Plenarprotokoll 14/134

Deutscher

Stenographischer Bericht

134. Sitzung

Berlin, Freitag, den 17. November 2000

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- Volker Rühe CDU/CSU ...... 12968 C neten ...... 12949 A Ulrich Irmer F.D.P...... 12971 C Wahl der Abgeordneten Leyla Onur als stell- vertretendes Mitglied in die Parlamentarische Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/ Versammlung des Europarates ...... 12949 A DIE GRÜNEN ...... 12971 D Monika Heubaum SPD ...... 12974 B Tagesordnungspunkt 21: Ulrich Irmer F.D.P...... 12976 A Erste Beratung des von der Bundesregie- Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12978 A rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Neugliederung, Vereinfachung und Wolfgang Gehrcke PDS ...... 12980 A Reform des Mietrechts (Mietrechtsreform- Joseph Fischer, Bundesminister AA ...... 12981 D gesetz) (Drucksache 14/4553) ...... 12949 B Volker Rühe CDU/CSU ...... 12984 A Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU ...... 12986 D BMJ ...... 12949 B SPD ...... 12988 D Dr.-Ing. Dietmar Kansy CDU/CSU ...... 12952 A CDU/CSU ...... 12991 C Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ...... 12954 B Gernot Erler SPD ...... 12992 A Hans-Michael Goldmann F.D.P...... 12955 D Dr. Evelyn Kenzler PDS ...... 12956 D Tagesordnungspunkt 23: Dirk Manzewski SPD ...... 12958 B Zweite und dritte Beratung des von den Ab- Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/CSU 12959 D geordneten Dr. Evelyn Kenzler, Maritta Böttcher, weiteren Abgeordneten und der Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ...... 12963 B Fraktion PDS eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Demokratisierung des F.D.P...... 12964 C Wahlrechts Margot von Renesse SPD ...... 12965 C (Drucksachen 14/1126, 14/2150) ...... 12992 C Wolfgang Spanier SPD ...... 12966 C Dr. Evelyn Kenzler PDS ...... 12992 D Harald Friese SPD ...... 12994 B Tagesordnungspunkt 22: (Recklinghausen) CDU/CSU 12995 C Antrag der Fraktion CDU/CSU: Der deut- Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12996 B schen Außenpolitik wieder Einfluss geben (Drucksache 14/4383) ...... 12968 B Dr. F.D.P...... 12997 C II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000

Tagesordnungspunkt 24: Anita Schäfer CDU/CSU ...... 13013 D Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Nächste Sitzung ...... 13014 D eines Gesetzes zur Änderung des Investi- tionszulagengesetzes 1999 (Drucksachen 14/3273, 14/4624; 14/4626, Anlage 1 14/4627) ...... 12998 D Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 13015 A (Heidelberg) SPD ...... 12999 A Gerhard Schulz CDU/CSU ...... 13000 A Anlage 2 Jochen-Konrad Fromme CDU/CSU . . . . . 13001 B Technisch bedingter Neudruck eines Redebei- (Leipzig) BÜNDNIS 90/ trages (133. Sitzung, 12906 ff) DIE GRÜNEN ...... 13001 D Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) CDU/CSU 13015 D Gerhard Schulz CDU/CSU ...... 13002 B

Cornelia Pieper F.D.P...... 13003 A Anlage 3 Dr. Barbara Höll PDS ...... 13003 D Technisch bedingter Neudruck einer zu Proto- Dr. Barbara Hendricks SPD ...... 13004 C koll gegebenen Rede zur Beratung des Ent- wurfs eines Gesetzes zur Namensaktie und zur , Staatsminister BK ...... 13004 D Erleichterung der Stimmrechtsausübung (Na- mensaktiengesetz – NaStraG) (Tagesordnungs- Tagesordnungspunkt 25: punkt 12, 133. Sitzung) Große Anfrage der Abgeordneten Klaus Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ 13017 D Brähmig, Ernst Hinsken, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion CDU/CSU: Aus- wirkungen der Ökosteuer und der hohen Anlage 4 Kraftstoffpreise auf den Deutschland- Technisch bedingter Neudruck einer zu Proto- tourismus koll gegebenen Rede zur Beratung des Antrags: (Drucksachen 14/3867, 14/4334) ...... 13005 D Sachgerechter Schutz der Rechte für Software Klaus Brähmig CDU/CSU ...... 13006 A (Tagesordnungspunkt 19, 133 Sitzung) Brunhilde Irber SPD ...... 13007 B Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ 13018 C F.D.P...... 13010 B Sylvia Voß BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . 13011 C Anlage 5 Rosel Neuhäuser PDS ...... 13012 D Amtliche Mitteilungen ...... 13020 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000 12949

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134. Sitzung

Berlin, Freitag, den 17. November 2000

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident : Guten Morgen, liebe Reform des Mietrechts greift die rot-grüne Bundesregie- Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. rung ein wichtiges Reformvorhaben auf, das trotz Mah- Der Kollege Gunnar Uldall feiert heute seinen 60. Ge- nungen aus den verschiedenen Bereichen, also von Mie- burtstag. Er ist leider nicht anwesend. Ich spreche ihm tern und Mieterverbänden, von Vermietern und ihren trotzdem die herzlichsten Glückwünsche des ganzen Hau- Organisationen wie auch von der Wohnungswirtschaft, ses aus. viel zu lange liegen geblieben ist. Ich erinnere daran, dass der Bundestag schon 1974 zu einer Generalüberholung, zu (Beifall) einer Modernisierung und einer Reform aufgerufen hat. Die Fraktion der SPD teilt mit, dass der Kollege Franz (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Nach 1974 Thönnes als stellvertretendes Mitglied aus der Parlamen- haben Sie noch fast neun Jahre regiert!) tarischen Versammlung des Europarates ausscheidet. Nachfolgerin soll die Kollegin Leyla Onur werden. Sind Mit dem Gesetz werden wir den Erwartungen gerecht, (B) Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. die Millionen von Mieterinnen und Mietern an uns, den (D) Dann ist die Kollegin Leyla Onur als stellvertretendes Deutschen Bundestag, richten. Sie wollen nämlich vor al- Mitglied in die Parlamentarische Versammlung des Euro- lem in Frieden miteinander auskommen können. parates gewählt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Hans- Der Ältestenrat hat vereinbart, dass in der Haushaltswo- Peter Repnik [CDU/CSU] : Danach haben Sie che vom 27. November 2000 keine Regierungsbefragung, doch neun Jahre regiert!) keine Fragestunde und keine Aktuellen Stunden stattfinden sollen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Wi- – Ich weiß gar nicht, warum Sie sich an dieser Stelle so er- derspruch. Dann ist auch dies so beschlossen. regen, Herr Repnik; aber Sie werden das sicherlich gleich sagen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Ich errege Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- mich nicht!) gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuglie- – Keine Erregung? Dann hat sich das hier nur so angehört. derung, Vereinfachung und Reform des Mietrechts (Mietrechtsreformgesetz) (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Verehrte Frau Ministerin, ich habe nur darauf hingewiesen, – Drucksache 14/4553 – dass Sie von 1974 bis 1982 noch fast neun Jahre Überweisungsvorschlag: Zeit hatten, das zu tun! Sie haben es aber nicht Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen gemacht!) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die – Sie hatten anschließend 16 Jahre Zeit, lieber Herr Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre Repnik, und zwar auf der Grundlage einer guten Vorbe- keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. reitung, die wir Ihnen bis Anfang der 80er-Jahre geliefert hatten. Vielen Dank für diesen Hinweis! Ich eröffne die Aussprache und erteile der Bundesmi- nisterin Professor Dr. Herta Däubler-Gmelin das Wort. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Dr. Herta Däubler-Gmelin,Bundesministerin der Das unterstreicht, dass wir gut daran tun, diesen Gesetz- Justiz: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! entwurf so zügig zu beraten, wie ihn die rot-grüne Bun- Mit dem Gesetz zur Neugliederung, Vereinfachung und desregierung vorgelegt hat. 12950 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000

Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin (A) Mit dem vorliegenden Gesetz erfüllen wir die grundle- machen das, wie der Deutsche Mieterbund, in hervorra- (C) gende Erwartung der Mieterinnen und Mieter auf der ei- gender Weise. nen Seite und der Vermieter auf der anderen Seite, vor al- len Dingen gut miteinander auskommen zu wollen. ( [Köln] [SPD]: Danke schön!) (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Auf der anderen Seite gibt es Verbände der Vermieter und [CDU/CSU]: Das tun sie ja!) der Wohnungswirtschaft, die auch ihre spezifischen Inte- ressen laut und deutlich äußern. Das ist gut so. Auch da- Wenn man gut miteinander auskommen will, ist esvon lebt unsere Demokratie. Die Aufgabe des Deutschen nicht hilfreich, wenn der eine oder andere nun wieder ir- Bundestages und der Bundesregierung ist es, diese Inte- gendwelche Forderungen stellt; vielmehr ist es entschei- ressen nicht nur zu sehen und sie zu würdigen, sondern sie dend, dass Rechtsgrundlagenbestehen, aus denen die auch zueinander in Relation zu setzen und ausgewogene Rechte und Pflichten mit großer Klarheit ersichtlich sind. Regelungen zu schaffen. Genau das tun wir. Genau dies bewirkt der neue Gesetzentwurf. Seine Rege- lungen sind gut lesbar. Er fasst zusammen, was bisher auf- (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: grund der unterbliebenen Reform in ganz unterschiedli- Sie sind nicht ausgewogen!) chen Gesetzen und Verordnungen zu suchen war, und er Dazu bewegen uns der Grundsatz des sozialen Schutzes ordnet auch die Rechte und Pflichten so verständlich, dass und das Erfordernis von Flexibilität, die heute von immer jeder sie dort findet, wo er sie sucht. mehr Menschen in unserem Land mit seinen modernen Lassen Sie mich ein ganz einfaches Beispiel nennen: Lebensverhältnissen tatsächlich verlangt wird. Wenn jemand in Zukunft etwas über die Voraussetzungen Ich möchte einige der wichtigen Punkte darlegen, die eines Mietvertrages sucht, dann findet er es am Anfang unser Gesetzentwurf enthält, wo es um sozialen Schutz, des Abschnitts über das Recht der Wohnraummiete im Flexibilität und Ausgewogenheit geht. Ich möchte das Bürgerlichen Gesetzbuch. Wenn sich jemand über die zunächst anhand des Kündigungsschutzes erläutern. Der Voraussetzungen und die Folgen einer Kündigung infor- mieren will, dann muss er ebenfalls im Bürgerlichen Ge- Kündigungsschutz ist wichtig, weil nur durch ihn Sicher- setzbuch nachschauen, allerdings weiter hinten, weil die heit und Verlässlichkeit bei Mieterinnen und Mietern, Rechtsfolgen der Kündigung im Schlussteil eines Miet- aber auch bei den Vermietern hergestellt werden kann. vertrages stehen. Beide, Mieterinnen und Mieter bzw. Vermieter, brau- Wir alle wissen, dass unser Mietrecht aus ganz ver- chen Sicherheit und Verlässlichkeit, allerdings in unter- schiedenen Gründen große Bedeutung hat: Über 60 Pro- schiedlicher Weise. Auf Grundlage der bisher geltenden Regelung ist alles rechtlich bisher gleich behandelt wor- (B) zent der Menschen in unserem Land wohnen zur Miete. (D) Sie brauchen bezahlbare, aber auch qualitativ gute, mo- den. Heute wissen wir, dass an die Arbeitnehmerinnen derne und umweltfreundliche Wohnungen. Wir alle wis- und Arbeitnehmer häufig die Anforderung eines schnellen sen, dass das Dach über dem Kopf zu den Grundrechten Arbeitsplatzwechsels – das ist sehr oft mit einem Umzug des Menschen gehört. verbunden – gestellt wird. Wir wissen, dass viele alte Menschen, die in ihrem Leben lange Zeit gute Mieter ge- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wesen sind, überraschend ins Altersheim umziehen müs- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der sen. Gleichzeitig hat auf unserem Wohnungsmarkt – allen CDU/CSU und der F.D.P.) regionalen Unterschieden zum Trotz – jeder Vermieter die Familien brauchen ein Dach über dem Kopf, das sie be- Möglichkeit, für eine gute Wohnung eine Mieterin oder zahlen können. einen Mieter zu finden. Auf der anderen Seite stehen die Vermieter. Wir wis- Vor dem Hintergrund dieser unterschiedlichen Interes- sen, dass sie sich mithilfe der Mieteinnahmen sehr häufig sen, Bedürfnisse und Lebensverhältnisse ist die von uns ein zweites Standbein, eine zusätzliche Absicherung, ver- vorgeschlagene Regelung außerordentlich sachgerecht: schaffen. Auch das ist wichtig. Wer will bestreiten, dass Bei einer Vertragsdauer von bis zu fünf Jahren haben die die Wohnungswirtschaft mit dem Bau, mit der Verwal- Mieter eine Kündigungsfrist von drei Monaten. Bei ei- tung und mit der Vermietung von Wohnungen zu einem ner längeren Vertragsdauer liegt die Kündigungsfrist bei sehr bedeutenden Wirtschaftsfaktor in unserem Land ge- sechs Monaten. Auch darüber kann man diskutieren. Da- worden ist? Gerade im Osten unseres Landes gibt es eine gegen bleibt bei den Vermietern alles beim Alten. große Zahl von besonderen Problemen. Auch das müssen wir einkalkulieren. Wir müssen diese unterschiedlichen (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Bereiche – die Interessen und Bedürfnisse der Mieterin- [CDU/CSU]: Das ist falsch!) nen und Mieter, die der Vermieter und die der Wohnungs- Ich denke, dass das angesichts der Forderungen der Inte- wirtschaft – im Auge behalten, wenn wir auf ressenverbände der eine sehr vernünftige und ausgewogene Grundlage unseres Gesetzes Vereinfachungen, Moderni- Regelung ist. sierungen und Reformen vornehmen wollen. Die Vertreter der Vermieter sagen natürlich, das sei un- Natürlich gibt es – bei aller Ausgewogenheit – auf der gerecht, einen oder anderen Seite zusätzliche gruppenspezifische Erwartungen. Es gibt auf der einen Seite Interessenver- (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten bände, die für die Mieterinnen und Mieter sprechen. Sie [CDU/CSU]: Genau!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000 12951

Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin (A) während die Sprecherinnen und Sprecher des Mieterbun- es bei der wissenschaftlichen Ausarbeitung, bei der Aner- (C) des fordern, diese Frist einheitlich sogar auf drei Monate kennung durch die Gemeinden und/oder durch die Ver- festzusetzen. Ich bin ganz sicher, dass diese unterschied- bände zum Streit kommen. Ich fände es außerordentlich lichen Überlegungen der Interessenvertretungen in den gut – das möchte ich an dieser Stelle deutlich sagen –, Ausschüssen noch gründlich gewürdigt und auch bespro- wenn es hierbei auch weiterhin zu einem Zusammenwir- chen werden. ken der unterschiedlichen Interessenverbände vor Ort käme. Aber auf jeden Fall müssen wir verhindern, dass es Ich komme zum zweiten Punkt, nämlich zu den hier zu einer gegenseitigen Blockade kommt; dement- Kappungsgrenzen. Kappungsgrenzen dienen, wie wir sprechend werden wir dann auch die entsprechenden Re- wissen, dazu, die spezifischen Möglichkeiten von Miet- gelungen konstruieren. erhöhungen für einen bestimmten Bereich des Woh- nungsmarktes auf ein vernünftiges Maß zu begrenzen; wir (Beifall bei der SPD) reduzieren den erlaubten Mietanstieg von 30 Prozent auf Wir fördern, weil bezahlbarer und moderner Wohn- 20 Prozent. raum dringend notwendig ist, die Modernisierung. Nach (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten unserem Gesetzentwurf kann deshalb in die Modernisie- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – rungsumlage all das einbezogen werden, was der Ein- Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: sparung von Energie dient. Das galt bisher nicht für alle Das ist falsch! Investitionsfeindlich!) Modernisierungsmaßnahmen. Die Erweiterung ist gut, weil der Mieter, der zwar auf der einen Seite mehr bezah- – Wer hier „falsch“ sagt, verehrter Herr Kollege, sollte len muss, auf der anderen Seite weniger Verbrauchskosten wissen, dass er sich damit gegen den Schutz von wirklich hat. Wir haben uns deshalb für diesen Weg entschieden. schutzbedürftigen Familien, meistens in Ballungsräumen, Ich weiß aber sehr wohl, dass manche sagen, es wäre doch ausspricht. viel gescheiter gewesen, die Modernisierungsumlage ent- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – weder ganz zu streichen, da sie im Rahmen eines Ver- Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: gleichsmietensystems sowieso immer ein Fremdkörper Es sind doch Wohnungen frei!) ist, oder wenigstens zu senken. Wir tun das nicht, weil wir Modernisierungsmaßnahmen fördern wollen. Wer die soziale Schutzfunktion des Mietrechtes bejaht, darf dieses Vorhaben nicht als falsch bezeichnen. Klarheit schaffen wir bei den Zeitmietverträgen. Das ist eine gute Sache. Wir schaffen mehr Flexibilität bei (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Staffel- und Indexmieten für den Teil unserer Mieterinnen DIE GRÜNEN – Hans-Michael Goldmann und Mieter, der genau diese Mietformen will. Für diese [F.D.P.]: Wo leben Sie denn?) (B) schafft der Gesetzgeber in der Tat mehr Transparenz. (D) Die Kappungsgrenze, die Sie auf 30 Prozent erhöht ha- Die Prinzipien sozialer Schutz und Flexibilität bestim- ben, senken wir wieder auf 20 Prozent. Das ist richtig so. men auch die Regelungen für die Umwandlung von Miet- Ich komme zum dritten Punkt, meine Damen und Her- wohnungen in Eigentumswohnungen. Der starre Schutz, ren, zum Problem derNebenkosten. Nebenkosten ma- der für alle gilt, kann regional nämlich deutlich ausge- chen allen zu schaffen. Im Übrigen sehen das auch die weitet werden. Damit kann auf den Segmenten des Woh- Vermieter. Nun kann der Gesetzgeber die Nebenkosten nungsmarktes, in denen es noch Schwierigkeiten gibt, für nicht einfach festsetzen. Sie bleiben natürlich dem Spiel mehr Schutz gesorgt werden. Dabei müssen wir allerdings der Marktkräfte überlassen. Aber was der Gesetzgeber tun aufpassen, dass alle Missbrauchsmöglichkeiten ausge- kann, das tut er: Unser Gesetzentwurf sorgt für mehrschlossen werden. Das Instrument der Umzugsregelung Transparenz und Abrechnungsgerechtigkeit. Das senkt und -hilfe sorgt zum Beispiel dafür, dass einer, der eine die Kosten. Außerdem hat der Mieter aufgrund des von Wohnung gekauft hat, dem bisherigen Bewohner eine uns festgeschriebenen Grundsatzes, dass nach Verursa- Wohnung anbietet, sodass dieser dann in diese einziehen chung und Verbrauch abgerechnet werden soll, die Mög- kann. lichkeit, die Nebenkosten auch durch eigenes Tun im Rah- Wir nehmen noch eine ganze Reihe von anderen Pro- men zu halten. blempunkten auf. Ich glaube, es ist ein Vorzug dieses Ge- Unsere Absichten werden übrigens auch bei den Rege- setzentwurfs, dass er das in einer sehr klaren, verständli- lungen für Mieterhöhungen – das ist der vierte Punkt – chen und auch ausgewogenen Weise tut. sehr deutlich. Wir bauen auf den bewährten Grundsätzen Allerdings, meine Damen und Herren, machen wir ei- auf, beziehen weitere Grundsätze ein, die sich im Rahmen nen Fehler nicht: Da, wo die Rechtsprechung – und zwar der Rechtsprechung entwickelt haben, und schreiben die in der Entscheidung von einzelnen Fällen – vernünftige notwendigen Regelungen fest. Damit entwickeln wir das Regelungen entwickelt hat, meinen wir nicht, wir müss- Recht weiter. Konkret: Wir behalten zwar das bewährte ten hier zum Beispiel durch eine Regelung bei den Schön- Vergleichsmietensystem bei; da aber die Feststellung der heitsreparaturen ein System, das sich sehr bewährt hat, Vergleichsmiete gelegentlich Schwierigkeiten macht, er- durcheinander bringen. Das bleibt, wie es ist. weitern wir die Instrumente zur Feststellung der Ver- gleichsmiete. Neben dem einfachen Mietspiegel soll es Lassen Sie es mich zum Schluss nochmals deutlich sa- einen qualifizierten Mietspiegel geben, bei dem die An- gen, was wir wollen: Wir möchten – und wir schaffen es forderungen an seine Erstellung höher sind. Damit einher mit diesem Gesetz – den Mieterinnen und Mietern und gehen dann aber auch erweiterte Rechtsfolgen. Hier kann den Vermietern eine klare und ausgewogene und vor allen 12952 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000

Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin (A) Dingen eine faire Grundlage für ein gutes Zusammenle- schrecken, ihr Kapital in Wohnungen zu investieren. Über (C) ben bieten. eine mehr oder weniger attraktive Eigenheimzulage er- mutigt er darüber hinaus Menschen – mehr oder weniger –, Damit verbinden wir die Hoffnung, dass wir einen er- selbst Wohnungseigentum zu bilden. heblichen Teil der heute bei den Gerichten anhängigen über 300 000 Mietprozesse überflüssig machen. Das ist Das Mietrecht ist für Millionen Vermieter und – wie die unser Ehrgeiz. Ministerin schon ansprach – für knapp 60 Prozent der Be- völkerung Deutschlands, die zur Miete wohnen, von ele- Wir sollten diesen Gesetzentwurf in den Ausschüssen mentarer Bedeutung. Eine mehr mieterfreundliche oder zügig beraten, damit die verschiedenen Bereiche, die hier mehr vermieterfreundliche Ausformung hat nicht nur Ein- alle angesprochen sind, bald etwas davon haben. fluss auf die Miethöhe – das weiß jeder –, sondern auch Herzlichen Dank. auf die Anzahl und die Qualität der Wohnungen. Für die CDU/CSU galt während ihrer Regierungszeit und gilt (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ auch heute noch die Leitlinie: Ein ausreichendes Woh- DIE GRÜNEN) nungsangebot ist der beste Mieterschutz. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so- Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile dem Kolle- wie bei Abgeordneten der PDS) gen Dietmar Kansy, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. Ich muss heute noch einmal daran erinnern, dass die jetzige rot-grüne Koalition den Wohnungsmarkt in bester Dr.-Ing. Dietmar Kansy (CDU/CSU): Herr Präsi- Verfassung vorgefunden hat, und die ist nicht vom Him- dent! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und mel gefallen, sondern einer konsequenten Wohnungspoli- Kollegen! Sie haben Recht, Frau Ministerin – ich freue tik der Vorgängerregierung zu verdanken. mich, dass zwischenzeitlich auch zwei Staatssekretäre aus dem Bauministerium eingetroffen sind; der Minister ist (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) uns ja nun bedauerlicherweise wieder abhanden gekom- Von Fertigstellungszahlen von über 600 000 Wohnungen men –: jährlich Mitte der 90er-Jahre bis hin zu den daraus resul- (Heiterkeit bei der CDU/CSU) tierenden historischen Tiefständen der Mietindexsteige- rung von 1,1 Prozent im Jahr 1999 – nie hat eine neue Re- Ein gesichertes Dach über dem Kopf ist ein elementares gierung in einem für die Bedürfnisse aller Menschen so Grundbedürfnis der Menschen. Dies sicherzustellen – ich zentralen Bereich, wie ihn ein angemessener Wohnraum sage das über alle Regierungswechsel und Fraktionsgren- darstellt, eine so ausgesprochen günstige Position vorge- zen hinweg – ist ein Eckpfeiler der deutschen Politik nicht (B) funden wie Sie. (D) nur, aber insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg ge- wesen, allerdings verteilt auf unterschiedliche staatliche (Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Da haben Ebenen unseres föderativen Systems, also auf Bund, Län- Sie Recht!) der und Gemeinden. Deswegen möchte ich gleich anfügen, obwohl mein Aber auch in diesem Politikbereich gilt – trotz des ge- Kollege Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten darauf noch sicherten Dachs über dem Kopf – neben dem Prinzip der eingehen wird: Wer eine Politik macht mit Mietpreisstei- Solidarität das Prinzip der Subsidiarität. Das heißt im gerungen von 1,1 Prozent im Jahr – wie wir sie gemacht Bereich der Wohnungspolitik: Die Wohnung ist gleicher- haben –, braucht sich eben nicht den Kopf darüber zu zer- maßen ein hohes Sozialgut, aber auch ein teures und lang- brechen, ob die Kappungsgrenze bei 30 oder 20 Prozent lebiges Investitionsgut. Staatliche Hilfen im materiellen, im Jahr liegen soll. aber auch im immateriellen Sinne, zum Beispiel das Miet- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) recht, sollten deswegen Hilfe zur Selbsthilfe sein und nicht ein allumsorgendes staatliches Recht. Nun haben wir teilweise, insbesondere in den neuen Bundesländern, sektorale Leerstände. Ich glaube aber, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) dass die derzeitige Regierung und die sie tragenden Frak- Meine Damen und Herren, der Bund hat in der Woh- tionen eine verhängnisvolle Fehleinschätzung begehen, nungspolitik Aufgaben in vielfältiger Weise zu erfüllen. (Rainer Funke [F.D.P.]: Das ist reine Ideologie!) Im Zusammenhang mit dem sozialen Wohnungsbau, der Städtebauförderung, dem Programm „Soziale Stadt“ oder und zwar nicht nur in den einzelnen Politikbereichen. Das dem Wohngeld gewährt er eine direkte objekt- oder sub- zeigen zahlreiche Maßnahmen, die in den letzten beiden jektgebundene Förderung, die heute dem Minister fürJahren hier beschlossen wurden: die radikale Kürzung der Verkehr, Bau- und Wohnungswesen obliegt. Aber wir sind Mittel für den sozialen Wohnungsbau, die gleichzeitige uns klar darüber, dass das Steuerrecht und das Mietrecht Verschlechterung der steuerlichen Rahmenbedingungen einen mindestens genauso großen Einfluss auf ein ausrei- für den freifinanzierten Mietwohnungsbau, die Ver- chendes und bezahlbares Wohnungsangebot haben. schlechterungen bei der Eigenheimzulage oder jetzt, Frau Ministerin, einzelne beabsichtigte Änderungen im Miet- Das Steuerrecht ermöglicht es dem Staat, imMiet- recht. wohnungsbau durch verschiedene „Stellschrauben“, zum Beispiel durch AfA oder Spekulationsfrist oder an- Wirklich schlimm ist, dass wir im Bund zum ersten deres, private Investoren zu ermuntern oder aber abzu- Mal überhaupt keine abgestimmte Wohnungspolitik ha- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000 12953

Dr.-Ing. Dietmar Kansy (A) ben. Das ist noch freundlich formuliert; eigentlich gibt es Die unter der Regierung Kohl gebildete Bund-Länder- (C) gar keine Wohnungspolitik dieser Regierung. Der Baumi- Arbeitsgruppe zur Mietrechtsvereinfachung – ich betone: nister fährt den sozialen Wohnungsbau herunter, der Fi- Vereinfachung; nomen est omen – hatte hauptsächlich das nanzminister verschlechtert die steuerlichen Rahmenbe- Ziel, eine Mietrechtsvereinfachung zu erreichen. In Teil- dingungen, reduziert die Förderung des selbstgenutzten bereichen sollten Innovationen möglich sein. Dazu stan- Wohneigentums, und Sie, Frau Ministerin, legen jetzt ein den und stehen wir. Wir stehen aber nicht dazu, das von Mietrecht vor – – mir angesprochene Gleichgewicht in der Weise zu ver- schieben, wie es im Regierungsentwurf vorgesehen ist. (Christine Ostrowski [PDS]: Zum Thema, bitte!) Richtig ist: Die derzeitigen gesetzlichen Regelungen erfüllen nicht – oder zumindest nicht mehr – den An- – „Zum Thema!“, ruft da jemand. Das ist das Verständnis spruch auf Übersichtlichkeit, Klarheit und Verständlich- dieser Leute von Wohnungspolitik. Hauptsache, die Para- keit; denn in den letzten 40 Jahren sind viele Änderungen graphen stimmen. Das Dach über dem Kopf ist das We- der Vorschriften im Bürgerlichen Gesetzbuch selbst oder sentliche! auch in anderen Gesetzen erfolgt. So ist es dem Bürger (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zum Beispiel angesichts der Änderungen im Miethöhe- gesetz oder im Sozialklauselgesetz – es beinhaltet den Die Ministerin verschlechtert jetzt mit einer ganzen Schutz des Mieters bei Umwandlung der Wohnung in eine Reihe von Bestimmungen auch die Rahmenbedingungen Eigentumswohnung – fast unmöglich, dieses Mietrecht zu weiter. verstehen und zu begreifen. (Rainer Funke [F.D.P.]: Sehr richtig!) Deswegen ist es gut, dass sich der Deutsche Bundestag Wenn es in Zukunft überhaupt noch Investoren geben soll, heute endlich in die Debatte um ein neues Mietrecht ein- die sich nicht entmutigt fühlen, dann bedarf es mehr als schalten kann; denn diese Gesetzgebungsmaterie, die für einiger kleiner Korrekturen bei den anstehenden Aus-über 15 Millionen Mieterhaushalte von großer Bedeutung schussberatungen. Ich sage das im vollen Bewusstsein der ist, hat in der Länderkammer immerhin schon einen Be- komplizierten Situation und im vollen Bewusstsein der ratungsvorlauf von über einem Jahr. Ich erinnere daran, Tatsache, dass Sie jeden zweiten Tag in einer Sendung dass Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen bereits im oder in einem Presseartikel vonWohnungsleerständen September 1999 einen entsprechenden Reformgesetzent- hören oder lesen. Das gilt für partielle Bereiche Deutsch- wurf im Bundesrat eingebracht haben, also lange bevor lands; das gilt aber nicht überall. die Bundesregierung einen entsprechenden Gesetzent- wurf eingebracht hat. Wenn wir nicht aufpassen, kommt der nächste so ge- (B) nannte Schweinezyklus in der Wohnungspolitik wieder. Die CDU/CSU hatte damals gehofft, dass diese Initia- (D) Ich sagte schon, dass die durchschnittliche Neubaurate tive der beiden SPD-regierten Länder eine Art Minen- Mitte der 90er-Jahre bei 600 000 lag. In diesem Jahr er- hundfunktion hatte, mit der man herausfinden wollte, ob wartet das Städtebauinstitut eine Neubaurate von nur noch die Möglichkeit eines Konsenses mit der CDU/CSU und 380 000. Das bedeutet schlicht und ergreifend, dass die so mit den CDU- und CSU-regierten Bundesländern be- genannte Ersatzbaurate zwischenzeitlich schon unter-stand. Das war uns damals sehr recht. Für diesen Konsens schritten wird. schien zunächst einmal zu sprechen, dass die beiden be- teiligten Bundesratsausschüsse eine Arbeitsgruppe bilde- Wie bereits gesagt, wird mein Kollege Dr. Wolfgang ten und einen ernsthaften Anlauf unternahmen, das Freiherr von Stetten die einzelnen Vorschriften noch be- Thema Mietrecht so zu behandeln, dass das Potenzial für sprechen. Eines ist aber für die CDU/CSU-Fraktion klar Polemik niedrig gehalten wurde – wir wissen, dass dies in und auch für unseren ehemaligen Staatssekretär Funke der Vergangenheit nicht immer der Fall war – und dass – wir beide wissen, wovon wir reden; Sie können dazu eine über eine Wahlperiode hinausgehende Rahmenset- nachher auch gern Stellung nehmen –: zung möglich war. Ich bedauere es für meine Fraktion (Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Das ist nett ausdrücklich, dass dieser Anlauf durch die Meinungsbil- von Ihnen!) dung in der rot-grünen Koalition im Bund und mit der Be- schlussfassung des Bundeskabinetts über einen Regie- Zur Vereinfachung ein klares Ja, zur Verschiebung des in rungsentwurf beendet wurde. langen Jahren der Gesetzgebung und Rechtsprechung ge- fundenen sensiblen Gleichgewichts zwischen Mietern Frau Ministerin, Sie haben uns nicht nur mit dem Ge- und Vermietern ein klares Nein. setzentwurf selber, sondern auch mit Ihren Äußerungen beim Deutschen Mieterbund am 12. September schwer ir- (Rainer Funke [F.D.P.]: Das will ja auch ritiert; denn sie waren völlig inakzeptabel. Die Ministerin keiner!) hat damals gesagt – ich erwähne dies für die Kolleginnen und Kollegen, die nicht dabei waren –, in den Parla- Wir haben uns in der letzten Legislaturperiode als Re- mentsberatungen sollten über den Gesetzentwurf hinaus gierungsfraktion mit der F.D.P. nicht geeinigt, weil sie das eine weitere Absenkung der Kappungsgrenze auf 15 Pro- Gleichgewicht zulasten der Mieter verschieben wollte, zent, asymmetrische Kündigungsmöglichkeiten für Mie- und wir werden uns heute weigern, dieses Gleichgewicht ter mit einer Absenkung der Kündigungsfrist von sechs zulasten der Vermieter zu verschieben. auf drei Monate, der Verzicht auf Zustimmungsbedürftig- (Beifall bei der CDU/CSU) keit bei der Erstellung von qualifizierten Mietspiegeln 12954 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000

Dr.-Ing. Dietmar Kansy (A) durch die Vermieterseite, die Erhöhung der Sperrfristen feproblematik Ost ganz anders, als Sie das gemacht ha- (C) bei Umwandlungskündigung und die Kündigungsmög- ben, werden eine Reform des sozialen Wohnungsbaus auf lichkeit des Vermieters aufgrund Zerrüttung geprüft wer- den Weg bringen und sind jetzt dabei, das Mietrecht zu re- den. Diese Punkte waren nicht Bestandteil des Regie-formieren. Ich glaube, da können Sie sich wirklich nicht rungsentwurfs. beschweren, oder Sie sind irgendwie in einem anderen Film. Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, nachdem der Kabi- nettsbeschluss vorlag, haben Sie in der Berliner Presse be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hauptet, dieser Gesetzentwurf entspreche nicht den Ab- und bei der SPD) sprachen innerhalb der Koalition. Deswegen lautet meine Frage: Was gilt denn nun? Gilt der Gesetzentwurf, gelten Als Zweites möchte ich mich ganz herzlich bei der die Ankündigungen der Ministerin oder gelten Ihre Be- CSU dafür bedanken, dass sie es in der letzten Legisla- merkungen? Es gab erfreulicherweise zwischenzeitlich turperiode verhindert hat, dass es eine Mietrechtsreform eine Annäherung zwischen Referentenentwurf und Kabi- unter Ihrer Regierung, Schwarz-Gelb, gegeben hat. Denn nettsbeschluss. Ich nenne in diesem Zusammenhang die der Mietrechtsentwurf, den die F.D.P. hier jetzt wieder Modernisierungsumlage und die Asymmetrie der Kündi- vorgelegt hat, macht mir in Bezug auf seine Zielsetzung gungsmöglichkeit. große Sorge. Von daher bin ich froh, dass Sie uns die Chance überlassen, über ein wirklich ausgewogenes Re- (Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ formkonzept zu beraten. DIE GRÜNEN]: Ja, was wollen Sie denn noch? Sie haben es doch mitgekriegt!) (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Wo ist da Ausgewogenheit?) – Wir beobachten die Entwicklung sehr genau. Das tut, glaube ich, der Gesellschaft und den auch von Ih- Wir begrüßen auch die Stellungnahme der Bundesre- nen genannten vielen Vermietern und Mietern wirklich gierung zu den Bundesratsbeschlüssen, eine Mietrechts- gut. reform nicht ohne eine Regelung bezüglich der prozess- trächtigen Schönheitsreparaturen vorzunehmen, sowie Zur Sache: Ich glaube, wir haben hier einen Reform- die Bereitschaft zur Überprüfung des vor allem für die vorschlag vor uns liegen, der zum einen dem Ziel, die in neuen Länder wichtigen Anliegens, bei erheblichem Woh- den Einzelgesetzen verstreuten Regelungen zusammen- nungsleerstand eine Kündigung zum Zwecke der Verwer- zufassen und neu zu ordnen sowie das Mietrecht einfacher tung des Grundstückes zuzulassen. zu machen, einen deutlichen Schritt näher kommt und zum anderen allen Beteiligten, nicht zuletzt der Justiz, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) hilft bzw. die Justiz entlastet. (B) (D) Lange Rede, kurzer Sinn: Die CDU/CSU-Fraktion Obwohl ja bekannt ist, dass ich mich sehr stark für wird die Beratungen in beiden Ausschüssen, im feder- Mieterinteressen engagiere, denke ich, dass es richtig ist, führenden Rechtsausschuss und im Bauausschuss, ernst dass wir einen Gesetzentwurf vorliegen haben, der auf ei- nehmen und den Gesetzentwurf von Vorschrift zu Vor- nen fairen Interessenausgleich zwischen der Vermieter- schrift daraufhin überprüfen, was mit uns machbar ist und seite und der Mieterseite achtet, der auf der einen Seite was nicht. Wir wollen eine Vereinfachung und – ich wie- Bausteine für mehr Liberalisierung und Stärkung der Ver- derhole mich – sinnvolle Innovationen zum Beispiel im tragsfreiheit enthält – Dinge, die die Mieterverbände Umweltbereich. Aber wir wollen keine Verschiebung des durchaus kritisch sehen. Wir nehmen diese Einwände sehr sozialen Gleichgewichts durch diese Mietrechtsreform. ernst. Wir tragen auch Verantwortung für die Ausgewo- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) genheit. Auf der anderen Seite enthält der Gesetzentwurf wichtige Bausteine, die die Mieterseite stärken. Ich nenne die beiden, die mir die wichtigsten sind: die Stärkung des Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile der Kolle- Mietspiegels – ich bin froh, Herr Kollege Kansy, dass Sie gin Eichstädt-Bohlig, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. doch auch die Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates gelesen haben – und die Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE Absenkung der Kappungsgrenzen. Das sind Punkte, die GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol- den Mietern mehr Rechtssicherheit und mehr Schutz an legen! Lieber Herr Kollege Kansy, als Erstes muss ich Stellen geben, wo es sehr wichtig ist. Ihre Erklärung, es gebe in dieser Koalition keine Woh- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- nungspolitik, mit Erstaunen zur Kenntnis nehmen. Offen- wie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Wolfgang bar haben Sie sowohl die letzten zwei Jahre als auch die Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Stimmt doch aktuellen Haushaltsberatungen entweder einfach ver- gar nicht!) schlafen oder nicht zur Kenntnis genommen. Ich denke, wir haben bisher eine sehr engagierte Wohnungspolitik Weil Wohnungen kein x-beliebiges Wirtschaftsgut gemacht. Wir haben die Mittel für die Städtebauförderung sind, sondern eine existenzielle Voraussetzung für ein gerade bei dieser Haushaltsberatung erhöht. Wir haben menschenwürdiges Leben, ist es zwar richtig, dass, wie das Programm „Soziale Stadt“ auf den Weg gebracht und Sie, Herr Kansy, gesagt haben, das Mietrecht ein Instru- den Ansatz jetzt wieder ein Stück hochgeschoben. Wir ha- ment für Subsidiarität ist, das den gesellschaftlich betei- ben ein sehr engagiertes Altbausanierungsprogramm auf ligten Kräften und Vertragspartnern ein hohes Maß an Ei- den Weg gebracht, kümmern uns um die Altschuldenhil- genverantwortung überträgt – ich weiß nicht, was Sie da Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000 12955

Franziska Eichstädt-Bohlig (A) beim Mietrecht insgesamt zu klagen haben –, möchte ich Von daher ist aus unserer Sicht das Konzept der Koali- (C) aber doch sehr deutlich in Richtung F.D.P. sagen, dass ich tion und der Regierung, die Kappungsgrenze der Miet- ihren Ansatz unverantwortlich und unvereinbar mit dem steigerungen bei den Bestandsmieten auf 20 Prozent zu Sozialstaatsprinzip finde. Sie, Herr Funke, meinen, das senken, richtig. Ich habe es nicht so verstanden, dass die Mietrecht müsse von all seinen sozialen Schutzfunktio- Frau Ministerin von 15 Prozent gesprochen hat. Sie hat nen entrümpelt werden. vielmehr zu dieser Absenkung gestanden. Sie hat berich- tet, dass aus München weitere Forderungen gekommen (Rainer Funke [F.D.P.]: Das habe ich gar nicht sind. Zu der Absenkung auf 20 Prozent stehen wir. Wir gesagt!) halten sie für angemessen. Für die Mieter bringt eine Wir wollen ein modernes und zeitgemäßes Mietrecht, das Mietsteigerung von 20 Prozent – das ist ein enormer Verantwortung überträgt, aber wir wollen keinen Ab-„Schluck aus der Pulle“ – genügend Probleme. Für die schied vom Sozialstaatsprinzip. Das gilt für Rot-Grün. Vermieter ist das aber ein zumutbares Maß. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Lassen Sie mich nun das Problem der Kündigungsfris- und bei der SPD) ten ansprechen. Wir Grünen setzen uns im Verfahren auch weiterhin deutlich für eine einheitliche Kündigungsfrist Wir nehmen auch die Bedenken zum Gesetzentwurf, von drei Monaten für Mieter ein. die gerade jetzt noch einmal vom Mieterbund gekommen sind, sehr ernst. Darum haben wir auch noch einige (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ Punkte, um die wir in der Koalition ringen; das kann ich CSU]: Auf beiden Seiten!) deutlich sagen. Da brauchen Sie gar nicht immer Zei-Wir hoffen, dass wir den Koalitionspartner da auf unserer tungsartikel zu zitieren; wir haben das selber schon klar- Seite haben. Wir finden es richtig, darüber zu verhandeln, gemacht. inwieweit auf der Seite der Vermieter eine Absenkung Ich nenne dafür einige Beispiele. Wir wollen, dass sich durchgesetzt werden kann. Aber das Konzept der asym- durch die so genannte Zerrüttungskündigung auf kei- metrischen Kündigungsfristen möchten wir nicht angetas- nen Fall eine Verschlechterung gegenüber der heutigen tet wissen. Wir wissen sehr wohl, dass zwischen Vermie- Rechtslage ergibt. Hieraus darf auf keinen Fall ein Frei- ter und Mieter gerade bei dem Gut Wohnung deutliche brief für Mobbing und Willkür entstehen. Deswegen wer- Unterschiede bestehen. Von daher muss den Mietern mehr den wir die Besorgnisse des Mieterbundes sehr ernsthaft Handlungsspielraum gegeben werden. prüfen. Wir wollen außerdem keinen Missbrauch des In- Ich fände es schön, wenn es gelänge, noch einmal das struments des Zeitmietvertrags. Deswegen werden wir Thema der Schönheitsreparaturen aufzugreifen. Wir im weiteren parlamentarischen Verfahren intensiv prüfen, wissen es alle – darüber hat es schon eine Reihe von Ge- (B) ob mit der Vorlage die Probleme schon gelöst sind oder ob sprächen gegeben –: Es ist sehr schwierig, eine einfache (D) Nachbesserungsbedarf besteht. Formel zu finden, die mehr Rechtssicherheit schafft. (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Aha! Dann müssten weniger strittige Fälle bis vors Gericht ge- Das ist ein klares Wort!) tragen werden. Ich hoffe, dass wir noch eine Formel fin- den. Wir haben ja schon viele Diskussionen geführt und Ich möchte – gerade auch in Ihre Richtung, Herrviel Schweiß hineingesteckt, ohne eine endgültige Lö- Kansy – auf folgenden Punkt hinweisen: Seit der Miet- sung zu finden. rechtsreform der 70er-Jahre hat sich der Wohnungsmarkt entschieden weiterentwickelt. Die Lebensrealität vieler Ich möchte nun einen letzten Punkt ansprechen, die Haushalte hat sich hinsichtlich der Wohnsituation verän- CO2-Minderung und die Energieeinsparung im Gebäu- dert. Wir haben keinen flächendeckenden Wohnungsman- debestand. Auch hier sind wir einen großen Schritt wei- gel mehr. Der Wohnungsmarkt ist aber stark differenziert: tergekommen. Ich möchte mich ganz herzlich bei der Frau Im Süden und teilweise in Westdeutschland gibt es Bal- Ministerin dafür bedanken, dass wir das geschafft haben. lungsgebiete mit hohen Mietpreisen und einer angespann- Für uns Grüne ist es gerade von besonderer Bedeutung, ten Lage auf dem Wohnungsmarkt. Dem muss Rechnung dass im Bereich Wohnen Schritt für Schritt mehr Energie- getragen werden. Auf der anderen Seite haben wir in West- einsparung erfolgt. deutschland aber auch Gebiete mit einer entspannten Si- Danke schön allerseits. tuation auf dem Wohnungsmarkt, und deindustrialisierte Gebiete in Ostdeutschland weisen teilweise sogar drama- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tische Wohnungsleerstände auf. und bei der SPD) Dieser großen Spannbreite von unterschiedlichen Si- tuationen muss das Mietrecht in seiner heutigen Ausge- Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile dem Kolle- staltung meiner Meinung nach Rechnung tragen. Es kann gen Michael Goldmann, F.D.P.-Fraktion, das Wort. nicht mehr einseitig – wie es von vielen Vermieterverbän- den gesehen wird – als Instrument ständiger Miet- Hans-Michael Goldmann (F.D.P.): Herr Präsident! erhöhungen angesehen werden. Das war ein Problem der Meine Damen und Herren! Sehr verehrte Frau Ministerin, Anpassungsphase der 70er-, 80er- und im Osten der 90er- ich habe Ihnen aufmerksam zugehört. Ich habe mir auch Jahre. Heute geht es um einen gerechten Ausgleich. Den Ihren Gesetzentwurf gründlich und in allen Einzelheiten werden wir auch schaffen, weil die Mieten im Durch-angesehen, komme aber zu einem ganz anderen Ergebnis. schnitt längst das Marktniveau erreicht haben. Ich denke nicht, dass er den Erwartungen gerecht wird. 12956 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000

Hans-Michael Goldmann (A) Ich glaube nicht, dass Mieter und Vermieter nach der Ver- Die Folge wird sein: Die Mieten werden so lange stei- (C) abschiedung eines solchen Gesetzes besser klarkommen gen, bis sich die Investoren wieder in den Markt hinein- werden. Ich stelle zwar fest, dass das, was Sie auf den trauen. Damit wird sich der Markt das zurückholen, was Tisch legen, scheinbar gut lesbar ist, meine jedoch, dass Sie ihm jetzt gesetzlich vorzuenthalten versuchen. Das, Sie die falschen Antworten auf das geben, was sich im was Sie wollen, wird sich ins Gegenteil verkehren. Das Moment zwischen Mietern und Vermietern als notwendig wissen Sie auch sehr genau und das sagen auch diejeni- erweist. gen, die Sie in besonderer Weise vertreten, nämlich die Mieter. Nein, sehr verehrte Frau Ministerin, Ihr Gesetz reiht sich nahtlos in die bisherige eigentums- und investitions- Der Mieterschutz wird zu Wohnraummangel führen. feindliche Wohnungspolitik der Bundesregierung ein. Die Kappungsgrenzen werden zu Preiserhöhungen auf dem Markt. Spezielle Schutzvorschriften, die Sie vorse- (Beifall bei der F.D.P.) hen, werden zu Zugangsbeschränkungen. Es ist leider festzustellen, dass der Neubau von Mietwoh- (Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ nungen fast vollständig zum Erliegen gekommen ist. Das DIE GRÜNEN]: Wo denn?) entscheidende Signal, das von diesem Gesetz an die Inves- toren ausgeht, lautet ganz simpel: Wer auch noch zukünf- Die Verschärfung des Mietrechts wird zu einer Ver- tig in den Wohnungsbau investiert, ist selbst schuld! schlechterung der Versorgung mit Wohnraum führen. Ihr verschärftes Mietrecht hilft höchstens kurzfristig denjeni- Die lange Kette der investitionsfeindlichen Initiativen gen, die jetzt schon in einer Wohnung sitzen, aber nicht und der Drohungen der rot-grünen Mehrheit reißt auch mit denjenigen, die eine Wohnung suchen, und auch nicht den diesem Gesetzentwurf nicht ab. Dazu gehören die Absen- kleinen Vermietern, die nicht über einen Justiziar verfü- kung der degressiven AfA, der Fallenstellerparagraph 2 b gen und keiner Vermietervereinigung angehören. des Einkommensteuergesetzes, die Beschränkung der Ver- lustverrechnung aus Vermietung und Verpachtung, die Er- Die F.D.P. spricht sich dafür aus, gerade das Vertrau- höhungen der Grundsteuer und der Erbschaftsteuer und ensverhältnis zwischen Mietern und Vermietern zu be- die Erhöhung der Wohnnebenkosten durch die so genannte günstigen. Zurzeit gibt es dieses Vertrauensverhältnis ja in Ökosteuer. Gleichzeitig haben Sie die Förderung des selbst weiten Bereichen. Tun wir doch nicht so, als ob die Dinge genutzten Wohneigentums durch eine Kürzung der Eigen- in diesem Bereich besonders schwierig oder belastet heimzulage geschwächt. wären. Nehmen wir doch ganz einfach zur Kenntnis, dass dieses Gesetz dazu beitragen könnte, die Investitionsbe- Sie lassen auch die Wohnungswirtschaft im Ostenreitschaft zu stärken. Es könnte zu mehr Mietwohnraum weitgehend im Stich; denn das, was Sie mit dem Alt- (B) und dadurch zu mehr Arbeitsplätzen und Investitionen(D) schuldenhilfe-Gesetz und den Folgeverordnungen einge- führen. Es könnte insgesamt einem Teil unserer Wirt- bracht haben, ist nicht geeignet, die Not in den neuen Län- schaft erheblich dienen. dern zu lindern. Unser Gesetzentwurf, den wir bereits vor geraumer (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten Zeit eingebracht haben, trägt dem Gedanken der Begeg- der CDU/CSU) nung auf Augenhöhe zwischen Mieter und Vermieter in Es muss jedem klar sein, dass der Wohnungsbau inbesonderer Weise Rechnung. Mieter und Vermieter sind Deutschland in erster Linie und zunehmend von privaten – davon bin ich überzeugt – im Grunde gutwillige Partner. Investoren getragen wird. Das betrifft den kleinen Hand- Das kann man am besten fördern, indem man ihnen Ver- werker und den mittelständischen Betrieb, der in eintrauen entgegenbringt. Das tun Sie aber mit diesem Ge- Zwei- oder Vierfamilienhaus investiert, das gilt aber ge- setz nicht. nauso für den Geldgeber für einen offenen Immobilien- Der vorliegende Gesetzentwurf wird eine gründliche fonds. Sie wissen es alle: Der staatliche Wohnungsbau hat Überarbeitung im federführenden Rechtsausschuss und dagegen fast keine Bedeutung mehr und ist bei Rot-Grün im begleitenden Ausschuss für Verkehr, Bau- und Woh- zu einer Restgröße verkommen. nungswesen erfahren müssen, damit er dem Rechnung Liebe Frau Eichstädt-Bohlig und andere Kollegen aus trägt, was wir gemeinsam wollen, nämlich mehr zufrie- diesem Bereich, Sie müssen sich doch fragen: Wer eigent- dene Vermieter und Mieter. lich soll die 400 000 bis 500 000 Wohnungen bauen, die Herzlichen Dank. wir brauchen, um nicht wieder in andere „Schweinezy- klen“ hineinzukommen, die den Mietern ganz erheblich (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten schaden. Wir dürfen doch nicht die Bereitschaft der Priva- der CDU/CSU) ten zerschlagen, in den Mietwohnungsbau zu investieren. Das Gesetz, das uns vorliegt, bringt eben Vermieter Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile der Kolle- und Mieter nicht auf gleiche Augenhöhe. Es trägt nicht gin Evelyn Kenzler, PDS-Fraktion, das Wort. dazu bei, das Vertrauensverhältnis zwischen Mietern und Vermietern zu stärken; stattdessen führt es dazu, dass wir Dr. Evelyn Kenzler (PDS): Herr Präsident! Liebe wieder in großem Maße Konflikte produzieren. Sie pro- Kolleginnen und Kollegen! Die Bedeutung dieses Geset- duzieren mit diesem Gesetz den zukünftigen Wohnungs- zesvorhabens kann ich nur unterstreichen. Das Recht auf mangel. angemessenen Wohnraum ist ein grundlegendes Men- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000 12957

