Deutschland

Bundeskanzler Die Große Koalition – von der SPD geführt... Gerhard Schröder, 54, SPD

Die mögliche Regierungsmannschaft: Vizekanzler und Wirtschaft, Außenminister Familie, Senioren, Technologie, Justiz Volker Rühe, 55, Jugend, Gesundheit Arbeit, Soziales Verteidigung Zukunft CDU Herta Däubler- , Franz Müntefering, , 54, , Jost Stollmann, 43, Gmelin, 55, SPD 58, SPD 58, SPD SPD 50, SPD parteilos

aber „kein vernünftiger Mensch“ sie aus- schließen dürfe. Eng wird es allerdings für den CSU-Vor- Die halbe Macht sitzenden . In dieser Konstel- lation ist für ihn in der Regierung kein Die größten Probleme hat eine Große Koalition vor Platz. Unter Kohl hatte er Macht und Einfluß. Jetzt aber ist die CSU gerade ihrem Start. Wenn das gemeinsame Programm mal mit zwei Ministern im Kabinett ver- zuvor klar ausgehandelt ist, gelingen die Reformen. treten. Außerdem hat Waigel immer wie- der vor der Wahl versichert, als Junior- ie Lage ist da: „Mit mir wird es kei- der CDU gerückt ist, hat sich die Partei partner der SPD stehe die CSU nicht zur ne Große Koalition geben“, hatte dem Votum gebeugt. Verfügung. DHelmut Kohl im Wahlkampf versi- Unter Schröder in die Regierung einzu- Aber Macht ist erotisch, und die CSU chert. Nun gibt es eine Große Koalition – ziehen – das verbietet sich für Schäuble. hat sich von der CDU doch in die rot- ohne ihn. Die SPD stellt den Kanzler, die Das ist Sache der neuen Nummer Zwei: schwarze Liaison locken lassen. Nach die- Union geht als Juniorpartner in eine Volker Rühe wollte immer schon Außen- ser Niederlage ist es nur noch eine Frage Zweckehe auf Zeit. minister werden. Länger als jeder andere der Zeit, daß der Münchner Dauer-Rivale Den Parteivorsitz werde er bei einer Politiker hat er als Verteidigungsminister dem Schwaben den Par- Niederlage abgeben, so ein weiteres dro- auf der Hardthöhe die Sicherheitspolitik teivorsitz wegnimmt. hendes Versprechen – er tut es. Für die formuliert. Nun will er endlich beweisen, Die SPD hat es besser. Sie hat den CDU beginnt die Zeit ohne Kohl. daß er auch von Außenpolitik etwas ver- Führungswechsel längst hinter sich. Schrö- Gerhard Schröder hat es geschafft. Es steht. der ist Kanzler. Aber reichte zwar nicht für Rot-Grün, weil zu Daß er – auf Druck des Kanzleramtes – bleibt der starke Mann im Hintergrund. viele PDS-Abgeordnete im sit- im Wahlkampf seine Beteiligung an einer Der Parteivorsitzende hat das verlocken- zen. Aber es reichte für das Kanzleramt. SPD-geführten Regierung „in welchem de Angebot abgelehnt, Finanzminister in Die SPD wurde stärkste Fraktion. Und der Amt auch immer“ ausschloß, ist zwar är- Schröders Kabinett zu werden. Es hätte CDU/CSU blieb nur die Wahl, entweder gerlich. Aber da die neue Lage neue Ent- ihn zwar sehr gereizt, der Welt zu bewei- aus parteitaktischen Gründen in die Op- scheidungen verlangt, fällt es Rühe nicht sen, daß er nicht nur schlaue Bücher über position zu gehen oder wenigstens ein schwer, die Wortbrocken vom August wie- Weltwirtschaft und Finanzen schreiben Stück der verlorenen Macht zu behalten. der hinunterzuwürgen. kann, sondern auch als zuständiger Res- Wolfgang Schäuble hat sich für die zwei- Schäuble hingegen muß seine Worte sortminister etwas davon versteht. te Variante entschieden. Und da er nach nicht aufessen. Er hat immer schon ge- Aber Lafontaine hat sich für den Posten dem Abgang des Dauerkanzlers und Par- sagt, daß die Große Koalition zwar die des Fraktionschefs entschieden, weil hier teichefs Kohl automatisch an die Spitze schlechteste aller Möglichkeiten sei. Daß sein politischer Einfluß am größten ist.

