (S. 251) Hermann Broch war nicht nur literarischer zu Brochs Werk betrachtet, oder zum Briefwerk Autor, sondern auch Theoretiker, und an dieser (Graham Bartram ). Gerade der letztgenannte Theorie spalten sich in gewisser Hinsicht die Beitrag ist höchst gewinnbringend zu lesen, denn Geister — sie macht Brochs Werk sowohl attraktiv Brochs Korrespondenzen gehören nicht nur zu den wie auch schwer zugänglich. Beiträge, denen es schönsten des 20. Jahrhunderts, sondern zeigen ihn gelingt, diese einigermaßen komplexen und mitun­ auch als Netzwerkautor und enthüllen ein wichtiges ter schwer durchschaubaren Überlegungen zu er­ Schreibmotiv: Für Broch habe die Briefform „die schließen, wären daher besonders gewinnbringend den Zwang der symbolischen Formung einerseits, für Anschlussforschung. Wieder geschieht dies auf den zwang der empirisch-logischen Beweisführung durchaus verschiedene Weise: Thomas Borgard andererseits durch den erleichternden Zwang der stellt Brochs philosophische Schriften breit in den Kommunikation mit dem Briefpartner ersetzte, zeitgenössischen Kontext und macht nicht nur die eine Art Spielraum geschaffen“ (S. 462). Aller­ Debatten zwischen Neukantianismus, Phänome­ dings geht der Beitrag diesen poetologischen Be­ nologie und logischem Positivismus verständlich, dingungen nur bedingt nach, meist handelt es sich in denen sich Broch bewegt; er eröffnet auch durch um eine Darstellung der einzelnen Briefwechsel den ausgiebigen Verweis auf die jeweils aktuelle und ihrer Inhalte, die sich stark mit dem folgen­ philosophiegeschichtliche Forschung die Möglich­ den Beitrag über „Kontakte und Konstellationen“ keiten der Weiterlektüre. Hermeneutisch betont (GABRIELLA RäCZ) überschneidet. Borgard, dass man einerseits darauf verzichten Die Aufsätze zu Brochs bekannteren Texten müsse, „das realisierte literarische Erzählen als zeigen den Spielraum an verschiedenen Zugängen: Erfüllungsort der Theorie zu begreifen“ (S. 359), STEPHEN DowdeNs Beitrag über Die Schlafwandler dass es aber andererseits nicht ausreiche, Brochs geht von einem Forschungsüberblick aus und betont philosophische Texte einfach als idiosynkratisch zu ein notorisches Problem der Broch-Forschung: etikettieren und zu ignorieren. So sei etwa der Be­ Die Forschung verlasse sich oft zu sehr auf Brochs griff des ,Wertzerfalls‘ zwar „in sich doppeldeutig“ Selbstkommentare, die vor allem die ältere For­ (S. 363), letztlich aber nur verständlich vor dem schung „als ein Baedecker zur Romanexegese“ Hintergrund der neukantianischen Wertphiloso­ (S. 100) verwendet habe. Tatsächlich sind Brochs phie; auch habe Broch sich im Exil bemüht, auf abundante Selbstkommentare in der Tat eines der der veränderten philosophischen Lage in Amerika Hauptprobleme der Forschung, die dazu verurteilt zu reagieren: „Die für das Verständnis von Brochs zu sein scheint, nur zu wiederholen, was der Au­ Spätwerk grundlegenden transatlantischen wis­ tor schon selbst gesagt hat. Ob freilich Dowdens senschaftsgeschichtlichen Zusammenhänge sind Alternativvorschlag, den Roman „in erster Linie bis heute nicht systematisch untersucht“ (S. 374). als Kunstwerk zu lesen“ (S. 100) überzeugend und BARBARA PichTs Beitrag über Brochs Politische anschlussfähig ist, darf bezweifelt werden — im­ Schriften konzentriert sich stärker auf Broch (und merhin sind Die Schlafwandler ein metanarrativer, die in Fußnoten reich dokumentierte Broch­ hybrider Diskursroman, der nicht mehr einfach Forschung) und greift nur manchmal — etwa beim dem Kunstparadigma folgt. Thema der Politischen Religionen und den — auf

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 606—670 Zeitschrift für Germanistik XXVII - 3/2017 631 den weiteren Kontext aus. Im Zentrum steht das verdienstvollen und interessanten Beiträge hinaus Paradoxon, dass die Politischen Schriften Brochs ist die Existenz dieses Handbuchs ein wichtiges „ungeduldigste Texte“ (S. 402) und explizit auf Zeichen. Es kann entscheidend dazu beitragen, Wirkung aus sind, aber zum Großteil erst pos­ dass sich künftige Forscher besser in Brochs Werk tum veröffentlicht werden. Noch enger folgt der orientieren können; es wird hoffentlich ermög­ Beitrag zur Massenwahntheorie (MONIKA RiT­ lichen, dass Brochs Texte nicht mehr ausschließlich ZER) dem Broch’schen Text: Hier wird vor allem Gegenstand der Broch-Forschung sind, sondern Brochs Selbstdeutung dieses komplexen Projektes auch in andere Kontexte aufgenommen wer­ entwickelt; die Broch-Forschung findet sich nur den: etwa, wenn es darum geht, die Moderne zu im abschließenden Literaturverzeichnis, kaum in bestimmen, wenn das Verhältnis von Literatur den Fußnoten; andere Theorien des Massenwahns und Philosophie in Frage steht, wenn es um das oder des Totalitarismus werden allenfalls gestreift. Verständnis der Katastrophen des 20. Jahrhunderts Ein solches Vorgehen mag zwar notwendig sein, geht oder allgemeiner um die Frage, wie die extre­ um einen Ariadnefaden im Labyrinth der Texte men Erfahrungen dieses Jahrhunderts ästhetisch zu haben, geht aber allzu oft in bloße Paraphrase und intellektuell verarbeitet worden sind. über, und man muss sich fragen, ob diese Form der Interpretation von Broch durch Broch noch Daniel Weidner eine Zukunft hat. Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Insgesamt dokumentiert das Handbuch eine Schützenstr. 18 Reihe von durchaus verschiedenen Zugängen zu ei­ D-10117 Berlin nem komplexen Werk. Über die einzelnen, immer

J örg Später Siegfried Kracauer. Eine Biographie, Suhrkamp Verlag, Berlin 2016, 744 S. (I.)

J ö rn A h r e n s, Paul Fle m in g , Susanne M a r t in , U lrike V ed d er (Hrsg.) „Doch ist das Wirkliche auch vergessen, so ist es darum nicht getilgt“. Beiträge zum Werk Sieg­ fried Kracauers, Springer VS Verlag, Wiesbaden 2017, 392 S. (II.)

J o h a n n es von M oltke The Curious Humanist. Siegfried Kracauer in America, Cal.: University of California Presse, Oakland 2016, 317 S. (III.)

In den letzten Jahren scheint sich Siegfried Austausch und in Auseinandersetzung mit den Kracauer (1889-1966) unter verschiedensten verschiedensten (und wechselnden) intellektuellen Fachwissenschaftlern der Humanities gesteigerter Positionen entstand und zugleich doch eine Linie Beliebtheit zu erfreuen, jedenfalls, sofern das durch wahrte, die man vielleicht am ehesten als die eines die noch immer steigende Anzahl an Publikatio­ vermittelnden Fremdseins bezeichnen könnte. nen indiziert wird. Dazu mag auch beigetragen Umso erstaunlicher ist bei der Vielzahl der Beiträge haben, dass sein Werk nun in einer gültigen zu den verschiedensten Aspekten seines Werks (die Gesamtausgabe1 vorliegt. Mehr noch dürfte das allfälligen Redundanzen und minimalvariativen aber Ausdruck eines Unbehagens an dem sein, Doubletten in Kauf nehmend), dass es bisher was sich heutzutage noch Walter Benjamins oder keine umfassende Biographie Kracauers gegeben Theodor W. Adornos Werk an ästhetischen oder hat, schon gar nicht eine, die Person, Werk und gesellschaftspolitischen Aktualisierungen oder zeitgeschichtlichen Kontext integrierte. auch nur fachlichen Distinktionsgewinnen ab­ I. Der Historiker JÖRG SPÄTER hat nun eine gewinnen lässt. Vor allem aber scheint an seinem solche vorgelegt. Selbstverständlich weiß er um Werk zu faszinieren, wie es in unausgesetztem die pointierte Kracauer’sche Aversion gegen die

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 606-670 6 3 2 Besprechungen seinerzeit gängige Biographien-Mode, die ja auch Da ist es nicht ohne Ironie, dass — neben dem weiterhin — wie die Aversion — ihre fröhlichen geplanten Nachwort — ausgerechnet jenes achte Urständ feiert, und er kann sich da ganz un­ Kapitel nicht mehr fertig wurde, das den Titel „Der problematisch auf jene Position beziehen, die Vorraum“ tragen sollte. Es nimmt bildhaft wie Kracauer selbst in seiner Offenbach-Biographie sinnbildlich das auf, was Kracauers Werk durch­ reklamierte: die einer Gesellschaftsbiographie. gehend bewegt hat, die Faszination für Zwischen­ Doch wäre das zu einfach. Späters Biographie ist bereiche und Grauzonen, Transit zwischen Theorie eine, die durchtränkt ist von Zeitgeschichte, aber und Praxis, Details und großem Ganzem, Dingen weniger ,die Gesellschaft zum Gegenstand hat, und Verhältnissen — und nicht zuletzt seine, von als eine Gesellschaft von Intellektuellen zwischen Georg Simmel intellektuell hergeschriebene, aber Zionismus und Marxismus, Philosophie und zugleich real erfahrene Position zwischen den Soziologie, Ikonologie und Filmtheorie. Literatur frühen, prägenden Freunden, zwischen Adorno, und Journalismus schließlich nicht zu vergessen. Benjamin und Bloch. Insbesondere zu seiner Zeit Eine gelegentlich gesellige, oft ungesellige, wech­ als Redakteur bei der Frankfurter Zeitung bedien­ selnde, sich neu konfigurierende teils zutiefst sich ten sie sich gerne seiner Vermittlung, ohne ihn zerstreitende, teils wieder zusammenhaltende freilich so ernst und voll zu nehmen wie sich selbst Partie einer — letzten — Gelehrtenrepublik, in der und die eigenen Positionen (vgl. S. 190 ff., vgl. a. es naturgemäß wenig demokratisch zuging. das Rezensionskartell, S. 238 f.). Später rekurriert auf die drei Stigmata, die Späters Darstellung zu Kracauer kann man Adorno in seiner etwas zwiespältigen Würdigung fünf ,Epochen‘ ablesen: Kindheit und Jugend, des wunderlichen Realisten angeführt hat — die die spärlichen Dokumente mit Elementen aus freudlose Familiensituation der Kindheit, die Kracauers autobiographisch motiviertem Roman Sprachstörung und die frühen Erfahrungen von Ginster unterfüttert. Eine frühe intellektuelle Antisemitismus. Doch geht er über die Verlockung Phase, orientiert an Simmel und auch Scheler, die zu individual- und sozialpsychologischer Kon­ sich durch eher konventionelle Kulturkritik aus­ struktion hinweg und auf eine zeitgeschichtliche zeichnet und zumindest ex negativo Endzeit- und Indizierung aus, in der die im Verlauf des Lebens Erlösungserwartungen durchspielt. Doch auch und seiner — erzwungenen — Stationen wechseln­ in dieser Phase eines ,stilbildenden Bürgertums‘ den Freundeskreise die Proben darauf sind. (Lorenz Jäger), bei aller homoerotisch geprägter Damit erfüllt er im Grunde an Kracauer, was die­ Schwärmerei, unter der Adorno besonders zu leiden ser in History, in der Auseinandersetzung mit den haben sollte, schon das fanatismusfreie Wägen: vorletzten vor den letzten Dingen in immer neuen „Der Relativist irrt, wenn er an der Wahrheit ver­ Anläufen zu postulieren und gleichzeitig zu kontu- zweifelt, der Dogmatiker, wenn er sie überschätzt rieren unternahm. Kracauer ging es darum, zeigt und verselbständigt.“ (zit. n. S. 45) Kracauer ist, Später, die Historik/Historiographie aus sowohl dem wie die Freunde, ein ,Suchender‘, auf der zeitge­ Zwang zu philosophischen Letztbegründungen wie nössisch geradezu epidemischen Suche nach dem der Verlockung zur Vernaturwissenschaftlichung verlorenen Zusammenhang und Sinn. Aber einer, zu lösen, die „Koexistenz von Gleichzeitigem und der sich keinerlei Heilsversprechen an den Hals Ungleichzeitigem“ (S. 571) betonend, die Antino­ wirft, sondern alle Angebote kritisch mustert und mie zwischen Mikro- und Makrogeschichte, die für ablehnt, vom erneuerten Judentum über Katholi­ ihn nicht aufhebbar war, zu entspannen, wofür er zismus und Anthroposophie hin zu utopistischem bezeichnenderweise die Analogie zum Film wählte: Weltanschauungsgedöns. Wechsel von Großaufnahmen und gelegentlichen Das fällt besonders im Kontrast zum mei­ Totalen. Kracauers ganze Zuneigung galt zwar den nungsstark orgelnden Ernst Bloch auf. Dann die Großaufnahmen, aber, so Später: „Die Frage nach lebhafteste und vielfältigste, marxistisch inspirierte dem Ganzen durfte nicht verschwinden, auch wenn Phase der Feuilletons, Essays und (Film-)Kritiken, sie nicht zu beantworten war.“ (S. 580) History, so mit den Angestellten im Zentrum, radikalistisch­ Später in einer treffenden Formulierung, „war ein aggressiv, aber zugleich ironisch und sarkastisch, Tribut an die Kontingenz mit einem messianischen gewitzte Polemik mit einem souveränen Abstand Funken“ (S. 592). zu kollektivistischen Verlockungen verbindend.

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Das Abweichende wie das Unscheinbare, das vor Jörg Später hat mit seiner plastisch geschrie­ aller Augen Übersehene wie vulgär und profan benen, materialreichen wie klar strukturierten Evidente wird Material der Normanalyse und Biographie ein Buch vorgelegt, das Person wie -kritik. Es ist der Weg des „Umwegs“. Mit ihm Werk Siegfried Kracauers höchst gerecht wird hat er, statt der abgestandenen Kulturkritik, „ein und zugleich ein intellektualgeschichtliches Epo­ neues Feld aufgetan: die Gesellschaftskritik“ chenbild liefert, das für lange Zeit seinesgleichen (S. 131). Unablösbar davon ist die Filmkritik und suchen dürfte. die Hinwendung zur Welt der banalen Dinge wie II. Das Spektrum der Auseinandersetzungen mit zu den Orten, Räumen und Straßen, aus denen spezifischen Aspekten von Kracauers Werken kann es die Zeit zu lesen galt. Darauf folgte, von ihm man in dem von Jörn Ahrens, Paul Fleming, düster aus den Vorzeichen erahnt, aber doch jäh, Susanne Martin und Ulrike Vedder herausgege­ das Exil mit seiner höchst prekarisierten, ja trau- benen Band mit Beiträgen zum Werk Siegfried Kra- matisierenden Existenz. cauers recht gut, geradezu exemplarisch erkennen. Der versuchte er durch seine Offenbach­ Aufder einen Seite einige eher Gelegenheits-, wenn Biographie zu begegnen. In ihr vollzog er jenen nicht gar Verlegenheitsarbeiten, auf der anderen Positionstausch zwangsweise selbst, den er Anfang mehr oder weniger gründliche Detailvergrößerun­ der 1930er Jahre für die deutschen Öffentlichkeits­ gen, souveräne Zusammenhangsdarstellungen wie verhältnisse diagnostiziert und in seinen Romanen Belichtungen bisher wenig oder so gut wie gar nicht geprobt hatte — den zwischen Journalismus und beleuchteter Aspekte und Werkteile. Schriftstellerei. Erfüllte das Buch kaum die finan­ Paradigmatisch für Letzteres kann man Detlev ziellen Hoffnungen, so war die negative Reaktion SchÖTTKERs Beobachtungen zu Kracauers Frag­ der Freunde, die von ihm keine Dienstleistungen ment gebliebenem und erst jetzt im vierten Band mehr erwarten konnten, besonders bitter (vgl. der Werkausgabe in einer gültigen Übersetzung S. 330 ff.). Das ist nicht gänzlich ohne bittere vorliegenden Buch History, deutsch Geschichte — Ironie, spiegelt doch Kracauers Offenbach-Buch Von den letzten Dingen, nehmen. Sie widmen sich nicht zuletzt die Konstellationen von seiner (und diesem — sieht man von dem entsprechenden, sehr der Freunde) Arbeitsbedingungen. Das wurde zur einlässlichen und von souveräner Kenntnis histori- Phase, in der ihm der ironische Schneid abgekauft ographischer Positionsbestimmungen getragenen wurde, bis er sich aber mit der glücklichen Rettung Kapitel bei Später ab, bisher eklatant unterforsch­ in die USA insofern radikal umorientieren konnte, ten Text, dessen Wurzeln weit zurück in Kracauers als er zum einen unter entschiedener Verschiebung Werk reichen. Schöttker nähert sich dem höchst des Netzwerks hin zu emigrierten Soziologen, Bild- fruchtbar unter dem Aspekt der Medialität von und Filmforschern (Arnheim, Jahoda, Lazarsfeld, Geschichtsschreibung, die er in einer gründlichen Panofsky u. a.), auf Englisch und systematische Schritt-für-Schritt-Analyse darlegt. Großwerke zu schreiben unternahm. Das waren Einige andere Beiträge kann man gewinnbrin­ die beiden Film-Bücher — Von Caligari zu Hitler gend als bestätigende Proben auf die entsprechen­ und Theorie des Films —, die von Fragestellungen den Kapitel in Späters Biographie lesen, auch als und materieller Substanz aus der Zeit vor 1933 differenzierende Detailvergrößerungen dazu. So her datierten. z. B. ULRIKE VeddeRs Unternehmung, Kracauers Schließlich sehen wir einen Kracauer, der — deutenden Blick auf die Hotelhalle, prominent im finanziell halbwegs gesichert — mit sich selbst Traktat Der Detektiv-Roman, aber nicht nur dort, Frieden zu schließen begann, kontemplativer und in den Kontext von Hotels in zeitgenössischer Li­ wägender, befriedigt aber auch von neuerlicher teratur, einer Kulturgeschichte des Grand-Hotels Aufmerksamkeit, sowohl durch die — von Adorno (anhand von Habbo Knochs Studie) ebenso zu vermittelte — (Wieder-)Auflage seiner Schriften vor stellen wie zu Arbeiten zum Detektiv-Roman, da­ allem bei Suhrkamp, als auch die seiner Person, rin Kracauers Traktat als einen — in Überbietung so etwa in der Gruppe Poetik und Hermeneutik. seiner Feuilletons — ausgesprochen polemischen History ist von daher auch eine sich versöhnende Text pointierend. Selbstthematisierung in Gestalten anderer, Eras­ Während die beiden Romane Ginster und Georg, mus und Sancho Pansa zumal. insbesondere ersterer, für Später nicht ganz un­

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 606—670 6 3 4 Besprechungen problematisch als Folie für ansonsten nicht durch unbeschlagen gewesen sei (vgl. S. 177), insistiert Dokumente verifizierbares Biographisches dienen, RENE MlCHAELSEN darauf, dass seine weitgehende legt SVEN KRAMER in seinem Beitrag zu diesen Ausblendung der Musik in Offenbach „keineswegs die Aufmerksamkeit auf wiederum Kracauers eine aus Kenntnislosigkeit gespeiste Kapitulation Aufmerksamkeit aufSprache. Zum einen pointiert vor dem Notentext darstellt. [...] - denn bei Kramer so Kracauers Sensibilität für die Militari­ Kracauers Musikvermeidung handelt es sich um sierung der alltäglichen Lebenswelt in der ,Heimat“, beredtes Schweigen“ (S. 201). Und, dass „wenn zum anderen hebt er die Schlüssel-Bedeutung von es bei Kracauer um Musik geht“, sie „oftmals als „Ansteckung“ oder „bemächtigen“ hervor, wie dann Verweis für etwas [dient], das hinter ihr liegt, - verstärkt in Georg - die Selbstmarginalisierung aber unnennbar bleibt“ (S. 208). Beide Beiträge als Form des widerständigen Ausweichens vor der ergänzen sich in der Konturierung von Kracauers Bemächtigung durch Kollektiva, changierend Intentionen. Dass nämlich Kracauer hier der zwischen den Gemeinschaftsmodellen von Ka­ Soziologie ein Bündnis mit der Literatur anbot, tholizismus, Völkischem und Kommunismus (vgl. eins, das es ermöglichte, den Unschärfen, dem S. 72). Der Befund - „Das Individuum erweist sich Dazwischen und den Übergängen Rechnung zu vielmehr als durchlässig und veränderlich, als in tragen. Ethel Matala de Mazza entwickelt dazu wechselnden Bindungen mit anderen Einzelnen konzise die Allianz und wechselweise Spiegelung sowie mit unterschiedlichen Gruppen stehend.“ von Feuilleton und Operette im Zeichen der (S. 77) - weist weit über die beiden Romane hinaus. ,Kleinen Form“. Kracauer deutet die Popularität Auch der Beitrag von TlLMAN ReiTZ zu Kra- der Offenbach’schen Operetten, so Matala, als Er­ cauers Angestellten-Buch, dem man angesichts gebnis „der inneren Heteroglossie einer sekundären all’ der Studien, die an gerade diesem Werk Sprache“ (S. 186). Eben diese Popularität hat er exerziert worden sind, zunächst kaum Neues mit seiner Biographie gesucht, die denn den Weg zutrauen mag, erweist sich als an soziologischen ihres Interessengegenstands als einen wesentlich Theorien und einschlägigen Untersuchungen zur von Glücksfällen in einer sozialen, wirtschaftlichen Mittelschicht gestählte, sehr hilfreiche Prüfung, und politischen Gemengelage bestimmten darstell­ inwieweit die Angestellten von Kracauer „als te. Von hier aus gesehen, wird die - erfolgreiche - Protagonisten einer konstitutiv nichtfestgelegten „Oberflächlichkeit“ Offenbachs, deren Darstellung und konjunkturabhängigen Mittel- bzw. Weder- bei Kracauer Adorno gründlich missverstand, zu Noch-Klasse“ (S. 137) begriffen werden. Durchaus einer Autoanalyse des Feuilletonisten Kracauer, der kritisch untersucht er Kracauers Darstellung auf sein Metier der Soziologie antrug wie Offenbach ihre Treffsicherheit hin und kommt u. a. zu dem das seine der - prohibierten - Politik (vgl. S. 184). gewieften Zwischenbefund: „Ob Kracauer hier Diese tiefe Gründung des Feuilletons macht zwei, einen langfristigen Trend missverstanden oder drei andere der Aufsätze in ihrer Material- wie einen mittelfristigen erkannt hat, der im National­ Gedanken-Repetitivität geradezu obsolet. sozialismus mündete, muss offen bleiben.“ (S. 141) DOROTHEE Kimmich widmet ihren Beitrag Von da aus wendet er sich der Unternehmung zu, einem ebenfalls unterbelichteten Aspekt, dem der die für gegenwärtige soziologische Theoriebildung Problematik von Diglossie im Werk Kracauers. relevanten Aspekte herauszuarbeiten - so das Sie zeigt, dass Kracauers - wiederum zum Ent­ neuerl iche Bedürfnis nach normativer Sicherheit setzen Adornos - radikale Fixation darauf, seine just bei denen, die sich „im Weder-Noch einrichten in den USA entstandenen Werke auf Englisch müssen“ (S. 148). zu schreiben, nicht nur von Friktionen mit dem Zwei sich ergänzende und weit über den Lektor begleitet wurde, sondern ihn auch zu der unmittelbaren Gegenstand hinausdringende Bei­ Enttäuschung führte, seine Ambition auf ein per­ träge befassen sich mit Kracauers Verhältnis zur fektes Schriftenglisch nicht erfüllen zu können. Er Musik, das ihm speziell von Adorno schlichtweg ging nicht, wie gewünscht - um in dem beliebten abgesprochen worden war. Während ETHEL Ma- Bild zu bleiben - wie der chinesische Maler in sein TALA DE MAZZA in ihrem Beitrag zur Offenbach­ Bild ein, sondern blieb auch hierin fremd. Dieser Biographie - ein Konzentrat ihrer Habilitations­ Beitrag, der einzige, wenn ich es recht sehe, der Schrift - konzediert, dass Kracauer musikalisch auch den in Marbach lagernden Nachlass nutzt,

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 606-670 Zeitschrift für Germanistik XXVII - 3/2017 635 der — wie an Späters Buch zu sehen — doch so alteuropäischer Wissenschaftler bewegte, allzu außerordentlich ergiebig ist, hätte noch an Statur umstandslos als Teil der autochthonen New gewonnen, wenn er statt einiger einleitender Ge­ Yorker Intelligentia. Moltke wählt einen ebenso meingüter zu Zwei- und Mehrsprachigkeit sich auf verblüffenden wie überzeugenden Zugang zur wenigstens eine kleine einlässlichere Analyse von Exploration von Kracauers amerikanischem Werk, Kracauers Stil hätte verstehen können. indem er es mit dem von Hannah Arendt paralle- III. Johannes von Moltkes Aufsatz nun führt lisiert und konfrontiert, wiewohl die beiden sich in eben jene Zeit und Textwelt des Amerikanischen persönlich offenbar trotz des nämlichen Habitats und Englischen. Seine Darlegungen zu From Cali­ nicht begegnet sind, Kracauer aber immerhin Are­ gari to Hitler rekonstruiert die zeitgenössisch fatal ndts Veröffentlichungen sehr wohl zur Kenntnis zwiegespaltene Rezeption als einerseits neuartiges genommen zu haben scheint. Hier arbeitet von psychosoziales Analyseverfahren, andererseits als Moltke, gegen die Vorurteile der Nachgeborenen, Abrechnung eines im Exil Verbitterten mit der die Kracauer — vor allem mit seiner Filmtheo­ Weimarer Republik. In Widerleg der explizierten rie — als der Linken abgeschworen habenden, Teleologie des Buchs sucht von Moltke in einer entpolitisierten Akademiker sehen wollten, die tieferen Schicht nach den durchaus zwingenden grundsätzliche Fundierung aller drei Bücher im Verbindungen von Politik und Film(-Ästhetik), Politischen heraus, erweist seine Filmtheorie als die Kracauer bewegt haben — Kino als Teil einer Unternehmen, das Individuum gegen totalitären politischen Ästhetik. Terrorismus und massenkulturellen Konsumismus Dieser Beitrag ist eine kompakte Auslagerung gleichermaßen wieder ins Spiel zu bringen und aus einem umfangreicheren Projekt, das von seine Positionen zu stärken. Dies sein in weltoffe­ Moltke seit Jahren betrieben hat (und auf dessen ner Erfahrung gründender Humanismus, gründet Zwischenergebnisse Später für seine Darstellung seinerseits in vielleicht doch mehr wunderbarer als des immerhin letzten Drittels von Kracauers Leben wunderlicher Neugier. produktiv zurückgreifen konnte). Zusammenge­ Von Moltkes Buch ist jedenfalls eine ungemein führt nun liegen die Studien unter dem Titel The gehaltvolle und überaus anregende Darstellung Curious Humanist vor. Der greift den bekannten desjenigen Teils von Kracauers Werk, in dessen Titel von Adornos Würdigungsartikel auf: Ein ,Rettung der äußeren Realität‘ der Textkosmos wunderlicher Realist. Die apostrophierte Wun­ der Weimarer Jahre in Substanz wie Essenz ein­ derlichkeit ist in der Vergangenheit gern durch gegangen ist. Aufgehoben, würde der Dialektiker andere Epitheta des Realismus ersetzt worden, so sagen. ,kritischer‘ (Dagmar Barnouw) oder ,destruktiver‘ (Axel Honneth). Von Moltke nun nimmt das Anmerkung Wunderliche wieder auf, das aber in der engli­ schen Übersetzung auch den Aspekt der Neugier 1 Siegfried Kracauer: Werke, 9 Bde., Suhrkamp Verlag, umfasst. Zugleich pointiert sein Titel Kracauers Frankfurt a. M. 2004 bis Berlin 2012. Suche nach einem erneuerten Humanismus, wie sie vor allem History prägt. Erhard Schütz Stärker als Später, indes, um es gleich zu sagen, Humboldt-Universität zu Berlin nicht durchweg überzeugend, stellt er Kracauer Sprach- und literaturwissenschaftliche Fakultät in den Kontext des intellektuellen Lebens in Institut für deutsche Literatur Manhattan damals. Hier erscheint Kracauer, der D—10099 Berlin sich doch insgesamt eher im Umfeld emigrierter

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K atrin Be d en in g , Fra n z Z ed er (Hrsg.) — Stefan Zweig. Briefwechsel, Dokumente und Schnittpunkte (Thomas-Mann- Studien, Bd. 51), Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt a. M. 2016, 4 6 4 S.