Dr. Evelyn Kenzler (A) schenrecht. Etwa 50 Millionen Menschen in Deutschland hätte sie eigentlich ganz streichen müssen, weil sie im(C) können dieses Recht nicht durch Wohneigentum, sondern Vergleichsmietensystem ein Fremdkörper sei. nur durch das Anmieten einer Wohnung verwirklichen. (Beifall bei der PDS) Die Mietwohnung ist für sie ein Ort sozialer Geborgenheit und persönlicher Freiheit, ein Mittel „zur Befriedigung Jetzt ist sogar die Absenkung wieder vom Tisch. Es soll elementarer Lebensbedürfnisse“, wie das Bundesverfas- bei den 11 Prozent bleiben. Meine Fraktion wird deshalb sungsgericht in einer Entscheidung von 1993 festgestellt in den kommenden Debatten die Abschaffung der Moder- hat. nisierungsumlage in die Diskussion bringen. Insofern kommen – so das Bundesverfassungsgericht – (Beifall bei der PDS – Zuruf von der PDS: Es dem Besitzrecht an der Wohnung typische Funktionen des wird allerhöchste Zeit!) Sacheigentums zu. Da derjenige, der besitzt, gerüstet sein muss, wie bereits Goethe feststellte, ist ein durchschauba- Der Referentenentwurf hat in Aussicht gestellt, dass res und soziales Mietrecht unverzichtbar. Ein solchesfür den Mieter eine einheitlicheKündigungsfrist von Mietrecht zu schaffen ist auch ein wichtiges Anliegendrei Monaten – unabhängig von der Dauer des Mietver- meiner Fraktion. hältnisses – gelten soll, während es auf der Seite des Ver- mieters bei der bisherigen Regelung bleibt. Dafür gibt es Ich will nicht falsch verstanden werden: Das Wohn- gute Gründe. So mancher Mieter ist gezwungen, seine raummietrecht muss einen Interessenausgleich beinhal- Wohnung sehr kurzfristig aufzugeben, weil er beispiels- ten, der die legitimen Interessen der Vermieter einschließt. weise seinen Arbeitsort wechseln oder aus anderen zwin- Sie sind es, die den entsprechenden Wohnungsbestand si- genden Gründen umziehen muss. Jetzt wird also schon zu chern und damit erst die Voraussetzungen schaffen, dass Beginn des parlamentarischen Prozesses die asymmetri- das soziale Gut Wohnung zur Verfügung steht. Aber sche Kündigungsfrist zu einem wesentlichen Teil leider – auch das ist wohl unzweifelhaft – im Wohnungsmiet- wieder zurückgenommen, was den steigenden Flexibi- verhältnis stehen sich in der Regel ungleiche Partner ge- litätsanforderungen an die Mieter deutlich widerspricht. genüber. Der Vermieter nimmt aufgrund seiner Eigentü- Wir streben eine Rückkehr an. Ich habe mit Freude ver- merstellung gewöhnlich eine stärkere Position als dernommen, Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, dass auch Ihre Mieter ein. Überlegungen in diese Richtung gehen. (Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Schön Nach der meines Erachtens notwendigen deutlichen wäre es!) Kritik will ich jedoch nicht den Eindruck erwecken, ich Deshalb verfolgt meine Fraktion das besondere Anlie- ließe kein gutes Haar am Regierungsentwurf. Das würde gen, dass der in Jahrzehnten erkämpftesoziale Mieter- diesem Entwurf nicht gerecht werden. Eine gewisse Ver- (B) schutz erhalten und weiter ausgebaut wird. einfachung ist durchaus gelungen. Das Mietrecht ist ver- (D) ständlicher, für den Laien handhabbarer geworden. Die (Beifall bei der PDS) Zusammenführung der Regelungen im BGB und die Aus diesem Grunde müssen im Rahmen der vorherGliederung nach dem natürlichen Ablauf eines Mietver- genannten Interessenabwägung der Vertragsfreiheit im hältnisses halte ich für richtig. Die Herabsetzung der Kap- Mietrecht sachgerechte und angemessene Grenzen gesetzt pungsgrenze für Mieterhöhungen von 30 auf 20 Prozent werden. begrüße ich; nach meiner Meinung hätten 15 Prozent al- lerdings gereicht. Die Abschaffung der Möglichkeit zur Wenn ich den Entwurf der Bundesregierung an diesen Mieterhöhung wegen gestiegener Kapitalkosten halte ich Ansprüchen messe, dann muss ich sagen, verehrte Frau ebenfalls für sachgerecht. Ministerin: Die Erwartungen vieler Betroffenen – der Mieterverbände und auch meine eigenen – werden damit (Beifall bei der PDS – Zuruf von der SPD: nicht erfüllt. Eine wirkliche Reform ist das, was Sie vor- Sehr viel Lob!) legen, noch nicht. Ich teile die Kritik des Deutschen Mie- – Na, warten Sie einmal ab. terbundes an diesem Entwurf. Seine Präsidentin, unsere Abgeordnetenkollegin Frau Anke Fuchs, hat gesagt: Ohne Anerkennenswert ist im Entwurf die Aufwertung der spürbare Korrekturen und Nachbesserungen in zentralen Mietspiegel als des geeignetsten Instruments zur Fest- Punkten ist das Reformvorhaben für uns inakzeptabel. – stellung der ortsüblichen Vergleichsmiete. Sie erfolgt je- Das gilt auch für unsere Fraktion. doch inkonsequent. Die Rolle der Mietspiegel sollte wei- ter gestärkt werden. Wir schlagen vor, Gemeinden mit (Beifall bei der PDS) mehr als 50 000 Einwohnern zur Aufstellung von Miet- Besonders bedauerlich finde ich es, dass Sie es, Frau spiegeln zu verpflichten. Ministerin, zugelassen haben oder zulassen mussten, dass (Beifall bei der PDS) der heute vorliegende Text gegenüber dem Referenten- entwurf aus Ihrem eigenen Hause in zwei Punkten, und Einen Fortschritt bringt der Entwurf mit der Anerken- zwar zentralen Punkten, verschlechtert wurde: Der Refe- nung von nichtehelichen Lebensgemeinschaften im Miet- rentenentwurf sah eine Absenkung der Umlage der Kos- recht. Es ist aber in meinen Augen inkonsequent, dass der ten für die Modernisierung von 11 auf 9 Prozent vor. Entwurf sowohl den Ehepartner des Mieters als auch die Von Ihnen, Frau Ministerin, gab es sogar öffentlichePersonen, die mit ihm in einem auf Dauer angelegten Überlegungen, dass die Beibehaltung der Modernisie- Haushalt leben und diesen mit ihm führen, im Grunde erst rungsumlage keineswegs selbstverständlich sei; manbeim Tod des Mieters zur Kenntnis nimmt, nämlich als 12958 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000

Dr. Evelyn Kenzler (A) mögliche Partner, die den Mietvertrag weiterführen. Sie Die Bundesjustizministerin hat deshalb völlig Recht, (C) sollten schon zu Lebzeiten des Mieters die rechtlichewenn sie eine Modernisierung unseres Mietrechts für Möglichkeit des Eintritts in das Mietverhältnis erhalten. dringend erforderlich erachtet. Es ist durchaus nicht so, Meine Fraktion wird auch dazu einen Vorschlag unter- dass wir die Ersten sind, die das so sehen: Gefordert wird breiten. – Alles in allem: Der Entwurf entspricht bisher eine solche Reform schon seit langem. Bereits die letzte nicht den Erwartungen. Bundesregierung hat Handlungsbedarf gesehen und des- halb eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingesetzt, deren Bedeutend kritischer sehe ich allerdings den Entwurf der F.D.P. für ein Mietrechtsvereinfachungsgesetz, was Vorschläge dem heute diskutierten Gesetzentwurf als Sie nicht wundern wird. Dieser Entwurf verfolgt offen- Grundlage dienen, dem parallel eingebrachten Gesetzent- sichtlich das Ziel, im Namen der Vertragsfreiheit und des wurf der F.D.P., Herr Kollege Goldmann, im Übrigen Anreizes für Investitionen die Vermieterseite besser zu auch. stellen und Veränderungen zugunsten der Mieterseite tun- Was wir dringend brauchen, ist vor allem eine Verein- lichst zu vermeiden. fachung des Mietrechts. Das Mietrecht muss klarer, ver- Es steht uns offenbar ein hoffentlich produktiver Streit ständlicher und transparenter werden. Mietern und Ver- um ein besseres Wohnungsmietrecht in den Ausschüssen mietern muss es wieder möglich sein, ihre Rechte und und in der Öffentlichkeit bevor. Sie, liebe Kolleginnen Pflichten auch ohne fachlichen Beistand erkennen zu kön- und Kollegen von der Koalition, sollten den Entwurf al- nen. Das ist derzeit meist nicht mehr der Fall. lerdings nicht mit Ihrer Mehrheit auf die Schnelle durch- Um dieses Ziel zu erreichen, muss das Mietrecht zu- boxen, sondern uns ausreichend Zeit für die Diskussion nächst systematisch neu geordnet werden. Das geltende geben. Mietrecht enthält Vorschriften für alle Arten der Miete: Ich kann schon jetzt ankündigen, dass meine Fraktion die Miete von Wohnraum, von Tieren, von Schiffen oder in die Diskussion mit einem umfassenden Änderungsan- von Grundstücken. Das eminent wichtige Wohnraum- trag eingreifen wird. Neben dem, was ich bereits ange- mietrecht, das schon mehrfach diskutiert wurde, ist bis- deutet habe, werden eine Reihe von Vorschlägen von uns lang noch nicht in einem eigenen Teil gesondert geregelt. gemacht, zum Beispiel zu Mietverhältnissen in Wohnge- Ich halte daher den Schritt der Bundesregierung für rich- meinschaften, zu klaren Regelungen für Schönheits- und tig, das Mietrecht neu zu gliedern, und zwar in allgemeine Kleinreparaturen, zur Duldung von Maßnahmen des Mie- Vorschriften für alle Arten von Mietverhältnissen und ge- ters zur Verbesserung der Wohnung, zur Haustierhaltung sonderte Vorschriften für die speziellen Bereiche der in der Wohnung, zum Wohnungstausch, zur Abschaffung Miete, insbesondere die Wohnraummiete. Es ist längst überfällig, dass in diesem Zusammenhang überlange und (B) der Verwertungskündigung und der so genannten Zerrüt- (D) tungskündigung sowie zur weiteren Ausgestaltung der übermäßig detaillierte Vorschriften gestrafft und – soweit Sozialklausel. erforderlich – entsprechend untergliedert werden. Danke schön. Die Reform legt zu Recht einen besonderen Schwer- punkt auf das Wohnraummietrecht.Hier gilt es, Ver- (Beifall bei der PDS) säumnisse der Vergangenheit zu bereinigen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Präsident Wolfgang Thierse:Ich erteile das Wort dem Kollegen Dirk Manzewski, SPD-Fraktion. Frau Justizministerin, ich bin besonders darüber erfreut, dass wichtige Vorschriften für das Wohnraummietrecht, die bisher in Spezialgesetzen außerhalb des Bürgerlichen Dirk Manzewski (SPD): Herr Präsident! Meine Da- Gesetzbuches niedergelegt waren, nun im Bürgerlichen men und Herren! Dem Mietrecht kommt im alltäglichen Gesetzbuch zusammengefasst werden. Ich sage das als Leben – auch wenn dies vielleicht nicht immer wahrge- ehemaliger Praktiker nicht nur deshalb, weil es auf diese nommen wird – eine besondere Bedeutung zu. Millionen Weise leichter wird, die Vorschriften aufzufinden. Auch von Menschen sind als Mieter auf gute und bezahlbare die Tatsache, dass innerhalb der Wohnraummietverhält- Wohnungen angewiesen. Für Millionen von Vermietern nisse eine klare Gliederung der Vorschriften nach dem ty- gehören Mieteinnahmen zur Sicherung ihrer Lebens-pischen zeitlichen Ablauf eines Mietverhältnisses vorge- grundlage. nommen werden soll, wird vieles vereinfachen. Das geltende Mietrecht wird den heutigen Anforderun- All diese Maßnahmen werden dazu beitragen, den gen von Gesellschaft und Wirtschaft jedoch längst nicht Rechtsfrieden zu stärken und das Streitpotenzial im Miet- mehr gerecht. Es trägt weder den gewandelten gesell- recht zu verringern. Auf diese Weise können die Änderun- schaftlichen und wirtschaftlichen Lebensverhältnissen gen – die Bundesjustizministerin hat darauf bereits hinge- noch der veränderten Wohnungsmarktsituation Rechnung. wiesen – zu einer Entlastung der Gerichte beitragen. Wer Soweit im Mietrecht überhaupt einmal eine Systematik genau weiß, wozu er berechtigt und wozu er verpflichtet existierte, ist diese längst nicht mehr erkennbar. Änderun- ist, braucht dies nicht erst in langen und teuren Gerichts- gen und Ergänzungen haben das Mietrecht meiner Auffas- verfahren abklären zu lassen. sung nach immer komplizierter und unübersichtlicher ge- macht. Hinzu kommt, dass das Mietrecht auch sprachlich (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ veraltet und deshalb nur schwer verständlich ist. DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000 12959

Dirk Manzewski (A) Dies reicht jedoch nicht. Eine Mietrechtsreform kann hinzunehmen. Gleiches gilt im Übrigen für Alte und(C) nur dann Erfolg haben, wenn ihr auch eine inhaltlicheKranke, die zum Beispiel aus gesundheitlichen Gründen Modernisierung des Mietrechts gelingt. Zwischen den un- kurzfristig in ein Alten- oder Pflegeheim umziehen müs- terschiedlichen Interessen von Vermietern und Mietern sen. Auch wir sehen daher das dringende Bedürfnis, die muss wieder ein angemessener und gerechter Ausgleich Kündigungsfristen für Mieter erheblich zu verkürzen. gefunden werden. Dabei, Herr Kollege Goldmann, ist In diesem Zusammenhang möchte ich noch ein Wort an natürlich zu berücksichtigen, dass sich die schutzwürdi- die Kollegen von der F.D.P. richten: Es kann nicht sein, gen Interessen von Vermietern und Mietern aufgrund dass man Mobilität und Flexibilität von Arbeitnehmern geänderter Lebensverhältnisse und Veränderungen des Wohnungsmarktes verschoben haben. nur dann fordert, wenn es gerade passt. Sie haben hier die Gelegenheit, Ihrer Argumentation mehr Inhalt zu geben (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und den Betroffenen entgegenzukommen. Ich hoffe, dass Ich kann insofern nicht alle Ihre Ausführungen teilen. Sie das auch tun werden. Im Übrigen würde ich Ihnen empfehlen, Ihren eigenen Gesetzentwurf zu lesen, da (Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Ich bin da- auch Sie für Alte und Kranke einschränkende Regelungen mit ein bisschen zufrieden!) vorsehen. – Danke. (Beifall bei der SPD) Wir befürworten daher ausdrücklich den Vorschlag der Neben der Garantie des Eigentums einerseits und der Bundesregierung, das bewährte Vergleichsmietenverfahren sozialen Verpflichtung hieraus sowie der Verantwortung noch zu stärken, indem zusätzlich zum bislang bestehenden der Mieter gegenüber der Mietsache andererseits setzt die Mietspiegel ein so genannterqualifizierter Mietspiegel Mietrechtsreform vor allem auf die partnerschaftliche eingeführt wird. Dieser nach wissenschaftlich anerkannten Kooperation von Mietern und Vermietern. Die Reform Grundsätzen erstellte Mietspiegel wird sowohl bei denbehält dabei die große sozial-, wohnungs- und wirt- Mietparteien als auch bei den Gerichten eine größere Ak- schaftspolitische Bedeutung des privaten Mietrechts im zeptanz finden und viele Streitigkeiten vereinfachen. Auge. Die besondere Bedeutung der Bau- und Woh- Ich halte es auch für richtig, die Kappungsgrenze von nungswirtschaft als Wirtschaftsfaktor werden ebenso wie 30 Prozent auf 20 Prozent zu senken. In der Vergangen- die Belange des Umweltschutzes berücksichtigt. heit hat es sich nun einmal häufig gezeigt, dass höhere Ich komme zum Schluss. Wir brauchen ein modernes Mietsteigerungen, insbesondere bei preisgünstigen Woh- Mietrecht. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung setzt nungen in Ballungsgebieten, zu nicht hinnehmbaren Här- meiner Auffassung nach Maßstäbe. Wir werden gerne der (B) ten, gerade bei einkommensschwachen Mietern, geführt Einladung folgen, uns an den spannenden Debatten hie- (D) haben. Insbesondere junge Familien mit Kindern werden rüber in den nächsten Wochen und Monaten aktiv zu be- daher von der Neuregelung profitieren. teiligen. Meine Damen und Herren von der Opposition, Dass es im Bereich der Betriebskosten mehr Abrech- tun Sie es uns gleich. nungsgerechtigkeit geben soll, indem noch stärker auf den Ich danke Ihnen. tatsächlichen Verbrauch oder die reale Verursachung ab- gestellt wird, findet unsere volle Unterstützung. Es ist nur (Beifall bei der SPD) gerecht und billig, dass der tatsächliche Verbraucher für diesen Verbrauch auch aufkommt. Präsident Wolfgang Thierse:Ich erteile das Wort (Beifall bei Abgeordneten der SPD) dem Kollegen Wolfgang von Stetten, CDU/CSU-Frak- tion. Auch dem Vorschlag, die Vertragsfreiheit bei der Ver- einbarung von Index- und Staffelmieten durch den Weg- fall der zeitlichen Beschränkungen zu fördern, wird von Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten(CDU/CSU): unserer Seite zugestimmt. Wir begrüßen auch die Überle- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! gung, den Schutz für Haushaltsangehörige und auf Dauer Aktueller könnte diese Diskussion über das Mietrecht nicht angelegte gemeinsame Haushalte zu verbessern, indem sein, denn nur durch den Rücktritt von Herrn Klimmt auch diesen nach dem Tode des Mieters ein Eintrittsrecht haben die Deutschen erfahren, dass er auch Bundesbau- in einen bestehenden Mietvertrag eingeräumt wird. Damit minister war. Er war eben für viele ein Bauminister ohne wird den geänderten Lebensgewohnheiten in unserer Ge- Resonanz. Denn von Baupolitik und Infrastruktur haben sellschaft Rechnung getragen. wir von ihm nichts gehört. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist eine billige Nachkarterei! Es ist schlecht, dass Zu Recht verweist die Bundesregierung darauf, dass Sie Ihre Ohren immer zu haben! Lassen Sie sich der Kündigungsschutz den heutigen Erfordernissen ei- ner modernen Gesellschaft angepasst werden muss. Bei einmal die Ohren spülen! – Margot von Renesse der zunehmend geforderten Mobilität und Flexibilität [SPD]: Ab nächstes Jahr steigt das Wohngeld!) sind für den Mieter bei lang andauernden Mietverhältnis- Bundeskanzler Schröder hatte dieses Mal Pech. Da er für sen Kündigungsfristen von bis zu einem Jahr nicht mehr einen zurückgetretenen Minister keinen abgewählten oder 12960 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000

Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (A) abgehalfterten Ministerpräsidenten als Ersatz stellen– Man muss nur die richtige Einführung bringen. Dann(C) konnte, hören Sie zu. Das ist doch ganz wichtig. – Die Folge ist Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ich finde nämlich, dass das Wohngeld jetzt massiv erhöht werden das unanständig! Wer hat Ihnen denn diesen muss, Unsinn aufgeschrieben?) (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ musste er auf einen neuen, relativ jungen Kollegen DIE GRÜNEN]: Lassen Sie uns über Latifun- zurückgreifen. Wir werden sehen, was diese Nummer drei dien reden! Über Schlösser! Über Folterkeller!) in diesem Amt innerhalb von zwei Jahren bringt. und zwar aus Steuermitteln, und dass ebenso aus Steuer- Der Kanzler dieser Regierung, Gerhard Schröder, ist mitteln Heizkostenzuschüsse gezahlt werden müssen. Im- einmal angetreten nach dem Motto: Wir machen nicht al- mer wieder müssen das diejenigen zahlen, die das Geld les anders, aber wenn anders, dann besser. Das Gegenteil verdienen und für das verdiente Geld Steuern zahlen. ist eingetreten. Sie versuchen es als Erfolg zu verkaufen, dass für die (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wir Ärmeren ein Heizkostenzuschuss von 2 Milliarden bis machen das nämlich auch besser! – Alfred 3 Milliarden DM bewilligt und das Wohngeld um 1,4 Mil- Hartenbach [SPD]: Sie sollten jetzt auf den liarden DM erhöht wird. Teppich kommen und zum Mietrecht reden!) (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Nach zwei Jahren Bilanz ist vieles anders, aber fast nichts DIE GRÜNEN]: Jetzt müssen Sie etwas zur besser geworden. Ökosteuer sagen!) (Beifall bei der CDU/CSU) Sie nennen das sozial? Ich nenne es unsozial. Die jahrelange Preisstabilität ist verloren und wir sind auf (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ dem Wege zur Inflation, weil diese Regierung, gejagt von DIE GRÜNEN]: Aha! Der Sozialadel!) den Grünen, in unverantwortlicher Art und Weise Benzin- Sie hätten sich das alles sparen können, wenn Sie die Steu- und Dieselpreis, Heizöl- und Strompreis in die Höhe treibt ererhöhung nicht durchgeführt hätten. und Steuern draufknallt, (Beifall bei der CDU/CSU –Joseph Fischer (Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: DIE GRÜNEN]: Freiheit oder Sozialismus!) Stetten zum Wetten!) anstatt antizyklisch zu handeln und die Steuererhöhung zurückzunehmen, mindestens aber auszusetzen. Ihr Argument, dass Sie die Lohnnebenkosten senken, (B) stimmt deswegen nicht, weil Sie gerade mit dem gestern (D) Diese Benzin- und Dieselpreiserhöhung ist übrigens eingebrachten Entwurf zur Rentenreform die Lohnneben- ein ganz übler Betrug. kosten deutlich erhöhen wollen. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ (Margot von Renesse [SPD]: Auch das noch! DIE GRÜNEN]: Wer hat Ihnen das denn aufge- Die Außenpolitik fehlt noch!) schrieben?) Zudem nützen weder einem Rentner noch einem Beamten Denn vor den Wahlen hat der damalige Kanzlerkandidat noch einem Landwirt oder Selbstständigen die Zuschüsse Gerhard Schröder versichert, mit ihm werde es eine Preis- zur Rentenversicherung. Diese Bevölkerungsgruppen erhöhung um höchstens 6 Pfennig geben. werden schlichtweg abgezockt. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Eines passt in Ihr Mietrechtsreformgesetz ganz gut: DIE GRÜNEN]: Steht es da wirklich, was Sie dass die Nettomiete stärker hervorgehoben wird. Denn vorlesen? – Alfred Hartenbach [SPD]: Herr von dann wird der Mieter und Bewohner merken, was er durch Stetten, beim Heizöl sind es noch nicht einmal die gestiegenen Heizölpreise mehr für Heizöl und Warm- 6 Pfennig! Das sollten Sie wissen! Sie müssen wasser zu zahlen hat und dass auch die Erhöhung der Ne- einmal lesen, was da steht!) benkosten überall mit den erhöhten Preisen für Energie Dabei hat er – das ist wohl üblich bei den höheren Char- begründet wird. 95 Prozent der Bevölkerung oder mehr gen der SPD – schon damals netto und brutto verwechselt, erhalten keinen Ausgleich. weil 6 Pfennig mit Mehrwertsteuer bereits 7 Pfennig sind. Nun ist es in der Tat richtig, dass das geltende Miet- Als er an der Regierung war, zeigte er seinen Taschen- recht zersplittert ist und in vielen Gesetzen unübersicht- spielertrick und sagte: Ich habe gemeint: 6 Pfennig pro lich geregelt ist. Insofern ist eine Reform durchaus rich- Jahr. Die Bürger, die ihn gewählt haben, wurden schlicht- tig. Aber Sie von der rot-grünen Koalition nutzen die weg übers Ohr gehauen und die Regierung erhöht lustig Notwendigkeit einer Reform aus, um es teilweise auf den die Preise um 7 Pfennig jährlich, bis sie 35 Pfennig er- Kopf zu stellen. Sie sind auch noch auf halbem Wege ste- reicht haben. hen geblieben und haben ein halbes Dutzend Gesetze un- Damit bin ich schon beim Mietrecht. verändert gelassen. (Lachen und Beifall bei der SPD – Wilhelm (Margot von Renesse [SPD]: Wie kann man Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ach! Endlich! – sich auf den Kopf stellen und gleichzeitig auf Margot von Renesse [SPD]: Schon?) halbem Wege stehen bleiben?) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000 12961

Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (A) Während unserer Regierungszeit war an der Mieter- unzuträgliche Verschlechterung für den Vermieter, weil er (C) und Vermieterfront dank ausgewogener Gesetze Ruhe. erst neue höchstrichterliche Urteile abwarten muss, damit Darauf hat schon eben der Kollege von der F.D.P. hinge- geklärt wird, was „auf Dauer angelegt“ und „gemeinsam“ wiesen. Sowohl die Mieter als auch die Vermieter konn- heißt und wie viele Personen einen solchen Haushalt ten mit unseren Gesetzen leben. Es hätte daher nur einer führen dürfen. Zu dieser Verschlechterung passt das ge- Gesetzeszusammenfassung bedurft. Der Anstieg der Mie- rade am letzten Freitag durchgepeitschte Gesetz über die ten war gebremst. In manchen Städten geht er Lebenspartnerschaft, in- mit dem das Eintrittsrecht des Le- zwischen – bedingt durch einen Überhang an freien Woh- benspartners bei Tod des Mieters erweitert wird, und zwar nungen – sogar leicht zurück. Die Investitionstätigkeit auf mit dem lapidaren Satz: Dasselbe gilt für Lebenspartner. – dem Mietwohnungssektor in den neuen Ländern, aus-Hier hat man bewusst die Zahl der Lebenspartner wegge- gelöst durch die hohen Abschreibungsmöglichkeiten, war lassen; in den Vorjahren dramatisch gesunken. Aber in der letzten Zeit gab es Anzeichen für eine langsame Erholung. Durch (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Ihr Mietrechtsreformgesetz machen Sie dieses zarte DIE GRÜNEN]: Unglaublich! Sodom und Go- Pflänzchen wieder kaputt, weil Sie Investoren neue Er- morrha in der deutschen Küche!) schwernisse in den Weg legen, sie mindestens verunsi- denn nach diesem Gesetz können zwei Männer, die eine chern und dadurch von Investitionen abhalten oder sie Lebenspartnerschaft eingegangen sind, jeweils noch eine zwingen, eine abwartende Haltung einzunehmen. Dieser Ehe mit einer Frau eingehen. Dann würden sie zu viert als ordnungspolitische Unsinn gefährdet zukünftige Investi- kombinierte Ehe- und Lebenspartnergemeinschaft – fröh- tionen. lich oder weniger fröhlich; aber alle mit dem gleichen In diesen Zusammenhang passt im Übrigen auch die Nachnamen – in einer Wohnung leben. Bei Tod eines Le- Entfernungspauschale. Das Gesetz, das das regelt, ist benspartners oder Ehegatten wäre dann die Frage, mit auch durchgepeitscht worden. Die Entfernungspauschale wem der Vermieter den Mietvertrag fortsetzen muss. Das hat auch etwas mit dem Miet- und Wohnungsrecht zu tun; lässt sich zwar einfach lösen, wenn man diese Viererge- denn die hohen Benzin- und Dieselpreise treffen insbe- meinschaft als Gesamtlebenspartnerschaft ansieht. Aber sondere diejenigen, die – oft aus Kostengründen – außer- das ist sicherlich nicht im Sinne des Vermieters. halb wohnen und die mit dem Auto zur Arbeit und zum Einkaufen fahren müssen. Nun zäumen Sie auch hier das (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Pferd von hinten auf; denn der geschundene Autofahrer DIE GRÜNEN]: Kein Wunder, dass wir hier wird mit der geringen Erhöhung von 10 Pfennig pro Ki- endlich eine Leitkultur brauchen! Bei diesen lometer abgespeist Zuständen!) (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wir sind – Das, was Sie verabschiedet haben, gehört sicherlich (B) hier nicht bei der Jahresversammlung der Firma nicht zur deutschen Leitkultur. (D) Sixt!) (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ und denjenigen, die nicht Auto fahren, wird ein Geschenk DIE GRÜNEN]: Gott sei Dank!) gemacht, das letztlich der Autofahrer über erhöhte Steuern Das möchte ich hier festhalten. finanzieren muss. Hier zeigt sich, dass sich die Ideologie der Grünen – das Auto ist der Feind Nummer eins – inner- (Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt halb dieser Regierung durchgesetzt hat. Das Autofahren [Salzgitter] [SPD]: Endlich ein frei gesproche- wird direkt oder indirekt über die Entfernungspauschale ner Satz! Aber daran kann man sehen, was Sie verteufelt. Wir lehnen das ab. aufregt!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) – Ich kann Ihnen noch einen sagen: Vielleicht haben Sie § 172 StGB, Bigamie, bewusst nicht geändert, damit Sie Der im Gesetz vorgesehene qualifizierte Mietspiegel, der wissenschaftlichen Ansprüchen genügen muss, istvor dem Bundesverfassungsgericht sagen können: Es gibt völlig überflüssig, weil der derzeitige Mietspiegel durch- doch einen Unterschied zwischen der Ehe und der einge- aus genügt und lediglich ein unnötiger und teurer Büro- tragenen Lebenspartnerschaft. kratismus angeblichen wissenschaftlichen Ansprüchen Die geplante Verkürzung der Kündigungsfristen für genügen soll. Im Gegensatz zu Ihrer Behauptung ist dies langfristige Mietverträge ist nur dann gerechtfertigt, wenn nicht im Interesse der Mieter und Vermieter, Frau Minis- sie für beide Seiten gilt. Bei einer Kündigungsfrist von terin, weil die Verfahren vermutlich verzögert und verteu- drei Monaten bei einer Mietdauer von bis zu fünf Jahren ert werden. und von sechs Monaten bei mehr als fünf Jahren muss Völlig unnötig – weil es, wie Sie anhand der Statisti- weiterhin Gleichheit gelten. ken sehen können, keine großen Verteuerungen gab – ist (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ die Senkung der Kappungsgrenze von 30 auf 20 Pro- DIE GRÜNEN]: Wie ist das übrigens bei Mie- zent; denn die bisherigen Regelungen waren ausgewogen tern mit roten Socken?) und standen im Einklang mit den Gegebenheiten auf dem Wohnungsmarkt. Die Senkung der Kappungsgrenze ist – Herr Fischer, die roten Socken haben Sie lange genug ein weiteres Stoppsignal für Investitionen. getragen. Das neu geregelteEintrittsrecht von Familienan- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ gehörigen oder Personen, die mit dem Mieter einen auf DIE GRÜNEN]: Im Gegensatz zu Ihrer Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt führen, ist eine schwarzen Nachtkappe!) 12962 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000

Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (A) Denn ein asymmetrisches Kündigungssystem wider-gekauft haben und die ihre Lage nicht einmal kennen, son- (C) spricht auch dem Grundgesetz. Zudem gelten nach wie dern nur ihr Steuerberater. Der Staat musste hier steuerli- vor für den Mieter die Widerspruchsmöglichkeiten des che Mindereinnahmen von 40 bis 50 Milliarden DM fi- neuen § 574 BGB bei besonderer Härte, sodass der Mie- nanzieren. ter auch zusätzlich geschützt ist. (Christine Ostrowski [PDS]: Aber das war Es war sicher richtig, dass eine Mieterhöhung wegen doch in Ihrer Zeit!) gestiegener Kapitalkosten nicht einfach in der Handha- – Lassen Sie mich das doch kritisch sagen. Es war falsch. bung war. Ich halte es dennoch für falsch, sie ersatzlos zu streichen, weil das Investoren abschreckt. Ich habe damals den Vorschlag gemacht, der von vie- Die vielen anderen Einzelheiten und Änderungen, die len belächelt wurde, jedem Bewohner einer Wohnung in oft als redaktionelle Änderungen angekündigt werden, der ehemaligen DDR diese Wohnung zu schenken und müssen im Laufe des Beratungsverfahrens genau geprüft ihm zusätzlich 50 000 DM Renovierungskosten zu geben. werden, weil vernünftige Änderungen von uns nicht tor- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ pediert werden. Der Teufel steckt aber bekanntlich oft im DIE GRÜNEN]: Der Freiherr von Stetten ist Detail. Wir wollen nicht, dass uns der Teufel nachher holt. nicht mehr zu retten!) Lassen Sie mich noch ein paar Worte zum Wohnungs- Dies wäre richtig gewesen. Damit hätten wir 1 Million eigentum und zu den Aussichten dafür sagen. Nur wer Ei- Familien die Möglichkeit gegeben, vergünstigt Eigentum gentum hat, geht auch mit Eigentum anderer sorgfältig zu erwerben. Dann hätten wir heute nicht das Dilemma um. Das ist eine Binsenwahrheit. Deswegen ist Eigen- von Hunderttausenden vergammelter Platten- und Alt- tumsförderung immer ein großes Ziel der CDU/CSU ge- bauten. wesen. Meine Damen und Herren, gestern haben Sie Ihr Ren- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – tenkonzept eingebracht. Sie wollen es in den nächsten Margot von Renesse [SPD]: Nur ein Hausei- Wochen durchpeitschen. Da mag manches richtig sein, gentümer kann Mieter sein! Alle Mieter sind aber eines ist vom Grundsatz falsch, nämlich dass Sie in Zerstörer!) die staatlich geförderte Eigenvorsorge für das Alter das – Ich habe große Freude daran, dass ich Sie zu Wider- Wohnungseigentum nicht einbauen. Das mag sicher spruch anrege. schwierig sein, aber es ist machbar, auch Wohnungsei- gentum für das Alter zu sichern, zum Beispiel indem der Die Idee des geförderten Bausparens entstammt der Förderbetrag als Resthypothek auf Haus- und Wohnungs- Zeit des Beginns der sozialen Marktwirtschaft unter (B) eigentum grundbuchlich eingetragen wird und aus-(D) Ludwig Erhard und hat ihre Grundwurzelnschließlich in für die Altersvorsorge abgesichert wird. Art. 14 Grundgesetz, in dem vom Recht auf Eigentum, aber auch von der Sozialpflichtigkeit des Eigentums die (Alfred Hartenbach [SPD]: Jetzt müssen wir Rede ist. über den Drogentest von Christoph Daum re- den, Herr von Stetten!) Vor einigen Jahren haben wir von der CDU/CSU und der F.D.P. die Eigenheimzulage von 5 000 DM bzw. zu- Es mag sein, dass das der Ideologie mancher linken sätzlich 1 500 DM pro Kind jährlich, die für mehrere Gruppen Ihrer beiden Parteien nicht entspricht, weil viele Jahre gewährt wird, eingeführt. Das war der richtigefürchten, dass Eigentum die Wähler gegebenenfalls auf Schritt, denn insbesondere Geringverdienende oder jün- den Gedanken bringt, bürgerlich zu wählen. Aber nehmen gere Bauwillige hatten keinen Vorteil von Abschreibun- Sie schlichtweg zur Kenntnis, dass sich die jüngeren gen, um Steuern zu sparen, weil die Einkommen der Fa- Rentner zwischen 60 und 70 Jahren zu 60 Prozent über ei- milien teilweise gar nicht zur Steuerpflicht führten. Diese gene Wohnungen oder eigene Häuser – oft unter schwie- Zulage hat wesentlich zum Eigentumserwerb oder zum rigsten Umständen – eine Altersversorgung zusätzlich zu Hausbau beigetragen. Dies ist eine große Leistung der Renten, Pensionen oder auch Betriebsrenten aufgebaut CDU/CSU-F.D.P.-Koalition. Sie wollen – ich kann mich haben. Nahezu 100 Prozent dieser 60 Prozent Rentner ha- nur wundern, dass Sie das als sozial empfinden – diese ben mit Bausparverträgen begonnen – eine geniale Idee Zulage halbieren. Dies ist wiederum ein Schlag gegen die der sozialen Marktwirtschaft, die im Übrigen aller Anfang Geringverdiener und gegen das Eigentum. für Eigentumserwerb war. Wohnungseigentum ist daher ein unverzichtbarer Baustein der privaten Altersvorsorge (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) und es wäre verhängnisvoll, wenn diese rot-grüne Regie- Dabei sehe ich die Finanzierung von Wohnungsbau in rung das nunmehr geplante Alterssicherungssparen gegen den fünf neuen Bundesländern eher skeptisch. Die hohen das selbst genutzte Wohnungseigentum ausspielte und Abschreibungssätze haben zwar Investoren angelockt, damit das Wohnungsbausparen im Ansatz zerstörte. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDINIS 90/ (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) DIE GRÜNEN]: Herr Präsident, eine Portion Die Bausparkassen Deutschlands haben Unterlagen „Hallo-wach“ brauchen wir jetzt!) zur Verfügung gestellt, in denen deutlich wird, dass sich aber Eigentümer der Wohnungen sind jetzt die falschen, 60 bis 70 Prozent der Bausparer aufgrund ihres Einkom- nämlich in der Regel sehr gut verdienende Bürger ausmens eine doppelte Belastung, nämlich die „freiwillige“ dem Westen, die zum Teil 10, 20 und mehr Wohnungen Zwangsabgabe für die selbst finanzierte Altersvorsorge Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000 12963

Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (A) und die Beiträge zur Bausparkasse, nicht leisten können. – Aber im nächsten Punkt sind wir uns ja schon wieder ei- (C) Selten einmütig sind die wohnungsbaupolitischen Spit- nig. zenverbände an die Öffentlichkeit getreten: das Evangeli- Das Mietrecht bedarf der Novellierung und Vereinfa- sche Siedlungswerk in Deutschland, der Katholische chung. Diese Reform war einfach überfällig. Kein ande- Siedlungsdienst, der Bundesverband deutscher Woh- res Rechtsgebiet ist für weite Teile der Bevölkerung von nungsunternehmen, der Bundesverband Freier Woh-so großer Bedeutung für das tatsächliche Leben wie das nungsunternehmen, Haus & Grund Deutschland, Deut- Mietrecht. sches Volksheimstättenwerk und andere. Sie fordern von der Regierung unisono, dass selbst genutztes Wohnungs- Trotz dieser hohen Bedeutung des sozialen Wohn- eigentum in die Förderung der privaten Altersvorsorge im raummietrechts mangelte es bisher an der entsprechenden Gesetz zur Rentenreform einbezogen wird. Dies ist eine Überschaubarkeit, Transparenz und Verständlichkeit der ganz wesentliche Forderung bei der Mietrechtsreform. Regelungsmaterie. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall des Abg. Alfred Hartenbach [SPD]) Der Bausparkassenverband hat übrigens bereits für den Das Mietrecht war unübersichtlich gegliedert und auf ver- Fall, dass das Wohnungseigentum nicht in die Förderung schiedene Gesetze verteilt. Diese gegenwärtige Zersplit- aufgenommen wird, die Forderung erhoben, die Förde- terung des Mietrechts ist das Ergebnis jahrzehntelanger rung des Bausparens um mehrere Milliarden zu erhöhen, unsystematischer Gesetzesänderungen auch der Vorgän- damit die segensreiche Einrichtung des Bausparens nach gerregierungen. 50 Jahren nicht zu Grabe getragen werden muss. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Das Mietrechtsreformgesetz ist eine Aufgabe und Ver- Rainer Funke [F.D.P.]: Aller Regierungen!) pflichtung für uns alle. Ich appelliere an Sie, mit uns in Mit dem vorliegenden Entwurf soll diesem Missstand Gespräche zu treten, das sozialistische Gedankengut – ich endlich abgeholfen werden. sage es so deutlich – herauszunehmen und für Mieter und Vermieter wieder eine vernünftige Basis zu schaffen, aber (Beifall bei Abgeordneten der SPD) auch den Eigentumsgedanken zu fördern. Eines ist ganz Die Reform des Mietrechts ist damit bürgerfreundlich, sicher: Selbst bewohntes Eigentum ist nicht nur eine ma- denn sie führt die Dinge verständlich zusammen, die bis- terielle Alterssicherung, sondern auch eine Genugtuung her für die Betroffenen unauffindbar verstreut und un- im Alter, dass man im Leben mit diszipliniertem Sparen übersichtlich gegliedert sind. Das bedeutet mehr Rechts- etwas erschaffen hat. Dies trägt auch zur Zufriedenheit am sicherheit und wird hoffentlich auch die Zahl der heute Lebensabend bei. (B) immerhin rund 300 000 Mietprozesse im Jahr verringern. (D) Lassen Sie uns für eine vernünftige Lösung, für einen Gerade bei einer Rechtsproblematik, die im täglichen Ausgleich sorgen, damit die Ruhe, die wir an der Front Leben weitreichend in die Interessen- und Betroffenheits- zwischen Mietern und Vermietern haben, beibehaltensphäre vieler Bürger eingreift, ist es zwingend geboten, wird, anstatt unnötigerweise alle aufzuschrecken und da- die beiderseitigen Interessen abzuwägen und, wo erfor- mit den Eigentumserwerb zu verhindern und die Investi- derlich, die schwächere Vertragspartei zu schützen. Das tionen zu stoppen. ist ein Hauptanliegen meiner Fraktion und dieses Entwur- Danke schön. fes, ebenso wie die Anpassung der Normen an die verän- derten gesellschaftlichen Bedingungen. Der Entwurf der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Bei- Bundesregierung leistet dies. fall der Abg. Christine Ostrowski [PDS] – Christine Ostrowski [PDS]: Das war eine be- Die Kündigungsfristen für Mieter werden verkürzt. geisternde Rede! – Alfred Hartenbach [SPD]: Dies trägt den gestiegenen Anforderungen an die Mobi- Wolfgang, hat die Rede für dich lität von Arbeitnehmern Rechnung, die häufig einen Ar- geschrieben?) beitsplatzwechsel in Kauf nehmen müssen. Aber auch ein notwendiger Umzug ins Alters- oder Pflegeheim wird da- durch erleichtert. Auf der anderen Seite wird der echte Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile dem Kolle- Zeitmietvertrag eingeführt, der im mobilen Zeitalter gen Helmut Wilhelm, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Rechtssicherheit für Mieter und Vermieter schafft. Das definitive Vertragsende steht dann fest, wenn dies von bei- den Seiten – das muss gewährleistet sein – so gewünscht Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol- wird. Dabei ist auf eine mieterfreundliche Ausgestaltung legen! Herr Kollege von Stetten, für das Mietrecht ist die der Vertragsform geachtet worden. Justizministerin und nicht der Bauminister zuständig. Ihr Der Gesetzentwurf dämpft Mietsteigerungen da, wo es Seitenhieb ist daher gründlich daneben gegangen. notwendig ist. Die Kappungsgrenze wird von 30 auf 20 Prozent gesenkt und das schützt insbesondere Familien (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit kleinen Einkommen vor sprunghaften Mietpreisstei- und bei der SPD – Dr. Wolfgang Freiherr von gerungen. Stetten [CDU/CSU]: Ein bisschen hat er aber schon mit dem Bauen zu tun! Warum heißt er (Rainer Funke [F.D.P.]: Wie häufig kommen denn Bauminister?) die noch vor?) 12964 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000

Helmut Wilhelm (Amberg) (A) – Selbstverständlich ist durch die örtliche Vergleichsmiete Rainer Funke (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen (C) eine Deckelung gegeben; aber es gibt sehr wohl Fälle der- und Herren! Mehrere Monate nachdem die F.D.P.-Frak- artiger sprunghafter Steigerungen. An diesem Punkt müs- tion einen eigenständigen Gesetzentwurf zur Neufassung sen wir durchaus eingreifen. des Mietrechts vorgelegt hat, bringt nunmehr auch die Bundesregierung ihren Gesetzentwurf in den Deutschen Die Regelung der Zerrüttungskündigung ist gerade bei Bundestag ein. Genau wie die F.D.P. in ihrem Entwurf den Mieterverbänden noch sehr umstritten, obwohl dies bemüht sich die Bundesregierung, das bislang zersplit- – ich kann das als Jurist bestätigen – bereits der heutigen terte und unübersichtliche Mietrecht in einem Gesetz, und Rechtsprechung entspricht. Vielleicht gelingt es noch, zwar im BGB, zu konzentrieren. Ich glaube, darin sind dies ausdrücklich festzuschreiben. und waren wir uns auch schon in der letzten Legislatur- Endlich erfolgt auch die Gleichbehandlunghomose- periode einig, dass dieses zu geschehen hat. xueller Lebensgemeinschaften bei Eintritt in den Miet- Den Anforderungen an Übersichtlichkeit und klare vertrag nach dem Tod eines Partners. Bisher gilt: Lebt ein Sprache wird der Gesetzentwurf zwar nicht überall ge- unverheiratetes Paar in einer Wohnung zusammen, darf recht, aber das Bemühen erkennt man. Das sollte man nach dem Tod eines Partners der oder die andere den Miet- auch anerkennen. Wir werden sicherlich im Ausschuss vertrag selbstverständlich übernehmen, es sei denn – das noch das eine oder andere nachzubessern haben. Das ist die Ausnahme –, es handelt sich um ein schwules oder dürfte aber überhaupt kein Problem sein, zusammen mit lesbisches Paar. Dies ist eine eindeutige Diskriminierung den Kollegen Verbesserungen durchzusetzen. solcher Lebensbeziehungen im Mietrecht. Wir wollen das Zu kritisieren ist jedoch, dass die Bundesregierung ein- ändern: Es soll gleiches Recht für alle Lebensgemein- seitig Mieterinteressen in den Vordergrund rückt. Die schaften gelten. Bundesjustizministerin hat ja mehrfach, zum Beispiel bei (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- dem schon erwähnten Kolloquium, erklärt, dass sie ein- wie bei Abgeordneten der SPD und der F.D.P.) seitig für die Mieter Partei ergreifen will und dass das auch in diesem Gesetz zum Ausdruck kommen soll. Ein Das neue Mietrecht möchte auch umweltfreundliches gutes Vertragsrecht – und dazu gehört ja nun einmal das Verhalten belohnt wissen. Die zukünftig vorgesehene ver- Mietrecht – muss von der Gleichwertigkeit beider Ver- brauchsbezogene Art der Abrechnung fördert den sparsa- tragsparteien ausgehen. men Gebrauch von Wasser, Energie und Ressourcen und (Beifall bei der F.D.P.) nützt – neben dem Geldbeutel der Mietparteien – auch der Umwelt. Zusätzlich soll es weiterhin Anreize für Moder- Recht und Gesetz dürfen nicht von einseitiger Partei- nisierungen und Energieeinsparinvestitionen für die um- nahme geprägt sein, sondern müssen ausgewogen die In- (B) weltbewussten Vermieter geben. Darum bleibt die Mo- teressen beider Vertragsparteien berücksichtigen. (D) dernisierungsumlage bei 11 Prozent bestehen. Das ist Dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregie- sozial verantwortliches und modernes Handeln, meine rung fehlt es an sozialer Ausgewogenheit. Insbesondere Damen und Herren insbesondere von der F.D.P. wurde – das war ja auch das Ziel der Ministerin – den Be- Interessanterweise kommt Ihr Gesetzentwurf, der be- langen der Vermieter und Grundeigentümer unter dem reits an die Ausschüsse überwiesen worden ist, in einigen Gesichtspunkt der Eigentumsgarantie in Art. 14 des Punkten durchaus zu ähnlichen Regelungen wie der Ge- Grundgesetzes nicht ausreichend Rechnung getragen. setzentwurf der Bundesregierung. (Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Sehr rich- (Rainer Funke [F.D.P.]: Das ist kein Zufall!) tig! – Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau umgekehrt! – Dort, wo soziale Gesichtspunkte höherrangig zu werten Wir haben die Sozialpflichtigkeit im Gesetzent- sind, stehen bei der F.D.P. aber regelmäßig rein wirt- wurf ernst genommen!) schaftliche Interessen im Vordergrund. Das ist mit uns Das gilt vor allem für das vorgesehene asymmetrische Kün- natürlich nicht zu machen. Das konnten Sie ja noch nicht digungsrecht. Die einseitige Verkürzung der Kündigungs- einmal mit Ihrem früheren Koalitionspartner machen. fristen zugunsten der Mieter birgt für den Vermieter die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gefahr des Leerstandes, wenn eine sofortige Anschluss- sowie bei Abgeordneten der SPD) vermietung nicht möglich ist, Frau Kollegin. Damit droht natürlich auch dem Vermieter ein entsprechender Mietaus- Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist sozial aus- fall. Warum die finanziellen Lasten einseitig nur beim Ver- gewogen und wir können mit ihm überzeugt in die Aus- mieter liegen sollen und nicht ausgewogen auf Mieter und schussberatungen gehen. Vermieter verteilt werden, kann ich ehrlich gesagt nicht Ich möchte mich bei der Frau Ministerin und bei ihren verstehen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausdrücklich bedan- (Beifall bei der F.D.P.) ken. Es handelt sich bei den Vermietern nicht immer nur um (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Großgrundbesitzer, sondern es gibt ja auch viele kleine sowie bei Abgeordneten der SPD) Vermieter. Sie können doch nicht einseitig auf diese die Risiken verlagern. Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile dem Kolle- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten gen Rainer Funke, F.D.P.-Fraktion, das Wort. der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000 12965

Rainer Funke (A) Es wird in den Beratungen auch intensiv zu diskutieren gehört hätte; dann wären viele Fehlentscheidungen un-(C) sein, ob der absolute Vorrang desMietspiegels bei der terblieben. Berechnung der Vergleichsmiete der richtige Ansatz ist. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) Mehr Vertragsfreiheit und insbesondere die Berechnung von örtlichen Vergleichsmieten auf der Basis gemeinsa- Insgesamt ist daher festzuhalten, dass in den Beratun- mer Datenbanken von Mietern und Vermietern wärengen des Rechtsausschusses noch kräftig nachgebessert meines Erachtens der richtige Weg. Darüber können wir werden muss, wenn wir das Ziel erreichen wollen, ein ein- sicherlich im Ausschuss noch miteinander reden. Ichfaches, in sich geschlossenes und stimmiges Mietrecht zu glaube, dass wir da noch zu einem guten Ergebnis kom- bekommen. men werden. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Die Absenkung der Kappungsgrenze von 30 auf (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten 20 Prozent steht ebenfalls beispielhaft für die Asymmetrie der CDU/CSU) des Mietvertragsrechts. Man kann zwar sagen: Die Kap- pungsgrenze spielt eigentlich gar keine Rolle mehr. – Wer den Markt ein wenig kennt – Sie müssten ihn eigentlich Präsident Wolfgang Thierse:Ich erteile das Wort von Ihrer beruflichen Vergangenheit her kennen –, weiß, Kollegin Margot von Renesse, SPD-Fraktion. dass die Kappungsgrenze in der Praxis überhaupt keine Rolle mehr spielt. Margot von Renesse (SPD): Herr Präsident! Meine (Beifall bei der F.D.P. – Franziska Eichstädt- Damen und Herren! Alle wollen ein ausgewogenes Miet- Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Trifft recht und jeder wirft dem anderen vor, seine Vorstellun- nur einen ganz kleinen Teil! Da haben Sie völ- gen seien genau nicht ausgewogen. lig Recht!) (Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ Dass Sie die Kappungsgrenze von 30 auf 20 Prozent he- DIE GRÜNEN]: Dann ist es doch offenbar aus- rabsetzen, ist dennoch ein Signal in die falsche Richtung. gewogen!) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten Aber die Frage ist doch eigentlich: Was ist denn ausge- der CDU/CSU) wogen? – Ausgewogen kann nicht sein in jedem Einzel- fall eines synallagmatischen Vertrages, dass das eine dem Darum werden wir uns hier für die Beibehaltung einer anderen praktisch hundertprozentig entspricht wie die Grenze von 30 Prozent einsetzen. Zinken von zwei Kämmen. Die Frage muss vielmehr (B) Die Regelungen zu Zeitmietverträgen müssen sicher- lauten: Wie ist die Interessenlage im Einzelnen gestal-(D) lich noch so ausgestaltet werden, dass echte Zeitmietver- tet,damit im Ergebnis ein Interessenausgleich so gesche- träge geschlossen werden können. Da müssen wir noch hen kann, dass niemand – so sage ich einmal ganz allge- nachbessern. Es ist doch, Frau Fuchs, dem Mieter und mein – über den Tisch gezogen wird? Vermieter, wenn sie nur für gewisse Zeit ein Vertragsver- Wie ist das zwischen Mietern und Vermietern? – Glau- hältnis eingehen wollen, durchaus zumutbar, dass das ben Sie mir, Herr Funke, wir haben nicht die Vorstellung, Mietverhältnis zum Beispiel nach fünf Jahren tatsächlich dass alle Vermieter Miethaie und Kapitalisten sind, die im von beiden Seiten, der Mieter- und der Vermieterseite, be- Gelde schwimmen. Genauso wenig haben wir die Vor- endet werden kann. stellung, dass alle Mieter arme Schlucker sind. Mitunter Auch der Vorschlag der Bundesregierung zu § 5 Wirt- ist das Verhältnis genau umgekehrt. schaftsstrafgesetz geht an der Rechtswirklichkeit vorbei. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sehr richtig!) Mietwucher ist nach wie vor strafbar und soll auch straf- bar bleiben. § 5 Wirtschaftsstrafgesetz brauchen wir nicht; Auch das wissen wir sehr genau. er spielt übrigens auch in der Praxis keine Rolle. Das, was wir zur Grundlage der Beurteilung von Aus- (Beifall bei der F.D.P.) gewogenheit machen müssen und können, ist dasMiet- verhältnis selbst. Indem der Vermieter vermietet, sagt er Insgesamt muss daher festgestellt werden, dass das nicht, ich bin reich, sondern er sagt, ich brauche diese neue Mietvertragsrecht nach den Vorstellungen der Bun- Wohnung nicht, ich will an ihr verdienen, ich will den desregierung weniger Vertragsfreiheit, weniger Markt für Zins, den ich bekäme, wenn ich das Geld auf die Bank die Vertragsparteien mit sich bringt. Stattdessen sind Re- brächte, in Form von Miete einnehmen. gulierung und Bevormundung für das Mietvertragsver- hältnis die Regel geworden. Die Erfahrung lehrt, dass Re- Das bedeutet auf der einen Seite ganz klar, dass der gulierung und Bevormundung zu mehr StreitigkeitenMieter, der nicht zahlt, gegen einen kapitalen, entschei- zwischen Mieter und Vermieter und damit zu mehr Ge- denden Grundsatz und eine Verpflichtung aus dem Miet- richtsprozessen führen. Gerade das wollen Sie ja vermei- verhältnis verstößt, dass die entsprechenden Konsequen- den. zen für den Vermieter sehr, sehr ernst zu nehmen sind und dass sie auch rechtlicher Natur sein müssen. Ich glaube, es wäre gut gewesen, wenn sich die Minis- terin mehr an der Praxis, mehr an den Marktverhältnissen Auf der anderen Seite heißt das Vermieten von Woh- orientiert hätte, vielleicht auch mehr in den Markt hinein- nungen für den Vermieter: Er lässt es zu, dass sich eine 12966 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000

