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Flugaufnahme, Büsingen mit dem Hochrhein

ßüsingen am Hochrhein, eine deutsche Exklave in der Schweiz*) Von Philipp Daum, ßüsingen Am 14. April 1090 schenkt Graf Burkhard ein Katzenbuckel ins badische Land vor­ von Nellenburg seinen Besitz in Büsingen, springende Kanton auf. Und damals Bosinga genannt, dem Kloster Aller­ in diesem Katzenbuckel finden wir dann ein heiligen zu Schaffhausen. Graf Burkhard Fleckchen deutschen Gebietes, in der äuße­ von Nellenburg ist der Sohn des Gründers ren Form einem Schmetterling nicht unähn­ des Allerheiligen-Klosters. Mit diesem Da­ lich. Dieser Schmetterling ist die deutsche tum beginnt der gemeinsame Weg Schaff­ Exklave Büsingen, die durch einen Streifen hausens und Büsingens durch die Jahrhun­ schweizerischen Gebietes, an der schmälsten derte bis zur Gegenwart. Wo aber liegt der Stelle nur etwa 700 Meter breit, vom deut­ Ort Büsingen? schen Inland vollständig getrennt wird. Von Wir entfalten eine Karte vom deutsch­ Deutschland aus gesehen ist also Büsingen schweizerischen Grenzgebiet. Da fällt uns ein Gebietsausschluß oder eine Exklave und sogleich auf der rechten Rheinseite der wie von der Schweiz aus betrachtet eine Enklave,

*) Dieser Beitrag wurde am 24 . 3. 1936 als Vortrag vom Süddeutsdien Rundfunk gesendet. 187 Übersichtskarte der badischen Enklave Büsingen in der Schweiz das heißt ein Gebietseinschluß. Die echten sozusagen zwischen den Staaten liegt, ge­ völkerrechtlichen Exklaven oder Enklaven, radezu zwangsläufig zu allerhand seltsamen die also jeweils zwei souveräne Staaten be­ Situationen führen muß. Daraus entsprin­ treffen, kann man an den Fingern einer gen dann Probleme, die immer wieder die Hand abzählen. Sie sind also recht selten beiden beteiligten Staaten beschäftigen. Ja in unserer Welt. noch mehr. Die Geschichte Büsingens zeigt, Das 4 km von der schweizerisdien Stadt daß eine so eigentümliche Lage zu Ereignis­ Schaffhausen entfernte Büsingen zählt etwa sen führen kann, deren Ausstrahlungen auch 900 Einwohner. Zur Exklave Büsingen ge­ dritte Staaten irgendwie zur Stellungnahme hört eine Fläche von 7,62 qkm. Beiläufig ein veranlassen. So ist es nicht verwunderlich, lustiger Vergleich: der Kleinstaat Monaco wenn der Schweizer Flistoriker Leutenegger mißt nur 1,49 qkm. Die Exklave Büsingen. in einer trefflichen Schilderung eben einer ist demnach der Fläche, leider aber nicht der solchen Episode, des sogenannten Büsinger Finanzkraft nach, fünfmal größer als das Handels vom Jahre 1849, feststellt: vielgenannte Fürstentum. Ohne viel Phantasie und ohne zunächst „. . . daß immerhin der Name Büsingen die Einzelheiten zu kennen, kann man sich bis heute noch in den Registern von sämt­ leicht ausmalen, daß die Existenz eines so lichen bedeutenden Archiven Mittel- und merkwürdigen staatsrechtlichen Gebildes, das Westeuropas zu finden ist“. 