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Plenarprotokoll 15/67 (neu)

Deutscher

Stenografischer Bericht

67. Sitzung

Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Inhalt:

Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- Arbeitsmarkt nung ...... 5735 A (Drucksache 15/1638) ...... 5736 A Änderung der Tagesordnung ...... 5735 B – Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU einge- Nachträgliche Ausschussüberweisung ...... 5735 C brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Existenz- grundlagen (Existenzgrundlagen- Tagesordnungspunkt 19: gesetz – EGG) (Drucksachen 15/1523, 15/1728, a) – Zweite und dritte Beratung des von 15/1749) ...... 5736 A den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zweite und dritte Beratung des von eingebrachten Entwurfs eines Drit- der Fraktion der CDU/CSU einge- ten Gesetzes für moderne Dienst- brachten Entwurfs eines Gesetzes leistungen am Arbeitsmarkt zur Änderung des Grundgesetzes (Drucksachen 15/1515, 15/1728, (Einfügung eines Art. 106 b) 15/1749, 15/1732) ...... 5735 D (Drucksachen 15/1527, 15/1728, 15/1749) ...... 5736 A – Zweite und dritte Beratung des von b) Beschlussempfehlung und Bericht des der Bundesregierung eingebrachten Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit Entwurfs eines Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am – zu dem Antrag der Abgeordneten Arbeitsmarkt , Dr. Heinrich L. Kolb, (Drucksachen 15/1637, 15/1728, weiterer Abgeordneter und der 15/1749, 15/1732) ...... 5735 D Fraktion der FDP:Arbeitslosen- hilfe und Sozialhilfe zu einem – Zweite und dritte Beratung des von beschäftigungsfördernden kom- den Fraktionen der SPD und des munalen Sozialgeld zusammen- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN führen ...... 5736 B eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes für moderne – zu dem Antrag der Abgeordneten Dienstleistungen am Arbeits- Dirk Niebel, Rainer Brüderle, wei- markt terer Abgeordneter und der Frak- (Drucksachen 15/1516, 15/1728, tion der FDP:Neuordnung der 15/1749, 15/1733) ...... 5736 A Bundesanstalt für Arbeit – Zweite und dritte Beratung des von (Drucksachen 15/1531, 15/1576, 15/ der Bundesregierung eingebrachten 1728, 15/1749) ...... 5736 C Entwurfs eines Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am in Verbindung mit II Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. , Freitag, den 17. Oktober 2003

Zusatztagesordnungspunkt 6: Gesetzes zur Förderung der Steuerehrlichkeit Erste Beratung des von den Abgeordneten (Drucksachen 15/1309, 15/1722, Birgit Homburger, Dirk Niebel, weiteren 15/1724) ...... 5759 A Abgeordneten sowie der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs einesGesetzes – Zweite und dritte Beratung des von zur Erhöhung der Rechtssicherheit von den Abgeordneten Dr. Hermann sozialversicherungspflichtig beschäftig- Otto Solms, Dr. , ten Ehepartnerinnen und Ehepartnern weiteren Abgeordneten und der in Familienunternehmen Fraktion der FDP eingebrachten (Drucksache 15/1594) ...... 5736 C Entwurfs eines Gesetzes zur ver- Wolfgang Clement, Bundesminister BMWA . 5736 D einfachten Nachversteuerung als Brücke in die Steuerehrlichkeit Roland Koch, Ministerpräsident (Hessen) . . . 5740 C (Drucksachen 15/470, 15/1722, 15/ 1724) ...... Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/ 5759 B DIE GRÜNEN ...... 5743 C d) Beschlussempfehlung und Bericht des Dr. FDP ...... 5746 A Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hermann Otto Klaus Brandner SPD ...... 5748 A Solms, Dr. Andreas Pinkwart, weiterer CDU/CSU ...... 5750 C Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Zinsabgeltungsteuer einfüh- fraktionslos ...... 5752 B ren – Fluchtkapital zurückholen (Drucksachen 15/217, 15/1722) . . . . . 5759 C Karin Roth (Esslingen) SPD ...... 5753 B Karl-Josef Laumann CDU/CSU ...... 5755 B e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Wolfgang Clement, Bundesminister BMWA . 5757 A wurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundes- Karl-Josef Laumann CDU/CSU ...... 5757 B regierung zur Vermittlungsempfeh- lung zum Steuervergünstigungsab- Namentliche Abstimmungen ...... 5757 . . . . D, 5758 A baugesetz (Drucksachen 15/1518, 15/1665, 15/ Ergebnisse ...... 57 . .94 . . D, 5799 C 1684, 15/1736) ...... 5759 D f) – Zweite und dritte Beratung des von Tagesordnungspunkt 20: der Bundesregierung eingebrachten a) Zweite und dritte Beratung des von der Entwurfs eines Gesetzes zur Re- Bundesregierung eingebrachten Ent- form der Gewerbesteuer wurfs eines Haushaltsbegleitgesetzes (Drucksachen 15/1517, 15/1664, 2004 (HBeglG 2004) 15/1727, 15/1760, 15/1738) . . . . . 5760 A (Drucksachen 15/1502, 15/1639, 15/ – Zweite und dritte Beratung des 1750, 15/1751) ...... 5759 A vom Bundesrat eingebrachten Ent- b) Zweite und dritte Beratung des von wurfs eines Soforthilfegesetzes den Fraktionen der SPD und des für die Gemeinden (SofortHiG) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ein- (Drucksachen 15/1470, 15/1727, gebrachten Entwurfs einesGesetzes 15/1760, 15/1739) ...... 5760 A zur Änderung des Tabaksteuergeset- g) Beschlussempfehlung und Bericht des zes und anderer Verbrauchsteuerge- Finanzausschusses zu dem Antrag der setze Abgeordneten , Peter (Drucksachen 15/1313, 15/1726, 15/ Götz, weiterer Abgeordneter und der 1735) ...... 5759 A Fraktion der CDU/CSU: Finanzkraft c) – Zweite und dritte Beratung des von der Kommunen stärken – Kommu- der Bundesregierung eingebrachten nale Selbstverwaltung sichern Entwurfs eines Gesetzes zur För- (Drucksachen 15/1217, 15/1727, 15/ derung der Steuerehrlichkeit 1760) ...... 5760 B (Drucksachen 15/1521, 15/1661, h) Zweite und dritte Beratung des von 15/1722, 15/1724) ...... 5759 B den Abgeordneten Dr. Andreas – Zweite und dritte Beratung des von Pinkwart, Dr. , den Fraktionen der SPD und des weiteren Abgeordneten und der Frak- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN tion der FDP eingebrachten Entwurfs eingebrachten Entwurfs eines eines Gesetzes zur Änderung des Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 III

Grundgesetzes (Kommunale Fi- Tagesordnungspunkt 21: nanzreform) (Drucksachen 15/1247, 15/1729). . . . . 5760 B a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des i) Beschlussempfehlung und Bericht des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Finanzausschusses zu dem Antrag der eingebrachten Entwurfs eines Ge- Abgeordneten Hans-Michael setzes zur Einordnung des Sozi- Goldmann, Birgit Homburger, weiterer alhilferechts in das Sozialgesetz- Abgeordneter und der Fraktion der buch FDP: Antragsverfahren bei Agrar- (Drucksachen 15/1514, 15/1734, diesel deutlich vereinfachen 15/1761, 15/1740) ...... 5794 B (Drucksachen 15/833, 15/1261) . . . . . 5760 C – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten in Verbindung mit Entwurfs eines Gesetzes zur Ein- ordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch Zusatztagesordnungspunkt 7: (Drucksachen 15/1636, 15/1734, Beschlussempfehlung und Bericht des 15/1761, 15/1740) ...... 5794 B Haushaltsausschusses zu dem Antrag der b) Unterrichtung durch die Bundesregie- Abgeordneten Dr. Günter Rexrodt, Jürgen rung: Nationaler Aktionsplan für Koppelin, weiterer Abgeordneter und der Deutschland zur Bekämpfung von Fraktion der FDP:Regierung muss Armut und sozialer Ausgrenzung Haushaltssicherungsgesetz vorlegen 2003 bis 2005 – Strategien zur Stär- (Drucksachen 15/997, 15/1750, 15/1751) 5760 C kung der sozialen Integration (Drucksache 15/1420) ...... 5794 C in Verbindung mit Rolf Stöckel SPD ...... 5797 B

Zusatztagesordnungspunkt 8: Verena Butalikakis CDU/CSU ...... 5801 B Antrag der Abgeordneten Carl-Ludwig Markus Kurth BÜNDNIS 90/ Thiele, Joachim Günther (Plauen), weite- DIE GRÜNEN ...... 5803 D rer Abgeordneter und der Fraktion der Dr. Heinrich L. Kolb FDP ...... 5805 B FDP: Neugestaltung der Eigenheimzu- lage Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär BMGS 5806 B (Drucksache 15/1731) ...... 5760 C Dr. Gesine Lötzsch fraktionslos ...... 5807 D , Bundesminister BMF ...... 5761 A Matthäus Strebl CDU/CSU ...... 5808 C CDU/CSU ...... 5765 D Namentliche Abstimmung ...... 5809 D (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ...... 5766 A Ergebnis ...... 5811 C BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5770 C Dr. Hermann Otto Solms FDP ...... 5772 A Tagesordnungspunkt 22: Joachim Poß SPD ...... 5773 D Unterrichtung durch die Bundesregierung: CDU/CSU ...... 5774 B Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen bei der Umsetzung des Dr. Kurt Faltlhauser, Staatsminister (Bayern) 5776 B „Vertrages zur Kulturfinanzierung in BÜNDNIS 90/ der Bundeshauptstadt 2001–2004“ so- DIE GRÜNEN ...... 5778 C wie zur künftigen Förderung der Kul- tur in der Bundesstadt Dr. Gesine Lötzsch fraktionslos ...... 5779 D (Drucksache 14/9677) ...... 5810 A Dr. Günter Rexrodt FDP ...... 5780 D in Verbindung mit Bernd Scheelen SPD ...... 5781 C

Namentliche Abstimmungen ...... 57 . .83 . . B, 5787 B Zusatztagesordnungspunkt 5: 5788 C Antrag der Abgeordneten Hans-Joachim Ergebnisse ...... 57 . .84 . . D, 5788 C Otto (), Rainer Brüderle, weite- 5791 C rer Abgeordneter und der Fraktion der IV Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

FDP: Transparenz für den Hauptstadt- Anlage 1 kulturfonds (Drucksache 15/1708) ...... 5810 B Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 5827 A Dr. Christina Weiss, Staatsministerin BK . . . . 5810 C Anlage 2 Günter Nooke CDU/CSU ...... 5814 A Erklärungen nach § 31 GO zu den Abstim- Hans-Joachim Otto (Frankfurt) FDP ...... 5816 A mungen über die Entwürfe eines Dritten und Petra Pau fraktionslos ...... 5817 A eines Vierten Gesetzes für moderne Dienst- leistungen am Arbeitsmarkt(Tagesord- Dr. Gesine Lötzsch fraktionslos ...... 5817 B nungspunkt 19 a) Eckhardt Barthel (Berlin) SPD ...... 5818 A Hans Büttner (Ingolstadt) SPD ...... 5827 A (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ...... 5827 B Tagesordnungspunkt 23: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Joachim Stünker, Anlage 3 Hermann Bachmaier, weiteren Abge- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten ordneten und der Fraktion der SPD so- Hans-Christian Ströbele, Thilo Hoppe, wie den Abgeordneten , , Peter Hettlich, Winfried Hans-Christian Ströbele, weiteren Ab- Nachtwei, (Augsburg), geordneten und der Fraktion des , Jutta Dümpe-Krüger, BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ein- Irmingard Schewe-Gerigk und Petra Selg gebrachten Entwurfs einesGesetzes (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu den zur Umsetzung des Rahmenbe- Abstimmungen über die Entwürfe eines Drit- schlusses des Rates vom 13. Juni ten und eines Vierten Gesetzes für moderne 2002 zur Terrorismusbekämpfung Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Tages- und zur Änderung anderer Gesetze ordnungspunkt 19 a) ...... 5828 A (Drucksachen 15/813, 15/1730) . . . . . 5819 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Anlage 4 Abgeordneten Dr. Norbert Röttgen, Erklärungen nach § 31 GO zu den Abstim- , weiterer Abgeord- mungen über die Entwürfe eines Vierten Ge- neter und der Fraktion der CDU/CSU: setzes für moderne Dienstleistungen am Verpflichtungen aus dem EU-Rah- Arbeitsmarkt und eines Existenz-grundla- menbeschluss zur Terrorismusbe- gengesetzes (Tagesordnungspunkt 19 a) kämpfung zügig erfüllen (Drucksachen 15/540, 15/1730) . . . . . 5819 C Robert Hochbaum CDU/CSU ...... 5829 B , Bundesministerin BMJ . . . . 5819 C Manfred Kolbe CDU/CSU ...... 5829 C CDU/CSU ...... 5820 D Christoph Strässer SPD ...... 5821 D Anlage 5 CDU/CSU ...... 5823 A Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den Entwurf eines Vierten Gesetzes für Fritz Rudolf Körper SPD ...... 5824 C moderne Dienstleistungen am Arbeits- markt (Tagesordnungspunkt 19 a) Jelena Hoffmann (Chemnitz) SPD ...... 5830 A Tagesordnungspunkt 24: Ernst Kranz SPD ...... 5830 B Antrag der Abgeordneten Peter Götz, Gerda Hasselfeldt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU:Grün- buch der EU-Kommission zu Dienstleis- Anlage 6 tungen von allgemeinem Interesse – Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Kommunale Selbstverwaltung sichern Dr. , Stephan Hilsberg, Dirk und fortentwickeln Manzewski, Götz-Peter Lohmann, Silvia (Drucksache 15/1326) ...... 5825 A Schmidt (Eisleben) und Wilfried Schreck (alle SPD) zur Abstimmung über den Entwurf ei- Nächste Sitzung ...... 5825 C nes Vierten Gesetzes für moderne Dienst- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 V leistungen am Arbeitsmarkt (Tagesord- Röspel und (alle SPD) zur Ab- nungspunkt 19 a) ...... 5830 B stimmung über den Entwurf eines Haushalts- begleitgesetzes 2004 (Tagesordnungspunkt 20 a) ...... 5833 A Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Anlage 12 , Rüdiger Veit, , Willi Brase, Peter Dreßen, Reinhold Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Hemker, Gabriele Hiller-Ohm, Horst Jella Teuchner, Silvia Schmidt (Eisleben), Kubatschka, Götz-Peter Lohmann, Dr. Waltraud Wolff (Wolmirstedt), Gabriele , Lothar Mark, René Röspel, Fograscher, Günter Gloser, Verena Horst Schmidbauer (Nürnberg), Fritz Wohlleben, Reinhold Hemker, Brunhilde Schösser, Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk und Irber, , Horst Kubatschka, Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (alle SPD) zur Petra Ernstberger, Karsten Schönfeld, Abstimmung über den Entwurf eines Vierten (Hildesheim), Petra Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Heß, Reinhold Robbe und Ernst Kranz (alle Arbeitsmarkt (Tagesordnungspunkt 19 a). . . 5830 C SPD) zur Abstimmung über den Entwurf ei- nes Haushaltsbegleitgesetzes 2004 (Tages- ordnungspunkt 20 a) ...... 5833 B Anlage 8 Erklärungen nach § 31 GO der Abgeordneten und (beide Anlage 13 CDU/CSU) zur Abstimmung über den Ent- Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten wurf eines Existenzgrundlagengesetzes (Ta- Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU) zur Ab- gesordnungspunkt 19 a) ...... 5831 A stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Gewerbesteuer(Tagesord- nungspunkt 20 f) ...... 5833 D Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten , Dr. Michael Luther, Manfred Anlage 14 Grund, , Michael Stübgen, Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Hartmut Büttner (Schönebeck), Christa Unterrichtung: Bericht der Bundesregie- Reichard (Dresden), , rung über die Erfahrungen bei der Umset- Klaus Brähmig, , Günter zung des „Vertrages zur Kulturfinanzie- Baumann, Dr. , Henry Nitzsche, rung in der Bundeshauptstadt 2001 bis , Bernward Müller (Gera), 2004“ sowie zur künftigen Förderung der Volkmar Uwe Vogel, Dr. , Kultur in der Bundesstadt Bonn (Tagesord- Ulrich Petzold, , Uda nungspunkt 22) Carmen Freia Heller, Peter Letzgus, Günter Nooke, , Verena Dr. BÜNDNIS 90/ Butalikakis und (alle CDU/ DIE GRÜNEN ...... 5834 A CSU) zur Abstimmung über den Entwurf ei- nes Existenzgrundlagengesetzes (Tagesord- nungspunkt 19 a) ...... 5831 C Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung: Anlage 10 – Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämp- Steffen Kampeter (CDU/CSU) und Otto fung und zur Änderung anderer Ge- Fricke (FDP) zur Abstimmung über den Ent- setze wurf eines Haushaltsbegleitgesetzes 2004 (Tagesordnungspunkt 20 a) ...... 5832 D – Beschlussempfehlung und Bericht: Ver- pflichtungen aus dem EU-Rahmenbe- schluss zur Terrorismusbekämpfung Anlage 11 zügig erfüllen Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten (Tagesordnungspunkt 23) Peter Dreßen, Klaus Kirschner, Dr. Wolfgang Jerzy Montag BÜNDNIS 90/ Wodarg, Dr. Marlies Volkmer, Hans Büttner DIE GRÜNEN ...... 5834 D (Ingolstadt), Fritz Schösser, Horst Schmidbauer (Nürnberg), Rüdiger Veit, René Jörg van Essen FDP ...... 5835 D VI Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Anlage 16 Peter Götz CDU/CSU ...... 5838 C Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/ Antrags: Grünbuch der EU-Kommission zu DIE GRÜNEN ...... 5839 D Dienstleistungen von allgemeinem Inte- Gudrun Kopp FDP ...... 5840 C resse – Kommunale Selbstverwaltung si- chern und fortentwickeln (Tagesordnungs- punkt 24) Anlage 17 SPD ...... 5836 C Amtliche Mitteilungen ...... 5841 B Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5735

(A) (C) Redetext

67. Sitzung

Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Beginn: 9.00 Uhr

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Des Weiteren mache ich auf eine nachträgliche Über- weisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Der in der 64. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf sollzusätz- Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Ta- lich dem Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung gesordnung um weitere, in einer Zusatzpunktliste auf- und Landwirtschaft und dem Ausschuss für Umwelt, geführte Punkte zu erweitern: Naturschutz und Reaktorsicherheitzur Mitberatung ZP 6 Erste Beratung des von den Abgeordneten überwiesen Birgit werden: Homburger, Dirk Niebel, Rainer Brüderle, weiteren Abge- ordneten sowie der Fraktion der FDP eingebrachten Ent- Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und des wurfs eines Gesetzes zur Erhöhung der Rechtssicherheit BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zur Änderung von sozialversicherungspflichtig beschäftigten Ehepart- steuerlicher Vorschriften nerinnen und Ehepartnern in Familienunternehmen (B) (D) – Drucksache 15/1594 – (Steueränderungsgesetz 2003 – StÄndG 2003) Überweisungsvorschlag: – Drucksache 15/1562 – Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f) Rechtsausschuss (Erste Beratung 64. Sitzung) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung überwiesen: Finanzausschuss (f) ZP 7 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschuss Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) zu dem Antrag der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Abgeordneten Dr. Günter Rexrodt, Jürgen Koppelin, Otto Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Fricke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Bildung, Forschung und Regierung muss Haushaltssicherungsgesetz vorlegen Technikfolgenabschätzung – Drucksachen 15/997, 15/1750, 15/1751 – Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO Berichterstattung: Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? – Abgeordnete Steffen Kampeter Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos- Walter Schöler sen. Anja Hajduk Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b so- ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Carl-Ludwigwie Zusatzpunkt 6 auf: Thiele, Joachim Günther (Plauen), Dr. Andreas Pinkwart, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP 19 a) – Zweite und dritte Beratung des von den Frak- Neugestaltung der Eigenheimzulage tionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Drit- – Drucksache 15/1731 – ten Gesetzes für moderne Dienstleistungen Überweisungsvorschlag: am Arbeitsmarkt Finanzausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit – Drucksache 15/1515 – Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Haushaltsausschuss (Erste Beratung 60. Sitzung) Außerdem soll bei Tagesordnungspunkt 21 a von der – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Frist für den Beginn der Beratung abgewichen werden. desregierung eingebrachten Entwurfs eines 5736 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistun- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der(C) gen am Arbeitsmarkt FDP – Drucksache 15/1637 – Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zu einem beschäftigungsfördernden kommunalen So- (Erste Beratung 65. Sitzung) zialgeld zusammenführen – Zweite und dritte Beratung des von den Frak- – zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel, tionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Rainer Brüderle, , weite- GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Vier- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP ten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt Neuordnung der Bundesanstalt für Arbeit – Drucksache 15/1516 – – Drucksachen 15/1531, 15/1576, 15/1728, 15/1749 – (Erste Beratung 60. Sitzung) Berichterstattung: – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Abgeordnete Klaus Brandner desregierung eingebrachten Entwurfs eines Karl-Josef Laumann Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistun- Dr. Thea Dückert gen am Arbeitsmarkt Dirk Niebel – Drucksache 15/1638 – ZP 6 Erste Beratung des von den Abgeordneten Birgit (Erste Beratung 65. Sitzung) Homburger, Dirk Niebel, Rainer Brüderle, weite- ren Abgeordneten sowie der Fraktion der FDP – Zweite und dritte Beratung des von der Frak- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur tion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs ei- Erhöhung der Rechtssicherheit von sozialver- nes Gesetzes zur Sicherung der Existenzgrund- sicherungspflichtig beschäftigten Ehepartne- lagen (Existenzgrundlagengesetz – EGG) rinnen und Ehepartnern in Familienunterneh- – Drucksache 15/1523 – men (Erste Beratung 60. Sitzung) – Drucksache 15/1594 – Überweisungsvorschlag: – Zweite und dritte Beratung des von der Frak- Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f) tion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs ei- Rechtsausschuss (B) nes Gesetzes zur Änderung des Grundgeset- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (D) zes (Einfügung eines Art. 106 b) Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung – Drucksache 15/1527 – Über die Entwürfe eines Dritten Gesetzes für mo- derne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt werden wir (Erste Beratung 60. Sitzung) später ebenso namentlich abstimmen wie über den Ent- aa) Beschlussempfehlung und Bericht deswurf eines Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistun- Ausschusses für Wirtschaft und Arbeitgen am Arbeitsmarkt der Fraktionen der SPD und des (9. Ausschuss) Bündnisses 90/Die Grünen. Der gleichlautende Entwurf der Bundesregierung zu Letzterem soll abgesetzt wer- – Drucksachen 15/1728, 15/1749 – den. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Berichterstattung: Abgeordnete Klaus Brandner Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Karl-Josef Laumann die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich Dr. Thea Dückert höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Dirk Niebel Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Bun- bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- desminister Wolfgang Clement. schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten – Drucksachen 15/1732, 15/1733 – des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Berichterstattung: Abgeordnete Hans-Joachim Fuchtel Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft Otto Fricke und Arbeit: Volker Kröning Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Anja Hajduk Herren! Ich bitte Sie heute um Zustimmung zu zwei Ge- setzentwürfen, die im Zentrum unseres Kampfes gegen b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- die bedrückend hohe Arbeitslosigkeit stehen. Es geht bei richts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit diesen beiden Gesetzentwürfen um denUmbau der (9. Ausschuss) Bundesanstalt für Arbeit und um die Zusammenfüh- – zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel, rung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, zwei Begriffe, Dr. Heinrich L. Kolb, (Münster), die sich sehr technisch anhören, die aber bedeuten, dass Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5737

Bundesminister Wolfgang Clement (A) wir in Deutschland in der Arbeitsmarktpolitik zu neuem bracht haben, mit denen die Arbeitslosigkeit älterer Ar- (C) Denken und zu neuem Handeln kommen. beitnehmerinnen und Arbeitnehmer bekämpft werden kann. Über diesen Gesetzentwurf wird heute im Bundes- Sie wissen, dass wir diese neue Arbeitsmarktpolitik rat abgestimmt werden. Ich hoffe sehr, dass der Bundes- zu Beginn der Legislaturperiode mit zwei Gesetzen, den rat ihn passieren lässt. so genannten Hartz-Gesetzen, eingeleitet haben. Diese stützen sich auf die Arbeit der Kommission unter der In der heutigen Diskussion geht es, wie gesagt, um Leitung von Peter Hartz und mit denen haben wir zu-den Umbau der Bundesanstalt für Arbeit und um die Zu- nächst einmal und vor allen Dingen neue Beschäfti-sammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, das so gungsmöglichkeiten am Arbeitsmarkt geschaffen. Das genannte Hartz-III- und das Hartz-IV-Gesetz. Wir haben heißt, wir haben Mini- und Midijobs in einem sehr um- bereits im vergangenen Jahr mit dem Umbau der Bun- fassenden Sinne legalisiert. desanstalt für Arbeit begonnen. Seitdem hat die Bundes- (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Auf un- anstalt eine neue Führungsstruktur. Auch hier sage ich seren Vorschlag hin!) entgegen manchem, was man lesen und hören kann: Diese Bundesanstalt arbeitet unter der neuen Führung Wir haben, aufbauend auf den Erfahrungen mit demwesentlich erfolgreicher, als von vielen relativ ober- Überbrückungsgeld, den Weg aus der Arbeitslosigkeit in flächlichen Betrachtern angenommen wird. Der Umbau die Selbstständigkeit wesentlich erleichtert, und zwarder Bundesanstalt für Arbeit ist in vollem Gange. insbesondere mit dem, was unter dem Stichwort Ich-AG bekannt ist. Wir haben die Leih- und Zeitarbeit aus der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Schmuddelecke, in der sie bisher in Deutschland zum DIE GRÜNEN) großen Teil war, herausgeholt. Durch tarifliche Verein- barungen haben die Beteiligten dies abgesichert. Die Ziel des Umbaus ist es, endlich das wahr zu machen, Zeit- und Leiharbeit kann und wird ebenfalls zu einem was jede und jeder von uns bei allen möglichen Gelegen- Abbau der Arbeitslosigkeit beitragen. Am deutlichsten heiten immer wieder gepredigt hat: Wir müssen weg von wird dies in den Personal-Service-Agenturen, die inzwi- der Administration und der Finanzierung von Arbeitslo- schen recht erfolgreich arbeiten. Wir haben mit diesen sigkeit und hin zur Vermittlung in Arbeit kommen. Das neuen Beschäftigungsmöglichkeiten den Arbeitsmarkt in ist die Aufgabe und der Sinn dieser Reform. Bewegung gebracht. Deshalb führen wir mit dem Gesetzentwurf, der Ihnen Wir befinden uns zurzeit in Deutschland noch in einer vorliegt, die Bundesanstalt hin zu einer Konzentration wirtschaftlichen Stagnation. Die Beschäftigungs-auf die Vermittlung in Arbeit. Deshalb bauen wir die schwelle in der Bundesrepublik ist auf etwa 1,5 Prozent Personal- und Organisationsstrukturen in der Bundesan- (B) (D) gesunken. Sie lag, wie Sie wissen, bei 2 bis 2,5 Prozent. stalt um, die in Zukunft„Bundesagentur für Arbeit“ Ich gehe davon aus, dass die neuen Beschäftigungsmög- heißen wird. Deshalb steuern wir um: von detailreichen lichkeiten – namentlich auch die, die wir im Bereich der Einzelregelungen hin zu Zielvereinbarungen, die wir mit niedrig entlohnten und gering qualifizierten Tätigkeiten der Führung der Bundesanstalt treffen wollen und aus schaffen mussten – bei uns zu einer weiteren Senkung denen wir die weitere Arbeit ableiten wollen. der Beschäftigungsschwelle beitragen werden, so wie das in unseren Nachbarstaaten, die im Kampf gegen die Die Politik muss zu diesem Unternehmen Bundes- Arbeitslosigkeit schon weiter sind, erfolgt ist. agentur auf Distanz gehen. Wenn eine solche Bundes- agentur erfolgreich arbeiten soll, muss sie in eigener Das sind die ersten Schritte. All diese neuen Beschäf- Verantwortung arbeiten können, auch als ein Unterneh- tigungsmöglichkeiten, die Ich-AG, das Überbrückungs- men, das eine öffentliche Aufgabe wahrnimmt. Deshalb geld, der Weg in die Selbstständigkeit aus der Arbeitslo- müssen wir von detailreichen Gesetzen, Verordnungen sigkeit, Mini- und Midijobs, Zeit- und Leiharbeit, sind und Erlassen Abstand nehmen. Das gilt für die Politik, erfolgreicher, als in vielen Unkenrufen – wir sind ja in für das Parlament und die Regierung. Die Bundesagen- Deutschland in Unkenrufen Spezialisten – vorhergesagt tur für Arbeit hat in Zukunft die prioritäre Verantwor- worden ist. tung für den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit in Wir rechnen damit, dass allein in diesem Jahr mehr Deutschland. Ich bin überzeugt, dass sie dieser Verant- als 200 000 Menschen den Weg aus der Arbeitslosigkeit wortung auch gerecht werden wird. in die Selbstständigkeit riskieren und damit zu einem Damit die Bundesagentur so arbeiten kann, vereinfa- Abbau der Arbeitslosigkeit beitragen. Nach unseren Er- chen wir zugleich dasFörderungs- und Leistungs- fahrungen mit dem Überbrückungsgeld bleiben etwa recht. Wir machen es einfacher und überschaubarer. Wir zwei Drittel dieser Unternehmen bestehen. führen beispielsweise die Arbeitsbeschaffungs- und die Wir haben Reformen im Bereich des ArbeitsrechtsStrukturanpassungsmaßnahmen zu einem Instrument zu- eingeleitet. Insbesondere haben wir denKündigungs- sammen. Wir erwarten, dass allein durch die Reduktion schutz in einer sehr vorsichtigen Weise etwas gelenkiger und Vereinfachung des Förder- und Leistungsrechts etwa gemacht. Außerdem haben wir begonnen, die Arbeitslo- 3 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesan- senversicherung umzubauen, und zwar insbesondere da- stalt, die bisher mit administrativen Aufgaben beschäf- durch, dass wir den Bezug von Arbeitslosengeld für Äl- tigt waren, für die Vermittlungsarbeit frei werden. Dafür tere deutlicher befristet haben, als es bisher der Fall war, brauchen wir wesentlich mehr Mitarbeiterinnen und Mit- und gleichzeitig Mittel und Instrumente auf den Weg ge- arbeiter als bisher. 5738 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Bundesminister Wolfgang Clement (A) Umsteuern auf Vermittlung heißt, dass in Zukunft auf zahler bekommt. Diesem Grundsatz der Zumutbarkeit,(C) 75 Arbeitssuchende ein Arbeitsvermittler, ein Fallmana- der für jeden Einzelnen gilt, müssen wir in Deutschland ger kommen soll, der sich wirklich konkret um den ein- Geltung verschaffen. Es ist Ausdruck des Prinzips der zelnen Arbeitsuchenden kümmern können soll. Das war Solidarität, dass derjenige, der Anspruch auf die Unter- bisher nicht möglich, weil bis jetzt ein Berater für etwa stützung durch die Gemeinschaft erhebt – das ist sein 800 Arbeitsuchende zuständig ist. Dieses UmsteuernRecht; er muss unterstützt werden – gleichzeitig bereit muss und wird in Zukunft möglich werden, wie es insein muss, zu tun, was die Gemeinschaft entlastet. Derje- vergleichbaren Volkswirtschaften auch möglich ist. nige muss deshalb eine zumutbare Arbeit annehmen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten DIE GRÜNEN) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Erfahrungen in Großbritannien oder Skandina- Eine zumutbare Arbeit ist grundsätzlich jede legale vien haben gezeigt, dass wir allein dadurch in der vorArbeit. Dazu zählen also auch die Minijobs, um das ganz uns liegenden Zeit die Arbeitslosenquote um etwa 15 bis klar zu sagen, auch wenn sie eine geringere Qualifika- 20 Prozent werden senken können. Das sind die Erwar- tion erfordern und schwächer dotiert sind. Jeder, der sich tungen, die wir haben. mit diesem Thema beschäftigt, erkennt, dass wir Schritte Ich möchte an dieser Stelle Folgendes hinzufügen,brauchen, mit denen wir den Menschen den Weg zurück weil es zu diesem Punkt Diskussionen gegeben hat: Wir in den Arbeitsmarkt ermöglichen. Dazu kann auch der werden bei der Bundesanstalt keine zusätzlichen Mitar- Weg über einen Minijob gehören. Dass dies funktioniert, beiterinnen und Mitarbeiter einstellen, sondern werden ist natürlich nicht zwingend, aber durchaus möglich. die Strukturen umbauen und die Mitarbeiterinnen und Wir sagen allerdings – das haben wir in sehr intensi- Mitarbeiter vor allen Dingen aus der Administration he- ven Diskussionen in der Koalition erörtert; wir sind dort rausnehmen, damit sie sich ganz auf die Vermittlung und aus meiner Sicht zu einem vernünftigen Ergebnis ge- auf die Arbeit mit den Arbeit suchenden Menschen kon- kommen –: Eine solche zumutbare Arbeit muss sich zentrieren können. selbstverständlich im Rahmen tariflicher Regelungen, Ein weiteres Ziel, das wir mit dem Hartz-IV-Gesetz die in Deutschland gelten, bewegen. Soweit es keine ta- verfolgen, ist die Zusammenführung von Arbeitslosen- rifliche Regelung gibt, muss sich das Entgelt im Rahmen hilfe und Sozialhilfe. Das ist eine Maßnahme, die inzwi- des ortsüblichen Entgelts bewegen. Niemand will – dazu schen von fast allen Seiten bejaht und unterstützt wird. zählt selbstverständlich auch die Bundesregierung – dass Wir müssen den Zustand beenden, dass in Deutschland Lohndumping gefördert wird. zwei Fürsorgesysteme nebeneinander bestehen: einmal (B) (D) die Arbeitslosenhilfe als ein Fürsorgesystem des Staates (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ und zum anderen die Sozialhilfe als ein Fürsorgesystem DIE GRÜNEN) der Kommunen. Diese beiden Systeme haben sich ne- Wir haben, wie Sie alle wissen, in den Koalitionsfrak- beneinander entwickelt, sind voller Widersprüche und tionen außerordentlich intensive Diskussionen über den wirken manchmal sogar gegeneinander. Wir müssen sie Vorschlag der Bundesregierung geführt. Dabei haben wir zusammenführen, um endlich gezielt mit einem Instru- zu einigen Klarstellungen gefunden, beispielsweise zu ment arbeiten zu können, das auf alle Arbeitsuchenden der Klarstellung, dass Eltern selbstverständlich nicht ihr hin ausgerichtet ist. Leben lang für die finanzielle Unterstützung ihrer er- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wachsenen, in Arbeitslosigkeit geratenen Kinder verant- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des wortlich sind. Die Gerichte haben in vielen Fällen ent- Abg. Dirk Niebel [FDP]) schieden, dass Eltern nicht auf Dauer für ihre erwachsenen Kinder, soweit sie arbeitslos sind, in An- Wir müssen erreichen, dass jeder Arbeitsuchende und spruch genommen werden können. Dieser Rechtspre- jede Arbeitsuchende in Deutschlandeine Anlaufstelle chung wollen wir aber durch eine klarstellende Regelung hat, bei der er bzw. sie Rat, Hilfe und Unterstützung auf im Gesetz Rechnung tragen. – Das sind Klarstellungen, dem Weg zurück in den Arbeitsmarkt bekommt. die wir vorgenommen haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Neu hinzugefügt haben wir – das ist das Wichtigste; Das ist aber kein rein technischer Gesichtspunkt; denn das will ich deutlich sagen – eine Schutzvorschrift für damit verbindet sich der von uns schon oft angespro-die Altersvorsorge. Das folgt aus der Überlegung, dass chene Grundsatz des Förderns und des Forderns. Wirwir den Menschen, die in Arbeitslosigkeit geraten sind müssen erwarten, dass Arbeitsuchende, die ein Angebot und die sich während ihrer Zeit in Arbeit neben dem für einen Arbeitsplatz bekommen, dieses auch anneh- Rentenanspruch eine zusätzliche Altersvorsorge aufge- men. Damit Menschen, die aus der Arbeitslosigkeitbaut haben, ihre Altersvorsorge, soweit es vertretbar ist, kommen – ob sie Arbeitslosenhilfebezieher oder Sozial- erhalten sollten. hilfeempfänger sind, ist egal –, wieder in Arbeit gehen, Das ist nur vernünftig, wenn wir heute gleichzeitig vor schaffen wir Anreize. allen Dingen den jungen Menschen empfehlen, sich ne- Gleichzeitig muss aber gelten: Wer zumutbareben der Rentenversicherung eine eigene Altersvorsorge Arbeit ablehnt, der kann nicht damit rechnen, dass er öf- zuzulegen. Ich hoffe, vor allen Dingen die Jüngeren tun fentliche Hilfe aus den Kassen der Steuer- und Beitrags- das mit der Riester-Rente und den Betriebsrenten. Beide Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5739

Bundesminister Wolfgang Clement (A) Formen der Altersvorsorge sind bei Arbeitslosigkeitsolchen Möglichkeiten Gebrauch machen, müssen in(C) auch in Zukunft vor einem Zugriff geschützt. deutlicher Form klar werden. Wir fügen jetzt eine dritte Möglichkeit hinzu. Arbeit- Darum geht es bei den Gesetzen zur Reform des Ar- nehmerinnen und Arbeitnehmer können sich im Laufe beitsmarktes, zum Umbau der Bundesanstalt und des Ar- ihres Lebens eine zusätzliche Altersvorsorge, in welcher beitsmarktes und zum neuen Denken und Handeln am Form der Geldanlage auch immer, zulegen. Diese Geld- Arbeitsmarkt, im Kern. anlage wollen wir schützen, soweit sie ausschließlich für Wenn ich es richtig sehe, dann gibt es bei der Diskus- die Altersvorsorge gedacht ist, soweit sie also erst ab sion mit der Opposition, namentlich mit der Union, vor dem Renteneintritt in Anspruch genommen werden allen Dingen noch zwei Kernunterschiede. Vor allem kann. Die Grenze, bis zu der sie nicht angerechnet wird, geht es um die Frage, wie wir die Aufgaben zwischen wollen wir auf 200 Euro pro Lebensjahr festlegen, so- der Bundesanstalt und den Kommunen bei der Zusam- dass sie für einen 60-Jährigen bei 12 000 Euro liegen menführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe aufteilen. wird. Ich sage sehr klar, dass die Federführung für diese Auf- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des gabe bei der Bundesagentur für Arbeit liegen muss, und BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ich bin davon überzeugt, dass ein großer Teil der Union, insbesondere in den Städten, Gemeinden und Ländern, Diese von uns vorgenommenen Änderungen undebenfalls dieser Auffassung ist. Klarstellungen unterstütze ich ausdrücklich. Ich sage Ihnen ganz offen: Ich möchte die Minister- Ich füge hinzu, dass wir uns in besonderer Weise des präsidenten der 16 Bundesländer in Deutschland, in Ost Problems der Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland an- und in West sowie in Nord und in Süd, sehen, die in vol- nehmen. Dies ist unter dem Gesichtspunkt der Zumut- ler Kenntnis dessen, worüber wir reden, dafür eintreten, barkeit von Arbeit besonders wichtig. Sie wissen, dass dass jede Stadt und jede Gemeinde in Deutschland in die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland dramatisch Zukunft die Verantwortung für ihre Langzeitarbeitslosen hoch ist, wenn sie auch im Vergleich etwa mit Frank-übernehmen soll. reich oder anderen europäischen Staaten noch niedrig ist. Sie bedrückt uns aber auch mit Blick auf die gesamte (Joseph Fischer, Bundesminister: Das kann europäische Union. Tatsächlich ist die Jugendarbeitslo- uns der hessische Ministerpräsident ja gleich sigkeit mit derzeit deutlich über 500 000 Betroffenen sagen!) wirklich dramatisch hoch. Etwa 250 000 dieser jungen Deshalb lautet meine Bitte, dass wir hier keine mögli- Leute unter 25 Jahren beziehen heute Sozialhilfe. 60 000 cherweise dogmatische Diskussion führen. Wir sollten (B) bis 70 000 erhalten Arbeitslosenhilfe. Deshalb muss es uns darüber einig werden, dass die Bundesagentur für (D) unsere vorrangige Aufgabe sein, diese jungen arbeitslo- Arbeit diese Verantwortung in Zukunft zwar übernimmt, sen Leute unter 25 Jahren so rasch wie möglich aus der dass sie auf diesem Feld aber selbstverständlich auch mit Arbeitslosigkeit herauszuholen. den Städten und Gemeinden, mit denen, die in den So- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ zial- und Jugendämtern, in der Drogenberatung und in DIE GRÜNEN) anderen Stellen tätig sind, zusammenarbeitet. Sie müs- sen, wie es heutzutage so schön heißt, auf gleicher Au- Wir müssen der Arbeitslosigkeit in Deutschland den genhöhe, also gleichberechtigt, zusammenarbeiten. Dies Nachwuchs entziehen. Deshalb müssen wir uns neben muss auch für die Zusammenarbeit mit den freien Trä- vielem anderen auch auf diese Aufgabe konzentrieren. gern, die eine wertvolle Arbeit auf dem Gebiet der Be- Es ist unser Ziel, dass jederdieser jungen Leute, jeder schäftigungsförderung und der Bekämpfung der Arbeits- junge Mann und jede junge Frau, die heute arbeitsloslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland leisten, sind und insbesondere Arbeitslosen- und Sozialhilfe er- gelten. Das ist die Kernaufgabe. halten, in sehr überschaubarer Zeit entweder ein Ange- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ bot für eine Qualifikation, für berufsvorbereitende DIE GRÜNEN) Maßnahmen, für ein Praktikum, für einen Arbeitsplatz oder für eine sonstige Qualifikation erhält. Wir müssen Meine dringende Bitte ist, dass wir uns nicht künst- dann auch erwarten können, dass die jungen Leute von lich auseinander dividieren lassen, sondern dass wir die- solchen Angeboten Gebrauch machen. jenigen, die wir im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit brauchen, zusammenbringen, nämlich die Bundesanstalt Deshalb haben wir im Gesetzentwurf vorgesehen, dass für Arbeit in ihrer neuen Gestalt, die Kommunen und die junge Leute entsprechende Angebote auch annehmenfreien Träger. Diese Einrichtungen müssen vernünftig müssen, also tatsächlich in eine Qualifikationsmaßnahme, zusammenarbeiten. Wir müssen vor allen Dingen dafür Ausbildung oder Ähnliches gehen müssen. Wenn sie sich sorgen, dass ein Arbeitsuchender in Deutschland in Zu- dem zu entziehen versuchen – was wir ja nicht völlig aus- kunft eine Anlaufstelle in Form einesJobcenters hat, schließen können –, dann kann für sie – darauf müssen und zwar in jeder Stadt und jeder Gemeinde. Darauf wir hinweisen – eine öffentliche Förderung in Gestaltkommt es an. Die Frage der Organisation müssten wir von Geldzuwendungen nicht mehr zur Verfügung ste- sehr rasch und einvernehmlich lösen können. hen. Sie werden dann auf andere Weise unterstützt wer- den. Der Druck und die Erwartung der Solidargemein- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des schaft und der gesamten Gesellschaft, dass sie von BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 5740 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Bundesminister Wolfgang Clement (A) Wir stehen im nationalen Bereich vor einer sehr um- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (C) fassenden Aufgabe. Auch die internationale Politik, die Das Wort hat der Ministerpräsident des Landes Hes- Wirtschafts- und Finanzpolitik sowie die europäischesen, Roland Koch. Geldpolitik spielen eine wichtige Rolle. Wenn es um den Arbeitsmarkt geht, dann sind wir in der Bundesrepublik (Beifall bei der CDU/CSU) Deutschland in die internationale Wirtschaftsentwick- lung besonders stark eingebunden. Die Nachricht, dass Roland Koch, Ministerpräsident (Hessen): Deutschland das exportstärkste Land der Welt ist, fand Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und im Ausland stärkere Beachtung als hier in der Bundesre- Herren! Die Bundesrepublik Deutschland befindet sich publik. Diese Einbindung indie Weltwirtschaft ist für im Augenblick in der größten Haushaltskrise und zu- uns eine besondere Verpflichtung. gleich in der größten Beschäftigungskrise ihrer Ge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) schichte. Wir müssen in nationaler Verantwortung das tun, was (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ in der gegenwärtig äußerst schwierigen und labilen Wirt- DIE GRÜNEN: Hessen auch!) schaftslage notwendig ist. Dazu gehört, dass wir die Spielräume für Investitionen nutzen und den Konsum Das ist ein Ergebnis von inzwischen fünf Jahren Bundes- der Verbraucherinnen und Verbraucher fördern. Deshalb regierung Schröder und Fischer und der Grund, warum müssen wir dafür sorgen – das steht in einem unmittelba- wir heute streiten müssen. ren Zusammenhang –, dass die Steuern herabgesetzt Heute Morgen habe ich in der Zeitung gelesen, dass werden und die Lohnnebenkosten sinken. der Kanzler bei dem „Wunder von Bern“ weint. Er (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des müsste viel mehr weinen, wenn er die fehlenden Ergeb- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Johannes nisse seiner Politik sieht. Denn wir reden heute nur über Singhammer [CDU/CSU]: Nur zu!) die Verwaltung von Mangel. Wir brauchen ein neues Denken am Arbeitsmarkt. (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch Wir müssen die Umgestaltung des Arbeitsmarktes anpa- bei der SPD) cken. Wir müssen die Lehre daraus ziehen, dass die bis- Ich sage das zu Beginn der Diskussion, weil wir uns herigen Instrumente am Arbeitsmarkt in Deutschland über die Frage der Arbeitsmarktorganisation sehr wohl trotz eines außerordentlich hohen Mitteleinsatzes nicht unterhalten können und wollen, auch zwischen den Län- erfolgreich waren. Deshalb brauchen wir ein neues Han- dern und dem Bund. deln. Wir müssen zudem denGüter- und Dienstleis- (B) tungsbereich in Deutschland stärker öffnen. Wir müssen (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE (D) die Telekommunikationsdienstleistungen weiter liberali- GRÜNEN]: Wer im Glashaus sitzt, soll nicht sieren. Wir müssen die Energieversorgungsnetze öffnen. mit Steinen werfen!) Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass Hemmnisse, die es aus traditionellen Gründen gibt, ob im Hand-Aber die Bundesregierung hat ein Jahr lang Werbung da- werksrecht oder in sonstigen berufsständischen Regelun- mit gemacht, dass sie das Problem der Arbeitslosigkeit gen, beseitigt werden. Wir müssen Kräfte freisetzen und löse, indem sie die Vermittlung besser organisiere. uns aus bisherigen Fesselungen lösen. Wir müssen uns um eine bessere Vermittlung küm- Das, was ich eben für den Arbeitsmarkt gesagt habe, mern. Aber jeder muss klar wissen: Solange man den gilt auch für das Handwerksrecht und in anderen berufs- Arbeitsmarkt nicht öffnet, ist das entgegen den erweck- ständischen Regelungen. Wer in diesem System Arbeit ten Erwartungen nur eine andere Verteilung des Man- hat, der hat es gut. Aber wer von außen Arbeit sucht, der gels. Die grundlegenden Reformen sind Sie an anderer hat es verteufelt schwer, in den Arbeitsmarkt hineinzu- Stelle schuldig. Sie werden sie durch Hartz III und Hartz kommen. Gleiches gilt für andere Bereiche mit ihren be- IV nicht ersetzen können. Das muss man der Öffentlich- rufsständischen Regelungen. keit sagen. Wir müssen selbstverständlich auch Bildung und (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Qualifikation, Wissenschaft, Forschung und Entwick- Sie wissen, dass es eine Übereinstimmung darüber gibt, lung in Deutschland einen höheren Stellenwert geben, dass wir eine Reform von Arbeitslosen- und Sozialhilfe als dies in den zurückliegenden Jahren und Jahrzehnten wollen – je schneller sie kommt, desto besser. Mit dem der Fall war. Wir müssen dieinnovativen Kräfte in Gesetzentwurf, den der Deutsche Bundestag wahr- Deutschland bündeln. Dazu müssen wir mit den jetztscheinlich heute beschließen wird, und dem Existenz- eingebrachten Reformen den Weg frei machen. Im Mit- grundlagengesetz, das der Bundesrat zugleich be- telpunkt dieser Reformen stehen die neuen Zielsetzun- schließt, gibt es im Vermittlungsausschuss die gen für den Arbeitsmarkt. Ich bitte Sie sehr herzlich, den Möglichkeit, über die Fragen zu verhandeln. Keiner vorliegenden Gesetzentwürfen für moderne Dienstleis- braucht dem anderen zu sagen, er habe keine Alterna- tungen am Arbeitsmarkt Ihre Zustimmung zu geben. tive; denn es gibt zwei geschlossene Konzepte. Wir wer- Ich danke Ihnen sehr. den uns über die Unterschiede auseinander setzen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Dabei muss aber klar sein, dass die Bundesregierung DIE GRÜNEN) und die Mehrheit hier im Deutschen Bundestag einen Weg Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5741

Ministerpräsident Roland Koch (Hessen) (A) zur Finanzierung des Problems vorschlagen, der weder wir mit ihnen zusammenarbeiten. – Warum haben Sie(C) von den CDU/CSU- noch von den sozialdemokratisch re- denn ein Gesetz gemacht, in dem alle Kompetenzen und gierten Ländern akzeptiert werden wird. Sie nehmen eine Finanzierungen zentral an einer Stelle liegen und die Umsatzsteuerumverteilung vor. Am Ende bekommen die Kommunen entweder Bittsteller oder Büttel sind, aber Gemeinden im kommunalen Finanzausgleich wenigernicht mehr Partner der Veranstaltung? Ich glaube nicht, Geld. dass Sie das Problem so lösen können. (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) GRÜNEN]: Wieso ist denn Frau Roth aus Frankfurt dafür?) Dann gibt es ein weiteres entscheidendes Problem. Das Problem liegt schlicht und ergreifend darin, dass Sie Das ist Ihre Vorstellung; das steht im Gesetz. in dieses Gesetz keine Regelungen aufgenommen haben, Diese Verteilung kommt Ländern zugute, die das Pro- um den Markt für neue Arbeitsplätze zu erweitern. blem überhaupt nicht haben. Sie verteilen Umsatzsteuer (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Sie verstehen zur Finanzierung, geben Ländern, die es nicht brauchen, von der Sache doch gar nichts!) das Geld und übertragen anderen eine Aufgabe, die sie nicht angemessen finanzieren können. Sie wissen ausWas soll eine Kommune oder die Bundesanstalt für Ar- den Ausschussberatungen, dass das nicht seriös ist. beit eigentlich machen, wenn sie nicht mehr Arbeits- plätze zu vermitteln hat? Wir wissen doch, dass diejeni- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gen, über die wir sprechen, Beschäftigung in einem Auch in den Reihen derunionsregierten Bundeslän- bestimmten Segment suchen. Ob uns das gefällt oder der, die über das Existenzgrundlagengesetz reden, be- nicht, wir können im Augenblick mit unserem Lohnge- steht immer noch eine Diskussion zwischen Ost undfüge in bestimmten Bereichen keine Arbeit anbieten. West, wie die Finanzen im Detail verteilt werden sollen. Das ist der Punkt, an dem Sie einen weiteren Kompro- Aber das Modell, das Sie vorgelegt haben, vergisstmiss in Ihrer Fraktion geschlossen haben, um eine Mehr- schlicht die Antwort auf die zentrale Frage, ob wir dies heit zu sichern, der im Ergebnis dazu führen wird, dass den Kommunen in den neuen und in den alten Ländern das Gesetz jetzt rein gar nichts mehr bewirkt; denn Sie überhaupt zumuten können. haben an der entscheidenden Stelle eine neue Blockade im alten Arbeitsmarkt eingeführt, anstatt neue Chancen Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie lösen für Beschäftigung in Deutschland zu schaffen. wieder eine ganze Reihe von Fragen in Ihrem großen Vertrauen auf Bürokratie. Sie ändern mehr als (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 200 Rechtsvorschriften, um aus der Bundesanstalt die (B) Die Auseinandersetzung über diesen Punkt, den ich(D) Bundesagentur zu machen. Haben wir in diesem Land Ideologie nenne, müssen wir wirklich führen. Sie sagen: wirklich nichts Besseres zu tun? Mit diesen alten For- Wenn es für jemanden keine Arbeit für einen Stunden- melstreitigkeiten ist nichts zu bewegen. lohn in Höhe von 7 Euro gibt – ich nenne jetzt einen Be- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) trag, der wahrscheinlich in dem Bereich dessen, was Sie als ortsüblich definiert haben, liegt –, dann hat er eben Herr Kollege Clement, dahinter steckt in der Tat ein keine Arbeit. Sie sagen weiter: Wenn dieser Mensch mit von Ihnen benannter grundsätzlicher Punkt. Sie sagen: 4 Euro bezahlt würde, dann wäre das Lohndumping, Das geht alles nur, wenn wir es in Deutschland zentral selbst wenn er zusätzlich Sozialhilfe erhielte, damit er regeln. Sie alle haben in Wahlkreisen eigene Erfahrun- am Ende ein höheres Einkommen hätte, als wenn er nur gen mit Arbeitsvermittlung. Wer hat sich denn in der Sozialhilfe bekäme. Vergangenheit um die 20 oder 25 Prozent der Menschen gekümmert, die länger als ein Jahr arbeitslos sind? (Karin Roth [Esslingen] [SPD]: Nein, sitten- Schauen Sie sich doch einmal die Arbeitsämter an! Sie widrig!) sind inzwischen recht gut, wenn jemand drei Monate keinen Job hat und einen neuen finden muss. Da leisten Wenn Sie das in aller Ruhe durchdenken, dann bedeu- sie Ordentliches. Das soll man nicht immer schlechtre- tet das, dass es Ihnen lieber ist, dass sich der 4-Euro-Job den. Aber wenn die Leute ein Jahr oder anderthalb Jahre in Tschechien statt in Deutschland befindet, obwohl Sie arbeitslos waren, dann sagen sie: Wir können mit denen glauben, Sie könnten das andere durchsetzen. nichts mehr anfangen; es gibt eine kommunale Beschäf- (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der tigungsinitiative. SPD) Sie, die bisher darauf bauen mussten, sagen jetzt: Die Das hat doch mit Realität nichts zu tun. Sie denken im- Kommunen brauchen wir nicht mehr; das machen wir mer noch, wir leben in einer Wirtschaft, in der der Staat in Deutschland alles zentral und behalten das Geld. Das oder große Tarifvertragsparteien bestimmen können, wie ist nicht die richtige Antwort. viel für Arbeit gezahlt wird. Gleichzeitig soll die Arbeit (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Leb- aber auf jeden Fall in Deutschland gemacht werden und hafter Widerspruch bei der SPD und dem nicht in einem anderen Land. Das stimmt aber nicht BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mehr. Das ist die Denkweise des letzten Jahrhunderts. Wir müssen uns aber auf dieses Jahrhundert einrichten. In diesen Tagen höre ich Schalmeienklänge: Natürlich brauchen wir die Kommunen; selbstverständlich wollen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 5742 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Ministerpräsident Roland Koch (Hessen) (A) Es ist ärgerlich, dass der Gesetzentwurf auf die ent- kann man nur glaubwürdig prüfen, wenn man an der an- (C) scheidende Frage, wie es den Menschen geht, keine Ant- deren Stelle eine Beschäftigungspflicht für den Staat ein- wort gibt. Es ist doch dem Bürger, demjenigen, der Ar- führe. Das ist eine große Herausforderung für alle Betei- beit sucht, nicht so wichtig, wie Ihre Theorien über ligten. Übrigens ist auch das eine klar korrespondierende Finanzierung, Gewerkschaften oder Tarifverträge ausse- Aufgabe. Sie ist nur mit einer kommunalen Verantwor- hen, sondern er möchte wissen, was er am Ende mit Er- tung zu bewältigen, weil Sie dafür auf gemeinnützige werbsarbeit verdienen kann: ob er eine Chance hat, mit Arbeit angewiesen sind. Erwerbsarbeit plus sozialer Unterstützung ein besseres (Peter Dreßen [SPD]: Zwangsarbeit, was?) Einkommen zu erzielen. – Verehrter Herr Kollege Dreßen, das ist keine Zwangs- ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: arbeit. Ich bin mit Minister Clement einer Meinung: Wer Sie wollen doch das Lohnniveau von Tsche- entweder im ersten und zweiten Arbeitsmarkt, in der chien hier einführen! Seien Sie doch ehrlich!) Ausbildung, in gemeinnütziger Arbeit oder – wenn er Wir schlagen ein Modell vor, nach dem Arbeit zu dem erst integriert werden muss – in therapeutischer Arbeit Preis aufgenommen werden soll, zu dem sie auf demein Angebot vom Staat bekommt, es aber nicht annimmt, Markt vorhanden ist. Wir verdrücken nicht alles in andere verliert damit den Anspruch auf die Unterstützung der Teile der Welt, nur weil wir ein Kartell beschlossen ha- Gesellschaft. Denn er könnte selbst etwas zu seinem Er- ben, das diese Arbeit nicht mehr organisiert. Wir geben werb beitragen. Auch das ist völlig klar und muss deut- dem Bürger und dem Arbeitnehmer trotzdem die Chance, lich gemacht werden. damit besser zu leben, als wenn ihm Arbeit verboten und (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sozialhilfe gezahlt wird. Darin liegt doch der Witz. Aber wer diese Feststellung trifft, muss auch ein ent- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sprechendes Angebot schaffen. Wenn dieses Angebot je- doch nur fakultativ ist, dann wird auf jeder staatlichen Was wir im Existenzgrundlagengesetz vorschlagen, Ebene – das haben wir bei der Bundesanstalt für Arbeit gibt dem einzelnen Bürger eine Chance für Beschäfti- in der Vergangenheit erlebt – über die Frage der Ange- gung und bietet damit eine Chance für Wirtschafts-messenheit gestritten. wachstum und Wertschöpfung in Deutschland. Es gibt dem Bürger eine Chance, mehr zu verdienen, als er heute Nein, ich glaube, an dieser Stelle muss bei dem Leit- an Sozialhilfe erhält, und es ermöglicht dem Staatsatz „Fördern und Fordern“ auch der Staat in die Pflicht gleichzeitig, weniger Sozialhilfe zu zahlen. Es ist schon – so schmerzhaft das für die staatlichen Ebenen ist –, und ziemlich verantwortungslos, ein solches Modell, das es zwar muss er in dieser Ka skade von Beschäftigungsmög- lichkeiten – darin sind wir uns einig; Herr Clement hat (B) heute in Amerika, in Großbritannien, in Dänemark und (D) in den Niederlanden gibt, den Menschen in Deutschland das genauso dargelegt – ein entsprechendesAngebot vorzuenthalten. vorhalten. Wenn es im ersten Arbeitsmarkt ein entspre- chendes Angebot gibt, entsteht endlich der Druck, dort (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Arbeit zu finden, und zwar auch für den Staat. Wenn im Lachen bei der SPD) zweiten Arbeitsmarkt entsprechende Angebote notwen- dig sind, müssen sie eben definiert werden, wenn eine ge- Deshalb sage ich Ihnen auch ganz klar: Sie werden mit eignete Qualifikation gegeben ist. Andernfalls muss eben der Union im Bundestag und auch im Bundesrat keine ein gemeinnütziger Arbeitsplatz geschaffen werden. Das Regelung verabschieden können, mit der Sie durch eine ist eine Erfahrung, die weltweit gemacht worden ist. neue Einführung des Mindestlohns einen weiteren Teil des Arbeitsmarkts verriegeln, obwohl das einzige, was in Sie betrachten in diesem Zusammenhang immer wie- Kombination mit besserer Arbeitsvermittlung Sinn ma- der das Modell von Wisconsin. Das halte ich zwar für chen würde, wäre, endlich den Arbeitsmarkt in Deutsch- richtig, weil dieses Modell sehr erfolgreich war. Wenn land zu öffnen. Darüber müssten wir uns eigentlich aus- Ihnen aber dieses Modell so wenig gefällt, schauen Sie einander setzen. doch auf die Niederlande! Wenn Ihnen das niederländi- sche Modell nicht gefällt, können Sie nach Dänemark (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) schauen. Wenn Ihnen auch das nicht gefällt, können Sie ebenso nach Österreich schauen. Es gibt um uns herum Zu guter Letzt: Wenn man denjenigen, die sich in der die verschiedensten Länder, in denen bereits Erfahrun- Sozialhilfe eingerichtet haben – die gibt es und das wis- gen gesammelt worden sind. sen alle, die sich auf der kommunalen Ebene damit be- schäftigen; sie sind nicht die Mehrheit, sie sind nicht die Wenn wir nicht in der Lage sind, einem erwerbsfähi- alleinige Ursache unseres Problems und es gibt Struktur- gen Menschen, der staatliche Unterstützung haben will, unterschiede zwischen Ost und West –, zu Leibe rücken eine Beschäftigung zu garantieren, dann entsteht bei ihm will – was die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes die Motivation, die finanzielle Unterstützung zu bezie- erwarten – dann muss man das nicht dadurch organisie- hen, ohne im Gegenzug beschäftigt zu sein. Es ist eine ren, dass man am Ende bestimmte Hilfeleistungen ent- Verpflichtung des Staates, einen solchen Zustand zu ver- zieht, sondern dann muss man vorher auch glaubwürdig hindern, statt sich im Nachhinein über den Missbrauch prüfen können, ob denn wirklich eineErwerbswillig- staatlicher Unterstützung zu beschweren. Es besteht eine Chance, das zu erreichen. Diese Chance müssen wir ge- keit besteht oder nicht. Das ist kein Problem, das man meinsam nutzen. auf den Schreibtisch des Arbeitsamtsmitarbeiters oder des Jobcentermitarbeiters verlagern kann, sondern das (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5743

Ministerpräsident Roland Koch (Hessen) (A) Deshalb werbe ich erneut für ein Modell auf der Basis Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (C) kommunaler Verantwortung unter einer engen Mitwir- Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Thea Dückert, kung der Bundesanstalt für Arbeit. So wie wir Verhand- Bündnis 90/Die Grünen. lungen darüber fordern, wie die Kommunen in Ihr Mo- dell integriert werden können, werden auch Sie im Zusammenhang mit dem Existenzgrundlagengesetz dar- Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): über verhandeln wollen, wie die Bundesanstalt integriert Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! werden kann. Das ist nicht streitig. Möglich ist dies auf Herr Koch, Sie haben Recht: Wir stehen im Vermitt- der Basis einer fairen Finanzierung, die durch eine Absi- lungsausschuss vor einer umfänglichen Debatte. Das ist cherung im Grundgesetz sicherstellt, dass die Kommu- den Machtverhältnissen in unserem Land geschuldet. nen nicht mehr die Ausgebeuteten des Systems sind; viel- Deswegen bin ich sehr erstaunt, dass Sie mit so viel Un- mehr sollten sie mit einem System, das dafür sorgt, dass ehrlichkeit und Demagogie die Debatte eröffnen. die kommunale Wettbewerbssituation – wer kann das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wohl am besten machen? – Druck in die Vermittlung von und bei der SPD) Arbeitskräften bringt – wenn die Kommunen diese Auf- gabe auch manchmal mit Herzklopfen übernehmen –, die Sie haben Recht: Selbstverständlich brauchen wir die Garantie erhalten, dass sie nicht anschließend vom Bund Kommunen. Sie haben Know-how, weil sie sich in der ausgebeutet werden. Die Tatsache, dass der Bund die Vergangenheit um die Langzeitarbeitslosen gekümmert Kosten für dieses Modell zu rund 70 Prozent zu tragen haben. Wir haben einen entsprechenden Gesetzentwurf hat, würde den Bund bei Laune halten, für Gesetze zu vorbereitet. Wir haben Ihnen angekündigt – das hat auch sorgen, mit denen die Kommunen etwas anfangen kön- der Minister gerade getan –, dass wir uns auf ein Modell nen. verständigen werden, durch das beide Seiten quasi auf gleicher Augenhöhe eingebunden werden. Es ist eine (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das ist Mär, dass sich entweder alleine die Kommunen oder al- entscheidend!) leine die Bundesanstalt für Arbeit um die vielen Lang- So entstehen Balancen untereinander, indem sich je- zeitarbeitslosen werden ordentlich kümmern können. der auf den anderen verlassen kann, indem derjenige, der Die Kommunen und die Bundesanstalt für Arbeit müs- ortsnah ist, Entscheidungen treffen und die Initiative er- sen zusammenarbeiten. Das ist klar und das liegt auch greifen kann, aber in der Frage der Finanzierung nicht unserem Konzept bzw. unserem Gesetzentwurf zu- mehr allein gelassen wird, und indem er gleichzeitig die grunde. Chance bekommt, dass sich der Markt, in dem ein ent- Was machen Sie aber in Hessen? Wie können Sie an- (B) sprechender Bedarf besteht, über die geringfügige Be- gesichts dessen, was Sie einklagen, erklären, dass bei Ih- (D) schäftigung öffnet, damit er die Möglichkeit zur Vermitt- nen im Moment kommunale Angebote im Beschäfti- lung hat, sodass schließlich eine Situation entsteht, in der gungsbereich, soziale Dienste und Betreuungsangebote er über die Instrumente verfügt, diejenigen, die sich vor durch einen landespolitischen Kahlschlag bedroht wer- Arbeit drücken wollen, vorzuführen und ihnen klar zu den? machen, dass die Gesellschaft dazu nicht bereit ist. (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unser Angebot; das ist unser Modell. Aha!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie scheinen Ihren eigenen politischen Botschaften über- haupt nicht zu glauben. Es ist schlüssig und rund und würde zwei Kriterien gleichzeitig erfüllen – darin besteht ein weiterer Unter- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schied zu Ihrem Vorhaben –: Es würde einerseits eine und bei der SPD) Verbesserung der Beschäftigungssituation und der Ver- Herr Koch, glauben Sie angesichts der schwierigen mittlung von Beschäftigung erreichen und wäre gleich- Arbeitsmarktsituation in Deutschland sowie der europäi- zeitig ein erster Schritt zur Änderung des Arbeitsmark- schen und internationalen Konkurrenz im Ernst, dass Ihr tes, indem wir zusätzliche Arbeit nach Deutschland Vorschlag – den haben Sie gerade gemacht –, man solle holen bzw. verhindern, dass Arbeit ins Ausland abwan- in Deutschland Bedingungen schaffen, die es ermöglich- dert, statt die Menschen zwischen nicht vorhandenen Ar- ten, mit tschechischen Löhnen zu konkurrieren, helfen beitsplätzen hin und her zu schieben und über die Lage wird, die Zukunft unseres Landes zu sichern? Deutsch- zu lamentieren. Denn es ist besser, die Arbeit auf allen land ist doch ein hoch qualifiziertes Land. Die Behaup- Beschäftigungsstufen in unserem Land zu halten und, tung bzw. das Versprechen, dass wir die hohe Arbeitslo- sofern Sozialhilfeleistungen notwendig sind, den sozia- sigkeit in Deutschland mit Dumpinglöhnen, die mit den len Ausgleich zusätzlich zu leisten, als die Arbeit insLöhnen in Tschechien vergleichbar sind, abbauen kön- Ausland zu vertreiben und allein den sozialen Ausgleich nen, ist falsch. zu finanzieren. Darum wird es in dieser Auseinanderset- zung gehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Vielen, herzlichen Dank. Wir haben einen vollkommen anderen arbeitsmarkt- (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – politischen Ansatz. Dennoch werden wir uns im Vermitt- Beifall bei der FDP) lungsverfahren einigen müssen. Ich glaube, dass das 5744 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Dr. Thea Dückert (A) möglich sein wird, wenn Sie von Ihren Positionen ein nehmen. Auf der anderen Seite ist es aber auch richtig,(C) bisschen herunterkommen. dass es keine zwei Klassen von Langzeitarbeitslosen mehr geben wird und dass die Leistung, die ich eben be- Ich möchte jetzt auf unser Gesamtkonzept zu spre- schrieben habe, zum Beispiel der Zugang zur aktiven chen kommen. Erstens. Wir haben die auf Arbeitsmarktpolitik, für alle derzeitigen Sozialhilfeemp- den Weg gebracht. Sie hat das Ziel, Investitionen undfänger in Zukunft ein besseres und direkteres Angebot Arbeit voranzubringen. Zweitens. Die Hartz-Gesetzedarstellen wird, das ihre Selbstbestimmung stärken wird. sind ein Teil davon. Natürlich kann man nicht mit einzel- nen Instrumenten Arbeitsplätze schaffen. Aber man kann (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den deutschen Arbeitsmarkt fit machen und die struktu- sowie bei Abgeordneten der SPD) rellen Defizite abbauen – das ist uns international ins Was macht die Union? Wir haben es gerade gehört: Stammbuch geschrieben worden –, um mithilfe derSie will diesen Zug stoppen und ihn in eine ganz andere Agenda 2010 und der Vorziehung der letzten Stufe der Richtung umsteuern. Bei der Zumutbarkeit fängt es an. Steuerreform dieses Land wieder in Schwung zu brin- Herr Koch, Sie propagieren hier im Ernst – ich war wirk- gen. Wir werden einen vorbereiteten Arbeitsmarkt, eine lich erstaunt, wie überzeugt Sie davon offenbar sind –, vorbereitete Arbeitsverwaltung und eine Betreuung aus dass es Sinn macht, in DeutschlandDumpinglöhne zu einer Hand für die Arbeitslosen haben. Auch diese wer- zahlen. Sie bieten den Erwerbslosen – schauen Sie sich den besser vorbereitet sein. Es geht also um eine Rund- einmal das EGG an – eine Leistung unterhalb des Exis- umerneuerung des Arbeitsmarktes. tenzminimums an – das ist übrigens für jeden ein verfas- Die Bundesanstalt für Arbeit mit ihren 90 000 Be-sungsrechtlich verbrieftes Recht –, die sie nur dann auf schäftigten wird eine Dienstleistungsagentur werden, die das Niveau des Existenzminimums aufstocken können, die einzelnen Menschen ordentlich, direkt, schneller und wenn sie irgendeine Arbeit annehmen. Meine Damen effizienter betreuen wird. Wir werden die Instrumente und Herren, das Sozialstaatsgebot des deutschen Grund- vollkommen neu gestalten sowie die Leistungen entbü- gesetzes in Wisconsin zu vergraben – das ist Ihr Ansatz. rokratisieren und schlanker machen. Mit dem, was wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN heute vorschlagen – das ist für uns Grüne ein wichtiger sowie bei Abgeordneten der SPD) Punkt –, packen wir etwas an, über das Sie Jahr für Jahr nur geredet haben, nämlich die Notwendigkeit, die Ich sage Ihnen: Das hilft den Sozialhilfeempfängern Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe in eine Hand zu und den Arbeitslosen kein bisschen. Aber es ist noch legen, den Menschen so eine Anlaufadresse zu gebenschlimmer. Das, was Sie anbieten, ist ökonomischer Un- und sie durch das Angebot einer bedarfsorientiertensinn. Sie schwächen die Investitionskraft der Kommu- nen, (B) Grundsicherung – zumindest teilweise – aus der diskri- (D) minierenden Situation herauszuholen, in der sie sich als (Zuruf von der CDU/CSU: Wer hat die denn Sozialhilfeempfänger befinden. Dieses Angebot an die ruiniert?) Menschen macht nicht nur Schluss mit der Diskriminie- rung der Sozialhilfe insgesamt, sondern es richtet sich weil Sie für das Handwerk flächendeckend absolut nega- vielmehr an alle, die mehr als drei Stunden täglich arbei- tive Auswirkungen vorbereiten. ten können. Es wird in diesem Land auch sozialpolitisch Wenn Sie im Ernst davon ausgehen, dass die Kommu- viel verändern. nen – übrigens ohne die Einbe ziehung des Kriteriums der Viele Kritiker bemängeln, dass die neue Leistung auf Zusätzlichkeit – Arbeitsmöglichkeiten in der Größenord- dem Niveau der Sozialhilfe gezahlt wird. Denen möchte nung zwischen 900 000 und 1,5 Millionen anbieten kön- ich Folgendes sagen: Die vielen heutigen Sozialhilfe-nen, dann wären dies fünfmal so viele wie heute. Wenn empfänger sind von der aktiven Arbeitsmarktpolitik aus- Sie davon ausgehen, dass sie das schaffen, dann – das hat geschlossen. Sie werden den Zugang dazu finden. Für das Ifo-Institut ausgerechnet – würde dies die Kommu- sie bestehen keine bzw. nur minimale Anreize hinzuzu- nen mit etwa 6,9 Milliarden Euro jährlich belasten. verdienen. Sie werden Einstiegshilfen bekommen, aller- Es kann nur funktionieren, wenn die Kommunen viele dings andere als im Unionskonzept, in dem die Leistung Leistungen, die heute vom Handwerk, von kleinen zunächst einmal unter das Existenzminimum gedrängt Dienstleistern oder kleinen Unternehmen angeboten wird. Die Einstiegshilfen werden sie auch in Abhängig- werden, von den Arbeitlosen verrichten lassen. Ich sage keit von der Anzahl ihrer Kinder bekommen. Wenn sie Ihnen: Jede Schule, jedes Schwimmbad und jede Biblio- geringe Einkommen haben, werden sie einen Kinderzu- thek in einer Kommune, die irgendeine Renovierungsar- schlag beanspruchen können. Alleinerziehende werden beit braucht, wird das demnächst nicht vom Handwerk, einen Mehrbedarfszuschlag und insbesondere auch Hil- sondern von Arbeitslosenhilfeempfängern erledigen las- fen bei der Kinderbetreuung bekommen. Es wird eine sen. Anders sind diese Angebote gar nicht zu schaffen. pauschalierte Leistung und vieles mehr geben. (Wolfgang Clement, Bundesminister: Genau Meine Damen und Herren, wir nehmen hier eine un- so ist das!) geheuer umfassende Änderung für die Menschen vor. Das ist unsozial sowie unökonomisch und schadet dem Ich glaube, dass es in diesem Bereich auf der einen Seite Handwerk. richtig ist, bei ehemaligen Arbeitslosenhilfeempfängern – in der Regel bei denjenigen, die keine Familie haben – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in bestimmten Fällen auch Leistungsabsenkungen vorzu- sowie bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5745

Dr. Thea Dückert (A) Es kommt aber noch besser: Sie wollen nicht nur den Leuten den Eintritt in den Arbeitsmarkt zu ermög-(C) 900 000 bis 1,5 Millionen dieser Jobs schaffen, sondern lichen, wollen Sie hochziehen. auch flächendeckend einen Niedriglohnsektor installie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ren. Wie das finanziert werden soll, sagen Sie nicht; und bei der SPD) denn auch Sie können das Geld dafür nirgendwo eintrei- ben. Auch auf dieser Ebene soll den kleinen Handwerks- Herr Koch, Ihre Reise nach Wisconsin muss sehr an- betrieben mit einem auf Lohnsenkung hinauslaufenden regend gewesen sein. Mechanismus das Wasser abgegraben werden. (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Da sollten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie auch einmal hinfahren!) sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie verpacken das Konzept des Working Poor in immer Das wird für Deutschland kein Ansatz sein. neue Worthülsen und legen es dem Bundestag oder dem Bundesrat vor. Das war zunächst beim OFFENSIV-Ge- Sie treten für die gegenseitige Unterhaltspflicht von setz so; jetzt gilt es für das EGG, also das Existenzgrund- Eltern und Kindern ein. Sie halten es für schädlich lagengesetz. – Herr Kauder hat in den letzten Tagen in der Presse starke Kritik geübt –, dass wir dies nicht umsetzen. In welcher Wir wollen weder in Deutschland noch in Europa das Welt leben Sie eigentlich? In diesem Land ist es so gere- Konzept des Working Poor installieren. Sie erzählen ein- gelt, dass diejenigen füreinander verantwortlich sind, die fach arbeitsmarktpolitischen Unsinn, wenn Sie erklären, zusammen wohnen. Es gibt Familienverhältnisse, die da- dieses Konzept werde in Dänemark oder in Holland durch gekennzeichnet sind, dass man sich aus den Augen praktiziert. Dort verfolgt man nämlich ganz andere An- verloren und nichts mehr miteinander zu tun hat. sätze. Dänemark können wir uns durchaus zum Vorbild nehmen. ( [CDU/CSU]: Die müssen auch heute Unterhalt leisten!) Ich möchte noch etwas zum mageren arbeitsmarktpo- litischen Ansatz der FDP sagen. Die FDP handelt nach Wir stehen für die bedarfsorientierte Grundsicherung dem einfachen Motto: Die Arbeitslosen interessieren uns im Alter, damit die vorhandenen Regelungen, die Eltern nicht; uns interessieren Klientele wie Handwerker oder und Kinder verpflichten, füreinander einzustehen, aufge- Apotheker. Mir fehlt , darauf genauer einzuge- hoben werden. Damit wollen wir die verschämte Alters- hen. Wir werden darüber an anderer Stelle diskutieren. armut bekämpfen. Sie haben uns eine schlimme Hypo- Sie sollten einmal nachlesen, was Ihre eigenen Leute thek hinterlassen. schreiben, zum Beispiel Dahrendorf oder andere. Wenn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie das täten, dann wüssten Sie, wie wichtig das soziale (B) (D) und bei der SPD) Gleichgewicht auch auf dem Gebiet der Arbeitsmarktpo- litik ist. Nicht nur, dass Sie das, was wir in diesem Bereich ge- schaffen haben, wieder abschaffen wollen, sondern Sie Zum Schluss sage ich Ihnen noch eines: Es wird zu stellen auch infrage, dass die verschämte Armut Erwach- einem Vermittlungsverfahren kommen. sener bekämpft werden muss. Was stellen Sie sich ei- gentlich vor? Wollen Sie im Ernst, dass ein arbeitsloser Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: 40- oder 50-jähriger Facharbeiter aus dem Osten seinen Frau Kollegin, beachten Sie bitte die Zeit. 80-jährigen Vater oder seine 80-jährige Mutter aufsucht – mit ihnen hat er vielleicht nichts mehr zu tun –, damit sie ihn unterstützen? Was haben Sie für ein soziales Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bild? Auch Arbeitslose haben einen Anspruch aufDeswegen komme ich jetzt zum Schluss. Selbstständigkeit und auf Selbstbestimmung. Das wollen (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist aber eine wir in diesem Gesetz verankern. freche Bemerkung!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Im Vermittlungsverfahren wird es darum gehen, auch und bei der SPD) die Kommunen einzubinden. Wir wollen in diesem Ver- Sie haben hier groß davon gesprochen, Zuverdienst- mittlungsverfahren zwei Dinge erreichen: möglichkeiten zu schaffen. Wissen Sie, was in Ihrem (Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt reicht es Gesetzentwurf vorgesehen ist? aber! – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: (Klaus Brandner [SPD]: Sie wollen sie ab- Das sind noch einmal fünf Minuten zusätz- schaffen!) lich!) Sie streichen jede Zuverdienstmöglichkeit für Sozial-Erstens wollen wir sicherstellen, dass in Deutschland ein hilfeempfänger im Bereich bis 400 Euro. Was ist denn faires System von Fördern und Fordern verankert wird. das für ein Ansatz? Wollen Sie den Leuten helfen, in den Zweitens wollen wir das Prinzip Working Poor aus Arbeitsmarkt hineinzukommen, oder wollen Sie sie da- Deutschland raushalten, übrigens auch aus Hessen. von abhalten? Für Alleinerziehende und für Leute mit Vielen Dank. kleinen Einkommen müssen Anreize gesetzt werden, da- mit sie in den Arbeitsmarkt schrittweise zurückkehren (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN können. Die Brücke, die wir herunterlassen wollen, um und bei der SPD) 5746 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