Margot von Renesse (A) Grundrechtsentfaltung in dieser seiner – Art. 14 lässt (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (C) grüßen – Wohnung vollzieht; er nimmt sie nicht nur hin, DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der sondern er will sie sogar. PDS – Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Dann könnten wir es ja eigentlich Das bedeutet, dass ganz klar das passieren musste, was so lassen, wie es ist!) wir bis zum heutigen Tag haben, nämlich ein asymmetri- sches Kündigungsrecht. Wir haben es ja schon, denn der Mieter kann nach gegenwärtigem Recht grundlos kündi- Präsident Wolfgang Thierse: Nun hat der Kollege gen; der Vermieter aber muss sehr massive Gründe haben. Wolfgang Spanier von der SPD-Fraktion das Wort. Das ist bereits eine Asymmetrie, wenn auch nicht hin- sichtlich der Kündigungsfrist. Wolfgang Spanier (SPD): Herr Präsident! Meine Da- (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten men und Herren! Ich glaube, heute ist ein guter Tag des [CDU/CSU]: Das ist auch gut so!) Parlaments, weil wir endlich in der ersten Lesung über das Mietrechtsreformgesetz beraten können. Wir nehmen da- Das heißt, schon das heutige Recht geht von einer unter- mit eine weitere wichtige wohnungspolitische Weichen- schiedlichen Bewertung der Interessen aus. Der Vermie- stellung vor. Nach der Novellierung des Wohngeldge- ter kann nicht sagen, morgen fliegst du raus; der Mieter setzes beraten wir das Mietrechtsreformgesetz, die an- kann sagen, sehr bald ziehe ich aus. stehende Reform des sozialen Wohnungsbaus, die Diese Asymmetrie im Hinblick auf die gestiegene Not- Energieeinsparverordnung – sie ist in Vorbereitung –, und wendigkeit, die Mobilität von Mietern zu verstärken – das das Modernisierungsprogramm für den Wohnungs- hat Kollege Dirk Manzewski zu Recht gesagt –, ist also bestand. nicht etwas Systemfremdes, ist nicht eine Ausgeburt so- Ich glaube, dass sich am Ende der Legislaturperiode zialistischen Chaos, sondern ist eine konsequente Fort- die Bilanz durchaus wird sehen lassen können. Wir haben führung des gegenwärtigen Mietrechts. das, was Sie liegen gelassen, was Sie nicht angepackt, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sondern wie heiße Eisen haben fallen lassen, DIE GRÜNEN) (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Wir werden darüber zu reden haben, aber ich habe da [CDU/CSU]: Es ist doch Ruhe an der Miet- zunächst einmal keine systematische Bedenken. front!) Darüber, ob die Fristen richtig angesetzt sind, werden endlich vernünftig gelöst. wir sicher streiten. Wie Sie sehen, hat es ja zwischen Re- (Beifall bei der SPD) ferentenentwurf und Regierungsentwurf diesbezüglich (B) Ich bin meiner geschätzten Kollegin Margot von(D) Differenzen gegeben. Darüber wird zu streiten sein, wo- Renesse sehr dankbar dafür, dass sie noch etwas gesagt bei im Ergebnis – so fürchte ich – nicht nur logisch darü- hat zur Ausgewogenheit. Ja, der Gesetzentwurf der Re- ber verhandelt, sondern eine Entscheidung getroffen wer- gierung ist ausgewogen. Er ist ein fairerInteressen- den muss. Diese Entscheidung – das ist jetzt wieder etwas, ausgleich zwischen Vermietern und Mietern. was Mieter und Vermieter betrifft – muss an den Interes- sen beider ausgerichtet sein, denn beide haben jedenfalls (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ ein gemeinsames Interesse: dass es Vermieter gibt, dass CSU]: Ein klarer Systembruch!) investiert wird. Was es bedeutet, wenn man die Vermieter Das hindert das Parlament natürlich nicht daran, in der platt macht, sehen wir an Plattenbauten und Ähnlichem in Feinabstimmung in dem einen oder anderen Punkt durch- der ehemaligen DDR. Das ist ein Zerrbild und zeigt, wie aus noch andere Akzente zu setzen. Schließlich entschei- man mit Vermietern nicht umgehen sollte, wenn man es det das Parlament, und diese Entscheidung sollten wir uns gut meint mit Mietern. Daran sind wir alle nicht interes- als Parlamentarier durchaus vorbehalten. siert. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Wir werden darüber reden müssen, dass der Interes- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) senausgleich fair geschieht. Ich freue mich, dass es Ge- sprächsangebote gibt. Ich hoffe, Herr von Stetten, dass Kernbestandteil des sozialen Mietrechts – ich betone, wir dann nicht über alles und jedes reden, nicht jedendes sozialen Mietrechts, und schaue dabei ganz bewusst Politikbereich ansprechen müssen, nach rechts – ist neben dem Kündigungsschutz das Ver- gleichsmietensystem. Beides wird in diesem Gesetz- (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ entwurf nicht nur erhalten, sondern durchaus gestärkt, CSU]: Das ist aber doch kein Fehler, Frau Kol- und das ist richtig. Dass wir nebenbei mit der Mietrechts- legin!) reform zusätzlich umweltpolitische Fortschritte erzielen, sondern dass wir beim Mietrecht bleiben können. Wirdarüber sind wir Sozialdemokraten besonders froh. Damit müssen nicht die ganze Welt aus den Angeln heben, um werden Vorstellungen unserer Partei auch im Rahmen des Mietrechts umgesetzt. einen – wenn auch unglaublich wichtigen – Teil des Alltagsrechts systematisch korrekt so auszugestalten, (Beifall bei der SPD) dass im Ergebnis alle, mit einem lachenden und einem Ich erspare mir und vor allen Dingen Ihnen, dass ich weinenden Auge, damit leben können. noch einmal auf die wichtigsten Veränderungen eingehe Vielen Dank. – das haben die Frau Ministerin und andere aus der Ko- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000 12967

Wolfgang Spanier (A) alition bereits hinreichend getan –, will aber dennoch ei- Zum anderen ist dieModernisierungsumlage, die (C) nige Anmerkungen machen, zunächst zum F.D.P.-Ent- jetzt wieder auf 11 Prozent angesetzt werden soll, kritisch wurf. diskutiert worden. Ich sage Ihnen ehrlich, dass dieser Punkt bei mir nicht gerade Begeisterungsstürme auslöst. (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ Aber unter dem Strich muss man sagen – Stichwort: Aus- CSU]: Der hier gar nicht zur Debatte gewogenheit; Stichwort: Notwendigkeit, bei Vermietern steht!) eine hinreichende Investitionsbereitschaft zu schaffen –, – Das macht nichts, Herr von Stetten. Ich wundere mich dass man die Regelung in dieser Form hinnehmen kann. an diesem Punkt über Ihren Zwischenruf. Wenn Sie sagen, ich rede nicht zur Sache, sollten Sie sich an Ihren eigenen Selbstverständlich wird der Gesetzentwurf Verände- Redebeitrag erinnern. Darüber könnten wir sicher einrungen erfahren. Das ist ein ganz normaler parlamentari- bisschen länger reden. scher Vorgang. Ich wundere mich immer, wenn in dem Zusammenhang von Nachbesserung gesprochen wird. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Mit diesem Begriff entwerten wir unsere parlamentari- DIE GRÜNEN – Dr. Wolfgang Freiherr von sche Arbeit. Veränderungen sind eine Selbstverständlich- Stetten [CDU/CSU]: Jedem das Seine!) keit. Ich habe aus den Reden der Opposition herausgehört In der letzten Dabatte zum Wohngeld- und Mietenbe- – ich habe mich übrigens über das ausdrückliche Lob der richt hat Herr Funke mit hinreichender Deutlichkeit klar PDS heute Morgen sehr gefreut –, gemacht, wohin der Kurs der F.D.P. beim Mietrecht geht. (Rainer Funke [F.D.P.]: Ihr zukünftiger Koali- Er hat gesagt: Wir wollen den Markt entscheiden lassen, tionspartner!) auch bei Wohnungen und Mieten. dass es durchaus eine Bereitschaft gibt, an diesen Verän- (Rainer Funke [F.D.P.]: Immer noch richtig! – derungen mitzuarbeiten. Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Typisch F.D.P.!) Ich möchte noch auf einige bedenkenswerte Punkte – Typisch F.D.P.! – Da fehlt etwas. Diese einseitige For- hinsichtlich der sozialen Schutzfunktion eingehen, die mulierung ist natürlich mit dem Grundgedanken der so- eindeutig gestärkt werden soll. zialen Marktwirtschaft nicht vereinbar. Ich könnte erin- nern an die Entgegnung von Herrn Pofalla, der sehr schön Asymmetrische Kündigungsfristen: Wir halten es für deutlich gemacht hat, wieso Sie die Vermieterseite indurchaus vertretbar, dass die Kündigungsfrist auf der Ihrem Gesetzentwurf einseitig massiv bevorteilen. Mieterseite drei Monate beträgt. Man sollte prüfen, wel- che Kündigungsfrist auf der Vermieterseite gelten soll. Sie reden immer von Zweiseitigkeit, aber Ihr Gesetz- Ich glaube, dass eine Kündigungsfrist von zwölf Monaten entwurf entspricht dieser Ankündigung nicht. Sie höhlen ein bisschen weit weg von der Lebenswirklichkeit ist. Ich (B) den Kündigungsschutz aus. Bei der Umwandlung lassen kann mir vorstellen, dass wir in diesem Punkt zu einer Lö- (D) Sie der Spekulation ein weites Feld. Ich nenne außerdem sung kommen, die den Mobilitätsansprüchen der Miete- den Wegfall der Kappungsgrenze und die Streichung des rinnen und Mieter gerecht wird. § 5 Wirtschaftsstrafgesetz. Damit wird dem Missbrauch natürlich Tür und Tor geöffnet. Qualifizierter Mietspiegel: Der entsprechende Vor- schlag aus dem Bundesrat ist durchaus vernünftig. Damit (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des wird sichergestellt, dass es keine Möglichkeit der Blo- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ckade durch eine der beteiligten Parteien gibt. Dieser Vor- Wie Sie mit dem sozialen Gut Mietwohnung umgehen, schlag ist also akzeptabel. zeigt eine Form des Liberalismus, wo mindestens die Kündigungssperrfrist: Das ist besonders ein Problem Silbe „Neo“ vorgesetzt werden müsste. in Städten wie zum Beispiel Hamburg und München. Wir (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten halten den im Kabinettsentwurf enthaltenen Vorschlag des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) dazu für deutlich vernünftiger als den Vorschlag des Bun- desrates. Es gibt ja noch eine Anhörung, bei der über die- Wenn Herr Goldmann von der gleichen Augenhöhe von sen Punkt gesprochen werden kann. Es geht auch um die Vermietern und Mietern spricht, dann muss ich dazu sa- notwendige Klarstellung in Bezug auf den Nachweis ei- gen, Ihr Gesetzentwurf bewirkt, dass der Blick des Mie- ner Ersatzwohnung. In diesem Punkt müssen wir noch um ters höchstens auf die Kniescheibe des Vermieters gerich- eine präzisere Formulierung ringen. tet werden kann. Zerrüttungskündigung: Dieser Begriff ist zwar sozu- (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei sagen ein Kampfbegriff. Aber es ist nicht die Absicht des Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Gesetzentwurfes, Situationen herbeizuführen, die dieser GRÜNEN) Begriff nahe legen könnte. Wir werden sicherlich diesen Zwei Punkte sind in der Vergangenheit öffentlich dis- Punkt klar und unmissverständlich formulieren, um vor kutiert worden. Zum einen betraf das dieSenkung der allem die vonseiten des Deutschen Mieterbundes Kappungsgrenze auf 20 Prozent, einheitlich in ganz geäußerten Sorgen aus der Welt schaffen zu können. Ich Deutschland. Es ist heute hinreichend angesprochen wor- denke, das ist durchaus möglich. den, warum dies ein ganz wichtiger Bestandteil dieses Ge- Bei der Regelung bezüglich der Zeitmietverträge gibt setzes sein muss. es die Forderung, dass der Begriff „wesentliche Instand- (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: setzung“ präziser gefasst werden soll, um die Mieter zu Warum?) schützen. Ich glaube, dies ist ein vernünftiger Vorschlag. 12968 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000

Wolfgang Spanier (A) Ein letzter Punkt: Schönheitsreparaturen. Es wäre – Drucksache 14/4383 – (C) wünschenswert, wenn wir entsprechende Regelungen im Überweisungsvorschlag: Mietrecht unterbringen könnten. Ich habe mir aber von Auswärtiger Ausschuss (f) den Fachleuten – in diesem Fall: von den Juristen – sagen Ausschuss für Wirtschaft und Technologie lassen, dass es sehr schwierig wird. Auch der Vorschlag Verteidigungsausschuss des Bundesrates hat seine Tücken. Wir müssen ernsthaft Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung prüfen und überlegen, wie wir diesen Punkt be- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union rücksichtigen können. Ich denke, das ist eine vernünftige Absicht. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre Ein Ziel bei der Erarbeitung des Entwurfes war es, für keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. dieses Gesetz eine verständliche und moderne Sprache zu finden. Das freut einen, besonders einen bekennenden Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Deutschlehrer. Kollegen Volker Rühe, CDU/CSU-Fraktion. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Volker Rühe (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kol- NEN) leginnen und Kollegen! Die Vertiefung und Erweiterung Ich will nicht abstreiten, dass Erfolge erzielt worden sind. der Europäischen Union, der Ausbau der transatlantischen Aber ich glaube, man sollte diesen Gesetzentwurf auch Partnerschaft, die dauerhafte Befriedung des Balkans, der aus sprachlicher Sicht mit ein bisschen Sensibilität über- Stabilitätstransfer in den postsowjetischen Raum sowie arbeiten. Ich bringe Ihnen einfach einmal ein Beispiel. ein weltweiter Einsatz für Frieden, Demokratie und Men- schenrechte, die Herausforderungen der Globalisierung – In § 543 BGB – „Außerordentliche fristlose Kündi- das alles erfordert von unserem Land eine kraftvolle und gung aus wichtigen Grund“ –, wo es zum Beispiel um den kreative Außenpolitik, die Einfluss und Gewicht hat, die Rückstand von zwei Monatsmieten geht, heißt es: „Die eine strategische Perspektive entwickelt und sich nicht in Kündigung ist ausgeschlossen, wenn der Vermieter vor- taktischer Geschmeidigkeit erschöpft. her befriedigt wird.“ (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Heiterkeit) der F.D.P.) Gemeint ist, dass der Mieter die Mietschulden bezahlen Ich gehe davon aus, dass der Außenminister sein Er- soll. Ich möchte auf mögliche Assoziationen hier nicht scheinen noch realisieren kann. näher eingehen; aber ich denke, dieser Sprachgebrauch ist überholungsbedürftig. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Da ist er! Wenn Sie so häufig da wären wie der Außen- (B) Zusammenfassend will ich sagen: Für uns ist diese Re- (D) minister, dann wäre es besser!) form des Mietrechts mit Veränderungen, wie ich sie an- gesprochen habe, ein ganz wesentlicher wohnungspoliti- – Da ist er. Herzlich willkommen! Er kommt gerade recht- scher Fortschritt. Von daher hoffen wir, dass wir, wie Frau zeitig für das wenige Lob, das ich der Bundesregierung Ministerin es eingangs gesagt hat, den Gesetzentwurf in zollen möchte. den Fachausschüssen zügig beraten können. Ich hoffe, dass die Mitarbeit der Opposition ein bisschen weiter So wurden viele Grundlinien von der vorherigen Bun- geht, als Herr von Stetten es in seinem Beitrag heute hier desregierung übernommen, angedeutet hat. Dann glaube ich, dass wir nach – wie viele (Lachen des Abg. Dr. Helmut Lippelt [BÜND- Jahre ist es her, seit der Bundestag den Auftrag zur Re- NIS 90/DIE GRÜNEN]) form gegeben hat?, ich glaube, 27 Jahre – mehr als einem Vierteljahrhundert endlich das Mietrecht modernisieren die von Rot-Grün zu deren Oppositionszeiten noch heftig und an die gesellschaftlichen Veränderungen anpassen. bekämpft wurden, beispielsweise derEinsatz auf dem Balkan. Es ist gar keine Frage, dass es eine Leistung der Schönen Dank. neuen Bundesregierung war, dass es hier nicht zu einem (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Bruch in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik ge- DIE GRÜNEN) kommen ist. Aber nach zwei Jahren rot-grüner Regierung hat Präsident Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aus- Deutschland an Einfluss und Vertrauen verloren sprache. ( [SPD]: Genau das Umgekehrte ist Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- passiert!) wurfes auf Drucksache 14/4553 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie und Glaubwürdigkeit eingebüßt. In der Frage derOst- damit einverstanden? – Das ist der Fall. Damit ist dieerweiterung hat Deutschland seine Lokomotivfunktion, Überweisung so beschlossen. die wir unter Bundeskanzler Kohl und seiner Bundesre- gierung noch hatten, leider aufgegeben. Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 22 auf: (Beifall bei der CDU/CSU) Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU Wichtigen strategischen Fragen wird ausgewichen oder Der deutschen Außenpolitik wieder Einfluss ge- sie werden gar tabuisiert, sobald sie zu einer Belastung ben des rot-grünen Bündnisses zu werden drohen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000 12969

Volker Rühe (A) Die Agenda der deutschen Außenpolitik hat sich dra- Die Erweiterung der Europäischen Union liegt in un- (C) matisch verengt. Wesentliche Weltregionen, aber auch serem ureigenen Interesse. Deshalb brauchen wir eine zü- eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den globalen He- gige, aber auch eine realistische Erweiterung. Der strate- rausforderungen bis hin zur Bekämpfung von Armut und gische Ansatz muss sein, die Europäische Union auf dem ansteckenden Krankheiten werden vernachlässigt. Gipfel in Nizza so zu reformieren, dass sie erweitert wer- (Uta Zapf [SPD]: Das ist doch nicht wahr, den kann. Sie muss zügig so erweitert werden, dass sie da- Herr Rühe!) nach weiter vertieft werden kann. Man kann daher nicht erst auf eine maximale Erweiterung drängen und am Auch international gegebene Versprechen wurden ge- nächsten Tag Finalitätsreden über die maximale Vertie- brochen. Der Entwicklungsetat für dieses Jahr wurde um 8,7 Prozent gekürzt. Inzwischen ist ein Punkt erreicht, an fung der Europäischen Union halten. dem es immer schwerer fällt, signifikante Beiträge zur Einen der Fehler, die der Außenministers in diesem Zu- Entwicklung in Partnerländern zu leisten. Dafür trägt die sammenhang immer wieder macht, konnte man auch in rot-grüne Bundesregierung die Verantwortung. den letzten Tagen sehen: Er hat die Direktwahl des Kom- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- missionspräsidenten gefordert, während die französi- neten der F.D.P.) schen Freunde gerade dabei sind, die in dieser Woche an- stehenden Hausarbeiten zu erledigen. Manchmal erinnert Meine Damen und Herren, fristgerecht zum Parteitag Herr Fischer im Zusammenhang mit der europäischen Po- der Grünen Ende 1998 wurde die NATO-Nukleardoktrin litik an einen Hans Guckindieluft: den Blick weit auf die infrage gestellt. Seitdem herrscht ostentatives Desinte- Finalität gerichtet, aber stolpernd über die Aufgaben, die resse an weltweiter nuklearer Abrüstung und an Nichtver- breitung von Massenvernichtungswaffen. jetzt geregelt werden müssen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie kriegen das wohl alles nicht mehr richtig mit, Man kann die Beitrittsverhandlungen nicht auf zwölf Herr Rühe!) Staaten ausweiten, die Türkei noch draufsatteln, sie zu- Der Außenminister hat es nicht einmal nötig, nach New gleich zu einem anstößigen Sonderfall erklären, darüber York zur Überprüfungskonferenz im Zusammenhang mit hinaus den Ländern der Balkanregion eine Beitrittsper- dem Nichtverbreitungsvertrag zu gehen. Ich meine, das spektive eröffnen – also maximale Erweiterung – und ist ein besonders trübes Kapitel der neuen Bundesregie- gleichzeitig von einer europäischen Föderation sprechen. rung. Eine maximale Erweiterung und eine maximale Vertie- fung passen nicht zusammen. Ich nenne das Verhalten, (B) (D) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) diese beiden Ziele gleichzeitig zu verfolgen, eine Lebens- Das freizügige Schwingen der Moralkeule gegenüber lüge der rot-grünen Europapolitik, Herr Außenminister. kleinen Staaten wie zum Beispiel Österreich passt nicht (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und zum weit gehenden Stillschweigen gegenüber massiven der F.D.P.) russischen Menschenrechtsverletzungen in Tschetsche- nien. Deswegen ist zu fragen: Was muss geschehen? Wir (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sollten in der Gruppe der zwölf Beitrittsländer wieder stärkere Differenzierungen vornehmen –lesen Sie einmal Die außenpolitischen Debatten in Bonn zu der Zeit, als das jüngste Buch von Helmut Schmidt nach, falls Sie mir noch Außenminister war, waren häufig von nicht glauben! –, einem rot-grünen Menschenrechtsfundamentalismus ge- prägt. Allen voran ging hier mit sich überschlagender (Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Stimme der jetzige Außenminister. Dies ist besonders er- NEN]: Sie kommen sehr spät in der Diskussion bärmlich, wenn man sieht, dass heute fast schon ein Fun- an!) damentalismus der Realpolitik gepflegt wird, Herrund zwar nicht willkürlich, indem man sich einzelne Staa- Fischer. ten herauspickt, sondern indem man den Verhandlungs- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zu- zeitraum auf Ende 2002 begrenzt, wie es jetzt die Kom- rufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE mission vorgeschlagen hat und wie wir das schon seit GRÜNEN: Oh!) geraumer Zeit vertreten, damit die EU zügig um eine klei- Was die Europapolitik, insbesondere die Erweiterung nere Gruppe von Staaten erweitert wird, nämlich um die- der EU, betrifft, so war Deutschland früher eine Loko- jenigen, die zu diesem Zeitpunkt die notwendigen Voraus- motive. Heute ist der Dampf ziemlich heraus. Zum Teil setzungen erfüllen. Ich fordere die Bundesregierung auf, wird der Erweiterungsprozess sogar gezielt verzögert. sich hinter diese Vorstellungen der Kommission zu stel- Herr Minister, in Warschau die Beschleunigung der Ver- len. Das macht es dann auch möglich, die Vertiefung der handlungen zu fordern und gleichzeitig die eigenen Be- Europäischen Union durch eine Ausarbeitung eines amten in Brüssel anzuweisen, die Agrarverhandlungen bis Verfassungsvertrages und eine klare Kompetenzabgren- in das nächste Jahr hinauszuzögern, das, finde ich, istzung zwischen der europäischen und der nationalen doppelzüngig und macht die deutsche Europapolitik un- Ebene fortzusetzen. Dafür muss auf dem Gipfel in Nizza glaubwürdig. ein Zeitplan festgelegt werden. 12970 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000

Volker Rühe (A) Das für einen ersten Abschluss der Verhandlungen fest- für die Schaffung einer freiheitlichen, solidarischen und (C) zulegende Datum sollte nicht zu lange hinausgezögert friedlichen Weltordnung leisten. werden. Herr Fischer, auch Sie haben sich daran beteiligt, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- dieses Datum immer weiter in die Zukunft zu verschie- neten der F.D.P.) ben. Der ungarische Außenminister hat ja nicht ohne Grund gesagt, Ungarn sei jeweils fünf Jahre davon ent- Deshalb muss die Bundesregierung endlich die Initia- fernt, Mitglied der Europäischen Union zu werden. 1995 tive für eine gemeinsame Strategie ergreifen und erläu- habe man gesagt, dies solle im Jahre 2000 erfolgen. Im tern, mit welchen Zielen und Mitteln Europäer und Ame- Jahre 1998 habe man von 2003 gesprochen. Jetzt sprechen rikaner den globalen Risiken wie der Proliferation von manche – auch Sie – von 2005. Das fördert nicht dieMassenvernichtungswaffen und Trägermitteln, der Unter- Glaubwürdigkeit. Je länger wir dieses Datum hinaus-entwicklung und der Umweltbelastung begegnen können. schieben, umso unglaubwürdiger werden wir und umso Denn hier stehen wir Europäer zusammen mit den Ame- größer wird die Gruppe, die aufgenommen werden soll. rikanern aufgrund unseres wirtschaftlichen und technolo- Ich glaube, dass das eher eine schwierige Last für die Eu- gischen Potenzials in einer besonderen Verantwortung. ropäische Union sein wird. Wir müssen aber feststellen, dass in dieser Bundesre- Vieles von dem Unbehagen über die Erweiterung hängt gierung wichtige strategische Fragen des transatlanti- auch damit zusammen, dass man auf maximale Erweite- schen Verhältnisses nicht entsprechend ihrer politischen rung – plus Türkei – drängt, ohne Antworten darauf zu Bedeutung behandelt werden, sondern sie werden jeweils geben, wie die EU eine solche Entwicklung politisch, fi- auf das verengt, was eine rot-grüne Belastungsprobe hier nanziell und institutionell verkraften wird. zu Hause gerade noch zulässt. Ich will einige Beispiele (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Dann dafür nennen: sagen Sie uns das mal!) Die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik Hinzu kommt, dass – leider auch immer mehr in Deutsch- ist notwendig, um zu einer echten transatlantischen Las- land – fast ausschließlich über die Probleme und viel zu tenteilung zu kommen. Die Amerikaner aber messen uns wenig über die Chancen der Erweiterung, gerade auch zu Recht an unserem Handeln und nicht an Versprechun- für unser Land, gesprochen wird. gen. Es gibt viel Kritik daran, dass die Europäer nur reden und nicht handeln. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Sagen Sie das mal ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herrn Stoiber und der CSU!) NEN]: Zwei Jahre geschlafen!) (B) Deswegen sage ich: Es gibt einen Mangel an politi- Wenn es eine echteeuropäische Sicherheits- und (D) scher Führung in diesem Land. Das hätte unter der Vor- Verteidigungspolitik geben soll, müssen die Verteidi- gängerregierung anders ausgesehen. gungshaushalte in Europa abgestimmt werden. Wir müs- sen uns auch die Fragen stellen: Welche europäischen (Joseph Fischer, Bundesminister: Kohl!) Fähigkeiten brauchen wir? Was ist der deutsche Beitrag – Natürlich, Bundeskanzler Kohl hat die Chancen aktiv dabei? Welche Finanzmittel sind dafür nötig? Dieser Bei- vertreten, ob es um den Euro oder die Erweiterung der trag muss von den europäischen Aufgaben und Fähig- Europäischen Union ging. Das ist es, was ich Ihnen vor- keiten und darf nicht nur von der Kassenlage bestimmt werfe: Mangel an politischer Führung, um diesen Prozess sein. Das muss europäisch konzertiert werden. Wir müs- auch mehrheitlich abzusegnen. sen feststellen, dass die Dinge, die notwendig sind, immer noch nicht oder nicht ausreichend finanziell abgesichert (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – sind. Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wer braucht Führung? Ihre Fraktion Ich halte es im Übrigen für ein großes Dilemma – das braucht die!) ergibt sich aus dem, was man mit Rot-Grün diskutieren kann und was nicht –, dass man über eine Truppenstärke – Ich freue mich, dass Sie aufwachen, Herr Kollege. von 200 000 Mann spricht, aber keine Diskussion darüber Nur wenn immer wieder die Chancen der Erweiterung stattfindet, in welchen Szenarien diese Truppe eingesetzt dargestellt und verständlich gemacht werden, könnenwerden soll. wir auch damit rechnen, dass die Zustimmung in der Be- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Natürlich völkerung wächst. Europa ist angesichts der globalen gibt es das! Haben Sie wieder nicht mitgekriegt! Herausforderungen und der Aufgaben, die auf unserem Sie kriegen überhaupt nichts mehr mit! Merken Kontinent zu bewältigen sind, mehr denn je auf eine part- Sie nicht, dass Sie nichts mitkriegen?) nerschaftliche, enge und vertrauensvolle Zusammen- arbeit mit den USA angewiesen. – Sind Sie sich da sicher? – Wie weit reicht eigentlich der Konsens unter den Europäern darüber, für welche Aufga- Wir müssen die Partnerschaft zwischen Europa und ben eine solche Truppe eingesetzt werden soll? den USA zum entscheidenden Faktor bei der Gestaltung der globalen Entwicklungen ausbauen. Was das deutsch- Mein zweites Beispiel ist dieNATO-Erweiterung. französische Tandem in den letzten Jahrzehnten für die In- Wir haben sie begonnen; das ist ein großer Erfolg. Das tegration Europas geleistet hat, muss nach unserer Über- können Sie bis hin zur NATO-Parlamentarierkonferenz in zeugung künftig das europäisch-amerikanische Tandem diesen Tagen in Berlin spüren. Es ist ein ganz großer Er- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000 12971

Volker Rühe (A) folg unserer Politik, dass die Polen, die Ungarn und Ulrich Irmer (F.D.P.): Das passt jetzt so schön hier(C) Tschechen ganz selbstverständlich dabei sind. Das war rein. ein richtiger Schritt. Herr Kollege Rühe, Sie haben mit Recht darauf hinge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wiesen, dass die Grünen gegen die Osterweiterung der NATO waren. Ist Ihre Erinnerung so gut, dass Sie noch Wir haben dieses Projekt am Anfang, Herr Außenminister, wissen, dass die Grünen in der Vergangenheit generell ge- ohne die USA oder sogar gegen sie vorangetrieben. Es ist gen die NATO waren, dass sie noch vor wenigen Jahren durchaus eine Ironie der Geschichte, wenn man sieht, wie die Auflösung der NATO verlangt haben und sie in die wenig Spielraum Sie sich geben. Dieser Prozess muss OSZE überführen wollten? weitergeführt werden. (Heiterkeit bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist doch Unsinn: Polen gegen die USA!) Volker Rühe (CDU/CSU): Geschichtlich ist das richtig, aber man soll niemanden beschimpfen, wenn er Neun Kandidatenländer haben sich getroffen und den einen Lernprozess vollzieht. Jetzt geht es darum, die Ost- Wunsch geäußert, im nächsten Schritt zusammen auf- erweiterung voranzutreiben. Ich stelle fest: Es gibt kei- genommen zu werden. Wie ist die Haltung der Bundesre- nerlei Initiative der Bundesregierung in diesem Bereich. gierung dazu? Soll sich dieser Öffnungsprozess möglichst deckungsgleich mit dem Öffnungsprozess in der Europä- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ischen Union vollziehen oder eher komplementär? Sollen wir zuerst diejenigen aufnehmen, die aufgrund ihrer wirt- Vizepräsident Dr. h. c. :Herr Kol- schaftlichen Situation keine Chance haben, Mitglied der lege Rühe, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, dieses Europäischen Union zu werden? Mal vom Kollegen Lippelt? (V o r s i t z: Dr. h. c. Vizepräsident Rudolf Seiters) Volker Rühe (CDU/CSU): Das geht nicht von meiner Dazu gibt es keinerlei Aussage der Bundesregierung.Redezeit ab? Warum? Weil die Grünen gegen die Osterweiterung der NATO waren. Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters:Nein, das (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- geht nicht von Ihrer Redezeit ab. (B) NEN]: Da denkt man, es kommt konzeptionelle (D) Außenpolitik! Aber nichts als Luftblasen!) Volker Rühe (CDU/CSU): Gut. Deswegen sage ich Ihnen: Bei strategischen Perspektiven der Bundesregierung herrscht Fehlanzeige, weil Sie nicht Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): die Kraft aufbringen, eigene Vorschläge zu machen. Da Sie sich immer auf die Vergangenheit beziehen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – müssen, um gewisse Ideologien aufrechtzuerhalten – ich Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- weiß, Sie können noch weiter in die Vergangenheit NEN]: Das ist absoluter Unsinn!) zurückgehen –, möchte ich Sie fragen, ob Sie bei der Ab- stimmung dabei gewesen sind? Wissen Sie zum Beispiel, Jetzt bestreitet Herr Fischer sogar, dass Sie gegen die dass eine namhafte Riege der Grünen der Erweiterung Osterweiterung der NATO gewesen sind. Sie haben nicht zugestimmt hat? Ist Ihnen das Abstimmungsverhältnis einmal den Mut gehabt, damals auf Ihrem Parteitag gegen noch bekannt? Sie können gerne einwenden, es hätten die falsche Politik der Grünen anzutreten. Auch die Sozi- nicht alle zugestimmt. Aber wissen Sie, wie die Mehrheit aldemokraten haben die Osterweiterung am Anfang re- gestimmt hat? serviert aufgenommen. (Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Volker Rühe (CDU/CSU): Herr Kollege, ich gehöre NEN]: Sie waren bei den Abstimmungen nicht nicht Ihrer Partei an, also war ich bei der Abstimmung auf dabei!) dem Parteitag nicht dabei. Aber eine zuverlässige Be- richterstattung der Medien hat mich darüber informiert, Drittes Beispiel: Raketenabwehr. Auch dieses Thema dass die deutliche Mehrheit dagegen gestimmt und auch wird von der Bundesregierung tabuisiert. der jetzige Außenminister nicht für die Erweiterung gekämpft hat. Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters:Herr Kol- (Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollege Irmer? NEN]: Ich habe nicht von einem Parteitag ge- sprochen, sondern von einer Abstimmung hier!) Volker Rühe (CDU/CSU): Bitte schön, Herr Kollege. Wir sind jetzt beim Thema „Raketenabwehr“. (Gernot Erler [SPD]: Sie sind doch gleich (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dran, Herr Irmer!) DIE GRÜNEN) 12972 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000

Volker Rühe (A) Das Thema ist mindestens genauso unangenehm für Sie. Waffen abzuhalten; das ermöglicht in der Tat die Rück- (C) Es ist ein Thema, das wir nicht tabuisieren dürfen. Es wird führung auf wenige Hundert Systeme. auch unabhängig davon, wer einmal amerikanischer Ihre Taktik, bei dieser Frage wegzutauchen, weil in Präsident sein wird – irgendwann wird sich das entschei- Rot-Grün darüber nicht diskutiert werden kann, keinerlei den –, auf der Tagesordnung bleiben. strategische Perspektive zu eröffnen, keinerlei Abrüs- (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tungsinitiativen vorzulegen und keine Bereitschaft zu NEN]: Sie können ja mal nachhelfen!) zeigen, eine aktive europäische Politik zu führen, um aus- zuloten, in welcher stabilitätsfördernden Weise man Ab- Was das Alaska-Projekt angeht, so ist die Diskussion über schreckung mit Verteidigung verbinden kann, ist es, was dieses Thema von Präsident Clinton vernünftigerweise wir Ihnen vorwerfen, Herr Bundesaußenminister Fischer. zurückgestellt worden. Aber wenn wir Europäer mehr als bisher auf den Meinungsbildungsprozess in den USA Ein- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- fluss nehmen wollen, dann müssen wir zu einer ein- neten der F.D.P. – Angelika Beer [BÜND- heitlichen europäischen Position finden. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie einmal et- was zur Nonproliferation!) Es ist besonders unglaubwürdig, wenn gerade die Grü- nen in der Vergangenheit die Haltung, die Aufrechterhal- Was den Balkan betrifft, unterstützen wir die demo- tung des Friedens sei nur durchAbschreckung zu ge- kratische Entwicklung in Serbien nachdrücklich. Es war währleisten – dies war mit der Drohung verbunden,gut, dass Präsident Kostunica wichtige Gesten im Hin- notfalls die Welt mit Nuklearwaffen in die Luft zu spren- blick auf die Amnestie gemacht hat, dass er auch ein Wort des Bedauerns angesichts der schrecklichen Massaker ge- gen; eine fragile Grundlage für die Aufrechterhaltung des funden hat. Denn eines ist richtig: Ohne die Wahrheit über Friedens –, moralisch hinterfragt haben. die Vergangenheit kann es keine gute Zukunft mit den (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Nachbarn geben. NEN]: Das tun Ihre Parteikollegen inzwischen Es ist jetzt nicht der Zeitpunkt, über den künftigen Sta- auch!) tus des Kosovo zu entscheiden. Aber, liebe Kolleginnen Ich sage Ihnen: Wir brauchen auch in Zukunft Ab-und Kollegen, was wir dort endlich brauchen, ist ein poli- schreckung. Aber wenn es heute eine Chance gibt, die tischer Prozess. Es geht nicht nur eine humanitäre Inter- Abschreckung – neben der Prävention – durch ein Ele- vention. Dieses Land wird praktisch von der NATO, der ment der Verteidigung zu ergänzen, dann kann man dies EU und den Vereinten Nationen regiert. Schon viel zu lange befinden sich unsere Soldaten dort, ohne dass dies (B) nicht von vornherein ablehnen, (D) durch einen politischen Rahmenprozess begleitet wird. (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sagen Sie einmal etwas zum ABM-Ver- (Beifall des Abg. Dr. trag! Das ist interessanter!) [CDU/CSU] sondern dann muss man eine einheitliche europäische Po- Soldaten anstelle von Politik – das ist eine Situation, die sition finden. Ich habe vor kurzer Zeit mit dem französi- wir schen Verteidigungsminister gesprochen. Es wird ja im- (Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE mer wieder gesagt, die Franzosen würden uns behindern. GRÜNEN]: Die Sie aus Ihrer Zeit gut ken- Hier gibt es sehr wohl eine Bereitschaft, europäische Ele- nen!) mente der Verteidigung auch für den Mittelmeerraum als einen Schutz für Europa zu prüfen. Dafür müssen mittel- den Soldaten auf Dauer nicht zumuten dürfen. fristig Finanzmittel vorgesehen werden. Wir müssen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und darüber nachdenken, wie man Abschreckung und Vertei- der F.D.P.) digung vernünftig miteinander verbinden kann. Dies Deswegen brauchen wir energische Schritte in Richtung muss allerdings international eingebettet sein und unter eines politischen Prozesses. Vermeidung von neuen Risiken geschehen, beispiels- weise einer neuen Rüstungsdynamik wie etwa in Asien. (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das haben wir von Jahr zu Jahr oft ge- Ebenso muss geprüft werden, ob durch amerikanische nug gehört!) und europäische Initiativen für einen solchen Schutz nicht eine wirklich umfassende Abrüstung auf wenige Hundert Ich halte das Gerede „Wir müssen zehn Jahre dort blei- Sprengköpfe möglich ist. Das ist wirklich ein zentrales ben“ einfach für unverantwortlich. Wir müssen einen Versagen: politischen Prozess in Gang setzten, der dann einen ge- ringeren militärischen Einsatz vor Ort ermöglicht, einen (Uta Zapf [SPD]: Eben nicht!) Prozess, der zu einer nachhaltigen, selbsttragenden Stabi- Es gibt keinerlei deutscheAbrüstungsinitiativen. Es lisierung führt, auch um die internationale Präsenz zeit- muss möglich sein, die Rolle der Nuklearwaffen in der lich begrenzen zu können. Zukunft neu zu definieren. Wir müssen uns dabei auf die Nach den Kommunalwahlen muss es bald zu koso- Aufgabe beschränken, andere vom Einsatz nuklearervoweiten Parlaments- und Präsidentenwahlen kommen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000 12973

Volker Rühe (A) (Zuruf von der SPD: Da wäre ich ein bisschen Tschetschenien gefunden haben. Im Vergleich zu dem,(C) vorsichtig!) was man in Deutschland dazu gehört hat, ist das für die deutsche Seite eher beschämend. Ich denke, ein gewähltes Parlament im Kosovo wäre der richtige Ort für die Debatten über die künftige Entwick- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. lung im Kosovo. Es geht um die Realisierung der Dr. Klaus Kinkel [F.D.P.]) substanziellen Autonomie innerhalb Jugoslawiens, bei- Wenn man dies mit den fundamentalistischen Einlassun- spielsweise in Form einer Teilrepublik, wie es gen mit in der letzten Legislaturperiode vergleicht, ist das Montenegro der Fall ist. umso schlimmer. Was Montenegro und Kosovo angeht, würde ich im Herr Bundesaußenminister, wir fordern Sie auf, gegen- Übrigen vorschlagen zu versuchen, die Entwicklungen über der russischen Seite mit deutlich mehr Nachdruck politisch parallel zu führen. Falsch ist – das haben wir darauf zu drängen, eine politische Lösung des Konflikts auch in Gesprächen mit Bischof Artemije gehört – eine Fi- herbeizuführen, endlich die OSZE-Zusagen einzulösen nalitätsdiskussion zu führen. Jetzt etwas Abschließendes und den humanitären Hilfsorganisationen sowie den Me- vorzuschlagen, etwa im Hinblick auf die völlige Unab- dien einen Zugang zu Tschetschenien zu gewähren. Wenn hängigkeit, wäre kein hilfreicher Beitrag. Sie mit Rupert Neudeck und anderen dort Engagierten sprechen, werden Sie erfahren können, dass in diesem Wir müssen aus der Situation herauskommen, in der al- Land die Welt noch völlig vernagelt ist. Es ist Sache der les nur vom militärischen Beitrag abhängt. DeswegenBundesregierung, dafür zu sorgen, dass die schweren drängen wir darauf, einen politischen Prozess in Gang zu Menschenrechtsverletzungen aufgeklärt, geahndet und setzen. für die Zukunft unterbunden werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Nachdem Präsident Putin kürzlich davon gesprochen der F.D.P. – Dr. Helmut Lippelt [BÜND- hat, dass der deutsch-russische Dialog die gesellschaftli- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie schon ein- chen Kräfte noch stärker berücksichtigen sollte – also so- mal etwas vom Stabilitätspakt gehört?) zusagen ein Königswinter in Sankt Petersburg, was eine gute Idee ist –, erwarten wir, Herr Bundesaußenminister, – Den Stabilitätspakt haben wir unterstützt. dass das nicht nur ein enger Dialog zwischen regierungs- (Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nahen Kräften wird, sondern dass in diesen Dialog auch NEN]: Aber das ist doch der politische Rah- andere einbezogen werden, zum Beispiel die russischen men!) Menschenrechtsorganisationen, die sich für die Einhal- tung der Menschenrechte in Tschetschenien eingesetzt ha- (B) Ich meine einen politischen Prozess über die Zukunft des ben. (D) Kosovo, Herr Kollege. Deshalb kann es nicht bei den Kommunalwahlen bleiben. (Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Im Gegensatz zu Ihnen hat der Außen- (Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- minister das versucht!) NEN]: Sie haben lange in Schleswig-Holstein Es muss zu einem Dialog kommen, der diese gesell- gesessen!) schaftlichen Kräfte mit einbezieht. Es ist mir klar, dass die Der nächste Schritt muss ein Republikstatus sein, wie es Grünen jetzt besonders unruhig sind, weil sie in dieser auch in Montenegro der Fall ist. Frage in den vergangenen zwei Jahren besonders un- glaubwürdig geworden sind. Ein Europa ohne Trennlinien zu schaffen, das muss das Ziel der deutschen und europäischenRusslandpolitik (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Eberhard sein. Aber wir dürfen die zum Teil unterschiedlichen Brecht [SPD]: Die Rede ist ja noch schwächer Vorstellungen nicht unterschätzen. Das russische Vorge- als der Antrag!) hen gegen die tschetschenische Bevölkerung und zu- In den kommenden Jahren wird Deutschland zuneh- nehmende Einschränkungen der demokratischen Grund- mend internationale Verantwortung übernehmen. Dies freiheiten in Russland sind nur zwei Beispiele für diefordern unsere Verbündeten, es entspricht aber im Übri- unterschiedlichen Vorstellungen von europäischen Grund- gen auch unserer Interessenlage. Dazu brauchen wir ein werten und Grundprinzipien. Deshalb muss die Partner- adäquates Instrumentarium. Stattdessen wird derAus- schaft mit Russland pragmatisch-realistisch auch unter wärtige Dienst aufgrund massiver Haushaltskürzungen, Einkalkulierung von Rückschlägen betrieben werden. aber auch wegen mangelnder Reformbereitschaft seinen Aufgaben immer weniger gerecht. Es besteht die Gefahr, Partnerschaft heißt im Übrigen auch, wenn nötig, Wi- dass der Stellenwert der Außenpolitik in Deutschland derpart zu sein. Das bedeutet, dass auf die Fehlentwick- nicht mehr unserem Interesse entspricht und dass es An- lungen, die die Partnerschaft belasten, deutlicher als bis- sätze einer Provinzialisierung gibt. her reagiert werden muss. Für mich ist es unglaubwürdig, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wenn man immer die deutsch-französische Freundschaft neten der F.D.P. – Lachen bei der SPD und dem beschwört und dann nicht zur Kenntnis nimmt, mit wel- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) cher bewundernswerten Klarheit nicht nur die Intellektu- ellen, sondern auch die Politiker in Frankreich deut-Dem müssen wir uns mit aller Härte entgegenstellen. Wir liche Worte zu den Menschenrechtsverletzungen haben in im Auswärtigen Dienst sehr tüchtige Mitarbeiter 12974 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000

Volker Rühe (A) – ich weiß das aus eigener Erfahrung –, die ihre Arbeit in sentiert hat, ist auf sage und schreibe zehn Seiten nicht ein (C) großartiger Weise machen. Wir schulden ihnen die Un- neuer Gedanke formuliert. terstützung durch die Zentrale, damit sie unsere außen- (Gernot Erler [SPD]: Exakt! – Uta Zapf politischen Interessen auf der ganzen Welt vertreten kön- [SPD]: Woher auch?) nen. – Ja, woher auch? – In schlechtester Oppositionsmanier (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- reiht die Union Forderungen aneinander, die komplett NEN]: „Der gescheiterte Versuch von Rühe, widersprüchlich sind, fordert Initiativen der Bundes- wieder Einfluss zu gewinnen“ könnte man den regierung, die schon lange realisiert worden sind, und Antrag überschreiben!) stellt kostspielige Forderungen auf, erklärt aber natürlich Deshalb muss das realisiert werden, was auf der Bot-mit keinem Wort, woher das Geld zur Finanzierung kom- schafterkonferenz angekündigt worden ist. men soll. Man kann dem Außenminister durchaus gelegentlich (Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Ihr eine geschmeidige Taktik bescheinigen, das allein ent- wollt doch regieren! Was fragt ihr uns!) spricht aber nicht den außenpolitischen Interessen unseres Nun muss die CDU/CSU-Fraktion aber feststellen, dass Landes. Wir brauchen auch mutige Perspektiven und mu- die breite Öffentlichkeit auf solcherlei realitätsblinden tige Initiativen, damit die deutsche Außenpolitik wieder Aktionismus nicht so reagiert, wie sie es erhofft hat. Die ein stärkeres Gewicht bekommt und wir unseren Einfluss Bevölkerung hat von dem Antrag der CDU/CSU und den mehren können, um auf internationaler Ebene das durch- Vorstellungen der Opposition zur deutschen Außenpolitik setzen zu können, was im Interesse unseres Landes ist. kaum Notiz genommen. Im Gegenteil: Die Außenpolitik Deswegen ist es gut, dass wir nach zwei Jahren rot-grüner der rot-grünen Bundesregierung findet in Deutschland, in Regierung darüber gesprochen haben, Europa, aber auch weltweit große Aufmerksamkeit und Anerkennung, (Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Helmut Lippelt (Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Auf- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie nach merksamkeit, das ist richtig!) zwei Jahren nun wieder hier sind!) wie erst kürzlich wieder die mehrtägige Reise des Kanz- wie Sie sich Verdienste erworben haben, indem Sie einen lers in den Nahen Osten deutlich gemacht hat. Bruch mit den Grundlinien der Außenpolitik der Vor- (Beifall bei der SPD – Gernot Erler [SPD]: Al- gängerregierung vermieden haben. Wichtig ist aber auch, lerdings!) (B) den Finger auf die Wunde zu legen und aufzuzeigen, wo (D) Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Welt hat Sie hinter dem zurückbleiben, was notwendig wäre, um sich im letzten Jahrzehnt gewaltig verändert, vor allem die außenpolitischen Interessen unseres Landes interna- durch die Beendigung des Kalten Krieges, die die Öff- tional gebührend zu vertreten. nung der NATO und der Europäischen Union nach Osten Vielen Dank. nach sich zieht. Dies stellt die Außenpolitik vor große Herausforderungen, auch in der Entwicklung der transat- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) lantischen Beziehungen. Politische Reformen sind in der Tat notwendig und wir gehen jetzt konsequent die über- Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Ich gebe das fällige Aufhebung des Reformstaus an, den uns die Re- Wort nunmehr der Kollegin Monika Heubaum von der gierung Kohl auch in der Außenpolitik hinterlassen hat. SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]) Monika Heubaum (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn ich die letzten Jahre Ein Thema, das die Menschen beiderseits des Atlantiks der Regierung Kohl mit einem Wort beschreiben sollte, bewegt, ist die Entschädigung der Zwangsarbeiter. Wir fällt mir genauso wie vielen Bürgerinnen und Bürgern un- haben uns, nachdem das Problem jahrzehntelang disku- seres Landes in erster Linie der Begriff „Reformstau“ ein. tiert wurde, aber weiter nichts geschehen war – also auch hier Reformstau –, zu unserer moralischen Verantwortung (Beifall bei Abgeordneten der SPD) für die Zwangsarbeiter in der Zeit des Nationalsozialis- Nachdem ich den Antrag der CDU/CSU zur Außenpolitik mus bekannt gelesen habe, fällt mir eine ähnlich griffige Bezeichnung (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Das war Lambsdorff! für die Oppositionsarbeit der CDU/CSU ein: Realitäts- – Uta Zapf [SPD]: Entschuldigung, er war Be- blindheit. auftragter! Er war nicht Initiator!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ und gesetzliche Voraussetzungen für eine schnelle und DIE GRÜNEN) unbürokratische Unterstützung ehemaliger Zwangsar- In dem Antrag zur deutschen Außenpolitik, den diese beiter geschaffen. Oppositionsfraktion im Oktober der Öffentlichkeit prä- (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000 12975

Monika Heubaum (A) Genauso wird im Ausland unser Umgang mit Rechts- Die Exporte der deutschen Wirtschaft in die (C) USA radikalismus und rechter Gewalt beobachtet. Das konse- verzeichnen in den ersten Quartalen dieses Jahres wieder quente Vorgehen der Bundesregierung gegen den Rechts- hohe Zuwachsraten. Unsere Wirtschaft ist, auch dank der radikalismus ist insofern auch ein wichtiger Punkt auf der Reformen dieser Bundesregierung, auf dem Weltmarkt außenpolitischen Tagesordnung. Politische Aktivitäten absolut konkurrenzfähig. wie Absprachen unserer Bundesregierung mit der ameri- kanischen Regierung zur Bekämpfung rechtsradikaler In umgekehrter Blickrichtung ergibt sich folgendes Veröffentlichungen im Internet sind in ihrer Bedeutung Bild: Gut 1 900 amerikanische Firmenniederlassungen nicht zu unterschätzen. mit einem Jahresumsatz von mehr als 300 Milliarden DM beschäftigen etwa 500 000 Arbeitnehmerinnen und Ar- (Beifall bei der SPD) beitnehmer in unserem Land. Das zeigt mehr als deutlich, Im Antrag der CDU/CSU-Fraktion wird festgestellt, wie gut das Ansehen des Wirtschaftsstandortes Deutsch- dass die Europäer „mehr denn je auf eine partnerschaftli- land jetzt ist. che enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den (Beifall bei der SPD) USA angewiesen“ sind. Dieser Aussage möchte ich nicht widersprechen. Unser Verhältnis zu Staaten des amerika- Unsere Zusammenarbeit mit Kanada ist ebenfalls sehr nischen Kontinents, insbesondere zu den USA und zu Ka- gut. Das Volumen des Handels zwischen Deutschland und nada, ist hervorragend. Es gibt ohne jeden Zweifel hier Kanada liegt bei 12 Milliarden DM im Jahr. Fortschritte und da unterschiedliche Standpunkte in Einzelfragen; das in den deutsch-kanadischen Wirtschaftsbeziehungen gibt gibt es aber in den besten Beziehungen. Gerade unteres beispielsweise durch die Schaffung des „Canada Eu- Freunden sollte man unterschiedliche Auffassungen zum rope Business Round Table“, in dessen Rahmen Unter- Beispiel zu hormonbehandeltem Rindfleisch oder zunehmen aus Europa und Kanada gemeinsam Vorschläge Lärmstandards für Flugzeuge offen ansprechen, um zu zur Erleichterung der Wirtschaftsbeziehungen erarbeiten. vernünftigen Lösungen zu kommen. Es gibt jedenfalls Wir müssen uns trotz der Erfolge im Außenhandel täg- überhaupt keinen sachlichen Grund, das Verhältnis so problematisch darzustellen, wie dies die Union in ihrem lich von neuem den Herausforderungen der Globalisie- Antrag versucht. rung stellen. Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialde- mokraten sind die internationalen Handelsabkommen von Die tiefe vertrauensvolle Zusammenarbeit mit unseren größter Bedeutung; denn nur so können wir einen fairen Partnern in Amerika findet auf den verschiedensten poli- und gerechten Welthandel ermöglichen. tischen Ebenen statt. So haben wir auf der NATO-Ebene gezeigt, dass wir auch große politische Krisen wie den Die WTO-Konferenz von Seattle hat leider nicht zu (B) Krieg im ehemaligen Jugoslawien gemeinsam erfolgreich dem gewünschten Erfolg geführt. Deutschland hat als(D) bewältigen können. Ich denke, die Umsetzung des vom eine der größten Wirtschaftsnationen der Welt eine be- deutschen Außenminister initiierten Stabilitätspaktessondere Verantwortung für die Entwicklung der Weltwirt- spricht für sich. schaft und als eine der größten Exportnationen auch ein großes Eigeninteresse daran, dass im Rahmen von inter- Nun ist die Bundesrepublik Deutschland auch Mitglied nationalen Verhandlungen Fortschritte erzielt werden. der Europäischen Union. Gerade die EU hat zuletzt mit Wir treten weiterhin für die Öffnung der Märkte und für dem Mexiko-EU-Abkommen eine wichtige wirtschafts- die verbindliche Festlegung von Arbeits- und Umwelt- und handelspolitische Maßnahme umgesetzt und Libera- standards ein. Nur so können wir ein langfristig stabiles lisierungen vor allem im Dienstleistungssektor ermög- internationales Wirtschaftswachstum erreichen. licht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Auf bilateraler Ebene ist das transatlantische Verhält- nis ausgesprochen gut. Wir sind durch gemeinsame de- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) mokratische Grundwerte ebenso verbunden wie durch Die Politik der Bundesregierung ist glaubwürdig und eine vielfältige gesellschaftspolitische Zusammenarbeit. berechenbar. Deutschland hat durch seinen klaren außen- An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich auf den hohen politischen Kurs in der internationalen Staatengemein- Wert von Austauschprogrammen für Schüler, Studenten, schaft an Vertrauen und Gewicht gewonnen. Unverständ- Berufstätige und Wissenschaftler hinweisen. lich ist nur, dass die Opposition ohne Not – ich betone: Wir sind aber auch bedeutende Handelspartner, selbst ohne Not – Konflikte mit der Bundesregierung konstru- wenn die Opposition das transatlantische Verhältnisiert, die gar nicht existieren. Außenpolitik ist eigentlich zu schlecht reden will. 1999 hat die Bundesrepublik Waren wichtig, als dass man sie für billige innenpolitische Profi- im Wert von mehr als 100 Milliarden DM in die USA ex- lierungen missbrauchen sollte. portiert und damit das Ergebnis aus dem Vorjahr um mehr (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ als 4 Prozent gesteigert und einen Exportüberschuss von DIE GRÜNEN) nahezu 30 Milliarden DM erwirtschaftet. Wir sind also nicht nur in der Außenpolitik erfolgreich. Auch unsere Ich kann zusammenfassend nur feststellen: Wir sind Wirtschaftspolitik ist vom Feinsten. auf dem richtigen Weg! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) 12976 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000

