Oskars Zweiter Anlauf Helmut Kohl Bekommt Einen Machthungrigen Gegenspieler: Oskar Lafontaine Will Als SPD-Vorsitzender Eine Linke Mehrheit Für 1998 Schmieden
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TITEL Oskars zweiter Anlauf Helmut Kohl bekommt einen machthungrigen Gegenspieler: Oskar Lafontaine will als SPD-Vorsitzender eine linke Mehrheit für 1998 schmieden. Er macht sich für Rot-Grün stark, will die PDS nicht ausgrenzen. Der Coup von Mannheim drängt den Konkurrenten Gerhard Schröder erst einmal ins Abseits. as größte Kompliment kam von ganz weit her. Es stammte ausge- Drechnet von Helmut Kohl. Als der Kanzler sich am vorigen Don- nerstag telefonisch aus dem fernen Hanoi bei seinen Stallwachen in Bonn meldete, zollte er Oskar Lafontaine professionel- len Respekt. Der Mannheimer Coup im- ponierte ihm. Fachmännisch stufte der Machtpoliti- ker aus Oggersheim, der 1989 ein Kom- plott seines damaligen Generalsekretärs Heiner Geißler rechtzeitig durchkreuzte, den Napoleon von der Saar alsebenbürti- gen Intriganten ein: „Das war abgekartet und vorausgeplant.“ Von Lafontaine, höhnte Kohl, könne Geißler lernen, „wie man erfolgreich putscht“. Zuviel der Ehre – und zugleich ein In- diz dafür, daß Kanzler Kohl seinen Ge- genspieler von 1990 für seinesgleichen er- achtet. Tatsächlich war Lafontaine seit dem Sommer mit dem – weitverbreiteten – Gedanken schwanger gegangen, daß Ru- dolf Scharping als Solist in Dreifachfunk- tion maßlos überfordert sei und der Machtwechsel in weite Ferne rücke. Er legte Ämterteilung nahe, beharrte aber auf einer Lösung im Konsens; die war nicht zu haben. Lafontaine meldete sei- nen Anspruch in den dafür vorgesehenen Gremien an und wartete ab. Er wollte und wollte nicht, ambivalent wie schon zweimal zuvor (siehe Seite 34). Seine triumphale Rede auf dem Partei- tag war ein Test auf die Stimmung – und von ihr ließsichLafontaine, der Zauderer in Lauerstellung, am Ende an die Partei- spitze tragen. Die versammelten Sozialdemokraten waren erlöst und zugleich auch wieder er- schrocken über die Dynamik der Ereig- nisse. Denn nie zuvor hat die älteste Par- tei Deutschlands einen Vorsitzenden so gnadenlos beiseite geschoben wie Rudolf Scharping nach nur 28 Monaten Amts- zeit. Die Emotionen wogten gewaltig hoch. Da wurde gejubelt und geweint. Buhrufe wechselten mit grellen Pfiffen,alsder kei- neswegs strahlende Sieger Lafontaine die Glückwünsche des zur Salzsäule erstarr- Rivalen Scharping, Lafontaine in Mannheim: Für die einen ein Glücksfall, für die 22 DER SPIEGEL 47/1995 . ten Verlierers Scharping entgegennahm. Allerdings kann der Saar-Premier dem lange jedenfalls nicht, wie Helmut Kohl Für die einen war die unverhoffte Wen- Kanzler im Parlament nur von der Bun- im Wege steht. Lafontaine will und muß de ein Glücksfall, für die anderen eine desratsbank aus Paroli bieten. Er wird an ein rot-grünes Projekt anknüpfen, ehe schiere Katastrophe. dort häufig präsent sein. Nicht immer, ihm, seinen sozialdemokratischen Al- Oskar der Retter? Untergang mit La- aber immer öfter. tersgenossen und den Grünen die Puste fontaine? Sofort hefteten sich wieder die Für Kohl wird das Regieren schwieri- ausgeht. Superlative, im Guten wie im Schlech- ger. Lafontaine ist ein ernstzunehmen- Prompt witterten die