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on, aber auch von der Wirtschaft, gestellt wurde. An dieser Front wird Schröder also wohl kaum auf Widerstand stoßen. Schwieriger dürfte für den Kanzler die Überzeugungs- arbeit im eigenen Lager ausfallen. Denn so sinnvoll die neuerliche Kehrtwende sein mag, die politischen Folgeschäden sind enorm. Sein Nachfolger in Niedersachsen muss – mitten im Wahlkampf – eine emp- findliche Schlappe hinnehmen. Schon am Freitag spottete Oppositions- führer Christian Wulff mit Blick auf die Reibereien Schröders mit Gabriel: „Ma- chen Sie Schluss mit Ihrem Steuerchaos.“ Gabriel versuchte zur gleichen Zeit mög- lichst unauffällig zurückzurudern. Die nie- dersächsische SPD ließ den Druck von Pla- katen stoppen, auf denen für die Vermö- gensteuer geworben werden sollte. Die mit Brachialgewalt erzwungene Wende ist auch für Schröder nicht ohne Risiko, weshalb er am Freitag die Vorar- beiten seines Kanzleramtschefs nicht kom- mentieren wollte. Völlig unklar war zu diesem Zeitpunkt, wie Gewerkschaftsfüh- rer und weite Teile der eher traditionell orientierten Fraktion auf die neue Wen- digkeit reagieren würden. Womöglich steht dem Land eine neue Debatte bevor: Wie reich ist reich? Warum müssen alle Top-Verdiener bis zur Hälfte ihres Einkommens an den Fiskus abtreten, während die wirklich Reichen mit einer Pauschalsteuer davonkommen? Wieso wird der kleine Steuerhinterzieher belangt, der- weil die Milliardäre nun ihre illegal ver- walteten Vermögen steuerschonend wie- der zurücktransferieren? Und auch politisch bleiben etliche Fra-

gen: Wie kann ein Regierungschef in so PRESS / ACTION GRABKA THOMAS kurzer Zeit so schwungvoll die Meinung Fraktionsvorsitzender Müntefering: „Beton ist ein dankbarer Stoff“ wechseln? Welches Koordinatensystem liegt einer Politik zu Grunde, die den Vermögen- den erst eine zusätzliche Steuer androht, SPD um dann eine bestehende zu senken? Für viele Sozialdemokraten jedenfalls waren schon die letzten Vorstöße des Der ewige Parteisoldat Kanzlers ein Gräuel: sein Ja zu Minijobs und ebenso sein Ja zu gelockerten Laden- Franz Müntefering als Wächter der Werte: Stur verteidigt der schlusszeiten. Ihnen geht das zu weit. Und so muss sich der Kanzler auf die we- Fraktionschef den Sozialstaat gegen die nigen Verbündeten in der Fraktion und in Reformer – und legt sich dabei vor allem mit seinem Kanzler an. den Ländern verlassen. Auf Parlamenta- rier wie , den Vorsitzenden etzt reicht es Franz Müntefering. Jetzt mit dem Papier und sagt, er empfehle, des Wirtschaftsausschusses, der „dieser steht er auf, geht zu seinem Schreib- „dass einige ab und zu nachlesen, was da einfachen, wirtschaftsfreundlichen Lösung Jtisch und greift nach dem Koalitions- geschrieben steht“. sehr offen“ gegenübersteht. vertrag. Er blättert, liest vor: „Zeile zwölf: Wen meint er wohl? Die Grünen? Wirt- Oder auf Gernot Mittler, den SPD-Fi- Nur Starke können sich einen schwachen schaftsminister ? Den nanzminister in Rheinland-Pfalz, der fest Staat leisten.“ Er geht durch sein Büro, liest Bundeskanzler? davon überzeugt ist, „dass, wenn man rea- weiter, lässt die Hacken nach jedem Schritt Er meint sie alle und ganz besonders listisch ist, an der Abgeltungsteuer kein gegeneinander knallen. „Wir stehen auf“ – den Kanzler. Denn Franz Müntefering, Weg vorbeiführt“. Natürlich, so Mittler, klack – „der Seite der Menschen“ – klack Vorsitzender der SPD-Fraktion im Bun- kenne er alle Bedenken gegen dieses Vor- –, „die auf die Solidarität“ – klack – „der destag, gibt nicht nach. Er ist aufsässig haben, aber: „Es ist besser, wir haben 25 Gemeinschaft angewiesen sind“ – klack. gegen alle, die er im Verdacht hat, die Prozent an Steuern in der Tasche als 100 Es ist der kurze Marsch eines Parteisol- Solidarität von Arm und Reich nicht so Prozent des Kapitals im Ausland.“ daten, eines Wächters über die Grundwer- heilig zu nehmen wie er selbst. Konstantin von Hammerstein, te der Sozialdemokratie. Nach dem letzten Deshalb ist Franz Müntefering nun Ulrich Schäfer, Janko Tietz Klacken steht Müntefering stramm, winkt der wichtigste Gegenspieler des Kanzlers.

