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Plenarprotokoll 12/68

Deutscher

Stenographischer Bericht

68. Sitzung

Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1991

Inhalt:

Zusatztagesordnungspunkt 13: des Rates über die Überwachung und Abgabe einer Erklärung der Bundesre- Kontrolle der Großkredite von Kreditin- gierung zu den Ergebnissen des Europäi- stituten (Drucksachen 12/849 Nr. 2.1, schen Rates in Maastricht 12/1809) 5833 C Dr. , Bundeskanzler 5797 B Nächste Sitzung 5833 D Ingrid Matthäus-Maier SPD 5803 B Berichtigung 5833 Stefan Schwarz CDU/CSU 5804 B Dr. FDP 5804 C Anlage 1 Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU 5806D Liste der entschuldigten Abgeordneten 5835* A Dr. Otto Graf Lambsdorff FDP 5810 D Dr. Hans Modrow PDS/Linke Liste 5813 A Anlage 2 Gerd Poppe Bündnis 90/GRÜNE 5815 B Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesord- Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 5817 B nungspunkt 12 und Zusatztagesordnungs- Dr. Norbert Wieczorek SPD 5819 D punkt 12 (Antrag betr. Sofortige Auflösung Hans-Dietrich Genscher, Bundesminister des „Koordinierungsausschusses Wehrmate- AA 5822 C rial fremder Staaten" des Bundesnachrich- tendienstes und der Bundeswehr und Antrag Heidemarie Wieczorek-Zeul SPD 5826 A betr. Parlamentarische Kontrolle der Auflö- Peter Kittelmann CDU/CSU 5827 B sung der NVA) Dr. CDU/CSU 5828 D Thomas Kossendey CDU/CSU 5836* A Wolfgang Clement, Minister des Landes SPD 5836* C Nordrhein-Westfalen 5830 C Jürgen Koppelin FDP 5837* C Dr. Cornelie von Teichman FDP 5832 B Dr. PDS/Linke Liste 5838* B Zusatztagesordnungspunkt 14: Willy Wimmer, Parl. Staatssekretär BMVg 5838* D Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu Anlage 3 der Unterrichtung durch die Bundesre- gierung: Vorschlag für eine Richtlinie Amtliche Mitteilungen 5839* D

Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 68. Sitzung. , Freitag, den 13. Dezember 1991 5797

68. Sitzung

Bonn, den 13. Dezember 1991

Beginn: 9.00 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Meine Damen und chen Interessen wahrt und zugleich die Gemeinschaft Herren, die Sitzung ist eröffnet. einen entscheidenden Schritt voranbringt. Ich wünsche uns einen guten Morgen. Meine Damen und Herren, dieses Ergebnis ist uns (Zurufe: Guten Morgen, Frau Präsidentin!) nicht in den Schoß gefallen. Wir haben ein Jahr inten- siver und schwieriger Verhandlungen hinter uns, in denen alle Seiten bewiesen haben, daß sie bereit sind, gemeinsam den Weg zu einem vereinten Europa zu Ich rufe den Zusatzpunkt 13 auf: gehen und dabei auch die notwendigen Kompromisse Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zu schließen. zu den Ergebnissen des Europäischen Rates in Ich nehme gerne die Gelegenheit wahr, all denen Maastricht zu danken, die in den letzten zwölf Monaten an die- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für sem Vertragswerk mit besonderem Engagement mit- die Aussprache im Anschluß an die Regierungserklä- gearbeitet haben. rung drei Stunden vorgesehen. — Dazu sehe und höre (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos- Abgeordneten der SPD) sen. Ich nenne aus dem Kreis der Bundesregierung ganz Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung besonders den Bundesaußenminister Hans-Dietrich hat der Herr Bundeskanzler. Genscher und den Finanzminister . (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Ich nenne ganz besonders — und das tue ich sehr Nacht vom 10. auf den 11. Dezember hat sich der gerne, weil ja über öffentliche Verwaltungen häufig Europäische Rat in Maast richt nach über 30stündigen mit einem beachtlichen Maß an Unkenntnis gespro- chen wird — die verantwortlichen die hier Beratungen auf den Vertrag über die Politische Beamten, weit über das Maß des Üblichen hinaus eine hervor- Union sowie über die Wirtschafts- und Währungs- ragende Arbeit geleistet haben. union geeinigt. Dieses Vertragswerk, das Anfang Fe- bruar 1992 unterzeichnet wird, bedeutet eine grund- (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der legende Weichenstellung für die Zukunft Europas: SPD) Erstens: Der Weg zur Europäischen Union ist un- Meine Damen und Herren, wir haben ein Gesamt- umkehrbar. Die Mitgliedstaaten der Europäischen ergebnis erreicht, das vielen innerhalb und außerhalb Gemeinschaft sind jetzt für die Zukunft in einer Weise Europas vor einem Jahr noch völlig unrealistisch, ja miteinander verbunden, die ein Ausbrechen oder ei- utopisch erschienen wäre. Heute kann man feststel- nen Rückfall in früheres nationalstaatliches Denken len, daß Maastricht in der historischen Perspektive mit all seinen schlimmen Konsequenzen unmöglich wohl das bedeutendste Gipfeltreffen der EG seit der macht. Unterzeichnung der Römischen Verträge war. Wir haben damit ein Kernziel deutscher Europa- Drittens: Daß es uns gelungen ist, der europäischen politik in die Tat umgesetzt. Maastricht ist der Beweis Einigung neuen Auftrieb zu geben, ist in besonderem dafür, daß das vereinte Deutschland seine Verantwor- Maße dem engen Schulterschluß mit Frankreich zu tung in und für Europa aktiv wahrnimmt und zu dem verdanken. Die deutsch-französische Partnerschaft steht, was wir immer gesagt haben, nämlich daß die und Freundschaft war, ist und bleibt entscheidend für deutsche Einheit und die europäische Einigung zwei Europa. Vor allem mit Frankreich sind wir uns in der Seiten ein und derselben Medaille sind. Vision eines Europa einig, das nicht nur wirtschaftlich, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sondern auch politisch zusammenwächst. Zweitens: Wir haben ein tragfähiges Ergebnis in Viertens: Die Europäische Gemeinschaft ist jetzt für beiden Konferenzen erreicht, das unsere wesentli- die schwierigen Herausforderungen der Zukunft bes- 5798 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1991

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl ser gerüstet. Der Durchbruch in Maastricht hat nicht Diese Auflagen und Vorgaben sind in dem Vertrag nur für das Zusammenwachsen der Gemeinschaft bzw. in den Protokollen zum Vertrag so eindeutig fest- große Bedeutung, sondern ist auch ein deutliches Si- geschrieben, wie wir es im Hinblick auf die Stabilität gnal an unsere europäischen Nachbarn, ja, an unsere der D-Mark bei uns selbst für erforderlich und not- Partner in der Welt. wendig halten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Als Beispiel nenne ich die unbedingte Haushalts- disziplin, d. h. die Unterbindung übermäßiger Haus- Mit dem Ergebnis von Maastricht ist der Weg zur haltsdefizite. Hierzu wird u. a. festgelegt, daß die jähr- Vollendung der Europäischen Wirtschafts- und Wäh- liche öffentliche Neuverschuldung nicht mehr als 3 % rungsunion klar vorgezeichnet und unwiderruflich des Bruttosozialprodukts betragen darf. festgelegt. Diese Irreversibilität ist in einer gesonder- ten Protokollerklärung von allen Mitgliedstaaten noch Auch im Blick auf die Erfahrungen in der Bundes- einmal ausdrücklich unterstrichen worden. republik Deutschland kann diese Festlegung als an- gemessen angesehen werden, denn im Gefolge der Gelungen, meine Damen und Herren, ist es vor al- außergewöhnlichen Belastungen der Wiedervereini- lem, den Vorrang der Geldwertstabilität so eindeutig gung müssen auch wir uns anstrengen, meine Damen festzuschreiben, daß dies — das sage ich auch im Hin- und Herren, um diese Voraussetzung zu erfüllen. blick auf die öffentliche Diskussion in unserem Land — den Vergleich mit dem deutschen Bundesbankge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie setz nicht zu scheuen braucht. bei Abgeordneten der SPD — Zuruf von der SPD: Wohl wahr!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) — Ich habe bei diesem Satz auf Ihre Zustimmung Mehr noch: Wichtige Einzelheiten sind in diesem Ver- gehofft; ich habe sie auch erhalten. trag klarer und eindeutiger geregelt, als es im Bundes- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und bankgesetz der Fall ist. der FDP — Zuruf von der SPD: Wir haben Sie Wir konnten also diesem Vertrag zustimmen, weil nicht enttäuscht!) er in vollem Umfang den deutschen Erfahrungen ent- —Auf diesem Gebiet enttäuschen Sie mich nie, liebe spricht, die wir mit der D-Mark und der Gewährlei- Kolleginnen und Kollegen. stung ihrer Stabilität in den letzten 40 Jahren gemacht haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Manche von denen, die in diesem Zusammenhang Hinzu kommt — das ist ein bisher einmaliger Vor- öffentlich polemisieren, müssen sich fragen lassen, gang — , daß sich souveräne Staaten im Rahmen inter- wem eine solche Kampagne nützt. nationaler Verträge zu einer dauerhaften Begrenzung ihrer öffentlichen Verschuldung verpflichten und dar- (Zuruf von der CDU/CSU: Der Auflage!) über hinaus bereit sind, bei Verletzung der Haushalts- Denn heute können wir festhalten: Der nach langen disziplin abgestufte Sanktionen zu akzeptieren. Da- und intensiven Verhandlungen vereinbarte Vertrag mit sind völkerrechtlich bindende Regelungen verein- über die Wirtschafts- und Währungsunion trägt den bart, mit denen verhindert werden kann, daß die auf deutschen Forderungen in allen entscheidenden Preisstabilität ausgerichtete Geldpolitik durch eine Punkten Rechnung. falsche nationale Haushaltspolitik unterlaufen wer- den kann. Unsere bewährte Stabilitätspolitik ist zum Leitmotiv Was den Fahrplan zur Wirtschafts- und Währungs- für die zukünftige europäische Währungsordnung ge- union betrifft, so besteht Einvernehmen darüber, daß worden. Zu diesem Erfolg — auch das will ich hier die sogenannte zweite Stufe, d. h. der Vorbereitungs- dankbar erwähnen — hat die enge und vertrauens- abschnitt zur Vollendung der Wirtschafts- und Wäh- volle Zusammenarbeit mit der Deutschen Bundes- rungsunion, am 1. Januar 1994 beginnt. bank in diesen Verhandlungen entscheidend beige- tragen. Ziel dieser sogenannten zweiten Stufe ist zum ei- nen, daß sich möglichst viele Mitgliedstaaten durch (Beifall bei der CDU/CSU und der FPD sowie wirtschafts- und finanzpolitische Anstrengungen für bei Abgeordneten der SPD) die Endstufe der Währungsunion qualifizieren, und Als zentrale Vorbedingung für die Verwirklichung zum anderen, daß die notwendigen Vorbereitungsar- der Wirtschafts- und Währungsunion verlangt der beiten für die Errichtung der Europäischen Zentral- Vertrag die nachprüfbare wirtschaftliche Konvergenz bank geleistet werden. der Mitgliedstaaten. Besonders wichtig war für uns, für Deutschland, daß Anders ausgedrückt: Die wirtschaftlichen Daten der in dieser zweiten Stufe keine geldpolitische Grauzone Kandidaten für die Währungsunion müssen ganz be- entsteht. Dies bedeutet: Die geldpolitische Souverä- stimmten Qualitätsanforderungen genügen, bevor nität bleibt in vollem Umfang und ausschließlich bei eine Teilnahme an der Währungsunion möglich ist. der Deutschen Bundesbank. Diese Kriterien für die Qualifikation zur Wäh- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) rungsunion lauten: strikte Preisstabilität, unbedingte Der Übergang zur dritten Stufe und damit die Voll- Haushaltsdisziplin, Konvergenz der langfristigen endung der Wirtschafts- und Währungsunion erfolgt Zinssätze, stabile Position im Europäischen Wäh- nach Maßgabe der Konvergenzkriterien. Bis späte- rungssystem in den letzten zwei Jahren vor Eintritt in stens Ende 1996 entscheiden die Staats- und Regie- die Währungsunion. rungschefs, ob eine Mehrheit der Mitgliedstaaten die Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1991 5799

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl notwendigen Voraussetzungen erfüllt, was dann auch entscheiden also mit darüber, ob Wachstum und Be- die Festlegung eines entsprechenden Termins ermög- schäftigung in der Zukunft bei uns gesichert werden licht. Gelingt dieser erste Anlauf noch nicht, beginnt können. Der Export von Geldwertstabilität nach Eu- die Endstufe in jedem Falle am 1. Januar 1999. Eine ropa ist ein entscheidender Schritt, um auch bei uns Mindestzahl von Teilnehmerländern ist dann nicht Arbeit und Beschäftigung auf Dauer zu sichern sowie mehr notwendig. Einkommen und soziale Sicherheit auf lange Sicht zu Meine Damen und Herren, entscheidender Maß- stärken. Der Weg zur europäischen Stabilitätsgemein- stab in diesem Verfahren ist und bleibt, daß die ge- schaft ist damit ein entscheidender Eckstein für die nannten qualitativen Vorbedingungen für die Wäh- Europäische Union. rungsunion von allen Teilnehmern voll gewährleistet (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie sein müssen. bei Abgeordneten der SPD) Für die künftige Europäische Zentralbank haben Auch mit dem Vertragsteil über die Politische wir nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank ein Union wird in klarer Weise der Weg zur Vollendung Statut verabschiedet, das sie auf den Vorrang der der Europäischen Union vorgezeichnet und unum- Preisstabilität verpflichtet und zugleich ihre volle Un- kehrbar gemacht. abhängigkeit sichert. Ich hätte mir gewünscht, daß wir noch deutlichere Mitgliedstaaten der Gemeinschaft, die noch nicht an der dritten Stufe teilnehmen können, haben selbst- Fortschritte erreicht und noch mehr Bereiche schon zum jetzigen Zeitpunkt in Gemeinschaftskompetenz verständlich keinen Einfluß auf die geldpolitischen überführt hätten. Wir hatten jedoch eine Güterabwä- Entscheidungen der Europäischen Zentralbank. gung zu treffen. Es war notwendig und entsprach un- Wichtig ist ferner, daß die in anderen europäischen serer Überzeugung, in Maastricht zum Ziel zu kom- Ländern zum großen Teil noch von der Regierung men. Dies erforderte Kompromisse von allen Seiten. abhängigen Zentralbanken — und ich möchte Sie darauf hinweisen, was dies bedeutet — spätestens mit Wenn man den Teil zur Politischen Union kritisch der Errichtung der Europäischen Zentralbank unab- betrachtet, so ist der Wunsch, noch mehr zu erreichen, hängig werden. Das ist ein gewaltiger Einschnitt in verständlich. Er wird auch von mir geteilt. Ich möchte nationales Denken und Handeln in einer großen Zahl aber all denen, die sich kritisch äußern, für einen europäischer Länder. Augenblick zu bedenken geben, wie sich auf Grund der Beschlüsse von Maastricht Europa in diesem Jahr- Der Sitz der Europäischen Zentralbank konnte in zehnt entwickeln wird. Wir werden auf alle Fälle ent- Maastricht noch nicht festgelegt werden, da diese weder 1997 oder 1999 die Währungsunion erreichen. Frage von anderen Mitgliedstaaten mit der nach dem Wir werden in einem Jahr den großen europäischen Sitz anderer EG-Organe und EG-Institutionen ver- Markt vollendet haben, einen Markt für rund 380 Mil- knüpft wird. lionen Menschen. Es wird ein Raum ohne Binnen- Sie alle kennen die Diskussion um den Sitz des grenzen für Menschen und Waren sein. Europäischen Parlaments und anderer Institutionen. Wenn man diese säkulare Veränderung unseres Ich bin jedoch sicher, daß der jetzt verabschiedete Kontinents bedenkt, dann weiß man, daß durch die Zeitplan den notwendigen Druck ausüben wird, um Tatsachen hier Entwicklungen geschaffen werden, auch in den anderen Fragen der Sitzentscheidungen die, obwohl manche das heute noch nicht glauben, — bis hin zur Frage des endgültigen Sitzes des Euro- irreversibel sind. päischen Parlaments, die eine Schlüsselfrage dar- stellt — voranzukommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich habe unmißverständlich unseren Anspruch auf Vieles von dem, was in Amtsstuben in ganz Europa den Sitz der Europäischen Zentralbank deutlich ge- — ich schließe dabei Deutschland nicht aus — heute macht und will das hier von dieser Stelle noch einmal noch gedacht wird — ich denke an die Widerstände ausdrücklich betonen. und Überlegungen, daß etwas, was noch nie dagewe- (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der sen war, deswegen auch nicht kommen könne —, SPD) wird durch die Entwicklung hinweggefegt werden. Es ist ein dynamischer Prozeß eingeleitet worden, den Meine Damen und Herren, insgesamt werden mit wir in dieser Form in der modernen Geschichte noch dem Vertrag über die Wirtschafts- und Währungs- nie hatten. union zentrale Grundbedingungen, die seit über vier- zig Jahren bei uns in Deutschland für ein hohes Maß Wir Deutschen konnten im 19. Jahrhundert Erfah- an Geldwertstabilität und wirtschaftlichem Erfolg ge- rungen damit sammeln. Ich will in diesem Zusammen- sorgt haben, auf die Europäische Gemeinschaft über- hang Friedrich List erwähnen. Er hatte im vergange- tragen. nen Jahrhundert eine Vision von dem, was der Weg- fall von Grenzkontrollen und Zöllen für die politische Dies kann in seiner Bedeutung für unser Land, für Einigung Deutschlands bedeuten würde. Deutschland, nicht überschätzt werden; denn wir le- ben mehr als alle anderen in der Gemeinschaft vom Wir haben in Maastricht auf einer Reihe von Feldern Handel mit unseren Partnern. Jede dritte Mark wird Neuland betreten. Ich nenne hier die Innen- und Ju- gegenwärtig im Export erwirtschaftet, und 60 % da- stizpolitik. Andere Bereiche — wie die Außen- und von gehen in unsere europäischen Nachbarländer. Sicherheitspolitik — müssen in den kommenden Jah- Stabile Verhältnisse in den anderen europäischen ren erst Schritt für Schritt in die Tat umgesetzt wer- Ländern, d. h. stabiles Geld und solide Staatsfinanzen, den. 5800 Deutscher Bundestag — 12. 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Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl Für mich ist klar, daß die Politische Union in allen Wir haben uns ferner auf einen Regionalausschuß Bereichen rasch an Substanz gewinnen wird und daß mit beratender Funktion verständigt und damit auch in einigen Jahren viel mehr als heute im Gemein- unseren Bundesländern eine direkte Beteiligung an schaftsrahmen stehen wird. Nicht nur die im Vertrag der Willensbildung der Gemeinschaft eröffnet. enthaltenen klaren zeitlichen Vorgaben und Überprü- fungsklauseln, sondern vor allem der dynamische Pro- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie zeß der politischen Einigung Europas wird den Druck bei Abgeordneten der SPD) verstärken und das Ganze in die richtige Richtung Auch das ist für eine Reihe der Partnerländer wirklich voranbringen. völliges Neuland, und ich bin ganz sicher, daß sich aus Ich wiederhole: Dieses Europa wird 1997 bzw. 1999 dieser Institution sehr viel Positives für die Zukunft eine gemeinsame Währung haben. Man muß sich entwickeln kann. Gerade wir Deutschen können überlegen, was das heißt: eine gemeinsame Währung hierzu einen wichtigen Beitrag leisten. von Kopenhagen bis Madrid, von Den Haag bis Die Bundesregierung hat wesentliche Ziele der Rom. Bundesländer in diesem Vertragswerk durchsetzen Meine Damen und Herren, im Bereich der Innen- können. Ich muß auch hier betonen, was ich in ande- und Justizpolitik haben wir als ersten Schritt eine we- rem Zusammenhang eben sagte: Ich hätte vor einem sentliche Vertiefung der bisher rein zwischenstaatli- Jahr nicht geglaubt, daß dies so möglich sein würde. chen Zusammenarbeit vereinbart. Ich habe diesem Ein so engagierter Europäer wie Jacques Delors, der Ergebnis in der Erwartung zugestimmt, daß wir nur so Präsident der EG-Kommission, der dem deutschen Fö- rasch zu praktischen Fortschritten kommen können. deralismus nicht nur viel Sympathie entgegenbringt, Entscheidend war dabei, daß wir hierbei Zeitvorga- sondern der uns in diesen Tagen auch wirklich beson- ben und eine Bestimmung durchgesetzt haben, die ders geholfen hat, hatte noch im Februar 1991 in Mün- die Möglichkeit eröffnet, diese Politiken zu verge- chen einen Regionalausschuß zwar als wünschens- meinschaften. wert, aber als im Rahmen der Regierungskonferenz mit Sicherheit nicht erreichbar bezeichnet. Dieser Weg erlaubt uns — das ist für uns in Deutsch- land wichtig — , insbesondere in der Asylpolitik, aber Ich will mich auch bei den Bundesländern für die auch in der Zuwanderungspolitik auf der Grundlage enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit bedan- des von den Innenministern verabschiedeten Arbeits- ken. Daß die Meßlatte dabei oft besonders hoch gelegt programms umgehend konkrete Schritte einzuleiten wurde, gehört zur Politik in einem föderalen Staat. und dann vor Ende 1994 zur Prüfung der vollen Har- Aber ich denke, wir können mit dem gemeinsam Er- monisierung zu kommen. reichten zufrieden sein. Wir wollen vor allem auch bei der praktischen Ausgestaltung möglichst eng zusam- Wir haben uns darauf geeinigt, bis Ende 1993 eine menarbeiten. Die Bundesregierung hat den festen po- europäische Polizeistelle — Europol — für den Kampf litischen Willen, im Rahmen des Ratifikationsverfah- gegen den internationalen Drogenhandel und das or- rens zu einer vernünftigen und angemessenen Fort- ganisierte Verbrechen zu schaffen. schreibung der Beteiligung der Bundesländer in Fra- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie gen der Europäischen Gemeinschaft beizutragen. bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, den Weg zu den Be- Meine Damen und Herren, auch in diesem Fall ist mir schlüssen zur Außen - und Sicherheitspolitik haben klar, daß dies natürlich nur ein erster Schritt ist. Aber — das ist allgemein anerkannt — maßgeblich die In- wer weiß, welche Schwierigkeiten schon dieser erste itiativen von Präsident Mitterrand und mir vom 6. De- Schritt bedeutet hat, was für einen Prozeß des Umden- zember 1990 und vom 14. Oktober 1991 eröffnet. Wir kens, übrigens auch im föderalen Gemeinwesen haben uns auf die Herausbildung einer eigenständi- Deutschland, er bedeutet, der hat eine Vorstellung gen europäischen Sicherheits - und Verteidigungs- davon, daß hier Entscheidendes getan wurde. identität verpflichtet. Wir bauen die Westeuropäische Union als integralen Bestandteil der Europäischen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Union aus und stärken damit zugleich ihre Rolle als Für uns war es besonders wichtig, ein klar formu- Brücke zwischen der Atlantischen Allianz und der liertes und gerichtsfestes Subsidiaritätsprinzip durch- Europäischen Union. In die Schlußakte des Vertrages zusetzen, und zwar in dem Sinne, daß nur solche Fra- wird eine Erklärung der neun WEU-Staaten aufge- gen in Brüssel, d. h. in der Gemeinschaft, behandelt nommen, die die Vorschläge zur Weiterentwicklung werden, die von den Mitgliedstaaten nicht ausrei- der WEU auf der Grundlage der deutsch-französi- chend geregelt werden können und daher wegen ih- schen Initiative in allen wesentlichen Teilen über- res Umfangs oder ihrer Wirkung besser auf Gemein- nimmt. schaftsebene geregelt werden. Mit der Verankerung Ein politisches Kernstück ist die vorgesehene en- des Subsidiaritätsprinzips im Vertrag stellen wir si- gere Abstimmung der WEU-Staaten innerhalb der Al- cher, daß sich die Gemeinschaft auf ein föderal auf- lianz. Dies wird dazu führen, daß Europa auch in der gebautes Europa hin entwickelt, auch wenn dieser Allianz sichtbarer als bisher mit einer Stimme Begriff im Vertrag nur umschrieben wird. Sie kennen spricht. dieses Problem: Unsere britischen Partner und Freunde verstehen unter Föderalismus genau das Ge- Im übrigen werden wir allen Mitgliedstaaten der genteil dessen, was die übrigen darunter verstehen; EG den Beitritt zur WEU eröffnen. Das ist die Logik deshalb mußte dieser Kompromiß geschlossen wer- unseres Ansatzes. Für die europäischen NATO-Part- den. ner, die nicht der EG angehören, werden wir ebenfalls Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1991 5801

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl bis Ende nächsten Jahres einen besonderen Status man sich dieses Verfahren einmal genau anschaut, schaffen. wird deutlich, daß dieses neue Recht für das Parla- Beides — der neue Vertragsartikel über die ge- ment mehr als ein bloßes Veto-Recht ist. meinsame Außen- und Sicherheitspolitik sowie die Von ganz besonderem Interesse war für uns die WEU-Erklärungen — geben der Politischen Union Frage der Zahl der deuschen Mandate im Europäi- eine neue, in die Zukunft weisende Dimension. Jetzt schen Parlament. Sie wissen, daß sich das Europäi- wird es entscheidend darauf ankommen, die in der sche Parlament vor einigen Wochen in einer Ent- Erklärung der WEU-Staaten enthaltenen Maßnahmen schließung unser Anliegen zu eigen gemacht hat, im zum Ausbau der WEU und ihres Verhältnisses zur Zusammenhang mit der deutschen Einheit die Zahl Europäischen Union und zur Allianz schrittweise in der Mandate um 18 zu erhöhen. Ich will auch hier die Tat umzusetzen. Hier stehen wir als derzeitige gerne die Gelegenheit noch einmal wahrnehmen, al- WEU-Präsidentschaft in einer besonderen Verantwor- len Kollegen aus Deutschland aus allen Fraktionen, tung. Wir werden von unseren europäischen Partnern die bei diesem Beschluß besonders hilfreich waren, zu daran gemessen werden, wie wir gerade diesen An- danken. satz mit Leben erfüllen. Die Berechtigung dieses deutschen Wunsches, der Auch in der Außenpolitik haben wir eine neue Qua- vom Europäischen Parlament bestätigt wurde, wurde lität erreicht. Mit dem Einstieg in Mehrheitsentschei- auch in Maastricht von niemandem bestritten. Aber, dungen und den neuen Strukturelementen, insbeson- meine Damen und Herren, im Verlauf dieser Debatte dere den gemeinsamen Aktionen, gehen wir einen ist natürlich von einer ganzen Reihe unserer Partner wesentlichen Schritt über die bisherige Europäische deutlich gemacht worden, daß es aus den Gründerjah- Politische Zusammenarbeit hinaus. Wir können damit ren der Gemeinschaft, den 50er Jahren, klare Abspra- schrittweise eine gemeinsame Außenpolitik entwik- chen gibt, wonach die Gewichtung der großen Mit- keln, die diesen Namen auch verdient. gliedstaaten in den Institutionen — das gilt auch für Auch hier will ich hinzufügen: Wir waren bereit, das Europäische Parlament — in etwa gleich groß sein müßte. noch weiter zu gehen. Dies war in der gegenwärtigen Situation noch nicht möglich. Aber die Entwicklung Ich kann nur sagen: Dies ist die Absprache von geht eindeutig in die von uns im Hohen Haus, wie ich damals. Ich stehe hier in der Kontinuität aller Bundes- glaube, gemeinsam gewünschte Richtung. regierungen. Es ist ganz eindeutig: Es ist nicht nur ein Land, wie gelegentlich kolportiert wurde, das diese Die Stärkung der Rechte des Europäischen Parla- ments war immer ein gemeinsames Anliegen des Position einnimmt. Wir haben ungeachtet dieser Lage Deutschen Bundestages und der Bundesregierung. auf unserem Wunsch nach Erhöhung bestanden und Wir haben dabei Fortschritte erreicht, aber nicht alles, das auch entsprechend zu Protokoll gegeben. was wir wollten. Denn die Widerstände gegen die (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Das Ausweitung der Rechte des Europäischen Parlaments heißt, die 18 Abgeordneten sind weg!) sind unverändert beträchtlich. Man muß hier ehrlich bekennen: Es sind eben nicht nur die Regierungen, — Sie sind natürlich nicht weg. Davon kann doch gar sondern in einem beachtlichen Maße auch die jewei- keine Rede sein. ligen nationalen Parlamente, die zumindest im Au- (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Sicher!) genblick, nicht bereit sind, weitere Schritte zuzulas- sen. Da wir hier in Deutschland aber gemeinsam eine — Nein, sie sind nicht weg. Das wird auch nicht an- Meinung vertreten, hoffe ich, daß wir im Rahmen der ders, wenn Sie es hier erklären. Vielleicht hören Sie Gespräche zwischen den nationalen Parlamenten aber erst einmal die Passage meiner Rede an, Dann vielleicht einen stärkeren und auch pädagogischen können wir darüber reden. Beitrag leisten können. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Im Zusammenhang damit ist eine andere Frage dis- Die Bürger Europas werden jedenfalls bei der näch- kutiert worden, nämlich wie sich die Zahl der Parla- sten Wahl im Juni 1994 ein Parlament wählen, das mentssitze im Europäischen Parlament auf Grund weiterer Beitritte zur EG weitaus mehr Entscheidungs - und Kontrollrechte ha- entwickeln wird. Das ist eine ben wird als bisher. Ich nenne als Beispiele: Das Euro- absolut berechtigte Frage. Das ist übrigens eine päische Parlament wird künftig die neue Kommission Frage, die auch in nationalen Parlamenten im Blick bestätigen. Die Wahlperioden von Parlament und auf die Zahl der Parlamentssitze dort gelegentlich ge- Kommission werden angeglichen; das ist keineswegs stellt wird. nur eine technische Frage, sondern eine Frage von (Heiterkeit — Heidemarie Wieczorek-Zeul großer politischer Bedeutung. Das Parlament wird [SPD]: Das heißt, daß die 18 weg sind!) über ein Untersuchungsrecht und über ein Petitions- recht verfügen. Damit werden die Kontrollrechte auch —Jetzt hören Sie doch erst einmal zu, gnädige Frau! gegenüber der Kommission wirksamer wahrgenom- Es hat doch keinen Sinn, daß Sie erst sprechen und men werden können als bisher. Schließlich haben wir dann anhören, was ich zu sagen habe. den Einstieg in eine echte Miteinscheidung des Parla- (Beifall bei der CDU/CSU) ments im Rahmen der gemeinschaftlichen Gesetzge- bung, und zwar für wichtige Bereiche wie den Bin- Sie müssen doch aus Ihrer früheren Tätigkeit wissen, nenmarkt, den Verbraucherschutz, die Umwelt und daß da ein Problem besteht. Es geht um die Hand- die Transeuropäischen Netze, durchgesetzt. Wenn lungsfähigkeit des Europäischen Parlaments. 5802 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1991