(A) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: vernünftigen Weg mitgehen wollen. Wir dachten, dass(C) Nächster Redner ist der Kollege Dr. Sie Guido es ernst meinen. Westerwelle, FDP-Fraktion. In den letzten beiden Wochen haben Sie sich dann (Beifall bei der FDP) von Ihren Abweichlern weich kochen lassen. In Wahr- heit haben Sie sich gegen die Neue Mitte und für die alte Linke entschieden. Sie haben das, was mit der Agenda Dr. Guido Westerwelle (FDP): 2010 ohnehin nur als Minimalprogramm begonnen hat, Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undso weich gekocht, Herren! Heute Morgen bekommen wir eine Fülle von (Volker Kauder [CDU/CSU]: Weich gespült!) Meldungen, die schlaglichtartig offenbaren, wie die der- zeitige Lage in Deutschland ist. so bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, dass dadurch keine neuen Initiativen auf dem Arbeitsmarkt entstehen (Franz Müntefering [SPD]: Ja, meinen Sie werden. Herrn Döring?) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wir haben heute Morgen im Ticker eine Meldung [SPD]: So ein Unsinn! – Katrin vom Statistischen Bundesamt bekommen, nach der der Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Anstieg der Insolvenzen auch im Juli anhält. Die Insol- NEN]: Sie müssen besser werden, Herr venzen sind gegenüber dem Juli des Vorjahres um über Westerwelle!) 20 Prozent gestiegen. In Wahrheit drücken Sie sich vor der Beantwortung Der Schätzerkreis der Rentenversicherer meldet heute der entscheidenden Fragen. Was ist denn zumutbar? Es Morgen: „Anstieg des Rentenbeitrages auf 20,3 Prozent ist sehr gut, dass wir in dieser Debatte die verschiedenen droht.“ Auffassungen einander gegenüberstellen. Was ist in die- In der Zeitung „Die Welt“ wird Herr Bsirske, Ihr grü- sem Lande zumutbar? Sie sind der Überzeugung, dass ner Parteifreund von der Verdi, zitiert mit den Worten: einfach bezahlte Arbeit nicht zumutbar ist. Deswegen „Ein Beitragssatz von 24 Prozent ist doch kein Drama …“ führen Sie – das ist die Wahrheit – durch die Hintertür Mindestlöhne ein. (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Fragt (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE sich nur, für wen!) GRÜNEN]: Unterbezahlung!) Heute Morgen lasen wir in der „Bild“-Zeitung, dass Der Hinweis auf die Ortsüblichkeit bzw. auf die Tarif- sich Herr Eichel darüber beklagt, dass Herr Schumacher (B) löhne in Art. 1 § 10 Ihres vorliegenden Gesetzes macht (D) und Herr Becker in die Schweiz gehen. Als ob sie dort- das geradezu offensichtlich. Sie sagen, es sei nicht zu- hin gingen, weil die Berge so hoch und die Täler so grün mutbar, in den Arbeitsmarkt mit einer geringer bezahlten sind! Sie müssen endlich kapieren, dass Sie die Rahmen- Tätigkeit zurückzugehen. bedingungen in Deutschland verändern müssen, weil Sie sonst keine Investitionen in Deutschland haben werden. Aus unserer Sicht wird daran der ganze Unterschied Das ist die eigentliche Schicksalsfrage unseres Landes. im politischen Ansatz erkennbar: Wir sind der Überzeu- Wir brauchen eine marktwirtschaftliche Erneuerung und gung, dass es kein Verstoß gegen die Menschenwürde nicht die Fortsetzung Ihrer bürokratischen Staatswirt-ist, Arbeit anzunehmen, die Millionen andere Menschen schaft. machen. Ein Verstoß gegen die Menschenwürde ist es, wenn Menschen in der Arbeitslosigkeit verharren müs- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) sen. Es liegt nämlich auch ein Stück Selbstverwirkli- Das, was Sie heute vorgelegt haben, verlangsamt viel- chung darin, durch eigenes Schaffen sein Leben zu ge- leicht das Tempo Ihrer falschen Politik; eine Richtungs- stalten. Wir finden, Sozialhilfe ist nicht besser als Arbeit, wende, ein Wechsel zu einer vernünftigeren Politik ist sondern Arbeit ist besser als Sozialhilfe, auch wenn das aber mit Sicherheit noch nicht. diese Arbeit schlechter bezahlt wird. (Gerd Andres [SPD]: Guido in die Schweiz! (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Das ist doch ein Slogan!) Peter Dreßen [SPD]: Das stimmt doch gar nicht! Schauen Sie doch ins Gesetz!) Als Sie die Agenda 2010 in Ihrer Regierungserklä- rung vorgestellt haben, haben wir Ihnen ein Angebot ge- Wir haben vor kurzem bei dem Geburtstag des BDA- macht. Präsidenten Hundt zusammengesessen, (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE (Zurufe von der SPD: Oh!) GRÜNEN]: Das hat keiner ernst genommen! auf den Sie sich – insbesondere Herr Clement tut das – Das ist wie mit der FDP: Keiner nimmt sie die ganze Zeit berufen. Wir erleben – das ist faszinie- ernst!) rend –, wie der Bundeskanzler bei dem Festakt sitzt, den Reden zuhört, freundlich Beifall spendet – in der Hoff- Wir haben Ihnen gesagt: Es gibt in diesem Bundestag nung, jetzt gehe es voran. eine Mehrheit der marktwirtschaftlichen Vernunft. Eine Zeit lang hatten die Vertreter der Wirtschaft und auch Ich will Ihnen vortragen, was diejenigen, mit denen wir in der Opposition die Hoffnung, dass Sie auf einem Sie doch Arbeitsplätze schaffen wollen, über das sagen, Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5747

Dr. Guido Westerwelle (A) was heute zur Abstimmung steht. Allein die Reaktion in (Gerd Andres [SPD]: Das steht bei uns im Ge- (C) diesem Haus ist bezeichnend. Ich zitiere Herrn Bsirske setz, Herr Westerwelle!) und Sie schweigen. Ich sage, dass ich Herrn Hundt zitie- ren will, und Sie ärgern sich. Da ist die eigentlich mutige Frage, die Sie beantworten müssen. (Gerd Andres [SPD]: Es war doch nur ein Ge- burtstag! – Unruhe bei der SPD) Herr Minister Clement, Sie haben hier formuliert: Wir müssen den Nachwuchs der Arbeitslosigkeit abgraben. Wo sind wir denn? Wer soll denn Arbeitsplätze schaf- Was Sie vorlegen, ist aber nicht die Antwort darauf. Sie fen? Herr Bsirske schafft keine Arbeitsplätze. Eher wird müssen dafür sorgen, dass nicht eine Entwicklung fort- der BDI oder die BDA Arbeitsplätze schaffen. gesetzt wird, bei der sich in Wahrheit schon die zweite und dritte Generation in den staatlichen Lohnersatzleis- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) tungen eingerichtet hat. An dieser Wahrheit führt nichts Herr Hundt hat dargestellt, wie es in der Praxis beivorbei. Hartz aussehen wird. Ein Dreher, der arbeitslos wird, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten muss in einem anderen Unternehmen die gleiche Tätig- der CDU/CSU) keit aufnehmen, auch wenn er dort bis zu 20 Prozent weniger verdient; anderenfalls – das ist Hartz – kann ihm Das wird wieder zu heftigen Beschimpfungen Ihrerseits das Arbeitslosengeld gestrichen werden. Für einen lang- und den Klassenkampfargumenten führen, aber Sie wer- zeitarbeitslosen Dreher, der in Zukunft Arbeitslosen-den von der Realität eingeholt werden. geld II beziehen wird, soll das hingegen nicht gelten. Er Mich erinnern die Diskussionen, die wir jetzt führen, soll die gleiche Stelle ohne Folgen ablehnen dürfen, an die Diskussionen, die wir vor ziemlich genau einem wenn für diese Arbeit nicht der vergleichbare Tariflohn Jahr geführt haben. Vor einem Jahr haben Sie sich sogar gezahlt wird. geweigert, ein Minimalprogramm in Richtung markt- (Gerd Andres [SPD]: Das ist doch Unsinn!) wirtschaftliche Erneuerung vorzulegen. Heute sind Sie der Meinung, dass das, was Sie vorgelegt haben, aus- Ein zweiter Punkt, über den wir hier reden müssen. reicht. Wir sehen uns in einem Jahr wieder und Sie wer- Sie sind dabei, einen handwerklichen Fehler nach dem den erneut von der Realität eingeholt werden, weil das, anderen zu machen. Jetzt sollen neben den Arbeitslosen was Sie vorgelegt haben, nicht einmal geeignet ist, das auch noch die erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger in Ansteigen der Arbeitslosigkeit zu begrenzen, ge- die Zuständigkeit der Bundesanstalt für Arbeit eingeglie- schweige denn den Rückgang der Arbeitslosigkeit zu er- dert werden. Das sind vielleicht 1 Million. Dazu kom- reichen. (B) men die Familienangehörigen. Das sind noch einmal (D) 4,5 Millionen. Bei 4,5 Millionen Arbeitslosen wollen (Beifall bei der FDP) Sie die Bundesanstalt für Arbeit auch noch für weitere Wir müssen an Dinge herangehen, über die überhaupt 5,5 Millionen Menschen zuständig machen. In Wahrheit nicht gesprochen wird, die für Sie eine heilige Kuh sind. ist das die Fortsetzung des Chaos. Es ist schade, dass Sie sich immer noch weigern, diese (Beifall des Abg. Peter Rauen [CDU/CSU]) Themen aufzugreifen. Aber auch damit werden Sie sich auseinander setzen müssen. Was Sie bei der Maut und dem Dosenpfand begonnen haben, wird fortgesetzt. Was Sie hier vorlegen, stimmt (Jörg Tauss [SPD]: Was sagt Herr Kubicki handwerklich nicht und das ist das Problem. Das nächste dazu?) Chaos ist vorprogrammiert. Ich nenne das Thema Tarifautonomie und Flächenta- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten rifverträge. Weil Sie uns ja nicht glauben, zitiere ich der CDU/CSU) den früheren Bundeskanzler , der Mit- glied Ihrer Sozialdemokratischen Partei ist: Was muss stattdessen geschehen? Es muss dazu kom- men, dass grundsätzlich jede Arbeit, die in einem Land Im Bereich der Lohnfindung muss der flächende- angeboten wird, auch einfache Arbeit, als zumutbar gilt. ckende Tarifvertrag verschwinden. Dazu muss im Das ist nicht Turbokapitalismus, wie es von Ihnen jahre- Tarifvertragsgesetz die Verordnung der „Allge- lang immer gesagt worden ist, sondern das ist die Reali- meinverbindlichkeit“ gestrichen und im Betriebs- tät in Europa. Die Niederlande zum Beispiel gelten nun verfassungsgesetz müssen jene Paragrafen abge- mit Sicherheit nicht gerade als ein kapitalistisches, rück- schafft werden, die es den Geschäftsleitungen und sichtsloses Land. Ich glaube, dass die Sozialstaatstradi- Betriebsräten verbieten, Betriebsvereinbarungen tion der Niederlande mit der Deutschlands ganz gewiss über Löhne, Arbeitszeiten und -bedingungen abzu- mithalten kann. Dort ist das ganz anders geregelt – das schließen. kann man auf jeder Website aus den Niederlanden erken- (Beifall bei der FDP) nen –: einfacher, prägnant, für jeden berechenbar. Nach sechs Monaten muss eine Arbeit auf niedrigerem Niveau Also gibt es doch einige, die das längst verstanden ha- angenommen werden, nach zwölf Monaten erfolgt eine ben. Sie werden von der Vernunft eingeholt werden. Sie weitere Herabstufung und nach 18 Monaten Arbeitslo- haben heute auf eine Mehrheit der Vernunft im Bundes- sigkeit ist jede Arbeit zumutbar. tag verzichtet, weil es Ihnen wichtiger war, die eigenen 5748 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Dr. Guido Westerwelle (A) Linken zu befriedigen. Damit kommen Sie nicht durch. sende Sicherheit, auf bescheidenerem Niveau, aber dafür (C) Die Probleme holen Sie nämlich ein. mit voller Sozialversicherung. Wir wollen Sicherheit vor Armut für alle Langzeitarbeitslosen. Deswegen sage ich Ihnen: Wir sehen uns im Vermitt- lungsausschuss wieder. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Franz Müntefering [SPD]: Arroganter Junge!) Dadurch werden auch hilfebedürftige Kinder aus der Ar- mut herausgeführt. Darüber, wie die Abstimmung heute ausgehen wird, ist längst entschieden. (Beifall der Abg. Christel Humme [SPD]) (Franz Müntefering [SPD]: Windbeutel!) Das ist ein sozial gerechtes Konzept. Ihre Nagelprobe wird später sein. Ob Sie bereit sind, der Flexibilität bedeutet fördern und fordern, geben und Vernunft zur Mehrheit zu verhelfen im Interesse dernehmen, Leistung und Gegenleistung. Was gibt es Bes- Menschen, die Arbeit suchen, wird sich im Dezember seres als individuelle Betreuung? Wolfgang Clement hat entscheiden, wenn wir die Ergebnisse aus dem Vermitt- heute Morgen darauf hingewiesen: Wir wollen, dass man lungsausschuss hier zu beraten haben. im Arbeitsamt nicht mehr Schlange stehen und auf dunk- len Fluren warten muss, bis man die Dienstleistung er- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) hält, die man benötigt. Wir wollen mehr Fallmanager. Wir wollen, dass auf 75 Arbeitssuchende ein Fallmana- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: ger kommt, der die Instrumente der Arbeitsmarktpolitik Nächster Redner ist der Kollege Klaus Brandner,flexibel einsetzen kann. SPD-Fraktion. Ein solches Konzept fehlt bei der Opposition völlig. (Beifall bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Jetzt Wir wollen keine Mammutbehörde. Wir wollen auch kommt wieder ein Schwergewicht! – Gerd nicht, dass diese Fallmanager bei der Bundesanstalt für Andres [SPD]: Sag dem Rechtsanwalt einmal, Arbeit angestellt werden. Nein, in den Kommunen und was im Gesetz steht!) Wohlfahrtsverbänden, wo in vielen Einzelfällen schon gute Arbeit geleistet wird, sollen auch zukünftig ein sol- Klaus Brandner (SPD): ches Fallmanagement möglich sein und die notwendigen Hilfen erbracht werden können. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach den Reden von Herrn Koch Es fällt auf, dass die Krokodilstränen, die Herr Koch und Herrn Westerwelle ist uns klar geworden, dass das in der heutigen Debatte geweint hat, als er behauptet hat, (B) Konzept der Opposition in Lohndrückerei und Daumen- dass die Kommunen und Wohlfahrtsverbände nicht auf (D) schrauben, dem Verzicht auf strukturelle Reformen be- gleicher Augenhöhe betrachtet würden, lediglich von steht. Mit Lohnverhältnissen wie in Tschechien lässt sich seinen eigenen Untaten ablenken sollen. die Arbeitslosigkeit in Deutschland nicht wirksam be- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten kämpfen. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Denn in seinem eigenen Landeshaushalt werden genau DIE GRÜNEN) die Mittel gestrichen, die die Wohlfahrtsverbände benö- Das wäre ein Irrweg, den wir nicht beschreiten wer- tigen, um zum Beispiel eine Schuldnerberatung oder den. Wir wollen strukturelle Reformen. Wir wollen die eine Familienberatung durchzuführen. Insofern hat die menschenunwürdigen Verschiebebahnhöfe beseitigen, CDU/CSU kein schlüssiges Konzept vorgelegt, Herr wir wollen, dass die Verantwortung für die Menschen Koch. nicht länger zwischen den Kommunen und der Bundes- ( [SPD]: Wir machen das für anstalt für Arbeit hin und her geschoben wird. Wir ihn!) wollen Hilfen aus einer Hand. Erst fördern und dann for- dern: Wir wissen, dass der Schlüssel zur Bekämpfung Sie sollten wissen, dass uns das nicht überzeugt. der Arbeitslosigkeit in unserem Land darin liegt, dass (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wir die Menschen qualifizieren und fördern. Wenn wir DIE GRÜNEN) das tun, haben wir auch das Recht, die Menschen zu for- dern. Das ist ein Weg, der aus der Krise führt – nicht die Wir sind überzeugt, dass es auf eine faire Balance an- massive Absenkung des Lohnniveaus. kommt. Diese wollen wir mit der Zumutbarkeitsrege- lung erreichen. Denn Minijobs sind in unseren Augen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zumutbar. Das sind keine Arbeitsverhältnisse in einer des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Schmuddelecke. Aber wir wollen diese Arbeit nicht zu Hartz III und Hartz IV setzen den Schlusspunkt bei Dumpinglöhnen. der Aufgabe dieser Regierung, denArbeitsmarkt fle- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten xibler zu gestalten. Das gilt für die Arbeitnehmerinnen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und Arbeitnehmer, für die Arbeitgeber und auch für die Arbeitsämter, die neuen Agenturen für Arbeit – ein Mus- Das gibt uns das Recht, Minijobs – aber nicht unter men- terbeispiel, wie ich meine, für das Konzept Flexibilität schenunwürdigen Bedingungen – als zumutbar anzuse- und Sicherheit. Wir geben Langzeitarbeitslosen umfas- hen. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5749

Klaus Brandner (A) Eine steuerfinanzierte Leistung darf mit Sicherheit (Ludwig Stiegler [SPD]: So ist es!) (C) kein Ruhekissen sein. Es muss Anreize zur Arbeitsauf- nahme geben. Deshalb haben wir die Selbstbehalte er- Über zwei Jahrzehnte lag die Führung dieser Bundesan- höht. Die Kollegin Dückert hat darauf hingewiesen, dass stalt bei der CDU nahestehenden Personen. Ich denke, Einstiegsgeld und Kinderzuschläge hinzukommen. Wir man sollte ein bisschen fairer mit den Menschen umge- wollen nämlich nicht, dass Menschen wegen der Kinder- hen, denen man über Jahrzehnte das Vertrauen ausge- zuschläge in der Hilfebedürftigkeit bleiben. Wir haben sprochen hat, anstatt sie jetzt in der Öffentlichkeit so un- die Regelungen bewusst verändert, um deutlich zu ma- fair zu behandeln. chen, dass die Menschen heraus aus der Fürsorgeleis- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ tung und hinein in die Arbeitsverhältnisse kommen müs- DIE GRÜNEN) sen. Dafür muss der Selbstbehalt erhöht werden. Arbeit muss sich lohnen. Diesem Grundsatz stimmen wir zu. Wir wollen nicht, dass die Bundesanstalt für Arbeit zukünftig die Arbeitslosigkeit verwaltet. Sie muss durch Ich darf in diesem Zusammenhang auf das hinweisen, Kundenfreundlichkeit, durch schnelle Vermittlung, was die „Financial Times Deutschland“ in den letzten durch weniger Vorschriften, durch direkte und bessere Tagen in einem großen Artikel mit der ÜberschriftZusammenarbeit mit den Arbeitgebern, durch weniger „Chancen für Arbeitslose und Arme“ geschrieben hat: Sonderregelungen und durch die Bereitschaft zur Zu- Jugendliche bekommen ein gigantisches Angebot. sammenarbeit mit den Kommunen und freien Trägern Wer sich verweigert, muss aber auch mit Sanktio- auf gleicher Augenhöhe aktiv zur Bekämpfung der Ar- nen rechnen. Sonst stimmt die Balance nicht. beitslosigkeit beitragen. Genau dem stimmen wir zu. Jawohl, Jugendliche sollen Ich möchte in diesem Zusammenhang ganz deutlich einen Anspruch auf Ausbildungs-, Trainings- oder Ar- sagen, dass das, was die CDU/CSU vorhat, einer Abriss- beitsmaßnahmen haben. Wer diese zumutbaren Ange- birne gleichkommt. Sie hält die Bundesanstalt für Arbeit bote nicht annimmt, der muss wissen, dass es Sanktionen offensichtlich nicht für reformfähig. Sie hält sie nicht für gibt. Wir können nämlich nicht hinnehmen, dass manin der Lage, die Langzeitarbeitslosigkeit wirksam zu be- sich in eine Hängematte legt. Es muss vielmehr so sein, kämpfen. dass man offensiv gefordert wird. Ich möchte an dieser Stelle allen Mitarbeitern der BA (Beifall bei Abgeordneten der SPD) – nicht nur dem Vorstand – zurufen: Zeigen Sie mit Ihrer Kompetenz und Ihrem Engagement, dass Sie es können, Die CDU/CSU kann sich diesen Einsichten nicht ver- dass Sie einen überzeugenden Beitrag zum Umbau der weigern, jedenfalls nicht aus sachlichen Gründen. Alles Bundesanstalt für Arbeit leisten können! (B) andere wäre aus meiner Sicht pure Parteitaktik. Davon (D) haben die Bürger in unserem Land die Nase gestrichen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten voll. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Vor al- Wir haben Florian Gerster nicht zum Abwickler der lem von Rot-Grün!) Bundesanstalt für Arbeit bestellt, sondern zum Baumeis- ter einer neuen Bundesagentur. Die Bundesanstalt für Wir setzen darauf, eine neue Bundesanstalt für Arbeit zu Arbeit ist erneuerungsbedürftig; sie ist aber auch erneue- bauen, nämlich eine Bundesagentur für Arbeit. Wir rungsfähig. Darauf bauen wir. müssen wegkommen von dem Begriff „Anstalt“. Des- halb muss nicht nur die Überschrift des Gesetzes geän- Wir wollen im Übrigen, dass die Kommunen und die dert werden. Die Rahmenbedingungen müssen verändert freien Träger voll in die Verpflichtung zur Zusammenar- werden, sodass wir weg von einer Anstalt und hin zu ei- beit eingebunden werden. Deshalb haben wir im Gesetz ner Agentur für Arbeit kommen. von einem Kontrahierungszwang, von einer Verpflich- tung zur Zusammenarbeit, gesprochen. Deshalb haben (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des wir in unserem Gesetz für die Bundesanstalt für Arbeit ein BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zurückhaltungsgebot vorgesehen: Sie soll keine Aktivitä- ten entwickeln, die schon bei der Kommune oder bei Deshalb sage ich: Es muss eine Rundummodernisierung freien Trägern vorhanden sind. Deshalb haben wir noch und nicht nur eine neue Fassade geben. Der Bund be-einmal in Änderungsanträgen festgeschrieben, dass die kennt sich in diesem Zusammenhang voll zu seiner Ver- freien Träger ihren festen Platz in der Arbeitsmarktpolitik antwortung. haben. Deshalb sind zum Beispiel Befürchtungen, die Ju- Lassen Sie mich sagen, dass es schon ganz interessant gendhilfe werde vernachlässigt, völlig unbegründet. ist, wie die CDU in den letzten Wochen und Monaten (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des über die Bundesanstalt für Arbeit herzieht. Sie läßt fast BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) keine Möglichkeit aus, zu sagen, die Behörde habe das Vertrauen der Menschen in diesem Land nicht verdient; Wir bekennen uns zur Verantwortung des Bundes bei sie sei nicht leistungsfähig. Die CDU sagt dies, obwohl der Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit. Denkbar sie sich ihrer Verantwortung in der Vergangenheit be-wäre trotzdem, dass für die Kommunen weitere Pflicht- wusst sein müsste. Denn fast zwei Jahrzehnte lang war aufgaben zu definieren sind. Das sollte aber nur im Kon- ein CDU-geführtes Ministerium für die Bundesanstalt sens erfolgen. Die Verantwortung für die Langzeitarbeits- für Arbeit zuständig. losen sollte aber nicht komplett auf die Kommunen, also 5750 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Klaus Brandner (A) quasi mit dem Holzhammer, wie es die Union vorsieht, Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (C) übertragen werden. Das Ifo-Institut sagt, 1,5 Millionen Nächster Redner ist der Kollege Johannes Arbeitsgelegenheiten zu schaffen sei den KommunenSinghammer, CDU/CSU-Fraktion. nicht möglich. Dies würde zwangsläufig zur Verdrängung der Privatwirtschaft führen. (Gerd Andres [SPD]: Es bleibt einem aber auch nichts erspart am frühen Morgen!) Das Land Hamburg sagt zu dem Gesetzentwurf der CDU/CSU ganz konkret – wenn ich dies in diesem Zu- Johannes Singhammer (CDU/CSU): sammenhang ansprechen darf –, dass die gesetzliche Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Verpflichtung der Kommunen, für alle Erwerbslosen Herren! Das Krebsgeschwür der Arbeitslosigkeit be- Arbeitsgelegenheiten zu schaffen, wie dies als Möglich- kämpft man nicht mit Kamillentee. Rot-Grün hat nicht keit vorgegaukelt wird, überhaupt nicht leistbar ist. In mehr die Kraft, die notwendige wirksame Medizin für der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es dazu: einen Gesundungsprozess des Arbeitsmarkts zu verab- Eine umfassende gesetzliche Verpflichtung derreichen. Kommunen, Arbeitsgelegenheiten für alle erwerbs- (Gerd Andres [SPD]: Donnerwetter!) losen Hilfe suchenden Personen zu schaffen, würde die kommunale Ebene vor kaum lösbare Herausfor- Ich sage das ohne Häme. Wir würden uns freuen, wenn derungen stellen: Insgesamt müssten nach heutigem Sie bessere Ergebnisse erzielen würden und erzielt hät- Stand knapp 3 Millionen kommunaler Beschäfti- ten. Aber die weich gespülten Hartz-III- und Hartz-IV- gungsverhältnisse eingerichtet werden, allein eine Konzepte sind ebenso wenig die richtige Arznei gegen Großstadt wie Hamburg müsste einen „Zweiten Ar- die wuchernde Arbeitslosigkeit wie alle anderen zuvor beitsmarkt“ für mindestens 50 000–60 000 Men- von Ihnen angepriesenen Arzneimittel: JUMP-Pro- schen bereitstellen, eine Größenordnung, die dem gramm, Jobfloater, Mainzer Modell, Job-AQTIV-Ge- gesamten heutigen Stellenbestand in der Hambur- setz, Hartz I und II. ger Verwaltung nahe kommt. Damit wäre nicht nur Die Folgen sind: Wir nähern uns in diesem Winter die kommunale Ebene völlig überfordert, erstmals der Fünfmillionenmarke bei der Arbeitslosig- keit. Noch schlimmer ist: Allein in einem Jahr, von Juni – schreibt die Regierung – vergangenen Jahres bis Juni dieses Jahres, sind 622 000 Beschäftigungsverhältnisse entfallen. Das ist Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: eine niederschmetternde Bilanz. All Ihre Rezepturen ha- ben nichts bewirkt. (B) Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Zeit. (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Klaus Brandner (SPD): Die Menschen in Deutschland haben deshalb das Ver- trauen in all Ihre Rezepte,die Sie jetzt wieder neu an- – ich komme sofort zum Schluss – kündigen, verloren. Die Zeit ist zu kostbar, um mit neuen ein Vergleich mit der Anzahl der sozialversiche-Placebos die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. rungspflichtig Beschäftigten (Hamburg: ca.Ich nenne Ihnen dafür ein Beispiel: In den Plänen der 750 000) macht auch deutlich, dass schwerwie-Bundesregierung spielen die so genanntenPersonal- gende Service-Agenturen, PSA genannt, eine zentrale Rolle. Sie sind eines der Herzstücke Ihres Programms. Die – ich betone: schwerwiegende – „Süddeutsche Zeitung“ berichtete vor zwei Tagen, am … Rückwirkungen und Wettbewerbsverzerrungen 15. Oktober: 879 Agenturen sind seit dem April dieses für private Unternehmen als Konsequenz eines der- Jahres entstanden und diese haben 907 Menschen dauer- haft vermittelt. – Der Bundeskanzler hat feierlich ver- artig ausgeweiteten kommunalen zweiten Arbeits- sprochen, die Hartz-Vorschläge eins zu eins umzusetzen. marktes unvermeidlich wären. Solche gravierenden Jetzt wird die verhängnisvolle Doppeldeutigkeit dieses Substitutionseffekte an den regulären Arbeits- und Versprechens sichtbar: Eine Agentur vermittelt einen Ar- Gütermärkten mit ihren entsprechend negativen Ef- beitslosen. Dadurch bessert sich nichts. fekten … müssen vermieden werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Lassen Sie sich das von den Kolleginnen und Kolle- gen des Landes Hamburg noch einmal erklären! HerrDas ist kein Fortschritt. Die Arbeitsämter in ihrer bishe- Koch, sehen Sie ein, dass Ihr Konzept nicht schlüssig rigen Organisation hätten mit Sicherheit auch keine und nicht machbar ist! Wir sind bereit, im Vermittlungs- schlechteren Ergebnisse erzielt. ausschuss zu einem vernünftigen Ergebnis zu kommen. (Beifall des Abg. Dr. [CDU/ Wir wollen die Kommunen auf gleicher Augenhöhe ein- CSU]) binden. Das ist unser Ziel. Insofern hoffe ich auf kon- struktive Verhandlungen. Die Menschen in unserem Land spüren, dass der Kar- ren viel tiefer im Dreck steckt, als dies durch offizielle (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Bekundungen der Regierung verkündet wird. Die Men- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) schen in unserem Land sind voller Unruhe, weil sie spü- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5751

Johannes Singhammer (A) ren, dass Schweiß und Tränen auf uns warten, und weil bei diesem gemeinsamen großen Projekt zu überneh-(C) sie fürchten, dass ihnen die volle Wahrheit noch immer men. nicht gesagt worden ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Die entscheidende Ursache unserer derzeitigen Schwäche – Ministerpräsident Koch hat in seinem dra- Warum ist das so? Die Bundesanstalt – Sie erfahren das matischen Appell schon darauf hingewiesen – ist dasim Gespräch mit den verantwortlichen Leitern der Ar- fehlende Wachstum. Umverteilung von Arbeitsplätzen beitsämter vor Ort – ist nicht in der Lage, die neue schafft keinen einzigen neuen Arbeitsplatz. Klientel in einer Größenordung von 800 000 bis 900 000 Menschen, die das so genannte Arbeitslosen- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) geld II beziehen sollen, entsprechend Ihren eigenen Vor- gaben zu betreuen. Welches ist neben dem geschlossenen Arbeitsmarkt und der mangelnden Produktivität die größte Wachs- Sie wollen, dass die Bundesanstalt zu einem neuen tumsbremse? – Das ist der zunehmende demographische Monstersozialamt mit 10 000 bis 15 000 neuen Dienst- Verfall unseres Landes. stellen aufgebläht wird. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE (Klaus Brandner [SPD]: Sie haben doch jetzt GRÜNEN]: Und die Unionsmehrheit im Bun- gehört, dass das Quatsch ist!) desrat!) Damit werden Sie dem Problem nicht gerecht. Denn die Allein in diesem Jahr müssen wir ein Wirtschaftswachs- Menschen, die bislang Sozialhilfe beziehen, brauchen tum von 1 Prozent, das möglich gewesen wäre, abschrei- eine sehr viel intensivere Betreuung als diejenigen, die ben, weil die demographische Entwicklung zunehmend erst seit drei Monaten arbeitslos sind. Hierbei handelt es als Bremsklotz wirkt. sich um Problemfälle, die eine personalintensive Betreu- ung erfordern. Die Kommunen haben darin Erfahrung Deswegen sage ich Ihnen: Wenn Sie an die Probleme und sind erfolgreich. Deshalb muss dieser Bereich bei grundsätzlich herangehen wollen, wenn Sie wirklichden Kommunen bleiben bzw. angesiedelt werden. eine Wurzelbehandlung machen wollen – und die braucht Deutschland –, müssen Sie das Problem der In der größten deutschen Kommune, der Landes- Demographie angehen und dürfen es nicht ständig ver- hauptstadt München, ist ein Arbeitsvermittler zurzeit für schweigen und tabuisieren. 800 Arbeitslose zuständig. Dieses Verhältnis wird sich auch mit der geplanten Einstellung von Mitarbeiterinnen (Beifall bei der CDU/CSU – Josef Philip und Mitarbeitern und mit einem Umbau der Strukturen, (B) Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie den Sie planen, nicht verbessern. Diese Maßnahmen(D) sind doch gegen das Zuwanderungsgesetz! werden nicht dazu führen, dass eine intensive Betreuung Stimmen Sie dafür!) von Menschen erfolgt, die schon längere Zeit dem Ar- Wir sind gern bereit, Ihnen die Hand zu reichen, auch beitsmarkt entwöhnt sind. Im Gegenteil: Sie werden die im Vermittlungsausschuss, um im Interesse der Men- Menschen parken. Sie werden nicht erfüllen, was Sie schen in unserem Land ein gutes Ergebnis zu erzielen. hier versprochen haben, nämlich diesen Menschen eine Dafür müssen aber bei all den Gesetzen, die Sie heute bessere Betreuung zukommen zu lassen. mit Mehrheit beschließen werden, zwei Voraussetzungen (Beifall bei der CDU/CSU) erfüllt sein: Gleichzeitig bauen Sie einen neuen babylonischen Erstens. Wir wollen keine bloße Verwaltung der Ar- Turm aus Bürokratie und Paragraphen auf. Dazu beitslosigkeit oder Umverteilung der Arbeit, sondern wir möchte ich Ihnen ein Beispiel nennen: Nach Ihren Vor- wollen, dass ein neuer Kurs in Richtung Wirtschafts-stellungen bleibt es nach wie vor dabei, dass denjenigen wachstum gefahren wird. Sozialhilfe gezahlt wird, die aufgrund eines Handicaps Zweitens. Wir wollen nicht, dass zusätzliche Bürokra- nicht am Arbeitsleben teilnehmen können. Nun sehen tien errichtet werden. Wir wollen vielmehr, dass schnel- Sie aber vor, dass das nur für diejenigen gelten soll, die lere und effizientere Entscheidungsprozesse installiert nicht länger als drei Stunden am Tag arbeiten können. werden. Sie wollen eine neue Einigungsstelle gründen, die diese Differenzierung bei den Menschen vornehmen soll. (Beifall bei der CDU/CSU) Alle Experten und all diejenigen, die betroffen sind, Worin liegen die Gemeinsamkeiten und worin liegen schlagen die Hände über dem Kopf zusammen und fordern die Unterschiede? Die Gemeinsamkeiten sind: Wir glau- Sie auf, diesen Unsinn zu lassen. Das führt nämlich zu ei- ben übereinstimmend, dass wirArbeitslosen- und So- nem katastrophalen Verwaltungsaufwand. Durch diese ab- zialhilfe zusammenlegen müssen. Wir wissen auch alle, surde Konstruktion einer neuen Bürokratie müssen neue dass es bei einer solchen Umorganisation, dass es bei der Gutachter eingeschaltet werden, der Streit mit den Versi- Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, cherungsträgern ist vorprogrammiert, ein neues Eini- von der 2,5 Millionen Menschen betroffen sind, unter gungsverfahren mit neuen Rechtswegen soll eröffnet wer- keinen Umständen zu einem Fehlschlag kommen darf. den. Das stellt alles bisher Dagewesene in den Schatten. Die Unterschiede liegen darin, dass wir meinen, dass (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE die Kommunen besser geeignet sind, die Federführung GRÜNEN]: Schwarzmalerei!) 5752 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. 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Johannes Singhammer (A) Während landauf, landab die Notwendigkeit des Abbaus setze stimmen; denn mit Hartz III und Hartz IV wird es (C) von Bürokratie betont wird, bauen Sie eine neue Büro- nicht weniger Arbeitslose geben, sondern mehr arme Ar- kratie auf. beitslose. Der ganze Ansatz, die Philosophie der Ge- setze, stimmt nicht. Sie wollen die Auswirkungen des (Beifall bei der CDU/CSU) Versagens der Politik privatisieren und die davon Betrof- Niemand versteht in diesem Land, warum Sie nicht be- fenen zur Kasse bitten. Das ist falsch und das lehnen wir reits bestehende Strukturen nutzen, mit denen dieseab. Ziele ebenfalls erreicht werden könnten, sondern eine neue Parallelbürokratie aufbauen. Kein vernünftiger Ich hörte dasselbe von den so genannten Abweichlern Mensch kann zu diesem Unsinn seine Hand reichen.bei Rot-Grün. „Abweichler“ war in Ihrer Debatte als Auch wir werden das nicht tun. Schimpfwort gemeint. „Dissident“ hätte wohl zu positiv geklungen. Über den vermeintlichen Unterschied kön- (Beifall bei der CDU/CSU) nen wir gelegentlich einmal diskutieren. Die Kommunen brauchen Unterstützung. Deshalb Nun verweisen die Sprecherinnen und Sprecher von sieht unser Entwurf eines Existenzgrundlagengesetzes SPD und Grünen darauf, es habe inzwischen Verbesse- vor, dass die Arbeitsämter und die Sozialverbände mit rungen gebeten, was die Opposition zur Rechten wie- ihrer Erfahrung eingebunden werden. Ich bitte Sie sehr derum beklagt. Die Substanz dieser Gesetze bleibt aber: herzlich: Wenn Sie schon erwarten, dass die Opposition Der Sozialstaat wird nicht um-, sondern abgebaut. Dage- mitarbeitet und Verantwortung übernimmt, dann machen gen ist die PDS im Bundestag. Sie hier nicht rücksichtslos von Ihrer Mehrheit Ge- brauch, sondern kommen Sie auf uns zu. Dann sind wir (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch in der Lage, einen Kompromiss zu finden. [fraktionslos]) Ich will ein weiteres Beispiel nennen, Eine übergroße Abbruchkoalition ist allerdings dafür. Sie reicht von der SPD bis zur CDU/CSU und von den (Jörg Tauss [SPD]: Ach nein! Es reicht!) Grünen bis zu den Unternehmerverbänden. Aus den Ge- nämlich die Forderung von Rot-Grün dassortsübliche werkschaften kamen zwar Widerworte, allerdings kein Löhne gezahlt werden müssten. Sie sagen, unsere For- Widerstand. Auch das gehört zur Vorbilanz der heute an- derung, dass eine Beschäftigung auch zu untertariflichen stehenden Entscheidungen. Löhnen angenommen werden muss, sei unsozial. Am 1. November wird es in Berlin eine bundesweite (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Demonstration gegen den unsozialen Kurs, der mit der (B) NEN]: Es war von 4 Euro die Rede!) Agenda 2010 verbunden ist, geben. Sie kommt spät, aber (D) ich werbe dennoch für diese Demonstration; Ich frage Sie an dieser Stelle: Ist es sozial, wenn ein La- gerarbeiter in den neuen Bundesländern, der nur einen (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch Job gefunden hat, der unter Tarif bezahlt wird, mit sei- [fraktionslos]) nen Steuern und Abgaben dafür sorgen muss, dass ein anderer Arbeitsloser weiterhin Arbeitslosengeld erhält, denn das, was hier sozial kalt durchgestimmt wird, führt weil Sie ihm den Weg zu einer untertariflichen Beschäf- in anderen – nicht nur wärmeren – Ländern zu beleben- tigung versperren? Das ist nicht sozial. dem Generalwiderstand. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Nun komme ich noch zu zwei Besonderheiten. Sie, Dr. [FDP]) Herr Bundeskanzler, haben Ihr politisches Schicksal da- ran geknüpft, ob Sie heute eine rot-grüne Mehrheit er- All Ihre Rezepte haben nicht zu einem erkennbaren zwingen können. Das ist Machogehabe – allemal, wenn Gesundungsprozess am Arbeitsmarkt geführt. Es wird es regelmäßig wiederholt wird. Zeit für eine neue Politik, die bei den Menschen wieder Vertrauen erzeugt und die nachprüfbar neue Arbeits- (Friedrich Merz [CDU/CSU]: plätze schafft. Sozial ist es nicht, wenn man nur über Er ist ja nicht einmal da!) neue Arbeitsplätze spricht; sozial ist, nachprüfbar neue Es gibt aber noch einen zweiten Punkt, der sehr viel Arbeitsplätze zu schaffen. Dieses Ziel haben Sie bisher schwerer wiegt. Sie wissen, dass die Gesetze, über die nicht erreicht und werden es auch mit diesem Placeboge- heute abgestimmt wird, für den Osten untauglich, ja Gift setz nicht erreichen. sind. Das unterscheidet den Bundeskanzler Schröder üb- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- rigens von seinem Vorgänger: Ex-Kanzler Kohl hat die neten der FDP) Menschen im Osten belogen, Sie aber schreiben sie ab. Das finde ich noch viel schlimmer. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Pau. [fraktionslos]) Der Schriftsteller und Soziologe Wolfgang Engler hat Petra Pau (fraktionslos): analysiert: „Mit der Hoffnung auf Arbeit ging die Arbeit Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! an der Hoffnung verloren.“ Er beschrieb den Osten zehn Die PDS im Bundestag wird gegen die vorliegenden Ge- Jahre nach der Vereinigung. Seitdem ist Rot-Grün am Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5753

Petra Pau (A) Werk und verfolgt ein weiteres Programm zur Beerdi- Leistungen, sind in unserem Land vier Millionen Men- (C) gung der Hoffnung für die ganze Bundesrepublik. schen betroffen. Sie erwarten von uns zu Recht, dass ihre materielle Situation gesichert ist. Sie erwarten aber auch, Ich habe Ihnen hier in Debatten schon mehrfach vor- dass sie die Möglichkeit erhalten, besser in Arbeit inte- gerechnet, dass man 50 Arbeitslose nicht auf eine freie griert zu werden. Es ist schon eine unglaubliche Zumu- Stelle vermitteln kann. Ich habe Ihnen auch vorgerech- tung für diese Menschen, Herr Ministerpräsident Koch, net, dass allein die Senkung der Arbeitslosenhilfe Milli- wie Sie über diese Schicksale sprechen. Das haben die onen Menschen in Armut stürzen, zusätzliche Konkurse Menschen in diesem Land nicht verdient. bringen und damit die Arbeitslosigkeit noch forcieren wird. Um das zu erkennen, muss man nicht in der PDS (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sein, man muss schlicht und einfach nur rechnen können. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Allein in den neuen Bundesländern werden die Be- [CDU/CSU]: Was war schlüsse von heute einen zusätzlichen Kaufkraftverlust denn in Hamburg? Sie mussten als Senatorin von 1,8 Milliarden Euro bewirken. Ähnlich wird es in wegen Skandalen zurücktreten! – Volker den großen Regionen der alten Bundesländer aussehen, Kauder [CDU/CSU]: In Hamburg haben die wie im Saarland, in Oberfranken und anderswo. Anders Leute Sie in die Wüste geschickt!) gesagt: Sie bürden heute den Armen die Lasten auf und begünstigen weiter jene, denen es ohnehin besser geht. Wir setzen auf Aktivierung der Betroffenen, indem Das ist bei den Steuern so. Dies trifft die Länder. Siesie gezielt gefördert werden, und wir setzen auf ihre Be- nennen das heute hier mutige Reformen. Ich nenne das teiligung, indem wir von ihnen Verantwortung fordern. schlicht politische Kapitulation. (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Die Wir- (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch kungen sind erschreckend!) [fraktionslos]) Erstmals gibt es die Öffnung für bisher erwerbsfähige Noch gibt es in unserem Land eine Sozialpflicht der Sozialhilfeempfänger; so integrieren wir 900 000 Men- Unternehmer und das Gebot der gleichen Lebenschan- schen in eine neue Leistung. Damit haben sie Zugang zu cen für alle. Sie deuten das alles ohne Recht und Ver- allen Leistungen undMaßnahmen der aktiven Ar- nunft um. Ich nenne ein ganz konkretes Beispiel: Hier in beitsmarktpolitik. Berlin, in Reinickendorf, gibt es ein namhaftes Unterneh- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) men. Vergangenes Jahr entließ es Spezialisten, weil es an Aufträgen mangelte. Nun werden dieselben Spezialisten Auch diejenigen, die bisher keinen Anspruch auf aktive zum halben Lohn wieder unter Vertrag genommen – nicht Arbeitsmarktmaßnahmen hatten, erhalten Zugang zu (B) als Mitarbeiter, sondern als Ich-AGs. Die rot-grüne Wun- diesen Leistungen. Dazu gehört auch, dass die Langzeit- (D) dertüte entpuppt sich also als Abbaukröte – zur Freude der arbeitslosen, die keine Arbeit finden, in Arbeitsmarkt- FDP und zum Schaden für die Betroffenen. projekte integriert werden können. Die Medien werden heute nur zählen, ob es eine Nun ein zweites Mal zu Ihnen, Herr Koch: Sie haben Kanzlermehrheit gibt oder nicht. Das mag zwar span- vorgeschlagen, alle Langzeitarbeitslosen im Rahmen nend sein. Weitreichender ist aber die geistig-moralische von ehrenamtlicher Arbeit zu beschäftigen. Was be- Wende, die Rot-Grün forciert und in Gesetze fasst. Wer deutet das für die Kommunen? Das bedeutet, dass in al- arm dran ist, ist selbst schuld und gehört bestraft – das ist len Bereichen 1,5 Millionen Arbeitsplätze geschaffen der Kern Ihres Gesetzes. Die PDS dagegen wirbt für ihre werden müssen. Das heißt, Sie wollen einerseits in den Agenda Sozial. Sie liegt als moderne Alternative vor.Kommunen eine gigantische, staatlich geförderte Be- Wir wollen Reformen zum Besseren. schäftigungsgesellschaft gründen Liebe Genossinnen und Genossen von der SPD, einen (Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Schlusssatz erspare ich Ihnen nicht: Sie beschließen Großer Unsinn!) heute nicht mehr und nicht weniger als Ihre Absage an und andererseits den Handwerkern und dem Mittelstand Bebel und Brandt. Auch deshalb stimmt die PDS imdie Aufträge wegnehmen. Das ist aus meiner Sicht keine Bundestag mit Nein. Mittelstandspolitik. Sie vernichten Arbeitsplätze im ers- (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch ten Arbeitsmarkt, obwohl Sie angeblich das Gegenteil [fraktionslos]) erreichen wollen. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Wir machen eine gezielte Förderung der Langzeit- Nächste Rednerin ist die Kollegin Karin Roth, SPD- arbeitslosen. Wir versuchen, sie aus ihrer Isolation he- Fraktion. rauszuholen, indem wir ihr Selbstbewusstsein stärken, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und setzen darauf, dass sie danach wieder in Arbeit in- tegriert werden. Das ist die einzig reale Chance, damit Karin Roth (Esslingen) (SPD): sie ein gleichwertiges Mitglied in der Gesellschaft blei- ben. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von der Zusammenführung der Sozialhilfe und Es geht um Schicksale von Menschen, die ihre Arbeit der Arbeitslosenhilfe, also zweier steuerfinanzierterverloren haben. Es geht darum, diesen Menschen wieder 5754 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Karin Roth (Esslingen) (A) eine Arbeitsperspektive und damit auch eine Lebens-zungen von Vermögen in einem wichtigen Punkt verän- (C) perspektive zu geben. Das ist unsere soziale und sozial- dert haben. Wir gewähren nämlich für private die demokratische Verantwortung. Altersvorsorge einen zusätzlichen Freibetrag von 200 Euro pro Lebensjahr, unabhängig davon, wie die (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Altersversorgung gestaltet ist. Zukünftig können dann Es ist allemal besser, Arbeit anstatt Arbeitslosigkeit zu eben auch diejenigen, die eine Lebensversicherung ha- finanzieren. Deshalb öffnen wir den Zugang zu allenben oder andere Altersvorsorgemaßnahmen treffen, das Leistungen für alle Erwerbsfähigen, auch für jene, die Arbeitslosengeld II erhalten. Mit dieser wichtigen Rege- keine passiven Leistungen im Rahmen des Arbeitslosen- lung verhindern wir Altersarmut, unterstützen wir die geldes II erhalten. private Altersvorsorge. Eine gute Botschaft geht insbesondere an die Frauen. Sie Als Letztes zum Punkt Zumutbarkeit von Arbeit: Herr erhalten nunmehr besondere Eingliederungsmaßnahmen; Koch, Sie müssten eigentlich die Gesetze der Bundesre- denn Kindererziehung darf kein Eingliederungshemmnis publik Deutschland kennen. Ihr Vorschlag ist nach unse- sein. Es ist vorgesehen, den Frauen eine Betreuung der Kin- rem Bürgerlichen Gesetzbuch sittenwidrig. der anzubieten. Wir wollen dieErwerbstätigkeit der (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Frauen in Verbindung mit Betreuungsmaßnahmen unter- So ein Quatsch!) stützen und fördern. So sieht für uns Vereinbarkeit von Beruf und Familie aus; das ist aktive Frauen-, Gleich- Ein Lohn, der beispielsweise 30 Prozent unter der orts- stellungs- und Familienpolitik. üblichen Entlohnung liegt, ist gesetzes- und damit sitten- widrig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das gilt insbesondere für die Berufsrückkehrerinnen, denn auch sie sollen nach unserem Willen Zugang zu ar- Wir schlagen im Gesetz eine Regelung vor, die die beitsmarktpolitischen Maßnahmen haben. Auch dieZumutbarkeit der Annahme von Arbeit an tariflich Kommunen werden entlastet, denn 1,5 Milliarden Euro festgesetzte bzw. ortsübliche Löhne bindet. Damit leis- werden wir für Kinderbetreuung im Rahmen des Länder- ten wir einen Beitrag zur Sicherheit und sozialen Ge- finanzausgleichs zur Verfügung stellen. rechtigkeit. Vor allen Dingen ist das ein Beitrag dazu, dass die Menschen für die Arbeit, die sie leisten, einen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gerechten Lohn erhalten und nicht dafür bestraft werden, Das ist ein ganz wichtiges Signal für die Frauenpolitik. dass sie früher einmal arbeitslos waren. (B) (D) Darüber hinaus beziehen wir jetzt die Arbeitslosen- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten geld-II-Bezieher in die Rentenversicherung ein; das be- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) trifft insbesondere die bisherigen Sozialhilfeempfänger. So sieht aus unserer Sicht soziale Gerechtigkeit aus. In- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: teressant ist, dass nun endlich auch die Union entdeckt, Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist zu Ende. dass man den Personenkreis der Arbeitslosengeld-II-Be- zieher nicht von Anfang an mit Sozialhilfeempfängern gleichstellen kann, wie es der Herr Koch in seinem Exis- Karin Roth (Esslingen) (SPD): tenzgrundlagengesetz vorschlägt. Die CDU/CSU schlägt Zu guter Letzt können Sie, meine Damen und Herren, nunmehr vor, für ein Jahr einen Zuschlag für Arbeitslo- froh sein, dass wir mit diesem Gesetz ein verpflichtendes senhilfebezieher vorzusehen. Jetzt frage ich die Union Angebot für die Jugendlichen schaffen. Damit geben wir und vor allen Dingen Sie, Herr Laumann, welche neuen das eindeutige Signal, dass Jugendliche nach der Schule Erkenntnisse die CDU hat, dass sie einen solchen Sin- nicht in die Arbeitslosigkeit entlassen werden dürfen. neswandel vollzieht. Wollen Sie mit diesem Vorschlag Ich erwarte von der Union und von der Wirtschaft, dass etwa eine neue Sozialdemokratisierung der CDU auf den sie dazu beitragen, dass dies auch gelingt. Weg bringen? Dann müssen Sie sich allerdings noch mit (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Herrn Koch abstimmen, denn der ist offensichtlich dage- DIE GRÜNEN) gen.

(Beifall der SPD und des BÜNDNISSES 90/ Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: DIE GRÜNEN) Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Karl- Ich denke allerdings, dass es sich hier vielmehr um eine Josef Laumann, CDU/CSU-Fraktion. späte Einsicht handelt, dass unser Vorgehen richtig ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Insofern könnte die CDU ja heute unserem Gesetz zu- stimmen. Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): (Lachen des Abg. Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]) Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, dass heute Morgen in dieser Debatte Sie könnte nicht nur aus diesem Grund, sondern auch noch einmal wieder sehr deutlich geworden ist: Unser deshalb zustimmen, weil wir die Anrechnungsvorausset- größtes Problem in Deutschland ist, dass wir seit Jahren Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5755

Karl-Josef Laumann (A) eine große Wachstumsschwäche haben, die zu einer Be- begreifen, warum es nicht geht, dass man sich vorher(C) schäftigungskrise geführt hat. Unser Problem vernünftig in darüber unterhält. Deutschland ist, Herr Clement, dass wir zurzeit eine (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Bundesregierung haben, die überhaupt keine Philoso- phie hat, womit Deutschland in Zukunft sein Geld ver- Ich glaube auch, dass wir in Deutschland durch mehr dienen soll, um den Staat zu finanzieren und unserenArbeit zu mehr Beschäftigung kommen müssen. Wir Wohlstand erhalten zu können. Da sind Sie richtungslos, brauchen längere Wochen-, Jahres- und Lebensarbeits- darauf haben Sie keine Antwort. zeiten. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Darauf gibt auch dieses Gesetz keine Antwort. Dieses Ich bin ganz sicher, dass kein Weg daran vorbeiführt, an- Gesetz ist ohnehin nur notwendig geworden, weil diese ders aus dieser Beschäftigungskrise herauszukommen. Regierung keine Antworten gefunden hat. Innerhalb von Es wäre das erste Mal in der Geschichte der Erde, dass diesen knapp fünf Jahren rot-grüner Regierung sind in ein Volk, das in einer Krise steckt, durch weniger Arbeit unserem Land die Energiepreise aufgrund neuer staat- aus dieser Krise herauskommt. Das hat es in der Vergan- licher Belastungen erheblich gestiegen. So etwas istgenheit auf jeden Fall noch nie gegeben. nicht beschäftigungsfördernd; das wissen Sie genauso gut wie ich. Der Wirtschaftsminister hat das vor Wochen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) thematisiert, aber man hat ihm die Zuständigkeit entzo- Deswegen gehen Sie in Ihrem Gesetzentwurf mit den gen und diese Bundesregierung unternimmt gar nichts, Veränderungen zur Altersteilzeit wieder einen verkehr- um die Kostenentwicklung, die wir in diesem Bereich ten Weg, indem Sie das Eintreten in denVorruhestand haben, zumindest zu dämpfen. noch leichter machen. Es ist schon verrückt, dass diese (Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Brandner Regierung auf der einen Seite die Rürup-Kommission [SPD]: Jetzt werde mal nicht zum Umwelt- einsetzt, in der man davon redet, das Renteneintrittsalter politiker, Karl-Josef!) zu erhöhen, und gleichzeitig im Bundestag Gesetze ein- bringt, mit denen der Vorruhestand in Deutschland ze- Ich nehme einen weiteren Bereich: Sie haben gesagt, mentiert wird. Ich kann das einfach nicht begreifen. wir müssten die Bürokratiein diesem Land abbauen. Jetzt lese ich in den Zeitungen, dass die Kompetenz für (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) den Bürokratieabbau von Ihrem Haus in das Innenmi- Herr Clement, zu einer wahrhaften Politik, die unsere nisterium wechselt. Das ist ungefähr so, als wenn Sie die Probleme löst, gehört auch, dass man sich nichts mehr (B) Frösche fragen, ob der Sumpf ausgetrocknet werden soll. vormacht. Hartz – das war eine Schöpfung gewaltiger(D) Wir brauchen in Deutschland eine Deregulierung. Worte. (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU: (Zuruf von der CDU/CSU: Lichtgestalt!) Lauter!) Die „Quick-Vermittlung“ – wissen Sie überhaupt noch, dass Sie das bei Hartz II drin hatten? – sollte Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: 300 000 Jobs bringen. Aus dem Quickie ist nichts ge- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Mikrofonanlage worden. Das ist die Wahrheit. ist nicht mehr lauter einzustellen. Es klappt nur, wenn die Kolleginnen und Kollegen leiser sind. Bitte hören (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Sie dem letzten Redner noch zu! Dann ist er auch in den Heute hat sich Herr Clement hier ans Rednerpult ge- mittleren und hinteren Reihen verständlich. stellt und gesagt: Die PSAs sind ein Erfolg. Wir haben Bitte schön, Herr Kollege Laumann. 870 PSAs und 900 Vermittlungen, das heißt, pro PSA eine Vermittlung. Herr Clement, glauben Sie wirklich, (Beifall bei der CDU/CSU) dass uns das aus der Krise führt und das ein Angebot für die 4 Millionen Leute ist, über die wir heute Morgen re- Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): den? Das können Sie als einigermaßen normal denken- der Mensch doch gar nicht glauben; es glaubt Ihnen oh- Danke schön, Frau Präsidentin. nehin schon keiner mehr. Natürlich brauchen wir die betrieblichen Bündnisse Das Problem ist, dass Sie sich etwas vormachen, wie für Arbeit. wir den Arbeitsmarkt in den Griff bekommen. Das Ge- (Klaus Brandner [SPD]: In welchem Gesetz setz, das Sie vorlegen, istso nicht zustimmungsfähig, stehen die denn?) weil Sie sich in vielen entscheidenden Punkten etwas vormachen. Ich werde nie begreifen, warum es in Deutschland mög- lich ist, im Krisenfall alles zu machen, was die Gewerk- (Wolfgang Clement, Bundesminister: Sagen schaften befürchten – etwa einen Sozialplan aufzustel- Sie mal etwas zu Herrn Koch!) len –, aber im Vorfeld nichts getan wird, um das Problem – Dazu kommen wir gleich. erst gar nicht entstehen zu lassen, nämlich dass die Men- schen langzeitarbeitslos werden und Sozialpläne über- Zur Trägerschaftsfrage. Man muss schon ein großer haupt erstellt werden müssen. Ich werde es einfach nicht Optimist sein, wenn man glaubt, es könne funktionieren, 5756 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Karl-Josef Laumann (A) dass man die Kompetenz bei der Bundesanstalt für Ar- schuss gibt, damit diese Regelung letztlich verhindert(C) beit ansiedelt, obwohl diese zurzeit im schwersten Um- wird. Denn sie funktioniert einfach nicht. bau ihrer Geschichte ist. Es wird nicht funktionieren. Das ist auch der Unterschied zu dem, was wir in unse- Wir müssen noch über eine weitere Frage diskutieren. rem Gesetz vorschlagen. Wir brauchen den Wettbewerb Ich bin mir völlig darüber im Klaren, dass wir in unse- der Ideen für Beschäftigung. Einen solchen Wettbewerb rem Land nur dann richtig Geld verdienen können, wenn bekommen Sie in Hunderten von Kommunen und Land- die Menschen gut ausgebildet sind, wenn es hoch inno- kreisen eher hin als bei der zentralen Bundesanstalt für vative Betriebe mit toll ausgebildeten Mitarbeitern gibt, Arbeit. wenn die großen Forschungsstandorte mit den Hoch- schulen und Fachhochschulen vernetzt sind. Dabei müs- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sen wir aber eines sehen: Für einen bestimmten Teil der Bevölkerung sind auch einfach strukturierte Tätigkeiten Wir von der Union wollen, dass sich unsere Gemein- erforderlich. Das Dilemma ist, dass diese Arbeit in den deräte, unsere Kreistage und die Stadträte damit beschäf- vergangenen zehn bis 15 Jahren in die Billiglohnländer tigen, was mit den Mitbürgerinnen und Mitbürgern in abgewandert ist, während die Menschen – die zudem in der Kommune, die zurzeit keine Beschäftigung haben, aller Regel unbeweglicher sind als andere –, die solche geschehen soll. Sie sollen sich fragen, wie man den Aufgaben brauchen, unverändert in Deutschland woh- Menschen eine Sinnerfüllung im Leben geben und nen. Unserem Menschenbild entspricht es nun – es geht gleichzeitig in der Gemeinde Leistungen anbieten kann, nicht, wie Sie meinen, um Lohndrückerei; wir haben es von denen die Leute sagen: Es ist gut, dass es in unserer nicht nötig, uns das von Ihnen vorhalten zu lassen –, Gemeinde diese Leistungen gibt. – Das kann doch nicht besser funktionieren, als wenn das die Kommunalpolitik (Widerspruch bei der SPD) entscheidet. dass auch diese Menschen in dieser modernen Industrie-, Deswegen werden wir im Vermittlungsausschuss eine Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft Platz finden Lösung finden müssen, bei der diese kommunalpoliti- müssen. schen Elemente mit den Kompetenzen der Bundesanstalt zusammengeführt werden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) Ich wünsche mir aber, dass die Kommunalpolitiker auf dieser Veranstaltung Mut aufbringen; schließlich Das wird nicht nur in den staatlich geschützten Berei- sind sie durch Wahlen demokratisch legitimiert. Diechen möglich sein. Es muss vielmehr auch im ersten Ar- Bundesanstalt hingegen ist nicht viel mehr als beitsmarkt ein gewährleistet werden. Dabei ist unsere Philo- (B) Machtkartell in einer nicht mehr funktionierendensophie – Herr Koch hat das bereits ausgeführt –, dass(D) Selbstverwaltung. Das ist doch die Wahrheit! Menschen, die acht Stunden am Tag einer solchen Be- schäftigung nachgehen, mehr Geld bekommen sollen, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) als wenn sie beschäftigungslos sind. Das ist auch in so- In Ihrem Gesetzentwurf haben Sie definiert, welche zialpolitischer Hinsicht eine vernünftige Position. Arbeit als zumutbar gilt. Herr Clement, ich frage Sie: Haben Sie nicht gesehen, welcher Regelung Sie an die- (Beifall bei der CDU/CSU) ser Stelle zugestimmt haben? Wenn zum Beispiel ein Wir müssen uns also darüber verständigen, wie wir junger Schlosser arbeitslos wird, der vorher zumTarif- die Situation in den Griff bekommen können. Ich glaube lohn gearbeitet hat nicht, dass uns der Niedriglohnbereich wirtschaftspoli- (Klaus Brandner [SPD]: Der soll nicht arbeits- tisch entscheidend nach vorne bringen wird. Er ist aber los werden! Der soll arbeiten! – Gegenruf des notwendig, um für einen bestimmten Prozentsatz von Abg. [CDU/CSU]: Dieser Menschen, die eine bestimmte Veranlagung haben, Be- Schreihals!) schäftigungsmöglichkeiten zu schaffen, die diese brau- chen, um sich in die Gesellschaft einbringen und an der – er wird arbeitslos, weil seine Firma durch Ihre Politik Arbeitswelt dieser Gesellschaft als vollwertige Mitglie- in die Insolvenz gegangen ist –, dann muss er eine Be- der teilnehmen zu können. schäftigung annehmen, deren Bruttoentgelt sein früheres Gehalt bis zu 20 Prozent unterschreiten kann. Das ist (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- derzeit geltendes Recht in der Arbeitslosenversicherung. neten der FDP) Wird dieser Mensch demnächst, wenn es das neue Liebe Frau Kollegin Roth, Sie haben eben gesagt, Arbeitslosengeld II gibt, arbeitslos, dann ist er nur noch eine Beschäftigung, deren Entlohnung 30 Prozent unter gehalten, eine Beschäftigung mit einem Bruttoentgelt in ortsüblich liegt, sei sittenwidrig. Das kann man so sehen. der Höhe des Tariflohns anzunehmen. Wollen Sie das Aber sittenwidrig ist es erst recht, gar nichts anzubieten. wirklich? So ist es im Gesetzentwurf vorgesehen, lieber Ein Problem sind die hohen Abgaben. Eine Politik, die Herr Clement. Das ist die Wahrheit. den Normalverdienern mittlerweile 50 Prozent ihres Ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) haltes wegnimmt, ist viel sittenwidriger als Arbeit im Niedriglohnbereich. Auch davon bin ich zutiefst über- Ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie selber diese Rege- zeugt. lung im Vermittlungsausschuss revidieren werden und dass Sie froh darüber sind, dass es den Vermittlungsaus- (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5757

Karl-Josef Laumann (A) Wir müssen nun im Vermittlungsausschuss zu einer annehmen – damit haben Sie Recht –, bei der(C) er Lösung kommen. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir, die20 Prozent weniger Lohn erhält als vorher. Wenn er vor Union, werden nur etwas mittragen, das auch funktionie- seiner Arbeitslosigkeit zu Tariflohn beschäftigt war und ren wird. Wir können uns angesichts von 4,3 Millionen dann wieder als Schlosser arbeitet, dann bedeutet das Arbeitslosen nicht erlauben, ein so schlechtes Gesetz zu also, dass er 20 Prozent unter Tarif bezahlt wird. Das ist, machen, wie das unter dieser Bundesregierung – zumwie gesagt, die heutige Rechtslage. Beispiel beim Dosenpfand oder bei der Maut – üblicher- Wenn man den gleichen Fall unter den Bedingungen weise der Fall ist. Wir müssen vielmehr eine Lösung fin- des neuen Arbeitslosengeldes II durchdekliniert, dann den, die auch tatsächlich funktioniert. stellt man fest, dass ein arbeitsloser Schlosser die An- Schönen Dank. nahme einer solchen Stelle mit Verweis auf den Tarif- lohn verweigern kann. Diese Regelung haben Sie im (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Gesetzentwurf verankert. Das ist Irrsinn, das ist Schwachsinn, das ist falsch. Dabei bleiben wir. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich erteile dem Wirtschafts- und Arbeitsminister Clement das Wort zu einer Kurzintervention. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich schließe die Aussprache. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir kommen zur Abstimmung über die von den Frak- Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen so- und Arbeit: wie von der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe eines Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Arbeitsmarkt, Drucksachen 15/1515 und 15/1637. Dazu Herren! Ich möchte die Debatte nicht fortsetzen, sondern liegen etliche schriftliche Erklärungen nach § 31 der Ge- nur auf einen Punkt hinweisen, der auch schon von ande- schäftsordnung vor.1) ren Kollegen erwähnt worden ist. Herr Kollege Laumann, Sie unterliegen einem Irrtum, wenn Sie unter- (Unruhe) stellen, dass ein arbeitsloser Schlosser – dieses Beispiel haben Sie gerade angeführt – nur in seinen Beruf und nur – Bevor wir zur namentlichen Abstimmung kommen, zu Tarifbedingungen wieder vermittelt werden könne. müssen wir eine einfache Abstimmung durchführen. Dass das ein Irrtum ist, ist Ihnen schon im AusschussBitte eilen Sie also jetzt noch nicht zur Urne. (B) mehrfach dargelegt worden. Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit empfiehlt(D) Im Gesetzentwurf heißt es: Prinzipiell ist jede Arbeit unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf zumutbar. Es gibt also keinen Berufsschutz. Ein gelern- Drucksache 15/1728, die genannten Gesetzentwürfe als ter Schlosser kann also auch in einen anderen Beruf ver- Drittes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeits- mittelt werden. Wenn er in einen anderen Beruf vermit- markt in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte telt wird, dann geschieht das zu tariflichen Bedingungen diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas- oder – soweit nicht vorhanden – zu dem ortsüblichensung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegen- Entgelt. So ist die Regelung. Deshalb ist das Klischee, stimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist da- auf das Sie, Herr Laumann – ich glaube, auch der Kol- mit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition lege Singhammer hat das getan –, mehrfach zurückge- gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP ange- griffen haben, schlichtweg falsch. Die Regelung ist so, nommen. wie ich Ihnen das gerade dargestellt habe. Ich wäre Dritte Beratung dankbar, wenn das in den künftigen Diskussionen beach- tet werden könnte. und Schlussabstimmung. Die Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen verlangen namentliche (Beifall bei der SPD) Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Sind alle Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne Zur Erwiderung auf die Kurzintervention des Wirt- die Abstimmung. schafts- und Arbeitsministers gebe ich dem Kollegen Gibt es ein Mitglied des Hauses, das seine Stimme Laumann das Wort. noch nicht abgegeben hat? – Ich frage noch einmal: Sind alle Stimmen abgegeben oder gibt es ein Mitglied des Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Hauses, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – Herr Minister, da Sie mich persönlich angesprochen Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstim- haben, möchte ich an dem bereits erwähnten Beispielmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Ab- klarstellen, welche Folgen Ihr Gesetz haben wird: Ein 2) Schlosser, der zu Tariflohn beschäftigt ist, wird arbeits- stimmung wird Ihnen später bekannt gegeben. los. Er muss in den ersten Monaten, in denen er Arbeits- losengeld bezieht – das ist geltendes Recht in Deutsch- 1) Anlagen 2 und 3 land –, eine Stelle als Schlosser oder jede andere2) siehe Seite 5794 D 5758 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen die Ab- Existenzgrundlagen auf Drucksache 15/1523 ab. Hierzu (C) stimmungen fort. Ich bitte Sie, die Lobby freizumachen liegt eine Reihe von schriftlichen Erklärungen nach § 31 und Ihre Plätze einzunehmen. unserer Geschäftsordnung vor, die wir dem Protokoll beifügen.3) Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Ent- Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit empfiehlt wurf eines Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistun- unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf der gen am Arbeitsmarkt, Drucksache 15/1516. Auch hierzu Drucksache 15/1728, den Gesetzentwurf abzulehnen. liegen uns Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 unse- Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen rer Geschäftsordnung vor.1) Der Ausschuss für Wirt- wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – schaft und Arbeit empfiehlt unter Buchstabe b seinerWer möchte sich enthalten? – Der Gesetzentwurf ist in Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/1728, den Ge- zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer setzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich Geschäftsordnung die weitere Beratung. bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- schussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- Wir stimmen nun über den von der Fraktion der CDU/ chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ge- CSU eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Ände- setzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim- rung des Grundgesetzes – Einfügung eines Art. 106 b – men der Koalition gegen die Stimmen der CDU/CSUab. Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit empfiehlt und der FDP angenommen. unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 15/1728, den Gesetzentwurf auf der Druck- Dritte Beratung sache 15/1527 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem und Schlussabstimmung. Die Fraktionen der SPD und Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei- des Bündnisses 90/Die Grünen verlangen namentliche chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen undGesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Bera- Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. tung. Dann eröffne ich die Abstimmung. Wir setzen die Abstimmung über die Beschlussemp- (Vorsitz: Vizepräsident Dr. ) fehlungen des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit auf der Drucksache 15/1728 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe e seiner Beschlussempfehlung die Ab- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: (B) lehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Druck-(D) Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das noch sache 15/1531 mit dem Titel „Arbeitslosenhilfe und nicht die Gelegenheit hatte, seine Stimme abzugeben? – Sozialhilfe zu einem beschäftigungsfördernden kommu- Ich sehe keine entsprechenden Signale. Dann schließe nalen Sozialgeld zusammenführen“. Wer stimmt für diese ich jetzt die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerin- Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenom- Auch das Ergebnis dieser Abstimmung werden wir spä- men. ter bekannt geben.2) Unter Buchstabe f seiner Beschlussempfehlung emp- Unter Buchstabe g seiner Beschlussempfehlung auf fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der der Drucksache 15/1728 empfiehlt der Ausschuss dieFDP-Fraktion auf Drucksache 15/1576 mit dem Titel Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Be- „Neuordnung der Bundesanstalt für Arbeit“. Wer stimmt schlussempfehlung? – Wer stimmt gegen diese Be-für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dage- schlussempfehlung? – Enthaltungen? – Die Beschluss- gen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist empfehlung ist bei weitgehender Abstinenz angenommen. im Abstimmungsverhalten der meisten Anwesenden ange- nommen. Wir kommen nun zu Zusatzpunkt 6. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf der Drucksache (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 15/1594 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- schüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Es würde die Präzision des Verfahrens fördern, wennDas ist offensichtlich der Fall. Dann ist die Überweisung sich diejenigen, die im Saal sind, auch an der Abstim- so beschlossen. mung beteiligten, und diejenigen, die das nicht wollen, den Plenarsaal verließen. Da mir die Ergebnisse der namentlichen Abstimmun- gen noch nicht vorliegen, möchte ich, Ihr Einverständnis Wir sind immer noch bei Tagesordnungspunkt 19 a vorausgesetzt, in der Tagesordnung fortfahren. Die Er- und stimmen nun über den von der Fraktion der CDU/ gebnisse der namentlichen Abstimmungen kann ich Ih- CSU eingebrachten Gesetzentwurf zur Sicherung dernen auch während der Debatte mitteilen. – Dazu gibt es offenkundig keinen Widerspruch. 1) Anlagen 2 bis 7 2) siehe Seite 5799 C 3) Anlagen 4, 8 und 9 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5759