Stefan Zweig ist mit seinem Emigrationsschicksal beide in mancherlei mitunter scheiternden publi­ und Suizid in Brasilien in den letzten Jahren gera­ zistischen Plänen und Solidaritätsaktionen. Zweigs dezu zur Ikone geworden. Volker Weidermann hat letzter erhaltener Brief an Mann spricht Ende dessen enorme Hilfsbereitschaft und Güte in einem 1940 resigniert von den „seelischen Verstörungen“ novellistischen Roman (Ostende 1936, Sommer des Exils: „Sie sind so gütig, mich nach meinem der Freundschaft, 2014) prägnant gepriesen und Wohin zu fragen. Ich weiß es nicht [ . ] und lasse Maria Schraders Film Vor der Morgenröthe. Stefan mich treiben.“ (S. 118) Zuvor hatte Zweig Lotte Zweig in Amerika wurde 2016 ein Kassenschlager. in Weimar noch begeistert aufgenommen: „Rein Thomas Mann gilt dagegen immer noch als ego­ politisch gesehen, ist dies unpolitische Buch die zentrischer Narziss und Egomane, obgleich Tilman schwerste Niederlage der zukuenftigen Schrift­ Lahmes vorzügliche Familienbiographie Die tumskammer und die denkbar edelste Absage an Manns ihn unlängst 2015 als treusorgenden Fami­ das Deutschland des Dritten Reiches zugunsten lienmenschen zeigte und Hans R. Vaget (Thomas des unvergaenglichen.“ (S. 108) Mann, der Amerikaner, 2011) das politische En­ Mann reagierte auf Zweigs Freitod publizis­ gagement in den USA tiefenscharf rekonstruierte. tisch zunächst etwas verhalten. Er rechtfertigte Eine umfassende Edition der Korrespondenz und sich dafür in einem eindrucksvollen Brief vom weiterer Quellen zeigt die beiden Erfolgsautoren als 15.11.1942 an die einstige Ehefrau Friderike Zweig: Zentralfiguren der literarischen Emigration in der „Der Tod ist ein Argument, das jede Widerrede freundschaftlichen Annäherung und im geradezu niederschlägt; es gibt darauf nur ehrfürchtiges Ver­ korporativem Engagement für die Literatur und stummen.“ (S. 124). Später meinte Mann, er habe Schriftsteller der Zwischenkriegszeit und des Exils. Zweigs Suizid zunächst als „etwas wie eine Deser- Die Edition gliedert sich in zwei Teile und ei­ tation“ (S. 126) empfunden. Das unzweifelhaft nen Anhang. KATRIN Bedening zeichnet für die „ehrfürchtige“ und freundschaftliche wechselseiti­ Edition des Briefwechsels verantwortlich, FRANZ ge Verhältnis war nicht frei von temperamentlichen Zeder für eine Rekonstruktion der „Stationen ei­ Differenzen und Konkurrenzen, die aber niemals ner lebenslangen Begegnung“, die mit fast 250 Sei­ zu öffentlichen Auseinandersetzungen führten. ten den doppelten Umfang des Briefwechsels Sinnbildlich sind manche Begegnungsverfehlun­ einnimmt. Der Briefwechsel erscheint erstmals gen: Zweig lebte zwar in den 1920er Jahren in erweitert, ungekürzt und eingehend kommentiert. Salzburg, mied aber die Festspielzeit, in der Mann Man hätte die Briefe allerdings noch übersicht­ Salzburg häufig besuchte. Auch im Exil verpassten licher listen und statistisch erschließen können. sie sich manchmal. Ganz selbstverständlich und Die Korrespondenz beginnt 1911. Die Beziehung traulich wurde ihnen der Umgang nie. wird Anfang der 1920er Jahre mit zahlreichen Be­ Die Korrespondenz zwischen beiden war in ho­ gegnungen dichter und freundschaftlich, als Zweig hem Maße politisch: als schwierige und diskrete unweit von München in Salzburg wohnt. Sie lebt Freundschaft, in der Repräsentanz und Schlüs­ aus dem Bewusstsein kongenialer Repräsentanz selstellung für die deutsche Literatur, im Kampf und Verantwortlichkeit für die deutschsprachige gegen den Nationalsozialismus und in der Lage Literatur sowie zunehmend auch moralisch­ des Exils. Solche Fragmente einer großen Bedeu­ politischer Verbundenheit. Manns literarisches tung sind in hohem Maße editorisch aufwändig Superioritätsbewusstsein scheint Zweig generös zu und kommentierungsbedürftig. Die Briefedition akzeptieren und zu teilen. Zweigs enthusiastische von Katrin Bedenig ist solide gelungen, Franz publizistische Würdigungen respondierte Mann Zeder ist als Editor und Interpret ausgewiesen nicht in gleicher Weise. und kundig. Endgültig befestigt ist die solidarische Freund­ Dennoch ist der vorliegende Band nicht nur schaft seit 1933. Vor und nach 1933 kooperieren erfreulich. Eine Dreigliederung der Beziehung

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- 1. Edition des Briefwechsels, 2. ergänzende mas Manns Prosa, sonst entglitt sie ihm jedoch in Dokumente, 3. Rekonstruktion - wäre plausibler ein dithyrambisch ins Blaue hineinlaudatierendes gewesen und ein umfassenderer Dokumentations­ Irgendetwas, das sich darauf kaprizierte, im Ju­ teil durchaus zu wünschen. Der Beitrag von Franz bilar den allseits verloren geglaubten Genius der Zeder ist leider zu breit angelegt, übermäßig um­ Verantwortlichkeit gerettet zu sehen.“ (S. 150) Wer fangreich, und er krankt vor allem an der Ursünde über solche Stellen hinwegzusehen vermag, wird der älteren Mann-Forschung: den spekulativen Zeders Begleitwerk, das besser als Monographie Interpretationen und dem notwendig scheiternden selbständig für sich stünde, zahlreiche Informa­ Versuch kongenialer Literarisierung. tionen und kundige Klärungen entnehmen. Eine Konjunktive, Metaphern und Stilblüten häu­ frühere, im Literaturverzeichnis angeführte Mann­ fen sich passagenweise bis zur Ungenießbarkeit. Monographie Zeders bezeichnet diesen Stil aber Was in einer monographischen Studie gerade treffend im Titel: „Studienratsmusik“. noch erträglich ist, verbietet sich im Rahmen Die konzeptionelle Unklarheit und Unausge- der Edition dieses moralisch-politisch höchst ge­ wiesenheit dieses Bandes deutet sich schon im wichtigen und bedeutsamen Briefwechsels zweier Untertitel an: „Briefwechsel, Dokumente und Größen der Weltliteratur. Der interpretative und Schnittpunkte“. Was, bitte, ist die Aufgabe einer literarisierende Anspruch des Beitrags von Zeder umfassenden Briefedition? Der Rekonstruktion ist im Rahmen dieser Edition völlig unpassend. der Beziehung fehlt leider völlig gerade die Ehr­ Dutzende von Passagen ließen sich dafür anführen; furcht und Demut, die den großen Schriftsteller nur zwei Aussetzer seien hier zitiert. Zeder schreibt und Publizisten Zweig nicht nur im Umgang mit etwa: „Stefan Zweig hatte ein deutlich reduziertes Thomas Mann auszeichnete. Verlangen nach der Moritat vom Mammon am Domplatz, und nichts drängte ihn zum Promitreff Reinhard Mehring auf Max Reinhardts Schloss Leopoldskron, wo Pädagogische Hochschule Heidelberg auch Thomas und Katia Mann einmal bei Kaviar Institut für Gesellschaftswissenschaften und Champagner dinieren durften.“ (S. 149) Eine Abteilung Politikwissenschaft Seite später heißt es über einen „hochtönenden Im Neuenheimer Feld 519 Panegyrikus“ auf Mann: „Stefan Zweigs Lob traf D-69120 Heidelberg zwar ins Schwarze in der Beschreibung von Tho­

L o ren z Jäger Walter Benjamin. D as Leben eines Unvollendeten, Rowohlt Verlag, Berlin 2017, 3 9 7 S.

Anders als bei Siegfried Kracauer, dem kürzlich den, spekulierenden Vaters auf die Spur kommen Jörg Später1 eine erste gewichtige Biographie ge­ will. Bis hin schließlich in die Konstellation seiner widmet hat, scheint es für Walter Benjamin eine erratischen Programmschrift Über den Begriff der solche Fülle an unterschiedlichsten Biographien zu Geschichte und des geheimnisvollen, auf immer geben, dass man erst einmal wenig Bedarf an noch verlorenen Manuskripts, das er bei seinem Suizid einer verspürt. Doch diese von LORENZ JÄGER ist 1940 an der französisch-spanischen Grenze bei sich eine ganz besondere, nämlich höchst intellektuelle, trug. Die Verschränkung von Anfang und Ende gleichwohl stets völlig transparente, Intellektual- nicht zu vergessen. biographie, die Leben und Werk, Eigen- und Um 1913/14 hatte der junge Benjamin in einer Umwelt in zwingender Verschränkung darstellt. Metaphysik der Jugend die kryptische Frage gestellt, Dies von der Kindheit des am 15. Juli 1892 in ohne sie zu beantworten: „Sind wir Zeit?“ Am Charlottenburg geborenen Sohns eines jüdischen Ende seiner wahrhaft illuminierenden Biographie Kunsthändlers an, und dem ersten erhaltenen beantwortet Lorenz Jäger diese Frage so: „Es gibt Text, ein Novellenfragment, worin der 14-Jährige keinen Menschen, der von heute aus gesehen, märchenhaft fabelnd dem Geheimnis des handeln­ so sehr Zeit ,ist‘ wie Benjamin.“ (S. 333) Man

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 606-670 6 3 8 Besprechungen könnte das derart lesen: Benjamin, dem der Weg haftigkeit alles Materialen. Blitzartig erhellt sich als Akademiker versagt wurde — von sich selbst hier die Differenz des Schriftversenkten zum vielleicht mehr noch als von anderen —, hat mit problematischen Freund Ernst Bloch und dessen seinem Werk eine in ihren Produkten völlig un­ oratorischem Posaunen- und Orgelton. überschaubare akademische Ausdeutungs- ebenso Jäger entwickelt, wie — nicht nur — bei Ben­ wie Ausbeutungsindustrie in Lohn und Brot jamin die mantischen Praktiken nicht irrationale gesetzt, um welche er selbst oft genug vergeblich Opposition zur Rationalität, sondern in der Sub- kämpfen musste. Unvorstellbar, dass es zwischen tilität der intellektuellen Unternehmungen der jüdischem Messianismus und voluntaristischem Durchdringung, Systematisierung, Lehr- und Kommunismus, Esoterik und Exoterik, Theolo­ Lernbarkeit deren höchste Steigerungsform sind. gie und Profanitätskunde, Jugendbewegung und Und er wird folgend zeigen, wie das zu fulminanten Endzeitbitternis, Dichtung und Theorie, Krise Einsichten, zu faszinierenden Bindungen, aber und Kritik, Geschlechts- und Geisterkunde noch auch selbstdestruktiven Verstiegenheiten, zu eben irgendeinen Aspekt geben könnte, der nicht aus- jener Einsamkeit führt, der Benjamin so verzweifelt und überdeutet schiene. Jäger indes hat nicht dies, zu entkommen suchte. sondern den elementaren Aspekt seines Lebens im „Ich habe drei verschiedene Frauen in meinem Sinn, den Tod, seinen Suizid: „Er ist Zeit in dem Leben kennengelernt und drei verschiedene Män­ Sinne, dass wir uns die Epoche ohne seinen Tod in ner in mir.“ (zit. n. S. 252) - bilanzierte Benjamin Portbou nicht vorstellen können.“ (S. 333) 1939, als er wieder ernsthaft an Suizid denkt. Lorenz Jäger — bis Ende 2016 für die Wis­ Währenddem arbeitet er an ganz Verschiedenem, senschaftsseiten der FAZ zuständig, Autor einer dem plumpmarxistischen Vortrag Der Autor als vielbeachteten „politischen Biographie“ Theodor Produzent, einem luziden Aufsatz über Kafka und W. Adornos, aber auch von Büchern u. a. über Astro­ einer großen Rezension zur Sprachsoziologie. An logie, das Hakenkreuz, den esoterischen Denker entscheidenden Kreuzungspunkten seines Lebens, Florens Christian Rang, wie über die Exerzitien so Jäger, vergewisserte sich Benjamin bei der des katholischen Glaubens — wählt einen ganz Sprachphilosophie (vgl. S. 252). Nun entdeckt er eigenen Zugang: Auch wenn man die gemeinsamen für sich die Faszination des mimetischen Potentials Bemühungen von Gershom Scholem und Adorno in der Gebärdensprache. Das mimetische Ver­ um Sammlung, Erhalt und Bekundung von Ben­ mögen hatte ihn, zu dessen meistgebrauchten Wör­ jamins denkerischem Werk gar nicht hoch genug tern ,Schauspieler‘ gehört, faktisch schon immer schätzen kann, was er tut, verschiebt er zum einen interessiert. Jäger verweist zudem auf das theatrale doch den Fokus der personalen Konstellationen Moment in seinen metaphysisch-theoretischen weg von diesen, hin zu ebenfalls bekannten, wie Konzeptionen. Das war zugleich auch performativ. Asja Lacis und Bertolt Brecht, vor allem aber auf Plastisch arbeitet Jäger heraus, wie bei Benja­ unbekanntere, vermeintlich randständigere, und min von Jugend an persönliche Beziehungen seine mit ihnen hin zu jenem Benjamin, der seit je an eso­ „Pfadentscheidungen bestimmten“ (S. 89. Es waren terischen Praktiken höchst interessiert war —Astro­ stets konkrete Menschen, die „metaphysische Um­ logie, Chiromantie, Graphologie, Physiognomie wälzung“ bei ihm auslösten - Frauen zumal, und und Traumdeutung. das entschieden mehr als drei, von der kindlichen Jäger führt damit zum einen in die Zeit unmit­ Luise von Landau, die ihm das Muster des Adligen telbar vor der Ersten Weltkrieg zurück, die extrem eingab, über die ihn kommunistisch elektrifizie­ geprägt war von bündischem Zirkelwesen, Wan­ rende [sic!] Asja Lacis bis hin zur späten wahren derpropheten, Manifesten und Kulten, esoterisch- ,Sexualware‘ Hélène Léger. Ebenso aber heute oft theosophischen Lehren, polyhistorischer Bildung eher unbekannte Figuren wie Ludwig Strauss, der und über und in alledem Radikalismen der Endzei­ ihm die Idee vom Judentum als „vornehmster Trä­ terwartung, der Sehnsucht nach „Wandlung“ und ger und Repräsentant des Geistigen“ (zit. n. S. 50) Erlösung. Zum anderen rückt er so den Virtuosen eingab, Gershom Scholem, der ihn auf die jüdische der Zeichendeutung ins Zentrum — fasziniert von Mystik und Genealogie brachte, der theosophische Schrift, Schreiben, Lesen, Deuten, wie ebenso von Erich Gutkind, Werner Kraft mit seiner Idee der der Materialität der Zeichen und der Zeichen- Gerechtigkeit, der autoritär-konservative Florens

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Christan Rang und so fort bis schließlich Bertolt schreiben“, ein literarischer Stil, der entschiedenst Brecht mit seinem angeblich marxistischen Kult „Einspruch gegen jeden Pluralismus sein wollte“ des Niedrigen und Gemeinen. (S. 96). Wie Alfred Kerr behauptete Benjamin Jäger arbeitet aber nicht nur diese — oft verblüf­ die Eigenständigkeit, ja Superiorität von Kritik fenden — Konstellationen von Personen und Ideen gegenüber ihren Gegenständen, aber Schreiben heraus, sondern stellt ihn grundsätzlicher in die wie Kerr und andere Feuilletonisten, unterhaltsam Konstellationen mit den zeitgenössischen Avant­ plaudernd, war ihm ein Gräuel — so entstanden garden der konstruktiven Destruktion — Dada im Gegenzug seine scharfkantigen, in blitzartigen und Surrealismus zumal. Vor allem konturiert er Sentenzen verdichteten und verrätselten „Denk­ dabei Benjamin als Person wie Denker auf ebenso bilder“. Gegen die allfälligen adeptisch bis be­ verblüffende wie scharfsichtige Weise aus den triebswissenschaftlichen repetitiven Entgratungs- physiognomischen Zeugnissen seiner Freunde versuche des Benjamin’schen Denkens insistiert und Bekannten: Augen und Stirn, Mund und Jäger auf dessen Zugehörigkeit zum Extremismus Nase. Er geht dabei zunächst nicht denjenigen im Zeitalter der Extreme, ein Extremismus der Begriffsprägungen wie „Aura“ nach, die mit dem Form zunächst mehr denn des Inhalts. Benjamin Namen Benjamins fix verbunden sind, sondern selbst notiert, wie „die aesthetische Einheit von einem vermeintlich unscheinbaren Aspekt wie Form und Inhalt zur Zweideutigkeit der Form dem der „Krone“ — die dem König gewissermaßen und des Inhalts wird“4. Zweideutigkeit ist sein wesenseigen ist, mag sie auch schief sitzen oder Metier und er sieht sie überall: Zweideutig ist die aus Papier sein. Jäger findet hier einen geradezu Hure als Sexus und Ware, die Passage als Raum monarchistischen Benjamin, selbst ein heimlicher und Straße, Zweideutigkeit sah er bei so gut wie König, wie er in seinen Kindheitserinnerungen allen Autoren und Gegenständen, mit denen er über den Fingerhut der Mutter schreibt: „Denn sich befasste, sei es Hofmannsthal, Kraus, Proust, gern bemächtigten wir uns der kleinen Krone, Walser oder Goethes Wahlverwandtschaften; im die im Verborgenen uns bekrönen könnte.“2 Ein Passagenwerk wimmelt es davon sowieso. Zweideu­ wandernd erlebter Sonnenaufgang kann die „Sou­ tigkeit, schrieb er, „ist die bildliche Erscheinung veränität eines unsichtbar Gekrönten“ verleihen, der Dialektik“5. gar bei der Arbeit zur Selbstkrönung werden.3 Doch gehört das schon wieder zu seinen De­ Neben zentralen Begriffen von Benjamins zisionen, nämlich mit seinem Stil und seinen Denken — wie „Liebe“, „Sprache“, „Gewalt“, Denkformen zu dem autoritativen marxistischen „Tod“/“Leiche“ — widmet sich Jäger ausführlich Kunst- und Kulturtheoretiker werden zu wollen. dem des „Geldes“, der Benjamins Leben und Der exzessiv gebrauchte Begriff der „Zweideutig­ Denken bis zu seinem Ende bestimmen sollte. keit“, merkte Adorno allerdings lakonisch an, be­ Er steht als — Ausdruck gesichtsloser Massenhaf- dürfe allererst selbst der Theorie.6 „Aufkaum etwas tigkeit — dem Gekrönten diametral entgegen, ist war Benjamin als Philosoph so vorbereitet wie auf aber zumindest zwiefach Obsession, zum einen die Zweideutigkeiten, die nun manifest wurden.“ blitzartig visualisiert im immensen Geldbündel, (S. 246) — schreibt Lorenz Jäger. Das war er seit der von dem ein Freund verwundert berichtete, dass jugendlich-elementaren Wendungserwartung — in Benjamin, statt zu zahlen, es lange träumerisch der Position und Figur des Umschlags. Es ist dies, streichelte, zum anderen in seinen späten Schriften zeigt Jäger mit Benjamin, die Figur des Saturni- derart zum dämonisch ubiquitären „Kapital“ und schen, der Melancholie. So wie im Passagenwerk zum Gespenst der „Ware“ aufgebläht, dass Adorno kompositorisch „die Welt der Träumer in die der ihn darob als „wahnsinnig gewordenen Wander­ Wachen“ umschlagen sollte, so schlug ihm dump­ vogel“ (zit. n. S. 309) titulierte. „Nicht mehr mit fes Brüten in jähen Geistesblitz, Nüchternheit in einer Theorie hat man es zu tun“, schreibt Jäger Rausch, Theologie in Materialismus, Profanes in nüchtern, „sondern mit einer gnadenlosen fixen Heiliges, Askese in Hedonismus, Bild in Begriff Idee“ (S. 308). um. Wie naturgemäß stets auch umgekehrt. „Benjamins Stil war einer der bedeutendsten, In alledem kann man nicht nur Benjamins Le­ aber auch der letzten Versuche aus dem intel­ ben und Werk komplementär zu dem von Siegfried lektuellen Milieu, autoritativ und autoritär zu Kracauer lesen, der — als Kritiker des Radikalis­

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 606—670 6 4 0 Besprechungen mus — hier nur ganz am Rande vorkommt, sondern wäre es demnach geblieben, hätte er überlebt. auch Lorenz Jägers Biographie komplementär zu Benjamin’scher kann wohl keine Biographie Ben­ der Kracauers von Jörg Später: Ist diese angelegt jamins sein. als ein Panorama der Ideengeschichte des 20. Jahr­ hunderts, zeigt ein dynamisches Netzwerk an jü­ Anmerkungen dischen Intellektuellen, bei allen Rivalitäten, alles in allem doch Gelehrtenrepublik, so liefert Jäger 1 Vgl. Jörg Später: Siegfried Kracauer - Eine Biogra­ die dazu notwendige Ergänzung der Faszinationen phie, Berlin 2016. wie Gefährdungen extremistischen, radikalen 2 Walter Benjamin: Gesammelte Schriften, Bd. IV/1, und diktatorischen Denkens, wie die bei allen Frankfurt a. M. 1972, S. 289. 3 Walter Benjamin: Gesammelte Schriften, Bd. IV/2, Liebes- Freundschafts- und Diskursbeziehungen S. 938. existentielle Einsamkeit und Verlassenheit. 4 Walter Benjamin: Gesammelte Schriften, Bd. II/3, Darin ist das Schlusskapitel ein ganz besonderer Frankfurt a. M. 1977, S. 1100. Höhepunkt, nicht nur wegen des bewegend ge­ 5 Walter Benjamin: Gesammelte Schriften, Bd. V/1, schilderten Endes Benjamins, sondern weit darüber Frankfurt a. M. 1982, S. 55. hinaus durch den deutenden Kreisschluss, den es 6 Zitiert in: Walter Benjamin: Gesammelte Schriften, zieht, indem es nämlich das Ende buchstäblich Bd. V/2, S. 1130. als Einlösung der jugendlichen Metaphysik liest — zentriert um Benjamins pathetische Formel: wir Erhard Schütz Verstorbenen, die wir auferstehen in dem, was uns Humboldt-Universität zu Berlin zustößt“ (zit. n. S. 338). Sprach- und literaturwissenschaftliche Fakultät Ein Unvollendeter, wie der Untertitel ihn nennt, Institut für deutsche Literatur war er stets zwischendrin, aber ein so gedeuteter D-10099 Berlin Benjamin ist es an solchem Ende nicht mehr. Er < eschuetz@ t-online.de>

C h ristia n M. H a n n a , Fr ied erike R een ts (Hrsg.) Benn Handbuch. Leben — Werk — Wirkung, J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2016, 458 S.

Handbücher allüberall. Da so gut wie alle Bespre­ auch dazu keiner vorbeugenden Rechtfertigungen chungen all’ der jeweiligen Handbücher zugleich bedurft hätte. Schon gar nicht nötig sind einhe­ mit Reflexionen über das Genre des Handbuchs, gende Beschönigungsversuche, zu denen in einigen seine Normen und Abweichungen, kurz: Sinn und Detail-Beiträgen eine gewisse Inklination besteht. Form, versehen sind, kann hier darauf verzichtet Wenn CHRISTIAN SCHÄRF kurzum erklärt, Benn werden, auch wenn sich das vorliegende gegenüber sei kein Antisemit gewesen (S. 15), dann trifft der Untertitel-Trias aller, Leben — Werk — Wirkung, das insofern zu, meint man den nationalsozialis­ gelinde, aber zweckmäßige Abweichungen erlaubt. tischen Rasseantisemitismus. Man wäre aber Benn Und auch zu Gottfried Benn als Handbuch-Gegen­ gegenüber nicht ungerecht, wenn man auf seine stand bedürfte es eigentlich keiner umständlichen zumindest gelegentlichen Anfälle von antisemiti­ Begründung. Benn ist - und wird es bleiben - einer scher Betriebsranküne verwiesen hätte (vgl. dazu der bedeutendsten deutschen Autoren, Lyriker die explizite Stellungnahme von ELENA AgaZZI in ohnehin, des 20. Jahrhunderts. Auch, in aller ihrem Beitrag zu Doppelleben, bes. S. 230.) Den Problematik, eine deutsche Jahrhundertfigur - in Handbuch-Machern und -Beiträgern andererseits Werk wie Wirkung. Sein Verhältnis zur Nazi-Zeit, einschlägige „Diskretionswissenschaft“ zu unter­ worüber gern das gespannte Verhältnis zur Demo­ stellen, scheint wiederum etwas zu heftig.1 kratie und zum republikanischen Literaturbetrieb Bis auf ganz wenige Ausnahmen stammen die vergessen wird (vgl. aber hier S. 330), ist inzwischen Artikel von approbierten Benn-Kennern- und wohl hinreichend in seiner Zwiespältigkeit, aber -Forschern. So steuert das Handbuch tatsächlich auch Komplexität untersucht worden, so dass es erfolgreich, wie die Herausgeber CHRISTIAN

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M. Hanna und Friederike Reents einleitend n. S. 70), dann widerlegt nicht nur der Umfang hoffen, zwischen „sympathisierend-apologetischen des Teils zu seiner literarischen, essayistischen, Bewunderern“ und „ideologisch verbrämten Kri­ polemischen und auch wissenschaftlichen Prosa tikern“ (S. X), dabei allerdings eskamotierend, — die briefliche Selbstinszenierung einmal beiseite­ dass nicht alle Kritik bloß ideologisch und gar gelassen —, diesen Satz, sondern auch die allermeist verbrämt war. Das Handbuch selbst ist jedenfalls eindringlichen Analysen gerade der Komposition eine in Konzeption wie Durchführung exzellente seiner Prosaschriften. Man denke nur an die Kon­ Leistung, die für lange Zeit Dreh- und Angelpunkt stellation — in jeweils durchweg höchst gediegenen, jedweder Auseinandersetzung mit Gottfried Benn vorbildlichen Analysen — von Weinhaus Wolf (TAN­ sein wird. Es ist denn auch keine „Vivisektion“, wie JA VAN Hoorn), Roman des Phänotyp (PETER Uwe das Vorwort mit Benns medizinischer Ausbildung HOHENDAHL, der hier auf engstem Raum auch und Brotberuf kokettiert (S. X), sondern ein sorg­ die unterschiedlichen Arbeitsstufen transparent fältig zu einem Ganzen gefügtes Mosaik. macht) — nicht minder ambitioniert geschrieben Das Rubrum „Leben“ wird hier ersetzt durch als die pointiertesten Texte seiner Lyrik — und Der die ansprechendere Trias „Zeiten — Zonen — Strö­ Radardenker (THOMAS WEGMANN). mungen“. Soviel Benn-Reverenz muss denn doch Ebenso sind die eher kasualen Texte, Gesprä­ wohl sein, zumal der Biographischem äußerst dis­ che und Interviews; so zeigt sich, purer Benn, tanziert gegenüberstand. Was ihn freilich nicht da­ wenngleich mit einer anderen, an die Lyrik an­ ran hinderte, Familiäres und Privates, Onto- und knüpfenden Akzentuierung, nämlich im — von Phylogenetisches zu bemühen, wo es ihm passend seinem frühen „Gott“ Liliencron abgelauschten oder nützlich schien. Zurecht apostrophiert z. B. — Parlando (vgl. S. 33), das — beiher gesprochen Elena AGAZZI Doppelleben als einen „der origi­ — nicht wenig vom militärischen Kasinoton nellsten und kontroversesten autobiographischen transportiert. Das zeigt ihn, so MICHAEL Ansel, Texte des 20. Jahrhunderts“ (S. 229). als „gewieften Plauderer“ (S. 202), zu dem man Ebenso kompakt wie präzise werden jedenfalls sich nun einen eigenen, ausführlicheren Beitrag die wesentlichen Aspekte von Benns Leben modul­ gewünscht hätte, wie zu seinem Verhältnis zu Staat artig präsentiert. Da fehlt naturgemäß nicht das und Nation. Denn der Causeurston reicht ebenso Evangelische Pfarrhaus und der Nihilismus im tief in die Briefe hinein, geschickt wechselnd mit Geiste Nietzsches (der dann unter dem späteren Ein­ melancholischer Lakonie, bei denen naturgemäß trag zu Strömungen und Benns Artikel zu Nietzsche der Briefwechsel mit Friedrich Wilhelm Oelze von noch einmal verhandelt wird), Der Kampf gegen Dauer und Gehalt her im Zentrum steht. Aber es die Väter so wenig wie Positivismus, Darwinismus, ist gut, auch hier so plastisch das Spektrum, in Intellektualismus, ehe mit der Zeit nach 1933 es dem Benn sich bewegte, vor Augen geführt zu in eine verschämt eher chronikalische Darstellung bekommen. Wobei das eine oder andere kritischere übergeht. Auch wenn die einzelnen Einträge manch­ Wort zur jeweiligen Edition, wie am Beispiel der mal karg sind, ist das Kapitel über Benns Lektüren des Briefwechsels mit Ursula Ziebarth (HOLGER und die literarhistorischen Kontexte im Verein mit HOF), willkommen gewesen wäre. den wissenschaftlichen Kontexten und Diskursen Teil III, der sich Ästhetik und Poetik widmet, durchweg höchst erhellend, zeigt sich darin doch ist ein weiteres Kernstück, das — notgedrungen eine ungemeine Vielfalt zwischen Schulkanoni- — hin und wieder in gewisser thematischer, aber schem, Ko-Auktorialem und Nichtapprobiertem. durchaus nicht inhaltlicher Redundanz zu den Vor allem der Überblick über die wissenschaftlichen vorhergehenden Einträgen nun systematisch die Kontexte besticht durch — zusammengenommen — zentralen Aspekte — Schreibweisen und Techniken, solide enzyklopädische Basalinformation. Konzeptionen und Strukturen, Denkfiguren und Mo­ Teil II widmet sich dem Werk, bei dem natur­ tive — von Benns Werk durchmustert, wobei, um gemäß die Lyrik an erster Stelle steht. Hier bleibt das denn doch herauszugreifen, das Thema Frau nichts zu wünschen übrig. Wenn sich jedoch Benn und Weiblichkeit zwar die Steilvorlagen aufgreift, 1954 in einem Rundfunkgespräch mit dem apo­ die Benn nun einmal liefert, aber darauf selbst diktischen Satz berlinisch ,dicke tat‘: „Ich bin der eher reflexartig als reflexiv antwortet. Immerhin Meinung, daß es überhaupt nur Lyrik gibt“ (zit. versöhnt, dass SABINE KYORA mit ihrem Eintrag zu

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Traum und Rausch zeigt, dass sie auch entschieden Beider Einträge gehören durchweg zum Profundes­ differenzierter zu argumentieren versteht. ten und Verlässlichsten dieses nahezu durchweg Dem folgt Teil IV zu Rezeption und Wirkung, höchst profunden und verlässlichen Standardwerks. der im Detail hier nun wirklich nicht nachzeichnet werden kann, aber ein beeindruckendes Spektrum Anmerkung literarischer Wirkung zwischen dem dubiosen George Forestier und Durs Grünbein aufführt, 1 Vgl. Markus Joch: Ich-Entgrenzung. Das erste, groß­ die internationale Rezeption protokolliert und der artige Handbuch über Gottfried Benn hat Kosmetik Editionsgeschichte Kontur gibt. nicht nötig. In: Der Freitag, Nr. 4. v. 26.1.2017, S. 24. Das übliche, aber unverzichtbare Beiwerk von Zeittafel, Bibliographie und Registern nicht zu Erhard Schütz vergessen. Humboldt-Universität zu Berlin Am Ende sei noch einmal hervorgehoben, welch Sprach- und literaturwissenschaftliche Fakultät komplexes Werk zu organisieren hier den beiden Institut für deutsche Literatur Herausgebern FRIEDERIKE REENTS und CHRISTIAN D—10099 Berlin M. Hanna gelungen ist. Und schließlich auch dies: < eschuetz@ t-online.de>

J ürgen K rätzer (Hrsg.) Franz Fühmann, Text+Kritik, Heft 202/203, edition text+kritik, Richard Boorberg Verlag, München 2014, 179 S. (I.)