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl Tatsache ist: Wenn man die bisherige Praxis fort- Meine Damen und Herren, ein ganz entscheidendes schreibt, dann würde sich die Zahl der Mitglieder des Thema unserer Beratungen in Maastricht war die So- Europäischen Parlaments inklusive der 18 durch die zialpolitik. Es war im Vorfeld dieser Tagung bereits Beitritte bald auf über 700 Mitglieder erhöhen. klar, daß es wenig Chancen zu einer Einigung mit Großbritannien in dieser Frage gab. Im Rahmen dieser Diskussion in Maast richt ist auch die Frage an mich und andere, die für die Verstärkung Wir haben dann nach einer langwierigen Debatte des Parlaments eintreten, gerichtet worden, ob eine angesichts der britischen Haltung auf Vorschlag von weitere Erhöhung der Mandatszahl nicht die Kraft des Präsident Mitterrand, von Jacques Delors und von mir Parlaments schwächen könnte. Auch das ist eine Le- die Entscheidung getroffen, daß im Vertrag selber von benserfahrung. den Zwölf das jetzt mögliche, nämlich der Stand der Einheitlichen Europäischen Akte festgeschrieben ch Irmer [FDP]: Wir sind auch über - (Ulri wird. 600!) Die elf Mitgliedstaaten ohne Großbritannien haben — Sie können hier, Herr Kollege, für den Bundestag es für absolut notwendig erachtet, über diese Bestim- Ihre Anträge stellen; aber ich spreche jetzt vom Euro- mungen hinauszugehen. Wir haben auf der Grund- päischen Parlament. lage des erheblich weitergehenden niederländischen Ich finde, es ist klug — so ist es jetzt in Maast richt Entwurfs vom 4. Dezember einen gesonderten Ver- beschlossen worden — , daß in den nächsten Monaten trag in Form eines Protokolls abgeschlossen, der Teil bis Ende des Jahres 1992 Gespräche zwischen den des Vertragswerkes ist und der im übrigen auch rati- Regierungen, den nationalen Parlamenten, dem Euro- fiziert werden muß. päischen Parlament und natürlich auch der Kommis- In einem weiteren Protokoll, dem auch Großbritan- sion geführt werden, um diese Frage abschließend zu nien zugestimmt hat, haben wir vereinbart, daß die Elf klären. Diese Diskussion wird sich auch mit der Frage dabei entsprechend den bestehenden Gemeinschafts- befassen, ob wir uns etwa darauf verständigen könn- verfahren vorgehen werden. Die elf Länder bekunden ten, für das Europäische Parlament eine bestimmte damit ihren Willen, den Weg, den die Ende 1989 von Höchstzahl festzulegen. Dies hätte natürlich Auswir- den gleichen elf Ländern in Straßburg verabschiedete kungen auf die Anzahl der Abgeordneten der einzel- EG-Sozialcharta vorgezeichnet hat, bald vollständig nen Mitgliedstaaten. in die Tat umzusetzen. Es ist fest vereinbart, daß bis zum EG-Gipfel in Eng- Wir standen vor der Entscheidung, ob wir das ge- land — das ist im Dezember 1992 — diese Frage ent- samte Vertragswerk an dieser Frage scheitern lassen schieden wird. Dann haben wir immerhin fast noch — ich habe dies verneint — oder ob wir den eben eineinhalb Jahre für die Vorbereitung der Europa- beschriebenen Weg wählen. Es war für mich und auch wahl und die notwendigen nationalen Gesetzgebun- für die anderen Partner völlig ausgeschlossen, daß wir gen. in Maastricht auseinandergehen, ohne eine entschei- Ich möchte hier ausdrücklich für die Bundesregie- dende Weiterentwicklung der sozialen Dimension rung dem Hohen Haus und den Fraktionen das Ange- vorzunehmen. Für mich und für uns — ich denke, das bot machen, daß wir über diese Frage miteinander ist unsere gemeinsame Meinung — ist die Entwick- sprechen. Unser Ziel ist es, den deutschen Anteil zu lung der Europäischen Union ohne gleichzeitige Ent- halten. Wir müssen aber auch erreichen, daß das Eu- wicklung ihrer sozialen Dimension nicht denkbar. ropäische Parlament in einer vernünftigen Dimension (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie arbeitsfähig ist. bei Abgeordneten der SPD und des Bündnis (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ses 90/GRÜNE) Es gab auch Diskussionsbeiträge, die etwa von der Die weit überwiegende Mehrheit der Bürger Euro- Überlegung ausgingen, daß, wenn Deutschland pas sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. 18 Mandate mehr hat, die bisherige Zahl für die ein- Diese Wirklichkeit unserer Gesellschaft muß sich na- zelnen Länder proportional erhöht wird. Dann wären türlich in der Gemeinschaft widerspiegeln. Die Ge- wir bald bei einem Europäischen Parlament mit weit meinschaft kann nur dann wirklich zusammenwach- über 800 Abgeordneten. Dies kann ja nicht unser Ziel sen, wenn wir bereit sind, die Gewerkschaften, die für ein funktionsfähiges Europäisches Parlament Unternehmerverbände, aber auch die Vertreter ande- sein. rer sozialer Gruppen in die Gestaltung dieser gemein- Im übrigen ist in diese Diskussion die Frage mit ein- samen Politik einzubeziehen. geflossen, wie viele Kommissare die einzelnen Län- (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der der in der Kommission zu stellen haben. Auch bei die- SPD) sem Thema ist natürlich die Frage der Erweiterung Im übrigen bin ich ganz sicher, daß es spätestens zu mit einzubeziehen. dem Zeitpunkt des Beginns der Wirtschafts- und Wäh- Aber bei diesen Fragen ist im Kreise der Staats- und rungsunion — ob das nun 1997 oder 1999 sein wird — Regierungschefs der Wille deutlich geworden — das auch in dieser Frage nicht elf, sondern zwölf Teilneh- ist mir wichtig — , zu einer einvernehmlichen Lösung mer geben wird. Derlei Entwicklungen hat es auch in zu kommen und das Europäische Parlament in diese der Vergangenheit gegeben. Entscheidung selbstverständlich mit einzubinden. Ich (Beifall bei der CDU/CSU) will hier das Angebot wiederholen, daß wir in Deutschland, Parlament und Regierung, möglichst zu Meine Damen und Herren, das Ergebnis der beiden einer gemeinsamen Haltung kommen. Regierungskonferenzen über die Politische Union so- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1991 5803

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl wie über die Wirtschafts- und Währungsunion gibt der Daß eine solche Katastrophe zwischen Briten, Franzo- Gemeinschaft die Chance, mit neuer Kraft die im In- sen und Deutschen heute unvorstellbar ist, ist das neren anstehenden Aufgaben anzupacken. Dies gilt wichtigste Ergebnis der europäischen Einigung. Wir für die anstehende Reform der Agrarpolitik — ich alle sind dankbar dafür, daß diese Gräben der Ver- denke in diesem Zusammenhang auch an die Not- gangenheit zwischen unseren Völkern zugeschüttet wendigkeit des Abschlusses der GATT-Verhandlun- sind. gen — wie auch für die 1992 fällige Überprüfung der (Beifall im ganzen Hause) Finanzausstattung der Strukturfonds. Welchen Weg wir gemeinsam in Europa zurückge- Aber — das ist besonders wichtig — der Maastrich- legt haben, zeigt, daß wir jetzt in Maastricht eine ge- ter Gipfel ist auch ein Signal über die Grenzen der meinsame europäische Währung vereinbart haben. Gemeinschaft hinaus. Er wird zu Recht von unseren - Eine solche Währungsunion haben wir Sozialdemo- Partnern — ob in den USA, in Japan oder in der Drit- kraten seit Jahren gefordert. Wir begrüßen daher die- ten Welt — als großer Erfolg bewertet. Er ist insbeson- ses Ergebnis von Maastricht. dere für unsere unmittelbaren Nachbarn in Mittel-, Ost- und Südosteuropa, die sich in einer der schwie- (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ rigsten Stunden ihrer Geschichte befinden, eine große CSU: Aber ihr habt nicht geklatscht!) Ermutigung. Ihre Hoffnung richtet sich heute mehr Es war auch richtig, Herr Bundeskanzler, daß Sie denn je auf die Europäische Gemeinschaft. vor dem Gipfel die Währungsunion und die Politische Maastricht ist auch eine klare Botschaft an diejeni- Union eng miteinander verknüpft haben. Sie haben gen europäischen Länder, die jetzt der EG beitreten die Meßlatte erfreulich hoch gelegt. Leider sind Sie wollen. Wir waren uns in Maastricht darin einig, daß dann aber in Maastricht nicht drübergesprungen, son- die Beitrittsverhandlungen mit Österreich und dern drunter durchgekrochen, denn die Ergebnisse Schweden — und, eventuell auch mit Finnland — An- zur Politischen Union sind ausgesprochen kläglich, fang 1993 aufgenommen und zügig abgeschlossen meine Damen und Herren. werden sollen. (Beifall bei der SPD — Dr. Wolfgang Bötsch Meine Damen und Herren, wir Europäer und ge- [CDU/CSU]: Das ist anatomisch unmöglich! rade auch wir Deutsche haben heute, gegen Ende die- — Weitere Zurufe von der CDU/CSU) ses Jahrunderts, Grund zur Zuversicht. Uns ist zwar von Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes" Die Vereinbarungen zur Währungsunion gehen im bis zu den Kulturpessimisten unserer Tage immer Grundsatz in die richtige Richtung. Festgelegt wurde wieder eingeredet worden, Europa sei am Ende. In erstens der Vorrang der Geldwertstabilität, zweitens Wahrheit — dies haben wir jetzt einmal mehr unter die Unabhängigkeit der europäischen Zentralbank, Beweis gestellt — ist die Kraft Europas ungebro- drittens das strikte Verbot, Haushaltsdefizite der ein- chen — eine Kraft, die wir nach den bitteren Erfahrun- zelnen Länder oder der Union durch die Notenbank gen dieses Jahrhunderts vor allem in den Dienst von zu finanzieren, und viertens das Erfordernis einer soli- Frieden und Freiheit in der Welt stellen wollen. den Finanzpolitik. Es waren großartige Männer und Frauen, die im Indem die europäischen Partner diese Kernele- Parlamentarischen Rat aus der Erfahrung unserer mente einer erfolgreichen deutschen Stabilitätspoli- jüngsten Geschichte die Präambel des Grundgesetzes tik übernommen haben, sind die formalen Vorausset- von 1949 formuliert haben. Darin wird unserem Volk zungen für eine gemeinsame europäische Währung aufgetragen, „seine nationale und staatliche Einheit geschaffen, die ebenso stabil sein muß wie die D- zu wahren und als gleichberechtigtes Glied in einem Mark. Daß dies vereinbart wurde, meine Damen und vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen". Herren, verdanken wir ganz wesentlich der Deut- Nachdem wir die Einheit unseres Vaterlandes erreicht schen Bundesbank die sich mit ihren Präsidenten Pöhl haben, wollen wir jetzt auch diesen, den europäischen und Schlesinger dafür beharrlich eingesetzt hat. Auftrag unserer Verfassung, erfüllen. Dazu lade ich (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ Sie ein. CSU: Und der Bundesregierung! — Dr. Jür (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und gen Rüttgers [CDU/CSU]: Und Waigel!) der FDP) Trotzdem haben viele Menschen Angst um unsere Währung. Diese Angst muß ernst genommen werden. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Es spricht jetzt die Man kann diese Angst nur überwinden, wenn die Abgeordnete Ingrid Matthäus-Maier. Menschen verstehen, daß eine gemeinsame Währung in Europa unser aller Wohlstand sichert und mehrt und uns allen Vorteile bringt, gerade auch uns Deut-

Ingrid Matthäus - Maier (SPD): Frau Präsidentin! schen. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor weni- Wer z. B. in Amerika reist oder Handel treibt, kann gen Tagen konnten wir in den Zeitungen folgende das in 50 Staaten mit derselben Währung. Das ist gut kurze Notiz lesen: für die Wirtschaft und gut für die Verbraucher. Wer Heute vor 75 Jahren wurde die Weltkriegs- dagegen mit 1 000 DM in der Brieftasche nacheinan- schlacht am nordfranzösischen Fluß Somme ab- der durch alle Mitgliedsländer der Europäischen Ge- gebrochen. Seit dem 24. Juni hatten dort mehr als meinschaft reist, hat bei seiner Rückkehr, selbst wenn 1 Million Soldaten ihr Leben verloren, mehr als er nirgendwo einen Pfennig ausgibt, sondern nur sein 614 000 auf seiten der Briten und Franzosen, Geld in die elf verschiedenen Landeswährungen um- mehr als 420 000 Deutsche. tauscht, nur noch fast genau 500 DM in der Tasche. 5804 Deutscher Bundestag — 12. Wahlpe riode — 68. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1991

Ingrid Matthäus-Maier Den Rest haben die umtauschenden Banken für sich Es waren nicht Sozialdemokraten, sondern es waren behalten. die Springer-Blätter und der „Spiegel" . Im übrigen Das zeigt, wie wichtig für die Bürger eine gemein- darf ich daran erinnern, daß es war, der in dieser Woche in der „"-Zeitung auf die gro- same Europawährung ist. Aber auch die Wirtschaft hat ein hohes Interesse an einer stabilen einheitlichen ßen Vorteile einer Europäischen Währungsunion hin- europäischen Währung. Milliarden werden gespart, gewiesen hat. Handel und Wandel werden erleichtert. Der zuneh- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mende Wettbewerb kommt dem Verbraucher zugute der FDP) und stärkt die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirt- schaft auf den Weltmärkten. Eine starke Gemein- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Frau Matthäus schaftswährung wird Europa auch das ihm zuste- - Maier, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des hende Eigengewicht gegenüber dem Yen einerseits Abgeordneten Graf Lambsdorff? und dem immer wieder enorm schwankenden ameri- kanischen Dollar andererseits verschaffen. Auf diese Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Ja. Weise werden übrigens auch die USA zu einer solide- ren Haushaltspolitik gezwungen. Dr. Otto Graf Lambsdorff (FDP) : Frau Kollegin Mat- Wer an dieser Stelle skeptisch ist, den darf ich an die thäus-Maier, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, Erfahrungen mit dem Europäischen Währungssystem daß im britischen Parlament nur die Liberalen das erinnern, das Helmut Schmidt und Giscard d'Estaing föderale Europa wollen? vor 13 Jahren begründet haben. Ich erinnere mich (Große Heiterkeit — Beifall bei der FDP so noch gut daran, wie wir damals im Bundestag das wie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Europäische Währungssystem gegen viele Vorbe- halte, Bedenken und Ängste durchgesetzt haben. Und was für ein Erfolg war das Europäische Währungssy- Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Herr Kollege Lambs- stem! Es hat uns allen mehr Wohlstand gebracht. Wer dorff, da ich vor wenigen Wochen mit dem zuständi- damals abseits stand — wie die Engländer unter der gen Vertreter der Labour Party über die Europäische Regierung Thatcher — , mußte das durch ein Zurück- Währungsunion gesprochen habe, weiß ich sehr ge- bleiben seiner Wirtschaft teuer bezahlen. Wenn die nau, daß die Labour Party für Europa und für die Euro- Briten heute z. B. von den Italienern beim Brutto- päische Währungsunion ist. Sie werden sicher verste- sozialprodukt pro Kopf deutlich überholt worden sind, hen, daß ich die Hoffnung habe, daß Labour ein biß- zeigt das, welche Nachteile die konservative Lady in chen mehr Stimmen bekommt als Sie. Großbritannien ihren Landsleuten durch eine europa- (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) feindliche Politik zugemutet hat. Meine Damen und Herren, da Herr Schwarz mir mit Herr Bundeskanzler, dieses hat für uns den kleinen seiner Zwischenfrage die Gelegenheit gegeben hat, Trost, daß es eine neue Gemeinsamkeit zwischen uns noch einmal auf Helmut Schmidt hinzuweisen, gibt: Da bekannterweise die Labour Party in Großbri- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Den haben tannien sowohl für die Sozialunion als auch für die Sie doch schon vergessen! — Weiterer Zuruf Währungsunion ist, gehe ich davon aus, daß nicht nur von der CDU/CSU: Ist der noch in eurer wir Sozialdemokraten in Deutschland, sondern — je- Partei?) denfalls heimlich — auch der deutsche Bundeskanz- will ich an dieser Stelle nur sagen: Angesichts der ler auf den Wahlerfolg der Labour Party bei den näch- Erfolgsgeschichte des Europäischen Währungssy- sten Wahlen hoffen. stems können wir Helmut Schmidt (Beifall bei der SPD — Wolfgang Zöller (Zuruf von der CDU/CSU: Der muß wieder in [CDU/CSU]: Nicht alle Weihnachtswünsche den Bundestag!) gehen in Erfüllung!) und Giscard d'Estaing heute nur danken. Herr Bun- deskanzler, ich hätte es nicht für ganz unpassend ge- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Frau Kollegin Mat- halten, wenn dieser Dank hier heute von Ihrer Seite thäus-Maier, gestatten Sie eine Zwischenfrage des ausgesprochen worden wäre. Denn ohne das Europäi- Abgeordneten Schwarz? sche Währungssystem würde es die Europäische Währungsunion zweifellos nicht geben. Ich finde, es hätte Ihnen gut angestanden, hier einen entsprechen- Stefan Schwarz (CDU/CSU): Frau Kollegin Mat- thäus-Maier, glauben Sie nicht, daß es nach der Schil- den Dank auszusprechen. derung dieser Erfolgsgeschichte des Europäischen (Beifall bei der SPD) Währungssystems den Sozialdemokraten in der Bun- Damit die Währungsunion aber auch in der Praxis desrepublik gut anstünde, das Schüren der Angst um und nicht nur rein formal, auf dem Papier ein Erfolg die D-Mark zu beenden und eher auf die positiven wird, muß noch hart gearbeitet werden. Es muß vor Zeichen zu setzen? allen Dingen verhindert werden, daß die strengen Sta- (Beifall bei der CDU/CSU — Lebhafte Zurufe bilitätsvoraussetzungen für den Eintritt in die Wäh- von der SPD) rungsunion wieder aufgeweicht oder aus Gründen der politischen Opportunität unterlaufen werden. Die lange Frist bietet leider auch vielen Politikern und Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Herr Kollege Interessengruppen in allen EG-Ländern vielerlei Ge- Schwarz, das weise ich zurück! legenheit, in die Suppe einer stabilen Währungsunion (Beifall bei der SPD) zu spucken. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1991 5805

Ingrid Matthäus-Maier Es muß auch sichergestellt werden, daß die Wäh- Wir Sozialdemokraten sagen jedenfalls klipp und rungsunion nach ihrem Beginn keine Inflationsge- klar: Bei der Politischen Union muß kräftig nachge- meinschaft wird, sondern eine Stabilitätsgemein- bessert werden: schaft bleibt. Dafür muß die Wirtschafts- und Finanz- (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ politik in allen EG-Ländern strikt auf Stabilität ausge- GRÜNE) richtet werden. Wer gegen dieses Ziel verstößt, muß mit wirksamen Sanktionen auf den Weg der Stabilität Eingeknickt ist der Bundeskanzler auch bei der Ent- zurückgezwungen werden. scheidung über die zusätzlichen deutschen Europaab- geordneten. Hier, für die Zeit nach dem Eintritt in die Währungs- union, liegt nach unserer Ansicht noch eine Schwach- (Widerspruch bei der CDU/CSU) stelle des Systems, auf die, wenn ich es richtig sehe, - Wo sind die 18 zusätzlichen Parlamentssitze für die auch Graf Lambsdorff schon kritisch hingewiesen hat. Vertreter der Bürger in den neuen Bundesländern, die Ein bißchen spät, Graf Lambsdorff! Wo waren Sie politisch doch schon akzeptiert waren? denn vor dem Gipfel? Sie hätten das als FDP durchaus einbringen können. Aber das kennen wir ja schon: (Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Das hat er Wenn es in der Regierung schwierig wird, dann hat doch erklärt! Haben Sie nicht aufgepaßt? Ha die FDP mit der jeweiligen Politik der Regierung, an ben Sie nicht zugehört?) der sie beteiligt ist, überhaupt nichts zu tun. Das ken- Das hätten Sie durchsetzen können und müssen. nen Sie genausogut wie wir, meine Damen und Her- ren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Bündnisses 90/GRÜNE) (Beifall bei der SPD — Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das sagen Sie! Es gibt Notfalls, Herr Bundeskanzler, hätten Sie das aussitzen Dinge, die kann nicht jeder sagen! — Sieg- müssen. fried Hornung [CDU/CSU]: Eine sachver- (Heiterkeit bei der SPD — Siegfried Hornung ständige Zeugin! — Weitere Zurufe von der [CDU/CSU]: Können Sie noch lächerlicher CDU/CSU und der FDP) werden?) Darin sind Sie doch sonst so stark. Aber diesmal hat Sie wohl Herr Major in ihrer eigenen Disziplin ge- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Es wird zwar immer schlagen. lebhaft, wenn Frau Matthäus-Maier redet. Trotzdem (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem wäre es gut, wenn wir jetzt zuhören würden. Bündnis 90/GRÜNE — Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Jetzt wird das Niveau aber sehr niedrig, sehr dürftig!) Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Wir Sozialdemokra- Eingeknickt sind Sie leider auch bei der Erweite- ten werden die Bundesregierung jedenfalls hartnäk- rung der Rechte des Europäischen Parlaments. Es kig bedrängen, damit die neue europäische Währung geht doch nicht an, daß der Bundestag z. B. bei der mindestens so stabil wird wie die D-Mark. Finanz- und Haushaltspolitik Rechte nach Europa ab- gibt, ohne daß das Europäische Parlament entspre- (Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Jawohl!) chend mehr Rechte erhält. Übrigens sollten wir noch einmal gemeinsam über (Beifall bei der SPD) den Namen und die konkrete Ausgestaltung der ge- meinsamen Währung nachdenken. Nachdem es ge- Wer sonst soll denn die Bürokratie in Brüssel kontrol- lungen ist, so viele Elemente der Stabilitätspolitik der lieren? Mark auf Europa zu übertragen, stellt sich die Frage: Hier muß kräftig nachgebessert werden. Wir wollen Warum sollten wir die gemeinsame europäische Wäh- ein demokratisches und kein bürokratisches Europa. rung wenigstens in Deutschland nicht weiterhin als Mark bezeichnen können? (Beifall bei der SPD — Siegf ried Hornung [CDU/CSU]: Das Europa der Sozialdemokra Meine Damen und Herren, die Ergebnisse zur Wäh- ten!) rungsunion gehen in die richtige Richtung. Die Ergeb- Eingeknickt sind Sie leider auch in der Frage, wo nisse zur Politischen Union sind demgegenüber nur allzu dürftig. Hier muß sich der Bundeskanzler zu die Europäische Zentralbank ihren Sitz haben soll. Es ist wichtig, daß diese Zentralbank nach Deutschland Recht den Vorwurf gefallen lassen, daß er eingeknickt ist. kommt. Dabei geht es nicht um Prestige oder Arbeits- plätze; es geht darum, daß diese Zentralbank in einem (Peter Kittelmann [CDU/CSU]: Wie bitte?) Umfeld tätig ist, in dem die Stabilität der Währung als Am 6. November hat er hier im Deutschen Bundestag selbstverständliche Notwendigkeit historisch verwur- gesagt, daß die Politische Union unerläßliches Gegen- zelt ist. stück zur Wirtschafts- und Währungsunion sei. Wer die Meßlatte so hoch legt, darf dann nicht mit so mage- (Beifall bei der SPD — Siegf ried Hornung ren Ergebnissen nach Hause kommen. Selbst Ihr Ko- [CDU/CSU]: Tun Sie mal bei Ihren Genossen alitionspartner mahnt doch an, daß Nachbesserungen was dafür!) zur Politischen Union vorgenommen werden müssen. Eingeknickt ist der Bundeskanzler leider auch bei Man fragt sich unwillkürlich: Herr Genscher, waren der Sozialunion. Warum haben Sie, Herr Bundes- nicht auch Sie auf dem Gipfel? kanzler, bei der Sozialunion nicht dieselbe Hartnäk- 5806 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1991

Ingrid Matthäus-Maier kigkeit wie bei der Währungsunion an den Tag ge- Bürger, daß wir uns finanziell übernehmen könnten, legt? Die Antwort ist klar: Eine Bundesregierung, die nicht geringer, sondern eher größer geworden. in Deutschland Arbeitnehmerrechte einschränkt und Spätestens die Handlungsunfähigkeit Europas ge- den Sozialstaat abbaut, genüber dem Bürgerkrieg in Jugoslawien hat gezeigt, (Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der daß wir endlich auch eine gemeinsame Außen - und CDU/CSU und der FDP) Verteidigungspolitik brauchen. Die Völkergemein- schaft wird es nicht länger hinnehmen, daß die Euro- ist weder ausreichend willens noch in der Lage, in päer sehr oft in erster Linie ans Geldverdienen den- Europa für die Rechte der Arbeitnehmer zu kämp- ken, sich aber ihrer Mitverantwortung für die Lösung fen. internationaler Probleme entziehen. (Beifall bei der SPD — Dr. Karl-Heinz Horn-- Die Fortschritte, die in der Außen- und Sicherheits- hues [CDU/CSU]: Können Sie das selber politik erzielt wurden, reichen nicht aus. Auch Kom- glauben, Frau Kollegin?) missionspräsident Delors hat die Ergebnisse insofern als unzureichend kritisiert. Meine Kollegin Wieczo- Wir Sozialdemokraten wollen jedenfalls nicht nur ein rek-Zeul wird auf den Bereich der Außen- und Sicher- Europa der Unternehmer, sondern auch ein Europa heitspolitik noch gesondert eingehen. der Arbeitnehmer und ihrer Familien. (V o r sitz : Vizepräsident Helmuth Becker) (Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Der CDU/CSU) Gipfel von Maastricht hat Fortschritte gebracht, vor Mit Sorge sehen wir, Herr Bundeskanzler, daß Sie allem bei der Währungsunion. Bei der Politischen der Einrichtung milliardenschwerer neuer Fonds zu- Union und bei der Sozialunion ist er aber weit hinter gestimmt haben, ohne zugleich an anderer Stelle des den Erwartungen und Notwendigkeiten zurückge- blieben. Weniger markige Worte vor dem Gipfel und EG - Haushalts längst überfällige Einsparungen vorzu- nehmen. statt dessen mehr Steh- und Durchsetzungsvermögen auf dem Gipfel — das hätte, Herr Bundeskanzler, den Deutschland ist der größte Zahler der Europäischen deutschen Interessen mehr genutzt. Gemeinschaft. Unsere Beiträge belaufen sich auf rund 39 Milliarden DM im Jahr. Damit finanzieren wir rund (Beifall bei der SPD) ein Drittel des EG-Haushalts. Weil wir das tun Hier muß nachgebessert werden. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie sagen Wenn wir in der Lage sein wollen, die Europäische immer „wir" !) Gemeinschaft für die neuen Demokratien in Mittel- und Osteuropa zu öffnen, dürfen wir das europäische und weil wir das auch nicht in Frage stellen wollen, Haus nicht länger im Rohbau stehenlassen. Bis das haben wir Deutschen aber auch ein ganz besonderes Haus fertig ist, liegt noch eine Menge Arbeit vor uns. Recht darauf, daß diese Mittel sparsam verwendet Wir Sozialdemokraten sind dazu bereit. werden. Ich danke Ihnen. Deshalb hätte in Maast richt auch die Reform der (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ europäischen Agrarpolitik auf die Tagesordnung ge- GRÜNE) hört. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Helmuth Becker: Ich erteile jetzt das Es kann nicht angehen, daß wir zwei Drittel des EG- Wort unserem Kollegen Dr. Wolfgang Schäuble. Haushalts dafür ausgeben, daß riesige Überschüsse produziert und dann für teures Geld auf den Welt- märkten verschleudert werden. Es ist doch der reine Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Herr Präsi- Wahnsinn, daß vor wenigen Monaten die Europäische dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Gemeinschaft 100 000 t Rindfleisch für 1 DM pro kg Matthäus-Maier, als Sie Ihre Rede begonnen haben, nach Brasilien verkauft hat, obwohl sie selber dafür dachte ich, es würde eine Rede, die der Bedeutung 6 DM pro kg gezahlt hat. Dies regt nicht nur die Ver- dieser Debatte angemessen ist. braucher auf, das stört auch den Welthandel und scha- (Zustimmung bei der CDU/CSU — Detlev det unserer Wirtschaft. Das verhindert, daß die Ent- von Larcher [SPD]: Das war sie auch!) wicklungsländer aus eigener Kraft auf die Beine kom- men. Aber im zweiten Teil Ihrer Rede haben Sie der Versu- chung vielleicht doch nicht widerstehen können, an (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ Stelle einer Würdigung nicht nur dessen, was in GRÜNE sowie bei Abgeordneten der FDP) Maastricht erreicht worden ist, sondern auch der Schwierigkeiten auf dem Wege, dieses europäische Dieses sinnlose Verschleudern von Steuergeldern un- Haus zu vollenden — das ja noch nicht fertig ist —, serer Bürger muß endlich ein Ende haben. Dann ha- einen Mindestbedarf an Polemik abzuladen. Dieser ben wir auch das Geld, um zusätzliche europäische Teil Ihrer Rede ist wirklich stark abgefallen. Fonds zu bezahlen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ ordneten der FDP — Widerspruch bei der GRÜNE) SPD) Durch das Versäumnis, für eine solide Finanzierung Ich will mich aber zunächst ausdrücklich für das der neuen Fonds zu sorgen, sind die Sorgen vieler bedanken, was Sie zur Wirtschafts- und Währungs- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1991 5807

Dr. Wolfgang Schäuble union gesagt haben. Ich glaube, es ist gut, wenn wir leicht lieber in anderen Ländern Wahlkampf machen gemeinsam würdigen und auch unseren Bürgern ge- wollen. meinsam sagen, daß das ein wichtiger Schritt voran (Heiterkeit bei der CDU/CSU) ist, Europa weiterzubauen, unseren wirtschaftlichen Interessen gerecht zu werden und zugleich auch die Aber das, was Sie zu Großbritannien gesagt haben, Stabilität unserer Mark, die wir in über 40 Jahren in wird sicherlich nicht dazu führen, daß die Bereitschaft der Bundesrepublik Deutschland errungen haben, in in Großbritannien, europäisch zu denken, gefördert einer europäischen Währung zu bewahren. wird; es wird vielmehr, soweit es überhaupt zur Kenntnis genommen wird, allenfalls das Gegenteil (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- bewirken. Frau Matthäus- Maier, ich finde wir sollten ordneten der FDP) das bleibenlassen. - Ich stehe nicht an, mich für den Beitrag der Sozialde- (Dr. Peter Struck [SPD]: Lambsdorff hat an mokraten auf diesem Weg und auch in der Erläute- gefangen!) rung gegenüber unseren Bürgern, auch was Helmut Schmidt betrifft, zu bedanken. Denn wenn wir in Europa ein Stück weiterkommen wollen, müssen wir ja begreifen, daß wir diesen Weg (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- alle miteinander gehen müssen und daß andere auf ordneten der FDP und der SPD) Grund der Geschichte in diesem Jahrhundert, an die Unsere Bürger haben verständlicherweise viele sor- Sie zu Recht erinnert haben, vielleicht zum Teil auch genvolle Fragen, z. B. danach, ob die Sicherheit und weitere Wege zurückzulegen haben als wir Deutsche, die Grundlage für Vertrauen, die unsere D-Mark als etwa einer wie ich, der im Deutschen Bundestag 40 Jahre lang bedeutete, jetzt möglicherweise zugun- einen Wahlkreis vertritt, der in der unmittelbaren sten Europas gefährdet wird oder nicht. Ich glaube, Nachbarschaft zu Straßburg gelegen ist. wir alle miteinander können in voller Verantwortung unserer Bevölkerung sagen: Nein, es wird nicht aufs Wir haben es ein Stück leichter auf dem Weg zur Spiel gesetzt. Die europäische Währung wird so stabil europäischen Einigung, und wir wissen vielleicht ein sein, wie die D-Mark es 40 Jahre lang war. Durch das Stück mehr als andere — wir sind möglicherweise Zusammenwirken von Bundesregierung und Bundes- auch unmittelbarer betroffen als andere — , warum die bank ist Vorkehrung dafür getroffen, daß die europäi- europäische Einigung heute dringender denn je für sche Währungsgemeinschaft wirklich eine Stabilitäts- uns alle ist. gemeinschaft sein wird, daß alle Staaten, die an der Manches — das war vor und während und auch Währungsgemeinschaft teilnehmen, strenge Kriterien nach Maastricht klar — spricht dafür, daß die europäi- hinsichtlich der Stabilität erfüllen müssen, daß die sche Einigung auch mühevoll ist. Aber ich denke, Europäische Zentralbank mindestens so unabhängig Herr Bundeskanzler, sie ist der Mühe wert. Die Frak- sein wird, wie die deutsche Bundesbank immer gewe- tion der CDU/CSU dankt Ihnen, dem Außen- und dem sen ist, daß das Ziel der Geldwertstabilität als vorran- Finanzminister und allen Beamten für die Mühe, die giges Ziel nicht nur für die deutsche Währung, son- Sie sich auf dem Weg zum Erfolg des Maastrichter dern Ende dieses Jahrhunderts auch für eine europäi- Gipfels gegeben haben. sche Währung gilt und daß deswegen niemand die Sorge haben muß, daß wir in Zukunft eine weniger (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) stabile Währung haben werden. Wir wissen, daß wir die deutsche Einheit nur auf (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- dem Weg zur europäischen Einigung erreicht haben, ordneten der FDP) und wir wissen, daß wir nach der Vollendung der deutschen Einheit nun mehr denn je darauf angewie- Wie sie dann heißen wird, das ist vielleicht eine zweit- rangige Frage. sen sind, das größere, vereinigte Deutschland in einen Prozeß der unumkehrbaren europäischen Einigung Vielleicht, Frau Matthäus-Maier, sollten wir, wenn einzubinden. Wir wissen mehr als andere, daß die Ent- wir das europäische Haus wirklich weiterbauen wol- wicklungen in Osteuropa, in der Sowjetunion oder in len, die Diskussion auch hier von diesem Pult aus so dem, was wir bis vor kurzem Sowjetunion zu nennen führen, daß man merkt, daß wir nicht ganz alleine gewohnt waren, uns in Europa unmittelbar betreffen, sind, sondern daß wir auch an die elf anderen den- daß unsere Sache in Jugoslawien, in der Tschechoslo- ken. wakei, in Rußland, in der Ukraine, im Baltikum und wo auch immer verhandelt wird und daß wir davon (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- unmittelbar betroffen sind und daß, je mehr Instabili- ordneten der FDP) täten, Risiken und Unsicherheiten sowie schnelle, Wir brauchen eine stabile gemeinsame europäische dramatische, in ihren Auswirkungen ganz unabseh- Währung. Dabei ist der Name vielleicht nicht das Al- bare Veränderungen in Osteuropa zu verzeichnen lerwichtigste, und wir sollten auch ein Stück weit an sind, um so mehr Stabilität durch europäische Einheit die Befindlichkeit unserer europäischen Mitbürger in und durch Fortschritte in der europäischen Einigung den elf anderen Mitgliedstaaten denken. im Westen Europas notwendig ist. Deswegen möchte ich übrigens auch gleich dafür In diesen historischen Zusammenhang muß man werben, daß wir uns, wenn wir das Bedürfnis haben, Maastricht einordnen, um zu begreifen, worum es Wahlkämpfe zu führen, von diesem Pult aus weiterhin geht und warum es bei allen Schwierigkeiten und bei darauf beschränken, deutsche Wahlkämpfe zu füh- allem, was uns auch an dem Ergebnis von Maastricht ren. Ich habe ja Verständnis dafür, daß Sie jetzt viel- nicht voll zufriedenstellen kann, notwendig und rich- 5808 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1991