Bundeskanzler ...oder von der CDU geführt Wolfgang Schäuble, 55, CDU

Die mögliche Regierungsmannschaft: Vizekanzler und Finanzminister Forschung, Oskar Lafontaine, 54, Zukunft Umwelt Inneres Wirtschaft Außen Landwirtschaft SPD , , 44, , 53, Lothar Späth, 60, Theo Waigel, 59, , 58, 49, CSU CDU CDU CDU CSU CDU

30 36/1998 Eine Große Koalition erscheint den Deutschen gegenwärtig die wahrscheinlichste Konstellation: 37 Prozent rechnen nach einer Emnid-Umfrage mit ihr nach der Bundestagswahl. Kommt es dazu, dann stellt die stärkste Partei den Weitere Kandidaten... Bundeskanzler – bei einem Sieg der SPD hieße er Gerhard Schröder. Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier, 42, SPD Kulturbeauftragter Michael Naumann, 56, SPD Bildung, Bau, Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye, 57, SPD Finanzen Inneres Forschung Verkehr Umwelt Walter Bajohr, 47, CDU Horst Seehofer, , , , 53, Angela Merkel, 49, CSU 61, CDU 49, CDU CSU 44, CDU ...und die Führungsriege in Parlament und Fraktionen Bundestagspräsident , 54, SPD SPD-Fraktionschef Oskar Lafontaine, 54 CDU/CSU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble, 55

Die SPD-Basis betrachtet die Große Ko- bleibt er einflußreich, doch als Ressortmi- Wie viele Bundesbürger halten alition mit Skepsis und Argwohn. Lafon- nister hört er auf Schäubles Kommando. eine Große Koalition nach der taines Aufgabe wird es sein, Schröder den Einerseits ist das der Traumjob, den Wai- Bundestagswahl für wahr- Rücken frei- und die auseinanderdriften- gel schon immer haben wollte. Anderer- den Kräfte zusammenzuhalten. Am Kabi- seits wird der CSU-Vorsitzende den Män- scheinlich... nettstisch unterstünde er – trotz umfas- nerfreund Kohl vermissen. Mit Schäuble Ergebnisse einer Emnid-Umfrage senden Veto-Rechts – immer der Richtli- hat er sich noch nie gut verstanden. für den SPIEGEL, nienkompetenz des Kanzlers Schröder.Als Auch bei der SPD werden die Karten Befragte 18. und 19. August, 1004 Chef der Fraktion arbeitet er selbst an die- neu gemischt. Nach dem Rückzug Schrö- insgesamt Befragte sen Richtlinien mit. Und alles weitere wird ders ist Lafontaine völlig unbestritten die man sehen. Nummer eins. Angaben in Prozent Es kann aber auch zu einem ganz ande- Weil Schröder aus dem Rennen gegan- 37 ren Szenario für die Große Koalition kom- gen ist, muß der Saarländer die SPD-Rie- men: Die Union hat es im Schlußspurt doch ge in der Regierung anführen. Er wird als Anhänger von noch geschafft, sich als stärkste Fraktion Finanzminister (und Vizekanzler) wichtig- CDU/ B’90/ vor die SPD zu setzen. Da es mit der FDP ster Gesprächspartner, zugleich aber auch CSU SPD Grüne FDP PDS nicht mehr reicht, kann sie nur mit den So- entschiedenster Widersacher des CDU- zialdemokraten regieren und stellt in dieser Kanzlers Schäuble sein. 41 33 36 44 47 schwarz-roten Allianz den Kanzler. Der versteht von Steuern und Finanzen Dann ist Gerhard Schröder neben Hel- mindestens genausoviel wie sein SPD-Kon- mut Kohl der zweite Verlierer der Wahl. trahent – was die Diskussionen um die ...und wie viele halten sie für Nur als Kanzler werde er nach Bonn ge- Steuerreform nicht unbedingt einfacher, kompetent, die anstehenden hen, hatte der Hannoveraner geschworen. aber auf jeden Fall spannend macht. Denn Probleme zu lösen? Nun muß er zurück an die Leine. wer sich bei diesem Duell durchsetzt und Der Sieger in Bonn aber heißt – Wolf- wer unterliegt – das kann über die Zukunft Befragte insgesamt gang Schäuble. der beiden Volksparteien entscheiden. Ju- Endlich ist er nicht mehr Kronprinz von ristisch untersteht zwar auch Lafontaine Kohls Gnaden. Endlich kann er zeigen, daß der Richtlinienkompetenz des Kanzlers. 54 auch ein Krüppel im Rollstuhl die Republik Politisch aber ist er ihm ebenbürtig. regieren kann. Beide werden strikt darauf achten, daß Anhänger von Volker Rühe führt die Fraktion – ein sich die Profile ihrer Parteien nicht gänz- CDU/ B’90/ wichtiger Posten, mit Optionen auf höhe- lich verwischen. Gerade weil sich die Lö- CSU SPD Grüne FDP PDS re Weihen. Das Außenamt aber soll Theo sungen für die dringenden Reformproble- 56 57 27 43 20 Waigel übernehmen – als Chef der CSU me kaum noch unterscheiden, brauchen