Grünen Morgen- ten, an den neuen Vorsitzenden, den der Kontrahent, weil er sich – anders als luft. „Jetzt haben wir wieder die Chance, vierten in den acht Jahren seit Willy Scharping – vom Kanzler unterscheiden Kohl gemeinsam in die Zange zu neh- Brandts ruhmlosem Rückzug. will, anstatt ihn zu imitieren. men“, meint Lafontaines Pendant Josch- Die SPD fühlt sich erlöst – vom glück- Die Regierung konnte sich bisher, ka Fischer. Und aus dem geplanten, eher losen Scharping. Lafontaine verspricht, trotz knapper Mehrheit, vor der Oppo- harmlosen Treffen mit Gregor Gysi von die Reihen fest zu schließen, indem er sition sicher fühlen, weil die, statt mit der PDS istplötzlichein Politikum gewor- nach außen polarisiert. Von ihm läßt der bürgerlichen Koalition, mit sich sel- den. sich unschwer massive Opposition gegen ber beschäftigt war. Zumindest fürs er- Die CDU griff denn auch sofort wieder die Regierung Kohl/Kinkel erwarten. ste scheint der permanente Führungs- das Verdammungswort aus dem letzten streit in der SPD-Spitze Wahlkampf auf: Volksfront. Lafontaine beigelegt. befürwortete ja das Toleranzedikt von Möglich, daß die Ge- Sachsen-Anhalt. Er legt keinen Wert dar- nossen vergangenen auf, die PDS auszugrenzen. Denn Lafon- Donnerstag noch eine taine rechnet vor: Es gibt „für das linke weitere Personalent- Lager eine Mehrheit“ (siehe Interview scheidung getroffen ha- Seite 29). ben, die gar nicht auf CDU-Generalsekretär Peter Hintze dem Stimmzettel stand: und sein CSU-Pendant Bernd Protzner Der neue Vorsitzende empörten sich wie erwartet pflichtschul- verwandelte sich unter dig über den „Schulterschluß des linken dem Dauerfeuer der In- Spektrums“. terviewfragen erkenn- Damit istdaserste große Konflikt-The- bar inden alten Kanzler- ma der Ära Lafontaine programmiert. kandidaten. Die selbstbewußte Offenheit gegenüber Dieser Lafontaine der PDS entzückt ja nicht nur die Wahl- kommt auch den Genos- strategen des konservativen Lagers. Das sen irgendwie bekannt sorgt auch schon für Unwillen in der eige- vor. Er knüpft mit sei- nen Partei. nen Einlassungen zur Bereits im Dezember, vermutet etwa Einheit, zur wirtschaft- der Parteirechte Hermann Rappe, einst lichen Lage Ostdeutsch- einflußreicher Chef der Chemie-Ge- lands, zur Außenpolitik werkschaft, könnte mit Lafontaines Dul- an seine nur allzu be- dung und Förderung in Mecklenburg- kannten Thesen aus Vorpommern die erste SPD-Länderre- dem ersten Jahr der Ein- gierung mit PDS-Ministern entstehen. heit an. Kein Wunder, FürRappe eine Horrorvision: „Wenn die daß sich seine Partei- SPD das macht, kann siesich für 1998 alle freunde und -feinde Hoffnungen auf eine Rückkehr zur fragten, wozu sie ihn ei- Macht im Bund abschminken.“ gentlich gerade gewählt Auf einen Schlag steht die Primadonna hatten – etwa zum näch- von der Saar, die sich seit Scharpings sten Kanzlerkandida- Wahl 1993 in eine graue Hintergrund- ten? Oskars zweiter An- Eminenz verwandelt hatte, wieder unan- lauf? gefochten im Mittelpunkt, intern und ex- Die Maßstäbe und tern. Denn fast beiläufig ist auch einer der Prioritäten Lafontaines letzten verbliebenen Partei-Granden um haben sich seit der Wie- Nimbus und Autorität gebracht worden. dervereinigung kaum Johannes Rau, der Patriarch, der verschoben. Am woh- Scharping