(A) Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters:Für die Sie wird Sie immer in bester Erinnerung behalten. Auch (C) F.D.P.-Fraktion erteile ich dem Kollegen Ulrich Irmer das ich habe ein solches Tier zu Hause; es wurde mir von Wort. einem Freund geschenkt. Es ist viel hübscher und hand- samer, als Sie es je waren. Madeleine Albright wird ihre Freude daran haben. Ulrich Irmer (F.D.P.): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit zwei Jahren ist die (Beifall bei der F.D.P.) deutsche Außenpolitik nunmehr in rot-grüner bzw. fest in Zur zweiten Tendenz der grünen Außenpolitik. Seit Sie grüner Hand. Das ist, wenn man von den paar Amtsin- bei Ihrer eigenen Basis als Kriegstreiber verschrien sind habern absieht, den Grünen nicht gut bekommen; das soll – so widersprüchlich das auch ist –, versuchen Sie mit nicht meine Sorge sein. aller Gewalt, Ihren Friedenswillen und Ihr Gutmenschen- (Lachen des Abg. Dr. Helmut Lippelt [BÜND- tum zu dokumentieren, auch da, wo es völlig unange- NIS 90/DIE GRÜNEN]) bracht ist. Auch hierzu nenne ich einige Beispiele. Es ist aber vor allem der deutschen Außenpolitik nicht gut Sie haben den Einsatz der Bundeswehr in Osttimor ver- bekommen. anlasst. Da hat uns niemand gerufen, es hat uns niemand gebraucht. Das hätten die Australier viel besser machen (Beifall bei der F.D.P.) können. Das war reine Geldverschwendung. Das erfüllt mich mit erheblicher Sorge. (Beifall bei der F.D.P. – Dr. Helmut Lippelt Die deutsche Außenpolitik ist, seit sie die Grünen über- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben des- nommen haben, von zwei Tendenzen geprägt: einerseits halb dagegen gestimmt!) von dem Versuch, der Wirklichkeit einigermaßen Rech- nung zu tragen und sich von einigen ideologischen Posi- Das Geld wäre besser für den zivilen Aufbau in der Re- tionen der Vergangenheit zu verabschieden, andererseits gion ausgegeben worden. von dem peinlichen Bemühen, den Frust und die Enttäu- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) schung der grünen Basis über diese neue Realitätsnähe permanent durch mehr oder weniger unsinnige Aktionen Als zweites Beispiel nenne ich Ihr Verhalten gegenüber zu beschwichtigen. der Türkei. Ich habe es begrüßt, dass der Türkei der Sta- tus des offiziellen Beitrittsbewerbers zuerkannt wurde. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Das Thema war sehr strittig. Sie aber sind der Türkei, Zur ersten Tendenz möchte ich zwei Beispiele nennen. noch dazu einem NATO-Partner, als es um die Lieferung Der iranische Staatspräsident Khatami wird, übrigens zu von Panzern ging, in einer Weise entgegentreten, als sei (B) (D) Recht, in Berlin mit allen Ehren empfangen. Das ist in das irgendein Land, das auf unserer Gegenseite stünde, Ordnung. Willkommen in der Realität! Wir haben aber das man nur mit der Zange anfassen könne. Wie verträgt alle noch im Ohr, wie das vor wenigen Jahren klang, als sich das mit Ihrer offiziellen Politik in der Frage des Bei- die alte Bundesregierung eine ähnliche Iranpolitik – auch tritts? zu Recht – betrieben hat und als Sie gar nicht oft genug (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) den Rücktritt des damaligen Bundesaußenministers Klaus Kinkel fordern konnten. Vor wenigen Jahren waren wir, Ich nenne das unsägliche Beispiel Österreich. Hier ha- als es um die Militäraktionen bei Friedensmissionen im ben Sie klein beigeben müssen. Letzte Woche haben Sie Ausland ging, noch die großen Kriegstreiber. „Militarisie- ganz stolz verkündet, dass Sie mit Österreich Verträge rung der deutschen Außenpolitik“ war einer der mildesten über eine weltweite Friedensprävention schließen. Jetzt Ausdrücke. Im Fall Kosovo aber überboten sich Fischer, ist Österreich plötzlich wieder akzeptabel. Vollmer und Co mit verbalem Säbelrasseln. Sie haben Aber wissen Sie eigentlich, welchen Schaden Sie nicht selbstverständlich die Bundeswehrsoldaten trotz überaus nur gegenüber dem österreichischen Volk, sondern auch dubioser Rechtsgrundlagen in das Feuer geschickt. Recht bei kleinen Ländern – sowohl Ländern innerhalb der Ge- so, kann ich nur sagen. meinschaft als auch solchen, die der Gemeinschaft beitre- (Beifall bei der F.D.P.) ten wollen – angerichtet haben? Sie sagen doch alle: So, wie die Gemeinschaft und die großen Länder mit Öster- Hier gilt offensichtlich der Spruch: Die schärfsten Kri- reich umgesprungen sind, kann es uns auch passieren. – tiker der Elche sind inzwischen selber welche. Wo bleibt der Respekt vor kleinen Ländern, vor der de- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) mokratischen Entscheidung in solchen Ländern? Stichwort „Elch“. Herr Fischer, hören Sie einmal einen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – kleinen Moment zu! Sie müssen ja demnächst von Gernot Erler [SPD]: Irmer, der Rächer der Ent- Madeleine Albright Abschied nehmen, mit der Sie immer erbten!) so gerne gekuschelt haben. Gehen Sie doch einmal zu Wenn uns eine innenpolitische Entwicklung nicht IKEA! Dort gibt es wunderschöne kleine Stoffelche. Kau- passt, dann müssen wir versuchen, behutsam darauf ein- fen Sie ihr einen, schenken Sie ihn ihr! zuwirken, und vielleicht gegensteuern. Aber hier mit dem (Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Holzhammer zu kommen und gegen Österreich so vorzu- NEN]: Sie haben uns doch welche geschenkt, gehen, wie Sie es getan haben, ist ja wohl unsäglich und Herr Irmer!) diente lediglich dazu, Ihrer grünen Basis zu zeigen, wie Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000 12977

Ulrich Irmer (A) unnachgiebig und großartig Sie sich in Menschenrechts- Aber auch da, wo es direkt um deutsche Interessen(C) fragen schlagen. geht, ist Fehlanzeige. Als ein Beispiel nenne ich die Osterweiterung der Europäischen Union.Meine Da- Bei diesem Spagat, den Sie tagtäglich vollführen, geht men und Herren, wo ist denn die Kampagne der Bundes- natürlich jeder Ansatz zu konzeptionellem Denken und regierung zur Aufklärung und Information der Bevölke- Handeln völlig verloren. Das merkt man Ihrer Politik an. rung darüber, dass dieses Projekt Osterweiterung ganz Außer Ihrer Europarede, die Sie ja ausdrücklich als Pri- direkt in unserem deutschen Interesse liegt, dass niemand vatmann gehalten haben, haben Sie bisher konzeptionell sonst mehr Interesse daran hat als wir? nichts geboten. Dort, wo Sie konzeptionell zu werden ver- suchen, lässt dann die praktische Ausführung schwer zu (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – wünschen übrig, wie sich jetzt durch die Kritik, die an Ih- [F.D.P.]: Nichts macht er da!) rer praktischen Politik im Ausland geübt wird, ganz deut- Das Handelsvolumen mit diesen Ländern ist schon heute lich zeigt. Nur hektische Ad-hoc-Aktivitäten können Sie größer als das mit den Vereinigten Staaten. Hier erschlie- an den Tag legen. ßen wir uns doch die Märkte der Zukunft, auf die wir so (Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dringend angewiesen sind. Sie müssen den Menschen bei NEN]: Die Höflichkeit verbietet es mir, jetzt uns die Angst nehmen, dass etwas auf sie zukäme, dem sie ehemalige Außenminister zu charakterisieren!) nicht gewachsen wären. Die Osterweiterung bringt uns nur Vorteile; aber man muss es den Leuten sagen. Außenpolitik muss werteorientiert und interessenbezo- gen sein. Das ist keineswegs ein Widerspruch. Wie alle (Beifall des Abg. Dirk Niebel [F.D.P.]) Politik dient die Außenpolitik dem Zweck, unseren Bür- Was Sie auch überhaupt nicht bedenken, ist Folgendes: gern Frieden, Sicherheit und Wohlstand zu garantieren. Die Verzögerungstaktik, die Sie hier betreiben, führt Das eine ist ohne das andere nicht zu haben. Diese Ziele natürlich zu erheblichen innenpolitischen Problemen in der Außenpolitik können natürlich durch gewalttätigeden beitrittswilligen Ländern. Sie fühlen sich vernachläs- Auseinandersetzungen irgendwo auf der Welt beeinträch- sigt und an der Nase herumgeführt, wenn man ihnen im- tigt und bedroht werden. Krisen und Gewalt brechen immer mer wieder in Aussicht stellt, dass sich bald etwas rühren da aus, wo Menschenrechte oder Minderheitenrechte mit werde, sich in Wirklichkeit aber nichts rührt. Ich habe den Füßen getreten werden. Deshalb ist der weltweite Einsatz Verdacht, dass Sie, weil Sie wissen, wie ängstlich unsere für Menschenrechte unmittelbar in unserem eigenen deut- Bevölkerung diese Dinge betrachtet, in den Verhandlungs- schen Interesse. runden dafür sorgen wollen, dass die eigentlich heiklen und kritischen Themen vor unserer Bundestagswahl 2002 (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten überhaupt nicht auf die Tagesordnung kommen. In diesem (B) der CDU/CSU) (D) Punkt müssen wir Tempo anmahnen. Wertepolitik und Interessenpolitik schließen sich nicht (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten aus. Aber Sie, die Sie die Menschenrechte immer wie eine der CDU/CSU) Monstranz vor sich her getragen haben, haben ja nicht ein- mal auf diesem Gebiet irgendeinen Erfolg vorzuweisen. Das muss jetzt schneller gehen; sonst erleben die bei- Wo sind denn die Ergebnisse der Fernethiker und Weltbe- trittswilligen Länder innenpolitische Rückschläge, mit glücker von einst? denen uns überhaupt nicht gedient ist. (Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Wo (Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sind sie geblieben?) NEN]: Wie kommen Sie denn auf die Idee, dass wir als Partei darunter zu leiden haben?) Sie haben keinen Konsens der europäischen Partner bei der China-Resolution der Konferenz der Vereinten Natio- Die transatlantischen Beziehungen sind schon ange- nen in Genf erreicht. Sie haben in Menschenrechtsfragen sprochen worden. Es ist doch erstaunlich, dass es gerade keinen Erfolg in den bilateralen Beziehungen mit derim Bereich der Handelspolitik erhebliche Irritationen Volksrepublik China gehabt. Messen Sie einmal das, gibt. Die Gefahr des Protektionismus ist nach wie vor was Sie heute vorzuweisen haben, an dem, was Sie der al- nicht gebannt. Ich warte in dieser Sache ebenso auf Ini- ten Bundesregierung seinerzeit vorgeworfen haben. tiativen der deutschen Bundesregierung wie in den Berei- chen nukleare Abrüstung, Nichtverbreitung, Teststopp im (Beifall bei der F.D.P.) Zusammenhang mit dem amerikanischen Raketenab- Dann fahren Sie natürlich als Erster nach Moskau, wehrsystem NMD. machen dort dem Präsidenten Putin Ihre Aufwartung, Wo bleiben – ich nenne nur Stichworte – deutsche machen einen Kotau vor Präsident Putin, währendInitiativen? Lateinamerika, Asien, Afrika: Fehlanzeige! gleichzeitig in Tschetschenien Tausende und Abertau- UN-Reform: Nichts! Selbstverständlich wäre ein Sitz im sende von Menschen sterben. Ihre Rhetorik – Herr Rühe Sicherheitsrat im deutschen Interesse. Was die Außen- hat das vorhin angesprochen – in der letzten Wahlperiode wirtschaft angeht, ist festzustellen, dass insbesondere der zum ersten Tschetschenienkrieg, der nicht annähernd so Mittelstand dringend auf Förderungen durch die Regie- blutig und grausam war wie der jetzige, ist uns allen noch rung angewiesen ist. Wir warten vergeblich. im Ohr. Messen Sie sich an Ihren eigenen Worten! (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) der CDU/CSU) 12978 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000

Ulrich Irmer (A) Ich komme zu Ihrem Vorpreschen in SachenNord- Ich möchte drei Punkte zum Nachweis der Konzepti- (C) korea. Ehe die Frage der Straflager in Nordkorea nicht onslosigkeit nennen – nicht dieser Regierung, sondern des durchleuchtet und nicht geklärt ist, sollten wir meinervon Ihnen vorgelegten Antrags –: Meinung nach – ich erinnere an die Menschenrechte – Erstens. Sie werfen uns mangelnde Glaubwürdigkeit, keine Vorleistung erbringen. Nordkorea ist am Zuge; es fehlende Berechenbarkeit usw. vor. Seit mehr als zehn muss mehr tun. Jahren, seit 1989, war klar, dass der Kosovo-Konflikt auf (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der uns zukommt. Die von Ihnen getragene Regierung und CDU/CSU) der von Ihnen getragene Außenminister haben es – unter anderem in Dayton und bei den anschließenden Normali- Die deutsche Außenpolitik ist deshalb so desolat, weil sierungsgesprächen in Belgrad – versäumt, eine präven- sie sich nicht an den internationalen Notwendigkeiten und tive Außenpolitik zu betreiben und auf die Krise einzu- Gegebenheiten, nicht an Werten und auch nicht an deut- wirken. Das einzige Bestreben der damaligen Regierung schen Interessen, sondern nur an der innenpolitischen Ak- bestand darin, Flüchtlinge – bis in den Krieg hinein – zeptanz bei der grünen Klientel orientiert. zurückzuschicken. (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) SES 90/DIE GRÜNEN) Die neue Regierung erbte den Krieg, als außenpolitisch Es ist Zeit, dass unsere Außenpolitik wieder in liberale schon nichts anderes mehr zu machen war, als ein bere- Hände kommt. Dort ist sie gut aufgehoben. chenbarer Bündnispartner zu sein. Der ist sie gewesen. Danke. Gleichzeitig hat sie dann all ihre konzeptionelle Kraft (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) sofort in Pläne zur Beendigung des Krieges gesteckt. Vom ersten Tag des Ausbruchs an ist das geschehen. Nicht um- sonst ist ja der dann aufgestellte und verwirklichte Frie- Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters:Für die densplan mit dem Namen unseres Außenministers ver- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege bunden. Allgemein wird international doch anerkannt und Dr. Helmut Lippelt. akzeptiert, dass der danach zur Festigung des Friedens im Auswärtigen Amt entworfene und schließlich durchge- Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): führte Stabilitätspakt auf die deutsche Außenpolitik Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Mon- zurückgeht. Sie können ja sagen, Herr Rühe, das liege da- tag dieser Woche hat die „International Herald Tribune“ mit ran, dass da so gute Beamte seien. Das Problem ist, dass der Ideenreichtum dieser Beamten überhaupt erst durch (B) einem Foto des Bundeskanzlers aufgemacht. Daneben (D) konnte man lesen, dass es, nachdem Tony Blair viel von einen Minister freigesetzt werden musste. Das Amt seiner Ausstrahlung verloren habe, nachdem sich in Paris musste überhaupt erst wieder in Gang kommen. Vorher Präsident und Ministerpräsident befehdeten und die USA herrschte doch nur Frustration in dem Hause. Hören Sie in der bekannten Krise steckten, unter allen demokrati- sich doch einmal um. schen Führern dieser Welt der deutsche Bundeskanzler (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sei, der Orientierung gebe und Zuversicht ausstrahle. sowie bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei Sie können anderer Meinung sein; das ist völlig klar. der F.D.P. – Ulrich Irmer [F.D.P.]: Herr Man kann über diese Angelegenheit denken, wie man Lippelt, gehen Sie zum Kabarett! Dazu haben will. Nur eines geht nicht: Man kann nicht in einen Antrag Sie ein tolles Talent!) schreiben, nach zwei Jahren rot-grüner Regierung habe – Ja, ja. Ihre Vorstellung hier war pures Kabarett, Herr die deutsche Außenpolitik an Einfluss verloren. Man kann Irmer. Diese Aufforderung kann ich nur zurückgeben. dieser Regierung nicht vorwerfen, sie habe die deutsch- amerikanischen Beziehungen beschädigt, wenn gleich- Herr Rühe, Sie loben in ihrem Antrag KFOR und zeitig in demjenigen Blatt, das auf diesem Gebiet die Mei- UNMIK, stellen aber dann fest, dass der bisherige Politik- nungsführerschaft besitzt, zu lesen ist, dass das Gegenteil ansatz zur Lösung nicht ausreiche. Das kennen wir auch zutrifft. Sie können diese Ansicht nicht so einfach auf- aus anderen Anträgen Ihrer Fraktion. Sie wurden jedoch, rechterhalten. Wer so urteilt, muss sich im Gegenteil man- als Sie Ihren Antrag noch niederschrieben, vom Ausgang gelnde Lektüre der internationalen Presse und Realitäts- der Wahlen in Jugoslawien überrascht. So fügten Sie verweigerung in hohem Grade vorwerfen lassen. ebenso verlegen wie trotzig zu Ihren falschen Behauptun- gen hinzu, dass alles „trotz der Abwahl Milosevics nicht (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und ... ausreicht“. Sie begriffen überhaupt nicht oder wollen der F.D.P.) nicht begreifen, dass die Abwahl Milosevics unter ande- Wer so urteilt, ähnelt einem Mann, der an nordfriesischen rem auch aus dem Wunsch des serbischen Volkes resul- tierte, die ihm mit dem Stabilitätspakt gereichte Hand Eu- Deichen sitzt, über das weite Watt den ablaufenden Was- ropas zu ergreifen. sern nachschaut und immer wieder sagt: Land unter, Land unter. – Daran haben mich einige Reden erinnert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU Die Serben wählten Milosevic ab, um dem Stabilitätspakt und der F.D.P.) beitreten zu können. Sie aber jammern hier, es fehle ein Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000 12979

Dr. Helmut Lippelt (A) politischer Rahmen für die militärische Tätigkeit. Es war Recht als von Ihnen heute erhoben werden. Uns stehen(C) ein politischer Rahmen da, der sich enorm bewährt hat. doch noch die Bilder vom Kotau des früheren Bundes- Dieses war und ist ein Höhepunkt der außenpolitischen kanzlers vor der chinesischen Volksarmee vor Augen. Erfolgsgeschichte dieser Bundesregierung. (Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Der ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN doch nun offensichtlich nicht in der Lage, einen und bei der SPD) Kotau zu machen!) Zweitens. Ich gehe im Zusammenhang mit der Euro- Wir wissen doch noch, dass Wei Jingsheng – kaum war papolitik nicht auf das ein, was Sie zu Hausaufgaben ge- der Bundeskanzler auf dem Heimflug in Thailand zwi- sagt haben. Zu diesem Thema hat Ihre Fraktion eine völ- schengelandet – wieder verhaftet und zu 14 Jahren Kerker lig hoffnungslose Aktuelle Stunde durchgeführt. In der verurteilt wurde. Sie müssen zugeben: Das sah jetzt etwas haben wir dieser Fraktion sehr schön nachgewiesen, dass anders aus. Der jetzige Bundeskanzler war in der Lage, diese Regierung mit dem Schröder-Vorschlag sehr wohl seine geplante China-Reise nach dem katastrophalen einen Vorschlag gemacht hat, der die Dinge voranbringt. Ich weiß nicht, ob Sie ihn überhaupt zur Kenntnis ge-Fehlschuss der NATO auf die chinesische Botschaft sofort nommen haben. in den Dienst von Bündnisnotwendigkeiten zu stellen, die zur Begleitung geladene Wirtschaftsdelegation zu Hause (Uta Zapf [SPD]: Bestimmt nicht!) zu lassen, sich auf das Notwendige zu konzentrieren. Sie greifen dankbar die Rede Prodis auf, ohne zu se- Seine Entschuldigung wurde im Gegensatz zu den Ver- hen oder gar den Zusammenhang herzustellen, dasssuchen der amerikanischen Politik akzeptiert und damit diese Rede der vom deutschen Außenminister ausdrück- die Grundlage zur chinesischen Stimmenthaltung im UN- lich erwünschte Beitrag des Kommissionspräsidenten zu Sicherheitsrat gelegt,auf der der Kosovo-Krieg zu Ende der von ihm in Gang gesetzten Debatte über die Zukunft gebracht werden konnte. Das müssen Sie doch als Erfolg Europas ist. der Bundesregierung sehen. (Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Leider war es nicht der ausdrückliche Wunsch der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Präsidentschaft!) sowie bei Abgeordneten der SPD) Es haben sich viele europäische Politiker von Chirac, Bei der zweiten Reise war er dann sehr wohl in der Védrine über Geremek bis Prodi beteiligt. Aus Ihren Krei- Lage, die Wirtschaftsgespräche mit der Diskussion über sen haben sich Herr Schäuble, Herr Pflüger und HerrFragen der Religionsfreiheit, der Institutionalisierung ei- nes Rechtstaatsdialogs zu verbinden, der doch in vollem (B) Lamers beteiligt. (D) Gange ist. Oder haben Sie das nicht bemerkt? (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Rühe nicht!) (Uta Zapf [SPD]: Nein, das hat er nicht be- merkt!) Im Übrigen haben viele von ihnen eher Fischer unter- stützt. Hier wird es doch erst interessant. Es stellt sich Ich gehe auf Tschetschenien nur kurz ein, denn die doch nun, an Sie, Herr Rühe, gerichtet die Frage: Teilen Zeit läuft mir zu sehr davon. Sie die Meinung Prodis? (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Das ist vielleicht auch (Zurufe des Abg. Rezzo Schlauch [BÜND- besser!) NIS 90/DIE GRÜNEN] zur CDU/CSU ge- wandt) Dieser Außenminister hat immer darauf hingewiesen, dass die Regierungen natürlich in bestimmte Notwendig- – Rezzo, lass einmal. Ich kläre jetzt die Sache auf, damit keiten – in den Abrüstungsdialog, in die Aufrechterhal- die nicht weiter herumfantasieren. tung der russischen Einbindung – eingebunden sind, dass Teilen Sie die Hauptthese Prodis, dass der Hohe Re- aber wir mehr sagen könnten. Das trifft jetzt nicht Sie. Die präsentant für Außen- und Sicherheitspolitik eigentlich in F.D.P. war diejenige, die bei dem interfraktionellen An- die Kommission gehöre und nicht dem Rat unterstellt und trag mit der SPD und uns sofort mitgezogen hat; aber die für die Abstimmung europäischer Außenpolitik zuständig Partei des Hauptredners hat diesen Antrag nicht mitgetra- sein solle? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie diese gen. Herr Rühe, machen Sie sich das erst einmal wieder Meinung teilen. Darüber müssen Sie sprechen. Sie dürfen klar! nicht nur Honig aus der Kritik Prodis saugen, sie müssen auch auf den Kern der Sache eingehen. Dazu hätten wir (Beifall bei Abgeordneten der SPD) hier eine Stellungnahme von Ihnen erwartet. Sie haben doch bei den deutlichen Worten dieses Parla- Drittens: Menschenrechtspolitik. Da hören wir ja mentes zur Tschetschenien-Frage geschlafen. wieder den Vorwurf – Herr Irmer verwies so schön da- rauf –, die Bundesregierung fordere Menschenrechts- Dr. h. c. Rudolf Seiters (CDU/CSU): Herr Kollege politik nur von den Kleinen ein, während die Bundesre- Lippelt, Ihre Zeit ist jetzt wirklich „Land unter“. gierung vor den Großen kusche. Ihre Vorwürfe zum Umgang mit China haben Sie von der früheren Opposi- (Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Zu die- tion übernommen. Damals konnten sie mit größerem sem Punkt könnten wir lange weiter reden!) 12980 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000

(A) Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unterschied: Bei der CDU wusste man das, bei der Re-(C) Herr Präsident, ich bedanke mich. Ich bin beim letzten gierungskoalition, die anders angetreten ist, muss man das Satz. bedauern, finde ich. Der alleinige oder Co-Verfasser des Antrags, der Ich will nichtsdestotrotz einige Punkte aus dem Antrag Schattenaußenminister der CDU, wurde vorgestern mei- der CDU/CSU einmal aufgreifen, bei denen ich finde, ner Erinnerung nach zum zweiten oder dritten Mal nach dass sie tendenziell Recht hat. Ich glaube nur, ihre Lösun- den schleswig-holsteinischen Wahlen im Auswärtigen gen sind ganz andere als die, die mir vorschweben. Ausschuss gesehen. Der Antrag wird ihm gewiss Gele- genheit geben, sich intensiv an den dortigen Debatten zu Ich finde, dass die CDU zu Recht den Unterschied zwi- beteiligen. Vielleicht ist es ihm dann ja auch möglich, sich schen der rot-grünen Menschenrechtsrhetorik, wie sie etwas von dem von ihm entworfenen Bild deutscherschreibt – Menschenrechtspolitik, würde ich sagen –, von Außenpolitik als Produkt seiner eigenen Wünsche und einst in der Opposition und der heutigen Praxis kritisiert seiner Einbildungskraft zu entfernen und einer einiger- und auf diesen Widerspruch aufmerksam macht. Rüs- maßen realistischen Diskussion näher zu treten. tungsexporte, Türkei-Politik, die Veränderungen der Bun- deswehr weg von einer Verteidigungsarmee, die neue (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN NATO-Strategie – all das sind Stichworte, an denen man und bei der SPD) das belegen kann. Das müssen Sie sich dann auch anhören und eingestehen. Sie müssen nicht so tun, als ob Sie schon Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters:Ich gebe immer so gedacht hätten, wie Sie jetzt denken. Ich bin dem Kollegen Wolfgang Gehrcke für die Fraktion dermehr für eine Rückwärtswende Ihrer Politik in diese PDS das Wort. Richtung. Ich kritisiere es, weil ich grundsätzlich in eine andere Richtung will. Wolfgang Gehrcke (PDS): Sehr geehrter Herr Präsi- Aber ich verstehe gar nicht, warum die CDU das kriti- dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war schon siert. Ich finde, die CDU sollte mit der jetzigen Außenpo- sehr gespannt, wie die Fraktion der CDU/CSU ihren An- litik der Regierung zufrieden sein, heißt sie doch eigent- trag begründet. Anders als Kollege Lippelt tippe ich nicht lich nichts anderes, als dass sich die Regierung auf dem auf eine Autorenschaft des Kollegen Rühe. Ich finde den Pfad bewegt, der von der CDU angelegt worden ist. Die Antrag pfiffiger als die Rede, die er hier gehalten hat, was CDU kann sich doch zugute halten, dass sie in diesem nur zeigt: Ein Rühe macht eben noch keinen Lamers. Das Hause noch immer die Richtung der Außenpolitik be- bekam man heute vorgeführt. stimmt, ohne dass sie regiert. Deswegen ist ihre Kritik (B) (D) (Dieter Schloten [SPD]: Was ist denn an die- nicht ganz nachvollziehbar. sem Antrag pfiffig?) (Beifall bei der PDS) Der Titel des Antrags suggeriert, Deutschland hätte Ich finde es richtig, dass die CDU/CSU in ihrem An- keinen außenpolitischen Einfluss bzw. hätte diesen unter trag den Abwärtstrend in derEntwicklungspolitik be- Rot-Grün verloren und die CDU/CSU müsste es jetztnennt, dass sie auf eine aktive Rolle in den Vermitt- richten. Ich glaube, dass es einfach Unsinn ist, zu be-lungsbemühungen im Nahostkonflikt drängt. Ich weiß, haupten, dass der außenpolitische Einfluss verloren ge- Sie wollen in eine ganz andere Richtung gehen, aber ich gangen wäre. Ich finde eher, Deutschland hat zu vielfinde die Kritik erst einmal richtig, und ich finde außenpolitischen Einfluss; darüber wäre zu reden. grundsätzlich auch die Kritik an derBalkanpolitik Aber selbst wenn dem so wäre, wie es im Antrag steht, richtig. dann müsste die CDU/CSU hier doch einmal erklären, (Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wieso sie in den letzten zwei Jahren bei allen wichtigen NEN]: Von eurer Balkanpolitik herkommend! – außenpolitischen Fragen mit der Regierungskoalition und Zuruf von der CDU/CSU) nicht gegen sie gestimmt hat. – Das hätten Sie in den Debatten hier einmal ausführen (Beifall bei der PDS) sollen. Aber da haben Sie immer Ihre Übereinstimmung Dann müssten die CDU/CSU wie auch die F.D.P. ein- betont. mal erklären, warum sie hier immer wieder die grundsätz- Wer so formuliert wie Herr Rühe, der will ein selbst- liche Übereinstimmung des ganzen Hauses minus PDS in ständiges Kosovo, der spielt mit dem Status des Kosovo. Fragen der Außenpolitik betonen. Das passt alles nicht zu- Das ist ein höchst gefährliches Spiel, gerade in der jetzi- sammen. Das, was geschrieben worden ist, ist ein Vor- gen Situation. führantrag, und er eignet sich natürlich auch glänzend, euch vorzuführen; das muss man ja einmal dazusagen. Ich finde die Kritik in dem Antrag der CDU/CSU an dem maßlosen Vergleich von Kosovo und Auschwitz völ- (Beifall des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS]) lig berechtigt. Dazu hätten Sie auch einmal etwas sagen Ich behaupte einfach, die CDU hätte, wenn man sie ge- sollen oder sagen müssen. Aus meiner Sicht ist auch die lassen hätte, im Wesentlichen nichts anderes gemacht als Kritik am Fehlen von politischen Linien richtig. Die CDU das, was die Regierungskoalition gemacht hat – mit einem nennt das Beispiel Afrika; die Liste könnte man beliebig Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000 12981

Wolfgang Gehrcke (A) erweitern: Russland, Ukraine, Belarus, Mittelamerika, nachdenkt, aus der Armee ein Instrument von Außenpoli- (C) Naher Osten. tik zu machen. Ich glaube, diese höchste Wachsamkeit muss man dann auch an den Tag legen. (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wollen Sie mit der CDU die nächste Re- (Beifall bei der PDS) gierung stellen?) Was die Rolle Deutschlands in der Weltpolitik angeht, Hier sind keine politischen Linien erarbeitet worden, und denkt die PDS in eine andere Richtung. Deutschland das müssen Sie sich dann auch anhören. sollte sich darauf besinnen, die Großmachtrolle behutsam auszufüllen. Ich glaube nicht, dass Deutschland einen Die CDU unterstützt die Ambitionen der Regierung auf Ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat braucht. Ich glaube einen Ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat.Aber ich auch nicht, dass sich Deutschland weltweit militärisch en- sehe auch, wo Sie überall nicht oder unzureichend Posi- gagieren sollte. Ich möchte, dass an den völkerrechtlich tion beziehen. Seien Sie froh, dass Sie ihn nicht haben, verbindlichen Beschränkungen und Selbstbeschränkun- sonst müssten Sie nämlich Position beziehen. Dann würde gen festgehalten wird, die gerade in Bezug auf Mili- dieses Durchlavieren in vielen Fragen nicht mehr durch- täreinsätze wichtig sind. gehen. (Beifall bei der PDS) (Beifall bei der PDS) Deutschland braucht mehr eine zivile und solidarische Ich will abschließend zu diesem Punkt sagen, dass ich Außenpolitik, die letztendlich verlässlich und berechen- die Kritik vieler Medien, Außenminister Fischer ersetze bar sein muss. Über diese Meinungsverschiedenheiten Außenpolitik durch Menschenrechtspolitik, immer für müssen wir streiten. Die Frage, wie die Rolle Deutsch- falsch gehalten habe; das ist nicht zu kritisieren. Zu kriti- lands in der Weltpolitik auszufüllen ist, ist eine interes- sieren sind aus meiner Sicht die doppelten Standards, die sante Frage. Leider gibt der Antrag der CDU/CSU darauf dort eingeführt worden sind, zu kritisieren ist die Inkon- keine Antwort. sequenz in der Menschenrechtspolitik. Aber das war bei der CDU auch nicht anders. Wenn Sie das kritisieren, fällt Danke sehr. das auf Sie selbst zurück. (Beifall bei der PDS) Ich will zum Abschluss versuchen, etwas zu dem zu sa- gen oder zumindest anzudeuten, was aus meiner Sicht im Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters:Das Wort Antrag der CDU/CSU völlig fehlt. In den Alternativen ist hat der Bundesaußenminister, Joseph Fischer. dieser Antrag nicht nur blass, sie sind gar nicht enthalten, da findet sich überhaupt nichts. (B) Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: (D) Ich meine, dass eigentlich eine andere Debattenfrage Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue aufgerufen ist, die wir sehr ernsthaft miteinander bespre- mich, dass wir heute Gelegenheit haben, faktisch zur chen müssten. Deutschland ist nach der Vereinigung zu Halbzeit eine Debatte – eine kritische Debatte; wie könnte einer globalen Großmacht geworden, militärisch, poli- es in einem Parlament auch anders sein? – über die ver- tisch und ökonomisch. Über das, was „globale Groß- gangenen zwei Jahre deutscher Außenpolitik zu führen. macht“ bedeutet, muss man nachdenken. Man muss darü- Angesichts Ihres Antrags und – noch mehr – angesichts ber nachdenken, ob man wirklich schon reif ist für Ihrer Rede heute, Herr Rühe, muss ich feststellen: Wer die Weltpolitik und in welche Richtung die Weltpolitik gehen außenpolitische Tradition der CDU/CSU, die Bedeutung, soll. die die Außenpolitik in der CDU/CSU hat, und auch Ihre (Beifall bei der PDS) Leistung auf diesem Gebiet kennt, der kann nur traurig da- rüber sein, welche Rede Sie heute abgeliefert haben. Das Diese neue Rolle muss diskutiert, bedacht und ausgefüllt muss ich Ihnen in der Tat sagen. werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Bundesregierung macht das Zug um Zug in eine und bei der SPD) Richtung, die ich für falsch halte. Sie macht ihre An- sprüche deutlich in der UNO, in der EU, im Internationa- Durch dieses tief gesunkene Niveau wird auch bei de- len Währungsfonds, in der Weltbank, bei G 7 und G 8. Das nen ein verheerender Eindruck vermittelt, die noch nicht ist für die Regierung daran gekoppelt, sich auch mi-abgeschaltet haben. Ein solches Niveau habe ich in den litärisch engagieren zu können – ich sage nicht: zu müs- vergangenen zwei Jahren bei Diskussionen im Auswärti- sen oder zu wollen. gen Ausschuss Es ist für mich schlichtweg eine Katastrophe, wenn der (Reinhard Freiherr von Schorlemer [CDU/ Generalinspekteur der Bundeswehr auf der jüngsten Kom- CSU]: Wenn Sie denn mal da waren!) mandeurstagung von einer – ich zitiere ihn – „Verän- und bei den Debatten in diesem Hause nicht kennen ge- derung der Bundeswehr von einer Verteidigungsarmee in lernt. Diese Einschätzung gilt auch für einige andere Re- ein hochwirksames Instrument der deutschen Außen- und debeiträge. Sicherheitspolitik“ spricht. Das ist erstens schlichtweg verfassungswidrig, weil der Verfassungsauftrag der Ar- Ich denke, das Thema ist viel zu wichtig, um solche Re- mee festgeschrieben ist, und zweitens ist höchste Wach- den zu halten. Ich verstehe zwar das Bedürfnis, hier eine samkeit angesagt, wenn eine Regierung auch nur darüber Auseinandersetzung zu führen. Ich muss aber daran 12982 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000

Bundesminister Joseph Fischer (A) erinnern, dass die großen außenpolitischen Kontroversen Bedingungen der Welt nach dem Ende des Kalten Krieges (C) an der Sache und nicht an im Plenarsaal künstlich aufge- fortsetzen wollen. bauten Differenzen orientiert sein sollten, die es bei nähe- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rer Betrachtung gar nicht gibt. und bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das heißt, wir wollen Konflikte – die Welt wird immer In diesem Punkt stimme ich Herrn Gehrcke zu: Es ist Konflikte produzieren – möglichst so lösen, dass sie nicht doch nichts Schlimmes dabei, wenn es in der Außenpoli- zu einer Konfrontation oder gar zu einer Explosion tik ein hohes Maß an Konsens im Deutschen Bundestag führen. gibt. Ich war jüngst in Ostasien.Merkwürdigerweise sind (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Diskussionen mit den Abgeordneten, die man bei sol- und bei der SPD) chen Reisen dabei hat, immer ganz anders. Ich lade Sie ein: Fliegen Sie am Montag mit nach Afrika, wenn Sie in Die Verlässlichkeit und die Berechenbarkeit der Bundes- der Afrikapolitik Defizite sehen! Ich bin zum zweiten Mal republik Deutschland ist nämlich schon ein Wert an sich. in diesem Jahr in Afrika. (Wolfgang Gehrcke [PDS]: Ein anderer (Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Aber Konsens wäre schöner!) im fünften Anlauf!) – Er wäre nicht schöner. Ich werde Ihnen das noch erläu- – Nicht im fünften Anlauf. Vergleichen Sie das doch ein- tern. mal mit dem, was die Vorgängerregierung in dieser Hin- Herr Rühe, Sie hätten Ihre Kritik nicht vorbringen kön- sicht getan hat! Die Zahlen liegen doch vor. nen, wenn Sie sich etwas intensiver mit dem Thema be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schäftigt hätten und sich an den Debatten der mit dieser und bei der SPD) Thematik beschäftigten Ausschüsse beteiligt hätten. Ich werde Ihnen anhand der Europapolitik und andererSie können doch nicht so tun, als wenn Sie keine Vergan- Punkte nachweisen, dass die handwerkliche Untermaue- genheit hätten. rung Ihrer Kritik schlicht und einfach nicht stimmig ist. Wir werden immer wieder zu dem Punkt kommen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – das haben jetzt wieder der Euromed-Prozess, die Kon- und bei der SPD) ferenz der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, der Kommission und der Mittelmeeranrainer, und auch mein Ich denke, wir sollten die Debatte nicht auf dieser Ebene (B) Besuch in Ostasien gezeigt –, an dem wir feststellen müs- (D) führen. Ich würde mich freuen, wir hätten eine seriöse sen, dass es in der Welt des 21. Jahrhunderts ein starkes außenpolitische Kontroverse. Ich wäre der Letzte, der bei Bedürfnis nach Europa gibt. Nicht nach deutscher Welt- Kritik ad personam zurücksteckt. Warum sollte es keine politik, sondern nach Europa wird gerufen. Kritik geben? Ich teile gern aus und muss deshalb auch einstecken können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Aber entscheidend ist doch, ob wir in der Sache über- einstimmen oder ob wir eine Scheinkontroverse führen, Deswegen ist es von überragender Bedeutung, dass wir angesichts derer sich die Menschen nur angewidert ab- dieses Europa schaffen. wenden und sagen: So sind die halt im Parlament. – Ich Kollege Rühe, wir hatten leider persönlich nie die Ge- denke, die deutsche Außen- und Europapolitik – egal, ob legenheit, diesbezüglich länger miteinander zu reden. sie kontrovers oder konsensual diskutiert wird – ist we- Aber bezüglich der Europapolitik müssen Sie sich selbst sentlich besser, als sie von Ihnen heute dargestellt wurde. einmal fragen: Was will denn die Union? Das wissen Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN doch besser als ich. und bei der SPD) (Volker Rühe [CDU/CSU]: Lesen Sie den Die entscheidende Frage ist: Was haben wir in der Antrag!) Bundesrepublik Deutschland an Traditionssträngen mitbe- – Ich meine nicht das, was im Antrag steht. Es gibt in der kommen? Angesichts unserer furchtbar missratenenUnion doch die unterschiedlichsten Positionen. Es gibt zu Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist jeder europapolitischen Frage, ob Erweiterung, Vertie- nicht nur die Wiedergewinnung der Souveränität ent-fung oder anderes, mindestens fünf bedeutende Beiträge scheidend – fest verankert in den europäischen und trans- aus dem CDU-Präsidium, die sich alle widersprechen. atlantischen Strukturen –, sondern auch die Tatsache, dass unsere Friedenspolitik unabhängig von den Regierungs- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) wechseln ist. Die Friedenspolitik war teilweise heiß um- stritten. Es hat sich aber schließlich immer ein Konsens Der oberste Leitkulturist hat gesagt, die Union werde durchgesetzt. nur zustimmen, wenn die Kompetenzabgrenzung bereits in Nizza beschlossen wird. So Merz hier im Hause. Friedenspolitik bedeutet Konfliktprävention. Wenn es einen zentralen Leitsatz für die Politik dieser Bundesre- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- gierung gibt, ist er, dass wir diesen Strang unter den neuen wie bei Abgeordneten der SPD – Friedrich Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000 12983

Bundesminister Joseph Fischer (A) Merz [CDU/CSU]: Das wissen Sie doch, dass Ich kann nur sagen, Kollege Rühe: Ihr müsst euch(C) das nicht stimmt!) Klarheit darüber verschaffen – und zwar nicht in Form Heute hat er – Gott sei Dank, er hat gelernt – bereits den von Formelkompromissen –, was ihr in diesem Punkt Rückzug angetreten. Auch Volker Rühe hat angekündigt, tatsächlich wollt. Die Bundesregierung jedenfalls wird an dass er diese Position nicht durchsetzen wird. Ich finde dem in Helsinki beschlossenen Prozess festhalten. Er ist das richtig; denn wäre das nicht der Fall, würden wir in nicht maximalistisch, sondern erhebt die jeweiligen kon- Nizza kein Ergebnis erzielen. Und wenn es ein Ergebnis kreten praktischen Fortschritte zum Maßstab für einen gäbe, das im Deutschen Bundestag am Ende nicht ratifi- Beitritt. ziert würde, würde das bedeuten, dass wir fünf Jahrzehnte (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erfolgreicher Europapolitik aller Bundesregierungen in- und bei der SPD) frage stellen. Das würde selbst Herr Merz sich nicht trauen. Insofern ist Vernunft über ihn gekommen. Wenn Sie uns vorwerfen, wir seien im Hinblick auf die Erweiterung zögerlich, dann kann das ein Mitglied der ( [CDU/CSU]: Bauen Sie nicht Vorgängerregierung nur bei völliger Ignoranz der Fakten einen Popanz auf! So ein Unfug!) tun. Wann sind denn die konkretenErweiterungsver- – Das ist kein Unfug. Ich und alle, die dabei waren, haben handlungen eröffnet worden, Kollege Rühe? Wissen Sie das hier gehört. Wenn das ein Popanz ist, dann heißt der Po- das? Soll ich es Ihnen sagen? In der zweiten Hälfte des panz Merz und ist Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU. Jahres 1998 sind konkrete Erweiterungsverhandlungen eröffnet worden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU) (Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Auf- grund welches Beschlusses? Luxemburg!) Herr Kollege Rühe, lassen Sie mich Ihren Einwand bezüglich „maximal“ einmal ernsthaft aufnehmen. Ich – Aber man kann doch nicht uns dies vorwerfen, die verstehe das nicht. Hätten Sie sich denHelsinki-Be- wir alles getan haben, um den Prozess voranzutreiben. schluss angeschaut, hätten Sie festgestellt, dass er nicht Wann war denn der Gipfel von Luxemburg? Jahre sind maximalistisch formuliert ist. Das hätten Sie auch erken- zwischenzeitlich verstrichen. Es gab von Bundeskanzler nen können, wenn Sie sich die Reden Ihrer führenden Dr. das Versprechen an Polen, dass es im Europapolitiker angeschaut hätten. Kollege Pflüger, ein Jahre 2000 Mitglied der EU sein werde. Gleichzeitig ist sehr kompetenter Europapolitiker, sitzt direkt hinter Ihnen. aber nichts Konkretes getan worden, um aus diesem vi- (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Der steht auch hinter sionären Versprechen praktische Politik zu machen. (B) ihm!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D) – Ist das jetzt eine Drohung, dass er hinter ihm steht? Ich und bei der SPD) weiß es nicht. Und Sie kommen heute und werfen uns dies vor. Ich (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN weiß, dies ist ein Scheinvorwurf. Denn in Wirklichkeit se- – Heinrich-Wilhelm Ronsöhr [CDU/CSU]: Hier hen Sie das nicht sehr viel anders als wir, und zwar nicht stehe ich, ich kann nicht anders“!) deshalb, weil dies eine außenpolitische Verschwörung ist, wie das die PDS meint, sondern schlicht und einfach des- Auch Kollege Hintze ist ein kompetenter Europapolitiker. halb, weil bestimmten Erfordernissen nachgekommen Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass das Regattaprin- werden muss: Die Erweiterung muss solide und praktisch zip allgemein begrüßt wurde, nach dem nach Maßgabe durchführbar konstruiert werden. Gleichzeitig ist es un- des Fortschritts der konkreten Verhandlungen – eine Be- verzichtbar, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Konse- wertung findet durch die Kommission in Fortschritts- berichten statt – und nach Abschluss ein Beitritt erfolgen quenz des Endes des Kalten Krieges im Jahre 1989 nicht kann, nach dem es also keine politisch motivierte Be-nur die Wiedervereinigung Deutschlands, sondern auch schleunigung und keine politisch motivierte Bremse ge- die Europas ist. Die europäische Einigungsidee würde, ben darf. wenn dies nicht so gesehen würde, einen substanziellen Schaden nehmen. Deswegen werden wir alles in unseren (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kräften Stehende tun, dies zu verwirklichen. und bei der SPD) Wir wollen, dass Polen zu den ersten neuen Beitritts- Dieser Helsinki-Beschluss hat hier im Hause eineländern gehört; um das klipp und klar festzustellen. breite Zustimmung gefunden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kollege Schäuble hat jetzt einen anderen Vorschlag ge- und bei der SPD) macht. Er hat gesagt, man solle, ohne die konkreten Fort- schritte abzuwarten, zumindest bei den wichtigsten Län- Allerdings müssen in Polen die dafür erforderlichen dern jetzt gleich einen politisch motivierten BeitrittVoraussetzungen geschaffen werden. Ich für meinen Teil anstreben. Das wiederum wird von Edmund Stoiber hef- kann Ihnen nur sagen: Die Bundesregierung wird alles tun, tig bekämpft und bekriegt. um die Erweiterung so schnell wie möglich Realität wer- den zu lassen. (Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Das stimmt doch überhaupt nicht!) (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Sehr gut!) 12984 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000

(A) Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters:Herr Bun- sich nur an Überschriften. Ich möchte Sie fragen: Wie soll (C) desaußenminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des denn eine Union der 25, wie soll eine Union der 27 und Kollegen Volker Rühe? – Bitte, Herr Rühe. wie soll eine Union der 30 funktionieren? Diese Frage müssen wir parallel zur Erweiterung beantworten. Das ist kein rhetorischer Trick nach dem Motto: Maximalismus (CDU/CSU): Herr Bundesaußenminis- Volker Rühe hier, Maximalismus da. Dies ist vielmehr ein Ergebnis des ter, die Kommission hat sich ja jetzt für eineStraffung Endes des Kalten Krieges. des Verhandlungsrahmens ausgesprochen. Da Sie, wie Sie soeben festgestellt haben, wollen, dass eine Erweite- Wie viele Ihrer Kollegen aus der Union, zum Beispiel rung so schnell wie möglich durchgeführt wird, möchte wie Kollege Schäuble, Kollege Pflüger und Kollege ich Sie fragen, ob Sie sich hinter den Vorschlag der Kom- Hintze, bin ich der Meinung, dass eine erweiterte Union, mission stellen, die erste Verhandlungsrunde bis Ende die in den substanziellen Fragen des politischen Eini- 2002 abzuschließen, damit diejenigen, die die erforderli- gungsprozesses nicht vorankommt – wir wollen eine chen Voraussetzungen erfüllen, dann umgehend Mitglied handlungsfähige Europäische Union haben und die neuen der Europäischen Union werden können. Mitglieder wollen in eine handlungsfähige Europäische Union eintreten –, schlicht und einfach in eine Blockade gerät, das heißt handlungsunfähig wird. Deswegen ist das Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: Sprechen über die Erweiterung und über die Vertiefung Ich finde es sehr gut, wenn wir es bis dahin schaffen. Un- kein Trick. Ich hatte als Oppositionsabgeordneter dieselbe sere Haltung ist: möglichst schnell. Wenn dies bis dahin Position und habe hierbei Helmut Kohl unterstützt. Viel- möglich ist, dann gerne. leicht wäre es sinnvoll, dass auch die Opposition bei aller Jetzt komme ich aber einmal zu Ihnen: Ihre derzeitige Kritik, die es geben muss, einmal darüber nachdenkt. Ge- Haltung ergibt sich daraus, dass Sie in der Oppositionrade weil Europa an erster Stelle unseres nationalen Inte- sind. Früher, als ihr in der Regierung wart, konntet ihr resses steht, halte ich es für unverzichtbar, dass wir hier euch folgenden Luxus nicht erlauben: Ihr fordert ein gutes vorankommen. Dazu gibt es aus Ihrer Fraktion wichtige deutsch-französisches Verhältnis und gleichzeitig die Ein- Beiträge, von denen ich einiges gelernt habe. Das ist gar führung der Kofinanzierung im Bereich des Agrarmark- nicht schlimm. Sie müssen sich darüber freuen. tes. Wie soll das im Moment zusammengehen? Wir müss- Wir müssen hier aber gemeinsam eine große Anstren- ten Wunder vollbringen, wenn wir die politischen Fakten gung unternehmen. Ich freue mich, dass mittlerweile entsprechend ändern wollten. selbst der Bayerische Ministerpräsident von seiner Fun- (Volker Rühe [CDU/CSU]: Also, Sie unterstüt- damentalopposition abgekommen ist und auf der Grund- zen den Vorschlag der Kommission?) lage des Kompromisses einer Souveränitätsteilung zwi- (B) schen Europa – „Wer macht was“ heißt: Die europäischen (D) – Sicher. Das habe ich Ihnen doch gesagt. Institutionen müssen mehr Handlungsmöglichkeiten er- (Volker Rühe [CDU/CSU]: Gut!) halten, die ihnen heute teilweise nur eingeschränkt zu- stehen – und den Nationalstaaten wie auch der Neuord- Wenn die Kommission die Verhandlungen bis dahin zum nung der Institutionen zueinander zustimmt. In diese Abschluss bringt, Richtung sollten wir weiter diskutieren. (Volker Rühe [CDU/CSU]: Das halten wir für Das deutsch-französische Verhältnis lebt natürlich möglich!) auch aus seinen Spannungen heraus, aber es ist überaus werden wir uns darüber freuen. Von uns wird es diesbe- produktiv, das gilt für die jetzige Bundesregierung, wie es züglich keine Bremse, keine Behinderungen und nichts für die Vorgängerregierung gegolten hat. Selbstverständ- dergleichen geben. Im Gegenteil. lich werden wir in Nizza gemeinsam auf Erfolg setzen. Aus meiner Sicht kann ich Ihnen nur sagen: Wir haben die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Chance, in Nizza zu einem erfolgreichen Abschluss zu und bei der SPD) kommen. Das wird ein erster großer Schritt sein, der die Herr Rühe, damit wir uns richtig verstehen: Dies sollte Erweiterungsfähigkeit definiert. Herr Kollege Schäuble, kein Wunschdenken sein, sondern muss auch realisierbar wir sollten in Nizza nichts anstreben, was für Nizza nicht sein. vorgesehen war. (Volker Rühe [CDU/CSU]: Ist es auch!) (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Ich habe nichts gesagt!) Das heißt, wir müssen das schwierige Agrarmarktkapitel ebenso wie einige andere Kapitel auch abschließen. – Sie haben aber so geguckt, als hätten Sie es gesagt. Das mache ich auch manchmal. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Volker Rühe [CDU/CSU]: Ohne Verzögerung!) (Heiterkeit im ganzen Hause) Wir sollten Nizza nicht mit zu vielen Dingen befrach- – Genau, ohne Verzögerung. Da gibt es überhaupt keinen ten. Der Kollege Lamers hat mir im November des ver- Dissens. Ihre Europapolitiker wissen das im Übrigen nur gangenen Jahres in einem Tête-à-tête gesagt, dass es im zu gut. Falle der Erweiterung unbedingt zu einer verstärkten Zu- Aber nun zur Vertiefung. Herr Rühe, mit der Europa- sammenarbeit kommen muss. Diejenigen, die bei der po- politik haben Sie sich nicht sehr beschäftigt; Sie halten litischen Integration enger zusammenarbeiten wollen, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000 12985

