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Kreisfreiheit Hanau – Argumente und zusammen gefasste Gutachten

Vorbemerkung Hanau wächst. Es wird voraussichtlich im Jahr 2021 100.000 Einwohner haben und damit Großstadt werden. Es strebt in diesem Zusammenhang an, den --Kreis zu verlas- sen und sich von der „Sonderstatus-Stadt“ zur „kreisfreien Stadt“ zu entwickeln.

Die Vollversammlung unserer IHK hat sich mit dem Thema am 04.12.2018, am 29.04. und am 19.08.2019 auseinander gesetzt. Weitere VV-Termine sind eine Diskussion mit Hanaus Oberbürgermeister Kaminsky am 04.12.2019 sowie mit Landrat Stolz am 09.03.2020.

Diese ungewöhnliche Häufung zeigt die Bedeutung, die eine mögliche Kreisfreiheit Hanaus aus Sicht der Wirtschaft hat. Als jüngsten Beschluss hat unsere Vollversammlung daher for- muliert: „Die Vollversammlung wird nach Auswertung der Gutachten und der zur Verfügung stehenden Kennzahlen sowie nach den Darlegungen von OB Kaminsky und Landrat Stolz ein Votum abgeben. Die Vollversammlung will die wirtschaftlichen Folgen der Auskreisung für Hanau und den Main-Kinzig-Kreis auch auf lange Sicht zur Grundlage ihrer Bewertung machen.“ (Protokoll der Sitzung vom 19.08.2019, TOP 2, S. 4)

Eine Auswertung der Gutachten  Konzept – Kreisfreiheit der Großstadt Hanau zum 01. April 2021, herausgegeben von der Stadt Hanau, März 2019  „Raum im Wandel“ (Herausgeber: ProjektStadt - eine Marke der Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte/Wohnstadt GmbH, , Juli 2019 – im Auftrag der Stadt Hanau)  Chancen und Risiken einer möglichen Auskreisung der Stadt Hanau – Eine Bewertung aus Sicht des Main-Kinzig-Kreises, herausgegeben von Prognos AG, Berlin, November 2019 wird hiermit vorgelegt. Sie besteht jeweils aus zwei Teilen: einer Zusammenfassung der Ar- gumente und einer gekürzten Volltext-Version, in der die Argumente pro und contra Kreis- freiheit markiert worden sind. Anmerkungen des Redakteurs sind durch „Q“ gekennzeichnet.

Hanau, im November 2019

Quidde

Hauptgeschäftsführer

Die wichtigsten Argumente Die wesentlichen Argumente für Hanaus Kreisfreiheit aus Hanauer Sicht lauten ungefähr wie folgt: 1. Eine Großstadt, die weder Kreisstadt noch kreisfrei ist, ist unüblich in Deutschland. 2. Durch die Kreisfreiheit verbessert Hanau seine Einnahmesituation. 3. Die Kreisfreiheit schafft Alleinstellungsmerkmale und Erkennbarkeit (z. B. in Statistiken). 4. Der ländlich geprägte MKK und die Stadt Hanau entwickeln sich auseinander. Die Kreis- freiheit ermöglicht beiden, sich auf ihre jeweils eigenen Stärken zu konzentrieren. 5. Die Kreisfreiheit schadet dem MKK nicht.

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6. Die Kreisfreiheit ermöglicht Hanau die Zusammenarbeit mit dem Main-Kinzig-Kreis „auf Augenhöhe“ (diese Formulierung wird in den betrachteten Gutachten der Stadt Hanau insgesamt achtmal verwendet - Q).

Aus Sicht des MKK bringt die Kreisfreiheit dem Landkreis mehr Risiken als Chancen. Dabei werden als Chancen ausdrücklich genannt: 7. Der Kreis spart p. a. zwischen 50 und 60 Mio. EUR an Nettosozialleistungen für Emp- fänger in Hanau. 8. Der Kreis kann sich nach der Auskreisung mehr als bisher darauf konzentrieren, seine Mittelstädte und kleine Gemeinden zu stärken. 9. Falls Hanau und der MKK nach der Auskreisung gut zusammenarbeiten, können sie mindestens gegenüber der Metropolregion FRM gemeinsam als zwei starke Partner wir- kungsvoll auftreten. 10. Durch Stellenüberhänge unmittelbar nach der Auskreisung wird die Bürgerorientierung vorübergehend gestärkt.

Als Risiken einer Auskreisung zählt das Gutachten des MKK auf: 11. Erhebliche finanzielle Mehrbelastung des MKK und Hanaus durch die notwendige Auf- teilung von Ämtern, im Falle Hanaus insbesondere durch den Neuaufbau entsprechen- der Strukturen, durch die Aufgabe von Synergien und den Aufbau von Doppelstrukturen. 12. Erschwerte Aufgabenerfüllung durch dann fehlendes, weil z. B. von Hanau abgeworbe- nes Fachpersonal. 13. Zusätzliche (finanzielle) Belastungen von Hanau durch „strukturelle Standortnachteile“ gegenüber anderen Oberzentren in Hessen. 14. Fehlende erfolgreich verlaufende Auskreisungsversuche in anderen Fällen (Reutlingen, Neu-Ulm). 15. Eine Gegenbewegung zum Trend, der aktuell eher zum Zusammenschluss von Verwal- tungseinheiten führt. 16. Ungewissheit über Folgekosten beim kommunalen Finanzausgleich sowie bei mehreren Verwaltungsaufgaben, z. B. der Abfallentsorgung.

Inhalt Vorbemerkung ...... 1 Die wichtigsten Argumente ...... 1 Konzept – Kreisfreiheit der Großstadt Hanau zum 1. April 2021 ...... 6 Teil 1: Zusammenfassung aus IHK-Sicht ...... 6 Teil 2: gestraffte Volltextversion der Quelle ...... 7 Vorwort des Oberbürgermeisters ...... 7 Rechtliche Grundlagen ...... 8 Historie und Entwicklung ...... 8 1. Historie ...... 8 2. Neugliederung in den 1970er Jahren ...... 8 3. Oberzentrum ...... 9 4. Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main (im Sinne des Metropolgesetzes) ...... 9 5. Zusammenarbeit mit dem Main-Kinzig-Kreis und kreisangehörigen Gemeinden und Städten ...... 10 Bevölkerungsprognose ...... 11

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Kreisfreie Städte Hessen und andere Bundesländer ...... 11 Motivation und Potenziale/Synergien ...... 11 1. Konversion und Stadtentwicklung ...... 12 a) Konversion als Motor der Stadtentwicklung ...... 12 b) Innenentwicklung ...... 12 2. Regionaler Flächennutzungsplan Südhessen ...... 12 Hanau ist Bestandteil der Regionalplanung ...... 12 3. Soziostrukturelle Unterschiede und Entwicklungen ...... 12 a) Strukturunterschiede Stadt und Landkreis ...... 12 b) Reibungsverluste und fehlende Synergien (…) ...... 13 c) Eine zukunftsfähige Großstadt-Gesellschaft braucht Bündelung der kommunalen Instrumente ...... 14 4. Wirtschaftsstandort Hanau ...... 14 a) Bedeutender Arbeitsplatzmotor in der Region ...... 14 b) Innovativen Materialtechnikstandort nachhaltig stärken ...... 15 c) Strahlkraft des Einzelhandelsstandortes erhalten ...... 15 d) Durchgängige, innovative Prozesse für alle Akteure des Wirtschaftsstandortes gestalten ...... 15 e) Leistungsfähiges Infrastrukturangebot als notwendige Rahmenbedingung ...... 15 5. Sichtbarkeit, Image und Transparenz der Zuständigkeiten ...... 15 6. Zukunft Hanau – Bürgerbeteiligungsprozess ...... 16 7. Fazit ...... 16 Leistungsfähigkeit/Verwaltungskraft der Stadt Hanau ...... 17 Leistungsfähigkeit des Main-Kinzig-Kreises ...... 17 Vereinbarungen zur Auseinandersetzung ...... 18 Finanzielle Auswirkungen ...... 18 Veränderungen der Finanzausstattung und der Finanzströme ...... 18 1. Gesamtergebnis der finanziellen Bewertung für die Stadt Hanau auf der Basis aktueller Werte ...... 19 2. Personalbedarf und Personalkosten ...... 19 3. Finanzielle Auswirkungen der Kreisfreiheit bei der Stadt Hanau ...... 20 Neue Aufgaben für die Stadt Hanau ...... 20 Gesamtabwägung ...... 20 Anlagenübersicht ...... 20 Raum im Wandel ...... 21 Teil 1: Zusammenfassung aus IHK-Sicht ...... 21 8.4 Dekalog ...... 22 Teil 2: gestraffte Volltextversion der Quelle ...... 23 Hintergrund ...... 23 Position des Landes Hessen ...... 23 Motivation für die Kreisfreiheit ...... 23 3

Raumordnerische Folgen der Auskreisung ...... 23 Perspektive der Studie ...... 23 2. 10 Thesen (S. 8) ...... 24 3. Leistungsspektrum des modernen Raums ...... 24 3.1 Gleichwertige Lebensverhältnisse ...... 25 3.2 Interessenausgleich ...... 25 Interessenausgleich innerhalb eines Landkreises ...... 25 Interessenausgleich zwischen Landkreisen ...... 25 3.3 Herausforderungen im ländlichen und urbanen Raum ...... 26 Ländlicher Raum ...... 26 Herausforderungen des ländlichen Raums ...... 26 Urbaner Raum ...... 27 Herausforderungen des urbanen Raums ...... 27 Zusammenfassung ...... 28 3.4 Die Raumordnung in Hessen ...... 28 Raumordnung als Instrument ...... 28 Das Zentrale-Orte-Konzept (ZOK) ...... 28 Raumordnung in Hessen/ZOK in Hessen (LEP 2000) ...... 29 Metropolregiongesetz ...... 29 Aktuelle Debatte zur Raumordnungspolitik ...... 29 4. Der Main-Kinzig-Kreis 2020 ...... 30 4.1 Standortbeschreibung ...... 30 4.2 Vollzogene Entwicklung seit der Jahrtausendwende ...... 30 4.3 Räumliche Gliederung und Funktionen ...... 31 4.4 Raumordnerische Entscheidungen des Kreises und deren Auswirkungen ...... 31 Umstrukturierung des Main-Kinzig-Kreis ...... 31 Ländlicher Raum ...... 31 5. Die Stadt Hanau in 2020 ...... 32 5.1 Standortbeschreibung ...... 32 5.2 Vollzogene Entwicklung seit der Jahrtausendwende ...... 32 5.4 Raumordnerische Entscheidungen der Stadt und deren Auswirkungen ...... 33 5.5 Kernthemen und Herausforderungen ...... 33 Zusammenfassung (S. 67) ...... 33 6. Szenarien für die Raumordnung des Main-Kinzig-Kreises ...... 34 6.1 Szenario 1: Die Stadt Hanau verbleibt im Main-Kinzig-Kreis ...... 34 6.2 Szenario 2: Die Stadt Hanau wird kreisfrei ...... 35 6.3 Diskussion der Szenarien ...... 39 7. Handlungsempfehlung ...... 42 8. Eine neue Vision für den Raum ...... 43 8.1 Chance für Mittelzentren...... 43 4

8.2 Hanau als Großstadt im Rhein-Main-Gebiet ...... 43 8.3 Zentrale Vision ...... 44 Chancen und Risiken einer möglichen Auskreisung der Stadt Hanau – Eine Bewertung aus Sicht des Main-Kinzig-Kreises ...... 44 Teil 1: Zusammenfassung aus IHK-Sicht ...... 44 Teil 2: gestraffte Volltextversion der Quelle ...... 45 Zusammenfassung ...... 45 Einleitung ...... 47 Ausgangspunkt ...... 47 Ziele, Methodik und Aufbau des Gutachtens ...... 48 Aufbau des Gutachtens ...... 49 Kontextanalyse ...... 49 Einordnung des Main-Kinzig-Kreises im Prognos Zukunftsatlas 2019 ...... 49 Einordnung Stadt Hanau im Main-Kinzig-Kreis anhand soziökonomischer Faktoren .....50 Erfahrungen anderer Auskreisungsprozesse sowie Fusionen von Landkreisen in Deutschland ...... 51 Zwischenfazit Benchmark- und Kontextanalyse ...... 52 Effekte der Auskreisung auf die Aufgabenerfüllung ...... 53 Effekte auf ausgewählte Ausgabenbereiche des Main-Kinzig-Kreises ...... 54 Bewertungsmatrix ausgewählter Aufgabenbereiche ...... 58 Effekte auf weitere betroffene Aufgabenbereiche ...... 59 Zwischenfazit ...... 60 Sondereffekte der Auskreisung ...... 61 Kassenkredite und Hessenkasse ...... 61 Kommunaler Finanzausgleich Hessen ...... 62 Pensionsverpflichtungen ...... 63 Abfallentsorgung/Nachsorge Deponien ...... 65 AQA GmbH – Gemeinnützige Gesellschaft für Arbeit, Qualifizierung und Ausbildung mbH ...... 65 Gesamtbewertung ...... 66 Zusammenfassende Bewertung der Risiken (…) für den MKK ...... 66 Zusammenfassende Bewertung der Chancen … für den MKK ...... 68 Anhang ...... 70 Zusammenfassung Diskussion OB Kaminsky in der VV 06.12.2019 ...... 70 Zusammenfassung Diskussion Landrat Stolz in der VV 09.03.2020 ...... 71 Pressemeldung der IHK vom 10.03.2020: IHK spricht sich für Verbleib Hanaus im MKK aus ...... 73

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Konzept – Kreisfreiheit der Groß- stadt Hanau zum 1. April 2021 Herausgegeben von der Stadt Hanau, März 2019

Teil 1: Zusammenfassung aus IHK-Sicht Argumente Quelle Die Wettbewerbsfähigkeit Hanaus in der Metropolregion Frankfurt RheinMain S. 5, 22 wird durch die ländliche Prägung des MKK geschwächt. Hanau will seine künftige Entwicklung eher an das Zentrum der Metropolregion S. S 15 koppeln, nicht an den MKK. Aufgaben und Interessensouveränität des wirtschaftsstarken Hanaus ggü. MKK. S. 4 Wesentliches Merkmal der Hanauer Wirtschaft ist die Materialtechnik, damit will S. 38 sich Hanau überregional positionieren (Alleinstellungsmerkmal). Die Stadt Hanau ist geprägt von stetigem Wachstum und wird Großstadt S. 3 (100.000 Einwohner). Die Finanzlage Hanaus wird sich durch die Kreisfreiheit leicht verbessern (noch S. 4 ohne Berücksichtigung von Synergien und Verwaltungseffizienz). Die ländliche Prägung des MKK wird auch dadurch betont, dass der Kreissitz S. 16 von Hanau nach verlegt worden ist. Hanau hat durch große Flächenangebote (z. B. durch Konversionsflächen) gro- S. 3, 22 ße Chancen vor allem im Wettbewerb zum übersiedelten Frankfurt. Kreisfreiheit erleichtert den Zugang zu Förderprogrammen. S. 33 Hanau wird als kreisfreie Stadt etwas höhere Steuereinnahmen erzielen. S. 82, 83 Hanau erreicht gegenüber dem MKK überdurchschnittliche hohe Lohn- und Ein- S. 30 kommenssteuereinnahmen. Hanau wird in die Regionalplanung einbezogen, große Teile des MKK nicht (ge- S. 28 gensätzliche Entwicklungstendenzen). Die Kreisfreiheit liefert Hanau das passende Instrumentarium, um die Bedürfnis- S. 34, 35 se einer Großstadt zu erfüllen. Hanau erfüllt aufgrund seiner historischen Entwicklung (früher Kreisfreiheit, S.10 dann Sonderstatus-Stadt) das Aufgabenspektrum einer kreisfreien Großstadt und hat überregionale Bedeutung, insbesondere bei der Ausstattung z. B. mit Schulen, Museen oder Krankenhäusern. Bessere finanzielle Ausstattung der Vereine durch Kreisfreiheit möglich. S. 5 Kreisfreiheit ist wichtiger Baustein in der Stadtentwicklung. S, 22 Hanau war bisher in der Kreispolitik unterrepräsentiert. S. 24 Die Arbeitsmarktzentralität Hanaus (153,5%) unterstreicht den Anspruch auf S.36 Kreisfreiheit (vgl: MKK 60,8%). Bisher längere Bearbeitungsdauer der Bürgeranliegen durch die Zuständigkeit S. 43 des MKK, bei Kreisfreiheit kürzere Verwaltungswege und Effizienzsteigerung. Bessere Ausschöpfung von Entwicklungspotenzialen und Chancen. S. 22 Hanau taucht bei statistischen Darstellungen nicht individuell auf, sondern wird S. 41 dem MKK zugeordnet. Dies erschwert es z. B. sich Investoren zu präsentieren. Mit dem Hanauer Modell (Zusammenarbeit Bundesagentur für Arbeit und Stadt S. 40 Hanau) und räumlicher Nähe zu den Betroffenen soll eine Bündelung der Kom- petenzen erreicht werden. Hanau besitzt überörtliche Infrastrukturelle Bedeutung, wie für kreisfreie Städte S. 41 üblich. Kreisfreiheit ist ein Imagefaktor bei der Wahrnehmung von außen. S. 42 Kreisfreiheit bedeutet übersichtlichere Verwaltung und erleichtert steigende S. 43 6

Wahlbeteiligung. Verwaltungskraft, Leistungsfähigkeit, Angebot und Ausstrahlung eines Ober- S. 46 zentrums stärken Umlandgemeinden insbesondere dann, wenn dieses Ober- zentrum kreisfrei ist. Aufgrund seiner Größe und Wirtschaftskraft wird der MKK auch trotz der Kreis- S. 65 freiheit Hanaus seinen Aufgaben weiterhin nachkommen können.

Teil 2: gestraffte Volltextversion der Quelle Vorwort des Oberbürgermeisters „Die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Hanau hat am 20. August 2018 einstimmig beschlossen, einen Antrag zur Erlangung der Kreisfreiheit per 1. April 2021 zu stellen. Die Reaktionen aus der Bevölkerung, aus Institutionen und Organisationen (…) zeigen deutlich, dass auch eine beachtliche Mehrheit der Bürgerschaft hinter dieser Entscheidung steht.

Die Brüder-Grimm-Stadt Hanau war in ihrer langen Geschichte die überwiegende Zeit kreisfrei oder Kreisstadt. Erst seit dem Beschluss des Kreistages des Main-Kinzig-Kreises im Jahre 2005, den Sitz des Kreises und die Verwaltung nach Gelnhausen zu verlegen, ist Ha- nau weder Kreisstadt noch kreisfrei.

Bereits jetzt erfüllt die Stadt Hanau zahlreiche Aufgaben, die üblicherweise von einem Land- kreis oder einer kreisfreien Stadt erledigt werden. Dazu gehören beispielsweise Schulträger- schaft, Jugendhilfe, Ausländerbehörde. Darüber hinaus verfügt die Stadt Hanau über eine eigene Wohnungsbaugesellschaft, einen eigenen Verkehrsbetrieb, eine eigenständige Wirt- schaftsförderung sowie über ein Klinikum der Maximalversorgung und mehr.

Es ist der Wunsch der gewählten Vertreterinnen und Vertreter der Bürgerschaft, künftig alle Geschicke der Stadt in die eigene Hand zu nehmen. Dies entspricht auch den Intentionen des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland und der Verfassung des Landes Hes- sen.

Die Übernahme weiterer Aufgaben im Zuge der Kreisfreiheit ermöglicht es der Stadt, Synergien zu nutzen, die Verwaltung noch effizienter und bürgernäher zu gestalten. (…)

Die finanziellen Auswirkungen sind abschätzbar. Nach den bisherigen Berechnungen der Stadt, des Main-Kinzig-Kreises und Zahlen aus vergleichbaren Kommunen, werden sich haushalterische Belastungen und Entlastungen in etwa die Waage halten. Derzeit ist davon auszugehen, dass die Bilanz für die Stadt sogar leicht positiv ausfällt. Die Einsparungen durch Synergien und die Effizienzsteigerung der Verwaltung sind dabei noch nicht berück- sichtigt.

Der Main-Kinzig-Kreis wird auch nach der Ausgliederung ein leistungsstarker Kreis bleiben. Mit mehr als 300.000 Einwohnerinnen und Einwohnern bleibt er einer der einwohnerstarken Kreise der Bundesrepublik. Die Struktur und damit auch die Interessenlagen der Kommunen im Main-Kinzig-Kreis sind höchst unterschiedlich. Der Großstadt Hanau im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main stehen eher ländliche Strukturen im Osten des Kreises mit einer Aus- richtung nach gegenüber.

Hanau will seine Interessen klar und eindeutig im großstädtisch geprägten Ballungsraum vertreten. Bereits jetzt ist Hanau als Mitglied in allen Einrichtungen des Ballungsraumes ver- treten. Mit der Kreisfreiheit würde es hier eine klare Aufgaben- und Interessenverteilung zwi- schen der Stadt und dem Main-Kinzig-Kreis geben. Wir würden als zwei starke gleichberech- tigte Partner für den Osten der Rhein-Main-Region ein- und auftreten.

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Auch als kreisfreie Stadt würde Hanau weiterhin seine Aufgaben als Oberzentrum für das Umland erfüllen und sogar noch verbessern können. (…) Als kreisfreie Stadt wird Hanau sicherstellen, dass die Hanauer Vereine, Verbände und Institutionen auch künftig finanziell ausgestattet bleiben wie bisher. Im Einzelfall – beispielsweise im sozialen Bereich – werden sie sogar bessergestellt.

Letztendlich dokumentiert der Wunsch nach Kreisfreiheit den Gestaltungswillen und Umset- zungsanspruch von Magistrat und Stadtverordnetenversammlung. Damit soll der erfolgreich eingeschlagene Weg in der Stadt- und Strukturpolitik als Großstadt konsequent und eigen- verantwortlich weiterentwickelt werden.

Die Kreisfreiheit ist vernünftig und folgerichtig. Sie eröffnet zusätzliche Chancen für Stadt, Kreis und Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main. Landesregierung und Landtag werden gebe- ten, das Vorhaben zu unterstützen und zu genehmigen.“ (S. 4 f.) Rechtliche Grundlagen Da die Rechtsgrundlagen für eine mögliche Auskreisung Hanaus bisher von keiner Seite in Frage gestellt werden, wird auf ihre Zusammenfassung oder Darstellung verzichtet. Historie und Entwicklung 1. Historie (…) 2. Neugliederung in den 1970er Jahren „(…) Die Stadt Hanau wurde in den neu gegründeten Main-Kinzig-Kreis eingegliedert und verlor damit den Status der Kreisfreiheit zum 01.07.1974. Folgende wesentlichen Aufgaben verblieben bei der Stadt Hanau:  die Schulträgerschaft,  die Jugendhilfeträgerschaft,  die Untere Bauaufsicht und  unentziehbare Delegation der Sozialhilfe. (…)

Mit dem Gesetz zur Neugliederung des Lahn-Dill-Gebiets und zur Übertragung von weiteren Aufgaben auf kreisangehörige Gemeinden mit mehr als 50.000 Einwohnerinnen und Ein- wohnern sowie zur Regelung sonstiger Fragen zur Verwaltungsreform vom 10.07.1979 wur- de die Stadt Hanau Trägerin der Volkshochschule, Trägerin der Kriegsopferfürsorge und zuständig für die Förderung des Wohnungsbaus und der Wohnungsmodernisierung.