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert (A) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 i sowie Dr. Andreas Pinkwart, Rainer Brüderle, wei- (C) die Zusatzpunkte 7 und 8 auf: teren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur 20 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- vereinfachten Nachversteuerung als Brü- regierung eingebrachten Entwurfs eines Haus- cke in die Steuerehrlichkeit haltsbegleitgesetzes 2004 (HBeglG 2004) – Drucksache 15/470 – – Drucksachen 15/1502, 15/1639 – (Erste Beratung 56. Sitzung) (Erste Beratung 58. Sitzung) aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- Beschlussempfehlung und Bericht des Haushalts- nanzausschusses (7. Ausschuss) ausschusses (8. Ausschuss) – Drucksache 15/1722 – – Drucksachen 15/1750, 15/1751 – Berichterstattung: Berichterstattung: Abgeordnete Gabriele Frechen Abgeordnete Steffen Kampeter Heinz Seiffert Walter Schöler Anja Hajduk bb)Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Otto Fricke schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung – Drucksache 15/1724 – b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- nen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein- Berichterstattung: gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- Abgeordnete Steffen Kampeter rung des Tabaksteuergesetzes und anderer Walter Schöler Verbrauchsteuergesetze Abg. Antje Hermenau Otto Fricke – Drucksache 15/1313 – d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- (Erste Beratung 56. Sitzung) richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hermann Otto nanzausschusses (7. Ausschuss) Solms, Dr. Andreas Pinkwart, Carl-Ludwig Thiele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 15/1726 – Zinsabgeltungsteuer einführen – Fluchtkapital (B) Berichterstattung: zurückholen (D) Abgeordnete Horst Schild – Drucksachen 15/217, 15/1722 – bb)Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Berichterstattung: schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Abgeordnete Gabriele Frechen Heinz Seiffert – Drucksache 15/1735 – e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Berichterstattung: regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Abgeordnete Steffen Kampeter zur Umsetzung der Protokollerklärung der Walter Schöler Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung Anja Hajduk zum Steuervergünstigungsabbaugesetz Jürgen Koppelin – Drucksachen 15/1518, 15/1665 – c) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- (Erste Beratung 58. Sitzung) desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Steuerehrlich- aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- keit nanzausschusses (7. Ausschuss) – Drucksachen 15/1521, 15/1661 – – Drucksache 15/1684 – (Erste Beratung 63. Sitzung) Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Schultz (Everswinkel) – Zweite und dritte Beratung des von den Frak- Stefan Müller (Erlangen) tionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines bb)Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Gesetzes zur Förderung der Steuerehrlich- schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung keit – Drucksache 15/1736 – – Drucksachen 15/1309 – Berichterstattung: Abgeordnete Steffen Kampeter (Erste Beratung 56. Sitzung) Walter Schöler – Zweite und dritte Beratung des von den Anja Hajduk Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Jürgen Koppelin 5760 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert (A) f) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- i) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- (C) desregierung eingebrachten Entwurfs eines richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu Gesetzes zur Reform der Gewerbesteuer dem Antrag der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Birgit Homburger, Dr. Christel – Drucksachen 15/1517, 15/1664 – Happach-Kasan, weiterer Abgeordneter und der (Erste Beratung 58. Sitzung) Fraktion der FDP – Zweite und dritte Beratung des vom Bundes- Antragsverfahren bei Agrardiesel deutlich rat eingebrachten Entwurfs eines Soforthilfe- vereinfachen gesetzes für die Gemeinden (SofortHiG) – Drucksachen 15/833, 15/1261 – – Drucksache 15/1470 – Berichterstattung: (Erste Beratung 58. Sitzung) Abgeordnete Reinhard Schultz (Everswinkel) aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- Norbert Schindler nanzausschusses (7. Ausschuss) ZP 7 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- – Drucksachen 15/1727, 15/1760 – richts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Günter Berichterstattung: Rexrodt, Jürgen Koppelin, Otto Fricke, weiterer Abgeordnete Horst Schild Abgeordneter und der Fraktion der FDP Heinz Seiffert Regierung muss Haushaltssicherungsgesetz bb)Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- vorlegen schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung – Drucksachen 15/997, 15/1750, 15/1751 – – Drucksachen 15/1738, 15/1739 – Berichterstattung: Berichterstattung: Abgeordnete Steffen Kampeter Abgeordnete Steffen Kampeter Walter Schöler Walter Schöler Anja Hajduk Anja Hajduk Jürgen Koppelin Otto Fricke g) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Carl- (B) richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu Ludwig Thiele, Joachim Günther (Plauen),(D) dem Antrag der Abgeordneten Gerda Hasselfeldt, Dr. Andreas Pinkwart, weiterer Abgeordneter Peter Götz, Günter Baumann, weiterer Abgeord- und der Fraktion der FDP neter und der Fraktion der CDU/CSU Neugestaltung der Eigenheimzulage Finanzkraft der Kommunen stärken – Kom- – Drucksache 15/1731 – munale Selbstverwaltung sichern Überweisungsvorschlag: – Drucksachen 15/1217, 15/1727, 15/1760 – Finanzausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Berichterstattung: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Abgeordnete Horst Schild Haushaltsausschuss Heinz Seiffert Ich weise darauf hin, dass wir über die Entwürfe eines h) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- Haushaltsbegleitgesetzes 2004 und eines Gesetzes zur neten Dr. Andreas Pinkwart, Dr. Hermann Otto Reform der Gewerbesteuer sowie über einen Teil des Solms, Gisela Piltz, weiteren Abgeordneten und Gesetzentwurfs zur Änderung des Grundgesetzes, so- der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfsweit er die kommunale Finanzreform betrifft, später na- eines Gesetzes zur Änderung des Grundgeset- mentlich abstimmen werden. zes (Kommunale Finanzreform) Des Weiteren mache ich darauf aufmerksam, dass zu – Drucksache 15/1247 – den genannten Gegenständen mehrere Entschließungs- (Erste Beratung 57. Sitzung) anträge vorliegen. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für schusses (6. Ausschuss) die Aussprache 90 Minuten vorgesehen, wobei die FDP zwölf Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wider- – Drucksache 15/1729 – spruch. Dann ist das so beschlossen. Berichterstattung: Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundes- Abgeordnete Joachim Stünker minister der Finanzen, Hans Eichel, das Wort. Marco Wanderwitz Jerzy Montag (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5761

(A) Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen: wir konnten noch viel aus dem Bundeshaushalt heraus- (C) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undnehmen. Herren! Die Gesetzentwürfe, über die wir heute zu be- An der Stelle will ich gleich etwas sagen, weil Sie schließen haben, stehen in unmittelbarem Zusammen- sonst wieder mit Vorwürfen kommen: Natürlich haben hang mit dem Haushalt 2004. wir ausgabenseitig konsolidiert. Wenn man den Bundes- haushalt in Prozent vom Bruttoinlandsprodukt betrach- Nach drei Jahren Stagnation sind die Haushaltslage tet, dann liegt er heute 1 Prozentpunkt niedriger als zu – ich habe das bereits bei der Einbringung des Haus- der Zeit, zu der Sie die Regierungsverantwortung abge- haltsentwurfs deutlich gemacht – für Bund, Länder und ben mussten, weil die Wählerinnen und Wähler so ent- Gemeinden sowie die Finanzlage der sozialen Siche- schieden hatten. rungssysteme dramatisch. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Märchen- (Hans Michelbach [CDU/CSU]: 42 Milliar- erzähler!) den Neuverschuldung!) Damit man weiß, was wir da geleistet haben – Sie er- – Herr Michelbach, das wird alles so sein. Damit Siewähnen das öffentlich nirgendwo, wie das bei guten nicht zu früh triumphieren, will ich aber auf Folgendes Nachrichten immer so ist –, will ich Ihnen Folgendes sa- hinweisen: In meine Amtszeit fallen die niedrigstengen: Wir haben beim öffentlichen Dienst ordentlich ein- Neuverschuldungen des Bundes. 1999, 2000 und noch gegriffen. Das große wiedervereinigte Deutschland hat 2001 ist die Neuverschuldung heruntergegangen – das weniger Mitarbeiter des Bundes im öffentlichen Dienst, sind Zahlen, die Sie nie erreicht haben –, als die alte, kleinere westdeutsche Bundesrepublik hatte. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hubert (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ulrich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Heute sind 288 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter obwohl sich im Jahr 2001 die Defizite der Länderhaus- beim Bund im öffentlichen Dienst. Das sind weniger, als halte bereits vervierfacht haben. Das ist schon spannend. die alte westdeutsche Bundesrepublik im Jahr 1970 ge- Auch wenn Herr Koch jetzt nicht mehr hier ist, sage ich habt hat; damals waren es nämlich 300 000. Ihnen: Sehen Sie sich einmal an, was in dieser Zeit zum Beispiel mit dem hessischen Landeshaushalt passiert ist. Wenn die Bürgerinnen und Bürger sagen, der Staat So einfach läuft das nicht! solle zuerst bei sich selber sparen – damit haben sie Recht –, dann stimme ich ihnen zu, sage aber gleichzei- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ tig: Der Staat tut es auch. – Da ich überhaupt keine Grä- ben aufreißen will, weil im Herbst und im Winter dieses (B) DIE GRÜNEN) (D) Jahres die Entscheidungen von den Mehrheiten des Bun- Wahr ist aber, dass die Haushaltslage dramatisch ist. desrates und des Bundestages gemeinsam getroffen wer- Wahr ist auch, dass sie nach derSteuerschätzung im den müssen, will ich anerkennen: Sie haben auch schon November – das kann jeder voraussehen – noch schwie- damit angefangen. Wir konsolidieren aber auch schon riger werden wird. Es hat keinen Sinn, um diesen Sach- fünf Jahre lang konsequent und es geht konsequent so verhalt herumzureden, und ich will das auch gar nicht weiter. tun. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das heißt, dass wir nur erstens mit grundlegenden Re- formen, so wie wir sie in dieses Haus eingebracht haben, Ich will daran erinnern, dass schon in meinem Konsoli- also mit den Strukturreformen in allen sozialen Siche- dierungskonzept von 1999 stand, dass ich die Gehälter rungssystemen, auf dem Arbeitsmarkt, bei der Hand-im öffentlichen Dienst, auch die Beamtengehälter, nur in werksordnung und in vielen anderen Bereichen, zwei- Höhe der Inflationsrate anpassen wolle. Wer hat mir das tens mit rigider Haushaltskonsolidierung und drittens kaputtgemacht? Es war – Herr Koch ist nicht mehr da – mit Maßnahmen mit dem Ziel, das Wachstum wieder in der Bundesrat, obwohl in diesem Falle die Länder die Gang zu bringen, auch fiskalisch – das heißt: Vorziehen am meisten Begünstigten gewesen wären. der Steuerreform –, dass wir also nur in diesem Drei- Was wir heute hier auf den Tisch legen und auch in klang aus dem Loch herauskommen. Genau dieser Auf- das Haushaltsbegleitgesetz geschrieben haben, ist die gabe müssen wir uns gemeinsam stellen. Absicht, an dieSonderzahlungen im öffentlichen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Dienst zu gehen. Täten das alle Länder, wäre der Ge- DIE GRÜNEN) samtstaat schon weiter, als er sein wird, wenn die Länder nächstes Jahr die Öffnungsklausel nutzen. Ohne jedes Problem räume ich ein: Als ich dieKon- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) solidierung 1999 eingeleitet habe – wir befanden uns damals im Wachstum, es ging weiter bergauf –, war die Meine Damen und Herren, wir gehen konsequent ge- Devise – ich habe sie auch vertreten; es war damals rich- gen Schwarzarbeit und Steuerhinterziehung vor. Das tig –, dass wir Geld aus dem Kreislauf herausnehmenwill ich ganz leise sagen. Nach dem, was ich von Ihnen, müssen, und zwar ganz massiv. Dazu ist von Ihrer Seite Herr Merz, gelesen habe, habe ich den Eindruck, dass immer gesagt worden – ich erinnere mich noch lebhaft –: Sie nunmehr bereit sind – ich bin sehr gespannt darauf, So viel kriegst du gar nicht. – Der Bundesrat, um auch was wirklich in Ihrem Vorschlag stehen wird –, die For- das deutlich zu sagen, war ebenfalls nicht hilfreich. Aber derung des Bundesverfassungsgerichtes nach einem 5762 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Bundesminister Hans Eichel (A) Nachweis dafür, dass jemand seine Steuer entrichtet hat, nanzplan bis 2007 geht von 5,4 Milliarden Euro aus. Das (C) zu akzeptieren. Ich hätte mir gewünscht, Sie hätten die- heißt, wir haben bereits im Haushalt 2004 gegenüber sen Nachweis schon im Frühjahr bei unserem Gesetzdem, was wir vorgefunden haben, die Finanzhilfen um zum Abbau von Steuervergünstigungen akzeptiert. Dann rund 40 Prozent abgebaut. Mittelfristig – bis 2007 – wer- wären wir nämlich einen Schritt weiter. den wir sie um 55 Prozent abgebaut haben. Das betrifft insbesondere die Steinkohle, aber auch das Wohnungs- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wesen und den Agrarbereich. DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, ich erinnere mich noch an Ich sage nachdrücklich: Wir gehen gegen Schwarz- die Wahlkämpfe. Sie von der Opposition sagten immer: arbeit und Steuerhinterziehung nicht mit bürokratischen runter mit den Steuervergünstigungen, runter mit den Fi- Monstergebilden vor – das ist gar nicht mein Thema –, nanzhilfen, runter mit den Subventionen! – Aber es geht aber jeder Mensch in diesem Lande muss wissen – dafür doch nicht – das sage ich auch zu Frau Merkel, die im brauchen wir auch eine andere moralische Einstellung; Moment nicht hier ist –, dass Sie uns dann bei konkreten ich sage das gerade vor dem Hintergrund einer Diskus- Vorschlägen, bei den tief greifenden Vorschlägen, die sion, die ich am Donnerstagabend in einer Talksendung wir zur Eigenheimzulage und zur Entfernungspauschale geführt habe –: Man kann hier nicht nur sein Geld ver- machen, nie unterstützen. dienen, sondern man muss hier auch seine Steuern be- zahlen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Unruhe) DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Anders kann es nicht gehen. Stellen Sie bitte niemanden als Helden dar, der hier sein Geld verdient, aber lieber Herr Minister, gestatten Sie mir für einen kleinen Au- woanders niedrigere Steuern zahlt. Auch da haben wir genblick eine Unterbrechung. – Ich würde gerne die Ge- eine gemeinsame Verantwortung. schäftsführer, die bei ihren eigenen Bemühungen nicht gänzlich erfolgreich waren, dabei unterstützen, das gebo- Es ist nicht alles mit demEinsatz von Polizei zu lö- tene Maß an Aufmerksamkeit für die Debatte herzustellen. sen. Ich will das auch gar nicht. Es ist ganz entschei- dend, dass die Menschen in diesem Lande in ihrem Den- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ken und Fühlen eine andere Haltung einnehmen. DIE GRÜNEN) Herr Dr. Gerhardt, Sie reden zu Recht davon, dass wir Dazu würde auch sehr beitragen, wenn informelle eine Gesellschaft mit Vollkaskomentalität sind. Schauen Verhandlungsrunden, die sicherlich dringlich sind, nicht (B) (D) Sie dabei aber bitte nicht nur auf die Arbeitnehmer inam Rande des Plenarsaals, sondern außerhalb des Ple- unserem Lande, schauen Sie auf alle, auch auf die Unter- narsaals durchgeführt würden. nehmer. Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen: (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Einver- standen!) Danke schön Herr Präsident. Leider ist das überall der Fall. Das muss sich ändern. Ich rede im Moment nur über Dinge, über die in die- sem Haus Einvernehmen besteht. Vielleicht ist das der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Grund für die vielen Gespräche. DIE GRÜNEN) (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem Wir suchen nach Alternativen zu Steuererhöhungen, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) trotz des riesigen Haushaltsloches, das wir haben. Ich sage ganz ausdrücklich: Ich will keine Steuererhöhun- Zurück zu den Steuervergünstigungen. Ich erinnere gen. mich noch lebhaft, wie viel Prügel wir – vor allen Din- gen ich – bezogen haben, als wir vor einem Jahr das Ge- (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie machen setz zum Abbau von Steuervergünstigungen auf den sie doch!) Tisch gelegt haben. Dann müssen wir aber endlich an dieFinanzhilfen und (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie reden Steuervergünstigungen herangehen. vom Abbau von Vergünstigungen? Das sind (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Machen Sie Erhöhungen!) es doch!) Sie haben erklärt, es handele sich um Steuererhöhungen. Wenn Sie sich diese Position zu Eigen machen, Herr (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Stimmt!) Merz, bin ich sehr froh. – Ganz vorsichtig! – Auf der Pressekonferenz, die Herr Bei den Finanzhilfen, bei denen wir alleine handeln Koch und Herr Steinbrück gemeinsam abgehalten haben, konnten, sind wir gut vorangekommen. Bei meinem hat Herr Koch erstens erklärt, der Abbau von Steuerver- Amtsantritt beliefen sich die Finanzhilfen des Bundes günstigungen sei keine Steuererhöhung; das habe er auf 11,4 Milliarden Euro. In diesem Jahr sind wir bei auch nie anders gesagt. 7,7 Milliarden Euro. Der Haushaltsplanentwurf für 2004 sieht noch 7 Milliarden Euro vor. Der mittelfristige Fi- (Lachen bei der SPD) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5763

Bundesminister Hans Eichel (A) Den letzten Teil der Aussage werde ich noch überprüfen. Ich will noch ein paar Bemerkungen zur Gemeindefi- (C) Er hat zweitens gesagt, man brauche das Geld zur Kon- nanzreform machen. Über dieZusammenlegung von solidierung der Haushalte. Dazu sage ich: wunderbar.Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe haben wir vorhin ge- Wenn er diese Einsicht ein Jahr früher gehabt hätte, dann redet. Der entsprechende Gesetzentwurf zeigt, dass der würden wir schon dieses Jahr weniger Schulden machen. Bund Wort hält, bereits mit dieser Maßnahme die Kom- Das ist wohl wahr. munen ab 2005 nachhaltig um 2,5 Milliarden und im nächsten Jahr um 1,9 Milliarden Euro zu entlasten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Die Reform der Gewerbesteuer zur Verstetigung der Einnahmen – ich mache keinen Hehl daraus, dass es Ich bin froh über das, was erreicht wurde. Herr Merz, in diesem Punkt Meinungsverschiedenheiten gegeben zu Ihrem Vorschlag, Steuervergünstigungen generell ab- hat; das weiß jeder – zeigt, dass die Verhandlungen zwi- zubauen, sage ich wieder: wunderbar. Damit bin ich ein- schen den Koalitionsfraktionen und der Bundesregie- verstanden. Sie können daher doch jetzt der Abschaf-rung zu einem vernünftigen Ergebnis geführt haben. fung der Eigenheimzulage und der Kürzung derMan kann sagen, dass mit dieser Reform die Kommunen Pendlerpauschale – so schwierig das ist, wie ich sehr bekommen, was sie wollen, nämlich eine verstetigte Ein- wohl weiß – zustimmen. Sie müssen nicht bis zu einem nahmequelle. Die Regelungen sind aber so, dass die fernen Jahr warten. Sie können es jetzt tun. Wirtschaft damit leben kann. Um dieses Ergebnis haben wir gemeinsam gerungen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In der Anhörung hat sich gezeigt, dass es niemanden mit ökonomischen Sachverstand mehr gibt, der bei- Durch die Reform der Gewerbesteuer erhalten die spielsweise die Eigenheimzulage für eine vernünftige Kommunen nachhaltig 3 Milliarden Euro. Es ergeben Veranstaltung hält. Die Bundesbank sagt: weg; der Sach- sich also insgesamt 5,5 Milliarden Euro Mehreinnahmen verständigenrat sagt: weg; die wissenschaftlichen For- für die Kommunen. schungsinstitute sagen: weg. Bei dem Abbau von Steuervergünstigungen sind die Wir streichen aber nicht ersatzlos; denn an die Stelle Kommunen übrigens auch dabei. Wir lösen die Pro- der Eigenheimzulage setzen wir einInvestitionspro- bleme dieses Landes nur dann, wenn wir die sozialen Si- gramm für Bund, Länder und Gemeinden in Höhe von cherungssysteme und die öffentlichen Haushalte von 25 Prozent der Ersparnis. Damit ergibt sich die Chance, Bund, Ländern und Gemeinden zusammen betrachten. (B) das modernste Instrument zur Wohnungsbauförderung Jedesmal, wenn Sie sich weigern, eine Steuervergünsti- (D) und zur Städtebauförderung, das für jede Region ange- gung abzubauen, dann verweigern Sie auch den Kom- messen gestaltet werden kann, in Deutschland zu entwi- munen ihren Anteil an den Mehreinnahmen, die sich aus ckeln. Beispielsweise kann im Großraum München der dem Abbau dieser Steuervergünstigungen ergeben. Neubau auf der grünen Wiese weiter gefördert werden, wenn das notwendig ist. In Ostdeutschland wird man das (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nicht tun. Dort wird man in die Innenstädte investieren, DIE GRÜNEN) die anderenfalls – das ist die Gefahr in Ostdeutschland – sozusagen leerlaufen würden. Bei der Einkommensteuer zum Beispiel sind Sie jedes Mal mit Forderungen nach einem Eingangssteuersatz (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des von 15 Prozent dabei. Wenn Sie Einsparungen bei der BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Eigenheimzulage ablehnen, dann sollten Sie auch wis- sen, dass Sie den Kommunen nachhaltig ungefähr Weil dieses Programm mit Investitionen verbunden ist, 1,7 Milliarden Euro verweigern. Das ist die Wahrheit, kommt es den Arbeitsplätzen unmittelbar zugute. Des- auf die hingewiesen werden muss. wegen ist es eine vernünftige Veranstaltung. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Was Herr Koch und Herr Steinbrück vorgeschlagen DIE GRÜNEN) haben, ist ebenfalls vernünftig. Mit diesem Vorschlag wird das Thema „Steuervergünstigungen“ endlich ent- Kernpunkte des Arbeitsergebnisses derGemeinde- tabuisiert. Darüber bin ich außerordentlich froh. Ich sage finanzreformkommission waren – Kollege Faltlhauser allerdings angesichts der aktuellen Finanzlage mit allem war ja Mitglied der Kommission –: Erstens. Wir sind ge- Nachdruck, dass das, was vorgeschlagen wurde, nicht nau im Zeitplan. Zweitens. Es ist ein gutes Ergebnis. reicht. Wenn die Steuerschätzung vorliegt, wird es noch Drittens. Die große Mehrheit – inklusive aller von CDU deutlicher werden, dass das nicht reicht. Wir werden im oder CSU geführten Länder – war für eine grundlegende Vermittlungsverfahren noch wesentlich weiter gehenGemeindefinanzreform auf der Basis einer reformierten müssen, als Sie sich das gegenwärtig vorstellen können, Gewerbesteuer zum 1. Januar nächsten Jahres. Das war wenn wir noch in diesem Jahr zu einer Lösung kommen die gemeinsame Beschlusslage. Nur die Wirtschaftsver- wollen. Das ist die Realität in diesem Lande. bände haben gegen eine grundlegend reformierte Gewer- besteuer gestimmt; gegen den 1. Januar nächsten Jahres (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ waren sie nicht. Alle anderen waren für eine solche Re- DIE GRÜNEN) form, auch Sie, Herr Faltlhauser. 5764 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Bundesminister Hans Eichel (A) Kein Mensch, jedenfalls keiner von der CDU/CSU, – Sie sollten vorsichtig sein. – Ihre Kommunalpolitiker, (C) hat übrigens gesagt – das finde ich hochspannend –, dass an der Spitze die Präsidentin des Deutschen Städtetages, er gegen die Einbeziehung der Freiberufler sei. In der sind ausdrücklich für dieses Konzept. Kommission gab es kein einziges Wort dazu. Bei allen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Modellen, die auf dem Tisch lagen, war vielmehr klar, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) dass die Selbstständigen bzw. die Freiberufler in die Ge- werbesteuer einbezogen werden. Sie sollten einmal klar machen, wieso Sie in der Kom- mission zur Reform der Gemeindefinanzen für eine (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten grundlegende Änderung zum 1. Januar nächsten Jahres des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) stimmen, wieso Sie alle in der Kommission ausdrücklich Das finde ich spannend. Wir wollen einmal sehen, wie sagen, dass dies auf der Basis einer modernisierten dieser Herbst angesichts dessen, was Sie in der Kommis- Gewerbesteuer erfolgen soll, und wieso Herr Merz und sion gesagt haben und was Sie tatsächlich tun, verläuft. die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordern, dass die Ge- werbesteuer abgeschafft wird. Das sollten Sie einmal er- (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das sehen wir klären, übrigens zuerst Ihren Kommunalpolitikern. dann im Dezember!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Zudem geht es um die sachlicheVerbreiterung der des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bemessungsgrundlage. Ein entscheidender Punkt ist – da- mit bin ich schon bei der Umsetzung der Protokollerklä- Fazit: Es ist eindeutig einzuräumen, dass das alles an- rung, wobei ich mich daran erinnere, dass sich Herrders als 1999, als wir den Konsolidierungskurs eingelei- Kauder ausdrücklich zu dieser Protokollerklärung be- tet haben – hätten wir ihn nicht eingeleitet, hätten wir kannt hat, was übrigens Ihre Kollegen im Haushaltsaus- dieses Jahr mindestens 20 Milliarden Euro mehr Schul- schuss gar nicht wussten; auch das fand ich hoch-den beim Bund –, nicht mehr nur von Bundesseite ge- spannend –, dass wir Umgehungsmöglichkeiten, also leistet werden kann. In einem föderalen Staat ist ein sol- Möglichkeiten, wie Gewinne in Unternehmen umdefi- ches Problem nur zu lösen, wenn wir es Bund, für niert werden, beseitigen wollen. Das betrifft das Thema Länder und Gemeinden gleichmäßig angehen. Das der Gesellschafterfremdfinanzierung. heißt selbstverständlich auch, dass es zu einer gemeinsa- men Beschlussfassung von Bundestag und Bundesrat (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten kommt. Das liegt nicht in der Verantwortung der Oppo- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sition im Deutschen Bundestag; das ist nicht mein Das ist ein Thema, das auch Bestandteil der Reform der Thema. Das liegt vielmehr in der Verantwortung der deutschen Länder. (B) Gemeindefinanzen ist und das Sie in unserem Gesetzent- (D) wurf und in dem, was zwischen den Koalitionsfraktio- Ich darf im Zusammenhang mit der Gemeindefinanz- nen und der Bundesregierung verabredet worden ist, fin- reform auf Folgendes hinweisen: Verfassungsrechtlich den. sind die Kommunen Bestandteil der Länder. Verfas- Meine Damen und Herren, wir hatten auch den Auf- sungsrechtlich sind die Länder für die Kommunalhaus- trag, uns mit der Frage zu beschäftigen, wie wir einehalte verantwortlich, nicht der Bund. Verstetigung erreichen, wie es also gelingen kann, dass (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die Verlustverrechnung nicht dazu führt, dass über des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) große Zeiträume hinweg – auf dieser Basis gibt es ja ganze Unternehmensstrategien – keine Steuern gezahlt Wir haben einen Vorschlag unterbreitet, wie wir auch werden, obwohl die Unternehmen Gewinne machen. mit Bundesmitteln helfen können, die kommunalen Fi- nanzprobleme tatsächlich zu lösen. Es ist aber höchste (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wer hat Ihnen Zeit, dass auch die Mehrheit im Bundesrat zu einem Er- das erzählt?) gebnis in dieser Frage kommt und nicht nur – was da- Die Antwort ist ganz einfach: Ein Unternehmen, das mals in der Kommission, Herr Kollege Faltlhauser, aus- Gewinne macht – und nur dieses –, soll Steuern zahlen. drücklich abgelehnt worden ist – eine Zwischenlösung Das heißt, die Verlustverrechnung, die übrigens in fast für ein oder zwei Jahre findet. In diesem Herbst muss allen Ländern, verehrter Herr Michelbach, auf unter-eine grundsätzliche Lösung gefunden werden. schiedliche Weise eingeschränkt wird, wird von uns (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nicht gekappt. Es ist vielmehr eine Streckung auf der des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zeitachse vorgesehen, damit die Kommunen eine bere- chenbarere Einkommensquelle haben. Ich sage das ohne jede Schärfe. Gestern fand hier eine sehr spannende Debatte über die Frage, wie der Födera- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lismus in Deutschland neu justiert werden muss, statt. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hans Ich habe sehr genau zugehört. Da ich schon auf allen Michelbach [CDU/CSU]: Aber die Liquidität Seiten gesessen habe und wahrscheinlich auch für fast für Investitionen fehlt!) alle Positionen zitierbar bin – ich sage das mit aller Of- Das alles, was wir hier vorlegen, ist ein vernünftiges fenheit –, will ich eines festhalten: Der föderale Staat, Paket. so, wie wir ihn haben, funktioniert nur dann, wenn es ab- seits aller parteipolitischen Unterschiede eine Grundge- (Widerspruch bei der CDU/CSU) meinsamkeit in der Frage gibt, welches die Aufgaben Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5765

Bundesminister Hans Eichel (A) des Staates sind und mit welchen Mitteln sie erfüllt wer- wiederholt werden müssen.1) Ich schlage nach Rückspra- (C) den sollen. che mit den Geschäftsführern vor, dass wir das in Ver- bindung mit den ohnehin beantragten namentlichen Ab- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten stimmungen zu diesem Tagesordnungspunkt vornehmen. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Da wir die Verfassungsreform – wie auch immer man (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Aber nicht das sehen will – noch nicht in diesem Herbst bekommen mehr zusammenwerfen!) werden, muss sich diese Grundgemeinsamkeit in diesem – Mit dem Zusammenwerfen haben wir ja dann gewisse Herbst bewähren. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Sie Erfahrungen. blockieren – dann werden Sie sehen, was das Volk davon hält – (Heiterkeit) (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Oder wir Es möge sich bitte jeder darauf einrichten, dass im verhindern Schlimmeres!) Anschluss an die Beiträge zu diesen Tagesordnungs- punkten zunächst die dazu beantragten namentlichen oder Sie kommen jetzt nach der Bayernwahl endlich – ich Abstimmungen durchgeführt und unmittelbar im An- dachte eigentlich, Ihr Verantwortungsbewusstsein er-schluss daran die beiden Abstimmungen wiederholt wer- wacht früher – zu dem Ergebnis, dass wir hier eine große den, die wir zu den vorherigen Tagesordnungspunkten gemeinsame Aufgabe im Interesse unseres Landes zu er- bereits durchgeführt haben. Das wird nach 13 Uhr sein. – füllen haben. Genau das erwarte ich von Ihnen. Ich stelle dazu zwar keine Begeisterung, wohl aber Ein- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ vernehmen fest. DIE GRÜNEN) (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Nein! – Das heißt nicht, dass alles genau so gemacht werden Friedrich Merz [CDU/CSU]: Nein! Es gibt muss, wie wir es vorgeschlagen haben; denn eines ist kein Einvernehmen! Darüber muss mit den klar: Wenn in Bundestag und Bundesrat unterschiedliche Geschäftsführern gesprochen werden!) Mehrheiten zustande kommen, muss man bereit und fä- hig sein, Kompromisse zu schließen. – Ich habe doch gerade auf die Absprache unter den Ge- schäftsführern verwiesen. Wenn jemand eine andere In einem Punkt jedoch dürfen wir alle keine Kompro- Meinung hat, wäre es hilfreich, wenn er sie mir mitteilte. misse wollen: Wir müssen grundlegende und harteSolange das nicht der Fall ist, gehe ich von dem festge- Reformen machen, damit dieses Land wirklich voran- stellten Einvernehmen aus, wobei das der Abfolge der kommt. An dieser Stelle darf es keine Nachlässigkeiten gemeldeten Redner nicht im Wege steht. (B) geben. (D) Ich erteile nun dem Kollegen Friedrich Merz das (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie Wort. beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU) In diesem Sinne fordere ich Sie dazu auf, in diesem Herbst Ihrer Verantwortung – das sage ich ausdrücklich in Richtung der Länder – gerecht zu werden. Wir müssen Friedrich Merz (CDU/CSU): ein großes Paket schultern, das dazu führt, dass die Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- grundlegenden Finanzprobleme von Bund, Ländern und ren! Nach dem, was wir hier gerade erlebt haben, könnte Gemeinden gelöst werden. man geneigt sein, zu sagen: Sie können noch nicht ein- mal mehr die Stimmen einer Abstimmung im Deut- (Anhaltender Beifall bei der SPD und dem schen Bundestag ordnungsgemäß auszählen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Uwe Küster Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: [SPD]: Herr Merz, Sie sind doch wieder voll Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, bitte neben der Kappe! – Weitere Zurufe von der ich um Aufmerksamkeit für einen kurzen Verfahrenshin- SPD) weis. – Wenn Sie sich darüber so aufregen, dann gibt es umso (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) mehr einen Grund, nachzufragen, was wirklich stattge- funden hat. In dem Bemühen um möglichst schleunige Auszäh- lung bei den beiden ersten namentlichen Abstimmungen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sind offenkundig Urnen von beiden Wahlgängen gleich- neten der FDP – Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie zeitig ausgeschüttet worden. sind ein Flachmann!) (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Das führt zu einer wundersamen Vermehrung der Zahl Ich möchte an dieser Stelle unterbrechen. – Herr Kol- der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die der Er- lege Merz, es gibt keine Veranlassung, mit der Panne bei mittlung eines zweifelsfreien Abstimmungsergebnisses erkennbar im Wege steht. Deswegen wird es keine Alter- native dazu geben, dass diese beiden Abstimmungen1) Siehe Seite 5757 D und 5788 A 5766 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert (A) der Abstimmung irgendwelche Vermutungen zu verbin- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (C) den. Darauf lege ich allergrößten Wert. neten der FDP) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Lassen Sie mich zunächst sagen, was mir bei Ihrer DIE GRÜNEN) Rede besonders aufgefallen ist. Wenn ich mich richtig erinnere – das Zuhören fiel mir schwer, weil Unruhe im Nun hat der Kollege Beck gebeten, eine Zwischen- Saal war –, haben Sie über folgendes Thema, obwohl wir frage stellen zu dürfen. Lassen Sie diese zu, Herr Merz? uns immerhin in der zweiten und dritten Lesung befin- den, nicht gesprochen: Sie haben in Ihrer Rede kein ein- Friedrich Merz (CDU/CSU): ziges Wort darüber gesagt, dass Sie noch immer beab- Bitte, Herr Kollege Beck. sichtigen, die dritte Stufe der Steuerentlastung auf das Jahr 2004 vorzuziehen.

Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Joachim Poß [SPD]: Das hat er gesagt!) Angesichts Ihrer Bemerkung frage ich Sie, ob Ihnen – Dann habe ich das überhört. Ich bitte um Nachsicht. bekannt ist, dass bei Auszählungen sowohl Schriftführer (Walter Schöler [SPD]: Er hat nicht zugehört!) der Koalition als auch Schriftführer der Opposition zu- gegen sind? Es hat hier offensichtlich ein Versehen gege- – Entschuldigung, ich habe das überhört. Es ist unruhig ben. Ich finde es bitter, dass das auf diese Art und Weise gewesen. Einigen Kollegen ging es genauso wie mir zum Gegenstand dieser Debatte wird. – ich habe sie gefragt –, dass sie das nicht gehört haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Da Sie zu diesem Thema also etwas gesagt haben, und bei der SPD) möchte ich kurz darauf eingehen und aus meiner Sicht sagen: Bilden wir alle uns nicht ein, dass Sie mit der drit- Friedrich Merz (CDU/CSU): ten Stufe der Steuerentlastung, die Sie auf das Jahr 2004 vorziehen wollen, die Probleme lösen, die wir in Herr Kollege Beck, wenn Sie mir zugehört hätten,Deutschland gegenwärtig haben. Als der Bundeskanzler dann wüssten Sie, dass ich gleich zu Beginn die Formu- das Vorziehen der dritten Stufe im August vor großer lierung „man könnte geneigt sein“ verwendet habe. Kulisse angekündigt hat, klang es so, als sei damit ein (Dr. Uwe Küster [SPD]: Mein Gott! Entschuldi- großer Durchbruch zu erzielen. gen Sie sich! – Weitere Zurufe von der SPD) Damit wir uns keine Illusionen machen – das gilt für uns alle –: Es hat in Deutschland noch nie einen wirt- (B) Daraufhin hat es bei Ihnen eine derart nervöse Reaktion (D) gegeben, dass ich mich zu einem zweiten Satz veranlasst schaftlichen Aufschwung gegeben, der über die Nach- gefühlt habe. Wenn an der Sache nichts dran ist, dann ist frageseite der Volkswirtschaft ausgelöst worden ist. das in Ordnung, dann kann man das bereinigen. Aber (Hans Eichel, Bundesminister: Das ist aber dass wir nach dem, was wir mit Ihnen in den letzten Jah- neu für Sie!) ren hier erlebt haben, bei solchen Vorfällen kritisch nachfragen, das können Sie uns nun wirklich nicht ver- – Nein, das ist nicht neu. – übeln. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Herr Eichel, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wenn Sie Verständnisfragen haben, dann kom- neten der FDP – Volker Beck [Köln] [BÜND- men Sie nach vorne und stellen Sie eine NIS 90/DIE GRÜNEN]: Größe ist, wenn man Frage!) Fehler eingesteht!) In der Geschichte gibt es nur eine Ausnahme davon, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibtnämlich die Sonderkonjunktur deutsche Einheit, die es einige Kollegen, die mir heute Morgen geraten haben, in den Jahren 1992 und 1993 gegeben hat. Sie war ganz mit dem Bundesfinanzminister schonend umzugehen. überwiegend kreditfinanziert, zum Teil wurde sie sogar Er stehe mit dem Rücken so sehr an der Wand, dass es in durch Steuererhöhungen finanziert. Wir alle wissen, dass der Öffentlichkeit als nicht anständig empfunden werde, sie nicht zu einem tragfähigen und dauerhaften Auf- wenn man ihn hier hart kritisiere. schwung mit Wachstum und Beschäftigung in den Fol- gejahren geführt hat. (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Eichel, der Ich sage Ihnen das nur, damit wir uns alle keine Watschenmann!) Illusionen über die Dimension der Aufgaben, die jetzt zu Ich habe offen gestanden überlegt, ob ich dem Rat tat- bewältigen sind, machen. Dazu muss natürlich auch die sächlich folgen soll, schließlich kann man mit Ihnen,Steuer- und Finanzpolitik einen Beitrag leisten. Die Be- Herr Finanzminister, in diesen Tagen wirklich nur Mit- arbeitung dieses Themas wird uns aus der Krise aber leid haben. Aber nachdem Sie sich entschlossen haben, nicht herausholen. hier heute Morgen wieder einmal in der Strategie den (Jörg Tauss [SPD]: Das sagen Sie mal Ausweg zu suchen, ständig die Opposition zu kritisieren Frau Merkel!) und uns dafür zu beschimpfen, dass die Dinge bei Ihnen nicht so laufen, wie Sie es gerne hätten, nehme ich von Herr Bundesfinanzminister, Sie haben hier die grund- diesem Vorhaben ausdrücklich Abstand. legenden Reformen, über die wir auch heute Morgen in Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5767

Friedrich Merz (A) der wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Debatte Aus dem Katalog der Steuergesetze, die hier heute zur (C) schon diskutiert haben, gelobt. Anschließend haben Sie Verabschiedung stehen, nenne ich Ihnen einen zweiten gesagt, dass es jetzt konsequent so weiter geht. Punkt. Dann wird auch deutlich, mit welcher Nachläs- sigkeit Sie mittlerweile mit dem Haushalt umgehen. Hier (Michael Glos [CDU/CSU]: steht eine Steuererhöhung imTabaksteuergesetz zur Drohung! Zitter, zitter!) Abstimmung. Herr Eichel, Sie haben zugestimmt – wir Da das aus Ihrem Munde kommt, Herr Bundesfinanzmi- auch –, dass es eine Gesundheitsreform gibt nister, kann man das wirklich nur als die denkbar (Zuruf von der SPD: Aha!) schlimmste Drohung empfinden, die in diesem Haus überhaupt ausgesprochen werden kann. – bevor Sie sich zu früh freuen, warten Sie ab –, deren Er- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- gebnis es unter anderem ist, dass wir ab dem Jahre 2006 neten der FDP) die gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland mit 4,2 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt subventio- Die desolate Lage der Staatsfinanzen, zu der es in den nieren. Sie haben gesagt: Dagegen rechne ich eine Ta- letzten Jahren und insbesondere in den letzten Monaten baksteuererhöhung. Wir werden die Tabaksteuer so er- gekommen ist, haben doch nicht wir zu verantworten. höhen, dass sie diese Subvention abdeckt und der Bundeshaushalt somit nicht belastet wird. (Jörg Tauss [SPD]: Doch, durch die Blockaden im Bundesrat!) (Hans Eichel, Bundesminister: Das habe ich nie gesagt!) – Nein, nein, Herr Kollege, schuld ist auch nicht eine an- gebliche Blockade im Bundesrat. Ich werde Ihnen das an Ergebnis ist: Aus dieser Tabaksteuererhöhung werden verschiedensten Punkten deutlich machen. Sie ab dem Jahre 2006 günstigstenfalls rund 2 Milliarden (Jörg Tauss [SPD]: Sie haben im Bundesrat Euro jährlich einnehmen und der Bundeshaushalt wird blockiert!) mit jährlich über 4 Milliarden Euro an Subventionen zu- gunsten der gesetzlichen Krankenversicherung belastet. – Da Sie über den Bundesrat reden, nenne ich Ihnen ein konkretes Beispiel. Das ist nicht Gegenstand der heuti- (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist die gen Gesetzgebung, aber es gehört in diesen Gesamtzu- Eichel-Logik!) sammenhang und wird im November behandelt. Als Bundesfinanzminister hätten Sie dieser Entschei- Aller Voraussicht nach müssen wir jetzt die Vorschrif- dung nie zustimmen dürfen. Es sind nämlich wieder ten zur Gewinnermittlung und das Körperschaftsteuerge- Subventionen. Wir können hier so lange und so viel wir (B) setz zugunsten der Kranken- und Lebensversicherung in wollen über Subventionsabbau reden: Wenn Sie auf(D) Deutschland korrigieren. Herr Eichel, diese milliarden- diese Art und Weise neue Subventionen für die Zukunft schwere Korrektur ist das Ergebnis einer völlig falschen zulassen und sie nicht aus Ihrem Haushalt decken, dann steuerpolitischen Weichenstellung des Jahres 2000, beschweren Sie sich bitte nicht bei der Opposition über die Probleme, die Sie mit Ihrem Haushalt haben. (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: So ist es!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nämlich der Einführung des so genannten Halbeinkünf- Sie haben hier die Fernsehsendung, in der Sie vor ei- teverfahrens, also der Entscheidung dieser Koalition –, nigen Tagen waren, erwähnt. Ich habe sie zwar nicht ge- leider mit Zustimmung des Bundesrates und nicht gegen sehen, aber ich habe davon gehört, dass Sie sich dort ve- den Bundesrat –, dass die Gewinne von Kapitalgesell- hement gegen Steuerflüchtlinge ausgesprochen haben. schaften steuerfrei bleiben und die Verluste nicht mehr Auch ich habe kein Verständnis für diejenigen, die ihre anerkannt werden können. Das ist das Ergebnis IhrerKarriere und ihren Wohlstand diesem Land verdanken Steuergesetzgebung. und ihm dann, wenn sie viel Geld verdienen, den Rücken kehren. Darin bin ich mit Ihnen einer Meinung. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Wir haben jetzt mit den Folgen Ihrer Steuergesetzge- der FDP) bung der letzten Jahre zu kämpfen, die Sie allein zu ver- antworten haben. Gegen diese Steuergesetzgebung habe Aber wir reden hier doch nicht über Boris Becker oder ich mich persönlich auch von dieser Stelle aus – damals die beiden Schumachers. Das ist doch nicht unser noch in Bonn und danach in Berlin – vehement ausge- Thema. Unser Thema sind die vielen Tausend Betriebe, sprochen. Ich empfinde wenig Genugtuung dabei, dass die diesem Land mitsamt den Arbeitsplätzen den Rücken ich gerade in diesen Fragen im Nachhinein in einerkehren, weil sie vor der Last der Sozialgesetzgebung, der Weise Recht bekomme und behalte, wie ich es mir für Steuergesetzgebung und der Arbeitsmarktgesetzgebung die Staatsfinanzen eigentlich nicht gewünscht hätte;die Flucht ergreifen. In der Summe sind die Belastungen denn wir haben es hier mit Steuerausfällen in Milliarden- für die Betriebe und die Arbeitsplätze zu hoch. – Die höhe zu tun. Herr Eichel, diese haben Sie und nicht wir Flucht dieser Unternehmen ist unser Problem, nicht zu verantworten. Boris Becker. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) neten der FDP) 5768 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Friedrich Merz (A) Das hat einen konkreten Bezug zu einem der vorlie- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (C) genden Gesetzentwürfe, dem Gesetz zur Wiederherstel- neten der FDP) lung der Steuerehrlichkeit. Glauben Sie denn im Ernst, dass mit Ihrer Steuerpolitik, mit diesem ewigen Hin und Ich will Ihnen etwas zurGewerbesteuer sagen, und Her, mit der ständigen Diskussion über weitere Steuerer- zwar ganz offen und genau so, wie ich es an anderer höhungen, die nicht nur vom Bundestag, sondern auch Stelle verkünde und auchschreibe: Ich bin der festen vom Bundesrat geführt wurde – Erbschaftsteuer, Wie- Überzeugung, dass die Gewerbesteuer keine Zukunft dereinführung der Vermögensteuer und viele anderehat. Steuererhöhungen –, ein einziger Euro in dieses Land (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und zurückkehrt, wenn Sie ein solches Gesetz beschließen der FDP) und ansonsten so weitermachen wie in den letzten fünf Jahren? Das Gegenteil wird der Fall sein. Sie zerstören Nun sagen uns unsere Städte und Gemeinden völlig zu jedes Vertrauen in die Ehrlichkeit, Beständigkeit undRecht: Das ist eine der wesentlichen Einnahmequellen Verlässlichkeit der Politik in diesem Lande. Deswegen der Städte und Gemeinden in Deutschland. Wenn die wird es zu einer weiteren Kapitalflucht kommen undGewerbesteuer wegfällt, dann muss an ihre Stelle ein an- kein Euro in die Bundesrepublik Deutschland zurück- gemessener Ersatz treten. – Dies ist völlig unstreitig. kehren. Von mir ist nie in Abrede gestellt worden, dass die Ge- meinden einen angemessenen, vollständigen, ich möchte (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sogar weitergehen: überkompensierten Ersatz für den neten der FDP) Wegfall der Gewerbesteuer brauchen, weil die Gemein- Ich wende mich einem weiteren großen Themenkom- den auch in Zukunft ihre Aufgaben erfüllen müssen. Da- plex zu. Sie haben den zweiten Durchgang zum so ge-für brauchen sie eine vernünftige finanzielle Ausstat- nannten Steuervergünstigungsabbaugesetz angesprochen. tung. Ich habe immer gesagt: Über eine Neustrukturierung der Das, was Sie uns vorschlagen, ist doch keine Reform. Eigenheimzulage können wir uns gerne unterhalten.Sie wollen die Freiberufler in die Gewerbesteuer einbe- Wir können auch über eine Neustrukturierung ziehen. der Dafür werden dann 700 000 bis 800 000 zusätz- Pendlerpauschale reden. Ich bin immer der Meinung liche Gewerbesteuerbescheide notwendig. Dazu werden gewesen, dass wir auf viele dieser Dinge ganz verzichten wahrscheinlich 2 000 oder 3 000 zusätzliche Steuerbe- könnten, wenn wir die Steuersätze in Deutschland soamte in der Steuerverwaltung benötigt. Dieser ganze weit senken, dass es unter dem Strich egal ist, ob dieAufwand ist erforderlich, damit eine Steuer erhoben Menschen ihren Arbeitsplatz in der Nähe oder in derwerden kann, die anschließend von der Einkommen- Ferne haben, solange es sich wieder lohnt zu arbeiten. (B) steuer wieder abgezogen werden darf. Was ist es für ein (D) Eines machen wir aber nicht mit: Wir werden Ihnen Unfug, eine Steuer zu erheben, die von einer bereits be- bei diesen Steuervergünstigungen nicht helfen, Ihrestehenden Steuer wieder abgezogen werden darf und für Haushaltsprobleme im laufenden Etat zu lösen, weil Sie die eine solche Bürokratie in Gang gesetzt werden muss? sie selber nicht mehr in den Griff bekommen, und uns (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) anschließend als Blockierer beschimpfen lassen. Wenn es um diese Fragen geht, dann stehen wir Ihnen nicht zur Damit an dieser Stelle kein Missverständnis entsteht, Verfügung. möchte ich festhalten: Niemand von uns spricht sich da- gegen aus, dass die Freiberufler in angemessener Weise (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- an der Finanzierung kommunaler Aufgaben beteiligt neten der FDP) werden. Das ist völlig selbstverständlich. Ich habe einmal das mitgeschrieben, was Sie gesagt ha- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ben: Es würde nun eineMindeststeuer eingeführt, was ganz einfach sei. So könne man die Probleme lösen, weil Im Übrigen tragen die Freiberufler ja bereits heute zur es viele Unternehmen gebe, die keine Steuern mehr zah- Finanzierung kommunaler Infrastruktur bei: Sie zahlen len. Sie aber würden dafür sorgen, dass sie das in Zukunft Einkommen- und Umsatzsteuer. Ich gebe zu, dass da täten, jedenfalls dann, wenn sie Gewinne machten. – Ich Diskrepanzen zwischen einer Steuerberatungs-GmbH kann Neugierige nur warnen. Wenn es durch das An-und der BGB-Gesellschaft eines Rechtsanwaltsbüros be- springen der Konjunktur im nächsten Jahr zu einem ge- stehen. Das ist wahr; das muss korrigiert werden, aber wissen Wachstumsschub kommen wird – das wird wahr- doch bitte nicht so, wie Siees hier vorhaben, und erst scheinlich geschehen, weil die Konjunktur in Asien und recht nicht mit einem solchen Aufwand. in Amerika besser läuft als in Europa und insbesondere Ich bleibe bei meiner festen Überzeugung, dass es in Deutschland – und Unternehmen in diesem Land im richtig ist, im Zuge einer Korrektur die Städte und Ge- Saldo wieder geringe Gewinne machen, diese Gewinne meinden zukünftig in anderer Weise an der Einkommen- aber nicht mit den Verlusten verrechnen dürfen, die in steuer den schlechten Jahren angefallen sind, dann wird die Ei- genkapitalbasis dieser Betriebe noch weiter ausgehöhlt. (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Richtig!) In diesem Fall ist die Insolvenz dieser Unternehmen in und auch grundsätzlich an der Körperschaftsteuer teilha- der Zeit des Aufschwungs programmiert. Sie sind von ben zu lassen. allen guten Geistern verlassen, diesen Weg vorzuschla- gen, Herr Finanzminister. (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Richtig!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5769

Friedrich Merz (A) Mit einem vernünftigen Beteiligungsmodell könnte man (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (C) den Einnahmeausfall durch Wegfall der Gewerbesteuer neten der FDP) für die Gemeinden kompensieren. Ich gebe zu, dass das kurzfristig nicht möglich ist; dazu brauchen wir Zeit. Ich will noch eine abschließende Bemerkung zur Das kann man jetzt nicht mal eben schnell am Jahres- Gewerbesteuer machen, denn Sie sind dabei, erneut ei- ende beschließen. nen wirklich schweren Fehler zu machen. Offensichtlich verstehen Sie, Herr Eichel, nicht – ich weiß nicht, ob Sie Den Städten und Gemeinden rufe ich aber in Erinne- von Ihrem Hause darauf hingewiesen werden –, dass das rung, da sie uns Bundespolitiker – das betrifft uns alle – ja finanzpolitische Tagesgeschäft immer wieder Folgepro- häufig kritisieren, dass alle Kompensationen, die die Ge- bleme mit sich bringt, die man dann irgendwann wieder meinden in Deutschland in den letzten Jahren durch den lösen muss. Es geht um Folgendes: Wenn Sie jetzt allen Bundesgesetzgeber bekommen haben, im Saldo ein gu- Ernstes so genannte ertragsunabhängige Bestandteile tes Geschäft waren. So wurden sie 1969 für die Einfüh- wie Mieten, Pachten, Zinsen und Leasingraten mit der rung der Gewerbesteuerumlage mit einer Beteiligung an Gewerbesteuer belegen wollen, dann entsteht zum einen der Einkommensteuer entschädigt, was ihnen mehr Ein- das innerstaatliche Problem, dass Sie dem Mittelstand nahmen brachte eine wesentliche Finanzierungsbasis entziehen. (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Richtig!) (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sehr richtig!) – ich freue mich, dass Sie zustimmen – und 1996 gegen Wir klagen alle über Basel II, aber jeder, der genau hin- den erbitterten Widerstand der Sozialdemokraten an der schaut, weiß, dass sich die Gemeinden mittlerweile über- Umsatzsteuer als Ausgleich für den Wegfall der Gewer- wiegend über Leasing finanzieren. Jetzt wollen Sie aber bekapitalsteuer beteiligt. Das haben wir schließlich im allen Ernstes Gewerbesteuer nicht nur auf Einnahmen Bundesrat gegen Ihren Willen durchgesetzt, weil diese aus Leasing, sondern auch auf die Leasingraten erheben. Maßnahme auch verfassungsrechtlich nötig war. Das ist wirtschaftspolitisch grober Unfug, auch wenn Sie es nur für verbundene Unternehmen vorsehen. Da ist so- (Bernd Scheelen [SPD]: Das ist Unsinn!) fort Streit über die Frage vorprogrammiert, was verbun- Im Ergebnis erzielen die Gemeinden über die Beteili-dene Unternehmen sind. gung an der Umsatzsteuer höhere Einnahmen, als sie durch den Wegfall der Gewerbekapitalsteuer verloren Dieses Vorhaben hat zum anderen aber auch die Kon- haben. sequenz, dass die auf ertragsunabhängige Bestandteile zu zahlende Gewerbesteuer – das kann eine erhebliche (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und zusätzliche Steuerlast mit sich bringen – in den meisten (B) der FDP) Doppelbesteuerungsabkommen nicht als inländische(D) Ertragsteuer anerkannt ist, sodass ausländische Kapital- Ich sage das an die Adresse der Städte und Gemeinden, gesellschaften diese in Deutschland gezahlte Steuer in damit sie verstehen, dass ich es für richtiger halte, eine ihren jeweiligen Herkunftsländern anschließend nicht langfristige Reform in ihrem Interesse vorzunehmen,auf ihre Steuerlast anrechnen können. Um es etwas ein- statt heute etwas zu beschließen, was uns den Weg zu ei- facher zu sagen: Tochtergesellschaften amerikanischer ner solchen Reform verbaut. Unternehmen, die hier in Deutschland tätig sind, werden (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) die zusätzliche Belastung, die durch die Erhebung von Gewerbesteuer auf ertragsunabhängige Bestandteile zu- Wenn wir heute etwas machen wollen – ich finde, wir stande kommt, in Amerika nicht mehr auf ihre in Ame- müssen etwas machen, weil die finanzielle Situation der rika fällige Steuer anrechnen können. Das hat zur Folge, Gemeinden sehr schwierig ist –, dann sollten wir diedass es eine fatale Steuererhöhung, die nicht auf die in- Gemeinden noch stärker an der Umsatzsteuer beteiligen, ländische Steuer anrechenbar ist, insbesondere für Kon- ihnen noch mehr von der Gewerbesteuer lassen, also die zerngesellschaften ausländischer Herkunft in Deutsch- Umlage senken, und darüber reden, wie wir den Ge-land geben wird. Wollen Sie das? meinden auf der Aufgabenseite ein Stück der Belastun- gen durch Arbeitslosenhilfe und insbesondere Sozial- (Hans Michelbach [CDU/CSU]: hilfe abnehmen können. Das bieten wir Ihnen an, meine Gespensterökonomie!) Damen und Herren. Herr Finanzminister, wenn Sie das bisher nicht richtig Sie wissen doch, Herr Clement – damit knüpfe ich an durchdacht haben, dann korrigieren Sie das um Gottes die Debatte an, die wir heute Morgen geführt haben –, Willen. Wenn Sie es selber nicht wollen, müssen wir Sie dass es mittlerweile in Deutschland in großem Umfang dazu zwingen, dass Sie dies korrigieren. in der zweiten und dritten Generation Sozialhilfekarrie- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ren gibt. Daran müssen wir etwas ändern. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: So ist es!) Sie haben zu Beginn Ihrer Rede erneut die Behauptung aufgestellt, die Probleme, die Sie jetzt im öffentlichen Nur, das Gesetz, das Sie uns heute Morgen dazu vorge- Gesamthaushalt und insbesondere im Bundeshaushalt legt haben, ändert an der finanziellen Lage der Gemein- haben, seien im Wesentlichen darauf zurückzuführen, den nichts, sondern verschärft sie eher. Deshalb müssen dass wir einen Konjunktureinbruch hätten und das wir uns über dieses Thema noch einmal im Vermitt-Wachstum nicht mehr in ausreichender Weise da wäre. lungsausschuss verständigen. Dass Sie dazu beigetragen haben, dass das Wachstum so 5770 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Friedrich Merz (A) zusammengebrochen ist, ist eine ganz andere Frage. Das Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: (C) ist nicht das Ergebnis des Konjunktureinbruchs, sondern Das Wort hat nun die Kollegin Anja Hajduk, Bündnis 90/ das Ergebnis Ihrer jahrelangen Fehleinschätzungen der Die Grünen. tatsächlichen wirtschaftlichen Entwicklung dieses Lan- des. Sie haben in jeder finanziellen Vorausschau in den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) letzten Jahren, seitdem Sie im Amt sind, andere Wachs- tumszahlen zugrunde gelegt, als tatsächlich eingetreten Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sind. Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ren! Wir verabschieden heute das Haushaltsbegleitge- Jeder kann sich irren. Wer von uns irrt sich nicht? Aber setz, welches ein Entlastungs- und Konsolidierungsvolu- wenn Sie den Irrtum zur Methode erheben, weil Sie von men von 4 Milliarden Euro beinhaltet. Dies ist ein Teil Anfang an immer viel zu günstige Wachstumszahlen zu- von insgesamt 14 Milliarden Euro, die in dem so ge- grunde gelegt haben, nannten Haushaltsstabilisierungskonzept für den Haus- halt 2004 enthalten sind. (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Vorsätzlich!) Ich meine, es sollte indiesem Hause keine unter- dann dürfen Sie sich anschließend nicht darüber wun- schiedlichen Meinungen über das Ziel geben, die Staats- dern, wenn Ihnen sämtliche Daten Ihres Haushalts aus- ausgaben zu begrenzen und einen mutigen Subventions- einander brechen. abbau zu betreiben. Mit Blick auf die Haushaltssituation sollten wir uns über diese Zielsetzung einig sein. Um es konkret zu sagen: Sie haben in den Jahren 2000 bis 2004 2,5 Prozent Wachstum im Jahresdurch- Ich denke auch, dass im Verlauf der Diskussionen in schnitt vorausgesagt. Im ersten Jahr dieser Voraussage dieser Woche mit Blick auf die Entwicklung des Haus- sind 0,6 Prozent eingetreten. Das ist eine Fehlerquotehalts im Jahr 2003 jedem klar geworden sein muss, dass mit dem Faktor 4. Sie haben für den Zeitraum 2001 bis die vorgesehenen Ausgabenreduzierungen unumgäng- 2005 ein Wachstum von 2,25 Prozent vorausgesagt. Im lich sind und dass wir es uns wahrhaftig nicht leisten ersten Jahr des Prognosezeitraums gab es 0,2 Prozent, können, einzelne Bausteine herauszubrechen, wo immer ein Fehler um den Faktor 12. Sie haben für den Zeitraum es uns gerade passt. 2002 bis 2006 erneut 2,25 Prozent vorausgesagt. Bei der Verabschiedung des Haushalts im März 2003 waren wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bei 0,75 Prozent. Die tatsächliche Entwicklung im Jahr Wir stehen auch in den laufenden Haushaltsberatun- 2003 ist null. Das ist das Ergebnis grandioser Fehlein- (B) gen noch vor großen Herausforderungen, was die Frage (D) schätzungen der wirtschaftlichen Lage dieses Landes. angeht, welche zusätzlichen Risiken noch zu berücksich- Das ist nicht die Opposition, Herr Eichel, das sind Sie. tigen sind. Das möchte ich durchaus zugeben, weil sich (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) daran die ein oder andere Kritik der Opposition auf- hängt. Wir stehen nämlich noch vor derNovember- Wer solche Fehleinschätzungen des Wachstums zumSteuerschätzung und es kann gut sein, dass das Ergeb- System erhebt, der darf sich anschließend nicht darüber nis zu weiteren Korrekturen und zusätzlichen Belastun- beklagen, dass er in die Geschichte der Bundesrepublik gen für den Haushalt 2004 führen wird. Deutschland als der Finanzminister eingehen wird, der den absolut und relativ höchsten Schuldenstand hinter- Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf zwei lässt, den es jemals in der Bundesrepublik Deutschland Punkte eingehen, den Subventionsabbau und die Rente. Die gegeben hat. Denn das ist die Lage. Regierung hat ihre Vorschläge dazu vorgelegt, in einem, wie ich finde, sehr weit gehenden Schritt Subventionsabbau zu (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) betreiben. Dies ist mutig und es ist in unserer Gesell- Am Ende dieses Jahres werden wir eine Neuverschul- schaft nicht einfach durchzusetzen. Es leistet auch im dung allein des Bundes von rund 42 Milliarden Euro für Hinblick auf die nächsten Jahre einen großen Beitrag, das Jahr 2003 haben. Es liegt immer noch kein Nach- eine Perspektive für die Konsolidierung der Staatsfinan- tragshaushalt vor. Wir warten immer noch darauf. Für zen zu schaffen. Das wird im Prinzip von der Opposition das Jahr 2004 werden die Zahlen nicht viel besser sein. auch nicht bestritten. Die Ministerpräsidenten Koch und Hören Sie auf, Theo Waigel zu beschimpfen! Sie sind Steinbrück haben ebenfalls einen Beitrag zu einem Sub- derjenige, der den höchsten Schuldenstand der Bundes- ventionsabbau mit Perspektive geleistet, der in der Tat republik Deutschland zu verantworten hat. notwendig ist. Ich sage es so, wie ich es denke, Herr Eichel: Sie sind Aber zu den Vorschlägen von Koch und Steinbrück als Bundesfinanzminister der Bundesrepublik Deutsch- weise ich darauf hin, dass sie nicht ausreichen. Unsere land das größte finanzpolitische Risiko, das den Vorder- Vorschläge im Haushalt 2004 gehen im Volumen deut- eingang des Bundesfinanzministeriums der Bundesrepu- lich darüber hinaus. Das ist auch notwendig. Sie von der blik Deutschland jemals betreten hat. Es wird Zeit, dass Union weisen in Ihren Beiträgen selber darauf hin, dass Sie gehen. der Haushalt 2004 eher Risiken birgt, als dass er klar finanziert sei. Deswegen möchte ich deutlich machen, (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Bei- dass wir unsere Vorschläge zum Subventionsabbau – ich fall bei der FDP) nenne als Stichworte die Eigenheimzulage und die Ent- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5771

Anja Hajduk (A) fernungspauschale – aufrecht erhalten müssen und wer- hindern. Das wäre unlauter. Ich fordere Sie auf, sich an- (C) den. ders zu entscheiden. Im Zusammenhang mit den Ausführungen des Kolle- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gen Merz möchte ich eines deutlich machen. Ich meine, und bei der SPD) es reicht heute nicht mehr aus zu sagen, wir können über die Eigenheimzulage und Entfernungspauschale spre- Ich möchte noch kurz – mir bleibt nicht mehr viel Zeit – chen. Wir können nicht jahrelang nur darüber sprechen; auf das Thema Rente eingehen. Angesichts der heutigen wir müssen vielmehr heute Entscheidungen treffen. Die Berichterstattung stelle ich fest, dass wir uns nicht nur Zeit des Redens muss irgendwann vorbei sein. perspektivisch, sondern ganz aktuell in einer sehr schwierigen Situation befinden. Ich möchte auch mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Blick auf meine eigene Fraktion und die Regierung sa- sowie bei Abgeordneten der SPD) gen: Wir müssen die Rentendebatte bereits heute noch Herr Merz, ich halte Ihre Äußerung, dass Sie uns ehrlicher führen. Angesichts der Gefahr, dass der Bei- nicht aus unseren Haushaltsproblemen heraushelfentragssatz auf 20,5 Prozentpunkte steigt, sage ich, dass wollen, für einen Riesenfehler. Es sind wahrhaft nicht wir dieses Problem nicht dadurch in den Griff bekom- nur unsere Haushaltsprobleme. men werden, dass wir die Schwankungsreserve nur ein bisschen weiter senken, dass wir den Bundeszuschuss (Hans Michelbach [CDU/CSU]: zur Rentenversicherung doch nicht um 2 Milliarden Sie sind das Problem!) Euro kürzen und dass wir die Rentenanpassung ein biss- chen verschieben. Das alles wird kaum ausreichen. Es sind zwar auch unsere Probleme, aber – weil wir zu wenig Mut zu Veränderungen aufgebracht haben – es (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie sprechen sind auch die der unionsgeführten Regierung bis 1998. doch ganz gegen Ihren Gesetzentwurf!) (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie haben doch – Ich gehe gleich auch auf Sie ein. die Veränderungen zurückgenommen!) Mit Blick auf die Entscheidungen, die am kommen- Deswegen ist es falsch, in diesem Bereich als Sprecher den Wochenende getroffen werden sollen und die ein der größeren Oppositionspartei die Position zu vertreten, paar Jahre Bestand haben sollen, werden wir noch ein- dass Sie uns nicht aus unseren Haushaltsproblemen he- mal über den Krankenversicherungsbeitrag der Rentner raushelfen werden. sprechen müssen. Wir sollten – dafür werbe ich – ehrli- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN chere Entscheidungen treffen, die nicht in eine Salami- sowie bei Abgeordneten der SPD – Hans taktik münden. (B) (D) Michelbach [CDU/CSU]: Es ist besser, Sie tre- (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Dann dürfen ten ab!) Sie nicht zustimmen!) Ich glaube auch, dass Ihnen das niemand so abnehmen – Doch! Das, was heute zur Entscheidung ansteht, ist das wird. Mindeste, was wir tun können. Das müssten Sie doch Der von Ihnen geschätzte und erwähnte Experte Pro- wissen! Schauen Sie sich den Haushalt nicht an? Es ist fessor Homburg hat in der Anhörung auch für mich sehr unglaublich, dass die CDU/CSU ankündigt – das hat sie überzeugende Argumente geliefert. In seiner Antwort sowohl gestern als auch heute getan –: Die Sofortmaß- auf meine Frage nach dem Subventionsabbau führte er nahmen betreffend die Rentenversicherung würden Sie Folgendes aus: blockieren. Über die langfristige Perspektive sind Sie sich sowieso noch nicht nig. ei Wie können Sie ange- Ich appelliere an alle Abgeordneten – weil es auf sichts Ihrer angekündigten Blockade es noch wagen, zu das Zusammenwirken zweier Kammern argumentieren, an- dass Sie die Einzigen seien, die auf die kommt –, beim Subventionsabbau jetzt wirklich vo- Einhaltung des Maastricht-Kriteriums achteten? Das ist ranzugehen. Man kann den Subventionsabbau nicht peinlich, unehrlich und inkonsequent. Das werden wir einfach wieder mit populären Argumenten auf-Ihnen vorrechnen. Das wird auch die Öffentlichkeit ver- schieben. stehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) und bei der SPD) Wenn das so ist – ich weiß, dass Sie persönlich dafür einstehen und entsprechend inhaltlich argumentieren –, Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: dann gebe ich Ihnen zu, dass wir eine Differenz über das Frau Kollegin Hajduk, Sie haben wahrscheinlich richtige Ausmaß der Steuerreform und der Herabsetzung übersehen, dass Sie Ihre Redezeit bereits deutlich über- des Spitzensteuersatzes haben. Hier können wir im Wett- schritten haben. bewerb stehen. Unsere diesbezüglichen Meinungsver- schiedenheiten werden wir in den nächsten Jahren noch austragen müssen. Aber eines möchte ich deutlich sagen: Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie von der Union dürfen wegen einer Differenz über die Ich komme zum Schluss. – Wir werden heute Arbeits- Steuerreform den Subventionsabbau, über den wir uns marktreformen beschließen und am Wochenende Ren- heute einig sind, heute nicht durch Ihre Ablehnung ver- tenreformen beraten. Ich sage mit Blick auf meine 5772 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Anja Hajduk (A) eigene Fraktion und die Regierung: Wir brauchen mehr Hinzu kommen die Erhöhungen der Tabaksteuer in ei-(C) Mut als bisher, um aus der heutigen Krise, die sehr groß nem Umfang von 2 Milliarden Euro sowie die Belastun- ist und in der wir sehr tief stecken, herauszukommen. Ich gen aus der Protokollerklärung zum Steuervergünsti- hoffe, dass wir entsprechend handeln werden. gungsabbaugesetz in Höhevon etwa 1,5 Milliarden Euro. Zusammen sind das etwa 9 Milliarden Euro Steu- Danke schön. ermehreinnahmen, denen Steuermindereinnahmen in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Höhe von 15 Milliarden Euro aus dem Vorziehen der und bei der SPD) Steuerreform gegenüber stehen. Hinzu kommt aber – das wird immer verschwiegen –, Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: dass die Steuerreform längst gegenfinanziert war. Nun hat das Wort der Kollege Dr. Hermann Otto (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Richtig!) Solms für die FDP-Fraktion. Bis heute beträgt der Saldo für die Steuerpflichtigen in Deutschland eine Mehrbelastung von 15 Milliarden Dr. Hermann Otto Solms (FDP): Euro. Rechnet man die oben genannten 9 Milliarden Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undhinzu, so beträgt die Mehrbelastung trotz Steuerreform Herren! Herr Bundesfinanzminister, Sie sind nun wirk- 24 Milliarden Euro. lich der Letzte, der vor Blockade warnen darf. Sie waren Das ist die Botschaft, die von Ihrer Steuerreform aus- als hessischer Ministerpräsident mit verantwortlich, dass geht. Sie wird dämpfende Wirkungen haben und zum 1998 unter Lafontaine die Steuerreform im Bundesrat Schluss zu großen Enttäuschungen führen, nämlich blockiert worden ist. dazu, dass die Arbeitslosigkeit hoch bleibt oder gar noch (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) weiter steigt und dass noch mehr Firmen in Konkurs ge- hen. Das wollen wir verhindern. Deswegen können wir Wo stünden wir heute, wenn die damalige Steuerreform Ihnen zu dieser falschen Maßnahme nicht die Hand rei- in Kraft getreten wäre? chen. (Hans Michelbach [CDU/CSU]: (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Haltet den Dieb!) der CDU/CSU) Dann würden wir uns über viele Probleme, mit denen Herr Bundesfinanzminister, eingangs haben Sie ge- wir es heute zu tun haben, nicht mehr streiten müssen. sagt, dass es um grundlegende Reformen geht. Ja, lassen (B) Das ist Ihre persönliche Verantwortung. Sie uns zusammen grundlegende Reformen angehen.(D) Wir sind für eine radikale Steuerreform, durch die (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) sämtliche Ausnahmen verschwinden. Wir haben einen Gesetzentwurf für eine neue Einkommensteuer ausgear- Nach der Tagung der Bundesregierung in Neuharden- beitet, in der es überhaupt keine Ausnahmen, dafür aber berg, wo verkündet wurde, die letzte Stufe der Steuer- einen niedrigen Tarif gibt. Das können wir gemeinsam reform solle um ein Jahr vorgezogen werden, hat unser verabreden, nicht aber solche Mogelpackungen, bei de- Bundesvorsitzender Guido Westerwelle erklärt: Wenn es nen verdeckte Steuererhöhungen beschlossen und Steu- darum geht, Wachstumsimpulse auszulösen, werdenersenkungen vermieden werden. wir das unterstützen. Diese Zusage ist damals gemacht worden. Was ist aber in der Zwischenzeit aus Ihren Vor- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten haben geworden? Können wir diese Zusage überhaupt der CDU/CSU) noch einhalten? Ich sage es gleich: Das können wir Ich möchte noch etwas zum Kollegen Merz sagen. nicht; denn das vorliegende Gesetzespaket wird über- – Herr Kollege Merz, könnten Sie bitte einen Moment haupt keine Wachstumsimpulse hervorrufen. Ganz im aufmerksam sein? – Er hat ja in vielen Zeitungen seine Gegenteil: Es hat eine deutlich dämpfende Wirkung. Sie Vorstellungen über eine Steuerreform angekündigt, die machen den Menschen ständig vor, dass sie entlastet unseren Auffassungen sehr nahe kommen. Ich begrüße würden. Das Gegenteil ist der Fall: Es gibt Mehrbelas- das ausdrücklich und wünsche Ihnen, dass Sie dafür tungen für die Bürger. Ich kann Ihnen das kurz vorrech- auch die Zustimmung der CDU/CSU und auf Ihren Par- nen. Allein das vorliegende Haushaltsbegleitgesetz, das teitagen die Mehrheit bekommen. Denn wenn ich sehe, heute zur Verabschiedung ansteht, enthält eine Reihe dass Sie Haushaltsmittel in Höhe von 35 Milliarden von steuerlichen Mehrbelastungen: die Streichung der Euro für die Gesundheitspolitik vorsehen, habe ich Eigenheimzulage und die Senkung der Entfernungspau- Zweifel, ob Sie das erreichen können. Denn wo soll dann schale sowie die Maßnahmen betreffend die Landwirt- noch Spielraum für eine Steuerreform bestehen? Daher schaft und den öffentlichen Dienst. Für den Bürger ist sage ich auch an die CDU: Die Themen gehören zusam- der Wegfall einer Steuerbegünstigung selbstverständlich men. Man kann sie nicht isoliert betrachten. eine Steuererhöhung. Sollte Herr Koch etwas anderes gesagt haben, hat er Unrecht. Das sind Steuererhöhun- (Beifall bei der FDP) gen in Höhe von 5,5 Milliarden Euro. Meine Damen und Herren, ich möchte noch etwas (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Michael zum Thema Gewerbesteuer sagen. Mit Ihrem Gewerbe- Glos [CDU/CSU]) steuerreformvorschlag sind Sie schon in Ihren eigenen Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5773

Dr. Hermann Otto Solms (A) Reihen gescheitert. Er wird den Ansprüchen einer um- Denn man braucht keine Kontrollmitteilungen, wenn (C) fassenden Reform der Gemeindefinanzen nicht gerecht. die Zinsen schon an der Quelle, also bei der Bank, be- Die Gewerbesteuer hat in unserem Rechtsraum nichts zu steuert werden. Das ist völlig unnötig. Stellen Sie sich suchen. Sie ist eine einseitige Belastung der deutschen diesen Wahnsinn einmal bei Millionen Bankkonten in Wirtschaft. Europa vor. Wie soll die Anwendung solcher Kontroll- mitteilungen dann funktionieren? Das ist, allein aus (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten administrativen Gründen, überhaupt nicht zu leisten. der CDU/CSU) Herr Bundesfinanzminister, über den Haushalt will Die Gemeinden müssen anders finanziert werden: durch ich gar nicht reden. Das wird der Kollege Rexrodt tun. einen höheren Umsatzsteueranteil und selbstverständlich Dieses Thema ist noch schlimmer als das Thema Steu- durch einen Zuschlag auf die Körperschaftsteuer und die ern. Sie haben am 9. November 2000 in der Humboldt- Einkommensteuer mit eigenem Hebesatzrecht. Universität gesagt: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist lange Das wäre ein vernünftiger Vorschlag. Dieses Vorgehen her!) würde auch den Weg für eine radikale Einkommensteu- „Zukunftsvorsorge statt Zinsausgaben“. Das ist das erreform freimachen. Motto für die Finanzpolitik der Zukunft. Schulden machen heißt die Zukunft verspielen. (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sehr richtig!) Damit haben Sie sich damals den Ruf des Sparministers Bei Beibehaltung der Gewerbesteuer geht das nicht. erworben. Heute haben Sie leider den Ruf des Pumpmi- (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Hans nisters, des Schuldenministers, bekommen. Michelbach [CDU/CSU]) (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der Um die Ernsthaftigkeit Ihrer Bemühungen zur Ver- CDU/CSU) besserung der Gemeindefinanzen zu überprüfen, geben Warum haben Sie sich nicht an Ihre eigenen Vorstellun- wir Ihnen heute die Chance, der Einführung desKon- gen gehalten? Jetzt kann Ihren Ruf niemand mehr retten. nexitätsprinzips in namentlicher Abstimmung zuzu-Sie haben ihn selbst verkommen lassen. stimmen. Das heißt nämlich, dass derjenige, der Ausga- ben festlegt und bestimmt, dann auch die Zeche zu (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) zahlen hat. Wenn also der Bund höhere Ausgaben der Ich bedauere das; aber es ist so. Gemeinden beschließt, dann muss er auch für die ent- (B) sprechenden Finanzmittel sorgen. Gleiches gilt auch für Wir halten imVermittlungsausschuss die Tür für (D) die Länder. eine vernünftige Finanzierung des Vorziehens der Steu- erreform auf. Wir sagen heute nicht, dass wir das ableh- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten nen werden. Aber ich weise schon jetzt darauf hin: Die der CDU/CSU) Maßstäbe werden sehr streng sein. Wir sehen uns also im In Hessen hat es dazu eine Volksabstimmung gegeben, Dezember hier wieder. die positiv entschieden worden ist. Daraufhin ist das Vielen Dank. Konnexitätsprinzip in die hessische Landesverfassung eingeführt worden. Das sollten wir auch auf Bundese- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) bene tun. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Eine Bemerkung zu Ihrem Vorschlag bezüglich der Steueramnestie. Wir haben diesen Vorschlag immer be- Ich erteile dem Kollegen Joachim Poß, SPD-Fraktion, grüßt. Eigentlich geht er auch auf unsere Vorstellungen das Wort. zurück. Aber er funktioniert nur, wenn Sie umfassendes (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vertrauen in den Kapitalmarkt Deutschland herstellen. (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ja, sehr Joachim Poß (SPD): richtig!) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ein- gangsbemerkung von Herrn Merz war für die deutsche Das heißt selbstverständlich, dass Sie eine solche Re- Öffentlichkeit sicherlich sehr aufschlussreich. Herr Merz gelung mit der Einführung einer dauerhaften Abgeltung- hat sich wirklich als das entlarvt, was er in den letzten steuer bei der Zinsbesteuerung verbinden müssen, dass Wochen zunehmend geworden ist: als jemand, der auch Sie ein Verbot der Vermögensteuer in die Verfassung zu den billigsten Mitteln greift, um der Koalition am aufnehmen müssen, dass die Diskussion über die Erhö- Zeug zu flicken. hung der Erbschaftsteuer auf dem bevorstehenden Par- teitag der SPD beendet werden muss, dass Sie die unsin- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des nigen Kontrollmitteilungen fallen lassen müssen und BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) dass das Bankgeheimnis gestärkt werden muss. Das ist ein Niveauverlust, den man sich schlimmer gar (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten nicht vorstellen kann. Hier den billigen Jakob zu geben der CDU/CSU) ist nicht nur die Methode Merz, sondern auch die 5774 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Joachim Poß (A) Methode CDU/CSU. Sie sind nämlich in wichtigen Fra- (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Einer (C) gen völlig uneinig. Das ist die Realität. Lösung!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sie haben weiter gehende Vorstellungen, denen wir nicht folgen wollen, weil wir meinen, dass das im Inte- Im Übrigen hat der Kollege Merz auch noch dieresse der Versicherten nicht erforderlich ist. Wir wollen Übersicht verloren. Er hat gesagt, wir berieten dieBe- der Versicherungswirtschaft in der Tat nicht zu weit ent- steuerung der Lebens- und der Krankenversicherun- gegenkommen. gen gar nicht heute, sondern Anfang November. Er scheint sich mit den Details wohl nicht mehr so genau (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie müssen auszukennen. Natürlich beraten wir das heute. Im Übri- das ganze System wieder ändern!) gen waren die Verhandlungen mit der Union im Finanz- ausschuss einvernehmlich. Auch die Verhandlungen mit Deswegen bitte ich Sie, den Kollegen Austermann über den Ländern waren einvernehmlich. Herr Austermann diesen Sachverhalt in Kenntnis zu setzen. Dass Ihr haus- hat gesagt, wir stünden für eine Gesetzgebung auf Zuruf. haltspolitischer Sprecher nicht einmal weiß, was im Das ist nicht so. Wir haben die Regelung dieser Frage Finanzausschuss besprochen wird, ist ein Beleg dafür, bereits im Frühjahr im Vermittlungsausschuss verabre- wie chaotisch es bei Ihnen zugeht. det. Heute steht dieser Punkt auf der Tagesordnung und (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Nehmen Sie wir befinden darüber. also zurück, dass es eine einvernehmliche Lö- Wenn sich Herr Merz damals in der Frage der Besteu- sung war?) erung durchgesetzt hätte, dann hätten diese Versiche-– Ich möchte jetzt auf das nächste Thema zu sprechen rungsgesellschaften ihre Verluste in 2001 und 2002 in können. vollem Umfang geltend machen können. Durch den Bör- sencrash befinden wir uns seit dem Frühjahr 2001 in ei- Im Hinblick auf die weitere wirtschaftliche Entwick- ner Situation, die man leider als wirtschaftliche Stagna- lung halte ich es für unverantwortlich, dass sich CDU tion bezeichnen muss. und CSU über die Frage der Vorziehung der Steuerre- form bis heute Morgen nicht im Klaren waren. Wo soll denn Sicherheit für Investoren, Unternehmer und Ver- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: braucher herkommen, wenn eine große Volkspartei in ei- Herr Kollege Poß, gestatten Sie eine Zwischenfrage ner für die weitere wirtschaftliche Stabilisierung so des Kollegen Dautzenberg? wichtigen Frage keine klare Position hat? Das ist doch die traurige Realität dieser CDU/CSU. (B) (D) Joachim Poß (SPD): (Beifall bei der SPD) Ja, gerne. Deswegen sagen wir: Sie haben nicht das Recht, sich einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung entgegen- Leo Dautzenberg (CDU/CSU): zustellen; denn es geht hier – auch da lag Herr Merz Herr Kollege Poß, nehmen Sie zur Kenntnis, dass im falsch – nicht nur um Nachfrageaspekte, sondern es geht Finanzausschuss gerade die Fragen der Lebens- und der auch um die Stärkung der Angebotsseite, um die Stär- Krankenversicherungen nicht einvernehmlich beraten kung der Investitionskraft der mittelständischen Wirt- worden sind? Nehmen Sie auch zur Kenntnis, dass die schaft. Wer das nicht versteht, kann keinerlei Kompetenz CDU/CSU-Fraktion einen weiter gehenden Antrag ge- in der Ökonomie oder Finanzpolitik vorweisen. Herr stellt hat, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, Merz hat heute Morgen demonstriert, dass er diese bei- gerade die Jahre 2001 und 2002 einzubeziehen? den Aspekte nicht versteht. (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD) DIE GRÜNEN) Wir brauchen darüber hinaus Klarheit über die Per- Nehmen Sie darüber hinaus zur Kenntnis, dass nicht spektiven für die Städte und Kommunen. Sie haben ei- unser, sondern Ihr Antrag angenommen worden ist und nen Anspruch darauf, dass wir ihnen zum 1. Januar 2004 dass die SPD-Fraktion nachher in Aussicht gestellt hat, umfassende Klarheit über ihre zukünftige Einnahmen- das wieder in Abrede zu stellen, was sie einseitig durch- und Ausgabensituation verschaffen. gesetzt hat? Mit anderen Worten: Als Sie zu der Erkennt- (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Aber kein nis kamen, dass Ihre Entscheidung gerade für den Fi- Geld!) nanz- und Kapitalmarkt fatale Folgen hat, haben Sie sie zurückgenommen; andernfalls hätte keine Sondersitzung Das, was wir heute hier verabschieden, wird über den durchgeführt werden müssen. Tag hinaus Bestand haben. Das ist die erste umfassende Gemeindefinanzreform seit über 30 Jahren, mit der wir die Einnahmensituation der Kommunen stabilisieren und Joachim Poß (SPD): die Ausgabenseite – das ist für die Großstädte besonders Herr Kollege, ich bitte zur Kenntnis zu nehmen, dass wichtig, die hohe Sozialleistungen zu tragen haben – wir diese Frage in Abstimmung mit den Ländern einer entlasten. Wir werden die Städte und Gemeinden von Lösung zugeführt haben. den Lasten der Langzeitarbeitslosigkeit befreien. Das ist Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5775