188 Doch jetzt wollen wir diesen seltsamen Mit liisem Ruusche luegt er zue, Splitter deutschen Gebietes in der Schweiz wie menge Pilger chunt zur Rueh; selbst einmal besuchen, um dessen Eigen­ so isch emol en Grundherr gsi, arten aus der Nähe kennenzulernen. Zum me traat en bleich am Bom verbi, Ausgangspunkt unserer Entdeckungsreise e Käuzli rüeft im Laub „Kiwit“, wählen wir die nahe am Rhein gelegene es nimmt en jede gliichvil mit. Ortschaft Gailingen. (Reinhard Güntert) Wenn wir uns auf der sogenannten Judenstraße, die Gailingen mit dem 5 km Wann die St.-Michaels-Kirche erbaut wurde, entfernten Büsingen verbindet, der Exklave weiß man nicht. Urkundlich wird sie erst­ nähern, passieren wir zunächst am Beginn mals in einem Schutzbrief Papst Urbans II. des vorhin erwähnten Schweizer Gebiets­ aus dem Jahr 1095 erwähnt. In der ältesten streifens den deutschen Ausgangszoll und Zeit untersteht die Kirche St. Johann in wenig später am Ende des Streifens die Schaffhausen der Büsinger Michaelskirche. Schweizer Zollstelle Dörflingen-Laag. Kurz Von der Mitte des 13. Jahrhunderts ab hat bevor wir aber den Dorfeingang Büsingens dagegen das Kloster Allerheiligen zu Schaff­ erreichen, führt uns der Weg gerade an hausen die Oberhoheit über die Büsinger der Südseite der Bergkirche St. Michael vor­ Kirche. Schon in diesen frühen Zeiten be­ bei. Die kleinen Rundbogenfenster im Ga­ steht also ein starkes kirchliches Band zwi­ den, dem oberen Teil des Kirchenschiffes, schen Büsingen und Schaffhausen, das auch zeigen uns sogleich, daß wir ein romani­ nach der Reformation nicht abreißt, denn sches Gotteshaus vor uns haben. Die Linien­ mit Schaffhausen nimmt auch Büsingen den führung der Kirche erscheint einfach, klar neuen Glauben an. Die kirchliche Verbin­ und harmonisch, und man versteht es wohl, dung zwischen Büsingen und Schaffhausen wenn Josef Hecht in seinem grundlegenden überdauert die politische Zusammengehörig­ Werk über den romanischen Kirchenbau des keit, die auch einmal bestanden hat, erstaun­ Bodenseegebietes schreibt, daß von einer lich lange. Denn obwohl Schaffhausen den sanften Kuppe Ort Büsingen bereits 1723 politisch verliert „. . . die Bergkirche St. Michael mit ihrem — wir werden noch von diesem Jahres­ ummauerten Friedhof in lieblicher Melan­ datum hören —, löst doch erst 120 Jahre cholie herniedergrüßt“. später im Jahre 1843 das Großherzogtum An der Nordwestecke des Friedhofs stand Baden die Pfarrei Büsingen aus dem Kir­ früher ein mächtiger Nußbaum. An diesen chenverband des Kantons Schaffhausen. Nußbaum knüpft ein besinnliches Gedicht Doch noch in neuester Zeit bei der Reno­ des leider zu früh aus dem Leben geschiede­ vierung der Kirche St. Michael 1953/54 hat nen Büsinger Mundartdichters Reinhard sich die Verbundenheit der schweizerischen Güntert an, das Otto Weiner in seine Dorf­ Nachbarn mit Büsingen und seiner Berg­ geschichte aufgenommen hat. kirche im schönsten Lichte gezeigt. Ein in Schaffhausen verbreitetes und zu Spenden En jede gliichvil. aufrufendes Flugblatt „An das Schaffhauser Am Chirchhof stoht uf Dotewacht Volk“ vom Mai 1952 schließt mit den Wor­ zwahundert Johr wohl scho ten: en Nußbom treulich Dag und Nacht, „Rette und erhalte deiner Landschaft die er cha sin Blatz nid lo, Bergkirche Büsingen!