Dr. Wolfgang Schäuble tig ist, diesen Weg zu gehen und auch unsere Beiträge beiten" gesprochen. Mit „weiterarbeiten" bin ich ein- dafür einzubringen. verstanden. Hätte in Maastricht mehr erreicht werden können? (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Das Das ist die Frage. Wort „nachverhandeln" stammt von Herrn Klepsch und von Herrn von Wechmar!) (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Für deutsche Interessen schon!) — Ich habe es leider bei Ihnen in Ihrer Presseerklä- rung gelesen. — Für deutsche Interessen, ja, das Wort kenne ich schon; aber seien Sie doch in der Art, wie Sie es in den (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Sie Mund nehmen, zurückhaltend. Lassen Sie uns doch müssen auch bei anderen lesen!) einmal in Ruhe die Fragen prüfen. - —Ja, gut, ich lese halt Ihre mit besonderer Aufmerk- Zunächst einmal ist wichtig: An dem, was in Maas- samkeit. tricht vereinbart werden konnte — und Sie haben (Zuruf der Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul nichts davon kritisiert —, ist, glaube ich, aus der deut- [SPD]) schen Sicht nichts Falsches, sondern alles, was in Maastricht erreicht worden ist — es ist wichtig, das — Also werde ich es in Zukunft auch nicht mehr tun; festzuhalten — , entspricht unseren Überzeugungen. dann spare ich schon wieder ein bißchen Zeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Heidemarie Wieczorek-Zeul Das gilt für alles — darin stimmen wir überein, und [SPD]: Dann ziehen Sie aber die falschen dafür habe ich mich bedankt — , was zur Wirtschafts- Konsequenzen daraus!) und Währungsunion vereinbart worden ist. Es ist ja wichtig, daß etwa der Präsident der Deutschen Bun- Jetzt will ich zur Frage der Zahl der deutschen Ab- desbank, Herr Schlesinger, ausdrücklich erklärt hat, geordneten im Europäischen Parlament etwas sagen. daß alle wesentlichen Forderungen der Deutschen Frau Matthäus-Maier, Sie haben, wenn ich mich recht Bundesbank insoweit erfüllt worden sind. Es ist ge- erinnere — ich bin nicht ganz sicher, meine es aber zu nauso wichtig, daß die zentralen Forderungen der wissen — , die Frage aufgeworfen, ob dieser Deutsche Bundesrepublik Deutschland aus der Sicht unserer Bundestag nicht eher zu viele als zu wenige Mitglie- Erfahrungen als Bundesstaat, was die regionale Ent- der habe. wicklung in Europa, was das Subsidiaritätsprinzip betrifft, erfüllt worden sind. Das ist ganz wichtig. Wir (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das stimmt! können ein vereintes Europa nicht anders zustande — [SPD]: Aber alle sollen ver bringen und nicht anders bauen als nach den Bauprin- treten sein!) zipien des bundesstaatlichen Prinzips und des Subsi- — Ja, alle sollen vertreten sein, aber wohl doch ein diaritätsprinzips. Auch dieses ist richtig vereinbart. Stück weit entsprechend den jeweiligen Anteilen, die Wir hätten uns auch mehr Rechte für das Europäi- sie zu vertreten haben. sche Parlament gewünscht. Wer denn nicht in diesem (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das wider Deutschen Bundestag? spricht sich doch nicht!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) — Nein. (Weitere Zurufe von der SPD) Aber es macht wenig Sinn, daran die Kritik anzuset- zen. Sie haben es auch nicht getan. Allerdings haben Ich bin dafür, daß wir die Frage ehrlich unter uns Sie mit Worten wie „eingeknickt" ein falsches Bild und mit unseren europäischen Partnern besprechen. beschrieben. Es ist doch niemand eingeknickt. Die Wenn wir bei weiteren Beitritten, die wir ja alle wün- Frage ist doch: Wenn mehr nicht zu erreichen war schen, für die wir uns einsetzen, gleichwohl die Zahl —und wer die Verhandlungen verfolgt hat, kann der Abgeordneten des Europäischen Parlaments be- nicht ernsthaft behaupten, daß vor und in Maast richt grenzt halten wollen, um der Arbeitsfähigkeit und in dieser Frage mehr zu erreichen gewesen wäre —, damit um der demokratischen Gestaltungskraft dieses dann wäre ja, wenn man es mit dem Wort „einge- Parlaments willen, dann werden wir auch die Zahl der knickt" beschreibt, die Konsequenz die, daß man das, deutschen Abgeordneten nicht für sakrosankt erklä- was man jetzt in Maast richt vereinbart hat, nicht hätte ren dürfen, sondern dann werden wir bereit sein müs- vereinbaren sollen; sen, darüber zu reden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) aber das haben Sie nicht gesagt. Nehmen Sie deswe- Es macht keinen Sinn, den Menschen vorher etwas gen diesen Begriff bitte zurück, weil er ein falsches anderes zu sagen. Sonst arbeitet man mit unvereinba- Bild beschreibt. ren Prinzipien. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das haben Sie doch getan, nicht wir!) Wir werden weiter daran zu arbeiten haben. Darin stimme ich Ihnen ausdrücklich zu. Sie haben ja auch — Nein, Sie haben es hier getan. Der Bundeskanzler das Wort „nachverhandeln" , das ich gestern gelesen hat gesagt, er sei dafür, daß man offen mit den Part- habe, heute nicht gebraucht, sondern von „weiterar nern darüber spreche, daß man eine faire Vertretung Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1991 5809

Dr. Wolfgang Schäuble aller Mitgliedstaaten und der Bevölkerung ganz Euro- daß sie im Sinne unserer gemeinsamen Position viel pas im Europäischen Parlament wolle. erreicht hat und daß es nicht an der Bundesregierung (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — gelegen hat, wenn in Maast richt in den Punkten, in Freimut Duve [SPD] : Er ist damit nicht durch- denen nicht mehr erreicht werden konnte, was wir gekommen!) gemeinsam bedauern, nicht mehr erreicht werden konnte. —Also gut, dann will ich auch dazu einen Satz sagen. Im Hinblick darauf, was wir erreichen wollten und (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) was ein Stück weit nicht voll erreicht werden konnte, Ich bin der Meinung, wenn wir gemeinsam am eu- etwa was die Entscheidungsrechte des Parlaments an- ropäischen Haus weiterarbeiten wollen, müssen wir betrifft — das ist doch gar nicht streitig zwischen die Bedingungen, unter denen wir diese Arbeit zu lei- uns — , wäre es doch falsch gewesen, unsere Position - sten haben, bei Gelegenheit dieser Debatte genau for- vor Maastricht nicht klar zu vertreten. Sonst hätten Sie mulieren. der Bundesregierung zu Recht Vorwürfe machen kön- Auch in der gemeinsamen Außen - und Sicherheits- nen. Aber es macht doch keinen Sinn, wenn Sie nach politik hätten wir alle miteinander größere Schritte solchen Verhandlungen dann, wenn nicht hundert erwartet. Prozent von dem, was man als eigene Position vorher und während der Verhandlungen vertreten hat, er- (Hans-Ulrich Klose [SPD]: Na also! — Ing rid reicht wurde, zu kritisieren, man sei eingebrochen Matthäus-Maier [SPD]: Sollen wir Sie des oder man habe etwas nicht durchgesetzt. So kann man wegen loben?) keine Verhandlungen begleiten. Das ist kein ehrlicher — Ich sage doch gar nicht, daß Sie uns loben sollen. Umgang miteinander. Ich rede doch über die Probleme, die wir miteinander (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) zu besprechen haben. Deswegen müssen wir, wenn Sie mit uns am euro- In der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik päischen Haus wirklich weiterarbeiten wollen, auch müssen wir, was die Handlungsfähigkeit des verein- was die Möglichkeiten in solchen Verhandlungen an- ten Europa anbetrifft, auch über die Frage reden, was betrifft, ehrlich miteinander umgehen. der Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zu sein hat, um in einer gemeinsamen Außen- und Sicher- (Freimut Duve [SPD]: Bezweifelt ja keiner!) heitspolitik eines vereinten Europa handlungsfähiger Man muß vorher die Positionen klar vertreten und hin- zu werden, als wir es bisher gewesen sind. terher bereit sein, dazu zu stehen, daß von der eigenen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Position vielleicht nur 80 oder 90 % erreicht worden sind. Man darf das Ergebnis dann nicht mit solchen Da werden die Sozialdemokraten noch einige Bei- Begriffen wie „einknicken" oder „unter der Meßlatte träge zu leisten haben.

durchkriechen" diffamieren. Das macht keinen Wir werden in der gemeinsamen Innen - und Sinn. Rechtspolitik — ich will das heute nicht vertiefen — (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — über europäische Lösungen, etwa in der Asylpolitik, Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wofür sind wir in den nächsten Wochen miteinander zu sprechen da? Wenn nicht einmal die Opposition Sie auf haben. Auch da wird der Beitrag der Sozialdemokra- Ihre Mängel und Fehler aufmerksam ma- ten noch genauer zu definieren sein, als es bisher in chen kann?) den letzten Wochen möglich gewesen ist. — Was heißt „Mängel" und „Fehler"? (Peter W. Reuschenbach [SPD]: Ihr Zickzack kurs in dieser Frage ist nicht sehr überzeu (Hans-Ulrich Klose [SPD]: Was soll denn die gend!) Opposition Ihrer Meinung nach tun? Den Part „Lobhudelei" machen Sie doch selber! — Mein Kurs ist ziemlich klar. Sind wir nicht dazu da, weitergehende For- (Zuruf von der SPD) derungen zu stellen?) — Dann will ich es Ihnen noch einmal sagen: Wir — Einverstanden, Herr Klose. Darüber können wir brauchen in der Asylpolitik wie in anderen Politikbe- uns verständigen. reichen europäische Lösungen. Diese können nicht (Hans-Ulrich Klose [SPD]: Na also!) anders erreicht werden, als daß wir an der vereinbar- ten Zusammenarbeit, die jetzt in der ersten Stufe in- Wenn Sie den Eindruck haben, daß das, was ich hier tergouvernemental ist, vorbehaltlos teilnehmen. Ich mache, Lobhudelei sei, schlage ich Ihnen vor, daß Sie habe schon in der Haushaltsdebatte gesagt, daß ich frühere Reden von Ihnen noch einmal nachlesen. gerne möchte, daß wir vorbehaltlos miteinander re- (Freimut Duve [SPD]: Wir geben zu: Es ist den, mit dem Ziel, daß wir zu diesen europäischen eine verhaltene Lobhudelei! Das Lob ist ver- Lösungen kommen. Da wird Ihr Beitrag gefordert halten!) sein. Da können Sie zeigen, daß es Ihnen ernst ist, daß wir gemeinsam am europäischen Haus weiterarbeiten Ich bin auch dafür, daß wir über die Arbeitsteilung wollen. zwischen Regierung und Opposition durchaus ver- nünftig miteinander reden. Ich finde nur, daß es un- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge wahrhaftig ist, wenn man in der Bewertung des Er- ordneten der FDP) gebnisses von Maastricht nicht ausspricht, daß diese Mir ist bei der Bewertung und bei der Überlegung Bundesregierung ihre Positionen klar vertreten hat, dessen, was in Maastricht erreicht worden ist und was 5810 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1991

Dr. Wolfgang Schäuble an weiteren Arbeiten noch zu leisten sein wird, gele- haben. Dafür dankt die Fraktion der CDU/CSU der gentlich in Erinnerung gekommen, wie wir Anfang Bundesregierung, dem Bundeskanzler, dem Bundes- der 80er Jahre über die Lage in der Europäischen außenminister, dem Bundesfinanzminister. Gemeinschaft und den europäischen Einigungspro- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) zeß miteinander nachgedacht haben. Damals war viel von Eurosklerose die Rede. Manche Ergebnisse von Dieser historische Durchbruch ist in einer Zeit von Gipfeln, die auch mit vielen Erwartungen befrachtet besonderer Bedeutung, in der Osteuropa auf uns waren, sind noch kritischer und skeptischer betrachtet schaut, in der die Dritte Welt auf uns schaut und in der worden. Wenn wir es heute zurückschauend betrach- Entscheidendes davon abhängt, daß wir die Chancen, ten, dann stellen wir fest, daß es in dieser Regierungs- die sich durch den Wegfall von Mauer und Stachel- zeit gelungen ist, vieles an dynamischen Kräften im draht in Deutschland, durch den Wegfall des Eisernen europäischen Einigungsprozeß neu freizusetzen. Vorhangs in Europa, durch den Zusammenbruch des kommunistischen Imperiums ergeben haben, nutzen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- — Chancen, die der Welt ein dramatisches Tempo an ordneten der FDP) Veränderungen mit sich bringen. Wir brauchen viel Die Vereinbarungen, den europäischen Binnen- Kraft, um aufzufangen, was es an Veränderungen gibt, um neue Stabilitäten für ein Leben in Frieden markt ab 1. Januar 1993 Wirklichkeit werden zu las- sen — bei vielen Schwierigkeiten, die den Vereinba- und Freiheit zu schaffen. Dafür brauchen wir die Ein- rungen zunächst im Weg standen — haben gezeigt, heit der Europäer. Das ist das Gebot der Stunde, und daß durch die Irreversibilität, die Unumkehrbarkeit auf diesem Wege sind wir in Maastricht ein gutes dieses Prozesses dynamische Kräfte freigesetzt wor- Stück vorangekommen. den sind, die uns jetzt wirklich voranbringen. Ich füge Wir werden — hoffentlich mit Ihnen gemeinsam — übrigens hinzu: Bei der Vorbereitung auf den europäi- weiterarbeiten, damit dieses gut fundierte europäi- schen Binnenmarkt muß die sozialdemokratische Par- sche Haus auch in seiner Ausstattung nach innen und tei und die sozialdemokratische Fraktion — in Bund außen dem gerecht wird, was wir für die Zukunft un- und Ländern im übrigen — noch Beiträge leisten, serer Bürger brauchen. denn der Stand, den wir im Augenblick im Vermitt- (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und lungsausschuß bei der Unternehmensteuerreform der FDP) und beim Steueränderungsgesetz haben, erfordert natürlich auch noch ihre Beiträge. Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen Otto Graf Zurufe von der SPD) Lambsdorff das Wort. Es geht nicht, wenn jedermann weiß, daß die Mehr- wertsteueranhebung zum 1. Januar 1993 verbindlich Dr. Otto Graf Lambsdorff (FDP): Herr Präsident! kommen muß, dann eine Blockadepolitik mit der Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die FDP Mehrheit im Bundesrat zu machen. schließt sich dem mehrfach geäußerten Dank an den (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Bundeskanzler, den Bundesaußenminister und den Norbert Wieczorek [SPD]: Herr Waigel hat Bundesfinanzminister an. Es macht in meinen Augen sie doch herbeigeredet! Sonst wäre es doch wenig Sinn, als Meßlatte anzulegen, ob 100 % von nicht so gekommen! — Freimut Duve [SPD]: dem erreicht worden sind, was man sich vorgenom- Wer wollte denn hier nicht polemisieren?) men hat, oder nicht. Herr Bundeskanzler, Sie hatten sich die Meßlatte in der Tat sehr hoch gehängt, aber So kann man ein europäisches Haus nicht bauen. was hätte wohl die Opposition gesagt, wenn Sie sie Wenn wir im einheitlichen Binnenmarkt den Inve- ganz niedrig gelegt hätten stitionsstandort Bundesrepublik Deutschland wettbe- (Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU) werbsfähig halten wollen, ist die Unternehmensteuer- und leicht darüber hinweggehüpft oder — sagen reform ebenso dringend notwendig wie die Verbesse- wir — hinweggeschritten wären? rungen im Familienlastenausgleich. Deswegen bitte ich, in dieser letzten Debatte vor der Weihnachtspause (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der herzlich: Geben Sie bis Januar Ihre Blockadeposition CDU/CSU) auf. Herr Bundeskanzler, wir wären beide nicht gehüpft. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Das will ich hinzufügen. Zuruf von der CDU/CSU: Das war ein guter Die FDP ist trotz notwendiger kritischer Fragen zu Rat!) den Ergebnissen von Maastricht, die vor allem im Hin- blick auf die Fortschritte in der Politischen Union und Ich jedenfalls bin in der Bewertung von Maastricht zur Verstärkung der Rolle des Europäischen Parla- bei allem, was an weiteren Arbeiten zu tun bleibt ments gestellt werden müssen, der Überzeugung, daß — und es wird weiterhin viel Mühe kosten — , ganz Maastricht die Gemeinschaft auf dem Weg zur Euro- überzeugt — weil der Prozeß zur europäischen Eini- päischen Union einen wichtigen Schritt vorange- gung durch die Vereinbarungen von Maastricht nun bracht hat. Das ist das entscheidende Ergebnis dieser wirklich unumkehrbar geworden ist, genau wie der Tage. Weg zum einheitlichen Binnenmarkt Mitte der 80er Jahre unumkehrbar eröffnet worden ist —, daß wir (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) einen entscheidenden historischen Schritt auf dem Ich will nicht verschweigen, Herr Bundeskanzler, Weg zur europäischen Einheit in dieser Woche getan daß wir es bedauern, daß sich in den Texten kein ein- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1991 5811

Dr. Otto Graf Lambsdorff ziges Wort zur Integration der Reformländer Mittel- würde von den Wählern hinweggefegt werden; ganz und Osteuropas findet. Ohne daß wir diese Länder gleichgültig, welche Regierung dies wäre. integrieren, ohne daß wir ihnen die europäische Per- (Zuruf von der SPD: So ist das!) spektive bieten, werden deren Reformen nur schwer gelingen können. Aber Maastricht ist ja nicht das Herr Bundeskanzler, die Maßlatte dafür haben Sie sel- Ende der Geschichte. Dort, wo Defizite erkennbar ber gesetzt. Sie haben hier an dieser Stelle gesagt, die sind, kann nachgebessert werden. Die nächsten Re- D-Mark sei so etwa das Wertvollste, was wir haben. gierungskonferenzen — wenn weitere Länder der EG — Mit Recht! Das sehen auch unsere Bürger im Lande beitreten, kommen sie bald — geben Gelegenheit so. dazu, und die FDP wird darauf dringen, daß diese Das entscheidende ist deshalb, daß jetzt alle An- Gelegenheiten auch genutzt werden. - strengungen unternommen werden, damit die Vor- Der politisch entscheidende Punkt für uns Deutsche aussetzungen für die Währungsunion, die heute ja ist, daß in Maastricht vereinbart wurde, daß späte- nur wenige der Partner — nicht einmal wir selber — stens 1999 die D-Mark durch die neue europäische erfüllen, in möglichst vielen Ländern geschaffen wer- Währung abgelöst wird, vorausgesetzt, daß die Bedin- den. Nicht die Termine und schon gar nicht der Auto- matismus, der in letzter Konsequenz für den Eintritt in gungen dafür erfüllt sind. die dritte Stufe festgelegt wurde, sind hier wichtig. Ich schließe mich den Anregungen derjenigen an, Entscheidend ist die inhaltliche Entwicklung. die über die Namensgebung noch einmal nachden- Beim Automatismus, muß ich zugeben, habe ich ken wollen. Ich meine, wir sind hier noch nicht am deshalb auch die größten Probleme, auch wenn es ein Ende. bedingter Automatismus ist. Ich bin mit meiner Frak- tion der Meinung, daß die (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Nein, nein, Entscheidung über die Abschaffung der D-Mark von so entscheidender Be- auf keinen Fall!) deutung ist, daß sie in so langer Perspektive und ohne Es ist genau dieser Punkt, also die Erfüllung der das Parlament am Ende nicht getroffen werden Bedingungen, der bei den Bürgern in der Bundesre- kann. publik Ängste ausgelöst hat, für die ich viel Verständ- (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der nis habe. Ich kritisiere allerdings auch von dieser SPD) Stelle aus — ich habe es an anderem Platz schon ge- tan — die Medien, die diese Besorgnis drei Tage vor Der Bundesverband der Deutschen Industrie warnt Maastricht plötzlich erkannt haben. In ganzer Breite nicht zu Unrecht vor der Gefahr, daß die jetzt festge- wurde das zum Thema gemacht. Aber ich empfehle, schriebenen klaren ökonomischen Bedingungen für die Ängste der Bevölkerung ernst zu nehmen. Wir den Eintritt in die Endstufe unter dem Druck politi- müssen durch Überzeugung und durch Ergebnisse scher Vorgaben wieder aufgeweicht und letztlich darlegen, daß es unzulässig ist, die Frage der künfti- nicht erreicht werden könnten. gen europäischen Integration auf die Frage der Exi- (Zuruf von der SPD: Sehr richtig!) stenz oder Nichtexistenz der D-Mark zu verengen. Wir müssen unter Beweis stellen, daß der Weg zur Damit würden wir den Bürgern in Europa einen Währungsunion ein Weg zu einer europaweiten Sta- schlechten Dienst erweisen. Es sind aber noch neun bilitätsgemeinschaft ist, auf dem sich die Partner ver- Jahre Zeit bis dahin. In der heutigen Zeit brechen in pflichtet haben, einen marktwirtschaftlichen Kurs zu drei Jahren Weltreiche zusammen. Die deutsche Ein- verfolgen, ihre Währungen stabil zu halten und ihre heit kam in einem Jahr zustande. Was kann in neun Finanzpolitik solide zu gestalten. Wir müssen über- Jahren noch alles passieren? zeugen, daß Europa eine Wachstumsgemeinschaft Im Prinzip geht es um den alten Streit seit dem Haa- bleibt und daß für uns auf dem Weg zur Währungs- ger Gipfel von 1969, mit dem der erste Anlauf zur union die D-Mark nicht das gleiche ist wie der Gold- Wirtschafts- und Währungsunion unternommen klumpen des Hans im Glück im Märchen der Gebrü- wurde. Der scheiterte an den ökonomischen Fehlent- der Grimm. wicklungen der 70er Jahre. Bitte keine Illusionen! Wenn Europa entgegen dem erklärten Willen der Re- Meine Damen und Herren, wir sollten nicht verges- gierungschefs in der jetzt noch zur Verfügung stehen- sen: Die D-Mark steht für den Wiederaufbau der Bun- den Zeit nicht zur Stabilitäts- und Wachstumsgemein- desrepublik Deutschland nach dem Zweiten Welt- schaft zusammenwächst, dann werden auch die Ter- krieg. Sie steht für anhaltende Geldwertstabilität in mine und Automatismen von Maastricht überrollt einem Land, dessen Bevölkerung zwei fatale Hyper- werden. Keine Regierung, erst recht nicht die Bundes- inflationen in diesem Jahrhundert erlebt hat. Die regierung, könnte dann dieses Wagnis eingehen. D-Mark ist nicht durch künstliches Fördern, sondern aus innerer Stärke zur zweitwichtigsten Reservewäh- (Zurufe von der SPD: So ist es! Sehr rich rung der Welt geworden. Und nicht zuletzt ist auch tig!) den Bürgern in den neuen Bundesländern, die die D- Aber lassen Sie mich die Dinge bitte anders be- Mark so sehr herbeigesehnt haben, wohl nicht ganz trachten: Ich finde es beachtlich, zu welchen Ver- einfach begreiflich zu machen, daß sie diese Erfolgs- pflichtungen sich die Staaten der EG in der Frage der währung schon in wenigen Jahren wieder hergeben Währungsunion bekannt haben. Der inhaltliche und sollen. auch der institutionelle Teil des Vertrages stellen ech- ten Fortschritt dar. Eine Regierung, die die D-Mark aus der Hand gibt, ohne Gleichwertiges oder Besseres zu erhalten, (Beifall des Abg. Ulrich Irmer [FDP]) 5812 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1991

Dr. Otto Graf Lambsdorff Was man in Worten festlegen kann, das wurde festge- Aber Klarheit wäre auch wichtig für ganz prosai- legt: Verpflichtung auf die Stabilität, Unabhängigkeit sche Dinge: Wie sehen die Verträge aus für die künf- des künftigen Notenbanksystems, Verpflichtung zu tigen Präsidenten der Notenbank und die Zentral- einer soliden Finanzpolitik sowie die Festlegung kla- bankratsmitglieder? rer und vor allem strikter Kriterien. (Zuruf von der SPD: Minderheitenschutz!) Aber, meine Damen und Herren, jenseits der Worte liegen die Probleme, die man mit Vertragstexten nicht Unabhängigkeit erreicht man auch dadurch, Herr einfangen kann. Der Vertrag sieht Sanktionen vor, Kollege, daß die Verträge langfristig sind, daß sie gut wenn ein Land die Budgetdisziplin nicht einhält. Sehr bezahlt sind und daß es ordentliche Pensionen gibt, stark sind die Sanktionen nicht, Herr Bundesfinanzmi- damit niemand nach Hause schielen und bei seiner nister. Wie wird man sie durchsetzen können? Wäre es- eigenen Regierung Gefallen finden muß, um es ein- nicht vielleicht doch besser gewesen, auch die Mög- mal ganz simpel auszudrücken. Verständlicherweise lichkeit vorzusehen, jemanden, der gar nicht auf Kurs kann man darüber in dem Maastrichter Übereinkom- zu bringen ist, in letzter Konsequenz wieder aus der men nichts erfahren. Währungsunion auszuschließen? Meine Damen und Herren, eine Währungsunion Ein anderes Beispiel: Wir erleben in der Bundesre- setzt theoretisch nicht voraus, daß von den wohlha- publik gerade, daß Haushaltssalden auch gestaltbar benden Gebieten ein Transfer zu den weniger wohl- sind, ohne daß die Finanzströme deshalb solider wer- habenden Gebieten stattfindet. Politisch-praktisch den. Ich spreche von den Nebenhaushalten: Treu- sieht es aber ganz anders aus. hand, Reichsbahn, Post. (Zuruf von der SPD: So ist es!) (Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Wolf- Wir haben das am Beispiel der deutsch-deutschen gang Ullmann [Bündnis 90/GRÜNE] — In- Währungsunion erlebt. Das war zwangsläufig. Logi- grid Matthäus-Maier [SPD]: Schuldentöpfe! scherweise sieht das beschlossene EG-Vertragswerk — Zuruf von der SPD: Weiter so!) Derartiges auch vor. Kohäsion ist ja die neue, vor- — Meine Damen und Herren, was wir können, das nehme Umschreibung dafür, in die Tasche anderer können auch andere. Hier besteht europaweit Mani- Leute zu fassen. pulationsspielraum. Welche Vorkehrungen, Herr Bundesfinanzminister, wurden dagegen getroffen? (Beifall bei Abgeordneten der FDP) (Zuruf von der SPD: Hervorragend!) Gibt es für den zu schaffenden KohäsionsFonds ei- gentlich Grenzen? Was heißt es, daß die Absicht be- Was für Haushaltssalden gilt, das gilt auch hinsicht- kundet wird — ich zitiere aus dem Vertragstext — , ein lich der Gestaltung der Preisindizes. Wie ist sicherge- „größeres Maß an Flexibilität bei der Zuweisung von stellt, Herr Bundesfinanzminister, daß die Errechnung Finanzmitteln für besondere Bedürfnisse" vorzuse- der Preisindizes kompatibel erfolgt? Bisher ist das in hen? Oder was bedeutet die bekundete Absicht, die Europa nicht der Fall. „Höhe der Gemeinschaftsbeteiligung an Programmen (Zuruf von der SPD) und Vorhaben im Rahmen der Strukturfonds zu diffe- renzieren, um einen übermäßigen Anstieg der Haus- Für die Stabilität der D-Mark war und ist von ent- haltsausgaben in den weniger wohlhabenden Mit- scheidender Bedeutung, daß die Bundesbank in ihrer gliedstaaten zu vermeiden"? Angesichts solcher For- Politik von einem breiten gesellschaftlichen Konsens mulierungen müssen wir aufpassen, daß nicht zu tief getragen wurde, der sie in ihrer Unabhängigkeit be- in die Taschen der nördlichen Länder gegriffen stärkt hat. Die Unabhängigkeit der Notenbank hätte wird. in Deutschland nichts bewirkt, wenn nicht die Breite der Bevölkerung diese Unabhängigkeit gewollt hätte, (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Umschichten sie immer verteidigt hätte und wenn sie nicht stabili- im Haushalt! — Detlev von Larcher [SPD]: tätsbewußt wäre und nicht die Inflation scheute wie Sie sollen doch loben!) der Teufel das Weihwasser. Das ist die Stärke, die uns — Meine Damen und Herren, wenn Sie mir zurufen, die D-Mark gestützt hat. Aber das kann man in keinen man sei zum Lob aufgefordert, dann wiederhole ich: Vertrag hineinschreiben. Das ist ein wichtiger Schritt in Richtung auf die Euro- (Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Deshalb brau- päische Union. Aber es wird ja wohl noch erlaubt sein, chen wir die Politische Union!) im Parlament Fragen zu stellen, die der Aufklärung Ein solcher Konsens ist in vielen europäischen Staaten bedürfen. nicht oder nur unzureichend gegeben. Deswegen (Beifall bei der FDP, der SPD und dem Bünd müssen gerade wir gemeinsam darauf hinarbeiten. nis 90/GRÜNE — Detlev von Larcher [SPD]: Ich hoffe, daß dafür die Zeit von 1997 bis 1999 aus- Aber Sie werden dann der „historischen reicht. Stunde" nicht gerecht!) Es wäre ein ganz wichtiges Signal — Herr Bundes- — Das war schon eine historische Stunde! kanzler, Sie haben das erwähnt; Herr Bundesfinanz- minister, Sie haben früher schon davon gespro- Wir wollen, daß die europäische Integration erfolg- chen — , wenn die anderen Partner ihre Notenbanken reich weiter voranschreitet. Die Zukunft wird zeigen, in der Übergangszeit wirklich in die volle Unabhän- ob das Positive, das in diesem neuen Vertragswerk gigkeit entlassen würden. Das würde dazu beitragen, angelegt ist, Wirklichkeit wird. Das wäre wünschens- auch in deren Ländern das Gefühl zu stärken, daß eine wert, aber es erfordert noch erhebliche Anstrengun- unabhängige Notenbank wichtig ist. gen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1991 5813