Joachim Poß (A) wahrlich historisch. Über dieses Gesamtprojekt befinden kommenden Jahr um mehr als 1 Milliarden Euro entlas- (C) wir hier. tet. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Hier stehen insbesondere Frau Merkel als Parteivor- DIE GRÜNEN) sitzende – Herr Merz spielt nicht die entscheidende Rolle – Dazu wollen Sie Nein sagen? Hier wollen Sie sich sperren und die Situation der Kommunen nicht verbes- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sern? Eine solide Finanzsituation der Kommunen ist auch für die kleinen und mittleren Unternehmen wichtig; und Herr Stoiber in der Verantwortung. Sie müssen sich denn die Kommunen sind ein wichtiger Auftraggeber. über das klar werden, was sie wirtschafts- und finanz- Außerdem müssen sie auch in der Lage sein, die soziale politisch eigentlich wollen. Die Obstruktion reicht nicht und kulturelle Infrastruktur zu finanzieren. Aus partei- mehr aus, sie ist für die weitere Entwicklung in der Bun- taktischen Gründen und weil Sie konzeptionell in derdesrepublik Deutschland unverantwortlich. Frage der Gewerbesteuer zerstritten sind, verweigern Sie (Beifall bei der SPD) den Kommunen die notwendige Hilfestellung. Das ist schäbig, das ist gegenüber den Kommunen, dem Bund Wir haben ein Paket geschnürt – mit der Reform der und den Ländern unverantwortlich. Gewerbesteuer und den Entlastungen aus der Zusam- menlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe –, das Ver- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ besserungen für die Kommunen bedeutet: schon im DIE GRÜNEN) nächsten Jahr um 4,5 Milliarden Euro und ab dem Jahr Es ist doch nicht so, dass sich nur Deutschland in ei- 2005 um 5,5 Milliarden Euro. ner Stagnationsphase befindet. Leider ist in ganz Europa Wir beweisen, dass diese Koalition ein verlässlicher seit drei Jahren Stagnation zu verzeichnen. Das spiegelt Partner für alle Städte und Gemeinden in Deutschland sich in den öffentlichen Finanzen auf allen Ebenen wi- ist. Wir haben ein Konzept vorgelegt, mit dem wir die der. Deshalb müssen Sie Ihrer Verantwortung gerechtgemeindliche Finanzautonomie stärken. Es wird doch werden, das gilt insbesondere für Frau Merkel, aber auch überall gefordert, die Städte und Gemeinden nicht ans für Herrn Stoiber. Herr Faltlhauser wird gleich zu uns Gängelband zu legen. Genau dieser Forderung entspre- sprechen. chen wir mit unserem Konzept. Wir stärken die ge- Wir stehen vor einer fundamentalen Herausforderung. meindliche Finanzautonomie. Es geht um die Erhaltung und Sicherung derfinanziel- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kerstin len Handlungsfähigkeit des Staates auf allen Ebenen. Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (B) Dabei sind zwei Dinge von entscheidender Bedeutung: (D) ein möglichst schnelles und nachhaltiges Wiederansprin- Deshalb sind die Kommunalpolitiker von CDU/CSU mit gen von Konjunktur und Wachstum und eine Weiterfüh- Frau Roth an der Spitze auch dafür. rung der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte auf allen Ebenen. Ich kann Sie hier nur dringend bitten, sich von dem Dogmatismus zu verabschieden, den Herr Merz heute Man kann Bundesfinanzminister Eichel überhauptMorgen wieder einmal bewiesen hat, und zu einer prag- nicht absprechen, dass er in der Frage der nachhaltigen matischen Lösung zu kommen, die sowohl im Interesse Finanzpolitik glaubwürdig ist. der mittelständischen Wirtschaft als auch im Interesse (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ der Kommunen liegt. DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Anders als Sie ist er glaubwürdig. Das haben auch die Abg. Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE Zahlen, die er heute Morgen genannt hat, belegt. GRÜNEN] – Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Deshalb entlasten Sie auch die Großunterneh- (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Herr Poß, das ist men bei der Gewerbesteuer!) sogar unter Ihrem Niveau!) – Wir entlasten die Großunternehmen nicht. Die Regierungskoalition geht dies alles konsequent und unbeirrt an und hat umfangreiche Gesetzentwürfe (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Schauen Sie vorgelegt, mit denen Deutschland entscheidende Schritte sich einmal die Staffelstufen an!) vorankommen kann. Wir bieten mit diesen Gesetzent- Wenn Sie sich das Modell einmal genauer anschauen, würfen nicht nur erhebliche Entlastungen für den Bund, stellen Sie fest: Wir entlasten insbesondere die kleinen sondern auch für die Haushalte der Länder, und Herr mittleren Unternehmen. Schauen Sie sich das ein- Faltlhauser, und der Kommunen. mal genau an! Mein Kollege Scheelen wird Ihnen das Die Länder würden, wenn sie den heute zu beschlie- auch noch im Einzelnen erläutern können. Machen Sie ßenden Gesetzen im Bundesrat zustimmen würden, be- sich einmal sachkundig! reits im nächsten Haushaltsjahr um mehr (Hans als Michelbach [CDU/CSU]: Schauen Sie 4 Milliarden Euro entlastet, und zwar mit steigender sich einmal die Staffelstufen an!) Tendenz in den Folgejahren. Es ist also auch im Inter- esse CDU/CSU-geführter Länder, diesen Gesetzentwür- Mit Ablauf des heutigen Tages tritt die Gesetzgebung fen zuzustimmen. Die Kommunen würden bereits imin ihre abschließende Phase im Bundesrat. Damit ist der 5776 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Joachim Poß (A) Zeitpunkt erreicht, an dem die Union in der Finanzpoli- realisiert werden, vielleicht auch erst später. Dabei – das (C) tik endlich Farbe bekennen muss. hat eine andere Arbeitsgruppe festgestellt – gibt es admi- nistrative Probleme. Schließlich bestehen Verzerrungen (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kerstin zwischen Stadt und Umland. Deshalb ist diese Art der Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Regelung der Gemeindefinanzen gegenwärtig – ich un- Wenn es die Union heute nicht macht, nicht machenterstreiche zweimal: gegenwärtig – nicht relevant. kann, weil sie nicht sortiert ist, im Bundesrat muss sie zu Dies, Herr Bundesfinanzminister, war die einzige re- jeder einzelnen Maßnahme konkret und abschließend sa- levante Gemeinsamkeit in der Kommission für die Ge- gen, wie sie dazu steht. Es liegt in der Verantwortung der meindefinanzreform. Ich bitte, den Konsens nicht dahin CDU/CSU und insbesondere von Frau Merkel und Herrn gehend zu interpretieren, dass über alle Einzelheiten Stoiber, endlich zu entscheiden, ob Sie an der Stabilisie- Einigkeit geherrscht hätte; denn so war es nicht. Wir wa- rung der wirtschaftlichen Entwicklung durch das Vor- ren uns nur darüber einig, dass wir die Gemeindefinanz- ziehen der Steuerentlastung, die erst für das Jahr 2005 reform auf der Basis der Gewerbesteuer durchführen. vorgesehen war, mitwirken wollen. Es ist Ihre Verant- Darüber hinausgehende Interpretationen können Sie in wortung, endlich zu entscheiden, ob Ihre Seite bei den Ihrem Ortsverband machen, aber bitte nicht im Bundes- nötigen Strukturreformen mitmacht oder ob Sie eine tag. Sonthofen-Strategie à la Merz verfolgen wollen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das war Strauß!) Wir haben mit unserer Mehrheit im Bundesrat ein Sofortprogramm beschlossen. Einer der Kernpunkte Sie müssen sich entscheiden und Sie müssen die Ent-– ich bin noch immer bei den Gemeinsamkeiten – war scheidung allein treffen. Wir haben umfangreiche, gute die Senkung der Gewerbesteuerumlage von 28 auf Vorlagen geliefert, von denen nicht nur der Bund, son- 20 Prozent. Allein schon der Anstand gegenüber den dern auch Länder und Kommunen profitieren. Heute ist Kommunen gebietet eine solche Entlastung. Die Anhe- ein guter Tag für die deutschen Kommunen. bung erfolgte schließlich nur als Gegengewicht zu ver- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ muteten Steuermehreinnahmen, zu denen es aber auf- DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU) grund der Streichung der Abschreibungstabellen gar nicht gekommen ist. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall des Abg. Michael Glos [CDU/CSU]) Das Wort hat nun der Staatsminister ProfessorIn diesem Punkt besteht ebenfalls Gemeinsamkeit. (B) Faltlhauser für den Freistaat Bayern. Auch wir haben die Senkung der Gewerbesteuerumlage (D) (Beifall bei der CDU/CSU) gefordert. Hier sind wir uns ein Stück entgegengekom- men. Dr. Kurt Faltlhauser, Staatsminister (Bayern): Aber es gab schon mehr Gemeinsamkeiten. Die Bun- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Städte desregierung wollte den Mehrwertsteueranteil für die und Gemeinden sind in Not. In manchen Bereichen ha- Kommunen von jetzt 2,2 Prozent auf 3,6 Prozent anhe- ben bis zu einem Drittel der Städte und Gemeinden keine ben. In dem Kompromissvorschlag, den offenbar die Chance, einen genehmigungsfähigen Haushalt vorzule- Vorkämpfer für den Fortschritt – wie Herr Poß – durch- gen. Bundestag und Bundesrat, beide zusammen, haben gesetzt haben, ist davon nichts mehr zu sehen. Das halte nur noch knapp zwei Monate Zeit, Abhilfe zu schaffen. ich nicht nur für schade, sondern schlicht und einfach für einen Fehler. Es gibt kaum einen Bereich, in dem die Politik unter so hohem Einigungszwang steht wie in diesem. Oder (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. glauben Sie etwa, Herr Poß, dass Sie Ihren Oberbürger- Dr. Andreas Pinkwart [FDP]) meistern in Nordrhein-Westfalen sagen können: „WirDenn wenn Sie nur die Gewerbesteuerumlage senken, haben ja den Stein der Weisen gefunden, aber der Bun- bringt das Vorteile lediglich für diejenigen Gemeinden, desrat war nicht einsichtig“? Tatsache ist also schlicht die durch die Gewerbesteuer große Einnahmen erzielen. und einfach, dass sich Bundestag und Bundesrat zusam- Es gibt aber viele Gemeinden, gerade kleine, für die die menraufen müssen. Gewerbesteuer relativ irrelevant ist. Ein höherer Anteil Wenn das so ist, dann müssen wir zunächst einmalvon nichts bringt nichts. schauen, ob wir Gemeinsamkeiten haben. Ich glaube, (Bernd Scheelen [SPD]: Dann hatten sie ja auch dass wir eine Gemeinsamkeit im Grundsätzlichen haben: fast nichts! Was ist das für eine Logik?) Wir sind mittlerweile auf einem gemeinsamen Träger- schiff, der Gewerbesteuer. Die Arbeitsgruppen der Kom- Deshalb müssen Sie zusätzlich eine entsprechende Rege- mission für die Gemeindefinanzreform haben eine Reihe lung für die Mehrwertsteuer schaffen. von Daten und Fakten vorgelegt, die uns zu der Erkennt- (Beifall bei der CDU/CSU) nis geführt haben, dass man zumindest in kurzer Zeit eine andere Reform, etwa einZuschlagsystem, nicht Das Sofortprogramm ist in diesem Punkt sehr gut austa- realisieren kann. Es ist ein Zeitproblem. Frühestens 2006 riert. Wenn Sie mit Ihrem Gemeindeverband darüber könnte ein Zuschlagsystem nach dem VCI-Vorschlagsprechen, wird dieser Ihnen bestätigen, dass die Ge- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5777

Staatsminister Dr. Kurt Faltlhauser (Bayern) (A) meinde allein von einer Senkung der Gewerbesteuerum- ßen Städten wie Frankfurt und München tätig ist. Wir(C) lage nichts hat. haben es genau durchgerechnet: Bei einem Gewerbe- steuerhebesatz von 490 Prozent ergibt sich für einen Die Bundesregierung war auch an einem anderenFreiberufler, der im Jahr 100 000 Euro verdient, eine zu- Punkt schon weiter, die Gemeinsamkeiten waren schon sätzliche Belastung von immerhin 2 693 Euro. Draußen umfänglicher, zum Beispiel in der Frage derSubstanz- im Land, wo die Hebesätze entsprechend niedriger sind, besteuerung. Ich erinnere mich noch gut an eine denk- wird es diese Mehrbelastung nicht geben. Es kommt also würdige Sitzung der Kommission für die Gemeindefi- zu einer dramatischen Verzerrung mit all ihren Folgewir- nanzreform, in der zunächst einmal der Innenminister kungen nicht nur im Hinblick auf die Gerechtigkeit, son- von Nordrhein-Westfalen gesagt hat, dass eine möglichst dern auch auf die Verlagerung von Firmensitzen und Sit- breite Bemessungsgrundlage hergestellt werden sollte. zen von Freiberuflern. Darauf hat Bundeswirtschaftsminister Clement gegen- über seinem ehemaligen Minister eine bemerkenswerte Entscheidend ist aber – Herr Kollege Merz hat richti- Wortmeldung gewagt. Er hat darauf hingewiesen, dass gerweise darauf hingewiesen –: Für 90 Prozent der Frei- das entscheidende Problem, das wir in diesem Landeberufler wird ein ungeheurer Aufwand betrieben, als hät- hätten, das fehlende Wachstum sei; nur durch Wachstum ten wir tatsächlich noch die Möglichkeit, mehr könnten wir Arbeitsplätze schaffen. Wenn die Substanz- Steuerbeamte einzustellen. Wir haben sie nicht, Herr besteuerung in massiver Weise eingeführt würde, würde Eichel. Im Gegenteil: Wir müssen in allen Ländern das Wachstum ebenso massiv behindert. schauen, dass wir Personal abbauen, weil wir uns auf- grund Ihrer Wachstumspolitik haushaltspolitisch über- Das Ergebnis war, dass die Bundesregierung die Sub- nommen haben. stanzbesteuerung aus dem ersten Entwurf wieder heraus- genommen hat. Das war für uns ein erstaunlicher, aber Wenn wir nicht die Möglichkeit haben, zusätzliches auch erfreulicher Vorgang. Personal einzustellen, dann haben wir auch nicht die Möglichkeit, die Feststellungen zur Gewerbesteuer- Jetzt Salto rückwärts, offenbar dank der „Fortschritts- pflicht für Freiberufler durchzuführen und diese Feststel- kräfte“ in der SPD-Fraktion. Es gibt in dem Vorentwurf lungen an die Städte weiterzugeben. Dies geht nicht; der keine wesentliche Differenzierung zwischen Groß und administrative Wust ist völlig unsinnig. Deshalb meinen Klein. Im Gegenteil, eine Reihe von Dingen schaden ge- wir, dass dies ein harter Punkt in der Auseinanderset- rade dem Mittelstand. Man muss zum Beispiel daranzung ist. Einen derartigen Unsinn können und werden denken, dass eine gängige Finanzierungsformmittel- wir nicht mitmachen. ständischer Kapitalgesellschaften folgende ist: Die Firma bekommt von der Bank nicht mehr so leicht Geld; (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (B) (D) also holt sich der Gesellschafter mit seinem Privatver- Wir sollten vielleicht etwas mehr auf die Ausgaben- mögen als Sicherheit Geld, weil er kreditwürdig ist, und seite schauen. Die Kommunen werden durch eine Viel- gibt es an die Firma weiter. Dieser Vorgang wird durch zahl sich ständig vermehrender Aufgaben belastet, die die Vorlage unmöglich gemacht. Dadurch werden insbe- sich zudem noch unglaublich dynamisch entwickeln. sondere mittelständische Firmen geschädigt. Wir haben dies in unserem Sofortprogramm berücksich- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und tigt. Das Sozialgesetzbuch VIII muss im Hinblick auf der FDP) die Leistungen im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe unbedingt geändert werden. In diesem Bereich gibt es Es gibt also keine Vorteile für den Mittelstand. Durchdynamische Entwicklungen, die keine Kommune mehr das, was Sie vornehmen, ergibt sich ein massiver Rück- bewältigen kann. schritt. Ich glaube, dieser Arbeitsgruppenkompromiss ist ein Sieg der Ideologie über wirtschaftspolitische Ver- Der Gesetzgeber schaut bis jetzt zu. Dieser Zustand nunft. muss beendet werden. Wir können den Kommunen doch nicht per Gesetz Pflichten auferlegen, deren Umfang von Herr Minister Clement, ich verstehe gar nicht, wieJahr zu Jahr um 10, 15 oder 20 Prozent steigt. Da muss man in Berlin mit Ihnen umgeht. Trotz Ihrer Überzeu- die Politik reagieren. Ich verlange, dass die Bundesregie- gungen wird ein solcher Beschluss gefasst. Wir gehen rung in diesem Punkt endlich reagiert. Wir können nicht mit unseren Superministern besser um. immer von einer Verbesserung der Einnahmeseite für die (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und Kommunen reden. Wir müssen auch von einer Entlas- der FDP) tung der Kommunen auf der Ausgabenseite sprechen. Herr Poß, ich fordere Sie dringend auf, dass Sie uns bei Die Freiberufler werden im Zuge der Kompromiss- den Verhandlungen im Vermittlungsausschuss in diesem findung, die wir durchstehen müssen, ein harter Punkt Punkt etwas entgegenkommen. sein. Herr Kollege Merz hat schon darauf hingewiesen: Etwa 10 Prozent der 780 000 Freiberufler werden zu- ( [SPD]: Damit könnt ihr sätzlich belastet. in Bayern anfangen, in München!) (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Mit welchen Be- Sie haben gesagt, dass Sie nicht wissen, was die trägen? Gucken Sie sich doch die Beträge an!) Union bei der Finanzreform eigentlich will. Ich will sa- gen, was wir unter dem Sofortprogramm verstehen. Es Ich füge noch hinzu, dass die Masse der Freiberufler,handelt sich um ein notwendigerweise kurzfristig wir- wie Rechtsanwälte und Steuerberater, vor allem in gro- kendes Hilfsprogramm. Eine dauerhafte Lösung kann es 5778 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Staatsminister Dr. Kurt Faltlhauser (Bayern) (A) schon deshalb nicht sein, weil wesentliche Elemente die stehenden Konzepten sehen. Zu einem solchen großen(C) Verschiebung von Lasten von den Kommunen auf den Wurf muss es im Jahre 2004 kommen. Bund und auf die Länder sind. Das ist keine Reform im Großen. Von einer großen Reform muss man mehr er- (Joachim Poß [SPD]: Dann kommt noch Herzog! warten. 34 Milliarden zusätzliche Steuern!) Nach der Verabschiedung eines entsprechenden Kom- Durch Millimeterstolpereien nach vorne, Herr Poß, promisses müssen wir intensiv an die Arbeit gehen und werden Sie nichts erreichen. Wir müssen schnell, mutig eine große Reform unter der Überschrift „Vereinfachung und weitgreifend die Steuern reformieren und Konzentration des Steuerrechts“ angehen. Professor (Joachim Poß [SPD]: Und vor allem inkon- Kirchhof hat hier dankenswerte Vorarbeit geleistet, die kret!) wir massiv unterstützt haben. Die Vereinfachung, die im Vordergrund stehen sollte, bedeutet nicht nur eine Milli- und die Gemeindefinanzen in dieses Reformkonzept ein- meterkorrektur bei den Sätzen. So wie es jedoch Kirch- bauen. Die Kommunen sind in Not. Ihnen muss kurzfris- hof vorgeschlagen hat, wird es mit Sicherheit nicht um- tig geholfen werden. Aber sie brauchen auch eine lang- setzbar sein. Ich persönlich hätte massive Bedenken,fristige Perspektive. Wir werden daran mitarbeiten. eine Flat Tax in Höhe von 25 Prozent in diesem Land zu (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) akzeptieren.

Aber ich stelle fest – damit gehe ich auf das ein, was Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Solms gesagt hat –: Die Oppositionsfrak- Ich bedanke mich beim letzten Redner insbesondere tionen sind hier aktiv und machen langfristige, konstruk- für den konstruktiven Beitrag zum Einspielen eines Teils tive Vorschläge. der überschrittenen Redezeit, was es uns erleichtert, eini- (Zurufe von der SPD: Wo denn?) germaßen im Zeitplan zu bleiben. Das zeigen die Drucksachen, die von der Opposition Nun hat das Wort die Kollegin Kerstin Andreae für vorgelegt worden sind, und das, was Herr Merz vorstel- Bündnis 90/Die Grünen. len wird und was die CSU ihrerseits erarbeiten und dann sicherlich gemeinsam mit der CDU vertreten wird. Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Joachim Poß [SPD]: Nur im Konkreten, da Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und versagen Sie gänzlich! Da haben Sie keine Herren! Kommune ist Lebensqualität. Hier sind die Kin- Meinung!) dergärten, die Schulen, die Volkshochschulen, die Thea- (B) (D) ter, die Parks und die Schwimmbäder. Wir haben schöne – Warten Sie es ab und prüfen Sie es! Auch Sie hätten Städte und starke Städte. Wir haben eigenständige genug Luft, Ihrerseits entsprechende Konzepte zu ent- Städte. wickeln. Aber um dies zu erhalten, brauchen die Kommunen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) eine bessere Finanzkraft. Was tun Sie stattdessen? – Sie basteln herum, indem (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Sie erst die Steuerreform um ein Jahr vorziehen wollen SES 90/DIE GRÜNEN) und dann doch einen Kompromiss anstreben. Mit der- artigen Basteleien werden Sie in diesem Land keinenDie Kommunen wollen eine Finanzkraft aus eigener Millimeter zusätzlichen Wachstums bekommen. Kraft. Sie wollen eine eigene Steuer. Herr Merz hat vor- hin gesagt, die Kommunen seien damit zufrieden, wenn (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) die Gewerbesteuer abgeschafft und ein entsprechender Nur wenn Sie tatsächlich eine Perspektive eröffnen, wo- Ausgleich geschaffen werde. Das ist falsch. Die Kom- hin die Steuerpolitik in diesem Land langfristig geht, munen haben immer gesagt, sie wollten eine eigene, wirtschaftskraftbezogene Steuer mit einem kommuna- (Joachim Poß [SPD]: Sie sind ja nicht mal in len Hebesatzrecht. der Lage, sich über das Vorziehen zu verstän- digen!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) werden die Leute wieder Mut zu Investitionen haben. Nur dann werden wieder Investoren nach Deutschland Bei der Reform der Gemeindefinanzen, wie wir sie kommen. heute auf den Weg bringen, und der Entwicklung der Ge- werbesteuer hin zu einerGemeindewirtschaftsteuer (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sind vielleicht ein paar Details des vorliegenden Gesetz- neten der FDP) entwurfes durcheinander geraten. Natürlich belassen wir bei den nicht verbundenen Unternehmen die Bemes- In ein derartig langfristiges Konzept müssen wir so- sungsgrundlage so, wie sie derzeit festgelegt ist. Und wir fort und schnell auch die Finanzierung der Kommunen senken die Steuermesszahl auf 3,2 Prozentpunkte. einbauen. Das gehört sachnotwendig zusammen. Das se- hen Sie an dem bereits vorliegenden Konzept von Herrn (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Anheben tun Kirchhof und das werden Sie sicherlich an den noch aus- Sie sie! Anheben für die Unteren!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5779

Kerstin Andreae (A) Natürlich sehen wir einen Freibetrag in Höhe vonmüssen jetzt springen; heute, nicht morgen! Sie müssen (C) 25 000 Euro vor, der für alle, übrigens auch für die Frei- den Kommunen gegenüber Ihrer Verantwortung gerecht berufler, gilt. werden und dem Konzept, das wir vorgelegt haben, zu- stimmen. Es ist aber auch so, dass wir im Hinblick auf die ver- bundenen Unternehmen – hier besteht nun einmal ein (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ausgewiesener Steuergestaltungsspielraum – einer For- und bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ derung nachkommen, die im Übrigen in vielen Land- CSU]: Eichel soll springen!) tagswahlkämpfen und im Bundestagswahlkampf immer wieder aufgetaucht ist und die da hieß: Schließt diese In den letzten Monaten haben wir aus den Kommunen Gestaltungsmöglichkeiten! Verhindert, dass Finanzie- Berge von Resolutionen bekommen, aber nicht nur von rungspotenziale so genutzt werden, dass die großenschwarzen Gemeinderäten. Darunter waren viele von Konzerne keine Gewerbesteuer mehr zahlen! Dies tun grünen und roten, aber eben auch von schwarzen Ge- wir mit diesem Gesetzentwurf. meinderäten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Zuruf von der CDU/CSU: Warum wohl?) und bei der SPD – Hans Michelbach [CDU/ Diese haben uns aufgefordert: Ändert die Gewerbesteuer CSU]: Substanzbesteuerung ist doch keine Ge- im Sinne des Kommunalmodells! Entwickelt euch in staltungsmöglichkeit!) Richtung einer auf die Wirtschaftskraft bezogenen Das Ganze hat ja auch eine wirtschaftspolitischeSteuer. Diese Resolutionen liegen bei uns auf dem Tisch Komponente. Die Kommunen sindder große Auftrag- und wir sind diesen nachgekommen. Ich kann den Ge- geber im Bereich derBauwirtschaft. Wenn wir die meinderäten vor Ort nur sagen: Der Adressat ist neu, es Kommunen mit einer ordentlichen Finanzkraft ausstat- sind nämlich die Ministerpräsidenten der schwarz regier- ten, dann sind sie wieder in der Lage, Investitionen in ten Länder. Appelliert an diese, unser Modell im Bun- die Infrastruktur, in Schulen und Straßen zu tätigen. desrat nicht zu blockieren! (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Dafür muss (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN man die Unternehmen kaputtmachen!) und bei der SPD) Das wird genau so geschehen. Es kann nicht sein, dass ein kleiner Teil – ich be- haupte, es ist nur ein kleiner Teil – der CDU/CSU-Bun- Jetzt komme ich zur Union. Seit Monaten ist diesedestagsfraktion den Kommunen die Zukunft verbaut. Reform im Gespräch; aber die Union findet keine eigene Die Union ist sich nicht einig. Es gibt in Ihren Reihen (B) Position. Man hat so das Gefühl, als ob Sie nach dem unterschiedlichste Positionen. Unser Modell ist richtig. (D) Motto handeln: Der Berg kreißte und gebar ein Mäus- So und nicht anders soll es gemacht werden. Ich kann chen. nur an Sie appellieren, ihm zuzustimmen. Dieses Sofortprogramm ist ein alter Hut und enthält Vielen Dank. zwei Punkte. Einer betrifft die Senkung der Gewerbe- steuerumlage. Herr Michelbach, ich kann mich noch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gut daran erinnern, wie wir hier am 4. Juli dieses Jahres und bei der SPD) darüber gesprochen haben. Ich habe Ihnen damals ge- sagt, dass die Senkung der Gewerbesteuerumlage für uns Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: der richtige Weg ist. Daraufhin haben Sie einen Zuruf Ich erteile der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch das Wort. gemacht, der lautete: Dann tun Sie es! Herr Michelbach, wir tun es. Wir senken mit diesem Gesetzentwurf die Gewerbesteuerumlage auf 20 Prozent. Das ist der rich- Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos): tige Weg. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr ge- ehrte Gäste! Ich bin Abgeordnete der PDS. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) (Lachen im ganzen Hause) Es ist aber auch richtig, dass die Kommunen gesagt Der Kanzler und sein Finanzminister erklären immer haben, sie wollten keinen höheren Anteil an der Umsatz- wieder, dass man nicht mehr ausgeben kann, als man steuer; stattdessen wollen sie die Senkung der Gewerbe- einnimmt, und dass wir alle über unsere Verhältnisse le- steuerumlage. Aber eine Senkung der Gewerbesteuer- ben. Angesichts dessen stelle ich mir die Frage, warum umlage macht nur dann Sinn, wenn wirdie Steuerreform die vorgezogen werden soll, wenn in die- Gewerbesteuer neu fassen. Sonst bekommen sie tatsäch- sem Jahr mit einer Rekordneuverschuldung von 40 Mil- lich ein Mehr von nichts. Wir fassen die Gewerbesteuer liarden Euro gerechnet wird. Wie können Sie, Herr neu, senken die Umlage und können damit die Einnah- Eichel, es zulassen, dass auf Steuereinnahmen in Höhe men der Kommunen deutlich erhöhen. von 22 Milliarden Euro verzichtet wird, wenn gleichzei- tig klar ist, dass Sie damit eine noch höhere Neuver- Frau Kollegin Hajduk hat es vorhin im Zusammen- schuldung riskieren? Das ist Steuerpolitik nach Börsen- hang mit der Eigenheimzulage gesagt: Sie von der Op- lage. position können nicht ewig nur darüber reden und viel- leicht irgendwann einmal ein Konzept entwickeln. Sie (Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos]) 5780 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Dr. Gesine Lötzsch (A) Herr Eichel, Sie handeln nicht wie ein Finanzminister, Angesichts dieser Zahlen könnte bei den Bürgerinnen (C) sondern wie ein Spekulant an der Börse, der mit geborg- und Bürgern der Eindruck entstehen, dass die Bundesre- tem Geld auf steigende Kurse setzt. Das Spekulieren an gierung Geld in die eine Tasche steckt, um es aus einer der Börse ist hoch riskant, das wissen wir alle. Da esanderen Tasche wieder herauszuziehen. Doch dieser Ein- auch nicht Ihr Geld, sondern das der Steuerzahler ist, ist druck ist leider falsch. Richtig ist: Bei vielen Bürgern diese Politik unverantwortlich. zieht die Bundesregierung Geld aus der Tasche, um es einigen wenigen – ich nenne das Stichwort Steuerge- Ich habe den Eindruck, dass sich die Argumentatio- schenke für die Reichen – in die Tasche zu stecken. nen von Herrn Eichel von Fall zu Fall um 180 Grad dre- hen. Wenn es um einfache Lohn- und Gehaltsempfänger, Wir als PDS lehnen dieses Ge setz wegen seiner sozialen um Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger geht, dann ist Schieflage ab. Ich bin mir sicher, dass das Gesetz, wenn es bei der SPD und der CDU das große Kürzen angesagt. im Vermittlungsausschuss durch die Hände der CDU ge- Da wird unentwegt der Gürtel enger geschnallt. Wenn es gangen ist, nicht besser, sondern schlechter sein wird. aber um Steuersenkungen und insbesondere um Steuer- geschenke für Konzerne und Großverdiener geht, wird (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist ja un- mit vollen Händen ausgeteilt. erhört!) Das ist nicht nur so dahergesagt, sondern dafür gibt es Von einigen Kollegen aus der CDU ist schon diskutiert harte Fakten: Die Lohnquote, die den Anteil der Arbeit- worden, dass sie endlich eine Entsozialdemokratisierung nehmerentgelte am Volkseinkommen ausdrückt, ist in der CDU wollen. Das kann man an Ihren Vorschlägen, den letzten Jahren kontinuierlich gesunken und hat im wie zum Beispiel an den Vorschlägen der Herzog-Kom- Jahre 2002 das Niveau der 70er-Jahre erreicht. mission zur Entsolidarisierung der Krankenversiche- rung, auch klar erkennen. Schlimm ist aber, dass nicht In Anbetracht dieser Tatsache, meine Damen undnur die CDU einen Prozess der Entsozialdemokratisie- Herren von der FDP, finde ich es – um es höflich auszu- rung durchmacht, sondern vor allen Dingen die Sozial- drücken – sehr verwunderlich, wenn Sie in dem vorlie- demokraten, die SPD selbst. Das werden Ihnen von der genden Entschließungsantrag die ArbeitnehmerinnenSPD Ihre Wählerinnen und Wähler nicht danken – das und Arbeitnehmer in diesem Land auffordern, länger un- sehen Sie schon an den Umfragen –, sie werden Ihnen entgeltlich zu arbeiten. Wo leben wir denn? bei den nächsten Wahlen die Quittung erteilen. (Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos] – Vielen Dank. Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das steht da nicht drin!) (Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos]) (B) – Natürlich steht es darin. In Drucksache 15/1753 (D) schreibt die FDP unter Punkt 4 – ich darf zitieren –: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun der Kollege Günter Rexrodt für die Der Deutsche Bundestag appelliert an Arbeitneh- FDP-Fraktion. mer und Arbeitgeber, durch eine Verlängerung der unbezahlten Arbeitszeit zur Steigerung des Brutto- inlandsprodukts und damit zu höheren Steuerein- Dr. Günter Rexrodt (FDP): nahmen beizutragen. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Rah- men dieses wichtigen Gesetzgebungsverfahrens stehen Sie fordern Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer also zwei Fragen im Mittelpunkt: Kommt es zum Vorziehen auf, unentgeltlich länger zu arbeiten. der Steuerreform und wenn ja, wie wird sie finanziert? Die Bundesregierung ist offensichtlich nicht bereit, Ich sage eingangs: Es wird höchste Zeit, dass es eine auf das Vorziehen der Steuerreform zu verzichten. Wa- Entlastung bei der Einkommensteuer gibt. Die Sprei- rum gehen Sie nicht wenigstens auf den Vorschlag der zung zwischen den Spitzensätzen bei der Körperschaft- Bürgermeister von Hamburg und , von Beuststeuer mit 38 Prozent und der Einkommensteuer mit und Scherf, ein, in diesem Jahr auf die Senkung der Spit- 48,5 Prozent ist die Ursache für die Verdrossenheit im zensteuersätze von 45 auf 42 Prozent zu verzichten?Mittelstand und den Attentismus bei den Investitionen in Diesen Kompromissvorschlag würde auch die PDS un- den letzten Jahren. terstützen; denn er wäre ein Signal an die Gesellschaft, (Beifall bei der FDP) dass wenigstens der Versuch unternommen wird, die so- ziale Schieflage dieser Politik etwas zu korrigieren. Nachdem 2002 der Bundesfinanzminister die Steuerre- form, weil sie nicht zu finanzieren war, unter Hinweis auf Das von Ihnen vorgelegte Haushaltsbegleitgesetzdie Flut verschoben hat, wollen Sie diese nun vorziehen. sieht unter anderem vor, die Entfernungspauschale für Die Weisheit, wie das solide zu finanzieren ist, bleibt uns Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu senken. verschlossen. Herr Diller und Herr Finanzminister Eichel, Sie wollen die Eigenheimzulage abschaffen, die Bundes- Verlässlichkeit drückt eine solche Politik nicht aus. In Ihrer zuschüsse für die Rentenversicherung um 2 Milliarden Steuerpolitik wie auch in anderen Politikbereichen legen Euro kürzen sowie beim Erziehungsgeld sparen. Insge- Sie keine Verlässlichkeit an den Tag. Es ist aber gerade samt sollen 2004 durch Wirkungen dieses GesetzesVerlässlichkeit, was die Wirtschaft braucht. 10 Milliarden Euro weniger in die Kasse fließen und in den Folgejahren jeweils 11 bis 12 Milliarden Euro mehr (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten eingenommen werden. der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5781

Dr. Günter Rexrodt (A) Steuersenkungen werden vorgenommen, damit die aus. Sie haben vier Jahre mit Bündnissen für Arbeit und (C) Wirtschaft wieder investiert, damit sich das Rad wieder für sonst etwas vertan. Das von ihnen gewollte Schmie- dreht. Aber wie soll daraus etwas werden, wenn den Ent- den von Bündnissen war ein Herummogeln um die wirk- lastungen von 15,6 Milliarden Euro im Jahr 2004 durch lichen Probleme und um einschneidende Reformen. Ihre Finanzierungsvorschläge zunächst 5,5 Milliarden Euro an neuen Belastungen gegenüberstehen und diese (Vorsitz: Präsident ) zusätzlichen Belastungen aufgrund von Steuererhöhun- Nun sieht es so aus: Aus einem Land, das bei der wirt- gen in den Jahren 2005 bis 2007 auf sage und schreibe schaftlichen Entwicklung einen Spitzenplatz eingenom- mehr als 12 Milliarden Euro steigen? Das ist keine Ent- men hat, ist ein Land geworden, dem das Vertrauen in lastung; das konterkariert den Effekt, aufgrund dessen die Regierung fehlt. Wir sind ein Land, das nicht mehr man Steuern senkt. zukunftsorientiert ist. Verzagtheit ist entstanden und Ver- Zur Klarstellung bezüglich der Finanzierung: Eintrauen wurde verspielt. Subventionsabbau ist gut. Er macht aber wirklich nur Meine Damen und Herren, niemand kann erwarten, Sinn und führt nur dann zu dem Effekt, den wir errei-dass wir dafür die Hand heben. chen wollen, wenn ihm eine umfassende Steuerreform gegenübersteht, die zu klaren, berechenbaren, kalkulier- Schönen Dank. baren und niedrigen Steuersätzen führt, so wie wir als (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) FDP sie immer angemahnt haben. Sie haben diese aber nicht durchgeführt. Weil eine solche fehlt, sind Ihre Fi- nanzierungsvorschläge falsch und sogar kontraproduk- Präsident Wolfgang Thierse: tiv. Ich erteile das Wort Kollegen Bernd Scheelen, SPD- Fraktion. (Beifall bei der FDP) Wir können in dieser Diskussion erst recht nicht die Tat- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sache übersehen, dass das Vorziehen der Steuerreform in der vorgesehen Art und Weise die enorm hohe Staatsver- Bernd Scheelen (SPD): schuldung in dann astronomische Höhen treiben würde. Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- 2003 beträgt die Neuverschuldung 42 Milliarden Euro. ren! „Heute ist ein guter Tag für die deutschen Kommu- Im Jahre 2004 wird sie wahrscheinlich 50 Milliardennen.“ Euro betragen. Wie es soschön hieß, wollten Sie im Jahre 2004 close to balance sein, also einen fast ausge- (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ein schwar- (B) glichenen Haushalt vorlegen. Plötzlich hieß es nicht zer Tag!) (D) mehr 2004, sondern 2006. Heute sagt Herr Eichel kein Mit diesem Satz hat Joachim Poß seinen Redebeitrag be- Wort mehr darüber, weil seine Finanz- und seine Haus- endet. haltspolitik total gescheitert sind. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) der CDU/CSU) Der Bundeskanzler, der Finanzminister und die rot- Ich will ihn an den Anfang stellen; denn wegen des Ge- grüne Koalition haben in den Jahren 1999 und 2000, als setzes, das wir gleich verabschieden werden – nicht un- sie noch von der Konjunktur und den Privatisierungsein- bedingt wegen der Redebeiträge der Opposition, Herr nahmen, die auf unsere Reformen zurückzuführen waren, Kollege Michelbach –, ist es tatsächlich ein guter Tag für lebten, nie ein Wort über die Finanzierung der Wiederver- die deutschen Kommunen. einigung in den Mund genommen. Heute verschanzen (Beifall bei der SPD) Sie sich dahinter. Sie haben von Konsolidierung, Sparen und Generationengerechtigkeit gesprochen und dabei so Meine Aufgabe besteht jetzt darin, in den verbleiben- getan, als ob Sie dies erfund en hätten. In Wirklichkeit hat den fünf Minuten einen Teil des Unsinns auszuräumen, die rot-grüne Koalition in der Haushaltspolitik von der den Sie diesem Hohen Hause zugemutet haben. Hand in den Mund gelebt und auf der Ausgabenseite nie (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wirklich konsolidiert. Ich will mit dem Kollegen Merz beginnen. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Heinz Seiffert [CDU/CSU] – Walter Schöler [SPD]: Der Kollege Merz hat gesagt, dieGewerbesteuer Wissen Sie, wie viele Erhöhungsanträge Sie habe keine Zukunft. Herr Kollege Merz, ich weiß nicht, gestellt haben?) ob Sie das beobachtet haben: Bis auf zwei oder drei Hardliner hat daraufhin fast niemand aus Ihrer Fraktion Herr Eichel hat sich heute hier hingestellt und gesagt, geklatscht. Aber Sie hatten die FDP auf Ihrer Seite. Das dass wir bei denAusgaben heute 1 Prozent niedriger als ist in Ordnung. Bei der FDP weiß man wenigstens, wo- 1998 liegen – diese 1 Prozent sind vor dem Hintergrund ran man ist. Bei Ihnen weiß man nicht, worum es geht. dessen, was auf uns zugekommen ist, viel zu wenig. Sie Wollen Sie jetzt die Gewerbesteuer oder nicht? sagen, dass die Weltwirtschaft schuld an der heutigen Si- tuation ist. Das stimmt gar nicht. Von der Weltwirtschaft (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gehen Wachstumsimpulse auf die deutsche Wirtschaft des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 5782 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Bernd Scheelen (A) Sie sind für die Abschaffung, Frau Merkel ist für die Der Mann hat Recht. Man muss noch einmal deutlich (C) Beibehaltung der Gewerbesteuer. Auch Herr Koch war herausstellen, dass es in den Ballungszentren um margi- einmal für die Stärkung der Gewerbesteuer, aber aus tak- nale Mehrbeträge geht. Vorhin sind hier München, tischen Gründen ist er jetzt dagegen. Ich möchte Ihnen Frankfurt und andere Städte angesprochen worden. Für vorschlagen: Einigen Sie sich! Denken Sie daran: Union Berlin stellt sich das wie gehabt dar. heißt Einheit. Das wollte ich Ihnen nur in Erinnerung ru- fen. (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Was ist mit Mieten und Pachten?) (Heiterkeit bei der SPD) – Herr Michelbach, ich habe noch fast zwei Minuten Re- Einigen Sie sich in der Frage der Gemeindefinanzen und dezeit. Ich sage Ihnen gleich noch etwas zu Mieten und machen Sie dann ein anständiges Konzept. Oder noch Pachten. besser: Stimmen Sie heute unserem Gesetzentwurf zu; Vorher möchte ich noch ein Wort zu Herrn Solms sa- denn es ist ein guter Gesetzentwurf. gen. Damit dieses Märchen von der Steuerreform 1998, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die angeblich das Paradies der Glückseligen in Deutsch- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) land gebracht hat, nicht ständig wiederholt wird und un- kommentiert bleibt, will ich Ihnen sagen, Herr Solms, Ein zweiter Punkt, Herr Merz. Sie haben von derwarum wir diese Steuerreform 1998 im Bundesrat mit Einbeziehung der Freiberufler in die Gewerbesteuer unserer Mehrheit abgelehnt haben. Sie haben nämlich gesprochen und beklagt, dass dabei Menschen mit einer die Entlastung der Spitzenverdiener durch eine Belas- neuen Steuer überzogen werden. tung der unteren Einkommen erreichen wollen. Wir sind stolz darauf, das verhindert zu haben. (Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Das stimmt ja auch!) (Beifall bei der SPD) Ich werde Ihnen zwei Gründe nennen, warum die Einbe- Sie wollten die Nacht- und Feiertagszuschläge abschaf- ziehung der Freiberufler Sinn ergibt: Zum einen gleichen fen, was eine Mehrbelastung der unteren Einkommen sich die Berufsbilder heutzutage immer mehr an. Siebedeutet hätte, und damit die Senkung des Spitzensteu- können niemandem erklären, warum zum Beispiel der ersatzes finanzieren. Inhaber eines Zahnlabors Gewerbesteuer zahlt, aber der Jetzt komme ich zu Herrn Faltlhauser, der einmal in Zahnarzt mit eigenem Labor nicht. Das heißt, dabei wird diesem Hause tätig war. Er hat auf die Gemeinsamkeiten dieselbe Arbeit steuerlich unterschiedlich bewertet. Das hingewiesen. Er war der Ansicht, die Rückführung der ist in vielen anderen Bereichen auch so. Deswegen er- (B) Gewerbesteuerumlage sei eine Frage des Anstandes.(D) gibt es aus Gerechtigkeitsgründen Sinn, auch die Freibe- Wenn das stimmt, dann stelle ich fest, dass Bayern rela- rufler in die Gemeindewirtschaftsteuer einzubeziehen. tiv unanständig ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Zum anderen wollen wir dieser Gruppe von fastIn Bayern hat es im Landtag mehrere Anträge der SPD- 800 000 Menschen nicht zumuten, diese Steuer separat Opposition gegeben, den bayerischen Anteil der erhöh- und neu zu zahlen, also eine Steuererhöhung in Kauf zu ten Gewerbesteuerumlage an die bayerischen Kommu- nehmen. Daher schlagen wir vor, das Verfahren, das bis- nen zurückzuzahlen. Diesen Antrag hat die CSU jedes her schon für Personengesellschaften gilt, nämlich die Mal abgelehnt. Das finde ich unanständig. Verrechnung mit der Einkommensteuer, auch hier durch- zuführen. Sie haben gefragt: Was soll der Unsinn, Geld (Beifall bei der SPD) aus der einen Steuer einer anderen Steuer zuzurechnen? Jetzt zur Substanzbesteuerung, Herr Michelbach. Ich werde Ihnen genau sagen, was der Sinn dieser Sache Diesen Vorwurf hat auch Herr Faltlhauser vorgetragen. ist. Wir verschieben damit Einnahmen aus der Einkom- Wenn Sie unseren Gesetzentwurf genau lesen, dann wer- mensteuer, auf die die Kommunen überhaupt keinenden Sie feststellen, dass er mit Substanzbesteuerung Einfluss haben, in die Gemeindewirtschaftsteuer, die die überhaupt nichts zu tun hat. Wir wollen nur in den Fäl- Gemeinde selber verwalten und gestalten können. Damit len, in denen Mieten, Pachten, Leasingraten und Lizenz- stärken wir die kommunale Selbstverwaltung. gebühren benutzt werden, um Gewinne zu verstecken (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und sie der Besteuerung zu entziehen, die Gemeinde- wirtschaftsteuer erheben. Das hat nichts mit Substanzbe- Was die Frage einer eventuellen Mehrbelastung vonsteuerung, sondern mit dem Schließen von Steuer- Freiberuflern angeht, so will ich Ihnen hier ein paar Zahlen schlupflöchern zu tun. Das ist sinnvoll. eines Steuerberaters aus Berlin nennen, der für seine Man- (Beifall bei der SPD – Hans Michelbach dantschaft ein Rundschreiben verfasst hat. Er hat verschie- [CDU/CSU]: Nein!) dene Gewinnlagen zwischen 50 000 und 150 000 Euro durchgespielt. Er kommt bei dem Maximalsatz von Interessant war in diesem Zusammenhang eine Frage, 150 000 Euro zu dem Ergebnis: Die Mehrbelastung be- die Sie vorgestern im Finanzausschuss gestellt haben. trägt 1 125 Euro. Fazit: Wenn die Gemeindewirtschaft- Sie wollten wissen, ob diese unterschiedliche Behand- steuer eingeführt wird, dann wird sie eben nicht zu der lung von Unternehmen eventuell verfassungswidrig sei. viel angekündigten Pleitewelle führen. Dazu kann ich nur sagen: Was ist das für ein Verständnis Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5783

Bernd Scheelen (A) von Steuerpolitik in Deutschland, wenn das Schließen Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, wieder (C) von Steuerschlupflöchern von Ihrer Seite als verfas-Platz zu nehmen. Wir haben noch eine Reihe von Ab- sungswidrig angesehen wird? Das ist Ihre Art, mit Steu- stimmungen vor uns. Es wird einen kleinen Moment bis ern umzugehen. zur nächsten namentlichen Abstimmung dauern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir setzen die Abstimmungen fort und kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak- Ich sage am Ende noch einmal: Heute ist ein gutertion der CDU/CSU auf Drucksache 15/1752. Wer Tag für die deutschen Kommunen. Petra Roth, die nicht stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt der SPD angehört, sondern CDU-Mitglied ist – sie ist dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag Präsidentin des Deutschen Städtetages und Frankfurter ist mit den Stimmen der SPD und des Bündnisses 90/Die Oberbürgermeisterin –, hofft, dass dieses Gesetz heute Grünen gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP beschlossen wird. Sie fordert Sie öffentlich auf: Stim- abgelehnt. men Sie zu! Wenn Sie heute nicht zustimmen, dann stimmen Sie zumindest im Bundesrat zu. Zusatzpunkt 7: Beschlussempfehlung des Haushalts- ausschusses auf Drucksache 15/1750 zu dem Antrag der Herzlichen Dank. Fraktion der FDP mit dem Titel „Regierung muss Haus- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten haltssicherungsgesetz vorlegen“. Der Ausschuss emp- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) fiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung, den An- trag auf Drucksache 15/997 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Präsident Wolfgang Thierse: Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Ich schließe die Aussprache. Stimmen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weise noch ein- gegen die Stimmen der FDP und eines Teils der CDU/ mal darauf hin, dass wir, wie bereits angekündigt, die na- CSU-Fraktion bei Enthaltung eines anderen Teils der mentlichen Abstimmungen zu den Entwürfen eines Drit- CDU/CSU-Fraktion angenommen. ten und Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen Zusatzpunkt 8: Interfraktionell wird die Überweisung am Arbeitsmarkt im Anschluss an die Abstimmungen zu der Vorlage auf Drucksache 15/1731 an die in der Tages- diesem Tagesordnungspunkt wiederholen werden. ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Damit kommen wir zum Tagesordnungspunkt 20 a Überweisung so beschlossen. und zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Haushaltsbegleitgesetzes Tagesordnungspunkt 20 b: Abstimmung über den von (B) (D) 2004, Drucksachen 15/1502 und 15/1639. Der Haus-den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü- haltsausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss- nen eingebrachten Gesetzentwurfs zur Änderung des Ta- empfehlung auf Drucksache 15/1750, den Gesetzent-baksteuergesetzes und anderer Verbrauchsteuergesetze, wurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitteDrucksache 15/1313. Der Finanzausschuss empfiehlt in diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas- seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/1726, sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Werden Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzuneh- stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen vonAusschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- Bündnis 90/Die Grünen und der SPD gegen die Stim- chen. – Wer stimmt dagegen? – Stimmenthaltungen? – men des übrigen Hauses angenommen. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen Dritte Beratung gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP bei Ent- und Schlussabstimmung. Die Fraktionen der SPD und haltung der beiden fraktionslosen Abgeordneten ange- des Bündnisses 90/Die Grünen verlangen namentliche nommen. Abstimmung. Zu dieser Abstimmung sind eine Reihe Dritte Beratung von Erklärungen von Abgeordneten nach § 31 der Ge- schäftsordnung abgegeben worden.1) und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent- vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze be- wurf ist mit den Stimmen der SPD und des Bündnis- setzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. ses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der CDU/CSU Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine und der FDP bei Stimmenthaltung der beiden fraktions- Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist offensichtlichlosen Abgeordneten angenommen. nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Tagesordnungspunkt 20 c: Abstimmung über die von Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh- den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü- lung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird 2) nen sowie von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Ihnen später bekannt gegeben. würfe eines Gesetzes zur Förderung der Steuerehrlich- keit, auf Drucksachen 15/1309, 15/1521 und 15/1661. 1) Anlagen 10 bis 12 Der Finanzausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner 2) Ergebnis Seite 5784 D Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/1722, die 5784 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Präsident Wolfgang Thierse (A) genannten Gesetzentwürfe als Gesetz zur Förderung der Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den (C) Steuerehrlichkeit anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der bei- dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei- den fraktionslosen Abgeordneten gegen die Stimmen der chen. – Wer stimmt dagegen? – FDP bei Enthaltung der CDU/CSU-Fraktion angenom- (Zurufe von der SPD: Gegen Steuer- men. ehrlichkeit!) Tagesordnungspunkt 20 e: Abstimmung über den von Stimmenthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Ge- zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD und Bünd- setzes zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bun- nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen des übrigen Hau- desregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuer- ses angenommen. vergünstigungsabbaugesetz, Drucksachen 15/1518 und 15/1665. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Be- Dritte Beratung schlussempfehlung auf Drucksache 15/1684, den Ge- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem setzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent- schussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- wurf ist damit mit der gleichen Mehrheit wie eben ange- chen. – Wer stimmt dagegen? – Stimmenthaltungen? – nommen. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD und 0Bündnis 90/Die Grünen gegen Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- die Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Stimmenthal- ßungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Druck-tung der beiden fraktionslosen Abgeordneten angenom- sache 15/1745. Wer stimmt für diesen Entschließungs- men. antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD und Dritte Beratung Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen des übrigen Hauses abgelehnt. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Noch zu Tagesordnungspunkt 20 c: Abstimmung über Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- den von der Fraktion der FDP eingebrachten Gesetzent- entwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie bei wurf zur vereinfachten Nachversteuerung als Brücke in der zweiten Beratung angenommen. die Steuerehrlichkeit, Drucksache 15/470. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/1722 Wir setzen die Abstimmungen fort und kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktio- (B) empfiehlt der Finanzausschuss den Gesetzentwurf abzu- (D) nen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf lehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu- Drucksache 15/1762. Wer stimmt für diesen Entschlie- stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt da- ßungsantrag? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Ent- gegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in schließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD und zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/ Bündnis 90/Die Grünen und den beiden fraktionslosen CSU und FDP bei Enthaltung der beiden fraktionslosen Abgeordneten bei Enthaltung der CDU/CSU-Fraktion Abgeordneten angenommen. und Zustimmung der FDP-Fraktion abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Bera- Ich teile das von den Schriftführerinnen und Schrift- tung. führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim- mung über den von der Bundesregierung eingebrachten Tagesordnungspunkt 20 d: Wir setzen die Abstimmung Entwurf eines Haushaltsbegleitgesetzes 2004, Drucksa- über die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf chen 15/1502, 15/1639 und15/1750, mit. Abgegebene Drucksache 15/1722 fort. Der Finanzausschuss emp-Stimmen 602. Mit Ja haben gestimmt 305, mit Nein ha- fiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung die Ableh- ben gestimmt 297, Enthaltungen keine. Der Gesetzent- nung des Antrags der aktion Fr der FDP auf Druck- wurf ist damit angenommen. sache 15/217 mit dem Titel „Zinsabgeltungsteuer einführen – Fluchtkapital zurückholen“. Wer stimmt für (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5785

Präsident Wolfgang Thierse (A) Endgültiges Ergebnis Angelika Graf (Rosenheim) Dr. Elke Leonhard Karsten Schönfeld (C) Abgegebene Stimmen: 602; Dieter Grasedieck Eckhart Lewering Fritz Schösser davon Götz-Peter Lohmann Wilfried Schreck Gabriele Lösekrug-Möller Ottmar Schreiner ja: 306 Gabriele Groneberg Erika Lotz Gerhard Schröder nein: 296 Achim Großmann Dr. Christine Lucyga Gisela Schröter Wolfgang Grotthaus Dirk Manzewski Brigitte Schulte (Hameln) Ja Karl-Hermann Haack Tobias Marhold Reinhard Schultz (Extertal) Lothar Mark (Everswinkel) SPD Hans-Joachim Hacker (Spandau) Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Lale Akgün Klaus Hagemann Dr. Martin Schwanholz Gerd Andres Alfred Hartenbach Ingrid Arndt-Brauer Michael Hartmann Ulrike Mehl Erika Simm (Wackernheim) Hermann Bachmaier Petra-Evelyne Merkel Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Anke Hartnagel (Neuruppin) Ulrike Merten Dr. Cornelie Sonntag- Nina Hauer Doris Barnett Wolgast Dr. Hans-Peter Bartels Ursula Mogg Wolfgang Spanier Eckhardt Barthel (Berlin) Reinhold Hemker Michael Müller (Düsseldorf) Dr. Margrit Spielmann (Starnberg) Rolf Hempelmann Christian Müller (Zittau) Jörg-Otto Spiller Sören Bartol Dr. Barbara Hendricks Gesine Multhaupt Dr. Ditmar Staffelt Sabine Bätzing Franz Müntefering Ludwig Stiegler Petra Heß Dr. Rolf Mützenich Rolf Stöckel Klaus Uwe Benneter Monika Heubaum Volker Neumann (Bramsche) Christoph Strässer Dr. Gabriele Hiller-Ohm Rita Streb-Hesse Stephan Hilsberg Dr. Erika Ober Dr. Peter Struck Hans-Werner Bertl Gerd Höfer Holger Ortel Joachim Stünker Jelena Hoffmann (Chemnitz) Heinz Paula Jörg Tauss Walter Hoffmann Johannes Pflug Jella Teuchner (Heidelberg) (Darmstadt) Joachim Poß Dr. Gerald Thalheim (Wismar) Dr. Wilhelm Priesmeier Wolfgang Thierse Gerd Friedrich Bollmann Frank Hofmann (Volkach) Florian Pronold Franz Thönnes Klaus Brandner Eike Hovermann Dr. Hans-Jürgen Uhl Willi Brase Klaas Hübner Karin Rehbock-Zureich Rüdiger Veit (B) Bernhard Brinkmann Christel Humme Gerold Reichenbach Simone Violka (D) (Hildesheim) Lothar Ibrügger Dr. Carola Reimann Jörg Vogelsänger Hans-Günter Bruckmann Brunhilde Irber Christel Riemann- (Pforzheim) Renate Jäger Hanewinckel Dr. Marlies Volkmer Marco Bülow Jann-Peter Janssen Hans Georg Wagner Klaus-Werner Jonas Reinhold Robbe Hedi Wegener Dr. Michael Bürsch Johannes Kahrs René Röspel Andreas Weigel Hans Martin Bury Ulrich Kasparick Dr. Reinhard Weis (Stendal) Hans Büttner (Ingolstadt) Dr. h.c. Susanne Kastner Karin Roth (Esslingen) Petra Weis Marion Caspers-Merk Michael Roth (Heringen) Gunter Weißgerber Dr. Peter Danckert Hans-Peter Kemper Gerhard Rübenkönig Matthias Weisheit Dr. Herta Däubler-Gmelin Klaus Kirschner Hans-Ulrich Klose Marlene Rupprecht (Wiesloch) Martin Dörmann Astrid Klug (Tuchenbach) Dr. Ernst Ulrich von Peter Dreßen Dr. Heinz Köhler (Coburg) Thomas Sauer Weizsäcker Detlef Dzembritzki Anton Schaaf Jochen Welt Fritz Rudolf Körper Axel Schäfer () Dr. Siegmund Ehrmann Karin Kortmann Gudrun Schaich-Walch Lydia Westrich Hans Eichel Rolf Kramer Inge Wettig-Danielmeier Marga Elser Anette Kramme Bernd Scheelen Dr. Ernst Kranz Dr. Andrea Wicklein Petra Ernstberger Nicolette Kressl Siegfried Scheffler Jürgen Wieczorek (Böhlen) Karin Evers-Meyer Volker Kröning Horst Schild Heidemarie Wieczorek-Zeul Annette Faße Angelika Krüger-Leißner Dr. Dieter Wiefelspütz Elke Ferner Dr. Hans-Ulrich Krüger Horst Schmidbauer Brigitte Wimmer (Karlsruhe) Horst Kubatschka (Nürnberg) Engelbert Wistuba Rainer Fornahl Ernst Küchler (Aachen) Barbara Wittig Gabriele Frechen Helga Kühn-Mengel Silvia Schmidt (Eisleben) Dr. Ute Kumpf (Meschede) Verena Wohlleben Lilo Friedrich (Mettmann) Dr. Uwe Küster Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Waltraud Wolff Iris Gleicke Heinz Schmitt (Landau) (Wolmirstedt) Günter Gloser Christian Lange (Backnang) Heidi Wright Uwe Göllner Christine Lehder Walter Schöler Renate Gradistanac Waltraud Lehn Manfred Helmut Zöllmer 5786 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Präsident Wolfgang Thierse (A) Dr. Christoph Zöpel Ralf Göbel Dr. Klaus W. Lippold (C) Dr. Dr. Reinhard Göhner (Offenbach) BÜNDNIS 90/DIE Günter Baumann Tanja Gönner GRÜNEN Ernst-Reinhard Beck Josef Göppel Dr. Michael Luther (Reutlingen) Peter Götz Dorothee Mantel Kerstin Andreae Veronika Bellmann Dr. Wolfgang Götzer (Bremen) Dr. Christoph Bergner (Recklinghausen) Volker Beck (Köln) Kurt-Dieter Grill (Altötting) Conny Mayer (Baiersbronn) Dr. Hermann Gröhe Dr. Martin Mayer Clemens Binninger Michael Grosse-Brömer (Siegertsbrunn) Grietje Bettin Markus Grübel Wolfgang Meckelburg Dr. Ekin Deligöz Karl-Theodor Freiherr von Dr. Dr. Thea Dückert Dr. Maria Böhmer und zu Guttenberg Friedrich Merz Jutta Dümpe-Krüger (Hamm) Wolfgang Börnsen Franziska Eichstädt-Bohlig Doris Meyer (Tapfheim) (Bönstrup) Holger-Heinrich Haibach Dr. Uschi Eid Maria Michalk Wolfgang Bosbach Gerda Hasselfeldt Hans-Josef Fell Hans Michelbach Dr. Wolfgang Bötsch Klaus-Jürgen Hedrich Joseph Fischer (Frankfurt) Klaus Minkel Katrin Göring-Eckardt Klaus Brähmig Dr. Ursula Heinen Anja Hajduk Siegfried Helias Stefan Müller (Erlangen) Winfried Hermann Bernward Müller (Gera) Monika Brüning Uda Carmen Freia Heller Antje Hermenau Dr. Gerd Müller Peter Hettlich Jürgen Herrmann Hildegard Müller Verena Butalikakis Ulrike Höfken Bernd Heynemann (Bremen) Thilo Hoppe Hartmut Büttner Ernst Hinsken Henry Nitzsche Michaele Hustedt (Schönebeck) Fritz Kuhn Cajus Caesar Robert Hochbaum Renate Künast (Emstek) Klaus Hofbauer Günter Nooke Undine Kurth (Quedlinburg) Peter H. Carstensen Dr. Georg Nüßlein Markus Kurth (Nordstrand) Joachim Hörster Franz Obermeier Dr. Reinhard Loske Hubert Hüppe Anna Lührmann Leo Dautzenberg Susanne Jaffke Melanie Oßwald Jerzy Montag Dr. Dieter Jahr Rita Pawelski (B) Kerstin Müller (Köln) Albert Deß Dr. Egon Jüttner Dr. Peter Paziorek (D) Bartholomäus Kalb Ulrich Petzold Christa Nickels Vera Dominke Steffen Kampeter Dr. Friedrich Ostendorff Thomas Dörflinger Irmgard Karwatzki Sibylle Pfeiffer Dr. Friedbert Pflüger Simone Probst Marie-Luise Dött Bernhard Nikolaus Kaster Claudia Roth (Augsburg) Maria Eichhorn Siegfried Kauder (Bad Rainer Eppelmann Dürrheim) Christine Scheel (Lübeck) Volker Kauder Daniela Raab Irmingard Schewe-Gerigk Gerlinde Kaupa Rezzo Schlauch Hans Raidel Albert Schmidt (Ingolstadt) Dr. Hans Georg Faust Jürgen Klimke Julia Klöckner Dr. Peter Ramsauer Werner Schulz (Berlin) Albrecht Feibel Kristina Köhler (Wiesbaden) Helmut Rauber Petra Selg Peter Rauen Ingrid Fischbach Manfred Kolbe Ursula Sowa Christa Reichard (Dresden) Hartwig Fischer (Göttingen) Norbert Königshofen Rainder Steenblock Dirk Fischer (Hamburg) Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Hans-Peter Repnik Hans-Christian Ströbele Axel E. Fischer (Karlsruhe- Klaus Riegert Land) Rudolf Kraus Jürgen Trittin Michael Kretschmer Dr. Dr. Marianne Tritz Günther Krichbaum Klaus-Peter Flosbach Hubert Ulrich Günter Krings Franz-Xaver Romer Dr. Antje Vogel-Sperl Dr. Martina Krogmann Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Antje Vollmer Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Hermann Kues Dr. Klaus Rose Dr. Ludger Volmer (Hof) (Zingst) Kurt J. Rossmanith Josef Philip Winkler Erich G. Fritz Dr. Karl A. Lamers Dr. Norbert Röttgen Margareta Wolf (Frankfurt) Jochen-Konrad Fromme (Heidelberg) Dr. Christian Ruck Dr. Michael Fuchs Dr. Norbert Lammert Volker Rühe Hans-Joachim Fuchtel (Weiden) Nein Dr. Barbara Lanzinger Peter Rzepka Dr. Jürgen Gehb Anita Schäfer (Saalstadt) CDU/CSU Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld Dr. Wolfgang Schäuble Ulrich Adam Roland Gewalt Peter Letzgus Hartmut Schauerte Ursula Lietz Georg Girisch Walter Link (Diepholz) Norbert Schindler Dietrich Austermann Michael Glos Eduard Lintner Georg Schirmbeck Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5787

Präsident Wolfgang Thierse (A) Antje Tillmann Angelika Brunkhorst Sabine Leutheusser- (C) Christian Schmidt (Fürth) Edeltraut Töpfer Schnarrenberger Andreas Schmidt (Mülheim) Dr. Hans-Peter Uhl Helga Daub Markus Löning Dr. Arnold Vaatz Jörg van Essen Dirk Niebel Dr. Ole Schröder Volkmar Uwe Vogel Ulrike Flach Günther Friedrich Nolting Bernhard Schulte-Drüggelte Andrea Astrid Voßhoff Otto Fricke Hans-Joachim Otto Gerhard Wächter (Bayreuth) (Frankfurt) Wilhelm Josef Sebastian Marko Wanderwitz Rainer Funke Eberhard Otto (Godern) Peter Weiß (Emmendingen) Dr. Wolfgang Gerhardt Detlef Parr Kurt Segner Gerald Weiß (Groß-Gerau) Hans-Michael Goldmann Gisela Piltz Matthias Sehling Joachim Günther (Plauen) Dr. Andreas Pinkwart Marion Seib Annette Widmann-Mauz Dr. Dr. Günter Rexrodt Heinz Seiffert Klaus-Peter Willsch Dr. Christel Happach-Kasan Bernd Siebert Marita Sehn Willy Wimmer (Neuss) Dr. Hermann Otto Solms Thomas Silberhorn (Homburg) Johannes Singhammer Klaus Haupt Dr. Werner Wittlich Dr. Rainer Stinner Dagmar Wöhrl Ulrich Heinrich Birgit Homburger Carl-Ludwig Thiele Elke Wülfing Dr. Dieter Thomae Wolfgang Zeitlmann Dr. Jürgen Türk Wolfgang Zöller Andreas Storm Dr. Heinrich L. Kolb Dr. Guido Westerwelle Willi Zylajew Gudrun Kopp Dr. Claudia Winterstein Matthäus Strebl Jürgen Koppelin FDP Fraktionslose Abgeordnete (Heilbronn) Lena Strothmann Daniel Bahr (Münster) Harald Leibrecht Dr. Gesine Lötzsch Michael Stübgen Rainer Brüderle Ina Lenke Petra Pau

Wir kommen damit zu Tagesordnungspunkt 20f: Ab- stimmungsmarathon fortfahren und die Abstimmungen stimmung über den von der Bundesregierung einge-ordnungsgemäß durchführen können. brachten Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Gewer- (B) besteuer, Drucksachen 15/1517 und 15/1664. DerWir kommen nun zur Abstimmung über die Ent-(D) Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be- schließungsanträge. Wer stimmt für den Entschlie- schlussempfehlung auf Drucksache 15/1727, den Ge-ßungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Druck- setzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich sache 15/1746? – Wer stimmt dagegen? – Stimmenthal- bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-tungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen schussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stim- chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ge- men von CDU/CSU und FDP abgelehnt. setzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim- Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- men von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen dießungsantrag der Fraktion der FDP auf Druck- Stimmen des Hauses im Übrigen angenommen. sache 15/1753. Dieser Entschließungsantrag bezieht Dritte Beratung sich nicht nur auf das Gesetz zur Reform der Gewerbe- steuer, sondern auch auf das Haushaltsbegleitgesetz und Schlussabstimmung. Die Fraktionen der SPD und des 2004 sowie die Gesetze zur Änderung des Tabaksteuer- Bündnisses 90/Die Grünen verlangen namentliche Ab- gesetzes, zur Förderung der Steuerehrlichkeit und zur stimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftfüh- Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregie- rer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind dierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünsti- Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne gungsabbaugesetz, über die wir soeben abgestimmt ha- die Abstimmung. ben. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschlie- Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineßungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist offensicht- Stimmen der FDP-Fraktion abgelehnt. lich nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der nament- Entwurf eines Soforthilfegesetzes für die Gemeinden, lichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gege-Drucksache 15/1470. Der Finanzausschuss empfiehlt ben1). unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/1727, den Gesetzentwurf abzulehnen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie bit- Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen ten, wieder Platz zu nehmen, damit wir mit unserem Ab- wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera- 1) Ergebnis Seite 5788 C tung mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die 5788 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Präsident Wolfgang Thierse (A) Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU bei Enthal- bei Enthaltung der CDU/CSU-Fraktion und Zustimmung (C) tung der FDP-Fraktion abgelehnt. Damit entfällt nach der FDP abgelehnt. unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Art. 1 Nr. 1 Buchstabe b: Die Fraktion der FDP ver- Tagesordnungspunkt 20 g: Abstimmung über dielangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftfüh- Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf Druck- rerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze ein- sache 15/1727 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/zunehmen. – Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – CSU mit dem Titel „Finanzkraft der Kommunen stärken Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. – Kommunale Selbstverwaltung sichern“. Der Aus- Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das noch nicht schuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschluss- abgestimmt hat? – Das ist offensichtlich nicht der Fall. empfehlung, den Antrag auf Drucksache 15/1217 abzu- Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführe- lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss- nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später empfehlung ist mit den Stimmen von SPD und bekannt gegeben.1) Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der CDU/ CSU bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift- führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent- Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur wurf der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/1247 zur Reform der Gewerbesteuer bekannt; das sind die Änderung des Grundgesetzes – Kommunale Finanzre- Drucksachen 15/1517, 15/1664 und 15/1727. Abgege- form. Der Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache bene Stimmen 603. Mit Ja haben gestimmt 306, mit Nein 15/1729, den Gesetzentwurf abzulehnen. Die Fraktion haben gestimmt 297, Enthaltungen keine. Der Gesetz- der FDP hat getrennte Abstimmung zu einigen Vor- entwurf ist damit angenommen. schriften verlangt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Art. 1 Nr. 1 Buchstabe a: Ich bitte diejenigen, die zu- DIE GRÜNEN) stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt da- gegen? – Enthaltungen? – Art. 1 Nr. 1 Buchstabe a ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen 1) Ergebnis Seite 5791 C

(B) (D) Endgültiges Ergebnis Klaus Brandner Günter Gloser Iris Hoffmann (Wismar) Abgegebene Stimmen: 601; Willi Brase Uwe Göllner Frank Hofmann (Volkach) davon Bernhard Brinkmann Renate Gradistanac Eike Hovermann (Hildesheim) Angelika Graf (Rosenheim) Klaas Hübner ja: 305 Hans-Günter Bruckmann Dieter Grasedieck Christel Humme nein: 296 Edelgard Bulmahn Monika Griefahn Lothar Ibrügger Marco Bülow Kerstin Griese Brunhilde Irber Ja Ulla Burchardt Gabriele Groneberg Renate Jäger Dr. Michael Bürsch Achim Großmann Jann-Peter Janssen SPD Hans Martin Bury Wolfgang Grotthaus Klaus-Werner Jonas Hans Büttner (Ingolstadt) Karl-Hermann Haack Johannes Kahrs Dr. Lale Akgün Marion Caspers-Merk (Extertal) Ulrich Kasparick Gerd Andres Dr. Peter Danckert Hans-Joachim Hacker Dr. h.c. Susanne Kastner Ingrid Arndt-Brauer Dr. Herta Däubler-Gmelin Bettina Hagedorn Ulrich Kelber Rainer Arnold Karl Diller Klaus Hagemann Hans-Peter Kemper Hermann Bachmaier Martin Dörmann Alfred Hartenbach Klaus Kirschner Ernst Bahr (Neuruppin) Peter Dreßen Michael Hartmann Hans-Ulrich Klose Doris Barnett Detlef Dzembritzki (Wackernheim) Astrid Klug Dr. Hans-Peter Bartels Sebastian Edathy Anke Hartnagel Dr. Heinz Köhler (Coburg) Eckhardt Barthel (Berlin) Siegmund Ehrmann Nina Hauer Walter Kolbow Klaus Barthel (Starnberg) Hans Eichel Hubertus Heil Fritz Rudolf Körper Sören Bartol Marga Elser Reinhold Hemker Karin Kortmann Sabine Bätzing Gernot Erler Rolf Hempelmann Rolf Kramer Uwe Beckmeyer Petra Ernstberger Dr. Barbara Hendricks Anette Kramme Klaus Uwe Benneter Karin Evers-Meyer Gustav Herzog Ernst Kranz Dr. Axel Berg Annette Faße Petra Heß Nicolette Kressl Ute Berg Elke Ferner Monika Heubaum Volker Kröning Hans-Werner Bertl Gabriele Fograscher Gabriele Hiller-Ohm Angelika Krüger-Leißner Petra Bierwirth Rainer Fornahl Stephan Hilsberg Dr. Hans-Ulrich Krüger Rudolf Bindig Gabriele Frechen Gerd Höfer Horst Kubatschka Lothar Binding (Heidelberg) Dagmar Freitag Jelena Hoffmann (Chemnitz) Ernst Küchler Kurt Bodewig Lilo Friedrich (Mettmann) Walter Hoffmann Helga Kühn-Mengel Gerd Friedrich Bollmann Iris Gleicke (Darmstadt) Ute Kumpf Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5789