Peter Bra u n , M artin Straub Ins Innere. Annäherungen an Franz Fühmann, hrsg. in Zusammenarbeit mit dem Lese-Zeichen e. V., Wallstein Verlag, Göttingen 2016, 223 S. (II.)

Barbara H ein z e , J örg Petzel (Hrsg.) Franz Fühmann. Die Briefe, Bd. 1: Briefwechsel mit Kurt Batt. „Träumen und nicht verzwei­ feln“, H instorff Verlag, Rostock 2016, 20 5 S. (III.)

U we Buckend a h l Franz Fühmann: „D as Judenauto“ — ein Zensurfall im DDR-Literaturbetrieb. Eine historisch­ kritische Erkundung mit einer Synopse aller publizierten Textvarianten, Verlag Peter Lang. Internationaler Verlag der Wissenschaften, Frankfurt a. M. 2017, 698 S., CD-Rom (IV.)

Es ist müßig zu beklagen, dass der österreichi- tobiographischer Essayistik dasteht: für sich und sche Schriftsteller und Böhme Franz Fühmann miteinander verbunden. Suhrkamp verweigerte die (1922—1984), der unter den Bedingungen des gewünschte Werkausgabe, Hinstorff ließ sich zu Deutschen Reichs, der sowjetischen Kriegsge- früh darauf ein — und jetzt scheint es (fast) zu spät. fangenschaft und der DDR um ein literarisches I. Da ist es doppelt zu begrüßen, wenn die Werk rang, ins Vergessen gerät. Er selbst sah sich Reihe Text+Kritik Franz Fühmann einen Dop- gescheitert — oder wollte sich, selbsterniedrigungs- pelband widmet und den veritablen Kenner willig, so sehen. Ihm stachen die heterogenen JÜRGEN KRÄTZER als Gastherausgeber berufen Konturen und Verästelungen seines literarischen hat. Krätzer gelang es, gute Namen zu gewinnen, Arbeitens ins Auge. Kein Werkwille der Welt kann die sich dem abzudeckenden breiten Spektrum harmonisieren und in eins fügen, was in Blöcken gewachsen zeigen. Das Gemisch von Literarischem von Kinder- und Jugendliteratur, mythischen und Wissenschaftlichem hat sich im Allgemeinen Nacherzählungen, facettenreicher Novellistik, einmal mehr bewährt, ebenso die lockere wie Reportagen, kulturpolitischen Artikeln und au- knappe Darbietungsform im Einzelnen. Beinahe

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Liebeserklärungen in Literatur stehen am Anfang: rankenden Beiträge rücken die Publikation ab ob von Marcel Beyer oder Christoph Hein, vom streng Wissenschaftlichen und zielen eher auf ob von Kathrin Schmidt, Peter Härtling eine nicht-akademische Leserschaft. Das ist keine (anrührend!), INGO SCHULZE oder Uwe KOLBE. verkappte Kritik an der Qualität dieser Aufsätze, Der Herausgeber selbst steuert einen Text bei, der die - bei aller Unterschiedlichkeit - außer Frage Einheit und Widerspruch in Fühmanns Schaffen steht, sondern zielt auf die Intention der beiden beschwört, dabei noch einmal in die -Akten Herausgeber. blickt (immer notwendig, quellenkritisch aber doch Peter Braun (Jg. 1961) wie Martin Straub (Jg. 1943) aufs Ganze gesehen zunehmend einförmig und stammen aus dem Jenenser Raum, lehrten bzw. leh­ ertragsriskant) und bemüht ist, charakteristische le­ ren noch an der dortigen Universität und engagieren bensgeschichtliche und Werkmomente zu fixieren. sich in der Schreibforschung, der medialen Gebun­ Die sich anschließende Beitragspalette reicht denheit von Literatur und sind der Lese-Zeichen e. V. von Fühmanns variantenreichen Bibelzugängen (Thüringer Büro zur Förderung von Literatur und (CHRISTIAN Lehnert) zu seinem eminenten In­ Kunst) verbunden. Ihre Arbeiten weisen Braun und teresse an Traum und Traumdeutung (Brigitte Straub als erfahrene Literaturwissenschaftler aus, K rüger), von den literarischen wie subjektiv das 20. Jahrhundert ist ihr bevorzugtes Studienfeld. empfundenen Wahl- und Wesensverwandtschaften Kein lärmendes Plädoyer für den ,in Vergessenheit zu E. T. A. Hoffmann und Georg Trakl (KLAUS geratenen großen Schriftsteller“ Franz Fühmann Rek, Eberhard Sauermann und, sich einmal eröffnet den Beitragsreigen, sondern ein längeres mehr der Publikationskatastrophe des Trakl-Essays Zitat auf dessen Erzählung Pavlos Papierbuch. In zuwendend, Uwe Kolbe), zu seiner fulminanten ihm porträtiert der Erzähler jenen Pavlo einfühl­ Nachdichtungspraxis (GYÖRGY Dalos) - ergänzt sam, wie er ein Buch in die Hand nimmt, es in um den Wiederabdruck von Fühmanns 1969 seiner materiellen Wirklichkeit erfasst und wie erstmals im Börsenblattveröffentlichten Text Kleine dessen Sinnlichkeit die eigenen Sinne anstiftet - bis Praxis des Übersetzens unter ungünstigen Umständen zum Titel: In schwerer Zeit. und einem Versuch, Fühmanns Schreiben generell Schon dieser Auftakt spiegelt das Bemühen der aus dem großen Kontext von „Übersetzen“ zu Herausgeber um Komposition des Ganzen. Sie wol­ begreifen (WERNER Nell). Der Mentor für junge len ein schönes Buch über Franz Fühmann zusam­ dichtende Leute wird bedacht (MATTHIAS Braün), menstellen. Verehrung und Zuneigung verstecken eine kritische Studie von Fühmanns anhaltender sich nicht, ja sie wollen erkannt und wahrgenom­ „Sinnsuche in der Arbeitswelt“ beigefügt (ANDREA men werden. Nichts Zufälliges oder Bel iebiges Jäger), und seine intertextuelle Schreibweise seit durfte die Absicht gefährden. Ihnen stand keine Ende der 1950er Jahre bis zu den unterschätzten Aufsatzsammlung vor Augen: Neben dem Ge­ SaiänsFiktschen charakterisiert (FRANZ HüBERTh) dicht finden Lebenserinnerungen Platz, neben - auch hier eine reizvolle Ergänzung: AdolfEndlers der interpretatorischen Studie Essayistisches. Die Briefvom Mai 1982 an Fühmann, der eindrucksvoll Beiträger(innen) sind nicht ,die üblichen Verdächti­ und lesegebildet vor Augen führt, wie sich damals gen“, obwohl sich unter ihnen erwartete Namen wie schon die vielfach geschmähten utopischen Ge­ Barbara Heinze oder Matthias Braun befinden. schichten um den Trinker Pavlo verstehen ließen. Fünf Blöcke helfen den Herausgebern zu Eine Auswahlbiographie, von Krätzer selbst gruppieren, was ihre Beitragsbitten erbrachten: mit Blick auf die vorliegenden von HENK DE Wild „Zugänge“ (Anja Kampmann, Joachim Hamster u. a. zusammengestellt, rundet diese Sammelpub­ Damm, D ietmar Riemann), „Entwicklungen, likation ab. Der Nachlass Fühmanns wurde nur Wandlungen“ (Matthias Braun, Barbara in Ausnahmefällen eingesehen. HEINZE), „Reflexionen zur Poetik und zu einzel­ II. Dass ein Buch wie das von PETER Braun nen Werken“ (FRAUKE MEYER-GOSAU, HeLMUT und M artin Straub im renommierten und nach Böttiger, Daniela Danz, Martin Straub), wie vor durch Angebot wie Qualität faszinierenden „Figuren des Zufalls“ (ANJA KAMPMANN, DIET­ Wallstein Verlag erscheint, spricht für sich - und MAR RIEMANN) und „Die letzten Jahre“ (PETER für das Buch im Besonderen. Inhalt und Charakter Braün, Dietmar Riemann). Diese Mischung dieser sich um den Schriftsteller Franz Fühmann erzeugt den Reiz des Buches, dem es in seiner

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Ganzheit um Fühmanns tatsächliche individuelle Vergangenheit zurück, die ihm nicht vergangenen, und künstlerische Originalität geht. Vertrautes — sondern gegenwärtig ist. Der Junge, dessen Mal- wie etwa die Wertschätzung für das Budapester und Puppenspieltalente Fühmann sofort als kost­ Tagebuch Zweiundzwanzig Tage oder Die Hälfte bares Lebensgut erkannt hatte, ging, so ermutigt, des Lebens, das anhaltende Staunen über die kühne diesen künstlerischen Weg weiter und wählte als Maßlosigkeit des Fragment gebliebenen Im Berg. Beruf, womit er Fühmann so zum Lachen gebracht Bericht eines Scheiterns oder die Eigenarten seines hatte, dass „es aus dem großen Mann“ (S. 20) schriftstellerischen Nachlasses, den er schon zu gekracht hatte. Damms Fühmann erscheint den Lebzeiten Stück für Stück dem Archiv der Aka­ Lesenden in einer Unmittelbarkeit, ja Lebendig­ demie der Künste zu übergeben begonnen hatte — keit, die wie ein Kunststück wirkt und doch frei stehen neben Unerwartetem oder kaum mehr als jeder Künstlichkeit ist. Uwe Kolbe glückt in seiner Geahntem. etwas rostigen Eisenrad-Erinnerungsprosa — deren MATTHIAS Brauns Beitrag, der auf knappstem Wert unbestritten bleiben soll — mit kaum einem Raum das Wagnis unternimmt, „die Entwicklung Satz Vergleichbares. des literarischen Intellektuellen Franz Fühmann, Anders DIETMAR RIEMANN. Er hält mit — vor weniger seine Texte selbst“ (S. [53]), nachzuzeich­ allem in dem Medium, in dem er sich nachhaltige nen, kann als eine Art Bindeglied gelesen werden. Wertschätzung erworben hat: der Fotografie. So­ Im Wunsch, eine Gesamtschau zu bieten und wohl die Ablichtungen anlässlich eines „ [p] ost- einen großen Bogen zu schlagen, unterschätzt hume[n] Besuch[s] bei Franz Fühmann im Sep­ er die Grenzen, die einer solchen Absicht beim tember 1984“ in Märkisch Buchholz als auch die derzeitigen Kenntnisstand gesetzt sind. Fühmanns ausgewählten Lichtbilder aus dem Zyklus Leben Neigung, verführerische Selbstbilder zu entwerfen mit Geistig Behinderten in den Samariteranstalten — und dies in derart griffigen Formeln, das einiges Fürstenwalde (Studienabschlussprojekt, entstan­ dazu gehört, sie nicht widerstandslos und unge­ den zwischen 1979 und 1981) loten tief in das Da­ prüft zu zitieren —, erschweren Unterfangen wie sein, das Fühmann prägte. In einem begleitenden diese. Ehe Fühmann nicht aus den (noch einmal: Text erzählt Riemann, wie es zu der Bekanntschaft selbst mitverschuldeten) Klischees befreit wird, ist gekommen war, die zu dem gemeinsamen Band ein freier Blick auf ihn, der ansteht und unabseh­ Was für eine Insel in was für einem Meer. Leben baren Gewinn an Einsicht verheißt, unmöglich. mit Geistig Behinderten (Rostock: Hinstorff 1986) Auch bei den Studien zum literarischen Werk wird führte. Zwei seiner Fotografien stehen am Ende zunehmend deutlich, dass man ohne den steinigen dieses gelungenen Buches über Fühmann: das Weg ins Archiv nicht mehr auskommt. Der Mangel Porträt von Monika, das an Fühmanns Wand hing einer kritischen Werkausgabe, die einem Autor von („Ich lernte von ihr, auch auf Knien zu gehen.“) diesem Rang zukommt, macht sich hier mehr als und Fühmanns Totenmaske, die Riemann in der nur schmerzlich bemerkbar. spätgotischen Alexanderkirche in Marbach ent­ Glanzpunkte der Publikation — nicht zuletzt, deckte, präsentiert im Rahmen einer von Michael weil sie deren Intention unangestrengt und aus Davidis konzipierten und realisierten Ausstellung dem eigenen Erleben entfalten können — sind die des DLA unter dem Titel Archiv der Gesichter, Beiträge von JOACHIM HAMSTER DAMM (Jg. 1965) 1999/2000. und DIETMAR Riemann (Jg. 1950), Puppenspieler III. Die nächste Publikation ist, was Anspruch der eine, Fotograf der andere, eigenwillig, kunst­ und Aussicht angeht, die ambitionierteste; leider bewusst und charakterstark beide. Damm titelt auch die, die dem Rezensenten am meisten Kum­ seine Erinnerungen mit Mein Franz Fühmann, mer bereitet hat. Es handelt sich um den ersten genauer geht es kaum. Stilistisch unbeschwert und Band der auf sieben Bände angelegten Brief­ frei von jeglicher Prätension schildert er, wie ihm Edition des Schriftstellers. Auf der letzten Seite in den Jahren zwischen 1975 und 1984 Fühmann des Bandes ist eine Übersicht abgedruckt, die aus­ gewissermaßen widerfuhr — und wie ihm diese Be­ schließlich „Briefwechsel“ annotiert. Neben drei gegnung zu einer unersetzbaren Erfahrung wurde. geplanten allgemeinen Briefwechseln 1948—1984 Mit einem Blick, dem Genauigkeit selbstverständ­ sind vier mit einzelnen Korrespondenzpartnern lich ist, holt er Bilder und Begegnungen aus jener aufgeführt: mit Kurt Batt, mit Ludvik Kundera,

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Joachim Damm und Ingrid Prignitz. Der vom „jäh“ und „plötzlich“ zu erläutern. Da glückt ihm Rezensenten unter Mitarbeit von Katrin von Bol­ unter dem 22.8.1971 ein Brief, der ihn zwar in eine tenstern 2016 ebenfalls im HinstorffVerlag edierte Vereinseitigung treibt (die er am 9.9.1971 wieder Briefwechsel Fühmanns mit dem Bildhauer und in die Waage zu bringen sucht), doch die Kraft der Schriftsteller Wieland Förster ist leider nicht als poetologischen Energie ist mitreißend. Teil dieser im Entstehen begriffenen Briefe-Edition Batt liest Fühmann, wie man Dichtung zu lesen aufgenommen worden. hat, nicht als etwas, was ja ohnehin mehr oder Der Literaturwissenschaftler und Lektor Kurt weniger klar ist, sondern als etwas zu Erschließen­ Batt (1931—1975) gilt im Kreis der Fühmann- des, etwas, das zu begreifen ist — oder eben auch Leserschaft als Legende, spätestens seit der Veröf­ verfehlt sein kann. Sein Auseinanderdeklinieren fentlichung des schutzlos trauernden Nachrufes der Erzählungen Die Austreibung der Großmutter von Fühmann: „Ich habe meinen Lektor verloren“. und Die Gewitterblume (12.2.1971) ist ein Muster Dessen Tonlage war die des Todes. Keiner, hieß gelungener Literaturlektüre. Besser und zutreffen­ es, „kann aus seiner Haut, auch im Tod nicht, der ist Fühmanns Prosa kaum beschrieben worden. und gerade da nicht. Da er [Kurt Batt — R. B.] Fühmann, sich fragend, wie er der Herausforde­ uns so viel gab, gab er uns auch die Schwere dieses rung dieses Briefes annehmen solle, erwidert: „Die Verlustes.“ Der Verstorbene habe „einen Maßstab Fülle seiner Gedanken macht mich verlegen, und gesetzt, als Lektor, Wissenschaftler, Schriftsteller, ich kann mich nicht einmal aschenputtelhaft ver­ Kamerad und Freund. [...] und mit ihm wollen halten“ — und er skizziert, in gleichem Maß, einen wir messen.“ Das galt Fühmann damals, es gilt den „Gegenpol“ (S. 62). Ihr Briefgespräch bekomme, Editoren dieses Briefwechsels heute. Es handelt so Batt im Mai 1974, „die Tendenz zur Unend­ sich eher um eine schmale Korrespondenz. Aber in lichkeit“, und er empfiehlt, was beide ohnedies ihren besten Stücken führt sie vor, was bisher nur beherzigen: Ross und Reiter zu nennen, „die zu zu ahnen oder Fühmann zu glauben war: Batt war schlachten oder denen zu huldigen“ (S. 153) wäre. ein ebenbürtiger Gesprächspartner: beherrscht, Aus Batts Feder, so Fühmann, als er von dessen umsichtig, konzentriert. Absicht hört, über ihn eine Monographie zu ver­ In seinen Briefen ist kein Wort zu viel, jedes fassen, etwas über sein Werk zu erfahren, sei ihm bedacht und von einer unaufgeregten Präzision „das Willkommenste und erwünschteste“ (S. 162). bestimmt, dass der Ertrag dieser Edition von daher Batts Urteilskraft ist nicht nur unbestechlich, gesichert ist. Batt vermochte Fühmann zu lesen wie sie ist bestechend, im Tadel wie im Lob: „Wie wenige. Er widerstand dessen zuweilen entfesselter sinnreich sich doch alles fügt“, schreibt Batt im Rhetorik, ohne ihr seinen Respekt zu versagen. Juli 1974. „Von Novalis zur Zurücknahme durch Zwar würden ihn, schreibt er unter dem 1.7.1971 die Gewitterblume und retour zu Novalis über an Fühmann, seine westdeutschen Freunde einen Mansfeld und den Kyffhäuser.“ Pointierter lässt romantischen Briefschreiber nennen, doch zeigten sich Fühmanns Schreibbewegung kaum fassen. ihm dessen Zeilen, „daß es um die Epistolographie Die Schreibenden sind ebenbürtig, ihr Umgang doch noch nicht geschehen ist“. Seine Beobachtung, ist auf Augenhöhe. Für Kumpanei, Illoyalität und dass es „Notwendigkeiten der Verständigung“ gebe, Intriganz ist so wenig Platz wie für ein anbiederndes „die nur brieflich abzugelten“ (S. 68) seien, wird Du. Bis zum Schluss heißt es „Lieber Herr Dr. Batt“, in dieser Korrespondenz wieder und wieder bestä­ „Lieber Herr Fühmann“. Nicht auszudenken, wenn tigt. Als man 1974 einen Anlauf nimmt, in einem es tatsächlich zu einer gemeinsamen Zeitschrift „Schriftsteller-Interview“ einmal Grundlegendes gekommen wäre, die sich Fühmann unter dem von zur Sprache zu bringen, glücken beiden Seiten Christian Morgenstern entlehnten Titel Der Dürfer Schreiben von scharfer Intelligenz und ästhetischer (vgl. S. 189 ff.) im Dezember 1974 wünschte: mit Prägnanz. Der lähmende kulturpolitische Wortbrei, Batt als „Chefredakteur, und dazu die Truppe über der Fühmann anderen Briefpartnern gegenüber die wir schon manchmal gesprochen“ (S. 190). Da die freie und frische Argumentation verklebt, wird hatte man das Schalten und Schädigen der DDR- hier mit einer lästigen Bewegung beiseitegescho­ „Provinzialliteraturverwaltung“ (Fühmann an ben, man hat Wichtigeres zu besprechen. So etwa Batt, 23.5.1974) längst aus dem eigenen Denken wenn sich Fühmann herausgefordert sieht, seine und Arbeiten gebannt — und erlag ihm am Ende

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 606—670 6 4 6 Besprechungen doch. Batt, der in diesem Briefwechsel das letzte stehen mangelhafte gegenüber: 1. ungenaue - etwa Wort hat, schreibt, genötigt zu „Einschätzungen, wenn Batt Fühmanns „Verteidigung des ,Spuk““ Analysen, Stellungnahmen zu dem, was war, ist und unverständlich ist und sich die Anmerkung auf den sein wird“: „Ich habe es satt.“ (undatiert, S. 192). bibliographischen Beleg der Erzählung beschränkt Fühmann ist von dem Maß, das ihm Batt setzte, (S. 52), oder wenn Fühmann von „meinem Über­ nie abgerückt, die Editoren ihrer Korrespondenz setzer Nik. Bunin“ spricht und die Anmerkung haben es leider verfehlt. Diese Briefausgabe bleibt diese Mitteilung nur variiert und nicht mitteilt, hinter den hohen Erwartungen zurück, die sich was Bunin von Fühmann ins Russische übertra­ an sie knüpften. Die idealen Ausgangsbedingun­ gen hat (S. 79); 2. lückenhafte - etwa wenn Batt gen haben sich nicht ausgezahlt: Barbara Heinze die Bitte eines Rundfunkredakteurs um Lesung betreut den Fühmann-Nachlass in der Akademie und Gespräch an Fühmann weiterleitet und die der Künste, Berlin und hat mit Franz Fühmann. Anmerkung ungeklärt lässt, ob es dazu kam, und Eine Biographie in Bildern, Dokumenten und 3. sogar fehlende bzw. fehlhafte - so bei „West- Briefen (Rostock: Hinstorff 1998) das bislang elbiern“, wo versehentlich die Ziffer bei „I nterview- informativste und gestalterisch gelungenste Buch Manuskript“ (S. 52) gesetzt wird, was wiederum über den Autor verfasst, der Nachlass von Kurt zu einem irreführenden Verweis auf S. 54 führt. Batt befindet sich unter demselben Archivdach wie Wiederholt wird bei den bibliographischen Nach­ der Fühmanns, und Jörg Petzel ist profilierter Mit­ weisen aufAusgaben verwiesen, die Fühmann nicht herausgeber der sechsbändigen E. T. A. Hoffmann- benutzt haben kann (z. B. S. 169 Georg Lukacs’ Ausgabe in der Bibliothek Deutscher Klassiker. Karl Mannheit und der Sonntagskreis oder Walter Die Ausgabe wirkt unfertig, nein: sie ist es. Zu Benjamins Lukacs’ Lob nach einer Ausgabe von viele Mängel fallen ins Auge, um sie zu übersehen. 1984, auf das Fühmann Mai 1974 hinweist). Und Zu eilig ist die Naht geheftet, zu flüchtig das um ein Letztes anzumerken: Die Fußnoten mit editorische Rüstzeug, über das die Herausgeber Lemmazeichen auf der jeweiligen Dokumentseite zweifelsfrei verfügen, eingesetzt. Wenige Beispiele zu drucken, ist mittlerweile eher Ausnahme und müssen genügen, um dem kritischen Kummer den kann aber für den Benutzer bequem sein. Doch Verdacht des Bodenlosen zu nehmen: die hier gewählte Schriftgröße unterschreitet ein Der Edition fehlt, was unerlässlich ist - das noch vertretbares Maß. Vor- oder Nachwort. Ein Wissen über Person, Dieser Auftaktband verschenkt eine große Persönlichkeit und Profil von Kurt Batt kann Chance. Es hätte vorgeführt werden können, was nicht vorausgesetzt werden. Hier wäre endlich die eine entschlossene, alle Möglichkeiten nutzende Gelegenheit gewesen, die Lebens- und Lektoren­ Fühmann-Briefedition bieten kann. Quellen von geschichte dieses außerordentlichen Menschen, der höchster Qualität sind zugänglich: Fühmanns nur 44 Jahre alt wurde, wenigstens in ersten genau­ mustergültig aufgestellte Bibliothek in der Berliner eren Strichen zu zeichnen. Schon Stichproben in Stadt- und Landesbibliothek, seine informations­ Korrespondenzen Batts mit anderen Autoren führen dichten Taschenkalender, das sorgsam aufbereitete vor Augen, mit welchem intellektuellen, aber eben Archiv seiner schriftstellerischen Hinterlassenschaf­ auch konzeptionellen Format man es zu tun hat ten und, wie eingangs erwähnt, der Nachlass von (vgl. DLA Marbach, A: Heinz Czechowski). Das Kurt Batt unter demselben Dach. Dies alles ist trau­ schließt eine zu vermutende tragische Dimension rig, und doppelt traurig, weil an eine zweite, über­ ein, die völlig im Dunkeln bleibt. Die Herausgeber arbeitete Auflage dieses Bandes nicht zu denken ist. verzichten auf Dokumentüberschriften (z. B.: Franz IV. „Ich gestehe, den Namen Franz Fühmann Fühmann an Kurt Batt, 3. Dezember 1959) und, hatte ich vor 2009 wissentlich noch nie gehört.“ von wenigen Ausnahmen abgesehen, ebenso auf Mit diesen Worten beginnt Uwe BuCKENDAHL knappe Dokumentbeschreibungen (wenigstens seine akribische, auf Vollständigkeit bedachte Brief, Postkarte, Blatt- und Seitenanzahl). Die Rekonstruktion der verschiedenen Textfassungen, Fußnoten bewegen sich auf einem merkwürdig die die Erzählungen des 1962 veröffentlichten uneinheitlichen Niveau. Den doch überflüssigen Bandes DasJudenauto durchlaufen und - aus Sicht Erklärungen von mythischen Gestalten wie etwa ihres Verfassers und Editors - durchlitten haben. Skylla (S. 66, 212) oder von „Dreifaltigkeit“ (S. 110) Einmal mehr bewährt sich das Prinzip „learning

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 606-670 Zeitschrift für Germanistik XXVII - 3/2017 6 47 by doing“, und einmal mehr erweist sich die Liebe zu rechnen ist, wenn man das Werk Fühmanns so zur Sache als eine Antriebskraft, die Berge versetzt. ernst nimmt, wie es das verdient. Die maßstab­ Das klingt rhetorisch, ist aber durchaus realistisch setzende Publikation — und das gilt für alle ihre zu verstehen. Teile—wird komplettiert durch eine MP3-CD, die Buckendahl war bei seinen Studien über die kaum noch zugängliche Rundfunksendungen über Fülle von Abweichungen zwischen einzelnen Das Judenauto dokumentiert und mit Fühmanns Drucken gestolpert. Er nahm, detektivisch, die Stimme noch einmal die Person vergegenwärtigt, Spur auf und ermittelte nicht nur die beiden be­ die eine Persönlichkeit von Rang war. kannten Abweichungen, über die Fühmann schon Ein Fazit soll nicht gezogen werden — oder nur schrieb, sondern auch weitere (sogar in der Edition eins: Der Österreicher aus Böhmen mit einem aus dem Jahr 1979, die sich auf die vom Autor so DDR-Pass, weltliterarischem Gewissen und dem dankbar gelobte Textwiederherstellung durch den unbändigen Wunsch, das Seine zur deutschen Dich­ Editionswissenschaftler Siegfried Scheibe berief). tung beizutragen, war Solitär. Alle Anstrengungen Neben den in den Verlagen geänderten Fassungen um Franz Fühmann haben das Zeug, in eine neue fand sich überdies noch eine bisher unbekannte Phase zu treten. Die Bedingungen sind ideal, das Bearbeitung von Fühmann selbst aus dem Jahr Feld liegt frei, der ideologische Ballast ist abgewor­ 1977 (ca. die Hälfte der Erzählungen), die er „als fen, alle Besitzansprüche sind hinfällig. Es wird heute erträgliche Fassung“ (zit. S. 123) verstanden eine Entdeckungsreise sein, kein Rückzugsgefecht. haben wollte, aber unveröffentlicht ließ. Buckendahl hat keinen Weg gescheut, ist in die Roland Berbig Archive gegangen und hat alle nur möglichen Quel­ Humboldt-Universität zu Berlin len freigelegt, aufdie er gestoßen ist. Die vorzügliche Sprach- und literaturwissenschaftliche Fakultät Synopse der Fassungen bietet das Muster für einen Institut für deutsche Literatur angemessenen Umgang mit Werk und Nachlass D—10099 Berlin Fühmanns. Sie demonstriert beispielhaft, womit

R onald W eber Peter Hacks, Heiner Müller und das antagonistische Drama des Sozialismus. Ein Streit im literarischen Feld der DDR (Deutsche Literatur. Studien und Quellen, Bd. 20), Verlag Walter de Gruyter, Berlin, Boston 2015, 686 S.

Peter Hacks oder Heiner Müller? Diese Frage, die Diesem „lediglich“ widmet Ronald Weber zu Zeiten der DDR die Theaterlandschaft nicht in seiner Göttinger Dissertation immerhin die nur im Osten beschäftigte, aufregte und an der 600 Seiten zuvor, in denen er den über drei Jahr­ sich Theaterschaffende wie auch die literarisch zehnte währenden Kampf um das literarische Feld interessierte Öffentlichkeit entzweite, ist praktisch der sozialistischen Dramatik in der Nachfolge von inzwischen irrelevant, ebenso wie die Auseinan­ Brecht — den Hacks und Müller paradigmatisch dersetzung zwischen diesen beiden Dramatikern mit den Mitteln der Poetologie, der kulturpoli­ der DDR selbst. „In der Rückschau“, so schreibt tischen Diskussion und mit ihren dramatischen RONALD Weber am Ende seines Buches nüchtern, Werken führten — minutiös darlegt. Dabei folgt „erscheinen die Sozialisten Hacks und Müller als er der Chronologie, behandelt Hacks’ und Müllers zwei ,Extreme‘ im Zeitalter der Extreme. Die Frage, Theaterstücke nebeneinander, zeigt, wie sie kor­ die hier als der Kern der Auseinandersetzung vor­ respondieren und sich gegeneinander positionie­ gestellt wurde, nämlich: wie sozialistisches Drama‘ ren: über die angemessene dramatische Darstellung beschaffen sein müsse, ist vor dem Hintergrund der sozialistischen Gesellschaft, die Überwindung des Untergangs des Sozialismus obsolet gewor­ der Brecht’schen Ästhetik, die Ausrichtung der den. Sie ist lediglich noch von literarhistorischem Kritik an der „Übergangsgesellschaft“ und der Interesse.“ (S. 615) ästhetischen Dimension der Zustimmung zu ihr.

