Olaf Sundermeyer Der Pott Warum Das Ruhrgebiet Den Bundeskanzler Bestimmt Und Schalke Ganz Sicher Deutscher Meister Wird
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Unverkäufliche Leseprobe Olaf Sundermeyer Der Pott Warum das Ruhrgebiet den Bundeskanzler bestimmt und Schalke ganz sicher Deutscher Meister wird 238 Seiten, Paperback ISBN: 978-3-406-59134-1 © Verlag C.H.Beck oHG, München metropolig Eine eindeutige Antwort auf die Frage, ob das Ruhrgebiet nun eine Metropole ist, kann ich Ihnen nicht geben. Dafür lasse ich auf einer Reise durch den Pott einige Menschen zu Wort kommen, die sich dar- über Gedanken gemacht haben. Aber vor allem zeige ich Ihnen ei- niges von dem, was das Ruhrgebiet heute ausmacht. Natürlich nur in Ausschnitten. Sonst hätte ich mich zusätzlich an einigen Samstagen in Baumärkten herumtreiben müssen, in der Autowaschanlage «Wascharena» in Gelsenkirchen, auf Ramschmärkten vor Möbelhäu- sern in Bottrop oder in den Fitnessstudios zwischen Oberhausen und Hamm. Aber Autowaschen fahren Sie vermutlich selbst, einkaufen auch. Außerdem war ich zu Fuß unterwegs, mit dem Fahrrad und mit Bus und Bahn. Ich wollte nämlich nah dran sein – das Ruhrgebiet ver- messen, wie man neuerdings sagt. Welche Ausmaße hat es? Wie viele Menschen leben dort? Welche Städte gehören eigentlich dazu? Wen man auch fragt, die Antworten fallen immer unterschiedlich aus. Zu- letzt wurde politisch entschieden, dass sich das Ruhrgebiet auf 53 Städte und Gemeinden ausdehnt und deshalb etwa 5,3 Millionen Menschen hier leben. Allerdings stehen da Orte mit auf der Liste, bei denen sich der Herner oder Wittener fragt: «Wat soll dat denn?» Aber wer weiß außerhalb, also in Restdeutschland, schon, dass in Dortmund mehr Menschen leben als in Düsseldorf, Stuttgart oder Leipzig? Dass Berlin und Hamburg zusammengenommen weniger 9 Einwohner haben als der Pott und erst recht viel weniger Fläche. Das wissen ja selbst hier nur die wenigsten. Das Ruhrgebiet sendet ziem- lich wenig nach draußen. Das liegt auch daran, dass – außer der BILD- Zeitung – keines der bekannten, überregionalen Blätter eine Redak- tion dort hat. Geschweige denn seinen Hauptsitz. Auch die Fernsehsender unterhalten lediglich Landesstudios oder bestücken sogenannte regionale Fenster aus dem Pott: und zwar nur für die Menschen, die da leben. Deshalb verlässt das wenigste, was dort pas- siert, diese Gegend: Die Menschen im Pott kochen seit Langem schon im eigenen Saft. An den Wochenenden gehen sie dann zu Hundert- tausenden in ihre schönen Stadien, sagen: «Boah, sind wir viele!», dann fahren sie nach Hause, gucken sich die Sportschau an und se- hen, dass es in anderen Stadien wieder weniger waren. So einfach funktioniert hier die Selbstvergewisserung. Das Ruhrgebiet zu beschreiben ist ungefähr so, als müsse man Gleiches mit der russischen Seele tun. Aber auch den Pott kann man nur über seine Menschen abbilden. Bitte schön! Ich habe einige be- sucht, die in gewisser Weise beispielhaft für die gegenwärtige Gesell- schaft sind. Nicht für jene Gesellschaft der abgelaufenen über 150 Jah- re. Das ist Teil der Industriegeschichte. Stoff für die Wissenschaft. Und was dem Pott in seiner Entwicklung nicht hilft, ja geradezu bremst, ist die ewige Verklärung der