Die Stadt Hanau hat durch gesetzliche Regelungen weitere Zuständigkeiten:  Ausländerbehörde  Untere Naturschutzbehörde  Untere Denkmalschutzbehörde  Aufgabenträger gemäß § 5 des Gesetzes über den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNVG) in Hessen.

Im Jahr 2005 verlegte der Main-Kinzig-Kreis seinen Sitz und die Verwaltung in die Stadt Gelnhausen, ca. 25 km östlich von Hanau. Mit Verlegung des Kreissitzes nach Gelnhausen wurden auch zahlreiche Dienstleistungen dorthin verlegt. Erstmals in seiner Geschichte war Hanau weder kreisfrei noch Kreisstadt.

In Hanau verblieben sind die Zulassungs- und Führerscheinstelle sowie die Sachbearbeitung der Leistungen nach Sozialgesetzbuch Teil II -SGB II-. Mit der Verlegung des Kreissitzes von Hanau nach Gelnhausen hat der Main-Kinzig-Kreis das amtliche Auto-Kennzeichen MKK für das Kreisgebiet eingeführt. 8

Die Stadt Hanau wollte das Kennzeichen HU behalten; dies setzte voraus, dass Hanau auch Zulassungsbehörde ist. Auf Antrag der Stadt hat die Hess. Landesregierung die Zuständig- keitsverordnung am 18.07.2005 geändert. Der Oberbürgermeister ist [jetzt] Zulassungsbe- hörde.

Da der Main-Kinzig-Kreis die Dienststelle für Zulassung und Führerscheinstelle in Hanau belassen hat, wurde zwischen Hanau und Main-Kinzig-Kreis ein gemeinsamer Ordnungsbe- hördenbezirk gebildet. (…) Der Main-Kinzig-Kreis nimmt die Aufgaben der Zulassungsbehör- de für die Stadt Hanau wahr. (…) Inhalt der gemeinsamen Vereinbarung zwischen Stadt Ha- nau und dem Main-Kinzig-Kreis ist u.a., dass der Main-Kinzig-Kreis die Gebühren einnimmt, eine Kostenerstattung an die Stadt Hanau erfolgt nicht.

Die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Hanau hat am 17.12.2018 die Auflösung des Ordnungsbehördenbezirkes und die Kündigung der gemeinsamen Vereinbarung zum 31.12.2020 beschlossen. (…) Der Main-Kinzig-Kreis hatte mit Schreiben vom 15.11.2018 mitgeteilt, dass auch er die Vereinbarung kündigen werde.“ (S. 10 f.) 3. Oberzentrum „Die Stadt Hanau wurde im Landesentwicklungsplan Hessen 2000 (…) zum Oberzentrum ausgewiesen. Außer Hanau sind in Südhessen Oberzentren die kreisfreien Städte Darm- stadt, Frankfurt/Main, Offenbach und .

Oberzentren sind gekennzeichnet durch Einrichtungen zur Deckung des spezialisierten hö- heren Bedarfs und weisen als Infrastruktur auf: Überregional bedeutsame Museen, Kranken- haus der Maximalversorgung, überregionale Sportstätten, ICE-Haltepunkt, innerstädtisches öffentliches Verkehrsnetz, Behörden und Gerichte höherer oder mittlerer Instanz. Diese An- forderungen an ein Oberzentrum erfüllt Hanau bereits seit dem Jahr 2000.“ (S. 12 f.) 4. Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main (im Sinne des Metropolgesetzes) „Seit 2011 besteht der Regionalverband Frankfurt/Rhein-Main, Hanau ist Mitglied. (…)

Gemäß der Präambel des Metropolgesetzes soll die Metropolregion Frankfurt/Rhein-Main als Motor der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung die Leistungs- und Zukunftsfähigkeit des Landes Hessen im nationalen und internationalen Zu- sammenhang stärken. Zum Wohle der Region bedarf es demnach in den Bereichen der überörtlichen Daseinsvorsorge und der räumlichen Planung moderne Formen der kommuna- len Zusammenarbeit, ohne die garantierte Selbstbestimmung der Kommunen infrage zu stel- len. Durch neue regionale Kooperationsformen und Netzwerke sollen die kommunalen Kräfte gebündelt und gefördert werden. Zur Errichtung dieser Entwicklungsziele wird im Ballungs- raum Frankfurt/Rhein-Main ein Regionalverband zur Steuerung und Koordinierung der ge- meinschaftlichen Aufgabenwahrnehmung gebildet.

Die Kommunen des Ballungsraums haben gemäß § 1 MetropolG 2011 folgende Aufgaben:  Errichtung und Betrieb überörtlicher kultureller und sportlicher Einrichtungen,  Standortmarketing und Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung,  Planung, Errichtung und Unterhaltung des Regionalparks Rhein-Main,  regionale Verkehrsplanung.

Mit dem Änderungsgesetz vom 24.08.2018 werden die Aufgaben erweitert:  bedarfsorientierte Entwicklung des Wohnungsbaus,  ressourcenschonende Beschaffung von Trinkwasser,  Erstellung eines regionalen Energie- und Klimaschutzkonzeptes,  Entwicklung und Umsetzung gemeinsamer Digitalisierungsstrategien.

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Dem Ballungsraum gehören neben Hanau die Kommunen des früheren Altkreises Hanau an, der Ballungsraum endet mit der Stadt (ca. 13 km östlich von Hanau).

Die Stadt Hanau ist Kraft landesgesetzlicher Regelungen bei gewichtigen Themen (…) in die Metropolregion eingebunden. In Fragen der zukünftigen Entwicklung ist die Stadt Hanau mehr mit der Metropolregion verflochten als mit dem Main-Kinzig-Kreis. Die Stadt Hanau ist Mitglied in allen Gesellschaften des Ballungsraumes Frankfurt/Rhein-Main:  Rhein-Main-Verkehrsverbund GmbH  FrankfurtRheinMain GmbH International Marketing of the Region  Frankfurt Ticket RheinMain GmbH  Kulturregion Frankfurt RheinMain-gemeinnützige GmbH  Gemeinnützige Kulturfonds Frankfurt Rhein Main GmbH  ivm GmbH (integriertes Verkehrs- und Mobilitätsmanagement Region Frankfurt  RheinMain)  Regionalpark Ballungsraum RheinMain GmbH.

Die erwähnte Verlegung des Kreissitzes im Jahr 2005 nach Gelnhausen hat den Schwer- punkt des Kreises aus dem Ballungsraum (Stadt Hanau) in den ländlichen Raum verscho- ben.“ (S. 14 f.) 5. Zusammenarbeit mit dem Main-Kinzig-Kreis und kreisangehörigen Gemeinden und Städten „Die Zusammenarbeit mit dem Main-Kinzig-Kreis und kreisangehörigen Gemeinden und Städten beschränkt sich auf historische Gegebenheiten, auf Folgen der Verlegung des Kreissitzes nach Gelnhausen und auf Zweckmäßigkeitserwägungen zugunsten der Einwoh- nerinnen und Einwohner und der Steuerzahler (Synergieeffekte):

Historisch:  Zweckverband berufsbildender Schulen (2 Schulen) mit dem Altkreis Hanau seit den 1950er Jahren  Die Kläranlage der Stadt Hanau entsorgt seit 1960 bzw. 1964 die Abwässer der heuti- gen Stadtteile von : Hochstadt, Dörnigheim und Wachenbuchen sowie seit 1974 der Stadt Bruchköbel.

Verlegung Kreissitz:  Ordnungsbehördenbezirk Kfz-Zulassung durch Main-Kinzig-Kreis für Hanau seit 2006 (Vertrag wurde von der Stadt zum 31.12.2020 gekündigt)

Zweckmäßigkeitserwägungen:  Einheitlicher Droschkenbezirk mit den Städten Bruchköbel und sowie mit den Gemeinden Großkrotzenburg und Rodenbach seit 1979/1991/2006 (Gebietserweiterun- gen)  Ordnungsbehördenbezirk Gefahrgutsachbearbeitung durch die Stadt Hanau für die Städte Bruchköbel, Erlensee, Langenselbold und sowie die Gemeinden Groß- krotzenburg, , Neuberg, , Rodenbach, Ronneburg, Schön- eck seit 1994  Erhebung Fehlbelegungsabgabe durch die Stadt Hanau für die Städte Erlensee, Geln- hausen, Langenselbold, Maintal und Nidderau seit 2016  Kooperationsvereinbarung zwischen dem Main-Kinzig-Kreis und der Stadt Hanau zur zusätzlichen Beschulung von Schülerinnen und Schülern aus dem Main-Kinzig-Kreis an Gymnasien der Stadt Hanau  Gemeinsamer Schulentwicklungsplan für die fünf beruflichen Schulen des Main-Kinzig- Kreises, der Stadt Hanau und des Zweckverbandes

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Die Zusammenarbeit beschränkt sich mit Ausnahme der Erhebung der Fehlbelegungsabga- be für die Stadt Gelnhausen auf Mitgliedsgemeinden aus dem Ballungsraum.

Aktuell wird in Hanau in einem Gebäude der städtischen Baugesellschaft das Haus des Ju- gendrechts errichtet; der Eröffnungstermin ist im April 2020 vorgesehen. Die öffentlichen Jugendhilfeträger Stadt Hanau und Main-Kinzig-Kreis arbeiten hier bedingt durch den Ge- richtsbezirk des Landgerichts Hanau in der Aufgabe der Jugendgerichtshilfe zusammen.“ (S. 16 f.) Bevölkerungsprognose Nach von der Stadt beauftragten Prognosen wird die Bevölkerung Hanaus mindestens bis ins Jahr 2035 hinein steigen, und die Stadt bereits 2020 mehr als 100.000 Einwohner haben.

Kreisfreie Städte Hessen und andere Bundes- länder „In Hessen gibt es keine gesetzliche Regelung, die eine Mindesteinwohnerzahl für eine kreis- freie Stadt festlegt. Die Hessische Staatskanzlei führt aus, dass die 100.000 Einwohnergren- ze bislang keine rechtlich verbindliche Grenze für die Kreisfreiheit darstellt, aber als Schwel- lenwert beachtlich sein könnte. Die nach der Gebietsreform 1974 belassenen kreisfreien Städte haben alle mehr als 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner. (…) Alle kreisangehöri- gen hessischen Städte und Gemeinden haben unter 100.000 (…) Einwohner, die Sondersta- tusstädte über 50.000 (…) Einwohner. Die Stadt Hanau ist die bevölkerungsreichste Sonder- statusstadt. (…)Schon im Hinblick auf die deutlich geringere Einwohnerzahl ist Hanau mit diesen Städten und deren künftiger Entwicklung nicht vergleichbar. Die hessischen Sonder- statusstädte Marburg, Gießen, Fulda, Bad Homburg und sind Sitz der Kreisverwal- tung. Sitz der Verwaltung des Main-Kinzig-Kreises ist seit 2005 nicht in der Sondersta- tusstadt Hanau, sondern im ca. 25 km entfernten Gelnhausen.

Sitz der Verwaltung des Landkreises (…) ist nicht im Gebiet des Landkreises, sondern in der kreisfreien Stadt Aschaffenburg (…).“ (S. 19 f.) Nicht im Text erwähnt, aber in einer beigefügten Tabelle dokumentiert ist die Sonderstatus-Stadt Rüsselsheim (65.370 Ew), deren Kreissitz Groß-Gerau ca. 14 km entfernt liegt.

Motivation und Potenziale/Synergien „Neben der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Selbstverwaltung von Städten und Gemeinden und dem in ihrer langen Historie geprägten Selbstverständnis der Stadt Hanau, stellen die Entwicklung der Einwohnerzahl auf großstädtisches Niveau und die damit einher- gehende weitere Vergrößerung der strukturellen Unterschiede zur ländlichen Region Osthessens ausreichend Gründe für die Kreisfreiheit Hanaus dar.“ (S. 21)

„Die Stadt Hanau stellt somit bereits seit längerer Zeit unter Beweis, dass sie gewillt und in der Lage ist, zunehmende Verantwortung zu schultern und damit gemeinsam mit ihrer eigenen Prosperität auch ihre Aufgaben als Oberzentrum in der Metropolregion Frankfurt/Rhein-Main zu erfüllen.

Fakt ist auch, dass die Stadt Hanau als Mitglied in allen Gesellschaften der Metropolregion, immer auf ihre möglichst dichte Vernetzung im Ballungsraum Frankfurt/ Rhein-Main gesetzt hat. Schließlich spiegelt diese Verbindung die Lebenswirklichkeit der Hanauerinnen und Ha- nauer wider.“ (S. 23)

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„Der Main-Kinzig-Kreis hat in den letzten eineinhalb Dekaden seit der Verlagerung seiner Kreisstadt nach Gelnhausen (ca. 25 km östlich von Hanau) im Jahr 2005 nachhaltig doku- mentiert, sich auf seine Rolle als Landkreis des ländlichen Raumes zu konzentrieren. Auch wurden keine nennenswerten Initiativen des Main-Kinzig-Kreis unternommen, um die Positi- on Hanaus als Scharnier zwischen der Metropolregion und dem übrigen Kreisgebiet bewusst zu nutzen oder eine hierauf abzielende Strukturpolitik zu betreiben.

Während die Stadt ambitioniert ihr Wachstum bewusst befördert hat, hat der Kreis keines- wegs eine gemeinsame regionale Strategie angestrebt oder gar verfolgt. Die Stadt Hanau sieht in der Auskreisung somit auch eine Erweiterung ihrer Freiheit, eigenverantwortlich zu handeln, um ihre Strukturpolitik als werdende Großstadt und Oberzentrum der Metropolregi- on in angemessener Weise fortzuführen und die oben angesprochene Gewährung von Rechten mit der aktiven Übernahme von Pflichten in eine adäquate Balance zu bringen.“ (S. 24) 1. Konversion und Stadtentwicklung a) Konversion als Motor der Stadtentwicklung „(…) Die zivile Nutzung ehemaliger US-Liegenschaften hat der Stadt Hanau (…) ein hohes Potenzial an wirtschaftlicher als auch an bevölkerungstechnischer Entwicklung an die Hand gegeben. Dies ist der Wachstumsmotor für nachhaltige Bevölkerungsentwicklung (…) und Wirtschaftskraft. (S. 26) b) Innenentwicklung „Neben der Entwicklung der Konversionsflächen hat die Stadt vorhandene Flächenpotenziale entwickelt. (…) Mehr als 90 % aller aktuellen Bauleitplanungen und Bauprojekte für den Wohnungsbau im Jahr 2018 sind der Innenentwicklung zuzurechnen.“ (S. 26) 2. Regionaler Flächennutzungsplan Südhessen Hanau ist Bestandteil der Regionalplanung „(…) Zielvorgabe des Landesentwicklungsplanes für Hanau sind mindestens 60 Wohnun- gen/ha. (…) Der städtische Prozess über die einzelnen Flächen ist noch nicht abgeschlos- sen. Die Stadt Hanau hat jedoch ein deutliches Signal gegeben, dass sie bereit ist, sich mit den anderen kreisfreien Städten aktiv den Herausforderungen und Aufgaben zu stellen, de- nen die Rhein-Main-Region im Hinblick auf Wohnraumversorgung gegenübersteht. Die Stadt wird die Anforderungen des Landentwicklungsplanes erfüllen.

Die Stadt Hanau hat über eine Modellrechnung geschätzt, dass in den kommenden 20 Jah- ren – ergänzend zu den aktuell in konkreter Planung befindlichen rund 5.000 Wohneinheiten – rund 7.000 neue Wohnungen entstehen könnten. (…)

Hanau ist aufgrund des Metropolgesetzes und des Landesplanungsgesetzes in die Regio- nalplanung Frankfurt/Rhein-Main eingebunden; eine Regionalplanung für den Main-Kinzig- Kreis besteht nicht.“ (S. 28) 3. Soziostrukturelle Unterschiede und Entwicklungen a) Strukturunterschiede Stadt und Landkreis „Hanau ist im Verbandsgebiet Frankfurt/Rhein-Main und im gesamten das einzige nicht kreisfreie Oberzentrum. Als Oberzentrum im östlichen Verdich- tungsraum Rhein-Main weist Hanau jedoch mannigfaltige Merkmale und Handlungsnotwen- digkeiten der anderen kreisfreien Städte auf, bei gleichzeitig gravierenden Unterschieden insbesondere zum ländlichen Raum des Main-Kinzig-Kreises.

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 In Hanau leben auf 5,5 % der Fläche des Main-Kinzig-Kreises 23 % der Bevölkerung sowie 22 % der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten und hier befinden sich knapp 36 % der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze.  Fast 64 % des Bevölkerungswachstums des Main-Kinzig-Kreises seit 2011 ist auf die Stadt Hanau zurückzuführen. Hanau wächst im Gleichschritt mit den anderen Großstäd- ten des Ballungsraums Frankfurt, Darmstadt, Offenbach fast dreimal1 so schnell wie der übrige Main-Kinzig-Kreis.  Hanau hat einen Ausländeranteil von fast 26 % (restlicher Main-Kinzig-Kreis 15 %) und damit leben fast zwei Fünftel der nichtdeutschen Bevölkerung des Main-Kinzig-Kreises in Hanau. Mit einem Ausländeranteil von über 25 % gehört Hanau zu den großen Ankunfts- städten Hessens.  In Hanau werden mehr als 26 % der kommunalen Steuereinnahmen des Main-Kinzig- Kreises erwirtschaftet und leben 39 % der arbeitslosen und knapp 41 % der erwerbsfähi- gen Leistungsbezieher nach SGB II des Main-Kinzig-Kreises.

Damit sind Strukturunterschiede der Stadt Hanau zum übrigen Main-Kinzig-Kreis bereits hin- reichend beschrieben. Daraus folgt auch, dass sich die sozialpolitischen Problemlagen Ha- naus deutlich von den übrigen Städten des Main-Kinzig-Kreises und dem ländlichen Raum des Main-Kinzig-Kreises unterscheiden.“ (S. 28 f.) b) Reibungsverluste und fehlende Synergien (…) „(…) Dass die Sozialstruktur der Stadt Hanau deutlich vom „durchschnittlichen“ Main-Kinzig- Kreis abweicht, zeigt auch ein Blick in die offizielle Einkommenssteuerstatistik von 2014 (letzter verfügbarer Datensatz): Der Anteil der Lohn- und Einkommenssteuerpflichtigen an der Gesamtbevölkerung ist im Vergleich zum Main-Kinzig-Kreis unterdurchschnittlich, der Wert des zu versteuernden Einkommens je Steuerpflichtigen lag in Hanau bei etwa 90 % des Durchschnittswertes für den Landkreis, und die gezahlte Lohn- und Einkommenssteuer pro Kopf erreicht nur knapp 88 % des Durchschnittswertes des Kreises.

Dies zeigt, dass die Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt Hanau im Durchschnitt eine geringere Eigenleistungsfähigkeit haben bzw. in höherem Maße auf Leistungen der kommu- nalen sozialen Daseinsvorsorge angewiesen sind. Eine ausgleichende Funktion des Main- Kinzig-Kreises kann in diesem Zusammenhang nicht belegt werden. Zwar bringt die ober- zentrale Funktion der Stadt einerseits auch zusätzliche Kaufkraft nach Hanau, andererseits liegt der Nutzungsanteil von Bürgerinnen und Bürgern aus den Umlandgemeinden in zahlrei- chen städtisch subventionierten Aufgabenbereichen (Volkshochschule, Schwimmbäder, wei- terführende Schulen etc.) bei bis zu 50 %.

Die Bevölkerungsstruktur hat massive Auswirkungen auf wichtige Einrichtungen der Sozialen Daseinsvorsorge der Stadt Hanau. Kindertagesstätten, Jugendhilfe, Schulen, Volkshoch- schule sind mit Fragestellungen der Arbeitslosigkeit, Armutsgefährdung und Kinderarmut konfrontiert ohne auf ein homogenes soziales Unterstützungssystem und einheitlich agieren- de Ansprechpartner zurückgreifen zu können.