Dr. Otto Graf Lambsdorff Es ist hier vom Europäischen Haus gesprochen wor- Deutschland müsse schleunigst wieder zur Stabilität den. Ich bin sehr für den Bau des Europäischen Hau- zurückfinden, wird gefordert. Klartext spricht auch ses, pflege aber hinzuzufügen: Ich wünsche mir im- der BDI: „Maastricht bringt keine guten Bedingungen mer eine nordamerikanische Einliegerwohnung in für den Erfolg der Währungsunion. " dem Europäischen Haus. Ich hoffe, es bleibt auch da- bei. Maastricht ist also nicht der große Durchbruch, noch (Beifall bei der FDP) weniger der historische Einschnitt für die größere Rolle Deutschlands geworden; aus unserer Sicht Der Weg dorthin lohnt; das Ziel lohnt. Deshalb sollten durchaus mehr Vorzug als Nachteil. wir uns auch auf den Weg machen. Die FDP, Herr Bundeskanzler, Herr Bundesaußen- Historische Einschnitte lassen sich ohnehin nicht minister, Herr Bundesfinanzminister, dankt noch ein- vorher ansagen. Jede wirklich große Aufgabe — die mal für das Ergebnis von Maastricht und wird Sie bei Bewältigung des Spannungsverhältnisses zwischen dieser Arbeit und auf diesem Wege weiter unterstüt- westeuropäischer Integration und osteuropäischer zen. Desintegration wäre eine solche — kann nur Schritt (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) für Schritt verwirklicht werden. Die Ergebnisse von Maastricht haben so keine angemessene Antwort auf die gewaltigen Herausforderungen für unseren Konti- Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und nent gegeben. Herren, ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen Hans Modrow. Dahinter verbirgt sich ein Problem grundsätzlicher Natur: Die Bundesregierung ist im ganzen Gerangel um die Änderung der Römer Verträge zunehmend der Dr. Hans Modrow (PDS/Linke Liste): Herr Präsi- Blick für die gesamteuropäische Perspektive verlo- dent! Meine Damen und Herren! Die Ergebnisse von rengegangen. Deshalb wird mit der Vertiefung der Maastricht verdienen tiefgründige, weitgehende westeuropäischen Integration, die mit den Beschlüs- Analyse. Ohne Zweifel haben sie Bedeutung für den sen von Maastricht ohne Zweifel eintreten dürfte, zu- weiteren Gang der Dinge in Europa. gleich der Weg in ein neues Europa gemeinsam mit Eine erste Prüfung der uns zur Verfügung stehen- den Staaten Mittel- und Osteuropas einschließlich der den Texte wie auch das, was der Bundeskanzler heute Nachfolgestaaten der Sowjetunion nur noch schwieri- dazu erläuternd gesagt hat, bringen jedoch nur wenig ger werden. von dem zum Vorschein, was der Kontinent heute wirklich braucht. Das kann gar nicht anders sein. Denn beherrschend war in Maastricht offensichtlich der Grundsatz, die Europa steht angesichts der fortgesetzten Rüstungs- Festung Westeuropas sturmfest zu machen und dabei politik und Streitkräftemodernisierung, der Existenz- in der eigenen Burg möglichst den Frieden zu wah- unsicherheit in einem Teil europäischer Staaten, an- ren. gesichts der dringend notwendigen hilfreichen Zu- sammenarbeit mit den ost- und südosteuropäischen Er dürfte auch die Erklärung dafür sein, daß trotz der Staaten sowie den Nachfolgestaaten der Sowjetunion großen Unterschiede, ja tiefgreifenden Gegensätze in und nicht zuletzt auf Grund des gespannten Verhält- den Positionen der Hauptbeteiligten in Maast richt die nisses zur Dritten Welt vor großen Herausforderun- Ergebnisse sowohl in Bonn als auch in London wie in gen. Darüber ist in den Dokumenten von Maastricht Paris als historischer Erfolg, ja als großer Sieg gera- wenig zu lesen, höchstens ist davon in den Tischreden dezu euphorisch gefeiert werden. Dabei zollen wir zu hören. dem zweitägigen Verhandlungsmarathon, dem sich Wer wie die Bundesregierung im Vorfeld von der Bundeskanzler und der Außenminister aussetz- Maastricht, wie heute mehrmals gesagt, die Meßlatte ten, durchaus Respekt. Aber wer hat nun den Pyrrhus- in Worten sehr hoch gelegt hat, muß sich jetzt nicht sieg davongetragen? — Von dem deutschen Junktim wundern, wenn seine Leistungen daran gemessen zwischen Währungs - und Politischer Union, das auf werden. Vielleicht war der Anlauf etwas zu lang und einen größeren politischen Handlungsspielraum der Atem dann etwas zu kurz. zielte, ist in Maastricht nicht viel übriggeblieben. Unbestritten ist jedoch, daß weitere Schritte auf Wie nicht anders zu erwarten, standen die Verein- dem Weg einer europäischen Wirtschafts- und Wäh- barungen zu einer gemeinsamen Sicherheits- und Mi- rungsunion getan wurden. Es muß aber zu denken litärpolitik im Mittelpunkt der Anstrengungen der geben, daß eine künftige Politische Union nach Belie- Bundesregierung. Das, was Maastricht dazu gebracht ben verlassen werden kann, wenn es das Verhand- hat, ist von großer Tragweite, auch wenn es erst in der lungskalkül oder innenpolitische Erfolgszwänge für Perspektive wirksam werden sollte. Ich meine vor al- geboten erscheinen lassen. lem das Streben nach einer gemeinsamen Militärpoli- Wie kann man das als unumkehrbar beurteilen? — tik, nach Ausbau der WEU zu einer militärischen Nicht nur die PDS/Linke Liste stellt diese Frage. Auch Organisation der EG, durch den in der Perspektive Kreise der deutschen Industrie und der Hochfinanz, ein neuer militärischer Westblock entstehen dürfte. Es die in dieser Sicht als unverdächtige Zeugen zitiert ist doch einfach anachronistisch, wenn nach der Auf- werden dürfen, beurteilen das Ergebnis von Maas- lösung des Warschauer Vertrages und nach dem Zer- tricht mit deutlicher Skepsis. So sieht der Präsident fall der Sowjetunion Sicherheit in Europa wieder na- des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, hezu ausschließlich militärisch definiert wird. Dr. Helmut Geiger, die größte Gefahr darin — ich zi- tiere —, „daß Politik und Geld nicht parallel laufen". (Stefan Schwarz [CDU/CSU]: Wo denn?) 5814 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1991

Dr. Hans Modrow Die neuen Risiken und Konflikte in Europa sind Aber Wesentliches ist dazu nicht geschehen. aber in erster Linie ökonomisch, sozial, ethnisch oder religiös begründet. Der Kern europäischer Sicher- Entgegen allen Versprechungen, sich in Maastricht heitspolitik müßte also ein ganz anderer sein: wirt- nur mit einer wesentlichen Stärkung des Europäi- schaftliche Entwicklung und Verflechtung sowie schen Parlamentes zufrieden zu geben, hat man völlig weitreichende und immer dichter werdende gegen- unzureichenden Entscheidungen zugestimmt. Die seitige Abhängigkeit — und das gegenüber dem vorgesehene Mitwirkung des Europäischen Parla- Osten wie gegenüber dem Süden. ments auf einigen wichtigen Politikfeldern ist eher ein durchlöchertes Feigenblatt für den weiterhin völlig Europäische Sicherheitspolitik bedeutet vor allem undemokratischen Aufbau der geplanten Union. Alle aktive Konfliktvorbeugung und vermittelnde Teil- wesentlichen politischen Entscheidungen werden nahme an ihrer friedlichen, nichtmilitärischen Lö-- auch künftig von den Exekutivorganen gefällt. sung. (Stefan Schwarz [CDU/CSU]: Wie damals bei (Dr. Rudolf Karl Krause [Bonese] [CDU/ der !) CSU]: Von demokratisch gewählten Exeku tivorganen!) Nicht über die Einsatzmöglichkeiten deutscher Trup- pen, ob als Kampftruppen oder als Blauhelme, sollte Dem Europäischen Parlament werden keine Initiativ man sich den Kopf zerbrechen. Sie hätten ohnehin nur rechte und keine Budgetrechte, also keine positive größere negative politisch-moralische sowie mate- Mitentscheidung, eingeräumt. rielle Folgen für unser Land und für Europa. (Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Wir sind Diese Bundesregierung, die die Zustimmung der doch froh, daß das bei der Stasi so viel demo europäischen Völker und Staaten zur f riedlichen kratischer war!) deutschen Wiedervereinigung erhalten hat, hätte ihre eigentliche Aufgabe in Maastricht darin sehen müs- Die Parlamentarier werden dadurch eher in die Ecke sen, die EG für eine gesamteuropäische Perspektive ständiger Neinsager gedrängt. stärker zu öffnen, sowohl in ökonomischer Hinsicht als auch im Hinblick auf ein nichtmilitärisches System (Rudolf Kraus [CDU/CSU]: Woher wissen Sie der Sicherheit und Entmilitarisierung in Europa. das? — Zuruf von der CDU/CSU: Reden Sie Nichts ist in dieser Richtung geschehen. mit Herrn Honecker!) (Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben gar — Herrn Honecker hätte man 1987 etwas mehr sagen keine Ahnung!) und nicht darauf warten sollen, daß man mir den Vor- — Sie werden sich, was diese Ahnung betrifft, in den wurf macht, was man zu irgendwelchen Zeitpunkten nächsten Jahren sicher zur Prüfung stellen. vergessen hat. So gesehen widerspiegelt das Agieren der deut- (Stefan Schwarz [CDU/CSU]: Das haben wir! schen Verhandlungsdelegation in Maastricht noch Lesen Sie die Rede des Bundeskanzlers nicht jenes neue Denken, das sich nun als erforderlich nach!) erweist. Völlig unverständlich ist, daß sich der Bundeskanz- Wir fordern eine offenere Zusammenarbeitsstrate- ler dazu bereit erklärt hat, die von den Außenmini- gie. Das wäre Solidarität, das wäre Vorsorge auch für stern bereits abgestimmten Vereinbarungen, den bis- die westeuropäische Zukunft. Das hieße, die EG wirk- herigen Beobachtern aus den neuen Bundesländern lich zum Kern und Motor gesamteuropäischer Zusam- volle Rechte im Europäischen Parlament einzuräu- menarbeit zu machen. Nach all dem, was auch heute men, noch einmal zu diskutieren. Hier, Herr Schäuble, zu hören war, werden die Ergebnisse von Maastricht möchte ich darauf verweisen: Es ist im Auswärtigen dafür nicht ausreichen und nichts Wesentliches bewir- Ausschuß mit aller Eindeutigkeit gesagt worden, die- ken. ser Erfolg sei erzielt worden, und zwar vor der Bera- Ein besonders kritisches Kapitel bleibt das Demo- tung in Maastricht. kratiedefizit in der Gemeinschaft. (Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Na (Zuruf von der CDU/CSU: Unerträglich! — und?) Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Von Ihnen die Sehnsucht nach Demokratie zu hören ist Es kann nichts anderes als eine Mitachtung der Bür- schon erstaunlich! — Dr. Otto Graf Lambs- ger in den neuen Bundesländern sein, wenn gerade in dorff [FDP]: Herr Modrow ist das Demokra- dieser Frage nachgegeben wurde, während man sich tiedefizit!) in anderen, z. B. in militärpolitischen Fragen oder bei Maastricht hätte eine gute Gelegenheit geboten, ge- der Schaffung gemeinsamer Verbände und gemein- rade diese Konstruktionsfehler der EG zu beheben, samer Rüstung, viel entschiedener durchboxte. und nach den dazu vom Bundeskanzler immer wieder Besonders schlecht ist das Ergebnis hinsichtlich der abgegeben Beteuerungen wäre das weitgehendst zu sozialen Dimension. Es ist deshalb nicht verwunder- erwarten gewesen. lich, wenn gerade das, wie z. B. bei den Gewerkschaf- (Stefan Schwarz [CDU/CSU]: Das Europäi- ten, auf heftige Kritik stößt. Dabei hätte man sich ge- sche Parlament hat mehr zu sagen als damals rade auf diesem Gebiet gewünscht, daß die Bundes- Ihre ! — Dr. Otto Graf Lambs- regierung zu ihren zuvor verkündeten Positionen ste- dorff [FDP]: Sie sind doch das personifizierte hen würde. Sie hat sich aber ohne einleuchtenden Demokratiedefizit!) Grund hier zu Kompromissen, ja zum Aufgeben be- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1991 5815

Dr. Hans Modrow kannt. Es ist doch geradezu grotesk, wenn elf Staaten, der auch die problematischen Seiten des Einigungs- allen voran die Bundesrepublik, den zwölften einfach prozesses beschrieben haben. aus den Bemühungen um mehr sozialen Schutz ent- Wird nun also bereits ein weiteres Ruhmesblatt für lassen und sich selber mit allgemeinen Absichtserklä- rungen aus der Pflicht nehmen wollen. den deutschen Bundeskanzler ins Geschichtsbuch ge- heftet? Ich denke, daß er und wir davon noch weit Ob an solchen Forderungen der Gipfel wirklich ge- entfernt sind. Trotz des verordneten Optimismus be- scheitert wäre — wie jetzt argumentiert wird — , darf trachten einige Kolleginnen und Kollegen aus der Re- zu Recht bezweifelt werden. Auf jeden Fall hätte eine gierungskoalition, die der Kanzler sicher nicht als no- klare Haltung der Bundesregierung den Interessen torische Nörgler ansieht, die Ergebnisse des EG-Gip- der künftigen Eurobürger mehr entsprochen, auch fels merklich differenzierter als er selbst. wäre sie ehrlicher gewesen. - Daß die Ergebnisse von Maastricht magerer ausf al- Nach dem Vorliegenden zu urteilen, wird jedes len würden, als manche hofften oder vorgaben zu hof- Weiterkommen in den Fragen einer Sozialunion und fen, war absehbar. Trotzdem sind Weichen gestellt insbesondere bei den Mitbestimmungsrechten der worden; soviel ist richtig an der Einschätzung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen blockiert. Es Bundesregierung. Daß dabei aber ein derartiges Un- bleibt deshalb unsere Grundforderung, die Sozial- gleichgewicht zwischen stabilitätsorientierter Wäh- union grundsätzlich mit dem gleichen Tempo und der rungsunion einerseits, Demokratisierung und Sozial- gleichen Intensität zu gestalten und auszubauen wie verträglichkeit andererseits entstanden ist, läßt nun die Wirtschafts- und die Politische Union; denn es allerdings erwarten, daß der Zug in die falsche Rich- wird niemals ein einiges Europa geben, wenn es nicht tung fahren wird. bewußt sozial gestaltet wird. Die — hinter halb vorgehaltener Hand — geprie- Ich komme zum Schluß: sene Taktik, mit Zugeständnissen an die währungs- (Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Bravo!) politische Strategie eine Stärkung der Rechte des Eu- Es kann und darf nicht darum gehen, um jeden Preis ropäischen Parlaments zu erzwingen, ist nicht aufge- nur eine kleine Gruppe besonders entwickelter Staa- gangen. Ich will nicht behaupten, daß sie gar nicht ten organisatorisch, wirtschaftlich und politisch zu- ernst gemeint war, obwohl angesichts der Schieflage sammenzuführen. Es geht um das ganze Europa, um zugunsten der Geldwertstabilität dieser Gedanke auf- alle seine Bürger. Es geht um die Verantwortung ge- kommen kann. Es bleibt auch in Zukunft so, daß die genüber den Ländern der Dritten Welt. Es geht immer Europäische Gemeinschaft etwa auf dem Stand des um Schicksale von Menschen, gleiche Lebenschan- Norddeutschen Bundes verharrt, was den Grad an cen, eine gerechte Sozialstruktur, um die Verantwor- demokratischer Kultur angeht: eine Vereinigung der tung für Benachteiligte und Schwache. Es geht um Oberen, nicht der Bürger und der Parlamente. echte Partnerschaft. Gerade davon aber sind die Er- Der Rat bleibt die einzige effiziente Kontrollinstanz gebnisse von Maastricht leider noch sehr entfernt ge- für die Kommission. Das Parlament erhält keine ge- blieben. staltende Aufgabe. Es begleitet Prozesse, die auf Re- (Beifall bei der PDS/Linke Liste) gierungsebene ablaufen und innerhalb der Ministe- rialbürokratien ausgehandelt werden. Die alten Pläne einer europaweiten Volksabstim- Meine Damen und Vizepräsident Helmuth Becker: mung über die Europäische Union tauchen nicht Herren, ich erteile jetzt dem Kollegen Gerd Poppe das mehr auf. Der viel zitierte Regionalausschuß hat le- Wort. diglich beratende Funktion. Bei einer Fortsetzung des bisherigen Kurses und der Verlagerung der Kompe- tenzen von den Ländern auf den Bund und von beiden Gerd Poppe (Bündnis 90/GRÜNE): Herr Präsident! gemeinsam nach Brüssel können wir bald auch unsere Meine Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat vor Vorstellung vom Förderalismus vergessen. zwei Tagen die Beschlüsse von Maastricht als riesigen Erfolg gefeiert. Heute war er nicht ganz so euphorisch; Die guten alten Zeiten der D-Mark allerdings wird da war von einem „tragfähigen Ergebnis " die Rede. man nach ihrem Verschwinden wohl lange in Erinne- Mit „Erfolg" ist wohl auch sein persönlicher Erfolg rung behalten. Nach wie vor habe ich den Eindruck, gemeint. daß der ökonomische Kraftakt, der mit der Einführung der gemeinsamen Währung verbunden ist, sträflich Vor etwas mehr als einem Jahr hat er die deutsche heruntergespielt wird. Wenn ich sehe, wie schwer es Einheit zustande gebracht, und inzwischen geht es, ist, im innerdeutschen Verhältnis die notwendige Soli- wie jeder weiß, keinem Menschen in Ostdeutschland darität zu mobilisieren, dann frage ich mich, wie dies schlechter als früher in der DDR. in westeuropäischem Maßstab geschehen soll. Es (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — kennzeichnet die Entscheidungsmethode des Euro- Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!) päischen Rates, die Schaffung einer Währungsunion — Das war nicht so ernst gemeint. — Solche Erschei- zu beschließen, die Errichtung eines Kohäsionsfonds nungen wie die Massenarbeitslosigkeit, die Entindu- zur Flankierung dieses Vorhabens aber lediglich an- strialisierung und das Erleben von Perspektivlosigkeit zukündigen, ohne den Mittelbedarf dafür zu nennen, bei vielen Jugendlichen, wovon hier gestern ausführ- womöglich ohne sich überhaupt Klarheit darüber zu lich die Rede war, können also nur Phantome sein verschaffen. oder dem Pessimismus der ewigen Schwarzmaler ent- Dies ist sträflicher Leichtsinn. Es ist auf westeuro- springen — wozu alle gezählt werden, die immer wie päischer Ebene ungefähr das gleiche, was die Bun- 5816 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1991

Gerd Poppe desregierung — auf die deutsche Vereinigung bezo- Was geschieht, wenn die Währungsunion in welt- gen — bereits vorexerziert hat. wirtschaftliche oder auch nur gesamteuropäische Tur- bulenzen geraten sollte? Diese Turbulenzen sind be- Es ist keineswegs sicher, daß die EG die ihr zuge- reits jetzt absehbar. Aber im Hinblick auf Osteuropa schriebene Rolle als Stabilitätsanker für ganz Europa haben die Verhandlungspartner in Maastricht die Au- wirklich erfüllen kann und ob nicht die Währungs- gen fest geschlossen, wenn man von der angekündig- union selbst zum Faktor der Instabilität wird. Sie wird ten Nahrungsmittelhilfe für die zerbrochene Sowjet- in Westeuropa Kräfte und Mittel binden, die für die union absieht. Unterstützung Osteuropas — ganz zu schweigen von den armen Ländern des Südens — viel dringender Schon bezogen auf den Beitritt Österreichs und benötigt würden. Schwedens tut sich der Europäische Rat schwer, wenn ich sein Ersuchen an die Kommission richtig interpre- (Dr. Rudolf Karl Krause [Bonese] [CDU/ tiere, dessen Auswirkungen auf die künftige Entwick- CSU]: Sie wird Kräfte freisetzen!) lung der Union zu prüfen. Dies hat um so mehr Bedeutung, als sich die EG seit eh Was aber ist von folgendem Satz zu halten, den ich und je mit ihrer sozialen Dimension schwertut. West- wörtlich zitieren möchte: „Der Europäische Rat hat europäische Sozialpolitik wurde immer schon als die Minister für auswärtige Angelegenheiten ersucht, möglichst zu vernachlässigendes Anhängsel des wirt- die Entwicklungen in Osteuropa und in der Sowjet- schaftlichen Zusammenschlusses behandelt. union im Hinblick auf die Ausarbeitung eines Kon- (Dr. Otto Graf Lambsdorff [FDP]: Unfug!) zepts für die Beziehungen zu neuen Staaten zu prü- fen." Was, meine Damen und Herren, würden Sie von Die Entstehungsgeschichte der Sozialcharta hat die einem Außenminister halten, der dies nicht auch ohne Schwierigkeiten in diesem Bereich zur Genüge offen- eine derartige Aufforderung täte? bart. Das eigentlich Schlimme ist aber, daß die EG ein Letztlich ist dieses nicht einmal einstimmig verab- solches Konzept immer noch nicht hat. Sie hat es nicht schiedete Dokument weit hinter den Zielsetzungen einmal, bezogen auf Polen, Ungarn und die CSFR. Der des Europäischen Parlaments zurückgeblieben. Die- Hinweis auf die Assoziierungsverträge mit diesen ses wollte darin einen umfassenden Katalog sozialer Ländern kann darüber nicht hinwegtäuschen. Grundrechte verankert sehen. Wohl hat man den Ka- talog der mit qualifizierter Mehrheit zu behandelnden Nicht der EG-Gipfel in Maastricht ist das gegenwär- Fragen etwas ausgeweitet, dafür aber gleichzeitig die tig wichtigste weltpolitische Ereignis, sondern das Rolle des Parlaments in sozialen Fragen beschnitten. endgültige Verschwinden der Sowjetunion von der Die Wirtschafts- und Währungsunion wird ohne wirk- politischen Landkarte. Die Ereignisse dort konfrontie- same sozialpolitische Flankierung die ärmeren Regio- ren uns mit einem Ausmaß von Problemen und mög- nen Europas noch stärker ins Abseits drängen. lichen Gefahren, wie wir seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gesehen haben. Nur eine kleine Auswahl: (Peter Kittelmann [CDU/CSU]: Das ist erst ökologische Schäden, die zur Verwüstung riesiger einmal nur eine Behauptung!) Landstriche geführt haben, eine gigantische Wirt- — Ja, und Sie haben bisher nichts anders als eine schaftskrise und soziales Elend für Millionen. Davon Gegenbehauptung aufgestellt. sind allein im europäischen Teil der ehemaligen So- wjetunion so viele Menschen betroffen, wie Deutsch- Von der Idee eines sozialen Europa sind wir trotz land, Frankreich und die Beneluxländer zusammen der Sozialcharta weit entfernt. Soziale Grundrechte Einwohner haben. umfassen im übrigen auch mehr als die dort formulier- Wir erleben gleichzeitig, wie die Menschen hier auf ten Arbeitnehmerrechte. Notwendig wäre auch die diese Entwicklung einerseits mit Mitleid und Hilfsbe- Festlegung von sozialen Mindeststandards, und zwar nicht nur für den Bereich der Arbeitswelt, sondern reitschaft, anderersetis aber auch mit zunehmender Angst reagieren. Die Verunsicherung wächst. Erst ko- auch für die Existenzsicherung. stet die deutsche Einheit Milliarden, dann bricht die Ein soziales Europa nach unserer Vorstellung Sowjetunion zusammen — wieviel mag das erst ko- würde natürlich die Bereitschaft zum Teilen voraus- sten —, und schließlich nimmt uns der Kanzler noch setzen. Dazu aber fehlt offensichtlich der politische die D-Mark weg. Wille. (Lachen bei der CDU/CSU) Vorhanden ist ein solcher Wille aber ganz offenbar — Ich spreche von den Ängsten und Befürchtungen Asylrechtsregelung auf dem Um- dazu, die deutsche vieler Menschen in der heutigen Bundesrepublik, die weg über die sogenannte Harmonisierung innerhalb dies immer wieder zum Ausdruck bringen. Sie haben der Union auszuhebeln. Unsere Ablehnung einer sol- ihnen bis jetzt nicht mit hinreichender Klarheit gesagt, chen Politik haben wir schon oft kundgetan. Wir for- wie es eines Tages wirklich aussehen wird. dern die Bundesregierung erneut auf, sich für eine europäische Asylrechtsregelung einzusetzen, deren In dieser Situation setzt der Gipfel von Maastricht Maßstab das gültige Asylrecht der Bundesrepublik das falsche Zeichen. Er gaukelt den Menschen vor, gemäß Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes ist. Dessen wir könnten die Probleme Westeuropas lösen, ohne versuchte Aushöhlung im Zusammenhang mit der un- auf den Osten Rücksicht zu nehmen. Dieser wird mit zureichenden sozialen Absicherung und der nach vagen Versprechungen abgespeist. Ein ernsthaftes Osten und Süden blinden Währungspolitik der EG Angebot zu politischer und wirtschaftlicher Zusam- läßt in der Tat nicht viel Gutes von der Europäischen menarbeit gibt es nicht. Das richtige Signal wäre ge- Union erhoffen. wesen, sich zu einer gemeinsamen Verantwortung für Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1991 5817

Gerd Poppe das Schicksal ganz Europas zu bekennen, rein west- daß er mich gefragt hat, obwohl er genausogut den europäische Probleme zurückzustellen und über die Außenminister hätte fragen können. Reformstaaten Polen, CSFR und Ungarn hinaus den (Zustimmung bei der CDU/CSU) baltischen, den südosteuropäischen und den neu ent- stehenden Staaten eine dem jeweiligen Stand der de- Aber das ist anscheinend das Spiel über Bande beim mokratischen Entwicklung entsprechend abgestufte Billard, und ich bin dazu gern bereit. Perspektive im Rahmen eines europäischen Gesamt- Ich würde Sie, Graf Lambsdorff, bitten, den Rat, ein konzepts zu eröffnen. Herz aus Stein zu haben, auch Ihren Kollegen im Bun- Der Weg, der in Maastricht eingeschlagen wurde, deskabinett zu geben. Denn wenn es um Anforderun- wird auf der einen Seite die Menschen weiter verun- gen und ähnliches mehr geht, reagieren die keinen Deut anders als die Kollegen aus der CDU oder aus sichern und auf der anderen Seite ein hilfloses Krisen- - management bewirken, dessen Unzulänglichkeit sich anderen Parteien. schon in Jugoslawien und während des Putsches in (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das haben der Sowjetunion zeigte. Schlimmstenfalls wird dieser wir gar nicht gewußt!) Weg zur Aufrüstung und zur militärischen Verteidi- gung Westeuropas gegen das aus dem Osten und dem — Entschuldigung, Graf Lambsdorff hat mich gefragt, Süden heranstürmende Elend führen. und ihm möchte ich jetzt antworten. Sie gehören der FDP doch nicht mehr an. Wenn wir, meine Damen und Herren, einem sol- chen Unglücksszenario in unseren Prognosen keinen (Heiterkeit — Beifall bei der CDU/CSU — Platz einräumen wollen, so bedarf es einer konstruk- Peter Kittelmann [CDU/CSU]: Aber viel tiven Erneuerung europäischer Politik. Diesem ho- leicht will sie wieder dorthin zurück!) hen Anspruch ist Maastricht nicht gerecht gewor- Es gibt, Graf Lambsdorff, wie Sie wissen, keinen den. Konvergenzfonds — das ist sehr wichtig — , es gibt (Beifall beim Bündnis 90/GRÜNE und bei keinen abstrakten Finanzausgleich. Aber es wird ei- der PDS/Linke Liste) nen Kohäsionsfonds geben, über dessen Ausstattung wir im nächsten Jahr im Zusammenhang mit den Ge- samtverhandlungen über Finanzfragen sprechen wer- den, mit den Fazilitäten beim Umweltschutz und bei

Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Nunmehr der Verkehrsinfrastruktur. erteile ich das Wort dem Bundesfinanzminister Was nun die Europäische Zentralbank und ihre Dr. Theo Waigel. Unabhängigkeit anlangt, so lehrt ein Blick in den Ver- trag, daß der Präsident und die Vizepräsidenten auf acht Jahre bestellt werden. Ich glaube, das entspricht den Anforderungen. Und: Die Bezahlung ist in Europa Dr. Theodor Waigel, Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und meist auskömmlich; aber darüber wird noch zu reden Herren! Ich möchte zunächst zu zwei Bemerkungen sein. Ich habe darüber bisher relativ wenig Klagen der Frau Kollegin Matthäus-Maier etwas sagen. gehört. Trotzdem werden wir uns Ihrer Sorgen um die auskömmliche Bezahlung dieser Damen und Herren Was die Bemerkung angeht, der Bundeskanzler sei gern annehmen. unter der Meßlatte durchgekrochen: Das ist völlig ausgeschlossen. Das stimmt nicht und ist auch gar (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) nicht möglich. Was nun das Ausscheiden eines Landes aus dem (Heiterkeit — Beifall bei der CDU/CSU — Bereich anlangt, wenn es ihm schon einmal angehört Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Da traue ich hat, so will ich doch darauf hinweisen, daß in erster dem Kanzler mehr zu als Sie, Herr Waigel!) Linie, wenn es eben keinen abstrakten Finanzaus- gleich gibt, das Land selber den Schaden hat: einen — Nein, es entspricht nicht seiner Art und Weise, Schaden in Form von verminderter Wettbewerbsfä- irgendwo durchzukriechen, und es geht auch nicht. higkeit und einen Schaden in Form höherer Arbeits- (Erneute Heiterkeit) losigkeit. Was den Sitz der Europäischen Zentralbank an- In einem habe ich mich — das gebe ich gerne zu — langt: Mehr, als wir getan haben, und stärker, als wir geirrt: Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß dafür gefochten haben, konnte man es nicht tun. Ich einzelne Länder in den letzten fünf bis zehn Jahren lade Sie herzlich ein, auch bei Ihren Kolleginnen und eine solche Stabilitätspolitik erfolgreich durchgeführt . Kollegen in Europa, bei den Sozialisten und Sozial- haben. Das betrifft Frankreich, Dänemark, aber auch demokraten, dafür zu werben, daß wir dabei erfolg- Spanien und andere. Ich glaube nicht, daß diese Län- reich sind. der, die unter so großen Opfern Stabilität herbeige- führt haben, diese Stabilität mit so großen Schäden (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) aufs Spiel setzen würden. Wir müssen hier noch eine Menge an Überzeugungs- (Beifall bei der CDU/CSU) arbeit leisten. Diese „surveillance", dieser ganze Willensbil- Ich darf auch zu den Fragen, die Graf Lambsdorff an dungsprozeß ist höchst wirksam und hat sich auch mich gestellt hat, teilweise Stellung nehmen. Ein biß- — ohne Konditionen, ohne einen Statut — bei den chen war es ja scheinheilig, G-7-Treffen als wirksam erwiesen. Wer hätte es für (Zurufe von der SPD: Oh!) möglich gehalten, daß es durch diese Absprachen der 5818 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1991