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Auch wenn derzeit , der Mi- ment. Aber er dreht fast jede Frage so, dass konnte ihren Sohn nicht auf eine höhere nisterpräsident von Niedersachsen, am lau- er über die Solidarität zwischen Arm und Schule schicken. testen gegen Gerhard Schröder trompetet: Reich und die Bedeutung des Sozialstaats Zunächst ziehen sie die gleichen Schlüs- Er braucht den Streit um die Vermögen- reden kann. „Meine Sorge ist“, sagt er zum se aus ihrer ärmlichen Herkunft: Sie wol- steuer für den Wahlkampf in seinem Land. Beispiel, „dass unter der unehrlichen Über- len nach oben, sie sind beide ehrgeizig, Nach dem 2. Februar wird er wieder der schrift ‚Totale Privatisierung‘ versucht Schröder offen, Müntefering verdeckt. dickste Kumpel vom Kanzler sein. Und wird, den Sozialstaat zu untergraben.“ Schröder geht den Weg konsequenter. Er Wolfgang Clement wird zwar als möglicher Oder: „Ich will, dass der Sozialstaat in sei- wird Anwalt, er strebt nach Regierungs- Herausforderer und Nachfolger Schröders ner Substanz erhalten bleibt.“ ämtern, die ihm die Türen in alle Milieus gehandelt. Doch in Wahrheit öffnen, auch die der Intellektu- traut er sich dessen Amt noch ellen und Vermögenden. gar nicht zu. Müntefering bleibt lange ein Der Konflikt zwischen Mün- kleiner Angestellter und macht tefering und Schröder geht tiefer. Karriere vor allem in der Partei. Es stehen gegeneinander: ein Er bleibt im sozialdemokrati- Sozialdemokrat, der an Tradi- schen Milieu. In Berlin wohnt er tionen und Programme glaubt, heute in einem Plattenbau. gegen einen Sozialdemokraten, Müntefering bleibt, Schröder der an sich glaubt; ein Partei- wandelt. Das ist der größte politiker gegen einen Macht- Unterschied zwischen ihnen. techniker; ein Sturkopf gegen ei- Schröder fühlt sich in fast allen nen Wendehals. Milieus zu Hause, und er kann Zwei Wochen währt ihr Streit eine Menge politischer Positio- nun schon. Es begann, als Mün- nen vertreten. Müntefering ist tefering dem Berliner „Tages- der ewige Sozialdemokrat. spiegel“ sagte, die Bürger soll- Sie passen nicht zusammen, ten auf Konsum verzichten, da- aber sie waren lange ein gutes mit der Staat mehr Geld habe. Team. Zunächst, im Jahr 1993, Das gefiel Schröder nicht. Am wollte Müntefering den Partei-