Die Aufspaltung der Zuständigkeiten im Sozialbereich auf Stadt und Landkreis hat für die Bürgerinnen und Bürger einer Stadt mit der Größe und Struktur Hanaus deutliche Nachteile, wie folgende Beispiele zeigen:  (…) Weder verfügt ein Landkreis von der regionalen Diversität des Main-Kinzig-Kreises über die Erfahrung in der Zusammenarbeit mit städtischen Einrichtungen der Jugendhilfe, noch kann er in der Lage sein, die spezifischen Anforderungen aus der interkulturellen städtischen Situation ausreichend zu erfassen und zu bewältigen. (…)

1 Diese Berechnung kann ich aus den vorher genannten 64%, also fast zwei Drittel, nicht nachvollzie- hen. Das Wachstum Hanaus ist mit 64%, etwa doppelt so hoch wie das des restlichen MKK mit dann logischerweise 36%. – Anm. Q 13

 2011 richtete der Main-Kinzig-Kreis seinen ersten Pflegestützpunkt ein. Obwohl die Stadt Hanau auf den vorhandenen Bedarf der Wirtschaft und den Bevölkerungsschwerpunkt im westlichen Kreisteil hingewiesen hat, wählte der Main-Kinzig-Kreis Gelnhausen als Standort. Die Stadt Hanau hat dem Main-Kinzig-Kreis mehrfach Unterstützung angebo- ten, in Hanau einen weiteren Pflegestützpunkt oder eine Außenstelle einzurichten und hierfür sogar Räumlichkeiten in unmittelbarer Nachbarschaft des städtischen Seniorenbü- ros angeboten, um die gesetzlich gewünschte Vernetzung mit ehrenamtlicher Senioren- arbeit zu unterstützen. Der Kreis folgte diesen Empfehlungen nicht und richtete stattdes- sen im Sommer 2018 eine Außenstelle in Schlüchtern (im Ostkreis) ein.“ (S. 29 f.)  Folgen weitere Beispiele zu  „Soziale Stadtentwicklung“  „Asyl“  „Nicht alle Förderprogramme der überregionalen Ebenen sind für die Stadt Hanau als Sonderstatusstadt direkt zugänglich, sondern richten sich explizit an Landkreise und Großstädte. Beispielsweise wurde die Stadt Hanau 2015 als Schulträger von der Trans- feragentur Hessen zur Teilnahme am Netzwerk Kommunales Bildungsmanagement auf- gefordert. Für die Stadt Hanau war eine Beteiligung als Schulstadt mit rund 18.000 Schü- lerinnen und Schülern sowie weiterer Bildungseinrichtungen (…) hochgradig interessant. Für die Teilnahme am dazugehörigen Bundesprogramm „Bildung integriert“ (ESF/BMBF) wäre jedoch die Vernetzung mit dem Main-Kinzig-Kreis sinnvoll gewesen. Das Bundes- programm richtet sich ausschließlich an Landkreise und Großstädte. Bis heute ist der Main-Kinzig-Kreis auf der Landkarte der Transferagentur Hessen eine Leerstelle (neben den Landkreisen Vogelsberg und Gießen).“ (S. 33 f.) c) Eine zukunftsfähige Großstadt-Gesellschaft braucht Bündelung der kommunalen Instrumente „Die Entwicklung der Stadt Hanau zur Großstadt in naher Zukunft ist vorgegeben. Die sozio- strukturelle Lage Hanaus entspricht weitestgehend bereits anderer Großstädte, ohne dass Hanau über deren umfassendes Instrumentarium verfügt.“ (S. 34)

„(…) Ein Landkreis im Spagat zwischen dem ländlichen Raum Osthessens und dem Verdich- tungsraum Rhein-Main wird diesen Bedürfnissen einer Großstadt zunehmend schwerer ge- recht werden können.“ (S. 35)

„(…) Umgekehrt können die zweifelsohne vorhandenen Verflechtungen Hanaus mit dem Umland im Verdichtungsraum Rhein-Main weiterhin durch entsprechende Absprachen und Vereinbarungen berücksichtigt werden. Für die gesamte Region wird es von Vorteil sein, zu einer Kooperation zwischen Main-Kinzig-Kreis und Stadt Hanau auf Augenhöhe zu kom- men.“ (S. 35) 4. Wirtschaftsstandort Hanau a) Bedeutender Arbeitsplatzmotor in der Region „Hanau ist ein prosperierender Wirtschaftsstandort in der Metropolregion Frankfurt/Rhein- Main mit einem überdurchschnittlich hohen Bruttoinlandsprodukt je Einwohner (…) Die aus- sergewöhnliche Strahlkraft erschließt sich jedoch insbesondere über die Arbeitsmarkt zentra- lizität, die die Einpendler und Auspendler ins Verhältnis setzt (…). Vergleicht man diese so- wohl mit dem Main-Kinzig-Kreis, als auch mit dem angrenzenden Offenbach, so zeigt sich, dass Hanau mit einer Zentralizitätskennziffer bezogen auf den Arbeitsmarkt von rund 154% ein großes Beschäftigungsangebot für die Region und damit Wohlstand und Wohlfahrt si- chert.“ (S. 36)

14 b) Innovativen Materialtechnikstandort nachhaltig stärken „(…) Mit der Ansiedlung der Fraunhofer Projektgruppe für Wertstoffkreisläufe und Ressour- censtrategie IWKS ist es Hanau gelungen, seine Rolle als Zentrum der Materialtechnik in der Region nochmals zu stärken. Gleichzeitig stellt Hanau seine Branchenstruktur breiter auf und ist auch Standort für Dienstleistungsunternehmen. Handel und Logistik, IT und Gastgewerbe sind weitere wichtige Branchen.

Materialtechnik ist somit Hanaus Alleinstellungsmerkmal in Frankfurt/Rhein-Main und macht es zu einem wichtigen Standort im Netzwerk Produktion der Region, das einen wesentlichen Beitrag zur regionalen Wirtschaftskraft liefert. (…)

Insbesondere bezogen auf die dringend benötigten MINT-Fachkräfte steht Hanau im Wett- bewerb mit den Standorten bekannter Unternehmen, ganz besonders solcher, die im End- kundensegment tätig sind. Denn im Gegensatz beispielsweise zu den großen Automobil- oder Chemiestandorten ist die Materialtechnik nicht „sichtbar“ und damit wenig bekannt.

Ziel ist daher – gemeinsam mit der IHK Hanau, Gelnhausen, Schlüchtern und örtlichen Un- ternehmen – Hanau mit seinen Stärken als Stadt der Materialtechnik und Standort mit hoher Lebensqualität bekannter zu machen, um Fachkräfte und Startups sowie ansiedlungsbereite Unternehmen für den Standort Hanau begeistern. Ein Beispiel für die aktiven Profilierungs- maßnahmen ist die Kampagne „Materialtechnik - in Hanau zuhause“.

Motivation für die Kreisfreiheit ist daher auch, dass Hanau als bedeutender Wirtschafts- standort in den regionalen und bundesweiten Statistiken sichtbar wird, da in diesen nur Landkreise und kreisfreie Städte vertreten sind. Diese Auswertungen werden sowohl von Personalberatern als auch Expansionsmanagern herangezogen.“ (S. 37) c) Strahlkraft des Einzelhandelsstandortes erhalten „Gleiches gilt für die Betrachtung des Einkaufsstandortes Hanau. (…)“ (S. 38) d) Durchgängige, innovative Prozesse für alle Akteure des Wirtschafts- standortes gestalten „Ein weiterer wesentlicher Aspekt für den Wirtschaftsstandort Hanau stellt die Möglichkeit dar, Prozesse für die Akteure durchgängig und ortsnah zu gestalten. Als Beispiel sei hier die Vermittlung von Ausbildungsangeboten und offenen Arbeitsstellen sowie Arbeitssuchenden genannt. Hanau hat sich hier für die Gründung einer gemeinsamen Einrichtung (gE) mit der Agentur für Arbeit entschieden, um so die Weiterführung von Parallelstrukturen zu beenden.“ (S. 39) e) Leistungsfähiges Infrastrukturangebot als notwendige Rahmenbedin- gung „Hanau verfügt über eine hervorragende Verkehrsanbindung: (...)“ (folgt Aufzählung, S. 40 f.) 5. Sichtbarkeit, Image und Transparenz der Zuständigkei- ten „Wesentliche empirische Daten zur Entwicklung von Städten werden von den Statistischen Landesämtern nur auf der Ebene von Kreisen sowie kreisfreien Städten erhoben bzw. publi- ziert. Dies hat zur Folge, dass kreisangehörige Städte und Gemeinden sowohl bei wissen- schaftlichen Untersuchungen als auch bei den von vielen Medien regelmäßig publizierten „Städte-Rankings“ nicht gesondert betrachtet bzw. gar nicht einbezogen werden. (…)

Darüber hinaus ist der Status der Kreisfreiheit per se ein Imagefaktor und „gehört mit dazu“, wenn eine Stadt von außen wahrgenommen werden soll. Vielfach werden kreisangehörige

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Städte von vornherein als Kleinstädte angesehen, d.h. es erfolgt ein Schluss vom Status einer Stadt auf ihre Einwohnerzahl und ihre ökonomische Leistungsfähigkeit.

Für kreisangehörige Städte ist die Gesamtheit der kommunalen Aufgaben auf zwei Ebenen aufgeteilt. Dies hat zur Folge, dass es für die Einwohnerinnen und Einwohner sowie die Un- ternehmen nicht unmittelbar erkennbar ist, ob sie sich mit einem Anliegen jeweils an ein Amt oder eine Behörde des Kreises oder der Stadt wenden sollen. Exemplarisch sei darauf ver- wiesen, dass die Änderung von Vornamen in die Zuständigkeit der Stadt Hanau fällt, wäh- rend für die Änderung des Nachnamens der Main-Kinzig-Kreis zuständig ist. (…)“ (S. 41 f.)

„Darüber hinaus kommt es durch die Bündelung von Zuständigkeiten auf der Ebene einer kreisfreien Stadt aufgrund der damit möglichen kürzeren Verwaltungswege zwischen ver- schiedenen Ämtern zu Effizienzvorteilen. (…) Die Eindeutigkeit der Zuständigkeiten in räum- licher Hinsicht kann auch eine Rolle für die Wahlbeteiligung (die tendenziell auch ein Indika- tor für das bürgerschaftliche Engagement ist) in einer Stadt spielen: Für die Einwohnerinnen und Einwohner einer kreisfreien Stadt ist der Aufwand, sich im Vorfeld von Kommunalwahlen über die Ergebnisse der bisher im Amt befindlichen politischen Entscheidungsträger zu in- formieren, geringer als der entsprechende Aufwand für die Einwohnerinnen und Einwohner einer kreisangehörigen Stadt.“ (S. 43)

6. Zukunft Hanau – Bürgerbeteiligungsprozess „In den vergangenen Jahren hat die Stadt Hanau mutige Entscheidungen getroffen, um sich als Stadt zukunftsorientiert weiterzuentwickeln. Dabei ging es um weitaus mehr, als nur den Status Quo zu verwalten, sondern die Gestaltung der Stadt selbstverantwortlich und mit kla- ren Zielen und Ideen voranzutreiben. Diesen Weg geht die Stadt Hanau mit ihrem Stadtent- wicklungs- und Bürgerbeteiligungsprozess „Zukunft Hanau“ konsequent weiter.

Mit dem Prozess „Zukunft Hanau“ stellt sich die Stadt Hanau der Aufgabe einer bewussten Auseinandersetzung mit den Herausforderungen und Entwicklungspotenzialen der Zukunft (….). In der Überzeugung, dass globale wie regionale Probleme letztlich in den Städten ge- löst werden müssen, setzt die Stadt Hanau darauf, möglichst vorausschauend agieren zu können.“ (S. 44 f.) 7. Fazit „Die nachhaltige Stadtentwicklung seit 2008, der Anstieg der Bevölkerungszahlen, die feste Einbindung Hanaus in den Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main, der starke Wirtschaftsstand- ort Hanau sowie die Verwaltungskraft und Leistungsfähigkeit zeigen, dass die Stadt Hanau bereit und in der Lage ist, weitere Aufgaben zu übernehmen und kreisfrei zu werden.

Hanau ist auch weiterhin für eine Zusammenarbeit mit dem Main-Kinzig-Kreis und den kreis- angehörigen Kommunen offen. Der Stadt Hanau sind bereits jetzt oberzentrale Funktionen für das Umland zugewiesen, und eine kreisfreie Stadt kann mit uneingeschränkten kommu- nalen Zuständigkeiten diese Funktionen vollständiger und besser erfüllen.

Umlandgemeinden profitieren von Verwaltungskraft, Leistungsfähigkeit, Angebot und Aus- strahlung eines starken Oberzentrums mit dem Status der Kreisfreiheit. Alle Leistungen, die die Stadt Hanau bereits jetzt für das Umland erbringt, wird die Stadt weiterhin erbringen.“ (S. 46)

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Leistungsfähigkeit/Verwaltungskraft der Stadt Hanau „Die Stadt Hanau besitzt die Größe und Leistungskraft, die zusätzlichen gesetzlichen Aufga- ben zu erfüllen.“ (S. 47) [Auf den folgenden 15 Seiten der Quelle wird diese Hypothese be- gründet, indem entsprechende Leistungen der Stadt und die sie erbringenden Institutionen erläutert werden.]

Leistungsfähigkeit des Main-Kinzig-Kreises „Nach den (…) Einwohnerzahlen (Stand 30.09.2018) haben der Main-Kinzig-Kreis 418.840 (inclusive Stadt Hanau) und die Stadt Hanau 95.901 Einwohnerinnen und Einwohner. Nach diesen Zahlen wird sich die Einwohnerzahl des Main-Kinzig-Kreises bei der Auskreisung der Stadt Hanau auf 322.939 verringern.

In Hessen gibt es insgesamt 21 Landkreise. Derzeit ist der Main-Kinzig-Kreis mit 418.840 der einwohnerstärkste, gefolgt von dem Kreis Offenbach mit 353.666 (Einwohnern …). Im Mittel aller Landkreise haben diese derzeit 255.860 Einwohnerinnen und Einwohner.

Bei der Auskreisung Hanaus aus dem Main-Kinzig-Kreis ist der Kreis Offenbach der einwoh- nerstärkte Landkreis, gefolgt vom Main-Kinzig-Kreis.

Die durchschnittliche Einwohnerzahl verringert sich auf 221.293. Die Einwohnerzahl des Main-Kinzig-Kreises übersteigt diesen Mittelwert weiterhin um über 46 %. (…)

Mit 1.397,55 km² ist der Main-Kinzig-Kreis derzeit in der Fläche viertgrößter der 21 hes- sischen Landkreise; nur die Landkreise Waldeck Frankenberg (1.848,44 km²), Schwalm- Eder-Kreis (1.538,51 km²) und (1.458,99 km²) sind größer.

Im Mittel aller Landkreise haben diese 970,90 km² Fläche.

Das Stadtgebiet Hanau hat 76,49 km², dies entspricht 5,47 % der Fläche des Main- Kinzig- Kreises. Bei der Auskreisung verringert sich die Fläche des Kreisgebietes entsprechend auf 1.321,06 km².

Nach der Auskreisung ist neben den bisher genannten Landkreisen auch der Landkreis Fulda größer als der Main-Kinzig-Kreis. (…)

Hinsichtlich Einwohnerzahl und Fläche lassen sich der künftige Main-Kinzig-Kreis und der vergleichen: der Main-Kinzig-Kreis wird mit 322.939 Einwohnerinnen und Ein- wohnern die Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner des Wetteraukreises mit 306.237 Ein- wohnerinnen und Einwohnern knapp übersteigen. Auch die künftige Fläche des Main-Kinzig- Kreises 1.321 km² übersteigt die des Wetteraukreises mit 1.100 km² knapp.

Beide Kreise grenzen an die Metropolregion Frankfurt/Rhein-Main, 26 Städte und Gemein- den des Wetteraukreises und 21 Städte und Gemeinden des Main-Kinzig-Kreises sind Mit- glied der Metropolregion, beide Landkreise sind nicht Mitglied.2

Der Main-Kinzig-Kreis erfüllt für die verbleibenden 28 Kommunen die Ergänzungs- und Aus- gleichfunktion, die ihm als Landkreis gem. Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG, § 2 HKO obliegt.

2 Soweit mit „Metropolregion“ das Gebiet des Regionalverbands gemeint ist, ist festzuhalten, dass im Regionalverband nur Kommunen Mitglieder sein können, nicht aber Landkreise. – Anm. Q 17

Bestehende Zusammenarbeiten mit dem Main-Kinzig-Kreis und den kreisangehörigen Städ- ten und Gemeinden bleiben unberührt. Die Stadt will mit dem Main-Kinzig-Kreis auf Augen- höhe zusammenarbeiten. Sie hat ihm deshalb Folgendes angeboten:  Gemeinsame Leitstelle in Gelnhausen  Gemeinsamer Rettungsdienstbereich  Zulassungsstelle und Führerscheinstelle mit Aufgabenwahrnehmung durch die Stadt Ha- nau in Hanau

Für die ihm verbleibenden Kommunen kann der Main-Kinzig-Kreis Ressourcen freihalten. Der Main-Kinzig-Kreis wird aufgrund seiner Größe, seiner Bevölkerung, Wirtschaftskraft, fi- nanziellen Lage und des künftigen Bevölkerungswachstums trotz der Kreisfreiheit der Stadt Hanau seine Aufgaben weiterhin erfüllen können.“ (S. 63 ff.)

Vereinbarungen zur Auseinandersetzung „Die sachliche Zuständigkeit kommunaler Aufgabenträger ist im Wesentlichen einzelgesetz- lich festgelegt.

Gleichwohl bedarf es zur Organisation der Übertragung einiger Aufgaben und Zuständigkei- ten vom Main-Kinzig-Kreis auf die kreisfreie Stadt Hanau einer Regelung im Einzelfall. Diese Regelungen sind entweder in einem Auseinandersetzungsvertrag zwischen dem Main- Kinzig-Kreis und der Stadt Hanau einvernehmlich zu vereinbaren oder durch den Landesge- setzgeber vorzuschreiben.“ (S. 66) [Im Folgenden werden Sachgebiete, die einer „Vereinba- rung zur Auseinandersetzung“ bedürfen, näher beschrieben. Die Bedingungen, die seitens Hanaus dafür jeweils genannt werden, beschreibe ich nicht näher, da sie mit hoher Wahr- scheinlichkeit in die Verhandlungen mit dem Kreis eingebracht werden und deshalb noch im Fluss sind:]  Rekultivierung und Nachsorge von Abfalldeponien  Pensions- und Beihilfeverpflichtungen  Hessenkasse  Personalübergang  Umstrukturierungskosten  Gemeinsame Leitstelle  Straßenbaulast Kreisstraßen  Kfz-Zulassungsstelle

Finanzielle Auswirkungen Veränderungen der Finanzausstattung und der Finanz- ströme „Mit dem Statuswechsel zur kreisfreien Stadt Hanau wird sich auch die Finanzausstattung der Stadt Hanau deutlich verändern.

Der Stadt Hanau stehen sowohl nach eigenen als auch nach Berechnungen des Main- Kinzig-Kreises zusätzliche Mittel in Höhe von ca. 65 Mio. € zur Verfügung, mit denen wir uns die Erledigung der zusätzlichen Aufgaben und Übernahme der daraus entstehenden Ver- pflichtungen in jedem Fall zutrauen.

Dem Main-Kinzig-Kreis entfallen nach eigenen Angaben Mittel aus den Kreisschlüsselzuwei- sungen und der Kreisumlage in Höhe von 65 Mio. €.

Dem wird ein Minderaufwand von 65,3 Mio. € gegenübergestellt. 18

Der Main-Kinzig-Kreis geht in seiner Modellberechnung somit davon aus, dass er durch die Auskreisung der Stadt Hanau eine Entlastung von rd. 0,3 Mio. Euro erfahren wird.“ (S. 79) 1. Gesamtergebnis der finanziellen Bewertung für die Stadt Hanau auf der Basis aktueller Werte

Gesamtergebnis für die Kreisfreie Stadt Ha- Betrag Wirkung für die Stadt nau Hanau Auswirkungen aus der wegfallenden Kreisumlage 38,2 Mio. Euro Entlastung Auswirkungen erhöhte Schlüsselzuweisungen 27,0 Mio. Euro Entlastung Auswirkungen Krankenhausumlage und Lan- 25,3 Mio. Euro Belastung deswohlfahrtsverband Auswirkungen aus den auf die Stadt Hanau 39,3 Mio. Euro Belastung übergehenden Aufgaben Ergebnis 0,6 Mio. Euro Entlastung

[S. 79 – es folgen nähere Erläuterungen zu dieser Kalkulation]

2. Personalbedarf und Personalkosten „Die Stadt Hanau geht zum jetzigen Zeitpunkt davon aus, dass mit der Kreisfreiheit ein zu- sätzlicher Stellenbedarf von 182 Vollzeitstellen entsteht. Dies stellt sich in der Gegenüber- stellung zu den Angaben des Main-Kinzig-Kreises wie folgt dar: Stellenangaben Main-Kinzig-Kreis Stellenbedarf Stadt Hanau (inkl. Quer- (ohne Führungskräfte) schnittsbereiche und Führungskräfte) Führerschein-/Zulassungsstelle 11,5 Führerscheinstelle 4 Kommunales Center für Arbeiter 100,0 Gemeinsame Einrichtung (insges. 118 59 (KCA), GB I Stellen, davon 50% der Stadt Hanau zugeordnet) Kommunales Center für Arbeit (KCA), 26,0 Leistungen nach SGB XII 35 GB II (ehem. Sozialamt) Gesundheitsamt 13,0 Stadtgesundheitsamt 22 Andere Bereiche 26,5 Versicherungsamt 2,5 Asylbewerberleistungsgesetz 7 Sozialplanung 1 Bundesausbildungsförderungsgesetz 1 Eingliederungshilfe (Grundsicherung) 2 Veterinäramt 7,5 Abfallwirtschaft 2 Kreisstraßen/Straßenbaulast 2 Rettungsdienst/Gemeinsame Leitstel- 6 le/Katastrophenschutz Amt für Umwelt- und Naturschutz 8 Ordnungs- und Gewerbewesen 3 Querschnittsbereiche 20 Summe 177 Summe 182

[S. 85 – es folgen nähere Erläuterungen zu dieser Kalkulation, die Personalkosten werden mit 8,8 Mio. EUR p. a. beziffert.]

„Die Stadt Hanau ist bereit, Beschäftige des Main-Kinzig-Kreises zu übernehmen (siehe hierzu ausführlich VIII, Nr. 4 Personalübergang). Diese Bereitschaft entspricht sicherlich den Interessen der übrigen 28 kreisangehörigen Städte und Gemeinden, die zu Recht fordern, dass die Kreisfreiheit der Stadt Hanau für diese kostenneutral ist.“ (S. 87) 19

3. Finanzielle Auswirkungen der Kreisfreiheit bei der Stadt Hanau „Daher werden zur Quantifizierung der Kosten der Stadt Hanau nach Übernahme der Kosten folgende Positionen berücksichtigt: Personalkosten 8,8 Mio. EUR Transfer und Sachausgaben 34,0 Mio. EUR Zuweisung von Bund, Land und sonstige Erlöse 3,5 Mio. EUR Gesamt 39,3 Mio. EUR“ (S. 87)

Neue Aufgaben für die Stadt Hanau [folgen Angaben zu den Aufgaben, die Hanau als kreisfreie Stadt neu zu übernehmen hat sowie zu möglichen Synergien daraus: S. 88 – S. 125]

Gesamtabwägung „Die Gesamtabwägung führt unter Berücksichtigung der Interessen der Stadt Hanau und des Main-Kinzig-Kreises dazu, dass die Stadt Hanau in die Kreisfreiheit zu entlassen ist.“ [S. 126 – folgt kurze Zusammenfassung der o. g. bereits genannten Argumente]

Anlagenübersicht 1. Verfassungsrechtliches Gutachten Professor Dr. Hermes vom 15.10.2018 2. Bevölkerungsprognose GEWOS GmbH Februar 2019 3. Konversion in Hanau – Status Entwicklungsflächen 4. Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 20.08.2018 5. Letter of intent Gemeinsame Einrichtung 20.09.2018 6. Letter of intent Raumbedarf vom 10.12.2018 7. Organigramm des Jobcenters Hanau als gemeinsame Einrichtung (gE)

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Raum im Wandel Herausgeber: ProjektStadt - eine Marke der Unternehmensgruppe Nassauische Heimstät- te/Wohnstadt GmbH, Frankfurt, Juli 2019 – im Auftrag der Stadt Hanau

Teil 1: Zusammenfassung aus IHK-Sicht Wichtige Impulse für die Diskussion um die Kreisfreiheit gibt das Gutachten vor allem durch  eine Ist-Analyse von Stadt Hanau und MKK  einen Überblick, welche Aufgaben auf Hanau nach der Auskreisung zukämen  Argumente, warum eine Auskreisung Hanaus auch Vorteile für den MKK mit sich brächte

Argumente Quelle Hanau kann Kreisfreiheit, weil es als Sonderstatus-Stadt schon jetzt viele Funk- S. 5 tionen einer Kreisstadt erfüllt Die Unterschiede zwischen Hanau und dem restlichen Main-Kinzig-Kreis sind so S. 5 und gravierend – und werden noch zunehmen – S. 46 dass effizientes Verwaltungshandeln und die Bewältigung der voneinander ab- S. 12, S. weichenden Probleme (z. B. Wohnungsnot in Hanau und Leerstand im Ostkreis) 39 und v. nur durch zwei voneinander unabhängige Gebietskörperschaften möglich sind. a. S. 83 f. Auskreisung ermöglicht Verhandlungen zwischen Stadt und Kreis auf Augenhö- S. 83 he Auskreisung führt zur Profilschärfung von Hanau und dem restl. MKK und er- S. 12 leichtert damit Kooperation. Kreisfreiheit ist in Deutschland üblich für Großstädte, wenn sie nicht gleichzeitig S. 44, Kreisstädte sind. S. 57 Kreisfreiheit verhindert, dass die Mittelzentren des MKK Aufgaben und Funktio- S. 89 nen an Hanau verlieren. Nur als kreisfreie Großstadt kann Hanau die Herausforderungen bewältigen, die S. 89 f. sich im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main stellen und ihr Profil schärfen. Das Problem der Flächenknappheit in der Region kann nur von unabhängi- S. 89 gen/kreisfreien Großstädten im Verbund untereinander gelöst werden. Die Kreisfreiheit Hanaus nimmt die raumordnerische Pläne der Landesregierung S. 85 vorweg, indem Mittelzentren entlang der A66 (Gelnhausen, , Wächters- bach, Schlüchtern) dann besser als bisher wichtige Aufgaben für ihr Umland S. 86 wahrnehmen können. Die Kreisfreiheit stärkt von allen Mittelstädten besonders Maintal als dann größ- S. 73 te Stadt des MKK – diese Kommune könne eine Scharnierfunktion zwischen dem Ballungsraum Frankfurt und dem ländlichen Raum bieten.

