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FRANKA BRUNS / AP FRANKA CDU-Politikerin Steinbach*: „Was mich gestört hat, war die Debatte in Deutschland“

Merkels mit ihrer eigenen Partei. Dass die UNION Kanzlerin die Beziehungen zu Polen nicht unnötig belasten will, akzeptieren die meis- ten in der Union. Aber warum weist Mer- Angst vor der Wahrheit kel nicht wenigstens die Vorwürfe gegen Steinbach zurück? Und warum bietet sie Erika Steinbach ist zur Leitfigur der Konservativen aufgestiegen. Nur der SPD schon wieder nicht Paroli? Wie die Stimmung im konservativen ein freiwilliger Rückzug der Vertriebenenpräsidentin kann Unionslager gegenwärtig ist, zeigt der Par- Angela Merkels Probleme mit Polen und der eigenen Partei lösen. teiaustritt des früheren Ministerpräsiden- ten von Sachsen-Anhalt, Werner Münch, m meisten verletzen manchmal ten polnische Regierungsvertreter die in der vergangenen Woche. Münch, 68, die Dinge, die nicht gesagt werden. CDU-Politikerin mit ziemlich heftigen klagte in einem Brief über Merkels Hal- AErika Steinbach musste sich mit Schmähungen bedacht. Bundeskanzlerin tung zur Stammzell-Forschung, ihre Sym- dem konservativen Bischof und Holocaust- , deren Kabinett den Stif- pathie für Alice Schwarzer und ihren Um- Leugner Richard Williamson in einem tungsrat bestätigen muss, wollte sich wie so gang mit Personen, „die der Union jahre- Atemzug nennen lassen. Der polnische oft nicht festlegen. lang treu gedient haben“. Die öffentliche Außenminister Radoslaw Sikorski sagte, Eine wirkliche Debatte über die pol- Demütigung Papst Benedikts XVI. durch sie „kam mit Hitler ins Land und muss- nischen Attacken auf Steinbach hat in Merkel habe das Fass zum Überlaufen ge- te mit ihm wieder gehen“. In Polen gilt Deutschland gar nicht stattgefunden. Kein bracht. sie vielen als „blonde Bestie“. Mit alldem Mitglied der Bundesregierung hat sie Steinbach ist nun der nächste Testfall kann sie leben. gegen die überzogene Kritik aus War- für Merkel, für ihre Haltung zu traditio- „Was mich am meisten gestört hat in den schau öffentlich in Schutz genommen, kein nellen Positionen der Union und für ihre letzten Tagen, waren nicht die Angriffe aus Unionsminister und ganz besonders nicht Bereitschaft, die eigenen Leute zu schüt- Polen“, sagt Erika Steinbach. „Was mich die Kanzlerin. Die schwieg bislang beson- zen. „Man muss Frau Steinbach zur Seite gestört hat, war die Debatte in Deutsch- ders laut. stehen, niemand kann ihr vorwerfen, re- land.“ Wenn die Präsidentin des Bundes Die Gegenseite war weniger zimperlich. vanchistische Positionen zu vertreten“, sagt der Vertriebenen erklärt, es habe sie etwas Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der brandenburgische Innenminister Jörg gestört, klingt es so, als wenn die Queen bislang als chronischer Russland-Versteher Schönbohm. „Ich hätte mir gewünscht, sagt, sie sei nicht amüsiert. Es ist also ziem- bekannt, macht sich plötzlich Sorgen um dass die CDU die Angriffe zurückweist, lich ernst. die deutsch-polnischen Beziehungen. Die die ins Unmäßige gehen.“ Statt CDU hät- Der Sache ist das angemessen. Der Bund SPD-Kandidatin für das Amt der Bundes- te er auch Angela Merkel sagen können. der Vertriebenen hatte Steinbach als Rats- präsidentin Gesine Schwan legte Steinbach In der Bundestagsfraktion sind die Ab- mitglied für die „Stiftung Flucht, Vertrei- nahe, auf den Platz im Stiftungsrat zu ver- geordneten ähnlich verärgert über deren bung, Versöhnung“ benannt. Darauf hat- zichten. Schweigen. „Erika Steinbach muss als Per- So ist Steinbach gleich zur doppelten son vor diesen Angriffen geschützt wer- Symbolfigur geworden: zum einen für das den“, sagt der Vorsitzende der einfluss- * Mit Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und Erz- bischof Robert Zollitsch beim Tag der Heimat in schwierige deutsch-polnische Verhältnis, reichen baden-württembergischen CDU- vergangenen September. zum anderen für die Probleme Angela Landesgruppe im , Georg Brunn-