Tag darauf wetterte er gegen die / DPA SCHEIDEMANN ACHIM vorsitzenden und Kanzlerkandi- „Kakofonie“ in seiner Partei. Reformer Schröder*: In fast allen Milieus zu Hause daten Schröder verhindern. Er Dann distanzierte er sich von sah das sozialdemokratische der Vermögensteuer. Das gefiel Müntefe- Das sind keine dramatischen Sätze, aber Erbe besser bei Rudolf Scharping aufge- ring nicht. in der Ballung, in der sturen Wiederho- hoben. Als 1998 Schröder zur großen Hoff- Am vergangenen Montag sagte Schröder lung wirken sie bockig. Auf den Vorwurf, nung der Partei wurde, lenkte Müntefe- im Parteivorstand, wenn einer denke, er ein Betonkopf zu sein, hat Müntefering ring ein und organisierte ihm erfolgreich könne es besser, solle er das sagen. Alle einmal gesagt: „Beton ist doch ein dank- den Wahlkampf. schwiegen betreten. Später stand Münte- barer Stoff, mit dem man viel machen Es war seine moderne Phase. Er ging fering auf, forderte einen klaren Kurs und kann.“ Zum Beispiel einen Bunker bauen. zum Friseur und ließ sich die Haare kurz Respekt vor dem Sozialstaat. Am Mittwoch Müntefering sitzt jetzt in einem Bunker schneiden. Bis dahin war er der Letzte ge- sagte Clement der „Süddeutschen Zei- und bewahrt die Schätze der Sozialdemo- wesen, der sie sich weit über die Ohren tung“, der Staat sei nicht arm. Das gefiel kratie – auch gegen Sozialdemokraten. wachsen ließ. Er begründete die Kampa, dem Kanzler, Müntefering nicht. In seinem Büro gibt es einen Bauhelm, eine Wahlkampfzentrale nach amerikani- Am Donnerstag handelte Clement mit einen Zollstock, eine Flasche Bier und zwei schem Vorbild, und ließ seinen Helfer Mat- der Union aus, dass das Hartz-Konzept Schals von Schalke 04. Hier sitzt einer, der thias Machnig einen amerikanischen Wahl- weitgehend umgesetzt wird, zum Ärger der sich als Arbeiter versteht. kampf führen. Linken in der SPD-Fraktion. In Schröders Büro gibt es ein Brockhaus- Nach dem Sieg wurde Müntefering erst „Ich habe das Hartz-Konzept mitgetra- Lexikon, ein Bild von Günter Grass und Verkehrsminister, dann Generalsekretär gen“, sagt Müntefering. Aber er sagt es, als einen großen Humidor für Zigarren. Hier der SPD. Er war seinem wankelmütigen habe ihn das viel Mühe gekostet. sitzt einer, der bei den Intellektuellen und Kanzler und Parteivorsitzenden ein treuer Er ist loyal. In einem einstündigen Ge- Vermögenden mithalten will. Gehilfe. Er zeigte kein eigenes politisches spräch sagt Müntefering nicht ein kritisches So verschieden können Menschen sein, Profil. Er diente. Wort gegen den Kanzler oder gegen Cle- auch wenn sie aus den gleichen Verhält- Auch wenn Diener schweigen, eine Mei- nissen stammen. Münte- nung haben sie. In Müntefering schwelte fering wuchs im Sauer- das sozialdemokratische Feuer weiter. Seit land auf und musste im Schröders zweitem Wahlsieg ist er nicht Alter von 14 Jahren sei- mehr Generalsekretär, nicht mehr der erste ne Schulzeit beenden, Diener seines Parteivorsitzenden, jetzt führt weil ihm seine Eltern, er die Fraktion. Und jetzt ist alles anders. katholische Arbeiter, das Die Fraktion ist eine Macht. 251 Abge- Fahrgeld zur Realschule ordnete, ein jeder selbstbewusst, weil ihm nicht bezahlen wollten. das Grundgesetz Unabhängigkeit zusichert. Auch Schröders Mutter Die stärkste Gruppe ist die „Parlamentari- sche Linke“. Sie stellt hundert Abgeordne- * Mit dem italienischen Minister- te und vier der acht Stellvertreter Münte- präsidenten Silvio Berlusconi ferings. Die Parlamentarische Linke will die am vergangenen Mittwoch beim Vermögensteuer, einen starken Sozialstaat. Champions-League-Fußballspiel

MARC DARCHINGER MARC Borussia Dortmund – AC Mai- Die Fraktion ist empfindlich. Um die Reformer Clement: „Der Staat ist nicht arm“ land. Genossen zu disziplinieren, hat Gerhard

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Schröder gesagt, er allein habe den nörgeln und quengeln. Er muss loyal zu ist, das diesem Bekenntnis folgt. Bei Mün- Wahlsieg errungen. Ich bin alles, ihr seid ihnen sein – und loyal zum Kanzler. Das tefering ist es sehr groß. Natürlich könne nichts, heißt das. Schröder hat auch ge- macht seine Rolle so schwierig. Eine Re- man dem Staat Ressourcen nehmen, „aber sagt: „Die Fraktion wird das tun, was ich gierungsfraktion kann einem Kanzler das wer stopft dann die Schlaglöcher und sorgt vorschlagen werde.“ Ihr seid mein Instru- Leben so schwer machen, dass er schließ- dafür, dass die Schulen intakt bleiben?“ Er ment, heißt das. lich stürzt, siehe . Aber will Reformen, aber nicht so schnell, nicht „Mein Respekt vor frei gewählten Ab- dann verliert sie selbst die Macht. so tief greifend. Ein Stehenbleiber ist kein geordneten ist groß“, sagt Franz Müntefe- Müntefering macht die gespaltene Loya- guter Veränderer. ring. Er sagt nicht, dass er sich damit ge- lität unsicher. Er hat seine Rolle noch nicht Münteferings Sorge ist, dass fast alle, die gen den Bundeskanzler wendet. Es sagt gefunden. Deshalb marschiert er mit dem jetzt über Reformen reden, den Armen et- es so allgemein, wie er alles sagt. Aber er Koalitionsvertrag durch sein Büro und zitiert ständig Parteibeschlüsse und das Grundgesetz. Im Gedruckten findet er die Müntefering fordert nicht so sehr Wörter, die er am liebsten sagt: Solidarität, Gehorsam gegenüber dem Sozialstaat, soziale Gerechtigkeit. Seine Fraktion regiert er mit harter Kanzler, sondern gegenüber der Hand. Müntefering würge Diskussionen ab sozialdemokratischen Idee. und nehme Themen, die ihm nicht in den Kram passen, von der Tagesordnung, sagt ein junger Abgeordneter: „Eine Fraktion was nehmen wollen und den Reichen etwas kann man nicht nach der Methode Befehl geben. Er mag die Reichen nicht beson- und Gehorsam führen.“ ders. Für ihn sind es „die Leute in den Aber Müntefering fordert bislang nicht Pelzmänteln“, sind es „die jungen, schnit- so sehr Gehorsam gegenüber dem Bun- tigen Unternehmer, Millionäre wahr- deskanzler. Er fordert Gehorsam gegen- scheinlich“. über der sozialdemokratischen Idee. Er Als er in den siebziger Jahren in seiner