Kern der gesamten Diskussion (und damit auch der Bewertung durch die IHK- Vollversammlung) ist die Frage, ob die Auskreisung dem öffentlichen Wohl dient (S. 4), also der Nutzen für Hanau und den Main-Kinzig-Kreis überwiegt. Über allem steht (wie meist bei raumordnerischen Diskussionen) die „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ in Hanau und dem restlichen MKK (S. 7 und 10 f.). Gemeint sind damit nicht „identische“ Lebensverhältnis- se, sondern vergleichbare Chancen von Bewohnern verschiedener Regionen, ihr Leben selbstbestimmt am jeweiligen Ort führen zu können.3

3 Die ursprüngliche Fassung des Grundgesetzes, Artikel 72, fordert „einheitliche Lebensverhältnisse“. Nach der Wiedervereinigung wurde dann 1994 der Begriff „Gleichwertigkeit“ eingeführt. Eine detaillier- te Darstellung der Begrifflichkeit sowie ein Ansatz, die „Gleichwertigkeit“ mit konkreten politischen 21

Da gerade raumordnerische Argumentationen nur begrenzt verdichtet werden können und einige Passagen des Gutachtens auch nach sorgfältiger Lektüre schwer verständlich bleiben („Zudem zeigt die deutlich prosperierende Entwicklung der Stadt Hanau im Vergleich zu Tei- len des restlichen Landkreises, dass eine divergierende Entwicklung, verbunden mit der An- eignung von Versorgungsfunktionen durch die Stadt, nicht durch die Einbindung in den Kreis abgefedert werden konnte.“ S. 83) rege ich an, wesentliche Teile des Gutachtens im Zu- sammenhang zu lesen. Wichtig sind insbes.  Abschnitt 6 – „Szenarien für die Raumordnung des Main-Kinzig-Kreises“,  Abschnitt 7 – „Handlungsempfehlungen“ und  Abschnitt 8 – „Eine neue Vision für den Raum“ Diese Abschnitte finden Sie weiter unten annähernd ungekürzt. Als Zusammenfassung aus Sicht der Autoren des Gutachtens kann der folgende „Dekalog“ dienen (S. 91), er stellt den Abschluss zu den im Gutachten eingangs formulierten „10 Thesen“ (S. 8) dar: 8.4 Dekalog 1. „Mit der Auskreisung der Stadt Hanau aus dem Main-Kinzig-Kreis ist langfristig (Horizont 2040) die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in der Region möglich. 2. Die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen des Main-Kinzig-Kreises und der Stadt Hanau unterscheiden sich signifikant. 3. Je stärker sich die Anforderungen und Herausforderungen des Raumes zwischen den Gemeinden eines Landkreises unterscheiden, desto weiter sind auch die Gemeindeinte- ressen voneinander entfernt. Die Aushandlung von Schnittstellen und eine darauf auf- bauende Entscheidungsfindung werden erschwert. 4. Durch die Auskreisung würde die Übereinstimmung von politischem und administrativem Verwaltungsbereich mit der raumstrukturellen Lebenswirklichkeit hergestellt. Damit wür- de eine fokussierte Problembearbeitung und Gestaltung der Zukunft unterstützt. 5. Solange die Stadt Hanau Teil des Main-Kinzig-Kreises ist, besitzt diese eine zu starke statusgefährdende Konkurrenz für die Mittelzentren im Kreis. Die Auskreisung der Stadt Hanau bietet den Mittelzentren im Main-Kinzig-Kreis die einmalige Chance, aktiv die grundlegenden Funktionen der Mittelzentren exemplarisch für das Land Hessen zu stär- ken und mitzugestalten. 6. Die aktuelle Struktur der Mittelzentren in Hessen und dem Main-Kinzig-Kreis entspricht nicht den angestrebten raumordnerischen Strukturen des Landes Hessen. Von einer langfristigen Anpassung der Förderlandschaft für Mittelzentren durch die Landesregie- rung ist auszugehen. Der Main-Kinzig-Kreis könnte sich als Pilot für die Umsetzung ei- nes zentralörtlichen Kooperationsraumes profilieren. 7. Eine neue Entwicklungsachse Frankfurt-Fulda funktioniert ausschließlich mit starken Mittelzentren, die sich dem Regionalverband FrankfurtRheinMain durch eine Gebietser- weiterung anschließen. 8. Die Verlegung des Kreissitzes nach Gelnhausen im Jahr 2005 zeigt eine weitsichtige thematische Schwerpunktverschiebung in den ländlichen Raum und nimmt die Auskrei- sung der Stadt Hanau strategisch vorweg. Gleichzeitig beweist die konsequente Ausrich- tung der Stadt Hanau in den Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main eine thematische Schwerpunktverschiebung in Richtung Großstadt in der Metropolregion. 9. Ein Verbleiben der Stadt Hanau im Main-Kinzig-Kreis würde zwingend eine intensive Neuausrichtung der Prioritätensetzungen des Kreises sowie der Kooperationsstrukturen zur Bewältigung der sich weiter auseinander entwickelnden Herausforderungen erfor- dern. 10. Der Kreisaustritt der Stadt Hanau als eine der Großstädte Hessens ist intrinsisch und raumordnerisch richtig. Aufgrund der Wachstumsprognosen anderer hessischer Sonder- statusstädte (Flächenverfügbarkeit) sind explizit bis 2050 keine weiteren Kreisaustritte zu erwarten.“

Maßnahmen zu erreichen, findet sich unter: https://www.bmi.bund.de/DE/themen/heimat- integration/gleichwertige-lebensverhaeltnisse/gleichwertige-lebensverhaeltnisse-node.html 22

Teil 2: gestraffte Volltextversion der Quelle

Hintergrund „Gestützt wird das historische Vorhaben kreisfrei zu werden seitens weiter Teile der Hanauer Bevölkerung. Hanau war in seiner Stadtgeschichte lange Zeit Kreisstadt oder kreisfrei. Seit der Gebietsreform 1974 ist die Stadt jedoch eine kreisangehörige Sonderstatusstadt. Die Stadt ist damit die größte von sieben Sonderstatusstädten in Hessen.“ (S. 4) Position des Landes Hessen „Eine Auskreisung muss gemäß § 14 Abs. 1 der HKO durch Gründe des öffentlichen Wohls gerechtfertigt sein. Für die Auslegung des Begriffs ist die verfassungsrechtliche Selbstver- waltungsgarantie von großer Bedeutung. Abschließende Kriterien, nach denen eine Kreis- freiheit anerkannt werden kann, wie etwa eine Mindesteinwohnerzahl, enthält das hessische Landesrecht nicht. Jedoch sind 100.000 Einwohner in den meisten Bundesländern ein Richtwert.“ (S. 4) Motivation für die Kreisfreiheit „Aufgrund struktureller Gegebenheiten des Main-Kinzig-Kreises sind die Interessen-lagen der Kommunen im Kreisgebiet sehr unterschiedlich. Auf der einen Seite stehen die Interes- sen der Stadt Hanau, die mit ihrer derzeitigen Entwicklung der Einwohnerzahl bald auf groß- städtisches Niveau heranwachsen wird, auf der anderen Seite die der eher ländlich gepräg- ten Kommunen des Landkreises. Hanau würde als zukünftige Großstadt seine Potentiale und Interessen im großstädtischen Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main – auch im Sinne der Region und des öffentlichen Wohls – gerne stärker vertreten und nutzen. In der Kreisfreiheit sieht Hanau deshalb eine Möglichkeit, regionale Aufgaben gezielter wahrzunehmen und der Verantwortung als Oberzentrum für den Main-Kinzig-Kreis und die Metropolregion Frankfur- tRheinMain besser nachzukommen.“ (S. 5)

„Der Landkreis könnte sich durch die Kreisfreiheit der Stadt Hanau ebenso stärker als bisher auf seine eigenen Interessen stützen. Denn es ist davon auszugehen, dass das kontinuierli- che Wachstum Hanaus tendenziell zu einer weiteren Zunahme der Interessenunterschiede zwischen Stadt und Land führen wird.“ (S. 5)

„Bereits jetzt erfüllt die Stadt Hanau zahlreiche Aufgaben einer Kreisstadt.“ (S. 5) Raumordnerische Folgen der Auskreisung „Eine Auskreisung bleibt nie ohne Folgen für die betreffende Stadt und die Umland- Kommunen bzw. ländlichen Kommunen. Hanau müsste und kann die für eine Aus-kreisung nötigen Verwaltungsstrukturen aufbauen - entweder durch eigenes Personal oder durch Übernahme des Personals des Main-Kinzig-Kreises.“ (S. 6)

„Kooperationen [zwischen Hanau und dem MKK – Q] werden durch eine Auskreisung von Seiten der Stadt Hanau nicht ausgeschlossen – im Gegenteil.“ (S. 6)

„Beachtet werden soll bei alledem, dass eine Auskreisung der Stadt Hanau dem Staatsziel der „gleichwertigen Lebensverhältnisse in allen Teilräumen“ und dem Anspruch eines aus- gewogenen Interessenausgleichs entsprechen muss.“ (S. 6)

Perspektive der Studie „Die vorliegende Studie untersucht, ob eine Auskreisung Hanaus aus dem Main-Kinzig-Kreis einen Beitrag zum Erhalt gleichwertiger Lebensverhältnisse in der Region liefern kann.“ (S. 7)

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„Die zehn Thesen zum Thema ‚Zukunft des Main-Kinzig-Kreises‘ dienen dabei als Einstieg in die Diskussion und als Zusammenfassung der folgenden Argumentation.“ (S. 7)

2. 10 Thesen (S. 8) 1. „Mit der Auskreisung der Stadt Hanau aus dem Main-Kinzig-Kreis ist langfristig (Horizont 2040) die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in der Region möglich. 2. Die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen des Main-Kinzig-Kreises und der Stadt Hanau unterscheiden sich signifikant. 3. Je stärker sich die Anforderungen und Herausforderungen des Raumes zwischen den Gemeinden eines Landkreises unterscheiden, desto weiter sind auch die Gemeindeinte- ressen voneinander entfernt. Die Aushandlung von Schnittstellen und eine darauf auf- bauende Entscheidungsfindung werden erschwert. 4. Durch die Auskreisung würde die Übereinstimmung von politischem und administrativem Verwaltungsbereich mit der raumstrukturellen Lebenswirklichkeit hergestellt. Damit wür- de eine fokussierte Problembearbeitung und Gestaltung der Zukunft unterstützt. 5. Solange die Stadt Hanau Teil des Main-Kinzig-Kreises ist, besitzt diese eine zu starke statusgefährdende Konkurrenz für die Mittelzentren im Kreis. Die Auskreisung der Stadt Hanau bietet den Mittelzentren im Main-Kinzig-Kreis die einmalige Chance, aktiv die grundlegenden Funktionen der Mittelzentren exemplarisch für das Land Hessen zu stär- ken und mitzugestalten. 6. Die aktuelle Struktur der Mittelzentren in Hessen und dem Main-Kinzig-Kreis entspricht nicht den angestrebten raumordnerischen Strukturen des Landes Hessen. Von einer langfristigen Anpassung der Förderlandschaft für Mittelzentren durch die Landesregie- rung ist auszugehen. Der Main-Kinzig-Kreis könnte sich als Pilot für die Umsetzung ei- nes zentralörtlichen Kooperationsraumes profilieren. 7. Eine neue Entwicklungsachse Frankfurt-Fulda funktioniert ausschließlich mit starken Mittelzentren, die sich dem Regionalverband FrankfurtRheinMain durch eine Gebietser- weiterung anschließen. 8. Die Verlegung des Kreissitzes nach Gelnhausen im Jahr 2005 zeigt eine weitsichtige thematische Schwerpunktverschiebung in den ländlichen Raum und nimmt die Auskrei- sung der Stadt Hanau strategisch vorweg. Gleichzeitig beweist die konsequente Ausrich- tung der Stadt Hanau in den Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main eine thematische Schwerpunktverschiebung in Richtung Großstadt in der Metropolregion. 9. Ein Verbleiben der Stadt Hanau im Main-Kinzig-Kreis würde zwingend eine intensive Neuausrichtung der Prioritätensetzungen des Kreises sowie der Kooperationsstrukturen zur Bewältigung der sich weiter auseinander entwickelnden Herausforderungen erfor- dern. 10. Der Kreisaustritt der Stadt Hanau als eine der Großstädte Hessens ist intrinsisch und raumordnerisch richtig. Aufgrund der Wachstumsprognosen anderer hessischer Sonder- statusstädte (Flächenverfügbarkeit) sind explizit bis 2050 keine weiteren Kreisaustritte zu erwarten.“

3. Leistungsspektrum des modernen Raums „Als Grundlage für diese Diskussion werden in der vorliegenden Studie deshalb die aktuellen Anforderungen an den Raum erläutert. Maßgeblich ist dabei das übergeordnete Raumord- nungsziel der Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse, der Interessenausgleich zwi- schen unterschiedlichen Raumstrukturen, die Darstellung aktueller Herausforderungen an den Raum sowie ein Überblick über die aktuelle Raumordnungspolitik des Landes.“ (S. 10) 24

3.1 Gleichwertige Lebensverhältnisse „Die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse ist eines der zentralen Ziele der Raumord- nung.“ (S. 10) „Tendenziell geht es daher aus heutiger Sicht um die Sicherstellung individuel- ler Chancengerechtigkeit unabhängig vom Wohnort, …“ (S. 11) „Zukünftig sollte der Fokus deshalb vermehrt auf interkommunalen Kooperationen liegen, um einen gewissen Infrastruk- turellen Standard einhalten zu können. Im Falle des Schwimmbades kann dies eine inter- kommunale Trägerschaft sein, die festlegt, wie Kinder die Möglichkeit bekommen das nächs- te Schwimmbad zu erreichen und die beteiligten Kommunen sich die Kosten für den Betrieb teilen. Einen wichtigen Beitrag bei der Aufgabenerfüllung können innovative Techniken leis- ten.“ (S. 12)

„Mit ihren unterschiedlichen Ausgangs- und Rahmenbedingungen stehen die Städte und Gemeinden des Kreises vor teils stark unterschiedlichen Herausforderungen, denen mög- lichst individuell und spezifisch begegnet werden muss. Es ist davon auszugehen, dass so- wohl die Stadt Hanau als Großstadt, als auch der verbleibende Main-Kinzig-Kreis, bei ge- trennter Problembearbeitung sich gezielter um ihre Aufgaben und spezifischen Probleme kümmern könnten.“ (S. 12)

„Zu betonen ist hierbei, dass diese Herangehensweise dem allgemein anerkannten Hand- lungsansatz der interkommunalen Kooperationen und Zusammenarbeit nicht zuwiderläuft, sondern aufgrund der Profilierung der Verwaltungseinheiten vielmehr auch klarere Grundla- gen für diese schaffen kann.“ (S. 12) 3.2 Interessenausgleich Zwischen Kommunen in ländlichen und städtischen Regionen eines Landkreises gibt es un- terschiedliche Interessen, denen die Politik eines Landkreises Rechnung tragen muss. Ent- scheidend dabei ist ein Grundkonsens über die „Zukunft des Kreises als Ganzes“ (S. 13). Interessenausgleich innerhalb eines Landkreises Zu große Unterschiede zwischen den Kommunen eines Landkreises führen zu so unter- schiedlichen Interessen, dass ein Interessenausgleich nicht mehr hergestellt werden kann. Zu große Gemeinsamkeiten führen ebenso in die Stagnation. Interessenausgleich zwischen Landkreisen „Es bedarf (...) Kooperationen über die Kreisgrenzen hinaus, um die eigenen raumstrukturel- len Limitationen zu überwinden.“ (S. 14) Voraussetzung ist, dass Kooperationen auf Augen- höhe einen Mindeststandard an Ausstattung eines Kreises voraus setzen. „Die räumliche Ergänzung durch den Kooperationspartner trägt dabei maßgeblich zur Schaffung gleichwer- tiger Lebensverhältnisse bspw. im ländlichen und urbanen Raum bei, ohne die ländlichen Regionen zu urbanisieren und die städtischen Räume zu ‚verländlichen‘.“ (S. 15) Dabei ist der Ausgleich der Interessen der verschiedenen Kommunen nicht darauf beschränkt, inner- halb des Kreises durchgeführt zu werden: „Kooperation zwischen Landkreisen und kreis- freien Städten stellt kein neues, aber nach wie vor ein nützliches Instrument zur nachhaltigen und bedarfsorientierten Raumentwicklung dar. Gleichzeitig muss festgestellt werden, dass der Ansatz im Main-Kinzig-Kreis entsprechend des dargelegten theoretischen Hintergrunds aktuell nicht seine volle Stärke entfaltet, sondern vielmehr einer Optimierung bedarf.“ (S. 16)

„Während sich die Stadt Hanau und die umliegenden Gemeinden als Teile des Verdich- tungsraumes Frankfurt-Rhein-Main mit den Anforderungen moderner Ballungsräume kon- frontiert sehen, stehen zahlreiche Kommunen des Landkreises vor der Aufgabe, auf die ak- tuellen Probleme und Handlungsbedarfe, die sich für den ländlichen Raum ergeben, reagie- ren zu können.“ (S. 16)

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3.3 Herausforderungen im ländlichen und urbanen Raum „Die Kategorien ‚ländlicher Raum‘ und ‚urbaner Raum‘ bilden das zentrale Gegensatzpaar der Raumordnung. Sie verdeutlichen exemplarisch, welche ungleichen Strukturen und Her- ausforderungen durch die strukturellen Gegebenheiten unterschiedlicher Räume entstehen, ohne diese zu bewerten.“ (S. 17) Ländlicher Raum „Gängige Charakteristika von ländlichen Räumen sind eine durch Land- und Forstwirtschaft geprägte Flächennutzung, ein von Dörfern, sowie kleinen und mittleren Städten bestimmtes Landschaftsbild und eine von kleinen und mittelständischen Unternehmen dominierte Wirt- schaft.“ (S. 17) „Ländliche Gemeinden mit guter Anbindung an Ballungsräume verzeichnen tendenziell einen Bevölkerungszuwachs, während peripher gelegene Kommunen von einer Abwanderung in die Städte bedroht werden.“ (S. 17) „Folgephänomene der negativen Bevöl- kerungsentwicklung sind das Absinken der Kaufkraft, eine Verminderung des Fachkräftean- gebots und ein Rückgang der Steuereinnahmen.“ (S. 17) Herausforderungen des ländlichen Raums  Wirtschaft und Beschäftigung „Um ein vielfältigeres Arbeitsangebot zu schaffen, müssen neue Geschäftsfelder er- schlossen und neue Beschäftigungsformen genutzt werden. Die Digitalisierung bietet hier beispielsweise in Form von Homeoffice oder Co-Working großes Potential. In struktur- schwachen Gegenden mit naturnaher Umgebung erweist sich beispielsweise die Förde- rung des Tourismus als zielführend. Zudem kann die steigende Nachfrage nach Bioroh- stoffen, erneuerbaren Energien und regionalen Produkten für neue Impulse und Innovati- onen der Wirtschaft im ländlichen Raum sorgen.“ (S. 18)  Flächennutzung „Kommunen im ländlichen Raum sollten daher eine nachhaltigere Nutzung ihrer Gemein- deflächen anstreben. Dies kann durch Entsiegelungsmaßnahmen oder die Umnutzung bestehender Bau- oder Brachflächen sowie Nachverdichtungen erreicht werden und ist Neubauprojekten, auf der grünen Wiese‘ vorzuziehen. Des Weiteren kann eine Aktivie- rung von Ortskernen zu einer Attraktivitätssteigerung und damit einem vitalen Dorfleben beitragen.“ (S. 19)  Mobilität „Mobilität ist im ländlichen Raum von besonderer Priorität, damit Versorgungs- und Kon- sumangebote flächendeckend für die Bevölkerung im ländlichen Raum verfügbar, bezie- hungsweise erreichbar bleiben. Um dies zu gewährleisten, lassen sich bedarfsorientierte Konzepte wie Rufbusse oder Sammeltaxis etablieren. Zusätzlich können Online- Lieferdienste und digitale Bildungs- Beschäftigungs- und Versorgungsangebote dazu bei- tragen real zurückgelegte Wegestrecken zu vermeiden.“ (S. 19)  Bildung und Soziales „Um den anhaltenden Überalterungstrend der Bevölkerung zu stoppen und Schulschlie- ßungen zu verhindern, bieten sich beispielsweise mediengestützte Ko-operationen zwi- schen verschiedenen Schulen an. Auch jahrgangsübergreifende Lerngruppen, zeitlich aufgeteilter Unterricht oder die Integration von Freizeit-und Kulturangeboten in Kita- und Schuleinrichtungen könnten helfen, Bildungsangebote langfristig aufrechtzuerhalten.“ (S. 19)  Gesundheit und Umweltverträglichkeit „Die medizinische Versorgung ist auch in strukturschwachen Gegenden langfristig si- cherzustellen. Dies kann durch Anreizsysteme geschehen, durch die der ländliche Raum für Mediziner attraktiver wird. Busse und Sammeltaxen bieten sich für entlegene Kom- munen an, die in erheblicher Distanz zur nächstgelegenen medizinischen Einrichtung lie- gen. Kooperationen zwischen Ärzten oder die Grün-dung von Ärztehäusern können hel- fen, die medizinische Grundversorgung sicher-zustellen. Eine weitere Möglichkeit bietet die Telemedizin, die die Begutachtung von Befunden, Röntgenbildern und Liveaufnah-