Bundesminister Joseph Fischer (A) müssen auch enger zusammenarbeiten können. Ich habe – Die Lage im Kosovo will ich Ihnen auch gern erläutern. (C) davon gelernt, das gebe ich offen zu. Er hat aber auch ge- Ich stimme Ihnen zu: Die finale Statusfrage ist gegenwär- sagt: Das schaffen Sie nie. Heute ist dieser Punkt am we- tig nicht zu entscheiden. Das ist aber eher eine Kritik, die nigsten umstritten, und zwar auch aufgrund der deutsch- Sie mit dem von mir sehr geschätzten Kollegen Lamers italienischen Initiative. Das muss man anerkennen. ausdiskutieren müssen, denn wir sind an diesem Punkt nicht über Kreuz. (Volker Rühe [CDU/CSU]: Das ist nicht der Punkt!) Dieser politische Prozess wird stattfinden und wir müs- – Nein, das ist nicht der Punkt für Sie, aber für die Euro- sen so etwas wie eine regionale Sicherheitsstruktur, die papolitiker, die etwas von der Sache verstehen, ist das ein Vertrauen schafft, aufbauen. Die Veränderungen in Bel- zentraler Punkt. grad waren dafür die zentrale Voraussetzung. Sie sind nicht alles, aber ohne diese Veränderungen wäre es nicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegangen. und bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Es fehlt mir jetzt in dieser europapolitischen Debatte und bei der SPD) die Zeit, auf die anderen Punkte einzugehen. Die Paralle- lität ist in der Tat die zentrale Frage, denn sie wird noch Versöhnung muss auf Wahrheit gründen. Deswegen ha- lange zwischen den nationalen und europäischen In- ben wir den Vorschlag zur Einrichtung einer Wahrheits- stitutionen bestehen, sie wird auch die wachsende euro- kommission gemacht. Ich freue mich, dass Kostunica päische Sicherheits- und Verteidigungspolitik betreffen. diese Idee bereits aufgegriffen hat. Aber über diese Parallelität müssen wir immer wieder dis- Die Frage der Verschwundenen muss gemeinsam kutieren. Ich stelle fest, dass wir seit einem Jahr, seit Ja- gelöst werden. Die Gefängnisse müssen geöffnet werden. vier Solana im Amt ist, erhebliche Fortschritte in der ge- Über das, was geschehen ist, muss die Wahrheit auf den meinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik erreicht Tisch. Die legitimen Interessen aller Beteiligten – nicht haben. nur der Serben und Kosovo-Albaner, sondern aller Betei- Sie haben uns Konzeptionslosigkeit vorgeworfen.ligten in der Region – müssen anerkannt werden. In die- Schauen Sie sich nur den Balkan an. Werfe ich Ihnen vor, sem Zusammenhang ist auch ein Gewaltverzicht zu nen- dass wir heute noch mit Soldaten in Bosnien stehen? Ich nen. Nur durch eine friedliche Veränderung der Grenzen habe Ihnen damals zugestimmt. Ich gebe zu, zuerst war und durch Vereinbarungen kann ein Klima geschaffen ich dagegen, nach Srebrenica aber dafür und ich habe als werden, in dem die finalen Fragen auf dem Kompromiss- Oppositionsabgeordneter hier ebenso wie bei der NATO- weg angegangen werden können. Hinsichtlich Ihres Vor- (B) Osterweiterung zugestimmt. Viele meiner Kolleginnen schlages, jetzt ein Parlament zu wählen, um diesen Weg (D) und Kollegen haben das getan, andere waren dagegen. zu beschleunigen, habe ich große Zweifel; das muss ich Uns aber vorzuwerfen, wir hätten kein Konzept, finde ich Ihnen ganz ehrlich sagen. schlimm. Kollege Rühe, wir stehen heute noch in Bosnien Dies gilt auch für andere Dinge: Sie fordern manchmal und das verantworten Sie und ich mit. das Richtige und greifen dann aber ohne Rücksicht auf die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Logik oder die Realitäten zum völlig falschen Mittel. Ich und bei der SPD – Volker Rühe [CDU/CSU]: finde auch Ihre Haltung zu Russland – mit Verlaub ge- Mit einem politischen Konzept!) sagt – sehr fahrlässig. Ich weiß nicht, ob sie von Ihrer Fraktion geteilt wird. Ich hätte mir gewünscht, dass – Aber Sie hatten doch kein politisches Konzept. Wir ha- Volker Rühe, der mannhafte Streiter für Menschenrechte, ben den Stabilitätspakt aus den fünf Punkten über die Pe- im Ausschuss gewesen wäre, als Igor Iwanow, der russi- tersberger Vereinbarung entwickelt. Wir haben Russland sche Außenminister, damals dort war. Ich war dabei. wieder ins Boot geholt, was Sie immer gefordert, aber nicht hinbekommen haben. Wir haben während der deut- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schen Präsidentschaft die Initiative für die spätere Sicher- Auch der Kollege Irmer ist für die Menschenrechte heitsresolution 1244 in Köln entscheidend angeschoben. nicht gerade heldenhaft auf die Barrikaden gegangen, Wichtiger ist aber noch: Der Stabilitätspakt ist entwickelt sondern ihr wart – mit Verlaub gesagt – dort alle sehr mo- und implementiert worden. Gott sei Dank gab es jetzt die derat. friedliche demokratische Revolution in Belgrad und da- mit die Chance, den Balkan an Europa heranzuführen, um (Zuruf von der CDU/CSU) so zu einer dauerhaften Friedensordnung zu kommen. – Das ist überhaupt keine Kritik. Aber ihr habt die Paral- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lelität unserer Interessen gesehen. Das eine ist, Klartext zu und bei der SPD) reden. Alle haben dort Klartext geredet. Dabei gibt es zwi- schen dem französischen Außenminister und mir keinen Wenn das Konzeptionslosigkeit ist, lasse ich mich Unterschied. Sie können sich in Moskau erkundigen. Bei gerne konzeptionslos schimpfen. Wenn die deutsche der Tatsache, Klartext zu reden, gibt es kein Problem. Das Sprache aber einen Sinn macht, werden Sie das nicht als Einzige, was geholfen hätte, wäre eine strategische Iso- konzeptionslos bezeichnen können. lierung Russlands zu versuchen, die dann allerdings fatale (Volker Rühe [CDU/CSU]: Was ist mit dem Wirkungen in die völlig falsche Richtung gehabt hätte. Kosovo?) Darüber waren wir im Ausschuss immer einer Meinung. 12986 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000

Bundesminister Joseph Fischer (A) An Klartext hat es nie gemangelt, aber eine strategische schimmer. Um diese Entwicklung zu verstärken, muss(C) Isolierung wäre wirklich töricht gewesen. man abwägen. Die NATO-Erweiterung steht auf der Grundlage des- Die Frage ist: Wie sehr wollen wir solche Regimes, sen, was wir in Washington beim Jubiläumsgipfel be-über deren Menschenrechtsverachtungen Sie mit mir schlossen haben. nicht streiten müssen, einbinden? Oder: Wie weit lassen wir sie treiben? Das ist die Entscheidung. Deswegen wird (Volker Rühe [CDU/CSU]: Was ist mit der Er- die Bundesregierung die Entscheidung im Rahmen ihres weiterung?) grundsätzlichen Ansatzes zur Konfliktvermeidung je- – Halt! Auch ich hatte einmal eine Phase, in der ich im- weils im Einzelfall prüfen und entsprechend vorgehen. mer alles sofort wollte. Offensichtlich sind Sie in der Es ließe sich jetzt noch vieles hinzufügen, meine Da- Spätphase Ihrer politischen Karriere in diese Phase einge- men und Herren; treten. Ich kann Ihnen nur sagen: Ich plädiere dafür, jetzt die EU-Erweiterung energisch voranzutreiben. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Volker Rühe [CDU/CSU]: Was ist mit der ich habe meine Redezeit weit überschritten. Ich freue NATO-Erweiterung?) mich, dass ich Gelegenheit hatte, unsere Politik einmal konzeptionell zu erläutern. Ich will Ihnen sagen, warum. Dies wird nämlich auch ein verändertes Sicherheitsumfeld schaffen. Zu derNATO- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Erweiterung ist meine Meinung klar: Es darf für nie- und bei der SPD) manden ein Vetorecht geben. Aber die Ablehnung eines Ich hoffe, Herr Kollege Rühe, dass wir in den kommen- Vetorechts heißt nicht, dass man die legitimen Interessen den Jahren verstärkt die Gelegenheit haben, dieses im anderer Partner deswegen ad acta legt. Die Weisheit ge- Ausschuss auf einer sachlichen Grundlage fortzusetzen. bietet es, so vorzugehen, dass wir mögliche Konflikte möglichst gering halten. Das gilt meines Erachtens auch Vielen Dank. für die NATO-Erweiterung. Sie wissen ganz genau: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schwierigkeiten macht das Baltikum. Die Sensitivitäten, und bei der SPD – Volker Rühe [CDU/CSU]: In die dort existieren, müssen sehr sorgfältig diskutiert und der deutschen Öffentlichkeit!) die Interessen abgewogen werden. Dies muss auf der Grundlage dessen geschehen, was in Washington in den Für die Frak- entsprechenden Dokumenten vereinbart wurde. Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: tion der CDU/CSU spricht Kollege Christian Schmidt. (B) Ich möchte noch einen anderen Punkt ansprechen: (D) Nordkorea. In Bezug auf Asien können wir sagen: Wenn Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU): Herr Präsi- wir den Balkan – Stichwort Kosovo – nicht an Europa dent! Meine Kolleginnen! Meine Kollegen! Da ist er doch herangeführt hätten, wenn wir nicht alle die Kraft gehabt ins Plaudern gekommen, der Herr Bundesaußenminister. hätten, dort entsprechend einzugreifen, dann wären die So interessant viele Aspekte auch waren: Die eigentlichen Krisen Asiens bis vor unsere Haustür gekommen. Fragen, auf die einzugehen war, Herr Minister, habe ich (Zuruf des Abgeordneten Christian Schmidt vermisst, nämlich die Grundfragen: Was sind die ent- [Fürth] [CDU/CSU]) scheidenden Positionen der deutschen Außenpolitik in Zukunft? Was waren sie in der Vergangenheit? Wie rankt – Ich will jetzt nur zu diesem Punkt sprechen. sich um diese Positionen herum die praktische deutsche Wenn ich mir anschaue, mit welchen Krisen und Kon- Außenpolitik? flikten wir es im Nahen und Mittleren Osten zu tun ha- Lassen Sie die Thematik, wer die Osterweiterung der ben – dabei habe ich immer den nuklearen Rüstungswett- Europäischen Union erfunden hat, nicht an Volker Rühe lauf vor Augen –, wenn ich den Kaukasus betrachteaus. – Zentralasien und die Kaspische Meerregion –, wenn ich an die Talibanisierungsgefahr in Pakistan und den Rüs- (Uta Zapf [SPD]: Er hat sie nicht erfunden!) tungswettlauf auf dem indischen Subkontinent denke und Denn er war derjenige, der dafür gesorgt hat, dass im si- sich auch in Südostasien mit Indonesien und den Philip- cherheitspolitischen Kontext Europas mit der NATO-Er- pinen sehr instabile Situationen vorfinden, sich gleichzei- weiterung der erste wichtige Schritt getan worden ist. tig in Ostasien ein drohender Rüstungswettlauf und ein großes Konfliktpotential aufbauen, wenn man weiß, dass (Beifall bei der CDU/CSU) es auf diesem Kontinent, der für uns von entscheidender Dass Polen, Ungarn und Tschechien heute dabei sind, war Bedeutung ist, keine kooperativen Sicherheitsstrukturen ein Erfolg der alten Bundesregierung. Dass sie für die Er- gibt und sich gleichzeitig ein Denken breit macht, bei dem weiterung der Europäischen Union die Grundsteine ge- das Misstrauen auf nationaler Grundlage gegenüber den legt hat, können Sie bereits jetzt in der „FAZ“ an den anderen Fakten schafft, die sich hochzuschaukeln drohen, Grußadressen von Herrn Putin zum 10-jährigen Bestehen dann kann ich Ihnen nur sagen: Die Entwicklung auf der des deutsch-russischen Vertrages – damals noch des nordkoreanischen Halbinsel – Nordkorea war in diesem deutsch-sowjetischen Vertrages –, zum bald bevorstehen- Zusammenhang von den USA immer als ein Hauptargu- den 10-jährigen Jubiläum des deutsch-polnischen Nach- ment angeführt worden – ist ein wirklicher Hoffnungs- barschaftsvertrages, zum in zwei Jahren anstehenden Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000 12987

Christian Schmidt (Fürth) (A) 10-jährigen des deutsch-tschechoslowakischen – jetzt die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit nicht (C) deutsch-tschechischen und deutsch-slowakischen – Ver- gutheißen. Er wird danach fragen, welchen Eindruck es trages usw. sehen. macht, wenn man in Helsinki headline goals verabschie- (Beifall bei der CDU/CSU – Reinhard Freiherr det und gleichzeitig in Köln vom Ansatz her bezüglich ei- von Schorlemer [CDU/CSU]: Auch des ungari- ner Geberkonferenz in den nächsten Tagen richtige Posi- schen!) tionen vertritt, die – hoffentlich – von den anderen finanziert werden sollen. – Mit Ungarn, mit Bulgarien, mit Rumänien. Es war ein Geflecht bilateraler Verträge, getragen von der zielgerich- (Joseph Fischer, Bundesminister: Von uns! teten Hoffnung auf eine baldige Eingliederung dieser – Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Länder in ein Europa, zu dem sie gehören. NEN) Wir machen Ihnen nicht den Vorwurf, dass die Euro- – Die Heiterkeit bei den Grünen ist nach dieser Debatte papolitik ganz hinten anstünde. Ich möchte nur noch ein- verständlich, aber Sie sollten Ihren Fraktionskollegen mal auf die Frage der deutschen Präsidentschaft zurück- ebenso wie ich die Frage stellen, wieso der Bundesaußen- kommen. Ich erinnere mich noch daran, wie wir hierminister zur Bundeswehrreform, die einen strategischen – nein, es war noch in Bonn, aber es war die gleiche Si- außen- und sicherheitspolitischen Ansatz haben muss, tuation – zusammensaßen und in der Fragestunde dienicht ein Wort gesagt hat, wieso Herr Scharping in seinem CDU/CSU-Fraktion die Frage stellte: Wie sieht denn euer windmühlenartigen Abwehrkampf gegen das Streich- Programm der Präsidentschaft aus? Der Bundesaußenmi- konzept des Herrn Eichel seine eigenen Konzepte nicht nister war damals nicht in der Lage, zu den angesproche- besser durchsetzt. Ich sage Ihnen voraus, dass Sie Schwie- nen Punkten eine Antwort zu geben – nicht, weil er es rigkeiten haben werden. Wenn die Stiftung Wissenschaft nicht wollte, sondern, weil er es nicht wusste. Er hat mög- und Politik vor kurzem ausgeführt hat, die Krisenreak- licherweise schneller gelernt als sein Bundeskanzler, der tionsfähigkeit der Bundeswehr würde mit der geplanten nicht nur bei Stilfragen unsicher ist. Lassen Sie sich das Konzeption eher geschwächt als gestärkt werden, muss bei dieser Gelegenheit einmal sagen. Sie das auf den Plan rufen. Die Tatsache, dass der Bun- Wissen Sie, es gibt in der Außenpolitik einen Konsens, desverteidigungsminister bei den Vereinten Nationen in der auch den Stil betrifft. Wenn der deutsche Bundes-New York die Bundeswehr auf dem Silbertablett anbietet, kanzler meint, er müsse einen Oppositionsantrag, der sich ohne vorher den Außenminister zu konsultieren – ich mit der Frage der deutsch-tschechischen Beziehung be- kann es mir nicht anders vorstellen –, legt den Verdacht fasst, von Prag aus kommentieren, dann muss er sich lang- nahe, dass hier Luftbuchungen vorgenommen und Luft- schlösser gebaut werden. (B) sam fragen lassen, ob er den Stilanforderungen seines (D) Amtes gewachsen ist. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Da wird es für die deutschen Interessen problematisch. Ich habe es mir wie alle unsere Kollegen zur Prämisse Geld ist zwar nicht alles, ist aber in vielen Fällen ent- gemacht: Solange der deutsche Regierungschef im Aus- scheidend. Dass imHaushalt des Bundesaußenmi- land ist, wird er nicht kritisiert. Kritisiert wird er zunisters zwischenzeitlich mit geschickten Transaktionen Hause, und da anständig und ordentlich. Daran hat er sich – ich unterstelle mal, er will mehr haben, wir würden ihn aber auch zu halten. darin unterstützen und bitten alle anderen Fraktionen um Mitwirkung – über den Umweg des Einzelplans 23, des (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Herr Glos BMZ, Gelder verschoben werden und dann am Ende we- hat die Regierung aus Österreich kritisiert!) der für die Entwicklungshilfe noch für die Außenpolitik Wer der neuen Form der Lässigkeit huldigt: so zu tun, mehr Geld zur Verfügung steht, sondern unter dem Strich als wäre Außenpolitik einfach so aus dem Handgelenk zu Kürzungen vorgenommen werden, ist bittere Realität. schütteln – weil ja jeder wie bei der Bundestrainerfrage Diesen Tatsachen muss sich auch der Bundesverteidi- über Fußballspielen Bescheid weiß –, der unterschätzt die gungsminister im Verteidigungsausschuss stellen. Probleme der Außenpolitik. Wir hatten auf Ihren Wunsch – übrigens mit unserer (Dieter Schloten [SPD]: So ein dummes Zeug Zustimmung, die uns nicht leicht gefallen ist – die Akti- habe ich lange nicht gehört!) vitäten in Bezug aufOsttimor akzeptiert. Ob wir das Das Problem der Außenpolitik, nämlich die Frage, wel- heute noch tun würden, möchte ich ausdrücklich infrage che Konzeption damit verbunden ist, betrifft natürlich auch stellen. Es hat sich nicht nur ein reiner Symbolismus in die transatlantischen Beziehungen. Sie haben gefragt: der Politik gezeigt; auch die Frage, wie weit Sie Aktivitä- Was will die Union denn? Einerseits sollen wir mit den ten einer humanitären Intervention konzeptionell ausdeh- Amerikanern kooperieren, andererseits wird kritisiert,nen wollen, ist unbeantwortet geblieben. Sie haben in Ih- dass zu sehr mit amerikanischen Interessen hantiert wird. rer Rede vor den Botschaftern – ich glaube, es war am Wer auch immer der neue Präsident wird – Kollege4. September – über die Begrenzung der deutschen Weisskirchen weiß es offensichtlich schon, weil er mit dem Außenpolitik gesprochen. Die Tatsache, dass diese nicht Gore-Lieberman-Sticker hier sitzt; ich weiß es noch nicht mehr so wie 1990 begrenzt werden kann, ergibt sich aus und die Wähler in den USA offensichtlich auch nochder Natur der Sache. Über diese grundsätzliche Ansicht nicht –: Er wird gewisse Dinge nicht zulassen und er wird können wir uns durchaus verständigen. 12988 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000

Christian Schmidt (Fürth) (A) Das bedeutet dann allerdings auch, dass Sie das durch- Wer europäische Interessen als im Wesentlichen deutsche (C) deklinieren müssen. Sie müssen auch in Ihren eigenen Interessen definiert, definiert sie richtig, muss dann aller- Reihen die unangenehme Frage beantworten: Wie ist das dings auch im europäischen Interesse handeln. mit dem Primat der Vereinten Nationen? Wenn das so ist (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) – auf der einen Seite einen Sitz im Sicherheitsrat anzu- streben und auf der anderen Seite ein Recht auf huma- Ich befürchte, dass wir in Nizza die Probleme, die an- nitäre Intervention zu postulieren –, muss man darüber re- gesprochen worden sind – darüber wird nächste Woche den und auch fragen, wie und wie lange man bei das der Regierungserklärung des Bundeskanzlers noch diskutiert werden –, nicht unbedingt lösen werden. So durchsetzen kann und wo die Maßstäbe dafür sind. Be- glänzend steht die französische Präsidentschaft vor Nizza deutet das, mit dieser Bundeswehr – ausgezehrt durch die nicht da. jetzige Entwicklung, nicht zuletzt auch durch die Ver- pflichtung, im Kosovo und in Bosnien aktiv zu sein – Ich will auf eines hinweisen: Wenn es ge- weltweit Menschenrechte zu schützen? Sie wissen, dass schafft haben sollte, Sie, Herr Kollege Fischer, davon zu Herr Scharping damals, als wir über Osttimor gesprochen überzeugen, dass die verstärkte Zusammenarbeit wichtig haben, einem verstärkten Engagement ursprünglich nicht ist, dann muss wohl der Rest der Union für sich in An- zugestimmt hat, weil er sonst das letzte Reservelazarett spruch nehmen, dass er Sie davon überzeugen konnte, hätte aufbieten müssen. dass die Frage der Kompetenzabgrenzung eine entschei- dende Frage für die künftige Struktur der Europäischen Sie müssen die Maßstäbe und Prioritäten Ihrer Politik Union ist. Wenn es Ausdruck Ihrer Lernfähigkeit ist, dass definieren. Das haben Sie bisher nicht getan. Die „Klei- Sie von der Union lernen – von der Union lernen, heißt, nigkeiten“, die beim deutsch-französischen Verhältnis gut Politik machen zu lernen –, nicht angesprochen worden sind, gehören übrigens zu die- (Lachen bei der SPD) sen Prioritäten. Sie haben die Fragen zu Nordkorea, die sowohl der Kollege Irmer als auch ich gestellt haben, ele- dann ist noch nicht alles verloren, dann ist auch die deut- gant überspielt. Das kann er und das konnte er schon, als sche Außenpolitik nicht verloren. Ich bin skeptisch; aber er noch auf den Abgeordnetenbänken saß. Das ist schon ich warte darauf. beeindruckend. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Jetzt stellt sich bloß die Frage, wieso eigentlich die französische Ratspräsidentschaft bei dieser strategisch Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters:Für die wichtigen Frage für Europa überhaupt nicht beteiligt ist. SPD-Fraktion spricht der Kollege Gernot Erler. (B) (D) Das muss uns doch zu denken geben. Kann es sein, dass ein deutscher Staatsminister, der sowohl bei den Frage- Gernot Erler (SPD): Herr Präsident! Liebe Kollegin- stunden als auch im Auswärtigen Ausschuss durch be- nen und Kollegen! Ich möchte mit einem herzlichen Will- sonders „parlamentsfreundliche“ Verhaltensweisen – ne- kommen an den Kollegen Rühe beginnen. Herzlich will- gativ – auffällt, dort hinfährt und sagt: Toll, das finde ich kommen zurück auf der Erde! Sie haben offensichtlich gut; Sie haben mich gut bewirtet; dann machen wir auch einen längeren außerplanetarischen Aufenthalt hinter sich mal mit. gebracht. (Monika Heubaum [SPD]: Das ist ja unglaub- (Heiterkeit) lich! – Uta Zapf [SPD]: Nichts begriffen! – Anders ist der Realitätsverlust, der sich in Ihrem Antrag Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- widerspiegelt, nicht zu erklären. NEN]: Erinnern Sie sich gar nicht an die Aus- führungen von Herrn Volmer im Ausschuss?) (Uta Zapf [SPD]: Aber die ganze Fraktion hat zugestimmt!) – Ich weiß, es war ein bisschen mehr dahinter. Angeblich sprechen wir ja hier über einen Antrag. (Fortgesetzte Zurufe von der SPD) Tatsächlich ist es aber ein ungegliedertes Sammelsurium Ich bin aber schon überrascht über die SPD-Fraktion. von Kritik und Vorwürfen an die Bundesregierung, durch einen lustlos angefügten und dürren Forderungskatalog In der letzten Ausschusssitzung hat Ihre Sprecherin – sie notdürftig in Antragsform gebracht. Man erfährt zwar, ist jetzt nicht da –, die Kollegin Ernstberger, dem Beden- woran die CDU/CSU überall etwas auszusetzen hat, aber ken zugestimmt, dass es zu früh war und dass die Frage nirgendwo etwas Verbindliches und damit Diskussions- der Gegenleistungen bei der Anerkennung Nordkoreas fähiges zur Position der CDU/CSU, geschweige denn, nicht geklärt ist. Ihre eigene Fraktion hat zugestimmt. Da- dass ein Konzept oder wenigstens ein roter Faden er- her müssen Sie sich schon fragen lassen: Wo ist denn da kennbar wäre. Das ist schade. Denn eigentlich brauchen die Strategie? Was soll das? Ist es wichtiger, als deutsche wir durchaus grundsätzliche Debatten zur Außenpolitik. Bundesregierung in solch heiklen Fragen vorn zu sein, Aber diese Vorlage ist dazu nicht geeignet. Insofern ist sie oder ist es wichtiger, eine gemeinsame europäische Posi- eine verpasste Chance. tion zu haben? (Beifall bei der SPD und dem BÜND- (Beifall des Abg. Ulrich Irmer [F.D.P.]) NIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000 12989

Gernot Erler (A) Notgedrungen muss man sich dann mit Ihrer Einzel- wir haben bislang die Verhandlungen verzögert. Dann(C) kritik und Ihren Einzelforderungen auseinander setzen. wird kritisiert, dass die Bundesregierung auf dem Dabei erhält man sehr schnell den Eindruck: Bei der Kri- Helsinki-Gipfel „leichtfertig weit reichende Entschei- tik ist alles inkonsistent und widersprüchlich; bei den For- dungen über die künftige Größe und Zusammensetzung derungen haben wir es mit Wunschlisten zu tun, die keine der Europäischen Union getroffen” habe. Vorher hätte Auskunft über die Finanzierung geben. – das ist die Verbeugung vor Bayern – nämlich geklärt werden müssen, welches Selbstverständnis, welche Ge- Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, Volker Rühes stalt und welche Grenzen die EU haben soll. Wunschliste zusammenzustellen. Sie sieht folgender- maßen aus: Der Widerspruch besteht schon darin, dass zuerst ge- sagt wird: „Ihr verzögert”, und dann eine Forderung er- Die Bundesregierung soll viel mehr Geld in die Bun- hoben wird, die, wenn man sie ernst nehmen würde, erst deswehr und in die europäischen militärischen Fähigkei- recht zu einer großen Verzögerung führen würde. Nie- ten stecken. Sie soll den Auswärtigen Dienst besser aus- mand versteht, was Sie eigentlich wollen: einen baldigen statten. Abschluss der Beitrittsverhandlungen oder einen längeren (Joseph Fischer, Bundesminister: Sehr gut!) Selbstfindungs- und Definitionsprozess der Europäischen Union vor der Erweiterung. Liebe Kolleginnen und Kol- Sie soll den Etat für Entwicklungspolitik drastisch und legen von der CDU/CSU, das spiegelt leider den Stand Ih- unter Rückgängigmachung der regionalen und sektoralen rer Diskussion über die Osterweiterung wider. Schwerpunktsetzungen aufstocken. Ich habe mich – das kommt selten vor – über einen Satz (Joseph Fischer, Bundesminister: Sehr gut!) Ihres europapolitischen Sprechers, Herrn Hintze, gefreut, Sie soll mehr Mittel für die globalen Herausforderungen den er hier vor wenigen Wochen in der Haushaltsdebatte bereitstellen. Sie soll die Beschränkungen – man höre und gesagt hat: „Ich sage für die CDU/CSU-Fraktion klipp staune – der Agenda 2000 auflösen und mehr Geld in Eu- und klar Ja zur Osterweiterung.” ropa stecken. (Peter Hintze [CDU/CSU]: Ja, sehen Sie mal!) (Joseph Fischer, Bundesminister: Sehr gut!) Prima, darüber sind wir uns einig. Sie soll die Transformation in den ostmitteleuropä- (Peter Hintze [CDU/CSU]: Wunderbar!) ischen Staaten stärker unterstützen. Aber, Herr Klipp-und-Klar-Kollege, leider ist es dabei (Joseph Fischer, Bundesminister: Sehr gut!) nicht geblieben; denn Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr (B) Man könnte sagen: Prima, es ist ja auch bald Weihnachten. Merz, hat wenige Tage später gesagt, es sei ein schwerer (D) politischer Fehler gewesen, auf dem Gipfel in Helsinki (Heiterkeit bei der SPD und dem BÜND- die Zahl der möglichen Beitrittskandidaten kritiklos auf NIS 90/DIE GRÜNEN) elf angehoben zu haben. Es sind zwar nicht elf, sondern Ich habe mir die Mühe gemacht, die aus den Anträgen, 13 Beitrittskandidaten; aber man soll ja nicht kleinlich die Sie in den einzelnen Ausschüssen gestellt haben, re- sein. Das ist ein Widerspruch zu dem, was Sie gesagt ha- sultierenden finanziellen Forderungen einmal durchzu- ben, Herr Hintze, und lässt sich mit Ihrem klipp und klar rechnen. Dabei habe ich festgestellt: Sie haben Forde- geäußerten Ja zur Osterweiterung gar nicht vereinbaren. rungen erhoben, die Mehrausgaben von ungefähr Herr Stoiber hat gesagt, bevor die Osterweiterung 100 Milliarden bis 120 Milliarden bedeuten würden, möglich sei, müsse erst die Frage der Kompetenzabgren- ohne zu belegen, wo das Geld herkommen soll. zung innerhalb der EU geklärt sein. Des Weiteren hat er (Dr. Uwe Küster [SPD]: Die haben noch Reser- davor gewarnt, schon im Jahr 2004 neue Länder in die ven in ihren schwarzen Koffern! Jetzt haben wir Europäische Union aufzunehmen. Frau Merkel hat ge- es!) sagt, sie sei für einen frühen Beitrittstermin. In einem le- senswerten Aufsatz, der in der „FAZ“ am 22. September Dazu kann ich nur sagen: Tut mir furchtbar Leid. Das erschienen ist, hat Ihr Kollege Herr Pflüger unter anderem macht es schwierig, sich mit Ihrem Antrag auseinander zu geschrieben, zu lange seien die Kandidatenländer dann setzen. Er ist schlicht unseriös. mit der Aussicht auf einen festen Beitrittstermin hinge- (Beifall bei der SPD und dem BÜND- halten worden. Er hat hinzugefügt, er sei für den großen NIS 90/DIE GRÜNEN) Beitritt, für den großen Knall. Aber Sie, Herr Hintze, ha- ben Nein zur Konvoilösung gesagt. Da, wo Kritik geübt wird, verwickelt sich dieser Antrag sofort in Widersprüche. Außerdem hat Herr Pflüger in dem Aufsatz geschrie- ben, er sei dafür, dass die ersten Kandidaten spätestens – (Peter Hintze [CDU/CSU]: Ein Antrag kann da hat er sich genau festgelegt – zum 1. Oktober 2004 der sich nicht verwickeln!) EU beitreten. Ihr Kollege aus dem Europaparlament, Herr Ich möchte das an dem Beispiel, das schon JoschkaMarkus Ferber, ist dagegen der Meinung, die ersten Kan- Fischer angeführt hat, klarer machen. In Ihrem Antrag didaten könnten erst ab 2007 beitreten. Herr Rühe hat sich wird die Bundesregierung aufgefordert, die für Bei- 2003 als Beitrittsterminausgesprochen. Kajo trittsverhandlungen über die Erweiterung der Europä- Schommer, Sachsens Wirtschaftsminister, hat wiederum ischen Union nicht länger zu verzögern. Das heißt also, einen anderen Termin genannt und hat hinzugefügt, er 12990 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000

Gernot Erler (A) halte Spekulationen über Beitrittstermine grundsätzlich schaft. Dort gibt es seit vielen Jahren 900 deutsche Fir-(C) für fatal. Wenn man sich das alles anschaut, dann muss men, die Pionierarbeit leisten, die wir anerkennen sollten. man feststellen, dass bei Ihnen ein großes Durcheinander (Beifall bei der SPD und dem BÜND- herrscht. NIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜND- Lassen Sie sich dort einmal über den Zusammenhang NIS 90/DIE GRÜNEN) zwischen stärkerem Engagement im Sinne von Investitio- Fazit: Sie sagen nicht, wie viele Kandidaten der Euro- nen auf der einen Seite und der Notwendigkeit einer Kre- päischen Union beitreten sollen. Sie behaupten zwar, dass ditabsicherung auf der anderen Seite berichten. Beides es zu viele seien; aber Sie sagen nicht, welche Ländergehört zusammen. Deswegen hat die Bundesregierung nicht beitreten sollen. Sie legen sich nicht fest. Sie halten richtig gehandelt, als sie die Voraussetzungen für die Fort- den Beitrittsprozess einerseits für zu schnell und anderer- setzung der Hermeskredite geschaffen und somit die seits für zu langsam. Sie sind einerseits für und anderer- Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt hat. Dies war ein seits gegen Terminsetzungen. Bei den Terminen haben Sie gutes Ergebnis, das beim letzten Besuch von Gerhard alles im Angebot. Es reicht von 2002 bis 2007. Hinsicht- Schröder in Moskau bei den Gesprächen mit Putin erzielt lich der Europapolitik sieht es bei Ihnen wie auf einem wurde. Wir sind auch froh darüber, dass über die so ge- Hühnerhof aus, auf dem alles hin- und herrennt. Ein sol- nannten Petersburger Gespräche ein dauerhafter Dialog cher Hühnerhof braucht einen Leitgockel, der Ordnung auf den Weg gebracht worden ist. schafft. Herr Rühe, Sie wären die ideale Besetzung. Dafür (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wären Sie geeignet. Machen Sie das doch! Sie würden uns DIE GRÜNEN) allen damit einen Dienst erweisen. Das Beispiel Türkei zeigt ebenfalls Ihre Inkonsistenz. Sie müssen sich, um ernst genommen zu werden, ent- Sie fordern von uns alle Anstrengungen, um die Türkei scheiden. Wollen Sie die gute Tradition Ihrer Fraktion in wirtschaftlich, politisch und institutionell enger mit Eu- Bezug auf die Europapolitik aus Ihrer Regierungszeitropa zu verbinden. – Damit sind wir einverstanden. Dazu fortsetzen, nämlich beim Integrationsprozess vorne blei- hat auch die EU in Helsinki einen Beschluss gefasst. Sie ben, Avantgarde sein, für andere ein Vorbild abgeben,hat nach dem Scheitern des Luxemburg-Systems be- oder wollen Sie das Erweiterungsthema zu populistischer schlossen, dass es beim Kandidatenstatus der Türkei wei- Wahlkampfmunition kleinhäckseln und bei dieser großen ter vorangeht. Das haben alle europäischen Staaten mit- Herausforderung der europäischen Geschichte versagen getragen. und letzen Endes den Versuch machen, das ganze Thema Was sagen Sie? Sie üben daran Kritik und sagen, die zu einem Werkzeug zu instrumentalisieren, das dazu die- Verleihung des Kandidatenstatus sei verfrüht gewesen (B) nen soll, dass Sie zu Mehrheiten und zur Macht zurück- (D) und wir hätten dazu gedrängt. Das ist ein kompletter Wi- kehren? Sie haben sich ganz offensichtlich noch nicht ent- derspruch. Es ist auch völlig inkonsistent, dauernd zu kri- schieden. Das zeigen diese eigenartigen Widersprüche. tisieren, dass wir eine zurückhaltende Rüstungsexportpo- Aber die Öffentlichkeit und die Medien haben das ge- litik gegenüber der Türkei betreiben, und dann zu merkt und erwarten von Ihnen Klarheit in dieser Frage. betonen, wie wichtig der Partner Türkei ist. Wenn Europa Ich will zum Abschluss den Journalisten Richard Meng sagt, durch den Kandidatenstatus der Türkei fördere man aus der „Frankfurter Rundschau“ vom 24. Oktober 2000 dort eine vernünftige Entwicklung, so finden Sie dies zitieren. Sein Artikel trug die Überschrift: „Die haltlose falsch. Das ist eine völlig widersprüchliche Politik. Union“. Er schreibt zu diesem Thema: (Beifall bei der SPD und dem BÜND- In den großen außenpolitischen Fragen, beispiels- NIS 90/DIE GRÜNEN) weise bei der Integration des Nationalen in ein Ich komme abschließend kurz zu Ihren Forderungen. zusammenwachsendes Europa, leistet die Union sich Ich habe schon gesagt, dass diese eher lustlos klingen und ein Sowohl-als-auch, das nur in abstrakten Sonntags- lediglich angehängt sind. Sie benutzen hier die Methode, reden zusammenpasst. Konkret ist sie hin und herge- die Bundesregierung dauernd dazu aufzufordern, das zu rissen und auch hier höchst populismusanfällig. tun, was sie sowieso schon tut oder schon getan hat. Sie Dem habe ich nichts hinzuzufügen. fordern zum Beispiel mehr Engagement bei globalen He- rausforderungen. Sie nehmen überhaupt nicht zur Kennt- Es gibt weitere Beispiele für die Inkonsistenz Ihrernis, dass die Entwicklungsministerin Frau Wieczorek- Forderungen, zum Beispiel im Falle von Russland. Herr Zeul mit der Kölner Schuldeninitiative etwas Konkretes Rühe, Sie schaffen es in einem einzigen Absatz Ihres An- gemacht hat, das mehr wert ist als die Sammlungen von trages, die Bundesregierung aufzufordern, die russische Forderungen, die Sie in Ihre Anträge hineingeschrieben Regierung zu Reformen für ein stärkeres Engagement eu- haben. ropäischer Investoren zu drängen, und im gleichen Kon- text zu sagen, dass weitere staatliche Kredite so lange (Beifall bei der SPD und dem BÜND- nicht gewährt werden sollten, so lange die erforderlichen NIS 90/DIE GRÜNEN) Voraussetzungen für den Aufbau einer Marktwirtschaft Wir sind auch froh, dass der Bundeskanzler die Ziel- nicht gegeben sind und der Krieg in Tschetschenien nicht setzung der G-7- oder G-8-Staaten unterstützt, bis zum beendet ist. Ich fordere Sie auf, Herr Rühe: Gehen Sie ein- Jahr 2015 eine Halbierung der Armut auf der Welt zu er- mal nach Moskau zur Repräsentanz der deutschen Wirt- reichen. Das hat die volle Zustimmung meiner Fraktion. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000 12991

Gernot Erler (A) Dann sagen Sie, Herr Rühe, wir sollten die Rüstungs- Peter Hintze (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kol- (C) exportrichtlinien überarbeiten und eine verbindliche eu- leginnen und Kollegen! Ich muss dem Kollegen Erler das ropäische Regelung befördern. Offenbar waren Sie wie- Kompliment machen, dass er sich mit wichtigen Texten der auf irgendeinem Planeten, als wir Ende letzten Jahres, der Union, mit Aufsätzen und Reden, gründlich beschäf- Anfang dieses Jahres dies gemacht haben. Sie können ja tigt hat. Ich muss das Kompliment aber leider dahin ge- sagen, dass es Ihnen nicht gefällt, dass wir zum Beispiel hend modifizieren, dass er sie nicht richtig verstanden hat. Menschenrechte als Kriterium für Rüstungsexporte in (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – diese Richtlinien eingebaut haben, nachdem Sie 16 Jahre Lachen bei der SPD) lang nichts getan haben, sodass das Wort „Menschen- Deswegen möchte ich hier zur Klarheit beitragen. rechte“ in den Rüstungsexportrichtlinien überhaupt nicht vorkam. Rühe, Pflüger, Merz, Hintze, Lamers, Stoiber – in allen Reden und Schriften findet sich ein klares Ja zur Ost- (Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Sie erweiterung als ein Gebot der moralischen, politischen haben doch nationale Richtlinien gemacht! Er und ökonomischen Vernunft. Wir haben es zugesagt. Es will europäische! Hören Sie doch zu!) schafft Stabilität in Europa und Wohlstand und soziale Si- Außerdem haben wir genau das gemacht, was Sie verlan- cherheit für alle Beteiligten. Daran gibt es überhaupt kei- gen, Herr Schmidt. Der Code of Conduct ist jetzt für die nen Zweifel. Bundesrepublik verbindlich. Nun haben Sie gesagt, Herr Merz habe hier im Deut- (Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Euro- schen Bundestag vorgetragen, dass in Helsinki die Kandi- päische Richtlinien wollen wir! Das ist doch der datenzahl zu sehr erhöht worden sei, und haben das als Punkt! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU) einen Widerspruch empfunden. Ich löse diesen Wider- spruch für Sie gern auf: Wir glauben, dass die Osterwei- – Wenn Sie natürlich die Realitäten überhaupt nicht zur terung gerade dann gelingt, wenn der Kreis der Kandida- Kenntnis nehmen, dann kommen Sie eben zu solch ei- ten, die übrigens zum Teil mit Osteuropa gar nichts zu tun genartigen Dingen. haben – denken Sie einmal daran, was in Helsinki hin- sichtlich der Türkei beschlossen wurde –, nicht so groß (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wird, dass es praktisch und politisch schwer wird, den Schließlich verlangen Sie einRegionalkonzept für Beitrittsprozess wirklich zügig voranzubringen. Dies war den Kaukasus. Sie haben offenbar nicht gemerkt, dass unsere Sorge, die wir hier zum Ausdruck gebracht haben. der Bundeskanzler schon im März in Tiflis war und dort (Beifall bei der CDU/CSU) (B) als erster größerer europäischer Staatsmann auf der Basis (D) unserer positiven Erfahrungen in Südosteuropa einen Sta- Nun möchte ich das noch einmal konkret auf den Punkt bilitätspakt für den Kaukasus gefordert hat und dass die bringen. Wir haben zwei Probleme. Das eine Problem ist, dass der Kandidatenkreis so sehr ausgeweitet wurde. Das OSZE längst mit deutscher Unterstützung ein entspre- zweite Problem ist, dass die Beitrittsverhandlungen im chendes Konzept auf den Weg gebracht hat. Auch hier Moment zu schleppend geführt werden. Formal führt sie stellen Sie also Forderungen, die in Wirklichkeit schon die Kommission; de facto werden sie von der Präsident- längst reale Politik dieser Bundesregierung sind, die von schaft geführt. Die deutsche Europapolitik hat natürlich der Regierungskoalition voll und ganz unterstützt wird. entscheidenden Einfluss darauf, wie sie geführt werden. Herr Rühe und Ihre Freunde, es wird Ihnen nicht ge- Unsere Auffassung ist, dass sie zu schleppend geführt lingen, hier den Eindruck zu erwecken, dass es bei der werden. Wir haben die Fortschrittsberichte und sehen, deutschen Außenpolitik ein Problem mit Vertrauen,dass die Länder, die beitrittsreif sind, schon sehr weit ge- Glaubwürdigkeit und Berechenbarkeit gibt. In Wirklich- kommen sind. Wir wünschen, dass auch die komplizier- keit weiß die ganze Welt, dass unsere Außenpolitik ver- ten Kapitel wie Landwirtschaft und Arbeitnehmerfreizü- lässlich, professionell und kreativ ist. Ich mache Ihnen ei- gigkeit zügig auf die Agenda kommen und verhandelt werden, damit den politischen, moralischen und ökono- nen Vorschlag: Vergessen Sie ganz schnell diesen Antrag! mischen Versprechen Taten folgen. (Beifall bei der SPD) Wir hätten uns in dieser Hinsicht von der Bundesregie- Außenpolitik hat etwas Seriöseres als das verdient, was rung etwas mehr erwünscht, als beispielsweise Österreich Sie hier anbieten. Verlassen Sie nicht den wichtigenzu drangsalieren oder Herrn Hombach zu installieren. Ich außenpolitischen Grundkonsens. Wir sind bereit, mit Ih- erinnere auch an andere Vorgänge, die den Prozess der eu- nen ernsthaft über Außenpolitik zu diskutieren, aber nicht ropäischen Einigung hemmen. auf der Basis dieses Antrags. Ich bin sehr froh, dass wir mit der heutigen Debatte (Beifall bei der SPD und dem BÜND- einmal die Gelegenheit haben, hinsichtlich der Außen- NIS 90/DIE GRÜNEN) bzw. der Europapolitik ein paar Dinge klarzustellen. Des- wegen war diese Debatte zentral und wichtig. Wenn Sie, lieber Kollege Erler, die von Ihnen zitierten Reden nach- Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters:Zu einer lesen Kurzintervention – um 12.47 Uhr liegt die Betonung auf – Sie können sie alle mit Gewinn auch zweimal lesen –, „kurz“ – gebe ich dem Kollegen Peter Hintze das Wort. dann werden Sie vielleicht feststellen, dass sich der von 12992 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000

Peter Hintze (A) Ihnen entdeckte Widerspruch vielleicht doch nicht so dar- Herr Hintze, ich höre Ihre Worte gerne. Sie sind der(C) stellt, wie Sie es vermutet haben. Klipp-und-Klar-Politiker, der zur Osterweiterung Ja sagt. Sorgen Sie dafür, dass auch alle Ihre Kollegen so denken; Schönen Dank. dann haben wir eine gemeinsame Basis. Aber verunsi- (Beifall bei der CDU/CSU) chern Sie die Kandidatenländer nicht, die sich die Frage stellen, was die Hinweise darauf, dass es zu viele Bei- trittskandidaten sind und dass Unterschiede gemacht wer- Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters:Zur Erwi- den sollen, bedeuten. derung hat der Kollege Erler das Wort. (Beifall bei der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Gernot Erler (SPD): Herr Kollege Hintze, bei Ihrer „Langintervention“ habe ich eben daran gedacht, wie es wäre, wenn es demnächst zur Rettung Österreichs einmal Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Ich schließe einen Film mit dem Titel „Der Rächer der Entrechteten“ die Aussprache. mit Herrn Hintze in der Hauptrolle gäbe. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Jetzt zu Ihrem Vorwurf, ich könne nicht lesen. Fraglich Drucksache 14/4383 an die in der Tagesordnung aufge- ist nicht, ob ich lesen kann. Das Problem besteht darin, führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Das Haus ist damit dass andere Menschen lesen können. Sie lesen zum Bei- einverstanden. Damit ist die Überweisung so beschlossen. spiel im Protokoll der Haushaltsdebatte vom 14. Septem- ber dieses Jahres die Aussage von Herrn Merz: Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Deswegen war es ein schwerer politischer Fehler, Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- dass Sie die Zahl der möglichen Kandidaten beim neten Dr. Evelyn Kenzler, Maritta Böttcher, Gipfel in Helsinki kritiklos auf 11 angehoben , weiteren Abgeordneten und der haben ... Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Demokratisierung des Wahlrechts (Peter Hintze [CDU/CSU]: Es muss 13 heißen! Das wissen Sie selbst!) – Drucksache 14/1126 – (Erste Beratung 53. Sitzung) – Er hat „elf” gesagt. Zu den elf gehört die Türkei nicht dazu. Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- schusses (4. Ausschuss) Herr Rühe hat am 18. September in der „Frankfurter (B) Allgemeinen“ für eine „realistische Erweiterung“ – so – Drucksache 14/2150 – (D) steht es auch in Ihrem Antrag – geworben. Außerdem hat Berichterstattung: er dort gesagt: Abgeordnete Harald Friese Erwin Marschewski (Recklinghausen) Mit 13 Staaten auf einmal zu verhandeln ist eine Le- Cem Özdemir benslüge der Europapolitik. Es müssen Unterschiede Dr. Max Stadler gemacht werden. Übrigens, Herr Rühe, es wird gar nicht mit 13 Staaten Die Fraktionen haben sich auf eine Redezeit von einer verhandelt, sondern nur mit zwölf. halben Stunde verständigt. – Das Haus ist einverstanden. Dann ist so beschlossen. Können Sie sich vorstellen, wie die Wirkung solcher Sätze auf die zwölf Kandidaten aussieht? Ich eröffne die Aussprache. Ich gebe zunächst der Kol- legin Dr. Evelyn Kenzler für die Fraktion der PDS das (Volker Rühe [CDU/CSU]: Dass sie sich Wort. Mühe geben!) Sie fragen doch, was Ihr Hinweis darauf, dass es zu Dr. Evelyn Kenzler (PDS): Herr Präsident! Liebe viele sind, bedeutet. Kolleginnen und Kollegen! Dank der Vereinigten Staaten ( [CDU/CSU]: Fragen Sie ist das Thema Wahlen dieser Tage absolut in. Wenn jen- sich das mal!) seits des großen Teichs ein altertümliches Wahlsystem zu einem grotesken Ergebnis bei den Präsidentschaftswahlen Was heißt „realistische Erweiterung“? Sie müssen führen sollte, dann wird sich sicherlich wieder einmal zei- doch einmal sagen, wer aus dem Kreis der Beitrittskandi- gen, wie sehr das Wahlrecht den Nerv des Volkes berührt. daten herausfallen soll, mit wem man also die Verhand- Dass man die Ausgestaltung des Wahlrechts nicht hoch lungen einstellen soll. genug schätzen kann, hat wohl kaum ein anderer so gut (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Volker wie der spanische Philosoph Gasset mit folgenden Worten Rühe [CDU/CSU]: Die sollen doch nicht alle zum Ausdruck gebracht: auf einmal aufgenommen werden!) Das Heil der Demokratien, von welchem Typus und Die Frage nach der Bedeutung dieser Aussage wird im Rang sie immer seien, hängt von einer geringfügi- Ausland an uns gerichtet. Sie müssen sich die Wirkung gen, technischen Einzelheit ab: vom Wahlrecht. Al- solcher Worte überlegen. les andere ist sekundär. ... Ohne diese Stütze einer Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000 12993

Dr. Evelyn Kenzler (A) vertrauenswürdigen Abstimmung hängen die demo- Gestatten Sie mir, kurz auf einige wesentliche Ein-(C) kratischen Institutionen in der Luft. wände zu unseren Vorschlägen einzugehen. Dabei möchte ich nicht von ungefähr mit der Einführung des Wahlrechts Genau darum geht es der PDS mit dem vorliegenden für ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger begin- Gesetzentwurf, gerade vor dem Hintergrund unserer Ver- antwortung für ein Wahlrecht in der DDR, das faktisch nen. Wenn sich die demokratischen Kräfte in diesen Ta- keines war. Es geht uns um den Ausbau der demokrati- gen verstärkt gegen rechtsextremistische und fremden- schen Institutionen in unserem Lande, um ihre Veranke- feindliche Bestrebungen in unserem Lande wenden, dann rung auf einer möglichst breiten Basis der in der Bundes- ist das eine wichtige Seite der Medaille. Die Integration republik Deutschland lebenden Menschen. der hier lebenden ausländischen Bürgerinnen und Bürger, nicht zuletzt auch durch die Einräumung des Wahlrechts, Die erste Lesung unseres Gesetzentwurfs zur Demo- ist die andere. kratisierung des Wahlrechts machte mir diesbezüglich zunächst durchaus Hoffnung. Kollegin Deligöz verwies (Beifall bei der PDS) zum Beispiel ausdrücklich darauf, dass einige unsererWenn der Bundeskanzler den Aufstand derAnständigen Vorschläge, wie die Senkung des Wahlalters in auf der Gesellschaft verlangt, dann müssen wir auch hier 16 Jahre oder das kommunale Wahlrecht für ausländi- im Parlament über verschiedene Möglichkeiten der stär- sche Bürgerinnen und Bürger, zumindest zum Teil auch keren politischen Integration der Ausländer reden. im Programm von Bündnis 90/Die Grünen enthalten seien. Sie appellierte an die Fraktionen, sich gemeinsam Das Grundgesetz sagt nicht ausdrücklich, dass Aktiv- an einen Tisch zu setzen, um über die Reformmaßnahmen bürgerrechte den Deutschen vorbehalten sind, auch wenn zu debattieren. Auch Kollege Funke verwies auf die Ver- es in der Vergangenheit selbstverständlich war, dass das besserungsfähigkeit und -bedürftigkeit unseres Wahl-Wahlrecht an die Staatsbürgerschaft geknüpft wurde. In- rechts und die Diskussionswürdigkeit und -notwendigkeit zwischen wurde bekanntlich aufgrund des Maastrichter unserer Vorschläge. Vertrages allen Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaa- ten der EG auch in Deutschland das aktive und passive Es gab natürlich, für uns nicht überraschend, auch an- Wahlrecht bei Kommunalwahlen verliehen, sofern sie dere Stimmen, wenngleich ich sie nicht in dieser Schärfe hier wohnen. Art. 28 Abs. 1 des Grundgesetzes musste aus den Reihen der SPD erwartet hätte. So sah Kollege deshalb entsprechend geändert werden. Insofern haben Friese in dem Gesetzentwurf einen „alten Hut“. Abge- wir bereits einen Wandel vom Staatsvolk zum Wohnvolk sehen davon, dass alte Hüte manchmal auch sehr kleidsam eingeleitet. Da Ausländer aus anderen Staaten der EG sein können, ist das Anliegen meines Erachtens aktueller ebenso wenig Deutsche im Sinne des Grundgesetzes sind denn je. wie Angehörige von Staaten außerhalb der EU, entfallen (B) (D) (Beifall bei der PDS) die früheren verfassungsrechtlichen Bedenken, falls diese Ausländer ihren Wohnsitz in Deutschland haben. Wenn Aber Sie hatten natürlich Recht, wenn Ihnen unser Anlie- Sie nicht so weit wie wir gehen wollen, dann müssen Sie gen bekannt vorkam. Das geht uns allerdings bei neusich zumindest die Frage gefallen lassen, warum Sie keine aufgelegten Gesetzentwürfen anderer Fraktionen, ein- eigenen Vorschläge zur Einführung eines Kommunal- schließlich denen der SPD-Fraktion, auch nicht anders. Es wahlrechts für die hier lebenden Ausländer ab einer be- handelt sich also um eine gängige Praxis und einen Aus- stimmten Aufenthaltsdauer unterbreiten. druck von politischer Beharrlichkeit und nicht um Be- schäftigungstherapie oder mangelnde Kreativität. (Beifall bei der PDS) Wenn Sie uns vorwerfen, populistische Forderungen Das wäre ein wichtiges Zeichen gegen Fremdenfeindlich- zu vertreten, dann kann ich Ihnen nur sagen: Ja, wirkeit und Rassismus in unserer Gesellschaft; das sollten bemühen uns – neben der Einführung von Volksentschei- wir doch gemeinsam setzen. den auf Bundesebene – auch auf dem Wege der Refor- Zur Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre kann ich nur mierung des Wahlrechts darum, die Bürger wieder stärker sagen, dass ich immer dafür bin – wie von Kollegen vor- in die Politik einzubeziehen. geschlagen –, auch Erfahrungen, die die Länder damit ge- (Beifall bei der PDS) macht haben, nutzbar zu machen. Das mache ich umso lieber, als ich keine negativen Erfahrungen aus den Län- Was daran populistisch sein soll, ist mir schleierhaft. Für dern kenne, die mich davon abhalten könnten, einer poli- mich ist es jedenfalls Ausdruck eines gehörigen Maßes an tisch reifer werdenden Jugend dieses Grundrecht nicht zu- parteipolitischer Selbstgefälligkeit, wenn Sie fordern, es zuerkennen. den Parteien selbst zu überlassen, wie sie den Dialog mit den Wählern führen, und allein auf eine Einigung zwi- (Beifall bei der PDS) schen den Fraktionen setzen. Das Wahlrecht geht doch in Nebenbei bemerkt: Warum das Recht auf Irrtum ein spe- erster Linie die Bürger selbst etwas an. Die Behandlung zifisches Recht der Jugendlichen sein soll, verstehe ich von Grundsatzfragen der parlamentarischen Demokratie, nicht. von denen Sie richtigerweise in diesem Zusammenhang sprechen, sind doch kein Privileg der Parteien. Genau Last but not least: Die leidige Fünfprozentklausel ist, diese Haltung, die hier zum Ausdruck kommt oder zumin- wie wir alle wissen, seit ihrem Bestehen umstritten. Ich dest durchscheint, befördert Politik- und Politikerver-schenke es mir deshalb, die bekannten Argumente aufzu- drossenheit bei den Bürgern. zählen, die für die Abschaffung dieser Klausel sprechen. 12994 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000