allzu lange stützte, weinte auf ligsten aber empfinden offener Bühne;er mußtevomneuenBun- die Sozialdemokraten, desgeschäftsführer Franz Müntefering daß da wieder ein Prota- getröstet werden. Die Delegierten hatten gonist steht, der nach 13 Rau bei seiner Wahl zum Lafontaine-Vi- Jahren Opposition in ze 82 Gegenstimmen verpaßt – so viele Permanenz den Willen wie noch nie. zur Macht verkörpert. Rau nahm persönlich und war fas- Nach wie vor ist La- sungslos: „Warum haben die mich abge- fontaine mit allen Stär- straft?“ ken und Schwächen ein Dabei ging es bei der Rochade an der Exponent der 68er Ge- Spitze der SPD nicht einmal um persönli- neration, die schon che Rache; gegenüber Scharping gab sich K. B. KARWASZ fürchten muß, nie zum Lafontaine für seine Verhältnisse tat- anderen eine Katastrophe Zuge zu kommen, so sächlich überaus loyal. Von Richtungs- DER SPIEGEL 47/1995 23 TITEL entscheidungen kann ebensowenig die wollte. Als der Parteitag in Depression, Rede sein. Denn weder in der Wirt- Hehres Erbe Halbanarchie und in Selbstanklage zu schafts- noch in der Außenpolitik stehen Die SPD-Parteivor- versinken drohte, entschloß sich Lafon- Lafontaine und Scharping weit auseinan- sitzenden seit 1946 taine zur Kandidatur: „Nach Scharpings der. Es ging um Personen und deren poli- schwacher Rede wußte ich, jetzt geht’s, tische Methoden. jetzt mußt du es wagen.“ Kurt Schumacher Die Methode Scharping bedeutete, es 1946 bis 1952 Die Mittwoch-Rede des Populisten allen recht zumachen, sodaß er esseit ge- Lafontaine genügte, um das Parteivolk raumer Zeit keinem mehr recht machte. Baute die Partei wieder aus der Erstarrung zu lösen. Es kam auf und starb im Amt. Die Methode Lafontaine besagt, daß Po- nicht darauf an, was er sagte, sondern litik auch aus Provokation besteht, was wie er es sagte. Als seien sie Spontis, fei- zur Unterhaltung des Publikums beiträgt Erich Ollenhauer erten auch Veteranen das rhetorische und in der Mediengesellschaft als Charis- 1952 bis 1963 ma ausgelegt werden kann. War zuvor Schuma- Lafontaine und Die 525 Delegierten des Parteitags chers Stellvertreter, durften unverhofft die Wahl zwischen ei- kandidierte zweimal Schröder – eigentlich nem weidwund kritisierten Vorsitzenden vergebens als und einer bekannten Galionsfigur mit Bundeskanzler. Er ein prächtiges Team Zukunfttreffen. Lafontaine stand „fürei- starb Ende 1963. ne Politik, die ich immer vertreten habe“ Talent Lafontaine, selbst wenn sie inhalt- – und er gewann, weil er im Kontrast zu lich gar nicht mit ihm übereinstimmten. Scharping als Erlöser im Jammertal wirk- Willy Brandt „Die Begeisterung war grandios, die Re- te. 1964 bis 1987 de nicht“, urteilte später Geschäftsführer „Bei uns in Waldbröl“, erzählte Fried- Wurde 1969 erster so- Müntefering. „Er hat nur ausgesprochen, helm Julius Beucher, Bundestagsabge- zialdemokratischer was die Delegierten hören wollten.“ ordneter aus dem Bergischen Land, Bundeskanzler, unter Zaudern und lauern ging nun nicht seiner Führung erreich- „kamen die Leute in Scharen zum SPD- te die Partei den mehr. Lafontaine hätte sich erneut den Infostand auf dem Marktplatz.“ Sie hat- Höchststand von einer Vorwurf eingehandelt, er wolle Schar- ten im Radio von der Wahl Lafontaines Million Mitgliedern. ping nur demütigen,