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men durch Fachärzte über das Internet – unabhängig von deren Standort – ermöglicht. Hierfür ist jedoch der Ausbau von Breitbandnetzen erforderlich.“ (S. 20)  Versorgung „Die Daseinsvorsorge auf dem Land ist langfristig zu gewährleisten, um die Lebens- grundlage der ansässigen Bevölkerung zu sichern. Hierfür bietet es sich für be-troffene Kommunen an, das bürgerschaftliche Engagement zu fördern. So können beispielsweise Nachbarschaftsläden die Nahversorgungsfunktion übernehmen. Darüber hinaus können interkommunale Kooperationen und flexible überkommunale Angebotsplanungen helfen, eine flächendeckende Versorgung strukturschwacher Gebiete zu gewährleisten.“ (S. 20)  Freizeit/Tourismus/Kultur „Kommunen im ländlichen Raum können ihre Attraktivität für Auslandstouristen durch zielgerichtete Marketingstrategien verbessern. Für den Ausbau touristischer Infrastruk- turangebote und die Entwicklung und Herausarbeitung einer regionalen Identität ist das Engagement lokaler Akteure von Nöten. Darüber hinaus bietet es sich an, Vermark- tungskonzepte und Maßnahmenplanungen interkommunal abzustimmen.“ (S. 20 f.)  Klimaschutz „Nachhaltige Landwirtschaft und Hochwasserschutz können die Auswirkungen zum Teil abmildern. Beachtenswert ist, dass der Ländliche Raum in den letzten Jahrzehnten eine Hauptrolle in der Energiewende eingenommen hat und als Energieproduzent dient. Zahl- reiche Solarparks und Windenergieanlagen sind im gesamten Bundesgebiet entstanden. Der ländliche Raum dient zudem als Lebensraum zahlreicher Tier- und Pflanzenarten, die in urbanen Gegenden nicht (mehr) vorkommen. Diese schützenswerte Flora und Fauna gilt es auch für die Zukunft zu erhalten.“ (S. 21) Urbaner Raum „Im Gegensatz zum Ländlichen Raum sind für den urbanen Raum eine hohe Bevölkerungs- dichte, ein hoher Anteil an Siedlungs- und Verkehrsflächen und eine ausgeprägte Versor- gungsinfrastruktur charakteristisch. Die Wirtschaft wird in der Regel vom Dienstleistungssek- tor dominiert.“ (S. 21) Herausforderungen des urbanen Raums  Wohnen „Um dem Wohnraummangel und den Folgeproblemen entgegenzuarbeiten, ist es also notwendig, ausreichend bezahlbaren Wohnraum in urbanen Gebieten zu schaffen und die soziale Durchmischung desselben zu erhalten, beziehungsweise zu fördern. Hinzu kommt das Bedürfnis nach neuen Wohnformen, wie etwa Mehrgenerationenwohnen, gemischten Wohngemeinschaften, Altersresidenzen usw. Auch der steigenden Anzahl an Single-Haushalten muss die Stadt gerecht werden.“ (S. 22)  Wirtschaft und Beschäftigung „Um neben der internationalen Profilierung nicht Gefahr zu laufen, die lokale Wirtschaft zu vernachlässigen, müssen Ballungsgebiete und Metropolen in Zukunft neue Wege fin- den, diese bisher unvereinbar erscheinenden Interessen angemessen abzuwägen und auszugleichen.“ (S. 22 f.)  Flächennutzung „Die angestrebte Nachhaltigkeit in der Bodennutzung des städtischen Raumes kann un- ter anderem durch bauliche Verdichtungsmaßnahmen, die Konversion von Brachflächen und die Etablierung von Nutzungsmischungen realisiert werden, wobei Aktivierungs- hemmnisse hier massiv eine Nutzung verhindern. Weiterhin besteht die Gefahr, dass die Flächennutzungskonflikte zwischen Verkehrs- Gewerbe- und Wohnflächen sich weiter verstärken.“(S. 23)  Mobilität „Da ein weiterer Anstieg der Verkehrslast im urbanen Raum abzusehen ist, stehen Städ- te und Ballungsräume vor der Herausforderung, die Verkehrsführung in Zukunft umwelt- freundlicher zu gestalten.“ (S. 23)

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 Bildung und Soziales „Es ist (…) im Interesse der Städte, die räumliche Konzentration von bildungsfernen und einkommensschwachen Milieus zu verhindern, ein umfassendes Angebot an Integrati- ons- und Bildungsmöglichkeiten bereitzustellen und der sozialen Grundsicherung in Zu- kunft mehr Aufmerksamkeit zu widmen.“ (S. 24)  Gesundheit und Umweltverträglichkeit „Der Einfluss des Klimawandels ist in zahlreichen Städten bereits spürbar und wird sich in Zukunft weiter verstärken.“ (S. 24)  Versorgung „Städte sind daher angehalten, Strukturen zu schaffen und Impulse zu setzen, um den stationären Einzelhandel in den Zentren zu stärken und zu fördern.“ (S. 25)  Freizeit/Tourismus/Kultur „Die Bereitstellung und Gestaltung attraktiver, flexibel nutzbarer und bewegungs- freundlich konzipierter öffentlicher Räume stellt dementsprechend ein wichtiges Steue- rungsinstrument der Stadtplanung dar, um die Wohn- und Lebensqualität im urbanen Raum zu erhalten und zu verbessern.“ (S. 25)  Klimaschutz „Bei Entwicklungs-, Sanierungs- und Neubaumaßnahmen im städtischen Raum wird da- her in Zukunft darauf zu achten sein, möglichst energie- und ressourcenschonend vorzu- gehen und nachhaltige, umweltfreundliche Bebauungsformen zu wählen.“ (S. 25) Zusammenfassung „Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der ländliche und der urbane Raum zwar grundsätzlich mit den gleichen Trends wie z.B. dem wirtschaftlichen Strukturwandel, der de- mographischen Entwicklung und den gesellschaftlichen Veränderungsprozessen konfrontiert werden, jedoch dass sich die entsprechenden Herausforderungen in ländlichen Regionen und in Großstädten unterschiedlich darstellen. (…) Während einige Mittelstädte viele Heraus- forderungen mit dem ländlichen Raum teilen, besitzen einige, gerade im Einzugsbereich von Großstädten und Metropolregionen, Herausforderungen aus dem urbanen Raum. Aus die- sem Grund ist eine Kategorisierung in ähnlicher Weise nicht zielführend.“ (S. 26) 3.4 Die Raumordnung in Hessen Raumordnung als Instrument „Die Raumordnung hat die Aufgabe, die vielfältigen Nutzungsansprüche, die an Räume ge- stellt werden, zu koordinieren und Entscheidungen über deren Nutzung und weitere Entwick- lungen zu treffen. Dabei muss zwischen den unterschiedlichen Interessen und Belangen vermittelt werden (…). Zentrale Leitvorstellung in der Raumordnung ist die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse (…). Damit ist nicht die Vereinheitlichung der Lebensver- hältnisse gemeint, sondern die Bestrebung, einen Rahmen zu schaffen, in dem die Bürger die Möglichkeit besitzen, ihr Leben unter Bedingungen zu gestalten, die sich zwar individuell unterscheiden, aber von annähernd gleichem Wert sind.“ (S. 28) Das Zentrale-Orte-Konzept (ZOK) „Grundlegender Ansatz des ZOK ist dabei die Bündelung von Daseinsvorsorgeeinrichtungen an zentralen Orten, die die Versorgung der Umgebung gewährleisten sollen.“ (S. 28) (Hierzu) „wurde eine Einteilung zentraler Orte anhand der von ihnen erbrachten Versor- gungsleistung in die drei Kategorien Ober-, Mittel-, und Grundzentren empfohlen. Darüber hinaus wurden drei Stufen von Versorgungsbereichen (Ober-, Mittel- und Nahbereiche) defi- niert.“ (S.28)  Grundzentren „Grundzentren sind Standorte zur Bündelung von Einrichtungen der überörtlichen Grund- versorgung mit Gütern und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs. (…) Ein Grundzent- rum soll demnach etwa 3.000 Einwohner im städtischen Kern vorweisen können und die

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Grundversorgung von 10.000 (im ländlichen Raum) bis 15.000 (im Ordnungs- und Ver- dichtungsraum) Einwohnern im Versorgungsbereich gewährleisten.“ (S. 29)  Mittelzentren „Mittelzentren sind Standorte für gehobene Einrichtungen im wirtschaftlichen, kulturellen, sozialen und politischen Bereich, sowie für private Dienstleistungen. (…) Eine Min- desteinwohnerzahl von 7.000 im zentralen Ortsteil wird empfohlen, während der Versor- gungsbereich mindestens 20.000 (ländlicher Raum) bis 40.000 (Ordnungs- und Verdich- tungsraum) Einwohner umfassen sollte.“ (S. 29)  Oberzentren „Oberzentren sind Städte, die als Standorte hochwertiger spezialisierter Einrichtungen mit zum Teil landesweiter, nationaler oder internationaler Bedeutung genutzt werden. (…) Oberzentren sind Städte, die im Ansatz einen großstädtischen Charakter oder mindes- tens 100.000 Einwohnern im städtebaulich zusammenhängenden Bereich vorweisen. Der zugehörige Versorgungsbereich eines Oberzentrums sollte 250.000 (im ländlichen Raum) bis 500.000 (im Ordnungs- und Verdichtungsraum) Einwohner umfassen und in- nerhalb von einer Stunde mit dem Auto erreichbar sein.“ (S. 30) Raumordnung in Hessen/ZOK in Hessen (LEP 2000) „In Hessen wurden für den Landesentwicklungsplan 2000 (inklusive der Veränderungsver- fahren 2007, 2013 und 2018) zehn Oberzentren, 95 Mittelzentren und 318 Grundzentren festgelegt.“ (S. 30) Metropolregiongesetz „Ziel des Metropolregiongesetzes ist es, durch neue regionale Kooperationsformen die kommunalen Kräfte zu vereinigen und zu fördern. Um die Entwicklungsziele im Ballungs- raum zu erreichen wurde ein Regionalverband gegründet, welcher für die Steuerung und Koordinierung gemeinschaftliche Aufgabenwahrnehmung zuständig ist.“ (S. 31) Aktuelle Debatte zur Raumordnungspolitik „Seit der letzten Festlegung der zentralen Orte 1990 ist die Entwicklung in den Landesteilen Hessens demographisch und wirtschaftlich (Verkehrsangebote, Mobilitätsmuster, räumliche Verflechtungen, Digitalisierung) unterschiedlich verlaufen. Davon ausgehend hat eine Exper- tenkommission des Landes Hessen im Mai 2018 im Rahmen eines Berichts den Anspruch formuliert, das System der zentralen Orte zu überprüfen und sachgerecht weiterzuentwi- ckeln. Eine Weiterentwicklung sollte das Auf- und Abstufen von zentralen Orten ermöglichen und etwaige Auswirkungen auf den ländlichen Raum bzw. das hoch verdichtete Rhein-Main- Gebiet berücksichtigen. (…) Die Entwicklungsachse Frankfurt-Fulda, auf der in den kom- menden Jahren weitreichende Entwicklungsimpulse gesetzt werden, sollte zukünftig dem Verdichtungsraum Frankfurt Rhein-Main zugeordnet werden und somit diesen mit dem Oberzentrum Fulda verbinden.“ (S. 32)

„Zwar fokussiert sich die Expertenkommission auf die Rolle der Mittelzentren, jedoch wird die stärkere Spezialisierung auch auf die Oberzentren Einfluss nehmen. Hanau als Oberzentrum kann mit seiner besonderen Wirtschaftsstruktur (z. B. Materialtechnik) eine herausragende Rolle im Ballungsraum einnehmen. Eine stärkere Übernahme spezieller räumlicher Funktio- nen und damit auch eine stärkere Ausrichtung als Großstadt innerhalb der Metropolregion gehen damit einher.“ (S. 34)

„Hanau liegt darüber hinaus auf der Entwicklungsachse Frankfurt-Fulda, die zukünftig dem Verdichtungsraum Frankfurt Rhein-Main zugeordnet werden soll. Hanau wird damit zu einem zentralen Baustein der Entwicklungsachse und rückt geographisch noch deutlicher ins Zent- rum des Ballungsraums. Die Rolle der Stadt innerhalb der Region wird auch hierdurch im Sinne des neuen Zentrale Orte Konzeptes gestärkt.

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Für den Main-Kinzig-Kreis sieht der Expertenbericht eine strukturräumliche Verschiebung. Anstatt wie bisher als „ländlicher Raum“ raumordnerisch kategorisiert zu werden, würden zukünftig weite Teile des Kreises nun als „verdichteter Raum“ gelten. Dies soll nach Meinung der Expertenkommission zu einer anderen Verteilung der Mittel aus dem kommunalen Fi- nanzausgleichs führen. Die empfohlene stärkere Differenzierung der Mittelzentren im Main- Kinzig-Kreis soll dabei helfen, die geforderte Entwicklungsachse Frankfurt-Rhein-Main-Fulda zu bilden.

Auch wenn die Vorschläge der Expertenkommission bisher noch kontrovers diskutiert wer- den und eine konkrete Ausgestaltung oder Umsetzung noch nicht absehbar ist, zeigt sich, dass die Raumordnung im Wandel begriffen ist. … Die mögliche Auskreisung der Stadt Ha- nau zeigt sich ebenfalls als Ausdruck der notwendigen Anpassungen der Raumordnung.“ (S. 34)

4. Der Main-Kinzig-Kreis 2020 4.1 Standortbeschreibung [Da die Grundlinien der Entwicklung des MKK bekannt sein dürften, wird auf eine Zusam- menfassung verzichtet.] 4.2 Vollzogene Entwicklung seit der Jahrtausendwende [Für die weitere Argumentation von Bedeutung ist die Betonung der Unterschiede zwischen Hanau und kleineren, peripheren Kommunen des MKK. So heißt es z. B.:] „Bei der Zusam- mensetzung der Altersgruppen zeigen sich innerhalb des Kreises jedoch auch deutliche Un- terschiede zwischen den größeren Kommunen und den ländlichen Gemeinden. So war 2016 der Anteil der unter 18-Jährigen an der Hanauer Bevölkerung um 2,3 % größer als in Birs- tein. Dort lag wiederum der Anteil der über 80-Jährigen um 2 Prozentpunkte höher.“ (S. 37). … „Der Ausländeranteil lag 2018 bei 14,8 %. Ein Anstieg um 2,8 % im Vergleich zu 2014. Es zeigen sich jedoch auch hier wieder deutliche Unterschiede innerhalb des Kreises. So lag der Ausländeranteil in Hanau 2016 bei 24,9 %, in lediglich bei 5,9 %.“ (S. 38)

„Mit diesem BIP [des Jahres 2015 - Q] von umgerechnet 31.433 Euro je Einwohner lag der Kreis unter dem gesamthessischen BIP von 42.732 Euro pro Kopf. Bei einer genaueren Be- trachtung erwirtschaftete die Stadt Hanau allerdings ein überdurchschnittliches BIP in Höhe von 51.393 Euro. Es zeigt sich eine deutliche räumliche Differenzierung der Wirtschaftsleis- tung, trotz der Kreiszugehörigkeit der Stadt Hanau. Der Abbau dieser räumlichen Disparität kann durch die bestehenden Kreisstruktur nicht abgebaut werden, da eine wirtschaftliche Profilierung des restlichen Kreises zu Lasten der Stadt Hanau durch bspw. Beschlüsse des Kreistages nicht zu erwarten sind.“ (S. 39)

„Der Main-Kinzig-Kreis hatte von Beginn seines Bestehens an mit finanziellen Engpässen zu kämpfen. 1976 betrug das Haushaltsdefizit bereits rund 60 Millionen DM. In den folgenden 40 Jahren ist es dem Main-Kinzig-Kreis nicht gelungen die Schuldenlast dauerhaft zu verrin- gern. Viel mehr hat sich der Schuldenstand bis auf ein Maximum von 650 Millionen Euro er- höht. Mit der Auflage des Rettungsschirms für Kommunen in Hessen 2010 und weiteren Fi- nanzierungshilfen (Entschuldung Hessenkasse, Kommunalinvestitionsprogramm und „KIP macht Schule“) konnte der Kreis seine Verschuldung bis heute auf rund 220 Millionen Euro senken. Der Main-Kinzig-Kreis gehört dabei mit dem 8. Platz zu den Top-10 Profiteuren der Unterstützung durch die Landesregierung mit einer Gesamtsumme an Förderungen (…). Wie bereits erwähnt, hätte eine stärkere Profilierung des Main-Kinzig-Kreises und der Stadt Ha- nau das Potential die wirtschaftliche und haushälterische Situation zu verbessern. In der be- stehenden Kreisstruktur ist eine Profilierung zu Lasten des Anderen nicht zu erwarten.“ (S. 39 f.)

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4.3 Räumliche Gliederung und Funktionen „Das insgesamt 1.397,5 km² große Kreisgebiet besteht zu 43 % aus Waldflächen, während 39 % landwirtschaftlich genutzt werden. 16,1 % der Gesamtfläche wird von Siedlungen und Verkehrsanlagen eingenommen und 1,3 % von Gewässern. Siedlungs- und Landwirtschafts- flächen finden sich vor allem im westlichen Teil des Main-Kinzig-Kreises, in dem unter ande- rem die beiden größten Städte Hanau und Maintal liegen. Im östlichen Main-Kinzig-Kreis konzentriert sich ein Großteil der Kommunen, darunter Wächtersbach, Bad Soden- Salmünster, Steinau an der Straße und Schlüchtern, entlang der Kinzig bzw. der A66. Insge- samt ist dieser Teil des Kreises wenig verstädtert und wird von größeren Waldgebieten durchzogen.

Der Main-Kinzig-Kreis entstand am 01. Juli 1974 durch die Fusion der Kreise Gelnhausen, Schlüchtern, dem Landkreis Hanau und der kreisfreien Stadt Hanau. Aufgrund der Größe des neu geformten Landkreises wurde zu Beginn keine Zusammenführung und Zentralisie- rung der Verwaltung an einem Standort beschlossen. Zudem wurde damit auch auf vorhan- den Identifizierung der Menschen mit den Altkreisen Rücksicht genommen. Die Idee einer funktionalen Gliederung und Zentralisierung wurde erst im Laufe der Zeit wieder aufgegriffen. Der politische Beschluss Gelnhausen zur Kreisstadt und zentralem Sitz der Verwaltung zu machen wurde vorab und wird bis heute politisch kontrovers diskutiert. Trotz der Widerstän- de und Diskussionen wurde Gelnhausen 2005 Kreisstadt mit Sitz des direkt gewählten Kreis- tages und des Kreisausschusses, des obersten Verwaltungsorgans, das die laufenden Ge- schäfte führt.

Mit Hanau befindet sich jedoch auch eine von sieben hessischen Sonderstatusstädten im Main-Kinzig-Kreis. Dieser Status räumt der Stadt bereits jetzt mehr Rechte ein und sorgt da- für, dass sie auch Aufgaben des Kreises übernimmt. So ist Hanau unter anderem Schulträ- ger und Träger der Jugendhilfe. Darüber hinaus verfügt die Stadt über ein Krankenhaus der Maximalversorgung, eine Ausländerbehörde, einen Verkehrsbetrieb, eine eigene Woh- nungsbaugesellschaft und eine eigene Wirtschaftsförderung.“ (S. 43) 4.4 Raumordnerische Entscheidungen des Kreises und de- ren Auswirkungen Umstrukturierung des Main-Kinzig-Kreis „Aufgrund der zentralen Lage Gelnhausens beschloss der Main-Kinzig-Kreis im Juli 2005 den Sitz seiner Kreisverwaltung von Hanau nach Gelnhausen zu verlegen. Seitdem ist Ha- nau eine kreisangehörige Stadt mit Sonderstatus und erstmals in der Geschichte weder Kreisstadt, noch kreisfreie Stadt. Bundesweit gibt es nur ein weiteres Beispiel einer solchen Konstellation. Mit der Verlegung musste sich der gesamte Landkreis umstrukturieren. Bis auf die Zulassungs- und Führerscheinstelle, sowie das Kommunale Center für Arbeit (KCA), wurden alle Verwaltungsämter nach Gelnhausen verlegt. Im Zuge der Verlegung des Kreis- sitzes von Hanau nach Gelnhausen 2005 wollte der Kreis das Autokennzeichen MKK für den Main-Kinzig-Kreis einführen. Das bisher geltende Kennzeichen HU für Hanau sollte durch MKK ersetzt werden. Die Stadt Hanau wollte das Kennzeichen HU jedoch beibehalten. Dies setzte voraus, dass die Stadt Hanau Zulassungsstelle wird. Auf Antrag der Stadt hat die hes- sische Landesregierung die Zuständigkeitsverordnung dahingehend angepasst, dass die Stadt Hanau eine eigene Zulassungsbehörde wird. Aufgrund der Kooperation als gemeinsa- mer Ordnungsbehördenbezirk hat der Main-Kinzig-Kreis die Aufgaben der Zulassungsbehör- de Hanau für Hanau wahrgenommen. Die Zulassungsbehörde im Main-Kinzig-Kreis besteht seitdem aus den Zulassungsstellen Hanau, Gelnhausen und Schlüchtern.“ (S. 44 f.) Ländlicher Raum „Sowohl die Bevölkerungsentwicklung als auch die wirtschaftliche Entwicklung sind für den gesamten Main-Kinzig-Kreis genommen seit Jahren positiv. Es zeigen sich jedoch gleichzei-

31 tig große regionale Unterschiede innerhalb des Kreises. Das Bevölkerungs- und wirtschaftli- che Wachstum beziehen sich häufig in erster Linie auf die Städte und größeren Kommunen, die sich mit Hanau und Maintal vor allem im Westen des Kreises und im Kinzigtal konzentrie- ren. Kleinere Kommunen wie z.B. Birstein oder Flörsbachtal weisen hingegen eher rückläufi- ge Einwohnerzahlen und eine ältere Bevölkerung auf. Ihre Wirtschaftskraft ist geringer, es mangelt an Arbeitsplätzen, es ist viel Leerstand vorhanden und die Grundversorgung ist zu- nehmend schwächer gewährleistet. Um die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse inner- halb des Landkreises auszubauen und zu sichern, haben Politik und Verwaltung des Kreises daher das Förderprogramm „Ländlicher Raum“ entworfen. Kleinere Gemeinden, Orts- und Stadtteile sollen als Wohn- und Wirtschaftsstandorte gestärkt werden. Gefördert werden so- wohl Projekte von Kommunen als auch von Privatpersonen.“ (S. 46) 5. Die Stadt Hanau in 2020 5.1 Standortbeschreibung „Mit rund 98.000 Einwohnern ist Hanau die sechstgrößte Stadt Hessens und die größte Stadt des Main-Kinzig-Kreises. Aufgrund ihrer Größe ist die Stadt eine von sieben Sondersta- tusstädten in Hessen und verfügt dadurch über mehr Rechte als andere Gemeinden, wäh- rend sie zugleich Aufgaben des Kreises in einem größeren Umfang wahrnimmt. Die Stadt Hanau ist darüber hinaus auch Teil des Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main, in dessen Os- ten sie liegt.“ (S. 50) 5.2 Vollzogene Entwicklung seit der Jahrtausendwende „Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Hanau zu einem der größten Stützpunkte der US- Armee in Europa. In den 1970er und 80er Jahren lebten rund 30.000 Soldaten in Hanau. Hinzu kamen ihre Familien und zivile Angestellte. In den 1990er Jahren wurde ihre Zahl kon- tinuierlich reduziert. 2008 folgte der komplette Abzug der US-Streitkräfte aus der Stadt. Ha- nau verlor somit mehr als ein Drittel (39 %) seiner Bevölkerung.