Präsident Wolfgang Thierse (A) Dr. Uwe Küster Heinz Schmitt (Landau) Waltraud Wolff Nein (C) Christine Lambrecht Carsten Schneider (Wolmirstedt) Christian Lange (Backnang) Walter Schöler Heidi Wright CDU/CSU Christine Lehder Olaf Scholz Uta Zapf Ulrich Adam Waltraud Lehn Karsten Schönfeld Manfred Helmut Zöllmer Ilse Aigner Dr. Elke Leonhard Fritz Schösser Dr. Christoph Zöpel Peter Altmaier Eckhart Lewering Wilfried Schreck Dietrich Austermann Götz-Peter Lohmann Ottmar Schreiner BÜNDNIS 90/DIE Norbert Barthle Erika Lotz Gerhard Schröder GRÜNEN Dr. Wolf Bauer Dr. Christine Lucyga Gisela Schröter Kerstin Andreae Günter Baumann Dirk Manzewski Brigitte Schulte (Hameln) Ernst-Reinhard Beck Marieluise Beck (Bremen) Tobias Marhold Reinhard Schultz (Reutlingen) Volker Beck (Köln) Lothar Mark (Everswinkel) Veronika Bellmann Caren Marks Swen Schulz (Spandau) Cornelia Behm Dr. Christoph Bergner Christoph Matschie Dr. Angelica Schwall-Düren Birgitt Bender Otto Bernhardt Hilde Mattheis Dr. Martin Schwanholz Matthias Berninger Dr. Rolf Bietmann Markus Meckel Rolf Schwanitz Grietje Bettin Clemens Binninger Ulrike Mehl Erika Simm Alexander Bonde Renate Blank Petra-Evelyne Merkel Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Ekin Deligöz Peter Bleser Ulrike Merten Dr. Cornelie Sonntag- Dr. Thea Dückert Antje Blumenthal Angelika Mertens Wolgast Jutta Dümpe-Krüger Dr. Maria Böhmer Ursula Mogg Wolfgang Spanier Franziska Eichstädt-Bohlig Jochen Borchert Michael Müller (Düsseldorf) Dr. Margrit Spielmann Dr. Uschi Eid Wolfgang Börnsen Christian Müller (Zittau) Jörg-Otto Spiller Hans-Josef Fell (Bönstrup) Gesine Multhaupt Dr. Ditmar Staffelt Wolfgang Bosbach Franz Müntefering Joseph Fischer (Frankfurt) Ludwig Stiegler Katrin Göring-Eckardt Dr. Wolfgang Bötsch Dr. Rolf Mützenich Klaus Brähmig Rolf Stöckel Anja Hajduk Volker Neumann (Bramsche) Dr. Ralf Brauksiepe Christoph Strässer Winfried Hermann Dietmar Nietan Rita Streb-Hesse Helge Braun Antje Hermenau Dr. Erika Ober Dr. Peter Struck Monika Brüning Peter Hettlich Holger Ortel Joachim Stünker Georg Brunnhuber Heinz Paula Ulrike Höfken Jörg Tauss Verena Butalikakis Johannes Pflug Jella Teuchner Thilo Hoppe Hartmut Büttner Joachim Poß Dr. Gerald Thalheim Michaele Hustedt (Schönebeck) Dr. Wilhelm Priesmeier (B) Wolfgang Thierse Fritz Kuhn Cajus Caesar (D) Florian Pronold Franz Thönnes Renate Künast Manfred Carstens (Emstek) Dr. Sascha Raabe Hans-Jürgen Uhl Undine Kurth (Quedlinburg) Peter H. Carstensen Karin Rehbock-Zureich Rüdiger Veit Markus Kurth (Nordstrand) Gerold Reichenbach Dr. Reinhard Loske Gitta Connemann Dr. Carola Reimann Simone Violka Jörg Vogelsänger Anna Lührmann Leo Dautzenberg Christel Riemann- Hubert Deittert Ute Vogt (Pforzheim) Jerzy Montag Hanewinckel Albert Deß Dr. Marlies Volkmer Kerstin Müller (Köln) Walter Riester Alexander Dobrindt Hans Georg Wagner Winfried Nachtwei Reinhold Robbe Vera Dominke Hedi Wegener Christa Nickels René Röspel Thomas Dörflinger Andreas Weigel Dr. Ernst Dieter Rossmann Friedrich Ostendorff Marie-Luise Dött Karin Roth (Esslingen) Reinhard Weis (Stendal) Simone Probst Maria Eichhorn Michael Roth (Heringen) Petra Weis Claudia Roth (Augsburg) Rainer Eppelmann Gerhard Rübenkönig Gunter Weißgerber Krista Sager Anke Eymer (Lübeck) Ortwin Runde Matthias Weisheit Christine Scheel Georg Fahrenschon Marlene Rupprecht Gert Weisskirchen Irmingard Schewe-Gerigk Ilse Falk (Tuchenbach) (Wiesloch) Rezzo Schlauch Dr. Hans Georg Faust Thomas Sauer Dr. Ernst Ulrich von Albert Schmidt (Ingolstadt) Albrecht Feibel Weizsäcker Anton Schaaf Werner Schulz (Berlin) Enak Ferlemann Jochen Welt Axel Schäfer (Bochum) Petra Selg Ingrid Fischbach Dr. Rainer Wend Gudrun Schaich-Walch Ursula Sowa Hartwig Fischer (Göttingen) Lydia Westrich Rudolf Scharping Rainder Steenblock Dirk Fischer (Hamburg) Bernd Scheelen Inge Wettig-Danielmeier Silke Stokar von Neuforn Axel E. Fischer (Karlsruhe- Dr. Hermann Scheer Dr. Margrit Wetzel Land) Hans-Christian Ströbele Siegfried Scheffler Andrea Wicklein Dr. Maria Flachsbarth Jürgen Trittin Horst Schild Jürgen Wieczorek (Böhlen) Klaus-Peter Flosbach Otto Schily Heidemarie Wieczorek-Zeul Marianne Tritz Herbert Frankenhauser Horst Schmidbauer Dr. Dieter Wiefelspütz Hubert Ulrich Dr. Hans-Peter Friedrich (Nürnberg) Brigitte Wimmer (Karlsruhe) Dr. Antje Vogel-Sperl (Hof) Ulla Schmidt (Aachen) Engelbert Wistuba Dr. Antje Vollmer Erich G. Fritz Silvia Schmidt (Eisleben) Barbara Wittig Dr. Ludger Volmer Jochen-Konrad Fromme Dagmar Schmidt (Meschede) Dr. Wolfgang Wodarg Josef Philip Winkler Dr. Michael Fuchs Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Verena Wohlleben Margareta Wolf (Frankfurt) Hans-Joachim Fuchtel 5790 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Präsident Wolfgang Thierse (A) Dr. Peter Gauweiler Dr. Martina Krogmann Christa Reichard (Dresden) Dagmar Wöhrl (C) Dr. Jürgen Gehb Dr. Hermann Kues Katherina Reiche Elke Wülfing Norbert Geis Werner Kuhn (Zingst) Hans-Peter Repnik Wolfgang Zeitlmann Roland Gewalt Dr. Karl A. Lamers Klaus Riegert Wolfgang Zöller Eberhard Gienger (Heidelberg) Dr. Heinz Riesenhuber Willi Zylajew Georg Girisch Dr. Norbert Lammert Hannelore Roedel Michael Glos Helmut Lamp Franz-Xaver Romer FDP Ralf Göbel Barbara Lanzinger Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Reinhard Göhner Karl-Josef Laumann Dr. Klaus Rose Daniel Bahr (Münster) Tanja Gönner Vera Lengsfeld Kurt J. Rossmanith Rainer Brüderle Josef Göppel Peter Letzgus Dr. Norbert Röttgen Angelika Brunkhorst Peter Götz Ursula Lietz Dr. Christian Ruck Ernst Burgbacher Dr. Wolfgang Götzer Walter Link (Diepholz) Volker Rühe Helga Daub Ute Granold Eduard Lintner Albert Rupprecht (Weiden) Jörg van Essen Kurt-Dieter Grill Dr. Klaus W. Lippold Peter Rzepka Ulrike Flach Reinhard Grindel (Offenbach) Anita Schäfer (Saalstadt) Otto Fricke Hermann Gröhe Patricia Lips Dr. Wolfgang Schäuble Horst Friedrich (Bayreuth) Michael Grosse-Brömer Dr. Michael Luther Hartmut Schauerte Rainer Funke Markus Grübel Dorothee Mantel Andreas Scheuer Dr. Wolfgang Gerhardt Manfred Grund Erwin Marschewski Norbert Schindler Hans-Michael Goldmann Karl-Theodor Freiherr von (Recklinghausen) Georg Schirmbeck Joachim Günther (Plauen) und zu Guttenberg Stephan Mayer (Altötting) Bernd Schmidbauer Dr. Karlheinz Guttmacher Olav Gutting Conny Mayer (Baiersbronn) Christian Schmidt (Fürth) Dr. Christel Happach-Kasan Holger-Heinrich Haibach Dr. Martin Mayer Andreas Schmidt (Mülheim) Christoph Hartmann Gerda Hasselfeldt (Siegertsbrunn) Dr. Andreas Schockenhoff (Homburg) Klaus-Jürgen Hedrich Wolfgang Meckelburg Dr. Ole Schröder Klaus Haupt Helmut Heiderich Dr. Michael Meister Bernhard Schulte-Drüggelte Ulrich Heinrich Ursula Heinen Dr. Angela Merkel Uwe Schummer Birgit Homburger Siegfried Helias Friedrich Merz Wilhelm Josef Sebastian Dr. Werner Hoyer Uda Carmen Freia Heller Laurenz Meyer (Hamm) Horst Seehofer Michael Kauch Michael Hennrich Doris Meyer (Tapfheim) Kurt Segner Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Herrmann Maria Michalk Matthias Sehling Gudrun Kopp Bernd Heynemann Hans Michelbach Marion Seib Jürgen Koppelin Ernst Hinsken Klaus Minkel Heinz Seiffert Sibylle Laurischk Peter Hintze Marlene Mortler Bernd Siebert (B) Harald Leibrecht (D) Robert Hochbaum Stefan Müller (Erlangen) Thomas Silberhorn Ina Lenke Klaus Hofbauer Bernward Müller (Gera) Johannes Singhammer Sabine Leutheusser- Martin Hohmann Dr. Gerd Müller Jens Spahn Schnarrenberger Joachim Hörster Hildegard Müller Erika Steinbach Markus Löning Hubert Hüppe Bernd Neumann (Bremen) Christian von Stetten Dirk Niebel Susanne Jaffke Henry Nitzsche Gero Storjohann Günther Friedrich Nolting Dr. Dieter Jahr Michaela Noll Andreas Storm Hans-Joachim Otto Dr. Egon Jüttner Claudia Nolte Max Straubinger (Frankfurt) Bartholomäus Kalb Günter Nooke Matthäus Strebl Eberhard Otto (Godern) Steffen Kampeter Dr. Georg Nüßlein Thomas Strobl (Heilbronn) Detlef Parr Irmgard Karwatzki Franz Obermeier Lena Strothmann Cornelia Pieper Bernhard Nikolaus Kaster Eduard Oswald Michael Stübgen Gisela Piltz Siegfried Kauder (Bad Melanie Oßwald Antje Tillmann Dr. Andreas Pinkwart Dürrheim) Rita Pawelski Edeltraut Töpfer Dr. Günter Rexrodt Volker Kauder Dr. Peter Paziorek Dr. Hans-Peter Uhl Marita Sehn Gerlinde Kaupa Ulrich Petzold Arnold Vaatz Dr. Hermann Otto Solms Eckart von Klaeden Dr. Joachim Pfeiffer Volkmar Uwe Vogel Dr. Max Stadler Jürgen Klimke Sibylle Pfeiffer Andrea Astrid Voßhoff Dr. Rainer Stinner Julia Klöckner Dr. Friedbert Pflüger Gerhard Wächter Carl-Ludwig Thiele Kristina Köhler (Wiesbaden) Beatrix Philipp Marko Wanderwitz Dr. Dieter Thomae Manfred Kolbe Ronald Pofalla Peter Weiß (Emmendingen) Jürgen Türk Norbert Königshofen Ruprecht Polenz Gerald Weiß (Groß-Gerau) Dr. Guido Westerwelle Hartmut Koschyk Daniela Raab Ingo Wellenreuther Dr. Claudia Winterstein Thomas Kossendey Thomas Rachel Annette Widmann-Mauz Rudolf Kraus Hans Raidel Klaus-Peter Willsch Fraktionslose Abgeordnete Michael Kretschmer Dr. Peter Ramsauer Willy Wimmer (Neuss) Günther Krichbaum Helmut Rauber Matthias Wissmann Dr. Gesine Lötzsch Günter Krings Peter Rauen Werner Wittlich Petra Pau Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5791

Präsident Wolfgang Thierse (A) Wir fahren in den Abstimmungen fort. Wir werden jetzt die Sitzung unterbrechen und das(C) Ergebnis der namentlichen Abstimmung abwarten. Da- Art. 1 Nr. 2 bis Nr. 5 und Art. 2 sowie Einleitung und Überschrift: Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, nach wiederholen wir die beiden namentlichen Abstim- um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthal- mungen, bei denen es vorhin bei der Auszählung Pro- tungen? – Art. 1 Nr. 2 bis Nr. 5 und Art. 2 sowie Einlei- bleme gegeben hat. Ich unterbreche die Sitzung für tung und Überschrift sind mit den Stimmen von SPDeinige Minuten. und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung von CDU/ (Unterbrechung von 13.44 bis 13.46 Uhr) CSU und Zustimmung der FDP abgelehnt. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung zu Präsident Wolfgang Thierse: Art. 1 Nr. 1 Buchstabe b steht noch aus. Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort. Tagesordnungspunkt 20 i: Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Finanzausschusses auf Druck- Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift- sache 15/1261 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim- dem Titel „Antragsverfahren bei Agrardiesel deutlichmung über Art. 1 Nr. 1 Buchstabe b des Gesetzentwurfs vereinfachen“. der Fraktion der FDP zur Änderung des Grundgesetzes – Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache Kommunale Finanzreform – bekannt. Abgegebene Stim- 15/833 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussemp- men 600. Mit Ja haben gestimmt 47, mit Nein haben ge- fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die stimmt 553, Enthaltungen keine. Damit ist Art. 1 Nr. 1 Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und Buchstabe b abgelehnt. Der Gesetzentwurf ist damit in Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/ zweiter Beratung insgesamt abgelehnt. Nach unserer Ge- CSU und FDP angenommen. schäftsordnung entfällt die weitere Beratung.

Endgültiges Ergebnis Markus Löning Ute Berg Iris Gleicke Abgegebene Stimmen: 598; Dirk Niebel Hans-Werner Bertl Günter Gloser davon Günther Friedrich Nolting Petra Bierwirth Uwe Göllner Hans-Joachim Otto Rudolf Bindig Renate Gradistanac ja: 46 (Frankfurt) Lothar Binding (Heidelberg) Angelika Graf (Rosenheim) nein: 552 (B) Eberhard Otto (Godern) Kurt Bodewig Dieter Grasedieck (D) Detlef Parr Gerd Friedrich Bollmann Monika Griefahn Ja Cornelia Pieper Klaus Brandner Kerstin Griese Gisela Piltz Willi Brase Gabriele Groneberg FDP Dr. Andreas Pinkwart Bernhard Brinkmann Achim Großmann (Hildesheim) Daniel Bahr (Münster) Dr. Günter Rexrodt Wolfgang Grotthaus Rainer Brüderle Marita Sehn Hans-Günter Bruckmann Karl-Hermann Haack Angelika Brunkhorst Dr. Hermann Otto Solms Edelgard Bulmahn (Extertal) Ernst Burgbacher Dr. Max Stadler Marco Bülow Hans-Joachim Hacker Helga Daub Dr. Rainer Stinner Ulla Burchardt Bettina Hagedorn Jörg van Essen Carl-Ludwig Thiele Dr. Michael Bürsch Klaus Hagemann Ulrike Flach Dr. Dieter Thomae Hans Martin Bury Alfred Hartenbach Otto Fricke Jürgen Türk Hans Büttner (Ingolstadt) Michael Hartmann Horst Friedrich (Bayreuth) Dr. Guido Westerwelle Marion Caspers-Merk (Wackernheim) Rainer Funke Dr. Claudia Winterstein Dr. Peter Danckert Anke Hartnagel Dr. Wolfgang Gerhardt Dr. Herta Däubler-Gmelin Nina Hauer Karl Diller Hubertus Heil Hans-Michael Goldmann Nein Joachim Günther (Plauen) Martin Dörmann Reinhold Hemker Peter Dreßen Rolf Hempelmann Dr. Karlheinz Guttmacher SPD Dr. Christel Happach-Kasan Detlef Dzembritzki Dr. Barbara Hendricks Christoph Hartmann Dr. Lale Akgün Sebastian Edathy Gustav Herzog (Homburg) Gerd Andres Siegmund Ehrmann Petra Heß Klaus Haupt Ingrid Arndt-Brauer Hans Eichel Monika Heubaum Ulrich Heinrich Rainer Arnold Marga Elser Gabriele Hiller-Ohm Birgit Homburger Hermann Bachmaier Gernot Erler Stephan Hilsberg Dr. Werner Hoyer Ernst Bahr (Neuruppin) Petra Ernstberger Gerd Höfer Michael Kauch Doris Barnett Karin Evers-Meyer Jelena Hoffmann (Chemnitz) Dr. Heinrich L. Kolb Dr. Hans-Peter Bartels Annette Faße Walter Hoffmann Gudrun Kopp Klaus Barthel (Starnberg) Elke Ferner (Darmstadt) Sibylle Laurischk Sören Bartol Gabriele Fograscher Iris Hoffmann (Wismar) Harald Leibrecht Sabine Bätzing Rainer Fornahl Frank Hofmann (Volkach) Ina Lenke Uwe Beckmeyer Gabriele Frechen Eike Hovermann Sabine Leutheusser- Klaus Uwe Benneter Dagmar Freitag Klaas Hübner Schnarrenberger Dr. Axel Berg Lilo Friedrich (Mettmann) Christel Humme 5792 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Präsident Wolfgang Thierse (A) Lothar Ibrügger Dr. Carola Reimann Jörg Vogelsänger Peter H. Carstensen (C) Brunhilde Irber Christel Riemann- Ute Vogt (Pforzheim) (Nordstrand) Renate Jäger Hanewinckel Dr. Marlies Volkmer Gitta Connemann Jann-Peter Janssen Walter Riester Hans Georg Wagner Leo Dautzenberg Klaus-Werner Jonas Reinhold Robbe Hedi Wegener Hubert Deittert Johannes Kahrs René Röspel Andreas Weigel Albert Deß Ulrich Kasparick Dr. Ernst Dieter Rossmann Reinhard Weis (Stendal) Alexander Dobrindt Dr. h.c. Susanne Kastner Karin Roth (Esslingen) Petra Weis Vera Dominke Ulrich Kelber Michael Roth (Heringen) Gunter Weißgerber Thomas Dörflinger Hans-Peter Kemper Gerhard Rübenkönig Matthias Weisheit Marie-Luise Dött Klaus Kirschner Ortwin Runde Gert Weisskirchen Maria Eichhorn Hans-Ulrich Klose Marlene Rupprecht (Wiesloch) Rainer Eppelmann Astrid Klug (Tuchenbach) Dr. Ernst Ulrich von Anke Eymer (Lübeck) Dr. Heinz Köhler (Coburg) Thomas Sauer Weizsäcker Georg Fahrenschon Walter Kolbow Anton Schaaf Jochen Welt Ilse Falk Fritz Rudolf Körper Axel Schäfer (Bochum) Dr. Rainer Wend Dr. Hans Georg Faust Karin Kortmann Gudrun Schaich-Walch Lydia Westrich Albrecht Feibel Rolf Kramer Rudolf Scharping Inge Wettig-Danielmeier Enak Ferlemann Anette Kramme Bernd Scheelen Dr. Margrit Wetzel Ingrid Fischbach Ernst Kranz Dr. Hermann Scheer Andrea Wicklein Hartwig Fischer (Göttingen) Nicolette Kressl Siegfried Scheffler Jürgen Wieczorek (Böhlen) Dirk Fischer (Hamburg) Volker Kröning Horst Schild Heidemarie Wieczorek-Zeul Axel E. Fischer (Karlsruhe- Angelika Krüger-Leißner Otto Schily Dr. Dieter Wiefelspütz Land) Dr. Hans-Ulrich Krüger Horst Schmidbauer Brigitte Wimmer (Karlsruhe) Dr. Maria Flachsbarth Horst Kubatschka (Nürnberg) Engelbert Wistuba Klaus-Peter Flosbach Ernst Küchler Ulla Schmidt (Aachen) Barbara Wittig Herbert Frankenhauser Helga Kühn-Mengel Silvia Schmidt (Eisleben) Dr. Wolfgang Wodarg Dr. Hans-Peter Friedrich Ute Kumpf Dagmar Schmidt (Meschede) Verena Wohlleben (Hof) Dr. Uwe Küster Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Waltraud Wolff Erich G. Fritz Christine Lambrecht Heinz Schmitt (Landau) (Wolmirstedt) Jochen-Konrad Fromme Christian Lange (Backnang) Carsten Schneider Heidi Wright Dr. Michael Fuchs Christine Lehder Walter Schöler Manfred Helmut Zöllmer Hans-Joachim Fuchtel Waltraud Lehn Olaf Scholz Dr. Christoph Zöpel Dr. Peter Gauweiler Dr. Elke Leonhard Karsten Schönfeld Dr. Jürgen Gehb CDU/CSU (B) Eckhart Lewering Fritz Schösser Norbert Geis (D) Götz-Peter Lohmann Wilfried Schreck Ulrich Adam Roland Gewalt Gabriele Lösekrug-Möller Ottmar Schreiner Ilse Aigner Eberhard Gienger Erika Lotz Gerhard Schröder Peter Altmaier Georg Girisch Dr. Christine Lucyga Gisela Schröter Dietrich Austermann Michael Glos Dirk Manzewski Brigitte Schulte (Hameln) Norbert Barthle Ralf Göbel Tobias Marhold Reinhard Schultz Dr. Wolf Bauer Dr. Reinhard Göhner Lothar Mark (Everswinkel) Günter Baumann Tanja Gönner Caren Marks Swen Schulz (Spandau) Ernst-Reinhard Beck Josef Göppel Christoph Matschie Dr. Angelica Schwall-Düren (Reutlingen) Peter Götz Hilde Mattheis Dr. Martin Schwanholz Veronika Bellmann Dr. Wolfgang Götzer Markus Meckel Rolf Schwanitz Dr. Christoph Bergner Ute Granold Ulrike Mehl Erika Simm Otto Bernhardt Kurt-Dieter Grill Petra-Evelyne Merkel Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Rolf Bietmann Reinhard Grindel Ulrike Merten Dr. Cornelie Sonntag- Clemens Binninger Hermann Gröhe Angelika Mertens Wolgast Renate Blank Michael Grosse-Brömer Ursula Mogg Wolfgang Spanier Peter Bleser Markus Grübel Michael Müller (Düsseldorf) Dr. Margrit Spielmann Antje Blumenthal Manfred Grund Christian Müller (Zittau) Jörg-Otto Spiller Dr. Maria Böhmer Karl-Theodor Freiherr von Gesine Multhaupt Dr. Ditmar Staffelt Jochen Borchert und zu Guttenberg Franz Müntefering Ludwig Stiegler Wolfgang Börnsen Olav Gutting Dr. Rolf Mützenich Rolf Stöckel (Bönstrup) Holger-Heinrich Haibach Volker Neumann (Bramsche) Christoph Strässer Wolfgang Bosbach Gerda Hasselfeldt Dietmar Nietan Rita Streb-Hesse Dr. Wolfgang Bötsch Klaus-Jürgen Hedrich Dr. Erika Ober Dr. Peter Struck Klaus Brähmig Helmut Heiderich Holger Ortel Joachim Stünker Dr. Ralf Brauksiepe Ursula Heinen Heinz Paula Jörg Tauss Helge Braun Siegfried Helias Johannes Pflug Jella Teuchner Monika Brüning Uda Carmen Freia Heller Joachim Poß Dr. Gerald Thalheim Georg Brunnhuber Michael Hennrich Dr. Wilhelm Priesmeier Wolfgang Thierse Verena Butalikakis Jürgen Herrmann Florian Pronold Franz Thönnes Hartmut Büttner Bernd Heynemann Dr. Sascha Raabe Hans-Jürgen Uhl (Schönebeck) Ernst Hinsken Karin Rehbock-Zureich Rüdiger Veit Cajus Caesar Peter Hintze Gerold Reichenbach Simone Violka Manfred Carstens (Emstek) Robert Hochbaum Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5793

Präsident Wolfgang Thierse (A) Klaus Hofbauer Friedrich Merz Georg Schirmbeck Birgitt Bender (C) Martin Hohmann Laurenz Meyer (Hamm) Bernd Schmidbauer Matthias Berninger Joachim Hörster Doris Meyer (Tapfheim) Christian Schmidt (Fürth) Grietje Bettin Hubert Hüppe Maria Michalk Andreas Schmidt (Mülheim) Alexander Bonde Susanne Jaffke Hans Michelbach Dr. Andreas Schockenhoff Ekin Deligöz Dr. Peter Jahr Klaus Minkel Dr. Ole Schröder Dr. Thea Dückert Dr. Egon Jüttner Marlene Mortler Bernhard Schulte-Drüggelte Jutta Dümpe-Krüger Bartholomäus Kalb Stefan Müller (Erlangen) Uwe Schummer Franziska Eichstädt-Bohlig Steffen Kampeter Bernward Müller (Gera) Wilhelm Josef Sebastian Dr. Uschi Eid Irmgard Karwatzki Dr. Gerd Müller Horst Seehofer Hans-Josef Fell Bernhard Kaster Hildegard Müller Kurt Segner Joseph Fischer (Frankfurt) Siegfried Kauder (Bad Bernd Neumann (Bremen) Matthias Sehling Katrin Göring-Eckardt Dürrheim) Henry Nitzsche Marion Seib Anja Hajduk Volker Kauder Michaela Noll Heinz Seiffert Winfried Hermann Gerlinde Kaupa Claudia Nolte Bernd Siebert Antje Hermenau Eckart von Klaeden Günter Nooke Thomas Silberhorn Peter Hettlich Jürgen Klimke Dr. Georg Nüßlein Johannes Singhammer Ulrike Höfken Julia Klöckner Franz Obermeier Jens Spahn Thilo Hoppe Kristina Köhler (Wiesbaden) Eduard Oswald Erika Steinbach Michaele Hustedt Manfred Kolbe Melanie Oßwald Christian von Stetten Fritz Kuhn Norbert Königshofen Rita Pawelski Gero Storjohann Renate Künast Hartmut Koschyk Dr. Peter Paziorek Andreas Storm Undine Kurth (Quedlinburg) Thomas Kossendey Ulrich Petzold Max Straubinger Markus Kurth Rudolf Kraus Dr. Joachim Pfeiffer Matthäus Strebl Dr. Reinhard Loske Michael Kretschmer Sibylle Pfeiffer Thomas Strobl (Heilbronn) Anna Lührmann Günther Krichbaum Dr. Friedbert Pflüger Lena Strothmann Jerzy Montag Günter Krings Beatrix Philipp Michael Stübgen Kerstin Müller (Köln) Dr. Martina Krogmann Ronald Pofalla Antje Tillmann Winfried Nachtwei Dr. Hermann Kues Ruprecht Polenz Edeltraut Töpfer Christa Nickels Werner Kuhn (Zingst) Daniela Raab Dr. Hans-Peter Uhl Friedrich Ostendorff Dr. Karl A. Lamers Thomas Rachel Arnold Vaatz Simone Probst (Heidelberg) Hans Raidel Volkmar Uwe Vogel Claudia Roth (Augsburg) Dr. Norbert Lammert Dr. Peter Ramsauer Andrea Astrid Voßhoff Krista Sager Helmut Lamp Helmut Rauber Gerhard Wächter Christine Scheel Barbara Lanzinger Peter Rauen Irmingard Schewe-Gerigk (B) Marko Wanderwitz (D) Karl-Josef Laumann Christa Reichard (Dresden) Peter Weiß (Emmendingen) Rezzo Schlauch Albert Schmidt (Ingolstadt) Vera Lengsfeld Katherina Reiche Gerald Weiß (Groß-Gerau) Werner Schulz (Berlin) Peter Letzgus Hans-Peter Repnik Ingo Wellenreuther Ursula Lietz Klaus Riegert Petra Selg Annette Widmann-Mauz Ursula Sowa Walter Link (Diepholz) Dr. Heinz Riesenhuber Klaus-Peter Willsch Eduard Lintner Hannelore Roedel Rainder Steenblock Willy Wimmer (Neuss) Silke Stokar von Neuforn Dr. Klaus W. Lippold Franz-Xaver Romer Matthias Wissmann (Offenbach) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Hans-Christian Ströbele Werner Wittlich Jürgen Trittin Patricia Lips Dr. Klaus Rose Dagmar Wöhrl Dr. Michael Luther Kurt J. Rossmanith Marianne Tritz Elke Wülfing Dorothee Mantel Dr. Norbert Röttgen Hubert Ulrich Wolfgang Zeitlmann Erwin Marschewski Dr. Christian Ruck Dr. Antje Vogel-Sperl Wolfgang Zöller (Recklinghausen) Vo l k e r R ü he Dr. Antje Vollmer Stephan Mayer (Altötting) Albert Rupprecht (Weiden) Dr. Ludger Volmer BÜNDNIS 90/DIE Conny Mayer (Baiersbronn) Peter Rzepka Josef Philip Winkler GRÜNEN Margareta Wolf (Frankfurt) Dr. Martin Mayer Anita Schäfer (Saalstadt) (Siegertsbrunn) Dr. Wolfgang Schäuble Kerstin Andreae Fraktionslose Abgeordnete Wolfgang Meckelburg Hartmut Schauerte Marieluise Beck (Bremen) Dr. Michael Meister Andreas Scheuer Volker Beck (Köln) Dr. Gesine Lötzsch Dr. Angela Merkel Norbert Schindler Cornelia Behm Petra Pau 5794 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Präsident Wolfgang Thierse (A) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen zu Ta- aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-(C) gesordnungspunkt 19 a zurück, und zwar zur Abstim- schusses für Gesundheit und Soziale Siche- mung über die von den Fraktionen der SPD und des Bünd- rung (13. Ausschuss) nisses 90/Die Grünen sowie von der Bundesregierung – Drucksachen 15/1734, 15/1761 – eingebrachten Entwürfe eines Dritten Gesetzes für mo- derne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, Drucksachen Berichterstattung: 15/1515 und 15/1637. Wir wiederholen die namentliche Abgeordnete Verena Butalikakis Schlussabstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – bb)Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) Das ist erfolgt. Ich eröffne die Abstimmung. gemäß § 96 der Geschäftsordnung Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das noch nicht – Drucksache 15/1740 – abgestimmt hat? – Das ist offensichtlich nicht der Fall. Berichterstattung: Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schrift- Abgeordnete Dr. Michael Luther führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu Otto Fricke beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen Waltraud Lehn später bekannt gegeben.1) Anja Hajduk Wir setzen die Abstimmungen fort und wiederholen b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- nun die namentliche Schlussabstimmung über den von gierung den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü- nen eingebrachten Entwurf eines Vierten Gesetzes für Nationaler Aktionsplan für Deutschland zur moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, Druck- Bekämpfung von Armut und sozialer Aus- sache 15/1516. Ich bitte die Schriftführerinnen und grenzung 2003 bis 2005 Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Strategien zur Stärkung der sozialen Integra- Ist das erfolgt? – Die Plätze sind besetzt. Dann eröffne tion ich die Abstimmung. – Drucksache 15/1420 – Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimm- Überweisungsvorschlag: karte abgegeben? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung (f) schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführe- Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend nen. Die Ergebnisse der beiden namentlichen Abstim- Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (B) mungen werden Ihnen später bekannt gegeben.2) Über den von den Fraktionen der SPD und des Bünd- (D) nisses 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf eines Ge- Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 21 a und setzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das So- 21 b auf: zialgesetzbuch, zu dem ein Entschließungsantrag der a) – Zweite und dritte Beratung des von den Frak- Fraktion der CDU/CSU vorliegt, werden wir später na- tionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ mentlich abstimmen. DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilfe- Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich rechts in das Sozialgesetzbuch höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. – Drucksache 15/1514 – Bevor ich die Aussprache eröffne, kann ich das von (Erste Beratung 58. Sitzung) den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die desregierung eingebrachten Entwurfs eines Grünen sowie der Bundesregierung eingebrachten Ent- Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilfe- wurf eines Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistun- rechts in das Sozialgesetzbuch gen am Arbeitsmarkt, Drucksachen 15/1515, 15/1637 und 15/1728, mitteilen. Abgegebene Stimmen 599. Mit – Drucksache 15/1636 – Ja haben gestimmt 304, mit Nein haben gestimmt 294, (Erste Beratung 65. Sitzung) Enthaltungen 1. Der Gesetzentwurf ist damit angenom- men. 1) Ergebnis Seite 5794 D (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des 2) Ergebnis Seite5799 C BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5795

Präsident Wolfgang Thierse (A) Endgültiges Ergebnis Renate Gradistanac Waltraud Lehn Olaf Scholz (C) Abgegebene Stimmen: 599; Angelika Graf (Rosenheim) Dr. Elke Leonhard Karsten Schönfeld davon Dieter Grasedieck Eckhart Lewering Fritz Schösser Monika Griefahn Götz-Peter Lohmann Wilfried Schreck ja: 304 Kerstin Griese Gabriele Lösekrug-Möller Ottmar Schreiner nein: 294 Gabriele Groneberg Erika Lotz Gerhard Schröder enthalten: 1 Achim Großmann Dr. Christine Lucyga Gisela Schröter Wolfgang Grotthaus Dirk Manzewski Brigitte Schulte (Hameln) Ja Karl-Hermann Haack Tobias Marhold Reinhard Schultz (Extertal) Lothar Mark (Everswinkel) SPD Hans-Joachim Hacker Caren Marks Swen Schulz (Spandau) Bettina Hagedorn Christoph Matschie Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Lale Akgün Klaus Hagemann Hilde Mattheis Dr. Martin Schwanholz Gerd Andres Alfred Hartenbach Markus Meckel Rolf Schwanitz Ingrid Arndt-Brauer Michael Hartmann Ulrike Mehl Erika Simm Rainer Arnold (Wackernheim) Petra-Evelyne Merkel Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Hermann Bachmaier Anke Hartnagel Ulrike Merten Dr. Cornelie Sonntag- Ernst Bahr (Neuruppin) Nina Hauer Angelika Mertens Wolgast Doris Barnett Hubertus Heil Ursula Mogg Wolfgang Spanier Dr. Hans-Peter Bartels Reinhold Hemker Michael Müller (Düsseldorf) Dr. Margrit Spielmann Eckhardt Barthel (Berlin) Rolf Hempelmann Christian Müller (Zittau) Jörg-Otto Spiller Klaus Barthel (Starnberg) Dr. Barbara Hendricks Gesine Multhaupt Dr. Ditmar Staffelt Sören Bartol Gustav Herzog Franz Müntefering Ludwig Stiegler Sabine Bätzing Petra Heß Dr. Rolf Mützenich Rolf Stöckel Uwe Beckmeyer Monika Heubaum Volker Neumann (Bramsche) Christoph Strässer Klaus Uwe Benneter Gabriele Hiller-Ohm Dietmar Nietan Rita Streb-Hesse Dr. Axel Berg Stephan Hilsberg Dr. Erika Ober Dr. Peter Struck Ute Berg Gerd Höfer Joachim Stünker Hans-Werner Bertl Holger Ortel Jelena Hoffmann (Chemnitz) Petra Bierwirth Heinz Paula Jörg Tauss Walter Hoffmann Rudolf Bindig Johannes Pflug Jella Teuchner (Darmstadt) Lothar Binding (Heidelberg) Joachim Poß Dr. Gerald Thalheim Kurt Bodewig Iris Hoffmann (Wismar) Dr. Wilhelm Priesmeier Wolfgang Thierse Gerd Friedrich Bollmann Frank Hofmann (Volkach) Florian Pronold Franz Thönnes Klaus Brandner Eike Hovermann Dr. Sascha Raabe Hans-Jürgen Uhl (B) Willi Brase Klaas Hübner Karin Rehbock-Zureich Rüdiger Veit (D) Bernhard Brinkmann Christel Humme Gerold Reichenbach Simone Violka (Hildesheim) Lothar Ibrügger Dr. Carola Reimann Jörg Vogelsänger Hans-Günter Bruckmann Brunhilde Irber Christel Riemann- Ute Vogt (Pforzheim) Edelgard Bulmahn Renate Jäger Hanewinckel Dr. Marlies Volkmer Marco Bülow Jann-Peter Janssen Walter Riester Hans Georg Wagner Ulla Burchardt Klaus-Werner Jonas Reinhold Robbe Hedi Wegener Dr. Michael Bürsch Johannes Kahrs René Röspel Andreas Weigel Hans Martin Bury Ulrich Kasparick Dr. Ernst Dieter Rossmann Reinhard Weis (Stendal) Hans Büttner (Ingolstadt) Dr. h.c. Susanne Kastner Karin Roth (Esslingen) Petra Weis Marion Caspers-Merk Ulrich Kelber Michael Roth (Heringen) Gunter Weißgerber Dr. Peter Danckert Hans-Peter Kemper Gerhard Rübenkönig Matthias Weisheit Dr. Herta Däubler-Gmelin Klaus Kirschner Ortwin Runde Gert Weisskirchen Karl Diller Hans-Ulrich Klose Marlene Rupprecht (Wiesloch) Martin Dörmann Astrid Klug (Tuchenbach) Dr. Ernst Ulrich von Peter Dreßen Dr. Heinz Köhler (Coburg) Thomas Sauer Weizsäcker Detlef Dzembritzki Walter Kolbow Anton Schaaf Jochen Welt Sebastian Edathy Fritz Rudolf Körper Axel Schäfer (Bochum) Dr. Rainer Wend Siegmund Ehrmann Karin Kortmann Gudrun Schaich-Walch Lydia Westrich Hans Eichel Rolf Kramer Rudolf Scharping Inge Wettig-Danielmeier Marga Elser Anette Kramme Bernd Scheelen Dr. Margrit Wetzel Gernot Erler Ernst Kranz Dr. Hermann Scheer Andrea Wicklein Petra Ernstberger Nicolette Kressl Siegfried Scheffler Jürgen Wieczorek (Böhlen) Karin Evers-Meyer Volker Kröning Horst Schild Heidemarie Wieczorek-Zeul Annette Faße Angelika Krüger-Leißner Otto Schily Dr. Dieter Wiefelspütz Elke Ferner Dr. Hans-Ulrich Krüger Horst Schmidbauer Brigitte Wimmer (Karlsruhe) Gabriele Fograscher Horst Kubatschka (Nürnberg) Engelbert Wistuba Rainer Fornahl Ernst Küchler Ulla Schmidt (Aachen) Barbara Wittig Gabriele Frechen Helga Kühn-Mengel Silvia Schmidt (Eisleben) Dr. Wolfgang Wodarg Dagmar Freitag Ute Kumpf Dagmar Schmidt (Meschede) Verena Wohlleben Lilo Friedrich (Mettmann) Dr. Uwe Küster Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Waltraud Wolff Iris Gleicke Christine Lambrecht Heinz Schmitt (Landau) (Wolmirstedt) Günter Gloser Christian Lange (Backnang) Carsten Schneider Heidi Wright Uwe Göllner Christine Lehder Walter Schöler Uta Zapf 5796 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Präsident Wolfgang Thierse (A) Manfred Helmut Zöllmer Günter Baumann Tanja Gönner Patricia Lips (C) Dr. Christoph Zöpel Ernst-Reinhard Beck Josef Göppel Dr. Michael Luther (Reutlingen) Peter Götz Dorothee Mantel BÜNDNIS 90 / DIE Veronika Bellmann Dr. Wolfgang Götzer Erwin Marschewski GRÜNEN Dr. Christoph Bergner Ute Granold (Recklinghausen) Kurt-Dieter Grill Stephan Mayer (Altötting) Kerstin Andreae Otto Bernhardt Reinhard Grindel Conny Mayer (Baiersbronn) Marieluise Beck (Bremen) Dr. Rolf Bietmann Hermann Gröhe Dr. Martin Mayer Volker Beck (Köln) Clemens Binninger Michael Grosse-Brömer (Siegertsbrunn) Cornelia Behm Renate Blank Markus Grübel Wolfgang Meckelburg Birgitt Bender Peter Bleser Manfred Grund Dr. Michael Meister Matthias Berninger Antje Blumenthal Karl-Theodor Freiherr von Dr. Angela Merkel Grietje Bettin Dr. Maria Böhmer und zu Guttenberg Friedrich Merz Alexander Bonde Jochen Borchert Olav Gutting Laurenz Meyer (Hamm) Ekin Deligöz Wolfgang Börnsen Holger-Heinrich Haibach Doris Meyer (Tapfheim) Dr. Thea Dückert (Bönstrup) Gerda Hasselfeldt Maria Michalk Jutta Dümpe-Krüger Wolfgang Bosbach Klaus-Jürgen Hedrich Hans Michelbach Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Wolfgang Bötsch Helmut Heiderich Klaus Minkel Dr. Uschi Eid Klaus Brähmig Ursula Heinen Marlene Mortler Hans-Josef Fell Dr. Ralf Brauksiepe Siegfried Helias Stefan Müller (Erlangen) Joseph Fischer (Frankfurt) Helge Braun Uda Carmen Freia Heller Bernward Müller (Gera) Katrin Göring-Eckardt Monika Brüning Michael Hennrich Dr. Gerd Müller Anja Hajduk Georg Brunnhuber Jürgen Herrmann Hildegard Müller Winfried Hermann Verena Butalikakis Bernd Heynemann Bernd Neumann (Bremen) Antje Hermenau Hartmut Büttner Ernst Hinsken Henry Nitzsche (Schönebeck) Peter Hettlich Peter Hintze Michaela Noll Cajus Caesar Ulrike Höfken Robert Hochbaum Claudia Nolte Thilo Hoppe Manfred Carstens (Emstek) Klaus Hofbauer Günter Nooke Fritz Kuhn Peter H. Carstensen Martin Hohmann Dr. Georg Nüßlein Renate Künast (Nordstrand) Joachim Hörster Franz Obermeier Undine Kurth (Quedlinburg) Gitta Connemann Hubert Hüppe Eduard Oswald Markus Kurth Leo Dautzenberg Susanne Jaffke Melanie Oßwald Dr. Reinhard Loske Hubert Deittert Dr. Dieter Jahr Rita Pawelski Anna Lührmann Albert Deß Dr. Egon Jüttner Dr. Peter Paziorek Jerzy Montag Alexander Dobrindt Bartholomäus Kalb Ulrich Petzold Kerstin Müller (Köln) (B) Vera Dominke Steffen Kampeter Dr. Joachim Pfeiffer (D) Winfried Nachtwei Thomas Dörflinger Irmgard Karwatzki Sibylle Pfeiffer Christa Nickels Marie-Luise Dött Bernhard Nikolaus Kaster Dr. Friedbert Pflüger Friedrich Ostendorff Maria Eichhorn Siegfried Kauder (Bad Beatrix Philipp Simone Probst Rainer Eppelmann Dürrheim) Ronald Pofalla Claudia Roth (Augsburg) Anke Eymer (Lübeck) Volker Kauder Ruprecht Polenz Krista Sager Georg Fahrenschon Gerlinde Kaupa Daniela Raab Christine Scheel Ilse Falk Eckart von Klaeden Thomas Rachel Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Hans Georg Faust Jürgen Klimke Hans Raidel Rezzo Schlauch Albrecht Feibel Julia Klöckner Dr. Peter Ramsauer Albert Schmidt (Ingolstadt) Enak Ferlemann Kristina Köhler (Wiesbaden) Helmut Rauber Petra Selg Ingrid Fischbach Manfred Kolbe Peter Rauen Ursula Sowa Hartwig Fischer (Göttingen) Norbert Königshofen Christa Reichard (Dresden) Rainder Steenblock Katherina Reiche Dirk Fischer (Hamburg) Hartmut Koschyk Silke Stokar von Neuforn Hans-Peter Repnik Axel E. Fischer (Karlsruhe- Thomas Kossendey Hans-Christian Ströbele Klaus Riegert Land) Rudolf Kraus Jürgen Trittin Michael Kretschmer Dr. Heinz Riesenhuber Marianne Tritz Dr. Maria Flachsbarth Hannelore Roedel Klaus-Peter Flosbach Günther Krichbaum Hubert Ulrich Günter Krings Franz-Xaver Romer Herbert Frankenhauser Dr. Antje Vogel-Sperl Dr. Martina Krogmann Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Antje Vollmer Dr. Hermann Kues Dr. Klaus Rose (Hof) Dr. Ludger Volmer Werner Kuhn (Zingst) Kurt J. Rossmanith Josef Philip Winkler Erich G. Fritz Dr. Karl A. Lamers Dr. Norbert Röttgen Margareta Wolf (Frankfurt) Jochen-Konrad Fromme (Heidelberg) Volker Rühe Dr. Michael Fuchs Dr. Norbert Lammert Albert Rupprecht (Weiden) Hans-Joachim Fuchtel Peter Rzepka Nein Helmut Lamp Dr. Peter Gauweiler Barbara Lanzinger Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Jürgen Gehb Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU Karl-Josef Laumann Norbert Geis Vera Lengsfeld Hartmut Schauerte Ulrich Adam Roland Gewalt Peter Letzgus Andreas Scheuer Ilse Aigner Eberhard Gienger Ursula Lietz Norbert Schindler Peter Altmaier Georg Girisch Walter Link (Diepholz) Georg Schirmbeck Dietrich Austermann Michael Glos Eduard Lintner Bernd Schmidbauer Norbert Barthle Ralf Göbel Dr. Klaus W. Lippold Christian Schmidt (Fürth) Dr. Wolf Bauer Dr. Reinhard Göhner (Offenbach) Andreas Schmidt (Mülheim) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5797

Präsident Wolfgang Thierse (A) Dr. Andreas Schockenhoff Volkmar Uwe Vogel Horst Friedrich (Bayreuth) Detlef Parr (C) Dr. Ole Schröder Andrea Astrid Voßhoff Rainer Funke Cornelia Pieper Bernhard Schulte-Drüggelte Gerhard Wächter Dr. Wolfgang Gerhardt Gisela Piltz Uwe Schummer Marko Wanderwitz Hans-Michael Goldmann Dr. Andreas Pinkwart Wilhelm Josef Sebastian Peter Weiß (Emmendingen) Joachim Günther (Plauen) Dr. Günter Rexrodt Horst Seehofer Gerald Weiß (Groß-Gerau) Dr. Karlheinz Guttmacher Marita Sehn Kurt Segner Ingo Wellenreuther Dr. Christel Happach-Kasan Dr. Hermann Otto Solms Matthias Sehling Annette Widmann-Mauz Christoph Hartmann Dr. Max Stadler Marion Seib Klaus-Peter Willsch (Homburg) Dr. Rainer Stinner Heinz Seiffert Willy Wimmer (Neuss) Klaus Haupt Carl-Ludwig Thiele Matthias Wissmann Bernd Siebert Ulrich Heinrich Dr. Dieter Thomae Werner Wittlich Thomas Silberhorn Birgit Homburger Jürgen Türk Johannes Singhammer Dagmar Wöhrl Dr. Werner Hoyer Elke Wülfing Dr. Guido Westerwelle Jens Spahn Michael Kauch Dr. Claudia Winterstein Erika Steinbach Wolfgang Zeitlmann Dr. Heinrich L. Kolb Wolfgang Zöller Christian von Stetten Gudrun Kopp Fraktionslose Abgeordnete Gero Storjohann Willi Zylajew Jürgen Koppelin Andreas Storm Sibylle Laurischk Dr. Gesine Lötzsch Max Straubinger FDP Harald Leibrecht Petra Pau Matthäus Strebl Daniel Bahr (Münster) Ina Lenke Thomas Strobl (Heilbronn) Sabine Leutheusser- Rainer Brüderle Enthalten Lena Strothmann Angelika Brunkhorst Schnarrenberger Michael Stübgen Ernst Burgbacher Dirk Niebel BÜNDNIS 90/DIE Antje Tillmann Helga Daub Günther Friedrich Nolting GRÜNEN Edeltraut Töpfer Jörg van Essen Hans-Joachim Otto Dr. Hans-Peter Uhl Ulrike Flach (Frankfurt) Werner Schulz (Berlin) Arnold Vaatz Otto Fricke Eberhard Otto (Godern) Petra Pau

Ich eröffne die Aussprache zu den Tagesordnungs- Jahrzehntelang wurde die Sozialhilfe als reine Armuts- punkten 21 a und 21 b und erteile dem Kollegen Rolfverwaltung durchgeführt. (B) Stöckel, SPD-Fraktion, das Wort. (D) Die Würde und Selbstachtung der Betroffenen, aber (Beifall bei Abgeordneten der SPD) auch das Gemüt der Fachkräfte, die über diese Hilfen entscheiden müssen, blieben dabei meist auf der Strecke. Nicht wenige – wer will es in Zeiten der Massenarbeits- (SPD): Rolf Stöckel losigkeit und fehlender aktivierender Hilfen verdenken – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es isthaben die Sozialhilfe legal genutzt, obwohl sie eigene wohl Zufall, aber es ehrt dieses Haus, dass wir heute, am Kräfte hätten einsetzen können. Eine Minderheit hat die Internationalen Tag der Bekämpfung der Armut der Ver- komplizierten Regelungen mit kleinen Betrügereien aus- einten Nationen, die längst überfällige Novelle der So- genutzt. Warum sollten gerade sie sich anders verhalten zialhilfe beschließen. als jene, die eine Steuererklärung machen müssen? Wa- rum sollten sie solidarischer sein mit dem Gemeinwohl Die Sozialhilfe wird meist auf zwei Ebenen disku-als die Steuerjuristen großer Unternehmen? tiert: Da ist zum einen der Missbrauch – das aktuelle Beispiel Florida-Rolf kennen alle – und da ist zum ande- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ren die Sicht der Wohlfahrt, dass die Höhe der finanziel- len Leistung den Grad der Bekämpfung der Armut oder Natürlich hat die Sozialhilfe jahrzehntelang für viele den Grad der sozialen Gerechtigkeit ausmacht. Betroffene ihren ursprünglichen Zweck erfüllt, zum Bei- spiel für circa 1,5 Millionen Behinderte und Pflegebe- Alle Fachleute bestätigen, dass die Sozialhilfe vor al- dürftige in und außerhalb von Einrichtungen, die sich lem daran krankt, dass sie ihre Ziele als Hilfe zur Selbst- aus eigener Kraft nicht oder nur unzureichend helfen hilfe zu wenig erreicht und seit Jahrzehnten als Notnagel können. Sie ist für diese Menschen als unterstes soziales herhalten muss, wenn esum Massenarbeitslosigkeit, Netz gar nicht wegzudenken. mangelnde Integration und fehlende Kinderbetreuung geht. Das alles geschieht auf Kosten der Kommunen, Die Regierungskoalition hat sich die Aufgabe gestellt, aber vor allem auch der Betroffenen selbst. die Sozialhilfe im Zusammenhang mit den Hartz-Refor- men und der seit 2003 eingerichteten Grundsicherung Falsche Anreize, Verfestigung von Armutslagen und für Bedürftige über 65 Jahre und auf Dauer Erwerbsun- Ausgrenzung sind die Folge. Vieles, was schon lange an fähige ab 18 Jahre so zu erneuern, dass sie ihrem eigent- aktivierenden Hilfen zur Selbsthilfe hätte getan werden lichen Ziel gerecht werden kann: das Referenzsystem für müssen, wurde nicht angeboten. Dies geschah erst unter alle vorrangigen staatlichen Fürsorgeleistungen und die dem enormen Finanzdruck und das meist unzulänglich. unterste Sicherung für die kleine Zahl jener zu sein, die 5798 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Rolf Stöckel (A) nicht unter die Leistungsberechtigung der anderenWir erreichen die lange geforderte Verwaltungsvereinfa- (C) Grundsicherungen fallen. chung durch eine Pauschalisierung einmaliger Leistun- gen und die Anpassung der Grundsicherungen, sodass Kritisiert wird von der Opposition und von einigen keine ergänzende Sozialhilfe mehr geleistet werden Bundesländern, dass nicht gleich alle Fürsorgeleistungen muss und eine ausufernde Bürokratie sowie Verschiebe- zusammengepackt werden oder – wahlweise – dass die bahnhöfe der Vergangenheit angehören. Sozialhilfe erst nach Erfahrungen mit der Grundsiche- rung für Arbeitsuchende reformiert wird. Diese Beden- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ken sind aber im Grunde den jeweiligen finanzpoliti- DIE GRÜNEN) schen Interessen und taktischen Erwägungen geschuldet. Das Regelsatzsystem wird durch Anbindung an die Die Städte und Gemeinden sehen das im Grunde ge-Einkommens- und Verbrauchsstichproben nicht nur nauso. transparenter und für alle nachvollziehbarer, sondern zu- Das Konzept der Union, das Existenzgrundlagenge- künftig auch regelmäßig angepasst und so für die Betrof- setz von Herrn Koch, abgekürzt EGG – das ist wirklich fenen gerechter. Für die Behinderten und Pflegebedürfti- ein faules Ei –, bedeutet nicht nur die Rückkehr zum Al- gen – darauf gibt Ihr Existenzgrundlagengesetz auch mosenstaat und zu Zwangsarbeit, sondern ist auch völlig keine Antwort – verwirklichen wir die Leitbilder „ambu- unzureichend, was die aktuellen Herausforderungen an- lant vor stationär“ und „mehr Selbstbestimmung“ durch geht. Das mangelnde Engagement, mit dem die Sozial- das persönliche Budget mit einer freiwilligen Einfüh- politiker der Union diese Bundesratsinitiative unterstüt- rungsphase. zen, spricht Bände. (Beifall bei der SPD) Sie sollten sich einmal vorstellen, was in Deutschland Damit legen wir die entscheidenden Grundlagen für ein passiert, wenn die Kommunen ab 1. Juli 2004 verpflich- zukünftiges System der Hilfe aus einer Hand. tet würden – so Herr Kochs Vorschlag –, ad hoc 1,5 Millionen neue öffentliche Beschäftigungsangebote Wenn die beteiligten Akteure im unvermeidbaren bereitzustellen, was das kostet und wie sich das örtliche Vermittlungsverfahren – das wissen wir alle – klug han- Handwerkswesen darauf freuen wird. Meine Damen und deln und diejenigen, die letztlich vor Ort für die Umset- Herren von der Union, Sie schaffen weder die Doppelzu- zung sorgen müssen, wirklich zusammenarbeiten, wird ständigkeiten der Kommunen und der Bundesanstalt für es einen effizienten Umbau unseres untersten sozialen Arbeit ab noch haben Sie wirklich Ideen dafür, wie Bü- Sicherungssystems im Interesse der Betroffenen und des rokratieschnüffelei vermieden und die Eigenverantwor- Gemeinwesens geben. Es wird ein Gesetz möglich, das tung und das Selbstwertgefühl behinderter Menschen ge- in der Sozialgeschichte der Bundesrepublik wirklich ein- (B) stärkt werden können. malig sein wird, weil es dem Prinzip des Förderns und(D) Forderns sowie den Zielen der Agenda 2010 gerecht (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wird. DIE GRÜNEN) Denjenigen, die uns aus Unverständnis oder wider Nein, Sie wollen die Sozialhilfe kürzen oder ganz ab- besseres Wissen – das gilt teilweise auch für die eigenen schaffen. Das gehört sich nun wirklich nicht für die Par- Reihen – vorwerfen, wir setzten den Sozialstaat aufs tei mit dem großen „C“ im Namen. Spiel, kann ich nur entgegnen: Es ist nicht sozial gerecht und demokratisch, Millionen Menschen vom Arbeits- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ markt, von selbstbewusster gesellschaftlicher Teilhabe DIE GRÜNEN) auszuschließen und Sozialhilfedynastien zu verfestigen, unabhängig davon, wie hoch die Transferleistungen auch Ich möchte feststellen, dass wir mit der Zustimmung sein mögen. des Hauses bei der gerade wiederholten namentlichen Abstimmung die Basis dafür gelegt haben, dass alle bis- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ herigen erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger und ihre DIE GRÜNEN) Angehörigen, also annähernd 1,3 Millionen Menschen, Mit dieser Novelle des Sozialhilferechts und den Re- in das neue bundesfinanzierte Arbeitslosengeld II über- formen auf dem Arbeitsmarkt machen wir den Sozial- führt werden und sie damit alle persönlichen aktivieren- staat des Grundgesetzes, den Herr Koch abschaffen den Hilfen erhalten werden, die zur Überwindung der möchte, auch unter veränderten Bedingungen zukunfts- Hilfebedürftigkeit beitragen können. fest und zielgenauer. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) Die meisten werden nicht nur in Hinsicht auf qualifizie- Wir achten den Grundsatz, dass auch diejenigen ein rende Angebote, sondern auch in der finanziellen Leis- menschenwürdiges Leben und gesellschaftliche Teilhabe tung besser gestellt. Wir stellen mit der Sozialhilfereform beanspruchen und verwirklichen können, die das aus ei- sicher, dass alle, auch diejenigen, die als erwerbsunfähig gener Kraft nicht schaffen. Die für beide Seiten entwür- oder -gemindert gelten, aktivierende Hilfen erhalten. digende und für die Betroffenen entmündigende Büro- kratie wird endlich ein Ende haben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5799

Rolf Stöckel (A) Im Rahmen des Nationalen Aktionsplans zur Be- Präsident Wolfgang Thierse: (C) kämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung, der Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich der hier heute vorgestellt wird, ist die Einordnung des So- nächsten Rednerin das Wort erteile, möchte ich das von zialhilferechts in das Sozialgesetzbuch ein wichtiger und den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte mutiger Schritt. Ich möchte mich herzlich bei allen be- Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den von danken: bei der zuständigen Abteilung des neuen Minis- den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grü- teriums für Gesundheit und Soziale Sicherung, bei der nen eingebrachten Entwurf eines Vierten Gesetzes für Koalitionsarbeitsgruppe und bei meiner Fraktion, die gut moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, Druck- ein Jahr lang daran gearbeitet haben. sachen 15/1516 und 15/1728, mitteilen. Abgegebene Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann Ihnen hier Stimmen 598. Mit Ja haben gestimmt 306, mit Nein ha- mit gutem Gewissen raten: Stimmen Sie unserem Ge- ben gestimmt 291, Enthaltungen 1. Der Gesetzentwurf setzentwurf zu! ist damit angenommen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten DIE GRÜNEN) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Endgültiges Ergebnis Karl Diller Gerd Höfer Dirk Manzewski Abgegebene Stimmen: 597; Martin Dörmann Jelena Hoffmann (Chemnitz) Tobias Marhold davon Peter Dreßen Walter Hoffmann Lothar Mark Detlef Dzembritzki (Darmstadt) Caren Marks ja: 305 Sebastian Edathy Iris Hoffmann (Wismar) Christoph Matschie nein: 291 Siegmund Ehrmann Frank Hofmann (Volkach) Hilde Mattheis enthalten: 1 Hans Eichel Eike Hovermann Markus Meckel Marga Elser Klaas Hübner Ulrike Mehl Ja Gernot Erler Christel Humme Petra-Evelyne Merkel Petra Ernstberger Lothar Ibrügger Ulrike Merten SPD Karin Evers-Meyer Brunhilde Irber Angelika Mertens Annette Faße Renate Jäger Ursula Mogg Dr. Lale Akgün Elke Ferner Jann-Peter Janssen Michael Müller (Düsseldorf) Gerd Andres Gabriele Fograscher Klaus-Werner Jonas Christian Müller (Zittau) (B) Ingrid Arndt-Brauer Rainer Fornahl Johannes Kahrs Gesine Multhaupt (D) Rainer Arnold Gabriele Frechen Ulrich Kasparick Franz Müntefering Hermann Bachmaier Dagmar Freitag Dr. h.c. Susanne Kastner Dr. Rolf Mützenich Ernst Bahr (Neuruppin) Lilo Friedrich (Mettmann) Ulrich Kelber Volker Neumann (Bramsche) Doris Barnett Iris Gleicke Hans-Peter Kemper Dietmar Nietan Dr. Hans-Peter Bartels Günter Gloser Klaus Kirschner Dr. Erika Ober Eckhardt Barthel (Berlin) Uwe Göllner Hans-Ulrich Klose Holger Ortel Klaus Barthel (Starnberg) Renate Gradistanac Astrid Klug Heinz Paula Sören Bartol Angelika Graf (Rosenheim) Dr. Heinz Köhler (Coburg) Johannes Pflug Sabine Bätzing Dieter Grasedieck Walter Kolbow Joachim Poß Uwe Beckmeyer Monika Griefahn Fritz Rudolf Körper Dr. Wilhelm Priesmeier Klaus Uwe Benneter Kerstin Griese Karin Kortmann Florian Pronold Dr. Axel Berg Gabriele Groneberg Rolf Kramer Dr. Sascha Raabe Ute Berg Achim Großmann Anette Kramme Karin Rehbock-Zureich Hans-Werner Bertl Wolfgang Grotthaus Ernst Kranz Gerold Reichenbach Petra Bierwirth Karl-Hermann Haack Nicolette Kressl Dr. Carola Reimann Rudolf Bindig (Extertal) Volker Kröning Christel Riemann- Lothar Binding (Heidelberg) Hans-Joachim Hacker Angelika Krüger-Leißner Hanewinckel Kurt Bodewig Bettina Hagedorn Dr. Hans-Ulrich Krüger Walter Riester Gerd Friedrich Bollmann Klaus Hagemann Horst Kubatschka Reinhold Robbe Klaus Brandner Alfred Hartenbach Ernst Küchler René Röspel Willi Brase Michael Hartmann Helga Kühn-Mengel Dr. Ernst Dieter Rossmann Bernhard Brinkmann (Wackernheim) Ute Kumpf Karin Roth (Esslingen) (Hildesheim) Anke Hartnagel Dr. Uwe Küster Michael Roth (Heringen) Hans-Günter Bruckmann Nina Hauer Christine Lambrecht Gerhard Rübenkönig Edelgard Bulmahn Hubertus Heil Christian Lange (Backnang) Ortwin Runde Marco Bülow Reinhold Hemker Christine Lehder Marlene Rupprecht Ulla Burchardt Rolf Hempelmann Waltraud Lehn (Tuchenbach) Dr. Michael Bürsch Dr. Barbara Hendricks Dr. Elke Leonhard Thomas Sauer Hans Martin Bury Gustav Herzog Eckhart Lewering Anton Schaaf Hans Büttner (Ingolstadt) Petra Heß Götz-Peter Lohmann Axel Schäfer (Bochum) Marion Caspers-Merk Monika Heubaum Gabriele Lösekrug-Möller Gudrun Schaich-Walch Dr. Peter Danckert Gabriele Hiller-Ohm Erika Lotz Rudolf Scharping Dr. Herta Däubler-Gmelin Stephan Hilsberg Dr. Christine Lucyga Bernd Scheelen 5800 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Präsident Wolfgang Thierse (A) Dr. Hermann Scheer Heidemarie Wieczorek-Zeul Josef Philip Winkler Jochen-Konrad Fromme (C) Siegfried Scheffler Dr. Dieter Wiefelspütz Margareta Wolf (Frankfurt) Dr. Michael Fuchs Horst Schild Brigitte Wimmer (Karlsruhe) Hans-Joachim Fuchtel Otto Schily Engelbert Wistuba Dr. Jürgen Gehb Horst Schmidbauer Barbara Wittig Nein Norbert Geis (Nürnberg) Roland Gewalt Dr. Wolfgang Wodarg CDU/CSU Ulla Schmidt (Aachen) Verena Wohlleben Eberhard Gienger Silvia Schmidt (Eisleben) Waltraud Wolff Ulrich Adam Georg Girisch Dagmar Schmidt (Meschede) (Wolmirstedt) Ilse Aigner Michael Glos Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Heidi Wright Peter Altmaier Ralf Göbel Heinz Schmitt (Landau) Uta Zapf Dietrich Austermann Dr. Reinhard Göhner Carsten Schneider Manfred Helmut Zöllmer Norbert Barthle Tanja Gönner Walter Schöler Dr. Christoph Zöpel Dr. Wolf Bauer Peter Götz Olaf Scholz Günter Baumann Dr. Wolfgang Götzer Karsten Schönfeld BÜNDNIS 90/DIE Ernst-Reinhard Beck Ute Granold Fritz Schösser GRÜNEN (Reutlingen) Kurt-Dieter Grill Wilfried Schreck Veronika Bellmann Reinhard Grindel Ottmar Schreiner Kerstin Andreae Dr. Christoph Bergner Hermann Gröhe Gerhard Schröder Marieluise Beck (Bremen) Otto Bernhardt Michael Grosse-Brömer Gisela Schröter Volker Beck (Köln) Dr. Rolf Bietmann Markus Grübel Brigitte Schulte (Hameln) Cornelia Behm Clemens Binninger Manfred Grund Reinhard Schultz Birgitt Bender Renate Blank Karl-Theodor Freiherr von (Everswinkel) Matthias Berninger Peter Bleser und zu Guttenberg Swen Schulz (Spandau) Grietje Bettin Antje Blumenthal Olav Gutting Dr. Angelica Schwall-Düren Alexander Bonde Dr. Maria Böhmer Holger-Heinrich Haibach Dr. Martin Schwanholz Ekin Deligöz Jochen Borchert Gerda Hasselfeldt Rolf Schwanitz Dr. Thea Dückert Wolfgang Börnsen Klaus-Jürgen Hedrich Erika Simm Jutta Dümpe-Krüger (Bönstrup) Helmut Heiderich Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Franziska Eichstädt-Bohlig Wolfgang Bosbach Ursula Heinen Dr. Cornelie Sonntag- Dr. Uschi Eid Dr. Wolfgang Bötsch Siegfried Helias Wolgast Hans-Josef Fell Klaus Brähmig Uda Carmen Freia Heller Wolfgang Spanier Joseph Fischer (Frankfurt) Dr. Ralf Brauksiepe Michael Hennrich Dr. Margrit Spielmann Katrin Göring-Eckardt Helge Braun Jürgen Herrmann Jörg-Otto Spiller Anja Hajduk Monika Brüning Bernd Heynemann Dr. Ditmar Staffelt Winfried Hermann Georg Brunnhuber Ernst Hinsken Ludwig Stiegler (B) Antje Hermenau Verena Butalikakis Peter Hintze (D) Rolf Stöckel Peter Hettlich Hartmut Büttner Robert Hochbaum Christoph Strässer Ulrike Höfken (Schönebeck) Klaus Hofbauer Rita Streb-Hesse Thilo Hoppe Cajus Caesar Martin Hohmann Dr. Peter Struck Michaele Hustedt Manfred Carstens (Emstek) Joachim Hörster Joachim Stünker Fritz Kuhn Jörg Tauss Peter H. Carstensen Hubert Hüppe Renate Künast (Nordstrand) Susanne Jaffke Jella Teuchner Undine Kurth (Quedlinburg) Dr. Gerald Thalheim Gitta Connemann Dr. Dieter Jahr Markus Kurth Leo Dautzenberg Dr. Egon Jüttner Wolfgang Thierse Dr. Reinhard Loske Franz Thönnes Hubert Deittert Bartholomäus Kalb Anna Lührmann Hans-Jürgen Uhl Albert Deß Steffen Kampeter Jerzy Montag Rüdiger Veit Alexander Dobrindt Irmgard Karwatzki Kerstin Müller (Köln) Simone Violka Vera Dominke Bernhard Nikolaus Kaster Jörg Vogelsänger Winfried Nachtwei Thomas Dörflinger Siegfried Kauder (Bad Ute Vogt (Pforzheim) Christa Nickels Marie-Luise Dött Dürrheim) Dr. Marlies Volkmer Friedrich Ostendorff Maria Eichhorn Volker Kauder Hans Georg Wagner Simone Probst Rainer Eppelmann Gerlinde Kaupa Hedi Wegener Claudia Roth (Augsburg) Anke Eymer (Lübeck) Eckart von Klaeden Andreas Weigel Krista Sager Georg Fahrenschon Jürgen Klimke Reinhard Weis (Stendal) Christine Scheel Ilse Falk Julia Klöckner Petra Weis Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Hans Georg Faust Kristina Köhler (Wiesbaden) Gunter Weißgerber Rezzo Schlauch Albrecht Feibel Manfred Kolbe Matthias Weisheit Albert Schmidt (Ingolstadt) Enak Ferlemann Norbert Königshofen Gert Weisskirchen Petra Selg Ingrid Fischbach Hartmut Koschyk (Wiesloch) Ursula Sowa Hartwig Fischer (Göttingen) Thomas Kossendey Dr. Ernst Ulrich von Rainder Steenblock Dirk Fischer (Hamburg) Rudolf Kraus Weizsäcker Silke Stokar von Neuforn Axel E. Fischer (Karlsruhe- Michael Kretschmer Jochen Welt Hans-Christian Ströbele Land) Günther Krichbaum Dr. Rainer Wend Jürgen Trittin Dr. Maria Flachsbarth Günter Krings Lydia Westrich Marianne Tritz Klaus-Peter Flosbach Dr. Martina Krogmann Inge Wettig-Danielmeier Hubert Ulrich Herbert Frankenhauser Dr. Hermann Kues Dr. Margrit Wetzel Dr. Antje Vogel-Sperl Dr. Hans-Peter Friedrich Werner Kuhn (Zingst) Andrea Wicklein Dr. Antje Vollmer (Hof) Dr. Karl A. Lamers Jürgen Wieczorek (Böhlen) Dr. Ludger Volmer Erich G. Fritz (Heidelberg) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5801

Präsident Wolfgang Thierse (A) Dr. Norbert Lammert Sibylle Pfeiffer Johannes Singhammer Christoph Hartmann (C) Helmut Lamp Dr. Friedbert Pflüger Jens Spahn (Homburg) Barbara Lanzinger Beatrix Philipp Erika Steinbach Klaus Haupt Karl-Josef Laumann Ronald Pofalla Christian von Stetten Ulrich Heinrich Vera Lengsfeld Ruprecht Polenz Gero Storjohann Birgit Homburger Peter Letzgus Daniela Raab Andreas Storm Dr. Werner Hoyer Ursula Lietz Thomas Rachel Max Straubinger Michael Kauch Walter Link (Diepholz) Hans Raidel Matthäus Strebl Dr. Heinrich L. Kolb Eduard Lintner Dr. Peter Ramsauer Thomas Strobl (Heilbronn) Gudrun Kopp Lena Strothmann Dr. Klaus W. Lippold Helmut Rauber Jürgen Koppelin Michael Stübgen (Offenbach) Peter Rauen Sibylle Laurischk Antje Tillmann Patricia Lips Christa Reichard (Dresden) Harald Leibrecht Dr. Michael Luther Katherina Reiche Edeltraut Töpfer Ina Lenke Dorothee Mantel Hans-Peter Repnik Dr. Hans-Peter Uhl Sabine Leutheusser- Erwin Marschewski Klaus Riegert Arnold Vaatz Schnarrenberger (Recklinghausen) Dr. Heinz Riesenhuber Volkmar Uwe Vogel Markus Löning Stephan Mayer (Altötting) Hannelore Roedel Andrea Astrid Voßhoff Conny Mayer (Baiersbronn) Franz-Xaver Romer Gerhard Wächter Dirk Niebel Dr. Martin Mayer Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Marko Wanderwitz Günther Friedrich Nolting (Siegertsbrunn) Dr. Klaus Rose Peter Weiß (Emmendingen) Hans-Joachim Otto Wolfgang Meckelburg Kurt J. Rossmanith Gerald Weiß (Groß-Gerau) (Frankfurt) Dr. Michael Meister Dr. Norbert Röttgen Ingo Wellenreuther Eberhard Otto (Godern) Dr. Angela Merkel Dr. Christian Ruck Annette Widmann-Mauz Detlef Parr Friedrich Merz Vo l k e r R ü he Klaus-Peter Willsch Cornelia Pieper Laurenz Meyer (Hamm) Albert Rupprecht (Weiden) Willy Wimmer (Neuss) Gisela Piltz Doris Meyer (Tapfheim) Peter Rzepka Matthias Wissmann Dr. Günter Rexrodt Maria Michalk Anita Schäfer (Saalstadt) Werner Wittlich Marita Sehn Hans Michelbach Dr. Wolfgang Schäuble Dagmar Wöhrl Dr. Hermann Otto Solms Klaus Minkel Hartmut Schauerte Elke Wülfing Dr. Max Stadler Marlene Mortler Andreas Scheuer Wolfgang Zeitlmann Dr. Rainer Stinner Wolfgang Zöller Stefan Müller (Erlangen) Norbert Schindler Carl-Ludwig Thiele Willi Zylajew Bernward Müller (Gera) Georg Schirmbeck Dr. Dieter Thomae Dr. Gerd Müller Bernd Schmidbauer FDP Jürgen Türk Hildegard Müller Christian Schmidt (Fürth) Dr. Guido Westerwelle (B) Bernd Neumann (Bremen) Andreas Schmidt (Mülheim) Daniel Bahr (Münster) Dr. Claudia Winterstein (D) Henry Nitzsche Dr. Andreas Schockenhoff Angelika Brunkhorst Michaela Noll Dr. Ole Schröder Ernst Burgbacher Fraktionslose Abgeordnete Claudia Nolte Bernhard Schulte-Drüggelte Helga Daub Günter Nooke Uwe Schummer Jörg van Essen Dr. Gesine Lötzsch Dr. Georg Nüßlein Wilhelm Josef Sebastian Otto Fricke Petra Pau Franz Obermeier Horst Seehofer Horst Friedrich (Bayreuth) Eduard Oswald Kurt Segner Rainer Funke Enthalten Melanie Oßwald Matthias Sehling Dr. Wolfgang Gerhardt Rita Pawelski Marion Seib Hans-Michael Goldmann BÜNDNIS 90/DIE Dr. Peter Paziorek Heinz Seiffert Joachim Günther (Plauen) GRÜNEN Ulrich Petzold Bernd Siebert Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Joachim Pfeiffer Thomas Silberhorn Dr. Christel Happach-Kasan Werner Schulz (Berlin)