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Weber vergleicht die den Dramen eingeschrie­ kurz greift. Sie ist nicht differenziert genug, um benen Geschichtsphilosophien der beiden Autoren Phänomene wie den Streit zwischen Hacks und und diagnostiziert ab der zweiten Hälfte der 1960er Müller werten zu können, ohne diesen auf eine Jahre „einen grundverschiedenen Zugriff auf den Lesart zu verkürzen, die dessen Abhängigkeit von Gegenstand der Auseinandersetzung, die DDR der Kulturpolitik behauptet. Dass dieser in einer bzw. den Sozialismus“. Hacks: „geschichtsphilo­ Verbindung mit der (kultur-)politischen Geschich­ sophisch aufgeladene Komödie um die Rettung te der DDR steht, ist gleichwohl offensichtlich. Zu des die Kunst schützenden Staates“, Müller: fragen ist, wie diese Verbindung beschaffen ist, „Tragödie der tödlich endenden Kollision von in welcher Vermittlung ästhetische Debatte und Individuum und Staat“ (S. 311); Hacks schreibt Kulturpolitik zueinander stehen.“ (S. 7) die Königsdramen, Müller die Lehrstücke. Mit Webers Zurückweisung des „Oben-/Unten- der unerbittlichen Kritik an Müllers Shakespeare­ Narrativs“ ist für die Analyse folgen- und ertrag­ Bearbeitung Macbeth macht Hacks den bis dahin reich. Es gehört zu den am weitesten durchge­ eher unterschwelligen Dissens öffentlich. setzten Auffassungen, die Literatur der DDR als Die Spaltung des literarischen Feldes sieht Weber Ausdruck kulturpolitischer Vorgaben zu begreifen. damit vollzogen, sie kulminiert im Feldzug Hacks’ Diese Auffassung wurde nach 1989 regelrecht gegen die Romantik, in dem Müller für ihn zum dadurch beflügelt, dass Schriftsteller, die bis zum Prototypen einer den Sozialismus aufweichenden Ende in der DDR geblieben waren oder gar die Kunstauffassung wird. Die ästhetisch-politische Wendeereignisse mit der Hoffnung auf einen Auseinandersetzung eskaliert in der Folge der ,Dritten Weg“ verbunden hatten, pauschal als Biermann-Ausbürgerung 1976, die Hacks bekannt­ Staatsdichter - explizite oder kritisch bemäntelte lich befürwortete. In einem ausblickenden Kapi­ - etikettiert wurden. Wo aus dieser politischen Lo­ tel geht Weber noch knapp auf die 1980er Jahre gik, die aus den Zeiten des Kalten Kriegs stammt ein, in denen sich Müllers Theater gegen Hacks, und sich auf die Literatur instrumentell bezieht, der die Theaterlandschaft bis weit in die 1970er ausgestiegen wird, dem Dichter also eine ästheti­ Jahre hinein dominiert hatte, international durch­ sche Eigenständigkeit zugestanden wird und sein gesetzt hat. Schaffen nicht ausschließlich daraufhin befragt In seinem Durchgang verarbeitet Weber eine wird, wie sehr er selbst in den Machtapparat der Menge Stoff, er bietet beinahe zwei Monogra­ DDR verstrickt war, begegnet man nicht selten der phien in einem Werk. Dabei finden sich viele umgekehrten Entpolitisierung der Literatur und neue Lesarten, andere Akzentuierungen oder der Auseinandersetzung mit ihr. Weber verweist, auch explizite Kritik an früheren Interpretationen wie schon Norbert Eke in seiner Monographie über der Werke. Doch die Bedeutung des Buches geht Heiner Müller, auf die Tendenz, Müller durch über solche neuen Lesarten der Werke hinaus. Abstraktion von seinen politischen Wirkungs­ Sie besteht in dem durchgängigen Blickwinkel, absichten und Inhalten und durch die Betonung den Weber für seine Analyse wählt. In ihm liegt der ästhetischen Form für das avantgardistische eine sehr prinzipielle Kritik an der bisherigen postdramatische Theater vor politischer Kritik Forschung, zumindest zu diesen beiden Autoren, zu retten.1 aber durchaus auch an der Literaturgeschichts­ Die feuilletonistische Öffentlichkeit geht in schreibung der DDR - auch wenn der Verfasser dieser Entpolitisierung noch einen Schritt weiter in seiner Einleitung relativierend sagt, er möchte und schreckt nicht einmal davor zurück, banalste seinen Ansatz nicht als Kritik verstanden wissen: Laienpsychologie zur Erklärung ästhetischer Po­ „Aber die Dominanz eines Oben-/Unten-Narrativs sitionen im Realen Sozialismus zu präsentieren. in der DDR-Literaturgeschichtsschreibung verrät So hielt etwa Volker Weidermann 2003 anlässlich doch einiges darüber, dass die Interpretation von der Erstveröffentlichung einer Handschrift von Geschichte immer auch das Konstrukt eines Wis­ Heiner Müller als Erklärung für die Feindschaft senschaftlers ist und die historische Situation, in zwischen Heiner Müller und Peter Hacks die der er steht, mitreflektiert. Damit ist nicht gesagt, folgenden Angebote bereit: „Aus Neid. Aus die bisherige Erzählung der Literaturgeschichte Selbstsucht. Vielleicht auch aus Liebe zu einer sei falsch. Betont wird damit lediglich, dass sie zu Frau.“2 Glücklicherweise behält Ronald Weber zu

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 606-670 Zeitschrift für Germanistik XXVII - 3/2017 649 seiner „historischen Situation“ mit ihren aus dem Werken auseinandersetzt, insbesondere wenn es Kalten Krieg und der Nachwende stammenden sich dabei um Neuland handelt. So zählt das Ka­ Logiken genügend Distanz, so dass ihm eine Lesart pitel über Hacks’ und Müllers Versuch, Brechts des Streits zwischen Hacks und Müller gelingt, Opernprojekt Der Glücksgott zu realisieren,3 in die sowohl der Eigenständigkeit der politisch­ dem Weber unter Einbeziehung von Dokumenten ästhetischen Positionsbestimmung der Autoren aus den Nachlässen äußerst genau die differierende wie auch der Unterschiedlichkeit ihrer Positionen Entwicklung der beiden Autoren im Verhältnis zu zu dem gemeinsamen Anliegen, ein sozialistisches Brecht herausarbeitet, zu den besonders lesenswer­ Drama zu schaffen, Rechnung trägt. ten Abschnitten. So könnte es aussehen: ein lite­ Dafür erweist es sich als nützlich, dass die Ar­ rarhistorisches Interesse an der Literatur der DDR. beit der Beschreibung der weltanschaulichen und ästhetischen Prämissen von Hacks und Müller Anmerkungen breiten Raum gibt, Werkanalysen, öffentliche oder briefliche Statements der Autoren, Dokumente — 1 Vgl. Norbert Otto Eke: Heiner Müller, Stuttgart z. T. bislang unbekannte — und Protokolle u. a. von 1999, bes. S. 288 f. Sitzungen der Akademie heranzieht, um so den 2 Volker Weidermann: Die Geschichte einer Feind­ Blick jenseits des Systemvergleichs und der politi­ schaft. Spiegel-online 31.8.2003, , des antagonistischen sozialistischen Dramas zu zuletzt: 4.4.2017. öffnen. Anders als man nach der oben zitierten 3 Den Ertrag dieses Kapitel konnte der Leser der Zeit­ Passage aus der Einleitung vermuten könnte, ,wer- schrift für Germanistik bereits nachlesen, vgl. Ronald tet‘ Weber den Streit nicht, sondern stellt ihn dar; Weber: „In Kollision zu Brecht“. Die „Glücksgott“- dass der Position von Hacks in der Analyse mehr Fragmente von Peter Hacks und Heiner Müller. In: Platz eingeräumt wird, liegt schlicht daran, dass ZfGerm XXV (2015), H. 2, S. 304—326. der Streit letztlich doch sehr einseitig und missio­ narisch von Hacks geführt und befeuert wurde und Andrea Jäger Müller sich nicht in vergleichbarer Weise außerhalb Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg seiner Werke zu der Differenz äußerte. Philosophische Fakultät II Die kenntnisreiche Unvoreingenommenheit Germanistisches Institut von Webers Arbeit wird schließlich besonders D—06099 Halle (Saale) produktiv, wenn sie sich tiefer mit den literarischen

C arola H ilm es, Ilse N agelschmidt (Hrsg.) Christa Wolf-Handbuch. Leben — Werk — Wirkung, J. B. Metzler Verlag, Stuttgart2016, 4 0 6 S.

Leben — Werk — Wirkung: Das ist der heilige gerade erst beginnt, sich von der Geschichte, also Dreiklang eines jeden Autorendaseins. Wenn er von den Lebenszusammenhängen zu befreien. Ob ertönt, dann hört der oder die Betreffende schon und wie das gelingt, ist offen; welche Folgen es für nicht mehr zu, denn dann ist das Leben zu Ende. die zukünftige Wirkung haben wird ebenfalls. Tote sind geduldig und können es ertragen, ru­ Im jüngsten Roman Der Lärm der Zeit von briziert und in übersichtliche Einzelteile zerlegt Jul ian Barnes, in dem es um den Komponisten zu werden zum Zweck der besseren wissenschaft­ Dmitri Schostakowitsch geht und damit um eine lichen Erfassung. Das Leben von Christa Wolf ist Figur, die, ähnlich wie Christa Wolf, an der Bruch­ abgeschlossen, Werk und Wirkung sind es nicht. stelle zwischen Macht und Kunst, zwischen Op­ Einerseits deshalb, weil im Nachlass im Archiv portunismus und Autonomie existierte (wenn auch der Akademie der Künste noch so manches Un­ auf ungleich dramatischere Weise, weil es bei ihm veröffentlichte zu entdecken ist — vor allem Briefe ums Überleben ging), heißt es: „Was konnte man und Tagebücher —, vor allem aber, weil das Werk dem Lärm der Zeit entgegensetzen ? Nur die Musik,

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 606—670 6 5 0 Besprechungen die wir in uns tragen — die Musik unseres Seins —, zurückzuführen und über Relektüre veränderte die von einigen in wirkliche Musik verwandelt wird. Perspektiven einzunehmen und Vernetzungen Und die sich, wenn sie stark und wahr und rein vorzunehmen, die das Werk weit über die Entste­ genug ist, um den Lärm der Zeit zu übertönen, im hungszeit hinaus lebendig erhalten“ (S. 58), wie Lauf der Jahrzehnte in das Flüstern der Geschichte Ilse Nagelschmidt ankündigt? Lässt das Werk verwandelt.“1 Doch wie ist das bei der Literatur? Christa Wolfs so eine „Befreiung“ überhaupt zu, Wovon flüstert sie, jenseits der Geschichte? ohne zu kollabieren? An dieser Nahtstelle entlang ist das von CAROLA Die Lösung, die das Handbuch anbietet, Hilmes und Ilse Nagelschmidt herausgegebene besteht in der systematischen Trennung der ver­ Christa Wolf-Handbuch konzipiert. Die Heraus- schiedenen Aspekte. So behandelt das erste Kapitel geberinnen skizzieren Wolf zunächst als eine Au­ die „Zeitgenossenschaft“ und rückt Christa Wolf torin, zu deren „entscheidenden Schreibimpulsen“ vor allem in den Kontext ihrer spezifischen Ge­ von Anfang an „das Abrufen von Erinnerung“ nerationserfahrung, ehe im zweiten Teil „Werke gehörte. Daneben sehen sie im poetologischen und Kontexte“ analysiert werden. Das schafft Prinzip der „subjektiven Authentizität“ (Vorwort, Freiraum, um die einzelnen Bücher dann einer S. IX) ihre Besonderheit. Christa Wolf hat sich sorgfältigen literaturwissenschaftlichen Analyse damit ab Mitte der 1960er Jahre gegen den so­ zu unterziehen, geht allerdings nicht ganz ohne zialistischen Realismus positioniert und sich in Doppelungen und Überschneidungen ab, bis ihrer Literatur von da an mit ihrer ganzen Person dann in Teil IV die Rezeptionsgeschichte in den ausgesetzt und in den historischen Prozess hinein­ Fokus rückt und damit die Stoffe noch einmal geworfen, so dass es bei ihr besonders schwierig einer anderen Perspektive unterworfen werden. ist, Leben, Werk und Wirkung analytisch aus­ Dazwischengeschaltet ist als Teil III ein Kapitel einanderzuhalten. Das Handbuch aber versucht über Briefwechsel, Essays, Interviews und die diesen Spagat. bisher veröffentlichten Tagebücher sowie einer In der Bundesrepublik war es bei Literatur aus persönlichen Annäherung der Herausgeberin der der DDR üblich, sie auf ganz andere Weise vor Werkausgabe, SONJA HlLZINGER, an das Ehepaar dem gesellschaftspolitischen Hintergrund und der Christa und Gerhard Wolf, einem Kapitel, das in ideologischen Positionierung der Autor(inn)en zu seiner intimen Nähe zu den Porträtierten wohl lesen, als bei westlicher Literatur, wie KATHRIN am ehesten dem im Titeldreiklang versprochenen SchÖDEL in ihrer Darstellung der westdeutschen „Leben“ nahekommt. Hilzinger hat dieser Part­ Wolf-Rezeption herausarbeitet. Das galt für die nerschaft auch eine Einzelpublikation gewidmet.2 Zeit bis 1989 ebenso wie für die heftigen Debatten Es war eine enge „Lebens- und Arbeitsbeziehung“, nach der Wende, in deren Zentrum Christa Wolf eine Partnerschaft zwischen Autorin und Lektor, als herausragende Repräsentantin der DDR-Litera- aber auch ein fortgesetzter Dialog, der immer tur geriet. Aber auch in der DDR selbst wurde die nach außen offen blieb, so dass darin „auch andere Literatur, die im Land entstand, von den offiziellen Stimmen willkommen waren“ (S. 314). „Als ich Stellen und von der Kritik „unter umgekehrten dich kennenlernte, noch nicht kannte, habe ich Vorzeichen“ auf das „Verhältnis der Schriftsteller nicht gedacht, dass es so kommen wird: Dass ich zu ihrem Staat“ (S. 336) befragt. ohne Dich nicht die werden könnte, die ich sein Christa Wolfs Werk ist undenkbar ohne die sollte“,3 schrieb Christa Wolf ihrem Mann zum lebenslange Auseinandersetzung mit dem Sozia­ 82. Geburtstag im Oktober 2010. lismus als Utopie und als alltägliches Verhängnis. Teil I bietet dagegen einen stärker am politischen Von ihren Anfängen als Literaturkritikerin und Wirken orientierten Überblick, grob nach Jahr­ brave Vertreterin der Prinzipien des sozialistischen zehnten gegliedert und an scharfen Zäsuren wie der Realismus bis zu ihrem letzten, 2010 erschienen Biermann-Ausbürgerung 1976 und deren Folgen Erinnerungs-Roman Stadt der Engel arbeitete orientiert. Christa Wolf selbst hat ihr Leben stets sie sich an dieser Kluft ab. Was also bleibt von als „generationstypisch“ gesehen und dabei gerne ihrem Werk, wenn man es — was unabdingbar in der „Wir“-Form gesprochen. So lautet auch der ist — von den „ideologischen Zuschreibungen“ zu zentrale Satz in Kindheitsmuster: „Wie sind wir so befreien versucht, um ihre Texte „auf sich selbst geworden, wie wir heute sind?“ Das Grundmuster

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 606—670 Zeitschrift für Germanistik XXVII - 3/2017 651 derer, die wie sie im Bund deutscher Mädchen sozia­ tigten Sammelband Man steht sehr bequem zwischen lisiert wurden, früh die Heimat verloren und jung allen Fronten. Briefe 1952 bis 2011 eingegangen. in die DDR und den Sozialismus gerieten, sei eine Andere, wie der nicht unbedeutende mit Lew und tiefeingefressene Autoritätshörigkeit, die „nicht von Raissa Kopelew bleiben unberücksichtigt.4 Das Wissen, sondern von bedingungsloser Gläubigkeit sind aber auch die einzigen Lücken, die der umfas­ geprägt“ (S. 7) gewesen sei. Dieses Grundmuster sende Band zulässt. Ansonsten wird es zukünftigen machte es ihr auch so schwer, sich von der Utopie Germanisten schwerfallen, überhaupt noch Fragen bzw. vom Glauben an die Verbesserbarkeit der zu stellen, die hier nicht schon beantwortet wären. sozialistischen Wirklichkeit zu verabschieden. Das Handbuch ist ein unverzichtbares Werkzeug Auch die sorgfältigen Analysen der einzelnen für alle Wolf-Philologie und Textexegese. Ob beim Werke in Teil II folgen der zuvor festgelegten Zerlegen des Werks in seine Einzelbestandteile das Chronologie. Hervorzuheben ist dabei die exem­ Leben aber nicht doch gelegentlich auf der Strecke plarische Auseinandersetzung mit Wolfs „Schrei­ bleibt, ist eine andere Frage. ben wider das Vergessen“ von BIRGIT Dahlke, die Christa Wolf war sich durchaus bewusst, dass herausarbeitet, dass es in dieser autobiographisch sie und ihre Generation Gescheiterte sind, ge­ geprägten Annäherung an die Kindheit im Nati­ scheitert auf vielfache Weise und in immer wie­ onalsozialismus, an Flucht und Vertreibung und der veränderten Kontexten, ob nach 1976 und generationsspezifische Prägungen gar nicht primär in den 1980er Jahren mit dem Rückzug aufs um die Kindheit in Landsberg an der Warthe geht, Land oder in den Jahren nach der Wende 1989, sondern „um die Schwierigkeiten, sich zum Ma­ als sie erneut an der Rand der Gesellschaft geriet terial in eine Beziehung zu bringen, eine Form zu oder sich zumindest so fühlte. Doch auch im finden, die der Komplexität der Selbstbegegnung Scheitern blieb sie exemplarisch und sah sich, im Prozess autobiographischer Rekonstruktion wie Ilse Nagelschmidt zitiert, in der Nachfolge gerecht wird“ (S. 123). Tatsächlich vollzieht sich der Romantikerinnen und von Schriftstellern Wolfs Schreiben immer in dieser Doppelbewe­ wie Hölderlin, Büchner und Brecht: „Wir waren gung. KATHRIN LöFFLERs Darstellung der Stadt gescheitert wie diese, wussten es lange, drückten der Engel schließt daran an, nimmt aber auch die es aus, und merkwürdig, ich lernte unsere Lebens­ Frage auf, ob das Konzept des auf dem psycho­ läufe als mögliche deutsche Biographien dieses analytischen Ritual des Erinnerns, Wiederholens, Jahrhunderts sehen. Ich lernte mich als deutsche Durcharbeitens beruhenden Schreibens nicht selbst Schriftstellerin sehen.“ (S. 58) einer grundlegenden Befragung ausgesetzt werden Tröstlich zu wissen, dass sie, ganz im Gegensatz müsste. Schließlich ist es doch spätestens mit Wolfs dazu, im Gespräch mit Günter Gaus 1993 Schei­ Eingeständnis, ihre kurzfristige und widerwillig tern als den Zustand definierte, „wenn man keine ausgeführte Tätigkeit als „IM Margarete“ für Krisen hat, sondern hart und stracks durch etwas das Ministerium für Staatssicherheit Ende der hindurchgeht, was man nicht selber ist, neben sich 1950er Jahre schlicht vergessen zu haben, in eine hergeht.“ (Vorwort, S. IX) Krise geraten. Was, wenn das Erinnern als fortge­ So gesehen wäre ihr nichts fremder gewesen, setzte Bewegung zu einer spezifischen Form des als zu scheitern. Verdrängens geworden wäre? Dass das „Werk“ kein abgeschlossener Korpus Anmerkungen ist, macht Teil III deutlich. Die Briefwechsel sind in der Gegenüberstellung mit den verschiedenen 1 Julian Barnes: Der Lärm der Zeit, Köln 2017, S. 168. Gesprächspartnern geeignet, die „Person“ Christa 2 Sonja Hilzinger: Christa und Gerhard Wolf. Ge­ Wolf schärfer sichtbar werden zu lassen. Neben meinsam gelebte Zeit, Berlin 2015. den publizierten Briefwechseln mit Anna Seghers, 3 Christa Wolf: Man steht sehr bequem zwischen allen Fronten. Briefe 1952—2011, Berlin 2016, S. 924. Franz Fühmann, Brigitte Reimann und Charlotte 4 Vgl. zu beiden genannten Büchern auch die Rezen­ Wolf werden hier auch die bisher noch unveröffent­ sion von Hannes Krauss in diesem Heft. lichten mit Günter Grass und Max Frisch vorge­ stellt. Teile davon sind in den im November 2016 Jörg Magenau erschienenen und deshalb noch nicht berücksich­

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 606—670 6 5 2 Besprechungen

Sabine W olf (Hrsg.) Christa Wolf: Man steht sehr bequem zwischen allen Fronten. Briefe 1952—2011, Suhrkamp Verlag, Berlin 2016, 1040 S.

T anja Walenski (Hrsg.) „Sehnsucht nach Menschlichkeit“. Christa Wolfund Lew Kopelew. Der Briefwechsel. 1969—1997, Steidl Verlag, Göttingen 2017, 32 0 S.

Dass Christa Wolf ihren Beruf so radikal wie kaum Geschichte und das lebenslange Bemühen um eine eine andere zeitgenössische Autorin ins eigene ehrliche, unverstellte Sprache (schon 1956 ist vom Leben verwoben hat, ist bekannt - aus Romanen „biografischen Projekt“ die Rede, das schließlich wie Kindheitsmuster und Stadt der Engel, aus in Kindheitsmuster mündete). Nach der Biermann­ Briefwechseln mit Anna Seghers, Franz Fühmann, Ausbürgerung wird die Frage nach Gründen fürs Brigitte Reimann und Charlotte Wolff und nicht ,Hierbleiben“ drängend (vgl. S. 629 f.); hinter ihr zuletzt aus ihrem ,öffentlichen Tagebuch“ Ein Tag steht auch die Angst, bei einem Weggehen den im Jahr. Zwei neue Briefbände bestätigen das Bild Stoff zu verlieren (S. 477). einer Schriftstellerin, die mit ihrer selbstauferleg- Die Briefe konturieren das Bild einer Frau, die ten moralischen Rigidität ein Anachronismus im zeitlebens träumte von einer anderen Gesellschaft Literaturbetrieb war. und sich mit ihren spezifischen Fähigkeiten, d. h. SABINE Wolf (Leiterin des Literaturarchivs schreibend - auch Briefe schreibend - für die Ver­ der Berliner Akademie der Künste [nicht mit wirklichung dieses Traums einsetzte. Geschah das der Autorin verwandt]) hat aus geschätzt 15.000 in den ersten Jahrzehnten noch recht naiv, hatte Briefen, die Christa Wolf zwischen 1952 und sie spätestens im Dezember 1965 begriffen, dass 2011 an Freunde und Kollegen, an Lektoren und der selbsternannte ,real existierende Sozialismus“ Verleger, an Literaturwissenschaftler und Politiker, diese Gesellschaft nicht sein konnte. Aber auch an Buchhändler, Zeitungsredakteure, Naturwis­ das westliche Modell, das sie bei zahlreichen, oft senschaftler, Mediziner und Schüler geschrieben mit längeren Aufenthalten verbundenen, Reisen (in hat, knapp 500 ausgewählt und auf 1.000 Seiten die Bundesrepublik, nach Frankreich, Italien und zusammengestellt. Die Tatsache, dass die Verfasse­ Großbritannien, in die Schweiz oder in die USA) rin Durchschläge ihrer Korrespondenz archivierte, ausgiebig kennengelernt hatte, war keine Alterna­ mag diese Sisyphos-Arbeit ein bisschen erleichtert tive für sie. Ein letztes Mal keimte die Hoffnung auf haben. Sabine Wolfs Leistung ist dennoch nicht etwas ganz Neues um die Jahreswende 1989/1990. hoch genug einzuschätzen, zumal sie die Briefe Wie das konkret aussehen sollte, erfährt man nicht, behutsam und sorgfältig kommentiert und durch aber im Herbst 1989 haben die Wolfs - zusammen ein fundiertes Nachwort ergänzt. mit ihren westdeutschen Freunden Otl Aicher und Zeitlich erstreckt sich die Auswahl über sechs Inge Aicher-Scholl - einen Vorschlag für „eine Jahrzehnte: Von der kühnen Mitarbeits-Offerte ei­ übergangsregierung zur Vorbereitung freier wahlen ner 23-jährigen Literatur-Studentin an die Kultur­ im Juni 1990“ (S. 636) notiert.1 Redaktion des Neuen Deutschland (im April 1952) Umso größer war dann die Enttäuschung bis zum Brief einer von Krankheiten geplagten ein Jahr später - nach dem schnellen Anschluss 82-Jährigen („Ist alles nicht lebensgefährlich“) an der DDR an die Bundesrepublik. Und umso ihre italienische Verlegerin (im August 2011) über verletzender die im Sommer 1990 von diversen Stadt der Engel („etwas wie eine Bilanz“) und über westdeutschen Feuilletons gegen Christa Wolf die Freuden des Alltags mit Kindern und Enkeln. geführte, später als „Literaturstreit“ archivierte, Das Themen-Spektrum reicht vom Allerpri­ Kampagne. Besonders kränkend empfand sie eine vatesten bis zur Politik - besonders deren Auswir­ bis heute kolportierte Behauptung (von der Stasi kungen auf den Einzelnen. Oft wird das eigene als Gerücht lanciert), sie habe ihre Unterschrift Schreiben selbstkritisch reflektiert. Andere zentrale unter die Protest-Resolution gegen die Biermann­ Themen sind die (individuelle und kollektive) Ausbürgerung zurückgezogen.