“ deckt alli Schlöfer, riich we arm Der Aufruf findet ein gebefreudiges Echo mit rauhe Aeschte, lieb und warm. in der schweizerischen Nachbarschaft. Die Mittel nämlich für die Instandsetzung der „De Vatter hätt gsoht, i soll e Zoone voll Bergkirche werden zwar zu einem Teil in Soopfe d’Lootere abi schloopfe.“ Büsingen, hauptsächlich aber in Schaffhau­ Ich glaube, jeder, wenn er nicht gerade sen, den Gemeinden dieses Kantons und im vom Norden Deutschlands kommt, wird den benachbarten Thurgau aufgebracht. kleinen Unterschied der beiden Mundarten Die ursprünglich rechtliche und dann ge­ herausfühlen. fühlsmäßige Bindung zwischen Schaffhau­ Vielfältige verwandtschaftliche Bande zwi­ sen und der Büsinger Bergkirche ist aber schen Büsingen und seiner schweizerischen nur ein Aspekt einer umfassenderen Erschei­ Nachbarschaft reichen hinüber und herüber. nung. Gemeint ist jenes engmaschige Netz Außerdem wohnen in Büsingen selbst etwa von Beziehungen aller Art, das schon früher 100 Schweizer. Dagegen leben in der badi­ die Kantonshauptstadt Schaffhausen mit schen Nachbargemeinde Gailingen, die be­ der Exklave Büsingen verband und auch deutend größer ist als Büsingen und deren heute noch verbindet. Dies gilt zunächst Gemarkung im Osten, Süden und Westen an heute wie ehedem vom wirtschaftlichen Be­ die Schweiz grenzt, nur 6 Personen mit reich, als noch die „Rosser“ von Büsingen schweizerischer Staatsangehörigkeit. Zwei mit ihren Pferdegespannen die Lastschiffe Vereinspräsidenten in Büsingen sind Schwei­ von Schaffhausen aus rheinaufwärts zogen. zer. Es fällt jedoch keinem Büsinger ein, Einerseits nämlich ist das nahe Schaffhausen daran Anstoß zu nehmen. Im ersten Büsin­ der natürliche Absatzmarkt für die in Bü­ ger Gemeinderat nach dem letzten Kriege erzeugten landwirtschaftlichen Pro­ saßen sogar zwei Schweizer neben drei deut­ dukte, andererseits geht ein großer Teil der schen Gemeinderäten. Weil indessen einer Bevölkerung Büsingens in Schaffhausen zur der letzteren außer der deutschen auch die Arbeit. So unterscheidet sich denn auch schweizerische Staatsangehörigkeit besaß, schon seit langem die Lebenshaltung in weil er also Doppelbürger war, könnte man Büsingen, wo nur der Schweizerfranken als darüber diskutieren, ob der damalige Ge­ Zahlungsmittel dient und in den Geschäften meinderat nicht etwa gar zur Hälfte deutsch ausschließlich Schweizer Waren verkauft und zur anderen Hälfte schweizerisch ge­ werden, in keiner Weise von der in der wesen war. Ein solches rechtliches Kuriosum, Schweiz. daß in einem deutschen Gemeindeparlament Ausländer sitzen, gibt es natürlich heute Kein Wunder, daß deshalb auch in Bü­ auch in Büsingen nicht mehr. singen derselbe Dialekt gesprochen wird Wir verlassen jetzt die Bergkirche und wie in Stadt und Landschaft Schaffhausen. gehen ins Dorf. In wenigen Minuten haben Lassen wir aber, um den Unterschied zwi­ wir die Ortsmitte erreicht. Da erhebt sich schen der Büsinger Mundart und dem Dia­ hoch mit spitzem Giebel das Junkernhaus lekt im zu verdeutlichen, zwei Bei­ oder, wie man hier sagt, ’s Junkerehaus. spiele sprechen. Jedem Büsinger ist von Dieses Haus zählte einmal zu den schönsten Jugend auf ein Testsatz geläufig — es gibt Fachwerkbauten der Umgebung. Heute ist dies bekanntlich auch anderswo —, der das Junkernhaus dringend restaurationsbe­ lautet: dürftig. Da Junkernhaus wie Bergkirche „De Vatter hätt gsaht, ich soll e Zane unter Denkmalschutz stehen, sei der für die­ voll Sapfe d’Latere ab schlapfe.