38 der spiegel 10/2009 Deutschland huber. „Wir müssen aufpassen, dass wir den, die sie als Präsidentin des Vertriebe- streuen. Man kann es aber auch wie Stein- nicht die letzten Getreuen verlieren. So nenverbands gehalten hat, ein Vortrag an bach machen und sagen: „Polen fürchtet viele haben wir nicht mehr, die uns emo- der Universität Warschau und der Katalog nicht die Umdeutung der Geschichte. Po- tional fest verbunden sind.“ der Ausstellung „Erzwungene Wege“ über len fürchtet die Wahrheit.“ CSU-Chef Seehofer hält Merkels Zu- Flucht und Vertreibung in Europa. Dass sie damit erst recht polnische Re- rückhaltung für falsch, aber er hat ihr ver- Man findet darin nichts, was erklären aktionen provoziert, nimmt Steinbach in sprochen, das Thema nicht hochzuziehen. würde, wie Steinbach zur Hassfigur in Po- Kauf. Sie kämpft auf ihre Art für ein Pro- Deshalb beißt er sich in der Öffentlichkeit len werden konnte. Es ist viel von Versöh- jekt, an dessen Berechtigung sie keine auf die Lippen. Andere in der CSU stehen nung, von Europa und von Menschenrech- Zweifel hat. „Ein Opferverband hat nicht dagegen nicht bei der Kanzlerin im Wort. ten die Rede. Und es stimmt ja, dass sie den die Aufgabe, diplomatisch zu sein.“ „Die Vertriebenen haben das Recht, von Vertriebenenverband unter ihrer Führung Wegen dieser Haltung ist sie zur Leit- ihrer Vorsitzenden vertreten zu aus der revanchistischen Ecke figur der deutschen Konservativen gewor- sein“, sagt der frühere Parteichef befreit hat. Sie hat Fürsprecher den. Endlich ist da jemand, der sich nicht Erwin Huber. „Polen sollte an- Der rechte Flü- wie Bundespräsident Horst Köh- um politische Korrektheit schert, der sich erkennen, dass das unsere Ent- gel der Union ler und den Schriftsteller Ralph mit dem Gegner anlegt, der klar sagt, was scheidung ist.“ liebt Stein- Giordano. Das sind keine Män- er denkt. Der rechte Flügel der Union liebt In der Union kursieren Spe- bach, weil sie ner, die man an der Seite einer Steinbach, weil sie das Gegenteil von An- kulationen darüber, wie viel das Gegenteil Unbelehrbaren vermuten würde. gel Merkel ist. Stimmen es kosten würde, sollte von Angela Doch das ganze Bild ergibt Den Polen aber macht Steinbach es mit Merkel Steinbach fallenlassen. sich nicht aus den hübschen Bro- ihrer Art leicht, sie zu dämonisieren. Dabei „Zwei bis vier Prozent könnten Merkel ist. schüren auf ihrem Tisch. Denn geht es in Warschau gar nicht in erster Linie es sein“, sagt ein hochrangiges dazu gehören nicht nur Gedenk- um sie selbst. „Es ist in Wirklichkeit keine Fraktionsmitglied. Im Kanzleramt kennt reden und Stiftungskonzepte. Dazu gehört Kontroverse über die Personalie“, sagte der man diese Rechnungen. Andererseits ist auch, dass sie vor 18 Jahren im Bundestag Botschafter in Berlin, Marek Prawda, vo- Merkel daran gelegen, den polnischen Mi- als eine von rund 25 Abgeordneten gegen rige Woche in aller Offenheit. Es geht vor nisterpräsidenten nicht zu die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze allem um polnische Innenpolitik. schwächen. Sie will