Bundesminister Dr. Theodor Waigel G 7 gelingen würde, durch eine abgestimmte Wirt- Gepflogenheiten bei der Ausgabe und Gestaltung von schafts- und Finanzpolitik — bei allen Fehlern, die es Banknoten. Es ist z. B. — ich gebe das als Anre- da noch gibt — eine so lang andauernde Wachstums- gung — denkbar, eine Seite der Banknoten mit den phase der Weltwirtschaft zu erreichen? europäischen Symbolen und die andere entsprechend den nationalen Traditionen zu gestalten. (Zuruf des Abg. Dr. Norbert Wieczorek [SPD]) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und — Ich sage ja: Dort haben wir das Statut nicht, und der FDP) trotzdem hat diese abgestimmte Politik jedenfalls uns Schon heute gibt es z. B. in Schottland regionale bisher sehr genützt. Pfundnoten. Auch nach unseren Vorstellungen sollen die Deutschen die Tradition ihrer Währung auf den Eines, Graf Lambsdorff, sollten wir, glaube ich, dar-- aus lernen: Wo immer man Stabilitätspolitik machen künftigen Banknoten wiederfinden. will, sind Ampelkoalitionen der falsche Weg dazu. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Ich möchte bei dieser Gelegenheit allen danken, die ordneten der FDP — Lachen bei der SPD und in den letzten Tagen und Wochen von ihrer persönli- dem Bündnis 90/GRÜNE — Ing rid Mat- chen oder politischen Autorität her dazu beigetragen thäus-Maier [SPD]: Das ist aber polemisch!) haben, diesen wichtigen, weit über die Parteien hin- — Jetzt macht sich die Frau Matthäus-Maier Sorgen, ausgehenden Schritt zu begleiten. ich sei zu Ihnen zu polemisch, Ich habe mich über das gefreut, was der frühere (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP — Bundeskanzler Helmut Schmidt in der letzten Woche Lachen bei der SPD und dem Bündnis 90/ in einem Interview der „Bild"-Zeitung gesagt hat. Ich GRÜNE) habe ihm ein Telegramm geschickt und ihm dafür gedankt und meinen Respekt vor dieser Haltung aus- in einem fast wehleidigen Ton. Ich bin wirklich zu gedrückt. Tränen gerührt, Frau Matthäus-Maier. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge (Detlev von Larcher [SPD]: Ein Taschen- ordneten der FDP) tuch!) Es ist ein wichtiger Dienst, den hier politische Persön- — Ja. Aber ich kann es jetzt nicht hinüberreichen. lichkeiten mit Autorität tun, um das Vertrauen der In Maastricht wurde zur Wirtschafts- und Wäh- Menschen in einen so wichtigen Schritt in die Zu- rungsunion das beschlossen, was wir zuvor in Brüssel kunft, an dem wir alle, wie die heutige Debatte ge- und in vielen Sitzungen der Regierungskonferenz im zeigt hat, existentiell interessiert sind, positiv zu be- Kreis der Finanzminister, der Stellvertreter und der gleiten. Ich bitte alle, das auch künftig zu tun. Verantwortlichen von den Notenbanken erarbeitet Ich habe schon in der vorigen Woche gesagt — und hatten. nach dem konkreten Gipfel können wir es bestäti- Der Gipfel von Maastricht hat es bestätigt: Wir brin- gen — : Die D-Mark wird nicht verschenkt, und sie gen die deutsche Währungsordnung nach Europa. Es wird schon gar nicht verraten. Es gibt auch keinen geht um den Aufbau einer stabilen, wirtschaftsstarken Währungsschnitt und keine Währungsreform. Es ist und dynamischen Europäischen Gemeinschaft. Diese nicht vergleichbar mit der Sorge der Menschen 1948. Gemeinschaft kann nur entstehen, wenn wir unser Es ist auch nicht vergleichbar mit der deutschen Wäh- größtes wirtschaftspolitisches Kapital, unsere Wäh- rungsunion, wo eine starke Währung eine schwache rung, nach Europa bringen. Währung übernommen hat. Vielmehr kommen nur starke Währungen zusammen und schaffen eine Sta- Wir nehmen die Sorgen und Ängste der Menschen bilitätsgemeinschaft, wie es sie noch nie gegeben ernst. Wir sollten den Menschen aber nicht Angst ein- hat. jagen und nicht die Tatsachen auf den Kopf stellen. Zahlreiche europäische Währungen, auch außer- (Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Sehr halb des EWS, haben in den vergangenen Jahren am wahr! — Detlev von Larcher [SPD]: Tut ja deutschen Stabilitätsanker festgemacht. Das hat für keiner!) uns Vorteile, aber auch zusätzliche Belastungen und Wir werden in der Tat jeden Spielraum nützen, um Verantwortung mit sich gebracht. Jetzt erhält der auch das Symbolhafte und das Psychologische zu be- ganze Stabilitätsgeleitzug den besten und sichersten rücksichtigen. Flankenschutz, der überhaupt vorstellbar ist. Wir schaffen mit der Europäischen Wirtschafts- und Wäh- Wir werden die Frage der Gestaltung der künftigen rungsunion eine transnationale Währungs- und Fi- europäischen Münzen und Geldnoten sorgfältig prü- nanzverfassung, für die es in der Geschichte der Be- fen. Der Vertrag schreibt für die Schaffung der neuen ziehungen zwischen den Völkern kein Vorbild gibt. Zahlungsmittel kein festes Datum vor. Durch die Währungsunion wird es in Deutschland und (Detlev von Larcher [SPD]: Aha!) in Europa noch mehr Stabilität und Sicherheit geben Der Beschluß legt nur die endgültige Fixierung der als bisher. Wechselkurse auf spätestens 1999 fest. Bei der Gestal- Im bisherigen Währungsverbund war nur die Bun- tung der Geldscheine und Münzen bleibt Spielraum. desbank völlig unabhängig und gesetzlich auf das In Art. 16 des Europäischen Währungsstatus heißt es: Ziel der Geldwertstabilität verpflichtet. Jetzt müssen Die Europäische Zentralbank berücksichtigt bei der die anderen Länder schon in der zweiten Stufe ihre Ausgabe der Zahlungsmittel so weit wie möglich die Zentralbanken in die Unabhängigkeit entlassen. Der Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1991 5819

Bundesminister Dr. Theodor Waigel Bundeskanzler hat darauf hingewiesen, was das für Ich will eines sagen: Durch die Wirtschafts- und die Tradition der anderen bedeutet. Wenn man sich Währungsunion wird es große Vorteile geben. Die bei uns fragt, was wir vielleicht aufgeben, sollte nicht Wirtschafts- und Währungsunion ist kein Handelsge- vergessen werden: Die Frage, wer was aufgibt, ist für schäft. Sie ist ein Stabilitätspakt. Wir zahlen keinen die anderen Länder mit Sicherheit viel gravierender Preis. Die D-Mark ist vielmehr der Grundstock einer als für Deutschland. gemeinsamen Währung, die zu einem tragenden Pfei- ler der Gemeinschaft wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir bauen einen Währungsraum, der gleichberech- Und die anderen verfügen sicher nicht über weniger tigt neben der Dollar- und der Yenzone stehen wird. stolze Traditionen im Bereich der Ökonomie und der Europa wird nicht Objekt, sondern Subjekt der Welt- Geldwertstabilität. wirtschaft sein. Wenn diese größte Stabilitätsaktion, Die Unabhängigkeit der Europäischen Zentral- die es seit 1949 überhaupt gegeben hat, greift, dann bank ist durch völkerrechtlichen Vertrag unverrück- werden damit Ressourcen frei, dann wird damit Kapi- bar verankert, während die Unabhängigkeit der Deut- tal frei, das wir für Investitionen, für Arbeitsplätze, für schen Bundesbank nur in einem Bundesgesetz gere- Forschung, für die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber gelt ist. Es gibt auch kein Vetorecht der Regierungen Japan und auch für soziale Verbesserungen gegen- mit aufschiebender Wirkung, wie es das Bundesbank- über den Menschen in Europa besser nutzen können gesetz vorsieht. als zur Zeit, wo wir es für die Beseitigung von Investi- tionshemmnissen ausgeben müssen. Das Statut der Europäischen Zentralbank entspricht (Beifall bei der CDU/CSU) uneingeschränkt den deutschen Regelungen: un- zweideutiger Stabilitätsauftrag, völlige Unabhängig- Meine Damen und Herren, zur Kohäsion habe ich keit, keine Notenbankfinanzierung der Staatshaus- das Notwendige gesagt. halte, ein starkes Direktorium, auf acht Jahre unab- Lassen Sie mich am Schluß betonen: Die Idee Eu- setzbar, identische geldpolitische Instrumente. Und ropa reicht über das Ökonomische hinaus. Europa weiter Handlungsspielraum auch bei der äußeren muß zum entscheidenden Eckpfeiler, zum Orientie- Währungssicherung. rungspunkt unseres Kontinents werden. Wir geben Es gibt keine Grauzone, es gibt keine Mischfunk- den Völkern ein Vorbild für ein friedliches Zusam- menleben. tion in der zweiten Stufe. Es gibt klare Kriterien für die Haushaltsdisziplin — stärker, als sie unser Verfas- Konrad Adenauer hat am 21. September 1949 an- sungsrecht und unser Haushaltsrecht vorsehen. Es läßlich der Verkündigung des Besatzungsstatuts im sind bessere Kriterien als bei uns. Selbst Art. 115 des alliierten Hauptquartier auf dem Petersberg die Per- Grundgesetzes haben wir auch noch als eine goldene spektiven eines künftigen Europa beschrieben: Regel in den Katalog dieser Konvergenzkriterien ein- Wenn wir zurückfinden zu den Quellen unserer gebracht. europäischen Kultur, die aus dem Christentum (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- entspringt, muß es uns gelingen, die Einheit des ordneten der FDP) europäischen Lebens auf allen Gebieten wieder- herzustellen. Dies ist die allein wirksame Garan- Meine Damen und Herren, noch eines ist erreicht tie für die Erhaltung des Friedens. worden: Wer die Haushaltsdisziplin nicht verwirk- Dieser Entwurf der Zukunft von damals wird heute licht, wer Preise und Zinsen nicht unter Kontrolle be- und in diesem Jahrzehnt Realität. Maastricht ist mehr kommt, bleibt außerhalb der Währungsgemeinschaft. als eine Hoffnung oder ein Versprechen; es ist die Wer Stabilität nicht erreicht, darf in der Zentralbank Entscheidung der Europäer, zusammenzustehen und nicht mitbestimmen. Es gibt keinen Automatismus. ihren Auftrag und ihre Verantwortung wahrzuneh- Wir haben in Wahrheit alle Sicherungen an der rich- men. An diesem entscheidenden Schritt hat das einige tigen Stelle angebracht. Deutschland großen Anteil. (Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU] : So ist Ich danke Ihnen. es!) (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der Wenn es einen Automatismus gibt, dann den zur FDP) Stabilität und zum wirtschaftlichen Erfolg; denn die Wirtschafts- und Währungsunion wird es bis Ende dieses Jahrzehnts nur geben, wenn Stabilitätspolitik Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Das Wort überall wirksam ist. Wenn Stabilität erreicht wird, hat der Abgeordnete Dr. Wieczorek. muß auch die Union kommen. Aber wir werden eher mit einer kleinen Gruppe von Ländern beginnen, als nur ein Jota von den Eintrittsbedingungen abzuwei- Dr. Norbert Wieczorek (SPD): Herr Präsident! Liebe chen. Kolleginnen und Kollegen! Der Bundeskanzler und auch der Finanzminister haben einige Schwierigkei- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ten, Maastricht als großen Erfolg darzustellen; so ordneten der FDP) recht gelingt das nicht. In den Reden war doch schon Es bleibt auch dabei: Kein Termin ersetzt die Kon- so eine gewisse defensive Stimmung erkennbar. vergenzbedingungen, kein Termin ersetzt die Krite- Herr Kollege Schäuble war ja in seiner übertriebe- rien. Sie bleiben bis zum Schluß die dominante, objek- nen Reaktion auf Kritik von uns ebenfalls bemerkens- tive Bestimmung für das, was geschieht. wert. Hängt das vielleicht damit zusammen, daß die 5820 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1991

Dr. Norbert Wieczorek Ihnen in bestimmten Bereichen sonst so nahestehen- lichkeit durch die Hintertür leider doch eine Grauzone den Zeitungen diesmal doch sehr kritisch sind? hineingekommen, auch wenn der Vertrag sie nicht vorsieht. (Stefan Schwarz [CDU/CSU]: Der „Spiegel" z. B.!) Man hat immer gesagt, die Phase II, in der das Euro- päische Währungsinstitut arbeitet, muß sehr kurz Das scheint mir fast so. sein. Aber jetzt haben wir aber einmal einen Termin Ich möchte eines sehr deutlich sagen, damit wir uns 1997 und einmal einen Termin 1999. So schön hinrei- da richtig verstehen. Ich halte gar nichts von den Tata- chend ist das jetzt nicht mehr definiert, wie einmal renmeldungen der Boulevardpresse. Es ist einfach un- gewünscht. sinnig, zu sagen, daß nur die D-Mark eine harte Wäh- Das führt mich zu einem zweiten Punkt. Vor Maas- - rung sein könne und eine europäische Währung tricht hieß es immer auch hier in diesem Hause in allen nicht. Wir sollten aber die Sorgen, die dahinterstehen, Debatten von allen Seiten, daß kein Land gezwungen ernst nehmen, Graf Lambsdorff. Wir müssen Aufklä- werden dürfe, der einheitlichen Währung beizutre- rung leisten. Nur, so wie die D-Mark zur Stabilität und ten. Jetzt ist aber für 1999 ein Automatismus festge- auch zur Identität in Deutschland beigetragen hat, schrieben, der letztlich von statistischen Größen ab- kann dies auch eine europäische Währung im euro- hängt. Die „Frankfurter Allgemeine" hat am 11. März päischen Einigungsprozeß leisten. Darin besteht Ge- dazu geschrieben — ich zitiere — : meinsamkeit, glaube ich. Das ist mehr als eine protokollarische Merkwür- (Beifall bei der SPD) digkeit. Hier wird zweierlei erkennbar: der Wille Aber das enthebt nicht der Verpflichtung, sich nä- zu einem festen Fahrplan und die Ahnung von her damit auseinanderzusetzen, was in der seriösen der Vorläufigkeit aller Planungen. Fachpresse und in den Stellungnahmen etwa der Spit- Das erinnert mich sehr an das, was Graf Lambsdorff zenverbände der deutschen Wirtschaft, gestern im vorhin gesagt hat. So weit ist das wirklich nicht von- „Handelsblatt" nachzulesen, angesprochen worden einander entfernt. ist. Bei der Schärfe der Kriterien kann es durchaus pas- Man wird die Vereinbarung also mit Nüchternheit sieren, daß nur eine kleine Minderheit von Ländern prüfen müssen. Währungspolitik ist kein Gebiet, in 1999 die Voraussetzungen erfüllt. Dazu muß noch dem mit rosarotem Optimismus gearbeitet werden nicht einmal die Bundesrepublik gehören. Wenn es kann, sondern nur mit sehr nüchterner Risikoabschät- aber nur eine kleine Zahl von Ländern ist, dann ist das zung. Dabei geht es auch nicht um historische Mo- nicht nur ein absurdes Ergebnis, sondern noch viel mente oder etwas Ähnliches, sondern es muß am Ende schlimmer. Es wäre ein Sprengsatz für den Zusam- funktionieren. Es ist sicher richtig — da möchte ich menhalt der gesamten Europäischen Gemeinschaft, dem Finanzminister beipflichten — , daß die Kon- wenn eine Minderheit von Ländern die dominierende struktion der Europäischen Zentralbank unseren neue Währung beherrscht, die anderen Länder in Ab- Vorstellungen weitestgehend entspricht. Das gilt al- hängigkeit davon geraten und eben zugleich in ande- lerdings nur eingeschränkt für das EWI. In bezug auf ren Bereichen der EG auch diese Länder ihren Einfluß dieses besteht zwar ebenfalls große Übereinstim- geltend machen können. Wir wissen doch, daß in der mung; aber einige Punkte sind doch ein bißchen zu EG häufig Birnen gegen Äpfel gehandelt werden. Das hinterfragen. darf natürlich im Bereich der Stabilitätsanforderung Erstens. Bei den Empfehlungen des Europäischen bei der Währungsunion nicht passieren. Währungsinstituts in der Vorbereitungsphase für die (Beifall bei der SPD) Gestaltung der endgültigen Währung werden alle EG-Länder ein volles Mitspracherecht in bezug auf Die an und für sich sehr lobenswerte Absicht, den die Gestaltung der dritten Stufe, also die endgültige Ländern mit Anpassungsschwierigkeiten Zeit für ih- Währungsunion, haben. Nun ist zwar diese Empfeh- ren Beitritt zu geben, verwandelt sich durch diesen lung nicht verbindlich; aber machen wir uns doch Automatismus in eine gefährliche neue Qualitätsstufe nichts vor: Diese Empfehlung wird dann die entschei- des Einigungsprozesses, in einen Weg der zwei Ge- dende Verhandlungsgrundlage 1996 oder 1998 sein. schwindigkeiten, der zwangsweise ist. Ich kann davor nur warnen. Dies ist auch keine düstere Prognose; Zweitens. Das Europäische Währungsinstitut erhält denn sie beruht ja auf der Realität der Entwicklungs- von den Mitgliedsländern das Recht, freiwillig Wäh- stände, die wir heute in den EG-Ländern haben. rungsreserven zu verwalten. Dabei muß es sich dann zwar jeweils mit der betroffenen Zentralbank abstim- Das macht sich erstens deutlich bei dem Konver- men; aber ich werde sehr stutzig, wenn Frankreich, genzkriterium: Höhe der öffentlichen Verschuldung, das ja für das europäische Währungsinstitut immer gemessen am Bruttosozialprodukt. Die Länder Bel- eine eigenständige Währungskompetenz verlangt gien, Italien, Irland, Griechenland und in geringerem hat, jetzt ganz plötzlich erklärt, es sei bereit, dem Insti- Maße sogar die Niederlande liegen heute zum Teil tut freiwillig Währungsreserven zur Verfügung zu bereits sehr weit über der Grenze von 60 % des öffent- stellen. Da ist doch ein Konflikt vorprogrammiert. Was lichen Schuldenstandes. Es ist völlig unrealistisch, an- ist denn, wenn dieses Währungsinstitut mit französi- zunehmen, daß diese Länder bis 1997 oder 1999 die- schen Währungsreserven gegenüber dem Dollar in sen Stand tatsächlich erreichen. Dies ginge nur mit die Märkte eingreift? Muß es sich dann wirklich vor- einer massiv deflatorischen Politik, die von sozialen, her mit der Bundesbank abstimmen? Dabei geht es beschäftigungspolitischen und politischen Unruhen doch formal nicht um die D-Mark. Da ist also in Wirk begleitet wäre. Dies würde dem Einigungsprozeß Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1991 5821

Dr. Norbert Wieczorek schaden, aber nicht nur dem Einigungsprozeß, es gegeben werden, aber dieser Automatismus macht es würde auch den anderen Volkswirtschaften in der EG schwierig. Deswegen ist ja auch plötzlich — Graf und gerade auch der der Bundesrepublik schaden. Lambsdorff, ich stimme Ihnen zu — dieser Kohäsions- Das gilt um so mehr, wenn uns klarer wird, daß wir fonds dort hineingekommen. Dafür werden zur Zeit im Moment nicht mehr in einer Phase konjunkturellen zwar noch keine Summen genannt, aber entweder Aufschwungs, sondern einer konjunkturellen Schwä- bleibt er wirkungslos, weil zu knapp ausgestattet, che in Westeuropa leben. Dies gilt ja zunehmend auch oder er wird sehr teuer — und dann gerade für die für die Bundesrepublik. Die Folgen einer Wachstums- Bundesrepublik. schwäche sind gar nicht kalkulierbar. Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, daß sich Die ungewöhnlich lange Phase des weltweiten kon- die Bundesrepublik mit ihren Lasten aus der deut- junkturellen Aufschwungs in den 80er Jahren ist vor- - schen Einheit und den unabweisbaren Lasten für die bei; sie hatte geholfen, daß wir im Rahmen des euro- Entwicklung und Stabilisierung der Reformländer päischen Währungssystems Konvergenz erreicht ha- Osteuropas sehr hüten muß, sich unter diesem Zwang ben. Wir sehen aber jetzt schon, daß diese Konver- des automatischen Prozesses zur europäischen Wäh- genzdaten wieder auseinanderstreben. Ich schließe rungseinheit an dieser Stelle finanziell zu überneh- nicht aus, daß es so wie zu Beginn der 80er Jahre, als men. wir die letzte Weltwirtschaftskrise hatten, dann wie- (Beifall bei der SPD und der FDP) der zu einer falschen Diskussion kommen kann: hie Das sind einige der seriösen Kritikpunkte am Er- Stabilität, dort Beschäftigung. gebnis von Maastricht. Der wichtigste Punkt ist aber (Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Das war der, daß die Beziehung zwischen der Währungs- und damals unter Ihrer Regierung!) der Politischen Union weitgehend gelöst worden ist. — Dies war aber nicht unsere Regierung, Kollege (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Leider!) Faltlhauser. Das war damals der Angriff der Franzo- sen, der Italiener, der Briten gegenüber dem EWS. Zu Beginn der Diskussion über die einheitliche Währung gab es in der Bundesrepublik — ich darf (Beifall bei der SPD) daran erinnern — diesen fruchtlosen Streit zwischen Wollen Sie ernsthaft behaupten, daß in Frankreich den Verfechtern der Krönungstheorie und der Loko- jeder so denkt wie z. B. Herr Bergevoy?! Weil das so motivtheorie. Krönungstheorie: Die Währungsunion war und weil das wiederkommen kann, müssen wir kann nur Schlußstein des gesamten europäischen Ei- daran denken. nigungsprozesses sein. Lokomotivtheorie — Herr Genscher, Sie hatten wohl Sympathien dafür — : Die Es ist doch keine Zufälligkeit, daß der Vertrag ge- Währungsunion muß alles zur Einigung hinziehen. nau an dieser Stelle politische Bewertungskriterien einführt. Ich wiederhole meine Warnung vom letzten Ich habe ein bißchen den Verdacht, daß wir uns jetzt Mal. Wenn dort politisch bewertet wird, wird das auch ziemlich weit der Lokomotivtheorie angenähert ha- für die anderen Kriterien gelten können. Man wird ben. Damit haben wir den sehr verdienstvollen Ansatz nicht nur eines politisch bewerten können; das wird des Delors-Berichtes, der nämlich die Verknüpfung die Praxis sein. zwischen beiden zum Inhalt hatte, aufgegeben. Die (Dr. Otto Graf Lambsdorff [FDP]: Wenn die Bundesregierung hat ja auch die allergrößte Mühe, das Ergebnis im Bereich der Politischen Union als poli- Labour-Partei wieder drankommt, wird es gefährlich!) tischen Erfolg zu verkaufen. Sie hat den selbst formu- lierten, gerade vom Bundeskanzler immer formulier- — Ach wissen Sie, wenn die Labour-Party dran- ten Standpunkt, beides kann nur zusammen, gleich- kommt, kriegen wir mit denen zumindest die Wäh- wertig geschehen, faktisch aufgegeben. rungsunion. Das ist ja bei Frau Thatchers Nachfolger etwas schwierig mit seiner eigenen Partei. Dabei geht es aber nicht nur um die Frage der Ver- tretung der ostdeutschen Länder im Europäischen Dann kommen wir noch zu dem Konvergenzpakt: Parlament oder um das von uns allen beklagte unan- Angleichung der langfristigen Zinssätze und Abwer- nehmbare Demokratiedefizit der EG. Es geht im Be- tungsverbot im Rahmen des EWS, weil das die An- reich der Währungspolitik genau um die unverzicht- gleichung für die wirtschaftlich schwachen Länder baren Rahmenbedingungen, unter denen Währungs- schwieriger macht. Gerade im bestehenden EWS ist politik stattfindet. doch die Wechselkursstabilität mit Zinsdifferenzen er- kauft worden. Wenn ich jetzt beides zusammenpacke Das Statut der Europäischen Zentralbank mag noch und sage, nur wenn ihr beides ordentlich macht, so gut sein; aber auch die Erfolge der Bundesbank in kommt ihr da rein, dann gibt es nur einen Weg, da der deutschen Wirtschaftspolitik waren nur möglich, hereinzukommen: stark Deflationsprozesse zu ma- weil es für die Wirtschafts- und Finanzpolitik in der chen. Das hat allerdings genau die Wirkung, die ich Bundesrepublik, von einigen Irrungen und Wirrungen eben schon einmal beschrieben habe. abgesehen, auf Grund unserer geschichtlichen Erfah- rungen mit ungebremster Inflation immer den Kon- (Dr. Otto Graf Lambsdorff [FDP]: Oder Trans sens zur Stabilitätspolitik gab. fer!) (Beifall bei der SPD) — Darauf komme ich gleich. — Ich möchte nicht miß- verstanden werden. Ich halte die Kriterien für sinn- Die neue Europäische Zentralbank aber wird nach voll, aber durch den Automatismus werden sie für den dem heutigen Stand mit mindestens 12, wahrschein- Einigungsprozeß sehr gefährlich. Sie dürfen nicht auf lich aber 15 oder 16 selbständigen Wirtschafts- und 5822 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1991

Dr. Norbert Wieczorek Finanzpolitiken konfrontiert werden. Diese Politiken Selbsttäuschung steht zuviel auf dem Spiel, sowohl in werden wegen der unterschiedlichen realen Aus- der Bundesrepublik als auch in Europa. gangslage in den verschiedenen Ländern auch unter- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schiedlich stabilitätsorientiert sein. Das wird unver- der PDS/Linke Liste — Abg. Dr. Otto Graf meidlich sein. Die Geld- und Währungspolitik kommt Lambsdorff [FDP]: Diese Bundesregierung dann in Zugzwang und unter Durck. muß das 1999 umsetzen!) Vizepräsident Tietmeyer hat in einer Rede, die ich neulich zitieren konnte, im Hinblick auf Wanderungs- bewegungen auf Grund längerer Arbeitslosigkeit in Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Nun Regionen der EG auf diese Problematik hingewiesen. spricht der Bundesminister des Auswärtigen, Hans Es gibt aber auch noch andere Beispiele für eine mög-- Dietrich Genscher. liche Gefährdung der guten Absicht — die will ich ja gar nicht bestreiten — zur währungspolitischen Stabi- lität. Hans - Dietrich Genscher, Bundesminister des Aus- Zwar sieht der Vertrag vor, daß die Haushaltspolitik wärtigen: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Da- abgestimmt werden soll, und er droht mit Sanktionen men und Herren! Als gleichberechtigtes Glied in ei- und der Verweigerung einer Garantie für die Länder, nem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu die- die sich finanziell übernehmen, nur, der Praxistest, nen, das hat uns das Grundgesetz aufgegeben. Mit der Test zumindest für die Garantieklausel, steht aus. dem Europäischen Rat in Maastricht sind wir dem Ziel Wenn ein Land der EG wirklich in massiven finan- eines vereinten Europas einen wesentlichen Schritt ziellen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten ist, wer- nähergekommen. den die anderen EG-Länder gerade wegen der beste- Die Unumkehrbarkeit des europäischen Eini- henden realwirtschaftlichen Verflechtungen im Ei- gungsprozesses hat auf diesem Gipfel seine Bestäti- geninteresse wahrscheinlich anders handeln, als der gung gefunden. Das ist für uns Deutsche in einem Vertrag androht. Europa voller Herausforderungen und großer Gefah- Zur Illustration: Kein Mensch hat der Sowjetunion ren der Instabilität östlich von uns von größter Bedeu- eine Garantie gegeben. Trotzdem müssen wir im eige- tung. nen Interesse den Republiken Geld geben, damit dort (Beifall bei der FDP) die Lage nicht im Chaos versinkt. Ich glaube, ein Blick in den Osten und Südosten Euro- pas zeigt, was ein Rückschlag in Maastricht für das Ich habe in meiner Rede am 5. Dezember gesagt: Die Gefahr besteht, daß wir in der Währungsunion mit ganze Europa in Wahrheit bedeutet hätte. Das ist der Maßstab, den wir anzulegen haben. dem einen Bein einen langen Schritt machen und in der Politischen Union im Schlamm steckenbleiben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dann fällt man auf die Nase. — Mir scheint, daß diese Detlev von Larcher [SPD]: Eine Katastrophe Gefahr jetzt Realität wird. als Maßstab!) Maastricht kann für uns insofern kein Abschluß der — Man muß einen Maßstab anlegen, um feststellen zu Verhandlungen sein. Für die Gesamtbewertung wird können, was eine Katastrophe ist, Herr Kollege. Man- es entscheidend darauf ankommen, ob bis 1996, spä- che stellen die Katastrophe ohne Maßstab fest. testens in dem Revisionsprozeß für die Politische (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der Union 1996 — der ist ja angekündigt —, echte Fort- CDU/CSU — Detlev von Larcher [SPD]: Sie schritte zur Demokratisierung der EG und zur Heraus- haben es umgekehrt gesagt!) bildung eines gemeinsamen wirtschafts- und finanz- Der Europäische Rat von Maastricht wird den Skep- politischen Zielrahmens geschaffen werden. tikern zum Trotz in die Geschichte eingehen als der Die Politische Union muß eine parlamentarisch-de- Gipfel, auf dem die Schaffung der Europäischen Wirt- mokratische Institution schaffen, die ein vollwertiger schafts- und Währungsunion nach jahrzehntelangen Partner der Europäischen Zentralbank in der Wirt- Vorarbeiten verbindlich beschlossen und eine umfas- schafts- und Finanzpolitik ist. sende Europäische Union auf den Weg gebracht Der in unserer gemeinsamen Entschließung vom wurde. Die Bundesregierung hat daran wesentlichen 5. Dezember beschlossene Parlamentsvorbehalt, die Anteil. gemeinsame Absicht, daß sich vor dem endgültigen Für uns Deutsche war und ist die Europäische Ge- Eintritt in die Währungsunion der Deutsche Bundes- meinschaft vor allem auch eine politische Gemein- tag noch einmal mit dem Beitritt der Bundesrepublik schaft. Die wirtschaftliche und monetäre Einigung Eu- zur einheitlichen Währung befaßt, hat im Licht der ropas muß Hand in Hand mit der politischen gehen; jetzt vorliegenden Ergebnisse besondere Bedeutung sie muß vor allem bürgernah sein. Insoweit hat Maas- bekommen. tricht einen entscheidenden Fortschritt gebracht. Der nächste Bundestag wird die Verantwortung für Das Gesamtverhandlungsergebnis führt zu einer den Erfolg der europäischen Einigung und für die Vertiefung und zu einer Erweiterung der bisherigen Akzeptanz dieses Prozesses in der deutschen Bevöl- Gemeinschaftskompetenzen. Unter dem Dach der kerung tragen. Europäischen Union können sich nunmehr die ge- meinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Zu- (Beifall bei der SPD) sammenarbeit der Innen- und Justizminister entwik- Es ist aber Aufgabe schon dieser Bundesregierung, keln, letztere allerdings zunächst verfahrensmäßig das jetzt Erreichte entscheidend nachzubessern. Für noch stark intergouvernemental, aber doch mit ein- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1991 5823