Nun erteile ich der Kollegin Verena Butalikakis, Durch die von allen Fraktionen in diesem Hause ge- CDU/CSU-Fraktion, das Wort. wollte und zukünftig auch im Gesetz verankerte Gleichbehandlung von Menschen, die aufgrund länger- Verena Butalikakis (CDU/CSU): fristiger Arbeitslosigkeit aus Steuergeldern finanzierte Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Leistungen beziehen, nämlich die Arbeitslosen- und befinden uns inhaltlich eigentlich in einer Fortsetzung die Sozialhilfe, werden zwangsläufig Änderungen beim der Diskussion zum ersten Punkt unserer heutigen Ta- derzeit gültigen Bundessozialhilfegesetz notwendig. gesordnung. Es geht um e di Reform des Sozialhilfe- Dieser Änderungsbedarf besteht grundsätzlich, unab- rechts. Derzeit bestimmt das Bundessozialhilfegesetzhängig davon, welche gesetzliche Grundlage – ob nun entsprechend dem Gedanken des Grundgesetzes, welche das SGB II der Bundesregierung bzw. der Regierungs- Hilfen Menschen in bestimmten Notlagen erhalten, um koalition oder der Vorschlag der CDU/CSU für ein ein Leben führen zu können, das der Würde des Men- Existenzgrundlagengesetz – zukünftig für diese Perso- schen entspricht. nengruppen gilt. 5802 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Verena Butalikakis (A) Damit stehen wir vor der entscheidenden Frage: Wel- Viertens. Nachdrücklich bemängelten die Sachver-(C) che rechtlichen Regelungen brauchen wir für die Men- ständigen, dass die Regelsatzverordnung von der Bun- schen, die bisher und weiterhin Hilfe zum Lebensunter- desregierung noch nicht vorgelegt worden ist; sie fehle halt brauchen, Hilfen finanzieller, aber auch anderer Art, bei der Anhörung. So waren für die Sachverständigen wie sie das Bundessozialhilfegesetz derzeit vorsieht? Ausführungen sowohl zu den finanziellen Auswirkun- gen – immerhin sind im Finanztableau 5 Millionen Euro Der von der rot-grünen Regierungskoalition vorge- an Einsparungen in 2004 ausgewiesen – wie auch zu der legte Entwurf eines SGB XII sieht neben der formalen grundsätzlichen Einschätzung, ob zum Beispiel mit dem Eingliederung des Sozialhilferechts in die Sozialgesetz- zukünftigen Regelsatz das Existenzminimum abgesi- gebung einige wenige inhaltliche Änderungen des bishe- chert wird, nicht möglich. rigen Bundessozialhilfegesetzes vor. Fünftens. Alle Sachverständigen plädierten für eine Aus Sicht der CDU/CSU-Fraktion sind einige Ansätze Aussetzung des Gesetzesvorhabens – Kollege Stöckel davon in ihrer Zielsetzung sinnvoll, wie beispielsweise hat das eben erwähnt –, bis die grundsätzliche Entschei- die Stärkung der Selbstverantwortung des Leistungs- dung für die Personengruppe der Arbeitsfähigen getrof- berechtigten durch die Pauschalierung von Sozialhilfe- fen ist, sprich, bis klar ist, wie es mit Hartz IV nach der leistungen oder das Festschreiben der Zielsetzung eines Behandlung im Vermittlungsausschuss weitergeht. selbstbestimmten Lebens durch ein persönliches Budget für Menschen mit Behinderungen. Aber schon in der ers- (Beifall bei der CDU/CSU) ten Lesung des Gesetzentwurfes hier in diesem Hause So weit einstimmig die Sachverständigen! Ich betone haben wir erheblichen Klärungs- und Änderungsbedarf noch einmal: Es ist völlig klar, dass sie unterschiedliche gesehen, und zwar grundsätzlicher Art wie auch hinsicht- Interessen vertreten. Ein Vertreter eines Wohlfahrtsver- lich von Einzelregelungen und vor allem auch in Abgren- bandes verfolgt natürlich andere Interessen als ein Ver- zung zu anderen Gesetzen. treter der kommunalen Spitzenverbände. Trotzdem wa- Wie war das noch bei der ersten Lesung des Gesetz- ren alle dieser Auffassung. Nachzulesen ist das im entwurfes? Die rot-grüne Regierungskoalition über-Wortprotokoll der Anhörung. schlug sich förmlich beimEigenlob. Es war von einer (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „neuen Systematik“ mit „Verlässlichkeit und Klarheit“ Jeder will seinen Vorgarten retten!) die Rede, von einer „Strukturreform mit Nachhaltig- keit“. Es fiel der Satz – auch das ist ein Zitat aus dem– Herr Kollege Kurth, Siehaben schon im Ausschuss Wortprotokoll der entsprechenden Sitzung –: „Finan-eine solche Bemerkung gemacht. Ich habe mir lange zielle Leistungen werden bedarfsgerechter und nachvoll- überlegt, ob ich Sie heute zitiere oder nicht. Eigentlich (B) (D) ziehbarer bemessen“. hatte ich es beiseite geschoben, aber Sie ermuntern mich jetzt fast dazu. Die Anhörung der Sachverständigen am 24. Septem- ber hat aber sehr deutlich gemacht, dass so wie die CDU/ Zur abschließenden Beratung am Mittwoch im Aus- CSU-Fraktion alle Experten, von den Vertretern derschuss hat die Regierungskoalition mehrere Änderungs- Wohlfahrtsverbände über die des DGB bis zu den Vertre- anträge vorgelegt. Dazugelernt? Argumente der Sach- tern der kommunalen Spitzenverbände, eine gründliche verständigen aufgegriffen? – Nein! Überarbeitung des vorliegenden Gesetzentwurfes für Die Änderungen betrafen Marginalien, sie betrafen erforderlich halten. die Abgrenzung zu anderen Gesetzen – allerdings auch Im Folgenden nenne ich nur die gravierendstennur teilweise – und sie betrafen eine Neuerung, nämlich Punkte, die bei der Befragung von den Sachverständigen die Änderung des § 24 im Gesetzentwurf. Dazu sage ich – trotz der Vertretung unterschiedlicher Interessen nachher – noch etwas. übereinstimmend genannt worden sind: Also: Wozu werden Anhörungen zu Gesetzesentwür- Erstens. Das Finanztableau zu diesem Gesetz ist völ- fen durchgeführt, wenn die Regierungsmehrheit die lig unverständlich. Die ausgewiesenen Einsparungen für Aussagen aller Experten zu gravierenden Tatbeständen Länder und Kommunen in Höhe von 66 Millionen Euro vollständig ignoriert? Diese Frage habe ich schon im in 2004 sind in keiner Weise nachvollziehbar. Ausschuss sehr verärgert gestellt, weil ich es wirklich nicht richtig finde. Zweitens. Eine Pauschalierung der einmaligen Leis- (Rolf Stöckel [SPD]: Das ist pauschal, aber tung wird ebenso wie die Einführung eines personenbe- keine Leistung! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: zogenen Budgets grundsätzlich begrüßt. Unbedingt not- Diese Frage stellt sich wirklich!) wendig sind dabei aber, wie im Übrigen auch an anderen Stellen des Gesetzes, weitere Klärungen der Details. – Danke schön, Herr Kollege Kolb. – Im Prinzip stellt sich natürlich auch die Frage, wie die Gesetze in unse- Drittens. Es besteht ein unmittelbarer Zusammenhang rem Land mittlerweile gemacht werden. Das Zauber- mit dem Entwurf des SGB II. Eine eindeutige Abstim- wort, das diese Regierung im Jahre 1999 geprägt hat, mung und Abgrenzung beider Entwürfe und die Abgren- drängt sich bei dem vorliegenden Gesetzentwurf sofort zung zu anderen Gesetzen – angesprochen wurde in der auf: die Nachbesserung. Anhörung das Grundsicherungsgesetz – muss unbedingt erfolgen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5803

Verena Butalikakis (A) Nein, die CDU/CSU geht einen anderen Weg. Wer die men; denn wir sind der Meinung, dass erst nach der(C) Arbeit eines Sozialamtes und die Arbeit im Sozialamt abschließenden Klärung darüber, wie diese Zusammen- kennt – in hatte in Berlin häufig Gelegenheit dazu, sie führung aussieht, weitere Änderungen angegangen wer- mir anzuschauen –, weiß, wie wichtig es sowohl für die den können. Dabei sind wir im Gegensatz zu anderen der Bezieher von Leistungen als auch für die Mitarbeiter und Meinung – Ihre Bemerkung hat mich darin wieder be- Mitarbeiterinnen ist, eindeutige, einfache und klare Re- stärkt, Herr Kurth –, dass man sehr wohl auf die Fach- gelungen festzulegen. leute aus der Praxis hören sollte. Eine Menge schriftli- cher Vorschläge und Änderungswünsche zum jetzigen (Erika Lotz [SPD]: Sagen Sie doch mal was zu BSHG und zum Entwurf der Regierungskoalition liegen Hartz!) auf dem Tisch. Wer das Bundessozialhilferecht kennt, das seit 1961 Wir wollen gemeinsam mit den Fachleuten einige zahlreiche Änderungen, teilweise auch Auslagerungen, Punkte ändern und legen größten Wert darauf, dass dies wie zum Beispiel das Asylbewerberleistungsgesetz, er- zum Wohle der Kommunen geschieht. Mit uns wird es lebt hat, der weiß, dass jetzt grundlegende Änderungen kein Gesetz geben, bei dem die finanziellen Fragen, die angegangen werden müssen und dass jetzt der richtige die Kommunen unmittelbar betreffen, so ungeklärt sind Zeitpunkt für eine wirkliche Strukturreform ist. Die Zu- wie in dem vorliegenden Regierungsentwurf. sammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe für die erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger ist dabei der (Beifall bei der CDU/CSU) erste Schritt. Bei der Gesetzgebung muss man in kleinen Schritten Die Einordnung der Eingliederungshilfe für behin- vorgehen. Das vorliegende Gesetz ist dafür ein schlech- derte Menschen in das Sozialhilferecht ist fachlichtes Beispiel. Dass wir den Gesetzentwurf der Regie- nicht stimmig. Das ist bisher von allen Fraktionen in die- rungskoalition ablehnen, brauche ich wohl nicht weiter sem Hause auch immer unbestritten so gesehen worden. zu betonen. Bei der Eingliederungshilfe geht es nämlich in erster Li- Ich will aber den Kolleginnen und Kollegen von SPD nie um einen Nachteilsausgleich und nicht um Fürsorge und Bündnis 90/Die Grünen einen Satz mitgeben, der für im herkömmlichen Sinne. Deshalb muss es das Ziel sein, die Abstimmung vielleicht nicht unwichtig ist. Ein Sach- dass die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinde- verständiger in der Anhörung wandte sich an alle und er- rung aus dem Recht der Sozialhilfe herausgelöst wird. klärte Folgendes: Unsere herzliche Bitte an den Gesetz- Wir wollen für Menschen mit Behinderung ein eigen- geber ist, in dieser Situation endlich einmal auf die ständiges, steuerfinanziertes Leistungsgesetz schaffen. Praxis zu hören und nicht am grünen Tisch Dinge zu ent- (B) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) werfen, die entweder nicht praxistauglich oder die für(D) die Praxis so abwegig sind, dass sie von vornherein zu Die Gewährung von Sozialhilfe im Ausland – selbst- ignorieren sind. verständlich abgesehen von den aus unserer Geschichte begründeten Altfällen – ist systemfremd. Auch hier wol- Ich danke Ihnen. len wir eine Ausgliederung, nämlich die Übernahme der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Regelungen ins Konsulargesetz. neten der FDP) Den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts folgend, im Steuer- und Sozialrecht Benachteiligungen Präsident Wolfgang Thierse: der Familien weiter abzubauen, wollen wir beim Struk- turwechsel einen ersten Schritt in das von der CDU/CSU- Ich erteile Kollegen Markus Kurth, Fraktion Bünd- Bundestagsfraktion bereits in der letzten Legislatur-nis 90/Die Grünen, das Wort. periode entwickelte Familiengeldkonzept vollziehen. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ja!) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ziel dabei ist, Kindern unabhängig von sozialen Trans- Frau Butalikakis, zunächst einmal freue ich mich, dass ferleistungen eine eigenständige finanzielle Sicherheit wir uns wenigstens darin einig sind, dass das persönliche und damit auch den Familien verlässliche Rahmenbedin- Budget und die Pauschalierung der einmaligen Leistun- gungen zu geben. gen einen wichtigen Bestandteil zur Erhöhung von Selbstbestimmung und Teilhabe darstellen. Ich kann nur Diese von mir dargestellten Elemente unserer Struk- an Sie appellieren, bei ner ei Verhandlung im Vermitt- turreform haben wir in unserem heute zur Abstimmung lungsausschuss als Ergebnis des Gesetzgebungsprozes- vorliegenden Entschließungsantrag zum SGB XII aufge- ses daran festzuhalten. führt. Ich kann Sie alle nur bitten, diesen Vorgaben für eine grundlegende Strukturreform zuzustimmen. Jenseits dieser grundsätzlichen Einigkeit über diese Punkte hört die Gemeinsamkeit schon auf. Ich kann den Da Herr Stöckel es schon angesprochen hat, will ich Einwand nicht verstehen – ich finde es nicht gut, dass noch auf Folgendes eingehen: Bei der Vorlage unseres Sie das immer wieder behaupten –, dass der Entwurf Gesetzentwurfs – dem EGG, Existenzgrundlagengesetz – keine Systematik enthält. haben wir ganz bewusst keine Änderungen außer jener der Zusammenlegung der Arbeitslosen- und der Sozial- (Andreas Storm [CDU/CSU]: Es ist auch hilfe für erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger vorgenom- keine da!) 5804 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Markus Kurth (A) Auch den Vorwurf, es fehle eine Abgrenzung zu anderen Man muss doch schon jetzt alle möglichen Bescheini-(C) Gesetzen, insbesondere zum neu geplanten Sozialgesetz- gungen vom Vermieter bis zur Oma unterschreiben las- buch II, kann ich nicht nachvollziehen. sen und beibringen, bevor man überhaupt Anspruch auf Sozialhilfe hat. Der Gesetzentwurf enthält eine klare Zuordnung be- stimmter Gruppen von Hilfebedürftigen und Leistungs- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beziehern. Sie sind jeweils einem spezifischen Leis- sowie bei Abgeordneten der SPD) tungssystem zugeordnet. Es gibt das Arbeitslosengeld I und das Arbeitslosengeld II, die Sozialhilfe für die vo- Sie vernebeln also die gegenwärtige Gesetzeslage, um rübergehend voll erwerbsgeminderten Menschen und die dann aus dem Nebel hervorzuspringen und zu rufen: Wir Grundsicherung. fordern aber den Nachweis der Hilfebedürftigkeit. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Warum legen Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Regelsatzverordnung nicht vor?) und bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie wissen doch genau, wie es bei den – Die Regelsatzverordnung, Herr Kolb, ist eine Rechts- Sozialämtern vor Ort aussieht!) verordnung; das kommt nach der Verabschiedung dieses Gesetzes. Auf diese Weise führen Sie ein politisches Täuschungs- manöver aus. Das muss man einmal klar sagen. Das erin- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nert mich an das Vorgehen von Herrn Stoiber, auf dessen und bei der SPD) Aussage von der Abschaffung des Datenschutzes ich in der letzten Debatte eingegangen bin. Von der Struktur Sie müssen doch wissen, inwelcher Reihenfolge so et- her hat er in gleicher Weise argumentiert: Er hat zu- was ablaufen muss. Sie waren doch einmal Staatssekre- nächst die geltende Rechtslage vernebelt und behauptet, tär. es gebe keinen Datenabgleich zwischen den Ämtern, um Ihr so genanntes zweigliedriges System – Sie wollen diesen dann nach außen hin lauthals zu fordern und auf als Leistungen nur noch die Arbeitslosenhilfe anbieten den Zug des Geredes von der sozialen Hängematte auf- und den Rest in einen Topf werfen – wird die Verschie- zuspringen. Das ist keine seriöse politische Argumenta- bebahnhöfe nicht abschaffen. Im Gegenteil: Es wird zu tion. Wucherungen im System kommen, und zwar unterhalb (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der gesetzlichen Festlegungen. Die Kommunen, die die sowie bei Abgeordneten der SPD) ganzen Angebote machen sollen, von denen Herr Koch heute Morgen gesprochen hat, haben nicht das Geld und Mir bleibt jetzt leider nur noch wenig Zeit, um auf un- (B) die Möglichkeiten, dies zu tun. ser Gesetz an sich einzugehen. Ich möchte aber noch(D) einmal betonen, dass es sehr wohl eine ganze Reihe an Das Land Hessen speziell ist dabei, eine Reihe sozia- wichtigen Änderungen gegeben hat, die keinesfalls als ler Dienstleistungen abzuschaffen. Marginalien zu bezeichnen sind. So haben wir eindeutig (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- geklärt – ich nenne jetzt nur die wichtigsten Dinge –, SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) dass sich die Wohnkostenpauschalen am Mietspiegel orientieren müssen. Das war vielen ein wichtiges Anlie- In vielen Bereichen sind die Landesmittel komplett ge- gen, damit eine bedarfsgerechte Miete errechnet werden strichen worden, zum Beispiel bei der Zuwendung zur kann. Wir haben noch deutlicher herausgestellt, dass Jugendberufshilfe, bei der Landesmittelschuldnerbera- Kommunen im Bereich der Sozialhilfe weiterhin aktivie- tung, der Drogenberatung, der Jugendhilfe, der Einglie- rende Angebote machen können. Wir haben auch klarge- derung Behinderter und natürlich bei lokalen Beschäfti- stellt, dass das Nichtwahrnehmen von Angeboten, deren gungsinitiativen. Das ist die Situation in Hessen. Ihrer Erfolg von einer freiwilligen Teilnahme abhängt, nicht Ansicht nach sollen diese Leistungen in einem System sanktioniert wird, sondern nur das Verweigern der Auf- zusammengefasst werden, in dem munter Kahlschlagnahme einer zumutbaren Tätigkeit. betrieben wird. Die Kommunen werden – das prophe- zeie ich Ihnen – viele Hilfebedürftige als voll erwerbsge- Im Übrigen habe ich vorgestern mit einer Sachver- mindert deklarieren und sie so innerhalb des Systems in ständigen noch einmal gesprochen, die bei der Anhörung die Perspektivlosigkeit entlassen. gerade auf den Bereich der aktivierenden Hilfen und An- gebote hingewiesen hat. Als ich ihr gesagt habe, dass wir Da ich gerade bei der Opposition bin: DerFDP fällt das so ins Gesetz aufgenommen haben, war sie erfreut. außer Absenkung überhaupt nichts ein. Das war die Sozialdezernentin von Potsdam, Frau Mül- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ein Quatsch!) ler. So weit zum Meinungsspektrum der Sachverständi- gen. Ich habe mir Gedanken über Ihre Forderung gemacht, dass ein Sozialhilfeempfänger in Zukunft nachweisen Wir haben zudem bei der Anrechnung des Einkom- muss, dass er wirklich bedürftig ist, um eine Leistung zu mens von Menschen mit Behinderungen oberhalb der bekommen. Ich frage mich, wo Sie im Vergleich zurEinkommensgrenze eine Differenzierung nach Art und heutigen Gesetzgebung eigentlich eine Lücke sehen. Schwere der Behinderung vorgenommen. Die Einkom- mensgrenzen sind ja abgesenkt worden; das brachte si- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN cherlich für einige Härten mit sich. Wir haben aber hier sowie bei Abgeordneten der SPD) jetzt noch einmal für größere Einzelfallgerechtigkeit ge- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5805

Markus Kurth (A) sorgt. Nicht zuletzt sind natürlich die Beschränkungen losen- und Sozialhilfe herauskommt. Das wäre besser(C) für Ausländer, die in dem Entwurf zum Teil noch enthal- gewesen. Was hier vorliegt, ist „mit heißer Nadel im ten waren, wieder entschärft bzw. aufgehoben worden. Schweinsgalopp übers Knie gebrochen“. Die Folgen So können beispielsweise die wenigen Asylbewerber, werden sich schon sehr bald zeigen, wenn das Chaos in die Pflegefälle sind, Pflegeleistungen bekommen. den Sozialämtern der Kommunen ausbricht. Die vorge- sehene Regelung stellt nämlich eine Überforderung der Ich bitte Sie noch einmal:Unterstützen Sie wenigs- Ämter dar. Es wird nicht funktionieren, das SGB II und tens den Ansatz, jedem ein persönliches Budget zu ge- das SGB XII parallel umzusetzen. ben. Unterstützen Sie uns auch im Punkt Regelsatzver- ordnung. (Peter Dreßen [SPD]: Das wollen Sie doch!) (Verena Butalikakis [CDU/CSU]: Sie können ja – Nein, Herr Dreßen, wir wollen das nicht. Wir wollen, unserem Entschließungsantrag zustimmen!) dass vernünftige Rahmenbedingungen für den Vollzug in Da können Sie Einfluss nehmen und unter Beweis stel- den Kommunen vor Ort geschaffen werden. Das passiert len, dass das große „C“ im Namen Ihrer Partei noch ak- damit eben nicht. tuell ist. Wenn man sich manche Vorschläge der Herzog- Deswegen noch einmal: Sie können die Regelsatzver- Kommission anschaut, könnte man zu dem Schlussordnung natürlich verabschieden, Herr Kollege Kurth, kommen, dass das nicht mehr der Fall ist. Wir hingegen aber die Menschen würden schon gerne wissen, was Sie verfolgen in Bezug auf Systematik und Bedarfsgerech- im Nachgang vorhaben. Es ist ein Stück weit auch Feig- tigkeit eine klare Linie. heit, dass Sie sich bisher vor dem Entwurf einer solchen Vielen Dank. Regelsatzverordnung gedrückt haben, vielleicht auch weil Sie befürchten, dass das Auswirkungen auf das Ab- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stimmungsverhalten des einen oder anderen Kollegen und bei der SPD) oder der einen oder anderen Kollegin hier haben dürfte. Auch das gehört zur Wahrheit. Präsident Wolfgang Thierse: Zentralismus und auch mehr Bürokratie stehen bei Ich erteile das Wort dem Kollegen Heinrich Kolb,Ihnen auf der Tagesordnung ganz oben. Das heißt, dass FDP-Fraktion. die Menschen die schnelle Hilfe nicht bekommen wer- den, die sie eigentlich zuRecht erwarten dürfen. Ich Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): habe schon gesagt: Besser wäre es gewesen, die Länder Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!und die Kommunen die notwendigen Regelungen selbst (B) Lieber Kollege Kurth, ob Sie es wahrhaben wollen oder festlegen zu lassen. Es bedarf hier keiner detaillierten(D) nicht: Der hier zu beratende Gesetzentwurf zur Ände- Vorgaben durch den Bund. Sie beweisen aber damit, ei- rung des SGB XII ist nichts anderes als der krankenen Tag nachdem der Deutsche Bundestag einvernehm- Wurmfortsatz der Arbeitsmarktreformen im Zuge von lich eine Kommission zur Modernisierung der bundes- Hartz IV, die wir heute Morgen hier schon beraten ha- staatlichen Ordnung eingesetzt hat, wie ernst es Ihnen ben. tatsächlich mit der Kompetenzerweiterung für Länder und Kommunen ist. Absolute Fehlanzeige! Es wäre (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten richtig, denen, die die Kostenträgerschaft haben, ent- der CDU/CSU) sprechende Gestaltungsrechte einzuräumen. Wir haben Ganz nach dem Motto „Avanti dilettanti!“ leidet dieses ein einfaches und transparentes Konzept vorgelegt. Sie Gesetz an eben dem Grundfehler, den wir auch heutebleiben die Antwort schuldig. Morgen schon kritisiert haben, Ich will aber, Herr Stöckel, nicht nur kritisieren. Es (Widerspruch bei der SPD) gibt auch positive Ansätze. Das hat die Kollegin Butali- kakis schon gesagt. Ich meine die Pauschalisierung der nämlich dass Sie auf eine zentralistische Lösung setzen, Sozialhilfe und die Budgets zur Gestaltung selbstbe- statt den Kommunen weitgehend die Ausgestaltung der stimmten Lebens für Menschen mit Behinderung. Aber Sozialhilfe zu überlassen. es bleibt bei den Ansätzen. Die Pauschalisierung der So- (Rolf Stöckel [SPD]: Die Kommunen sind zialhilfe, also der § 29 des SGB XII, enthält leider keine doch Träger der Sozialhilfe!) Öffnungsklausel zugunsten der Kommunen. Auf die Re- gelsatzverordnung habe ich schon hingewiesen. Es muss – Das wissen wir doch, Herr Stöckel. Aber in der Anhö- auch darauf geachtet werden, dass das persönliche Bud- rung zu Ihrem Gesetzentwurf wurde so deutliche Kritik get nicht auf ein Kostendämpfungsinstrument hinaus- geäußert, dass Sie sich hier mit Zwischenrufen absolut läuft und sich zulasten der betroffenen Menschen aus- zurückhalten sollten. wirkt. Es wäre unverantwortlich – das sage ich sehr (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten deutlich für meine Fraktion –, wenn es dazu käme. der CDU/CSU) Weil ich schon bei den behinderten Menschen in un- Es ist ohnehin verwunderlich, dass Sie nicht unserem serem Lande bin, will ich doch noch einmal an eines er- Antrag im Ausschuss gefolgt sind, die Beratung dieses innern. Wir haben in der letzten Legislaturperiode ge- Gesetzentwurfs auszusetzen, bis man einigermaßen ab- meinsam einstimmig verabredet, dass wir in dieser sehen kann, was bei der Zusammenlegung von Arbeits- Legislaturperiode ernsthaft prüfen wollen, ein eigenstän- 5806 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Dr. Heinrich L. Kolb (A) diges Leistungsgesetz für Menschen mit Behinderung Regelsatz mit einbezogen. Das stärkt dieEigenverant- (C) vorzulegen. Wenn Sie jetzt die §§ 39 ff. des BSHG inwortung der Leistungsberechtigten, entlastet die Ver- das SGB XII überführen wollen und das ein bisschen mit waltung und ist auch ein wichtiger Beitrag zu dem im- den persönlichen Budgets kaschieren, werden die behin- mer wieder geforderten Bürokratieabbau. derten Menschen zu Recht fragen, ob das Notwendige getan worden ist. Das sage ich Ihnen voraus. Wir wären Zweitens wird es statt fünf verschiedenen Gruppen bereit gewesen, mit Ihnen fraktionsübergreifend – ich von Kindern in Zukunft nur noch zwei Gruppen geben. denke, auch die Kollegen von der Union wären dazu be- Es wird nur noch zwischen Kindern unter und über reit gewesen – zusammenzuarbeiten, um dieses Verspre- 14 Jahre unterschieden, für die 60 bzw. 80 Prozent der chen aus der letzten Legislaturperiode einzuhalten. Lei- Regelsätze gelten sollen. Auch das wird die Auszahlung der ist die Chance vertan. von Leistungen vereinfachen. Ein letzter Punkt: Es gibt fast 1 Million Kinder, die Sowohl aus diesem Gesetzentwurf als auch aus von Sozialhilfe leben. Aus unserer Sicht muss daher die Hartz IV ist ersichtlich – das ist nämlich keineswegs un- Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit imdurchschaubar –, dass demnächst in Westdeutschland ein Hinblick auf die große Zahl allein erziehender Frauen Eckregelsatz von 345 Euro bzw. in Ostdeutschland einer mit Sozialhilfebezug gefördert werden. Ich sage klipp von 331 Euro gelten wird und dass die Differenz von und klar: Wir werden die Kinder nur dann aus der Sozial- 14 Euro auch bei der Umsetzung in den Ländern nicht hilfe befreien, wenn wir allein erziehenden Frauen die unterschritten werden darf. Chance geben, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Sehr wichtig ist auch – das muss an dieser Stelle Deshalb sollte hier ein Schwerpunkt gesetzt werden. Wir ebenfalls erwähnt werden –, dass erstmals alle Alleiner- haben das in unserem Antrag spezifiziert. ziehenden einen Mehrbedarfsanspruch für ihre Kinder Es wäre besser gewesen, die Beratungen auszusetzen. erhalten. Auch das trägt zur Verbesserung der Situation Vielleicht haben Sie das Gesetz heute nur vorgelegt, weil von Alleinerziehenden bei. Sie wissen, dass es so nicht in Kraft treten wird. Die (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des FDP ist bereit, im Bundesrat an einer Verbesserung der BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Regelungen mitzuwirken. In diesem Sinne möchte ich uns alle zu einem neuen Anlauf aufrufen. Mit diesem Gesetzentwurf setzen wir unsere Anstren- gungen fort, behinderten und pflegebedürftigen Men- Danke schön. schen ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) zu ermöglichen. Der Grundsatz „ambulant vor stationär“ wird auch in diesem Gesetzesvorhaben beibehalten und (B) stärker als bisher umgesetzt. (D) Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatsse- Benachteiligungen von nicht in Einrichtungen leben- kretär Franz Thönnes. den Menschen werden abgebaut. Das eben schon ge- nannte persönliche Budget anstelle von Sachleistungen soll nicht dazu dienen, Herr Kollege Kolb, die Rechts- Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- ansprüche des Einzelnen zu beschneiden. Es soll viel- ministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung: mehr dazu beitragen, ihn als selbstständig handelndes Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- Individuum mit einzubringen, ihm Wahlmöglichekeiten ren! Wir haben heute Nachmittag im Rahmen der Ab- zu eröffnen und damit den Wettbewerb unter den Anbie- stimmungen über Hartz III und Hartz IV über die Zu- tern anzuregen, um vielleicht auch auf diesem Weg zu sammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe Einsparungen im System beizutragen. Der prinzipielle entschieden. Eng verwoben mit diesem Gesetz, auchAnspruch ist aber, Selbstbestimmung und Eigenverant- wenn Sie die Notwendigkeit bestreiten wortung zu stärken. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wurmfortsatz!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) – das ist kein Wurmfortsatz –, ist die Einordnung des So- zialhilferechts in das Sozialgesetzbuch XII. Es geht auch Dieser Reform liegt auch die Überzeugung zugrunde, um eine Entscheidung über ein Referenzsystem, mit dem dass die Hilfe zum Lebensunterhalt in der Sozialhilfe die Grundlagen dafür geschaffen werden, dass die Leis- als unterstes soziales Netz in unserer Gesellschaft dazu tungen, die den Menschen mit dem Reformgesetzbeitragen muss, die Menschen vor Armut zu schützen. Hartz IV gewährt werden, sozial gerecht und bedarfsde- An dieser Stelle, Frau Butalikakis, befinden wir uns im ckend sind und dem entsprechen, was wir hier verab-Einklang mit dem, was auch die Wohlfahrtsorganisatio- schiedet haben. nen und die anderen Verbände in der Anhörung ausge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten führt haben. Wir brauchen auch weiterhin ein differen- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ziertes viergliedriges System, das den unterschiedlichen Bedürfnissen der Menschen entspricht und ihnen ent- Mit der jetztigen Sozialhilfereform werden entgegen gegenkommt. Nur die Hilfe zum Lebensunterhalt der allen Unkenrufen die Hilfeleistungen vereinfacht. Ers- Sozialhilfe ermöglicht die angemessene Berück- tens werden die einmaligen Leistungen der Hilfe zum sichtigung des individuellen Bedarfs; und darauf kommt Lebensunterhalt wie für Bekleidung oder Hausrat in den es an. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5807

Parl. Staatssekretär Franz Thönnes (A) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des und Bürgern eine gleichberechtigte Teilhabe am wirt-(C) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) schaftlichen und gesellschaftlichen Leben ermöglichen. Die Bundesregierung setzt dies mit dem „Nationalen Wir erfüllen damit auch zwei sehr wichtige Artikel Aktionsplan zur Bekämpfung von Armut und sozia- unseres Grundgesetzes, nämlich den Art. 1, der die Men- ler Ausgrenzung“ um. Ich glaube, die Schwerpunkte schenwürde schützt, und den Art. 20 mit seinem Sozial- dieses Aktionsplanes machen deutlich, worum es uns da- staatsgebot. Bedürftige Bürgerinnen und Bürger können bei geht, nämlich um die Erleichterung des Zugangs zur damit auch künftig darauf vertrauen, dass der Staat seine Erwerbsarbeit und um die Förderung der Integration in Rechtspflicht aus dem Grundgesetz einlöst. den Arbeitsmarkt. Die entsprechenden Gesetzentwürfe (Beifall bei Abgeordneten der SPD) haben wir vorhin verabschiedet. Wir machen die Gesell- schaft dadurch kinder- und familienfreundlicher, dass Es bleibt dabei: In einer wirklichen Notsituation ist wir mehr Geld in Kinderbetreuung, in Ganztagsbetreu- man in Deutschland kein Bittsteller, sondern man hatung sowie in Kindergärten investieren, dass wir das Kin- Anspruch auf Hilfe durch eine gesetzlich geregelte Leis- dergeld erhöht haben und dass wir bei den jetzt anste- tung. Sie sichert den Lebensunterhalt, hilft in besonderen henden Reformen einen Kinderzuschlag vorsehen. Lebenslagen und trägt dort, wo es möglich ist, mit dem Prinzip des Förderns und Forderns zur Überwindung (Beifall bei Abgeordneten der SPD) schwieriger Lebenssituationen aus eigener Kraft bei. Es geht um die Teilhabe und die Selbstbestimmung Wer das differenzierte viergliedrige Leistungssystem von Menschen mit Behinderung. Das haben wir gemein- infrage stellt und damit auch die Hilfe zum Lebensunter- sam, also fraktionsübergreifend, im Bundestag mit der halt in der Sozialhilfe aufgeben will, muss alle anderen Änderung des SGB IX – Rehabilitation und Teilhabe be- Leistungsarten zu einem Vollbedarfssystem mit eigener hinderter Menschen – und dem Gesetz zur Bekämpfung Bedarfsbemessung ausbauen, und zwar nach dem Vor- der Arbeitslosigkeit bei jungen Menschen mit Schwerbe- bild eben dieser Hilfe zum Lebensunterhalt. De factohinderung geregelt. Ich hoffe, dass wir auch einen Kon- würde es sich dabei alsolediglich um eine Umbenen- sens finden werden, wenn es im nächsten Gesetzesvorha- nung der Hilfe zum Lebensunterhalt handeln. ben darum geht, die Ausbildung und die Beschäftigung Ein noch wichtigeres Argument für unseren Gesetz- von Menschen mit Behinderung zu fördern. Es geht auch entwurf ist aber, dass ohne die Hilfe zum Lebensunter- darum, den Migrantinnen und Migranten in diesem Land halt verschiedene Personengruppen durch dieses Netz die Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. Mehr fallen würden. Ich denke zumBeispiel an Kinder unter Teilhabe durch bessere Bildung und durch den Zugang 15 Jahre, die nicht bei ihren Eltern leben, an Zeitrentne- zur Erwerbstätigkeit, um so ein gesichertes Einkommen (B) rinnen und -rentner, an andere auf nicht absehbare Zeit zu erzielen, das ist der Kernpunkt der Strategie des vor- (D) durch Krankheit behinderte Menschen und Behinderte liegenden Aktionsplans. ohne Grundsicherung. Alle diese Menschen dürfen wir Alle sozialen Sicherungssysteme stehen vor großen nicht ohne sozialen Schutz lassen. Wer unverschuldet in Herausforderungen. Die Demographie, die Konjunktur Not gerät, der soll sich darauf verlassen können, dassund die Globalisierung fordern uns heraus. Ich glaube, ihm die Gesellschaft hilft, mit der Sozialhilfereform und der Zusammenlegung von (Beifall bei der SPD) Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe – das ist ein wichtiges Element – leisten wir einen fundamentalen Beitrag dazu, und zwar so hilft, dass er in der Lage ist, sich dort, wo es dass die steuerfinanzierten sozialen Sicherungssysteme möglich ist, aus eigener Kraft aus einer Notsituation zu für die Zukunft gut gerüstet sind, dass sie weiterhin ihren befreien. Zweck und ihre Aufgabe erfüllen und dass sie auch in Wir können und wollen aber niemanden unterstützen, schwieriger Zeit gerecht und sozial ausgewogen refor- der den Sozialstaat ausnutzt. Fördern und fordern – das miert werden. Diese Politik nimmt Rücksicht auf die Le- ist das Credo. Wer Unterstützung will, der muss auchbenslagen besonders schutzbedürftiger Menschen in un- selbst alle Anstrengungen unternehmen, um die eigene serem Land, duldet keinen Missbrauch und – das ist Situation zu verbessern. Solidarität ist keine Einbahn- wichtig – garantiert und gibt Sicherheit im Wandel. straße und darf es auch nicht sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deswegen wird es künftig nur noch in Ausnahmefällen möglich sein, auch im Ausland von Sozialhilfe zu leben. Präsident Wolfgang Thierse: Wir schließen hier durch die klare Eingrenzung auf ganz Ich erteile der Kollegin Gesine Lötzsch das Wort. wenige Fallkonstellationen Schlupflöcher. Sozialmiss- brauch wollen und dürfen wir auch an dieser Stelle nicht Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos): dulden. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr ge- Wenn das grundgesetzliche Sozialstaatsgebot, das ich ehrte Gäste, ich bin Abgeordnete der PDS. – Es gibt Bü- gerade erwähnt habe, wirklich ernst genommen werden cher, die dem interessierten Leser erklären, wie man in soll, dann brauchen wir einen wirksamen Schutz vor Ar- einem Jahr Millionär werden kann. Bei der nächsten mut und sozialer Ausgrenzung aus der Gesellschaft. Das Buchmesse könnte zum Beispiel der Bundeskanzler mit erreichen wir am besten, indem wir allen Bürgerinnen einem Buch auf den Markt kommen, das den Titel trägt: 5808 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Dr. Gesine Lötzsch (A) Wie Sie in nur 36 Monaten arm werden. Denn das, was Präsident Wolfgang Thierse: (C) heute im Bundestag beschlossen wird, sind Armutsge- Ich erteile dem Kollegen Matthäus Strebl für die setze. Sie schützen nicht vor Armut. CDU/CSU-Fraktion das Wort. Die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und So- (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zialhilfe wird Armut in einer bisher unbekannten Di- NEN]: Ich habe eine Kurzintervention!) mension in diesem Land schaffen. Der Deutsche Paritä- tische Wohlfahrtsverband, der sich ja an uns alle– Nein, das Wort hat der Kollege Strebl. gewandt hat, geht davon aus, dass zusätzlich zu den der- zeit rund 2,8 Millionen Sozialhilfebezieher 1,7 Millio- (Zurufe von der CDU/CSU: Sehr gut!) nen Menschen in die Einkommensarmut geschickt wer- den. Matthäus Strebl (CDU/CSU): Ich möchte drei besonders kritikwürdige Punkte aus Vielen Dank, Herr Präsident! Meine sehr verehrten dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Einordnung desDamen und Herren! Der aktuelleNationale Aktions- Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch hervorheben. plan zur Bekämpfung von Armut und sozialer Aus- grenzung ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert; zum Mein erster Kritikpunkt: Obwohl hier gerade anderes be- einen, da die Bundesregierung die Ursachen von Armut hauptet wurde, wollen Sie wieder bei den Kindern spa- und sozialer Ausgrenzung darin richtig erkennt, zum an- ren. Dazu reduzieren Sie bei der Berechnung des Regel- deren aber, da sie dagegen entweder nichts oder genau satzes einfach die Anzahl der Altersstufen. Zwar führt das Falsche unternimmt. die Neuregelung bei Kindern unter sieben Jahren zu ei- ner leichten Anhebung, bei älteren Kindern und Jugend- Ungefähr 11 Prozent der deutschen Bevölkerung le- lichen unter 18 Jahren kommt es jedoch zu einer deutli- ben unterhalb von 60 Prozent des Durchschnittseinkom- chen Absenkung um 10 Prozent. Jeder, der Kinder hat, mens und sind somit von Armut bedroht. Meine sehr weiß, dass das mit der Realität gar nichts zu tun hat;verehrten Damen und Herren, in Deutschland gibt es seit denn Kinder werden mit jedem Jahr teurer. fünf Jahren eine konstant hohe Arbeitslosenquote, die sich bei über 4 Millionen Erwerbslosen eingependelt (Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos]) hat. Dabei wollte sich der Bundeskanzler nach seiner Wahl im Jahr 1998 daran messen lassen, wie gut er die Mein zweiter Kritikpunkt: dieregionalen Regel- Arbeitslosigkeit bekämpfen wird. sätze. Sie wollen mit diesem Gesetzentwurf die Träger der Sozialhilfe ermächtigen, regionale Sätze festzu- Zu Recht erkennt die Bundesregierung in ihrem Akti- (B) schreiben. Auch wenn Sie gesagt haben, dass es eine Un- onsplan, dass länger andauernde Arbeitslosigkeit die we- (D) tergrenze gibt, besteht hier die große Gefahr, dass diesentliche Ursache von Armut und sozialer Ausgrenzung Sozialhilfe in den Kommunen bei jeder Haushaltsbera- ist. Demnach sollten die wichtigsten Eckpfeiler der Poli- tung als Einsparpotenzial gesehen wird. Insbesondere in tik sein: die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die Schaf- den armen Kommunen wird der Druck auf die Sozialhil- fung einer kinder- und familienfreundlichen Gesellschaft feempfänger dramatisch anwachsen. in Deutschland und der Abbau der Abhängigkeit von der Sozialhilfe bei Kindern. Der dritte Kritikpunkt, den ich hier hervorheben möchte, ist die Umkehrung der Beweispflicht. Wenn (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) mehrere Personen in einem Haushalt leben, kann vermu- Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, mir tet werden, dass sie gegenseitig füreinander aufkommen. stellt sich daher folgende Frage: Warum hat Rot-Grün Dies wurde bis jetzt zwar unterstellt, allerdings soll die dann die drei Kardinalfehler gemacht, die zur aktuellen Beweislast jetzt umgekehrt werden. Nun wissen wir ja, Krise der Sozialsysteme geführt haben? Ich meine die dass viele, vor allem jüngere Menschen in Wohnge-Rücknahme der Sozialreformen der Kohl-Regierung, meinschaften zusammenleben. Als praktisches Beispiel eine verfehlte Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsmarkt- könnte man sich vorstellen, dass es auch für unseren jet- politik sowie völlig unzureichende Reformansätze bei zigen Außenminister Fischer nicht einfach wäre, den Be- den Sozialsystemen. Die Folgen sind immer mehr Belas- weis anzutreten, dass in seiner damaligen Wohngemein- tungen und Bürokratie, immer weniger Wohlstand und schaft in Frankfurt am Main die Mitbewohnerinnen und soziale Sicherheit. Dieses Land wird unter Niveau re- Mitbewohner – man wusste ja gar nicht genau, wer dort giert. wohnte – füreinander aufgekommen sind. Das wäre eine sehr spannende Sache. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, ich glaube, dass die drei Kritikpunkte, die ich hier genannt habe – es wären noch Gerade in diesen Punkten hat die rot-grüne Bundesregie- weitere Punkte des Gesetzentwurfes hervorzuheben –, rung in den letzten fünf Jahren mit viel Leidenschaft vie- ausreichen, um diesen Gesetzentwurf abzulehnen. les schlechter gemacht. Warum hat die Bundesregierung diese Probleme nicht angepackt? Gerade bei dem Haupt- Vielen Dank. problem Arbeitslosigkeit wartet Deutschland schon fünf Jahre auf eine tatkräftige Hand, erntet aber nur Negativ- (Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos]) schlagzeilen. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5809

Matthäus Strebl (A) Das groß umworbene JUMP-Programm zur Bekämp- 4 Milliarden Euro, die für den Ausbau von 10 000 Ganz- (C) fung der Jugendarbeitslosigkeit hat sich zwar als Drehtür tagsschulen in den nächstenvier bis fünf Jahren ange- erwiesen, aber nicht in den Arbeitsmarkt, sondern in die dacht sind, reichen bei weitem nicht aus. Arbeitslosigkeit. Die Beschäftigungsbrücke Ost hat eher Die jahrelangen Versäumnisse, die Verschleierung der zu einem Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit und zu ei- Lage und vor allem die falschen Weichenstellungen von ner Abwanderung von Jugendlichen aus Ostdeutschland Rot-Grün haben Deutschland zu den größten Verände- geführt. Die Lehrstellenlücke ist mit 20 200 fehlenden rungen seit der Gründung der Bundesrepublik Deutsch- Lehrstellen – dieser Wert zählt zu den historischen Re- land vor gut 50 Jahren geführt. Darum ist jetzt zur Stär- korden – deutlich größer als im Vorjahresmonat mitkung der sozialen Integration Folgendes notwendig: 5 400 fehlenden Lehrstellen. Erstens. Die Lage des Landes muss schonungslos of- Die PISA-Studie hat belegt: Die Wirtschaftskraftfen gelegt werden. Die jetzt notwendigen Veränderungen Deutschlands leidet unter immer offenkundigeren Quali- müssen mit klaren Worten benannt werden. fikationsmängeln. In diesem Bereich besteht ein drin- gender Handlungsbedarf, damit der Anschluss an die Zweitens. Es muss eine moderne Sozialpolitik betrie- Nachbarländer nicht verloren geht. ben und ein gerechter sozialer Ausgleich für die Zukunft geschaffen werden. Bei anderen Vorschlägen zur Bekämpfung der Ar- beitslosigkeit bestand die Reform einzig und allein da- Drittens. Es müssen Rahmenbedingungen geschaffen rin, dass der Name neu war. Das Job-AQTIV-Gesetz, der werden, in denen Familien bzw. Alleinerziehende mit Jobfloater, die Personal-Service-Agenturen und die Ich- Kindern absolute Priorität haben. AGs wurden groß angekündigt. Sie alle haben sich als Ich sage zum Schluss. Der Nationale Aktionsplan der Flop erwiesen. Das ist der sozialdemokratische Rumpel- Bundesregierung hat wieder einmal gezeigt, wo die stilzcheneffekt: Man meint, mit anderen Namen das Pro- Schwächen dieser Bundesregierung liegen. blem lösen zu können. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Ihre Rede neten der FDP) ist ein Flop!) Auch die neuen Kompromisse bescheren eher Pro- Präsident Wolfgang Thierse: bleme als Lösungen. Die angeschlagene Bundesanstalt Ich schließe die Aussprache. für Arbeit soll als Träger der Jobcenter zu einem riesi- gen Sozialamt werden. Arbeitslose können nicht mehr Wir kommen zur Abstimmung über den von den (B) (D) vermittelt, sondern nur noch verwaltet werden. Die Fol- Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen gen sind mehr Bürokratie und mehr Zentralismus. eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch, Druck- Gerade die CDU/CSU hat mit ihrem Existenzgrund- sache 15/1514. Der Ausschuss für Gesundheit und So- lagengesetz das bessere Konzept vorgeschlagen. Demzu- ziale Sicherung empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss- folge würden die Kommunen Träger der Jobcenter. Die empfehlung auf Drucksache 15/1734, den Gesetzent- Bundesanstalt für Arbeit – sie wäre mit den arbeits-wurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte marktpolitischen Leistungen beauftragt – wäre darin ein- diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas- bezogen. Die Verantwortung des Bundes würde gesi-sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer chert, weil der Bund zwei Drittel der Leistungenstimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf finanziert. Langzeitarbeitslose mit geringer Qualifizie- ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD rung oder ohne Ausbildung sollen durch Lohnzuschläge und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von für Geringverdienende und durch wirklichkeitsnahe CDU/CSU und FDP angenommen. Anforderungen an den Leistungsbezug eine Perspektive erhalten. Herr Tauss, diese Maßnahmen wären effektiv. Dritte Beratung Stattdessen ist und bleibtder deutsche Arbeitsmarkt und Schlussabstimmung. Die Fraktionen der SPD und des ein schwer kranker Patient. Ebenso stellt sich das Krank- Bündnisses 90/Die Grünen verlangen namentliche Ab- heitsbild in anderen Bereichen dar. Ein weiteres Verspre- stimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift- chen der Bundesregierung war dieFörderung der Fa- führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Das ist milie. Trotzdem leben noch immer 1 MillionKinder erfolgt. von der Sozialhilfe. Das derzeitige Kindergeld von Ich eröffne die Abstimmung. 153 Euro im Monat deckt bei weitem nicht die Lebens- haltungskosten von 300 bis 400 Euro pro Monat. Fami- Liebe Kolleginnen und Kollegen, hat jemand noch lien und gerade auch Alleinerziehende sind durch dienicht abgestimmt? – Das ist offensichtlich nicht der Fall. Steuerpolitik der Bundesregierung grundsätzlich drang- Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift- saliert worden. führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen Die Pläne für den Ausbau der Möglichkeiten zur Kin- später bekannt gegeben.1) derbetreuung sehen bestenfalls auf dem Papier gut aus; denn die Quote der Betreuung von Kindern unter drei Jahren liegt bei gerade einmal 7 Prozent.1) Ergebnis Die Seite 5811 C 5810 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Präsident Wolfgang Thierse (A) Ich bitte Sie, Platz zu nehmen; denn wir müssen mit Dr. Christina Weiss, Staatsministerin beim Bundes- (C) den Abstimmungen fortfahren. kanzler: Wir setzen die Abstimmungen fort und kommen zur Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es scheint in diesen Tagen so zu sein, als käme eine wirkungsvolle Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak- Debatte über die Hauptstadt in Gang. tion der CDU/CSU auf Drucksache 15/1747. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Gegenprobe! – Ent- (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms) haltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stim- men von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen dieWährend sich Honoratioren quer durch alle Parteien Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung der FDP abge- noch Gedanken darüber machen, was Berlin wert sei, lehnt. kann der Bund diese Frage locker parieren: 340 Millio- nen Euro für die Kultur. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesund- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) heit und Soziale Sicherung zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Einordnung des Sozialhilferechts Wir diskutieren heute eine Kernaufgabe der Bundes- in das Sozialgesetzbuch, Drucksache 15/1734. Derkulturpolitik und sind gehalten, zu bilanzieren. Eine Er- Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussemp- kenntnis schält sich heraus: Rot-Grün hat das Hilfspro- fehlung, den Gesetzentwurf auf Drucksache 15/1636 für gramm für die Berliner Kultur vom Kopf auf die Füße erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussemp- gestellt. fehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Diese Be- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des schlussempfehlung ist einstimmig angenommen. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Tagesordnungspunkt 21 b. Interfraktionell wirdEs herrscht keine Hasenfüßigkeit mehr im Verhältnis Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/1420 an zwischen Berlin und dem Bund, wie das noch Mitte der die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor- 90er-Jahre der Fall war. DerHauptstadtkulturvertrag geschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? –ist nicht mehr das Ergebnis eines Gnadenaktes, sondern Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so be- das Produkt einer wirklich wachsenden Partnerschaft, schlossen. die sich in diesem Jahr bei der Hilfe zur Rettung der Ber- liner Opernhäuser besonders bewährt hat. Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 22 sowie Zu- satzpunkt 5 auf: Das heißt nicht, dass wir den Berliner Senat aus der Pflicht entlassen. Wir erwarten, dass Berlin die Bedeu- (B) 22 Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- tung seiner Kultur gleichermaßen hoch einschätzt und(D) regierung die finanziellen und strukturellen Anstrengungen zur Zu- kunftssicherung seiner Kulturlandschaft insgesamt nicht Bericht der Bundesregierung über die Erfah- einschränkt. rungen bei der Umsetzung des „Vertrages zur Kulturfinanzierung in der Bundeshauptstadt 340 Millionen Euro also zahlt der Bund fürBerliner 2001 bis 2004“ sowie zur künftigen Förderung Kultureinrichtungen, aber er zahlt nicht nur. Wir haben der Kultur in der Bundesstadt Bonn inzwischen auch die Gewissheit, dass dieses Geld wirk- lich für die Kultur ausgegeben wird. Es ist vielleicht die – Drucksache 14/9677 – wichtigste Erfahrung, die wir in den Jahren des neuen Verhältnisses zwischen Berlin und Bonn und dem Bund Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien (f) gewonnen haben: Das Geld versickert nicht mehr im Ausschuss für Tourismus Berliner Landeshaushalt. Es ist auf Dauer gut und sicher angelegt: in den Ausstellungen des Hauses der Kulturen ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-der Welt, im Jüdischen Museum, in den Aufführungen Joachim Otto (Frankfurt), Rainer Brüderle, Ernst der Berliner Festspiele GmbH, im Martin-Gropius-Bau Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Frak- oder in den Einrichtungen der Stiftung Preußischer Kul- tion der FDP turbesitz. Es gibt klare Zuständigkeiten und klare Ver- antwortungen. Der Unsinn der Pauschalförderung ist be- Transparenz für den Hauptstadtkulturfonds endet. Die Mittelvergabe ist transparent gestaltet. – Drucksache 15/1708 – Zu einem erfolgreichen Instrument für aktuelle Kunst- Überweisungsvorschlag: produktion in Berlin hat sich derHauptstadtkulturfonds Ausschuss für Kultur und Medien (f) entwickelt. Das gilt, auch wenn er in der letzten Zeit in Ausschuss für Tourismus die Kritik geraten ist. Mit geringen Mitteln wird hier ein Maximum an Wirkung entfaltet. Die Bundesregierung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die tut gut daran, in die Vitalität der Hauptstadt zu investie- Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höreren, diese zu unterstützenund nach neuen, nach unge- keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. wöhnlichen Kulturformaten zu suchen. Ich eröffne die Aussprache und erteile der Staats- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des ministerin Christina Weiss das Wort. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5811

Staatsministerin Dr. Christina Weiss (A) Zudem ist der Hauptstadtkulturfonds inzwischen eine Der Bund schwingt sich nicht zum Retter der Berliner (C) erste Adresse für internationalen Austausch in der Me- Kultur auf, aber er vermag Veränderungen im starr ge- tropole Berlin geworden. Der Hauptstadtkulturfonds hat wordenen System anzustacheln. Wir können und wir sich profiliert. Ohne ihn ließen sich viele spannende,wollen nicht die gesamte Berliner Kulturlandschaft weltweit beachtete Projekte nicht realisieren. Das sage finanzieren, aber wir können und wir wollen helfen, Ber- ich an die Adresse jener, die diese Einrichtung gernelin zu entlasten. Dies tun wir mit Stetigkeit. Das schafft einer stärkeren politischen Kontrolle unterziehen wollen. eine Kulturstaatsministerin natürlich nicht allein. Dafür – Auch wenn Herr Otto jetzt nicht zuhört – er war ge- braucht es starke Partner. Der Bundeskanzler und der meint. Aber wer sich anschickt, hier hineinzuregieren, Finanzminister haben erkannt, dass sich diese Stadt vor zensiert am Ende die Kunst. allem durch ihre Kultur darstellt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Günter Nooke [CDU/CSU]: DIE GRÜNEN) Na, na!) Ich bin froh über diesen Gleichklang der Überzeugun- Ich hoffe, Sie stimmen mit mir darin überein, dass wir gen. Ich bin froh, dass wir die Entwicklung der deut- das nicht zulassen dürfen. Gleichwohl räume ich ein,schen Hauptstadt nicht nur beschreiben, sondern auch dass wir in den Vergabeverfahren höchste Transparenz wirklich vorantreiben. erreichen müssen. Aber die Politik sollte sich nur um die Verfahrenskontrolle kümmern. Wenn hingegen über Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Kunst zu entscheiden ist, dann geht es um die Qualität eines Projektes, und darüber müssen die Fachleute ab- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ stimmen. DIE GRÜNEN) Der neue Kulturvertrag mit Berlin wird von der Hilfe zur Selbsthilfe geprägt sein. Der Bund hat sich trotz sei- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: ner prekären Haushaltslage dazu entschlossen, schweren Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, Schaden von der hauptstädtischen Kultur abzuwenden, gebe ich das von den Schriftführerinnen und Schrift- und mit dem Senat einen wahrhaften Solidarpakt verhan- führern ermittelte Ergebnis der namentlichen delt. Wir wollen Berlin den Spielraum geben, den dieAbstimmung über den Gesetzentwurf der SPD und Stadt braucht, um die drei Opernhäuser erhalten zu kön- des Bündnisses 90/Die Grünen zur Einordnung des nen. Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch, Druck- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sachen 15/1514 und 15/1734, bekannt. Abgegebene (B) (D) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Stimmen 593. Mit Ja haben gestimmt 305, mit Nein ha- ben gestimmt 288, keine Enthaltung. Der Gesetzent- Alles in allem wird der Bund den Berliner Kultureinrich- wurf ist damit angenommen. tungen im kommenden Jahr dafür 25 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Dieses Geld – ich bitte das zu beach- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ten – kommt zusätzlich in meinen Etat. DIE GRÜNEN)

Endgültiges Ergebnis Klaus Uwe Benneter Karl Diller Dieter Grasedieck Abgegebene Stimmen: 591; Dr. Axel Berg Martin Dörmann Monika Griefahn davon Ute Berg Peter Dreßen Kerstin Griese Hans-Werner Bertl Detlef Dzembritzki Gabriele Groneberg ja: 303 Petra Bierwirth Sebastian Edathy Achim Großmann nein: 288 Rudolf Bindig Siegmund Ehrmann Wolfgang Grotthaus Lothar Binding (Heidelberg) Hans Eichel Karl-Hermann Haack Ja Kurt Bodewig Marga Elser (Extertal) Gerd Friedrich Bollmann Gernot Erler Hans-Joachim Hacker SPD Klaus Brandner Petra Ernstberger Bettina Hagedorn Dr. Lale Akgün Willi Brase Karin Evers-Meyer Klaus Hagemann Gerd Andres Bernhard Brinkmann Annette Faße Alfred Hartenbach Ingrid Arndt-Brauer (Hildesheim) Elke Ferner Michael Hartmann Rainer Arnold Hans-Günter Bruckmann Gabriele Fograscher (Wackernheim) Hermann Bachmaier Edelgard Bulmahn Rainer Fornahl Nina Hauer Ernst Bahr (Neuruppin) Marco Bülow Gabriele Frechen Hubertus Heil Doris Barnett Ulla Burchardt Dagmar Freitag Reinhold Hemker Dr. Hans-Peter Bartels Dr. Michael Bürsch Lilo Friedrich (Mettmann) Rolf Hempelmann Eckhardt Barthel (Berlin) Hans Martin Bury Iris Gleicke Dr. Barbara Hendricks Klaus Barthel (Starnberg) Hans Büttner (Ingolstadt) Günter Gloser Gustav Herzog Sören Bartol Marion Caspers-Merk Uwe Göllner Petra Heß Sabine Bätzing Dr. Peter Danckert Renate Gradistanac Monika Heubaum Uwe Beckmeyer Dr. Herta Däubler-Gmelin Angelika Graf (Rosenheim) Gabriele Hiller-Ohm 5812 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Stephan Hilsberg Holger Ortel Joachim Stünker Michaele Hustedt (C) Gerd Höfer Heinz Paula Jörg Tauss Fritz Kuhn Jelena Hoffmann (Chemnitz) Johannes Pflug Jella Teuchner Renate Künast Walter Hoffmann Joachim Poß Dr. Gerald Thalheim Undine Kurth (Quedlinburg) (Darmstadt) Dr. Wilhelm Priesmeier Wolfgang Thierse Markus Kurth Iris Hoffmann (Wismar) Florian Pronold Franz Thönnes Dr. Reinhard Loske Frank Hofmann (Volkach) Dr. Sascha Raabe Hans-Jürgen Uhl Anna Lührmann Eike Hovermann Karin Rehbock-Zureich Rüdiger Veit Jerzy Montag Klaas Hübner Gerold Reichenbach Simone Violka Kerstin Müller (Köln) Christel Humme Dr. Carola Reimann Jörg Vogelsänger Winfried Nachtwei Lothar Ibrügger Christel Riemann- Ute Vogt (Pforzheim) Christa Nickels Brunhilde Irber Hanewinckel Dr. Marlies Volkmer Friedrich Ostendorff Renate Jäger Walter Riester Hans Georg Wagner Simone Probst Jann-Peter Janssen Reinhold Robbe Hedi Wegener Claudia Roth (Augsburg) Klaus-Werner Jonas René Röspel Andreas Weigel Krista Sager Johannes Kahrs Dr. Ernst Dieter Rossmann Reinhard Weis (Stendal) Christine Scheel Ulrich Kasparick Karin Roth (Esslingen) Petra Weis Irmingard Schewe-Gerigk Dr. h.c. Susanne Kastner Michael Roth (Heringen) Gunter Weißgerber Albert Schmidt (Ingolstadt) Ulrich Kelber Gerhard Rübenkönig Matthias Weisheit Werner Schulz (Berlin) Hans-Peter Kemper Ortwin Runde Gert Weisskirchen Petra Selg Klaus Kirschner Marlene Rupprecht (Wiesloch) Ursula Sowa Hans-Ulrich Klose (Tuchenbach) Dr. Ernst Ulrich von Rainder Steenblock Astrid Klug Thomas Sauer Weizsäcker Silke Stokar von Neuforn Dr. Heinz Köhler (Coburg) Anton Schaaf Jochen Welt Hans-Christian Ströbele Walter Kolbow Axel Schäfer (Bochum) Dr. Rainer Wend Jürgen Trittin Fritz Rudolf Körper Gudrun Schaich-Walch Lydia Westrich Marianne Tritz Karin Kortmann Rudolf Scharping Inge Wettig-Danielmeier Hubert Ulrich Rolf Kramer Bernd Scheelen Dr. Margrit Wetzel Dr. Antje Vogel-Sperl Anette Kramme Dr. Hermann Scheer Andrea Wicklein Dr. Antje Vollmer Ernst Kranz Siegfried Scheffler Jürgen Wieczorek (Böhlen) Dr. Ludger Volmer Nicolette Kressl Horst Schild Heidemarie Wieczorek-Zeul Josef Philip Winkler Volker Kröning Otto Schily Dr. Dieter Wiefelspütz Margareta Wolf (Frankfurt) Angelika Krüger-Leißner Horst Schmidbauer Brigitte Wimmer (Karlsruhe) Dr. Hans-Ulrich Krüger (Nürnberg) Engelbert Wistuba Nein Barbara Wittig (B) Horst Kubatschka Ulla Schmidt (Aachen) (D) Ernst Küchler Silvia Schmidt (Eisleben) Dr. Wolfgang Wodarg CDU/CSU Verena Wohlleben Ute Kumpf Dagmar Schmidt (Meschede) Ulrich Adam Dr. Uwe Küster Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Ilse Aigner Christine Lambrecht Heinz Schmitt (Landau) Peter Altmaier Christian Lange (Backnang) Carsten Schneider Heidi Wright Uta Zapf Dietrich Austermann Christine Lehder Walter Schöler Norbert Barthle Waltraud Lehn Olaf Scholz Manfred Helmut Zöllmer Dr. Christoph Zöpel Dr. Wolf Bauer Dr. Elke Leonhard Karsten Schönfeld Günter Baumann Eckhart Lewering Fritz Schösser Ernst-Reinhard Beck Götz-Peter Lohmann Wilfried Schreck BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Reutlingen) Gabriele Lösekrug-Möller Ottmar Schreiner Veronika Bellmann Erika Lotz Gerhard Schröder Kerstin Andreae Dr. Christoph Bergner Dr. Christine Lucyga Gisela Schröter Marieluise Beck (Bremen) Otto Bernhardt Dirk Manzewski Brigitte Schulte (Hameln) Volker Beck (Köln) Dr. Rolf Bietmann Tobias Marhold Reinhard Schultz Cornelia Behm Clemens Binninger Lothar Mark (Everswinkel) Birgitt Bender Peter Bleser Caren Marks Swen Schulz (Spandau) Matthias Berninger Antje Blumenthal Christoph Matschie Dr. Angelica Schwall-Düren Grietje Bettin Dr. Maria Böhmer Hilde Mattheis Dr. Martin Schwanholz Alexander Bonde Jochen Borchert Markus Meckel Rolf Schwanitz Ekin Deligöz Wolfgang Börnsen Ulrike Mehl Erika Simm Dr. Thea Dückert (Bönstrup) Petra-Evelyne Merkel Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Jutta Dümpe-Krüger Wolfgang Bosbach Ulrike Merten Dr. Cornelie Sonntag- Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Wolfgang Bötsch Angelika Mertens Wolgast Dr. Uschi Eid Klaus Brähmig Ursula Mogg Wolfgang Spanier Hans-Josef Fell Dr. Ralf Brauksiepe Michael Müller (Düsseldorf) Dr. Margrit Spielmann Joseph Fischer (Frankfurt) Helge Braun Christian Müller (Zittau) Jörg-Otto Spiller Katrin Göring-Eckardt Monika Brüning Gesine Multhaupt Dr. Ditmar Staffelt Anja Hajduk Georg Brunnhuber Franz Müntefering Ludwig Stiegler Winfried Hermann Verena Butalikakis Dr. Rolf Mützenich Rolf Stöckel Antje Hermenau Hartmut Büttner Volker Neumann (Bramsche) Christoph Strässer Peter Hettlich (Schönebeck) Dietmar Nietan Rita Streb-Hesse Ulrike Höfken Cajus Caesar Dr. Erika Ober Dr. Peter Struck Thilo Hoppe Manfred Carstens (Emstek) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5813

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Peter H. Carstensen Joachim Hörster Melanie Oßwald Gerald Weiß (Groß-Gerau) (C) (Nordstrand) Hubert Hüppe Rita Pawelski Ingo Wellenreuther Gitta Connemann Susanne Jaffke Dr. Peter Paziorek Annette Widmann-Mauz Leo Dautzenberg Dr. Peter Jahr Ulrich Petzold Klaus-Peter Willsch Hubert Deittert Dr. Egon Jüttner Dr. Joachim Pfeiffer Willy Wimmer (Neuss) Albert Deß Bartholomäus Kalb Sibylle Pfeiffer Matthias Wissmann Alexander Dobrindt Steffen Kampeter Dr. Friedbert Pflüger Werner Wittlich Vera Dominke Irmgard Karwatzki Beatrix Philipp Dagmar Wöhrl Thomas Dörflinger Bernhard Kaster Ronald Pofalla Elke Wülfing Marie-Luise Dött Siegfried Kauder (Bad Ruprecht Polenz Wolfgang Zeitlmann Maria Eichhorn Dürrheim) Daniela Raab Wolfgang Zöller Rainer Eppelmann Volker Kauder Thomas Rachel Willi Zylajew Anke Eymer (Lübeck) Gerlinde Kaupa Hans Raidel Georg Fahrenschon Eckart von Klaeden Dr. Peter Ramsauer FDP Ilse Falk Jürgen Klimke Helmut Rauber Peter Rauen Daniel Bahr (Münster) Dr. Hans Georg Faust Julia Klöckner Christa Reichard (Dresden) Rainer Brüderle Albrecht Feibel Kristina Köhler (Wiesbaden) Katherina Reiche Angelika Brunkhorst Enak Ferlemann Manfred Kolbe Norbert Königshofen Hans-Peter Repnik Ernst Burgbacher Ingrid Fischbach Hartmut Koschyk Klaus Riegert Helga Daub Hartwig Fischer (Göttingen) Thomas Kossendey Dr. Heinz Riesenhuber Jörg van Essen Dirk Fischer (Hamburg) Rudolf Kraus Hannelore Roedel Ulrike Flach Axel E. Fischer (Karlsruhe- Michael Kretschmer Franz-Xaver Romer Otto Fricke Land) Günther Krichbaum Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Horst Friedrich (Bayreuth) Dr. Maria Flachsbarth Günter Krings Dr. Klaus Rose Rainer Funke Klaus-Peter Flosbach Dr. Martina Krogmann Kurt J. Rossmanith Dr. Wolfgang Gerhardt Herbert Frankenhauser Dr. Hermann Kues Dr. Norbert Röttgen Hans-Michael Goldmann Dr. Hans-Peter Friedrich Werner Kuhn (Zingst) Dr. Christian Ruck Joachim Günther (Plauen) (Hof) Dr. Karl A. Lamers Volker Rühe Dr. Karlheinz Guttmacher Erich G. Fritz (Heidelberg) Albert Rupprecht (Weiden) Christoph Hartmann Jochen-Konrad Fromme Dr. Norbert Lammert Peter Rzepka (Homburg) Dr. Michael Fuchs Helmut Lamp Dr. Wolfgang Schäuble Klaus Haupt Hans-Joachim Fuchtel Barbara Lanzinger Hartmut Schauerte Ulrich Heinrich Dr. Jürgen Gehb Vera Lengsfeld Andreas Scheuer Birgit Homburger Norbert Geis Peter Letzgus Georg Schirmbeck Dr. Werner Hoyer (B) Roland Gewalt Ursula Lietz Bernd Schmidbauer Michael Kauch (D) Eberhard Gienger Walter Link (Diepholz) Christian Schmidt (Fürth) Dr. Heinrich L. Kolb Andreas Schmidt (Mülheim) Georg Girisch Eduard Lintner Gudrun Kopp Dr. Klaus W. Lippold Dr. Andreas Schockenhoff Michael Glos Jürgen Koppelin (Offenbach) Dr. Ole Schröder Ralf Göbel Sibylle Laurischk Patricia Lips Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Reinhard Göhner Harald Leibrecht Tanja Gönner Dr. Michael Luther Uwe Schummer Dorothee Mantel Wilhelm Josef Sebastian Ina Lenke Peter Götz Sabine Leutheusser- Dr. Wolfgang Götzer Erwin Marschewski Horst Seehofer (Recklinghausen) Kurt Segner Schnarrenberger Ute Granold Markus Löning Kurt-Dieter Grill Stephan Mayer (Altötting) Matthias Sehling Conny Mayer (Baiersbronn) Marion Seib Dirk Niebel Reinhard Grindel Günther Friedrich Nolting Hermann Gröhe Dr. Martin Mayer Heinz Seiffert (Siegertsbrunn) Bernd Siebert Hans-Joachim Otto Michael Grosse-Brömer (Frankfurt) Markus Grübel Wolfgang Meckelburg Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Eberhard Otto (Godern) Manfred Grund Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Jens Spahn Detlef Parr Karl-Theodor Freiherr von Friedrich Merz Erika Steinbach Cornelia Pieper und zu Guttenberg Laurenz Meyer (Hamm) Christian von Stetten Gisela Piltz Olav Gutting Doris Meyer (Tapfheim) Gero Storjohann Dr. Andreas Pinkwart Holger-Heinrich Haibach Maria Michalk Andreas Storm Dr. Günter Rexrodt Gerda Hasselfeldt Hans Michelbach Max Straubinger Marita Sehn Klaus-Jürgen Hedrich Klaus Minkel Matthäus Strebl Dr. Hermann Otto Solms Helmut Heiderich Marlene Mortler Thomas Strobl (Heilbronn) Dr. Max Stadler Ursula Heinen Stefan Müller (Erlangen) Lena Strothmann Dr. Rainer Stinner Siegfried Helias Bernward Müller (Gera) Michael Stübgen Carl-Ludwig Thiele Uda Carmen Freia Heller Dr. Gerd Müller Antje Tillmann Dr. Dieter Thomae Michael Hennrich Hildegard Müller Edeltraut Töpfer Jürgen Türk Jürgen Herrmann Bernd Neumann (Bremen) Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Guido Westerwelle Bernd Heynemann Henry Nitzsche Arnold Vaatz Dr. Claudia Winterstein Ernst Hinsken Michaela Noll Volkmar Uwe Vogel Peter Hintze Günter Nooke Andrea Astrid Voßhoff Fraktionslose Abgeordnete Robert Hochbaum Dr. Georg Nüßlein Gerhard Wächter Klaus Hofbauer Franz Obermeier Marko Wanderwitz Dr. Gesine Lötzsch Martin Hohmann Eduard Oswald Peter Weiß (Emmendingen) Petra Pau 5814 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Ich erteile jetzt dem Kollegen Günter Nooke von der Der Weg, dies zu erreichen, ist für die Bundesregie-(C) CDU/CSU-Fraktion das Wort. rung nicht die Neufassungdes Hauptstadtkulturvertra- ges, sondern die Einführung einer Titelzeile im Haus- Günter Nooke (CDU/CSU): haltsentwurf. Das ist nicht nur systematisch anfechtbar, sondern macht die Stringenz des Bundes – darum geht es Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Damen und uns als Kulturpolitiker – bei seiner Förderung nicht ge- Herren! In dieser kleinen Runde lohnt sich eine ganzrade einleuchtender. große Berlin-Debatte ja eigentlich nicht mehr, was schade ist, Dazu passt, dass sich die Bundesregierung nicht von der Idee leiten lässt, diejenigen Institutionen zu för- (Horst Kubatschka [SPD]: Aber wir sind ja dern, die zur Erfüllung der Funktion als Sitz Berlin-Liebhaber!) von Bundestag und Bundesregierung unverzichtbar denn wir liegen mit diesem Thema ganz gut. In diesen sind. Stattdessen folgt man einer Idee, das Land Berlin Tagen wird viel darüber geredet, was uns Berlin wert ist, – ich zitiere die Netzseite der Bundesregierung – „dau- was uns als Nation, vielleicht auch als Kulturnation, die erhaft um rund 22 Millionen Euro“ zu entlasten, „was Hauptstadt wert sein kann. Aber diese ganzen philoso- die Stadt in die Lage versetzt, das von der Kulturstaats- phischen und grundsätzlichen Bemerkungen will ich mir ministerin unterstützte Reformmodell“ – es ist schon sparen. angesprochen worden – „für die Berliner Opernhäuser zu realisieren“. Wir haben diese Debatte anlässlich des Berichtes der Bundesregierung über die Erfahrungen bei der Umset- Diese Aussage kommt nun, nachdem das vorgese- zung des Vertrages zur Kulturfinanzierung in der Bun- hene Stiftungsmodell für die Opern diskutiert wurde, deshauptstadt 2001 bis 2004 beantragt. Dieser wurde be- fast schon einer Drohung gleich. Sie wird nur noch reits im Juli 2002 von dem damaligen Staatsministerübertroffen von der Feststellung, dass – so steht es wie- Nida-Rümelin vorgelegt. Es war verabredet, ein Jahrderum auf der Netzseite – „diese Reform… zugleich später im Bundestag eine erste Einschätzung über diebeispielhaft für die Kulturförderung im ganzen Lande neu getroffenen Festlegungen vorzunehmen. sein“ soll. Das erschien uns damals notwendig; denn mit der Über- (Beifall bei der SPD) nahme von vier großen Berliner Kultureinrichtungen in Frau Staatsministerin, ich habe meine größten Pro- die finanzielle Verantwortung des Bundes wurde inso- bleme damit. Das vorgesehene Modell löst nicht die Pro- fern Neuland betreten, als der Bund sich erstmals in die- bleme Berlins und ist schon gar nicht beispielhaft für ser Größenordnung kultureller Institutionen angenom- ganz Deutschland. Es wird damit kein Beitrag geleistet (B) (D) men hat, an deren Gründung er selbst nicht beteiligt war. zur Erfüllung der Funktion Berlins als Sitz des Deut- Es handelt sich also um eine Adoption. Aus anderen Zu- schen Bundestages und der Bundesregierung, wie es in sammenhängen wissen wir, dass Adoptionen bisweilen Ihrem Text heißt. Das aber ist genau Sinn und Zweck der nicht reibungslos verlaufen, besonders wenn sie erst im Übung und übrigens auch in den Vereinbarungen zwi- Jugend- oder Erwachsenenalter erfolgen. schen Bund und Ländern unstrittig. Der Bericht stellt Dass es ein weiteres Jahr gedauert hat, bis wir über völlig richtig fest: diesen Bericht im Plenum debattieren, und zwar auf Dem Land Drängen unserer Fraktion, legt den Verdacht nahe, dass die Erfahrungen mit diesem Hauptstadtkulturvertrag– gemeint ist Berlin – doch nicht positiv genug sind, dass die Regierung sie mit eine Budgethilfe zur Erfüllung von Landesaufgaben Stolz hätte verkünden können. zu gewähren, war freilich nicht Ziel des Hauptstadt- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Eck- vertrages. hardt Barthel [Berlin] [SPD]: Wovon leiten Sie Dies kann auch nicht Ziel der Kulturpolitik des Bundes das ab?) insgesamt sein. Zweck des Hauptstadtkulturvertrages war vor allem Mit der Diskussion über die Finanzen Berlins erwe- die finanzielle Unterstützung des Landes Berlin bei der cken wir ständig den falschen Eindruck, der Bund könne Erfüllung seiner Funktion als Sitz des Deutschen Bun- durch die Rettung einer Oper in Berlin oder durch die destages und der Bundesregierung. Ich gehe nicht auf Übernahme eines Museums, was immerhin zweistellige Details ein, inwieweit das mit der Übernahme der Insti- Millionenbeträge bedeutet, die strukturellen Haushalts- tutionen gelungen ist. In diesem Zusammenhang scheint probleme Berlins lösen. Diese liegen in der Größenord- es mir weitaus dringlicher, darauf hinzuweisen, dass in- nung von ungefähr zweistelligen Milliardenbeträgen; sie zwischen eine ähnliche Situation wie vor der Vertrags- sind also tausendmal größer. schließung entstanden ist, in der der Bund erneut vorhat, Berliner Kultureinrichtungen in seine Verantwortung zu (Petra-Evelyne Merkel [SPD]: Darum geht es übernehmen. doch nicht!) (Dr. Norbert Lammert [CDU/CSU]: Zugesagt!) Wenn wir uns als Kulturpolitiker ständig diese Debatte über die Rettung von Opern aufdrängen lassen und wenn Ich nenne beispielsweise die Akademie der Künste und wir damit den Eindruck erwecken, man könne damit et- die Stiftung Deutsche Kinemathek. was für die Finanzen Berlins tun, dann haben wir schon Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5815