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Die Energie, die Christa Wolf in ihr aufkläre­ lehnung der manchmal ausgesprochenen, manch­ risches Lebens-Projekt investiert hat — nicht selten mal unausgesprochenen These, daß der Zweck wider besseres Wissen und unter Inkaufnahme die Mittel heilige, und zum Nachdenken über gravierender gesundheitlicher Belastungen — ist die Strukturen, die sich in den Ländern, die sich beeindruckend. Die mitunter geäußerte These, sozialistisch nannten, bald verfestigten und der sie habe — ähnlich wie ihr großes Vorbild Anna Utopie, der sie angeblich immer noch nachgingen, Seghers — in Konflikten ängstlich und zögerlich diametral zuwiderliefen.“ (S. 687) agiert, wird durch diese Briefe widerlegt. Verbind­ Christa Wolf litt unter der Korrespondenz­ lich im Ton, aber hart und kompromisslos in der belastung und hat doch gewissenhaft die an sie Sache hat sie immer vertreten, was sie für richtig gerichteten Briefe beantwortet. Der Austausch hielt: gegenüber ostdeutschen Partei-Funktionären mit ihren Lesern war ihr besonders wichtig, auch wie gegenüber westdeutschen Journalisten und wenn manche Anfragen ihre Geduld strapaziert Politikern. Zwar klagte sie, „in gleicher Person haben mögen. Dass politische Ereignisse, wie die immer Motor und Notbremse“ (S. 228) sein zu gewaltsame Beendigung des ,Prager Frühlings‘, müssen, ermüde auf Dauer, und die ihr zuge­ nur am Rande vorkommen, lag am Wissen um schriebene Rolle „als „stellvertretender Denker, die Post-Überwachung und an der Sorge, die [...] als stellvertretender Märtyrer oder als Tabu­ Empfänger könnten zusätzlichen Repressionen brecher“ (S. 357) lehnte sie ab. Doch davon las­ ausgesetzt werden - aber auch an der Scheu, die sen, sich einzumischen, konnte sie nicht. Selten „wahrscheinlichen Mit-Leser [...] an meinen inne­ lautstark und öffentlich — meist aus Sorge, von der ren Bewegungen teilnehmen zu lassen“ (S. 299). anderen Seite vereinnahmt zu werden —, immer Mehrere Briefe belegen, dass Christa Wolf sich aber direkt und unmissverständlich: in Briefen nicht nur literarisch um Probleme dieser Welt an , Kurt Hager, Hermann Kant bekümmerte, sondern auch ganz praktisch. In und viele andere. Schreiben an Kulturfunktionäre, gelegentlich auch Auch Unangenehmes und Unpopuläres brachte direkt an Erich Honecker, setzte sie sich ein für sie zur Sprache. Nach Bekanntwerden ihrer IM- Kollegen, die unter bürokratischen Schikanen lit­ Akte aus dem Jahre 1959 entschuldigte sie sich ten oder gar strafrechtlich belangt wurden. Sie hat sofort bei Walter Kaufmann, jenem Schriftsteller, junge Autoren finanziell unterstützt, aber auch eine über den sie damals einen (eher belanglosen) Bericht alleinerziehende Mutter, von deren Verurteilung verfasst hatte. Und den (ehemaligen) Freund Tho­ wegen Scheckbetrugs sie aus der Zeitung erfahren mas Nicolaou, der sich nach seiner Enttarnung als hatte. Preisgelder aus Ehrungen verwendete sie Stasi-Zuträger zurückgezogen hatte, bat sie 1990, grundsätzlich nicht für sich selbst. den Kontakt nicht abzubrechen. Der ehemaligen Vor allem aber ging es ihr ums Schreiben — RAF-Terroristin Inge Viett schlug sie vor, vor ihrem das eigene wie das der anderen. Auf der Liste Prozess, „genau abzuwägen, was Ihnen wirklich der Autor(inn)en, mit denen sie korrespondierte, wichtig ist. Woran Sie glauben. Was Sie ertragen finden sich Namen wie Alfred Andersch, Heinrich können und was voraussichtlich nicht.“ (S. 670) Böll, Günter Grass, Christoph Hein, Elfriede Jeli­ Drei italienischen Frauen, ehemaligen Mitgliedern nek, Uwe Johnson, Sarah Kirsch, Heiner Müller, der „Roten Brigaden“, die sich aus dem Gefäng­ Adolf Muschg, Erica Pedretti, Luise Rinser, Ka­ nis zu Kassandra geäußert hatten, versicherte sie: rin Struck, Hannelies Taschau, Fred und Maxie „Unsere Erfahrungen sind ganz unterschiedlich, Wander, Peter Weiss, Dieter Wellershoff und viele aber vielleicht gibt es an ihrem Ursprung eine Ge­ andere mehr. Das Spektrum der Themen reicht meinsamkeit: die Ablehnung der Unterdrückung von einer peinlichen (Fehl-)Einschätzung der und den heftigen Wunsch, einer Zukunft mit den Johnson’schen Mutmassungen über Jakob im Jahre Weg zu bahnen, in der die Wörter [...] ,Freiheit‘ 1960 („unverschämt und [...] langweilig. Was und ,Gleichheit‘ sich entfalten könnten und für ideologisch los ist, liegt ja auf der Hand“, S. 47) alle Menschen einen Sinn bekämen.“ (S. 687) Sie bis zum Vorschlag an Jürgen Habermas (1991), fügte allerdings hinzu: „Über das Erschrecken „über unsere Geschichten [...] über Biografien“ vor den Verbrechen, die im Namen von Idealen (S. 677) zu sprechen. 1973 schreibt sie einer tsche­ begangen wurden, kam ich, ziemlich früh, zur Ab­ chischen Freundin, aus Bölls Nobelpreisrede habe

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 606—670 6 5 4 Besprechungen sie gelernt, „daß sehr verschiedene Leute über das neue Themen in einen intellektuellen Austausch, gleiche verzweifelt sein können“ (S. 217). der manchmal kontrovers, nie aber rechthaberisch Mit den präzisen Erläuterungen der Herausge­ war. In ihrer Trauerrede charakterisierte Christa berin und einem Nachwort, in dem sie ihre Aus­ Wolf 1997 Kopelew so: „Er wirkte, in jedem Sinn wahlkriterien plausibel darlegt2 und das konzise des Wortes, entwaffnend. [...] Ich glaube, er Porträt einer Autorin zeichnet, für die Schreiben brachte fast jeden, der ihm nahekam, dazu, seine „zur Selbstverwirklichung [...] nun mal das ein­ besten Seiten herauszukehren. Vielleicht ist das ja zige Mittel“ (S. 226) war, wird das Buch zu einem die wirksamste Art, etwas an den Zuständen dieser Kompendium literarischen Lebens in der DDR.3 Welt zu bessern.“ (S. 167) Ergänzt werden könnte es durch die Brief­ Ein kenntnisreicher Essay der Herausgeberin wechsel von Christa Wolf. Zu den bereits vor (Buchweizenlicht) rundet ein Buch ab, das vielleicht einiger Zeit publizierten Brief-Bänden (mit Anna aus der Zeit gefallen sein mag, aber gerade deshalb Seghers, Brigitte Reimann, Franz Fühmann und nützlich ist: als Dokument eines humanistischen Charlotte Wolff) sind jetzt die Korrespondenzen Internationalismus. mit dem russischen Germanisten und Historiker Lew Kopelew und dessen Frau Raissa Orlowa Anmerkungen hinzugekommen. TANJA Walenski (die auch bei Gerhard Wolfs 1 Erich Honecker sollte Staatsratsvorsitzender bleiben, Edition der Moskauer Tagebücher mitwirkte) hat Markus Wolf Regierungschef werden, Manfred Briefe, Postkarten, Tagebuchauszüge und andere Stolpe Außenminister, Hans Modrow Sozialminis­ Dokumente zusammengetragen, dazu Essays von ter. Drei zentrale Forderungen an die Übergangs­ regierung waren: Freie Wahlen, Pressefreiheit und Kopelew über Christa und Gerhard Wolf sowie Versammlungsfreiheit. deren Totenrede für den russischen Freund. Ent­ 2 Wichtig sei „die Funktion eines Briefes innerhalb standen ist so ein überaus lesenswertes Buch über des Bandes, in dem die Briefschreiberin im Zentrum eine intellektuelle Freundschaft, die nicht frei von steht, ihre Lebens- und Gedankenwelt, die Facetten Widersprüchen war (z. B. bei der Einschätzung ihres Ausdrucks, ihre Literatur, ihr familiäres und der deutschen Vereinigung), aber gerade deshalb gesellschaftliches Umfeld, ihre Zeit“ (S. 950). anregend. Kennengelernt hatte man sich 1965 bei 3 Vgl. auch die Besprechung von Jörg Magenau zu Anna Seghers und war sich - wie Tagebucheintra­ Carola Hilmes, Ilse Nagelschmidt (Hrsg.): Christa gungen vermerken - zunächst ein bisschen fremd Wolf-Handbuch. Leben - Werk - Wirkung in die­ geblieben. Später entdeckte Kopelew in Büchern sem Heft. wie Kindheitsmuster oder Nachdenken über Chris­ ta T. zentrale Fragen, die auch er an die eigene Hannes Krauss Gesellschaft stellte. Universität Duisburg-Essen Nach der erzwungenen Umsiedlung des Ehe­ Fakultät für Geisteswissenschaften paares in die Bundesrepublik (1981) mischten sich

Eva Geülen (Hrsg.) ,Complicirte mannigfache Harmonie‘. Erinnerungen an EberhardLämmert, Wallstein Verlag, Göttingen 2017, 53 S. Die sechs Beiträge, die in diesem kleinen Band 1996 zurückgehen, zuvor. Verfasser der Texte sind versammelt sind, waren eigentlich dafür gedacht, derzeitige Mitarbeiter des Hauses, die Lämmert Eberhard Lämmert mit einem Festakt zum 90. Ge­ zwar - bis auf eine Ausnahme - nicht mehr als burtstag am Berliner Zentrum für Literatur- und Leiter kennengelernt haben. Aber dies spricht für Kulturforschung (ZfL) zu ehren. Dem aber kamen die intellektuelle und personelle Beweglichkeit Krankheit und Tod des Jubilars, auf dessen Arbeit außeruniversitärer Forschung, wie er sie für das die Gründung des Zentrums und sein Bestehen seit ZfL im Sinn hatte.

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Mit Recht erinnert Eva Geulen, seit 2015 Kommune I entschieden Stellung und hat damit die neue Leiterin des ZfL, in ihrem Vorwort an eine Verurteilung ihrer Verfasser verhindert. Wer Lämmerts seltene, seinem „Literaturbegriff ent­ wusste es schon oder weiß es noch, dass Adorno springende Doppelbefähigung“ (S. 9) zum ener­ ein Engagement dieser Art seinen studentischen gischen Wissenschaftsorganisator und sensiblen Anhängern verweigert hat? HERBERT KOPP- Literaturwissenschaftler mit wünschenswerter OBERSTEBRINK erinnert daran: Für Lämmert war Offenheit für Neues. Und sie betont seine dafür die Philologie auch ein „politisches Mittel“ (S. 32). maßgebliche „intellektuelle[ ] Großzügigkeit“ Nicht hoch genug veranschlagt werden kann, dass (S. 8). Anders wäre ihm der Aufbau des ZfL, es ihm zwischen 1976 und 1983 als Präsident der auch gegen namhaften Widerstand aus den alten Freien Universität mit seinem „Ethos der Äqui- Bundesländern, kaum gelungen, anders hätte er es distanz“ gelungen ist, diese Institution durch nicht bis 2000 als sein Gründungsdirektor leiten ihre „kaum enden wollende Krise“ zu navigieren, können. „ohne dass es zu einem Schiffbruch gekommen Dass Lämmert mit seinen Bauformen des Erzäh­ wäre“ (S. 36). lens (1955) für die spätere Entwicklung der Narra- Aus Erfahrungen erster Hand weiß und be­ tologie nachhaltig gewirkt hat, ist bekannt. Kaum richtet Ernst MüLLER, mit welchen Energien und jemand aber wird unterdessen bemerkt haben, welchem Erfolg Lämmert für die institutionelle dass dieses Buch — wie ZAAL ANDRONIKASHVILI Sicherung eines Projekts gesorgt hat, das schon entdeckt — auch als „Bauformen der Erzählung“ 1983 an der Akademie der Wissenschaften der (S. 15) zu lesen ist und darin noch einiges Poten­ DDR (AdW) konzipiert wurde, aber erst am ZfL tial offenhält. Die „Untrennbarkeit zwischen dem erarbeitet und zum Abschluss gebracht werden Vorgang des Erzählens und der Sujetkonstruktion“ konnte. In der Etablierung eines Schwerpunkts, durch „Verzerrung, Umstellung, Unterbrechung und aus dem das sieben Bände umfassende Wör­ Aufhebung“ sei ein „Strang, dem die Lämmert- terbuch Ästhetische Grundbegriffe — längst ein Rezeption [...] viel zu wenig gefolgt ist“ (S. 15 f·). Standardwerk — hervorgegangen ist, konnte die Auch für die Erforschung der Fachgeschichte Gründung des Zentrums auch wissenschafts­ hat Eberhard Lämmert Weichen gestellt, indem politisch plausibilisiert werden. Dass die begriffs­ er auf dem legendären Münchner Germanistentag geschichtliche Forschung bis heute eine tragende von 1966 die „Verbindung zwischen National­ Säule in diesem Institut ist, zeugt von Lämmerts sozial ismus und Germanistik“ als „eine struktu­ forschungsstrategischem Weitblick, dem eigen relle“, nicht „akzidentielle“ (S. 24) markierte. Für war, „den Anderen machen zu lassen, auch An­ Claude Haas ist Lämmerts dort gehaltene Rede deres gelten zu lassen“ (S. 43). Obwohl Lämmert Germanistik — eine deutsche Wissenschaft die wohl selbst nicht begriffsgeschichtlich geforscht hat, wichtigste seines Lebens, weil sie ihre Nachhaltig­ war er doch hochsensibel für damals in Umlauf keit darin erweist, dass „sie bestimmte Diskurse geratene Formulierungen wie „Durchmischung“ beendet“ (S. 19) hat. Immerhin geht auch die und „Warteschleife“, die er nur mit profundem Gründung der Marbacher Arbeitsstelle zur Erfor­ Widerwillen benutzt hat. Unter Lämmert hatten schung der Geschichte der Germanistik auf Lämmert sie keine Chance, zu diskurstragenden Begriffen zurück; mit ihren Beständen ist sie ein Grundstein zu werden. Auch darin würdigt Müller „die große für längst über die Germanistik hinausreichende geistige Liberalität“, die sich als „bürgerliche und wissenschaftsgeschichtliche Forschungen, die er soziale Liberalität“ geltend machte und ihn zum immer nach Kräften unterstützt hat. „Glücksfall“ (S. 39 f.) für viele von Abwicklung Mit präzisem Gespür für Ironie auch in Tex­ bedrohte, obgleich mehrfach positiv evaluierte ten, mit geschultem politischen Instinkt und Wissenschaftler werden ließ. unbedingtem Einsatz für das, was Liberalismus Treffender hätte der Titel der kleinen Gedenk­ im umfassenden Wortsinn sein muss, hat Läm- schrift kaum gewählt werden können, die mit ei­ mert sich 1967 sogar als Gutachter vor Gericht nem Beitrag von SIGRID Weigel abgerundet wird. engagiert. An der Seite von Peter Szondi, Jacob Als Lämmerts Nachfolgerin war sie noch im Amt, Taubes und Peter Wapnewski bezog er in seiner als die Geburtstagsehrung hätte stattfinden sollen. Expertise zur Rhetorik von Flugblättern der An ihr wäre es somit gewesen, diese Veranstaltung

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 606—670 6 5 6 Besprechungen zu eröffnen. Indem sie hier nun abschließend das sie im Jahr 2000 angetreten und über 15 Jahre zusammenfasst, worin Lämmerts wissenschafts­ hinweg erfolgreich genutzt hat. politische Leistungen zu sehen sind, zu denen die „nicht wenig anspruchsvolle Aufgabe“ gehört hat, Petra Boden „eine methodische und personelle Integration Kohlfurter Str. 44 östlicher und westlicher Wissenschaftskulturen D-10999 Berlin zu bewerkstelligen“ (S. 48), würdigt sie ein Erbe,

J oachim K alka (Hrsg.) Friedhelm Kemp: Gesellige Einsamkeit. Ausgewählte Essays zur Literatur, hrsg. u. m. e. Nach­ wort v. J. K., 2 Bde. (Veröffentlichungen der Deutschen Akademie fü r Sprache und Dichtung, Bd. 93), Wallstein Verlag, Göttingen 2017, 86 4 S.

Die Deutsche Akademie für Sprache und Dich­ allerdings wird diese Reihenfolge dadurch gebro­ tung ehrt ihr 2011 verstorbenes Mitglied Fried­ chen, dass Beiträge zu einem Dichter oft in der helm Kemp mit einer zweibändigen Auswahl aus umgekehrten Chronologie ihres ersten Erscheinens dessen Schriften zur Literatur. Sie ergänzt damit geboten werden. Das zeitigt mitunter irritierende das Bild des Übersetzers (vorwiegend aus dem Effekte, etwa, wenn zunächst eine Werkausgabe Französischen), Lektors (im Kösel-Verlag) und gepriesen wird, die auf den folgenden Seiten noch Rundfunkredakteurs (als Literaturchef des BR) um als beklagtes Desiderat erscheint. das des Connaisseurs, der, aus der eigenen, weitge­ Die kurzen Essays, die die Hauptmasse der spannten Erfahrung als Leser schöpfend, pointierte Auswahl ausmachen, beziehen sich oft auf eine und mitunter überraschende Urteile fällte. gerade erschienene Ausgabe oder dienen selbst der Wie weitgespannt diese Erfahrung war, wird Ankündigung einer solchen. Dabei geht es nie im schon aus der Anlage des Doppelbandes ersichtlich, engeren Sinne literaturkritisch zu (die Ausnahme der sich in drei Abteilungen, erst zur deutschen, ist ein 1949 publizierter Verriss von Ernst Jüngers dann zu anderen europäischen Literaturen und Heliopolis (vgl. Bd. 1, S. 327-329). Viel eher stellt schließlich zu allgemein literaturbetrieblichen und Kemp grundsätzliche Erwägungen an, fragt nach lesepraktischen Fragen unterteilt. In einem „eher den Aufgaben von Literatur, nach dem ,Wesen“ des labyrinthischen als systematischen“ (Bd. 2, S. 450), Dichters, dem Charakteristischen des jeweiligen gleichwohl aber sehr instruktiven Nachwort des Werks. Immer geht es auch um die vielfältigen Be­ Herausgebers JOACHIM KALKA wird diese Fülle züge der Werke untereinander, um Ähnlichkeiten, zu einer Charakteristik des Kritikers und Lesers Verwandtschaften, Differenzen. Kaum ein Artikel Kemp verdichtet. kommt ohne Vergleiche mit anderen Autor(inn)en Ausgewählt wurden überwiegend Zeitungs­ aus, denen ebenfalls Aufsätze gewidmet sind; im artikel, Nachworte und Festvorträge, „etwa ein Ganzen wird auf diese Weise eine weite, gut er­ Viertel“ (Bd. 2, S. 443) aller erschienenen oder im schlossene Lektürelandschaft kartografiert, die Nachlass Kemps befindlichen Texte zur Literatur. sich von bekannten Namen (Goethe, Baudelaire1) Sie widmen sich, zumeist fokussiert auf einzelne bis zu ganz randständigen, nicht kanonisierten Personen, den Epochen zwischen der Renaissance Dichtern erstreckt. und der Mitte des 20. Jahrhunderts mit Schwer­ Diese Randfiguren sind denn auch die vielleicht punkten auf Barock, Goethezeit und klassischer interessanteste und anregendste Entdeckung in Moderne - wobei in letzterem Fall, zumindest diesen Bänden. Insbesondere die aufeinander­ für die deutschsprachige Literatur, nicht deren folgenden Beiträge zu Otto zur Linde, Rudolf ,klassische“ Autor(inn)en in den Blick geraten, Kassner, Theodor Däubler, Rudolf Borchardt und sondern weniger bekannte Namen. Die Texte sind Arno Nadel (vgl. Bd. 1, S. 181-232) können dafür chronologisch nach ihrem Gegenstand geordnet, als repräsentativ gelten. Kemp plädiert wiederholt

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 606—670 Zeitschrift für Germanistik XXVII - 3/2017 6 57 und nachdrücklich für die außerordentliche Qua­ reichs und Spaniens dem Urteil, das katholische lität ihrer Werke. Getragen wird dieses Urteil von Marienbild sei zunehmend vergöttlicht worden einem emphatischen, auf Musikalität bedachten auf Kosten einer ursprünglichen, den Gläubigen Literaturbegriff, der aus allen diesen Miniatur­ näherstehenden Menschlichkeit. Glaube, auch essays hervorscheint; er erlaubt einen weniger und gerade in literarische Formen gegossener thematischen als vielmehr ästhetischen Zugang Glaube, so kann man diesen Vortrag und das zu der oft hermetisch-mystischen Prosa, Versepik voranstehende Zitat zu Lautréamont lesen, ist ein und Lyrik der Genannten. Exemplarisch, auch für Gegenmittel zur beklagten „Schändung“. Und den hohen Ton, der dabei angeschlagen wird, ist so spricht Kemp denn auch wohlwollend über Kemps Beschreibung der Sprache Arno Nadels: katholische Lyriker wie Gerard Manley Hopkins „traumerzeugt, aus Luftwurzeln sich nährend, oder Saint-John Perse. nicht haftend, porös, zielt sie [...] auf eine un­ Seine Arbeiten zur Literatur präsentieren Kemp menschliche Übersprache. Wo sie dies ihr inners­ mithin als spannungsvollen Kritiker. Einmal ist tes Wesen ganz verwirklicht, ereignet sich etwas dort der konservative Leser aus gutem Hause, Hoch-Abstruses: fühlende Lüfte, die durch den geboren wenige Monate nach Beginn des Ersten Dichter miteinander verkehren, Guß aus Mund Weltkriegs, der immer wieder und in etwas schul­ in Mund“ (Bd. 1, S. 232). meisterlichem Ton deutliche Qualitätsverluste Der Schwerpunkt der zweiten, europäischen seiner Gegenwartsliteratur feststellt, jungen Men­ Abteilung, die auch den zweiten Band eröffnet, schen den Rat gibt, das Lesen (eine „Kunst“, Bd. 2, liegt auf der französischen Literatur, hat Kemp S. 396) an kleinen Gedichten zu lernen und unaus­ doch nicht wenige der Autor(inn)en, die hier gesprochen in seinen Urteilen dem Maßstab des behandelt werden, selbst ins Deutsche übersetzt. Guten, Wahren und Schönen folgt. Ein genauer, Hinzu kommen Arbeiten zu Thomas Browne, andächtiger Leser, der jedoch die philologische Gerard Manley Hopkins, Luis de Gongora und ,Andacht zum Unbedeutenden als Haarspalterei Soren Kierkegaard. Ein anderes Charakteristikum ablehnt, der die kritische Editionspraxis als dem Kemps fällt hier gelegentlich ins Auge, nämlich Textverständnis hinderliche abkanzelt — selbst eine konservative Grundhaltung, die einer Ästhe­ aber, und damit gelangt man schon zum anderen tik des Hässlichen nicht kategorisch entgegensteht, Kemp, in seinen Texten zur Literatur des Barock aber doch erhebliche Zweifel an ihrer Gültigkeit zeichengetreu zitiert. anmeldet. Gegen Baudelaire, dessen Fleurs du mal Dieser andere Kemp ist ein oft zeitloser Sti­ den jungen Kemp während der Schulzeit zum list, dessen Texte erst durch Hinweise wie den Übersetzen anregten, werden erste Vorbehalte laut, auf „Brand und Bomben“ (Bd. 1, S. 138) ihre die dann beim „Fall Lautréamont“ in aller Deut­ Entstehung in der unmittelbaren Nachkriegszeit lichkeit formuliert werden: „Das unbestreitbare verraten, der für voraussetzungsreiche, ,dunkle‘ Faszinans eines gräßlichen Bildes wird niemals und umfangreiche Versdichtung schwärmt und allein durch verbale Restriktionen unschädlich die schwierigen, abseitigen, mitunter ihm selbst gemacht; hier bedarf es gefeiter Waffen und der zweifelhaften Autoren des Symbolismus mit Nach­ Hinkehr zu einem reinen Bilde. Diese ganze Lite­ druck verteidigt. ratur aber, von de Sade bis zu Antonin Artaud und Friedhelm Kemps Verdienste als Übersetzer Jean Genet, findet ihre Lust in der Schändung“ und Herausgeber sind bekannt. Vielen vergessenen (Bd. 2, S. 162). Und an anderer Stelle: „das Böse, Autor(inn)en hat er zu einem neuen Durchbruch das Verkehrte, das sich und andere Zerstörende, verholfen — Rahel Varnhagen etwa —, und weite Besudelnde, Entehrende, kann nicht groß, poetisch Teile der französischen Literatur des 20. Jahrhun­ sein“ (Bd. 1, S. 333). derts haben durch ihn erste deutsche Leser gefun­ Wie wörtlich man die Rede vom „reinen Bilde“ den. Die hier vorliegenden Ausgewählten Essays zur zu nehmen habe, zeigt in der dritten, thematisch Literatur bieten nun eine weitere Facette, indem offeneren Abteilung ein kleiner Vortrag über das sie verstreute und somit bisher wenig beachtete „himmlische Frauenzimmer“ (vgl. Bd. 2, S. 377— Leistungen bündeln und dem schreibenden Leser, 387). Hier nähert sich Kemp über Beispiele der dem Kritiker, ein Denkmal setzen. barocken Marienliteratur Deutschlands, Frank­

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Werke und Briefe, Carl Hanser Verlag, München 1975 ff. 1 Kemp hat u. a. schon sehr früh von Charles Baude­ laire übersetzt: Ch. B.: Mein entblösstes Herz: die Johannes Schmidt beiden Tagebücher nebst Bildnissen und Zeich­ nungen, übers. u. eingel. v. Friedhelm Kemp, Kurt Humboldt-Universität zu Berlin Desch Verlag, München 1946 oder: Ch. B.: Die Blu­ Sprach- und literaturwissenschaftliche Fakultät men des Bösen, Übers. v. Friedhelm Kemp, S. Fischer Institut für deutsche Literatur Verlag, Frankfurt a. M. 1966. Vgl auch Friedhelm D—10099 Berlin Kemp (Hrsg., Übers.) u. a.: Baudelaire. Sämtl iche

Philip Ajo u r i, U rsu la K un d er t, C a r sten R oh de (Hrsg.) Rahmungen. Präsentationsformen und Kanoneffekte (Beihefte zur Zeitschrift fü r deutsche Philologie, Bd. 16), Erich Schmidt Verlag, Berlin 2017, 233 S.

Kanonische Texte unterliegen dem Ideal der „Null- jekte, Medien und Praktiken bis hin zu textuellen Abweichung“1. An ihrer Gestalt darf — ungeachtet Rahmungen: Die einleitende Bestimmung des der Zahl ihrer Vervielfältigungen — im Verlauf der „Rahmens“ als eines „Oberbegriffs“ für alles, was Tradierung nichts verändert, hinzugefügt oder „ein kanonisches Werk [ . ] für die jeweiligen Re­ entfernt werden. Traditionelles Paradigma dieses zipienten verständlich und relevant macht“ (S. 7), „kanonischen Gebots“2 ist der heilige Text, dessen lässt sich gleichermaßen auf Museen, Universitäten sakrale Dignität von der Philologie auch auf die oder Archive, Methoden und Theorien, Vorworte, Klassiker der antiken und nationalsprachigen Li­ Glossen oder Editionspraktiken anwenden. Er­ teratur übertragen wurde. Doch trotz oder gerade fasst werden diese unterschiedlichen Formen der wegen dieser Verpflichtung zur inhaltlichen und „Rahmung“ unter vier Rubriken: I. Materialität, formalen Treue sind kanonische Texte auf Prä­ II. Paratexte, III. Textkonstitution und IV. Text­ sentationsformen angewiesen, die ihre Fortdauer sammlungen. gewährleisten. Damit die Relevanz eines Kanons In der Sektion I. „Materialität“ befassen sich auch über zeitliche und kulturelle Differenzen Carsten Rohde und Cornelia Ortlieb mit den hinweg gesichert bleibt, muss er an die Erwartungs­ kuriosen Aspekten des literaturwissenschaftlichen haltungen, Kenntnisse und Rezeptionskulturen Interesses an Materialität. Ortlieb beschreibt die unterschiedlicher Publika angepasst werden. Die museale Rahmung eines mysteriösen „Backwerks Identität eines Kanons ist, mit anderen Worten, aus Kasan“ (S. 37), das sich im Besitz Goethes abhängig vom Gelingen seiner fortwährenden befand und im Weimarer Archiv als Präparat auf­ Transformation und Aktualisierung. bewahrt wird. Im Dateieintrag wird das Back­ Mit diesen Rahmenbedingungen von Kanoni- werk mit einer brieflichen Beschreibung des zität befasst sich der von PHILIP AJOURI, URSULA Mediziners Christian Gotthold August Urban in KUNDERT und CarsTEN Rohde herausgegebene Verbindung gebracht. Urban hatte das Gebäck an Sammelband Rahmungen. Präsentationsformen Goethe übersandt und es in einer legendenhaften und Kanoneffekte, der aus einem Workshop an Erzählung als Überrest der vom Krieg zerstörten der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel Stadt Kasan vorgestellt. Diesem Bericht, der mehr im Juli 2015 hervorgeht. Mit ihrer Fragestellung Fragen aufwirft als er beantwortet, setzt Ortlieb erheben die Herausgeber den Anspruch, die An­ eine eigene Rahmengeschichte entgegen, die vom wendungsmöglichkeiten des ,Rahmenbegriffs‘, der Stellenwert des Kulturguts ,Brot‘ zur Zeit der in den Literaturwissenschaften bislang vor allem napoleonischen Kriege handelt. Ob dieses Ange­ in narratologischen Zusammenhängen verwendet bot einer literaturwissenschaftlichen Rahmung wurde, zu erweitern. Die Untersuchungsfelder des als „Annäherung an ein eben nicht sprechendes, Bandes reichen von kognitiven oder epistemologi- sondern vielsagend stummes Objekt eher taugt als schen Rahmungen über Institutionen, Orte, Ob­ etwa seine naturwissenschaftliche Untersuchung“

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(S. 55), will Ortlieb dahingestellt lassen. Die mu­ Paratexte[ ] zu den Paratexten“ (S. 91) - entste­ seale Präsentation eröffnet aus dieser Perspektive hen. Gerade diese Vielzahl an Erläuterungen und jedenfalls vielfältige Möglichkeiten für weitere Aktualisierungen trägt Laufer zufolge dazu bei, Rahmenerzählungen. Terenz als einen „kanonisch[en]“ (S. 101) Autor CARSTEN ROHDE fragt anhand eines ähnlichen zu kennzeichnen. Auch Burrichter untersucht die Beispiels nach den Potenzialen literaturwissen­ publikumsspezifische Gestaltung von Editionen schaftlichen Materialiätsforschung. Das Materia­ - ihr Beispiel ist Sebastian Brandts Narrenschiff litätsparadigma selbst, das sich ungeachtet einer (1494), eine satirische Darstellung unterschied­ längeren Vorgeschichte erst um das Jahr 2000 licher Narrentypen, die 1497 ins Lateinische und endgültig durchgesetzt habe, begreift er als „episte- von dort ins Französische übersetzt wurde. Mit der mologisch-philosophische[n] frame[ ]“ (S. 65), der Übertragung des volkssprachigen Buches in die den Blick aufkanonische Bestände verändere. Dies europäische Gelehrtensprache werden, wie Bur­ habe auch Auswirkungen auf die museale Kultur, richter zeigt, neue Begründungszusammenhänge die sich in der jüngeren Zeit vorzugsweise mit den nötig. So ordnet der Übersetzer Jacob Locher das sinnlichen und alltagsweltlichen Aspekten kano­ Narrenschiff in eine lange Tradition der morali­ nischer Autoren befasse. Als Beispiel dient Rohde schen Komödie ein, stellt Bezüge zu Dante oder die Ausstellung von Goethes Hosenträgern und Petrarca her und weist seinen Lehrer Brandt als Lederstiefeln im Weimarer Nationalmuseum. Auch gelehrten Humanisten aus. Dass diese Strategie wenn der „epistemische [ ] Mehrwert“ solcher Ge­ erfolgreich war, zeigt nicht zuletzt die weiteren genstände nicht immer ersichtlich sei, sieht Rohde Übersetzungsgeschichte: Die im selben Jahr an­ in der „Vielfalt der ephemeren Alltagsgegenstände“ gefertigte französische Übersetzung behandelt die die „Vielfalt des Goethe’schen Kosmos“ (S. 69 f.) lateinische Fassung des Narrenschiffs als autorita­ bestätigt. Dass die Dingwelt der Weimarer Klas­ tiven Text und übernimmt sie „als ,komplettes“ Werk sik auch für Interpretationen fruchtbar gemacht mit dem rahmenden Apparat“ (S. 121). Auch die werden kann, zeigt Rohde anhand einer Studie Paratexte werden in der französischen Ausgabe dem Gerhard Neuman ns, der die Liebesgaben zwischen gelehrten Apparat einverleibt. Sowohl Burrichter Goethe und Charlotte von Stein als Medien der als auch Laufer betonen, dass Text und Paratext Sublimierung einer nicht-gelebten erotischen in ihren Beispielen konstitutiv zusammenhängen Beziehung deutet. Wie solche materialitätsge­ und sich analytisch nicht säuberlich voneinander schichtlichen F orschungen die Sicht aufkanon ische trennen lassen. Autoren und Texte grundlegend verändern, bleibt Eine originelle Lesart entwickelt TlLL Dem- in Rohdes Beitrag allerdings ebenso offen wie die BECK in einer paratextuellen Analyse von Herders Frage, worin die Unterschiede zwischen musealen, zweibändiger Volkslieder-Sammlung (1778/79). theoretischen und interpretativen „Rahmungen“ Anhand der Vorworte und Kommentare zu den und ihren jeweiligen „Kanoneffekten“ bestehen. Volksliedern legt Dembeck plausibel dar, dass Dass die Kanonizität von Texten maßgeblich es Herder keineswegs um die Bewahrung einer durch ihre unmittelbare textuelle Rahmung be­ archaischen Textform gehe. Vielmehr sei er an einflusst und gesteuert wird, machen die Beiträge der Konstitution einer neuen Form der lyrischen in der Sektion II. „Paratexte“ deutlich. BRIGITTE Dichtung interessiert, die „im modernen Sinne als Burrichter und Ester Läufer gehen jeweils Gattung“ (S. 123) begründet werden solle. Der anhand unterschiedlicher Beispiele der Frage nach, Wert der gesammelten „Volkslieder“ liege für den wie Paratexte zur Überbrückung historischer und Herausgeber in ihrer Eignung zur schöpferischen kultureller Distanzen eingesetzt werden können. Aneignung und Weiterverarbeitung. Den „eigent­ Laufer befasst sich u. a. mit zwei deutschsprachigen lichen Gegenstand“ von Herders Projekt bildeten Terenz-Ausgaben des 15. Jahrhunderts, die an ein aber nicht die gesammelten Texte selbst, sondern lateinunkundiges Publikum gerichtet sind. Die „erst noch zu erschaffende“, die „nicht auf aprio­ Paratexte aus der lateinischen Vorlage werden zwar rische Bauprinzipien zurückgreifen“ und durch in die volkssprachige Edition übernommen, aber die Sammlung „projektiv“ kanonisiert werden. mit zusätzlichen Lektüreanweisungen versehen, Worin die Merkmale der neuen lyrischen Gattung sodass doppelte Rahmungen - „gewissermaßen bestehen sollen, führt Dembeck allerdings nicht