“ sen Schutz zuständigen Stelle die Restaura­ In dem nur knapp zehn Kilometer von tion des altehrwürdigen Hauses warm ans Büsingen entfernten Ort Herz gelegt. Mit diesem Junkernhaus sind würde das so lauten: viele Ereignisse verknüpft, die das Schicksal 190 Bergkirche St. Michael Büsingens bis heute entscheidend geformt deren Gerichtsbarkeit fungierte und somit haben. österreichischer Lehensvasall war, wollte Im letzten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts Österreich verständlicherweise den an sei­ war zwischen Schaffhausen und Österreich nem Lehensträger verübten Gewaltakt nicht ein mehrere Jahre dauernder, erbitterter auf sich beruhen lassen. Die Folge der jahre­ Streit entbrannt. Zugrunde lag ein Familien­ langen Differenzen war einerseits, daß zwist zwischen der Schaffhauser Patrizier­ Schaffhausen schließlich doch nachgeben und familie Im Thurn und ihrem Mitglied den Junker Im Thurn freilassen mußte und Eberhard Im Thurn. Eberhard Im Thurn andererseits, was ungleich schwerer wog, daß war von seinen Verwandten gewaltsam aus Büsingen später im Jahre 1723 von Öster­ seiner Wohnung in Büsingen, eben dem Jun- reich nicht, wie es bei mehreren anderen kernhaus, entführt und dann offenbar im Ortschaften geschah, an Schaffhausen abge­ Einverständnis mit dem Rat von Schaffhau­ treten wurde. Büsingen sollte vielmehr nach sen in Schaffhausen eingekerkert worden. dem Willen Österreichs wegen des leidigen Da Eberhard Im Thurn im damals öster­ Im-Thurn-Handels zum ewigen Ärgernis für reichischen Büsingen als Gerichtsherr der nie­ Schaffhausen österreichisch bleiben. Als dann 191 %

Anno 1770 die zwischen Büsingen und Rand­ ken, daß diese Zapfstellen glänzend florier­ egg gelegene Gemeinde Dörflingen zur ten. Ähnliche Vorteile hatten die Büsinger Schweiz kam, war das zunächst österreichi­ Landwirte durch die zollfreie Einfuhr von sche, dann für kurze Zeit württembergische Futtermitteln. und schließlich badische Büsingen vom Kan­ Als im September 1939 der Zweite Welt­ ton Schaffhausen, also von Schweizer Gebiet, krieg ausbrach, da tauchten für die Exklave rings umschlossen und damit zur Exklave ganz neue und schwerwiegende Probleme geworden. drohend am Horizont auf. Der Bundesrats­ So besitzt nun also Büsingen eigentlich beschluß vom 2. September 1939 über ein zwei Wahrzeichen, die Bergkirche St. Michael generelles Ausfuhrverbot von Waren war und das Junkernhaus. Die Bergkirche ist seit eine der ersten kriegswirtschaftlichen Maß­ Jahrhunderten das Symbol für die enge Ver­ nahmen der Schweiz. Nun ging es für die flochtenheit des Ortes mit Schaffhausen. Das Exklave tatsächlich um die Wurst, denn Junkernhaus jedoch erinnert durch den Im- wenn die Zufuhr von Lebensmitteln Thurn-Handel daran, daß dieses Dorf im und auch von anderen Waren aus der Widerspruch zu den geographischen, ge­ Schweiz radikal abgeschnitten worden wäre, schichtlichen und volkskundlichen Gegeben­ dann wäre in Büsingen