Ungeachtet dieses Verlustes ist die Hanauer Bevölkerung in den letzten Jahren stetig ge- wachsen. Wie in Abbildung 7 [hier nicht dargestellt – Q] zu sehen, kann Hanau zwischen 2011 und 2016 ein Bevölkerungswachstum von 9 % vorweisen. Seit 2012 hat die Stadt über 90.000 Einwohner und nähert sich inzwischen immer mehr der 100.000-Einwohner-Marke und somit dem Status einer Großstadt an. Fast 64 % des Bevölkerungswachstums im Main- Kinzig-Kreis seit 2011 fanden dabei in Hanau statt. Bei ca. 23 % an der Gesamtbevölkerung des Landkreises zeigt sich die überproportionale Bedeutung der absoluten Bevölkerungs- entwicklung in Hanau. Die Stadt wächst somit in Größenordnungen wie andere kreisfreie Großstädte in Hessen und in der Bundesrepublik Deutschland.“ (S. 51)

„Im Vergleich zum Main-Kinzig-Kreis und kleineren Kommunen wie Birstein hat Hanau eine jüngere Bevölkerung.“ (S. 52)

„Hanaus Arbeitsmarktzentralität, die sich aus dem prozentualen Verhältnis zwischen Ein- und Auspendlern ergibt, lag 2017 bei 153 %. Damit hebt sich die Brüder-Grimm-Stadt deut- lich von den Zentralitätswerten des Main-Kinzig-Kreises (60,8%), oder der benachbarten Stadt Offenbach (89,8 %) ab.“ (S. 54)

„Mit einer Arbeitslosenquote von 7,0 % liegt die Brüder-Grimm-Stadt jedoch immer noch über den Vergleichswerten des Main-Kinzig-Kreises oder des Landes Hessen (je 4,7 %). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Arbeitslosenstatistiken des Main-Kinzig-Kreis stark durch Hanau beeinflusst werden. So leben in Hanau rund 39 % aller Arbeitslosen im Main-Kinzig- Kreis und ca. 41 % aller Langzeitarbeitslosen.

Gleichzeitig ist Hanau aber auch ein wirtschaftliches Zentrum innerhalb des Main-Kinzig- Kreis. Das Bruttoinlandsprodukt der Stadt wächst seit Jahren kontinuierlich an und liegt der-

32 zeit mit 51.393 Euro pro Einwohner deutlich über dem hessischen und dem bundesweiten (39.578 Euro) Durchschnitt. Die Kaufkraft in Hanau liegt mit 22.263 Euro pro Kopf jedoch etwas niedriger als im kreisweiten Durchschnitt von 24.220 Euro je Einwohner. Es befinden sich knapp 36 % aller sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze des Kreises in Hanau und die Stadt sorgt für 26 % aller Steuereinnahmen.“ (S. 55)

„Hanau ist eine Sonderstatusstadt. Den hessenspezifischen Begriff einer „Sonderstatusstadt“ räumt die Hessische Gemeindeordnung kreisangehörigen Städten ein, die aufgrund ihrer Größe Aufgaben wahrnehmen, die üblicherweise vom Landkreis erfüllt werden. Zum Beispiel die eigenständige Wahrnehmung von Jugendhilfe, Bauaufsicht, Sozialamt oder Naturschutz. Neben Hanau haben diesen Status noch Gießen, Marburg, Rüsselsheim, Fulda, Bad Hom- burg und Wetzlar. Den Titel und die Aufgaben einer „Sonderstatusstadt“ haben Städte mit mehr als 50.000 Einwohnern im Zuge der Gebietsreform 1974 erhalten. Damit wurde auch der Tatsache Rechnung getragen, dass verschiedene bisher kreisfreie Städte (wie zum Bei- spiel Hanau, Fulda oder Marburg) den größten Teil ihrer bisher erfüllten Aufgaben auch wei- terhin im Sinne der Problemnähe und einer bürgernahen Verwaltung weiter wahrnehmen können. Alle Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern sind in Hessen generell kreisfrei (Frankfurt, Wiesbaden, , Offenbach, Darmstadt).

Der Begriff ,Sonderstatusstadt‘ ist eine hessische Besonderheit. Allerdings gibt es in anderen Bundesländern ähnliche kommunale Rechtsstellungen, die zum Beispiel mit Titeln wie ,Große Kreisstadt‘ (z.B. Bayern), ,Große kreisangehörige Stadt‘ (z.B. Nordrhein-Westfalen, Brandenburg) oder ,Große selbstständige Stadt‘ (Niedersachsen) definiert werden.

Als Ausgleich für die von den Sonderstatusstädten eigenständig übernommenen Aufgaben wurde diesen Städten eine Reduzierung der Kreisumlage zugestanden. Dies hat in den Folgejahren (zum Beispiel Anfang der 1990er Jahre) immer wieder zu Auseinander- setzungen zwischen den jeweiligen Kreisen und dem Land, als dem für den Finanzausgleich zuständigen verantwortlichen Gesetzgeber, geführt. Ursache der Debatten waren die Verän- derungen der Aufgabenstellungen, beziehungsweise eine unklare Abgrenzung der jeweiligen Aufgaben.“ (S. 57) 5.4 Raumordnerische Entscheidungen der Stadt und deren Auswirkun- gen „Die Stadt Hanau hat in den letzten 20 Jahren eine positiv zu bewertende Entwicklung ge- nommen. Die wachsenden Einwohner- und Beschäftigtenzahlen, sowie das steigende Brut- toinlandsprodukt sind dabei nicht zuletzt auf die zahlreichen raumordnenden Maßnahmen zurückzuführen, die von Politik und Verwaltung beschlossen und durchgeführt wurden.“ (S. 60) Aufgezählt und näher erläutert werden:  Innenstadtumbau  Freiheitsplatz/Forum Hanau  Flächenentwicklung und Konversionsflächen  Gemeinschaftsunterkunft „Sportsfield Housing“ 5.5 Kernthemen und Herausforderungen Aufgezählt und näher erläutert werden (S. 63 f.):  Stadtentwicklungs- und Bürgerbeteiligungsprozess „Zukunft Hanau“  Regionales Entwicklungskonzept  Unterbringung Geflüchtete und Weiterentwicklung als Ankunftsstadt  Entwicklung von Pioneer  Klimaschutz Zusammenfassung (S. 67) [tabellarische Darstellung wesentlicher Merkmale des MKK (inkl. Hanau) und Hanaus sowie der aktuellen Herausforderungen, von Stärken/Schwächen und Chancen/Risiken] 33

6. Szenarien für die Raumordnung des Main-Kinzig-Kreises 6.1 Szenario 1: Die Stadt Hanau verbleibt im Main-Kinzig-Kreis „Dieses Szenario behandelt den Fall, dass Hanau als Sonderstatusstadt innerhalb des Main- Kinzig-Kreises verbleibt. Insofern gibt es keine formalen oder verwaltungstechnischen Ver- änderungen, die vorab erläutert werden müssen. Die Organisation und Verteilung der Ver- waltung innerhalb des Kreises wird ebenfalls unverändert so bestehen bleiben. Somit lässt sich die Vorstellung dieses Szenarios hierbei mit dem Verweis auf den Status Quo, be- schrieben in den Kapiteln 4 und 5, verkürzen.

Festzuhalten ist, dass sich die bisher beschriebenen Unterschiede in den Herausforderun- gen und Lösungsansätzen weiter verschärfen werden, da die raumstrukturellen Unterschiede ohne eine gezielte Fokussierung nicht bearbeitet werden können. Die genannten zukünftigen Themenfelder und strukturellen Veränderungen durch z.B. die Digitalisierung, den demogra- phischen Wandel oder des Klimawandels müssen jedoch angenommen und gestaltet wer- den. Die Dringlichkeit der raumordnerischen Reaktion auf diese Entwicklungen sollten an dieser Stelle deshalb betont werden.

Aus der Beschreibung des Status Quo und der zukünftigen Themenfelder kann zudem abge- leitet werden, dass ein Szenario „Erhalt des Status Quo“ nicht zu erreichen ist. Diese Studie geht davon aus, dass mit den zukünftigen Herausforderungen für den Main-Kinzig-Kreis auch Veränderungen der Verwaltungsstrukturen einhergehen müssen und werden. Die bis- herige Entwicklung des Main-Kinzig-Kreis zeigt, dass solche Veränderungen, wie z.B. die Verlegung des Kreissitzes, auch stets stattgefunden haben.

Es wird in dem Szenario „Die Stadt Hanau verbleibt im Main-Kinzig-Kreis“ unabdingbar sein, zukünftige Handlungsfelder zu identifizieren und zwei Kategorien zu bilden. Zum einen müs- sen Themen erkannt werden, die verstärkt durch Schnittstellen und Kooperationen zwischen der Kreisverwaltung und der Stadt Hanau bearbeitet werden müssen. Zum anderen sind Herausforderungen zu bewältigen, bei denen eine Fokussierung der Großstadt Hanau, der Mittelzentren und des ländlichen Raums notwendig werden. Dafür müssen gezielte Struktu- ren in den Verwaltungen aufgebaut werden. Diese müssen dabei im Hinblick auf die anzu- wenden Strategien und Instrumente zielgerichtet für die jeweiligen raumstrukturellen Heraus- forderungen abgestimmt werden.

Der Main-Kinzig-Kreis und die Stadt Hanau müssen sich in diesem Szenario ihrer spezifi- schen Anforderungen und der Notwendigkeit spezifischer Lösungen bewusst werden. The- men wie z.B. die Sozialpolitik, Wirtschaftsförderung, Tourismus, Versorgung oder Wohnraum müssen unterschiedlich gestalten werden. Nur durch eine Profilierung und Fokussierung können diese Themen in Zukunft für Hanau und den Kreis erfolgreich bearbeitet werden.

Die bisherige divergierende Entwicklung der Großstadt Hanau, der Mittelzentren im Kreis und des ländlichen Raums konnte durch den Landkreis in seinen aktuellen und vergangenen Strukturen nicht gemindert werden. Die Zentralisierungstendenzen durch die Stadt Hanau sind selbst durch die Verlagerung des Kreissitzes nach Gelnhausen nicht abgeschwächt worden. Es wird dadurch deutlich, welche Dynamik die raumordnerische Entwicklung besitzt. Nur durch Konzentration des Verwaltungshandelns auf gestaltbare Rahmenbedingen und Prozesse kann diese Entwicklung nach den gewünschten Zielen gestaltet werden.

Die bisherige Raumordnungspolitik des Main-Kinzig-Kreises zeigt eine deutlich fehlende Fo- kussierung auf spezifische Herausforderungen in unterschiedlichen Regionen. Eine z.B. auf Ausgleich bedachte Wirtschaftspolitik des Kreises wird sowohl die Stärken der Stadt Hanau, als auch die Stärken des restlichen Kreises dem Ausgleich unterordnen oder den wirtschaft- lichen Prozessen überlassen. Die Chancen und Potentiale der verschiedenen Teilräume,

34 insbesondere für den Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main und das gesamte Land Hessen, werden so nicht in vollem Umfang genutzt.

Aus diesem Grund kann dieses Szenario wie folgt zusammengefasst werden. Eine Anpas- sung der Zusammenarbeit im Main-Kinzig-Kreis ist notwendig und erforderlich, um durch Profilierung und Fokussierung den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen begegnen zu können. Dies ist durch eine spezifische Aufgabenteilung und Koordination zu erreichen. Der Interessenausgleich zwischen der Großstadt Hanau, den Mittelzentren und dem ländli- chen Raum muss durch gezielte Entwicklung von Ansätzen und Lösungen erfolgen, ohne die Potentiale der jeweils anderen Strukturräume zu schwächen.“(S. 70 f.) 6.2 Szenario 2: Die Stadt Hanau wird kreisfrei „Das Szenario ,die Stadt Hanau wird kreisfrei‘ ist in seinen Folgen und Auswirkungen in zwei Teilbereiche zu unterscheiden. Zum einen werden sich sozioökonomische Kennzahlen auf Kreis- und Stadtebene verändern und zum anderen wird der Verwaltungsaufbau für den Kreis und die Stadt neu oder umgebaut werden müssen. Diese Studie beschäftigt sich im Folgenden mit den wichtigsten Veränderungen in den sozioökonomischen Kennzahlen und Veränderungen im Verwaltungsaufbau.“ (S. 72)

Sozioökonomische Veränderungen durch die Kreisfreiheit

Räumliche Grenzen MKK und Hanau „Mit der Kreisfreiheit der Brüder-Grimm-Stadt verbleiben mit Maintal, Großkrotzenburg, Bruchköbel, Rodenbach, Erlensee, Neuberg, Langenselbold, Ronneburg, Hammersbach, Nidderau, Schöneck und Niederdorfelden zwölf Gemeinden im Landkreis, die dem Regional- verband FrankfurtRheinMain angehören. Da sich die gemeindeübergreifende Planung des Verbandes an den Anforderungen und Bedürfnissen einer Metropolregion orientiert, werden die benannten Gemeinden und damit ein bedeutender Teil des Kreises auch weiterhin vom Einfluss des Ballungsgebiets profitieren. Im Rahmen der Auskreisung der Stadt Hanau wäre eine Gebietserweiterung des Regionalverbands denkbar und notwendig, um eine Entwick- lungsachse für den Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main in Richtung Fulda zu stärken.“ (S. 72)

„Die Kreisfreiheit Hanaus hätte insbesondere auf die benachbarte Gemeinde Großkrotzen- burg, die zwischen dem bayrischen und dem Hanauer Stadtteil Großauheim liegt, einen besonderen Einfluss. Die Auskreisung Hanaus würde dazu führen, dass Groß- krotzenburg als eine ’Art ,Enklave‘ des Main-Kinzig-Kreises im Hanauer Stadt-gebiet lokali- siert wäre. Die Situation Großkrotzenburgs muss daher bei der Frage nach der Kreisfreiheit Hanaus mitgedacht werden, auch wenn die Auskreisung Hanaus natürlich nicht zu einer Form der räumlichen Abtrennung von Großkrotzenburg führt. Zusammenarbeit und Koopera- tionen zwischen Großkrotzenburg und der Stadt Hanau müssten durch den restlichen Kreis koordiniert und vermittelt werden.

In der Gemeinde selbst wird das Thema kontrovers diskutiert, insbesondere im Hinblick auf die Möglichkeit einer Eingemeindung Großkrotzenburgs in die Stadt Hanau. Während in der lokalen Politik die Meinung verbreitet ist, Großkrotzenburg solle seine Eigenständigkeit in- nerhalb des Kreises behalten, ein Anschluss an Hanau erzeuge keine Vorteile für die Ge- meinde, haben sich Initiativen gebildet, die einer Eingemeindung positiv gegenüberstehen. So setzt sich etwa die ,Initiativgruppe für ein zukunftssicheres Großkrotzenburg‘ für eine ver- stärkte Zusammenarbeit mit Hanau ein und schließt dabei einen vollständigen Anschluss Großkrotzenburgs an die Nachbarstadt als Ergebnis dieser Kooperation nicht aus.“ (S. 72 f.)

Bevölkerungskennzahlen „Ohne die rund 98.000 Bewohner der Stadt Hanau schrumpft die Bevölkerungszahl des Main-Kinzig-Kreis von derzeit 417.000 Einwohnern und Einwohnerinnen um knapp ein Vier- tel. Es ist zu erwarten, dass die Kreisfreiheit der Brüder-Grimm-Stadt auch die zukünftige 35

Bevölkerungsentwicklung des Landkreises beeinflussen wird. So sind 64 % des Bevölke- rungswachstums im Main-Kinzig-Kreis seit 2011 auf die Einwohnerentwicklung der Stadt Hanau zurückzuführen.

Auch die Altersstruktur der Bevölkerung im Main-Kinzig-Kreis wird sich mit Hanaus Kreisfrei- heit leicht verschieben. Für den Landkreis wird der Anteil der unter 19-Jährigen im Jahre 2025 auf 15 % geschätzt, während die Altersgruppe in Hanau knapp ein Fünftel der Ge- samtbevölkerung ausmachen soll. Gleichzeitig wird mehr als ein Viertel der Bevölkerung im Landkreis älter als 64 Jahre sein. Dementsprechend kann auf Grundlage der Prognosewerte für 2025 davon ausgegangen werden, dass der Altersdurchschnitt im Landkreis bei 47 Jah- ren liegt, wenn Hanau ausgekreist wird. Für die dann kreisunabhängige Stadt wird dagegen für 2025 ein Altersschnitt von 44,3 Jahren geschätzt.“ (S. 73 f.9)

„Bei einer Auskreisung der Stadt Hanau würde (…) durch den signifikanten Ausländeranteil der Stadt der Anteil der Bewohner des Main-Kinzig Kreis mit einer ausländischen Staatsbür- gerschaft von 15,4 % auf 12,4 % sinken.

Nach der Auskreisung Hanaus wäre Maintal mit einer Bevölkerung von rund 39.000 die be- völkerungsreichste Stadt im restlichen Kreis. Zusammen mit der Lage zwischen Frankfurt, Hanau und dem Main-Kinzig-Kreis ist Maintal dadurch prädestiniert Kooperationen zwischen den beiden kreisfreien Städten und dem Landkreis zu initiieren und zu moderieren. Als Tor zu der Metropolregion Frankfurt am Main und der Großstadt Hanau kann die Stadt somit für den Interessensausgleich zwischen dem Ballungsraum, den Mittelzentren, dem ländlichen Raum und somit für gesamte die Entwicklungsachse Frankfurt-Fulda großes Potential bie- ten.“ (S. 73)

Wirtschaftliche Kennzahlen „Die Kreisfreiheit Hanaus wird sich auf die wirtschaftliche Statistik des Main-Kinzig-Kreises auswirken. Die gesamte Wirtschaftsleistung des Main-Kinzig-Kreises im Jahr 2015 von 12.881 Mio. Euro zeigt folgende Verteilung. Die Stadt Hanau erwirtschaftete in 2015 4.761 Mio. Euro, der restliche Kreis 8.120 Mio. Euro. Verglichen mit den Bevölkerungskennzahlen zeigt sich, dass Hanau einen überdurchschnittlichen Pro-Kopf Anteil an der Wirtschaftsleis- tung des Kreises ausmacht. Dabei ist festzuhalten, dass sich diese Entwicklung in der be- stehende Kreisstruktur vollzogen hat.

Für den verbleibenden Main-Kinzig-Kreis ist bei einer administrativen Trennung von der Stadt Hanau keine wirtschaftliche Rezession zu erwarten. Beachtet man das Wirtschafts- wachstum in der Vergangenheit, so wuchs das BIP des Main-Kinzig-Kreis von 2008 bis 2015 um bis zu 16,1 %, was nur zu 23 % auf die Wirtschaft der Stadt Hanau zurückzuführen ist, deren Bruttoinlandsprodukt im gleichen Zeitraum nur um 9,8 % zulegen konnte. Diese Wachstumsraten zeigen, dass der restliche Main-Kinzig-Kreis ein hohes Potential besitzt, sich als Wirtschaftsraum ohne Hanau erfolgreich zu profilieren.“ (S. 74 f.)

Kaufkraft „Mit einer Kaufkraft von 22.263 € pro Kopf und einem Kaufkraftindex in Höhe von 95,5 im Jahre 2018 liegt Hanau im unteren Drittel des gesamten Main-Kinzig-Kreises und 9,6 Punkte unter dem hessischen Durchschnitt. Auch der Main-Kinzig-Kreis liegt mit einem Kaufkraftin- dex von 103,8 (24.220 €) unter dem hessischen Durchschnitt von 105,1. Den Spitzenwert erzielt die Gemeinde Biebergemünd mit 30.567 € pro Kopf (Index 130,9).“ (S. 75)

Arbeitslosenquote und Beschäftigte „Die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten am Arbeitsort hat sich sowohl im Main-Kinzig-Kreis als auch in Hanau konstant erhöht und reiht sich damit dem hessenwei- ten Trend ein. Seit 2010 stieg die Anzahl im Kreisgebiet um 22.795 auf insgesamt 133.194 im Jahre 2017. Im gleichen Zeitraum war in Hanau ein Plus von 5.703 sozialversicherungs- pflichtigen Beschäftigten zu verzeichnen und lag damit 2017 bei 47.396. 36

Das Pendlersaldo der Stadt Hanau ist mit 11.791 Einpendlern positiv, wogegen aus dem Landkreis 29.014 Auspendler täglich zu verzeichnen sind. Beide Salden haben sich in den letzten Jahren verstärkt, sodass seit 2010 Hanau einen Einpendlerzuwachs von 6,4% und der Landkreis ein Auspendlerplus von 22,8% aufweisen.

Hinsichtlich der Arbeitslosenzahlen lässt sich dabei herausstellen, dass sich die Kennzahl für den Main-Kinzig-Kreis von 4,1 % nach einer Auskreisung neu berechnen würde. Die Kreis- freiheit der Stadt Hanau, mit einer Arbeitslosenquote von 7,0%, würde in einem Absinken der Arbeitslosenquote auf etwa 2,0 – 2,5 % für den restlichen Kreis resultieren. Zudem unter- scheidet sich das Verhältnis der Personen im SGB II und SGB III-Bezug zwischen Hanau und dem MKK gravierend. Wie in allen größeren Kommunen weist Hanau einen höheren Anteil an Langzeitarbeitslosen auf.“ (S. 75 f.)

Kommunaler Finanzausgleich „Die Auskreisung Hanaus wird Einfluss auf die Verteilung der finanziellen Mittel durch den Kommunalen Finanzausgleich nehmen. (…) Welche konkreten Änderungen sich durch diese Beispiele und die zahlreichen anderen Faktoren ergeben werden, kann zum jetzigen Zeit- punkt noch nicht abschließend abgeschätzt werden. Hierfür werden Berechnungen des hes- sischen Finanzministeriums notwendig sein.“ (S. 76)

Veränderungen in der Verwaltung durch die Kreisfreiheit „Die Stadt Hanau war von 1886 bis 1974 kreisfrei. Nach der am 1. Juli 1974 ausgeführten Fusion der damaligen drei Landkreise Hanau, Gelnhausen und Schlüchtern (…), entstand der Landkreis Main-Kinzig-Kreis mit Sitz der Kreisverwaltung in Hanau. Allerdings wurde die Kreisverwaltung 31 Jahre später am 1. Juli 2005 nach Gelnhausen verlegt. Hanau war somit erstmals in der Geschichte weder Kreisstadt noch kreisfrei, behielt jedoch als Stadt mit Son- derstatus einige Sonderrechte. Die Stadt ist weiterhin im Main-Kinzig-Kreis eingebunden, erledigt dennoch eine Vielzahl an Aufgaben, welche in der Verantwortung von Landkreisen liegt. Die Stadt hat eine eigene Bauaufsicht, ist Schulträger, verantwortlich für Jugendhilfe und es gibt eine Zulassungsbehörde.“ (S. 76 f.)