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 606-670 6 6 0 Besprechungen aus. Diese Frage ließe sich vermutlich auch nur mit waren die unterschiedlichen Textvarianten der Blick auf Herders Bearbeitungspraxis beantworten. Lieder für Lachmann und Haupt Belege einer Denn sein Lyrikideal erschließt sich maßgeblich zunehmenden Textverderbnis. Ihr Ziel bestand aus seiner redaktionellen Tätigkeit. Insofern wäre darin, die einzig gültige Urfassung jener Texte für eine Analyse der Volkslieder aufschlussreich, zu rekonstruieren, die sie als repräsentativ für wie sich der von Herder konstituierte Text und die „Klassik“ des Mittelalters — den „Frühling“ die paratextuelle Rahmung zueinander verhalten. der deutschen Lyrik — erachteten (S. 172). Diese ALEXANDER Zons geht den Überschneidungen Prämissen wurden lange Zeit nicht infrage gestellt. von Text und Paratext im Film auf den Grund. Die Obwohl die Mediävistik die Varianten mittelalter­ Untersuchung des Vorspanns als des filmischen licher Texte mittlerweile als „Ausdruck einer in den Paratextes schlechthin dient ihm dazu, einige der Liedern selbst angelegten Offenheit“ (S. 176) sieht, theoretischen An nahmen Genettes zu überprüfen. fehle es noch immer an einer Neuausgabe von Des Das betrifft vor allem die materielle Dimension des Minnesangs Frühling, die mehrere Textfassungen Textes, die bei Genette kaum berücksichtigt werde, gleichberechtigt nebeneinander abdruckt. Vor dem sowie die Annahme von der Unwandelbarkeit des Hintergrund dieser Problematisierung wird deut­ Textes im Gegensatz zur Veränderlichkeit des Para­ lich, wie hartnäckig sich kanonische Gegenstände textes. Der filmische Text zeichnet sich für Zons ungeachtet einer veränderten Kenntnislage auch in durch seine Flüchtigkeit und Entzogenheit aus. Er der Wissenschaft erhalten. ist „unauffindbar“ (Raymond Bellour), besitzt in der PHLIPP AjOURI schließt an die Überlegun­ Regel mehrere Autoren und hat keinen eindeutigen gen Kleins an, indem er auf die kanonbildende Anfang: Obwohl der Film mit dem Vorspann be­ Funktion von Werkausgaben hinweist und einige ginnt, wird er durch diesen zugleich aufgeschoben. Kriterien zu ihrer Untersuchung vorschlägt. Wie Zons führt an Howard Hawks Monkey Business für jede Edition gilt auch für Werkausgaben, dass (1952) und Otto Premingers Bunny Lake is Missing die zugrundeliegenden Text-, Autor und Werk­ (2008) vor, in welcher Weise die Vorspanne dieser konzeptionen sich maßgeblich auf ihre Gestaltung Filme den Aufschub des Filmbeginns thematisieren auswirken. Das betrifft an erster Stelle die Frage, und reflektieren. Die Lektüreanleitung werde hier was alles zu einem Werk zu zählen ist und wem die gleichsam in den filmischen Text eingeschrieben. Autorität über diese Entscheidung zugesprochen Diese Rezeptionssteuerung hält Zons neben der wird: Richtet man sich nach dem letzten, testa­ Konstitution einer Werkeinheit für die zentrale mentarischen Willen des Autors, privilegiert man Funktion von Paratexten. — wie der Philologe Michael Bernays — die jeweils Dass sich diese Überlegungen zum Verhältnis früheste Fassung eines Textes oder entscheidet von Text und Paratext im Film auch auf die Lite­ man sie für eine Dokumentation der Werkgenese? ratur übertragen lassen, zeigt sich in den Beiträgen Auch die Form der Textanordnung und -kom­ zu den Sektionen „Textkonstitution“ (III.) und mentierung, die Wahl des Verlags und das imagi- „Textsammlungen“ (IV.). Die editionsphilologi­ nierte Publikum spielen bei der Konzeption einer sche Konstitution eines Textes wird hier als eine Werkausgabe eine wichtige Rolle. Diese Vielzahl weitere Form der Rahmung ins Spiel gebracht, die dieser Einflussfaktoren bildet aus der Perspektive „die grundlegende Unterscheidung von Text und Ajouris den Rahmen einer Werkausgabe. Die Er­ Rahmen“ (S. 12) tendenziell unterlaufe. forschung von Werkausgaben stehe, nicht zuletzt DOROTHEA KLEIN widmet sich der von Karl wegen ihres interdisziplinären Status’ zwischen Lachmann und Moritz Haupt erstellten Sammlung Editionsphilologie, Wissenschaftsgeschichte, Ver­ Des Minnesangs Frühling (1857), über deren kano­ lagsgeschichte und Literaturgeschichte, allerdings nischen Status trotz einiger grundlegender Mängel noch am Anfang. bis heute Konsens bestehe. Die Problematik der In den Ausführungen Ajouris werden metho­ Sammlung sieht Klein darin, dass die Philologen dische Fragen angesprochen, die sich auch als des 19. Jahrhunderts von einem Geschichts- und Untersuchungsrahmen für den gesamten Band Autorschaftsmodell ausgingen, das inzwischen als angeboten hätten. Insbesondere diejenigen Bei­ überholt gilt. Da sie Dichtung als Ergebnis eines träge des Bandes, die sich anhand von konkreten schöpferischen, einmaligen Schaffensakts ansahen, Beispielen mit editorialen Praktiken befassen,3

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 606—670 Zeitschrift für Germanistik XXVII - 3/2017 661 machen den Mehrwert der Fokusverschiebung Anmerkungen auf textuelle „Rahmungen“ deutlich. Allerdings 1 Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, werden zum Zusammenhang von Rahmung und Erinnerung und politische Identität in frühen Hoch­ Kanonisierung kaum neue Ergebnisse vorgestellt. kulturen, München 61992, S. 105. Ob und in welcher Weise editoriale Praktiken etwa 2 Ebenda. zur Konstitution oder bloß zur Behauptung oder 3 Vgl. dazu zuletzt das Themenheft Editoriale Aneig­ Bestätigung von Kanonizität beitragen, bleibt of­ nung literarischer Werke im 18. Jahrhundert, beson­ fen. Hier wären, wie Ajouri einräumt, empirische ders das Vorwort von Charlotte Kurbjuhn, Steffen Studien nötig. Die konkreten „Kanoneffekte“, Martus und Carlos Spoerhase. In: ZfGerm XXVII denen der Band nachspürt, bleiben daher im vagen. (2017), H. 1. Möglicherweise wäre es für eine Schärfung dieses Zusammenhangs fruchtbar gewesen, den Erika Thomalla Begriff der ,Rahmung‘ nicht als Universalkatego­ Humboldt Universität zu Berlin rie für Prozesse der Wahrnehmungssteuerung zu Sprach- und literaturwissenschaftliche Fakultät verwenden, sondern ihn auf konkrete Praktiken Institut für deutsche Literatur der Textkonstitution zu begrenzen. Interessante Unter den Linden 6 Impulse zur Erforschung solcher editorialer Stra­ D—10099 Berlin tegien bietet der Band aber allemal.

H ans J ürgen Sch eu er , U lrike V ed d er (Hrsg.) Tier im Text. Exemplarität und Allegorizität literarischer Lebewesen (Publikationen zur Zeit­ schrift für Germanistik, Bd. 29), Verlag Peter Lang, Bern u. a. 2015, 333 S. (I.)

Ju d it h K lin g er, A ndreas K rass (Hrsg.) Tiere. Begleiter des Menschen in der Literatur des Mittelalters, Böhlau Verlag, Köln u. a. 2017, 320 S. (II.)

Mit der Untersuchung von Mensch-Tier-Rela- kreist um Fragen der „Produktion und Organisa­ tionen nehmen sich beide Sammelbände eines tion des menschlichen Wissens von sich selbst speziell in den Kulturwissenschaften virulenten aus der Begegnung mit dem Tier und der daraus Gegenstands an, um ihn in einem literaturwis­ konstruierten gemeinsamen oder divergieren­ senschaftlichen Rahmen zu untersuchen. Die kon­ den Natur“ (Vorwort, S. 10). Hervorgegangen zeptionelle Verflechtung von Tier- und Mensch­ aus der gleichnamigen, im Wintersemerster lichkeit in den Imaginationsräumen der Literatur 2013/14 an der Humboldt-Universität zu Berlin ist durchaus als selbstreferenzieller Impetus zu veranstalteten Ringvorlesung, wird die tierliche verstehen: Text-Tiere sind immer auch Zeugnisse Bild- und Beispielhaftigkeit literarischer Lebe­ menschlicher Selbstdefinition. Als Schauplatz wesen in 1. sprachlicher und moralischer, 2. poli­ anthropologischer Verhandlungen ist ihnen eine tischer, gesellschaftlicher und ökonomischer Spiegelbildlichkeit eingeschrieben, mit der je nach sowie 3. poetologischer Hinsicht erschlossen. Die Entwurf Idealität oder Mangelhaftigkeit visuali- thematischen Schwerpunkte stehen im Lichte einer siert werden kann. Unter diesen Gesichtspunkten „besondere[n] Spannung zwischen Selbst- und soll anhand ausgewählter Beiträge die in den Fremdreferenz“ (S. 19). Bänden vollzogene Nachzeichnung der mitunter 1. Literarische Lebewesen in sprachlicher und sehr ambivalenten Bedeutungsdimensionen be­ moralischer Hinsicht. Dass das in text- und bild­ sprochen werden. lichen Darstellungen präsentierte Wissen vom I. Der von HaNS JÜRGEN SCHEUER und UL­ Tier wesentlich einer kulturellen Gemachtheit un­ RIKE VEDDER herausgegebene Band Tier im Text terliegt, legt JULIA WEITBRECHT anhand der poe-

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 606—670 6 6 2 Besprechungen tologischen Semantik des Wolfsblicks in der Fabel einer egoistisch-kapitalistischen Wachstumsgesell­ dar. Mit dem Außenblick des „lupus in fabula“ schaft gegenüber altruistischen Systemen thema­ (S. 23) auf den Menschen werden Gattungsprinzi­ tisiert wird, oder in Waldemar Bonsels’ Die Biene pien der mittelalterlichen Fabel reflektiert und der Maja und ihre Abenteuer, in der das revolutionäre menschliche „Blick auf den Wolf als Projektion“ Aufbegehren des Individuums beschrieben wird: (S. 28) entlarvt. Stets ist den Insekten eine anthropozentrische Der Wandelbarkeit kulturell präfigurierter Fragestellung inhärent. Tiergenese geht HANS JÜRGEN SCHEUER nach. Er Daran anschließend behandelt ERHARD erarbeitet auf der Grundlage von Mimesiskon- SCHÜTZ die „Selbstverarmeisung des Menschen“ zepten eine vormoderne Poetik, die eine Interes­ (S. 204) in der Literatur des 20. Jahrhunderts, in senverknüpfung von Tier und menschlicher Seele der sich Ameisen und Ameisenstaat, nicht selten ebenso erfasst wie die chimärenhafte Erscheinung ideologisch vereinnahmt, als prognostisches Ob­ aus Text- und Tierkörper. Die Aktualisierung sol­ jekt für massengesellschaftliche Phänomene der cher Verbindungen im Zuge eines tropologischen Moderne etablieren. Hinsichtlich vormoderner To- Umschwenkens zur Allegorie ermöglicht die Inan­ poi hat sich damit die Perspektive von der singulä­ spruchnahme tradierten Wissens durch Diskurse ren und vorbildhaften Ameise auf die Pluralität der der Heilsgeschichte und Minne gleichermaßen. Schwarmelemente verschoben. Spätestens mit dem ROGER WlLLEMSEN widmet sich der kate- Einsetzen der Luftkriegsführung wird die zynische gorialen Grenzauflösung zwischen den Lebewe­ Dimension dieser menschlichen Vogelperspektive sen infolge darwinistischer Neuverordnungen offenbar, in der die Zerstörung von Städten zu im 19. Jahrhundert. Die damit einhergehende einem Stochern im Ameisenhaufen gerät. Indifferenz des Tiers zum Menschen wandelt sich Mit der Errichtung zoologischer Gärten ab im Zuge des evolutionistischen Narrativs zum 1830 - so ULRIKE Vedder - entwickelt sich die Signum monströser Fehlentwicklung: Als Man­ normierende Überlegenheit des Menschen zu gelmensch verliert das Tier seine eschatologische einem öffentlichen Reflexionsgegenstand des Anbindung und steht fortan für uneingelöstes bürgerlichen Selbstverständnisses. In der literari­ Wachstum. Die Pathologisierung des Tierlichen schen Rezeption wird die Begegnungsstätte von wird eindrücklich nahegebracht, wenn Willem- Mensch und Tier mit der paradoxen Intention, sen dann die Konnotationen des Monströsen Natürlichkeit theatralisch zu inszenieren, zu zwischen Mensch und Tier entfalten kann, ohne einem Sujet, das zwischen kolonial und naiv­ Tierlichkeit explizit bemühen zu müssen. Diesen paradiesisch gefärbten Heterotopien changiert. Abschnitt bereichern ferner die Beiträge von AST­ Vor dem Hintergrund seiner Gewaltgeschichte RID LEMBKE (Drachen), ANDREAS KRASS (Zentau­ entwickelt sich der literarische Zoo zu einem kul­ ren) und Bürkhardt Wolf (Wal). tur- und zivilisationskritischen Topos gewaltsamer 2. Literarische Lebewesen in politischer, gesell­ Modernisierungsprozesse, der für die Verarbeitung schaftlicher und ökonomischer Hinsicht. Aufgrund von Kriegs- und Massenvernichtungsphänomenen ihrer naturbedingten Evidenzhaftigkeit kommt des 20. Jahrhundert ebenso relevant wird wie für den sog. politischen Tiersozietäten eine wichtige höchst aktuelle Problematiken der Massentierhal­ Rolle in der Evaluation menschlicher Organisa­ tung. Ein Beitrag von SABINE KäLFF (Kraniche) tionsformen zu. Dass Wissens- und Imaginations­ ergänzt den Schwerpunkt. geschichte indes nicht getrennt zu denken sind 3. Literarische Lebewesen in poetologischer Hin­ und Tiereigenschaften in der Literatur vielmehr sicht. ALEXANDER KOSENINA erörtert Vorgänge das Ergebnis prägnanter Zuschreibungsprozesse der Transmedialisierung in Bezug auf Text-Bild- darstellen, ist die zentrale Beobachtung von RALF Kompositionen in literarischen Almanachen. Im KLAUSNITZER. Mit Hinblick auf ihre Vorbildfunk­ Fokus stehen die Verbildlichungen literarischer tion für den Menschen, „funktional erfolgreiche Spannungsmomente zwischen Mensch und feli- Gesellschaften“ (S. 184) zu konstruieren, arbeitet nem Raubtier des Illustrators Johann Heinrich Klausnitzer die Dynamiken des Bildbereichs der Ramberg (1763-1840). Die Illustrationen sind Biene heraus. Ob in Bernard Mandevilles The Fab­ Ausdruck einer von „Angstlust“ (S. 255) geprägten le of The Bees, in der die paradoxe Vorteilhaftigkeit Hinwendung des Menschen zum Tier und treten

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 606-670 Zeitschrift für Germanistik XXVII - 3/2017 663 infolge ihrer eigenwilligen Ausgestaltungen „in sich vereinen. Visualisiert die diabolische Kraft ein produktives, zuweilen ergänzendes und kom­ Bayards eine positiv gewertete Exorbitanz seiner mentierendes Verhältnis“ (S. 255) zum Text. Auf­ wechselnden Reiter, beschreibt insbesondere der sätze von ULRIKE Stamm (Tiere im Reisebericht), Malagis ein vornehmlich kritisches Bild dieser ROLAND Berbig (Tierpoetik Günter Eichs) und Verbindungen. Bastert konstatiert, dass hier Ritter DOROTHEE Wieser (Zoopoetik Marcel Beyers) und Pferd trotz exponierter Wesensähnlichkeiten vervollständigen diesen Abschnitt. in keinem Identifikationsverhältnis aufgehen kön­ Ein Vorteil dieses Sammelbandes ergibt sich nen, da die in den Texten beschriebenen Bezie­ u. a. aus der methodischen Diversität der Beiträ­ hungen deutlich vom Menschen dominiert bzw. ge. An den Schnittstellen von Tierwissen und in Frage gestellt werden. Text- sowie Darstellungsverfahren literarischer 2. Tiere des Hauses. Als fruchtbar erweist sich Adaptionen, syn- und diachronisch ansetzend, ebenso das Vorgehen jener Autor(inn)en, litera­ gelingt die Erschließung umfangreicher Felder rische Tiere mittels konventionalisierter Darstel­ animaler Exemplarität und Allegorizität. Dieser lungsstrategien zu referieren. In einer Engführung Zugang erlaubt eine Sicht auf z. T. gänzlich neue von Tier und Topos betrachtet LlNA HERZ den Facetten tierlicher Literarizität. Hund unter dem Aspekt des Beschützers und zeigt II. Der von JUDITH KLINGER und ANDREAS die bisher nicht beachteten Parallelen der Wind­ KRASS herausgegebene Band untersucht vor hundepisode der Königin Sibille zur legendarischen allem die Funktionalisierung von spezifischen Erzählung vom Märtyrerhund Guinefort auf. Als Tieren anhand einer Fülle von Quellmaterial Begleiterin der Königin besitzt der Windhund aus vornehmlich monastisch-klerikalen sowie durch natürliches Verhalten begründete höfische höfisch-heroischen Traditionsumfeldern und Tugenden, etabliert sich als Beschützer der Familie gibt darüber hinaus grundlegende Einsichten und kann zumindest zeitweise an die Stelle der in historische Mensch-Tier-Relationen. Mit der Handlungsträger aus kultureller Sphäre treten. Entscheidung, Tiere in ihrer Begleiterfunktion zu Den Schwerpunkt ergänzen die Aufsätze von untersuchen, gehen „Fragen nach Grenzziehungen DENISE GRDUSZAK (Katze) und WERNER RöCKE und Grenzüberschreitungen“ (Einführung, S. 24) (Esel). einher, deren Beantwortungsspektrum von „weit­ 3. Tiere des Waldes. Konträr zu diesem na­ reichender Anverwandlung bis zur metaphorischen turalisierten Ethos stellt H arald H aferlan d Bändigung“ (S. 30) reicht. Der Band gliedert mit dem Fabelfuchs eine Aussetzung moralischer sich in fünf Themenfelder: 1. Ritter und Pferd, Bewertungskategorien fest, sobald Verstöße gegen 2. Tiere des Hauses, 3. Tiere des Waldes, 4. Tiere Sozialnormen mit der natürlichen Amoralität des Himmels, 5. Tiere in Namen. theriomorpher Protagonisten legitimiert werden. 1. Ritter und Pferd. Gleich zwei Aufsätze be­ Jedoch bewirkt die hybride Figuration des Fuchses schreiben am Beispiel von Tierindividuen das aus tier- und menschlichen Anteilen, die sich über Gefüge von Ritter und Pferd. Methodisch äußerst die Gattung der Fabel hinaus verfestigt, keine versiert, legt LISELOTTE E. SAURMA-jELTSCH Versachlichung der konfliktgeladenen Beziehung. mittels des Alter-Ego-Konzepts dar, dass die im Unter Bezugnahme stereotyper Listmotive schil­ Antikenroman gezeichnete Wesenseinheit von dert Haferland einen ambivalenten Blick auf den Alexander und Bucephalus eine Beziehung be­ Fuchs, der durch seine Schläue zwar Sympathien dingt, die im Sinne einer Schicksalsgemeinschaft hervorruft, doch angesichts der affektiven Gewalt­ weder auf Zähmung noch auf Unterwerfung tätigkeit ebenso Abneigung erzeugt. beruht. Nicht zuletzt kann über die ästhetisch an­ ANDREAS KRASS nimmt eine literarhistorische sprechenden Farbillustrationen dennoch verdeut­ Eingrenzung des seit der Antike tradierten Erzähl­ licht werden, dass diesem Mensch-Tier-Gefüge musters vom zahmen Löwen vor, das trotz seiner durchaus eine Doppelwertigkeit zugrundeliegt. variantenreichen Adaptionskontexte (höfisch, le- Mit dem Malagis und dem Reinolt von Montelban gendarisch oder zoologisch) einen konstanten Kern stellt BERND BASTERT zwei Texte vor, die infolge bewahrt. Durchweg verstärkt der Löwe das Ideal der Stoffrezeption sowohl adelige als auch kleri­ seines Gegenübers, ganz gleich ob als Begleiter kale Perspektiven auf das Wunderpferd Bayard in eines Sklaven, Ritters, Heiligen, Patriarchen oder

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Philosophen. Kraß bleibt mit seiner Analyse nicht die im Titel des Beitrags stehende „symbolische auf die Vormoderne beschränkt und arbeitet über­ Kommunikation in Namen“ hinausgeht. zeugend am Beispiel von Sibylle Lewitscharoffs Für diesen Tier-Band spricht, neben der beein­ Blumenberg die Relevanz der Vormoderne für druckenden Materialfülle, seine Zugänglichkeit, aktuelle Literaturproduktionen heraus. Dieses die eine breite Leserschaft ansprechen dürfte. Themenfeld wird ergänzt um die Aufsätze von Zentrale Termini werden erläutert, die Inhalte Jan-Dirk Müller (Eber) und Judith Klinger plausibel erörtert; die formale Trennung des Text­ (Wolf). korpus vom Anmerkungsapparat bewirkt ein klares 4. Tiere des Himmels verfolgen Silke WlNST Textbild (dies geht allerdings auch manchmal mit (Rabe), O tto Neudeck (Adler), O tto Neudeck der Erschwernis einher, Verweise komfortabel zu (Adler) und RoNNY SCHULZ (Falke). recherchieren). 5. Tiere in Namen. Dort, wo Gewalttätigkeit Fazit: Beide Sammelbände zeichnen sich vor al­ zum dominierenden tierlichen Charakteristikum lem dadurch aus, dass sie ihre jeweilige übergeord­ wird, kann die Nutzbarmachung durch den Krie­ nete Problemstellung produktiv im Fach situieren ger evoziert werden. An diese Beobachtung an­ und zahlreiche neue Perspektiven auf literarische knüpfend, beschäftigt sich WoLFGANG HaUBRICHS Mensch-Tier-Relationen eröffnen. mit den Individualisierungs- und Semantisierungs- prozessen in der Namengebung zum frühen Mit­ Sigold Richter telalter, die in Korrelation mit dem Aufkommen Westfälische Wilhelms-Universität Münster theriophorer Personennamen stehen. Ausgiebig Graduiertenkolleg Literarische Form und beispielgesättigt nimmt er sich einem Phäno­ Robert-Koch-Straße 29 men an, das — wie erarbeitet wird — zum Zwecke D—48149 Münster einer providenzbegründeten Identitätsbildung über

A ch im Au r n h a m m er , T h o r sten Fitzo n Lyrische Trauernarrative. Erzählte Verlusterfahrung in autofiktionalen Gedichtzyklen (Faktuales und Fiktionales Erzählen. Schriftenreihe des Graduiertenkollegs 1767, Bd. 2), Ergon Verlag, Würzburg 2016, 359 S.

Institutionell wie methodisch gehört dieser von fachlich als Expert[inn]en ausgewiesenen) Frei­ Achim Aurnhammer und Thorsten Fitzon burger Nachwuchsnarratolog[inn]en. Tatsächlich herausgegebene Sammelband in den Bereich der ging dieses Buch aus einem „narratologischen „transmedialen Narratologie“. Im Hintergrund Arbeitsgespräch“ (S. 7) des Graduiertenkollegs steht der in den letzten zwei Jahrzehnten mehrfach Faktuales undfiktionales Erzählen hervor. I nsofern (z. B. von Bernhart, Wolf, Müller-Zettelmann sind denn auch die Begriffe aus dem Buchtitel, die und Hühn, der übrigens im gleichen Jahr ein im Vorwort ausführlich diskutierten werden, die Buch zur narratologischen Analyse englischspra­ des „Narrativs“ und der „Autofiktion“. chiger Trauergedichte publiziert hat1) formulierte Obwohl das Korpus der im Tagungsband unter­ Anspruch, Lyrik durch Begriffstransfer aus der suchten Texte klar auf „Gedichtzyklen“ eingegrenzt Erzählforschung besser analysieren zu können als ist, in denen es um (scheinbar) eigene Trauer geht, das bisher möglich war. findet sich nirgendwo eine Begriffsklärung des Diesen Anspruch kann man teilen, doch wur­ zugrundegelegten Verständnisses von „lyrisch“/ den auch mehrfach Bedenken gegenüber einem „Lyrik“ oder „Gedichtzyklus“. Dabei wäre gerade solchen Export von Konzepten und Fachbegriffen in Verbindung mit dem narratologischen Ansatz angemeldet, die in der Einleitung des Sammel­ eine Reflektion über den Begriffsnamen interessant bandes leider nicht erwähnt werden. Der Band gewesen — suggeriert das Wort „Gedichtzyklus“ versammelt Aufsätze vor allem von (z. T. bereits doch statt prozessualem Fortschritt eine Kreisför-

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 606—670 Zeitschrift für Germanistik XXVII - 3/2017 665 migkeit (des Erzählens?) und insofern Wieder­ Der Eröffnungsbeitrag CARL E. ScHEIDTs macht holbarkeit ,ad infinitum“, also gerade keinen mehr auf faszinierende Weise deutlich, wie z. B. die oder weniger linear ablaufenden „seelische [n] Psychiatrie durch Integration narratologischer Reparationsmechanismus“, nach dessen erfolgrei­ Erkenntnisse aus der Literaturwissenschaft zu chem Ablauf die Überwindung des Trauerzustands einem Fortschritt im Verständnis der unter durch die geleistete Trauerarbeit stünde (vgl. Trauer auftretenden psychischen und physischen S. 20 f.). So konstatieren auch mehrere Fallstudien Erkrankungen gelangen konnte. Durch diesen das Vorliegen auffälliger „Wiederholungsstruktu­ Band werden nun die solcherart gewonnenen ren“ (S. 123) in den untersuchten Primärtexten. medizinisch-psychologischen Einsichten und Ebenfalls in der Einleitung nicht ausgeführt Modelle wiederum für die Literaturwissenschaft werden gewisse, dem Band zugrundeliegende inter­ fruchtbar gemacht - ein aufschlussreicher Fall von pretationstheoretische Vorannahmen am interes­ gelungener Interdisziplinarität. santen Schnittpunkt von Narratologie, Lyrikologie Auch die durch die narratologische Begrifflich- und Fiktionstheorie: Behandelt der Sammelband keit der „Interferenz“ von „Erzählerstimme“ und aus der ganzen Breite der Gedichtzyklen über Trauer Figurenrede, von gegenwärtigem Ich des Erzählers gezielt nur diejenigen Texte, in denen die Trauer als Sprechinstanz des Gedichttextes und seinem erzählend dargestellt wird und in denen diese Dar­ erinnerten, früheren Ich lenkt in den konkreten stellung zudem auf„autofiktionale“ Weise geschieht Fallstudien den Blick auf bisher selten wahrge­ (d. h. indem „ein subjektiv erfahrenes Geschehen nommene, vielleicht sogar generisch besondere mit Fiktionalisierungsstrategien [...] im Medium Strukturen der Trauergedichtzyklen, denen die der Kunst objektiviert wird,“ S. 9)? Wird davon rückwärtsgewandte Perspektive ja häufig eigen ist. ausgegangen, dass Gedichte immer ,irgendwie“ Gleichzeitig werden aber auch die „Grenzen der erzählen ? Oder ist die Narrativität etwas Typisches Anwendbarkeit“ dieses aufWolf Schmid zurückge­ der Subgattung Gedichtzyklus (wie es zumindest henden „Interferenzmodells“ in der konkreten Pra­ aus der Analyse der durch „Sequentialität“ und xis der Lyrikanalyse reflektiert (vgl. S. 207-210). „Medialität“ erzeugten „Narration einer Trauer­ So bietet der Band viele aufschlussreiche Fallstudi­ arbeit“ in Eichendorfs Gedichtzyklus hervorgeht, en auf theoretisch hohem Niveau. Berücksichtigt vgl. S. 104 f.)? Sind „autorfaktuale“2 Gedichtzyklen werden dabei nicht nur kanonisierte Autoren wie explizit von der Untersuchung in diesem Band aus­ Eichendorf, Hebbel, Heyse und Celan, sondern geschlossen? Oder gehen die Herausgeber vielmehr auch Texte (heute) eher unbekannter Autoren, über davon aus, dass Lyrik ohnehin immer fiktional die bisher oder in letzter Zeit nicht oder zumindest (eine in der Lyriktheorie durchaus verbreitete, aber nur wenig geforscht wurde. keineswegs konsensuell vertretene Auffassung) und Teresa M oser und Mareike R öll etwa stel­ Ich-Lyrik ohne erkennbare Rollenfiktion, dafür len in ihrem sehr genau analysierenden Beitrag aber mit recherchierbarem Bezug zur Lebenswelt Johann Jakob Jaegles schmalen Gedichtband Der des empirischen Autors, immer autofiktional, Cypressen-Hain (1830) ins Scheinwerferlicht der nie autobiographisch ist? (Falls ja, warum?) Das Literaturwissenschaft. Wegen Jaegles für Gedicht­ Verskriterium allein kann ja kein Fiktionalitäts- sammlungen des 17. und 18. Jahrhunderts durch­ merkmal sein, berücksichtigt man etwa die seit aus typischer Mischung von liturgisch-rituellen der Antike verbreitete Form der Versepistel bzw. im (Auftrags-)Kondolenzgedichten auf öffentliche 18. Jahrhundert des häufig in Gedichtsammlungen und Trauergedichten auf private Todesfälle steht aufgenommenen „poetischen Sendschreibens“.) dieser Gedichtband offenbar in der Tradition der Das große methodische Verdienst dieses Sam­ Erbauungsliteratur, und dort wiederum in der melbandes liegt dagegen nicht im Schnittbereich Gattungstradition des seit dem Mittelalter ver­ von Narratologie und Lyrikologie (und man tut breiteten christlichen Trost-Büchleins“. Auf diese dem spannenden und aufschlussreichen Projekt vor allem in der Frühen Neuzeit breit rezipierte mit seinen vielen kenntnisreichen Einzelstudien Gattung wird im Sammelband aber nur selten Unrecht, hierauf zu sehr den Lektürefokus zu Bezug genommen, hat sie doch zu der Zeit, für die lenken), sondern in dem von Narratologie und die Fallstudien einsetzen, bereits an Wichtigkeit Medizin bzw. Psychologie. und Verbreitung verloren.