Dr. Evelyn Kenzler (A) Ich bin mir sicher, dass auch Sie mir die gegenteiligen Ar- Ich möchte zunächst eine Feststellung in Richtung An- (C) gumente ersparen werden. tragstellerin machen: Sie haben Ihren Gesetzentwurf sehr dilatorisch behandelt. Ich habe Ihnen in der ersten Lesung Nur so viel: Mancher Befürworter dieser Klausel ist heute Gespräche angeboten. Sie haben das Gespräch nicht ge- angesichts geschwundener Wählerzustimmung ver- sucht. Ich habe den Eindruck – ich wiederhole das aus der stummt. Wenn durch die Aufhebung oder zumindest Ab- ersten Lesung –, Sie wollen eine Ablehnung, um sagen zu senkung dieser Klausel die eine oder andere Partei zu- können: Da sieht man es wieder einmal, die etablierten sätzlich in den Bundestag käme, könnte man dann nicht Parteien sind gegen eine Demokratisierung des Wahl- vielmehr mit einem stärkeren Engagement im Vorfeld der rechts. Das haben Sie in der 12. Legislaturperiode ver- Wahlen, mit einer höheren Wahlbeteiligung und mit mehr sucht; das haben Sie in der 13. Legislaturperiode versucht; Pluralität im Parlament rechnen? Wie sieht es denn mit ei- das gleiche Spiel machen Sie in der 14. Legislaturperiode. ner Absenkung der Fünfprozentklausel zumindest bei den Wahlen zum Europäischen Parlament aus? Ich meine, schon die Überschrift „Demokratisierung des Wahlrechtes“ lässt tief blicken. Wahlrecht ist Kernbe- Abschließend: Herr Kollege Friese hat in der ersten Le- standteil einer Demokratie. Ohne Wahlen, die auf den sung zu unserem Gesetzentwurf am Schluss seiner Rede Grundsätzen der allgemeinen Wahl, der freien Wahl, der Änderungen zum Bundeswahlgesetz mit eigenen Vor- öffentlichen Wahl, der geheimen Wahl und bei uns auch schlägen angekündigt. Nun haben wir vor wenigen Wo- der unmittelbaren Wahl beruhen, kann es keine Demokra- chen diese historischen Änderungen im 15. Gesetz zur tie geben. Änderung des Bundeswahlgesetzes nachlesen können. Besonders beeindruckt hat mich – wie Sie sicher schon (V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. Antje ahnen – die Abschaffung der Briefumschläge bei der Ur- Vollmer) nenwahl. Gewünscht hätte ich mir einen wirklichenDa habe ich etwas Probleme mit Ihrer Begrifflichkeit: Sie Schritt in Richtung Reformierung des Wahlrechts. Aber wollen ein Wesenselement der demokratischen Grund- was nicht ist, kann ja noch werden; die Wahlperiode ist ordnung, einer parlamentarischen Demokratie, demokra- noch nicht um. tisieren. Da komme ich nicht so ganz mit. Danke. In Ihrer Begründung schreiben Sie auch, dass es Ihnen (Beifall bei der PDS) um die Überwindung der Politik- und Parteiverdros- senheit geht. Diese gibt es, das bestreitet niemand. Aber lassen Sie mich Ihnen sagen: Ihre Therapievorschläge Dr. h. c. Rudolf Seiters(CDU/CSU): Ich gebe das zeichnen sich durch eine bemerkenswerte Schlichtheit Wort dem Kollegen Harald Friese für die SPD-Fraktion. (B) aus. Politik- und Parteiverdrossenheit durch die Abschaf- (D) fung der Fünfprozentklausel und durch die Einführung Harald Friese (SPD): Herr Präsident! Meine sehr ge- von Präferenzstimmen beseitigen zu wollen, das ist mir ehrten Damen und Herren! So falsch kann man verstan- ein bisschen zu kurz gesprungen. Wenn Sie meinen, dass den werden. Ich habe gedacht, Frau Kollegin Dr. Kenzler, schon dadurch die Vertrauenskrise zwischen Bürgern und ich hätte am 9. September 1999 eine besonders liebevolle Parteien beseitigt werden kann, dann haben Sie sich Rede gehalten. Sie haben mich jetzt aber geradezu alsgetäuscht. Die Ursachen liegen tiefer. Wahlrechtswüstling hingestellt. Ich nehme das einfach Die Ursachen dafür, dass die Bürger kein Vertrauen in mal so hin. Politik und Politiker mehr haben, liegen darin, dass die (Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ Politiker und die Politik ihre Glaubwürdigkeit verloren CSU]: Streich das „Wahlrechts“, dann ist es haben. Wer zwei Tage im Untersuchungsausschuss war noch besser!) und das zwei Tage miterlebt hat – dass machen wir ja ge- meinsam –, der weiß, warum das so ist. Da wird die Aus- sage verweigert, da wird nichts gewusst, da kann man sich Ich kann mich jedenfalls daran erinnern, dass ich Ihnen an nichts erinnern. Man kann sich dann nur sehr konkret namens der Fraktion Gespräche angeboten habe. Dazu erinnern, dass man sich an nichts erinnern kann – das weiß will ich aber gleich noch kommen. man dann ganz genau. Da wird bedenkenlos Verfassungs- Ihre Aussagen bezüglich des Dialogs der Parteien mit und Rechtsbruch begangen, wenn es der eigenen Partei den Bürgern kann ich aber nicht stehen lassen. Sie haben und der eigenen Machterhaltung dient. Da wird der poli- in Ihrer Begründung geschrieben, ein System wirklich tische Wettbewerb, der Wettbewerb der Ideen, durch Geld konkurrierender Parteien fördern und alle Parteien zum ersetzt. Da wird im Prinzip demokratiefeindliches Ver- Dialog mit den Wählerinnen und Wählern zwingen zu fahren praktiziert. Davon wenden sich die Menschen mit wollen. Dagegen habe ich mich gewandt. Wir könnenRecht angewidert ab. Deshalb müssen wir dagegen kämp- fen. Wir müssen die Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, doch nicht gesetzlich regeln, wie die Parteien in den Dia- nicht formale Änderungen im Wahlrecht vornehmen, um log mit den Bürgern treten. Wenn die Parteien das nicht Partei- und Politikverdrossenheit zu überwinden. von sich aus machen, werden sie schon die Quittung von den Bürgern bekommen. Es ist aber eine ureigenste Auf- Meine Damen und Herren, Wahlrecht ist ein ganz sen- gabe der Parteien selbst, zu entscheiden, wie sie ihren po- sibles Rechtsgebiet. Hier darf kein Verdacht aufkommen, litischen Dialog nach außen darstellen und organisieren dass eine Partei Vorschläge macht, die nur ihrem eigenen wollen. Interesse dienen. Bei Ihrem Vorschlag, die Fünfprozent- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000 12995

Harald Friese (A) klausel zu streichen, habe ich ein wenig das Gefühl, dass als Ziel und Zweck, zusätzliche Partizipation von Ju-(C) das eben doch in der Interessenlage der PDS liegt, weil sie gendlichen zu erreichen. Wenn das der Fall ist – und dafür Sorgen hat für 2002. Nehmen Sie mir bitte nicht übel, dass braucht man Erfahrungen –, dann werden wir darüber ich das so sage. auch hier ernsthaft und ergebnisoffen diskutieren. Ich wiederhole: Wahlrecht ist ein sehr sensiblesWir werden Ihren Gesetzentwurf ablehnen. Er ist ein Rechtsgebiet, und wir sind der Auffassung, dass Ände- Sammelsurium von Vorschlägen. Ich möchte noch einmal rungen nur dann vorzunehmen sind, wenn sie notwendig den Politikwissenschaftler Heinrich Pehle zitieren, der werden. Man muss sehr behutsam an dieses Thema heran- uns, dem Parlament, eine Note gibt. Pehle sagt: Wir haben gehen. Der Politikwissenschaftler Heinrich Pehle sieht es mit einem Wahlgesetzgeber zu tun, der von seinem die Notwendigkeit dann, wenn das Wahlrecht sein Legiti- Handwerk nicht sonderlich viel versteht. mationspotenzial verliert. Als Legitimationspotenzial Das kann ich so nicht stehen lassen. Was Herr Pehle nennt er die Chancengleichheit für Wähler und Parteien sagt, muss ich in aller Form zurückweisen. Wir verstehen und auch die Nachvollziehbarkeit und Transparenzvon unserem Handwerk schon etwas. der Spielregeln. Dieses Legitimationspotenzial ist nicht berührt. Deshalb meinen wir, dass eine grundlegende Re- Wenn wir aber diesem Antrag zustimmen würden, vision des Wahlrechts nicht erforderlich ist. dann hätte Herr Pehle Recht. Recht will ich ihm in dem Zusammenhang aber nicht geben. Wir werden diesen Ge- Kurz zu Ihren Vorschlägen: Ausländerwahlrecht. Sie setzentwurf ablehnen. wissen ganz genau, dass es in diesem Haus dafür keine Zweidrittelmehrheit gibt. Das Problem des Art. 79 Abs. 3 Vielen Dank. in Verbindung mit Art. 20 des Grundgesetzes können Sie (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ mit „Europa“ auch nicht wegdiskutieren. Der Begriff des DIE GRÜNEN) Staatsvolks zählt nämlich zu den unveränderlichen Be- griffen und Inhalten des Artikels 20 und ist damit einer Grundgesetzänderung entzogen. Vizepräsidentin Dr. :Das Wort hat jetzt der Herr Kollege Marschewski. Überhangmandate: Sie bewegen sich auf verfas- sungsrechtlich unglaublich vermintem Gebiet. Wenn Überhangmandate durch Landeslistenplätze ausgeglichen Erwin Marschewski (Recklinghausen) (CDU/CSU): werden sollen, muss ich Sie fragen: Von welcher Landes- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her- liste sollen dann die Plätze gestrichen werden? Damitren! In einem hat der Kollege Friese völlig Recht: Die würden Sie nachträglich das Wahlergebnis auf Landes- PDS ist eine langweilige Partei. (B) ebene korrigieren. Ich kann Ihnen jetzt schon sagen: Das (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der (D) Bundesverfassungsgericht wird das nicht mitmachen. PDS) (Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- – Ich werde es Ihnen gleich belegen. Sie ist eher grau als NEN]: So ist es!) rot. Von Ihnen haben wir schon lange nichts Neues mehr Das Problem hat sich auch entschärft. Einmal durch das gehört. Parlamentarisch dokumentieren Sie Ihre Einfalls- Wahlkreisneugliederungsgesetz, aber auch durch daslosigkeit dadurch, dass Sie immer wieder die gleichen, die neue Wahlkreisgesetz, über das wir im Augenblick disku- alten, die untauglichen Vorschläge zur Beratung vorlegen, tieren, wird sich die theoretische Zahl der Überhangman- so auch bei diesem Gesetzentwurf, Frau Kollegin. Den date, die immer noch möglich sind, deutlich reduzieren. kennen wir seit Jahren. Damit ist das verfassungsrechtliche Problem eindeutig So beraten wir in erster Lesung, im Ausschuss, dann entschärft. noch in zweiter und dritter Lesung im Deutschen Bun- Zur Frage der Präferenzstimmen: Sie stellen sich ein destag, und das Ergebnis ist immer das gleiche: Alle an- Stück mehr Demokratie vor, wenn in Nordrhein-West- deren Fraktionen des Hohen Hauses lehnen Ihre Vor- falen 70 Namen auf der Landesliste stehen, die der Wähler schläge ab, alle nicht kennt. Dass das ein zusätzliches Stück Bürger- (Zuruf der Abg. Dr. Evelyn Kenzler [PDS]) demokratie sein soll, kann ich auch nicht nachvollziehen. nicht weil sie von der PDS sind – wir haben im Ausschuss (Dr. Max Stadler [F.D.P.]: Schauen Sie doch sehr lange über diese Vorschläge diskutiert –, sondern nach Bayern! – Erwin Marschewski [Reckling- weil sie das Wahlrecht einfach nicht verbessern. hausen] [CDU/CSU]: Sie unterschätzen die Bürger in hohem Maße!) Doch um die Meinung dieser großen Mehrheit im Bun- destag schert sich die PDS immer noch nicht, genauso wie Was sich auf kommunaler Ebene bewährt hat, muss auf in alter Zeit, sehr verehrte Frau Kollegin. Stattdessen wer- Landesebene noch lange nicht richtig sein. Ich sage Ihnen: den unverdrossen alte Anträge abgeschrieben, neu einge- Wir wollen keine amerikanischen Verhältnisse bracht bei und dann hier diskutiert. Wahlen. Bei diesem Satz wissen Sie, was ich meine. Wenn Sie Anträge abschreiben wollen, die gut sind, Schließlich zum Wahlalter 16: Dieses Thema ist in der dann wäre es besser, Sie würden das tun, was die SPD politischen Diskussion, aber auch hier füge ich hinzu: Wir diese Woche gemacht hat. Sie hat unsere Vorschläge hin- wollen die Erfahrungen abwarten, die mit der Senkung sichtlich kinderreicher Familien von Beamten akzeptiert. des Wahlalters auf 16 gemacht wurden. Die Senkung hatte Zunächst einmal hatte die SPD sie abgelehnt, dann aber 12996 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000

Erwin Marschewski (Recklinghausen) (A) wortgleich übernommen, unter eigener Fahne eingebracht Sie wissen, dass meine Fraktion sehr gerne zu dem(C) und dann schließlich beschlossen. Dies ist zwar etwas Thema „mehr Demokratie“ redet. Der Hintergrund ist, peinlich für die SPD. Aber es zeigt immerhin, wie man et- dass wir Kinder der Demokratie- und der Bürgerrechts- was Wirkungsvolles erreichen kann. bewegung sind, lieber Max Stadler. Zu Ihrem Gesetzentwurf: Sie wollen dasWahlalter (Zuruf von der PDS: Das ist schon lange ver- auf 16 Jahre senken. gessen!) (Dr. Evelyn Kenzler [PDS]: Genau!) – Wir wissen das noch sehr genau und arbeiten im Ge- gensatz zu Ihnen daran. Das könnte verlockend sein. Sie wissen aber auch, dass der Mythos der Linken als Jungwählermagnet hin ist. Allerdings – darauf haben verschiedene Vorredner be- reits hingewiesen – ist das, was Sie vorgelegt haben, liebe (Dr. Barbara Höll [PDS]: Das ist ja so was von Kolleginnen von der PDS, wahrlich nicht sehr originell. billig! Darum geht es gar nicht!) Es ist eine Stoffsammlung dessen, was Sie in den vergan- Wir werden uns dieser Forderung Ihres Gesetzentwurfs genen Jahren gemacht haben. Ich glaube aber, dass jede nicht anschließen. Fraktion ein Recht darauf hat, dass ihre Anträge ernsthaft beraten werden. Deshalb will ich mich im Folgenden kurz Gleiches gilt für die Regelung hinsichtlich der Fünf- mit dem von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurf auseinan- prozentklausel. Übrigens: Wenn man den jungen Men- der setzen. schen mehr Rechte gibt, dann muss man ihnen auch mehr Pflichten geben. Deswegen können wir diesem Gesetz- Ein Punkt in diesem Gesetzentwurf ist dieSenkung entwurf nicht zustimmen. des aktiven Wahlalters auf 16 Jahre.Ich möchte nicht verhehlen, dass wir vom Bündnis 90/Die Grünen Sympa- (Beifall bei der CDU/CSU) thien dafür hegen. Ich sage allerdings auch – darauf hat Es wäre vielleicht besser – ich will nur kurz darauf ein- der Kollege Friese zu Recht hingewiesen –, dass man erst gehen –, zum Beispiel das Wahlrecht der über 500 000 die Erfahrungen auf der kommunalen Ebene abwarten im Ausland lebenden Deutschen anders zu regeln. Es ist sollte. Gerade wenn man ernsthaft Interesse daran hat, nämlich so kompliziert, dass die Menschen nicht zur Wahl dass dieses Thema noch populärer wird, sollte man die gehen. Dieses Wahlrecht müsste geändert werden. breite öffentliche Debatte suchen und sollte sie mit denen führen, die gegenwärtig gegen eine Absenkung des Wahl- Es wäre selbstverständlich sinnvoll – ich fordere dies alters auf 16 Jahre sind. erneut –, die Legislaturperiode auf fünf Jahre auszu- dehnen. (Rosel Neuhäuser [PDS]: Die Erfahrungen gibt es aber schon!) (B) (Beifall bei der CDU/CSU – Cem Özdemir (D) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie Ich rede genauso wie Sie mit Jugendlichen. Was man direkte Demokratie, dann machen wir das!) von denen hört, ist durchaus unterschiedlich. Wenn man für die Absenkung des Wahlalters ist, dann muss man Kaum sind wir ins Parlament gewählt, wird erneut ge- schon das ernst nehmen, was die Jugendlichen sagen. wählt. Das ist nicht gut. Meine Erfahrung ist – vielleicht sieht Ihre Erfahrung an- Es ist Freitagnachmittag. Daher will ich es sehr kurz ders aus –, dass die Meinungen sehr unterschiedlich sind. machen: Wir sind mit Ihren Vorschlägen nicht einverstan- (Harald Friese [SPD]: So ist es!) den. Wir lehnen den vorliegenden Gesetzentwurf ab. Auf der einen Seite gibt es Jugendliche, die sagen, dies sei (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Barbara Höll sinnvoll. Auf der anderen Seite gibt es Jugendliche, die [PDS]: Dünn! Dünn! Dünn!) das Gegenteil erklären. Ich halte nichts davon, dass wir Sechzehnjährigen erklären, was für sie gut und was für sie Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:Aber wirklich schlecht ist. Ich komme aus einer Partei, die dafür eintritt, ungewöhnlich kurz! Vielen Dank im Interesse aller. dass Ältere den Jugendlichen nicht sagen, was sie zu tun oder zu lassen haben. Jetzt hat der Kollege Cem Özdemir das Wort. Mein Appell: Lassen Sie uns diese wichtige Diskussion auf einer breiten Grundlage führen! Ich richte an die Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Union den Appell, ihren pauschalen Widerstand gegen Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich stehe natür- mehr Jugendrechte, beispielsweise gegen ein Jugend- lich jetzt, nachdem sich der Kollege Marschewski kürzer wahlrecht auf Landesebene, aufzugeben und hier in eine gefasst hat, als es seine Redezeit vorsah, seriöse Diskussion einzutreten. Das kann der Demokratie (Harald Friese [SPD]: Ausnahmsweise!) insgesamt nur gut tun. stark unter dem Druck, es ihm nachzutun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/ Was die Grundgesetzänderung zum Ausländerwahl- CSU]: Mach es kurz! Wir wollen nachrecht angeht, möchte ich Sie bitten, zur Kenntnis zu neh- Hause! – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: men, dass wir das Staatsangehörigkeitsrecht geändert ha- Nicht trödeln!) ben. Man kann sicherlich der Meinung sein – auch ich bin Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000 12997

Cem Özdemir (A) dieser Meinung –, diese Änderung des Staatsangehörig- über die DVU bis hin zu den Republikanern und anderen (C) keitsrechts sei nicht weit genug gegangen. Wir bedauern sehr unangenehmen Zeitgenossen. dies ebenfalls. Ich glaube, auch Max Stadler bedauert das. (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: KPD/ML! Aber seine Fraktion war es, die das Gesetz in wesentli- DKP!) chen Teilen verschlimmbessert hat. Ich halte nichts davon, dass man die Debatte zu diesem (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Die Rege- Thema durch eine völlige Beseitigung der Sperrklausel lung ist insgesamt sehr bedauerlich!) kaputtmacht. Ich glaube allerdings schon, dass wir mit Jetzt wird sie hoffentlich mit uns gemeinsam daran arbei- Blick auf die Urteile, die es in diesem Zusammenhang ten, das Gesetz an den entsprechenden Stellen wieder zu gibt – Stichwort: NRW und Kommunalwahl –, bei ande- rer Gelegenheit darüber diskutieren sollten, ob wir nicht verbessern, Stichworte: Gebühren, Frist. auf kommunaler Ebene weiter gehen können, als wir es Mit dem Staatsangehörigkeitsrecht haben wir das Ge- bisher tun. burtsrecht eingeführt. Dadurch haben wir in Deutschland (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine historische Zäsur. Das heutige Deutschland ist nicht sowie bei Abgeordneten der SPD) mehr dasselbe Deutschland wie vor dem 1. Januar 2000. Das Ius soli ist in diesem Land eine neue Entwicklung. Ich verstehe nicht, warum Sie sich auf das Ausländerwahl- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:Das Wort hat recht beschränken wollen. Ist es denn nicht viel mehrjetzt der Abgeordnete Max Stadler. wert, wenn Menschen, die hier geboren sind, mit der Ge- burt gleiche Rechte und gleiche Pflichten erhalten, das Dr. Max Stadler (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine heißt Bürgerinnen und Bürger erster Klasse sind? Dersehr geehrten Damen und Herren! Zum dritten Mal hin- Weg in das Ausländerwahlrecht ist ein Weg in die Ver- tereinander beschäftigen wir uns am Freitagmittag mit gangenheit. Der Weg zu gleichen Rechten über das Staats- Gesetzentwürfen zum Wahlrecht. Aber während es in der angehörigkeitsrecht ist der Weg in die Zukunft. ersten Debatte um Formalien ging und in der zweiten um die Wahlkreiseinteilung geht, dringen wir aufgrund des (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das haben Antrags von Frau Kollegin Kenzler jetzt allmählich zu wir doch alles gestern schon gehört!) den wirklich substanziellen Fragen vor. Hier befinden wir uns übrigens in guter Gesellschaft mit Gleichwohl will ich vorweg sagen, dass auch die unseren europäischen Nachbarn. Wir haben uns mit unse- F.D.P.-Fraktion den PDS-Antrag ablehnt, weil in ihm rem Staatsangehörigkeitsrecht an das europäische Recht zwar diskussionswürdige Ideen, aber auch einige Punkte (B) angenähert, an ein Recht, das viele andere Länder prakti- enthalten sind, denen wir nicht zustimmen können. (D) zieren. Wir meinen zum Beispiel, dass das Wahlalter und das Ich will mich aber auch hier ernsthaft damit beschäfti- Volljährigkeitsalter identisch sein sollten. Da derzeit nie- gen. Ich rate Ihnen, das Urteil des Bundesverfassungs- mand eine Absenkung des Volljährigkeitsaltersvon gerichtes zum kommunalen Wahlrechtnicht außer 18 Jahren auf 16 Jahre betreibt, kann man auch das Wahl- Acht zu lassen. Man kann dieses Urteil unterschiedlich alter nicht auf 16 Jahre absenken. bewerten, aber es ist da. Das Risiko, dass man das Ver- Zum Ausländerwahlrecht hat Kollege Özdemir am fassungsrecht verfassungswidrig gestaltet, ist meinerEnde seiner Ausführungen dann doch noch den richtigen Fraktion zu groß, als dass wir diesen Weg für einen gang- Punkt gefunden. Ich war über seine Argumentation baren Weg hielten. Ich halte auch nichts davon, Doppel- zunächst ein wenig erschrocken; denn verfassungsrecht- botschaften auszusenden, indem wir zwischen Wahlrecht lich ist es uns nicht verboten, ein Ausländerwahlrecht ein- und Einbürgerung differenzieren. Der Weg zum Wahl- zuführen. So deute ich die Entscheidung des Bundesver- recht führt darüber, dass man sich zu einer Gesellschaft fassungsgerichts jedenfalls nicht. bekennt und Bürger des jeweiligen Landes wird. (Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Lassen Sie uns lieber über das kommunale Wahlrecht NEN]: Auf Bundesebene wäre es sehr kritisch!) reden. Da gibt es wirklich ein Ärgernis, das meine Frak- Aber auch wir meinen, der erste Schritt wäre, das Wahl- tion beseitigen möchte. Wir möchten das kommunalerecht auf kommunaler Ebene über EU-Staatsangehörige Wahlrecht auch auf Drittstaatenausländer ausdehnen.hinaus auf Angehörige von Drittstaaten auszudehnen, im- Dieser Punkt steht in unserer Koalitionsvereinbarung. Sie mer geknüpft an eine bestimmte Aufenthaltsdauer in wissen, dass die Umsetzung bisher daran scheitert, dass Deutschland, etwa fünf Jahre. Damit sollte man beginnen; wir keine verfassungsändernde Mehrheit haben. Das ist das hat wirklich eine Berechtigung. Später kann man sich aber eine Sache, die Ihre und unsere Energie lohnt. Ich ap- dann der Problematik auf Länder- und Bundesebene zu- pelliere an Sie, dass wir uns dafür einsetzen. wenden, nicht schon jetzt. Zum Schluss noch eine Anmerkung zur Fünfprozent- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten klausel. Sie wissen, dass die Höhe der Klausel, die Sie ab- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) schaffen wollen, bisher auch dazu diente, Leute zu ver- Die Präferenzstimmen, die von der PDS vorgeschla- hindern, die wir hier, glaube ich, alle nicht haben wollen: gen werden, sind, Herr Kollege Friese, aber durchaus dis- Leute von der NPD, die hoffentlich bald verboten wird, kussionswürdig. Hierfür gibt es Beispiele, etwa im 12998 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000

Dr. Max Stadler (A) bayerischen Landtagswahlrecht. Was bedeutet das? Es be- Dies setzt zweierlei voraus: Da man dafür eine Verfas- (C) deutet, dass nicht die Parteien mit ihrer Vorauswahl und sungsänderung benötigt, muss zum Ersten die Union end- der Reihenfolge auf den Listen, die zur Abstimmung ge- lich über ihren Schatten springen und bereit sein, stellt werden, praktisch schon bestimmen können, wer in (Beifall bei der F.D.P., dem BÜNDNIS 90/ das Parlament einzieht, sondern dass die Wählerinnen und DIE GRÜNEN und der PDS) Wähler innerhalb der Listen Kandidaten nach vorne oder nach hinten wählen können. Das ist eindeutig ein Mehr an diesen Vorschlägen näher zu treten, wie dies aus den Rei- Demokratie. Ich verstehe Ihr Verdikt, das Sie vorhin aus- hen der CSU eigentümlicherweise neuerdings gefordert gesprochen haben, nicht ganz. Dieser Punkt wird von der wird. Dies setzt zum Zweiten voraus, dass die Regie- F.D.P. sehr wohl als diskussionswürdig angesehen. rungskoalition aus Rot-Grün endlich daran geht, nicht nur über ihre Wahlversprechen zu reden, sondern auch dem- Dagegen haben Sie Recht, Herr Kollege Friese, wenn entsprechend zu handeln, oder dass der Versuch des Han- Sie feststellen, dass die Problematik der Überhangman- delns, den Teile der Regierungskoalition für sich bean- date nicht mehr so aktuell ist wie früher. Denn durch die spruchen können, endlich auch zu einem Erfolg führt. neue Wahlkreiseinteilung ist ja sichergestellt, dass kaum noch Überhangmandate auftreten. Unabhängig davon Alles in allem sollte der Gesetzentwurf der PDS Anlass muss man aber festhalten: Überhangmandate sind eine sein, dass das, was in jeder dieser Debatten immer wieder Abweichung vom eigentlichen Wahlergebnis, das nach beschworen wird, endlich realisiert wird: Wir alle müssen dem Verhältniswahlrecht festgestellt wird. Daher hat die uns an einen Tisch setzen und ernsthaft über eine Mo- PDS zu Recht versucht, hierzu einen Lösungsvorschlag dernisierung des Wahlrechts bzw. des Abstimmungsrechts zu machen. Aber, wie gesagt, diese Thematik ist nicht ak- in der Bundesrepublik Deutschland verhandeln – mit dem tuell. Ziel, mehr Mitbestimmung für die Wählerinnen und Wähler zu erreichen. Schließlich zur Fünfprozentklausel: Als Angehöriger (Beifall bei der F.D.P., dem BÜNDNIS 90/ einer kleinen Partei gerät man hier immer in den Verdacht, DIE GRÜNEN und der PDS) pro domo zu sprechen. (Heiterkeit) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich schließe da- Seitdem aber die F.D.P. ihr Projekt 18 in die Welt gesetzt mit die Aussprache. hat, weiß ja jeder, dass wir davon nicht mehr betroffen Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf sind, der Fraktion der PDS zur Demokratisierung des Wahl- (B) (Beifall bei der F.D.P. und der PDS – Lachen rechts auf Drucksache 14/1126. Der Innenausschuss emp- (D) bei der SPD) fiehlt auf Drucksache 14/2150, den Gesetzentwurf abzu- lehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf sodass ich hier gewissermaßen aus neutraler Warte fest- zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt stellen kann: Jede Sperrklausel führt dazu, dass der Er- dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in folgswert der einzelnen Wählerstimme nicht mehr der zweiter Beratung gegen die Stimmen der PDS mit den gleiche ist. Das ist das eigentliche Problem der Sperr-Stimmen des übrigen Hauses abgelehnt worden. Damit klauseln. entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Bera- (Beifall bei der PDS) tung. Manche Stimmen, die abgegeben werden, fallen unter den Ich rufe Tagesordnungspunkt 24 auf: Tisch und andere werden in ihrem so genannten Erfolgs- wert erhöht. Das halte ich für wirklich problematisch. Zu- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- mindest auf der kommunalen Ebene sollte man dem Vor- gierung eingebrachten Entwurfs einesGesetzes bild mancher Kommunalverfassungen folgen und die zur Änderung des Investitionszulagengesetzes Fünfprozentklausel dort hinwerfen, wo sie hingehört, 1999 nämlich in den Mülleimer der Wahlrechtsgeschichte. – Drucksache 14/3273 – (Beifall bei der F.D.P. und der PDS) (Erste Beratung 102. Sitzung)

Meine Damen und Herren, ich glaube, der Gesetzent- a) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus- wurf der PDS gibt Anlass – und damit möchte ich schusses (7. Ausschuss) schließen –, dass wir über die im Einzelnen vorgelegten – Drucksachen 14/4624, 14/4626 – Vorschläge hinausdenken. Es ist ja mehr zu tun, um das Vertrauen in die Demokratie bzw. in die Parteiendemo- Berichterstattung: kratie wieder herzustellen. Das Ziel muss lauten, mehr Abgeordnete Simone Violka direkte Mitbestimmung für die Bürgerinnen und Bür- Gerhard Schulz (Leipzig) ger zu ermöglichen. Das heißt, man muss ernsthaft darü- ber nachdenken, die Möglichkeiten der Volksinitiative, b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) des Volksbegehrens und des Volksentscheides auch auf gemäß § 96 der Geschäftsordnung Bundesebene einzuführen. – Drucksache 14/4627 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000 12999

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer (A) Berichterstattung: jährlich erneuert und ist im Grunde genommen für eine(C) Abgeordnete Hans Jochen Henke zeitnahe Lösung der Probleme nicht geeignet. Hans Georg Wagner Die Prüfungsdienste der Länder können gegenwärtig Oswald Metzger auf keine Dateien oder Datenbanken zugreifen, um diese Jürgen Koppelin Probleme zu lösen. Deshalb gibt es Handlungsbedarf. Es Dr. Uwe-Jens Rössel soll eine Datenbank beim Bundesamt für Finanzen einge- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die richtet werden, die eine Sammlung und Auswertung von Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Kein Wider- Informationen über Betrugsfälle im Bereich der Umsatz- spruch? – Dann ist so beschlossen. steuer ermöglicht, um damit dem Betrug in diesem Be- reich zukünftig Einhalt zu gebieten. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Lothar Binding. Mein nächstes Stichwort heißtGemeinnützigkeits- recht. Wir haben Steuervergünstigungen nur für ideelle satzungsgemäße Tätigkeit gemeinnütziger Körperschaf- Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Sehr geehrte ten vorgesehen und das wollen wir auch. Es gibt auch Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Steuervergünstigungen für wirtschaftliche Betätigungen freuen uns natürlich, dass diesem Gesetzentwurf alle zu- gemeinnütziger Körperschaften, aber diese wollen wir stimmen werden. Insofern wird es jetzt sicherlich keine nicht; denn sie wären gegenüber den im Wettbewerb ste- sehr hektische Debatte geben. Aber es lohnt sich doch, bei henden steuerpflichtigen Unternehmen unfair. einzelnen Punkten einmal genauer hinzuschauen, was wir Nun gibt es einen Trick, mit dem man Steuervergüns- damit eigentlich erreichen wollen. tigungen für gemeinnützige Körperschaften zur Beschaf- Zunächst zielt der Gesetzentwurf insbesondere darauf fung steuerbegünstigter Spenden gemeinnützigen Förder- ab, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Euro- vereinen vorschaltet und damit den Missbrauch päische Kommission die Genehmigung für die betrieb- systematisch organisiert. Angenommen, es gäbe diesen liche Förderung durch das Investitionszulagengesetz Missbrauch nicht, dann hätten wir keinen Handlungsbe- 1999 ab dem Jahr 2000 erteilt. darf, aber zur Vermeidung dieser Missbrauchsmöglich- keit wird mit Art. 5 die Abgabenordnung geändert. Zur Lösung dieses Problems gibt es eine ganze Reihe von Einzelmaßnahmen, auf die noch genauer eingegan- Ein weiterer Punkt bezieht sich auf die steuerfreie In- gen wird. Ich möchte mich auf folgende Punkte be-ternetnutzung unabhängig vom Verhältnis der berufli- schränken: die Aufhebung der mit dem Steuersenkungs- chen und privaten Nutzung. Sachbezüge – vorausgesetzt, der Arbeitgeber stimmt zu – führen zu einem extrem kom- (B) gesetz beschlossenen Einschränkung bei der Verrechnung (D) von Gewinnen und Verlusten aus Aktien- und Derivaten- plexen Bewertungssystem. Aufteilung und Abgrenzung geschäften, bei Eigenhandel von Kreditinstituten und be- von privater Nutzung von DV-Anlagen ist extrem kom- stimmten Finanzdienstleistungsunternehmen. Man fragt pliziert und steuerlich praktisch nicht gerecht zu hand- sich, was das mit dieser Überschrift zu tun hat, und er- haben. kennt es schnell. Es ist Eile geboten und es geht darum, Im Grenzbereich, in dem innovative Entwicklungen dass diese Vorhaben gleichzeitig in Kraft treten sollen. und deren umfassende Anwendungspraxis auch dem Ar- Ich möchte zweitens etwas zur Steuerbefreiung der pri- beitgeber nutzen, ist es sehr sinnvoll, solche Tätigkeiten steuerfrei zu stellen. Vielleicht hätten wir vor 100 Jahren vaten Nutzung von betrieblichen Personalcomputern und eine entsprechende Regelung für jemanden treffen müs- Telekommunikationsgeräten durch Arbeitnehmer, drit- sen, der die Drehbank für private Zwecke nutzte und da- tens etwas zur Änderung des Gemeinnützigkeitsrechts mit dem Betrieb diente. Daraus abgeleitet existiert aber und viertens etwas zum Missbrauch in Bezug auf Steuer- natürlich kein Rechtsanspruch für den Arbeitnehmer; es vergünstigungen für gemeinnützige Körperschaften sa- ist alles nur insofern möglich, als es der Arbeitgeber er- gen. laubt. Einmal angenommen, es gäbe keinen Betrug, dann Ich möchte noch auf einen Sonderfall zu sprechen müssten wir an verschiedenen Stellen auch gar nichts tun. kommen, der sich auf Aktien und Derivate bezieht. Die Leider ist es aber so, dass im Umsatzsteuerbereich gegen- Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften wärtig geschätzt wird, dass wir einen zwei- bis dreistelli- und Dividenden sind steuerfrei; das ist mit dem Halbein- gen Milliardenbetrag an Betrugsvorgängen haben. Die künfteverfahren systematisch auch sehr gut begründbar. Erfahrungen aus der Prüfungspraxis zeigen, dass zur ef- Ziel war dabei, Strukturwandel und innovative Entwick- fektiven Umsatzsteuerkontrolle mehr Informationen lungen zu erleichtern, Fehlallokationen von Kapital zu verfügbar sein müssen, die zeitnahe und übergreifende vermeiden usw. All dies erfordert aber langfristig geplante Untersuchungen erlauben. und langfristig wirkende Transaktionen. Die Hauptursache für die Betrugstatbestände und die Deshalb gibt es in § 8 b Körperschaftsteuergesetz die Schwierigkeit, diese aufzudecken, sind Ringgeschäfte, Einjahresfrist, die sicherstellen soll, dass unterjährig die länderübergreifend organisiert werden und deshalb verkaufte Anteile der vollen Besteuerung unterliegen. besonders schwer erfassbar sind. Gegenwärtig existiert Außerdem wird auch der Ausgleich von unterjährigen eine Liste bei der OFD Köln, die Schein- und Betrugsfir- Verlusten aus Aktiengesellschaften auf Gewinne aus men usw. erfasst. Allerdings wird diese Liste nur einmal gleichartigen Geschäften eingeschränkt. Zum Beispiel 13000 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000

Lothar Binding (Heidelberg) (A) sind Derivatgewinne nur mit Derivatverlusten verre- Im § 2 des Investitionszulagengesetzes wird neu gere- (C) chenbar. Das bedeutet, einerseits werden bei Banken und gelt, dass der Zeitpunkt der Inanspruchnahme einer Inves- Finanzdienstleistern Risikooptionen aus Aktien durch ge- titionszulage für Gebäude und Betriebsvorrichtungen genläufige Risikooptionen aus Aktienderivaten gesichert. der Herstellungsbeginn ist. Das führte bei Gebäuden, für Solche Sicherungsgeschäfte sind in vielen Fällen auf-die eine Baugenehmigung erforderlich ist, zu Problemen. sichtsrechtlich ausdrücklich vorgeschrieben. Andererseits Nunmehr ist es so geregelt: Als Investitionsbeginn gilt der wird eine solche Risikokompensation bei der Beschrän- Zeitpunkt der Einreichung der Bauunterlagen oder die kung von Verlustausgleich und Verlustverrechnung auf Abgabe des Antrags auf Baugenehmigung. Leider Gottes Gewinne und Verluste gleichartiger Geschäfte nach § 15 steht nur in der Begründung, dass diese Regelung auch für Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes ausgeschlossen. Anlagen gilt. Unsere Bitte, dies in den Gesetzestext hi- Aufgrund der ungleichen Verteilung von Gewinnen neinzunehmen, um damit klarzustellen, dass diese Rege- und Verlusten ist dies ein unmöglicher Zustand. Das be- lung nicht nur für Gebäude, sondern auch für Anlagen gilt, deutet: Ein wirtschaftliches Nullgeschäft kann zu einem wurde mit der Begründung abschlägig beschieden: Wenn steuerlichen Plusgeschäft und damit zu einem gravieren- das in den Gesetzestext aufgenommen würde, um Klar- den Liquiditätsabfluss in diesen Betrieben führen. Bei- heit zu schaffen, würde dies zur Verunsicherung führen. spiel: Ich habe durch Aktien einen Verlust von 100 DM, (Zuruf von der CDU/CSU: Klarheit schafft Ver- durch Derivate einen Gewinn von 100 DM. Das bedeutet wirrung! – Dr. Barbara Höll [PDS]: Verunsiche- handelsrechtlich einen Gewinn von 0 DM, aber es sind rung bei den Finanzbeamten und nicht bei den 100 DM zu versteuern. Das ist natürlich nicht gewollt. Bürgerinnen und Bürgern!) Deshalb wird die Behandlung von Aktien und Derivaten neu geregelt. – Das führt zur Verunsicherung der Finanzbeamten, Frau Höll; das ist völlig richtig. – Ich sage es hier noch einmal: Vielen Dank. Diese Regelung gilt auch für Anlagen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Die Änderung in § 3 des Investitionszulagengesetzes bewirkt, dass der Käufer eines saniertes Mietwohngebäu- des, für dessen Sanierung die Investitionszulage bereits in Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:Das Wort hat Anspruch genommen wurde, die erhöhte Abschreibung jetzt der Abgeordnete Gerhard Schulz. nicht noch einmal in Anspruch nehmen kann. Dieses Ku- mulierungsverbot verhindert eine ungerechtfertigte dop- Gerhard Schulz (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Sehr pelte Förderung, was durchaus nachvollziehbar ist. (B) verehrte Damen und Herren! Es ist schön, als Zweiter zu Weiterhin wird geregelt – damit die Behörden besser (D) reden; denn dann kann man manches weglassen, weil es miteinander klarkommen –, dass die Feststellung der Be- schon gesagt worden ist. Aber es gibt immer noch etliche messungsgrundlage für die Investitionszulage für Wirt- Punkte des Gesetzentwurfes, die einfach genannt werden schaftsgüter nicht mehr wie bisher vom Finanzamt des müssen. Das ist die Pflicht eines Berichterstatters. Wohnsitzes, sondern vom Betriebsfinanzamt vorgenom- Ich komme zur Änderung des Investitionszulagenge- men werden soll. Das ist aber keine Erschwernis für die setzes. Die EU-Kommission hat verlangt, die Förderung Antragsteller selber, so wird uns versichert. Denn der An- für Berlin abzusenken. Stattdessen wird vorgeschlagen trag wird nach wie vor beim Wohnsitzfinanzamt gestellt. – das soll im Gesetz beschlossen werden –, die Förderung Dann wird das weitergereicht und geprüft. der östlichen Randgebiete zu verstärken. Damit wird der Der geänderte § 6 des Investitionszulagengesetzes re- Rückgang der Förderung im Raum Berlin durch Mehr- gelt die Übernahme der Leitlinien der Gemeinschaft für ausgaben im östlichen Teil der neuen Bundesländer wie- der aufgefangen, sodass der Förderrahmen insgesamtstaatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturie- gleich bleibt. Das ist eine sehr gute Entwicklung. Ichrung von Unternehmen in Schwierigkeiten. Sie alle ken- hoffe sehr, dass die EU dem zustimmt; denn diese beiden nen den einen oder anderen Fall, der durch die Presse Regelungen benötigen immer noch die Zustimmung der ging: Es wurden Investitionszulagen gezahlt, aber dann EU. kam die EU und sagte: Nein, das wollen wir nicht, das darf nicht sein, ihr müsst das Geld zurückzahlen. – Sie alle Allerdings wurde in diesem Zusammenhang von uns kennen diese Beispiele. Mit der neuen Regelung wird das diskutiert, ob es wirklich sinnvoll sei, die Vergünstigun- richtiggestellt, sodass dieser Streit in Zukunft wegfällt. Es gen – dies ist im Investitionszulagengesetz 1999 geplant – wird eindeutig gesagt: Die Festsetzung der Investitions- für das Handwerk in diesem Gebiet mit dem Jahr 2002 zulage gilt erst ab Genehmigung durch die EU. auslaufen zu lassen. Zur Erinnerung: Es ist vereinbart worden: Bevor diese Regelung in Kraft tritt, soll durch ein § 10 des Investitionszulagengesetzes erfüllt auch ein Gutachten festgestellt werden, ob die Investitionszu-Verlangen der Europäischen Kommission; denn diese Än- lagenförderung 1999 wirklich so weit vorangeschritten derung bewirkt die Verlängerung der Zugehörigkeits- ist, dass es möglich ist, die Vergünstigungen für das Hand- und Verbleibensfrist bei beweglichen Wirtschaftsgütern werk auslaufen zu lassen oder nicht. Dieses Gutachten ist des Anlagevermögens von drei auf fünf Jahre für nach in Auftrag gegeben worden. Wir haben vereinbart, dass dem 31. Dezember 1999 begonnene Investitionen. Dem wir anhand des Gutachtens über eine Verlängerung der In- müssen wir folgen, wenn wir wollen, dass dem Investiti- vestitionszulagen für das Handwerk beschließen. onszulagengesetz als Ganzes zugestimmt wird. Aller- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000 13001

Gerhard Schulz (A) dings gilt diese Regelung nicht für Investitionen, die vor- Die Begründung für diese absurde Geschichte ist: Die(C) her getätigt worden sind. Kosten für den Autor und alle anderen Kosten hätte der Verein ja auch gehabt, wenn er keine Bücher verkauft Über die Derivate wurde bereits gesprochen. Es gibt hätte. Deswegen könne man das nicht von den Einnahmen noch viel darüber zu sagen, warum es überhaupt notwen- abziehen. dig ist, diese Gesetzesänderungen zu machen. Ich will mich zurückhalten. Ein Buchhändler aber, der in seinem Geschäft auch eine dieser Lesungen veranstaltet und Bücher verkauft, kann (Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Doch, natürlich von den Erlösen aus dem Verkauf der Bücher die das sollten wir schon noch sagen! Das ist die Re- Kosten für den Autor abziehen. Ergo: Der Verein wird paratur einer Reparatur!) höher besteuert als der Buchhändler. Das ist ja wohl nicht – Das ist schlicht und einfach eine Reparaturgeschichte. in unserem Sinne, die wir Vereine fördern wollen. Da bereits über die Änderungen in den Bereichen PC Dieses Problem wird gelöst, indem pauschal einfach und Telekommunikation berichtet wurde, will ich dasangenommen wird, dass der Gewinn aus solchen Veran- nicht wiederholen. staltungen und Geschäftstätigkeiten von Vereinen 15 Pro- zent der Gesamteinnahmen beträgt, sodass nur 15 Prozent Die Neufassung des § 7 g des Investitionszulagenge- der Gesamteinnahmen der Besteuerung unterliegen. setzes regelt die Sonderabschreibungen und Ansparab- schreibungen für kleine und mittlere Unternehmen im Ein weiterer Punkt betrifft die Fernsehlotterien. Die Landwirtschaftssektor. Dieses war notwendig, weil der zahlenmäßige Begrenzung der Zweckbetriebsfiktion wird neue Gemeinschaftsrahmen eine Förderung in so genann- aufgehoben. Erlassen Sie mir bitte, zu erklären, was ten sensiblen Bereichen ausschließt; die Landwirtschaft Zweckbetriebsfiktion ist. Ich habe angefangen, das zu er- gehört zu diesem sensiblen Sektor. Deswegen musste eine läutern, aber dann wurde der Text zu lang. Nehmen wir Anpassung erfolgen. das einfach einmal so hin. Durch diese Änderung wird ge- regelt, dass die beiden Fernsehlotterien ihre nicht zu ver- Bei den Änderungen des Gemeinnützigkeitsrechts ist nachlässigende Arbeit weiterführen können. Die Erlöse nur auf einen Punkt eingegangen worden. Ich will noch können nach wie vor gemeinnützigen Zwecken zugeführt einmal auf die anderen beiden Punkte eingehen. Es geht werden. nämlich nicht nur darum, den Missbrauch zu beseitigen, wogegen kein Mensch etwas hat. Vielmehr geht es auch Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, betrifft darum, zu vermeiden, dass die Besteuerung der wirt-die Neufassung von § 5 Abs. 1 des Finanzverwaltungsge- schaftlichen Tätigkeit vongemeinnützigen Körper- setzes. Durch die Änderung wird es dem Bundesamt für schaften höher ist, als bei gewerblichen Wettbewerbern. Finanzen ermöglicht, eine zentrale Sammlung und Aus- (B) Weiterhin geht es darum, die Fernsehlotterien „Aktion wertung von Informationen über Betrugsfälle im Bereich (D) der Umsatzsteuer einzurichten. Die Erweiterung des Mensch“ und „Die Goldene Eins“ auf eine sichere recht- Aufgabenkatalogs zielt auf bessere Kontrollmöglich- liche Grundlage zu stellen. keiten und eine wirksamere Bekämpfung von Mehrwert- steuerbetrug. Da der Mehrwertsteuerbetrug in letzter Zeit Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:Herr Kollege – so wird berichtet – sehr zunimmt, ist diese Maßnahme Schulz, gestatten Sie eine Frage des Kollegen Fromme? durchaus gerechtfertigt. Es gibt viele Möglichkeiten, et- was Unrechtes zu tun, und man sollte alles unternehmen, um das zu verhindern. Gerhard Schulz (CDU/CSU): Ja. Ich gebe zu, dass das viel trockenes Zeug war, aber es musste gesagt werden. Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Herr Kol- lege Schulz, teilen Sie meine Auffassung, dass es für das Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Finanzministerium wichtig ist, dieser Debatte zu folgen, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) da es sich um ein Gesetz handelt, bei dem dieses Haus die Federführung hat? Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Werner Schulz. Gerhard Schulz (CDU/CSU): Da meine Zeit knapp ist, eine kurze Antwort: Ich teile Ihre Meinung. Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Mit der Änderung des § 64 Abs. 6 Investitionszulagen- NEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr gesetz wird eine nicht gewollte Auswirkung eines BFH- Kollege Fromme, Sie sehen, dass der mit Ihrer verklausu- Urteils von 1991 – so lange ist das schon im Gange – be- liert vorgetragenen Zwischenfrage verfolgte Wunsch, ein seitigt. Das Problem lässt sich folgendermaßenVertreter des Finanzministeriums möge Ihrer aufregenden beschreiben: Ein steuerbegünstigter Verein veranstaltet Debatte folgen, sofort in Erfüllung gegangen ist. eine Autorenlesung und verkauft dabei dessen Bücher. Der Verkauf ist wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN steuerpflichtig. Von diesen steuerpflichtigen Einnahmen sowie bei Abgeordneten der SPD) kann der Verein aber das Autorenhonorar, Reise- und Ho- Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung den telkosten nicht absetzen. Der Erlös aus dem Verkauf der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Investitionszu- Bücher unterliegt also in voller Höhe der Besteuerung. lagengesetzes 1999. Das wurde notwendig, weil die 13002 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000

Werner Schulz (Leipzig) (A) Europäische Kommission der Änderung des Investi-braucht als bereits wettbewerbsfähige Betriebe, die in der (C) tionszulagengesetzes, so wie sie durch das Steuerbereini- Lage sind, ihre Ersatzinvestitionen aus eigenen Mitteln zu gungsgesetz erfolgt ist, nicht zugestimmt hat. Insofern ha- tätigen. ben wir eine Änderung der Änderung. Aber über die Notwendigkeiten, als Reparaturbetrieb tätig werden zu Diese Unterscheidung mussten wir vornehmen; inso- müssen, kann man sich streiten; in diesem Zusammen- fern ist die Kritik der Europäischen Union absolut be- hang würde mir einiges über die Häufigkeit von Ände- rechtigt gewesen. Die CDU/CSU ist mit Steuermitteln rungen in der Zeit von 1990 bis 1998 einfallen. sehr großzügig umgegangen. Das hat sich offensichtlich bis Brüssel herumgesprochen. Herr Kollege Schulz, die Die Tatsache, dass wir hier etwas ändern müssen, hängt wunderschönen Einkaufszentren auf der grünen Wiese damit zusammen, dass Ihr im August 1997 beschlossenes und die Investitionsruinen etwa in Leipzig zeugen davon. Investitionszulagengesetz bei der EU-Kommission nicht Es war wichtig, dass in diesem Bereich Änderungen vor- notifiziert worden ist. Der eigentliche Grund ist: Ihnen ist genommen wurden. Deshalb sind wir zu der notwendigen sehr spät aufgefallen, dass die Ostförderung – darum,Differenzierung aufgefordert worden. Das haben wir ge- Herr Kollege Schulz, geht es ganz besonders – nicht nur tan und dieser Schritt ist mittlerweile auch anerkannt. mit steuerlichen Abschreibungen, die zu gewaltigen Fehlallokationen geführt haben, zu machen ist, wie wir Wir haben eine Qualifizierung der Investitionszulage das in der Regierungszeit von Kohl erlebt haben, sondern und der Förderung Ost in der Hinsicht erreicht, dass bei dass es besser ist, die Maßnahmen im Investitionszu-Erstinvestitionen eine Aufstockung auf 12,5 Prozent bzw. lagengesetz zu bündeln. Sie haben diese Bündelung aber 25 Prozent bei kleinen und mittelständischen Unterneh- so dilettantisch vorgenommen, dass Sie es in Brüssel nicht men erreicht worden ist und dass es bei den Ersatzinves- durchbekommen haben. Deswegen ist die Änderung er- titionen nicht mehr ganz so üppig läuft, wie das bislang forderlich geworden. Das sage ich so, weil es den Tatsa- der Fall war. Das ist die eigentliche Sachlage. chen entspricht. In diesem Zusammenhang ist auch interessant zu er- (Beifall der Abg. Sabine Kaspereit [SPD]) wähnen: Als diese Änderung erfolgt ist, konnte im Grunde niemand genau sagen, wie der Förderumfang beiErst- und Ersatzinvestitionen genau beziffert werden kann. Gestatten Sie Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: So genau war das bis dahin nicht differenziert worden. eine Zwischenfrage des Kollegen Gerhard Schulz? Aber dass Sie dann gleich damit hausieren gegangen sind, dass dies 1 Milliarde DM weniger für den Aufbau Ost be- Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- deuten würde, fand ich schon stark. NEN): Sie haben doch gerade erst geredet. Ist Ihr Drang, (B) zu reden, so groß? – Aber bitte. ( [F.D.P.]: Es ist doch so!) (D) Bis heute ist es zu keinem Rückgang bei der Ostförde- rung gekommen. Wir sind im Gegenteil in der Lage, ge- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Bitte. rade den neu gegründeten Unternehmen wesentlich zu helfen. Aber die eigentlichen Änderungen, die beim Inves- Gerhard Schulz (CDU/CSU): Herr Kollege, sind Sie titionszulagengesetz vorgesehen sind, beziehen sich ja bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Notifizierung eher darauf, dass wir die Fördersätze für das Land Berlin aller Fördermaßnahmen, die wir in der Vergangenheit auf von 25 Prozent auf 20 Prozent zurücknehmen müssen und den Weg gebracht haben, immer zu Problemen geführt dass wir vor allen Dingen die Leitlinien der Europäischen hat, dass die EU-Kommission immer etwas gefunden hat, Gemeinschaft für staatliche Beihilfen zur Rettung und von dem sie meinte, so könne es nicht gehen, und ent- Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten sprechende Änderungen verlangt hat? Sind Sie weiterhin – so kompliziert wird das ausgedrückt – mit aufnehmen bereit zuzugeben, dass es durchaus zu den Gepflogenhei- müssen. Dem ist Genüge getan worden. Dies ist jetzt im ten gehört, in Erwartung möglicher Kürzungsmaßnahmen Gesetz enthalten. Das sind eigentlich die wesentlichen eine stärkere Förderung festzuschreiben, um letztlich das Veränderungen und nicht das viele Kleingedruckte, das Maß der Förderung erreichen zu können, das man haben Sie hier als das vorgestellt haben, was in diesem Gesetz möchte? verändert worden ist. (Zuruf von der CDU/CSU: So wie die Grünen Dass uns in letzter Minute noch eine Menge Änderun- das auch in der Regierung machen!) gen zugemutet wird, erfreut keinen Parlamentarier und strapaziert, glaube ich, jeden. Auch wenn das früher bei der Werner Schulz (Leipzig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- alten Regierung passiert ist, habe ich es gerügt. Dass dies NEN): Ich gestehe gerne zu, dass es schwierig ist, bei der nun wieder der Fall ist, hängt möglicherweise damit zu- EU-Kommission derartige Beihilfen und Investitionszu- sammen, dass wir es mit den gleichen Beamten aus den lagen durchzubekommen; die Begründungen für dieMinisterien zu tun haben. Wir sollten nicht nur über Tarif- Maßnahmen müssen hieb- und stichfest sein. In dem vor- erhöhungen, sondern vielleicht auch einmal über Qua- liegenden Fall wurde der Umstand kritisiert, dass es keine litäts- und Leistungskriterien im öffentlichen Dienst reden. Unterscheidung zwischen Erst- und Ersatzinvestitionen So weit zur Änderung des Investitionszulagengesetzes. gegeben hat. Nach zehn Jahren Aufbau Ost muss man aber in der Lage sein zu erkennen, dass jemand, der einen Be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN trieb neu gründet, eine andere Anschubfinanzierung und bei der SPD) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000 13003