Bundesminister Hans-Dietrich Genscher deutiger Ausrichtung zu mehr Gemeinsamkeit und der WEU-Mitgliedstaaten verankert, und das ist Teil auch zur Vergemeinschaftung. des Vertragswerkes. Erste konkrete Elemente einer künftigen europäi- Wesentlich für den Aufbau der gemeinsamen Ver- schen Verfassungsstruktur werden erkennbar. Das teidigungspolitik ist die operationelle Ausgestaltung europäische Einigungswerk hat sich erneut in Bewe- der WEU. Dazu wurden eine Reihe von Entscheidun- gung gesetzt. Evolutivklauseln und Revisionsklauseln gen getroffen. Wir waren uns auch einig, dabei auch ermöglichen eine positive Fortentwicklung. der Westeuropäischen Union zugeordnete militäri- sche Einheiten weiter zu prüfen und festzulegen. Die gemeinsame Außen - und Sicherheitspolitik und die Entwicklung zu einer gemeinsamen Verteidi- Der neuen Rolle der Westeuropäischen Union ent- gung sind wesentliche Pfeiler der Europäischen spricht auf der Seite der Union der Einstieg in die Union. Das Konzept, das wir zusammen mit Frank- engere sicherheits- und verteidigungspolitische Zu- reich entwickelt hatten, hat sich in Maast richt weitge- sammenarbeit der Zwölf. Die Außenminister haben hend durchgesetzt. Kernstück der Bestimmungen eine Liste vereinbart, in die diese Themen aufgenom- über die Außen- und Sicherheitspolitik ist das neue men wurden. Dabei geht es um den KSZE-Prozeß, um Instrument der gemeinsamen Aktion. In ihrem Rah- Fragen der Abrüstung und Rüstungskontrolle, um men wird die Union in Zukunft geschlossen han- Fragen der Nichtverbreitung und der Rüstungsex- deln. portkontrolle. Weitere Gebiete für eine gemeinsame Aktion werden erarbeitet werden. Diese Liste wird bis Qualifizierte Mehrheitsentscheidungen wurden in zum Inkrafttreten des Vertrages noch ausgebaut und die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik einge- präzisiert. führt. Alle Partner haben die Perspektive der außen-, si- Ich möchte an dieser Stelle erwähnen: Das wird cherheits- und verteidigungspolitischen Entwicklung auch einmal dazu führen, daß Deutschland bei einer der Union akzeptiert. Wir haben uns auf das Prinzip qualifizierten Mehrheitsentscheidung seine Vorstel- geeinigt, daß jeder Mitgliedstaat der Gemeinschaft, lungen nicht wird durchsetzen können. Das sollten der das wünscht, auch der Westeuropäischen Union wir dann aber im europäischen Geist hinnehmen und beitreten kann oder, wenn er dies vorzieht, einen Be- auf Verbesserungen hinwirken. obachterstatus erhält. Damit wird dem Wunsch Grie- Die Tatsache, daß alle Partner das Prinzip der Mehr- chenlands nach einem raschen Beitritt zur Westeuro- heitsentscheidungen akzeptiert haben, ist wegwei- päischen Union Rechnung getragen. Ich denke, jeder send für die künftige außen- und sicherheitspolitische wird verstehen, wie wichtig das für Griechenland ist, Handlungsfähigkeit Europas. Es eröffnet auch eine wenn man seine geographische Lage in einer höchst neue Dynamik. instabilen Umgebung richtig einschätzt. Maastricht hat einen entscheidenden Fortschritt für (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) die sicherheits- und verteidigungspolitische Dimen- Die Sicherheits- und Verteidigungspolitik der sion der Europäischen Union erbracht. Alle Partner Union ist mit der politischen Allianz und der Politik haben sich darauf verständigt, auch auf diesem Ge- der Atlantischen Allianz verknüpft. Wir haben uns biet die Konsequenz aus der neuen Dynamik der Inte- daher auch darauf verständigt, daß die europäischen gration zu ziehen. Wir haben vertraglich verankert, NATO - Partner, die nicht Mitglieder der Gemein- daß die Union eine gemeinsame Verteidigungspolitik schaft sind, assoziierte Mitglieder unserer Westeuro- entwickeln wird, die — und jetzt zitiere ich wörtlich — päischen Union werden können. Damit wird deutlich, „zu gegebener Zeit zu einer gemeinsamen Verteidi- daß unser Einigungsprozeß zugleich auch zur Festi- gung führen könnte". Durch diese vertragliche For- gung des europäischen Pfeilers der Alllianz beiträgt. mulierung unterstreichen die Mitgliedstaaten die Notwendigkeit der Verteidigungsidentität der Union (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten mit dem Ziel, Europa in die Lage zu versetzen, seine der CDU/CSU) sicherheits- und verteidigungspolitische Verantwor- tung wahrzunehmen. Es ist beabsichtigt, die entsprechenden Verträge und Abkommen über die jeweiligen Beziehungen der Kernelement ist die Feststellung, daß die Westeuro- WEU bis Ende des nächsten Jahres abzuschließen. päische Union integraler Bestandteil der Europäi- schen Union ist. Das war das zentrale Ziel der deutsch- Man kann feststellen: Die Rolle der Atlantischen französischen Initiative. Damit hat die Europäische Allianz bleibt gewahrt; alle Partner sind sich einig, Union in der Westeuropäischen Union das Instrument, daß die Entwicklung der europäischen Sicherheits- um ihre verteidigungspolitischen Ziele und später die und Verteidigungsidentität die Allianz stärkt und fe- Verteidigung selbst verwirklichen zu können. stigt und daß ein bedeutender Beitrag zum Aufbau des europäischen Pfeilers geleistet wird. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir haben damit einen großen Schritt auf dem Weg Wir haben uns darauf festgelegt, diese Westeuropäi- zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sche Union zur Verteidigungskomponente der Union der künftigen Europäischen Union getan. Auch dieser auszubauen. Die künftige Verbindung zwischen WEU auf Fortentwicklung der Gemeinsamkeit angelegte und Union ist klar geregelt. Die Westeuropäische Prozeß kann nunmehr seine Dynamik entfalten. Part- Union wird auf Ersuchen der Union die gemeinsame ner, die in Maastricht noch gezögert haben, werden Verteidigungspolitik formulieren und umsetzen. Die sich dieser Dynamik in der Zukunft nicht entziehen dazu notwendigen Schritte wurden in einer Erklärung können. 5824 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1991

Bundesminister Hans-Dietrich Genscher Ich habe mich bei manchen Diskussionen in Maas- war, das mit großem Nachdruck die Rechte des Parla- tricht an die Diskussionen im Zusammenhang mit ments in einem richtigen Selbstverständnis einer de- dem Zustandekommen der Schlußakte von Helsinki mokratischen Union vertreten hat. Aber die Hilfe war erinnern müssen. Auch damals wurde diese Schluß- gering; für uns alle ein Anlaß, unsere Parteifamilien zu akte von vielen Kritikern zu statisch gesehen. Man hat bitten, daß sie in den jeweiligen Ländern — das sage die ihr innewohnende Dynamik nicht richtig einge- ich in alle politischen Richtungen — schätzt. Heute wissen wir, welche grundlegenden (Dr. Otto Graf Lambsdorff [FDP]: Sehr rich Verbesserungen dieser dynamische Prozeß in Europa tig!) bewirkt hat. Ich habe keinen Zweifel: Die Dynamik unserer Europäischen Union wird weitaus wirksamer dafür sorgen, daß denen Beine gemacht werden, die, sein. Deshalb haben wir hier einen wirklichen Fort- wenn sie zu Hause Kompetenzen verlieren, sie lieber schritt erzielt. - an Bürokratien weitergeben und offensichtlich dem Europäischen Parlament die dann notwendige parla- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) mentarische Kontrolle nicht übertragen möchten. Das Wenn wir 1996 die Vertragsbestimmungen, die für ist für mich gänzlich unverständlich. die WEU getroffenen Regelungen, im Licht der bis dahin gewonnenen Erfahrungen überprüfen, dann (Peter Kittelmann [CDU/CSU]: Ein wichtiger Aufruf! — Beifall bei der FDP, der CDU/CSU wird sich voraussichtlich kein Partner mehr gegen- über der Notwendigkeit einer umfassenden gemein- und dem Bündnis 90/GRÜNE sowie bei Ab samen Außen-und Sicherheitspolitik einschließlich geordneten der SPD) ihrer Verteidigungskomponente reserviert verhalten Da wir diesmal noch nicht mehr erreichen konnten, können. Wahrscheinlich wird das schon früher der haben wir eine Evolutionsklausel durchgesetzt, die Fall sein. den weiteren Ausbau der Kompetenzen beim Kohä- Ein weiteres, gleich wichtiges Anliegen der deut- sionsverfahren ermöglichen soll. Auch wenn jetzt die schen Delegation war die Demokratisierung der Ge- zusätzlichen 18 Abgeordneten noch nicht unmittelbar meinschaft. Eine ausbaufähige Grundlage für eine im Vertrag stehen, so ist doch vereinbart, daß recht- wachsende Beteiligung des Europäischen Parlaments zeitig vor den nächsten Wahlen zum Europäischen in wichtigen Fragen wurde geschaffen. Parlament, d. h. noch bis Ende 1992, eine globale Lö- sung für die Zusammensetzung des Parlaments und Ab Inkrafttreten des Vertrages wird es ein Gesetz- der Kommission beschlossen wird, die allen Gesichts- gebungsverfahren geben, in dem Rat und Parlament punkten einer gewachsenen Gemeinschaft ein- gemeinsam entscheiden. Hierfür wurden genau defi- schließlich des zu Protokoll der Konferenz gegebenen nierte Bereiche genannt, insbesondere der Binnen- deutschen Standpunktes gerecht werden soll, nämlich markt, ferner Forschung, Umwelt, Bildung, Kultur, der Verankerung der 18 zusätzlichen deutschen Ab- Gesundheit, Verbraucherschutz und transeuropäi- geordneten. Das wird von niemandem bestritten. Das sche Netze. Problem ist, welche zusätzlichen Zahlen für andere Das Europäische Parlament wird zukünftig voll bei Länder geschaffen werden. der Ernennung des Präsidenten und der Mitglieder Der europäische Bürger wird im übrigen nach dem der Kommission beteiligt sein. Wichtig für die Ent- neuen Vertrag an dem Ort seines Wohnsitzes überall wicklung einer demokratischen Verbindung zwi- in der Gemeinschaft nicht nur das Kommunalwahl- schen Parlament und Kommission ist auch die fol- recht, sondern auch das Wahlrecht zum Europäischen gende Neuerung: Ab 1. Januar 1995 wird auf unseren Parlament haben. Ich halte das für einen wichtigen Antrag hin die Amtsperiode der Kommission an die Fortschritt. fünfjährige Wahlperiode des Europäischen Parla- ments angepaßt werden. Das Europäische Parlament (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der wird das Recht erhalten, Untersuchungsausschüsse SPD) einzusetzen und Petitionen entgegenzunehmen. Bei der Innen- und Justizpolitik, insbesondere beim Wichtige internationale Abkommen werden seiner Asyl-, Einwanderungs- und Ausländerrecht sowie bei Zustimmung bedürfen. der Bekämpfung der internationalen Kriminalität, ge- Offen muß gesagt werden, daß die Ergebnisse bei lang es, eine umfassende Intensivierung der Zusam- der Stärkung der Rechte des Europäischen Parla- menarbeit zwischen den Mitgliedstaaten zu vereinba- ments am weitesten hinter unseren Zielen und Erwar- ren. Einen ersten und über die Evolutivklausel aus- tungen zurückgeblieben sind. baufähigen Einstieg in Gemeinschaftsverfahren gibt es bei den Bestimmungen der Voraussetzungen für (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der die Visa-Erteilung an Staatsbürger aus Drittländern, SPD) insbesondere in Notsituationen bei einem plötzlichen Ich muß allerdings auch sagen, verehrte Kolleginnen Zustrom. und Kollegen: Dies war der Bereich, in dem wir für Wir haben im neuen Vertragswerk weitere, neue unsere Forderungen die wenigste Unterstützung aus Gemeinschaftskompetenzen eröffnet oder beste- dem Kreis unserer Partner erhalten haben. hende vertieft. Ich nenne hier die Bereiche Umwelt, (Peter Kittelmann [CDU/CSU]: So ist es! Das Forschung, Entwicklungspolitik, transeuropäische ist bedauerlich!) Netze, Gesundheit, Verbraucherschutz, Bildung und Kultur. Es war oft so, daß Fortschritte an ein oder zwei Län dern scheiterten. Hier war es so, daß Deutschland, von Es gelang uns ferner, den Bereich der qualifizierten sehr wenigen Ländern unterstützt, das einzige Land Mehrheitsentscheidung im Rat gegenüber der Ein- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1991 5825

Bundesminister Hans-Dietrich Genscher stimmigkeit durchzusetzen. Wenn wir Erreichtes mit zialen Zusammenhalts geschaffen werden. Wir haben Wünschenswertem vergleichen, so möchte ich sagen: bei der Infrastruktur Wert darauf gelegt, daß das auf Mit Rücksicht auf den förderalen Aufbau unseres die Verkehrsinfrastruktur beschränkt wird, weil die Staates und mit Rücksicht auf die Forderung der Bun- Fragen der Energie, aber auch der Telekommunika- desländer haben allerdings auch wir in wichtigen Be- tion nach unserer Meinung vornehmlich privater Fi- reichen auf Einstimmigkeit Wert legen müssen, wo nanzierung vorbehalten bleiben sollten, wie das auch andere sehr wohl zu Mehrheitsentscheidungen bereit in Deutschland der Fall ist. gewesen wären. Das zeigt, wie schwer es ist, wenn Darüber hinaus hat sich der Rat auf eine Erklärung zwölf Länder mit einer höchst unterschiedlichen Ge- geeinigt, wonach geprüft werden soll, wie die durch schichte, einem höchst unterschiedlichen Staatsver- zu starke degressive Elemente auf der Einnahmen- ständnis und Aufbau ein gemeinsames, so in die Zu- - seite eingetretene Benachteiligung ärmerer Mitglied- kunft wirkendes Werk schaffen wollen. Deshalb bitte staaten berücksichtigt und korrigiert werden kann. ich, auch nicht ungerecht zu sein gegenüber denjeni- gen, die in anderen Ländern gezögert haben, so wie Meine Damen und Herren, ich verstehe die Sorge, wir hier in bestimmten Fragen mit Mehrheitsentschei- die hier ausgedrückt worden ist, daß neue erhebliche dungen zögern mußten. Lasten durch die Kohäsion auf Deutschland zukom- men können. Wir haben diese Diskussion auch in der (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vergangenheit geführt; denn wir haben schon ver- Wichtig war für uns, daß wir in Maastricht das neue schiedene Kohäsionsrunden in der Europäischen Ge- Kapitel zur künftigen Industriepolitik ordnungspoli- meinschaft gehabt, z. B. bei den Entscheidungen über tisch unbedenklich gestalten konnten. den Gemeinsamen Binnenmarkt. Wenn wir uns aller- dings die deutsche Außenhandelsbilanz mit Blick auf (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!) die Länder ansehen, die Vorteile aus der Kohäsion Die Gemeinschaftspolitik in diesem Bereich muß sich ziehen, dann können wir feststellen, daß die deutsche an einem System offener und wettbewerbsorientier- Exportindustrie von den Kohäsionsergebnissen in die- ter Märkte orientieren. Wettbewerbsverzerrende Bei- sen Ländern den größten Vorteil gezogen hat. hilfen bleiben ausdrücklich ausgeschlossen. Eventu- (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) elle Förderungsmaßnahmen müssen einstimmig be- Das heißt, hier ist ein gegenseitiges Geben und Neh- schlossen werden. men. Ein hoher Stand der Entwicklungen in den bis- Ein besonders schwieriges Kapitel war in Maas- her weniger entwickelten Teilen unserer Gemein- tricht die Sozialpolitik. Angesichts des harten briti- schaft ist immer ein Vorteil für das Land, das in seiner schen Widerstandes einerseits und der Entschlossen- industriellen Produktion am stärksten ist. Deshalb heit der Mehrheit andererseits, die soziale Dimension heißt Kohäsion auch Hilfe für die Beschäftigungslage des Europäischen Marktes fortzuentwickeln, haben in Deutschland. Auch das muß in diesem Zusammen- wir hier vertragspolitisch Neuland betreten. Großbri- hang gesagt werden. tannien wird zunächst eine Ausnahmeregelung zuge- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) standen, die aber anders gestaltet ist als bei der Wäh- rungsunion, während die übrigen Mitgliedstaaten auf

Grund eines unter ihnen abgeschlossenen Abkom- Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Herr Bun- mens künftig effizienter, d. h. zum Teil mit qualifizier- desminister, entschuldigen Sie, wenn ich Sie unter- ter Mehrheit, sozialpolitische Entscheidungen, insbe- breche. Wohl wissend, wie die verfassungsrechtliche sondere zur Umsetzung der Sozialcharta 1989, treffen Situation ist, werde ich mit Recht darauf aufmerksam können. Es ist also nicht, wie gelegentlich zu lesen gemacht, daß ich mich dem Verdacht aussetze, Sie im und zu hören war, für die Sozialpolitik eine intergou- Verhältnis zu anderen zu privilegieren. Ich möchte Sie vernementale Zusammenarbeit vereinbart, sondern bitten, die Redezeit nicht auf Kosten der anderen unter elf Ländern ein neuer Gemeinschaftsvertrag überzubeanspruchen. geschaffen worden, durch den auch die Einrichtungen und Instrumente der Gemeinschaft zur Verfügung stehen. Hier gilt das, was ich in einer früheren Debatte Hans - Dietrich Genscher, Bundesminister des Aus- gesagt habe: Der Zug nach Europa wird sich in Gang wärtigen: Herr Präsident, da ein Präsident über jeden setzen. Wer einsteigen will, wird dabei sein; aber er Verdacht erhaben ist — natürlich nur, solange er da wird sich in Gang setzen. oben sitzt —, (Heiterkeit) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) verstehe ich Ihren Einwand gut und möchte — — Besonders schwierig waren auch die Verhandlun- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Und möchte gen zur sogenannten Kohäsion, d. h. der Frage der zum Schluß kommen!) finanziellen Aufwendungen zur Sicherung des wirt- schaftlichen und sozialen Zusammenhalts der Ge- — Danke schön. Das ist das erste Mal, daß ich einem meinschaft. Spanien und andere Mitgliedstaaten stell- Zuruf von Ihnen in vollem Umfang zustimmen kann, ten hier weitgehende Forderungen. Zu einer Präjudi- Frau Kollegin. zierung der Beratungen des kommenden Jahres zur (Heiterkeit) Überprüfung der EG-Eigenmittelregelung und des Ich stelle fest: Wir haben eine wichtige Entschei- Strukturfonds ist es nicht gekommen. Dafür soll bis dung getroffen. Jeder, der dieses Werk beurteilt, wird 1993 ein spezieller Fonds für Zwecke des Umwelt- für sich in seiner vollen Verantwortung als Abgeord- schutzes und der grenzüberschreitenden Verkehrs- neter — dasselbe gilt für die Regierungen der Bundes- infrastruktur im Rahmen des wirtschaftlichen und so länder — die Frage zu beantworten haben, ob uns die- 5826 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1991

Bundesminister Hans-Dietrich Genscher ses Vertragswerk in Europa weiterbringt oder ob uns Macht des Faktischen die entsprechenden Rechte er- eine Ablehnung des Vertragswerkes weiterbrächte. halten. Ich habe keinen Zweifel: Wer Europa will und meint, (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Leider!) wird sich für den Fortschritt in Europa entscheiden. In Maastricht ist es jedenfalls so gewesen, daß die Ich danke Ihnen. Wirtschafts- und Finanzwelt jetzt weiß, was gegen (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ende dieses Jahrzehnts auf sie zukommt. Aber die Bürger und Bürgerinnen und vor allen Dingen die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen wissen es nicht. Auch Ihre Parlamentarier, die deutschen Abge- Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Das Wort hat nun die Abgeordnete Frau Wieczorek - Zeul. ordneten, wissen es nicht. Es weiß keiner, wie stark - Deutschland im neuen Parlament vertreten sein wird, das 1994 gewählt werden soll.

Heidemarie Wieczorek - Zeul (SPD): Liebe Kollegin- Ich sage an dieser Stelle: Wir sind — das hat Ingrid nen und Kollegen! Glück und Standfestigkeit hatte Matthäus-Maier dargestellt — für die Wirtschafts- Hans-Ulrich Klose vor einer Woche dem Kanzler für und Währungsunion, und wir begrüßen, daß die Ver- Maastricht gewünscht. Glück hatte er. handlungen zu diesem Ergebnis geführt haben. Aber Die Regierungen müssen sich gefallen lassen, daß wir sagen auch: Daß die Wechselkurse in einem festen man sie an ihren Versprechungen mißt. Ich verstehe Austauschverhältnis stehen müssen, ist Vorausset- nicht die Larmoyanz, mit der hier Herr Schäuble auf zung für die Währungsunion. Aber auch der Wechsel- die Kritik aus unseren Reihen reagiert hat. kurs zwischen Politischer Union und Wirtschafts- und Währungsunion muß stimmen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Das sind die eigenen Versprechungen, die wir zitiert haben. Die Kursrelation zwischen Politischer Union und Wirtschafts- und Währungsunion von Maastricht Die Bewertung kann nur lauten: Öffentliche Zusa- stimmt nicht. Was uns in der Politischen Union in gen sind nicht eingehalten worden, Erwartungen in Maastricht angeboten worden ist, ist politisches Klein- der Bevölkerung sind enttäuscht worden. Überdies geld in sehr weicher Währung, liebe Kolleginnen und hat der Bundeskanzler den Beschluß, den der Deut- Kollegen. sche Bundestag vor gut einer Woche gefaßt hat, gröb- (Beifall bei der SPD) lich mißachtet. Wir hatten am Donnerstag vor einer Woche im Bundestag dem Kanzler eine Botschaft mit Denn über dem Mauerwerk der Währungsunion steht auf die Reise nach Maastricht gegeben, eine klare vom Dach der Politischen Union bestenfalls ein Ge- Orientierung: Die Ergebnisse der Verhandlungen rüst. Wie fest manche Balken darin verankert sind, das über die Politische Union dürfen nicht hinter den Er- muß sich erst noch zeigen. gebnissen der Verhandlungen über die Wirtschafts- Uns allen hier im Deutschen Bundestag und in je- und Währungsunion zurückbleiben. dem nationalen Parlament muß klar sein: Mit der ein- Ich zitiere an dieser Stelle die FAZ, normalerweise heitlichen Währung geben wir Kompetenzen an das nicht im Verdacht, der Sozialdemokratie nahezuste- Europäische Parlament ab. Aber sie dürfen doch nicht hen. Der Kommentator sagt zum Verhalten der Bun- in dem Bermudadreieck verschwinden, das sich Euro- desregierung — ich zitiere — : päischer Rat oder Ministerrat nennt. Aus deutscher Sicht ist das, da gibt es kein Ver- (Beifall bei der SPD) tun, nicht ein halber Erfolg, sondern eine Drei- Sie müssen doch dahin verlagert werden, wo sie hin- viertel-Niederlage: Entstanden ist fürs erste ge- gehören, nämlich in ein Parlament, in das Europäische nau jene ungleichgewichtige „hinkende Union", Parlament. deren Verhinderung sich der Bundeskanzler mit seinem ursprünglichen Junktim zwischen beiden Das Europäische Parlament, so hat der Bundeskanz- Materien zum Ziel gesetzt hatte. ler versichert, solle mehr Rechte bekommen. Ich be- tone an dieser Stelle — leider scheint er die Rechte (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Der Kom nicht in dem Maße ernstzunehmen, daß er jetzt bei mentar wird nicht dadurch besser, daß Sie einer solchen Diskussion auch noch da wäre — : Das ihn wiederholen!) Europäische Parlament ist nach Maastricht nicht Nun ist hier gesagt worden, Kompromisse seien gleichberechtigt neben dem Ministerrat. Für uns notwendig. Ich frage mich nur, warum in der zentralen Deutsche wiegt am schwersten, daß 16 Millionen Bür- Frage der parlamentarischen Demokratie ein Kom- ger und Bürgerinnen aus den fünf neuen Ländern promiß gemacht wurde, nicht angemessen mit 18 Abgeordneten im nächsten Europäischen Parlament vertreten sein werden. (Beifall bei der SPD) und vor allen Dingen, warum man, wenn diese Ver- (Beifall bei der SPD — Abg. Peter Kittelmann bindung so zentral ist, dann schon vorher eingeknickt [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischen- ist und Stufenpläne vorgeschlagen hat. frage) Im übrigen wird dann immer von der Macht des Faktischen gesprochen; das entwickele sich ja. Das

Europäische Parlament wird bereits seit zehn Jahren Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Frau Ab- direkt gewählt, und es hat noch immer nicht kraft geordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1991 5827

Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD): Ich möchte die- Heidemarie Wieczorek - Zeul (SPD) : Herr Kollege sen Punkt erst zu Ende bringen, Herr Kittelmann. Kittelmann, ich bin dafür — ich komme noch zu die- Ich will auf eine Sache hinweisen: Es ist heute mor- sem Punkt — , daß wir die Möglichkeiten nutzen, die gen gesagt worden, das sei alles noch im unklaren und wir als Parlamentsabgeordnete haben. Ich mache Ih- es komme eine Regelung ab Ende 1992. Aber eines ist nen nachher einen Vorschlag, was wir als deutsche klar: Die 18 Vertreter und Vertreterinnen, die ver- Bundestagsabgeordnete tun können, um dem Euro- sprochen waren, werden nicht kommen. Da sage ich: paparlament zu mehr Rechten zu verhelfen. Ich Das ist keine Vertretung deutscher Interessen; da ist komme auf diesen Punkt zurück. der Bundeskanzler nicht standfest geblieben. Ich zi- tiere dazu die Ausführungen von Staatsministerin Sei- (Peter Kittelmann [CDU/CSU]: Das klingt ler-Albring in der Aktuellen Stunde des Deutschen doch schon sehr viel friedlicher! — Zuruf von - Bundestages am 14. November 1991, und ich würde der SPD: Das werden Sie nachher sehen!) gerne wissen, was die Bundesregierung dazu sagt: — Ich wäre ganz besonders friedlich, wenn wir es in Dennoch hat Noordwijk [...] vor allen Dingen Maastricht geschafft hätten, in der Frage der Politi- aus deutscher Sicht eine Reihe substantieller schen Union einen Durchbruch zu schaffen; das muß Fortschritte gebracht. Es wurde [...] bereits er- ich schon sagen. wähnt, daß alle Partner der Erhöhung der Zahl der deutschen Abgeordneten im Europäischen (Beifall bei der SPD) Parlament von 81 auf 99 zugestimmt haben. Sie Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, bei haben sich nicht der Erkenntnis verschlossen, daß dem deutsche Interessen nicht mit dem notwendigen sich die Repräsentanz von 17 Millionen neuen Nachdruck vertreten worden sind. Entgegen der In- EG-Bürgern niederschlagen muß und eine ange- terpretation, die der Außenminister hier gegeben hat, messene und faire Repräsentanz im EP anderwei- ist meines Erachtens die Regelung einer tig nicht gewährleistet wäre. Sozialunion zu elft ökonomisch der absolute Unsinn. Das kann Das ist eine Zusage an die Bürger und Bürgerinnen in rechtlich funktionieren, aber ökonomisch ist es Un- den fünf neuen Ländern gewesen. Diese Zusage ist sinn. Es führt in letzter Konsequenz dazu, daß, weil es gebrochen worden, und zwar auch von der Bundesre- die elf Staats- und Regierungschefs so hingenommen gierung. haben, sich Großbritannien — jedenfalls für die Zeit (Beifall bei der SPD) konservativer Herrschaft — aus dem sozialen Europa abmeldet und daß neben der Europäischen Gemein-

Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Frau Ab- schaft eine Gemeinschaft entsteht, die für das Soziale geordnete, gestatten Sie nun die Zwischenfrage des zuständig ist. Herrn Abgeordneten Kittelmann? Bei genauerem Hinsehen — das ist das zusätzlich Bedenkliche — entlarvt sich der britische Ausstieg - (SPD): Wenn sie nicht Heidemarie Wieczorek Zeul aus der Sozialpolitik der EG wirklich als eine zielstre- auf meine Redezeit angerechnet wird, ja. big zu Lasten der britischen Arbeitnehmer und Arbeit- nehmerinnen betriebene Politik des Standortvorteils Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Selbstver- für ausländische Investoren. Was hier zugelassen ständlich wird sie nicht angerechnet. Bitte schön, Herr wird, ist Sozialdumping, und zwar auch zu Lasten der Abgeordneter Kittelmann. deutschen Standorte und der deutschen Arbeitneh- merinnen und Arbeitnehmer. Deshalb ist diese Rege- Peter Kittelmann (CDU/CSU): Frau Abgeordnete lung aus unserer Sicht inakzeptabel. Wieczorek-Zeul, stimmen Sie mir zu — abgesehen davon, daß Sie mit der überzogenen kritischen Hal- (Beifall bei der SPD) tung der SPD ziemlich allein stehen —, Im übrigen — darauf ist schon hingewiesen wor- (Widerspruch bei der SPD — Heidemarie den — waren die Staats- und Regierungschefs an- Wieczorek-Zeul [SPD]: Die FDP ist an unse scheinend nicht imstande, einmal die technischen De- rer Seite; das haben wir festgestellt! — Ge tails zu durchdenken. Was bedeutet das eigentlich: genruf der Abg. Dr. Cornelie von Teichman Soll in diesem Bereich nächstens ein eigener Haushalt [FDP]: Nicht in allen Bereichen! — Dr. Nor aufgestellt werden? Sollen die Europaabgeordneten bert Wieczorek [SPD], zu Abg. Dr. Cornelie aus Großbritannien nicht mehr mitstimmen, wenn es von Teichman [FDP] gewandt: Aber weitge um die Sozialpolitik geht? hend!) daß wir in dem Appell, für die weitere Verstärkung (Dr. Norbert Wieczorek [SPD]: Der Tunnel der Rechte des Europäischen Parlaments einzutreten, wird wieder mit Wasser gefüllt!) der hier mehrfach, auch vom Außenminister, geäußert Es gibt neben den ökonomischen eine Fülle von tech- worden ist, alle übereinstimmen und daß wir uns vor nischen Problemen. Das zeigt, daß dort Unsinn be- allen Dingen in unseren Partnerparteien in den übri- schlossen worden ist. gen Ländern Europas intensiv dafür einsetzen müssen — da haben auch die Sozialisten sehr viel zu tun —, Ich schließe mich dem an, was Frau Matthäus-Maier daß wir in den Nachberatungen erfolgreicher sind, als vorhin gesagt hat: Da innerhalb der nächsten Monate es jetzt möglich war, weil der Bundeskanzler für Wahlen in Großbritannien stattfinden, besteht ja die Deutschland in dieser Frage auf der Konferenz ziem- Möglichkeit, daß wir bei einem Wechsel der Regie- lich allein stand? rung in Großbritannien eine Sozialunion zu zwölft 5828 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1991

Heidemarie Wieczorek-Zeul schaffen. Eine solche Perspektive wäre für uns alle Jahre 1990 — das ist gerade ein Jahr her — gesagt hat. gut. Er hat gesagt: Es geht um die Stärkung der Kontroll- rechte und Kompetenzen des Europäischen Parla- (Beifall bei der SPD — Peter Kittelmann ments. Ich zitiere: [CDU/CSU]: Die Möglichkeit besteht, aber ihre Hoffnung ist nicht realistisch!) Wir alle brauchen Fortschritte, wenn wir 1994 in der Bundesrepublik Deutschland wie in den an- Wir hoffen — damit komme ich zu dem, was ich vor- deren EG-Mitgliedstaaten erneut vor die Wähler hin an die Adresse von Herrn Kittelmann gesagt treten und sie auffordern wollen, in freien, gehei- habe — , daß sich jetzt über Ländergrenzen hinweg men und direkten Wahlen das Europäische Parla- ein Bündnis von nationalen Parlamenten in der Euro- ment zu wählen. päischen Gemeinschaft zusammenfindet, mit einer gemeinsamen Auffassung, daß mit dieser Reform zum- Bei dem, was jetzt folgt, müssen Sie genau zuhören: politischen Teil von Maastricht kein Staat zu machen Ich glaube nicht, ist, schon gar kein europäischer. — sagte Kanzler Kohl vor einem Jahr — Deshalb appelliere ich an Sie alle: Nehmen wir als daß wir alle noch einmal die Wähler zur Wahl deutsche Bundestagsabgeordnete die Bundesregie- eines Europäischen Parlaments mit so geringen rung in die Pflicht. Erteilen wir ihr den klaren Auftrag, Kompetenzen wie jetzt auffordern können. dieses Defizit an demokratischer Kontrolle und an europäischer Demokratie sobald wie möglich auszu- (Detlev von Larcher [SPD]: Recht hatte er!) füllen. Deshalb, Herr Kittelmann, verweise ich Sie auf —Recht hatte er! — Deshalb sagen wir: Ziehen Sie die die Gelegenheiten zum Nachbessern. Wenn Herr Konsequenz daraus und nehmen Sie Nachverhand- Schäuble noch hier wäre, würde er verstehen, was wir lungen mit dem Ziel der Nachbesserung der Rechte damit meinen. des Europa-Parlaments und der Zahl der Abgeordne- ten aus den fünf neuen Ländern auf! Lassen Sie uns Es gibt in der nächsten Zeit Gelegenheiten genug die Ratifizierung dann gemeinsam mit den jetzigen zum Nachbessern, z. B. im Juni, wenn die Erweite- EG-Vertragsänderungen vollziehen! Dann braucht rung der Europäischen Gemeinschaft um mehrere die Klage nicht mehr erhoben zu werden, die hier alle Länder beschlossen werden soll und wenn über die erhoben haben. Dann ist nachgebessert, was in neue Finanzverfassung diskutiert werden soll, und bis Maastricht nicht korrekt geleistet worden ist. spätestens Ende 1992, wenn über die künftige Zahl der EG-Kommissare und die Zahl der Abgeordneten Ich danke Ihnen. des Europaparlaments entschieden wird. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Gerd Die Aufforderung zum Nachbessern ist im übrigen Poppe [Bündnis 90/GRÜNE]) vom Vorsitzenden der Christdemokraten im Europäi- schen Parlament, Egon Klepsch, und auch vom Ver- treter der FDP-Abgeordneten im Europäischen Parla- Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Nun hat ment, Herrn von Wechmar, genauso formuliert und der Abgeordnete Kurt Faltlhauser das Wort. vertreten worden. Deshalb schlagen wir vor, die Ratifizierung der jetzt Dr. Kurt Faltlhauser (CDU/CSU): Herr Präsident! vorgelegten Vertragsänderungen mit den Regelun- Meine Damen und Herren! Der Beitrag der Kollegin gen zur Zahl der Europaabgeordneten, die spätestens Matthäus-Maier enthielt zwei besonders bemerkens- Ende des Jahres beschlossen werden, zu verbinden. werte Aspekte. Er beinhaltete erstens eine volle Zu- Ziehen wir diese Verhandlungen vor und bringen wir stimmung zum Vertragstext zur Wirtschafts- und das mit in die Ratifizierung ein, so üben wir erstens Währungsunion, zwar widerwillig, aber es war eine Druck auf die Regierungen aus, in diesen Bereichen Rundum-Zustimmung. schnell voranzukommen, und tragen zweitens dazu bei, daß gleichzeitig Nachverhandlungen für mehr (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wieso wider parlamentarische Rechte möglich sind. willig?) Zum zweiten haben Sie sich gleichzeitig geradezu (Beifall bei der SPD) störrisch geweigert, denjenigen Beifall zu geben, die Das heißt: Der entsprechende Wille muß jetzt vorhan- dieses Vertragswerk ausgearbeitet und ausgehandelt den sein. Wenn der Bundeskanzler und der Außenmi- haben. Sie haben den Eindruck erweckt, das sei einer- nister, wenn Sie alle, die Sie hier sitzen, wirklich so an seits gewissermaßen die reife Frucht der Kanzler- der Ausfüllung des parlamentarischen Defizits inter- schaft von Helmut Schmidt und andererseits das Er- essiert sind, dann lassen Sie sich mit auf diesen Weg gebnis der intensiven Beratungen des Präsidenten der ein! Sorgen Sie mit dafür, daß alle nächsten Ab- Bundesbank gewesen. schnitte von Juni des nächsten Jahres bis Ende näch- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sie haben ja sten Jahres genutzt werden, um mehr Rechte für das keine Ahnung!) Europäische Parlament nachzufordern und damit eine wirkliche Gesetzgebungsmöglichkeit und eine volle Ich kann Ihnen nur sagen, Frau Kollegin: Es war der Mitentscheidungsmöglichkeit des Europäischen Par- andere Helmut, der in Maastricht verhandelt hat! laments mit in die Verhandlungen einzubringen. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Kleinka Zum Schluß, liebe Kolleginnen und Kollegen, will riert!) ich noch einmal daran erinnern — das paßt in das Und: Es war der jetzige Finanzminister, der dieses Bild —, was Bundeskanzler Kohl in einer Debatte im Ergebnis zustande gebracht hat, nicht aber der Bun- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1991 5829