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Die im Sammelband behandelten Texte setzen in diesen Zyklen (warum übrigens nicht auch in 1801/1802 ein, die meisten stammen aus dem 19. Einzelgedichten?) ,narrativ‘ getrauert? Wird nach oder der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Diesen 1950 nicht mehr in Gedichtzyklen getrauert? Zeitrahmen zu reflektieren, wäre aus literarge- Oder nicht mehr autofiktional (sondern nur noch schichtlicher Perspektive sicher vielversprechend offen fiktional? Oder gar ungebrochen faktual)? gewesen: Warum enthält der Band derart viele Unterliegt das Erwecken von ,autobiographischer Beiträge zu Texten aus dieser Zeitspanne? Liegt das Authentizität‘ des im Gedicht dargestellten Erle­ an der Kontingenz der Forschungsinteressen jener bens von Trauer vielleicht grundsätzlich einem mit Freiburg i. Br. assoziierten Beiträger[innen]? historischen (und/oder einem subgattungs-spezi- Oder gründet es vielleicht in der etwa seit 1800 fischen) Wandel? nicht mehr gegebenen Allgemeinverbindlichkeit Auch wenn der Sammelband solche grundsätz­ der christlichen Heilserwartung, die ja die Trauer­ lichen Überlegungen eher anregt als anstellt, fällt rituale und insofern auch die ,Leichgedichte‘ der die äußerst materialreiche Publikation — neben der Frühen Neuzeit bestimmte? (Dort hatten Epice- methodischen Verknüpfung von narratologischer dien neben der häufig primären Funktion, „em­ und klinisch-empirischer Trauerforschung und phatischen Trost“ [S. 10] zu spenden, ja durchaus ihrer Anwendung auf lyrische Texte — doch vor al­ oft auch den handfesten Auftrag, die Beerdigungs­ lem deshalb positiv auf, weil die Fallstudien neben zeremonien würdig zu umrahmen, einen heraus­ der literatur- und musikwissenschaftlich äußerst gehobenen sozialen Status der Verstorbenen (bzw. kompetenten Behandlung von Rückerts/Mahlers der Auftraggeber[innen]) zu behaupten oder zu bekannten Kindertotenliedern auch eine Fülle kodifizieren und/oder das Andenken an die Toten von heute halb- oder ganz vergessener Klagelyrik literarisch zu ,verewigen‘.) Dass selbst glaubensfeste aus dem Halbdunkel der Literaturgeschichte her­ Christen bei der Konfrontation mit dem Tod ihres vorholen. Dieses ganze versammelte (manchmal eigenen Kindes in einen existentiellen Zwiespalt auch simulierte, inszenierte, ästhetisierte) Elend geraten zwischen Heilsgewissheit für das verstor­ der Hinterbliebenen berührt (bei aller fiktiona- bene Kind und nachhaltigem Überwältigtsein von lisierenden Überformung) doch eigentümlich. der eigenen Trauererfahrung (vgl. S. 10), ist ja nicht Zudem ruft die große Anzahl Klagelyrik über den erst seit 1800 bekannt. Prominent thematisierte Tod eines eigenen Kindes heutigen Leser(innen) dieses Dilemma bereits Martin Luther (mit dem ein sozialhistorisches Faktum ins Gedächtnis, auch Kinder Einzug gehalten hatten in den soeben das wir bei der häufig auf die Themen Liebe und gegründeten ,Pfarrhaushalt‘ und somit in — wie Natur fokussierten Kanonbildung im Bereich der manche sagen — den ,Brutkasten‘ der Neueren Lyrik verdrängt haben: Um etwa 1700, je nach deutschen Literatur). Region aber auch noch viel später, war „vor allem Dass der Zeitraum der für die Untersuchung die Säuglings- und Kindersterblichkeit hoch. Fast relevanten Texte sich aus einem „um 1800“ zu die Hälfte aller Menschen starb schon vor dem beobachtenden „Wechsel von der stratifizierten zehnten Lebensjahr.“4 Dass solche Gegebenheiten zur emotional überformten Sozialbeziehung“ das Gefühlsleben von relativ breiten Leser(innen) (S. 16) ergebe, erscheint zwar im Ganzen plausibel, schichten auf der Suche nach Trost existentiell erklärt jedoch noch nicht das durchaus nicht nur geprägt haben, ist anzunehmen. vereinzelte Auftauchen von privater Klagelyrik In welch hohem Maße sie aber auch so manchen auch schon weit vor 1800. Man denke etwa an den der prinzipiell um die Regeln der Rhetorik, die ,prototypischen‘ Kindertotenklage-Zyklus Treny Anforderungen von Aptum und Decorum sowie (1580) des polnischen Humanisten Jan Kocha- um die Strategien gelungener Autorinszenierung nowski, aber z. B. auch an die ihrerzeit berühmten wissenden Dichter und ihr Schaffen geprägt ha­ Klagegedichte auf ihre verstorbenen Ehefrauen ben, führt dieser Band auf eindrückliche Art vor. (und z. T. auch Kinder) von deutschsprachigen Seltsamerweise aber wurden trotz des inhaltlichen Dichtern wie Canitz, Amthor, Besser, Zinzendorff Schwerpunkts der Fallstudien auf Klagen um und Haller um und kurz nach 1700.3 Aber wurde verstorbene eigene Kinder — außer einem Bei­ vielleicht erst ab 1800 in Form des Gedichtzyklus spiel von Inna Lisnianskaya (2003) und einigen getrauert? (Falls ja, warum?) Oder wurde erst dann Gedichtbänden in Nicolas DETERINGs und Jo-

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HANNES FRANZENs literatursoziologischem Beitrag 3 Vgl. etwa Hans-Henrik Krummacher: Lyra. Studien zu „Gedichte[n] auf gefallene Söhne im Ersten zur Theorie und Geschichte der Lyrik vom 16. bis Weltkrieg“, als „ [d] ie schmerzlichste intimste Ka­ zum 19. Jahrhundert, Berlin, New York 2013, bes. tastrophe, der Tod des eigenen Kindes, [...] zum S. 274—330. 4 Dietmar Till: Poetik der Trauer. Zwei Spielarten Alltag“ wurde (S. 277) — kaum Klagegedichte von des Epicediums um 1700. In: S. Plotke, A. Ziem Frauen behandelt. (Hrsg.): Sprache der Trauer. Verbalisierungen einer Emotion in historischer Perspektive, Heidelberg Anmerkungen 2014, S. 175—206, hier S. 175. 1 Peter Hühn: Facing Loss and Death. Narrative and Eventfulness in Lyric Poetry. Mit Beiträgen v. Britta Sonja Klimek Goerke, Heilna du Plooy und Stefan Schenk-Haupt, Universität Bern Berlin, New York 2016. Institut für Germanistik 2 Rüdiger Zymner: Lyrik. Umriss und Begriff, Pader­ CH—3000 Bern born 2009, S. 12.

U lrike Steierw ald Wie anfangen? Literarische Entwürfe des Beginnens (Lectiones Inaugurales, Bd. 13), Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2016, 89 S.

In dem pfiffigen „Kleinen Lexikon des wissen­ gen gilt es jeweils sowohl im sichernden Anschluss schaftlichen Kommunizierens“, das Claus Leg- an bereits Geschaffenes und Bekanntes als auch gewie und Elke Mühlleitner unter dem Titel Die in Neusetzungen, in inszenatorischen Aktionen akademische Hintertreppe 2007 veröffentlichten, (vgl. S. 12) zum Herausheben des Besonderen aus finden sich Einträge zu ,Vorlesung‘ und ,Vorsin- dem Bekannten. gen‘, nicht aber zur ,Antrittsvorlesung‘. So ist der Für die Publikation wurde die Textvorlage der Duncker & Humblot-Verlag zu loben, der seit Antrittsvorlesung zu einem Groß-Essay erweitert 2011 Beispielmaterial für einen solchen Artikel und damit einer derzeit zu wenig gepflegten (aber mit seiner ansprechend gestalteten Reihe hand­ öffentlichkeitswirksamen) literaturwissenschaft­ licher Broschüren zu „Lectiones Inaugurales“ in lichen Praxis gebührender Tribut gezollt. Ihren den Geistes- und Sozialwissenschaften (die Juris­ Gegenstandsbereich wählt Ulrike Steierwald ins­ prudenz eingeschlossen) vorlegt. besondere aus literarischen Erzähltexten — unter Zu den bislang wenigen literaturwissenschaft­ Einschluss eines Snoopy-Cartoons von Charles lichen Exempeln zählt die Antrittsvorlesung von M. Schulz (vgl. S. 21 f.). Sie setzt damit fort, was ULRIKE STEIERWALD, die 2012 als Professorin für von Norbert Miller als „Versuch zu einer Poetik Literaturwissenschaft (mit dem Schwerpunkt des Romans“ begonnen wurde — mit der von ihm Literatur- und Kulturgeschichte vom 18. bis zum herausgegebenen Essay-Sammlung zum Thema 21. Jahrhundert) an die Leuphana Lüneburg be­ Romananfänge (Berlin 1965).1 In sinnvoller (und rufen wurde. Sie hatte sich für die Veranstaltung beeindruckender) Weise bezieht Steierwald ihre am 25.4.2012 das zündende Thema Wie anfangen ? Erörterungen zu literarischen Strategien des Be­ gewählt, um zu ihrer akademischen Initiation an der ginnens in komparatistischer Hinsicht nicht nur Leuphana über Literarische Entwürfe des Beginnens auf die deutschsprachige Literatur. zu handeln — im Wissen darum, dass der Anspruch Ihre aufschlussreichen Verweise und kurzen auf originäre Autorschaft und Produktivität für Textanalysen zu Problemen der ,Anfangserzäh- die ,schöne Literatur wie für die Wissenschaft lung‘ und ihren unterschiedlichen Bearbeitungs­ gleichermaßen gilt (vgl. S. 7), wenn auch in unter­ formen gelten u. a. Laurence Sterne, Christoph schiedlicher Intensität des kreativen Potentials und Martin Wieland, Jean Paul (zum Leben Fibels, in unterschiedlichen Äußerungsformen. Anzufan­ S. 68—76), E.T. A. Hoffmann (zum Sandmann,

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S. 48-53), Rainer Maria Rilke, Hermann Hesse, tanzt, sonst sind wir verloren!“. Darauf bezogen Albert Camus, Hans Magnus Enzensberger, Botho führt Steierwalds Kommentar in ihrem Schlusssatz Strauß, Luis Borges, Italo Calvino, John Irving, für das literarische (und wohl auch wissenschaft­ Richard Ford und Martin Mosebach. Abgesehen liche) Schreiben aus: Wir wissen, „dass wir im Text von der prinzipiellen Fragestellung ,Wie kann be­ immer schon angefangen haben und dass es jenseits gonnen werden, um zugleich an Traditionen anzu­ dieser Faktizität des Lebens als Bewegung in den knüpfen und etwas Neues zu schaffen und welche Imaginationen des Beginnens nur die Verlorenheit kulturellen Traditionen werden dabei mobilisiert ? “, gibt“ (S. 86 f.). verzichtet Steierwald auf kulturwissenschaftliche Es bleibt somit dem Rezensenten überlassen, Erweiterungen, wie sie z. B. kennzeichnend waren zum Beschluss in die alltagspraktische Ausgangs­ für die Forschergruppe Anfänge (in) der Moderne, situation der Antrittsvorlesung zurückkehren und die an der Universität München von 2006 bis 2012 zu wünschen, dass Lehrende und Studierende an von der DFG gefördert wurde.2 der Leuphana ihre ,Academia“ als stetes, Leben in Auch für eine perspektivenreiche aktuelle Bewegung“ erfahren können. Praxis der Literaturwissenschaft verbleibt für die Erörterung von Verfahrensweisen zu Problemen Anmerkungen des kreativen Beginnens ein breites Spektrum, das von der zu bewältigenden Materialität des unbe­ 1 Vgl. korrespondierend dazu Markus Engelns u. a. schriebenen (weißen) Blattes über Rahmungen, (Hrsg.): Schlusspunkte. Poetiken des Endes, Würz­ Vorräume und Schwellen zum literarischen Text burg 2017. (vgl. S. 42-45) bis hin zu einer in unterschiedlichen 2 Vgl. dazu die im Förderungszeitraum erschienenen fünf Buchpublikationen im Verlag Wilhelm Fink. narrativen Konzepten zu variierenden „Rhetorik 3 Vgl. S. 20 : „Die Undenkbarkeit des Anfangens“ vor des Anfangens“ (S. 22) reicht und von Steierwald dem Hintergrund des immer schon Begonnenen erkundet wird. „wird zu einer der zentralen Figuren der Moderne“ im Im letzten Abschnitt des Essays begibt sich die „Begehren, diesen ersten Anfang selbst zu machen“. Autorin auf die (von ihr eingangs bereits angespro- chene)3 Meta-Ebene der aporetischen Aspekte für Jörg Schönert ,originäres Anfangen“. Wim Wenders produzierte Universität Hamburg 2011 eine postume Hommage für Pina Bausch Institut für Germanistik und ihr Wuppertaler Tanztheater (vgl. S. 12-14). Von-Melle-Park 6 Mit eindrucksvollen Bildern in der Ikonographie D-20146 Hamburg des Totentanzes erfüllte er Bauschs Aufruf „Tanzt,

Sarah S c h m id t (Hrsg.) Sprachen des Sammelns. Literatur als Medium und Reflexionsform des Sammelns, Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2016, 729 S.

Es gibt Forschungsthemen, deren Material und dem Thema hätte besser gerecht werden können; Fragestellungen schier unerschöpflich scheinen. beim Sammeln - das thematisiert die Heraus­ Paradigmatisches Beispiel dafür ist das Sammeln, geberin SARAH SCHMIDT- wird schließlich immer und so erstaunt es nicht, dass das Resultat der auch weggelassen. DFG-Netzwerkgruppe Sprache des Sammelns Aber der Sammelband zeichnet sich nicht (2010-2014) ein Buch von über 700 Seiten gewor­ nur durch seinen imposanten Umfang aus, son­ den ist. Dass einzelne Autor(inn)en aber mit bis dern zudem durch sein innovatives Konzept, zu sechs Texten im Band vertreten sind, ist doch Schriftsteller(inne)n und Künstler(inne)n eben­ außergewöhnlich und lässt die Frage aufkommen, falls eine Plattform zu geben und ihre Beiträge ob nicht vielleicht eine strengere Auswahl der Texte mit Essays zu versehen. So bildet das Buch selbst

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 606-670 Zeitschrift für Germanistik XXVII - 3/2017 669 eine Sammlung unterschiedlicher Textsorten, und werden sowohl historische wie systematische Ana­ der künstlerisch-wissenschaftliche Austausch der lysen subsumiert: So etwa Serien als Paradoxe von Tagungen wird dadurch festgehalten, wenn es Diskontinuitäten und Kontinuitäten (Blättler, etwa in Regina Hilbers Gedicht trouvaille heißt: S. 217), frühneuzeitliche Kartographie als Samm­ „in den raumgewinn schütten wir / kisten aus mit lung (MARION Picker), die „Miniaturenmanie“ schrott und plunder / während drum herum die (Susanne Scholz, S. 237) zum Ende des elisa- dörfer /ausrinnen und keiner fragt / wann kommst bethanischen 17. Jahrhunderts oder Sammlungen du wieder.“ (S. 182) Der Band zeigt auch zeitge­ als Sammelpunkte (Michael Niehaus). Einzelne nössische Kunst wie MARIA H anls Faltenröcke Fallstudien widmen sich Dingen bei Autoren wie (2013) und kombiniert sie mit einem Kurzessay Hawthorne (MONA KöRTE) oder Sammlungs­ (Sarah Schmidt). zerstörungen in Filmen (Ulrike Vedder). Damit Ausgehend von der breitgefassten These, werden auch die Medien des Sammelns reflek­ „dass literarische Praktiken und Thematisierun­ tiert — so im Beitrag zu „kultureller Hypermedia­ gen des Sammelns häufig einen implizit oder Anwendungen“ (S. 311) von Harald Kraemer. explizit geführten poetologischen Diskurs mit­ Im engeren literarischen Teil finden sich als führen, der Poesie und Literatur innerhalb der Konstanten im weiten Feld der Sammlungen Wissenstradition(en) verortet“ (SCHMIDT, S. 21), einzelne Autoren wie Stifter (Vedder, FlNKELDE) widmet sich der interdisziplinäre Sammelband W. G. Sebald (FlNKELDE), Kafka (KöRTE), Herta sprachlich geprägten Sammelformen in weitestem Müller (Schubert, Schmidt) als wiederkehrende Sinn. Sprache wird nämlich zugleich als Sammel­ Namen. Auf der Ebene der Theorie taucht Walter gegenstand wie auch als (Reflexions-) Medium von Benjamin in der Mehrheit der Texte auf, was Sammlungen verstanden. trotz dessen für die Untersuchungen einschlägi­ Zeitlich beginnen die Beiträge in der Frühen gen Werks eine gewisse Redundanz der Ansätze Neuzeit, der Fokus des Buches liegt aber im 19. aufscheinen lässt. und 20. Jahrhundert; es ist in vier jeweils mit einer Der dritte Teil ist den Taxonomien des Men­ Einleitung versehene Kapitel gegliedert und wird schen — Archive des Humanen gewidmet. Die Me­ eröffnet durch Die Beschreibbarkeit der Dinge und dien des Sammelns „haben für die Taxonomien die Dinglichkeit der Sprache. Darin werden — um des Humanen eine Schlüsselstellung inne“ (KÜS­ ein paar Gegensätze zu erwähnen — sowohl Dinge TER, Schäfer, Scholz, S. 316). Unter Bezug­ umkreist, ohne Definitionsversuche zu geben nahme auf Foucaults ,Begriffs‘ des Archivs (in Ar­ (Mona Körte, Sarah Schmidt, S. 31) als auch chäologie des Wissens) und auf seine Ausführungen Sammlungen (und ihr Verhältnis zu Dingen) unter zum Leben der infamen Menschen wird hier der Fo­ Berufung auf Kant zu definieren versucht (DoMI­ kus auf marginalisierte Existenzweisen gelegt. Die NIK FlNKELDE, S. 98). Während der eine Beitrag Beiträge zeigen, dass und wie im 19. Jahrhundert sich einem konkreten literarisierten Objekt widmet die Psychiatrie Aufschreibesysteme, z. B. Kraepe- (dem wandernden Taschentuch bei Herta Müller lins Zählkarten, einführt und mit ausführlicheren im Beitrag von KATJA SCHUBERT), verhandelt der Krankengeschichten versucht, eine ,Ordnung‘ her­ Aufsatz von ULRIKE VEDDER die „wechselseitigen zustellen (ARMIN Schäfer). Für einen ähnlichen Prozesse der geschlechtlichen Codierung, Signifi­ Zeitraum wird auch die Sammel- und Archivie­ kation und Narration [...] mithilfe der Kategorie rungstechnik im Medium Fotografie untersucht der gendered objects“ (S. 45); dazwischen sind (SUSANNE Scholz zum Britischen Empire und Buchstaben in ABC-Büchern Dinge und Zeichen Bärbel K üster zu Fotoalben der Kolonialzeit). von Sammlungen (Mona KöRTE). Physiognomie und Fotografie als Sammlung von Der zweite Teil des Buches stellt die Dynamik Gesichtern beschreibt SUSANNE KOMFORT-HEIN. und Ordnung der Sammlung. Strategie, Spiel und Der vierte und letzte Teil schließlich stellt die Verlust ins Zentrum. CHRISTINE BLÄTTLER und „ Unterseite“der Sammlung ins Zentrum und unter­ ULRIKE V edder wollen darin die Ebene der nimmt das Unterfangen, sich dem zu widmen, was Dinge verlassen, um zu den Beziehungen und ausgeschlossen wurde oder wird — wobei Reste Sammlungskontexten zu kommen, ohne die Pole wiederum zu Sammlungen werden können. Kunst Ordnung und Unordnung zu festigen. Darunter und Literatur würden eine „Nachlese“ (S. 504)

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 606—670 6 7 0 Besprechungen betreiben, schreiben KASPER und KOMFORT-HEIN. Art unwillkürliches Denkmal für diejenigen, die Um ein weiteres paradigmatisches Sammel- und namenlos bleiben“ (S. 576). Reste-Werk geht es in BARBARA NATALIE NaGELs Bevor das Sammel-Schwergewicht schließlich Aufsatz zu Jean Pauls Wutz, der mit Bezug auf das mit einem Beitrag JUDITH KASPERs zu Flauberts Aufheben von Dingen und Erzählen gewinnbrin­ Bouvard et Pécuchet abgeschlossen und beobachtet gend mit Tausendundeiner Nacht zusammengelesen wird, wie darin literarisches Schreiben auf Kopier­ wird. Nochmals ein ganz anderes Thema kommt akte zurückgeführt wird, sind noch drei Aufsätze bei PHILIP Ajouri zur Sprache, wenn im Zen­ der Gegenwartsliteratur gewidmet: GISELA ECKER trum steht, welche Texte wie für eine Edition von analysiert literarisierte Dinge, die nach dem Tod von Autoren und von Herausgeber(inne)n gesammelt Menschen übrigbleiben und deren „Materialität, werden, Ajouri zeigt dies anhand der Werke von die der Materialisierung durch den Tod entspringt“ Keller und Goethe. Einem einzelnen Blatt Pessoas (S. 592; etwa im Werk von Mayröcker, Honigmann sind die Ausführungen A lexandre M etraux’ oder Auster). SARAH SCHMIDT führt noch einmal gewidmet. Wie in anderen Beiträgen auch, wird zu Herta Müllers Werk, hier aber zu den Collagen hier das Augenmerk auf die Widerständigkeit eines und dem „Produzieren von Wortresten“ (S. 593) Objekts gelegt, bei Pessoa hält Metraux fest, „dass sowie zu den Collagenbestandteilen in Müllers sich der Inhalt der Aufzeichnungen hartnäckig Roman Atemschaukel. Nina JÜRGENS beschäftigt allen Deutungsgewohnheiten widersetzt“ (S. 529). sich mit zwei australischen Romanen von Murray Entsprechend zeichnet sich der Beitrag durch eine Bails und Alexis Wright im Spannungsfeld von Deutungsoffenheit aus, Metraux bezeichnet Pes- ,weißer‘ und indigener Literatur und in Bezug auf soas Deckelinnenseite als „Abfall. Oder sie ist ein den „ambivalenten Status“ (S. 625) von Treibgut, Schriftvorfall im Zustand beginnenden Einfalls“ das mithin ein Bild einer Nation ausmachen kann. (S. 537). Bevor das Buch ausgelesen weggelegt wird, Mit „berühmte[n] Lumpensammler [n] der Mo­ lohnt sich ein Blick auf HEIDEMARIE VON We­ derne“ (S. 545) beschäftigt sich BARBARA THUMs DELs abgebildete Ausschnitte aus „Library“. Vom Beitrag zu Resten. Neben Baudelaire, Dickens, Raa- Verschwinden der Bücher in einem Buch und vom be oder Kracauer steht (einmal mehr) Benjamin im Verbleib einiger Titel von 2014. Die Arbeit zeigt Vordergrund. Thums analysiert unterschiedliche Buchrücken, Schnittkanten und Notizzettel. Weil „Auffassungen von modernen Reinigungsprak­ Library auch den Umschlag des Sammelbandes tiken“ (S. 558) als Antwort auf Situationen des ziert, macht die Fotoarbeit das Werk optisch zum Umbruchs und schließt mit dem Hinweis, dass Sammelobjekt, zum Sammlungsmedium und die „aktuelle Exil- und Migrationsliteratur“ „die zum Sammlungsträger in einem. Der schwarze Gewaltförmigkeit jener auf Dauer gestellten Prak­ Buchrücken hingegen garantiert ein unauffälliges tiken der Reinigung und Ausschließung sowie ihre Einordnenlassen des Bandes in die Sammlung unterschiedlichen Ausgestaltungen immer wieder einer Bibliothek, mithin als Sprache des Sammelns. aufs Neue literarisch“ (S. 559) bezeugen. Einen Bezug zur heutigen Migration setzt auch GlANLUCA Martina Wernli Sollas in seinem — mit Benjamin gerahmten — Université de Neuchâtel Text, der auf das „Museo delle Migrazioni“ auf Institut de langue et littérature allemandes Lampedusa eingeht. In der „konsequenten Sub­ Espace Louis-Agassiz 1 traktion von Wissenselementen“ der angespülten CH—2000 Neuchâtel Artefakte sieht Solla „das einzig mögliche, eine

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„Ecce homo-Ulk“ aufgefunden

Ecce homo-Ulk ist der Titel des Erstlingswerkes Ecce homo-Ulk umfasst 32 Seiten und enthält von Emil Szittya (1886-1964). Szittya nahm mar­ sechs Prosastücke mit jeweiliger Widmung, dar­ kanten Anteil an der Literatur der Avantgarde, der unter eine an Else Lasker-Schüler. Der Titel führt Vagabondage und den Strömungen seiner Zeit und insofern in die Irre, als es kaum einen expliziten ist vor allem wegen seines Erinnerungsbuches Das Bezug zu Nietzsches Ecce Homo (erschienen 1908) Kuriositäten-Kabinett (1923) bekannt. Bislang galt gibt, auch von „Ulk“ kann nicht die Rede sein. Es Ecce homo-Ulk als verschollen. Das bisher einzige handelt sich also nicht um eine Nietzsche-Parodie, Zeugnis seiner Existenz stammt von Walter Ben­ sondern um ein zutiefst ernsthaftes Mixtum aus jamin, der das Buch in seiner Bibliothek in die Erzähl- und Reflexionsprosa bei assoziativer Mach­ Rubrik jener Bücher, die er nicht „missen“ wollte, art und manchmal explosiver Bildlichkeit - ein einreihte (vgl. GS IV, S. 615). Dank neuerlicher durchaus eigenwilliges Experiment aus dem Beginn Recherchen, u. a. im Zusammenhang mit der des expressionistischen Jahrzehnts. Szittya-Auswahlausgabe Herr Außerhalb illustriert Eine kommentierte Edition von Ecce homo-Ulk die Welt (Berlin: BasisDruck 2014), konnte nun werde ich in Zusammenarbeit mit Georg Wiesing­ ein Exemplar von dem Buchhändler und Anti­ Brandes im Frühjahr 2018 im JUNI-Magazin quar Georg Wiesing-Brandes (Hannover), der (Nr. 55-56) vorlegen. einen Teilnachlass von Emil Szittya verwaltet und dessen Autorenrechte vertritt, in Paris entdeckt Walter Fähnders werden.