(A) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:Das Wort hat Erstens. Angesichts der bevorstehendenEU-Ost- (C) jetzt die Abgeordnete Cornelia Pieper. erweiterung hätten wir eine Parteinahme für alle neuen Bundesländer gegenüber der EU hinsichtlich erhöhter Fördersätze für die Randgebiete, die an Osteuropa gren- Cornelia Pieper (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine zen, erwartet. Bis jetzt sind Mecklenburg-Vorpommern, Damen und Herren! Mit der Verabschiedung des Investi- Sachsen, Brandenburg und Thüringen berücksichtigt. tionszulagengesetzes vom 18. August 1997 hat die dama- Sachsen-Anhalt bleibt außen vor. Sicherlich liegt Sach- lige Bundesregierung aus Union und F.D.P. eines der sen-Anhalt nicht an einer der Grenzen zu Osteuropa, aber wichtigsten Förderinstrumente für die kleinen mittelstän- Thüringen auch nicht. dischen Unternehmen in denneuen Bundesländern in Gang gesetzt. Handwerksbetriebe, Mittelständler und Freiberufler in den neuen Bundesländern befürchten, dass sie angesichts (Beifall bei der F.D.P.) ihres rückläufigen Kapitalstocks förmlich überrannt wer- Ich sage Ihnen auch, meine Damen und Herren: Die den, wenn Polen und Tschechien in die EU integriert wer- Ausgabe von Steuermitteln in Milliardenhöhe war ge- den; denn das wird einen ungeheuren Wettbewerbsdruck rechtfertigt. Ich will das kurz begründen. zur Folge haben. Ich glaube, dass man diese Ängste ernst nehmen muss. Wo bleibt das Engagement der Bundesre- Die Lage der kleinen mittelständischen Unternehmen gierung, den kleinen und mittelständischen Unternehmen bleibt auch nach zehn Jahren deutscher Einheit zwischen in den neuen Bundesländern mit einheitlich erhöhten För- Ost und West grundsätzlich gespalten. Der typische mit- dersätzen den Rücken zu stärken? Sie setzen zwar geset- telständische Betrieb „Made in West-“ hat rund zestechnisch die Vorgaben der EU-Richtlinie um. Aber 300 Beschäftigte und ist im Osten eher selten zu finden. Sie kämpfen erst gar nicht, wenn die neuen Bundesländer Dominierend sind hier kleine und Kleinstunternehmen über das dort vorgegebene Maß hinaus gefördert werden mit maximal zehn Beschäftigten. Dementsprechend sieht sollen. natürlich auch die Eigenkapitaldecke aus. Für kleine mit- telständische Unternehmen ist sie nach Auskünften der Zweitens. Die Gesetzesänderung – das wurde schon Deutschen Ausgleichsbank rückläufig, das heißt, der Ei- angesprochen – erfordert einFinanzvolumen von genkapitalstock liegt nach zehn Jahren unter der 10-Pro- 2,5 Milliarden DM. Aber die Steuermehreinnahmen, die zent-Grenze. durch diese Gesetzesänderung erzielt werden, betragen 3,5 Milliarden DM. Es bleibt also 1 Milliarde DM übrig, In diesem Sinne sind Investitionszulagen für Erst- und die einfach im Bundeshaushalt verschwindet. Warum Ersatzinvestitionen eigentlich so etwas wie ein Rechtsan- lässt man diese Milliarde nicht in die Gemein- spruch auf direkte Förderung, der in keinem anderen Ge- schaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirt- (B) setz ohne langwieriges Antragsverfahren gewährt wird. (D) schaftsstruktur bzw. in das Programm zur Förderung in- (Beifall bei der F.D.P.) novativer Wachstumskerne in den neuen Ländern, das von Nicht nur Neugründungen, gerade auch die Bestands- der Bundesregierung – das halte ich für richtig – aufgelegt sicherung von mittelständischen Unternehmen bleibt ein worden ist, fließen? zentrales Thema für die Politik. Gerade deshalb ist es ei- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) gentlich notwendig, die Förderung von Folge- bzw. Er- Um es auf den Punkt zu bringen: Sie kommen mit satzinvestitionen fortzuführen. Wir halten deswegen das Ihrem Gesetzentwurf zwar rein technokratisch dem Er- Auslaufen der Investitionszulagen für Ersatzinvestitionen fordernis nach, die Vorgaben einer EU-Richtlinie umzu- für falsch, glauben aber, dass auf dem Weg über das Gut- setzen. Die rot-grüne Bundesregierung ist nicht der An- achten eine Lösung aufgezeigt wurde, um dies wieder walt von Handwerk und Mittelstand in den neuen rückgängig zu machen. Ländern. Das hat diese Gesetzesänderung wieder einmal Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf handelt es sich gezeigt. um die notwendige Umsetzung einer EU-Richtlinie, die (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) es erforderlich macht, die Förderung zielgenauer zu ge- stalten. Dagegen ist grundsätzlich nichts zu sagen, wenn die Treffsicherheit der Fördermaßnahmen für die Unter- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:Das Wort hat nehmen erhöht wird. So werden – das wurde schon er- jetzt die Abgeordnete Barbara Höll. wähnt – Teile Berlins und Brandenburgs – Teile, die zum so genannten Speckgürtel gehören – in Zukunft nicht (PDS): Frau Präsidentin! Liebe Kol- mehr die erhöhte Förderung bekommen. Insgesamt wer- Dr. Barbara Höll leginnen und Kollegen! Wie die anderen Fraktionen wird den die Investitionszulagen für Erstinvestitionen um je- auch die PDS-Fraktion dem vorliegenden Gesetz zustim- weils 2,5 Prozent erhöht. Die Ersatzinvestitionen für das men. Wir begrüßen den Entwurf eines Gesetzes zur Än- Handwerk laufen im Jahr 2001 vorzeitig aus. Das halten derung des Investitionszulagengesetzes, weil die direkte wir für das falsche Signal. Wirtschaftsförderung gestärkt wird. Sie ist vom Prinzip Trotz des Erfordernisses, das Investitionszulagenge- her zielgenauer und effektiver als steuerliche Förde- setz EU-konform zu gestalten, gibt es zwei gravierende rungsinstrumente. Sie ermöglicht es, insbesondere klei- Kritikpunkte, die ich der rot-grünen Bundesregierung auf- nen und mittelständischen Unternehmen in Notsituatio- zeigen möchte. nen zu helfen. 13004 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000

Dr. Barbara Höll (A) Steuerliche Förderung funktioniert nun einmal nach Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:Das Wort hat (C) dem Gießkannenprinzip und nutzt vor allem ertragsstar- jetzt die Abgeordnete Dr. Barbara Hendricks. ken Unternehmen. Deshalb haben wir bereits in der letz- ten Legislaturperiode ein Einkommensteuerkonzept vor- gelegt, in dem vorgeschlagen wurde, einen Großteil der Dr. Barbara Hendricks (SPD): Liebe Kolleginnen steuerlichen Vergünstigungen für Unternehmen zuguns- und Kollegen! Erlauben Sie mir eine ganz kurze Bemer- ten der direkten Wirtschaftsförderung zu streichen. Zu kung. Der wesentliche Gegenstand des Investitionszu- den Inhalten haben sich meine Vorrednerinnen und Vor- lagengesetzes ist die verlässliche Förderung der Unter- redner schon ausführlich geäußert. nehmen in den neuen Bundesländern. Darauf wird Herr Kollege Schwanitz noch eingehen. Mit dem Gesetzentwurf wird das geltende Recht an EU-Recht angepasst. Der bisherige Verlauf der Debatte Ich will etwas zu dem sagen, was an das Gesetzge- dürfte bestimmt Befremden insbesondere bei den Zuhö- bungsverfahren angehängt worden ist, und um Verständ- rerinnen und Zuhörern auf der Besuchertribüne ausgelöst nis dafür werben, weil es möglicherweise falsch verstan- haben. Obwohl die Investitionszulagenförderung dasden werden könnte. Zum einen mussten wir aufgrund von Thema ist, wird hier über das Gemeinnützigkeitsrecht, Bemerkungen des Bundesrechnungshofes sehr rasch tätig über die „Goldene Eins“ und – im Zusammenhang mit werden. Das war bei den Gemeinnützigkeitsregelungen Mehrwertsteuerbetrug – über das Bundesamt für Finan- der Fall. Zum anderen kann der Fall eintreten, dass man zen geredet. einen Gesetzestatbestand für einen kleinen Regelungsge- Einen Punkt muss man wirklich sehr scharf kritisieren: genstand braucht. Das betrifft in diesem Fall die Zustän- Die steuerliche Behandlung von Verlusten aus dem Ak- digkeit des Bundesamtes für Finanzen bei der Bekämp- tien- und Derivatenhandel wird im jetzt vorgelegten Ge- fung des Umsatzsteuerbetruges. Die Alternative wäre, setz wieder neu geregelt. dass man für diesen kleinen Regelungsgegenstand ein ei- genes Gesetz machen würde. Es ist hierbei die Frage, ob Diese Änderung ergibt sich als Folge aus dem Steuer- es nicht arbeitsökonomisch ist, ein anderes Steuergesetz senkungsgesetz. Gerade wurde das Steuersenkungsergän- als Vehikel zu nutzen, um kleine Regelungsgegenstände zungsgesetz verabschiedet. Nun kommt wieder eine Er- dort unterzubringen. Dies haben wir getan. Ich bitte hier gänzung. Ich frage mich, welche Gesetzestechnik das ist, um Verständnis. Man kann nicht sagen, dass es an der Un- wenn fast jedes Gesetz, insbesondere solche aus demfähigkeit der Beamten liegt, dass so verfahren wird. Es hat Finanzministerium, nach dem Gesetzgebungsverfahren etwas mit der Arbeitsökonomie dieses Parlamentes zu tun. eine erste, eine zweite und vielleicht noch eine dritte Nachbesserung erfordert. Ganz kurz zu dem, was Sie, Frau Höll, gerade gesagt (Beifall bei der PDS) haben. Ich habe nicht gesagt, dass dieses Gesetz sowieso (B) keiner versteht, sondern ich habe zugesagt, zu diesem Re- (D) Es ist bezeichnend, wenn Sie eine Änderungs- und Er- gelungstatbestand eine Broschüre des Bundesfinanz- gänzungspolitik bei Gesetzgebungsverfahren machen. ministeriums herauszugeben, die leicht verständlich ist. Ein solches Gesetzgebungsverfahren macht es für Bürge- Das kommt den Bürgern auf jeden Fall eher entgegen, als rinnen und Bürger immer schwerer, überhaupt zu verste- wenn man sie auf den Gesetzestext verweist. hen, was im Bundestag passiert. Die Transparenz von Ge- setzgebungsverfahren, von Gesetzen hat unmittelbar (Dr. Barbara Höll [PDS]: Das ist aber nichts Bezug auf die Mündigkeit der Bürgerinnen und Bürger, anderes!) die sich selbst kundig machen wollen. Ich finde es sehr Ich halte es im Übrigen für eine Mär, wenn man ver- befremdlich, wenn Frau Hendricks als Staatssekretärin langt, dass alle Gesetze aus sich selbst heraus und für alle bei der Ausschussberatung sagt: Dieses Gesetz versteht Bürgerinnen und Bürger verständlich sein sollen. Alle niemand mehr. – Scheinbar ist es so, dass wir Gesetze Juristen dieses Landes leben davon, Kommentare zu Ge- nicht für die Menschen machen, die davon betroffen sind setzen zu schreiben: vom Wasserrecht in Nordrhein-West- und die damit umgehen sollen, sondern für Steuerberater, falen, zu dem Herr Rüttgers einen Kommentar geschrie- Wirtschaftsprüfer, Anwälte und andere. So verstehe ich unsere Aufgabe im Bundestag nicht. ben hat, bis zum Grundgesetz. Wenn also alle Gesetze aus sich selbst heraus verständlich wären, dürfte es juristische (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten Kommentare gar nicht geben. der CDU/CSU und der Abg. Cornelia Pieper [F.D.P.]) (Beifall bei der SPD) Ich habe ein anderes Demokratieverständnis. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:Das Wort hat Ich fordere Sie aus Anlass der Beratung dieses Geset- jetzt der Staatsminister Rolf Schwanitz. zes deshalb auf, den Gesetzgebungsstil sehr kritisch zu hinterfragen und zu ändern. Gesetze müssen auch von den so genannten normalen Menschen, die im täglichen Leben Rolf Schwanitz, Staatsminister beim Bundeskanzler: stehen und einem Beruf nachgehen, verstanden werden Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her- können. Nur dann haben wir im Parlament unsere Arbeit ren! Ich will zum Schluss der Debatte eine Bemerkung zur gut und richtig erledigt. Bedeutung dieses Gesetzes machen. Das Gesetz zur Än- derung des Investitionszulagengesetzes 1999 ist nach Ich danke Ihnen. Auffassung der Bundesregierung wichtig für den weiteren (Beifall bei der PDS) wirtschaftlichen Aufbau in den neuen Bundesländern. Die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000 13005

Staatsminister Rolf Schwanitz (A) Bedeutung dieses Themas darf überhaupt nicht klein ge- ein ganz wichtiges Element für eine benachteiligte und(C) redet werden. Ich will dazu drei Bemerkungen machen. mit großen Problemen belastete Region, die für den vor Der erste Grund dafür hängt mit der Entstehungsge- uns stehenden Prozess der EU-Osterweiterungfit ge- schichte des Investitionszulagengesetzes 1999 zusammen. macht werden müssen. Ich erinnere daran, dass beispiels- Das hat der Kollege Werner Schulz bereits angesprochen. weise die SPD-Bundestagsfraktion dazu Erwartungshal- Ich erinnere mich noch an die Debatte 1996/1997, als man tungen formuliert hat. Wir steigen hier jetzt in eine über Fraktionsgrenzen hinweg zu der Auffassung kam, Stärkung der Investitionsanreize ein, wenn man es an der dass man von einer Förderung über Sonderabschreibungen Subventionsintensität misst; das Ganze ist ja steuerfrei. wegkommen, zu einer unmittelbaren Förderung der Inves- Letzte Bemerkung, meine Damen und Herren: Die titionszulagen im Interesse der Indus-trie und des indus- I-Zulage ist in den letzten Monaten und Jahren mit dem trienahen Dienstleistungsbereiches gelangen, den Kapital- Image einer nicht zielgenauen, nach dem Gießkannen- stock stärken und etwas für die Eigenkapitalbildung tun prinzip funktionierenden Förderung verbunden worden. sollte. Das war die Geburtsstunde dieser seinerzeit über- Herr Kollege Schulz hat völlig zu Recht darauf hingewie- fraktionell getragenen Veränderung. sen, dass ein Rechtsanspruch für einen investierenden Un- Damals ist es allerdings nicht gelungen – das war noch ternehmer einen nicht zu unterschätzenden Tatbestand in den letzten zwei Jahren Ihrer Tätigkeit –, für das I-Zu- darstellt. Mit der Konzentration auf Erstinvestitionen und lagengesetz 1999 die Genehmigung in Brüssel zu erlan- der regionalen Differenzierung machen wir deutlich, dass gen. Das heißt, das Flaggschiff der Investitionsförderung die I-Zulage ein modernes Instrument ist, das sein in den neuen Bundesländern lag in einer nicht rechtsver- schlechtes Image überhaupt nicht verdient. Deshalb ist es bindlichen Fassung für die ostdeutschen Unternehmen vor. gut, wenn diese Gesetzesnovelle einen so breiten Konsens Das war die Ausgangsposition. Im Dezember 1998 beka- erfährt. men wir eine Teilgenehmigung für 1999, jedoch nur bezo- gen auf die Erstinvestitionen und begrenzt auf die Region Schönen Dank. Berlin. Natürlich waren damit Verunsicherungen für die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ostdeutschen Unternehmungen verbunden, was die mittel- DIE GRÜNEN) fristige Ausgestaltung dieses wichtigen Gesetzes anging. Dass es mit diesem Änderungsgesetz jetzt gelingt, eine Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich schließe die Genehmigung aus Brüssel sicherzustellen, die eine För- Aussprache. dersicherheit und damit verbunden auch eine Investiti- onssicherheit für die gesamte Periode bis 2004 beinhaltet, Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- (B) ist ein ganz wichtiges Element für die wirtschaftlichen desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung (D) Aufbauleistungen in den neuen Bundesländern, meine des Investitionszulagengesetzes, Drucksachen 14/3273 Damen und Herren. Das ist der erste Grund dafür, dass und 14/4624. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf dieses Gesetz von großer Bedeutung ist. in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Als zweiten Grund spreche ich die Veränderungen an, Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das die wir zwar nicht unmittelbar mit dem Änderungsgesetz, ist nicht der Fall. Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter aber zuvor mit dem Steueränderungsgesetz 1999 vorge- Beratung einstimmig angenommen. nommen haben. Wir haben einenSchwerpunkt auf Dritte Beratung Erstinvestitionen gesetzt. Dieses Thema haben wir nicht nur vor dem Hintergrund der Beanstandungen aus Brüs- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem sel aufgegriffen, sondern auch deshalb, weil es mit einer Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge- für die neuen Bundesländer wichtigen Innovationsstrate- genstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzent- gie korrespondiert: mit einer Konzentration der Förde- wurf in der dritten Lesung einstimmig angenommen. rung, die zugleich verstärkt wird, auf neue Erzeugnisse und neue Technologien. Dies bringen wir mit unserem Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Gesetzentwurf für die Zeit bis 2004 auf den Weg. Ich bin Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten davon überzeugt, dass dies eine wichtige und richtige Klaus Brähmig, Ernst Hinsken, Anita Schäfer, Weichenstellung für die Modernisierung in den neuen weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ Ländern ist. CSU Eine dritte Bedeutung dieses Gesetzes kann gar nicht Auswirkungen der Ökosteuer und der hohen klein geredet werden: Das Änderungsgesetz schafft im Kraftstoffpreise auf den Deutschlandtourismus Zusammenhang mit den Veränderungen, die Berlin und den Speckgürtel um Berlin betreffen, eine bessere Förde- – Drucksachen 14/3867, 14/4334 – rungspräferenz für den grenznahen Bereich im Osten und Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Süden der neuen Länder, also im Grenzraum zu den po- Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich sehe kei- tenziellen Beitrittskandidaten. Die I-Zulage wird, bezo- nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. gen auf die Grundförderung, auf 15 Prozent und, bezogen auf die erhöhte Förderung der kleinen und mittelständi- Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Klaus schen Unternehmen, auf 27,5 Prozent erhöht. Auch das ist Brähmig. 13006 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000

(A) Klaus Brähmig (CDU/CSU): Frau Präsidentin! zung des eigenen PKWs bei Urlaubsreisen im Inland wird (C) Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute debattie- auf 73 Prozent und der Anteil der Busse auf weitere ren wir über die Antwort der Bundesregierung auf die10 Prozent geschätzt. Große Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu den Da nach den vorläufigen Berechnungen des Mineral- Auswirkungen der Ökosteuer und der hohen Kraftstoff- ölwirtschaftsverbandes in den ersten zehn Monaten dieses preise auf den Deutschlandtourismus vom 4. Juli 2000. Jahres der Mineralölabsatz um 3,7 Prozent gegenüber Einleitend möchte ich auf einige grundlegende Punkte dem Vorjahrszeitraum zurückgegangen ist, nimmt die in der Beantwortung der Anfrage eingehen. Ich stützeMobilität anscheinend deutlich ab. Der Bürger kann nicht mich dabei auf den Titel der „Bild“-Zeitung von heute bei den Wegen zur Arbeit einsparen und eine Flottenum- – dort werden die Belastungstatbestände ganz klar zu- stellung kann diesen Rückgang beim Mineralölabsatz so sammengefasst –: Ökosteuer – Macht sie den ganzen Auf- kurzfristig nicht realisieren. Die Einsparungen gehen also schwung kaputt? größtenteils zulasten des Urlaubs- und Freizeitverkehrs. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Widerspruch der Abg. Brunhilde Irber [SPD]) Die Bundesregierung behauptet wiederholt, dass der – Frau Kollegin Irber, das dürfte auch Ihnen letztendlich Tourismusstandort Deutschland von der Ökosteuer profi- nicht entgangen sein. tiert, da sie einen Beitrag zum Erhalt einer intakten Um- welt und Natur leistet. Hören Sie endlich auf, sich selbst Der Rückgang an Mobilität ist auf zwei Ursachen zu belügen! Das Herbstgutachtender sechs führenden zurückzuführen: die Ökosteuer und die gestiegenen Ener- wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute hatgiepreise. Beide sorgen für deutliche Kaufkrafteinbußen doch deutlich nachgewiesen, dass die Ökosteuer aufgrund bei unserer Bevölkerung. Allein durch die Ökosteuer wird der vielen Ausnahmetatbestände in ihrer jetzigen Form ein verheirateter Arbeitnehmer mit einem Jahresbrut- keinerlei positive Lenkungseffekte für die Umwelt hat. toeinkommen von 60 000 DM nach der erneuten Anhe- bung zum 1. Januar 2001 um 7 Pfennig inklusive Mehr- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wertsteuer und mit einer Jahresfahrleistung von Die nun von der Bundesregierung geplanten Ausgleichs- 20 000 Kilometern im nächsten Jahr 179 DM weniger in maßnahmen konterkarieren dieses Ziel zusätzlich. der Tasche haben; ein Rentnerhaushalt mit 12 000 Kilo- metern Jahresfahrleistung wird sogar 432 DM weniger Weiterhin behauptet die Bundesregierung wiederholt, haben. dass die Einnahmen aus der Ökosteuer ausschließlich zur Senkung der Lohnnebenkosten verwendet werden. (Peter Dreßen [SPD]: Was kriegt er denn durch die Steuererleichterung, Herr Kollege?) (B) (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE (D) GRÜNEN]: Das behaupten wir nicht! Das ist – Der Rentner zum Beispiel gar nichts. – In beiden Fällen so!) steigt die Mehrbelastung in den Folgejahren noch kräftig an. In diesen Zahlen ist die neue Entfernungspauschale Hören Sie auf, die Öffentlichkeit zu belügen! mit 80 Pfennig pro Kilometer und die Entlastung bei der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Sozialversicherung schon berücksichtigt. Eine kurze Berechnung zeigt, dass im Jahre 2003 der (Renate Gradistanac [SPD]: Ach ja, stimmen Beitragssatz in der Rentenversicherung auf 18,2 Prozent Sie zu?) sinken könnte. Sie aber wollen den Beitragssatz bei Meine Damen, meine Herren, nach Berechnungen des 19,2 Prozent belassen. Der Rest fließt zweckentfremdet in Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsfor- den Bundeshaushalt. schung haben die privaten Haushalte durch die gestiege- (Brunhilde Irber [SPD]: Auf 19,1 Prozent sinkt nen Energiekosten und die Ökosteuer vom 2. Quartal er ab dem 1. Januar!) 1998 zum 2. Quartal 2000 einen Kaufkraftverlust von 37,3 Milliarden DM hinnehmen müssen. Die von der Außerdem behaupten Sie, dass es keine Anzeichen für Bundesregierung genannte Entlastung der privaten eine besondere, durch die Ökosteuer verursachte Belas- Haushalte im Zuge der Steuerreform 2000 von rund tung der deutschen Tourismuswirtschaft gibt. 33 Milliarden DM ist also bereits mehr als verfrühstückt. ( [CDU/CSU]: Das ist ja Bei anhaltend hohen Energiekosten wird die von der ungeheuer!) Bundesregierung angegebene Gesamtentlastung von 65 Milliarden DM im Zeitraum von 1998 bis 2005 noch Hören Sie auf, die gesamte Branche zu belügen! Denn nicht einmal die höheren Energiekosten kompensieren. natürlich gehört die deutsche Tourismuswirtschaft zu den besonders betroffenen Branchen. Dies gilt vor allem für Hören Sie auf, sich selbst zu belügen! den Deutschlandtourismus, der überwiegend durch mit- Insofern sind sehr wohl Rückgänge im Deutschland- telständische und eigentümergeführte Betriebe struktu- tourismus zu befürchten. Bei den durchgeführten Reisen riert ist. wird durch die Kaufkraftminderung natürlich bei Aus- Mobilität ist das Lebenselixier für den Deutschland- gaben am Zielort gespart. Einbußen bei der Hotellerie und tourismus und die deutsche Wirtschaft insgesamt. 50 Pro- Gastronomie, beim Einzelhandel, beim Souvenirverkauf zent des PKW-Verkehrs in Deutschland sind auf Freizeit- sowie bei Ausflügen oder Konzertbesuchen sind vorpro- und Urlaubsverkehr zurückzuführen. Der Anteil der Nut- grammiert. Schon jetzt stagniert im Gastgewerbe der Um- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000 13007

Klaus Brähmig (A) satz und sinkt die Zahl der Arbeitsplätze. Belügen Sie also die Opposition an Realitätsverlust und Gedächtnis-(C) nicht die Öffentlichkeit über die „Boombranche Touris- schwund. mus“, indem Sie einseitig auf steigende Gäste- und Über- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nachtungszahlen in ausgewählten Regionen und Städten DIE GRÜNEN) hinweisen. Es tut mir Leid, aber das musste ich jetzt sagen, obwohl (Horst Kubatschka [SPD]: Stimmt das etwa heute Freitag ist und wir kurz davor sind, ins Wochenende nicht, Herr Kollege, dass es steigt? Wer lügt aufzubrechen. hier?) Gedächtnisverlust liegt, wenn ich daran erinnern darf, – Wir werden das dann weiter ausdiskutieren. insoweit vor, als die Parteivorsitzende Merkel früher als (Horst Kubatschka [SPD]: Keine Unwahrheiten Umweltministerin ständig die Ökosteuer gefordert hat, sagen! Dann braucht man es nicht auszudisku- (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Zum Thema! tieren!) Anfragen und Antworten!) Ich fordere den Bundeskanzler, der heute leider nicht um eine Entlastung der Arbeit zu erreichen. Genau das anwesend sein kann, auf: Verzichten Sie auf einen weite- haben wir dann gemacht. ren Schluck aus der von Ihnen so geliebten „Ökopulle“ ab Jetzt muss ich Ihnen noch etwas anderes sagen: Lieber dem 1. Januar 2001 Herr Brähmig, auch diese Woche treiben Sie die Öko- (Heiterkeit bei der SPD) steuer wieder durchs Dorf, und holen Sie sich lieber noch ‘ne Flasche Bier, die trin- (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Nicht nur diese ken wir dann hier! Woche! Bis zur Landtagswahl!) (Beifall bei der CDU/CSU) diesmal unter dem Deckmantel des Tourismus. Leider fal- len Sie dieses Mal damit herein, weil es nicht gelingen Auch letztes Jahr wurde vom Bundeskanzler ein Weih- wird, auch noch den Deutschlandtourismus schlecht zu nachtsgeschenk verteilt; ich erinnere an den Fall Holz- reden. mann AG. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Meine sehr geehrten Damen und Herren, unsere Auf- DIE GRÜNEN) forderung an die Bundesregierung und die Koalitions- fraktionen lautet: Setzen Sie die Ökosteuer aus! Es genügt schon, dass der Standort Deutschland immer (B) schlecht geredet wird; der Gipfel der Frechheit ist es aber, (D) (Horst Kubatschka [SPD]: Nein! Das wäre ein auch noch den Tourismusstandort Deutschland herun- schlechtes Weihnachtsgeschenk! – Renate terzumachen. Gradistanac [SPD]: Was hat Holzmann mit der (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Sie machen das Ökosteuer zu tun?) durch die Ökosteuer!) Machen Sie der deutschen Wirtschaft und besonders der – Nein, das stimmt nicht! Das möchte ich auch belegen. Tourismusbranche dieses Weihnachtsgeschenk! Die Fla- sche Bier erhalten Sie dann von der Branche gratis. Ich habe hier einen Sonderdruck aus „Wirtschaft und Statistik“ des Statistischen Bundesamtes dabei. 1999, Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. heißt es hier, war ein Rekordjahr im deutschen Inlands- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zu- tourismus. ruf von der SPD: Das wäre Bestechung! – Wei- Als weiteren Beleg darf ich noch auf den Artikel „Tou- tere Zurufe von der SPD) rismus in Deutschland brummt“ in der „Welt“ vom 31. Oktober 2000 – also ganz aktuell – verweisen, in dem Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Liebe Kollegin- Herr Ehlers, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Hotel- nen und Kollegen, ich stelle immer wieder fest, dass die und Gaststättenverbandes, ganz klar zum Ausdruck Zwischenrufe umso lauter ausfallen, je weniger Abgeord- bringt, dass unsere Politik richtig ist und dass sie dazu ge- nete im Raum sind. führt hat, den Deutschlandtourismus zu steigern. Das Wort hat jetzt die Kollegin Brunhilde Irber. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Aus Saarbrücken habe ich dazu etwas ganz an- Brunhilde Irber (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kol- deres gehört!) leginnen und Kollegen! Eigentlich müsste ich jetzt mein Manuskript zur Seite legen und dir, lieber Kollege– Ich komme noch darauf. Brähmig, einmal ein wenig heimleuchten. Du bistIch muss schon sagen: Die Opposition ignoriert ein- schlecht beraten, wenn du deine Informationen über einen fach alles. Sie ignorieren die Erholung auf dem Arbeits- angeblichen Kaufkraftverlust nur aus der „Bild“-Zeitung markt, Sie ignorieren die Erholung der Sozialsysteme beziehst. Manchmal kommt es mir schon so vor, als leide – mit der Absenkung der Lohnnebenkosten, die über die 13008 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000

Brunhilde Irber (A) Ökosteuer finanziert wird –, Sie ignorieren die Stabilisie- Jetzt kommen Sie mit Ihrem Gerede daher, dass wegen(C) rung der Rentenversicherung und Sie ignorieren, dass wir der Ökosteuer eine Katastrophe im Tourismus zu erwar- die dramatisch hohen Lohnnebenkosten, die wir aus Ihrer ten wäre. Zeit übernommen haben, gesenkt haben und weiter sen- (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das passt euch ken werden. nicht!) (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Quatsch!) – Das passt uns schon. Wir können das leicht parieren. – „Quatsch“ kann man natürlich sagen, wenn man alles ignoriert. – Sie ignorieren auch, dass der Mittelstand Die Warnungen der Opposition waren bisher in allen enorme Probleme dadurch bekommen hat, dass die Lohn- Punkten falsch. nebenkosten immer weiter in die Höhe geklettert sind. (Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Realitätsverlust!) Dann hat man mit 630-Mark-Kräften und mit jugendli- chen Auszubildenden versucht, das Problem zu lösen – – Jetzt passen Sie einmal auf, Herr Burgbacher und Herr wohlgemerkt auf deren Kosten. Das geht mit uns nicht. Brähmig! – Während Ihrer Regierungszeit ist die Kapa- zitätsauslastung in den Hotels kontinuierlich herunterge- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gangen, DIE GRÜNEN – Klaus Brähmig [CDU/ CSU]: Weil Sie den Mittelstand massiv belas- (Zurufe von der SPD: Aha!) ten!) und zwar von 1992 bis 1998 um 11 Prozent in den neuen Sie haben nur partielle Interessen, Sie übernehmenBundesländern. In unserer Regierungszeit haben wir al- keine Gesamtverantwortung. Sie suchen sich einigelein von 1998 bis 1999 2 Prozentpunkte zurückgewonnen. Gruppen heraus und glauben, wenn Sie die befriedigen (Horst Kubatschka [SPD]: Machen Sie das erst können, hätten Sie einen Dienst für das ganze Volk getan. Es geht Ihnen immer nur ums Geld. – Wenn ich boshaft mal nach, Herr Brähmig, damit Sie wissen, wo wäre, würde ich sagen: Es geht nur um Bimbes. Ich bin es lang geht!) heute aber gnädig und sage es nicht. – – Ja, genau. (Heiterkeit bei der SPD und beim Bündnis 90/ Eines sage ich noch dazu, weil Sie hier immer die ho- Die Grünen) hen Energiekosten, speziell die Benzinkosten, anspre- Es ist das Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler chen – Herr Brähmig, seien Sie jetzt einmal ein bisschen unseres ganzen Landes, nicht nur das Geld einiger Inte- aufmerksam; vielleicht können Sie sich auch hier noch (B) ressengruppen. bilden –: Der Deutschlandtourismus ist im Wesentlichen (D) erdgebunden, also von der Ökosteuer belastet. Sie haben Jetzt zum Tourismus: Der Tourismus ist eine Wachs- es angesprochen: Das Auto ist – das ist richtig – das tumsbranche. Wie kommen Sie eigentlich auf die Idee, Hauptverkehrsmittel. Trotzdem verzeichnen wir in die- das in Abrede stellen zu wollen? Das zieht nicht mehr, die Platte hat einen Sprung. Ich möchte Sie daran erinnern, sem Bereich Steigerungen. Die Dresdner Bank hat ermit- was Sie schon alles gefordert haben, wo Sie überall das telt, dass im Vergleich von 1998 auf 1999 die erdgebun- angebliche Siechtum der Branche an die Wand gemalt ha- denen Reisen um 5 Prozent zugelegt haben – das kann ben. Es gab von Ihnen große Worte zur Senkung derman nicht wiederlegen –, trotz Ökosteuer. Mehrwertsteuer im Gastgewerbe; Sie meinten, ohne diese (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das soll Senkung gebe es ein Hotelsterben. Tatsache ist: Die Ho- ökologisch sein?) tellerie liegt auf Erholungskurs. Die durchschnittliche Auslastung der Hotels ist – trotz Ökosteuer – im ver- Natürlich werden Sie in der Antwort der Bundesregie- gangenen Jahr von 61,1 auf 63,6 Prozent gestiegen. rung auch Problembeschreibungen für einzelne Branchen finden. (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Ja, bei den Groß- stadthotels! Bei den Ketten, die übrig geblieben (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Ganz ordent- sind!) liche Problembeschreibungen, oder nicht?) Hier eine kleine Anmerkung: Genau wie der Hotelver- Die Schausteller stehen sich schlechter – das geben wir band Deutschland habe ich nicht die Auslastung der Bet- zu – und auch das Gastgewerbe bilanziert negativ. ten gemeint, sondern die Zimmerauslastung. Die Betten- auslastung ist aber ebenso gestiegen. Aber warum gibt es denn diese Problembereiche? Ich muss jetzt noch einmal auf die Ökosteuer und die Lohn- Dann haben Sie ein großes Schreckensszenario im Zu- nebenkosten eingehen. Sie haben in Ihrer Regierungszeit sammenhang mit der Neuregelung bei den 630-Mark- die Lohnnebenkosten immer weiter in die Höhe getrieben. Jobs an die Wand gemalt. Faktum ist, dass jetzt 5 Milliar- Diese Branchen sind dann natürlich ausgewichen und ha- den DM pro Jahr in die Sozialversicherung fließen. Dies ben – wie schon erwähnt – Auszubildende eingestellt, Fa- entlastet die Lohnnebenkosten und stabilisiert unsere So- milienangehörige und 630-Mark-Beschäftigte beschäf- zialversicherungssysteme. tigt. Die können natürlich nicht entlastet werden über eine (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Senkung der Sozialversicherungsbeiträge. Wer keine DIE GRÜNEN) Sozialversicherungsbeiträge zahlt, kann auch nicht auf Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000 13009

Brunhilde Irber (A) diesem Wege entlastet werden. Die hat es jetzt erwischt Ein Plus hat es auch beimCampingtourismus gege- (C) und deshalb können wir hier nichts ändern. ben. Nach Rückgängen in drei aufeinander folgenden Jah- ren stieg hier die Zahl der Ankünfte in 1999 um 9,3 Pro- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ zent und die Zahl der Übernachtungen um 7,1 Prozent. DIE GRÜNEN) Der DEHOGA hat davon gesprochen, dass 40 Prozent (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das ist kein der Beschäftigung über 630-Mark-Verträge abgewickelt Verdienst der SPD!) werden. Solche Betriebe werden von einer unsozialen Auch die neuen Bundesländer profitieren von diesen Problemlösung natürlich eingeholt. Es ist auch kein Qua- positiven Effekten unserer Wirtschaftspolitik. Der posi- litätsmerkmal, wenn 40 Prozent der Beschäftigten in einer tive Trend aus 1999 hat sich im Jahr 2000 weiter verstärkt. Branche Aushilfskräfte sind. Paradebeispiele sind Mecklenburg-Vorpommern mit plus (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ 23 Prozent bei den Übernachtungszahlen und Berlin mit DIE GRÜNEN – [CDU/ plus 31 Prozent – trotz Ökosteuer, Herr Brähmig! CSU]: Die Kerze ist aus!) (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Zuwachs durch Unsere Betriebe brauchen in Europa vergleichbare Wett- Masse, nicht durch Klasse!) bewerbsbedingungen. Deshalb haben wir mit der großen Besonders erfreulich ist, dass der Trend sich auch auf Steuerreform die Steuern gesenkt. Wir haben die für Unter- dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt niederschlägt. So nehmen relevanten Steuern, die Körperschaftsteuer und hat das Gastgewerbe 1999 die Rekordzahl von 13,7 Pro- die Einkommensteuer, gesenkt. Das können Sie beim bes- zent mehr Ausbildungsplätzen gegenüber 1998 zur Verfü- ten Willen nicht ignorieren, weil es von allen Wirtschafts- gung gestellt. Das bedeutet, dass im Gastgewerbe 40 000 verbänden anerkannt worden ist. Im europäischen Ver- Ausbildungsverhältnisse neu begonnen wurden. Die Ge- gleich der Steuerbelastung sind wir jetzt in der Mittellage, samtzahl der Ausbildungsplätze liegt jetzt bei rund bei Ihnen waren wir ganz oben. Bei der Steuerquote lie- 90 000. Das bedeutet allein im Gastgewerbe eine Steige- gen wir mit 21,9 Prozent jetzt im unteren Drittel und bei rung der Ausbildungsplätze von 10,4 Prozent. Hinzu der Abgabenquote mit 37,1 Prozent im Mittelfeld. Es ist kommen noch weitere Stellen in den übrigen Tourismus- beschlossenes Programm dieser Bundesregierung, die berufen. Diese Zahlen zeigen, dass der Tourismus boomt. Abgabenquote noch weiter zu senken. Die Bemerkungen Es würde kein Personal eingestellt werden, wenn die zu den Steuersätzen lasse ich jetzt weg, weil ich noch et- Wirtschaft kein Geschäft machen würde. was zum Tourismus an sich sagen möchte. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Wenn ich das letzte Jahr betrachte, stelle ich fest: 1999 DIE GRÜNEN) (B) war bereits ein Rekordjahr für das deutsche Beherber- (D) gungsgewerbe. Erstmals konnten die Hotels, Pensionen Die Leistungsträger können auf ihre Leistung stolz und sonstigen Beherbergungsbetriebe mit neun und mehr sein. Ich möchte an dieser Stelle allen im Tourismus Be- Betten in Deutschland über 100 Millionen Gäste be-schäftigten für die großartige Leistung danken, die sie für grüßen. die deutsche Volkswirtschaft erbringen. (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Aber was bleibt (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ übrig?) DIE GRÜNEN sowie der Abg. Rosel Neuhäuser Dieser positive Trend hält auch im Jahr 2000 an: In den [PDS]) ersten sieben Monaten sind dieÜbernachtungen um Der DEHOGA schreibt in seiner jüngsten Hotelmarkt- weitere 6,1 Prozent gestiegen, und die Anzahl der Aus- analyse – ich zitiere –: künfte ausländischer Gäste hat sich um 8,8 Prozent er- höht. Die Zahl der Übernachtungen von ausländischen Nach einer fast zehn Jahre andauernden Durststrecke Gästen ist um 9 Prozent gestiegen. weisen die Konjunkturindikatoren der deutschen Hotellerie endlich eine nachhaltige Entlastung aus. Auch hier ist das Handeln der Bundesregierung die Ursache. Herr Brähmig, Sie wissen, dass wir DZT-Mittel (Horst Kubatschka [SPD]: Also ein Schluck angehoben haben und auf positive Effekte verweisen aus der Ökopulle!) können. Das einzige Problem der deutschen Hotelbetreiber ist die (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Aber nicht für selbstgeschaffene Überkapazität. Wir müssen aufpassen, operatives Marketing, sondern für den Aus- dass nicht noch weitere Überkapazitäten – und damit eine gleich der Währung!) Verstärkung des Verdrängungswettbewerbs – entstehen. Aber auch das ignorieren Sie. Sie fordern immer wieder (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Wachstum ist mehr Geld. grundsätzlich durch Überkapazitäten entstan- den! Das wissen Sie doch!) Bei den Inlandsreisen verzeichnen wir ebenfalls eine deutliche Steigerung. 1999 ist die Gesamtzahl der In- Nochmals der Hinweis: Der Deutschlandtourismus ist landsreisen mit wenigstens einer Übernachtung umim Wesentlichen erdgebunden. Ihrer Theorie zufolge 6,3 Prozent auf 55 Millionen gestiegen und im ersten müssten wir in diesem Bereich sinkende Zahlen haben. Halbjahr 2000 stieg diese Zahl erneut um 7 Prozent. Aber die Zahlen weisen nach oben. 13010 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000

Brunhilde Irber (A) Ich möchte nochmals den DEHOGA als Zeugen an- heit keinen Anteil. Diese Entwicklung gibt es in Europa (C) führen. Herr Ehlers sagte am 30. Oktober in der „Welt“: insgesamt, was Sie offenbar nicht begreifen. Die Talsohle der letzten Jahre scheint durchschritten. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten Hotellerie und Gastronomie schauen zu großen Tei- der CDU/CSU) len wieder mit Optimismus in die Zukunft. Sie reden über Steuererhöhungen. Herr Brähmig, der DEHOGA schaut also mit Optimismus (Brunhilde Irber [SPD]: Viermal habt ihr die in die Zukunft. Das gilt für die Hotellerie und für die Gast- Mineralölsteuer erhöht! – Gegenruf des Abg. stättenbetreiber; bei Letzteren allerdings besteht – das Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Mit Ihrer Zu- gebe ich zu – „gedämpfter Optimismus“. stimmung, Frau Kollegin!) Wir haben in den ersten zwölf Monaten unserer Regie- Wir hätten eine Steuerreform mit deutlichen Entlastun- rungszeit gezielt die Kaufkraft gestärkt. Wir haben das gen vor drei, vier Jahren haben können. Aber Sie haben Kindergeld zweimal erhöht, die Einkommen- und Unter- sie abgelehnt. nehmensteuern gesenkt sowie ein Förderprogramm für mehr Qualifizierung und Ausbildung im Tourismusbe- Einige Punkte, die angesprochen wurden, fordern mich reich aufgelegt. Jede Familie mit zwei Kindern und einem zu einer Entgegnung heraus. Angesichts meiner kurzen durchschnittlichen Einkommen – 50 000 DM im Jahr – Redezeit will ich aber nur auf die wichtigsten Punkte ein- wird nach der Steuerreform 2 500 DM mehr in der Tasche gehen. haben. Dieses Geld fließt unter anderem in den Urlaub Wir haben im Tourismus Entwicklungen, die weder mit und damit in den Tourismus. Ihrer noch mit unserer Politik zusammenhängen, sondern einfach dem Trend entsprechen. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Liebe Frau Kol- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) legin, jetzt muss ich Sie doch ermahnen, zum Schluss zu kommen. Wir haben ein völlig verändertes Urlaubsverhalten. Wir haben ein neues Marketing bei der DZT, mit dem schon weit vor Ihrer Regierungszeit angefangen wurde. Brunhilde Irber (SPD): Ich darf zum Schluss noch auf das Modellprojekt verweisen, das wir finanzieren und das (Ilse Janz [SPD]: Das fiel „zufällig“ mit der für die Branche bestimmt sehr wichtig ist. Regierungsübernahme durch Rot-Grün zusam- men! – Weitere Zurufe von der SPD) Herr Brähmig, ich möchte Ihnen ans Herz legen: – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer nur schreien und (B) Schauen Sie sich die Zahlen an! Dann kommen Sie selbst (D) zu der Erkenntnis, dass es dem Deutschlandtourismus gut lachen kann, entlarvt sich selbst. Zuhören wäre vielleicht geht, seit wir an der Regierung sind. Das wollen wir blei- besser. ben, damit es dem Deutschlandtourismus noch besser (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten geht. der CDU/CSU) Herzlichen Dank. Ich finde es angesichts der Bedeutung dieses Themas be- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schämend, dass Sie bei der Rede des Kollegen Brähmig DIE GRÜNEN – Klaus Brähmig [CDU/CSU]: nur gegrinst und gelacht haben. Das muss ich Ihnen ganz Die größte Lachnummer, die ich in diesem Jahr offen sagen. gehört habe!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Wir hatten in diesem Jahr die EXPO, die Weltausstel- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:Das Wort hat lung. Im Tourismusausschuss haben Sie in dieser Woche jetzt der Abgeordnete Ernst Burgbacher. alle gesagt, dass die Ausstellung tolle Auswirkungen auf den Deutschlandtourismus hatte. Aber in dieser Debatte Ernst Burgbacher (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine stellen Sie es so dar, als wäre das Ganze ein Verdienst der sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegin Irber, Regierung. Sie füllen nicht die Betten der Hotels, das ma- das Wort vom Realitätsverlust fällt auf die zurück, die es chen immer noch die Gäste! gebraucht haben. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Lassen Sie mich in aller Kürze noch drei Punkte an- Die Behauptung, der Deutschlandtourismus laufe besser, sprechen. seit Sie an der Regierung sind, soll jeder selbst beurteilen. Erstens. Wenn Sie von Realitätsverlust reden, bitte ich Sie verschweigen dabei völlig, dass wir insgesamt gese- Sie, sich doch auch einmal die Realitäten anzusehen. Es hen eine wirtschaftliche Erholung haben ist überhaupt keine Frage, dass die Benzinpreiserhöhun- gen, an denen die Ökosteuer mit schuld ist – nicht alleine, (Horst Kubatschka [SPD]: Das tut Ihnen weh! – aber sie hat sie wesentlich mit beeinflusst –, und die Heiz- Renate Gradistanac [SPD]: Warum denn?) kostenerhöhungen im Geldbeutel ein Loch zurücklassen. und dass wir erheblich höhere Steuereinnahmen haben. Wir haben schon heute genügend Prognosen, die zum An beiden Entwicklungen hat die Regierung mit Sicher- Ausdruck bringen, dass insbesondere der Hotel- und Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000 13011

Ernst Burgbacher (A) Gaststättenbereich im Frühjahr darunter leiden wird, weil Sylvia Voß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau(C) das Verhalten der Menschen von dieser Situation psycho- Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr logisch abhängig ist. Das wollen Sie nicht wahrhaben. Burgbacher und liebe Kollegen von der rechten Seite des (Brunhilde Irber [SPD]: Warum haben wir Hauses, der Humor, der hier aufgekommen ist, kommt dann mehr Übernachtungen?) wahrscheinlich daher, dass hier ständig eine Ökoplatte aufgelegt wird, die einen Sprung hat. Zweiter Punkt. Wir haben bei der so genannten ökolo- gischen Steuerreform eine wirklich schizophrene Ent- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wicklung; denn die, die viel Energie verbrauchen, haben und der SPD – Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Sie von dieser Steuer ausgenommen, während Sie ökolo- Den Sprung haben Sie, nicht die Platte! – Ernst gisch sinnvolle Transportmittel wie Bus und Bahn nicht Burgbacher [F.D.P.]: Sie wollen das nicht ausgenommen haben. hören!) (Horst Kubatschka [SPD]: Halber Ökosteuer- Dem kann man nur noch mit Humor begegnen. Auch satz!) wenn Sie es nicht wahrhaben wollen: In der Tourismus- branche in Deutschland herrscht überwiegend Zufrieden- Jetzt nenne ich Ihnen einmal zwei Zahlen. Die Treib- heit. stoffkosten sind in den zwei Jahren der rot-grünen Regie- rung von 29 Pfennig auf 47 Pfennig pro Kilometer gestie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gen. Das macht für einen Bus Mehrkosten von 12 000 DM und bei der SPD) aus. Davon sind 3 600 DM auf die Ökosteuer zurückzu- Einer Saisonumfrage des Deutschen Industrie- und Han- führen; das lässt sich errechnen. Ein bestimmter mittel- delstages zufolge, dessen Kompetenz Sie doch hoffent- ständischer Busbetrieb, den Frau Gradistanac wahrschein- lich nicht anzweifeln wollen, sind die Aussichten für den lich sehr gut kennt, beziffert seine eigenen zusätzlichen Tourismus in Deutschland schlichtweg gut. Ausgaben und Belastungen mit 1,4 Millionen DM. Das können Sie, da die Franzosen im selben Augenblick ent- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lasten, im Wettbewerb zu den Nachbarn nicht mehr auf- und bei der SPD – Ernst Burgbacher [F.D.P.]: fangen. Dank Rot-Grün! – Gegenruf des Abg. Horst Dritter Punkt. Auch beim Hotel- und Gaststättenge- Kubatschka [SPD]: Jetzt haben Sie es begriffen, werbe gibt es zusätzliche Belastungen. Darüber können Herr Burgbacher!) Sie doch nicht so blauäugig hinweggehen. Die Hotels ha- – Ja, genau, dank Rot-Grün. – Die Zahl der Touristen, die ben eine durchschnittliche zusätzliche Belastung vonaus dem Ausland nach Deutschland reist, wächst ständig, (B) 10 000 DM. Sie wissen, dass der große Teil der Hotels fa- Herr Burgbacher. Auch nach der Einführung der ersten(D) miliengeführt ist. In diesen Fällen haben Sie keine Entlas- Stufe der Ökosteuerreform im April 1999 gab es einen er- tung bei der Rentenversicherung. neuten Anstieg um 3,7 Prozent. Es tut mir furchtbar Leid, aber mir erschließt sich nicht, Die Deutschen verreisen offensichtlich ebenfalls sehr wie man hier noch lachen und über alle Tatsachen hin- gern innerhalb des eigenen Landes. Der Deutsche Touris- weggehen kann. musverband – auch dem wollen Sie hoffentlich nicht die (Ilse Janz [SPD]: Das hat sie gesagt! Sie hätten Kompetenz absprechen – macht Deutschland als belieb- zuhören müssen!) testes Reiseziel der Deutschen aus. Trotz Ökosteuer, stel- len Sie sich das einmal vor! Da stellt sich mir doch die Ich sage Ihnen noch einmal: Wir haben im Tourismus Frage, wie diese Zahlen mit der Einschätzung zu verein- deutliche Steigerungsraten. Dafür gibt es sehr viele Grün- baren sind, die die CDU/CSU gerade getroffen hat: de, sicherlich auch die, die die Kollegin Irber genannt hat. Wenn Sie den Deutschlandtourismus stärken wollen, Die ersten beiden Stufen der Ökosteuer haben offen- dann nutzen Sie doch das Jahr des Tourismus dazu, die sichtlich zu massiven Belastungen der deutschen dritte Stufe und auch die bisherigen Stufen der Ökosteuer Tourismuswirtschaft und einer Schwächung ihrer in- zu streichen. ternationalen Wettbewerbsfähigkeit geführt. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Diese offensichtlich doch komplette Fehleinschätzung Horst Kubatschka [SPD]: Nein!) der Christdemokraten lässt erkennen, dass die Opposition Dann haben Sie einen Beitrag zum Jahr des Tourismus ge- lieber die Augen vor der Realität verschließt, als anzuer- leistet und werden den Tourismus fördern. Wir werden da kennen, dass die von ihr erwarteten negativen Auswirkun- nicht locker lassen, sondern weiter bohren. gen tatsächlich ausgeblieben sind und dass die rot-grüne Bundesregierung mit ihrer Reformpolitik, die man in ih- Danke schön. rer Gänze sehen muss, günstige Rahmenbedingungen für (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – die deutsche Tourismuswirtschaft geschaffen hat und Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das war eine gute schafft. Der Präsident des Bundesverbandes der deut- Rede!) schen Tourismuswirtschaft selbst hat kürzlich auf dem Welttourismusgipfel in Hannover – da waren Sie alle zugegen – genau diese Tatsache anerkannt. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:Das Wort hat jetzt die Kollegin Sylvia Voß. (Beifall bei der SPD) 13012 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000