Ruhrgebietsromantik. Nach dem Motto: «Kerl, war dat früha schön am Hochofen und anschließend inne Kneipe.» Es war nicht schöner früher. Wer das behauptet, ist ein Folklorist. Es war einfach anders. Vor allem war es dreckig. Als ich geboren wurde, arbeiteten fast eine halbe Million Kumpel unter Tage. Diese Arbeit gehört hier zu fast jeder Familiengeschichte, die noch im alten Jahrtausend beginnt. Zu meiner auch. Pütt und Hochofen. Bis Blick auf den Pott: Die Nahaufnahme einer ehemaligen Industrieland- schaft. 10 ins Jahr 2018 soll nun die letzte Grube dicht sein. Deutsche Kohle ist einfach zu teuer. Ich habe Leute besucht, die das Ruhrgebiet ausma- chen – und zwar das heutige. Das Wort modern passt hier nicht. Es verstellt ebenso den realistischen Blick wie die Romantik, die mit dem Weichzeichner über die Vergangenheit geht und alles verklärt. Solange das Festhalten an der regionalen Vergangenheit in Medien und Gesellschaft dominiert – und das tut es in Teilen –, hat der Auf- bruch keine Chance. Allerdings sollte man seine Herkunft niemals leugnen. Schon gar nicht im Ruhrgebiet. «Hömma, hasse eigentlich schon vergessen, wo de herkomms?», heißt es sonst. Und das ist mehr als bloß ein Spruch. Es ist sehr wichtig. Der Spagat zwischen der kons- truktiven Vergangenheitsbewältigung, und dem gewinnbringenden Werkeln an der Zukunft, das ist die zentrale Herausforderung im Pott. Das reiche Erbe an einzigartigen Industriedenkmälern erinnert fort- während an die Geschichte. Nicht bloß vorübergehend. Gleichzeitig wünscht man sich, dass auf den Orten der industriellen Vergangen- heit etwas Gewinnbringendes, Neues entsteht. Für mich ist der Pott vor allem meine Heimat, zu der auch all die Leute in diesem Buch gehören. Selbst wenn sie in Gelsenkirchen le- ben, was für jemanden, der wie ich in Dortmund aufgewachsen ist, Feindesland darstellt. Und Heimat hat man nur einmal. In Zeiten, in denen sich alles rasant wandelt und nichts mehr gewiss ist, birgt dies die größtmögliche Gewissheit. Heimat kann man auch überall mit hinnehmen. Wie auch immer man sie verpackt: etwa in Form der Zu- neigung zu einem Fußballverein. Denn Fußball ist wahnsinnig iden- titätsstiftend. Und nirgendwo sonst ist er identitätsstiftender als bei den Menschen aus dem Ruhrgebiet. Er hilft auch gegen Heimweh. Ich selbst lebe inzwischen in Berlin. Natürlich gibt es Schlimmeres. Aber der Fußball dort hat keine Seele. Deshalb haben viele Ruhris in der Hauptstadt samstags Heimweh. Ich habe meines früher oft durch Manni Breuckmann heilen lassen, den bekanntesten Sportreporter 11 im deutschen Hörfunk. Das kostete mich nur die GEZ-Gebühr meines Radios. Leider hat Herr Breuckmann sich beizeiten für die lukrative Frühverrentung seines Senders entschieden und funkt längst nicht mehr. Dafür müsste der WDR das Ruhrgebiet und alle Menschen, die es seiner speziellen Art wegen mögen, eigentlich entschädigen: zum Beispiel mit einem Umzug der beiden beliebten Tatort-Kommissare Max Ballauf (Klaus Jürgen Behrendt aus Hamm) und Freddy Schenk (Dietmar Bär aus Dortmund) von Köln ins Ruhrgebiet. Das ist der Sen- der den Leuten von hier einfach schuldig. Stattdessen verspeisen die beiden ihre aus dem Pott importierte Currywurst mit Blick auf den Kölner Dom. Und wissen Sie, warum? Weil