Eingegangene Literatur

ÄJOURI, Philipp, Ursula KUNDERT, Carsten ROHDE Fachdidaktik, Waxmann Verlag, Münster 2017, (Hrsg.): Rahmungen. Präsentationsformen und 299 S. Kanoneffekte. Beiheft zur Zeitschrift für Deut­ BEDENIG, Katrin, Franz ZEDER (Hrsg.): Thomas sche Philologie, Erich Schmidt Verlag, Berlin Mann - Stefan Zweig. Briefwechsel, Dokumen­ 2017, 233 S. te und Schnittpunkte, Vittorio Klostermann ÄMäNN, Klaus, Wolfgang HäCKL (Hrsg.): Satire Verlag, Frankfurt a. M. 2016, 464 S. - Ironie - Parodie. Aspekte des Komischen in Behravesh, Monika: Migration und Erinnerung der deutschen Sprache und Literatur, innsbruck in der deutschsprachigen interkulturellen Li­ university press, Innsbruck 2016, 228 S. teratur, Aisthesis Verlag, Bielefeld 2017, 328 S. AüRNHAMMER, Achim, Thorsten FlTZON (Hrsg.): Berbig, Roland, Richard FäBER, H. Christof Lyrische Trauernarrative. Erzählte Verlusterfah­ MÜLLER-BUSCH (Hrsg.): Krankheit, Sterben rung in autofiktionalen Gedichtzyklen, Ergon und Tod im Leben und Schreiben europäischer Verlag, Würzburg 2016, 359 S. Schriftsteller, Bd. 1: Das 18. und 19. Jahrhun­ Bayrhüber, Horst, Ulf Abraham, Volker Fre- dert, Verlag Königshausen & Neumann, Würz­ DERKING, Werner JANK, Martin ROTHGANGEL, burg 2017, 294 S. Helmut Johannes VOLLMER: Auf dem Weg zu Berbig, Roland, Richard FäBER, H. Christof einer Allgemeinen Fachdidaktik: Allgemeine MÜLLER-BUSCH (Hrsg.): Krankheit, Sterben

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und Tod im Leben und Schreiben europäischer DlETERLE, Bernard, Manfred ENGEL (Hrsg.): Schriftsteller, Bd. 2: Das 20. und 21. Jahrhun­ Writing the Dream. Ecrire le Rêve, Verlag dert, Verlag Königshausen & Neumann, Würz­ Königshausen & Neumann, Würzburg 2017, burg 2017, 328 S. 358 S. Berg, Gunhild, Magdalena Gronau, Michael ElSENBERG, Peter: Deutsche Orthografie. Regel­ PlLZ (Hrsg.): Zwischen Literatur und Journalis­ werk und Kommentar, Verlag Walter de Gruy­ tik. Generische Formen in Periodika des 18. bis ter, Berlin, Boston 2017, 117 S. 21. Jahrhunderts, Universitätsverlag Winter, ESTELMANN, Frank, Bernd ZEGOWITZ (Hrsg.): Heidelberg 2016, 401 S. Literaturwissenschaften in Frankfurt am Main Bers, Anna, Peer Trilcke (Hrsg.): Phänomene des 1914—1945, Wallstein Verlag, Göttingen 2017, Performativen in der Lyrik. Systematische Ent­ 872 S. würfe und historische Fallbeispiele, Wallstein Ewen, Jens: Erzählter Pluralismus. Thomas Manns Verlag, Göttingen 2017, 288 S. Ironie als Sprache der Moderne, Vittorio Kloster­ Boden, Petra, Rüdiger ZlLL (Hrsg.): Poetik und mann Verlag, Frankfurt a. M. 2017, 291 S. Hermeneutik im Rückblick. Interviews mit Be­ EYBL, Franz M.: Häuser und Allianzen. Houses teiligten, Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2017, and Alliances. Maisons et alliances (Jahrbuch 619 S. der österreichischen Gesellschaft zur Erfor­ BolTE, Sebastian: Parallele Leben: Rolle, Raum schung des 18. Jahrhunderts 30 [2015]), Bo­ und Identität in frühen Balladen Christina Ros­ chum 2016, 338 S. settis und Agnes Miegels, Ergon Verlag, Würz­ FlSCHER, Joachim: Exzentrische Positionalität. burg 2017, 277 S. Studien zu Helmuth Plessner, Velbrück Wissen­ Braun, Michael, Susanna SCHMIDT (Hrsg.): Li­ schaft, Weilerswist 2016, 415 S. teraturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung. FLACHOWSKY, Sören, Rüdiger HACHTMANN, Flo­ Michael Kleeberg, St. Augustin, Berlin 2016, rian SCHMALTZ (Hrsg.): Ressourcenmobilisie­ 127 S. rung. Wissenschaftspolitik und Forschungspra­ BuCKENDAHL, Uwe: Franz Fühmann: Das Juden­ xis im NS-Herrschaftssystem, Wallstein Verlag, auto — ein Zensurfall im DDR-Literaturbetrieb. Göttingen 2017, 631 S. Eine historisch-kritische Erkundung mit einer FLACHS, Olha: Max Freiherr von Waldberg (1858— Synopse aller publizierten Textvarianten, Verlag 1938). Ein Beitrag zur Geschichte der Germa­ Peter Lang. Internationaler Verlag der Wissen­ nistik, Mattes Verlag, Heidelberg 2016, 417 S. schaften, Frankfurt a. M. 2017, 698 S. FREUDENBERG-FlNDEISEN, Renate (Hrsg.): Auf Caduff, Corina, Ulrike VEDDER (Hrsg.): Gegen­ dem Weg zu einer Textsortendidaktik. Linguis­ wart schreiben. Zur deutschsprachigen Literatur tische Analysen und text(sorten)didaktische 2000—2015, Wilhelm Fink Verlag, Paderborn Bausteine nicht nur für den fremdsprachlichen 2017, 264 S. Deutschunterricht, Georg Olms Verlag, Hildes­ CaSPERS, Britta, Dirk HaLLENBERGER, Werner heim u. a. 2016, 308 S. JUNG, Rolf PARR (Hrsg.): Theorien, Modelle FULDA, Daniel: „Die Geschichte trägt der Aufklä­ und Probleme regionaler Literaturgeschichts­ rung die Fackel vor“. Eine deutsch-französische schreibung, Klartext Verlag, Essen 2016, 174 S. Bild-Geschichte, mitteldeutscher Verlag, Halle Clar, Peter: „Ich bleibe aber weg.“ Dekonstruk- 2017, 213 S. tionen der AutorInnenfigur(en) bei Elfriede GEOPPER, Sibylle, Cécile MlLLOT (Hrsg.): Lyrik Jelinek, Aisthesis Verlag, Bielefeld 2017, 256 S. nach 1989. Gewendete Lyrik? Gespräche mit Deutsch als Fremdsprache. Zeitschrift zur Theorie deutschen Dichtern aus der DDR, Mitteldeut­ und Praxis des Faches Deutsch als Fremdspra­ scher Verlag, Halle (S.) 2016, 494 S. che 53 (2016), Heft 4, Erich Schmidt Verlag, GEULEN, Eva (Hrsg.): ,Complicirte mannigfache Berlin 2016, S. 193—256. Harmonie‘. Erinnerungen an Eberhard Läm­ Deutsch als Fremdsprache. Zeitschrift zur Theorie mert, Wallstein Verlag, Göttingen 2017, 53 S. und Praxis des Faches Deutsch als Fremdspra­ GöRBERT, Johannes, Mario KUMEKAWA, Thomas che 54 (2017), Heft 1, Erich Schmidt Verlag, SCHWARZ (Hrsg.): Pazifikismus. Poetiken des Berlin, 64 S. Stillen Ozeans. Rezeptionskulturen in Literatur

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und Mediengeschichte, Verlag Königshausen & jAHN, Bernhard, Alexander KOSENINA (Hrsg.): Neumann, Würzburg 2017, 567 S. Friedrich Ludwig Schröders Hamburgische GRÄTZ, Katharina, Sebastian KAUFMANN (Hrsg.): Dramaturgie (Publikationen zur Zeitschrift Nietzsche zwischen Philosophie und Literatur. für Germanistik, Bd. 31), Bern 2017, 240 S. Von der ,Fröhlichen Wissenschaft zu ,Also KAISER, Gerhard R. (Hrsg.): Deutsche Berichte sprach Zarathustra‘, Universitätsverlag Winter, aus Paris 1789—1933. Zeiterfahrung in der Heidelberg 2016, 442 S. Stadt der Städte, Wallstein Verlag, Göttingen GrODDECK, Wolfram, Barbara von REIBNITZ 2017, 631 S. (Hrsg.), im Auftrag der Stiftung für eine Kri­ KALKA, Joachim (Hrsg.): Friedhelm Kemp. Geselli­ tische Robert Walser-Ausgabe: Angela THUT, ge Einsamkeit. Ausgewählte Essays zur Literatur, Christian WALT, Wolfram GrODDECK (Hrsg.): Bd. 1: Von Poesie bewegt, Bd. 2: Vom Ver­ Robert Walser. Kritische Ausgabe sämtlicher gnügen des Übersetzens, m. e. Nachwort v. F. K., Drucke und Manuskripte (KWA), Abt. VI Wallstein Verlag, Göttingen 2017, 350, 515 S. Mikrogramme, KWA ABT. VI, Robert Walser. KLEIN, Andreas: Zwischen Grenzbegriff und Mikrogramme 1924/25, Verlag Stroemfeld, absoluter Metapher. Hans Blumenbergs Ab­ Frankfurt a. M., Verlag Schwabe, Basel 2016, solutismus der Wirklichkeit, Ergon Verlag, 405 S., 39 Faksimiles. Würzburg 2017, 211 S. GUTHKE, Karl S.: Goethes Reise nach Spanisch­ KLINGNER, Judith, Andreas KRASS (Hrsg.): Tiere: Amerika. Weltbewohnen in Weimar, Wallstein Begleiter des Menschen in der Literatur des Mit­ Verlag, Göttingen 2016, 80 S. telalters, Böhlau Verlag, Köln u. a. 2017, 320 S. HAHN, Daniela, Ansgar MOHNKERN, Rolf PARR KNIPP, Raphaela: Begehbare Literatur. Eine lite­ (Hrsg.): Kulturelle Anatomien: Gehen, Syn­ ratur- und kulturwissenschaftliche Studie zum chron Wissenschaftsverlag der Autoren, Hei­ Literaturtourismus, Universitätsverlag Winter, delberg 2017, 273 S. Heidelberg 2017, 282 S. HAISCHER, Peter-Henning, Charlotte KURBJUHN, KOLLE, Andreas: Instabile Weltverhältnisse. Augen­ Steffen MARTUS, Hans-Peter NOWITZKI (Hrsg.): blick und Ambivalenz der Zeitwahrnehmung Kupferstich und Letternkunst. Buchgestaltung bei Goethe, Wilhelm Fink Verlag, Paderborn im 18. Jahrhundert, Universitätsverlag Winter, 2016, 320 S. Heidelberg 2017, 680 S. KORTE, Barbara: Geheime Helden. Spione in der HELBIG, Holger, Bernd AuEROCHS, Katja LeUCH­ Populärkultur des 21. Jahrhunderts, Wallstein TENBERGER, Ulrich Fries (Hrsg.): Johnson Verlag, Göttingen 2017, 123 S. Jahrbuch 23 (2016), Wallstein Verlag, Göttin­ KRÜGER, Dieter: Hans Speidel und Ernst Jünger. gen 2016, 279 S. Freundschaft und Geschichtspolitik im Zeichen Heuer, Julia: Gegenwartsprosa im Literaturunter­ der Weltkriege, Ferdinand Schöningh Verlag, richt. Eine diskursanalytische Studie zur litera­ Paderborn 2016, 377 S. turdidaktischen Auswahlpraxis in den 1950er LEBER, Manfred, Sikander SlNGH (Hrsg.): Erkun­ und 1970er Jahren, Verlag Peter Lang. Inter­ dungen zwischen Krieg und frieden, unisaar, nationaler Verlag der Wissenschaften, Frank­ Universitätsverlag des Saarlandes, Saarbrücken furt a. M. u. a. 2015, 386 S. 2017, 278 S. HOLDENRIED, Michaela, Alexander HONOLD, Li, Wenchao (Hrsg.): Gottfried Wilhelm Leibniz— Stefan Hermes (Hrsg.): Reiseliteratur der Mo­ Kurfürstin Sophie von Hannover. Briefwechsel, derne und Postmoderne, Erich Schmidt Verlag, aus dem Französischen übers. v. Sabine Sell- Berlin 2017, 682 S. schopp, Wallstein Verlag, Göttingen 2017, 872 S. IMMER, Nikolas (Hrsg.): Charlotte von Schiller. LüTGEMEIER-Davin, Reinhold (Hrsg.): Kurt Hil­ „Meine Sehnsucht gab mir diese Sprache“. Brie­ ler und die Frauen. Beiträge einer Tagung in der fe und Literatur von Schillers Gattin, Weimarer Villa Ichon, von Bockel Verlag, Bremen 2016, Verlagsgesellschaft, Weimar 2016, 144 S. 148 S. Jäger, Lorenz: Walter Benjamin. Das Leben eines MARTIN, Katharina, Christian Sieg (Hrsg.): Zu­ Unvollendeten, Rowohlt Verlag, Berlin 2017, kunftsvisionen zwischen Apokalypse und Utopie, 397 S. Ergon Verlag, Würzburg 2016, 282 S.

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McGLOTHLIN, Erwin, Jennifer M. KAPCZYNSKI SCHMID, Lukas: Reinheit als Differenz. Identität (Hrsg.): Persistent legacy. The Holocaust and und Alterität in Max Frischs frühem Erzähl­ German Studies, Camden House, Rochester, werk, Chronos Verlag, Zürich 2016, 387 S. New York 2016, 319 S. SCHMIEDER, Falko, Daniel WEIDNER (Hrsg.): MENGER, Michaela: Der literarische Kampf um Ränder des Archivs. Kulturwissenschaftliche den Arbeiter. Populäre Schemata und politische Perspektiven auf das Entstehen und Vergehen Agitation im Roman der späten Weimarer von Archiven, Kadmos Verlag, Berlin 2016, Republik, Verlag Walter de Gruyter, Berlin, 240 S. Boston 2016, 517 S. SCHNEIDER, Thomas F.: Emil Ludwig (Non Fik­ MITTERER, Nicola, Hajnalka Nagy, Werner WlN- tion. Arsenal der anderen Gattungen 11 [2016], TERSTEINER (Hrsg.): Die Ansprüche der Lite­ H. 172), Wehrhahn Verlag, Hannover 2016, ratur als Herausforderung für den Literatur­ 231 S. unterricht. Theoretische Perspektiven der Lite­ SEELBACH, Sabine: Die Legende der heiligen Hed­ raturdidaktik, Verlag Peter Lang. Internationaler wig. In der Übersetzung des Kilian von Meini- Verlag der Wissenschaften, Frankfurt a. M. u. a. gen, AschendorffVerlag, Münster 2016, 277 S. 2016, 238 S. SlEBERT, Irmgard (Hrsg.): „Das Paradies fanden NöRTEMANN, Regina (Hrsg.), in Verb. m. Johanna wir . “. Streifzüge durch die Bücherwelten der EGGER: Heinrich Christian Boie, Luise Justine ULB Düsseldorf, Vittorio Klostermann Verlag, Mejer. Briefwechsel 1776-1786, Wallstein Ver­ Frankfurt a. M. 2017, 313 S. lag, Göttingen 2017, 4 Bde., 2644 S. SlNA, Kai: Thomas Mann und Susan Sontag, Wall­ PECK, Clemens, Norbert Christian WoLF (Hrsg.): stein Verlag, Göttingen 2017, 123 S. Poetologien des Posturalen. Autorschaftsinsze­ Sinn und Form 69 (2017), Heft 1, Aufbau Verlag, nierungen in der Literatur der Zwischenkriegs­ Berlin, 143 S. zeit, Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2017, Sinn und Form 69 (2017), Heft 2, Aufbau Verlag, 393 S. Berlin, S. 149-287. PETERSDORFF, Dirk von: In der Bar zum Kroko­ SONNTAG, Ingrid (Hrsg.): An den Grenzen des dil. Lieder und Songs als Gedichte, Wallstein Möglichen. Reclam 1945-1991, Ch. Links Verlag, Göttingen 2017, 113 S. Verlag, Berlin 2016, 544 S. PODSKALSKY, Vera: Jan Böhmermann und Die SPRANG, Wilhelm: Der Volksliedsammler Anton PARTEI. Neue Formen der Satire im 21. Jahr­ Wilhelm von Zuccalmaglio. Von Liedertexten hundert und die ethische (Un-)Begrenzheit, und ihren Melodien, Klartext Verlag, Essen Ergon Verlag, Würzburg 2017, 104 S. 2017, 532 S. POLASCHEGG, Andrea, Michael WEICHENHAHN Staatliche Kunsthalle Karlsruhe (Hrsg.): (Hrsg.): Berlin — Babylon. Eine deutsche Faszi­ Unter vier Augen. Sprachen des Porträts, Kerber nation. 1890—1930, Verlag Klaus Wagenbach, Verlag, Bielefeld 2013, 395 S. Berlin 2017, 272 S. STEIERWALD, Ulrike: Wie anfangen? Literarische POLITYCKI, Matthias: Reduktion & Tempo. Als Entwürfe des Beginnens, Verlag Duncker & Erzähler unterwegs im 21. Jahrhundert, Wall­ Humblot, Berlin 2016, 89 S. stein Verlag, Göttingen 2017, 48 S. Steinsiek, Annette, Ulrike TANZER (Hrsg.): Mit­ RIECKE, Jörg: Eine Geschichte der Germanistik teilungen aus dem Brenner-Archiv. Thema: Pla­ und der germanistischen Forschung in Heidel­ giat, innsbruck university press, Innsbruck 2016, berg, Universitätsverlag Winter, Heidelberg 240 S. 2016, 153 S. SuHRBIER, Hartmut: Illustriert und zensiert. 150 Jah­ RIEDEL, Christian: Peter Kurzecks Erzählkosmos. re John Brinckmans Kasper-Ohm un ick. Neue Idylle — Romantik — Blues, Aisthesis Verlag, Fakten und Befunde, BS-Verlag, Rostock 2017, Bielefeld 2017, 339 S. 87 S. RiTTLER, Jasmin: Das Briefwerk Uwe Johnsons, TäCKE, Alexandra: Schnitzlers „Fräulein Else“ und Verlag Peter Lang. Internationaler Verlag der die Nackte Wahrheit. Novelle, Verfilmungen Wissenschaften, Frankfurt a. M. u. a. 2016, und Bearbeitungen, Böhlau Verlag, Köln u. a. 272 S., XLVIII S., Anhang. 2017, 238 S.

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Thiers, Bettina: Experimentelle Poetik als En­ Weimarer Beiträge. Zeitschrift für Literaturwis­ gagement. Konkrete Poesie, visuelle Poesie, senschaft, Ästhetik und Kulturwissenschaft 62 Lautdichtung und experimentelles Hörspiel im (2016), Heft 4, Passagen Verlag, Berlin, S. 481— deutschsprachigen Raum von 1945 bis 1970, 640. Georg Olms Verlag, Hildesheim u. a. 2016, Weimarer Beiträge. Zeitschrift für Literaturwis­ 613 S. senschaft, Ästhetik und Kulturwissenschaft 63 UJMA, Christina: Stadt, Kultur, Revolution. Ita­ (2017), Heft 1, Passagen Verlag, Berlin, 160 S. lienansichten deutschsprachiger Schriftstelle­ WÜNSCHE, Marie-Luise: „Alles ist Phantasie“. rinnen des 19. Jahrhunderts, Aisthesis Verlag, Franz Kafkas kleine Nervenpoesien. Eine kul­ Bielefeld 2017, 248 S. turwissenschaftliche Lektüre, mykum Taschen­ Universitätspräsident (Hrsg.): In memoriam buch, Mykum Verlag 2016, 150 S. Prof. Dr. Barbara Sandig (1939—2013). Erin­ ZEIDLER, Sebastian: Form as Revolt. Carl Einstein nerungen und Würdigungen, unisaar. Univer­ and the Ground of Modern Art, signale, Cornell sitätsverlag des Saarlandes, Saarbrücken 2016, University Press, Ithaca, NY, 306 S. 133 S. Zeitschrift für deutsche Philologie (ZfdPh), Heft WALENSKI, Tanja (Hrsg.): Christa Wolf — Lew Ko- 4/2016 (Bd. 135), Erich Schmidt Verlag, Berlin, pelew. Sehnsucht nach Menschlichkeit, Steidl S. 481-639. Verlag, Göttingen 2017, 320 S. ZlLLHARDT, Gerd: Das vorreformatorische uni­ Wegmann, Thomas, Martina KlNG (Hrsg.): Fall- verselle Bildprogramm des Chorgestühls im geschichte(n) als narrative zwischen Literatur Ulmer Münster. Werkverträge Jörg Syrlins. Die und Wissen, innsbruck university press, Inns­ Druckschriften Heinrich Steinhöwels, Ulm 2017, bruck 2016, 323 S. 373 S.

© Peter Lang AG Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVII (2017), H. 3, S. 671-675 Heft 1/2018 bringt u. a. folgende Beiträge

Schwerpunkt: Erforschung von epischen Versdichtungen im langen 17. Jahrhundert (ca. 1570—1740)

D ir k W erle (Heidelberg) Erforschung von epischen Versdichtungen im langen 17. Jahrhundert (ca. 1570—1740). Vorwort

D ir k W erle (Heidelberg) Von hohem Wesen. Wahrheitsanspruch und Gattungspoetik des Versepos im 17. Jahrhundert

R obert C. S eid el (Frankfurt a. M.) Epische Habsburgerpanegyrik aus der Feder eines streitbaren Lutheraners. Nicodemus Frischlins „Panegyrici tres“ auf Maximilian II. und Rudolf II. (1577)

Sylvia B rockstieger (Heidelberg) Topographie der Tugend. Martin Opitz’ „Vielguet“ (1629)

K ath a rin a W orm s (Heidelberg) Rezeption von Texten des 17. Jahrhunderts im 18. Daniel Wilhelm Trillers editorische Aneignung der „Trostgedichte“ von Martin Opitz (1746)

U w e M a x im ilia n K o rn (Heidelberg) Ein „ächt Christliches Gedicht“? Zur Verfasserschaft der Johann Valentin Andreae zugeschriebenen „Christenburger Schlacht“ im Kontext der Gattungsdiskussion

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St e ffe n R ic h t e r (Braunschweig) Natur-Maschine-Mensch. Auf dem Weg zu einer Poetik für das Anthropozän

Konferenzberichte, Besprechungen und Informationen In der Reihe Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik sind bereits erschienen:

Band 1 Walter D elabar, H o r st D en k ler , E rh ard Sc h ü t z (Hrsg.): Banalität mit Stil. Zur Widersprüchlichkeit der Literaturproduktion im National­ sozialismus, Bern 1999, 289 S., ISBN 3-906762-18-1, br.

Band 2 A lexa n d er H o n o ld , K laus R. Scherpe (Hrsg.): Das Fremde. Reiseerfahrungen, Schreibformen und kulturelles Wissen, unter Mitarbeit von Stephan Besser, Markus Joch, Oliver Simons, Bern 1999, 341 S., zahlr. Abb., ISBN 3-906765-28-8, br., 2. überarb. Aufl. 2002.

Band 3 W ern er R ö ck e (Hrsg.): Thomas Mann. Doktor Faustus. 1947-1997, Bern 2001, 378 S., zahlr. Abb., ISBN 3-906766-29-2, br., 2. Aufl. 2004.

Band 4 K ai K auffm ann (Hrsg.): Dichterische Politik. Studien zu Rudolf Borchardt, Bern 2001, 214 S., ISBN 3-906768-85-6, br.

Band 5 E r n st O sterkam p (Hrsg.): Wechselwirkungen. Kunst und Wissenschaft in Berlin und Weimar im Zeichen Goethes, Bern 2002, 341 S., zahlr. Abb., ISBN 3-906770-13-3, br.

Band 6 E rh ard S c h ü t z , G reg o r Str eim (Hrsg.): Reflexe und Reflexionen von Modernisierung. 1933-1945, Bern 2002, 364 S., zahlr. Abb., ISBN 3-906770-14-1, br.

Band 7 Inge Steph a n , H a n s-G erd W in t e r (Hrsg.): „D ie Wunde Lenz“. J. M. R. Lenz. Leben, Werk und Rezeption, Bern 2003, 507 S., zahlr. Abb., ISBN 3-03910-050-5, br.

Band 8 C h ristin a L ec h t e r m a n n , C a r sten M orsch (Hrsg.): Kunst der Bewegung. Kinästhetische Wahrnehmung und Probehandeln in virtuellen Welten, Bern 2004, 364 S., zahlr. Abb., ISBN 3-03910-418-7, br.

Band 9 Institut für deutsche Literatur der Humboldt-Universität zu Berlin (Hrsg.): „lasst uns, da es uns vergönnt ist, vernünftig seyn! —“. Ludwig Tieck (1773-1853), Bern 2004, 407 S., 5 Abb, 1 Tab., 2 Notenbeispiele, ISBN 3-03910-419-5, br. Band 10 In ge Steph a n , Barbara Becker-C a n tarino (Hrsg.): „Von der Unzerstörbarkeit des Menschen“. Ingeborg Drewitz im literarischen und politischen Feld der 50er bis 80er Jahre, Bern 2004, 441 S., zahlr. Abb., ISBN 3-03910-429-2, br.

Band 11 Steffen M a r tu s, Stefan S c h er er , C laudia Sto c k in g er (Hrsg.): Lyrik im 19. Jahrhundert. Gattungspoetik als Reflexionsmedium der Kultur, Bern 2005, 486 S., ISBN 3-03910-608-2, br.

Band 12 T hom as W eg m a n n (Hrsg.): M A R K T. Literarisch, Bern 2005, 258 S., zahlr. Abb., ISBN 3-03910-693-7, br.

Band 13 Steffen M a r tu s, A n d rea Pola sch egg (Hrsg.): D as Buch der Bücher — gelesen. Lesarten der Bibel in den Wissenschaften und Künsten, Bern 2006, 488 S., zahlr. Abb., ISBN 3-03910-839-5, br.

Band 14 Inge Steph a n , H an s-G erd W in t e r (Hrsg.): Jakob Michael Reinhold Lenz. Zwischen Kunst und Wissenschaft, Bern 2006, 307 S., zahlr. Abb., ISBN 3-03910-885-9, br.

Band 15 M a n u el K oppen, E rh a rd S c h ü t z (Hrsg.): Kunst der Propaganda. Der Film im Dritten Reich, Bern 2007, 300 S., zahlr. Abb., ISBN 978-03911-179-4, br., 2. überarb. Aufl. 2008.

Band 16 J oachim R ic k e s, V o lker L a d e n t h in , M ich a el Baum (Hrsg.): 1955—2005: Emil Staiger und Die Kunst der Interpretation heute, Bern 2007, 288 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-03911-171-8, br.

Band 17 C a r sten W ü r m a n n , A n sgar Wa r n er (Hrsg.): Im Pausenraum des Dritten Reiches. Zur Populärkultur im nationalsozialistischen Deutsch­ land, Bern 2008, 273 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-03911-443-6, br.

Band 18 C h ristin a L e c h t er m a n n , H aiko Wan d h o ff (Hrsg.): unter Mitarbeit von Christof L. Diedrichs, Kathrin Kiesele, Carsten Morsch, Jörn Münkner, Julia Plappert, Moritz Wedell: Licht, Glanz, Blendung: Beiträge zu einer Kulturgeschichte des Scheinens, Bern 2007, 253 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-03911-309-5, br. Band 19 R alf K la usn itzer, C arlo s Spoerhase (Hrsg.): Kontroversen in der Literaturtheorie / Literaturtheorie in der Kontroverse, Bern 2007, 516 S., ISBN 978-3-03911-247-0, br.

Band 20 K atja G vozdeva, W ern er R ö ck e (Hrsg.): „risussacer—sacrum risibile“. Interaktionsfelder von Sakralität und Gelächter im kulturellen und historischen Wandel, Bern 2009, 339 S., ISBN 978-3-03911-520-4, br.

Band 21 M arina M ü n k le r (Hrsg.): Aspekte einer Sprache der Liebe. Formen des Dialogischen im Minnesang, Bern 2010, 342 S., ISBN 978-3-03911-783-3, br.

Band 22 M ark-G eorg D eh r m a n n , A lexa n d er N ebrig (Hrsg.): Poetaphilologus. Eine Schwellenfigur im 19. Jahrhundert, Bern 2010, 288 S., ISBN 978-3-0343-0009-4, br.

Band 23 Br ig itte Pe t e r s, E r h a rd S c h ü t z (Hrsg.): 200 Jahre Berliner Universität. 200 Jahre Berliner Germanistik. 1810—2010 (Teil III), Bern 2011, 388 S., zahlr. Abb. und Tab., ISBN 978-3-0343-0622-5, br.

Band 24 N o rd v erbu nd G erm a n istik (Hrsg.): Frühe Neuzeit — Späte Neuzeit. Phänomene der Wiederkehr in Literaturen und Künsten ab 1970, Bern 2011, 239 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-0343-0469-6, br.

Band 25 A lexa n d er N ebrig , C arlos Spoerhase (Hrsg.): Die Poesie der Zeichensetzung. Studien zur Stilistik der Interpunktion, Bern 2012, 455 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-0343-1000-0, br.

Band 26 Peter U we H o h en d a h l, E r h a rd S c h ü t z (Hrsg.): Perspektiven konservativen Denkens. Deutschland und die Vereinigten Staaten nach 1945, Bern 2012, 362 S., ISBN 978-3-0343-1139-7, br.

Band 27 E lisabeth Stro w ick, U lrike V ed d er (Hrsg.): Wirklichkeit und Wahrnehmung. Neue Perspektiven auf Theodor Storm, Bern 2013, 236 S., ISBN 978-3-0343-1404-6, br. Band 28 T anja van H o o r n , A lexa n d er K o šen ina (Hrsg.): Naturkunde im Wochentakt. Zeitschriftenwissen der Aufklärung, Bern 2014, 278 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-0343-1513-5 pb., eBook 978-3-0351-0753-1.

Band 29 H ans J ürgen S ch eu er, U lrike V ed d er (Hrsg.): Tier im Text. Exemplarität und Allegorizität literarischer Lebewesen, Bern 2015, 338 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-0343-1652-1 pb., ISBN 978-3-0351-0875-0 eBook.

Band 30 A n n ik a H ild ebra n d t, C h a r lo tte K u r b ju h n , Steffen M artus (Hrsg.): Topographien der Antike in der literarischen Aufklärung, Bern 2016, 373 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-0343-2116-7 pb., ISBN 978-3-0351-2731-2 eBook.

Band 31 B ern h a rd Ja h n , A lexa n d er K o šen ina (Hrsg.): Friedrich Ludwig Schröders Hamburgische Dramaturgie, Bern 2017, 240 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-0343-2759-6 pb., ISBN 978-3-0343-2933-0 eBook.