gute Beziehungen zu gestimmt hat. Dazu gehört die Härte, die Dem Warschauer Ministerpräsidenten Polen, keinen Krach. sie ausstrahlt, der durchgedrückte Rücken, Donald Tusk sind freundschaftliche Bezie- Die Frau, um die sich die ganze Auf- die Kompromisslosigkeit, mit der sie agiert. hungen zu Deutschland wichtig, aber er regung dreht, holt einige Broschüren aus Man kann die polnische Sorge, die deut- darf im eigenen Land nicht als zu nachgie- ihrer Tasche und legt sie auf den Tisch. schen Täter wollten sich plötzlich als Opfer big erscheinen. Dass er das in Polen heftig „Damit Sie sich ein objektives Bild ma- inszenieren, für unbegründet halten und umstrittene Dokumentationszentrum nicht chen können“, sagt Steinbach. Es sind Re- trotzdem versuchen, diese Sorge zu zer- mehr bekämpft, sondern mit freundlicher sagt sie. Mitte März sei die Bun- desversammlung des Vertriebe- nenbunds. „Einen solchen Pro- zess kann man nicht zu lange hinziehen.“ Bedeutet das, dass sie bereit wäre, zu verzichten? „Ich werde diese Frage noch ein- mal mit dem Präsidium erörtern“, sagt sie. „Das ist eine Entschei- dung meines Verbands, keine per- sönliche.“ Natürlich könnte der Bund der Vertriebenen auch im Alleingang

CHRISTIAN THIEL (L.);CHRISTIAN (R.) D. KARMANN/PICTURE-ALLIANCE/DPA ein Zentrum gegen Vertreibun- Steinbach-Unterstützer Schönbohm, Posselt: Endlich ist da jemand, der klar sagt, was er denkt gen einrichten. Der Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe, Distanz betrachtet, war ein mutiger Schritt Es ist für Merkel eine heikle Situation: Je Bernd Posselt, hat bereits damit gedroht. von Tusk. Um ihn vor den eigenen Bürgern schärfer die Polen Steinbach attackieren, Aber das ist nicht das, wofür Steinbach zu rechtfertigen, braucht er nun ein Zuge- desto enger scharen sich die Konservativen gekämpft hat. Sie will eine Dokumenta- ständnis der deutschen Seite. Da kommt in der Union um sie. Die Kanzlerin kann tionsstätte, hinter der das Land steht, die Steinbach ins Spiel. nur darauf hoffen, dass ihre Parteifreundin Regierung, der Präsident, das Parlament, In Polen beharrt man zudem darauf, dass selbst das Problem für sie löst. keine Sektiererveranstaltung. die Bundeskanzlerin zugesagt habe, Stein- Steinbach ist lange genug Politikerin, um Was bleibt also, wenn Merkel weiter zau- bach nicht in den Stiftungsrat zu berufen. zu wissen, dass sie keine Chance mehr hat, dert, wenn der Vertriebenenbund an ihrer Sie dachten, die Personalie habe sich längst von der Bundesregierung für den Stiftungs- Nominierung festhält, wenn sich also nichts erledigt. Das Kanzleramt bestreitet dies. rat bestätigt zu werden. Sie könnte jetzt bewegt? Sie könnte immer noch sagen, sie Wahrscheinlich haben beide Seiten recht. von sich aus auf diesen Platz verzichten. wolle nicht mehr in den Stiftungsrat, auch Merkel hat Tusk versprochen, den Streit Dann wäre der außen- und innenpolitische wenn ihr Verband bei der harten Linie um die Stiftung einvernehmlich zu lösen. Schaden für die Kanzlerin am geringsten. bleibt. „Dann muss ich aber im selben Mo- Sie hat dieses Versprechen in der vergan- Aber will sie das? ment mein Amt als Vertriebenenpräsiden- genen Woche wiederholt. Einvernehmlich Auf diese Frage antwortet Steinbach tin niederlegen“, sagt Steinbach. Das wäre kann aus polnischer Sicht nur heißen: ohne plötzlich nicht mehr so eindeutig wie sonst. dann keine Lösung, die Merkels Kritiker Steinbach. Das weiß die Kanzlerin. „Ich plädiere für eine baldige Lösung“, besänftigen würde. Ralf Neukirch