Landet die Union vor den Sozialdemokraten, so wird sie auch in der nächsten Legisla- turperiode den Regierungschef stellen: Wolfgang Schäuble dürfte dann be- erben. SPD-Kandidat Gerhard Schröder bliebe nur der Rückzug nach Hannover. Als even- tueller Juniorpartner in ein Schäuble-Kabinett einzusteigen, hat er bereits abgelehnt. Weitere Kandidaten... Kanzleramtsminister Hans-Peter Repnik, 51, CDU Verkehr, Bau, Familie, Jugend, Verteidigung Arbeit, Soziales Aufbau Ost Justiz Gesundheit Regierungssprecher Walter Bajohr, 47, CDU Rudolf Scharping, Walter Riester, , 39, Herta Däubler- Christine Bergmann, Dagmar Wiebusch, 44, SPD 50, SPD 54, SPD SPD Gmelin, 55, SPD 58, SPD ...und die Führungsriege in Parlament und Fraktionen Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, 61, CDU SPD-Fraktionschef Franz Müntefering, 58 CDU/CSU-Fraktionschef Volker Rühe, 55

der spiegel 36/1998 31 sein. Der Teufel indes steckt auch hier im Detail: π In ihrem Wahlprogramm beharrt die Union auf einer Nettoentlastung von 30 Mil- liarden Mark. Die SPD hält dies nicht für finanzierbar. Aber Schröder ließ bereits durchblicken, daß eine Net- toentlastung von 8 bis 10 Milliarden Mark vielleicht doch möglich ist; π die Union will den Spitzen- steuersatz von 53 auf 39 Prozent senken, die SPD hat 49 Prozent in ihr Pro- gramm geschrieben. Eine Einigung in der Mitte – bei etwa 45 Prozent – halten Experten für denkbar; π die SPD will die Vermögen der Millionäre wieder be- steuern, die Union ist strikt dagegen – und wird sich vermutlich durchsetzen; π auf die Besteuerung der Schicht-, Sonn- und Feier- tagszuschläge wiederum wird die Union verzichten müssen – in diesem Punkt hat sich Lafontaine ent-