Sozialwesen „Im Falle einer Kreisfreiheit muss Hanau zusätzliche Aufgaben übernehmen. Die ehemalige Zersplitterung der Zuständigkeiten, die in den Regelungsbereich der Sozialgesetzbücher fallen, würde aufgehoben werden. Der Bereich Sozialplanung wird neu aufgestellt und somit sichergestellt, dass eine ganzheitliche und nachhaltige Steuerung in der Sozialpolitik möglich sein wird. Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger können dann, themen- und bereichs- übergreifend, aus einer Hand und bürgernäher erbracht werden.

Einen Eckpfeiler bildet hierbei auch das innovative und hessenweit einmalige „Haus rund um das Erwerbsleben“ auf dessen Einrichtung sich die Stadt Hanau und die Bundesagentur für Arbeit am 20.09.2018 in einem Letter of Intent gemeinsam verständigt haben. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II wird nach einer Auskreisung in Form eines Jobcenters (als gemeinsame Einrichtung der Bundesagentur für Arbeit und der Stadt Hanau nach § 44b SGB II) gewährleistet werden. In Hanau lebten Ende 2018 10.254 Menschen mit Anspruch auf Leistungen nach SGB II, davon waren 6.902 erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die in 4.882 Bedarfsgemeinschaften lebten. Dies entspricht 44 % der Arbeitslosen des gesamten Main-Kinzig-Kreises. Bei gleichbleibenden Arbeitslosenzahlen und Bezuschussungen des Bundes, belaufen sich die Aufwendungen hierfür auf ca. 19,5 Mio. € jährlich.

Örtliche Träger der Sozialhilfe (Sozialgesetzbuch XII) sind die kreisfreien Städte und Land- kreise. Die Sachbearbeitung soll hierbei im „Haus rund um das Erwerbsleben“ angesiedelt werden. Bereits zum 01.01.2020 werden, unabhängig von der Kreisfreiheit Hanaus, im Rah-

37 men der Gesetzesänderungen durch das Bundesteilhabegesetz bezüglich der Eingliede- rungshilfe für behinderte Menschen, Aufgaben vom Kreis an die Stadt übergehen.

Mit Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 06.03.2012 möchte die Stadt Hanau einen Pflegestützpunkt einrichten, um Aufgaben in der Pflege, die sie teilweise bereits freiwil- lig erbringt, auch räumlich enger verzahnen zu können. Weiterhin soll eine kommunale Ar- beitsmarktförderung geschaffen werden, wodurch eine zielgenauere Verteilung und Verwen- dung der Mittel erreicht werden soll.

Die Versorgung gemäß Asylbewerberleistungsgesetz und die Unterbringung von Flüchtlin- gen und anderen ausländischen Personen fallen mit der Auskreisung in den Zuständigkeits- bereich von Hanau. Die Stadt ist bereits jetzt verpflichtet, 20 % der dem Landkreis zugewie- senen Geflüchteten im Stadtgebiet zu versorgen. Seit Mitte 2015 betreibt die Stadt hierfür in Eigenregie eine Gemeinschaftsunterkunft mit einer Kapazität von 1.300 Personen.“ (S. 77 f.)

Abfallentsorgung „Hanau müsste nach der Auskreisung den für das Abfallaufkommen der Stadt ableitbaren Kostenanteil für die Deponienachsorge übernehmen.“ (S. 78)

Schulwesen „Hanau und der Main-Kinzig-Kreis verfolgen einen gemeinsamen Schulentwicklungsplan für die fünf beruflichen Schulen im Landkreis und in Hanau. Zusätzlich gibt es zwischen Stadt und Kreis eine Kooperationsvereinbarung über die Beschulung von Schülerinnen und Schü- lern aus dem Main-Kinzig-Kreis an Gymnasien der Stadt Hanau, welche unabhängig von einer möglichen Kreisfreiheit ihre Gültigkeit behalten wird.“ (S. 78)

Amt für Umwelt- und Naturschutz „Als kreisfreie Stadt wird Hanau die Zuständigkeit für Aufgaben der Unteren Wasserbehörde, der Unteren Bodenschutzbehörde, der Immissionsschutzbehörde und des Schornsteinfeger- wesens, der bereits bestehenden Unteren Naturschutzbehörde, sowie der Unteren Forstbe- hörde innerhalb der Organisationseinheit ,Amt für Umwelt- und Naturschutz‘ bündeln. Die bisherige Abteilung Technischer Umweltschutz wird in diesem Zuge aufgelöst und die dort Beschäftigten in die neue Behördenstruktur übernommen. Durch Übernahme dieser Aufga- ben ist die Stadt Hanau dazu berechtigt, formale Maßnahmen anzuordnen und Entscheidun- gen zu treffen. Genehmigungsverfahren der Bauaufsicht und der Unteren Naturschutzbehör- de, sowie Ausstellungsverfahren von Bebauungsplänen können dadurch verkürzt und Ar- beitsabläufe effektiver gestaltet werden. Das neue Amt ist gemeinsam mit der Bauaufsicht und der Stadtplanung im Technischen Rathaus untergebracht, was behördenübergreifende Abstimmungen vereinfachen soll.“ (S. 78)

Gemeinsame Leitstelle Katastrophenschutz und Rettungsdienst „Hanau strebt auch bei Kreisfreiheit eine gemeinsame Leitstelle mit dem Main-Kinzig-Kreis für den Katastrophenschutz und den Rettungsdienst an. Die Stadtverordnetenversammlung hat den Magistrat am 29.10.2018 damit beauftragt, mit dem Main-Kinzig-Kreis eine gemein- same Leitstelle einzurichten. Hierfür soll nach Absprache mit dem Gefahrenabwehrzentrum Gelnhausen eine Kooperationsvereinbarung getroffen werden, die auch auf den Rettungs- dienstbereich ausgeweitet werden soll.“ (S. 78 f.)

Kfz-Zulassungsbehörde „In Hanau ist eine von drei Zulassungsstellen des Main-Kinzig-Kreises verortet. Unabhängig von einer möglichen Auskreisung Hanaus, wird die Stadt die Aufgaben der Zulassungsbe- hörde am 01.01.2021 übernehmen. Die Stadt Hanau hat dem Landkreis angeboten, die Auf- gaben als Zulassungsbehörde auch weiterhin für Bürger aus dem Kreis wahrzunehmen. Dies wurde von Seiten des Kreises abgelehnt, ebenso die Übernahme von Personal oder die Überlassung der Räumlichkeiten. Somit muss Hanau bis zu diesem Zeitpunkt ein eigenes

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Amt für Zulassungen mit Personal und Räumlichkeiten aufbauen, während der Kreis seine Zulassungsstelle weiterbetreiben wird.“ (S. 79)

Zusammenfassung „Die hier vorgestellten Verschiebungen (…) und verwaltungstechnischen Veränderungen stellen lediglich eine Auswahl dar.

(…) Eine Prognose für bspw. Veränderung der Steuereinnahmen oder Änderungen des kommunalen Finanzausgleichs liegen außerhalb des Umfangs dieser Studie. Eine finanzielle Folgeabschätzung ist in dem internen Konzept der Stadt Hanau bereits erfolgt. Des Weiteren lässt der Main-Kinzig-Kreis aktuell mit einer eigenen Studie die finanziellen Auswirkungen untersuchen.“ (S. 79 f.) 6.3 Diskussion der Szenarien „Nachdem nun beide Szenarien in ihren Auswirkungen vorgestellt wurden, beschäftigt sich diese Studie im Folgenden mit der Diskussion der beiden Szenarien und den Folgen für die Raumordnung. Dafür werden zum einen die Szenarien danach bewertet, inwieweit sie den aktuellen Ansprüchen zur Schaffung von gleichwertigen Lebensverhältnissen und den Anfor- derungen an eine moderne Raumordnung entsprechen.“ (S. 80)

Unterschiedliche Herausforderungen – unterschiedliche Interessen „Aus (…) strukturellen Unterschieden ergeben sich unterschiedliche Zielsetzungen im Be- reich Arbeitsmarkt. Während die Großstadt Hanau mit einer höheren Arbeitslosigkeit und einem hohen Anteil an Langzeitarbeitslosen umgehen muss, gibt es für den Main-Kinzig- Kreis in diesem Themenfeld nur wenig Handlungsbedarf. Hanau wird sich in Zukunft gezielt um die Qualifikation und Weiterbildung der Langzeitarbeitslosen bemühen müssen, um diese langfristig wieder in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Dieses Ziel benötigt gezielte Verwaltungsstrukturen und –prozesse, die in dieser Form für die restlichen Kommunen des Main-Kinzig-Kreises nicht notwendig sind.“ (S. 80)

„In ähnlicher Weise gestaltet sich der Unterschied im Bereich Fachkräfte. Zum einen unter- scheiden sich die Branchen, die Fachkräfte benötigen. Während die Stadt Hanau gerade als starker Standort für Materialtechnik in diesem Bereich Fachkräfte benötigt, ist die Nachfrage im Main-Kinzig-Kreis breiter gestreut. (…)

Zum anderen unterscheiden sich die notwendigen Maßnahmen, um den Fachkräftemangel zu bewältigen. Während der Main-Kinzig-Kreis durch Programme zur Steigerung der Profilie- rung als Arbeits- und Wohnort im ländlichen Raum beitragen muss, wird Hanau sich stärker auf die Schaffung von Wohnraum und die Profilierung als moderne und lebenswerte Groß- stadt fokussieren müssen. Die Profilierung beider ist somit mit einer unterschiedlichen Ziel- setzung verbunden, die nur parallel funktionieren kann. Eine enge Kooperation ist dabei durchaus sinnvoll.

Auch das Thema Versorgung gestaltet sich im Main-Kinzig-Kreis und der Stadt Hanau in seinen Herausforderungen sehr unterschiedlich. Wie bereits in den vorherigen Kapiteln er- läutert, hat der ländliche Raum mit Abwanderungstendenzen zu kämpfen. Gerade die Innen- städte kleinerer Gemeinden sind immer stärker von leerstehenden Ladenflächen betroffen. Auch das Thema ärztliche Versorgung in ländlichen Regionen zeigt sich immer angespann- ter. Der Kreis wird diese Herausforderung nur durch gezielte Programme zur Attraktivitäts- steigerung und Revitalisierung von innerstädtischen gewerblichen Flächen angehen können.

Die Stadt Hanau hingegen kann in diesem Bereich keine ähnliche Problembeschreibung teilen. Durch die vollzogene großmaßstäbige Innenstadtentwicklung konnte Hanau wieder an Attraktivität für den Einzelhandel gewinnen und als Stadt mit 100.000 Einwohnern ist die At- traktivität für Ärzte und Praxen grundsätzlich gegeben. Somit muss Hanau keine gezielte Attraktivitätsprofilierung betreiben. Stärker im Fokus der Stadt sollte die gezielte Steuerung 39 der Ansiedlung einer sinnvollen Mischung von verschiedenen Gewerbetreibenden und Ärz- ten sein.

Für das Themenfeld Verkehr und Mobilität können ebenfalls grundsätzlich unterschiedliche Herausforderungen identifiziert werden. Wie bereits in den vorherigen Kapiteln erläutert, ist die Stadt Hanau im Bereich motorisierter Individualverkehr viel stärker von Einpendlern bzw. durch den Zielverkehr geprägt, als der Rest des Main-Kinzig-Kreises. Die Mittelzentren und der ländlichen Raum im Kreis sind hingegen in hohem Maße durch Auspendler bzw. Quell- verkehr geprägt. Dieser unterschiedlichen Ausgangssituation muss mit unterschiedlichen Lösungen begegnet werden. Auch der Bereich des schienengebundenen Nahverkehrs zeigt andere Schwerpunktsetzungen zwischen Kreis und Stadt. Der Kreis hat sich in den letzten Jahren sehr stark auf den Ausbau der ICE-Trasse zwischen Hanau und Fulda konzentriert, während Hanau das Thema der nordmainischen S-Bahn in den Fokus setzt.

Als weiteres Beispiel für raumstrukturelle Unterschiede bietet sich das Thema Hochwasser- schutz an. Hier zeigen sich zwar keine grundsätzlichen unterschiedlichen Lösungen, jedoch eine unterschiedliche räumliche Zielsetzung. Das Thema Hochwasser betrifft mit den Flüs- sen Main und Kinzig zwar den gesamten Main-Kinzig-Kreis, jedoch ist bei Hochwasser der Lageschwerpunkt aufgrund des Zusammenflusses der beiden Flüsse meist in Hanau zu ver- orten. Die Bekämpfung dieser Lage findet dabei aus dem Gefahrenabwehrzentrum in Geln- hausen statt. Aus raumordnerischer Sicht ist diese Konstellation in den Punkten Effizienz und Reaktionsschnelligkeit nicht optimal. Auch die Koordination der verschiedenen Werks- feuerwehren und der Freiwilligen Feuerwehr bei Großbränden in Hanau ist in diese Weise nicht optimal geregelt.

Diese nicht vollständige Auswahl an Themenfelder zeigt deutlich, dass zwischen dem Main- Kinzig-Kreis und der Stadt Hanau Unterschiede in Handlungsbedarfen und den notwendigen Lösungen liegen. Dabei gilt es selbstverständlich, auch die Möglichkeiten von Kooperationen auszuloten. Jedoch sind in den Themenfelder Aspekte vorhanden, die durch Kooperationen oder Interessenausgleich nicht zu bewältigen sind. Beispielsweise ist nicht davon auszuge- hen, dass die Langzeitarbeitslosigkeit durch fehlende Qualifikation, in der Stadt Hanau auf- grund einer Profilierungskampagne des Main-Kinzig-Kreises abgebaut wird. Auch wird der Leerstand von Wohnraum im ländlichen Raum nicht durch eine gedrosselte Bautätigkeit in Hanau sinken.

Um Interessen in bestimmen Themenfeldern auszugleichen, können Kooperationen von Landkreis und kreisfreier Stadt zielführender sein. Dies ergibt sich daraus, dass durch die Trennung der Verwaltungen eine Fokussierung auf die eigenen und unterschiedlichen Her- ausforderungen Vorrang haben muss. Die Kooperation ist dabei stärker in einen Abstim- mungsprozess zwischen gleichen Institutionen zu sehen.“ (S. 80 ff.)

Chancen einer Auskreisung der Stadt Hanau für Kooperationen „Die aktuellen Strukturen im Main-Kinzig-Kreis zeigen, dass bisher ebenfalls keine formali- sierte Kooperation zwischen unterschiedlichen Interessen von Hanau und dem Rest oder zwischen verschiedenen Kommunen insgesamt stattgefunden hat. Das Thema Abzug der US-Streitkräfte, Konversionsflächen und grundsätzliche Gewerbeflächenentwicklung wäre für eine formalisierte Arbeitsgruppe auf Kreiseben prädestiniert gewesen. (…)

Zudem zeigt die deutlich prosperierende Entwicklung der Stadt Hanau im Vergleich zu Teilen des restlichen Landkreises, dass eine divergierende Entwicklung, verbunden mit der Aneig- nung von Versorgungsfunktionen durch die Stadt, nicht durch die Einbindung in den Kreis abgefedert werden konnte. Dies lässt sich dadurch erklären, dass viele Zentralisierungspro- zesse außerhalb der Steuerung von Kommunen liegen. Die Ansiedlung von Unternehmen, der Zuzug von Bevölkerung und Arbeitsplätzen oder die Abwanderung von Einzelhändlern kann nur in geringem Maße durch kommunale Maßnahmen erreicht oder verhindert werden.

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Vielmehr gilt es eine gezielte Profilierung voranzutreiben, um durch die Verbesserung von Standortfaktoren die Attraktivität zu erhöhen.

Die Auskreisung der Stadt Hanau würde notwendig machen, dass gewisse Handlungsfelder stärker als bisher in formellen Kooperationen bearbeitet werden müssen und ein Interessen- ausgleich stattfinden kann. Da erst durch die Auskreisung zwei starke Partner auf Augenhö- he ihre unterschiedlichen Interessen formulieren und aushandeln müssten. Des Weiteren werden dadurch aber auch Handlungsfelder getrennt, bei denen durch die Fokussierung auf die spezifischen Herausforderungen von Stadt und Kreis ein Interessenausgleich nicht mehr nötig ist.

Als Beispiel kann hier das Thema Wohnraumversorgung dienen. Wie bereits erläutert ist die Interessenlage hierbei teilweise sehr unterschiedlich. Während die Stadt Hanau durch Neu- bau die hohe Nachfrage an Wohnraum bedienen kann, kann sich der Kreis den Themen Leerstand im ländlichen Raum und Entwicklung der Attraktivität der Mittelzentren als Woh- nort annehmen. Die Stadt Hanau muss sich als hochverdichtete Großstadt auf den Ge- schosswohnungsbau für ein urbanes Bevölkerungsmilieu konzentrieren. Der Main-Kinzig- Kreis wird den Abbau des Leerstands im ländlichen Raum durch Förderprogramme unter- stützen müssen. Die Entwicklung des Wohnraums in den Mittelzentren kann stärker der po- tentiellen Zielgruppe angepasst werden, wie z.B. die Ausweisung von Einfamilienhaus- standorten, aber auch der Geschosswohnungsbau in den Innenstädten der Mittelzentren.

Eine solch differenzierte Problembearbeitung benötigt eine Verwaltung, die sich auf die ge- stellten Anforderungen spezialisiert und fokussiert. Die Überlagerung verschiedener Lösun- gen für unterschiedliche raumstrukturelle Themen kostet im kommunalen Handeln Ressour- cen, die einer effizienten Bearbeitung im Wege stehen.

Dies zeigt sich auch an den bereits bestehenden Förderprogrammen im Main-Kinzig-Kreis. Während sich die politischen Förderprogramme des Kreises vorrangig an den strukturellen Bedürfnissen des ländlichen Raums orientieren und sich durch das Förderprogramm LR und die Förderung touristischer Infrastruktur & Kinzigtal vielmehr darin engagiert, vor- handene Grundstrukturen und die Grundversorgung im ländlichen Raum zu stärken und auszubauen, muss die Stadt Hanau den strukturellen Anforderungen und Herausforderun- gen des Raums einer Städtegesellschaft entgegenkommen.

Daher ist das kommunalpolitische Interesse Hanaus an den Anforderungen des Demogra- phischen Wandels, der Digitalisierung, der Gesundheit im Stadtleben, der Aus- und Weiter- bildung, der Globalisierung/Urbanisierung, der Individualisierung, dem Klimawandel und der sozial- und strukturellen Ungleichheit als Kernthemen orientiert, um als Stadt anschlussfähig und attraktiv für die Bevölkerung und Zuwanderung zu bleiben. Die politischen Interessen zwischen dem ländlichen- und städtischen Raum müssen deshalb ebenso allgemein- strukturell, wie auch insbesondere in Bezug auf Hanau und den Main-Kinzig Kreis und ihrer jeweiligen Bedarfssituation und dem Handlungsinteresse unterschieden werden. Als größte Stadt und Oberzentrum des Main-Kinzig Kreises unterscheiden sich die politi- schen Interessen Hanaus zugleich auch von denjenigen der ländlichen Gemeinden des Main-Kinzig Kreises. Gerade durch die gesellschaftsstrukturelle und räumliche Verschieden- heit zwischen dem städtischen-und ländlichen Raum sieht sich die Stadt Hanau mit unter- schiedlichen Aufgaben konfrontiert als bspw. der östliche Teil des Main-Kinzig Kreises. Dadurch bedingt sich ebenso auch eine unterschiedliche Bedarfssituation und somit auch ein unterschiedliches kommunalpolitisches Interesse, welches sich in den genannten Förderpro- gramm des Main-Kinzig Kreises finden lässt.

Die angestrebte Kreisfreiheit Hanaus fügt sich in die neuen raumordnerischen Pläne des Landes ein. Gewissermaßen nimmt sie diese sogar ,vorweg‘. Die Argumentation der vorlie- genden Studie „Raum im Wandel“ wird somit durch den Bericht der Expertenkommission der hessischen Landesregierung unterstützt. Dabei macht es eine globalisierte Gesellschaft je- 41 doch auch notwendig, dass sich trotz verschiedener Interessen und Bedarfssituationen diese Globalisierungsthemen überregional auswirken und sich Schnittpunkte herausstellen, sodass sich auf einer interregionalen Ebene produktive und konstruktive Synergien und Kooperatio- nen ergeben müssen. So siedeln sich die Interessen der Stadt Hanaus und des Main-Kinzig Kreises auf interregionaler Ebene zwar auch nebeneinander an, jedoch müssen sie sich zwangsläufig in der praktischen Ausgestaltung voneinander unterscheiden, um den struktu- rell verschiedenen Bedarfsanforderungen und Herausforderungen einer zukunftsfähige Land- oder Stadtgesellschaft gerecht zu werden.“ (S. 83 ff.) 7. Handlungsempfehlung „Nach Einschätzungen dieser Studie ist die daraus abzuleitende Handlungsempfehlung für die Zukunft Hanaus und des Main-Kinzig-Kreises, eine Auskreisung der Stadt Hanau.

Bei Abwägung zwischen den Potentialen und Herausforderungen einer solchen raumord- nerischen Entscheidung überwiegen die Potentiale und Chancen für den Kreis und die Stadt. Selbstverständlich ist zu beachten, dass diese Studie aus einer raumordnerischen Perspek- tive ihre Empfehlung ausspricht. Aspekte wie die organisatorische Umsetzung, die veränder- ten finanziellen Rahmenbedingen, die kommunal und volkswirtschaftlichen Auswirkungen werden an anderer Stelle untersucht und nach ihrem Einfluss bewertet. Der langfristige Ein- fluss einer ,prozessorientierten‘ Raumordnung und den damit verbunden Veränderungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sollten jedoch keineswegs als marginal eingeschätzt werden.

Die Stadt Hanau ist seit 2005 nicht mehr Kreissitz des Landkreises. Somit ist eine vollständi- ge Verlagerung der Kreisverwaltung nicht notwendig. Zudem bietet der Status Hanaus als Sonderstatusstadt den Vorteil, dass bereits einige Funktionen einer kreisfreien Stadt in Ha- nau angesiedelt sind. Aus diesem Grund kann die Auskreisung der Stadt als verwaltungs- technisch weniger aufwendig eingeschätzt werden.