guter Rat teuer heiten verhältnismäßig spät doch noch von gewesen. der schweizerischen Nachbarschaft getrennt Deshalb bat das Bürgermeisteramt Büsin­ worden ist. gen die in Frage kommenden schweizerischen Von deutscher Seite aus hat man schon Behörden, die Ausfuhr von Lebensmitteln früh den tatsächlichen Verhältnissen dadurch nach Büsingen weiterhin zu gestatten mit Rechnung getragen, daß Büsingen wegen der Begründung, die Büsinger Landwirte seiner exponierten Lage bereits im Jahre brächten ja auch ihre Erzeugnisse nach 1835 — der Deutsche Zollverein ist 1833 ge­ Schaffhausen und die Zuteilungen aus dem gründet worden — aus dem deutschen Zoll­ Reich erfolgten nur im Rahmen der bisheri­ gebiet ausgeschlossen und damit zum Zoll­ gen unzulänglichen Bezüge. Auch in der ausschlußgebiet erklärt worden ist. Das Schweiz sah man ein, daß etwas für die in wirkte sich so aus, daß nun vom deutschen Bedrängnis geratene Gemeinde getan werden Inland oder von der Schweiz oder von mußte, denn nicht weniger als sechs schwei­ irgend einem anderen Lande aus, in diesem zerische Dienststellen befaßten sich mit der Falle im Transitverkehr, Waren aller Art Sache. Als Ergebnis der Beratungen wurde zollfrei ins Zollausschlußgebiet Büsingen Büsingen ab 1. 12. 1939 an das schweize­ verbracht werden konnten. Als im Laufe rische Rationierungssystem angeschlossen. Ra­ dieses Jahrhunderts die Motorfahrzeuge tionierte schweizerische Waren konnten jetzt mehr und mehr Zunahmen, erstanden in ohne Bewilligung nach Büsingen verbracht Büsingen nicht weniger als 5 Benzintank­ werden, und damit galten die schweizerischen stellen. Diese Tankstellen konnten eben das Rationierungskarten auch für Büsingen. Benzin zum Welthandelspreise einkaufen, Allerdings erhielten diese Karten vorerst im Transit zollfrei nach Büsingen bringen nur folgende Personen: die in Büsingen woh­ und hier ohne jeden Zollaufschlag verkaufen. nenden Schweizer, die Landwirte, die ihre So kam es, daß man in Büsingen nur 18 Pfg. Erzeugnisse in der Schweiz verkauften und für einen Liter Benzin zahlte gegenüber schließlich die in der Schweiz arbeitenden 36 Pfg., also genau dem Doppelten, in Personen. Alle anderen Büsinger Einwohner Deutschland und immerhin noch gegen bekamen deutsche Bezugskarten, so daß es 26 Rp. in der Schweiz. Man kann sich den­ während des ganzen Zweiten Weltkrieges in 192 Neues Schulhaus der Exklave Büsingen kurioserweise sowohl mantel alege, wo mir mi Frau amed zum deutsche Bezugskarten wie auch schweize­ dütsche Zoll krocht hätt. Zgueterletscht han rische Rationierungskarten gab. ich no mi Soldatemütze i Tasche geschoppet, Mit Kriegsbeginn mußten, denn Büsingen und so han ich dann dörfe über de Schwii­ ist ja deutsch, auch die wehrpflichtigen Män­ zer Bode und am Schwiizer Zoll vorbii noch ner des Ortes zum Kriegsdienst einrücken. Büesinge goh. Ufern Ruckwäg — und wi Selbstverständlich erhielten diese Soldaten schnäll isch doch sonen Soldateurlaub vorbii von Zeit zu Zeit ihren Fronturlaub. Wie gsi — han ich dann bim dütsche Zoll in Gai- kamen aber die Urlauber nach Büsingen, da linge wider mini Waffe und mi Soldbuech sie als deutsche Soldaten ja die deutsch­ übercho. So isch da domols mit de Büesinger schweizerische Grenze nicht überschreiten Soldateurlauber gmacht worde. Gottlob, da durften? Wie der Grenzübertritt der Urlau­ di säbe Ziite vorbii sind!