F. OSSENBRINK F. schieden festgelegt. Wahlkämpfer Schäuble, CDU-Fans*: Automatisch an die Spitze Die Reparatur des Renten- und Sozialrechts ist der zwei- die Partner für künftige Wahlschlachten ei- schiebungen, je nachdem, ob SPD oder te große Reformblock. Hier hat Schröder nen Vorrat an Differenzen. CDU die Regierung führen. versprochen, die für Anfang 1999 be- Denn Große Koalitionen sind nur Die SPD wird auf einem Bündnis für schlossene Kürzung der Renten von 70 auf Zweckbündnisse auf Zeit. Sie haben einen Arbeit bestehen, weil der Kampf gegen 64 Prozent wieder rückgängig zu machen. Sinn, wenn – und solange – es zwischen die Arbeitslosigkeit ihr klassisches Thema Aber zu einer generellen Rücknahme den beiden Partnern fest vereinbarte ge- ist und sie den Rezepten neoliberaler An- wird es nicht kommen. Schröder hat ei- meinsame Projekte gibt. Ist das zu Beginn gebotspolitik zutiefst mißtraut. Wenn der gentlich nur die Altersversorgung der Rent- abgesprochene Pensum abgearbeitet, gibt Wirtschaftsmann Schröder geschlagen nerinnen im Sinn, die nicht mehr als 900 bis es für das Groß-Kartell der politischen nach Niedersachsen zurück muß, kann La- 1000 Mark im Monat haben. Für sie soll Konkurrenten keine Berechtigung und kei- fontaine um so ungenierter wieder seine die Kürzung rückgängig gemacht werden. ne Begründung mehr. Arbeitsmarktpolitik auf staatliches Ein- Auch der Wunsch der CDU, die private Zank und Streit wird es daher nur vor greifen konzentrieren. Führt aber Schrö- Altersvorsorge und die betriebliche Al- der Eheschließung geben. In den Verhand- der eine Große Koalition an, ist das Pro- terssicherung auszubauen, stößt bei Schrö- lungen über das Koalitionsprogramm wer- gramm für Arbeit eher mit der CDU-Linie der nicht auf prinzipielle Vorbehalte. Sein den die unterschiedlichen Politik-Entwürfe kompatibel. designierter Arbeitsminister Walter Riester Die Union ist davon überzeugt, daß Ar- zeigt Sympathie für den Plan. beitsplätze am ehesten durch eine radika- So könnte dann der rot-schwarze Ren- Schon nach zwei Jahren le Senkung der Steuern geschaffen wer- tenkompromiß aussehen: Die Rentenfor- beginnen die den. Die SPD möchte mit einem Umbau mel bleibt unangetastet, für Einkommens- des Steuersystems soziale Gerechtigkeit schwache wird nachgebessert. Gleich- Absetzbewegungen schaffen. Sie werden sich vor der Regie- zeitig wird durch Steuernachlässe für der Partner rungsbildung auf einen Mittelweg einigen betriebliche und private Vorsorge der Um- – oder es gibt diese Regierung nicht. bau zu einem Drei-Säulen-Modell in der Was die unaufschiebbaren Aufgaben Alterssicherung gefördert. aufeinanderprallen – und wenn die Mehr- sind, darüber gibt es kaum Streit.Am wich- Wenn die Verhandlungen vor Beginn der heiten keine andere Möglichkeit als die der tigsten ist die Reanimation der 1997 am Koalition die Gemeinsamkeiten klar defi- Großen Koalition lassen, wird keine Seite Widerstand der SPD im Bundesrat ge- niert haben, könnten die beiden Reform- es sich leisten können, stur zu bleiben. scheiterten Steuerreform. Hier liegen die blöcke schnell bewältigt werden. Allzuviel Über die Aufgaben einer künftigen Positionen von CDU, CSU und SPD viel Zeit haben die beiden Partner ohnehin Großen Koalition sind sich die Parteien näher beieinander, als das Wahlkampfge- nicht. Schon nach zwei Jahren – Mitte der ziemlich einig. Bei der Durchführung des töse ahnen ließ. Legislaturperiode – beginnen die ersten Ab- Programms gibt es nur leichte Akzentver- Denn im Prinzip sind sich die Fachleute setzbewegungen voneinander: Der heim- einig: Je mehr Subventionen und Steuer- liche Wahlkampf hebt an, denn wirklich * Beim Wahlkampfauftakt in der Dortmunder West- vergünstigungen gestrichen werden, desto glücklich ist keiner der beiden Koalitionä- falenhalle am 23. August. niedriger können auch die Steuertarife re mit der halben Macht.

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