Günter Nooke (A) verloren. Wir sollten eigentlich viel systematischer da- Wir sind der Auffassung, dass der Schlossneubau(C) rüber reden, was hier notwendig ist. ganz überwiegend kulturell genutzt werden sollte. Ange- sichts der Rolle des Bundes in Berlin sind wir überzeugt, (Beifall bei der CDU/CSU) dass das Schloss einen „nationalen Repräsentations- Wenn die Millionenbeträge für die Opernstiftung an- charakter“ hätte, wie wir soeben festgestellt haben, und gesprochen werden, dann nährt das wiederum die Ver- alle das Ziel des Wiederaufbaus des Schlosses und der mutung, dass alle Mittel des Bundes für die Kultur inüberwiegend kulturellen Nutzung aufrechterhalten soll- Berlin in ein Fass ohne Boden fließen. Wir kennen die ten – und das umso mehr, weil es sich nicht um einen entsprechenden Debatten. Wenn die Strukturen nichtBeschluss handelt, der im Zuge der anstehenden Haus- klar sind, Frau Weiss, dann ist der Glaube daran, dass es haltsberatungen – das weiß auch ich – ganz einfach um- funktioniert, natürlich nicht sehr ausgeprägt. zusetzen sein wird. (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Machen Sie mal (Petra-Evelyne Merkel [SPD]: Immerhin!) einen Gegenvorschlag!) Angesichts des grundsätzlichen politischen Wollens ist Die gestern Vormittag beschlossene Einsetzung einer es aber unmöglich, die Umsetzung als nicht machbar Föderalismuskommission und die vom Bundespräsiden- hinzustellen und auf ewige Zeit zu vertagen. ten angemahnte Neuformulierung der Rolle der deut- schen Hauptstadt im föderalen System sind trotz aller Über die anstehende Neufassung des Hauptstadtkul- Diskussionen über Kultur unverzichtbar. Außerdemturvertrages werden wir im kommenden Jahr ausführlich stellt sich angesichts der im vorliegenden Bericht so po- zu debattieren haben. Dabei werden wir uns die vom sitiv beurteilten gänzlichen Übernahme von Einrichtun- Bund geförderten Institutionen in Berlin von den Fest- gen in die Zuständigkeit des Bundes die Frage, ob der spielen bis zum Hauptstadtkulturfonds ganz genau anse- Bund mit Blick auf die zu lösende Opernfrage nicht bes- hen. ser beraten wäre, die Budgetverantwortung für eine der Frau Staatsministerin Weiss, Sie haben den Haupt- Opern zu übernehmen. stadtkulturfonds gelobt. Ich kann mir vorstellen, dass (Horst Kubatschka [SPD]: Aha!) man gerade in diesem Zusammenhang noch einmal über die Art und Weise der Mittelvergabe sprechen sollte. Das Kommen wir auf den Hauptstadtkulturvertrag zurück. heißt nicht, in die Freiheit der Kunst einzugreifen. Aber Bei der Neufassung des Vertrages haben wir auf der Be- ich frage mich schon, warum Sie im Sommer die öffent- fristung bestanden. Schon jetzt wissen wir, das war not- liche Debatte über die RAF-Ausstellung so geführt ha- wendig und richtig. Darausresultiert die Pflicht, aber ben, dass die Kuratorin, Frau Adrienne Goehler, am (B) auch die Möglichkeit, das bestehende Regelwerk nicht Ende darüber gejubelt hat, dass es jetzt nur noch um(D) nur zu verändern, sondern auch gemeinsam zu verbes- Kunst gehe und sie machen könne, was sie wolle. Wenn sern und klarer zu strukturieren. so etwas im Ergebnis herauskommt, dann sollte man Es geht darum, herauszufinden, „welchen Kulturfel- sich schon fragen, ob die Debatte zuvor richtig verlaufen dern konkret nationaler Repräsentationscharakter zuzu- ist. Ich bleibe auch hier etwas skeptisch. messen ist“. So heißt es im vorliegenden Bericht der (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Bundesregierung. Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP] – Eck- Da ist es dann schon abenteuerlich, dass der Bund hardt Barthel [Berlin] [SPD]: Dass der Wirt- über den Hauptstadtkulturfonds Projekte imPalast der schaftsliberale Otto an dieser Stelle klatscht!) Republik, dessen Abriss der Deutsche Bundestag be- schlossen hat, finanziert. Herr Barthel, lassen Sie mich schließen. Das Ange- bot, das wir hier machen, indem wir über die Neuformu- (Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Würden Sie lierung des Hauptstadtkulturvertrages sprechen wollen, diesen Satz bitte wiederholen!) ist etwas strukturierter und systematischer. Deshalb muss jetzt der Bericht der Bundesregierung ausgewertet – Angesichts dessen, dass der Bundestag mit Zweidrit- werden. Wir fordern, baldmöglichst den nächsten Be- telmehrheit einen Beschluss zum Wiederaufbau desricht zu erstellen, damit wir hier über die Erfahrungen Schlosses und zum Abriss des Palastes getroffen hat, ist des letzten Jahres diskutieren können, bevor wir in die es abenteuerlich, dass vom Hauptstadtkulturfonds Pro- Beratungen darüber eintreten, wie wir es ab dem Jahre jekte im Palast der Republik mit öffentlichem Geld – da- 2005 noch besser machen können. für wollten wir es eigentlich nicht ausgeben – finanziert werden. Viele Punkte dieses Berichtes sind zitiert worden. Sie Folgenden Hinweis möchte ich noch geben: Gleich- deuten, wenn man sie denn umsetzen würde, durchaus zeitig erstarren Sie in Lähmung, wenn es darum geht, auf Gemeinsamkeiten hin. Das Ganze ist gar nicht so den Beschluss des Bundestages zur Wiedererrichtungstrittig. Nur, so wie es zurzeit funktioniert, können wir des Berliner Stadtschlosses umzusetzen. Da wird ein- noch nicht in der ganzen Republik rechtfertigen, dass fach ein Moratorium, ein Vertagen auf den Sankt-Nim- wir genau das tun, was wir im Rahmen des Hauptstadt- merleins-Tag, beschlossen. kulturvertrages machen müssen, nämlich die Repräsen- tationsrolle Berlins als Sitz von Bundestag und Bundes- (Horst Kubatschka [SPD]: Wo kommt das regierung und als Hauptstadt einer Kulturnation ins Land Geld her?) und aus Deutschland heraus in die Welt zu tragen. Auch 5816 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Günter Nooke (A) das wäre eine Aufgabe der Kulturförderung in Berlin. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Eck- (C) Dafür werden wir weiter kämpfen. hardt Barthel [Berlin] [SPD]: Waren Sie ei- gentlich schon mal dabei?) Danke schön. – Ich bin nicht dabei, Herr Barthel – das ist ein guter (Beifall bei der CDU/CSU) Einwand –, denn wir dürfen nicht dabei sein. Ich komme gleich darauf zu sprechen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Gott sei Die Kollegin Dr. Antje Vollmer vom Bündnis 90/Die Dank, dass Sie nicht dabei sind!) Grünen hat ihre Rede zu Protokoll gegeben.1) Es ist mit der Kontrollfunktion des Parlaments un- (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Die wollte ich vereinbar, wenn den Abgeordneten bisher noch nicht aber hören! Dafür bin ich geblieben!) einmal die Protokolle oder sonstigen Unterlagen des Damit kommen wir zur Rede des Kollegen Hans-Joa- Hauptstadtkulturfonds zugänglich gemacht werden. Da- chim Otto von der FDP-Fraktion. rüber hinaus halten wir es für inakzeptabel, Herr Barthel, dass im Entscheidungsgremium des Hauptstadtkultur- fonds, dessen Mittel zu 100 Prozent vom Bund bereitge- (Frankfurt) (FDP): Hans-Joachim Otto stellt werden, kein Mitglied des Parlaments vertreten ist. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Be- Wie soll ich denn bei den Entscheidungen dabei sein, richt der Bundesregierung ist überholt und schönfärbe- wenn es mir verwehrt wird? risch. Der Zustand meiner Stimme, aber auch die Kürze meiner Redezeit gebieten es allerdings, dass ich mich (Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Wir berich- auf einen einzigen Aspekt beschränke, nämlich darauf, ten doch darüber!) den Antrag zu begründen, den die FDP hierzu einge- Wir schlagen vor, dass in Zukunft zwei Abgeordnete bracht hat. im Entscheidungsgremium mitstimmen sollten. Ich sehe Die Vorgänge um die geplante RAF-Ausstellung ha- übrigens nicht ein, warum die bisher dort entscheiden- ben gravierende Schwächen des Hauptstadtkulturfonds den Minister über mehr Kunstsachverstand und Objekti- offenbart. Solange durch diese Ausstellung der Terror vität verfügen sollten als Abgeordnete des Deutschen der RAF nicht verklärt und die Gefühle der Angehörigen Bundestages. der Opfer nicht verletzt werden, habe ich zwar prinzi- (Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Die ent- piell nichts gegen eine solche Ausstellung. Aber ich scheiden ja gar nicht!) (B) muss nüchtern feststellen, dass die Förderentscheidung (D) des Hauptstadtkulturfonds nicht rechtmäßig abgelaufen – Die entscheiden sehr wohl. Die gemeinsame Kommis- ist. Es gab weder ein präzises Konzept der Veranstalter sion entscheidet über die Vorschläge der Kuratorin; ich noch eine schriftliche Begründung der Kuratorin, warum habe mich sehr eingehend mit diesem Sumpf beschäf- gerade diese Ausstellung mit immerhin 100 000 Euro zu tigt. fördern sei. (Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Aber bezo- Der damals als verbindlich erklärte Finanzplan ist gen auf das Verfahren!) mittlerweile hinfällig, die Beteiligung der Bundeszen- trale für politische Bildung abgesagt – Lieber Herr Barthel, Sie können nachher reden, Sie können mir auch eine Frage stellen, Sie können mir aber (Jörg van Essen [FDP]: Gott sei Dank!) nicht meine Redezeit stehlen. und die Ausstellungsplanung ist inhaltlich und zeitlich (Beifall bei der FDP) über den Haufen geworfen worden. Offenbar kommt aber niemand auf die Idee, das bereits vor Monaten aus- Wenn sich diese notwendigen Änderungen, die in un- gezahlte Fördergeld vom Veranstalter zurückzufordern. serem Antrag niedergelegt sind, nicht in den Verhand- lungen mit dem Land Berlin durchsetzen lassen, muss (Jörg van Essen [FDP]: Unglaublich!) der Vertrag noch in diesem Jahr fristgerecht gekündigt Die jetzt zu Tage getretenen Merkwürdigkeiten rund werden; denn ansonsten – Herr Kollege Nooke, das ha- um die RAF-Ausstellung sind aber nicht zufällig. Sieben Sie übersehen – wird der Vertrag automatisch über sind Ausdruck eines schwerwiegenden Strukturfehlers das Jahr 2004 hinaus verlängert. Es ändert sich nichts, des Hauptstadtkulturfonds. Wir fordern, das Verfahren wenn nicht bis zum 31. Dezember 2003 die Kündigung um die Vergabe der Fördermittel endlich transparent zu ausgesprochen wird. Ich hoffe allerdings, dass wir dies gestalten. Es ähnelt schon einer Bananenrepublik, wenn betreffend in Verhandlungen mit dem Land Berlin für Förderentscheidungen über manchmal eine halbe Mil- ein bisschen Ordnung sorgen können. lion Euro auf mündlichen Zuruf der Kuratorin erfolgen, Meine Damen und Herren, im Interesse von Kunst ohne jede schriftliche Vollmacht – Bananenrepublik! und Kultur in Berlin braucht der Hauptstadtkulturfonds eine Strukturreform, und zwar so schnell wie möglich. 1) Anlage 14 Wir alle, auch Frau Dr. Weiss, wissen, dass es da Dinge gibt, die aufzuräumen sind. Ich setze daher auf die Un- terstützung aus allen Fraktionen. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5817

Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (A) Vielen Dank. Hauptstadt und mit den Sinnfragen, die ich eben ange-(C) sprochen habe, zu tun haben, nur über das Schloss redet (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten oder darüber, wie man etwas besser kontrollieren kann. der CDU/CSU) Und heute ist Herr Rexrodt noch nicht einmal anwesend. Ich komme im Folgenden aber noch auf den FDP-Antrag Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: zu sprechen, der hier vorgestellt wurde und der jetzt ver- Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Pau. handelt wird. Unabhängig von all dem, was schon gesagt wurde, ist Petra Pau (fraktionslos): offensichtlich, dass die Berliner Kulturlandschaft städti- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die sche Aufgaben erfüllt, darüber hinaus aber auch haupt- Deutsche Nationalstiftung hat dieser Tage eine Fragestädtische und nationale. Deshalb ist es richtig, dass aufgegriffen, die seit 1990 einer Antwort harrt: „Berlin – Berlin unterstützt wird, zum Beispiel über die Haupt- was ist uns die Hauptstadt wert?“ Die Fragestellung ist stadtkulturförderung. Mit dem Hauptstadtkulturver- sogar noch verkürzt; denn sie zielt so gestellt rechttrag hat das Engagement des Bundes in Berlin an Profil schnell auf das Geld. und Klarheit gewonnen. Das begrüßt die PDS im Bun- destag ausdrücklich. Wir begrüßen auch, dass sich das Die PDS hatte schon vor Jahren vorgeschlagen, erst Engagement des Bundes nicht nur auf große und reprä- einmal die Sinnfrage in den Vordergrund zu stellen:sentative Einrichtungen beschränkt, sondern auch das „Was soll eine deutsche Hauptstadt im 21. Jahrhundert zweite Standbein einer lebendigen und kreativen Kultur und im föderalen System?“ Aus den möglichen Antwor- im Blick hat, nämlich die so genannte freie Szene. Auch ten wäre dann die Frage abzuleiten, was die Hauptstadt das sollte so bleiben. dem Bund und den anderen Bundesländern wert sein muss. Deshalb lesen wir Ihren Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, nicht ganz ohne Argwohn. Diese Denk- und Diskussionsaufgabe steht aber noch Sie wollen den Einfluss des Bundestages auf die Ver- an. Wenn ich höre, dass sich die gestern gebildete ge-wendung der Kulturförderung erhöhen. Sie wollen in hö- meinsame Föderalismuskommission des Bundestages herem Maße kontrollieren und entscheiden können, ob und des Bundesrates damit befassen will, dann sage ich: die Mittel auch sinngerecht verwendet werden. Das ist gut, aber auch noch zu kurz gegriffen. Denn es geht nicht nur um politische Aspekte, sondern zugleich (Jörg van Essen [FDP]: Was bitter notwendig auch um philosophische, wissenschaftliche, internatio- ist!) nale und natürlich auch um kulturelle Aspekte. (B) Das klingt erst einmal logisch, getreu dem Motto: Wer(D) die Musik bezahlt, entscheidet, was gespielt wird. Beim Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: zweiten Hinhören klingt es ein wenig misstrauisch, so- Frau Kollegin Pau, erlauben Sie eine Zwischenfrage wohl gegenüber Berlin wie auch gegenüber der Kultur- Ihrer Kollegin Frau Dr. Lötzsch? – Frau Dr. Lötzsch,staatsministerin. Das eigentliche Problem ist aber viel bitte schön. grundsätzlicher: Sie wollen den inhaltlichen Einfluss des Staates und der Politik gegenüber kulturellen Projekten und auf die kulturelle Entwicklung erhöhen. Das halte (fraktionslos): Dr. Gesine Lötzsch ich für falsch und für gefährlich und wundere mich, dass Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Kollegin, Sie ein solches Ansinnen von einer Partei kommt, die sich li- sind mit mir sicher einer Meinung, dass diese Debatte beral nennt und auf anderen Gebieten liberale Ansichten des besonderen Engagements der Berliner Abgeordneten sehr wohl vertritt. bedarf, die schließlich von Menschen dieser Stadt ge- wählt worden sind. Wie bewerten Sie in Anbetracht der (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abwesenheit der Berliner Abgeordneten der FDP und in BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Anbetracht des Verzichts der Fraktion der Grünen auf ei- Abg. Dr. Gesine Lötzsch [fraktionslos]) nen Redebeitrag das Engagement der Kollegen in dieser Damit bin ich bei einem letzten Problem. Der Haupt- Frage? stadtkulturfonds ist beschränkt, auch weil der Hauptstadt- (Horst Kubatschka [SPD]: Ich bin wie kulturvertrag befristet ist. Eine systematische Klärung, Kennedy: Ich bin ein Berliner!) was gesamtstaatliche oder hauptstädtische Verpflichtun- gen des Bundes in Berlin sind, muss aber grundsätzlich sein. Sie verträgt keine Vorläufigkeit und auch keine (fraktionslos): Petra Pau Rückzugsoptionen, die im Übrigen in Ihrem Antrag wie- Schön, dass es in dieser Runde bekennende Berliner der auftauchen. gibt, die zugezogen sind. Wer Berlin besucht, der weiß, welche kulturellen Es ist traurig, dass wir als Berliner Abgeordnete es in Schätze es hier gibt, wie zum Beispiel das Weltkultur- den letzten Jahren nicht geschafft haben, über die Gren- erbe Museumsinsel. Ich finde, auch das ist eine Bundes- zen der Fraktionen und Gruppierungen hinweg unter un- aufgabe. Dem müssen wir uns miteinander langfristig seren Kollegen mehr für Berlin zu werben. Insbesondere und verlässlich stellen. ist es traurig, dass die FDP-Fraktion bei vielen dieser Debatten, die mit Berlin an sich, mit der Zukunft der (Horst Kubatschka [SPD]: Beides geschieht!) 5818 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Petra Pau (A) Kurzum: Das Programm ist fortzuführen und nachob der Bund das darf. Das erfreut mich in einem starken (C) Möglichkeit auszubauen. Das sagt die PDS im Bundes- Maße. tag. Ich möchte jetzt nicht weiter auf das eingehen, was (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak- ich mir aufgeschrieben habe, sondern auf die netten tionslos]) Dinge, die Sie hier gesagt haben. Ich fange mit der Über- nahme der Institutionen an. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Weiss hat richtigerweise gesagt, dass wir das Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat Berlin-Engagement nicht nur quantitativ erweitert ha- der Kollege Eckhardt Barthel von der SPD-Fraktion das ben, sondern dass wir es, um ihre Worte zu gebrauchen, Wort. vom Kopf auf die Füße gestellt haben. Das heißt, wir ha- ben ihm eine Struktur gegeben. Es wird immer die Frage gestellt, ob wir die richtigen Institutionen übernommen Eckhardt Barthel (Berlin) (SPD): haben. Herr Nooke, Sie sagen, dass das alles falsch ist, Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst und sprechen von strukturellen Fehlern. Ich möchte möchte ich an die Überschrift erinnern, unter der wirgerne wissen, was Sie übernommen hätten. Was wäre hier diskutieren: Kulturfinanzierung in der Bundeshaupt- das Richtige gewesen? Gibt es überhaupt die richtige In- stadt 2001 bis 2004 sowie künftige Förderung der Kultur stitution? in der Bundesstadt Bonn. Ich als Berliner bin erstaunt, dass das Wort „Bonn“, obwohl es zum Thema gehört, (Günter Nooke [CDU/CSU]: Über den „Preu- nicht ein einziges Mal ausgesprochen worden ist. Keiner ßischen Kulturbesitz“ haben wir nie gestrit- redet über Bonn. So will ich das als Berliner tun, der zu- ten!) gegebenermaßen eine Portion Lokalpatriotismus in sich – Ich bitte Sie, das war ja unstrittig; darum geht es doch trägt. nicht, das gab es vorher schon. – Es wird immer gesagt, dass das, was wir übernommen haben, nicht das Richtige (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ war. Sie nennen aber keinerlei Alternativen dazu. DIE GRÜNEN) Ich finde es auch wichtig, dass sich der Bund – insbe- Ich finde, das hat die Bundesstadt Bonn verdient. sondere durch Frau Weiss – nicht nur materiell enga- Ich glaube, auch die Bundesregierung hat es verdient, giert. Besonders die Beteiligung an derReform der dass man einmal daran erinnert, dass durch den Bonn- Opernstruktur ist für mich ein wichtiges Beispiel. Es Vertrag 150 Millionen Euro für die Kultur nach Bonnist gut, dass sich der Bund auch in die Reformdiskussion (B) fließen. Auch als Berliner sage ich: Ich freue mich, dass im Land Berlin einklinkt. (D) es der Stadt Bonn im Vergleich zu anderen Städten gut (Beifall bei der SPD) geht und dass der Umzug nicht zuletzt auch Dank der Hilfe, die die Bundesregierung geleistet hat, keine nega- Wir haben vor kurzem gehört, was die Deutsche Natio- tiven Wirkungen auf die kulturelle Szene in Bonn hat. nalstiftung zu Berlin gesagt hat. Deshalb ist es eine gute Ich meine schon, dass man das erwähnen sollte. Sache, dass sich der Bund daran beteiligt. Ich finde den Begriff „strukturelle Partnerschaft“ passend; denn ich (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ halte es für richtig, dass es hier, wenn wir als Bund un- DIE GRÜNEN) sere Verpflichtung ernst nehmen, nicht nur darum gehen Übrigens – erlauben Sie mir, dies zu sagen: Die Deut- darf, Geld in die Stadt zu stecken. Wir müssen auch eine sche Welle ist jetzt auch in Bonn. Das ist zwar nicht Teil Partnerschaft mit dem Land Berlin eingehen, ohne dass der Bonner Kulturförderung, aber ich glaube, die Stadt der Eindruck entsteht, dass der Kulturausschuss des ist nicht traurig darüber, dass jetzt nicht nur die Telekom, Deutschen Bundestages ein Ersatz-Kulturausschuss des sondern auch die Deutsche Welle dort ist. Berliner Abgeordnetenhauses und die Staatsministerin für Kultur und Medien eine Neben-Kultursenatorin des Lassen Sie mich nun doch noch zu Berlin kommen. Landes Berlin ist. Man muss aufpassen, dass dies nicht Ich glaube, zwei Dinge sollte man aufgrund der allge- durcheinander geht. Ich finde diese strukturelle Partner- meinen Diskussion in der Bundesrepublik immer erwäh- schaft hervorragend. nen, wenn man über die Finanzierung der Hauptstadtkul- tur spricht. Erstens. Es gibt den großen Konsens aller Sie haben die Opernreform in einer negativen Form Fraktionen, dass der Bund eine Verpflichtung gegen- geschildert. Ich kann Ihnen nur eines sagen: Sie wird nur über der Hauptstadt Berlin hat. dann gelingen, wenn alle Beteiligten sie wollen und wenn alle Beteiligten sich darum bemühen, dass sie ein (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Erfolg wird. GRÜNEN und der FDP) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Das ist keine Selbstverständlichkeit. Es war richtig, dass DIE GRÜNEN) Frau Weiss diesen Beschluss des Bundestages gleich am Das ist eine Alternative für mich. Die Alternative dazu Anfang noch einmal aufgeführt hat. Zweitens – auch das wäre die Schließung einer großen Oper in Berlin. möchte ich in diesem Zusammenhang gerne erwähnen. In diesem Punkt gibt es zum Glück keine Auseinander- (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Nein! setzung zwischen dem Bund und den Ländern darüber, Nein! Das ist nicht richtig!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5819

Eckhardt Barthel (Berlin) (A) Das wäre ein fatales Signal für die gesamte Theaterland- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- (C) schaft, von der wir erwarten, dass sie in ihren Häusern richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu Reformen betreibt. Es wäre ein scheußliches Signal, dem Antrag der Abgeordneten Dr. Norbert Rött- wenn dies schief geht und eine Oper geschlossen werden gen, Wolfgang Bosbach, Veronika Bellmann, müsste. Wenn es gut geht und dieses Reformprojekt un- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der ter Beteiligung aller gelingt, dann löst dies einen starken CDU/CSU Impuls für die Reformbewegungen und -bestrebungen in unserer gesamten Landschaft aus. Verpflichtungen aus dem EU-Rahmenbe- schluss zur Terrorismusbekämpfung zügig er- Eines ist mir klar: Wenn wir nicht auch im Kulturbe- füllen reich Reformen voranbringen, dann werden wir die noch immer blühende Kulturlandschaft und die Vielfältigkeit – Drucksachen 15/540, 15/1730 – unserer Kulturlandschaft in Zukunft bestimmt vermis- Berichterstattung: sen. Deshalb finde ich es gut, dass wir mit dieser Reform der Opernstruktur exemplarisch etwas voranbringen, Abgeordnete Joachim Stünker was nicht nur für die Hauptstadt, sondern auch für das Dr. Norbert Röttgen ganze Land von Bedeutung ist. Hans-Christian Ströbele Jörg van Essen Ich kann aufgrund der Beschränkung meiner Redezeit nicht mehr auf weitere Punkte eingehen. DerHaupt- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die stadtkulturfonds ist jedenfalls für mich eine Perle des Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre Hauptstadtkulturvertrages. Dabei geht es nicht nur um keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Repräsentation, sondern auch darum, das Kreative und Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die Innovative in der Hauptstadt zu entwickeln. Dass Sie der Bundesministerin Brigitte Zypries das Wort. Meinung sind, dies sei ein Sumpf, finde ich bedauerlich. Aber, Herr Otto, darüber werden wir uns im Ausschuss noch genügend unterhalten können. Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz: Ich bedanke mich. Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- ren! Am Dienstag dieser Woche war ich in Washington (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ und habe gemeinsam mit John Ashcroft dasdeutsch- DIE GRÜNEN) amerikanische Rechtshilfeabkommen unterzeichnet. Nach 20 Jahren Verhandlungen ist es uns endlich gelun- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: gen, diesen Vertrag abzuschließen. (B) Ich schließe die Aussprache. Mit diesem Vertrag wird die bislang schon ausge-(D) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf zeichnete Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den Drucksachen 14/9677 und 15/1708 an die in der Ta- den Vereinigten Staaten in Strafsachen noch enger, weil gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.der Rechtshilfeverkehr vereinfacht und beschleunigt Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Wider- wird. Der Vertrag zwischen diesen Staaten ist ein wichti- spruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. ger Schritt im gemeinsamen Kampf gegen den interna- tionalen Terrorismus. Nur wenn die Staaten im Kampf Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a und 23 b auf: gegen den Terrorismus miteinander kooperieren – davon a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- sind wir überzeugt –, werden wir die weltweit verzweig- neten Joachim Stünker, Hermann Bachmaier, Sa- ten Netzwerke erfolgreich zerschlagen können. bine Bätzing, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten Jerzy (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Montag, Hans-Christian Ströbele, Volker Beck DIE GRÜNEN) (Köln), weiteren Abgeordneten und der Fraktion Deutschland hat auch dank der Rechtshilfe der Verei- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-nigten Staaten den ersten Prozess gegen einen Mitver- brachten Entwurfs einesGesetzes zur Umset- schwörer der Attentate vom 11. September erfolgreich zung des Rahmenbeschlusses des Rates vom abgeschlossen. Das Urteil im Fall Motassadeq – 15 Jahre 13. Juni 2002 zur TerrorismusbekämpfungFreiheitsstrafe – zeigt, dass ein starker Rechtsstaat Mittel und zur Änderung anderer Gesetze hat, auf terroristische Straftaten angemessen zu reagie- – Drucksache 15/813 – ren. Diese Stärke des Rechts muss uns immer bewusst sein. (Erste Beratung 41. Sitzung) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus- Mit Blick auf die Kritik des Roten Kreuzes an den schusses (6. Ausschuss) Haftumständen in Guantanamo habe ich dies gegenüber meinem amerikanischen Amtskollegen verdeutlicht; – Drucksache 15/1730 – (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Berichterstattung: GRÜNEN und der FDP) Abgeordnete Joachim Stünker Dr. Norbert Röttgen denn wenn wir islamistischen Terroristen ein rechts- Hans-Christian Ströbele staatliches Verfahren vorenthalten, machen wir uns Jörg van Essen angreifbar für die Ressentiments des islamistischen 5820 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Bundesministerin Brigitte Zypries (A) Extremismus, aber auch hinsichtlich unserer eigenen Zweitens. Der Straftatenkatalog des § 129 a StGB(C) Prinzipien. wird um zahlreiche neue Delikte erweitert. Dazu zählen die Computersabotage, die Zerstörung von Bauwerken, (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE die Zerstörung von Telekommunikationsanlagen, GRÜNEN und der FDP) schwere Gefährdung durch Freisetzung von Giften, be- Der deutsch-amerikanische Rechtshilfevertrag ist nur stimmte Verstöße gegen das Kriegswaffenkontroll- und eine der Maßnahmen, die die Bundesregierung nach den das Waffengesetz. Selbstverständlich nehmen wir in den Anschlägen vom 11. September 2001 ergriffen hat.Entwurf auch die schwere Körperverletzung auf. Um das Deutschland nimmt bei der Terrorismusbekämpfung in zu erreichen, bedurfte es nicht eines eigenen Antrags der Europa mittlerweile einen Spitzenplatz ein. Neben der CDU/CSU. Zugleich ergänzen wir den Begriff der „ter- weltweit ersten und einzigen Verurteilung, die ich eben roristischen Vereinigung“ durch die neuen Kriterien „ter- schon ansprach, hat das Landgericht Hamburg im Au- roristische Zielsetzung“ und „Schädigungseignung“. gust die Hauptverhandlung gegen einen weiteren Ange- Diese Formulierungen sind etwas präziser, als sie bisher klagten wegen Zugehörigkeit zur Hamburger Zelle um in § 129 a StGB waren, und sind im Übrigen an den Mohammed Atta eröffnet. Vor dem OLG DüsseldorfSprachgebrauch des Strafgesetzbuches angepasst. wird gegenwärtig gegen einen mutmaßlichen Angehöri- Drittens. Wir werden künftig auch Vereinigungen, de- gen der islamistischen Gruppe Al-Tawhid verhandelt. ren Zweck oder Tätigkeit lediglich auf dasAndrohen Der Generalbundesanwalt führt über 100 Ermittlungs- von terroristischen Straftaten gerichtet ist, strafrecht- verfahren im Zusammenhang mit dem islamistischen lich verfolgen können. Damit bezieht der neue Abs. 3 ei- Terrorismus. nen Bereich mit ein, der bislang von § 129 a StGB nicht Sie sehen: Wir kommen voran, nicht zuletzt weil wir abgedeckt war. in den letzten Jahren hervorragende Instrumente zur ef- Viertens. Unsere Strafrahmen werden an die Vorga- fektiven Bekämpfung des Terrorismus geschaffen haben. ben des Rahmenbeschlusses angepasst und, wo erforder- (Beifall bei der SPD) lich, auch heraufgesetzt. Die Höchststrafe für Unterstüt- zer einer terroristischen Vereinigung soll künftig zehn Die umfangreichen Sicherheitspakete I und II sowie die statt wie bisher fünf Jahre betragen. Das geht etwas über Einführung der Vorschrift über kriminelle und terroristi- den Rahmenbeschluss hinaus; dort werden nur acht sche Vereinigungen im Ausland – § 129 b StGB – grei- Jahre verlangt. Der Strafrahmen für das Werben um Mit- fen. Der Generalbundesanwalt stützt viele eingeleitete glieder oder um Unterstützung einer terroristischen Ver- Verfahren zunächst auf diese Norm. einigung wird unverändert bleiben. Freiheitsstrafen bis Auf europäischer Ebene haben wir mit dem Rahmen- zu fünf Jahren sind hier angedroht. Gerade hier hat uns (B) (D) beschluss zum europäischen Haftbefehl, dem Rahmen- die Anhörung gezeigt, dass es keinen Grund gibt, beschluss über gemeinsame Ermittlungsgruppen und§ 129 a StGB erneut zu ändern. dem Beschluss über die Einrichtung von Eurojust die er- Meine Damen und Herren, Sie sehen, dass die Bun- forderlichen Schritte unternommen. Die Umsetzungs- desregierung unter Beachtung rechtsstaatlicher Grund- maßnahmen zu diesen Rahmenbeschlüssen werden wir sätze alles das unternimmt, was notwendig und ange- in Kürze hier im Bundestag beraten können. messen ist, um den internationalen Terrorismus wirksam Meine Damen und Herren, der Rahmenbeschluss Ter- zu bekämpfen. rorismus ist ein Teil des umfassenden europäischen Kon- (Beifall bei der SPD) zepts zur Bekämpfung des Terrorismus. Sobald er über- all umgesetzt ist, ist es möglich, den Terrorismus in allen europäischen Mitgliedstaaten auf einer vergleichbaren Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: rechtlichen Grundlage zuverfolgen. Zentrale Punkte Das Wort hat jetzt der Kollege Thomas Silberhorn sind die gemeinsame Definition von terroristischenvon der CDU/CSU-Fraktion. Straftaten und die Vereinbarung gemeinsamer Zielset- (Beifall bei der CDU/CSU) zungen auf europäischer Ebene. Der Gesetzentwurf, der heute hier beraten wird, stellt eine möglichst präzise Umsetzung der bindenden europarechtlichen Vorgaben Thomas Silberhorn (CDU/CSU): des Rahmenbeschlusses nach Buchstaben und Geist dar. Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Gut zwei Jahre liegen die Terroranschläge auf das World Trade Was machen wir jetzt im Einzelnen? Center in New York nun zurück. Die internationale Ge- Erstens. Das, was bislang nach § 129 a Abs. 1 Nrn. 1 meinschaft hat ihre Anstrengungen zur Bekämpfung des und 2 StGB strafbar ist, wird es auch in Zukunft im sel- Terrorismus seither erheblich verstärkt. Insbesondere ben Umfang sein. Das heißt also, Gründer und Mitglie- konnten in der Europäischen Union zahlreiche gemein- der einer Vereinigung, die auf Begehung von Mord, same Maßnahmen im Rahmen der polizeilichen und jus- Totschlag, Völkermord, erpresserischem Menschenraub tiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen verabschiedet oder Geiselnahme gerichtet ist, können mit Freiheits-werden. Die Bekämpfung des internationalen Terroris- strafen von bis zu zehn Jahren bestraft werden. Rädels- mus ist eine Aufgabe, der sich die Europäische Union zu führern und Hintermännern einer solchen Vereinigung Recht annimmt. Dass wir die Sicherheit unserer Bürge- drohen sogar 15 Jahre – die zeitliche Höchststrafe inrinnen und Bürger nicht mehr im nationalen Alleingang Deutschland. bewältigen können, leuchtet jedem ein. Hier wird für den Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5821

Thomas Silberhorn (A) Einzelnen unmittelbar erfahrbar, dass europäische Inte- Selbst diesen Mindestanforderungen wird Ihr Ge- (C) gration Sinn macht. Deshalb ist es so wichtig, dass wir setzentwurf nicht gerecht. Der EU-Rahmenbeschluss hier EU-weit Erfolge erzielen. verlangt wörtlich, „Angriffe auf die körperliche Unver- sehrtheit einer Person“ als terroristische Straftat einzu- Der Ministerrat hat mit seinem Rahmenbeschluss zur stufen, wenn sie mit terroristischer Zielsetzung began- Terrorismusbekämpfung vom 13. Juni 2002 ein ambitio- gen werden. Mit der Beschränkung auf schwere niertes Programm zur Verfolgung terroristischer Strafta- Körperverletzungen haben Sie diese Verpflichtung, Frau ten vorgelegt. Die Frist zur Umsetzung dieses Rahmen- Bundesjustizministerin, nicht ordnungsgemäß umge- beschlusses in nationales Recht ist bereits am setzt. Nicht einmal gefährliche Körperverletzungen und 31. Dezember letzten Jahres abgelaufen. Der Gesetzent- Körperverletzungen mit Todesfolge, die mit terroristi- wurf der Bundesregierung hierzu wurde erst am 8. April scher Zielsetzung begangen werden, wollen Sie als ter- dieses Jahres eingereicht. Heute schreiben wir den roristische Straftat verfolgen. Das ist kein Signal zur Be- 17. Oktober. Allein daran wird deutlich, welchen Stel- kämpfung des Terrorismus, das ist ein Signal zur lenwert die Bundesregierung der Terrorismusbekämp- Verharmlosung der Gefahren, die vom internationalen fung beimisst. Einen Spitzenplatz nimmt sie jedenfalls Terrorismus ausgehen. nicht ein. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Da kann es auch nicht verwundern, dass die Bundes- starkes Argument!) regierung auch bei der Strafzumessung die Vorgaben der Europäischen Union missachtet. Art. 5 Abs. 2 des Rah- Auch in der Sache muss sich die Bundesregierung menbeschlusses legt klar und eindeutig fest, dass der nicht übertriebenen Ehrgeiz vorhalten lassen. Der in Strafrahmen für terroristische Straftaten höher sein muss letzter Minute unternommene Versuch, die Mindestvor- als für Straftaten ohne terroristische Zielsetzung. Die gaben des Rahmenbeschlusses dem Sprachgebrauch des Kommission ist nach Art. 11 Abs. 3 dieses Rahmenbe- Strafgesetzbuches anzupassen, ist schon semantisch schlusses sogar ausdrücklich dazu verpflichtet, in ihrem misslungen, weil die Häufung von dehnbaren Begriffen Bericht zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses „insbe- die Rechtsanwendung in der Praxis erschwert. Wann sondere“ anzugeben, wie die Mitgliedstaaten die Vor- zum Beispiel ist eine Tat dazu bestimmt „die Bevölke- gabe eines höheren Strafrahmens für terroristische Straf- rung auf erhebliche Weise einzuschüchtern“? taten in nationales Recht umgesetzt haben. Vor allem aber werden durch die Einführung zahlrei- Während diese Frage also für die Europäische Union cher neuer Tatbestandsvoraussetzungen die bisher ge- eine besonders hohe Bedeutung hat, lässt die Bundesre- gebenen Möglichkeiten der Strafverfolgung auch noch (B) gierung das glatte Gegenteil erkennen. Ignoranz statt Ini- (D) eingeschränkt. Im Bereich der politisch motivierten Ge- tiative ist Ihr Beitrag zur Bekämpfung des internationa- waltkriminalität wird kaum eine Gruppierung mehr als len Terrorismus. Das bringen Sie schon mit der Wahl der terroristische Vereinigung strafrechtlich verfolgt werden Beratungszeit am Freitag Nachmittag am unteren Ende können, wenn sie nicht auf Tötungsdelikte oder Geisel- der Tagesordnung öffentlich zum Ausdruck. nahme ausgerichtet ist. Gerade linksextremistische Grup- pierungen, die „nur“ Gewalt gegen Sachen ausüben, wä- Für die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag ren dann allenfalls noch als kriminelle, aber nicht mehr appelliere ich an SPD und Grüne: Hören sie auf damit, als terroristische Vereinigungen zu verfolgen. Das ist das die Strafverfolgung von Terroristen zu erschweren! Neh- Ergebnis der Anhörung, das ein Richter des Bundesge- men Sie die Bedrohung durch den internationalen Terro- richtshofes dem Rechtsausschuss vorgetragen hat. rismus endlich ernst und erfüllen sie die EU-Vorgaben zur Bekämpfung terroristischer Straftaten! (Dr. Ole Schröder [CDU/CSU]: Die Anhörung war niederschmetternd für die Regierung!) (Beifall der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD) Da ist die Gelegenheit günstig, auch gleich die Wer- bung für terroristische Vereinigungen zu erleichtern. Die Beschränkung der Strafbarkeit auf die reine Werbung Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: von Mitgliedern und Unterstützern ist nichts anderes als Die Beiträge der Kollegen Jerzy Montag, Bündnis 90/ eine Entkriminalisierung der geistigen Brandstifter. Mit Die Grünen, und Jörg van Essen, FDP, nehmen wir zu Bekämpfung des Terrorismus, Frau Zypries, hat das alles Protokoll.1) Vielen Dank. wenig zu tun. Dann kommen wir zum Beitrag des Kollegen Chris- (Beifall bei der CDU/CSU) toph Strässer von der SPD-Fraktion. Im Klartext, meine Damen und Herren von der Regie- rungskoalition: Sie missbrauchen die Umsetzung des Christoph Strässer (SPD): EU-Rahmenbeschlusses zur Terrorismusbekämpfung, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Obwohl um die Verfolgung politisch motivierter Gewaltkrimina- wir gestern Abend eigentlich übereingekommen waren, lität in Deutschland zu erschweren, indem Sie unser In- alle Reden zu Protokoll zu geben, bin ich nach Ihrem strumentarium zur Strafverfolgung von Terroristen auf Beitrag, Herr Kollege Silberhorn, doch froh, Ihren das Niveau des EU-weiten Mindeststandards reduzieren. (Dr. Ole Schröder [CDU/CSU]: So ist es!) 1) Anlage 15 5822 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Christoph Strässer (A) Ausführungen noch das eine oder andere hinzufügen zu Wir hatten des Weiteren die Frage zu diskutieren, ob (C) können. Denn Sie sind in Ihrer Rede ein Stück weit über die bisherige deutsche Gesetzgebung und Rechtspre- das hinaus geschossen, was wir im Rechtsausschuss ver- chung nicht möglicherweise ausreicht, um den Terroris- einbart hatten, nämlich diese Diskussion sachlich zu füh- mus effektiv zu bekämpfen. Die Frau Ministerin hat, wie ren, statt zu polemisieren und Stimmungen zu schüren, ich meine, klare Aussagen dazu getroffen. Wir liegen wie Sie es getan haben. – das können Sie nicht kaputtreden – mit den gesetzli- chen Regelungen innerhalb Europas an der Spitze. Wir (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hans- haben mit der Änderung des § 129 a StGB ein Instru- Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mentarium gefunden, mit dem eine effektive, aber auch NEN]) rechtsstaatliche Bekämpfung des Terrorismus möglich Sie haben einen Begriff in die Diskussion einge-ist. Mit diesem Umsetzungsgesetz bauen wir unseren bracht, der sehr gefährlich ist. Sie sollten sich sehr genau Spitzenplatz in Europa weiter aus. überlegen, ob Sie diesen Begriff in der öffentlichen Dis- Im Kern erhalten wir den bestehenden § 129 a StGB. kussion in Bezug auf die Bundesregierung und die Re- Das bedeutet, dass Gründer und Mitglieder einer Verei- gierungsmehrheit weiterhin anwenden wollen. Sie haben nigung, die auf die Begehung von Mord, Totschlag, Völ- von „geistiger Brandstiftung“ gesprochen. kermord, erpresserischen Menschenraub oder Geisel- (Dr. Ole Schröder [CDU/CSU]: Das hat er nahme gerichtet ist, auch weiterhin mit Freiheitsstrafen doch gar nicht gesagt! Er hat gesagt, geistige von mindestens einem bis zu zehn Jahren bestraft wer- Brandstiftung werde verharmlost!) den können. Wir sind mit Ihnen der Meinung – das hat die Frau Ministerin bereits ausgeführt –, dass der ur- Was ich wahrnehme, ist, dass die sachliche Auseinander- sprüngliche Katalog dieses Tatbestands ausgedehnt wer- setzung, die wir bisher geführt haben, zu einem rationa- den muss. Das ist auch geschehen. Wir haben die Kritik len Umgang und zu einer effektiven strafrechtlichen Be- der Sachverständigen zum Anlass genommen, einige kämpfung dessen, was wir alle beklagen, führt. Änderungen vorzunehmen, die wir im Rechtsausschuss (Dr. Ole Schröder [CDU/CSU]: Sympa- bereits ausführlich diskutiert haben. thiewerbung ist nicht strafbar!) Ich will noch auf zwei Punkte eingehen, die Sie ange- In dieser Diskussion von „geistiger Brandstiftung“ zu sprochen haben. Das ist zum einen die Frage, welche Kör- sprechen ist – auch wenn Sie noch so oft dazwischenru- perverletzungsdelikte mit terroristischem Hintergrund fen, Herr Kollege – der falsche Weg. Denn damit emotio- bestraft werden müssen. Wir sind der Auffassung, dass nalisieren Sie und entfernen sich von der rationalen Aus- die Aufnahme jeglicher Angriffe auf die körperliche Un- (B) einandersetzung, die wir in diesen Tagen führen müssen. versehrtheit die Strafbarkeit in unerträglichem Maße(D) ausdehnen würde. Die von uns geplante Änderung sieht (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ vor – das halte ich für eine gute Maßnahme –, die ent- DIE GRÜNEN) sprechende Formulierung an die des Völkerstrafgesetz- buches anzupassen, sodass damit jede Zufügung schwe- Der Rahmenbeschluss der Terrorismusbekämpfung rer körperlicher oder seelischer Schäden, aber ist – das halte ich für gut und richtig; das wird auch von insbesondere der in § 226 StGB bezeichneten Art, im allen anderen so gesehen – ein wesentlicher Bestandteil Strafkatalog des § 129 a Abs. 2 enthalten ist. zur Vereinheitlichung der Rechtssysteme in der Bekämp- fung des organisierten Terrorismus. Ich komme zu dem zweiten Punkt. Sie werfen uns Sie, Herr Kollege Silberhorn, haben die angeblich un- vor, neue Straftatbestände in die Diskussion einzufüh- zureichende Arbeit der Bundesregierung hinsichtlich der ren. Ich halte dem entgegen, dass das nicht neu ist. Wenn zeitlichen Dimension angesprochen. Sie haben zu Recht Sie sich zum Beispiel mit der Rechtsprechung zum Nöti- festgestellt, dass am 31. Dezember vergangenen Jahres gungstatbestand befassen, dann werden Sie erkennen, die Frist zur Umsetzung abgelaufen ist. Aber ich bitte dass es auch dort unbestimmte Rechtsbegriffe gibt, die Sie – das meine ich mit der rationalen Diskussion über in der Rechtsprechung immer wieder Anlass zur Ausle- strafrechtliche Sanktionen –, zu berücksichtigen, dass gung geben, obwohl dieser Paragraph mittlerweile sehr sich diese Bundesregierung Zeit genommen hat – dasalt ist. Wir haben offensichtlich mehr Vertrauen in die finde ich richtig und wichtig –, eine rationale Diskussion Kompetenz der deutschen Richterschaft; denn wir sind zu führen und dann einen Gesetzentwurf vorzulegen, der der Meinung, dass sie in der Lage ist, die Norm des Völ- den Kriterien, die zumindest die Koalitionsfraktionen an kerstrafgesetzbuches so anzuwenden, dass die gemein- das Strafrecht und an Eingriffe in die persönlichen Frei- same Zielsetzung erfüllt wird. heitsrechte stellen, Rechnung trägt. Das ist mit diesem Wir werden dem Gesetzentwurf der Bundesregierung Gesetzentwurf eindeutig geschehen. zustimmen. Wir sind auf einem richtigen und guten Weg (Beifall des Abg. Joachim Stünker [SPD]) zur Bekämpfung des Terrorismus in einem vernünftigen rechtsstaatlichen Rahmen. Das begrüße ich und darauf bin ich stolz. Ich spreche da- für dem Bundesministerium der Justiz mein Lob aus. Danke schön. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5823

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: gen Wiefelspütz aus dem Innenausschuss – nennen, die (C) Als letztem Redner zu diesem Thema erteile ich das deutlich machen, dass das Vertrauen eher infrage gestellt Wort dem Kollegen Clemens Binninger von der CDU/ wird. CSU-Fraktion. Der Vorwurf „zu lasch“ ist berechtigt, weil in dem in Ih- rem Gesetzentwurf geänderten § 129 a des Strafgesetzbu- Clemens Binninger (CDU/CSU): ches der Straftatbestand der gefährlichen Körperver- letzung fehlt. Sie haben bislang keinen Grund genannt, Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren!Vorweg eine Bemerkung, warum Sie diesen Straftatbestand nicht aufgenommen Frau Ministerin Zypries: Wir wissen das, was getanhaben. Dieser gehört aber in § 129 a StGB hinein. Es gibt wird, schon zu schätzen. Das heißt aber nicht, dass das kein Argument dafür, diesen Straftatbestand nicht aufzu- ausreichend ist. Ich würde mich an Ihrer Stelle nicht da- nehmen. mit rühmen, dass Deutschland das erste Land ist, das ein (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Strafverfahren im Zusammenhang mit der Terrorismus- bekämpfung abgeschlossen hat. Das mag zuerst positiv Vielleicht können Sie anschließend klarstellen, warum klingen. Deutschland ist aber leider auch das Land, in kein § 223 a StGB aufgenommen wurde. dem die Anführer der Terrorzelle, die für den Anschlag vom 11. September 2001 verantwortlich ist, jahrelang Sie haben auch nicht den terroristischen Einzeltäter be- unerkannt leben konnten. Insofern halte ich das für einen rücksichtigt. Außerdem haben Sie denStraftatbestand falschen Maßstab. Es war zwar richtig, dieses Strafver- des Werbens für eine terroristische Vereinigung – das fahren zu betreiben. Aber ich würde es nicht unbedingt ist für mich am schlimmsten – abgeschwächt. Das ist ein als Beleg dafür verwenden, dass wir in Sachen Terroris- völlig falsches Signal. So werden Sie im Kampf gegen musbekämpfung alles getan haben. den Terrorismus nicht abschrecken, sondern eher das Gegenteil erreichen. Wenn Sie den Text des Gesetzent- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Nicht zu wurfs genau lesen, dann werden Sie feststellen, dass man fassen!) sich nur noch auf das Werben von Mitgliedern und Un- terstützern für eine terroristische Vereinigung und nicht Bei der Umsetzung des Rahmenbeschlusses zur Terro- mehr auf die allgemeine Sympathiewerbung bezieht. rismusbekämpfung – so steht es im Gesetzentwurf – geht Letzteres gehört genauso unter Strafe gestellt, wenn man es darum, abzuschrecken und Rechtslücken zu schließen. wirklich abschrecken will und es mit der Bekämpfung Man muss fragen, ob das Ziel derAbschreckung mit des Terrorismus ernst meint. dem, was Sie heute vorgelegt haben, tatsächlich erreicht (B) wird. Die Bedrohung durch den Terrorismus – das mag (Jörg van Essen [FDP]: Das haben alle (D) Ihnen nicht gefallen – ist unverändert ernst und sogar Sachverständige begrüßt!) noch größer als vor dem 11. September 2001. Dass es hier nicht um Einzelfälle geht, möchte ich (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das gern anhand einiger Beispiele darstellen, die deutlich scheint in Ihrer Fraktion niemanden zu interes- machen, wo noch Handlungsbedarf besteht. Sie werden sieren, sonst wären nicht nur drei Leute da!) die Relevanz der folgenden Fälle nicht bestreiten kön- nen, die für uns alle in diesem Hause – ich denke, das Das sagen alle Sicherheitsdienste in diesem Land. Des- kann ich unterstellen – eher ärgerlich sind. Sie zeigen halb müssen wir auch hier den Maßstab anlegen. Wenn aber, dass wir auf dem rechtlichen Gebiet noch sehr viel ich bei den rechtlichen Bemühungen, die Sie bisher auf mehr tun müssen. dem Feld der Terrorismusbekämpfung unternommen ha- Metin Kaplan kann nicht abgeschoben werden. ben, Bilanz ziehe, dann kann ich nur sagen: zu spät, zu lasch und zu wenig. (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Thema!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir alle sind uns doch sicherlich einig darüber, dass das Der Vorwurf „zu spät“ – das hat der Kollege Silberhorn nicht akzeptabel ist. Oder finden Sie es gut, dass er nicht schon vorhin ausgeführt – ist berechtigt, weil Sie – warum abgeschoben werden kann? auch immer – zehn Monate länger als geplant gebraucht (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) haben, um den Gesetzentwurf vorzulegen. Am Ergebnis kann es nicht gelegen haben; denn dieses ist nicht besser, Noch ist er hier und das ist für den deutschen Rechtsstaat sondern eher schlechter geworden. Die Sachverständi- eigentlich unerträglich. genanhörung, die vorhin kurz erwähnt wurde, war für Ih- (Zuruf von der SPD) ren Gesetzentwurf doch vernichtend. Das muss man mit aller Deutlichkeit sagen. – Ich habe nur gesagt, dass ich die Situation beschreibe. Hier werden Sie mir ja wohl Recht geben. (Beifall bei der CDU/CSU) Zweites Beispiel: al-Aksa – ein Spendensammelver- Übrigens, wenn Sie sagen, dass Sie Vertrauen in dieein für Hamas – wurde vomBundesinnenminister ver- deutsche Richterschaft hätten, dann werde ich Ihnenboten. Wir haben dieses Vorgehen unterstützt. Dieses nachher noch ein paar Beispiele – auch von Ihrem Kolle- Verbot ist aber wieder aufgehoben worden; so viel zum 5824 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

Clemens Binninger (A) Thema Vertrauen in die Auslegung der Rechtspre- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (C) chung. Herr Kollege Binninger, würden Sie, bevor Sie gehen, (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE noch eine Abschlussfrage des Kollegen Körper erlau- GRÜNEN]: Haben Sie schon einmal etwas ben? von Unterstützung gehört?) (CDU/CSU): Drittes Beispiel: Hizb ut-Tahir. Herr Innenminister, Clemens Binninger Anfang dieses Jahres haben Sie diese islamistische Ver- Ja. einigung verboten, aber ich weiß nicht, ob irgendein Funktionär bislang abgeschoben werden konnte, weil Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: wegen Terrorismusverdachts nach wie vor keine Ab- Bitte schön. schiebung durchgeführt wird.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Kom- Fritz Rudolf Körper (SPD): men Sie doch mal zur Sache! – Hans-Christian Herr Kollege Binninger, ich habe folgende ganz ein- Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was fache und kurze Frage an Sie: Welche konkreten gesetz- hat das denn mit § 129 a zu tun?) lichen Veränderungen möchten Sie denn gerne vorschla- – Nein, Herr Kollege Ströbele, nicht mit § 129 a. Wenn gen bzw. vornehmen, beispielsweise bezüglich der Frage Sie mir zugehört hätten, wüssten Sie, dass wir hier über der Abschiebung, an der Sie ja vorhin deutlich gemacht das Thema Terrorismus und darüber sprechen, was man haben, wo Sie Defizite sehen? in diesem Bereich auf rechtlichem Gebiet noch tun (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE muss. Die Punkte, die ich angesprochen habe, gehören GRÜNEN]: Dann schreiben Sie wahrschein- dazu, nicht nur § 129 a. Das war auch mein einleitender lich: Auch bei Folter darf abgeschoben wer- Satz. den!) Ein weiteres Beispiel dafür, dass im rechtlichen Be- reich noch viele Regelungen fehlen, obwohl Sie sich Clemens Binninger (CDU/CSU): rühmen, alles zu tun, ist diedoppelte Staatsbürger- Herr Kollege Ströbele, Herr Körper, wenn Sie mir zu- schaft. gehört hätten, hätten Sie mich durchaus verstehen kön- (Zuruf von der SPD: Die fehlt wirklich! Das nen. Ich habe gesagt: In Deutschland haben wir auf stimmt! – Heiterkeit bei Abgeordneten der rechtlichem Gebiet Zustände, die für uns nicht akzep- (B) SPD) tabel sind. (D) – Ich finde, das ist wenig witzig, sondern eher sehr ernst. (Otto Schily, Bundesminister: Was wollen Sie denn verbieten?) (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das kann aber nur als Witz aufgenommen wer- Dazu gehört, dass ein Islamist wie Kaplan nicht abge- den!) schoben werden kann. Wenn wir heute wissen, dass islamistische Vereinigun- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE gen wie Milli Görüs ihre Mitglieder dazu aufrufen, die GRÜNEN]: Das liegt aber an der Türkei!) doppelte Staatsbürgerschaft anzunehmen, dann be- schreibt das genau die Lücke bzw. Gefahr, auf die wir Dazu gehören aber auch die anderen Beispiele, die ich immer hingewiesen und die Sie ignoriert haben. genannt habe. Diese Punkte müssen wir ändern. Aber dafür tun Sie ja nichts. Insofern war meine Rede der Das letzte Beispiel betrifft eher den innerstaatlichen Auftrag an Sie, hierzu gesetzliche Regelungen vorzule- Bereich, Herr Innenminister. Wir warten schon langegen. darauf, dass Sie uns endlich einmal ein Luftsicherheits- gesetz mit entsprechenden Ausführungen über die Zu- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sollen ständigkeit und die notwendigen Verfassungsänderungen wir die Türkei übernehmen oder was?) präsentieren. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Otto Schily, Bundesminister: Ach, darauf warten Sie? Erzählen Sie doch nichts!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das war für den heutigen Tag aller Voraussicht nach der letzte Redner. Zwar wurde es schon mehrfach angekündigt, aber uns Bevor noch jemand auf die Idee kommt, zu reden, wurde nichts vorgelegt. Wir warten noch darauf. schließe ich die Aussprache. (Otto Schily, Bundesminister: Nein!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Insofern muss man als Bilanz festhalten: Sie haben Wir kommen zur Abstimmung über den von den § 129 a nicht verbessert und auf vielen anderen Gebieten Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen fehlt es noch an entscheidenden Regelungen. eingebrachten Gesetzentwurf zur Umsetzung des Rah- menbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terro- Vielen Dank. rismusbekämpfung und zur Änderung anderer Gesetze, (Beifall bei der CDU/CSU) Drucksache 15/813. Der Rechtsausschuss empfiehlt un- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5825

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) ter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Druck- nale Selbstverwaltung sichern und fortentwi- (C) sache 15/1730, den Gesetzentwurf in der Ausschussfas- ckeln sung anzunehmen. Ich tte bi diejenigen, die dem – Drucksache 15/1326 – Gesetzentwurf zustimmen wollen, um ein Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist der Ge- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit (f) setzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Innenausschuss Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung und der FDP angenommen. Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Dritte Beratung Alle Rednerinnen und Redner – die Kollegin Doris und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Barnett von der SPD-Fraktion, der Kollege Peter Götz Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –von der CDU/CSU-Fraktion, die Kollegin Michaele Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf Hustedt von der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen ist mit dem gleichen Mehrheitsverhältnis angenommen. und die Kollegin Gudrun Kopp von der Fraktion der Beschlussempfehlung des Rechtausschusses aufFDP – haben ihre Reden zu Protokoll gegeben; deswe- 1) Drucksache 15/1730 zu demAntrag der Fraktion der gen brauche ich die Aussprache nicht zu eröffnen. CDU/CSU mit dem Titel „Verpflichtungen aus dem EU- (Jörg van Essen [FDP]: Das sind aber sehr Rahmenbeschluss zur Terrorismusbekämpfung zügig er- nette Kollegen!) füllen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b sei- ner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf 15/540 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussemp- Drucksache 15/1326 an die in der Tagesordnung aufge- fehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions- verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung fraktionen und der FDP gegen die Stimmen der CDU/ so beschlossen. CSU angenommen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: ordnung. Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- Götz, Gerda Hasselfeldt, Dietrich Austermann, destages auf Mittwoch, den 22. Oktober 2003, 13 Uhr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion derein. CDU/CSU Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. (B) (D) Grünbuch der EU-Kommission zu Dienstleis- Die Sitzung ist geschlossen. tungen von allgemeinem Interesse – Kommu- (Schluss: 16.06 Uhr)

1) Anlage 16

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(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C) Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten ändern. Sie sind sozial unausgewogen, führen zu unver- hältnismäßigen Härten und dürften sich ökonomisch eher kontraproduktiv auswirken. entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Bei allen Anstrengungen, die Arbeitsvermittlung schneller, besser und effizienter zu gestalten – sie kann den Mangel an Arbeitsplätzen nicht beheben. Die hohe Lensing, Werner CDU/CSU 17.10.2003 Arbeitslosigkeit ist kein Vermittlungsproblem. Das zei- Schmidt (Fürth), CDU/CSU 17.10.2003 gen die mäßigen Erfolge mit dem Job-Aqtiv-Gesetz, mit Christian privaten Agenturen und Vermittlungsgutscheinen. Es fehlt nicht an Nachfrage oder Arbeitsanreizen, sondern an Arbeitsangeboten. Druck und Leistungskürzungen führen in einer angespannten Wirtschaftssituation nicht Anlage 2 zu mehr Aktivitäten und Motivation, sondern eher zu Erklärungen nach § 31 GO Frust, Resignation und Verzweiflung. Im Zuge eines Wirtschaftsaufschwunges wird hingegen die staatliche zu den Abstimmungen über die Entwürfe eines Vermittlung weniger gebraucht, da die meisten Jobs Dritten und eines Vierten Gesetzes für moderne dann unmittelbar und nicht über das Arbeitsamt oder Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Tagesord- Jobcenter besetzt werden. Insofern sind die massiven nungspunkt 19 a) Anstrengungen, die bestehenden Institutionen völlig um- zukrempeln, von fragwürdiger Natur. In Zeiten hoher Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Die vorliegenden Arbeitslosigkeit haben sie wenig zu bieten, bei beschäfti- Gesetze Hartz III und IV verfolgen das Ziel, allen Men- gungsintensivem Wachstum werden sie weniger ge- schen, die am Arbeitsprozess teilnehmen können, auch braucht. den Zugang zu Arbeit zu ermöglichen. Dies soll dadurch Die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und So- geschehen, dass neben den Arbeitslosenhilfeempfängern zialhilfe zu einer pauschalierten sozialen Grundsiche- auch Sozialhilfeempfänger aktiv in die Prozesse der rung ist eine sinnvolle Sache. Nur bleibt dieses Vorhaben Agentur für Arbeit einbezogen werden, in Vermittlung, im Ansatz stecken. Insofern ist der Begriff Arbeitslosen- Qualifikation und Förderung. Damit wird der struktu- geld II konsequent. Er verweist auf die Abstufung und (B) (D) relle Ausschluss von über 900 000 Sozialhilfeempfän- darauf, dass es sich dabei nicht um eine bedarfsorien- gern aus der aktiven Arbeitsmarktpolitik und dem Sys- tierte Existenzsicherung handelt. Ansonsten ist er unsys- tem der sozialen Sicherheit beendet. Nach dem Prinzip tematisch, weil er im Unterschied zum Arbeitslosengeld „fördern und fordern“ werden Arbeitsuchende zu mehr keine Versicherungsleistung darstellt und aus Steuermit- Flexibilität ermuntert, aber auch mit größeren und ziel- teln stammt. Allerdings ist das finanzielle Niveau auf genaueren Rechten bei der Verteilung und Suche nach den bisher schon unzureichenden Sozialhilfesätzen viel Arbeit ausgestattet. Der Fraktion der SPD ist es im Ge- zu niedrig und mehr vom Gedanken der Einsparung und setzgebungsverfahren gelungen, dieses Prinzip passge- Kürzung von Sozialleistungen getragen. Damit wird der nauer und praktikabler zu gestalten als ursprünglich vor- ohnehin schwachen Binnenkonjunktur weitere Kaufkraft gesehen. Das gilt zum Beispiel für Bestimmungen wie entzogen, was wiederum Produktion und Absatz von die Schonbeträge bei der Vermögensanrechnung oder die Konsumgütern dämpft und möglicherweise die Arbeits- Frage der Zumutbarkeit der Arbeitsbedingungen. Dielosigkeit sogar ansteigen lässt. Gesetze unterscheiden sich deutlich von den Vorhaben der CDU/CSU und der FDP, die nahezu ausschließlich Für Ostdeutschland, wo durch Transformation und mit Sanktionen Arbeitssuchende teilweise unter Verlet- Deindustrialisierung bedingt eine sehr hohe Arbeitslo- zung der Menschenwürde bestrafen wollen. sigkeit besteht, haben die Hartz-Gesetze keine positive Auswirkung. Im Gegenteil bringen sie für viele Lang- Deshalb stimme ich den vorliegenden Gesetzen zu, zeitarbeitslose und bisherige Bezieher von Arbeitslosen- erwarte jedoch, dass entscheidende Maßnahmen zurhilfe eine Verschlechterung ihrer Situation. Schaffung von Arbeitsplätzen unternommen werden. Vor allem Innovationen, Technologie und Wissen müs- Die Anrechnung von Partnerschaftseinkommen bei sen schneller in Produktion und Arbeit umgesetzt wer- der Berechnung des ALG II führt bei arbeitslosen Ehe- den können. Dazu sind Änderungen im Finanzwesen,frauen mit einer langen eigenständigen Erwerbsbiografie der Steuerpolitik und bei der Organisation öffentlich be- in eine völlig alte Rollenverteilung und ein überwunden triebener oder geförderter Investitionen erforderlich. geglaubtes Abhängigkeitsverhältnis von ihren „Ernäh- rern“. Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Die Berücksichtigung von „Schonvermögen“ ist nach NEN): Ich habe den beiden Gesetzentwürfen nicht zuge- wie vor viel zu gering bemessen und birgt die Gefahr stimmt und mich der Stimme enthalten, weil ich nicht künftiger Altersarmut. Zudem widerspricht es der politi- davon überzeugt bin, dass sie das bewirken, was sie vor- schen Aufforderung, Eigenvorsorge zu betreiben, wenn geben. Sie werden an der hohen Arbeitslosigkeit wenig diese dann bei längerer Arbeitslosigkeit weitgehend 5828 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

(A) aufgebraucht werden muss. Die UngleichbehandlungBetroffenen und Ämter Erleichterungen. Auch andere(C) von angemessenem privaten Wohnungsbesitz gegenüber strukturelle Veränderungen – dazu gehören die Neuord- sonstigen Vermögenswerten dürfte, wenn sie nicht im nung der Bundesanstalt für Arbeit (BA), die Verzahnung Vermittlungsausschuss korrigiert wird, noch das Bun- der BA mit kommunalen sozialen Beratungseinrichtun- desverfassungsgericht beschäftigen. gen, die Entlastung der Kommunen von steigenden So- zialhilfelasten, die Entbürokratisierung des Arbeitsförde- Die Vermittlung von „zumutbaren Minijobs“ plusrungsrechtes sowie die Reform der Sozialhilfe – sind ALG-II-Aufbesserung führt, egal wie man die Sachenotwendig. Die Praxis wird zeigen, wie die Strukturre- auch bezeichnen mag, de facto zu einem subventionier- formen sich tatsächlich auswirken. Das gilt vor allem für ten Kombilohn/Niedriglohnsektor. Bisher waren die Mi- die neuen Jobcenter: Die Zusammenführung der vorhan- nijobs vor allem als Nebenerwerb für Studenten unddenen Kompetenzen der BA bei der Arbeitsvermittlung Hausfrauen interessant. Künftig werden sie Arbeitslosen mit denen der Kommunen ist eine Herausforderung für reichen müssen und den Trend zur Auflösung regulärer alle Beteiligten. Wir hoffen auf eine wirksamere Arbeits- Beschäftigungsverhältnisse verstärken. vermittlung. Wir sind skeptisch, ob die Hoffnung sich Leider wird das Prinzip „fördern und fordern“, das erfüllt, dass damit derzeitsignifikant mehr Arbeitslose sich durch die Gesetze zieht, nur sehr einseitig auf die Erwerbsarbeit erhalten; denn es gibt nicht nur ein Ver- Arbeitnehmer angewendet. Die Arbeitgeber werdenmittlungsproblem, sondern vor allem fehlen Arbeits- nicht im Mindesten in die Pflicht genommen, einen ent- plätze und neue werden durch diese Strukturveränderun- sprechenden Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit zu gen kaum geschaffen. leisten. So wird der Eindruck verstärkt, dies sei vor al- Leider sind die Strukturveränderungen mit eingreifen- lem eine staatliche Aufgabe, während sich die Wirtschaft den Sparmaßnahmen verbunden, sodass die Regelungen zurückhält oder durch weitere Forderungen an den Staat fast nur noch als Spargesetze wahrgenommen werden. hervortut. Vor allem kritisieren wir die unmittelbare Verquickung der angestrebten Reformen mit Einsparungen für den Bundeshaushalt. Auch wir halten Einsparungen für un- Anlage 3 umgänglich, um drastische Erhöhungen der Sozialbei- Erklärung nach § 31 GO träge gleich um mehrere Prozentpunkte und Erhöhungen von Einkommens- oder Mehrwertsteuern zu vermeiden, der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, die wieder besonders die Bezieher geringerer Einkom- Thilo Hoppe, Friedrich Ostendorff, Petermen relativ stärker belasten würden. Vor allem stellt sich Hettlich, Winfried Nachtwei, Claudia Roth die Frage einer gerechten Verteilung der Lasten. (B) (Augsburg), Winfried Hermann, Jutta Dümpe- (D) Krüger, Irmingard Schewe-Gerigk und Petra Die Gesetzentwürfe enthielten zunächst Maßnahmen, Selg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu den Ab- die nach unserer Auffassung keinesfalls zukunftsweisend stimmungen über die Entwürfe eines Dritten sind. Dazu gehörten insbesondere: die Zumutbarkeitsre- und eines Vierten Gesetzes für moderne Dienst- gelungen für so genannte Minijobs und andere Arbeits- leistungen am Arbeitsmarkt (Tagesordnungs- verhältnisse, die Anrechnung von Vermögen, das der Al- punkt 19 a) terssicherung dient, eine Unterhaltspflicht zwischen Eltern und Kindern nach den Regelungen der bisherigen Sozialhilfe, die verschärften Sanktionen für junge Men- Die Gesetzentwürfe Hartz III und IV im Rahmen der schen unter 25 Jahren und die restriktiven Regelungen Agenda 2010 sehen wir durchaus kritisch. Dennochbei der Anrechnung von Partnereinkommen Wir haben stimmen wir dem Gesetzespaket zu. daher frühzeitig unsere Kritik und unsere Forderungen Positiv ist, dass Alleinerziehende aus der Sozialhilfe auf Nachbesserungen bei diesen Punkten angemeldet. herauskommen und zu Arbeitslosengeld-II-Beziehern Der Kompromiss sieht vor, dass es bei Minijobs und bzw. Bezieherinnen werden und so Maßnahmen der akti- anderen Arbeitsverhältnissen nicht zu Lohndumping ven Arbeitsmarktpolitik erhalten und in die Sozialversi- kommen kann, weil nur eine Bezahlung nach geltenden cherung aufgenommen werden. tariflichen Regelungen bzw. ortsüblichem Entgelt zu- Dennoch werden viele andere Beziehern bzw. Bezie- mutbar ist. Die Vermögensfreibeträge für privat ange- herinnen von Arbeitslosenhilfe erhebliche Einkommens- sparte Altersvorsorge werden verdoppelt, auf bis zu einbußen erleiden. Das müssen wir leider in Kauf neh- 400 Euro pro Lebensjahr, wenngleich auch jetzt die men. Aber wir konnten verhindern, dass für Arbeitslose Summe noch viel zu gering ausfallt. Verwandte ersten in Zukunft auch noch Jobs mit Minilöhnen weit unter ta- Grades können als Vorbedingung für die Gewährung von riflicher und ortsüblicher Bezahlung zumutbar sein soll- Arbeitslosengeld II nicht auf Unterhaltsverpflichtungen ten. Entscheidend ist für uns auch, dass insbesondere im verwiesen werden, sofern sie nicht in einer gemeinsamen Bereich der Sozialhilfe merkliche Verbesserungen imWohnung leben. Ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II Vergleich zum geltenden Recht Gesetz werden. für Ausländer und Ausländerinnen mit nachrangigem Arbeitsmarktzugang konnte erreicht werden. Die Reformvorhaben enthalten konzeptionelle Verän- derungen bei den Grundstrukturen unserer sozialen Si- Für unzumutbar halten wir nach wie vor, dass jungen cherungssysteme, die wir begrüßen. So bringt die Zu- Menschen unter 25 Jahren bei so genannter Nichtkoope- sammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe für die ration scharfe Sanktionen drohen. Zwar wurde erreicht, Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5829

(A) dass Jugendliche einen Anspruch auf Ausbildung und träge, die eine Übergangszeit von zwei Jahren vorsehen, (C) Arbeit bekommen (mit Ausbildung als Priorität). Außer- mindern das Problem nur in geringem Umfang. Beson- dem erhalten Jugendliche bei Sanktionen neben demders betroffen von dem Gesetz sind insbesondere ältere Wohngeld auch „Sachleistungen“, also genug zum Le- Arbeitslose, die zum größten Teil zu den Langzeitar- ben. Dennoch entspricht der Umgang mit Jugendlichen beitslosen zählen und, wie alle Erfahrungen in den neuen mit scharfen „negativen Anreizen“ in keiner Weise unse- Bundesländern zeigen, nur noch sehr schwer in den ers- rem Menschenbild. ten Arbeitsmarkt integriert werden können. Diese Ar- beitnehmer haben, wie etliche gescheiterte Versuche be- Eine stärkere Nichtanrechnung von Partnereinkom- weisen, auch bei größtmöglichster Mobilität ebenfalls men war nicht durchzusetzen. keine Chance mehr auf eine Beschäftigung in den westli- Die Absenkung des Niveaus des ALG II auf Sozial- chen Bundesländern. Damit träfe das Absenken der Ar- hilfeniveau halten wir für schwer erträglich. Wir überse- beitslosenhilfe auf das Sozialhilfeniveau ohne gesicherte hen allerdings auch nicht, daß selbst mit dieser Regelung Möglichkeit eines Hinzuverdienstes gerade die Men- viele Empfänger und Empfängerinnen von Arbeitslosen- schen in den neuen Bundesländern unverhältnismäßig hilfe nun mehr erhalten als bisher aus der Arbeitslosen- hart. hilfe. Die Hauptleidtragenden sind die Bezieher höherer Angesichts der genannten Punkte ist zu befürchten, Arbeitslosenhilfe, die vordem eine besser bezahlte Be- dass Armut und soziale Ausgrenzung vor allem in den schäftigung hatten. Diese Punkte werden mit der finan- neuen Bundesländern angesichts der hohen Zahl von Ar- ziellen Situation im Bundeshaushalt begründet. Ange- beitslosenhilfebeziehern massiv zunehmen werden. Ich sichts der vielen Steuersenkungen der Vergangenheitkann es darum nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, erscheint uns dieses Argument als zu kurz greifend. einem Gesetz zuzustimmen, dass in den neuen Bundes- Wir werden uns einsetzen, dass die Belastungen der ländern so stark in die Sozialstrukturen eingreift. Ich Bevölkerung mit Einsparungen, Steuern und Pflichtbei- bitte, meine Beweggründe zu akzeptieren. trägen gerechter verteilt werden, das heißt insbesondere, dass große Vermögen und große Unternehmen wieder Manfred Kolbe (CDU/CSU): Obwohl ich die grund- stärker herangezogen werden. sätzliche Zielrichtung des Vierten Gesetzes für moderne Erhebliche Teile unserer Forderungen sind erfüllt. Sie Dienstleistungen am Arbeitsmarkt und des Gesetzes zur bilden mit den Verbesserungen gegenüber den bisheri- Sicherung der Existenzgrundlagen – Existenzgrundla- gen Regelungen bei der Sozialhilfe wie Einführung des gengesetz – unterstütze, nämlich die Anreize zu stärken, persönlichen Budgets, Pauschalierung der Sachleistun- Arbeitsverhältnisse einzugehen, die Sanktionen bei Ab- lehnung von Arbeitsverhältnissen zu verschärfen und (B) gen, Pauschalierung des Wohngeldes unter Berücksichti- (D) gung des Mietspiegels, Partizipierung von Ausländern in Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenzulegen, kann ich allen drei Formen des Aufenthaltsstatus, einen wichtigen beiden Gesetzen als direkt gewählter Abgeordneter des sozialen Teil des Gesamtpaketes und vermeiden schlim- Wahlkreises Delitzsch – Eilenburg – Torgau-Oschatz – mere Grausamkeiten. Riesa nicht zustimmen, da sie der besonderen wirtschaft- lichen und arbeitsmarktpolitischen Situation im Osten Deutschlands nicht Rechnung tragen. Dies aus folgenden Anlage 4 Gründen: Erklärungen nach § 31 GO Das Ziel, Anreize zu setzen, damit verstärkt Arbeits- verhältnisse eingegangen werden, kann dort nicht er- zu den Abstimmungen über die Entwürfe eines reicht werden, wo es keine Arbeit gibt. In Sachsen waren Viertes Gesetzes für moderne Dienstleistungen im Sommer dieses Jahres circa 400 000 Menschen ar- am Arbeitsmarkt und eines Existenzgrund- beitslos gemeldet; dem standen nur circa 18 000 gemel- lagengesetzes (Tagesordnungspunkt 19 a) dete offene Stellen gegenüber. Was fehlt, sind Arbeits- plätze, da die Menschen arbeiten wollen. Robert Hochbaum (CDU/CSU): Dem Gesetzent- Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozial- wurf der Bundesregierung eines Vierten Gesetzes für mo- hilfe trifft überproportional den Osten. Allein in Sachsen derne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt und dem Gesetz- sind circa 180 000 Arbeitslosenhilfebezieher von teil- entwurf der CDU/CSU-Fraktion zur Sicherung weise der massiven Einkommenskürzungen betroffen. Diese Existenzgrundlagen, Existenzgrundlagengesetz – EGG, Einkommenskürzungen treffen Menschen, die ohnehin Drucksache 15/1523, kann ich aus folgenden Gründenschon sehr sparsam leben müssen und denen dann kaum nicht zustimmen: noch eine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben mög- Durch das Absenken der Arbeitslosenhilfe auf das So- lich sein wird. zialhilfeniveau findet ein zu starker Eingriff in das So- Der Kaufkraftverlust aufgrund der genannten Ein- zialgefüge in den neuen Bundesländern statt. Im Ergeb- kommensverluste wird allein in Sachsen rund 330 Mil- nis wird bereits sehr einkommensschwachen Familien, lionen Euro betragen. Dies wird auch den örtlichen Mit- die aufgrund der andauernden problematischen Arbeits- telstand massiv treffen. marktsituation im Osten unseres Landes unverschuldet in diese Situation geraten sind, erneut Geld zum Lebens- Der immer wieder geforderte zumindest teilweise unterhalt entzogen. Auch die gestellten Änderungsan- Ausgleich für den Osten Deutschlands findet nicht statt. 5830 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

(A) Zusätzliche Anreize zur Schaffung von Arbeitsplätzen über den Entwurf eines Vierten Gesetzes für (C) im Osten sind nicht in Sicht. Vielmehr soll sowohl die moderne Dienstleistungen am Arbeitsplatz Wirtschaftsförderung nach der Gemeinschaftsaufgabe (Tagesordnungspunkt 19 a) Ost als auch die steuerliche Investitionszulage deutlich zurückgeführt werden. Wir stimmen dem Vierten Gesetz für moderne Dienst- Die Folge dessen wird möglicherweise eine weitere leistungen am Arbeitsmarkt – Harz IV – zu, weil es auch zusätzliche massive Abwanderung von Ost nach West für Ostdeutschland strukturell richtige Reformen zur Be- sein, die im Interesse der inneren Einheit unseres Landes lebung des Arbeitsmarktes einleitet. Allerdings ergeben nicht hingenommen werden kann. sich durch das Gesetz negative Auswirkungen für die ostdeutschen Länder, wenn Be- bzw. Entlastung von Kommunen und Ländern einer Gesamtbetrachtung un- terzogen werden. Dieser negative Saldo lässt sich im Anlage 5 Rahmen der Arbeitsmarktreform nicht lösen. Erklärungen nach § 31 GO Die Unterzeichner geben ihre Zustimmung zum Hartz-IV-Gesetz im Vertrauen darauf, dass das Bemü- zur Abstimmung über den Entwurf eines Vier- hen, einen zeitnahen Ausgleich zu schaffen, eingelöst ten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am wird. Arbeitsmarkt (Tagesordnungspunkt 19 a)