“ ber doch möglich gemacht worden ist, davon Im ganzen wurden während des letzten erzählt uns jetzt ein Büsinger Einwohner: Krieges in Büsingen etwa 230 Mann zum „Wann ich amed während em letschte Militärdienst einberufen. Von diesen sollten Chrieg als Soldat noch Büesinge in Urlaub 66 einschließlich der Vermißten und nach­ gange bi, han ich müesse bim dütsche Zoll träglich für tot Erklärten, die heute natür­ ,Gailinge Wescht' mini Waffe, also Karabi­ lich als gefallen gelten müssen, die Heimat ner, Pischtole und Sietegwehr deponiere und nicht mehr sehen, worunter 52 Soldaten, also usserdäm zu Kontrollzwäcke au ’s Soldbuech. fast Vs, an der Ostfront ihr Leben lassen De dütschi Zollbeamte hätt mir dünn noch mußten. Ein hoher Bluttribut für das kleine bsunders iigschärft, daß ich im Urlaub uff Dorf! gar kein Fall dürfi vo Büesinge us Schwiizer Erst am 9. Mai 1945, an diesem Tage trat Bode beträtte. Dann han ich müesse en Zivil­ gerade die allgemeine Kapitulation der deut­

13 Badische Heimat I960 193 sehen Wehrmacht in Kraft, besetzten die sätzliche Requirierungsvorteile zu verschaf­ Franzosen mit einem Offizier und 10 Mann fen. von Gailingen aus die Exklave Büsingen, Da schließlich in Büsingen seit Kriegsende nachdem sie für den Durchmarsch durch das nicht mehr wie früher Franken und Mark Schweizer Territorium eine Erlaubnis schwei­ nebeneinander zirkulierten, sondern nur zerischer Dienststellen eingeholt hatten. Dies noch Schweizer Geld umlief, so verspürte war übrigens die zweite Besetzung des Ortes die Exklave von Hunger und Elend, die durch fremde Truppen innerhalb eines Jahr­ Deutschland bis zur Währungsreform heim­ hunderts. Das erste Mal waren im Juli 1849 suchten, nichts. Die Büsinger taten dafür da­ 170 Mann hessischer Truppen mit einem mals viel Gutes: so nahmen sie bedürftige Dampfschiff von nach Büsingen Kinder aus Konstanz, i. Br. und gefahren, um da angebliche revolutionäre Gottmadingen auf und verpflegten sie Umtriebe zu beseitigen. Als dann die hes­ glänzend. sische Truppe zurückkehren wollte, machten „Auch für die große Hilfsbereitschaft der die Schweizer Schwierigkeiten, weil die Eies­ deutschen Gemeinde Büsingen, die 81 Frei­ sen durch ihre Fahrt nach Büsingen auf dem burger Kinder für vier bis sechs Wochen Rhein, der stellenweise auf beiden Ufern aufnahm, sei herzlichst gedankt“, schweizerisches Gebiet bespült, die schweize­ rische Territorialhoheit verletzt hätten. Bei­ ... schrieb die Stadt Freiburg i. Br. in ihrem nahe wäre es sogar zu kriegerischen Ver­ Bericht über die ihr von 1945—1949 zuteil wicklungen gekommen. Schließlich einigte gewordene Auslandshilfe. man sich vernünftigerweise doch, und die In Zeiten eines politischen Umbruchs Hessen konnten nach 10 Tagen wieder ab- kommt es hier immer wieder vor, daß die ziehen. Dieser Zwischenfall ist unter dem rasch wechselnden tatsächlichen Verhältnisse sich mit den auch für Büsingen geltenden Namen „Büsinger