Dr. Kurt Faltlhauser desbankpräsident, der den Ausgang dieser Verhand- bilitätsanforderungen des WWU-Vertrags nicht nur lungen in einem Resümee freilich gelobt hat. erfüllt, sondern sogar übererfüllt. Dies verdient ge- nauer betrachtet zu werden. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Kleinka riert!) In § 3 des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank Überwinden Sie Ihre Hemmschwelle und geben Sie heißt es schlicht, daß die Bundesbank die Währung zu dann Beifall, wenn er notwendig, wenn er angebracht sichern habe. In § 12 heißt es: ist. Dieser WWU-Vertrag ist ein hervorragendes und Die Deutsche Bundesbank ist verpflichtet, unter nicht zu verbesserndes Werk. Wahrung ihrer Aufgaben die allgemeine Wirt- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — schaftspolitik der Bundesregierung zu unterstüt- zen. Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Über meine - Hemmschwelle diskutieren wir mal!) In dem neu ausgehandelten Vertrag von Maastricht Franz Josef Strauß hat in seinem Buch „Gebote zur heißt es in Art. 105 — ich zitiere —: Freiheit" folgendes beklagt — ich zitiere — : Das vorrangige Ziel des europäischen Systems Der europäische Pioniergeist unter den Staats- der Zentralbanken ist es, Preisstabilität zu ge- männern und Politikern unseres Kontinents währleisten. Soweit dies ohne Beeinträchtigung scheint erloschen. Namen der europäischen Qua- des Ziels der Preisstabilität möglich ist, unter- lität eines Alcide de Gasperi, eines Robert Schu- stützt das ESZB man, eines Konrad Adenauer sind rar gewor- — das sind die Europäische Zentralbank und die na- den. tionalen Zentralbanken in der EG — Das Buch datiert aus dem Jahre 1980. Franz Josef die allgemeinen Wirtschaftspolitiken in der Ge- Strauß würde sich heute beruhigt zurücklehnen und meinschaft. zusehen; denn wir haben wieder deutsche Namen der geforderten Qualität. Er würde besonders zufrieden Meine Damen und Herren, diese Festlegung auf die sein, weil der Name seines Nachfolgers Theodor Wai- Priorität der Geldwertstabilität ist eindeutiger als die gel mit dabei ist. im Bundesbankgesetz. Diese von Deutschland durch- gesetzte Formulierung bedeutet nichts anderes als die (Beifall bei der CDU/CSU). klare Festlegung: Unterstützung durch das europäi- Herr Wieczorek — er ist nicht mehr anwesend —, sche Zentralbankensystem in der Wirtschaftspolitik, der Strukturpolitik, der Konjunkturpolitik ausschließ- (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Er lich dann, wenn dadurch der Geldwert nicht gefähr- kommt gleich!) det wird. Das ist eine sehr stringente Vorgabe. Das ist dessen Sachkunde ich sehr schätze, hat hier einen mehr, als in unseren deutschen Gesetzen festgelegt Beitrag geleistet, in dem er bemüht war, alle mögli- ist. chen zukünftigen Konflikte zu sammeln. Aber natür- Ähnliches gilt für die lich gibt es auch auf der Basis eines guten Vertrags- Unabhängigkeit der Leitungs- Hier gibt es werks die Möglichkeit von Konflikten. Die Arbeit ist ja organe der Europäischen Zentralbank. eine klare Regelung. Während es im Bundesbankge- am Dienstag nicht beendet worden, sondern darauf setz schlicht heißt, daß die Bundesbank bei der Aus- muß man in den nächsten Jahren aufbauen. übung der Befugnisse, die ihr nach dem Bundesbank- Die vernünftigste Lösung für zukünftige Konflikte gesetz zustehen, von Weisungen der Bundesregie- wäre, diese Bundesregierung möglichst lange im Amt rung unabhängig ist, steht in Art. 107 des neu ausge- zu halten, und die Opposition sollte uns gelegentlich handelten WWU-Vertrags ausdrücklich, daß bei Wah- aus nationaler Verantwortung zustimmen. Ich glaube, rung der in diesem Vertrag und in der Satzung der das wäre die beste Lösung, um diese Konflikte zu ESZB übertragenen Befugnisse, Aufgaben und Pflich- bewältigen. ten weder die EZB — man muß sich an die neuen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Abkürzungen wirklich gewöhnen — noch eine Zen- tralbank eines Mitgliedstaats, noch ein Mitglied ihrer Frau Wieczorek-Zeul, der Begriff „nachbessern" Beschlußorgane Weisungen von Organen oder Insti- hat mir nicht gefallen; er wurde auch an anderer Stelle tutionen der Gemeinschaft, Regierungen der Mit- verwendet. Das klingt so, als müsse man nachsitzen, gliedstaaten oder anderen Stellen einholen oder an- weil man keine ordentliche Arbeit geleistet hat. nehmen dürfen. (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Wenn Dann wird noch eines draufgelegt, meine Damen Sie es so interpretieren!) und Herren. Es heißt ausdrücklich — das hat mich in Eine solche Meinung wäre aber gerade im Hinblick dieser Deutlichkeit überrascht —: auf den WWU-Vertrag nicht richtig. Es ist das Opti- Die Organe und Institutionen der Gemeinschaft male erreicht worden. Wenn wir es allerdings so inter- sowie die Regierungen der Mitgliedstaaten ver- pretieren, daß wir weiterarbeiten müssen, würde ich pflichten sich, diese Grundsätze zu beachten und selbst diesem Begriff zustimmen. Ich meine aber, der nicht zu versuchen, die Mitglieder der Beschluß Begriff „weiterverhandeln" ist besser als der Begriff organe der EZB und der Zentralbanken der Mit- „nachbessern". gliedstaaten bei der Wahrung ihrer Aufgaben zu (Zustimmung bei der CDU/CSU) beeinflussen. Der Herr Bundeskanzler hat schon darauf hinge- Mögen diejenigen, die das formuliert haben, dabei wiesen, daß die Bundesrepublik Deutschland die Sta an die Eleganz des Einflusses französischen Etatismus 5830 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1991

Dr. Kurt Faltlhauser gedacht haben oder an sizilianische Versuchungen — scher Geldwertstabilität geworden. Dieses Symbol der Vertragstext läßt auch hier keinerlei Spielraum für soll auch für die Europäische Gemeinschaft gelten. verfälschende Interpretationen. Das Europäische Währungsinstitut als Vorbereitungs- institution kann also seinen Platz nur dort haben. Das Entscheidend ist auch, daß nach diesem Vertrag die wäre ein guter Start auf der Basis dieses hervorragen- Vorgabe von wechselkurspolitischen Richtlinien den WWU-Vertrages. durch politische Instanzen nicht mehr möglich ist. Ich bedanke mich. Der Mann auf der Straße fragt sich, wo eigentlich (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) das deutsche Interesse an einer derartigen Wäh- rungsunion ist. Wir können ihm antworten, daß die deutsche Volskwirtschaft vor allen Dingen vom Han- - Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Nun er- del mit anderen Ländern lebt, mehr als jede andere teile ich dem Chef der nordrhein-westfälischen Volkswirtschaft auf dieser Erde. Mehr als ein Drittel Staatskanzlei, dem Minister für besondere Aufgaben, unseres Bruttosozialprodukts wird im Export erwirt- Wolfgang Clement, das Wort. schaftet. Davon gehen allein 60 % an die europäi- schen Nachbarländer. Die deutsche Volkswirtschaft hängt also in hohem Maße auch von der wirtschaftli- Minister Wolfgang Clement (Nordrhein-Westfalen) : chen Stabilität unserer Partnerländer ab. Deshalb ha- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Europa ben wir Deutschen ein großes Interesse an stabilen und die Europäische Gemeinschaft haben viel mit Verhältnissen in den anderen Staaten der Europäi- Symbolen zu tun. Auch die Länder sind von dieser schen Gemeinschaft. Stabiles Geld und solide Staats- europäischen Symbolik betroffen. finanzen in unseren Partnerstaaten entscheiden mit Bei der feierlichen Eröffnung der Europäischen Re- darüber, ob bei uns in Deutschland Wachstum und gierungskonferenz in Rom vor gut einem Jahr, im Beschäftigung auf Dauer gesichert sein können. Dezember 1990, saßen die Ministerpräsidenten der Der Finanzminister hat hervorgehoben, daß der Länder mit am Verhandlungstisch. Sie durften zwar WWU-Vertrag ein Stabilitätspakt ist. Das Ergebnis nicht mitreden, aber am Verhandlungstisch mit dabei- dieses Stabilitätspaktes werden mehr Wohlstand und sein. Am Ende, in Maastricht, waren die Länder wie- stabileres Wachstum in ganz Europa sein. Aus der Sta- der vor die Tür verbannt. Wir durften zwar in der Dele- bilitätsgemeinschaft, meine Damen und Herren, wird gation mitreisen, aber am Verhandlungstisch waren eine Wachstumsgemeinschaft werden. Ich bin ganz wir nicht mehr erwünscht. Wir haben also, meine Da- sicher, daß sich die Engländer letztlich sehr schnell men und Herren, die Streichung des Begriffs „Föde- anschließen werden; denn wo Erfolg ist, ist auch Ge- ralismus" aus dem Vertrag der Politischen Union ge- folgschaft. wissermaßen am eigenen Leibe verspürt. Wenn ich diese Symbolik noch etwas tiefergehend Lassen Sie mich noch zu einem Aspekt, der von interpretieren darf, dann würde ich sagen, daß Maas- Herrn Wieczorek angesprochen wurde — er hat sich tricht eine Veranstaltung nach dem Motto war: Alle zu den möglichen Problemen des Kohäsionsfonds ge- Gewalt geht vom Rat der europäischen Staats- und äußert —, etwas sagen. Ich glaube, daß sich keine Pro- Regierungschefs aus. Es ist klar, daß die Föderalisten, bleme aus diesem Fonds — auch wenn er einmal do- daß die Parlamente der Länder, des Bundes und das tiert sein wird — ergeben. Es ist vernünftig, in Um- Europäische Parlament damit am Nerv getroffen wer- welt- und Verkehrsfragen eine Unterstützung zu ge- den können. Ich würde den Staats- und Regierungs- ben. chefs nahelegen, sich in der Wissenschaft umzutun, Allerdings müssen wir den Partnern heute sagen, um zu erkennen, daß das, was der Europäische Rat der daß es sich bei diesem Vertragswerk um eine Wäh- Staats- und Regierungschefs zur Zeit durchführt, be- rungsunion und nicht um eine Umverteilungsunion schließt, eine Art Vorläufer eines europäischen Präsi- handelt. Es darf sich also nicht eine bequeme Neh- dialsystems ist, das selbstverständlich an den Nerv mermentalität entwickeln. Eine langfristige Anglei- des Parlamentarismus geht. chung des Wohlstandsniveaus ist nur durch die Ent- (Beifall bei der SPD) wicklung der Produktivkräfte in den einzelnen Län- Meine Damen und Herren, Herr Schäuble hat ge- dern möglich, nicht aber durch das Zukleistern von fragt, ob man von Maastricht mehr hätte erwarten Defiziten mit Geschenken. können. Meine Antwort lautet: Man hätte von Maas- Noch eine Erwartung zum Schluß. Der Deutsche tricht mehr erwarten müssen. Bundestag hat — in Übereinstimmung mit der Bun- (Zustimmung bei der SPD) desregierung — wiederholt gesagt: Wir wollen die Und „mehr erwarten müssen" bezieht sich insbeson- Europäische Zentralbank in Frankfurt. dere auf die parlamentarischen Rechte der Vertreter (Peter Kittelmann [CDU/CSU]: So ist es!) der Bürgerinnen und Bürger in Straßburg. Jetzt ist das Europäische Währungsinstitut verankert. (Beifall bei der SPD) Es ist gut, daß dieses Währungsinstitut vor allem die Die Länder haben wie der Bundeskanzler vor dem Aufgabe hat, die vielen komplizierten technischen Gipfel den gleichgewichtigen Fortschritt der beiden Vorbereitungsarbeiten für die Europäische Zentral- Regierungskonferenz en zur Währungsunion und bank zu leisten. Und es ist noch besser, daß dieses Politischer Union gefordert. Ich denke, das ist heute Institut kein eigenes Geld emittieren kann. Am besten in der Debatte ausreichend deutlich geworden: Die- jedoch wäre es, wenn auch dieses Institut in Frankfurt sen gleichgewichtigen Fortschritt gibt es nicht. Es gibt angesiedelt würde. Frankfurt ist zum Symbol deut ein ziemlich präzise formuliertes Vertragswerk für die Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1991 5831

Minister Wolfgang Clement (Nordrhein-Westfalen) Währungsunion, aber es wäre übertrieben, in Sachen ihm anworten: Für uns gibt es auch hinsichtlich dieses Politischer Union von einem Durchbruch zu sprechen. Prinzips keinen Grund zum Jubel. Beim Subsidiari- Die „FAZ" hat recht — Frau Wieczorek-Zeul hat es tätsprinzip haben sich die Regierungschefs nämlich zitiert — : Was herausgekommen ist, ist eine hinkende leider nicht zu einer klaren Absage an zentralistische Union — genau das, was der Bundeskanzler hatte ver- Entwicklungen in Europa durchringen können. Was hindern wollen. erreicht worden ist, ist eine Kompromißformel, um das Wir als Länder haben nicht nur den Gleichklang von Äußerste, nämlich eine zentralistische Optimierungs- Währungsunion und Politischer Union, sondern auch formel — hätte ich beinahe gesagt — auf europäischer einen sozialen Fortschritt gefordert, der mit dem Fort- Ebene, zu verhindern. schritt in Europa Schritt halten muß. Das ist die bitter- Der Regionalausschuß, wie er jetzt vereinbart wor- ste Enttäuschung von Maastricht. Großbritannien hält - den ist, ist in seiner Ausgestaltung für uns als erster sich außen vor. Was dahintersteht, ist an Zynismus Schritt akzeptabel. Es wird ja danach ein eigenständi- schwerlich zu überbieten. Was dahintersteht, ist die ger Ausschuß der Regionen gebildet, in dem Deutsch- Absicht der britischen Regierung, mit Sozialdumping land 24 Sitze hat. Die Mitglieder werden vom Rat auf wirtschaftliche Vorteile im Standortwettbewerb zwi- Vorschlag der jeweiligen Mitgliedstaaten ernannt. schen den Regionen in Europa zu gewinnen. Dabei bleibt es dem innerstaatlichen Verfahren über- lassen, den Status der Mitglieder und die Auswahl zu (Beifall bei der SPD) regeln. Das ist fast unverhohlen vom britischen Premier er- In der Bundesrepublik Deutschland werden sich die klärt worden. Es gehört zu den am schwersten zu Länder über die Besetzung des Regionalausschusses ertragenden Ergebnissen und Erfahrungen dieses verständigen. Dieser Ausschuß muß eine Vertretung Gipfels, daß nicht verhindert werden konnte, daß sich der unmittelbar unterhalb der Mitgliedstaaten ange- die britische Regierung aus dem sozialen Fortschritt in siedelten Ebene, also der dritten europäischen Ebene, Europa ausklinken konnte. sein. Das heißt, um dies unzweideutig zu sagen: Die Ein Preis für die vereinbarte Wirtschafts- und Wäh- Kommunen werden den bei der Kommission beste- rungsunion ist der Kohäsionsfonds, der zum Ziel hat, henden Beirat für regionale und lokale Gebietskör- die ökonomisch noch zurückhängenden Regionen perschaften dann zur alleinigen Vertretung ihrer In- und Mitgliedsstaaten in Europa voranzubringen. An teressen nutzen können. Ich glaube, daß eine solche diesem Ziel der Herstellung möglichst gleicher Le- klare Trennung zwischen Regionalausschuß für die bensverhältnisse in Europa gibt es prinzipiell nichts zu Länder und Regionen und Beirat für die Kommunen deuteln. Aber für die Länder möchte ich nach den sowohl den Interessen der Länder als auch denen der Erfahrungen mit dem Vertrag zur deutschen Einheit Kommunen am ehesten entspricht. und seinen finanziellen Auswirkungen auf Länder Bedeutsam ist aus unserer Sicht insbesondere und Gemeinden hier anmelden, daß wir an den Ver- Art. 146, der auf belgischen Vorschlag — leider nicht handlungen über die Ausgestaltung des Kohäsions- auf deutschen Vorschlag — in die Verträge hineinge- fonds von Anfang an wie bei den Regierungskonfe- kommen ist. Er sieht vor, daß die Interessen der Län- renzen beteiligt werden wollen, zumal wir damit rech- der und Regionen der Bundesrepublik Deutschland nen müssen, daß die Auswirkungen wiederum die im Ministerrat künftig auch von Vertretern der Länder Länder und die Gemeinden treffen. wahrgenommen werden können, jedenfalls dann, (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Ingrid wenn sie unmittelbar betroffen sind, also bei Bildung, Matthäus-Maier [SPD]: Das machen die im Wissenschaft, Kultur, Medien etc. mer so!) Es kommt hier wie auch in anderen Bereichen jetzt Ich stehe nicht an, zu sagen, daß der Papierform sehr darauf an, wie dieser Art. 146 in innerstaatliches nach die Ergebnisse von Maastricht, soweit sie die Recht umgesetzt wird. Wir werden dann feststellen föderalen Ansätze im Vertragswerk betreffen, mehr können, inwieweit insbesondere Sie, Herr Bundesau- für uns erbracht haben, als wir in den letzten Wochen ßenmini ster, föderale Prinzipien inzwischen verin- vor dem Gipfel erwarten konnten. nerlicht haben. (Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Was hätte Die Länder waren mit dem Ziel angetreten — das ist man denn außer Papierform erwarten kön hier erklärt worden, aus meiner Sicht allerdings als nen?) aus der falschen Richtung — , die Kompetenzen der Gemeinschaft so weit wie möglich eindeutig und klar — Sie müssen verstehen, daß es auch Grundsätze gibt, zu beschreiben und damit auch zu begrenzen. Für den die die Länder betreffen. Fall, daß das gelungen wäre, wären wir bereit gewe- (Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Das ist sen, uns der Abstimmung durch qualifizierte Mehr- doch auch nur Papier!) heiten zu unterwerfen. Leider ist es auf den Konferen- zen bis zum Gipfel hin nicht gelungen, solche klaren Wir sind ja an einem europäischen Gesamtwerk inter- Kompetenzabgrenzungen zu erreichen. Deshalb essiert. Das ist auch das Interesse der Länder, die hier mußten die Länder in der Schlußphase der Verhand- — ich spreche für den Bundesrat — selbstverständlich lungen die Notbremse ziehen und in den Bereichen auch das Ganze zu beurteilen haben. ihrer ureigenen Kompetenzen auf Einstimmigkeit be- Der Papierform nach spreche ich über die föderalen stehen. Ansätze. Die föderalen Ansätze, über die ich spreche, Wir sind froh, daß das für den Bereich der Kultur betreffen bespielsweise die Subsidiaritätsformel. Der und der Medien erreicht worden ist, daß sich der Bun- Bundeskanzler hat dies hervorgehoben. Ich möchte deskanzler und der Bundesaußenminister dem ange- 5832 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1991

Minister Wolfgang Clement (Nordrhein-Westfalen) schlossen haben. Wir bedauern, daß das für den Be- Herausgekommen ist letztlich ein Erfolg, auch wenn reich der Bildung und der Gesundheit nicht gelungen lange nicht alle Wünsche erfüllt werden konnten. Da- ist. Deshalb muß ich darauf hinweisen, daß es vor für gebührt den Konferenzteilnehmern Dank, ganz einer endgültigen Bewertung einer sehr sorgfältigen besonders unserer deutschen Verhandlungsdelega- Analyse dieser Normen bedarf. Dabei ist zu prüfen, in tion, die es verstanden hat, mit Geschick und Beharr- welchem Umfang der Kommission möglicherweise lichkeit die Interessen unseres Landes zu vertreten, unkalkulierbare Handlungsbefugnisse eingeräumt ohne unseren Partnern Anlaß zur Sorge vor deutscher worden sind, die für die Länder in den Bereichen ihrer Dominanz zu geben. ureigenen Kompetenzen nicht hinnehmbar wären. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Für die Länder wird die abschließende Bewertung entscheidend davon abhängen, welche Verbesserun- Europa ist in dieser Woche ein gutes Stück voran- - gen des innerstaatlichen Beteiligungsverfahrens jetzt gekommen. Dies gilt insbesondere für den Bereich der erreicht werden können. Da geht es nicht nur um die Wirtschafts- und Währungsunion. Es gilt auch für die bisher von der Bundesregierung nicht akzeptierte Schaffung der europäischen Bürgerschaft mit ihrer Forderung nach einem Klagerecht der Länder vor Ausweitung des Aufenthaltsrechts und der Möglich- dem Europäischen Gerichtshof; da geht es, wie ge- keit, sein Recht der Wahl zum Europaparlament an sagt, auch um die Ausführungsvorschriften zu jedem Ort der Europäischen Gemeinschaft auszu- Art. 146, also um die Mitwirkung der Länder im euro- üben, und — das ist in meinen Augen besonders wich- päischen Ministerrat, und es geht um die aus unserer tig — für die Schaffung des kommunalen Wahl- Sicht notwendige Bindung der Bundesregierung bei rechts. Maßnahmen nach Art. 235 — dem Einfallstor für Dies sind doch, meine Damen und Herren, erste schleichende Kompetenzanmaßung durch die Kom- klare Elemente einer bundesstaatlichen Verfassung, mission — an die Zustimmung durch den Bundesrat. auch wenn das einheitliche Wahlrecht für die Europa- Ich habe mit Genugtuung vernommen, daß der wahl einstweilen noch nicht geschaffen werden Bundeskanzler erklärt hat, die Bundesregierung habe konnte. Das mag sich ja ändern, wenn die Liberalen in den festen politischen Willen, im Rahmen des Ratifi- Großbritannien ein Wort mitzureden haben. kationsverfahrens zu einer vernünftigen und ange- (Beifall bei der FDP) messenen Fortschreibung der Beteiligung der Bun- desländer in Fragen der Europäischen Gemeinschaft Was Maastricht für das Europäische Parlament an beizutragen. Das ist so allgemein wie hoffentlich ver- zusätzlichen Möglichkeiten gebracht hat, insbeson- bindlich. Wir werden die Bundesregierung an diesem dere den Einstieg in das Mitentscheidungsverfahren, Wort selbstverständlich messen. Ich denke, daß wir ist unter den gegebenen Umständen sicher nicht ge- sehr schnell zu sehr viel konkreteren Gesprächen ringzuschätzen. Aber gemessen an dem, was notwen- über diese Fragen der innerstaatlichen Beteiligung dig wäre, um das Defizit an demokratischer Kontrolle kommen müssen als bisher. Bisher haben wir — das der europäischen Institutionen zu beheben, ist es eher müssen wir sagen — weder in der Bundesrepublik bescheiden. noch in Europa festen föderalen Grund unter den Fü- (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der ßen. Bis dahin sind noch ein paar Meter zu gehen. SPD) Schönen Dank. Nur, keine noch so geschickte Diplomatie kann das (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Problem der Quadratur des Kreises lösen und objektiv der PDS/Linke Liste) unvereinbare Positionen in Einklang bringen. Die Rechte des Europaparlamentes bleiben auf der Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Ich erteile Tagesordnung. Die nächste Konferenz ist fest termi- der Abgeordneten Frau von Teichman das Wort. niert. Spätestens dann muß der nächste Schritt getan werden. Dr. Cornelie von Teichman (FDP): Herr Präsident! (Beifall bei der FDP — Ingrid Matthäus Meine Damen! Meine Herren! Herr Clement, mir Maier [SPD]: Das klingt ja wie bei Frau scheint Ihr Jammern und Klagen doch reichlich über- Wieczorek-Zeul! — Heidemarie Wieczorek zogen zu sein; denn gegen den erklärten Widerstand Zeul [SPD]: Ja, das entspricht auch unserer der anderen Länder der Europäischen Gemeinschaft Position!) haben wir ein föderales Gremium geschaffen, haben wir den Regionalausschuß durchsetzen können. Wir Aus deutscher Sicht bedauerlich ist natürlich, daß haben auch erreicht — wenn ich „wir" sage, meine ich die Erhöhung der Abgeordnetenzahl um die 18 Ab- auch uns als die die Regierung tragenden Fraktio- geordneten aus den neuen Bundesländern noch nicht nen — , daß das Subsidiaritätsprinzip justitiabel in endgültig festgelegt werden konnte. Ich bin aber zu- den Verträgen verankert worden ist. Das ist ein ganz versichtlich, daß dies im Laufe des nächsten Jahres entscheidender Schritt. Man muß wirklich sehen: Die gelingen wird und daß diese Frage spätestens im anderen Länder haben diese Prinzipien nicht. Gegen Zuge der neuen Beitrittsverhandlungen gelöst wer- ihren Widerstand sind diese Bestimmungen in die den wird. Verträge aufgenommen worden. Enttäuschend ist, daß nicht alle Mitgliedstaaten be- Maastricht ist von daher nicht Waterloo. Die dro- reit waren, der Europäischen Gemeinschaft im Be- hende Niederlage für Europa und für uns alle, mit der reich der Außen- und Sicherheitspolitik die Kompe- wir nach all den Schwierigkeiten der letzten Wochen tenzen und die Entscheidungsverfahren zu übertra- und Monate rechnen mußten, ist abgewendet worden. gen, die dringend erforderlich sind, um endlich auch Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 68. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. Dezember 1991 5833

Dr. Cornelie von Teichman gemeinschaftlich handlungsfähig zu werden. Aber so Woche eine neue Qualität gewonnen. Trotz allem vollzieht es sich nun einmal in der Europäischen Ge- geht es mit Europa voran. meinschaft. Der europäische Einigungsprozeß ver- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) läuft seit 35 Jahren so: nicht im revolutionären Eil- tempo, sondern in kleinen Schritten und mühsamen Kompromissen. Maastricht ist aber nicht nur ein Ereignis von Be- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nachdem deutung für die Mitgliedstaaten der EG. Weil es den wir nun am Schluß der Aussprache sind, kann ich den Willen und die Fähigkeit der Gemeinschaft zur Wei- Zusatzpunkt 14 aufrufen: terentwicklung der europäischen Union demonstriert Beratung der Beschlußempfehlung und des Be hat, wird es auch für unsere Nachbarn im Osten und richts des Finanzausschusses (7. Ausschuß) zu Südosten Europas ein positives Signal sein. Für diese - der Unterrichtung durch die Bundesregierung Länder ist die EG Hoffnung und Ziel zugleich. Ein Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Rückschlag in Maastricht wäre auch ein Rückschlag die Überwachung und Kontrolle der Großkre- für diese Hoffnungen gewesen. dite von Kreditinstituten Die EG muß sich jetzt verstärkt den jungen Demo- — Drucksachen 12/849 Nr. 2.1, 12/1809 — kratien, den ehemaligen Ostblockstaaten, dem Balti- kum und den sich neu bildenden Staaten auf dem Berichterstattung: Gebiet der bisherigen Sowjetunion, zuwenden, damit Abgeordnete Dr. Karl H. Fell diese Hoffnungen Realität werden. Zeitgleich mit den Martin Grüner anstehenden Beitrittsverhandlungen mit Österreich, Dr. Norbert Wieczorek Schweden und vielleicht auch anderen Staaten müs- Eine Aussprache ist nicht vorgesehen, so daß wir -sen politische Signale gesetzt werden, die den ost gleich zur Abstimmung kommen können. Ich lasse und südosteuropäischen Staaten eine konkrete Per- also über die Beschlußempfehlung des Finanzaus- spektive für die Annäherung an die EG und, wenn sie schusses auf Drucksache 12/1809 abstimmen. Wer da- dies wünschen, schließlich für die Mitgliedschaft ge- für ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ben. stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung (Beifall bei der FDP) von zwei Mitgliedern der Gruppe der PDS ist die Be- Alles in allem, meine Damen und Herren, ist Maas- schlußempfehlung angenommen worden. tricht kein sensationeller Durchbruch, aber ein ver- Wir sind damit am Ende der Tagesordnung. Ich nünftiger Schritt in die richtige Richtung. Weitere möchte mich bei denjenigen, die die Geduld gehabt müssen folgen, und zwar bald. Lassen Sie uns gemein- haben, bei dieser wichtigen Debatte bis zum Schluß sam daran arbeiten, gemeinsam in dem Sinne, wie es anwesend zu sein, herzlich bedanken und Ihnen und unsere beiden letzten Entschließungsanträge hier im Ihren Angehörigen ein frohes Weihnachtsfest, gute Hause waren. Lassen Sie uns auch Überzeugungsar- Erholung und ein glückliches, vor allem friedvolles beit bei unseren britischen Freunden leisten, damit neues Jahr wünschen. Diese Wünsche sind nicht nur das Wort „föderal" vielleicht doch noch seinen ganz die meinen, sondern auch die der Kolleginnen und unverdienten Schrecken verliert, und auch bei unse- Kollegen aus dem Präsidium und gelten auch Ihren ren eigenen Landsleuten, die durch das vielstimmige Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Echo auf Maastricht vielleicht verunsichert sein könn- ten. Nun bleibt mir nur noch übrig, die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 15. Ja- Ich möchte mit folgenden Worten, etwas frei nach nuar 1992, 13 Uhr einzuberufen und Ihnen eine gute Churchill, schließen: Maastricht ist nicht das Ende der Heimfahrt zu wünschen. europäischen Entwicklung, noch nicht einmal der An- fang ihres Endes, aber vielleicht das Ende ihres An- Die Sitzung ist geschlossen. fangs. Der europäische Einigungsprozeß hat in dieser (Schluß der Sitzung: 12.40 Uhr)

Berichtigung

64. Sitzung: Auf Seite 5503 B ist ab der dritten Zeile zu lesen:

ten hat. Er hat gesagt, — —

(Zuruf von der CDU/CSU)

— Ich glaube, die ganze Nation hatte Achtung vor der Entschlossenheit und Besonnenheit, mit der die Bergleute von Sophia-Jacoba hier demon- striert haben.

Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1991 5835'

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Liste der entschuldigten Abgeordneten Leidinger, Robert SPD 13. 12. 91 entschuldigt bis Link (Diepholz), Walter CDU/CSU 13. 12. 91 Abgeordnete(r) einschließlich Lowack, Ortwin fraktionslos 13. 12. 91 Dr. Mertens (Bottrop), SPD 13. 12. 91 Dr. Ackermann, Else CDU/CSU 13. 12. 91 Franz-Josef Andres, Gerd SPD 13. 12. 91 Dr. Meseke, Hedda CDU/CSU 13. 12. 91 Antretter, Robert SPD 13. 12. 91 * Michels, Meinolf CDU/CSU 13. 12. 91 Baum, Gerhart Rudolf FDP 13. 12. 91 Dr. Neuling, Christian CDU/CSU 13. 12. 91 Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 13. 12. 91 Neumann (Bramsche), SPD Volker Böhm (Melsungen), CDU/CSU 13. 12. 91 * Niggemeier, Horst SPD 13. 12. 91 Wilfried Ostertag, Adolf SPD 13. 12. 91 Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 13. 12. 91 * Paintner, Johann FDP 13. 12. 91 Dr, von Bülow, Andreas SPD 13. 12. 91 Dr. Pfennig, Gero CDU/CSU 13. 12. 91 Büttner (Ingolstadt), Hans SPD 13. 12. 91 Pfuhl, Albert SPD 13. 12. 91 * Clemens, Joachim CDU/CSU 13. 12. 91 Priebus, Rosemarie CDU/CSU 13. 12. 91 Dehnel, Wolfgang CDU/CSU 13. 12. 91 Rahardt-Vahldieck, CDU/CSU 13. 12. 91 Doppmeier, Hubert CDU/CSU 13. 12. 91 Susanne Dr. Dregger, Alfred CDU/CSU 13. 12. 91 Raidel, Hans CDU/CSU 13. 12. 91 Rappe (Hildesheim), SPD 13. 12. 91 Ehrbar, Udo CDU/CSU 13. 12. 91 Hermann Eymer, Anke CDU/CSU 13. 12. 91 Regenspurger, Otto CDU/CSU 13. 12. 91 Dr. Feige, Klaus-Dieter Bündnis 90/ 13. 12. 91 Rempe, Walter SPD 13. 12. 91 GRÜNE Reschke, Otto SPD 13. 12. 91 Dr. Feldmann, Olaf FDP 13. 12. 91 * Rixe, Günter SPD 13. 12. 91 Dr. Fell, Karl H. CDU/CSU 13. 12. 91 Schäfer (Offenburg), SPD 13. 12. 91 Gattermann, Hans H. FDP 13. 12. 91 Harald B. Glos, Michael CDU/CSU 13. 12. 91 Schmidt-Zadel, Regina SPD 13. 12. 91 Dr. Glotz, Peter SPD 13. 12. 91 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 13. 12. 91 Hans-Peter Grochtmann, Elisabeth CDU/CSU 13. 12. 91 Schröter, Karl-Heinz SPD 13. 12. 91 Gröbl, Wolfgang CDU/CSU 13. 12. 91 Schulhoff, Wolfgang CDU/CSU 13. 12. 91 Großmann, Achim SPD 13. 12. 91 Schuster, Hans Paul FDP 13. 12. 91 Grünbeck, Josef FDP 13. 12. 91 Hermann Dr. Haussmann, Helmut FDP 13. 12. 91 Dr. Stoltenberg, Gerhard CDU/CSU 13. 12. 91 Dr. Hellwig, Renate CDU/CSU 13. 12. 91 Dr. Töpfer, Klaus CDU/CSU 13. 12. 91 Helmrich, Herbert CDU/CSU 13. 12. 91 Türk, Jürgen FDP 13. 12. 91 Dr. Vondran, Ruprecht CDU/CSU 13. 12. 91 Heyenn, Günther SPD 13. 12. 91 Vosen, Josef SPD 13. 12. 91 Hiller (Lübeck), Reinhold SPD 13. 12. 91 Weis (Stendal), Reinhard SPD 13. 12. 91 Homburger, Birgit FDP 13. 12. 91 Welt, Jochen SPD 13. 12. 91 Hüppe, Hubert CDU/CSU 13. 12. 91 Wiechatzek, Gabriele CDU/CSU 13. 12. 91 Ibrügger, Lothar SPD 13. 12. 91 ** Dr. Wieczorek CDU/CSU 13. 12. 91 Jaunich, Horst SPD 13. 12. 91 (Auerbach), Bertram Dr. Jork, Rainer CDU/CSU 13. 12. 91 Wissmann, Matthias CDU/CSU 13. 12. 91 Jung (Limburg), Michael CDU/CSU 13. 12. 91 Wollenberger, Vera Bündnis 90/ 13. 12. 91 GRÜNE Klinkert, Ulrich CDU/CSU 13. 12. 91 Zapf, Uta SPD 13. 12. 91 Kolbe, Manfred CDU/CSU 13. 12. 91 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- Koschyk, Hartmut CDU/CSU 13. 12. 91 lung des Europarates Kretkowski, Volkmar SPD 13. 12. 91 ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versamm- Kubicki, Wolfgang FDP 13. 12. 91 lung 5836* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1991

Anlage 2 ist auch rechtlich zulässig. Dem sehr sensiblen Ver- hältnis zu Israel sind Schüsse aus der Hüfte weiß Gott Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesordnungs- nicht sachdienlich! punkt 12 und Zusatztagesordnungspunkt 12 (Antrag betr. Sofortige Auflösung des „Koordinierungsaus- Aber natürlich müssen wir uns auch darum küm- schusses Wehrmaterial fremder Staaten" des Bun- mern, daß diese Art der wehrtechnischen Zusammen- desnachrichtendienstes und der Bundeswehr und arbeit — auch der Bereich der Überlassung von Wehr- Antrag betr. Parlamentarische Kontrolle der Auflö- material aus Beständen der ehemaligen NVA an an- dere Staaten — parlamentarisch besser begleitet wird. sung der NVA) *) Dafür ist aber gerade die Koordinierungsgruppe zwi- schen den verschiedenen Diensten und Ministerien notwendig. Nur wenn die Koordination zwischen den Am gleichen Tag, Thomas Kossendey (CDU/CSU): Ministerien und zwischen den Diensten gewährleistet als die Mitglieder der Gruppe PDS/Linke Liste ihren ist, werden wir als Parlamentarier in der Lage sein, Antrag, über den wir heute sprechen, eingereicht ha- aufgrund der Berichte, die uns von dort geliefert wer- ben, stand in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" den, Einblick zu nehmen, Fragen zu stellen und gege- ein Artikel über die in Hamburg bekanntgewordene benenfalls Einfluß auf die politische Leitung der ent- Lieferung von Wehrmaterial nach Israel. Dieser Arti- sprechenden Häuser auszuüben, um die Dinge zu ver- kel begann mit dem Satz: „Eine Bonner Affäre ist mei- hindern, die wir politisch eben nicht wollen. stens die voreilige Reaktion auf einen unbekannten Sachverhalt. " Für unsere Fraktion will ich gerne erklären, daß wir Viel besser kann man Ihren Antrag und das, was Überlegungen, die in diese Richtung zielen, aufge- damit verfolgt werden soll, wohl kaum charakterisie- schlossen gegenüberstehen. Da Ihr Antrag aber in ren! Mittlerweile hat sich nämlich vieles von dem, was eine falsche Richtung zielt, werden wir ihn heute ab- Sie an Aufklärung fordern, durch die Berichte erle- lehnen müssen. digt, die der Verteidigungsminister dem Verteidi- gungsausschuß vorgelegt hat; manches wird noch in Gernot Erler (SPD): Datiert vom 3. Oktober 1991 hat der Januar-Sitzung des Verteidigungsausschusses das Referat für Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr weiter zu klären sein. eine hübsche kleine Broschüre herausgegeben mit Insbesondere was die Entstehung des Koordinie- dem Titel „Ein Jahr deutsche Einheit. Eine Leistungs- rungsausschusses und was die Aktivitäten dieses Aus- bilanz der Bundeswehr" , geheftet in hoffnungsfrohes schusses angeht, sind wir im Verteidigungsausschuß Blau, in der man unter der Überschrift „Wohin mit ziemlich umfassend informiert worden. Allerdings dem Material?" folgende Passage lesen kann: „Die — das muß man der guten Ehrlichkeit halber hinzufü- NVA war eine hochgerüstete Armee. So waren gen — haben Sie es durch Nichtteilnahme an diesen 15 000 Waffensysteme, darunter 2 300 Kampfpanzer, Sitzungen geschickt verstanden, dem Risiko auszu- 7 800 gepanzerte Fahrzeuge, 2 500 Artilleriege- weichen, durch bessere Informationen von Ihren Vor- schütze, 400 Kampfflugzeuge, 70 Schiffe/Boote und urteilen abgebracht zu werden! Das kann man alleine 50 Kampfhubschrauber, 100 000 Radfahrzeuge aller schon daran erkennen, daß Sie in Ihrer Begründung Art, 1 200 000 Handwaffen mit dem dazugehörigen für den Antrag einiges an Sachverhalten schildern, Peripheriegerät und 300 000 Tonnen Munition zu die gänzlich an der Realität vorbeigehen. übernehmen." Lassen Sie mich nur den Fall aufgreifen, der aus Im weiteren findet man keine einzige Angabe mehr meiner Sicht — auch was die Öffentlichkeitswirksam- darüber, wohin denn nun die Bundesregierung diese keit angeht — die schlimmsten Auswirkungen haben Waffen und diese Ausrüstung verbracht hat. Was die kann: Sie sprechen in Ihrer Begründung ständig von Bundesregierung in ihrer Öffentlichkeitsarbeit vom „Waffenhandel" und erwecken den Eindruck, als Oktober verschwiegen hat, darauf sind Öffentlichkeit hätte hier ein illegaler Waffenhandel z. B. zwischen und Parlament inzwischen per Zufall gestoßen: Ein- Deutschland und Israel stattgefunden. Es ist nun in mal durch Fragen, die ich am 10. Oktober an dieser der Tat in den Beratungen des Verteidigungsaus- Stelle gestellt habe und auf die ich zunächst nur schusses deutlich geworden, daß es sich bei der seit höchst unvollständige Antworten erhielt. Dann aber 20 Jahren praktizierten wehrtechnischen Zusammen- auch durch die Beschlagnahmung des für Israel be- arbeit mit Israel eben nicht um Waffenhandel handelt. stimmten Wehrmaterials am 26. Oktober und die Es ging lediglich darum, den Israelis eine verbesserte nachfolgenden Recherchen und Anhörungen im Ver- Chance der Selbstverteidigung in einem feindlich ge- teidigungsausschuß. sonnenen Umfeld zu gewährleisten! Diese Verbesse- rung der Situation Israels wollten wir nicht etwa durch Bisheriges Ergebnis: Derzeit wird eine große, mo- Waffenlieferungen erreichen, sondern dadurch, daß derne Armee auf deutschem Boden verscherbelt, ver- wir ihnen die Möglichkeit gaben, die auf sie gerichte- teilt, verschenkt oder vernichtet, und das alles ohne ten Waffen an Einzelstücken besser zu analysieren, irgendeine öffentliche oder parlamentarische Kon- um ihre Verteidigungsvorbereitungen zu treffen. trolle und auch ohne, daß die Bundesregierung selbst eine verläßliche Übersicht über diesen Prozeß hat. Ich wiederhole es noch einmal deutlich: Diese Vielmehr verläuft dieser in Form eines administrati- wehrtechnische Zusammenarbeit mit Israel hat bei ven Willkürakts auf mittlerer Beamtenebene. uns einen hohen Stellenwert. Sie ist für uns eine mora- lische Verpflichtung, sie ist politisch sinnvoll, und sie Das öffentliche Interesse hat sich bisher sehr stark auf die BND-Lieferung an Israel konzentriert, weil bei ') Siehe 67. Sitzung, Seite 5792 D ihr wahrscheinlich gegen geltendes Gesetz verstoßen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1991 5837*

wurde. Wir sollten dem falschen Eindruck entgegen- Jürgen Koppelin (FDP): Mit dem Antrag der PDS/ treten, daß dieser Vorgang zur Zeit deshalb so gründ- Linke Liste wird gefordert, den Koordinierungsaus- lich parlamentarisch untersucht wird, weil Israel der schuß „Wehrmaterial fremder Staaten" umgehend Empfänger ist. In Wirklichkeit verdient dieser Fall aufzulösen und dem Deutschen Bundestag verschie- deswegen unser Interesse, weil sich inzwischen da- dene Berichte vorzulegen. Die Berichte liegen vor. hinter ein sehr breiter Prozeß mit vielen Handelnden Wenn die PDS an der Ausschußarbeit teilnehmen auftut, der sich vollständig im vorparlamentarischen würde, wäre das auch der PDS bekannt. Raum abspielt. Kernpunkt ist, daß die Verteilung der umfangreichen NVA-Hinterlassenschaft an minde- Mitglieder der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und stens 70 Interessenten schon begonnen hat. FDP haben zusätzlich auf Grund der Vorgänge um Waffenlieferungen nach Israel über 200 Fragen ge- stellt, die sehr ausführlich beantwortet worden sind. Und einige der inzwischen bekannt werdenden Daß sich aus der Beantwortung der gestellten Fragen „Einzelheiten" lassen einem tatsächlich die Haare zu natürlich erneut verschiedene Fragen ergeben, liegt Berge stehen. So legte uns Minister Stoltenberg am wohl in der Natur der Sache, und wir sind dabei — und 10. Dezember einen vorläufigen Be richt über die bis- haben das gestern in der Sitzung des Verteidigungs- herige Vergabe des NVA-Materials vor, aus dem her- ausschusses getan — die Beantwortung zu bewer- vorgeht, daß allein an die Türkei Lieferungen ver- ten. bindlich zugesagt oder erfolgt sind, mit der man eine ganze Bürgerkriegsarmee ausrüsten könnte. In den Jede Fraktion mag die Beantwortung unterschied- Listen tauchen unter anderem Panzerfäuste und Ka- lich bewerten, aber eines bleibt festzuhalten: Die Bun- laschnikows in sechsstelliger Größenordnung, meh- desregierung ist keiner Beantwortung einer Frage rere Tausend Maschinengewehre und Munition in der ausgewichen. unvorstellbaren Stückzahl von mehr als 400 Millionen Die FDP hat kein Verständnis für die Forderung der Stück auf. Diese „Materialhilfe" (das ist das Stichwort, unter dem das läuft) ist unterwegs, ohne daß sich das SPD, daß der Deutsche Bundestag die Art und Weise, in der die Bundesregierung Fragen von Abgeordneten Parlament oder irgendeiner seiner Ausschüsse bisher damit befaßt hat. beantwortet hat, mißbilligen soll. Und ich erlaube mir auch darauf hinzuweisen, daß Sie sich in Ihrem An- trag ja selbst widersprechen, wenn Sie unter Punkt 2 Welcher politische Schaden der Bundesrepublik einmal kritisieren, daß Sie auf Antworten längere Zeit hier droht, kann man daran absehen, daß es bereits haben warten müssen, und auf der anderen Seite Klagen von Vertretern Armeniens gibt, im armenisch- gleichzeitig im selben Absatz die Bundesregierung aserbeidschanischen Konflikt seien auf aserbei- auffordern, größere Sorgfalt bei der Beantwortung dschanischer Seite NVA-Waffen aus bundesrepubli- von mündlichen und schriftlichen Fragen von Abge- kanischen Beständen aufgetaucht. In diesem ganzen ordneten walten zu lassen. Komplex sind noch sehr viele Fragen offen, auf die die Bundesregierung uns noch wird antworten müssen. Die PDS fordert in ihrem Antrag, den Koordinie- rungsausschuß „Wehrmaterial fremder Staaten" um- Ich habe den Eindruck, daß ein tiefes Unbehagen gehend aufzulösen. Wir meinen: Selbstverständlich über diese ganzen Vorgänge in allen Bundestagsfrak- muß es eine Koordinierungsstelle geben, die darüber tionen wächst. Auf der Basis dieses Unbehagens und berät, was mit diesem Material, das ein erhebliches echter politischer Sorgen haben wir Sozialdemokra- Vermögen darstellt, geschehen soll, Mate rial, das wir ten den vorliegenden Antrag „Parlamentarische Kon- in unvorstellbaren Mengen übernommen haben. trolle der Auflösung der NVA" in den Bundestag ein- Bei dieser Gelegenheit erlaube ich mir den Hinweis, gebracht. Er fordert, daß die jetzt für Mitte Januar in daß der Staat DDR und die SED, deren Nachfolgeor- Aussicht gestellte Antwort auf unsere Kleine Anfrage ganisation die PDS ist, das Volk um einen großen Teil zur Verwendung und Weitergabe des NVA-Erbes un- der Früchte seiner Arbeit gebracht haben, weil dieser verzüglich auf die Tagesordnung der zuständigen Staat und diese Partei den Lohn der arbeitenden Men- Ausschüsse gesetzt wird, daß ferner künftig alle wei- schen in Waffenlager gesteckt haben, nicht nur bei teren Maßnahmen bei der Auflösung dieser Armee der Nationalen Volksarmee, sondern auch bei den der Beratung und Beschlußfassung im Verteidigungs- Betriebskampfgruppen und beim Staatssicherheits- ausschuß, im Auswärtigen Ausschuß und im Haus- dienst. Dafür trägt auch die PDS Mitverantwortung. haltsausschuß unterliegen und daß die Bundesregie- rung am Ende jedes Quartals dem Deutschen Bundes- Die Auflösung des Koordinierungsausschusses tag unverzüglich einen detaillierten Be richt über den „Wehrmaterial fremder Staaten" wird nur dazu füh- Fortgang der Auflösung und die Verwendung der ren, daß Wünsche auf Überlassung von Mate rial der NVA-Hinterlassenschaft vorzulegen hat. NVA bei verschiedenen Stellen geäußert werden und damit eine Kontrolle immer schwieriger wird. Wir hoffen darauf, daß wir uns mit allen anderen Nicht die Auflösung des Koordinierungsausschus- Fraktionen über die Kernpunkte dieses Antrages ver- ses ist daher das Gebot der Stunde, sondern die Frage, ständigen können. Es ist schlimm, daß diese Vorgänge wie wir diese Arbeit kontrollieren. Daher werden wir einen Teil der deutschen Vereinigung ein knappes die Forderung der PDS nach Auflösung des Koordinie- Jahr nach ihrem Vollzug ins Gerede bringen. Wir rungsausschusss ablehnen. müssen das Vertrauen wiederherstellen. Das geht nur durch die Einrichtung einer st rikten parlamentari- Bei dieser Gelegenheit: Für die FDP kann ich sagen, schen Kontrolle bei allen Vorgängen, die die Auflö- daß wir die Entscheidung des Bundeskabinetts vom sung der Armee der ehemaligen DDR betreffen. 31. Oktober begrüßen, in der Grundsätze für die künf- 5838* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1991 tige Zusammenarbeit mit Israel auf dem Gebiet der hafte geheimdienstliche Koordinierungsausschuß Wehrtechnik festgelegt worden sind. sein Unwesen treibt. Ich möchte zwei Anmerkungen machen. Erstens. Aus über 70 Ländern sollen treffsicher Kaufange- Wir werden uns darüber unterhalten müssen, wieweit bote für Waffenlieferungen aus NVA-Beständen an es wirklich Aufgabe des Bundesnachrichtendienstes die dafür zuständigen Stellen weitergereicht worden ist, den Transport und die Lieferung von Wehrmaterial sein. Die Dunkelziffer soll sogar noch höher liegen. durchzuführen. Durch die jahrzehntelange Tätigkeit, sowohl zu so- Zweitens. Wir werden uns als Parlament zukünftig zial-liberalen Zeiten als auch zu Zeiten der jetzigen stärker darum kümmern müssen, in welcher Form und Regierung, muß der Koordinierungsausschuß zu einer Weise die VEBEG ihre Aufgaben wahrnimmt. berühmt-berüchtigten Adresse geworden sein. Ge- - heimdienstlich abgesichert, wurden hier die entspre- Was ich meine, lassen Sie mich an einem Zitat aus chenden Gesetze und Vorschriften für den Rüstungs- dem Bericht vom 2. Dezember verdeutlichen. Dort export in großem Stil außer Kraft gesetzt. heißt es: Die VEBEG hat keine Kontrolle darüber, was mit dem von ihr ordnungsgemäß veräußerten und ge- Aus den kümmerlichen Fakten, die in der Presse gebenenfalls nach der Veräußerung weiterverkauften standen, und aus den kümmerlichen und zum Teil fal- Material geschieht. Ich wiederhole daher noch einmal schen Auskünften der Bundesregierung kann man ei- unsere Forderung: Die FDP hält eine verstärkte Kon- gentlich nur zwei Schlußfolgerungen ziehen: trolle der VEBEG für dringend erforderlich, und wir 1. Der Koordinierungsausschuß Wehrmaterial frem- erwarten umgehend, wie bereits mehrfach im Aus- der Staaten muß sofort aufgelöst werden. schuß gefordert, einen sehr umfassenden Be richt über 2. Die Bundesregierung muß dem Bundestag und die Arbeit der VEBEG. Die SPD fordert mit ihrem damit der Öffentlichkeit umfassend und lückenlos Antrag, daß der Gesamtprozeß der Auflösung der ehe- Auskunft über die gesamte Tätigkeit dieser Wehr- maligen NVA und der Verwendung und Weitergabe machts-Koko erteilen. Bisher hat die Bundesregie- von Waffen, Geräten, Ausrüstung, Munition ab sofort rung alles Erdenkliche unternommen, um das wahre einer wirksamen parlamentarischen Kontrolle unter- Ausmaß zu verschleiern. zogen wird. Es ist dann nur konsequent, wenn die Bundesregie- Auch die FDP will die parlamentarische Kontrolle rung offenbar bewußt Abgeordnete bei der Beantwor- der Auflösung der NVA. Wir haben es daher begrüßt, tung von Kleinen Anfragen anflunkert. Aber was soll daß der Verteidigungsausschuß am 20. März 1991 man von Menschen, die Waffen als „landwirtschaftli- eine Arbeitsgruppe „Streitkräftefragen in den neuen che Nutzfahrzeuge " deklarieren, auch anderes erwar- Bundesländern" eingesetzt hat; im Aufgabenkatalog ten? heißt es u. a.: Entlastung der Truppenteile von Waf- fensystemen, Munition und Ausrüstung der ehemali- Dabei ist es schon interessant, die sich hier entwik- gen NVA, Maßnahmen zur weiteren Verwendung, kelnde Posse zu verfolgen. Die Presse deckte auf, daß Lagerung oder Vernichtung von Bewaffnung und T-72-Panzer aus dem Irak an die Bundeswehr gelie- Ausrüstung. fert worden sein sollen, daß allein in der Zeit vom 16. April 1986 bis zum 9. Mai 1986 vier Unterstüt- Wir haben hier durchaus die Möglichkeit der parla- zungsleistungen von der -Koko durchge- mentarischen Kontrolle der Auflösung der NVA. Nach führt worden sein sollen, u. a. an die Türkei und Paki- den jüngsten Erfahrungen mag das nicht ausreichend stan. sein, und so werden wir uns im Verteidigungsaus- schuß darüber unterhalten müssen, wie die zukünf- Die SPD fordert eine umfassende Aufklärung der tige parlamentarische Kontrolle über die Verwertung Auslieferung von Beständen aus der NVA. Die Bun- des Materials der NVA geschehen soll. desregierung macht dies auch, aber nur in bezug auf Israel. Ein Untersuchungsausschuß soll lieber im Rah- Einer Überweisung des Antrages der SPD stimmen men des Verteidigungsausschusses arbeiten, damit er wir zu. Den Antrag der PDS lehnen wir ab. etwas aus der Öffentlichkeit genommen werden kann. Dr. Dagmar Enkelmann (PDS/Linke Liste): Über All dies soll dazu dienen, das Ausmaß zu verschlei- Jahre hinweg hat der „Koordinierungsausschuß ern. Wir wollen natürlich wissen, wer hier ab wann in Wehrmaterial fremder Staaten" des BND und der welche Länder welche Waffen verschoben hat, und Bundeswehr an allen parlamentarischen Gremien die Verantwortlichen müssen dafür zur Rechenschaft vorbei einen florierenden Waffenhandel betrieben. gezogen werden. Daß die PKK nicht von der Einrichtung dieser gehei- men Institution unterrichtet war, zeigt, mit welchem Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- Verständnis die Regierungen der Bundesrepublik mit Willy Wimmer, nister der Verteidigung: Die Gruppe der PDS/Linke der parlamentarischen Kontrolle umgehen. Liste fordert in einem Antrag zur Auflösung des „Ko- Wenn wir heute hören müssen, daß offenbar alle ordinierungsausschusses Wehrmaterial fremder Staa- Waffenhändler, die kriminellen, die halbkriminellen ten" , zu Entstehung und Aktivitäten dieses Gremiums und die staatlichen, die Waffenhändler von demokra- einen vollständigen Be richt vorzulegen. Meine Da- tisch verfaßten Ländern und von Diktaturen, sofort men und Herren der PDS, es wäre Ihnen ein leichtes nach dem Anschluß der DDR bei den entsprechenden gewesen, diese Informationen zu erhalten, wenn Sie Stellen auf der Matte standen, um Waffen aus den bei der Behandlung dieses Themas nicht so häufig NVA-Beständen zu erwerben, dann sagt dies schon durch Abwesenheit in den Sitzungen des Verteidi- fast alles über das Milieu aus, in dem dieser kraken gungsausschusses geglänzt hätten. Dort ist in den ver- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 12. Dezember 1991 5839* gangenen Wochen umfassend und in aller Ausführ- Aus den bis jetzt erkannten Fehlern und ersten Er- lichkeit mündlich und schriftlich zu diesem Thema fahrungen aus den eingehenden Untersuchungen vorgetragen worden. Dabei ist auch kein Zweifel sind zunächst Folgerungen gezogen worden, wie sie daran aufgekommen, daß die Zusammenarbeit mit der Bericht darstellt. Über weitere Konsequenzen anderen Ländern zur technischen Auswertung frem- wird nach Abschluß der parlamentarischen Beratun- den Wehrmaterials in keiner Weise einem „Waffen- gen zu diesem Thema zu entscheiden sein. handel" entspricht, wie in Ihrem Antrag unterstellt Die Fraktion der SPD hat einen Antrag zur parla- wird. Eine solche Diffamierung weise ich zurück. mentarischen Kontrolle der Abgabe von Mate rial der Die Bundesrepublik Deutschland arbeitet seit vie- ehemaligen NVA gestellt, dessen Sinn ich so recht len Jahren mit verbündeten und befreundeten Staa- nicht zu begreifen vermag. Die materielle Hinterlas- ten auf dem Gebiet der technischen Auswertung senschaft der ehemaligen NVA ist mit dem 3. Oktober fremden Wehrmaterials zusammen. Diese Zusam- 1991 in die Zuständigkeit und Verantwortung des menarbeit ist politisch gewollt, sie liegt in unserem Bundesministers der Verteidigung übergegangen. Sie besonderen sicherheits- und verteidigungspolitischen ist seitdem Bundeswehrmaterial und unterliegt damit Interesse. Aus dieser Zusammenarbeit haben wir in der ständigen parlamentarischen Kontrolle der Bun- der Vergangenheit — oftmals einseitig zu unserem deswehr insgesamt durch den Verteidigungsaus- Nutzen — großen Gewinn gezogen. schuß. Soweit im Rahmen der aktuellen Diskussion nach Die Kenntnis fremden Wehrmaterials ist für die der Abgabe von Wehrmaterial der ehemaligen NVA Bundeswehr von hoher Bedeutung. Sie gibt uns wert- an andere Staaten im Rahmen wehrtechnischer Zu- volle Hinweise auf notwendige Folgerungen für die sammenarbeit oder humanitärer Hilfeleistung gefragt eigenen Planungen und die Entwicklung von eige- worden ist, ist hierzu durch das Bundesministerium nem Wehrmaterial. Erkenntnisse über die techni- der Verteidigung in der Sitzung des Verteidigungs- schen und taktischen Leistungsparameter fremden aussschusses am 11. Dezember 1991 vorgetragen Wehrmaterials ermöglichen uns nicht zuletzt, wirk- worden. In Verbindung mit der Beantwortung der same Gegenmaßnahmen für die eigene Truppen ent- Kleinen Anfrage der Fraktion der SPD „Verwendung wickeln und damit Vorsorge für den Schutz unserer und Weitergabe von Waffen, Geräten, Ausrüstungen, Soldaten treffen zu können. Munition und anderen militärischen Gegenständen der ehemaligen NVA" vom 26. November 1991 wird Zur Organisation und Abstimmung von Maßnah- der Bundesminister der Verteidigung im Januar 1992 men der technischen Auswertung fremden Wehrma- weitergehend berichten. terials besteht im Bundesministerium der Verteidi- gung seit 1988 der Koordinierungsausschuß „Wehr- Die Bundesregierung wird die bewährte Zusam- material fremder Staaten". In diesem Ausschuß sind menarbeit in der technischen Auswertung fremden die für diesen Bereich zuständigen Fachreferate des Wehrmaterials mit verbündeten und befreundeten Hauses sowie der Bundesnachrichtendienst vertreten. Staaten im Sinne deutscher Sicherheitsinteressen Aufgabe des Ausschusses ist es, auf der Grundlage auch künftig fortsetzen. des Bedarfs der Streitkräfte und ihrer speziellen Inter- essenlage den notwendigen Erkenntnisbedarf abzu- stimmen und die hierzu notwendigen Anforderungen Anlage 3 und Maßnahmen zu koordinieren. Amtliche Mitteilungen Im Zusammenhang mit der Beschlagnahme von Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Wehrmaterial der ehemaligen NVA zur technischen Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Auswertung in Israel durch die Staatsanwaltschaft Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Hamburg Ende Oktober sind eine Reihe kritischer Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Fragen nach Umfang, Verfahren und Notwendigkeit Drucksache 11/6894 dieser Zusammenarbeit mit anderen Staaten gestellt Drucksache 11/7168 worden. Die zuständigen Ausschüsse des Parlaments EG-Ausschuß haben sich in den vergangenen vier Wochen intensiv Drucksache 11/8265 mit diesem Thema befaßt. Die Bundesregierung hat am 2. Dezember hierzu einen umfassenden Be richt Drucksache 11/8491 vorgelegt. In diesem Be richt hat die Bundesregierung Drucksache 12/75 auch Aufgaben und Rolle des Koordinierungsaus- Drucksache 12/550 schusses dargestellt. Sie hat im Be richt wie in der par- Drucksache 12/598 lamentarischen Diskussion hierzu deutlich gemacht, Drucksache 12/947 daß zu den in Rede stehenden Vorgängen eine politi- sche Grundsatzentscheidung hätte eingeholt werden Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen, müssen. Da dies unterblieben ist, wurden Fehler in bzw. von einer Beratung abgesehen hat: der Durchführung gemacht. Haushaltsausschuß Die Bundesregierung hat unmittelbar nach der Be- Drucksache 12/1174 Nr. 2.1 schlagnahme in Hamburg die notwendigen Konse- Drucksache 12/1072 Nr. 2 quenzen gezogen. Alle Einzelheiten hierzu wurden Ausschuß für Wirtschaft ausführlich im Verteidigungsausschuß erläutert. Der Drucksache 12/1229 Nrn. 3.1-3.7 Antrag der PDS/Linke Liste ist somit gegenstandslos Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit geworden. Drucksache 12/764 Nr. 2.10