Jelena Hoffmann (SPD): Ich werde dem Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt Anlage 7 zustimmen, weil es auch für Ostdeutschland strukturell Erklärung nach § 31 GO richtige Reformen zur Belebung des Arbeitsmarktes ein- leitet. Allerdings ergeben sich durch das Gesetz negative der Abgeordneten Ottmar Schreiner, Rüdiger Auswirkungen für die ostdeutschen Länder, wenn die Veit, Florian Pronold, Willi Brase, Peter Be- bzw. Entlastung von Kommunen und Ländern einer Dreßen, Reinhold Hemker, Gabriele Hiller- Gesamtbetrachtung unterzogen wird. Dieser negative Ohm, Horst Kubatschka, Götz-Peter Lohmann, Saldo lässt sich im Rahmen der Arbeitsmarktreform Dr. Christine Lucyga, Lothar Mark, René nicht lösen. Röspel, Horst Schmidbauer (Nürnberg), Fritz Schösser, Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk und Ich gebe hiermit meine Zustimmung zum Hartz IV- Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (alle SPD) zur (B) Gesetz im Vertrauen darauf, dass die Bemühungen, ei- Abstimmung über den Entwurf eines Viertes (D) nen zeitnahen Ausgleich zu schaffen, weitergeführt wer- Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Ar- den und zum Erfolg gelangen. beitsmarkt (Tagesordnungspunkt 19 a)

Ernst Kranz (SPD): Ich stimme dem Vierten Gesetz Trotz großer Bedenken stimmen wir dem Vierten Ge- für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarktsetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt zu. (Hartz IV) zu, weil es auch für Ostdeutschland struktu- Der Kern des Gesetzes, nämlich die Zusammenführung rell richtige Reformen zur Belebung des Arbeitsmarktes von Arbeitslosen- und Sozialhilfe für Erwerbsfähige, ist einleitet. dem Grunde nach unstreitig und daher zu begrüßen. Wir Allerdings ergeben sich durch das Gesetz negative hatten uns allerdings immer für eine kosteneutrale Re- Auswirkungen für die ostdeutschen Bundesländer durch form eingesetzt. Auch die Hartz-Kommission, deren die höhere Anzahl an Langzeitarbeitslosen gegenüber Arbeit dem Gesetz zugrunde liegt, hatte sich durch die den westlichen Bundesländern, wenn Be- bzw. Entlas- Zusammenführung zwar deutliche Effizienzgewinne tung von Kommunen und Ländern einer Gesamtbetrach- versprochen, generelle Leistungskürzungen aber abge- tung unterzogen werden. lehnt. Das Gesetz wird bei einem kleineren Teil der bis- herigen Bezieher von Arbeitslosenhilfe zu einem vo- Dieser negative Saldo ließ sich im Rahmen der Ar- rübergehend höheren Einkommen führen, solange sie bei beitsmarktreform nicht lösen. Der Unterzeichner gibteinem sehr niedrigen Transfereinkommen den auf zwei seine Zustimmung zum Hartz IV-Gesetz im Vertrauen Jahre befristeten Zuschlag zur Grundsicherung erhalten. darauf, dass das Bemühen, einen zeitnahen Ausgleich zu Bei einem erheblich größeren Teil der bisherigen Ar- schaffen, eingelöst wird. beitslosenhilfeempfänger bewirkt das Gesetz hingegen entweder den Wegfall von Unterstützungsleistungen oder deutliche Kürzungen. Anlage 6 Um absehbaren Verarmungsrisiken entgegenzuwirken, Erklärung nach § 31 GO waren substanzielle Nachbesserungen unabdingbar. Dies gilt im Wesentlichen für drei Bereiche. Wichtig ist die der Abgeordneten Dr. Peter Danckert, Stephan nunmehr im Gesetz erfolgte Regelung, dass Beschäfti- Hilsberg, Dirk Manzewski, Götz-Petergung für Arbeitslose nur dann zumutbar ist, wenn das ta- Lohmann, Silvia Schmidt (Eisleben) undrifliche bzw. ortsübliche Entgelt gezahlt wird. Damit soll Wilfried Schreck (alle SPD) zur Abstimmung verhindert werden, dass die Notlage von Arbeitslosen zu Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5831

(A) Lohndumping missbraucht werden kann. Von besonde- Der Ausbau des ersten Arbeitsmarktes muss uneinge- (C) rer Bedeutung ist auch die gesetzliche Klarstellung, dass schränkte Priorität besitzen. Aus diesem Grund muss im Falle von Arbeitslosigkeit Unterhaltsansprüche von grundsätzlich ein neues Aufbauprogramm für die neuen Eltern gegenüber Kindern und umgekehrt grundsätzlich Bundesländer aufgestellt werden, das besonders Infra- ausgeschlossen bleiben. In hohem Maße unverständlich strukturinvestitionen und die Ansiedlung produktiver war auch die dem Gesetzentwurf ursprünglich zugrunde Unternehmen fördert, wie im Entschließungsantrag der liegende Regelung, wonach Arbeitslose bis auf geringe CDU/CSU-Bundestagsfraktion auf Drucksache 326 ent- Ausnahmen Alterssicherungsersparnisse hätten aufbrau- halten. chen müssen, bevor sie einen Anspruch auf Arbeitslo- Die finanzielle Situation der Kommunen in den neuen sengeld II hätten geltend machen können. Die deutlich Bundesländern, die schon heute über äußert geringe Ein- großzügigere Neuregelung macht das Gesetz etwas er- nahmen verfügen, darf sich durch die Zusammenlegung träglicher. von Arbeitslosen- und Sozialhilfe nicht weiter ver- schlechtern. Der Bund ist gefordert, entsprechende zu- sätzliche finanzielle Belastungen, die durch die Aufga- Anlage 8 benübertragung entstehen, auszugleichen. Klargestellt werden muss beispielsweise in diesem Zusammenhang Erklärung nach § 31 GO auch, dass der Bund nicht nur die Leistungsausgaben für der Abgeordneten Veronika Bellmann und erwerbsfähige Hilfesuchende erstattet, sondern auch Maria Michalk zur Abstimmung über den Ent- Leistungen für Personen, die mit den Hilfesuchenden in wurf eines Existenzgrundlagengesetzes (Tages- Bedarfsgemeinschaft leben. Bei der Ländererstattungs- ordnungspunkt 19 a) quote ist es erforderlich, dass die Zahl der von den Kom- munen zu übernehmenden Arbeitslosenhilfeempfängern beim Berechnungsschlüssel tatsächlich und konkret be- Grundsätzlich ist der Ansatz des EGG zum Aufbau ei- rücksichtigt wird. nes Niedriglohnsektors zu begrüßen. Deshalb habe ich dem Gesetz zugestimmt. Jedoch bestehen in den neuen Bundesländern darüber hinaus besondere Bedingungen Anlage 9 auf dem Arbeitsmarkt, denen das Gesetz nicht ausrei- chend Rechnung trägt. Hier liegen die Löhne gerade in Erklärung nach § 31 GO strukturschwachen Gebieten schon weit unter dem Bun- der Abgeordneten Arnold Vaatz, Dr. Michael desdurchschnitt. Es fehlt nicht am Anreiz zur Arbeit, Luther, Manfred Grund, Ulrich Adam, Michael sondern an der Arbeit. Es gibt sowohl einen Mangel an Stübgen, Hartmut Büttner (Schönebeck), (B) gering qualifizierten Beschäftigungsmöglichkeiten als Christa Reichard (Dresden), Michael(D) auch ein hohes Defizit an produktiven Arbeitsplätzen für Kretschmer, Klaus Brähmig, Marco Besser- und Hochqualifizierte. Dies belegen die Statisti- Wanderwitz, Günter Baumann, Dr. Peter Jahr, ken über das Niveau und die Struktur der Arbeitslosig- Henry Nitsche, Antje Tillmann, Bernward keit in den neuen Bundesländern. Die regionalen Ar- Müller (Gera), Volkmar Uwe Vogel, Dr. beitslosenquoten erreichen aufgrund dieser speziellen Christoph Bergner, Ulrich Petzold, Bernd Situation in bestimmten Regionen bis zu 25 Prozent. Heynemann, Uda Carmen Freia Heller, Peter Letzgus, Günter Nooke, Rainer Eppelmann, In Sachsen zum Beispiel beziehen 5 Prozent der ge- Verena Butalikakis und Vera Lengsfeld (alle samten Bevölkerung Arbeitslosenhilfe. Oftmals sind CSU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf ganze Familien auf Arbeitslosenhilfe angewiesen, ob- eines Existensgrundlagengesetzes (Tagesord- wohl die unbedingte Bereitschaft besteht, jede Tätigkeit nungspunkt 19 a) anzunehmen. Die Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe wird die Haushalte der Hilfesuchenden Der Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU zur hart treffen. Hier besteht die Gefahr, dass es ohne eine Sicherung der Existenzgrundlagen, Existenzgrundlagen- ausreichende Übergangsregelung für jetzige Bezieher gesetz – EGG, ist gegenüber dem Gesetzentwurf der von Arbeitslosenhilfe zu erheblichen sozialen Verwer- SPD die deutlich bessere Variante und findet daher fungen kommt. meine Zustimmung. Um der besonderen Lage in Ost- Auch für die ortsansässigen Unternehmen besteht bei deutschland gerecht zu werden, bedarf es jedoch noch ei- der Umsetzung die Gefahr von erheblichen Umsatzver- niger wichtiger Ergänzungen: lusten, was zusätzlich die Konjunktur schwächt. Schon Erstens. Die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe jahrelang entwickelt sich die Kaufkraft in den neuenund Sozialhilfe wird die Haushalte der Hilfesuchenden Ländern rückläufig. Eine Eins-zu-eins-Umsetzung des hart treffen. Insbesondere in den neuen Ländern mit ih- EGG würde zu einem weiteren massiven Kaufkraftver- rem weit überdurchschnittlichen Anteil an Arbeitslosen- lust führen, welchen die Unternehmen in den neuenhilfeempfängern – in Sachsen 5 Prozent der gesamten Bundesländern kaum abfangen könnten. Aus diesemBevölkerung – dürfte die Leistungskürzung Unmut bei Grunde sind weiter gehende Differenzierungen undder Bevölkerung erregen. Zugleich werden sich die indi- Übergangsregelungen, wie in den entsprechenden Ände- viduellen Kaufkraftverluste zu einer regionalwirt- rungsanträgen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion auf schaftlich bedeutsamen Größe summieren. Der zu erwar- den Drucksachen 321 und 327 des Ausschusses für Ge- tende gesellschaftliche Widerstand soll zumindest durch sundheit und Soziale Sicherung aufgeführt, notwendig. Übergangsregelungen gedämpft werden. 5832 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

(A) Das EGG sieht bislang nur eine Fortgeltung laufender leben. Daneben müssen vonder Erstattungsregel auch (C) Arbeitslosenhilfe-Bescheide bis maximal 12 Monateaktivierende Leistungen – Art. 1, §§19, 20 EGG; Bei- nach In-Kraft-Treten des Gesetzes vor. – LAA infor-spiel: Beschäftigungsangebote zur Gewöhnung an Ar- mierte bereits, dass ab 1. Januar 2004 Arbeitslosenhilfe beit, Arbeiten im öffentlichen Interesse oder für gemein- nur noch für jeweils sechs Monate bewilligt werden soll nützige Körperschaften, Hilfen zur beruflichen und der Übergang daher rascher eintreten wird, als von Orientierung, zur Bewerbung und Vorstellung sowie zur Hessen ursprünglich vorgesehen. – Für den Übergang Verbesserung der räumlichen und beruflichen Mobilität, von AIG auf die „Hilfe zur Existenzsicherung“ sieht das passende Qualifizierungsangebote, sozialpädagogische EGG keine Übergangsfristen vor. Es ist daher erforder- Begleitung zur Bearbeitung der persönlichen oder sozia- lich, dass der Übergang von AIG auf die „Hilfe zur Exis- len Hemmnisse mit dem Ziel einer Stärkung der Selbst- tenzsicherung“ analog zu den Regelungen in Hartz IV hilfefähigkeit, Praktika und Trainingsmaßnahmen bei einen Zeitraum von zwei Jahren umfasst – im erstenArbeitgebern des allgemeinen Arbeitsmarkts, Hilfen Jahr sollen Hilfesuchende zusätzlich zur Hilfe zur Exis- zum Aufbau einer Existenzgrundlage durch Entwicklung tenzsicherung zwei Drittel des Differenzbetrags zumeines tragfähigen Marktkonzeptes, Vergabe von Darle- AIG erhalten, im zweiten Jahr nur noch ein Drittel; vgl. hen oder Bürgschaften zur Sicherstellung eines notwen- § 46 a – und die für den Übergang von AIG vorgesehe- digen Mindestkapitals – umfasst sein. nen Regelungen entsprechend auch für den Übergang von der Arbeitslosenhilfe gelten; vergleiche Art. 95 a. Fünftens. Es muss klargestellt werden, dass der Bund auch Personal- und Sachausgaben im Bereich der kom- Wegen der größeren Differenzbeträge und der dauer- munalen Beschäftigung erstattet. haften Wirkung der Regelung ist die Einfügung einer Regelung zum befristeten Zuschlag nach Bezug von Sechstens. Der Bund soll den Ländern diejenigen Per- Arbeitslosengeld wichtiger als die Übergangsregelung sonal- und Verwaltungskosten erstatten, die den Kom- für Arbeitslosenhilfe-Empfänger. munen durch die Übernahme der Arbeitslosenhilfeemp- fänger entstehen. Daher kann die Ländererstattungsquote Zweitens. Nach dem EGG sollen nach Ende des AJG- nicht nach der Gesamtzahl der zukünftigen Empfänger Bezugs – also künftig nach einem Jahr Arbeitslosigkeit – der Existenzsicherung erfolgen, sondern nur nach der sofort die strengen sozialhilferechtlichen RegelungenZahl der zu übernehmenden Arbeitslosenhilfeempfänger. zur vorrangigen Verwertung eigenen Vermögens gelten. Nur durch dieses Verfahren kann sichergestellt werden, Nach diesen Regelungen ist zum Beispiel auch ein eige- dass die Länder, deren Kommunen eine hohe Zahl zu nes Kfz vorrangig zu verwerten. Auf Bitten verschiede- übernehmender Arbeitslosenhilfeempfänger aufweisen, ner Seiten hin hat Hessen gegenüber dem ersten Entwurf nicht ungerechtfertigt benachteiligt werden. lediglich eine großzügigere Vermögensfreistellung für (B) (D) Ältere vorgesehen, die noch keine (freigestellte) Alters- Siebtens. Es wird ein neues Aufbauprogramm für die sicherung nach den Regelungen des Altersvermögensge- neuen Länder gefordert, insbesondere die Förderung von setzes aufbauen konnten („Riester-Rente“). Infrastrukturinvestitionen und der Ansiedlung produkti- ver Unternehmen. Es wird vorgeschlagen, das Vermögen des Hilfesu- chenden für einen Übergangszeitraum von zwei Jahren Ich verbinde mein Abstimmungsverhalten mit der Er- nach Ende des AlG-Bezugs entsprechend dem bisheri- wartung, dass im Zuge der Behandlung des Hartz-IV- gen Arbeitslosenhilferecht bzw. Hartz IV anzurechnen; Gesetzes und der damit verbundenen Vorlagen im Bun- § 86 Abs. 2. Mit dieser Regelung soll diese erweiterte desratsverfahren bzw. im zu erwartenden Vermittlungs- Vermögensfreistellung für einen Übergangszeitraum von verfahren diese Belange Berücksichtigung finden. zwei Jahren auch nach Ende des Arbeitslosenhilfebezugs erreicht werden. Auch hier ist die Übergangsregelung von geringerer Bedeutung als die Regelungen für den Leistungswechsel von AIG zur Hilfe zur Existenzsiche- Anlage 10 rung. Erklärung nach § 31 GO Drittens. Art. 4 Nr. 47 EGG regelt bislang nur, dass bei Vorliegen eines Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe vor der Abgeordneten Steffen Kampeter (CDU/ In-Kraft-Treten des EGG die Vorschriften „über die Ge- CSU) und Otto Fricke (FDP) zur Abstimmung währung von Arbeitslosenhilfe“ längstens für zwölf Mo- über den Entwurf eines Haushaltsbegleitgeset- nate anzuwenden sind. Die Weitergeltung der mit In- zes 2004 (Tagesordnungspunkt 20 a) Kraft-Treten des EGG durch Art. 4 Nr. 36 EGG außer Kraft gesetzten Vorschrift zur „Tragung der Ausgaben“ Im Rahmen der Beratung zu diesem Gesetz haben Ver- für die Alhi durch den Bund – § 363 SGB III – ist dage- treter zweier Landesregierungen nach Art. 43 Abs. 2 GG gen zurzeit noch nicht geregelt. Diese Regelungslücke Gehör erbeten. Damit wurde die Erwartung verbunden, soll durch die Einfügung der Worte „und die Ausgaben- dass dies eine Möglichkeit sei, die Einbindung von wei- tragung“ in den hessischen Entwurf geschlossen werden. teren umfassenden Vorschlägen in die Beratungen des Vermittlungsausschusses zu erwirken. Viertens. Es muss klargestellt werden, dass der Bund nicht nur die Leistungsausgaben für erwerbsfähige Hil- Dieser Auffassung widersprechen wir nachdrücklich. fesuchende erstattet, sondern auch Leistungen für Perso- Im Verfassungsgerichtsurteil vom 7. Dezember 1999 nen, die mit den Hilfesuchenden in Bedarfsgemeinschaft sind die hierfür notwendigen Kriterien festgelegt. Diese Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5833

(A) wurden in diesem Fall jedoch nicht erfüllt. Dem Bundes- lastungen bei einzelnen Betriebsgruppen führen wird.(C) rat hätte es freigestanden, einen eigenen Gesetzentwurf Zwar konnte ein bis zu 50-prozentiger Anstieg der Bei- mit eigenen Vorschlägen einzubringen. Zudem haben die träge zur landwirtschaftlichen Krankenkasse verhindert Ländervertreter auf Nachfrage erklärt, dass sich ihrewerden, die Umsetzung erfüllt aber unsere Anforderun- Vorschläge nicht auf das Haushaltsbegleitgesetz bezie- gen an eine sozial ausgewogene und Perspektiven auf- hen. zeigende Agrarpolitik nicht. Die Absenkung der Steuer- begünstigung für Agrardiesel mit einem Selbstbehalt Wir verweisen darauf, dass wir unsere Beteiligungs- von 350 Euro und die Deckelung bei 10 000 Liter je Be- rechte als Abgeordnete berührt sähen, falls dieses von trieb sind Maßnahmen die wir insbesondere für die vie- der Verfassung nicht gedeckte Verfahren weiter prakti- len kleinen bäuerlichen Familienbetriebe und die großen ziert wird. Unternehmen in den neuen Bundesländern nicht teilen können. Des Weiteren werden auf diese Weise so hohe bürokratische Hürden für Lohnunternehmen und Ma- Anlage 11 schinenringe aufgebaut, die mit einer linearen Kürzung Erklärung nach § 31 GO hätten verhindert werden können und doch zum gleichen Einsparpotenzial geführt hätten. der Abgeordneten Peter Dreßen, Klaus Kirschner, Dr. Wolfgang Wodarg, Dr. Marlies Auch der Haushalt des Bundesministeriums für Ver- Volkmer, Hans Büttner (Ingolstadt), Fritzbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft muss Schösser, Horst Schmidbauer (Nürnberg),sich an der notwendigen Haushaltskonsolidierung betei- Rüdiger Veit, René Röspel und Willi Brase (alle ligen. Dies kann aber nicht mehr über die bloße Vorgabe SPD) zur Abstimmung über den Entwurf eines von prozentualen Einsparzielen erfolgen, sondern nur Haushaltsbegleitgesetzes 2004 (Tagesordnungs- über strukturelle Veränderungen. Hier ist kaum noch punkt 20 a) Spielraum, wenn wir die soziale Absicherung für die Landwirte und die Gestaltungsmöglichkeiten und die Kofinanzierung von EU-Mitteln über die Gemein- Wir unterstützen grundsätzlich die Ziele der Bundes- schaftsaufgabe „Agrarstruktur und Küstenschutz“ erhal- regierung, die sie mit dem Haushaltsbegleitgesetz zur ten wollen. Konsolidierung des Haushalts verfolgt. Deshalb stim- men wir dem Haushaltsbegleitgesetz zu. Allerdings halten wir die Vorgaben in Art. 15 desAnlage 13 Haushaltsbegleitgesetzes, den Bundeszuschuss zur Ren- Erklärung nach § 31 GO (B) tenversicherung um 2 Milliarden Euro zu kürzen, für (D) falsch. Wir erwarten, dass bei den anstehenden Beratun- des Abgeordneten Jochen-Konrad Fromme gen zur Sicherung der Renten über die Höhe des Bun- (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf deszuschusses eine grundsätzliche Debatte geführt wird. eines Gesetzes zur Reform der Gewerbesteuer (Tagesordnungspunkt 20 f)

Anlage 12 Ich kann der „Gemeindewirtschaftsteuer“ in der vor- Erklärung nach § 31 GO gelegten Form nicht zustimmen. Das von mir ent- wickelte und seit langer Zeit vertretene Konzept einer der Abgeordneten Jella Teuchner, Silvia„Gemeindewirtschaftsteuer“ hat außer mit dem von der Schmidt (Eisleben), Waltraud Wolff (Wol-Bundesregierung übernommenen Namen nichts mit den mirstedt), Gabriele Fograscher, Günter Gloser, heute zur Abstimmung stehenden Vorstellungen zu tun. Verena Wohlleben, Reinhold Hemker, Brunhilde Irber, Anette Kramme, Horst Es fehlt der von mir vorgeschlagene radikale Abbau Kubatschka, Petra Ernstberger, Karstenvon Bürokratie. Außerdem werden durch den Vorschlag, Schönfeld, Bernhard Brinkmann (Hildesheim), wie er heute zur Abstimmung steht, durch Verlagerung Petra Heß, Reinhold Robbe und Ernst Kranz der Steuerbelastung von den großen Gesellschaften auf (alle SPD) zur Abstimmung über den Entwurf die mittelständischen Unternehmen Arbeitsplätze ver- eines Haushaltsbegleitgesetzes 2004 (Tagesord- nichtet, statt das Wachstum zu befördern. nungspunkt 20 a) Das Koalitionskonzept ist nicht die notwendige Ge- meindefinanzreform, sondern allenfalls eine vorüber- Der Haushalt 2004 verlangt von allen Ressorts große gehende Fortschreibung der jetzigen problematischen Sparanstrengungen. Dies ist die notwendige Reaktion Situation. Es gibt den Kommunen mit der Senkung der auf die Finanzlage des Bundes. Von diesen Einsparmaß- Gewerbesteuerumlage mit 2,090 Milliarden Euro nur das nahmen ist natürlich auch der Haushalt des Bundes-zurück, was ihnen ohne Grund durch die Lafontainesche ministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung undSteuerreform genommen wurde. Die zusätzlich gegebe- Landwirtschaft betroffen. Deswegen stimmen wir, trotz nen 422 Millionen Euro lösen die kommenden Probleme großer Bedenken, heute dem Haushaltsbegleitgesetz zu. nicht annähernd. Wir stellen jedoch fest, dass die Umsetzung der Spar- Im Übrigen verweise ich auf den Entschließungsan- vorgaben im Einzelplan 10 zu zum Teil deutlichen Be- trag der CDU/CSU-Fraktion. 5834 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

(A) Anlage 14 Berlin. Diese dem „Vertrag zur Kulturfinanzierung“ zu- (C) grunde liegende Idee wurde im Juli dieses Jahres auf Zu Protokoll gegebene Rede bahnbrechende Weise weitergetrieben. Ich spreche na- zur Beratung der Unterrichtung: Bericht der türlich von der Berliner Opernreform. Es hat mich sehr Bundesregierung über die Erfahrungen bei der gefreut, wie eng und kooperativ hier die Staatsministerin Umsetzung des „Vertrages zur Kulturfinanzie- für Kultur und Medien und der Berliner Kultursenator rung in der Bundeshauptstadt 2001 bis 2004“ so- zusammengearbeitet haben, um ein gemeinsames Struk- wie zur künftigen Förderung der Kultur in der turkonzept zu entwickeln. Das Ergebnis ist ein echtes Bundesstadt Bonn (Tagesordnungspunkt 22) Schlüsselmodell für die zukünftige Reform der Kultur- landschaft: Der Bund entlastet den Berliner Kulturhaus- halt im Jahr 2004 mit zusätzlich 25 Millionen Euro, Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die knüpft diese Unterstützung aber an eine Strukturreform Förderung der Berliner Kultur durch den Bund ist keine der Berliner Opern. Diese sollen nun unter dem Dach ei- barmherzige Samariterhilfe; sie liegt im ureigensten In- ner gemeinsamen Stiftung organisiert werden. teresse des Bundes. Nach 1989 hat sich Berlin zu einer Metropole mit völlig neuen Repräsentationsaufgaben Die positiven Erfahrungen bei den Verhandlungen zur entwickelt, außerdem ist die Stadt zu einem Sehnsuchts- Opernreform sollten die Grundlage bilden, auf der die ort für junge Künstler aus der ganzen Welt geworden. kulturpolitische Bund-Berlin-Partnerschaft weiter wach- Der kulturelle Austausch hat sich globalisiert und Berlin sen kann; denn selbstverständlich wird der Bund seine ist hier zu einer wichtigen Verbindungsstelle geworden. Verantwortungen und Interessen in Berlin über 2004 hi- Die Kulturpolitik des Bundes hat darauf richtig reagiert naus wahrnehmen. Vielleicht kann über finanzielle Zusa- und ihre Verantwortung für Berlin mit dem „Vertrag zur gen hinaus so etwas wie ein „Berlinpakt“ entstehen. Die- Kulturfinanzierung in der Bundeshauptstadt 2001 bisser würde sich nicht nur in Zahlen und Paragraphen dar- 2004“ systematisiert und in ein klares Konzept mit kla- stellen, sondern ein ideelles Regularium für die ren Zuständigkeiten gebracht. So wurden die Mängel der kulturpolitische Zusammenarbeit in Berlin sein. Denn bisherigen Pauschalfinanzierung beseitigt. Der Bund hat dass es einer gemeinsamen Anstrengung bedarf, haben die alleinige institutionelle Förderung des Jüdischen Mu- längst alle begriffen. Eine Frucht dieser Erkenntnis ist seums Berlin, der Berliner Festspiele GmbH, der Haus übrigens auch die Enquete-Kommission „Kultur in der Kulturen der Welt GmbH und des Martin-Gropius- Deutschland“, die sich diese Woche konstituiert hat. Da Baus übernommen. Diese Institutionen werden jährlich sich diese Enquete insbesondere mit der Situation der mit über 18 Millionen Euro gefördert. Außerdem sieht Städte und Kommunen bei der Wahrnehmung ihrer Kul- der Hauptstadtkulturvertrag vor, dass sich der Bund an turaufgaben befassen wird, sind dort bestimmt auch Lö- (B) den Bauinvestitionen der Stiftung Preußischer Kulturbe- sungsansätze für die Berliner Situation zu erwarten. (D) sitz mit 22,4 Millionen Büro jährlich beteiligt. In diesem Rahmen beteiligt sich der Bund maßgeblich an der Re- staurierung der Berliner Museumsinsel. Auch das einAnlage 15 weltweit einzigartiges Projekt! Zu Protokoll gegebene Reden Doch nicht nur unser kulturelles Erbe wird von der zur Beratung: Bundespolitik gefördert. Die Hauptstadtkulturförderung orientiert sich an einem guten Mix aus Altem und– Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung des Neuem, aus Tradition und Avantgarde. So unterstützt der Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni Hauptstadtkulturfonds mit 10,2 Millionen Euro jährlich 2002 zur Terrorismusbekämpfung und zur vor allem junge innovative Kunst von internationaler Änderung anderer Gesetze Bedeutung. – Beschlussempfehlung und Bericht: Ver- An dieser Stelle möchte ich etwas zum vorliegenden pflichtungen aus dem EU-Rahmenbeschluss Antrag der FDP-Fraktion sagen, in dem den Entschei- zur Terrorismusbekämpfung zügig erfüllen dungen des Hauptstadtkulturfonds mangelnde Transpa- (Tagesordnungspunkt 23) renz unterstellt wird. Hintergrund dieses Antrags ist die Debatte um die geplante Ausstellung „Mythos RAF“ in den Berliner „Kunst-Werken“, die vom Hauptstadtkul- Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was turfonds eine Zusage auf nanzielle fi Unterstützung er- zeichnet den Terrorismus aus? Es sind dies Intoleranz, halten hat. Ich muss Ihnen sagen: Ich verstehe Ihren vor ein religiöser oder weltanschaulicher Fanatismus, die Misstrauen durchzogenen Antrag nicht und auch nicht Nichtachtung menschlichen Lebens und die unbedingte die völlig überzogenen Anfeindungen vonseiten einiger Bereitschaft zur Gewalt. Terror verbreitet so Angst und FDP-Politiker gegen die Ausstellung. Ich verstehe das Schrecken und nimmt auf diese Weise die Freiheit der vor allem deshalb nicht, weil wichtige FDP-Politiker wie Menschen, aber auch den Rechtsstaat ins Visier. Der Klaus Kinkel in diesem Themenkreis eine so positive Staat soll und muss dieser Herausforderung genauso be- Rolle gespielt haben undein Gerhard Baum die RAF- sonnen wie konsequent begegnen. Der Umgang mit dem Ausstellung ausdrücklich unterstützt. Terrorismus bedeutet aber auch eine Bewährungsprobe für den demokratischen Rechtsstaat. Bewähren heißt in Doch zurück zum Kern der heutigen Debatte: Koope- diesem Zusammenhang, denn Terrorismus mit rechts- ration und gemeinsame Verantwortung von Bund und staatlichen Mitteln entgegenzutreten. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5835

(A) Von Terroristen begangene Taten werden natürlichgen terroristische Vereinigungen vorzugehen und sich in (C) – wie jede andere Straftat ohne terroristischen Hinter- Zukunft besser auf die Verfolgung wirklich gefährlicher grund auch – nach den Vorschriften des Strafgesetzbu- Organisationen konzentrieren zu können. ches verfolgt und bestraft.Ein Mord bleibt ein Mord, auch wenn er mit einer bestimmten terroristischen Ab- An dieser Stelle möchte ich ein Wort zur Opposition sicht begangen wird. sagen. Wir stehen vor dem Abschluss eines Gesetzge- bungsverfahrens, in dem die Opposition einmal mehr Menschen, die aus terroristischen Gruppen herauskeine zielführenden Beiträge geleistet hat. Statt sich den agieren, stellen eine besondere Gefahr dar Deshalb stellt wirklichen Problemen in diesem Bereich zu stellen, hat das Organisationsdelikt § 129 a StGB bereits die Bil-sie sich auf die abstruse Rechtsfigur des terroristischen dung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereini- Alleintäters kapriziert. Damit hat sie ihr völliges Unver- gung unter Strafe. Jedoch war § 1 29a StGB bisher nicht ständnis der Materie dokumentiert. § 129 a StGB ist ein zielgenau auf terroristische Vereinigungen gerichtet. Die Organisationsdelikt, bei dem logischerweise keine Al- bisherige Fassung des § 129 a StGB stellte es allein un- leintäterschaft denkbar ist. ter Strafe, eine Vereinigung zu gründen, deren Tätigkeit darauf gerichtet ist, bestimmte schwere Straftaten zu be- Statt nach vorne zu schauen und sich den Herausforde- gehen. Das Gesetz nennt beispielsweise Mord und Tot- rungen der Zukunft bei der Bekämpfung des Terrorismus schlag, erpresserischen Menschenraub oder Geisel-zu stellen, hat die Opposition zum wiederholten Male nahme. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern Schlachten von gestern geführt. Ihre Forderung nach der Genauso wird es strafbar bleiben, sich als Mitglied an ei- Wiedereinführung der Strafbarkeit der „Sympathiewer- ner solchen Vereinigung zu beteiligen, sie zu unterstüt- bung“ ist mit der Umsetzung des europäischen Rahmen- zen oder Mitglieder oder Unterstützer für sie zu werben beschlusses nicht begründbar, der dies gerade nicht for- dert. Wie ideologisch und realitätsfremd diese Debatte Mit der Umsetzung des europäischen Rahmenbe-von der Opposition geführt wurde, belegen schlaglicht- schlusses zur Terrorismusbekämpfung vom 13. Juni 2002 artig die Ausführungen der Sachverständigen in der An- im vorliegenden Gesetz zur Reform des § 129 a StGB hörung, die der Rechtsaussch uss zu diesem Thema durch- kommt es nun zu einer entscheidenden Verbesserung. Bei geführt hat. Während der von der Union benannte gemeingefährlichen Straftaten wird die Begriffsbestim- Sachverständige Dr. Beyer sich in seiner Stellungnahme mung der terroristischen Vereinigung neu in das Strafge- bezeichnenderweise gar nicht zu diesem Thema äußerte, setz aufgenommen. Die Gründung einer Vereinigung zur sagte der Sachverständige und anerkannte Kommentator Begehung der irn neuen Absatz 2 des § 129 a StGB ge- von Bubnoff, dass nach der RAF-Zeit- und das ist lange nannten Taten ist nun nur noch dann als eine terroristische her – das Merkmal – der Sympathiewerbung – seine Be- Gründung zu verfolgen, wenn diese Taten mit einer be- (B) deutung weitgehend verloren hat. Die gefahrenpräventive (D) stimmten – terroristischen – Zielsetzung begangen wer- Wirkung einer strafrechtlichen Aufwertung der Sympa- den sollen. Ansonsten bleibt es aber bei einer Strafbarkeit thiewerbung dürfte heute weitgehend zu vernachlässigen nach § 129 StGB; von einer Strafbarkeitslücke kann so- sein, so Herr von Bubnoff. Und der Sachverständige Prof. mit keine Rede sein. Dr. Werle wies darauf hin, dass die Tathandlung des Wer- Wir haben bei der Umsetzung des Rahmenbeschlusses bens für eine terroristische Vereinigung in der Praxis ge- in unser Strafrecht – soweit das möglich war – die tra- ringe und abnehmende Bedeutung habe. dierten deutschen Rechtsbegriffe berücksichtigt. Wo der Rahmenbeschluss davon spricht, dass die Zielsetzung, Nach der Anhörung der Sachverständigen im Rechts- „öffentliche Stellen … zu zwingen“ als terroristisch zu ausschuss steht fest, dass nur noch einige Stimmen aus betrachten sei, heißt es im Gesetz, dass das Ziel, „eine der CDU/CSU die Wiedereinführung der Strafbarkeit ei- Behörde rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung ner Sympathiewerbung fordern. Wir waren gut beraten, mit Gewalt zu nötigen“, terroristisch ist. Als terroristisch uns damit nicht weiter zu beschäftigen. gilt, wenn Katalogstraftaten mit dem Ziel begangen wer- den sollen, „die Bevölkerung auf schwer wiegende Weise Jörg van Essen (FDP): In Deutschland sind Maß- einzuschüchtern,. internationale Organisationen zu nöti- nahmen zur Terrorismusbekämpfung nicht erst seit den gen oder die politischen, verfassungsrechtllichen, wirt- Anschlägen auf das World Trade Center am 11. Septem- schaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates ber 2001 ein Bestandteil der politischen Tagesordnung. oder einer internationalen Organisation zu beseitigenSeit vielen Jahren beinhaltet unser Strafgesetzbuch Tat- oder erheblich zu beeinträchtigen“. Und sie müssen auch bestände, die die besondere Gefährlichkeit und krimi- zu einer solchen Schädigung geeignet sein. nelle Energie, die in terroristischen Aktivitäten zum Ausdruck kommen, zum Gegenstand haben, und auch Schließlich haben wir hinsichtlich der im europäi- die Strafverfolgungsorgane sind mit dem Phänomen Ter- schen Rahmenbeschluss genannten Katalogtaten die rorismus vertraut. Die Entwicklungen der letzten Jahre Vorgaben des Rahmenbeschlusses vollständig, aber sinn- haben deutlich gemacht, dass terroristische Vereinigun- gerecht umgesetzt. Ich möchte beispielhaft die Angriffe gen nicht vor nationalen Grenzen Halt machen, sondern auf die körperliche Unversehrtheit nennen, wo wir eine international agieren. Eine wirksame Bekämpfung des Formulierung gewählt haben, die sich an die Terminolo- Terrorismus setzt nicht nur eine Zusammenarbeit staatli- gie des Völkerstrafgesetzbuches anlehnt. cher Organe voraus, sondern auch einen einheitlichen Mit dieser neuen Fassung des § 129 a ermöglichen Mindeststandard hinsichtlich der Strafbarkeitsvorausset- wir es den Strafverfolgungsbehörden, zielgerichteter ge- zungen. 5836 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

(A) Der Rahmenbeschluss der EU zur Terrorismusbe-mal hatten. Und auch das iminalpolitische kr Bedürfnis (C) kämpfung vom 13. Juni 2002 legt erstmals fest, welche nach einer Ausweitung des Tatbestands des § 129 a StGB Handlungen europaweit als Terrorakte angesehen wer- ist nicht erkennbar. Die Anhörung hat gezeigt, dass die den sollen. Die Umsetzung dieses Rahmenbeschlusses Sachverständigen der Forderung der Union keinerlei war die Aufgabe der Bundesregierung und der hier vor- praktische Relevanz zuerkannt haben. Schon jetzt ist das liegende Gesetzentwurf ist ein deutlicher Beleg dafür, gezielte Werben um Mitglieder und Unterstützer straf- dass sie mit dieser Aufgabe überfordert war. Der Ent- bar. Das Auffordern zu Straftaten ist ebenfalls strafbar, wurf weist erhebliche handwerkliche Mängel auf. For- nämlich nach § 111 StGB. Damit ist nicht ersichtlich, mulierungen aus dem Rahmenbeschluss wurden teil-dass ein praktisches Bedürfnis für die Ausweitung be- weise wörtlich übernommen, ohne sie an den deutschen steht. Diese Auffassung hat die FDP bereits in Sprachgebrauch oder an bereits bestehende Formulie- der14. Wahlperiode vertreten. Daran hat sich nichts ge- rungen aus dem Strafrecht anzupassen. Das ist nicht nur ändert. meine Einschätzung, sondern wurde einhellig von allen Experten bei der Sachverständigenanhörung im Juni die- ses Jahres kritisiert. Der Versuch der Bundesregierung, Anlage 16 diese Defizite durch einige textliche Änderungen abzu- schwächen, ist überwiegend fehlgeschlagen. Die am Zu Protokoll gegebene Reden Ende der vergangenen Woche vorgelegten Änderungen zur Beratung des Antrags: Grünbuch der EU- enthalten keine qualitativen Verbesserungen, sondern er- Kommission zu Dienstleistungen von allgemei- setzen lediglich unbestimmte Rechtsbegriffe durch an- nem Interesse – Kommunale Selbstverwaltung dere unbestimmte Rechtsbegriffe. sichern und fortentwickeln (Tagesordnungs- Dieser Entwurf verbessert im Vergleich zum gelten- punkt 24) den Recht die Möglichkeiten im Kampf gegen den Ter- rorismus nicht. Im Gegenteil, die Bekämpfung der poli- Doris Barnett (SPD): Im Mai dieses Jahres hat die tisch motivierten Gewaltkriminalität als terroristischeEuropäische Kommission ihr Grünbuch zu dem Thema Straftat wird durch den rot-grünen Gesetzentwurf er-„Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“ vorgelegt schwert. Die Tatbestandsgruppe der so genannten ge-und gleichzeitig einen europaweiten intensiven Diskus- meingefährlichen Straftaten soll aus dem Katalog dessionsprozess initiiert über die Frage, wie für Bürgerinnen § 129 a Abs. 1 StGB herausfallen. Stattdessen wird jetzt und Bürger wichtige öffentliche Dienstleistungen wie für diese Straftaten ein spezieller subjektiver Nachweis eine sichere Versorgung mit Energie, Telekommunika- einer terroristischen Zielrichtung gefordert. Dadurchtion und Gesundheit dauerhaft auf hohem Niveau, flä- (B) wird der Anwendungsbereich des Gesetzes erheblichchendeckend und zu angemessenen Preisen gesichert(D) eingeschränkt. Wir gehen damit hinter die jetzigewerden können. Rechtslage zurück. Dies wurde auch von den Sachver- ständigen ganz überwiegend geteilt. Hier wird jetzt nur Die Diskussion wurde besonders dadurch angeregt, noch eine Strafbarkeit wegen Bildung einer kriminellen dass die Kommission im Grünbuch keine eigene Posi- Vereinigung in Betracht kommen. Gerade die gemeinge- tion, zum Beispiel die Schaffung einer Richtlinie vor- fährlichen Straftaten entfalten aber ein hohes Bedro-schlug, sondern sich im Rahmen eines offenen Konsulta- hungspotenzial für die öffentliche Sicherheit. Die Bun- tionsprozesses bis zum 15. September Stellungnahmen desregierung verkennt hier ganz offensichtlich, dass es erbeten hat. Kernpunkt dieses offenen Konsultationspro- bei der EU-Rahmengesetzgebung nur um Mindeststan- zesses sind die Dienstleistungen von allgemeinem Inte- dards geht. Die Mitgliedstaaten haben bei der Umsetzung resse, die in Deutschland unter dem Begriff Daseinsvor- einen Gestaltungsspielraum und können einen anderen sys- sorge bekannt sind. Intensiv wird über die Frage disku- tematischen Weg wählen. Diesen Gestaltungsspielraum hat tiert, welche staatlichen Dienstleistungen Wettbewerbs- die Bundesregierung nicht genutzt. regelungen unterworfen werden sollen. Globalisierung der Wirtschaft sowie die fortschreitende europäische Hier zeigt sich deutlich die Scheinheiligkeit von Rot- Integration führen zu einem zunehmenden internationa- Grün bei der Terrorismusbekämpfung. Der Bundeskanz- len Standortwettbewerb und zu einer Veränderung der ler und der Bundesinnenminister haben sich eingereiht in Handlungsspielräume auf nationaler, regionaler und die Gruppe derer, die öffentlich dem internationalen Ter- kommunaler Ebene. rorismus den Kampf angesagt haben. Geht es aber um die konkrete Umsetzung und um die Anpassung im deut- Für uns Sozialdemokraten geht es bei diesem Prozess schen Recht, dann geschieht genau das Gegenteil: Die darum, über Modernisierung und Effizienzsteigerungen Bekämpfung von terroristischen Straftaten wird erheb- auch zukünftig Vorteile für die Verbraucher zu erreichen lich erschwert. Dies zeigt die Konzeptionslosigkeit der bei gleichzeitiger Versorgungssicherheit. Bundesregierung im Bereich der inneren Sicherheit. Worum geht es in der aktuellen Diskussion? Mit dem Noch ein Wort zu der Forderung der Union, das „Wer- Grünbuch reagiert die Europäische Kommission auf eine ben“ für eine terroristischeVereinigung unter Strafe zu Aufforderung des Europäischen Rates und des Europäi- stellen. In der Vergangenheit war das „Werben“ bereits schen Parlaments, sich mit der Sicherung von Leistun- unter Strafe gestellt worden und dabei hat sich gezeigt,gen der Daseinsvorsorge zu befassen. Im Mittelpunkt dass die Gerichte außerordentliche Auslegungs- und Ab- dieses Grünbuches steht also die Frage, wie die für den grenzungsschwierigkeiten mit diesem Tatbestandsmerk- Bürger wichtigen Dienstleistungen unter den Bedingungen Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5837

(A) eines liberalisierten europäischen Binnenmarktes und Auch die gesonderte Forderung, die Kommunen ein- (C) einer erweiterten Europäischen Union dauerhaft undzubeziehen, ist vollkommen überflüssig, da die kommu- qualitativ hochwertig, flächendeckend und zu angemes- nalen Spitzenverbände an der Abstimmung zwischen senen Preisen gesichert werden können. Darüber hinaus Bund und Ländern fortlaufend beteiligt waren. Dabei muss geklärt werden, welche Rolle dabei öffentliche und war es allen Beteiligten selbstverständlich unbenommen, private Unternehmen, Staat und Markt und damit dernoch eigene Stellungnahmen in den Konsultationspro- Wettbewerb spielen. Eine weitere Frage des Grünbuches zess der Kommission einzuspeisen, die in vielen Punk- ist auch, ob die Grundsätze und allgemeinen Prinzipien ten mit der Bund-Länder-Stellungnahme übereinstim- der Dienstleistungen künftig in einer europäischen Re- men. gelung oder wie bisher durch die Mitgliedstaaten festge- Doch auch in anderen Punkten ist der Antrag der Op- legt werden sollen. Dabei muss ausgelotet werden, wel- position mangelhaft. So befasst er sich mit dem Grün- che Risiken mit einer europäischen Regelung verbunden buch nur unter dem Gesichtspunkt der kommunalen wären. Selbstverwaltung. Zweifellos handelt es sich dabei um Da die Europäische Kommission keinen konkreten einen ganz wichtigen, zentralen Aspekt. Darüber hinaus Vorschlag unterbreitet, sondern das offene Konsulta-berührt das Gesamtthema jedoch auch die großen netz- tionsverfahren gewählt hat, muß sie zunächst einmal die gebundenen Dienstleistungen wie Telekommunikation, rund 250 schriftlich eingegangenen Stellungnahmen be- Energie und Post sowie den Verkehrsbereich und kann gutachten und auswerten. Ob dabei das Europäische Par- auf diese wichtigen Wirtschaftszweige weit reichende lament, wie vorgesehen, Anfang Dezember einen Be- Auswirkungen haben. Einzubeziehen sind auch soziale richt beschließen kann, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht Dienstleistungen wie zum Beispiel die freie Wohlfahrts- sicher, zeigen doch die Beiträge große Meinungsunter- pflege, weshalb auch von dieser Seite Stellungnahmen vorliegen. Deshalb: Ziehen Sie Ihren überholten und der schiede über mögliche Reichweite und inhaltliche Aus- Thematik nicht annähernd gerecht werdenden Antrag richtung einer entsprechenden Regelung. Das ist auch zurück! Sonst müssen wir ihn auf jeden Fall ablehnen. bei einer historischen Betrachtung der Entwicklung die- ser Bereiche in den Mitgliedstaaten nicht weiter verwun- Trotzdem nutze ich gerne die Gelegenheit, meine Po- derlich. sition und die der rot-grünen Koalition hier im Plenum darzulegen, insbesondere dass wir uns bei der Daseins- Deshalb war es ausdrücklich zu begrüßen, dass die vorsorge an der Seite der Kommunen befinden und sie EU keinen konkreten Vorschlag unterbreitet hat, sondern nicht im Stich lassen. Die Ausgestaltung des europäi- dieses offene Konsultationsverfahren mit einem umfäng- schen Wettbewerbsrechts ist dabei der entscheidende lichen Fragenkatalog wählte. Durch die Einbeziehung Ausgangspunkt für die Diskussion über die Zukunft der (B) (D) dieses demokratischen Elements kann für mehr Akzep- Daseinsvorsorge. Liberalisierung und Wettbewerb dür- tanz eines auch auf diesen Gebieten zusammenwachsen- fen aber nicht zum Selbstzweck werden, sondern sie sind den Europas in der Bevölkerung geworben werden.Mittel zum Zweck, nämlich um dem Allgemeinwohl zu Denn schließlich wird am Ende dieser Debatte die Euro- dienen. päische Kommission über weitere europarechtliche Re- gelungen zu entscheiden haben. Der angestoßene Dis- Wir von der SPD sprechen uns – und da wissen wir kussionsprozess ist also nicht eine Petitesse, sondernuns mit Bundesregierung, Ländern und Kommunen ei- geht uns alle an. nig – deutlich gegen eine europäische Rahmenrichtlinie aus. Die Leistungen der Daseinsvorsorge bewegen sich Doch nun zu Ihnen, meine Damen und Herren von der in einem Spannungsverhältnis zwischen staatlichem Opposition, und Ihrem Antrag, der der eigentliche Auf- Handeln wie der kommunalen Selbstverwaltung, den In- hänger für diese Debatte ist. Sie glauben, die Bundesre- teressen der Verbraucher, privater Dienstleister sowie gierung auffordern zu müssen, sich an der Debatte über den Anforderungen des europäischen Wettbewerbs- das Grünbuch „Dienstleistungen von allgemeinem Inte- rechts. resse“ aktiv zu beteiligen und dabei nur ja nicht die früh- In den vergangenen Jahren ist besonders von Vertre- zeitige und intensive Einbeziehung der kommunalentern der Wirtschaft Druck auf die EU ausgeübt worden, Spitzenverbände und Spitzenverbände der Wirtschaft zu den Wettbewerb in allen Bereichen der Daseinsvorsorge vergessen. Seien Sie versichert, dass die Bundesregie- stärker zuzulassen und das staatliche Handeln auf eine rung schon vor Ihrer Aufforderung längst gehandelt hat. regulierende und überwachende Funktion zu beschrän- Offensichtlich bedürfen aber Sie einer gewissenken. Diesen Ansatz lehne ich vehement ab. Mit uns wird Nachhilfe; denn Ihr Antrag ist längst überholt undes keine Privatisierung auf Biegen und Brechen geben, wie zu Zeiten Helmut Kohls. Modernisierung ja, aber schlecht recherchiert, sodass ich Ihnen nur raten kann, keine Zerstörung der kommunalen Selbstverwaltung. Es ihn zurückzuziehen. So ist der Konsultationsprozess zum muss einen Ausgleich geben zwischen den Leistungen Grünbuch bereits am 15. September abgeschlossen wor- der Daseinsvorsorge und den kommunal verwalteten den. An der Debatte hat sich die Bundesregierung nicht Dienstleistungen. nur aktiv beteiligt, sondern auch mit einer Bund-Länder- Stellungnahme gegenüber der Kommission Position be- Die Befürworter einer umfangreichen Privatisierung zogen. Dass dabei eine enge Abstimmung mit den Län- und Liberalisierung der Daseinsvorsorge überzeugen dern und den wichtigsten Spitzenverbänden erfolgte, ist mich nicht mit dem Argument, dass die Liberalisierung für unsere Regierung eine Selbstverständlichkeit. offensichtliche Vorteile für die Verbraucher bedeute. Ich 5838 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

(A) glaube im Gegenteil, dass eine radikale Privatisierung chen sollten sektorspezifische anstatt horizontaler Rege- (C) und Liberalisierung für Verbraucher viele Nachteile hat. lungen beibehalten und ein gleichmäßiger Grad der Im Gegensatz zu den Befürwortern rechne ich auch nicht Marktöffnung angestrebt werden. Ein gleichmäßigerer mit verbesserten Angeboten und Effizienzsteigerungen Grad der Marktöffnung innerhalb der EU würde zu mehr bei der Grundversorgung. Ich erwarte eher, dass sin-Chancengleichheit beitragen und Verwerfungen zwi- kende Preise eine schlechtere Qualität bedeuten, dassschen den Mitgliedstaaten verhindern. Bürgerinnen und Bürger hinsichtlich der Ausgestaltung der Grundversorgung demokratische Mitspracherechte Peter Götz (CDU/CSU): Am 21. Mai dieses Jahres verlieren, dass Umweltauflagen oder Sozialstandards für hat die Europäische Kommission ein Grünbuch zu Beschäftigte reduziert werden. Darüber hinaus befürchte Dienstleistungen von allgemeinem Interesse veröffent- ich, dass sinkende Preise mit einer schlechteren Versor- licht. Dazu gehören auch kommunale Leistungen, die in gung zum Beispiel in ländlichen Gebieten erkauft wer- Deutschland als Daseinsvorsorge bezeichnet werden: den. Die Lehren aus dem Blackout im Norden der Verei- von der Wasserwirtschaft über die Abfallwirtschaft, den nigten Staaten vor wenigen Wochen sollten wir alleöffentlichen Personennahverkehr, bis zu kommunalen ziehen können. Daseinsleistungen im sozialen oder kulturellen Bereich. Als Kritikerin einer europäischen Regelung in Form Im Zentrum des Grünbuchs steht eine Liste von einer Richtlinie – und ich weiß mich dabei im Einver- 30 Fragen. Darüber soll europaweit diskutiert werden. nehmen mit Bund, Ländern und Kommunen – befürchte Von Verlauf und Ergebnissen dieser Debatte will die EU- ich im Falle einer Richtlinie, dass die in der Kohl-Ära Kommission abhängig machen, wie sie diesen Bereich bei den großen netzgebundenen Sektoren eingegangenen europarechtlich regeln will. Dabei geht es um die Bewer- Liberalisierungsverpflichtungen nach und nach auf alle tung von Fragen mit potenziell dramatischen Folgen: anderen Bereiche der Daseinsvorsorge ausgedehnt wer- Wie wichtig ist uns die lokale und regionale Vielfalt der den könnten. Auch eine weitere Gefahr bei einer euro- Angebote, die bisher den unterschiedlichen Bedürfnissen päischen Regelung darf nicht übersehen werden: dass und Vorlieben der Menschen gerecht werden? Wollen die unterschiedlichen nationalen und regionalen Bedin- wir die Zerschlagung kommunaler Strukturen und Kom- gungen sowie die sektoralen Besonderheiten in einer eu- petenz wagen, die bei Marktversagen nur sehr langfristig ropäischen Regelung zu wenig berücksichtigt werden. und mit exorbitanten Kosten wieder hergestellt werden Die Erfahrungen in anderen Bereichen wie zum Beispiel können? Wollen wir auch lebenswichtige Grundversor- bei der Privatisierung und vollständigen Marktöffnung gung – zum Beispiel unser Trinkwasser – den Regelungs- für Energie, Post und Telekommunikation zeigen, dass kräften des Marktes anvertrauen? Kann der Markt die damit eine Einengung nationaler, regionaler und lokaler Versorgung einkommensschwacher Bürger und abgele- (B) Problemlösungen verbunden ist. Nicht zuletzt auch die gener und dünn besiedelter Regionen kontinuierlich und (D) Diskussion um das Angebot der EU bei den GATS-Ver- in verlässlicher Qualität sichern? handlungen zeigt, wie wichtig hier die Abgrenzung der Zuständigkeiten ist. Im Spannungsfeld zwischen europäischem Wettbe- werb und kommunaler Selbstverwaltung in der Daseins- Im Übrigen wird diese kritische Position durch den vorsorge gibt es keine einfachen Antworten. Es geht da- Europäischen Gerichtshof gestützt. Er hat bei seinem Ur- bei um die Grundsatzfrage: Wollen wir, dass auch in teil zu Altmark Trans die Rolle der Europäischen Kom- Zukunft Städte, Gemeinden und Landkreise in Deutsch- mission deutlich zugunsten einer größeren Handlungs- land über die Grundversorgung der Bürger selbst ent- freiheit der Mitgliedstaaten eingeschränkt. scheiden? Oder: Wollen wir, dass die EU-Kommission künftig die Grundsätze der Daseinsvorsorge bestimmen Ohne Zweifel können Liberalisierung und Wettbe- soll mit der Folge, dass eurobürokratische Eingriffe eine werb im Bereich der Daseinsvorsorge effizienzsteigernd bürgernahe lebendige Demokratie gefährden? Das sind und verbraucherfreundlich wirken. Sie dürfen jedoch die beiden Kernfragen, um die es geht. kein Selbstzweck sein, sondern nur Mittel zum Zweck bei der Erfüllung des Allgemeinwohls. Die Liberalisie- Wir stehen in diesen Wochen im Zusammenhang mit rungseuphorie der Kohl-Regierung in den 90er-Jahren der Diskussion über eine europäische Verfassung an ei- hat deutlich die Schwäche einer Wettbewerbspolitikner wichtigen Weichenstellung. CDU und CSU wollen ohne Regeln vor Augen geführt. Wettbewerb ist ein Ziel nicht, dass sich Europa um Dinge kümmert, die vor Ort in den europäischen Verträgen, das den dort ebenfallsbesser gelöst werden können. Wir wollen nicht, dass Eu- verankerten sozialen Zielen gleichrangig gegenüber-ropa mehr Kompetenzen ansich zieht als notwendig. steht. Das europäische Wettbewerbsrecht darf nicht zu Europa darf sich nicht übernehmen. Europa braucht sich einer Gefährdung der Leistungen der Daseinsvorsorge nicht um die innere Ordnung der Mitgliedstaaten zu führen und muss im Zweifel hinter den Allgemeininte- kümmern. ressen zurücktreten. Wir wollen eine Stärkung des Subsidiaritätsprinzips. Statt einer Rahmenrichtlinie benötigen wir auch inDer im Konvent erarbeitete Verfassungsentwurf sieht Zukunft die Definitions- und Gestaltungshoheit der Mit- dies dankenswerterweise vor. Ich will hier deshalb die gliedstaaten. Die Kommission sollte ihre Energien eher Gelegenheit nutzen, allen zu danken, die in diesem Sinn darauf verlagern, das Wettbewerbs- und Beihilferecht daran gearbeitet haben: von A wie Peter Altmeier bis T der Europäischen Kommission einfacher und transparen- wie Erwin Teufel. Sie haben im Interesse der Kommu- ter zu gestalten. In den großen netzgebundenen Berei- nen in Deutschland viel erreicht. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5839

(A) Leider muss jedoch festgestellt werden, dass ohneTrinkwasser gehört zu den besten der Welt. Städte, Ge- (C) jede Beratung im Konvent in letzter Minute in den Ver- meinden und Landkreise sorgen für Grundversorgung fassungsentwurf in Art. III-6 der EU eine Kompetenzauf höchstem Niveau. Dieses Leistungsniveau ist nicht zur Regelung der Grundsätze und Bedingungen für die selbstverständlich. Das belegen die Katastrophenmel- Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse ein- dungen aus immer mehr Ländern, zuletzt aus Italien und gebracht wurde, die dem Geist des Verfassungsentwurfs den USA. Dramatische Versorgungslücken mit riesigen und insbesondere dem Subsidiaritätsprinzip diametral volkswirtschaftlichen Kosten häufen sich. Verlässlich- widerspricht. Ich weise darauf hin, dass diese Klausel keit und Qualität sinken. nicht Bestandteil der Verhandlungsergebnisse des Kon- vents ist. Wir erwarten deshalb von der Bundesregierung, Die Menschen wissen dies. Sie sind für den direkten dafür zu sorgen, dass dieser neu angefügte Art. III-6Einfluss der Kommunen auf die Grundversorgungsleis- Satz 2 ersatzlos gestrichen wird. tungen und wehren sich immer öfter mit Bürgerbegehren gegen den Verkauf von Stadtwerken. Trotz Liberalisie- Es ist nur konsequent, wenn wir ablehnen, dass die rung bauen die Stadtwerke ihre Marktposition aus. EU die Prinzipien und Bedingungen für Leistungen der Stromversorgung (43 %) und Gasversorgung (70 %) Daseinsvorsorge regelt. Ich möchte dies auch begrün- bleiben kommunale Dienste. Nur 2 % der Stadtwerke- den: Wenn wir wollen, dass die europäische Idee vonkunden haben sich nach der Privatisierung der Energie- den Bürgern angenommen wird, muss als wichtigstesmärkte für neue Versorger entschieden. Bauprinzip einer neuen europäischen Kompetenzord- nung das Subsidiaritätsprinzip gelten. Europa darf keine Die Städte, Gemeinden und Landkreise stellen sich Kompetenzen in Bereichen bekommen, die Mitglied-dem Wettbewerb. Aber sie wollen und müssen die Ent- staaten oder ihre Gemeinden und Regionen besserscheidung darüber haben, wie die Grundversorgung vor selbstständig regeln können. Das führt sonst zu bürger- Ort am besten und am effizientesten erfolgen soll. Pri- fernen, bürokratischen und unpraktischen Lösungen. vatisierung kann die beste Lösung sein. Es kann im Ein- Warum sollen Beamte in Brüssel darüber entscheiden, zelfall auch heißen: Die Gemeinde macht es selbst. Das wie die Wasserversorgung in einer lettischen Kleinstadt, Nebeneinander mehrerer Modelle – warum nicht unter- in einem griechischen Dorf, auf Rügen oder in Düssel- schiedlich je nach Entscheidung des Stadtrats? – führt dorf organisiert wird? Es reicht und ist in Ordnung, dass auch zu Wettbewerb. Kein Bürgermeister oder Landrat einheitliche Umweltstandards eingefordert werden. Eher kann sich schlechtere Leistung oder hohe Kosten leisten sehe ich beim Vollzug dieser Standards noch Handlungs- als an vergleichbaren Orten. Denn er und seine Partei bedarf. würden damit ihre Wiederwahl gefährden. (B) Warum sollen Beamte in Brüssel sich einmischen in „Modernisierung statt erzwungene Liberalisierung“(D) die Angelegenheiten eines kommunalen Musiktheaters ist die richtige Antwort f au diese ordnungspolitische in Slowenien, in Finnland oder in Hof? Vor Ort wissen Frage. CDU und CSU lehnen deshalb alle zentralis- die Menschen besser, wie sie es haben wollen, wie sie es tischen Tendenzen und eine „Zwangsentkommunalisie- organisieren und wie sie es bezahlen. Oft stehen lange rung“ durch Brüsseler Entscheidungen bei wichtigen wertvolle Traditionen dahinter. Die dürfen nicht zentra- Grunddienstleistungen entschieden ab. Deshalb unsere listisch zerstört werden. Forderung: Keine Zuständigkeit Europas für örtliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse! Oder an- Wir wollen, dass die Städte, Gemeinden und Land- ders ausgedrückt: Frau Ministerin, der letzte nachge- kreise in Deutschland über die Grundversorgung derschobene Satz in Art. III-6 des Verfassungsentwurfs Bürger weiterhin selbst entscheiden. Wir wollen, dass muss wieder raus. Wenn uns dies gemeinsam gelingt, das kommunale Wahlrecht zwischen Ausschreibung, Di- wird das von der Europäischen Kommission vorgelegte rektvergabe und kommunaler Eigenproduktion erhalten Grünbuch überflüssig. bleibt. Das muss nicht für alle Aufgaben gelten. Die gro- ßen netzgebundenen Leistungen, sei es nun Strom, Gas oder Telekommunikation, brauchen selbstverständlich Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): klare, europaweit gültige Regelung. Aber wir brauchen In dem Grünbuch stößt die Europäische Union einen sie nicht für alle örtlichen Dienstleistungen. Konsultationsprozess an, in dem es im Kern um die Frage geht, ob ein einheitlicher europäischer Rechtsrah- Ich will ausdrücklich klarstellen: Wir sind nicht gegen men für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftli- Wettbewerb, nicht gegen den europäischen Binnenmarkt chem Interesse geschaffen werden sollte. Wir teilen die und nicht gegen Liberalisierung. Wir wollen, dass auch Auffassung, die Bund und Länder in ihrer gemeinsamen die Daseinsvorsorge im Einklang mit dem Wettbewerbs- Stellungnahme zum Ausdruck gebracht haben: Ein ein- prinzip steht und dass keine neuen Bereichsausnahmen heitlicher Rechtsrahmen der Europäischen Union für von den Wettbewerbsregeln der europäischen Verträge diesen Bereich brächte keinen Nutzen; denn er könnte entstehen. Aber wir sind eindeutig gegen Zuständigkei- aufgrund der Heterogenität nur sehr allgemein gehalten ten der EU für Dinge, die vor Ort besser entschieden werden können und die überwiegend lokale Bedeutung werden sein. Sinnvoll ist die Aufteilung, die im Grün- haben. buch enthalten ist: netzgebundene Wirtschaftszweige, andere Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftli- In Deutschland fällt noch nicht der Strom aus. Abfall chem Interesse und nicht wirtschaftliche Tätigkeiten und und Abwasser werden umweltgerecht entsorgt. Unser Dienstleistungen ohne wirtschaftliche Auswirkungen. 5840 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

(A) Erstens: von großen netzgebundenen Wirtschafts- Drittens: nicht wirtschaftliche Tätigkeiten und Dienst- (C) zweigen erbrachte Dienstleistungen von allgemeinem leistungen ohne Auswirkungen auf den Handel. Zu die- Interesse – Strom, Gas, Postdienste, Telekommuni-sem Bereich – also insbesondere den sozialen und kultu- kation, Verkehr. In diesem Bereich hat die EU wichtige rellen öffentlichen Dienstleistungen – gibt es auf Impulse zur Liberalisierung der Märkte gegeben, die mit Gemeinschaftsebene keine spezifischen Regelungen. erheblichen Preissenkungen, Verbesserungen der Dienst- Auch das Wettbewerbs- und Beihilferecht kommt nicht leistungen für die Verbraucherinnen und Verbraucherzur Anwendung. und der Schaffung von Arbeitsplätzen verbunden waren. Das Regelwerk der EU gibt Standards zur Gewährleis- Gudrun Kopp (FDP): Die FDP-Fraktion im Deut- tung von Wettbewerb, zu sozialen Kriterien wie Univer- schen Bundestag unterstützt nachhaltig das zuletzt im saldienst, Verbraucher- und Nutzerrechten vor. Beson- Grünbuch vom 21. Mai 2003 noch einmal bekräftigte ders die Funktion der EU als Impulsgeberin Engagement für der EU-Kommission für Deregulierung und Wettbewerb brauchen wir auch weiterhin. eine liberale Ausgestaltung derjenigen Bereiche, die ge- meinhin unter dem Begriff Daseinsvorsorge subsumiert Die Koalition arbeitet derzeit daran, die Vorgaben der werden. EU im Bereich von Strom und Gas und bei der Telekom- munikation umzusetzen. Die EU gibt hier das Modell Die Rolle der Kommission als ordnungspolitisches des durch eine nationale Wettbewerbsbehörde zu ge-Korrektiv gegen die Bundesregierung kann hier gar nicht währleistenden Netzzuganges vor. Diese Wettbewerbs- genug gewürdigt werden. Schon in der Vergangenheit behörden müssen insbesondere mit der Fähigkeit, den mussten ja die Fraktionen von Rot und Grün in Sachen Deregulierung und Marktöffnung zum „Jagen getragen marktbeherrschenden Unternehmen Auflagen zu ertei- werden“. Insofern begrüßen wir es ausdrücklich, die len, ausgestattet sein. Wir halten nichts davon, für jeden Kommission in diesen wichtigen Fragen auf unserer Sektor eine EU-weit tätige Regulierungsbehörde zuSeite zu wissen. schaffen. Die Vorgabe und Überwachung eines Rah- mens, der durch die Staaten ausgefüllt und von der Kom- In diesem Zusammenhang steht es außer Frage – und mission überwacht wird, istein sinnvolles Instrument. das ist von der Kommission auch immer in aller Klarheit Allerdings hat die EU Verantwortung für den länder-bekräftigt worden –, dass an den jeweiligen nationalen übergreifenden Wettbewerb. Entscheidungsträgern ist, selbst zu definieren, welche Bereiche sie der Daseinsvorsorge zuordnen und entspre- In Deutschland wird die Regulierungsbehörde für Te- chend ausgestalten wollen. Hier findet also keine Bevor- lekommunikation und Post immer mehr zu der Wettbe- mundung seitens der Brüsseler Behörden statt. (B) werbsbehörde für netzgebundene Infrastruktur. Falls sie Zu Recht aber betont die Kommission auch, dass(D) auch die Behörde für die Regulierung des Strom- und diese Bereiche glasklar definiert und vor allem transpa- Gassektors werden wird, wäre es aus unserer Sicht not- rent gestaltet werden müssen. Das heißt, der Bürger wendig, ein eigenes Wettbewerbsbehördengesetz für alle muss genau erkennen können, welche Leistungen von Bereiche zu schaffen. Es wäre noch genug Zeit, die insti- welcher staatlichen Ebene und – vor allem – zu welchen tutionellen Regelungen aus dem Telekommunikations- Kosten erbracht werden. Die Energiepreise in der Bun- gesetz herauszunehmen und parallel ein Wettbewerbs- desrepublik mit ihren für den Bürger völlig intransparen- behördengesetz zu entwickeln. Im Bereich ten desKostenelementen liefern hier also ein gutes Beispiel Bahnverkehrs wird es von zentraler Bedeutung sein,dafür, wie man es nicht machen sollte. dass Betrieb und Netz getrennt werden. Ein konsequen- Zu viele Wirtschaftsbereiche in Deutschland sind ter Unbundling – und dies ilt g nicht nur für den Ver- heute noch immer dem Wettbewerb entzogen. Dies ist kehrsbereich – ist die unbürokratischste und weitest-angesichts der gemachten Erfahrungen mit der Liberali- gehende Lösung für die Wettbewerbsneutralität dersierung des Telekommunikations- und Strommarktes Netze. nicht nur äußerst unbefriedigend, sondern auch völlig unverständlich. Hier muss sich die Bundesregierung Zweitens: Bei den anderen Dienstleistungen von all- endlich bewegen. gemeinem wirtschaftlichen Interesse wie etwa Abfall- wirtschaft, Wasserversorgung oder dem öffentlich-recht- Die Öffnung vieler Bereiche der Daseinsvorsorge in lichen Rundfunk besteht auf Gemeinschaftsebene kein Deutschland für den privaten Wettbewerb könnte in der umfassendes Regelwerk. Wir sind entschieden der Mei- gegenwärtigen desolaten wirtschaftlichen Situation da- nung, dass hier jeder Mitgliedstaat selbst regeln sollte, rüber hinaus auch Impulse geben für mehr Wachstum mit wie viel Markt und wie viel Staat er diese Dienstleis- und Beschäftigung in der Zukunft. Die Vergangenheit tungen erbringen will. Sofern die Dienstleistungen in zeigt doch sehr klar, dass Gemeinwohl und Wettbewerb diesen Bereichen den Handel zwischen den Staaten be- nicht im Widerspruch zueinander stehen, sondern sich treffen, unterliegen sie dem Wettbewerbs- und Beihilfe- bedingen. recht. Insbesondere Wasser ist ein besonderes Gut. Eine Gerade der Telekommunikationssektor ist ein schla- ortsnahe Erzeugung gehört zur Identität der Region und gender Beweis dafür, dass Märkte und Wettbewerb nicht erhöht die Achtsamkeit beim Umgang mit Böden und nur zu geringeren Preisen, besserer Qualität, höherer Zu- Grundwasser. Eine weit gehende Liberalisierung im die- verlässigkeit und allgemeiner Zugänglichkeit führen. sem Bereich, wie zum Beispiel bei Telekommunikation Nein, sie entfesseln auch Wachstumskräfte, die ansonsten und Strom, halten wir deshalb nicht für zielführend. unter der wohlig warmen Decke staatlicher Monopole Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003 5841

(A) schlummern. Nach Schätzung der Kommission sind– Gesetz über die Verwendung von Verwaltungsdaten (C) allein im Bereich der Telekommunikation durch die De- für Zwecke der Wirtschaftsstatistiken (Verwaltungs- regulierung EU-weit mehr als 1 000 000 neue Arbeits- datenverwendungsgesetz – VwDVG) plätze entstanden. Vergegenwärtigt man sich nun das in Deutschland vorhandene Potenzial für weitere Marktöff- – Gesetz zu dem Abkommen vom 4. Juli 2001 zwi- nungen – ich nenne hier nur stellvertretend die besonders schen der Bundesrepublik Deutschland und Ru- wichtigen Bereiche Post, ÖPNV, Energie, Wasser, Finanz- mänien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und Entsorgungsdienstleistungen –, so wird klar, welche auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und ökonomische Dynamik wir hier einfach verschlafen, wenn vom Vermögen nicht endlich an diese Sektoren herangegangen wird. – Gesetz zu dem Vertrag vom 27. Juni 2001 zwi- Aber auch in den bisher leider nur ansatzweise libera- schen der Bundesrepublik Deutschland und der lisierten Sektoren des Bahnverkehrs und des Strom- und Republik Indien über die Auslieferung Gasmarktes müssen wir endlich zu einer viel weitgehen- deren Deregulierung und Liberalisierung kommen, die Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben nicht nur die Kosten für die Verbraucher langfristigmitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 senkt, sondern ihnen auch transparent macht, welcheder Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den Kosten ihnen gegenwärtig durch die staatliche Regulie- nachstehenden Vorlagen absieht: rung tatsächlich entstehen. Insofern fordern wir die Bundesregierung in unserem Finanzausschuss Antrag auch ausdrücklich auf, nicht nur ein konsistentes Konzept für den Bereich derDaseinsvorsorge mit glas- – Unterrichtung durch die Bundesregierung klaren Definitionen der betroffenen Wirtschaftsbereiche Unterrichtung durch die Bundesregierung über die ak- und den daraus entstehenden Kosten vorzulegen. Da- tualisierten Stabilitäts- und Konvergenzprogramme der rüber hinaus muss ein konsequenter Kurs der staatlichen EU-Mitgliedstaaten Aufgabenkritik auf allen Ebenen eingeleitet werden. – Drucksachen 15/798, 15/1272 Nr. 1.1 – Deshalb haben wir angeregt, dass die Bundesregierung hierzu jährlich Bericht erstattet. Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Lassen Sie mich abschließend noch einmal ausdrück- lich die Rolle der Kommission würdigen, die viele der – Unterrichtung durch die Bundesregierung gerade in Deutschland bitter notwendigen Deregulierun- Bericht der Bundesregierung – Initiative Architektur (B) gen und Liberalisierungen angestoßen und vorangetrie- und Baukultur (D) ben hat. Der weiteren Unterstützung durch die FDP- – Drucksachen 14/8966, 15/345 Nr. 68 – Fraktion kann sie hierbei gewiss sein. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuss die nachstehenden EU- Anlage 17 Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Bera- Amtliche Mitteilungen tung abgesehen hat. Der Bundesrat hat in seiner 791. Sitzung am 26. Sep- tember 2003 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen Auswärtiger Ausschuss zuzustimmen, einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 Drucksache 15/1041 Nr. 2.5 Grundgesetz nicht zu stellen bzw. einen Einspruch ge- Drucksache 15/1153 Nr. 2.2 mäß Artikel 77 Absatz 3 nicht einzulegen: Drucksache 15/1153 Nr. 2.30 – Gesetz zur Abwicklung der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS Ab- Innenausschuss wicklungsgesetz – BvSAbwG) Drucksache 15/345 Nr. 11 Drucksache 15/392 Nr. 2.19 – Zweites Gesetz zur Änderung des Zollverwal- Drucksache 15/503 Nr. 1.28 tungsgesetzes und anderer Gesetze

– Gesetz zur Durchführung gemeinschaftsrechtlicher Rechtsausschuss Vorschriften über die grenzüberschreitende Beweis- Drucksache 15/339 Nr. 2.13 aufnahme in Zivil- oder Handelssachen in den Mit- Drucksache 15/345 Nr. 19 gliedstaaten (EG-Beweisaufnahmedurchführungs- Drucksache 15/345 Nr. 22 gesetz) Drucksache 15/345 Nr. 28 Drucksache 15/345 Nr. 29 – Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Tätig- Drucksache 15/345 Nr. 30 keit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland Drucksache 15/345 Nr. 31 Drucksache 15/345 Nr. 32 und weiterer berufsrechtlicher Vorschriften für Drucksache 15/611 Nr. 2.9 Rechts- und Patentanwälte, Steuerberater und Drucksache 15/611 Nr. 2.19 Wirtschaftsprüfer Drucksache 15/979 Nr. 2.20 5842 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Oktober 2003

(A) Finanzausschuss Drucksache 15/1280 Nr. 2.8 (C) Drucksache 15/1280 Nr. 2.20 Drucksache 15/1280 Nr. 2.19 Drucksache 15/1280 Nr. 2.37 Drucksache 15/1280 Nr. 2.21 Drucksache 15/1280 Nr. 2.44 Drucksache 15/1280 Nr. 2.22 Drucksache 15/1280 Nr. 2.47 Drucksache 15/1280 Nr. 2.26 Drucksache 15/1280 Nr. 2.49 Drucksache 15/1280 Nr. 2.27 Drucksache 15/1389 Nr. 1.3 Drucksache 15/1280 Nr. 2.29 Drucksache 15/1280 Nr. 2.33 Drucksache 15/1280 Nr. 2.34 Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Drucksache 15/1280 Nr. 1.1 Ausschuss für Gesundheit und soziale Sicherung Drucksache 15/1280 Nr. 2.2 Drucksache 15/1280 Nr. 2.4 Drucksache 15/1547 Nr. 2.13 Drucksache 15/1280 Nr. 2.5 Drucksache 15/1547 Nr. 2.65 Drucksache 15/1280 Nr. 2.9 Drucksache 15/1280 Nr. 2.24 Drucksache 15/1280 Nr. 2.30 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Drucksache 15/1280 Nr. 2.31 Reaktorsicherheit Drucksache 15/1280 Nr. 2.35 Drucksache 15/1153 Nr. 2.38 Drucksache 15/1280 Nr. 2.36 Drucksache 15/1280 Nr. 2.41 Drucksache 15/1280 Nr. 2.42 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Drucksache 15/1280 Nr. 2.43 Entwicklung Drucksache 15/1280 Nr. 2.48 Drucksache 15/1041 Nr. 2.1 Drucksache 15/1153 Nr. 2.3 Ausschuss für Verbraucherschutz Ernährung und Drucksache 15/1389 Nr. 1.1 Landwirtschaft Drucksache 15/1280 Nr. 2.3 Ausschuss für Kultur und Medien Drucksache 15/1280 Nr. 2.6 Drucksache 15/1280 Nr. 2.7 Drucksache 15/1389 Nr. 1.2

(B) (D)

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