Handel“ in der Geschichte deutschen Rechtsnormen einfach nicht mehr bekannt. völlig in Übereinstimmung bringen lassen, so So kurz dauerte nun freilich die fran­ daß der Ablauf der Geschehnisse in der zösische Besetzung Büsingens im Jahre 1945 Exklave zeitweise und zum Teil etwas ab­ nicht. Immerhin wurde auf Veranlassung seits der Legalität vor sich geht, ohne daß der Schweiz das französische Detachement jemand hierfür etwas kann. Diesen Gegen­ bereits nach einem knappen halben Jahr aus satz zwischen dem rechtlichen und tatsäch­ Büsingen zurückgezogen. Dank seiner beson­ lichen oder dem De-jure- und dem De-facto- deren Lage bekam Büsingen während der Zustand hat man besonders während und Zeit der Besetzung auch nicht die volle Här­ nach dem zweiten Weltkrieg immer wieder te der Besatzungsverwaltung zu spüren. So beobachten können. Bisweilen stellten sich die deutschen Behörden bald auf den De-jure- mußten die Franzosen auf Requisitionen im und bald auf den De-facto-Zustand ein. Bei­ Dorfe über das zum Unterhalt der kleinen spielsweise hat man Büsingen gelegentlich Truppe erforderliche Maß hinaus verzichten. als zum deutschen Währungsgebiet gehörig Büsingen wurde nämlich seit dem 1. 8. 1945 betrachtet, obwohl in Büsingen tatsächlich bis zum Ende der Rationierung am 1. 7.1948 nur Schweizer Geld im Verkehr ist. Daß in vollständig von der Schweiz versorgt, so daß Büsingen aber die Schweizer Währung gilt, diese natürlich nicht gewillt war, neben der wird auch von den deutschen Amtsstellen Belieferung der Exklavebevölkerung auch anerkannt, denn die Steuern werden in noch der französischen Besatzungstruppe zu­ Büsingen mit Ausnahme der Kraftfahrzeug- 194 Alte Rheinmühle vorn Rhein aus

Steuer zwar nach den deutschen Steuersätzen zu legalisieren und besonders auch die erhoben, die Büsinger Steuerpflichtigen müs­ weiteren aus diesem Anschluß sich ergeben­ sen die Steuern jedoch in Schweizerfranken den wirtschaftlichen und sozialen Probleme entrichten. Ebenso nimmt die Poststelle in rechtlich zu regeln. Nach langwierigen Ver­ Büsingen nur Franken entgegen. handlungen wurde schließlich am 15. De­ Am 1. Januar 1947 hob die Schweiz ihre zember 1962 in Luzern zwischen der deut­ um die Exklave stationierten Zollposten auf schen und schweizerischen Delegation ein — eine sehr bedeutsame Maßnahme —, und Vertrag ausgehandelt und paraphiert, das damit wurde Büsingen tatsächlich an das heißt aufgesetzt und vorläufig unterzeichnet. schweizerische Zoll- und Wirtschaftsgebiet Dieser Büsinger Vertrag muß indessen, um angeschlossen und war kein Zollausschluß­ rechtswirksam zu sein, noch von den beid­ gebiet mehr im bisherigen Sinn. Eine Zeit seitigen Parlamenten in Bonn und Bern ge­ herrschte jedoch bei den zuständigen Instan­ nehmigt oder ratifiziert werden, was jetzt zen Unklarheit darüber, wie der neue Zu­ freilich nur noch eine Frage der Zeit sein stand vom Standpunkt des Rechts aus zu dürfte. beurteilen sei. All diese unerfreulichen Ver­ Etwa seitBeginn diesesjahres besitzt Bü­ hältnisse, wozu besonders auch die Frage der singen eine besonders interessante Einrich­ Dauerbeschäftigung von Büsinger Arbeitern