MARC DARCHINGER DARCHINGER MARC hat seine Abgeordneten in einer Rede vor Heimatstadt Sundern im Stadtrat saß, soll- SPD-Unterhändler (1993)* drei Wochen auf soziale Gerechtigkeit te ein wohlhabender Minenbesitzer der Hüter der sozialdemokratischen Schätze und einen starken Sozialstaat einge- Gemeinde sein Grundstück überlassen, schworen. Damit, sagt ein Mitglied der weil dort Wasser gefunden worden war. meint den Kanzler. Er will sich und seinen Fraktion, seien alle abweichenden Mei- Müntefering wollte nicht, dass dem Mann Abgeordneten nicht zumuten, nur Instru- nungen, wenn auch unausgesprochen, in eine Entschädigung gezahlt würde. Was- ment zu sein. die Kategorie „unsozialdemokratisch“ ein- ser sei Allgemeingut, gehöre dem Staat. Er Während Schröder immer über Partei geordnet worden. wurde gefragt, ob er selbst für eine Was- und Fraktionen gestanden hat, steht Mün- Müntefering hält derzeit auffallend serquelle sein Haus abreißen lassen würde, tefering mittendrin. Er ist vor allem Teil viele Reden dieser Art, im Parteivorstand, ohne Entschädigung. „Natürlich“, sagte der sozialdemokratischen Institutionen, in der Fraktion, in Pressegesprächen. Er Franz Müntefering. Schröder ist ihr Nutzer. wirkt, als hätte er eine Mission, als kämpf- Natürlich nicht, würde Gerhard Schrö- Müntefering spürt jetzt die Macht und te er mit aller Macht gegen einen mächti- der sagen. Mit den Reichen hat er manch- den Druck. Seine linken Abgeordneten gen Feind. mal weniger Probleme als mit Franz Mün- Dieser Feind heißt Neoliberalismus. tefering. Natürlich sagt auch Müntefering, dass er Vergangene Woche gab es ein langes Ge- * Rudolf Dressler, Rudolf Scharping und Franz Müntefe- ring nach den Verhandlungen mit der Bundesregierung Reformen will. Jeder sagt das. Es kommt spräch zwischen den beiden. Müntefering über die Pflegeversicherung im Kanzleramt. immer nur darauf an, wie groß das „aber“ saß in Schröders Arbeitszimmer, neben Brockhaus und Humidor. Schröder redete wie einer, der seine Vergangenheit ein gu- tes Stück weit hinter sich gelassen hat. Müntefering redete wie einer, der in seiner Vergangenheit lebt. Hinterher sagte Schröder, die Probleme zwischen ihnen würden total übertrie- ben dargestellt. Müntefering sage auf Sauerländisch das, was er, der Kanzler, schon immer sage: dass man den Sozial- staat verändern müsse, um ihn unter ver- änderten globalen Bedingungen erhalten zu können. Der Unterschied ist, dass Schröder, je- denfalls im Moment, vor allem verändern möchte und Müntefering vor allem erhal- ten. Das ist der grundsätzliche Konflikt zwischen den beiden. Sie können darüber Stillschweigen vereinbaren, aber solange sie ihn nicht lösen, wird er immer wieder aufbrechen. Ein führender SPD-Politiker sieht das so: „Zwei Spitzenleute in dau- ernder High-Noon-Situation – das ist

J. H. DARCHINGER J. brandgefährlich.“ Horand Knaup, Wahlsieger Schröder, Müntefering (1998): Sturkopf gegen Wendehals Dirk Kurbjuweit, Roland Nelles

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