das Ruhrgebiet keine Lob- by hat. So einfach ist das. Der Pott darf massenhaft die Einschaltquo- ten beeinfl ussen und maßgeblich bestimmen, wer ins Bundeskanzler- amt einzieht. Aber über das Fernsehprogramm und über die Politik der einst staatsparteiähnlichen SPD entscheiden längst andere. Denn die Menschen hier haben keinen Fürsprecher, stattdessen werden sie zu großen Teilen noch fremdbestimmt: aus der feinen Landeshaupt- stadt Düsseldorf, wo urbane Elitenbildung seit Generationen heim- liches Abiturprüfungsfach ist. Der ehemalige Ministerpräsident Wolfgang Clement behauptete im Gespräch für dieses Buch gar, dass das Ruhrgebiet systematisch «beschissen» werde. Dagegen solle man sich am besten in einem Zusammenschluss zur Wehr setzen – als ge- meinsame Ruhrstadt. Für die Arbeit an diesem Buch bin ich für eine gewisse Zeit in mei- ne Heimat zurückgekehrt, und zwar nicht bloß für einen Stadionbe- such, ein Klassentreffen oder Schwagers Geburtstag. Ich gehöre zu denen, die das Ruhrgebiet in großer Zahl verlassen haben – unbewusst einem allgemeinen Trend folgend. Denn sämtliche Bevölkerungspro- gnosen zeigen hier nach unten. Und Menschen, die sich ernsthaft Ge- danken machen um das Ruhrgebiet, etwa der Bochumer Historiker 12 Klaus Tenfelde oder der Essener Dieter Gorny, einst Gründer des Mu- siksenders VIVA und heute Kulturmanager im Ruhrgebiet (beide kommen in diesem Buch zu Wort), sehen in der Abwanderung junger Leute das größte Problem dieser Region. Die Gründe dafür sind unter- schiedlich. Meistens fehlt es an der berufl ichen Perspektive – oder es liegt an der mangelnden Identifi zierung mit dem Ruhrgebiet. Aber viele ziehen aus noch ganz anderen Gründen weg – nach Köln, Berlin oder Hamburg. Auch Christoph Biermann hat das Ruhrgebiet verlas- sen. Der SPIEGEL-Korrespondent gehört zu den profi liertesten Sport- autoren in Deutschland; aufgewachsen ist er in Herne. In einem Inter- view über seine Zeit als Musikredakteur im Pott hat er angedeutet, warum er wegging: «Das Ruhrgebiet war damals extrem kulturfeind- lich, ist es das nicht heute noch? Jede Art von bohemistischem Le- bensstil, zum Beispiel spät ins Bett gehen und spät aufstehen, wurde zutiefst feindselig betrachtet.» Natürlich wird man im Kulturbetrieb des Ruhrgebiets heute niemanden fi nden, der das so sagt – aus nach- vollziehbaren Gründen. Aber alle anderen sind nicht mehr da. Dabei wäre es doch schön, wenn sich zwischen Ruhr und Emscher ein paar ausgeschlafene Romanautoren tummeln würden, die den seligen Ab- schied von Max von der Grün («Irrlicht und Feuer») ein bisschen über- lagern könnten. Schließlich wird es Zeit, dass hier eine bedeutende Prosa wächst, die ihre Protagonisten nicht mehr unter Tage schickt. Außerdem sind es die Kreativen, die sich die Verantwortlichen heu- te hier wünschen. Liegt doch eine der Hoffnungen für das Ruhrgebiet auf der sogenannten Kreativwirtschaft. Denn das erste Rennen nach dem Niedergang der Schwerindustrie hat das Ruhrgebiet bereits ver- loren: das um die maßgeblichen Institutionen des digitalen Zeital- ters. So haben sich etwa die Telefongesellschaften Vodafone und E-Plus frühzeitig für einen anderen Standort entschieden. Sie gehören zu den wichtigsten Arbeitgebern im nahen Düsseldorf. Zuletzt hat