tung. Am 10. Januar 1966 hat nämlich die in Schaffhausen kommt, veranlaßten schließ­ „Kirche des Nazareners“, eine den Metho­ lich die Gemeindeverwaltung, den maßgeb­ disten nahestehende und vor bald 70 Jahren lichen Stellen den Abschluß eines Staatsver­ in den Vereinigten Staaten gegründete evan­ trages über Büsingen zwischen Deutschland gelische Freikirche, in Büsingen eine Bibel­ und der Schweiz vorzuschlagen, um damit schule eröffnet, in der die künftigen Predi­ den Zollanschluß Büsingens an die Schweiz ger, Missionare und Lehrer in mehrjährigen

13* 195 Lehrgängen ausgebildet werden. Die Büsin­ geradezu als ein geschichtliches Raritäten­ ger Bibelschule, die gegenwärtig 20 Schüler kabinett bezeichnen möchte. und 6 Lehrer zählt, soll schon bald zu einem Wie jedes Ding, so hat dieser Exklave- europäischen Ausbildungszentrum dieser Zustand doch auch sein Gutes gehabt. Büsin­ „Kirche des Nazareners“ ausgebaut werden. gen ist nämlich gerade wegen der Grenze, 70 junge Leute haben sich bereits als Schüler wenn sie auch durch die Aufhebung des für das kommende Herbstsemester ange­ schweizerischen Zollkordons unsichtbar ge­ meldet. Ende Januar besichtigten an einem worden ist, nicht zu einem Vorort oder gar „Tag der offenen Tür“ nicht weniger als zu einem Stadtteil des nahen Schaffhausen geworden, sondern hat seinen Charakter als etwa 250 Personen, zumeist vom Orte, die ländliche Siedlung bis heute bewahrt. Ob neue Bibelschule. man von der hochgelegenen Buchthaler Büsingen hat also einzig wegen seiner Straße, von der Höhe der Rebhalde aus oder außergewöhnlichen Lage schon manche ob man vor der Bergkirche St. Michael stehend auf die Dächer Büsingens mit dem Wechselfälle der Geschichte erlebt. Diese ruhig fließenden Rhein im Hintergrund Ereignisse haben auch immer wieder zu herabschaut, nirgends wird der Blick, wie es höchst seltsamen Situationen geführt, die anderswo der Fall ist, durch Hochhäuser zum Teil noch jetzt bestehen und die sich oder Fabrikanlagen beleidigt. Die Flur der für die Bevölkerung der Exklave bald in Gemarkung erscheint als ein liebliches, von ungünstigem, gelegentlich auch in günstigem Wäldern und Wäldchen abwechslungsreich Sinne ausgewirkt haben. Die Merkwürdig­ unterbrochenes Hügelland, dem immer wie­ keiten, von denen ich Ihnen nur einen der der hier noch gänzlich unberührte Rhein kleinen Teil erzählen konnte, sind aber so seine besondere Note gibt. Büsingen ist noch zahlreich, daß man die Exklave Büsingen ein geruhsamer Ort zum Verweilen.

Du meine kleine Stadt 4 S er @[ef|'cf)erf)o£>e[ furcfhe beine Jpügcl Unö fd)liff fie roogeugleirh mit glaften gjanfen, Um bie ftcf) nun bie meinen Jpäufer ranfen ZBie ruf)enbe befbnnfe SaTferflügel. Sie ftnb roie ausgefcf)roärmfe Schmefferlinge 23om Suff ber 23Iumengärfen ganj burdf>brungen, 23on füfjen ißogelliebern F>e[I umfungen Unb hingegeben an ber Ufer Tßunberbinge. Sie alfe Sfabf am Sfranb ju if)ren Sü|3en/ S o fru^ig roet>rf)aft, roie fie einff geroefen, iff roie ein 23ilberbucf) 311 lefen 33on allen Jpügeln her, unb bie 23ergnngenheif Slidff aus ben Sifen in bie neue ^eit DTiif aifen, ablig furchigen ©efiebfern. J)aul Snffele 196