Sylvia Voß (A) Sie hören das nicht gerne; aber es ist schlichtweg so. Da getragen. Denn die Bundesregierung hat in den Vereinba- (C) ist nichts mit Lügen, Herr Brähmig. rungen zur Ökosteuer die umweltfreundlichen Verkehrs- träger privilegiert. Angefügt sei noch, dass zum einen seit Mai 1999 12 Pfennig der gestiegenen Benzinpreise auf die Öko- (Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Die Busse zum steuer zurückzuführen sind und dass zum anderen die Beispiel!) Benzinpreise im europäischen Vergleich im Mittelfeld lie- Um nämlich die Verlagerung des Verkehrs auf öffentli- gen – das wissen auch Sie –, und zwar in der EU auf Platz che Verkehrsmittel zu beschleunigen, zahlt die Bahn für neun und in Gesamteuropa auf Platz zwölf. Also schreien einen festgelegten Zeitraum nur den halben Satz der Sie nicht immer im Zusammenhang mit der Ökosteuer! Stromsteuer und der ÖPNV nur den halben Ökosteuersatz Auch die immer wieder sehr lauten Rufe nach einer beim Kraftstoffverbrauch. Aussetzung der Ökosteuer, die vor dem Hintergrund der (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Belastungen durch den Ölpreisanstieg auftauchen und die wir gerade wieder gehört haben, Damit wird im Gegensatz zu Ihrer früheren Politik nicht nur die Wettbewerbssituation von Bahn und ÖPNV (Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Ja, das werden Sie gestärkt. Es wird für die Touristen auch die Attraktivität ständig hören!) der Städtereisen vergrößert. Denn letztendlich – das sei sollten zugunsten konstruktiver Debattenbeiträge ver-nur am Rande bemerkt – fällt bei der Anreise mit öffent- stummen. lichen Verkehrsmitteln das lästige Parkplatzproblem weg. (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Die Ökosteuer Festgelegte Mineralölsteuersätze und somit ähnliche ist doch eine absolute Nullnummer!) Bedingungen wie für den ÖPNV wurden für die Bustou- ristik vereinbart. Auch Sie sind ja auf die Bustouristik Nicht nur die Bundesregierung, sondern auch die sechs eingegangen. Bis 2003 sind hier die Mineralölsteuersätze großen wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinsti- festgelegt worden. Den Unternehmern in diesem Bereich tute – hören Sie jetzt einmal genau hin – begrüßen die wurde durch diese Regelung also genügend Zeit einge- deutliche Entlastung von Unternehmen und Verbrauchern räumt, steuerliche Belastungen beim Kraftstoffverbrauch durch die Steuerreform und lehnen eine Senkung der Mi- in die Preiskalkulation mit einzubeziehen. neralölsteuer oder gar eine Abschaffung der Ökosteuer als Reaktion auf den Ölpreisanstieg ab. Bezweifeln Sie den Nach Auskunft des Deutschen Tourismusverbandes Sachverstand der führenden deutschen Wirtschaftswis- – auch hier beziehe ich mich auf eine kompetente Institu- senschaftler tion, wie Sie das immer einfordern – werden sich keine negativen Auswirkungen auf den Tourismus bemerkbar (B) (Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Sagen Sie einmal (D) machen. Wenn die CDU/CSU nun weiterhin die Ansicht weiter, was die bei der Steuerreform fordern!) vertritt, dass „für Reisende aus Deutschland ... die Attrak- oder bezweifeln Sie den des früheren CDU-Bundesum- tivität des eigenen Landes als Urlaubsziel ... sinkt“, müs- weltministers Töpfer? Dieser erklärte am 13. November sen von ihr künftig ganz andere Gründe als die Ökosteuer dieses Jahres im „Morgenmagazin“: gesucht werden. Noch besser wäre es jedoch, endlich ein- mal die Realität zur Kenntnis zu nehmen und umwelt- und Ich glaube nicht, dass die Ökosteuer eine K.o.-Steuer tourismuspolitisch in der Wirklichkeit anzukommen. ist. Wir brauchen marktwirtschaftliche Signale. Wir brauchen Veränderungen von Energiepreisen, um Beherzigen Sie doch die Worte Ihres Parteifreundes Technik zu stimulieren, um Verhalten zu verändern. Klaus Töpfer, der seine Ausführungen im bereits ange- führten Interview mit dem Satz schloss: Sie sollten Ihrem Herrn Töpfer besser zuhören, statt sich in der „Bild“-Zeitung zu bilden, Herr Brähmig. Also, ein gutes Wort an alle, die Verantwortung mit tragen, hier nicht die kurzfristige Entwicklung, son- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dern die mittel- und langfristige Entwicklung in den und bei der SPD) Mittelpunkt zu stellen. Ein Ziel der Ökosteuer ist es, den Verkehr zunehmend Sie können nach dem Hau-drauf-Motto alles noch so auf öffentliche Verkehrsmittel zu verlegen. Schließlich verdrehen und schlechtreden, aber wahr werden Ihre Aus- profitiert auch der Städtetourismus, der sich im Übrigen sagen dadurch nicht. trotz Ihrer Äußerungen ebenfalls wachsender Beliebtheit erfreut, von einem Umstieg der Touristen vom eigenen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN PKW auf öffentliche Verkehrsmittel. und bei der SPD) (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Darauf habe ich hingewiesen! Sie haben überhaupt nicht zu- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat die gehört! – Ernst Burgbacher [F.D.P.]: Die Grü- Kollegin Neuhäuser. nen hören nie zu! Die haben die Wahrheit ge- pachtet!) Rosel Neuhäuser (PDS): Frau Präsidentin! Meine Wenn sich nun die CDU/CSU überzeugt zeigt, dass der Damen und Herren! Es ist leider nicht möglich, in drei öffentliche Nah- und Fernverkehr unter der Ökosteuer Minuten auf all die Fragen, die in der Großen Anfrage leide, so ist auch dieser Vorwurf von wenig Sachkenntnis eine Rolle spielen, einzugehen. Ich denke aber, dass ich Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000 13013

Rosel Neuhäuser (A) trotz der vielen Probleme, die hier aufgeworfen wurden, wichtiger Schritt aus unserer Sicht ist die Befreiung der (C) sagen kann, dass der Tourismus in Deutschland eine posi- ÖPNV- und Reisebusse von der Mineralölsteuer. Das tive Entwicklung nimmt. Die Zahlen sind aber nur eine heißt, dass die Auferlegung des halben Steuersatzes, die Seite, die Fakten sprechen für sich. bis jetzt vorgeschrieben ist, ausgesetzt werden muss. Ge- nau dafür setzen wir uns ein. Ich denke, es ist wichtig, darauf aufmerksam zu ma- chen, dass viele in diesem Haus den Tourismus für die Unser Fazit lautet: Das, was uns die rot-grüne Bundes- Jobmaschine schlechthin halten und ihn zur Leitökono- regierung als Ökosteuer verkaufen will – ich kann das mie erklären. Sie reden dabei nur wenig – ich habe heute vonseiten meiner Fraktion nur wiederholen; das haben nur einmal das Wort Umwelt gehört – über die Ökologie. wir schon des Öfteren gesagt –, ist kein Einstieg in den Gerade die Folgen des Tourismus für Natur und Umwelt ökologischen Umbau. Die Pläne der Regierung begünsti- werden oft im Zusammenhang mit der gen Touris- Großunternehmen und belasten insbesondere Men- musentwicklung in Deutschland verdrängt. Das wird si- schen mit geringerem Einkommen. Das kann man nicht cherlich auch für die Tourismusentwicklung verheerende oft genug deutlich machen. Folgen haben. Meine Damen und Herren, die Auswirkungen für den Die Entwicklungen im Tourismus können nicht bis ins Deutschlandtourismus sind nahe liegend: Eine Familie Unermessliche gefördert werden, meinen wir, weil Um- mit Kindern wird künftig bei der Urlaubsplanung sehr ge- welt und Natur das Hauptkapital des Tourismus sind. nau prüfen, welches Reiseziel das Familienbudget her- gibt. Ob dann das Ziel immer Deutschland sein wird, (Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: wage ich zu bezweifeln. Da sind wir uns einig!) Die Antwort der Bundesregierung auf die Große An- Zum Erhalt derselben brauchen wir andere Verbindlich- frage der CDU/CSU verstärkt in meinen Augen nochmals keiten, als Sie sie zum Beispiel im Papier der Bundesre- die soziale Ungerechtigkeit der Ökosteuer insbesondere gierung zur Ökosteuer festgeschrieben haben. mit Rücksicht auf die Tourismusbranche. Meine Fraktion hat in vielen dieser Debatten deutlich Vielen Dank. gemacht, dass die ökologische Steuerreform der Bundes- regierung den Namen nicht verdient, weil sie nicht ökolo- (Beifall bei der PDS) gisch ist und keine ökologischen Lenkungswirkungen hat. (Beifall bei der PDS – Sylvia Voß [BÜND- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:Das Wort hat NIS 90/ DIE GRÜNEN]: Doch, die hat jetzt die Kollegin Anita Schäfer. sie!) (B) (D) – Die hat sie nicht. Ich muss Ihnen doch nicht erklären, Anita Schäfer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe dass Steuern in der kapitalistischen Wirtschaft schon im- Kolleginnen und Kollegen! Bereits die ersten zwei Stufen mer Lenkungscharakter hatten. Wenn es also einedes rot-grünen Projektmanagements Ökosteuer haben ökologische Steuerreform sein soll, dann muss sie der Be- dem Tourismusstandort Deutschland im internationalen völkerung Erleichterungen bringen und die Menschen in Vergleich einen erheblichen Schaden zugefügt. die Debatte über einen ökologischen Umbau einbeziehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Kurz gesagt: Die ökologische Steuerreform braucht Diese Sondersteuer auf Benzin, Diesel, Strom und Heizöl Akzeptanz in der Bevölkerung. Von oben verordnetes um- belastet nicht nur die Reiseunternehmen und alle in der weltbewusstes Handeln über das Geld steuern zu wollen Branche Tätigen, sondern auch die touristischen Infra- wird von den Menschen als Bedrohung empfunden. Da- struktureinrichtungen, zum Beispiel bei Volksfesten und mit erreichen Sie, dass das Umsteuern im Verbrauch der in Freizeitparks. Ressourcen ad absurdum geführt wird. Es kann doch nicht angehen, dass Sie zum Beispiel die Energiesteuer beim Im Schaustellergewerbe ist die Mehrbelastung durch Verbrauch, aber nicht bei der Herstellung erheben. Das ist die gestiegenen Kraftstoff- und Energiekosten weitaus nicht ökologisch. Sie glauben doch selbst nicht, dass Sie höher als die von der Bundesregierung viel gepriesene Energie, Gas, Heizöl und Benzin verteuern, um den Ver- Entlastung bei den Lohnnebenkosten. Die Bundesregie- brauch zu beschränken. rung gibt auf unsere Anfrage hin sogar zu, dass das mo- bile Gewerbe, das Schaustellergewerbe, durch den hohen Ich möchte nun eine Anmerkung zur Benzinpreisstei- Strombedarf für die Beleuchtung und den Betrieb der gerung machen. Sie trifft unter anderem – das ist hier energieintensiven Fahrgeschäfte bei jährlich circa schon deutlich geworden – die Bahn, die Busse und das 40 000 Volksfesten und durch die hohen Kraftstoffkosten Taxigewerbe. Für mich bedeutet mehr Mobilität in dieser mehr belastet als entlastet wird. Gesellschaft: niedrigste Fahrpreise, ein dichteres ÖPNV- Netz, neue Busanbindungen an Bahnhöfen und Flughäfen (Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben die und den Ausbau, nicht den Abbau des Schienennetzes. Stromsteuer eingeführt!) (Beifall bei der PDS) Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, das alles wissen Sie doch. Warum tun Sie dann nichts? Das wiederum hätte auch positive Auswirkungen auf den Tourismus. Aber wir haben uns schon oft genug darüber Auch im Hotel- und Gaststättengewerbe liegt die unterhalten, dass diese Maßnahmen nicht erfolgen. Ein Kostenbelastung über der Entlastung der Betriebe bei den 13014 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000

Anita Schäfer (A) Lohnnebenkosten. Selbst bei umweltfreundlich geführten Deutschland den Arbeitsplatz sichert. Mit 10 000 produ- (C) Hotels macht das eine durchschnittliche Nettobelastung zierten Omnibussen in 1997 gehört die deutsche Automo- von jährlich 10 000 DM pro Betrieb aus. bilindustrie zu den weltweit führenden Omnibusherstel- (Brunhilde Irber [SPD]: Wo sind denn die lern. Kann die Gefährdung dieses Potenzials im Interesse Zahlen her? Quelle!) des Automannes Gerhard Schröder sein? – Ich kann das nachweisen. – Gerade weil wir es in die- Lassen Sie mich abschließend noch das „Unternehmen ser Branche in besonderem Maße mit Familienbetrieben Zukunft“, die Deutsche Bahn, ansprechen. Genauso wie zu tun haben, kommen die nicht rentenversicherungs-uns die Regierung nicht lange verheimlichen konnte, dass pflichtigen Selbstständigen und deren Familienange-die von Kanzler Schröder gemachten Entlastungsverspre- hörige auch nicht in den Genuss geringerer Renten-chen durch die Entfernungspauschale so wohl nicht zu beiträge. Das musste die Bundesregierung auf unserehalten sind, ist nun klar, dass die Deutsche Bahn jährlich Große Anfrage hin zugeben. immense Zuschüsse seitens des Bundes benötigt. (Horst Kubatschka [SPD]: Das wussten wir (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ auch vorher!) DIE GRÜNEN) Nicht nur wir von der CDU/CSU, sondern auch dieWarum also nehmen es die Verantwortlichen im Bundes- DEHOGA fordert schon seit Monaten, diese Belastungen verkehrministerium hin, dass es für die umweltfreundli- und die Standortnachteile wieder zurückzunehmen. che Bahn durch die Ökosteuer für die Jahre 1999 bis 2003 zu einer Nettobelastung von sage und schreibe 1,1 Milli- (Brunhilde Irber [SPD]: Das ist ein Lobbyver- arden DM kommt? Vom Nachfolger des zurückgetrete- band! Das ist dessen Job!) nen Bundesverkehrsministers Klimmt erwarte ich mehr – Das haben Sie schon einmal anders gesagt. Rückgrat. Ein anderes Beispiel ist die Bustouristik. Die Busrei- (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Ich erwarte gar seunternehmen sind von ihrer Veranlagung her mittel- nichts von ihm!) ständisch geprägt. Der Bus ist unter ökologischen – So kann man es auch sagen. Gesichtspunkten als vorbildlicher Verkehrsträger einzu- stufen. Die Bundesregierung gefährdet mit dieser so ge- Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordert die Bun- nannten Ökosteuer die Busreiseunternehmen in ihrerdesregierung auf, eine angemessene und gleichmäßige Existenz. Die Fahrten nach und innerhalb Deutschlands Förderung aller öffentlichen Verkehrsmittel umzusetzen, haben sich für den Touristen aus dem Ausland verteuert. anstatt alle gleichmäßig zu belasten. Ich fordere Sie auf: (B) Die Wettbewerbsverzerrungen gegenüber ausländischen Machen Sie Schluss mit der Ökosteuer! (D) Konkurrenzzielen vergrößern sich für den Tourismusstan- dort Deutschland. Damit haben Sie nicht nur der gesam- Meine Damen und Herren, ich wünsche Ihnen allen ein ten Branche einen Bärendienst erwiesen, sondern auch schönes Wochenende. Genießen Sie, wo immer Sie auch dem „Jahr des Tourismus“ eine jämmerliche Startposition wohnen, Ihre reizvolle Landschaft! verschafft. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Für unsere Bürger sinkt die Attraktivität des eigenen Landes zugunsten ausländischer Ferienziele, welche nun Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Dafür bedanken zunehmend mit dem Flugzeug angesteuert werden. wir uns. (Horst Kubatschka [SPD]: Weil sie keine Steu- Ich schließe die Aussprache. Wir sind damit am ern zahlen!) Schluss der heutigen Tagesordnung. Das heißt: Reiseland Deutschland, nichts wie weg! Ich Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- frage Sie: Kann diese unökologische Bilanz im Sinne des tages auf Dienstag, den 28. November 2000, 9 Uhr, ein. grünen Umweltministers sein? Auch ich wünsche den Kolleginnen und Kollegen so- (Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Der fliegt wie den letzten Besuchern ein schönes Wochenende. auch bald!) Die Sitzung ist geschlossen. Offensichtlich bedenken Sie dabei auch nicht, dass der Bus direkt und indirekt rund 750 000 Menschen in (Schluss: 14.50 Uhr) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000 13015

(A) Anlagen zum Stenographischen Bericht (C) Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Aigner, Ilse CDU/CSU 17.11.2000 Schily, Otto SPD 17.11.2000 Balt, Monika PDS 17.11.2000 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 17.11.2000 Hans Peter Dr. Bauer, Wolf CDU/CSU 17.11.2000 von Schmude, Michael CDU/CSU 17.11.2000 Behrendt, Wolfgang SPD 17.11.2000* Schösser, Fritz SPD 17.11.2000 Belle, Meinrad CDU/CSU 17.11.2000 Bosbach, Wolfgang CDU/CSU 17.11.2000 Schröder, Gerhard SPD 17.11.2000 Burchardt, Ursula SPD 17.11.2000 Schüßler, Gerhard F.D.P. 17.11.2000 Ehlert, Heidemarie PDS 17.11.2000 Schuhmann (Delitzsch), SPD 17.11.2000 Richard Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 17.11.2000 Schulhoff, Wolfgang CDU/CSU 17.11.2000 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 17.11.2000 Schultz (Everswinkel), SPD 17.11.2000 Haupt, Klaus F.D.P. 17.11.2000 Reinhard Dr. Haussmann, Helmut F.D.P. 17.11.2000 Seehofer, Horst CDU/CSU 17.11.2000 Hempelmann, Rolf SPD 17.11.2000 Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 17.11.2000 Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 17.11.2000 Dr. Thomae, Dieter F.D.P. 17.11.2000 (B) DIE GRÜNEN (D) Vogt (Pforzheim), Ute SPD 17.11.2000 Hohmann, Martin CDU/CSU 17.11.2000 Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 17.11.2000 Hornung, Siegfried CDU/CSU 17.11.2000 Weiermann, Wolfgang SPD 17.11.2000 Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 17.11.2000 Wissmann, Matthias CDU/CSU 17.11.2000 Kramme, Anette SPD 17.11.2000 Lambrecht, Christine SPD 17.11.2000 Wülfing, Elke CDU/CSU 17.11.2000

Lamers, Karl CDU/CSU 17.11.2000 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Lennartz, Klaus SPD 17.11.2000 Lörcher, Christa SPD 17.11.2000* Anlage 2 Nachtwei, Winfried BÜNDNIS 90/ 17.11.2000 DIE GRÜNEN Technisch bedingter Neudruck eines Rede- beitrages Naumann, Kersten PDS 17.11.2000 (133. Sitzung, Seite 12906 ff.) Nooke, Günter CDU/CSU 17.11.2000 Ostertag, Adolf SPD 17.11.2000 Dr. Karl A. Lamers(Heidelberg) (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege Markus Dr. Pick, Eckhart SPD 17.11.2000 Meckel hat Recht, wenn er sagt, dass die NATO als Licht- gestalt sicherlich auch das Licht einer Tagesdiskussion Poß, Joachim SPD 17.11.2000 verdient hätte, insbesondere im Hinblick auf die Parla- Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 17.11.2000 mentarische Versammlung, die morgen hier in Berlin stattfindet. Aber ich glaube, die NATO überstrahlt auch so Rachel, Thomas CDU/CSU 17.11.2000 das Dunkel dieser Nacht. Schenk, Christina PDS 17.11.2000 (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) 13016 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000

(A) Die Parlamentarische Versammlung der NATO, das Republik und Ungarn. Gleichzeitig beschloss sie, dass die (C) NATO-Parlament, wird am kommenden Wochenende Tür für weitere Mitglieder offen bleiben soll und muss. hier in der deutschen Hauptstadt Berlin ihre 46. Plenarta- Zweitens. Die NATO griff im Auftrag der Verein- gung abhalten. Dies geschieht zehn Jahre nach der Wie- ten Nationen zweimal auf dem Balkan ein: zum einen dervereinigung Deutschlands. in die laufenden Bürgerkriegsauseinandersetzungen in Zehn Jahre sind auch vergangen, seit die NATO-Part- Bosnien-Herzegowina und zum anderen im Kosovo, um ner auf dem Londoner Gipfel im Juli 1990 den ehemali- die ethnischen Auseinandersetzungen zwischen den gen Gegnern des Warschauer Paktes die ausgestreckte Volksgruppen zu beenden sowie Frieden und Wiederauf- Hand der Freundschaft anboten. Zehn Jahre ist es auch bau voranzubringen. Dies sind die ersten Out-of-area- her, dass dem vereinigten Deutschland in den so genann- Einsätze des Bündnisses gewesen. ten Zwei-plus-vier-Verhandlungen das Recht zugestan- Die SED-Nachfolgepartei PDS behauptet in ihrem An- den wurde, seine Bündniszugehörigkeit frei zu bestim- trag, men. Neun Jahre sind vergangen, seit die NATO 1991 den Nordatlantischen Kooperationsrat gründete und die ehe- (Rolf Kutzmutz [PDS]: Jetzt kommt es!) maligen Warschauer-Pakt-Staaten sowie die Nachfolge- dies sei „militärisch gestützte Machtpolitik“ gewesen. staaten der Sowjetunion als Kooperationspartner auf- nahm. (Beifall bei der PDS) Die Kooperation der NATO im Nordatlantischen Ko- Meine Kolleginnen und Ursula Lietz hat- ten durchaus Recht, als sie vorhin in der Diskussion sag- operationsrat, im Programm „Partnership for Peace“, im ten, sie seien über eine solche Äußerung empört. NATO-Russland-Rat und in der NATO-Ukraine-Kom- mission ist seither zentraler Punkt der Außenpolitik der (Beifall bei der CDU/CSU) Bündnispartner. Heute, zehn Jahre nach dem Beginn die- Ich muss sagen: Das, was hier betrieben wird, ist geradezu ser Politik, können wir sagen, dass die Gräben der Kon- Geschichtsfälschung; denn die NATO musste handeln, frontation, die in 40 Jahren Kalten Krieges entstanden wa- nachdem sich die UNO im Weltsicherheitsrat trotz ren, eingeebnet wurden. Europa ist heute – zum Glück – massivster Menschenrechtsverletzungen selbst blockier- weitgehend frei von den alten Klischees des Freund-te. Wäre man der Linie der PDS-Altkommunisten gefolgt, Feind-Denkens. (Lachen bei der PDS) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) dann hätte man dem Völkermord der Serben tatenlos zu- Die 1990 und 1991 oft gehörte Meinung, nicht nur der sehen und auf ein Eingreifen der OSZE warten müssen. Warschauer Pakt, sondern auch die NATO müsse aufge- (B) Wir alle wissen, das wäre das Todesurteil für weitere Hun- (D) löst werden, derttausende Menschen auf dem Balkan gewesen; denn (Beifall bei der PDS) die serbische Diktatur war weder durch Gebete – mit de- nen haben Sie es sowieso nicht so – noch durch gute wird heute nurmehr noch von den Unbelehrbaren der PDS Worte zu beschwichtigen. vertreten und artikuliert. (Zuruf von der PDS) (Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.) – Ich weiß gar nicht, warum Sie sich so aufregen, wenn ich hier die Fakten aufzähle. – – Ich freue mich, wie lebendig Sie noch zu dieser späten (Beifall bei der CDU/CSU) Stunde sind. Großartig! – Die Geschichte ist zum Glück darüber hinweg gegangen. Denn die NATO hat gezeigt, Die OSZE ihrerseits war der konkreten Herausforderung dass sie mit ihrer Stabilitätspolitik und dem von ihr gesi- in diesem Moment in keiner Weise gewachsen. cherten Stabilitätsraum unverzichtbar für den Weltfrieden Die OSZE ist zwar ein wichtiger Teil der europäischen ist. Sicherheitsarchitektur. Aber zu der Absicht, den Grund- (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) satz „OSZE first“ baldmöglichst durchzusetzen, vielleicht auch noch auf Kosten der NATO – das ist eine Forderung, Ja, viele Länder möchten nach wie vor möglichst schnell die auch in diesem Hause immer wieder erhoben wird –, unter den Schutzschirm der NATO kommen und ichmöchte ich klar sagen: Für uns gilt ohne jede Einschrän- meine, sie alle haben einen guten Grund. Sie haben auch kung, dass die NATO zentrales Instrument der Sicher- nichts gegen den Stabilitätsexport. Denn das ist es, was heitsarchitektur in Europa ist und bleibt. Sie allein ist Ga- viele Länder seit 1990 wollen: innere und äußere Stabi- rant des Friedens. lität, um in Frieden und Freiheit leben zu können. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Sie sorgt nicht nur mit Worten, sondern vor allem auch mit Auf zwei weitere Entwicklungen seit 1990/91 möchte Taten für die Einhaltung der Menschenrechte. ich hinweisen: (Gernot Erler [SPD]: Das nenne ich NATO- Erstens. Die NATO nahm auf ihrem Jubiläumsgipfel in Leitkultur!) Washington im Jahre 1999 die am weitesten fortgeschrit- – Das ist ein guter Begriff. tenen Reformstaaten des ehemaligen Ostblocksals gleichberechtigte Mitglieder auf: Polen, die Tschechische (Lachen bei der SPD und der PDS) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000 13017

(A) Die Parlamentarische Versammlung der NATO, früher Über unser Verhältnis zu Russland habe ich bereits ge-(C) NAV genannt, hat bei all diesen Epoche machenden Ent- sprochen. Zugleich geht es uns aber auch darum, nukleare wicklungen und Ereignissen, die ich angesprochen habe, Abrüstung zu forcieren und den Anti-Ballistic-Missile- wesentliche Schrittmacherdienste geleistet, ja, sogar eine Vertrag, obwohl dieser teilweise als überholt gelten muss, Vorreiterrolle gespielt. Ich denke an die parlamentarische (Zuruf von der SPD: Na, na!) Einbindung der ehemaligen Ostblockländer. Wichtig ist nicht nur, dass Beschlüsse auf Gipfelkonferenzen von Re- auch für die Zukunft als rüstungskontrollpolitisches Ele- gierungen gefasst werden, sondern auch, dass wir uns auf ment zu erhalten. Deswegen erscheint es uns notwendig, parlamentarischer Ebene mit den Dingen befassen und dass wir insbesondere mit den Russen ins Gespräch kom- über sie diskutieren. Das NATO-Parlament ist so zu einem men, um eventuell im Wege einer Modifizierung zum Er- wichtigen Faktor für die Meinungsbildung im Bündnis halt des ABM-Vertrages beizutragen. geworden und stellt das parlamentarische Gleichgewicht (Beifall bei der CDU/CSU) zu den Beschlüssen der Bündnisregierungen und Minis- terräte her. Trotzdem bleibt noch viel zu tun. Meine Damen und Herren, schließlich fordern wir eine gemeinsame Strategie der Allianz zur Eindämmung der Eine zentrale Herausforderung für das Bündnis und Proliferation von Massenvernichtungswaffen und der ent- auch für die Parlamentarische Versammlung der NATO ist sprechenden Trägertechnologie. Die Parlamentarische das Verhältnis zu Russland. Versammlung der NATO fordern wir auf, ihre vorandrän- (Zuruf von der PDS) gende Rolle bei der Öffnung des Bündnisses für weitere Mitglieder auch weiterhin wahrzunehmen. – Sehr richtig, das haben auch Sie begriffen. – Ohne eine funktionierende Zusammenarbeit mit Russland kann we- Wir laden die russische Staatsduma ausdrücklich ein, der die neue europäische Sicherheitsarchitektur noch die an der Plenartagung der Parlamentarischen Versammlung Friedenssicherung in der Welt funktionieren. Das erfolg- der NATO teilzunehmen und die parlamentarische Dis- reiche Eingreifen der NATO im Kosovo hat das Verhält- kussion über die Sicherheit und Zusammenarbeit in Eu- nis zu Russland belastet. Aber nachdem es einen Macht- ropa und in der Welt aufzunehmen, sich in diese Diskus- wechsel in Russland gegeben hat und Vladimir Putinsion hineinzubegeben und so den Versuch zu machen, das Präsident wurde, gibt es glücklicherweise Anzeichen für von uns als richtig Erkannte mit zu verwirklichen, näm- lich einen gemeinsamen Weg zu finden. Frieden und Si- einen Neustart in der Zusammenarbeit. cherheit durch Kooperation sowie demokratische Stabi- Ein weiteres Feld ist das Verhältnis zwischen NATO lität in ganz Europa zu fördern, ist und bleibt unser großes und Europäischer Union. Die Entscheidungen für eine Ziel. gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik, (Beifall bei der CDU/CSU) (B) für eine gemeinsame europäische Sicherheits- und (D) Verteidigungspolitik, für eine Integration der WEU in die Meine Fraktion ist bereit, die geeigneten Maßnahmen EU und für die Errichtung einer neuen Krisenreaktions- mitzutragen, die uns diesem Ziel gemeinsam näher brin- streitmacht in Europa sind Meilensteine auf dem Weg, an gen. dessen Ende die Europäer einen größeren Beitrag zur Si- Ich danke Ihnen. cherung des Friedens in der Welt als bisher übernehmen werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P so- wie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Sowohl der NATO als auch der Europäischen Union ist klar: NATO und europäische Sicherheits- und Verteidi- Anlage 3 gungspolitik sind kein Widerspruch. Sie sind zwei Seiten einer Medaille. Die EU wird künftig mehr Verantwortung Technisch bedingter Neudruck einer zu Protokoll ge- für die Sicherheit in Europa übernehmen müssen. Wir er- gebenen Rede warten insbesondere vom bevorstehenden Gipfeltreffen zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur in Nizza weit reichende Entscheidungen zur gemeinsa- Namensaktie und zur Erleichterung der Stimm- men Sicherheits- und Verteidigungspolitik. rechtsübung (Namensaktiengesetz – NaStraG) Das Thema „National Missile Defense“– Markus (Tagesordungspunkt 12, 133. Sitzung) Meckel hat es angesprochen – hat in der Parlamentari- schen Versammlung der NATO zu einer intensiven Dis- Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär bei der Bun- kussion geführt. Wir werden auch am Wochenende da- desministerin der Justiz: Das Internet und die neuen Tele- rüber sprechen, um hier zu einem gemeinsamen Vorgehen kommunikationsmedien werden sich auf alle Rechtsge- zwischen unseren amerikanischen Freunden und den Eu- biete auswirken. Die Gesetzgebung muss hier rasch ropäern zu gelangen. gestaltend eingreifen und die Modernisierung unseres Meine Damen und Herren, am Herzen liegt uns auch Rechts vorantreiben. Mit dem heute zur Verabschiedung die Fortführung des Stabilitätsexportsder NATO, das anstehenden Entwurf eines Namensaktiengesetzes wollen heißt die Fortsetzung der Politik der offenen Tür. wir dies für das Aktienrecht tun. Hier erscheint eine Mo- dernisierung dringlich. Die Verwendung neuer Tech- (Gernot Erler [SPD]: Die Stabilität bleibt nologien ist in den Kapitalmärkten besonders fortge- hier!) schritten. 13018 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000

(A) Um ein Beispiel vor Augen zu führen: Ein Anleger, der den Antrag haben. Aber nachdem Sie, meine Damen und (C) von seinem Laptop aus seine Kauf- und Verkaufentschei- Herren Kollegen von der CDU/CSU und der F.D.P.-Frak- dungen online trifft, versteht es nicht mehr, dass er be- tion, in der 12. und 13. Wahlperiode zweimal vergeblich stimmte Unternehmensmitteilungen nicht auch online er- versucht haben, das VW-Gesetz abzuschaffen oder zu än- halten oder seine Stimmrechtvollmachten auf diesemdern, sollte Ihnen einsichtig geworden sein: Es wäre rich- Wege erteilen kann. Das Namensaktiengesetz wird dies tiger und besser, wenn der Anstoß zur Reform in diesem möglich machen. Fall von den Betroffenen selbst ausginge. Erstens wird das völlig veraltete Recht zur Namensak- Auch Ihren Vorschlag zur Reform des Anfechtungs- tie grundlegend aktualisiert und auf den Stand moderner rechts nehmen wir durchaus ernst. Ich bin aber nicht da- Datenübertragung und elektronischer Aktienregister ge- mit einverstanden, einen so wichtigen, im Einzelnen in bracht. Dabei haben wir besonderen Wert auf die daten- der Wissenschaft und Praxis umstrittenen Vorschlag von schutzrechtliche Absicherung und Verbesserung gelegt. erheblicher Tragweite handstreichartig und ohne Diskus- Der einzige streitige Punkt war die Frage, wer die Kosten sion mit den beteiligten Kreisen im Rahmen eines völlig für die Datenübermittlung tragen sollte. Es wäre schön, anderen Gesetzgebungsverfahrens mitzuregeln. Es ist Ihr wenn sich die Streitpunkte auch bei anderen Vorhaben auf gutes Recht, auf das Thema hinzuweisen und Änderungen solche Details reduzieren ließen. Ich danke den Bericht- anzumahnen. Wir lassen uns aber eine sorgfältige Geset- erstattern dafür, dass sie eine sehr ausgewogene Lösung zesarbeit dadurch nicht nehmen. Das Anfechtungsrecht ist hierzu gefunden haben. zudem zentraler Punkt in der von der Bundesregierung Zweitens – dieser Punkt ist vielleicht noch wichtiger –: eingesetzten Corporate Governance Kommission, wo wir In dem Entwurf werden viele Formerfordernisse aus alter Gelegenheit haben, den gesamten Sachverstand einzu- Zeit rund um die aktienrechtliche Hauptversammlung so- sammeln. weit wie möglich heruntergefahren. Teilnehmerverzeich- nisse auf den Hauptversammlungen werden in Zukunft auf Bildschirmen dargestellt, Aufsichtsratssitzungen kön- Anlage 4 nen im Bedarfsfall rasch als Videokonferenz einberufen werden, Stimmrechtsvollmachten können auch in elektro- Technisch bedingter Neudruck einer zu Protokoll ge- nischer Form erteilt werden und Ähnliches mehr. Dies gebenen Rede sind mutige Modernisierungen unseres Aktienrechts. zur Beratung des Antrags: Sachgerechter Schutz Das Namensaktiengesetz wird dem nicht mit dem Ge- der Rechte für Software sellschaftsrecht befassten Betrachter als eine eher techni- (Tagesordnungspunkt 19, 133. Sitzung) (B) sche Novelle erscheinen. Der Entwurf hat aber das Poten- (D) zial, eine beachtliche Modernisierung und Veränderung Dr. Eckardt Pick, Parl. Staatssekretär bei der Bun- anzuschieben. Es wird zum Beispiel interessant zu be- desministerin der Justiz: Das Patentrecht erfreut sich der- obachten sein, wie in der Zukunft die Stimmrechtsaus- zeit sowohl national als auch auf europäischer und inter- übung auf den Hauptversammlungen unserer Aktienge- nationaler Ebene wieder einmal großer Aufmerksamkeit. sellschaften neu organisiert werden wird. Das Der alte vorliegende Antrag der CDU/CSU-Fraktion lenkt das Depotstimmrecht der Banken wird Konkurrenz bekom- Augenmerk insbesondere auf die Patentierbarkeit von men, so viel können wir heute schon vorhersagen. Software. Das ist im Grunde richtig, denn es handelt sich Das Gesetz enthält weiter eine Einschränkung des sehr um ein wichtiges Thema, das uns noch länger beschäfti- bürokratischen und aus heutiger Sicht unverständlichgen wird. komplizierten Nachgründungsverfahrens für neu gegrün- Aber warum diese Eile; warum der Antrag, heute da- dete Aktiengesellschaften. Dies betrifft besonders dierüber abzustimmen? Es handelt sich um Fragen, die eine Start-Up-Unternehmen und die Neuemissionen am Neuen eingehende Erörterung erfordern. Und dem wird sich die Markt. Die beteiligten Kreise haben diesen Gesetzge-Bundesregierung nicht verschließen. Im Gegenteil: Sie bungsvorschlag mit großer Erleichterung aufgenommen. beschäftigt sich fortlaufend mit dem Schutz von Compu- Sie können sich vorstellen – oder sie werden es schon wis- terprogrammen, nicht nur durch Patente, und führt derzeit sen –, dass dieser Entwurf hohe Zustimmung bei allen be- einen intensiven Dialog mit allen betroffenen und interes- teiligten Kreisen gefunden hat und dringlichst erwartet sierten Kreisen. wird. Ich möchte deshalb an dieser Stelle den Berichter- stattern und den Kollegen im Rechtsausschuss, aber auch Dies gilt insbesondere – aber nicht nur – im Hinblick im Wirtschaftsausschuss für die sehr zügige und kon-auf die derzeit diskutierte Änderung von Art. 52 Abs. 2 struktive Beratung des Entwurfs danken. Das gilt über die des Europäischen Patentübereinkommens – kurz EPÜ. Fraktionsgrenzen hinweg. Ich freue mich, sagen zu kön- Hier muss die Bundesregierung nicht, wie man so schön nen, dass wir damit auch im internationalen Vergleich auf sagt, „zum Jagen getragen werden“! Und die Haltung der diesem Rechtsgebiet eine innovative Rolle übernehmen. Bundesregierung ist bekannt, nicht erst seit ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der F.D.P. vom 24. Oktober 2000, Zum Schluss möchte ich noch kurz auf die zwei Ihnen nachzulesen in Drucksache 14/4397. vorliegenden Änderungsanträge der F.D.P.-Fraktion ein- gehen. Sie betreffen den Entwurf nicht unmittelbar. Beim Worum geht es? – Softwarepatente sind Patente und VW-Gesetz ist immerhin ein Zusammenhang nicht zu Patente werden für Erfindungen erteilt. Grundlage ist, leugnen. Es ist auch nicht so, dass wir kein Verständnis für dass grundsätzlich in allen Bereichen der Technik rechtli- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000 13019

(A) cher Schutz durch das Patentrecht zur Verfügung gestellt Diskussion darauf ankommen, sicherzustellen, dass die(C) werden muss. Es ist nicht zulässig, einen Bereich derAnforderungen an die Patentvergabe nicht herunterge- Technik zu diskriminieren. Dieser Gedanke ist internatio- schraubt werden und dass ein Patent auch in Zukunft nur nal vor allem in Art. 27 des WTO-Übereinkommens über dann vergeben werden kann, wenn eine technische Erfin- handelsbezogene Aspekte der Rechte geistigen Eigen- dung zum Patent angemeldet wird. Es wird auch darauf tums, dem so genannten WTO-TRIPS-Übereinkommen, ankommen, dass kein Signal gesetzt wird, das im Sinne verankert. Dies ist die Grundlage, an die wir uns halten einer Behinderung der Softwareentwicklung missverstan- müssen. Für jede Erfindung, die die allgemeinen Paten- den werden kann. Die Bundesregierung beteiligt sich in- tierungsvoraussetzungen erfüllt, muss Patentschutz ge- tensiv an dieser Diskussion. währt werden. Das gilt auch für softwarebezogene Erfin- Eines ist aber ganz wichtig. Das Patentrecht hat im Be- dungen. reich der Softwareerfindungen gerade für kleinere und Die im Patentgesetz und im Europäischen Patentüber- mittlere Unternehmen und auch für freie Softwareent- einkommens verankerten – im Wesentlichen wortglei-wickler eine ganz erhebliche Bedeutung. Denn sie kennen chen – Vorschriften über die Patentierungsvoraussetzungen die bereits heute bestehenden Möglichkeiten, Patente für legen aber auch die Grenzen für das fest, was nicht pat- Softwareerfindungen zu erlangen, häufig nicht. Sie haben entfähig ist. Ein Patent darf nicht erteilt werden, wenn auch nicht, wie große Unternehmen, die Marktmacht, um keine Erfindung vorliegt. Und nicht jede Software ist eine sich gegen unberechtigte Nachahmungen ihrer Erfindun- Erfindung. Beispielhaft erläutert Art. 52 Abs. 2 und 3 EPÜ, gen zu verteidigen. Deswegen haben gewerbliche Schutz- dass „Programme für Datenverarbeitungsanlagen alsrechte gerade für kleinere und mittlere Unternehmen und solche“ nicht als Erfindungen angesehen werden. für freie Softwareentwickler ganz erhebliche Bedeutung. Man darf ihnen diese Schutzrechte nicht nehmen. Aber Auf der Diplomatischen Konferenz in diesem Novem- sie dürfen im Interesse der Innovationsfähigkeit vernetz- ber in München ist nun über einen Vorschlag des Europä- ter Entwicklungsbereiche auch keine überschießende ischen Patentamtes zu entscheiden, der beabsichtigt, die Tendenz haben. Worte „Programme für Datenverarbeitungsanlagen“ aus Art. 52 Abs. 2 Buchst. c des Übereinkommens zu strei- Insofern enthält der vorliegende Antrag teilweise zwar chen. Dieser Vorschlag hat eine rechtliche und eine poli- bedenkenswerte, aber keine neuen und teilweise auch ir- tische Seite. reführende Gesichtspunkte. Ein Beschluss, der darauf ab- zielt, ein Moratorium für Softwarepatente zu erreichen, Rechtlich betrachtet, würde sich an der Patentierbar- verkennt einerseits die rechtliche, auch durch die Welt- keit von Softwareerfindungen überhaupt nichts ändern, handelsorganisation begründete Verpflichtung, Patent- wenn in München beschlossen wird, diese Worte aus dem schutz für Erfindungen zur Verfügung zu stellen. Ande- (B) Europäischen Patentübereinkommen zu streichen. Vor al- rerseits fügt er im Ergebnis kleinen und mittleren Un-(D) lem würde das keine Ausweitung der Patentierbarkeit von ternehmen und freien Softwareentwicklern Schaden zu. Software bedeuten. Das sollte man im Hinterkopf behal- ten. Schließlich ist noch hervorzuheben, dass eine Aus- flucht nicht in einem besonderen Schutzrecht, das nur für Wenn Sie die Bestimmung des Art. 52 des Europä-neu entwickelte Software geschaffen werden würde, ge- ischen Patentübereinkommens lesen, so werden Sie erken- sucht werden darf. Damit ist niemandem geholfen. Wir nen, dass dort im Abs.2 lediglich Beispiele für das genannt können eine Zersplitterung des Rechtsschutzsystems, die sind, was in der Regel nicht als Erfindung angesehen wird. durch die Schaffung von verschiedenen besonderen Diese Vorschrift befreit das Patentamt nicht von der Prü- Schutzrechten erreicht würde, nicht befürworten. Die Er- fung, ob im Einzelfall nicht doch eine Erfindung vorliegt. fahrung hat gezeigt, dass solche Sui-generis-Schutzrechte Wenn eine Erfindung gemacht ist und alle Voraussetzun- mit der Entwicklung der Technik nicht Schritt halten. Sie gen für ein Patent vorliegen, muss ein Patent erteilt wer- veralten und werden dann schlicht nicht mehr benutzt. den. Die Bundesregierung hat sich im Hinblick auf die lau- Wesentlich wichtiger als diese rechtliche Überlegung fende Diskussion auf europäischer Ebene – und insbeson- ist der politische Gesichtspunkt, dass eine Entscheidung, dere um kein missverständliches Signal zu setzen – wie wie die rechtliche Regelung des Patentrechts für Software die Delegationen der anderen großen Vertragsstaaten bei in Zukunft aussehen sollte, nicht in der Europäischen Pa- der Europäischen Patentorganisation gegen die Strei- tentorganisation, sondern in der Europäischen Union ge- chung der Worte „Programme für Datenverarbeitungsan- troffen werden muss; und dies nach eingehenden Konsul- lagen“ aus dem EPÜ stark gemacht. Die Streichung hat tationen. Hier geht es nicht um ein „Moratorium“, wie es zwar auf der Verwaltungsratssitzung der Europäischen der vorliegende Antrag fordert, sondern um eine Bestands- Patentorganisation Anfang September zunächst eine aufnahme des geltenden Patentrechts und dann eventuell knappe Mehrheit erhalten. Deutschland bemüht sich aber eine harmonisierte Weiterentwicklung auf europäischer derzeit – zusammen mit den gleichgesinnten Staaten Dä- Ebene. nemark, Frankreich, Schweden, Spanien, Portugal, dem Vereinigten Königreich und Luxemburg – intensiv darum, Die Diskussionen in der Europäischen Union werden dass die endgültige Entscheidung auf der in Kürze statt- bereits sehr intensiv geführt. Die Generaldirektion Bin- findenden Diplomatischen Konferenz anders ausfällt. nenmarkt hat im Internet ein Konsultationsdokument ver- öffentlicht und wird das Ergebnis dieser Sondierung bis Wir werden uns bis zuletzt dafür einsetzen, die ange- zum Ende des Jahres auswerten. Es wird bei der weiteren sprochene Änderung des Art. 52 Abs. 2 des Europäischen 13020 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000

(A) Patentübereinkommens zu verhindern. Wir befürworten – Bundesfernstraßen 4 Milliarden DM, (C) eine breite Debatte über Wettbewerb und Innovation auf – Bundesschienenwegen 3 Milliarden DM, den Softwaremärkten. Wir werden uns auch aktiv an den Beratungen zur Entwicklung einer europäischen Richtli- – Bundeswasserstraßen 0,5 Milliarden DM. nie beteiligen. Deswegen sind wir zwar dankbar für Un- terstützung auch des Bundestages für unsere Haltung bei – Gesetz zum Römischen Statut des Internationalen den Verhandlungen, halten den vorliegenden Antrag aber Strafgerichtshofs vom17. Juli 1998 (IStGH-Statut- für überflüssig. gesetz) Im Hinblick auf die übrigen im Antrag der Opposition Der Bundesrat hat ferner die folgende Entschließung angesprochenen sachlichen Fragen des Softwareschutzes, gefasst: die einer intensiveren Erörterung durch die Fachleute be- Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, zu Arti- dürfen, besteht keinerlei Notwendigkeit, darüber heute zu kel 87 Abs. 2 des Übereinkommens eine Er- beschließen; dies kann zunächst in den Ausschüssen be- klärung abzugeben, wonach dem Ersuchen um Zu- handelt werden. Insofern spreche ich mich nachdrücklich sammenarbeit und allen zu ihrer Begründung dafür aus, den vorliegenden Antrag an die zuständigen beigefügten Unterlagen Übersetzungen des Ersu- Ausschüsse zu verweisen. chens und der Unterlagen in deutscher Sprache beizufügen sind, sofern das Ersuchen und die bei- gefügten Unterlagen nicht in deutscher Sprache ab- Anlage 5 gefasst sind. Die Praxis des Rechtshilfeverkehrs zeigt, dass ein Übersetzungsverzicht nicht zu der Amtliche Mitteilungen gewünschten beschleunigten Erledigung von Ersu- Der Bundesrat hat in seiner 756. Sitzung am 10. No- chen beiträgt. Darüber hinaus begibt sich die vember 2000 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen ersuchende Behörde der Möglichkeit, Rechtshil- zuzustimmen, bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Ab- feersuchen durch rasche Übersetzung zu be- satz 2 Grundgesetz nicht zu stellen: schleunigen. In der Praxis des Rechtshilfeverkehrs in Strafsachen hat dies dazugeführt, dass bei wich- – Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Arti- tigen und eiligen Ersuchen trotz vertraglich verein- kel 16) barten Übersetzungsverzichts Übersetzungen bei- – Gesetz zu dem Übereinkommen vom 6. März 1997 gefügt werden. Daher ist schon in dem Bericht vom zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages 6. April 1990 der von der 60. Konferenz der Justiz- über den Geheimschutz minister und -senatoren beauftragten Arbeits- (B) gruppe zur Vereinfachung des internationalen(D) – Gesetz über die assoziierte Mitgliedschaft der Re- Rechtshilfeverkehrs in Strafsachen, insbesondere publik Polen, der Tschechischen Republik und der im Hinblick auf den geplanten Wegfall der Perso- Republik Ungarn in der Westeuropäischen Union nenkontrollen an den Binnengrenzen der EG, emp- – Gesetz zur Umrechnung und Glättung steuerlicher fohlen worden, es solle grundsätzlich kein Über- Euro-Beträge (Steuer-Euroglättungsgesetz – StEuglG) setzungsverzicht vereinbart, bestehende Regeln sollten aufgehoben werden. – Gesetz zur Änderung des Begriffs „Erziehungs- urlaub“ Im Übrigen hat der Bundesrat bereits in seiner – Gesetz zur Änderung des Opferentschädigungs- Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesre- gesetzes und anderer Gesetze gierung zu dem Vertrag vom 29. Oktober 1985 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und – Gesetz zu dem Protokoll vom 22. März 2000 zur dem Königreich Marokko über die Rechtshilfe und Änderung des Übereinkommens vom 9. Fe- Rechtsauskunft in Zivil- und Handelssachen die in bruar 1994 über die Erhebung von Gebühren für dem Vertrag vorgesehene Sprachenregelung als die Benutzung bestimmter Straßen mit schweren unbefriedigend bezeichnet, weil danach einseitig Nutzfahrzeugen der deutschen Seite Übersetzungspflichten oblie- Ferner hat der Bundesrat folgende Entschließung ge- gen und weil hierdurch Bund und Ländern Kosten- fasst: und Haftungsrisiken entstehen. Die Bundesregie- rung hat in ihrer Gegenäußerung erklärt, sie werde Der Bundesrat bekräftigt seinen Beschluss vom bei künftigen Verhandlungen mit anderen Staaten 14. Juli 2000 – BR-Drucksache 320/00 (Beschluss) – anstreben, hinsichtlich der Verwendung einer ver- mit der Bitte an die Bundesregierung, das aus den mittelnden Sprache nach Möglichkeit keine ver- Straßennutzungsgebühren für Lastkraftwagen re- traglichen, sondern flexiblere Absprachen zu tref- sultierende Aufkommen zweckgebunden für die fen (s. BT-Drs. 11/2026). Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur in der Bun- Die Fraktion der PDS hat mit Schreiben vom 9. No- desrepublik Deutschland zur Verfügung zu stellen. vember 2000 den Antrag „Sanktionen gegen Kuba auf- Er verweist ferner auf die Ergebnisse der Pällmann- heben“ – Drucksache 14/4499 – zurückgezogen. Kommission, die eine Finanzlücke für Bau und In- standhaltung bei allen Verkehrsträgern festgestellt Der Vorsitzende des folgenden Ausschusses hat mitge- hat, und zwar jährlich mindestens bei teilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Ge- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. November 2000 13021

(A) schäftsordnung von einer Berichterstattung zu der nach- Drucksache 14/4170 Nr. 2.21 (C) stehenden Vorlage absieht: Drucksache 14/4170 Nr. 2.26 Drucksache 14/4170 Nr. 2.36 Haushaltsausschuss Drucksache 14/4170 Nr. 2.41 Drucksache 14/4170 Nr. 2.51 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 14/4170 Nr. 2.53 Haushaltsführung 2000 Drucksache 14/4170 Nr. 2.86 Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 10 02 Titel 683 06 – Haushaltsausschuss Zuweisungen nach dem Gesetz über die Verwendung von Gasöl durch Betriebe der Landwirtschaft (LwGVG) Drucksache 14/4170 Nr. 2.39 – Drucksachen 14/3655 (neu), 14/3720 Nr. 2 – Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 14/4170 Nr. 2.1 Haushaltsführung 2000 Drucksache 14/4170 Nr. 2.22 Weitere überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 10 04 Drucksache 14/4170 Nr. 2.23 Titel 682 04 – Von der EU nicht übernommene Markt- Drucksache 14/4170 Nr. 2.33 ordnungsausgaben – bis zur Höhe von 34 007 TDM Drucksache 14/4170 Nr. 2.37 Drucksache 14/4170 Nr. 2.38 – Drucksachen 14/4123, 14/4169 Nr. 2 – Drucksache 14/4170 Nr. 2.48 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 14/4170 Nr. 2.54 Drucksache 14/4170 Nr. 2.58 Haushaltsführung 2000 Drucksache 14/4170 Nr. 2.60 Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 12 17 Titel 831 12 Drucksache 14/4170 Nr. 2.90 – Beteiligung an Flughafengesellschaften und Erhöhung Drucksache 14/4309 Nr. 1.16 von Kapitalrücklagen Drucksache 14/4309 Nr. 1.40 – Drucksachen 14/3942, 14/4093 Nr. 1.9 – Drucksache 14/4309 Nr. 1.44 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Ausschuss für Gesundheit Haushaltsführung 2000 Drucksache 14/4170 Nr. 2.50 Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 12 25 Titel 642 01 Drucksache 14/4170 Nr. 2.55 – Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz Drucksache 14/4309 Nr. 1.29 – Drucksachen 14/3876, 14/4093 Nr. 1.8 – Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- Drucksache 14/3050 Nr. 2.15 geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla- Drucksache 14/3576 Nr. 2.20 gen bzw. Unterrichtungen durch das europäische Parla- (B) Ausschuss für Menschenrechte und (D) ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung humanitäre Hilfe abgesehen hat. Drucksache 14/1617 Nr. 1.1 Auswärtiger Ausschuss Drucksache 14/2609 Nr. 1.16 Drucksache 14/3050 Nr. 1.4 Drucksache 14/3576 Nr. 1.15 Drucksache 14/3428 Nr. 1.4 Drucksache 14/3859 Nr. 1.10 Drucksache 14/3428 Nr. 1.6 Drucksache 14/4170 Nr. 2.25 Drucksache 14/3576 Nr. 1.3 Finanzausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 14/4170 Nr. 2.17 Drucksache 14/4170 Nr. 2.18 Drucksache 14/4170 Nr. 2.83

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