Vorreiter einer modernen Raumordnung Wie aus den bisherigen Ausführungen deutlich wird, ist der Status Quo der Raumordnung in Deutschland durch die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ der Bundesregierung und in Hessen durch die Expertenkommission „Zentrale Orte und Raumstruktur“ bereits Teil der politischen Debatte. Die Vorschläge dieser Initiativen zeigen sehr deutlich, dass gewisse raumordnerische Strukturen für das Ziel der Schaffung von gleichwertigen Lebensverhält- nissen nicht oder nur noch in Teilen geeignet sind. Auch der gesellschaftliche Diskurs greift, stärker unbewusst, genau diese Themen auf. Die Diskussionen zum Thema Wohnraum in Städten und auf dem Land, die abnehmende Versorgungsleistung im ländlichen Raum und fortschreitenden Zentralisierung von Funktionen sind nicht auf eine wissenschaftliche Ausei- nandersetzung beschränkt. Sie diktieren in Teilen Entscheidungen wie z.B. Wohnort- oder Berufswechsel und somit konkrete Lebensentwürfe. Somit kann der Einfluss von raumordne- rischen Strukturen und deren Einfluss auf die Entwicklung von Regionen, Städten und Quar- tieren nicht wichtig genug gesehen werden.

Den sich stetig verändernden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingen kann nur dann Rechnung getragen werden, wenn der Status Quo nicht als gesetzt und unverän- derbar angesehen wird. Die aktuell diskutierten Megatrends wie z.B. Digitalisierung, Zentrali- sierung, der Kampf gegen den Klimawandel und die sich verändernden Mobilität wird Raum- strukturen in einem Maße auf die Probe stellen, das neue Lösungen, neue Kooperationen, neue Verwaltungseinheiten, neues Handeln und eine neue Raumordnung unvermeidbar werden.

Aus diesem Grund sieht diese Studie die Handlungsempfehlung die Stadt Hanau in die Kreisfreiheit zu entlassen nicht ausschließlich als notwendigen Schritt für Hanau, sondern vielmehr als gebotenen Schritt für den Main-Kinzig-Kreis. Die Chance, durch diesen Schritt

42 eine zentrale Rolle in der Ausweitung des Ballungsraums Frankfurt/Rhein-Main zu spielen, aktiv die Weiterentwicklung der Mittelzentren wie z.B. Gelnhausen, Schlüchtern oder Bad Orb zu betreiben und gegen den Funktionsverlust im ländlichen Raum zu kämpfen, kann durch die Auskreisung gelingen.

Die politische Diskussion um den Bericht der Expertenkommission „Zentrale Orte und Raumstruktur“ zeigt exemplarisch, dass sich die Aufmerksamkeit verstärkt auf Regionen um die großen Metropolregionen in Deutschland richten wird, da hier die Potentiale für zukünfti- ge Entwicklung der Metropolen liegen. Der Main-Kinzig-Kreis kann mit der Auskreisung der Stadt Hanau Vorreiter einer neuen Raumordnung werden.“(S. 86) 8. Eine neue Vision für den Raum 8.1 Chance für Mittelzentren „Die raumordnerische Bedeutung der Mittelzentren im Main-Kinzig-Kreis kann nicht wichtig genug eingeschätzt werden. Städte wie Gelnhausen, Schlüchtern, Bad Orb oder Wächters- bach müssen in immer stärkeren Maße Versorgungsfunktionen für ihren Einzugsbereich zur Verfügung stellen. Die Herausforderungen des ländlichen Raums im Kreis können nur durch starke Mittelzentren bewältigt werden. Der Funktionsverlust in ländlichen Gebieten ist Reali- tät und muss kompensiert werden.

Die Auskreisung der Stadt Hanau ermöglicht den Mittelzentren einen sehr viel größeren Handlungsspielraum, um sich selbst und den ländlichen Raum zu stärken. Der Aneignung zentralörtlicher Funktionen in die Oberzentren des Ballungsraum Rhein-Mains wie Frankfurt am Main, oder Hanau entgegenzuwirken, kann nur gelingen, wenn man sich auf das eigene Profil und die eigene Herausforderungen konzentriert.

Die Stadt Hanau als Oberzentrum als Teil des Main-Kinzig-Kreises zu belassen, würde diese Chance verspielen. Die dort zu bearbeitenden Großstadtthemen sind ein Hindernis in der Entwicklung eines Landkreises mit vielen gleichwertigen Mittelzentren und einem umgeben- den ländlichen Raum. Vielmehr sollten die Mittelzentren in Kooperation eine Entwicklungs- achse für die Metropolregion Frankfurt am Main in Richtung Fulda bilden und sich gleichzei- tig dem Regionalverband FrankfurtRheinMain anschließen.

Mit diesem Schritt werden die Mittelzentren und damit der gesamte Main-Kinzig-Kreis in sei- ner Funktion und seinem Potential gestärkt. Mit der Verkehrsanbindung durch die A66 und die ICE-Trasse besitzen die Mittelzentren bereits jetzt einen strukturräumlichen Vorteil. Mit einer eigenständigen Profilierung wird dieser Vorteil zu einer Chance, wieder Versorgungs- funktionen aus den Oberzentren zurückzugewinnen.“ (S. 88 f.) 8.2 Hanau als Großstadt im Rhein-Main-Gebiet „Die Stadt Hanau hat sich in den letzten Jahren zu einer Großstadt mit wichtiger Funktion im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main entwickelt. (…)

Mit dieser Entwicklung zeigen sich aber auch neue Herausforderungen. Das Thema Wohn- raumversorgung und steigende Mieten und geringe Leerstände im gewerblichen Immobilien- sektor sind dabei nur ein Aspekt. Hanau ist durch sein infrastrukturelles und kulturelles An- gebot ein gefragter Entlastungsraum für die Stadt Frankfurt am Main geworden. Gleichzeitig führt diese Entwicklung dazu, dass Hanau immer stärker Funktionen aus den Mittelzentren des Main-Kinzig-Kreis anziehen wird.

Dieser aktuellen und zu erwartenden weiteren Entwicklung müssen raumordnerischen Maß- nahmen folgen. Ohne Veränderungen des Status Quo wird sich die Stadt Hanau weiterhin auf Kosten der Mittelzentren im Main-Kinzig-Kreis zentralörtliche Funktionen aneignen, um den Entlastungsströmen aus dem Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main gerecht zu werden.

43

Als Großstadt im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main wird Hanau in immer stärkeren Maße mit Herausforderungen konfrontiert, die nur mit Maßnahmen und Strategien von eigenstän- digen Kommunen bewältigt werden können. Die Kreisfreiheit würde der Stadt Hanau diesen notwendigen Handlungsspielraum ermöglichen. Sie könnte eine gezielte Entwicklung als Großstadt und Oberzentrum steuern und das eigene Profil stärken, unabhängig von der wei- teren Entwicklung des Main-Kinzig-Kreis. Nur so kann sie in der interkommunalen Zusam- menarbeit der Kommunen im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main einen substantiellen Bei- trag leisten.

Die zu beobachteten Zentralisierungstendenzen gebieten es, dass neben der Stadt Frankfurt am Main weitere Oberzentren wie z.B. Offenbach am Main oder Hanau zentralörtliche Funk- tionen für die Metropolregion übernehmen. Das Thema der Flächenknappheit und bevorste- hender Nutzungskonflikte kann nur im Verbund gelöst werden. Dafür benötigt der Ballungs- raum Frankfurt/Rhein-Main eine handlungsfähige und kreisfreie Stadt Hanau.“ (S. 90 f.) 8.3 Zentrale Vision „Durch die Auskreisung Hanaus werden die Mittelzentren und der ländliche Raum im Main- Kinzig-Kreis gestärkt. Ohne die Notwendigkeit in der gemeinsamen Entwicklung Kompromis- se eingehen zu müssen oder Themen aufgrund von unterschiedlichen Interessen erst gar nicht zu behandeln, bietet die Auskreisung die Möglichkeit, zwei starke Partner in der Region hervorzubringen. Die Konzentration auf das eigene, dann homogenere Profil und die damit verbundenen Profilierungsmöglichkeiten wird proaktiv weiteren Funktionsverlusten der Mit- telzentren und des ländlichen Raums entgegenwirken. Damit kann den spürbaren Zentrali- sierungstendenzen entgegengewirkt werden. Zudem bietet die Etablierung von zwei starken Partnern in der Region das Potential für zahlreiche Kooperationsmöglichkeiten, bei denen auf Augenhöhe und ohne gegenseitige Abhängigkeiten zusammengearbeitet werden kann und muss.“ (S. 90)

Chancen und Risiken einer mögli- chen Auskreisung der Stadt Hanau – Eine Bewertung aus Sicht des Main-Kinzig-Kreises Herausgeber: Prognos AG, Berlin, November 2019

Die Powerpoint-Präsentation, mit der dieses Gutachten der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, ist unter folgendem Link abrufbar: https://www.mkk.de/media/resources/pdf/mkk_de_1/kreisverwaltung_1/dezernenten_1/PK_Auskreisung-Praesentation.pdf

Teil 1: Zusammenfassung aus IHK-Sicht Argumente Quelle Die jüngsten Auskreisungsversuche in Reutlingen und Neu-Ulm sind ge- S. VII scheitert, weil nicht gezeigt werden konnte, dass sie insgesamt dem Ge- meinwohl nutzen. Die Aufgabenerfüllung in den betrachteten Aufgaben und Ämtern des S. VII MKK wird durch eine Auskreisung erschwert und verteuert, weil - die Aufgaben neu strukturiert werden müssen, 44

- der Wechsel von Fachpersonal nach Hanau Fachkräftemangel erzeugt, - Synergieeffekte nicht genutzt werden können - Stellenüberhänge drohen - weil die Kosten pro Fall steigen - weil außerdem für die Neueinrichtung Kosten entstehen Beim Sozialamt überwiegen nach einer Auskreisung die Chancen für den S. VII MKK – für Hanau dementsprechend die Risiken. Kurzfristig wird sich die Bürgerorientierung/Servicequalität durch die Stel- S. VII lenüberhänge erhöhen. Bei der Abfall- und Deponievorsorge ist aufgrund der langen Laufzeit S. VIII („Ewigkeitskosten“) z. Zt. keine monetäre Bewertung möglich. Denkbar wäre eine Art gemeinsame Trägerschaft. Die Auswirkungen auf Kassenkredite können aktuell noch nicht einge- S. 36 schätzt werden. Die Auswirkungen auf den Kommunalen Finanzausgleich (KFA) können S. 38 aktuell noch nicht eingeschätzt werden. Mit dem Wechsel von Beamten vom Arbeitgeber MKK zum Arbeitgeber S. 41 HU führt zu einer einmaligen Ausgleichszahlung des MKK an HU und darüber hinaus zu dauerhaften Belastungen der Liquidität des MKK. Wegen der „Ewigkeitskosten“ bei der Abfallentsorgung und Nachsorge S. 47 von Deponien sind die Gesamtkosten kaum zu prognostizieren. Sinnvol- ler dürfte es stattdessen sein, eine gemeinsame Trägerschaft, z. B. durch einen Zweckverband, einzurichten. Durch die geplante Zusammenarbeit der Stadt Hanau mit der Bunde- S. 50 - sagentur für Arbeit statt wie bisher mit dem Kommunalen Center für Ar- 51 beit ist der Fortbestand der AQA bedroht, mindestens aber wird diese durch den Wegfall von Kunden ihr Angebot für alle verbleibenden Kun- den einschränken müssen.

Teil 2: gestraffte Volltextversion der Quelle Zusammenfassung „Ziel des Gutachtens ist die Analyse und Herausarbeitung der wesentlichen Chancen und Risiken der anvisierten Auskreisung der Stadt Hanau aus dem Main-Kinzig-Kreis. Das Gut- achten formuliert keine abschließende Aussage bzw. Empfehlung für oder gegen eine Aus- kreisung, sondern stellt die wesentlichen Chancen und Risiken aus Sicht des Main-Kinzig- Kreises und die Auswirkungen auf alle 28 Gemeinden gegenüber. Ziel ist es, eine Entschei- dungsfindung des Kreistages des Main-Kinzig-Kreises sowie weitergehende und vertiefende Gespräche mit der Stadt Hanau, der Landesregierung sowie weiteren Partnern vorzuberei- ten.

In der Gesamtbewertung der Gutachter überwiegen im Falle einer Auskreisung die Risiken, auch wenn der Main-Kinzig-Kreis unter der Option der Auskreisung der Stadt Hanau weiter- hin leistungsfähig und zukunftsfähig bliebe. Der Main-Kinzig-Kreis hat in den letzten Jahren eine dynamische wirtschaftliche Entwicklung verzeichnet. Im Prognos Zukunftsatlas 2019 erreicht der Main-Kinzig-Kreis unter 401 Kreisen und kreisfreien Städte in Deutschland Rang 102 und hat sich gegenüber 2016 um 16 Plätze verbessert.

Aus dem Abgleich mit anderen Auskreisungsversuchen (Stadt Reutlingen, Stadt Neu-Ulm) sowie den umgesetzten Kreisfusionen lasst sich ableiten, dass Auskreisungen hinsichtlich 45 ihrer wirtschaftlichen und politischen Wirkung von Befürwortern tendenziell überschätzt wer- den, erhebliche Spannungen und Verstimmungen in der Kommunal- sowie teilweise Lan- despolitik auslösen und den übergreifenden Trends in der Verwaltungspraxis (u. a. Bünde- lungen, Zusammenlegung, Professionalisierung und Verbesserung von Ablaufprozessen, Kosteneffizienz sowie Digitalisierung und Bürgerservice) eindeutig entgegenlaufen. Diese Punkte stellen den strategischen Mehrwert einer Auskreisung der Stadt Hanau infrage. Aller- dings muss in diesem Zusammenhang auch betont werden, dass die Auskreisungsversuche der Städte Reutlingen und Neu-Ulm nicht unbedingt mit der Situation im Main-Kinzig-Kreis sowie der Stadt Hanau vergleichbar sind.

Im Rahmen einer vertieften Analyse der personellen und organisatorischen Effekte, ausge- hend vom Main-Kinzig-Kreis im Status quo, wurden die Bereiche Jobcenter und Sozialamt, das Amt für Veterinärwesen und Verbraucherschutz, das Gesundheitsamt und die Führer- scheinstelle untersucht. Im Ergebnis der Untersuchung kommt es mehrheitlich zu negativen Auswirkungen auf die Aufgabenerfüllung sowie zu deutlich negativen finanziellen Auswirkun- gen für den Main-Kinzig-Kreis durch eine Auskreisung. Lediglich in einem der fünf Vertie- fungsfelder (Sozialamt) überwiegen nach einer Auskreisung Hanaus die Chancen. Die Kos- ten- und Einnahmeeffekte sind jedoch über alle Aufgabenbereiche hinweg negativ zu bewer- ten. In allen Bereichen ergeben sich zusätzliche Kosten aufgrund von Doppelstrukturen und Stellenüberhängen, die durch die Auskreisung bedingt wären. Darüber hinaus würden dem Main-Kinzig-Kreis einmalige Sachkosten und Restrukturierungsaufwendungen entstehen, die zum heutigen Zeitpunkt noch nicht abschließend beurteilt werden können.

Nach der Auskreisung besteht zumindest kurzfristig die Chance, dass sich durch Stellen- überhänge beim Personal die Bürgerorientierung (Servicequalität) im Main-Kinzig-Kreis (oh- ne Hanau) positiv entwickeln konnte. Mittel- bis langfristig ist durch Personalabgänge jedoch mit ausgeglichenen Chancen und Risiken bei der Bürgerorientierung zu rechnen.

Bei dem Sonderthema Abfall und Deponienachsorge lassen sich aufgrund hoher Unsicher- heiten relevanter Einflussfaktoren (insb. steigende Baupreise, Veränderung des Zinsniveaus und Lohnsteigerungen) und langen Fristen der Nachsorgepflicht (mehr als 30 Jahre) keine abschließende einmalige monetäre Ermittlung von Nachsorgekosten bewerten. Die hohe Wahrscheinlichkeit einer Nicht-Entlassung aus der Nachsorgepflicht führt in der Folge zu Ewigkeitskosten, welche die Berechnung und Festlegung einer Einmalzahlung unmöglich und gleichzeitig die Zusammenarbeit des Main-Kinzig-Kreises und der Stadt Hanau in die- sem Infrastrukturbereich dauerhaft erforderlich machen. Für diesen Fall wäre über eine ge- meinsame Verfahrensweise sowie die Gründung eines Zweckverbands nachzudenken, wo- nach die für die Nachsorge der Deponien anfallenden Kosten in regelmäßigen Abständen anhand der aktuellen Rahmenbedingungen zu prüfen, bewerten und aufzuteilen sind.

Zusammenfassend kann zu den liquiditätsseitigen und finanziellen Risiken, die sich durch die Sondereffekte ergeben, zum jetzigen Zeitpunkt noch keine abschließende quantitative Bewertung erfolgen. Eindeutig ist, dass diese finanziellen Belastungen im Zuge der Auskrei- sung durch gemeinsame Verhandlungen und Einigungen zwischen den Parteien adressiert und geprüft werden müssen. Erst danach kann abschließend eine Trendberechnung des kommunalen Finanzausgleichs durch das Land Hessen erfolgen. Insgesamt sollte im Falle einer Auskreisung darauf geachtet werden, dass bei den aufgezeigten kritischen Punkten (Hessenkasse, Pensionsverpflichtungen, Deponienachsorge, AQA) einvernehmliche Lösun- gen gefunden werden, die zum Wohl der Gebietskörperschaften sowie der Versorgung der Bürger führen und die verbleibenden 28 Kommunen nicht belasten.

Im Fall der Neuregelung des kommunalen Finanzausgleichs in Hessen durch eine mögliche neue kreisfreie Stadt Hanau sind nicht nur Auswirkungen auf die Stadt Hanau und die 28 Gemeinden des Main-Kinzig-Kreises, sondern auch Auswirkungen auf alle übrigen Landkrei- se, Städte und Gemeinden in Hessen zu befürchten. Diese Auswirkungen sollten nicht zu-

46 letzt auch aus der Perspektive einer Gemeinwohlorientierung noch einmal genauer betrach- tet werden.

Zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung liegen jedoch noch nicht alle denkbaren und ge- wünschten Ergebnisse und Informationen vor. Zu einigen Themen laufen noch vertiefende Gespräche und Verhandlungen zwischen den Parteien, insbesondere im Vorfeld der noch ausstehenden wichtigen Modellrechnung des Landes zum kommunalen Finanzausgleich. Insgesamt bleibt es daher eine Entscheidung mit Unsicherheiten. Darüber hinaus liegt die finale Entscheidung nicht beim Main-Kinzig-Kreis und der Stadt Hanau, sondern beim Hessi- schen Landtag (durch Verabschiedung eines Gesetzes). Die Auskreisung der Stadt Hanau ist vor diesem Hintergrund vor allem eine politische Entscheidung mit weitreichenden und langfristigen Konsequenzen für den Main-Kinzig-Kreis sowie für die übrigen 28 Kommunen des Landkreises.“ S. VII f. Einleitung Ausgangspunkt „…In § 14 Abs. 1 und 2 Hessische Landkreisordnung (HKO) ist geregelt, dass die Grenzen der Landkreise aus Gründen des öffentlichen Wohls verändert werden können.“

„Gründe des ‚öffentlichen Wohls‘ bzw. ‚Gemeinwohls‘ sind unbestimmte Rechtsbegriffe, die in ihrem jeweiligen Kontext zu betrachten und durch eine Güterabwägung zu konkretisieren sind. Im Falle der anvisierten Auskreisung der Stadt Hanau kann im Hinblick auf die Ge- meinwohl-Definition auf einen ähnlich gelagerten Fall in Baden-Württemberg zurückgegriffen werden. Dort beabsichtigte die Stadt Reutlingen im Jahr 2015 sich aus dem Landkreis Reut- lingen auszukreisen und zu einem Stadtkreis zu erklären. Auch wenn die Fallkonstellation aufgrund landesrechtlicher Besonderheiten (z. B. ist Reutlingen keine Stadt mit Sondersta- tus4) nicht eins zu eins auf die Situation des Main-Kinzig-Kreises übertragbar ist, lassen sich doch wesentliche Parallelen ableiten.

In einer Antwort der baden-württembergischen Landesregierung auf eine Große Anfrage zu den möglichen Konsequenzen der Gründung eines Stadtkreises Reutlingen für die Stadt und den Landkreis heißt es: „In der Rechtsprechung sind als beachtliche Gemeinwohlbelange unter anderem anerkannt: die Steigerung der Leistungsfähigkeit von Kommunen, die Effizienz der kommunalen Aufga- benwahrnehmung, die Sicherung der Solidität kommunaler Haushalte, raumordnerische As- pekte oder die Sicherung einer umfassenden Daseinsvorsorge. Der Staatsgerichtshof Ba- den-Württemberg (heute Verfassungsgerichtshof) hat sich im Rahmen der Gebietsreform Anfang der 1970er-Jahre in Urteilen hierzu geäußert und gewisse Leitlinien aufgestellt. Da- nach sind ‚Gründe des öffentlichen Wohls‘ und das ‚Gemeinwohl‘ wertbezogene abstrakte Rechtsbegriffe, die eine Vielzahl von Zwecken und Sachverhalten abdecken und, je nach Sachzusammenhang, sehr verschiedene Bedeutungen haben können. Der Kreis der hierbei heranzuziehenden Belange reicht von den Gesichtspunkten der Verwaltungsorganisation über die Interessen der umliegenden Gemeinden bis zu Infrastruktur- und Raumordnungs- maßnahmen unter mannigfachen wirtschafts-, finanz- und sozialpolitischen Gesichtspunkten auf Kreis-, Regional-, Landes- oder Bundesebene.“

Demnach bestimmt der Landtag als zuständiges Entscheidungsgremium im Zuge einer Ab- wägungsentscheidung über den Begriff des ‚öffentlichen Wohls‘, indem die Gründe, die für eine Auskreisung sprechen, gegenüber denen abgewogen werden, die dagegensprechen. Im Falle der anvisierten Auskreisung der Stadt Hanau sind daher neben den Interessen der

4 Reutlingen hat mit ca. 116.000 Einwohnern etwa 17.000 Einwohner mehr als Hanau und ist, anders als dieses, Kreisstadt, also Sitz der Kreisverwaltung. Anm. Q 47

Stadt Hanau, des Main-Kinzig-Kreises sowie der anderen kreisangehörigen Gemeinden auch landesbezogen die Interessen aller Städte, Landkreise und Gemeinden in Hessen zu berücksichtigen. Dies betrifft insbesondere die Auswirkungen der Finanzbeziehungen zwi- schen dem Land Hessen und den Kommunen (kommunaler Finanzausgleich). Durch die Umlagefinanzierung des Main-Kinzig-Kreises wirkt sich jede Änderung im kommunalen Fi- nanzausgleich unmittelbar über die Kreisumlage auch auf die verbleibenden 28 Städte und Gemeinden aus. Aus den einschlägigen gesetzlichen Regelungen ergeben sich jedoch keine konkreten Vorgaben für das durchzuführende Verfahren. Auch gibt es für Hessen seit der erfolgten Gebietsreform im Jahr 1974 keine Präzedenz.

Auf die Anfragen der Stadt Hanau und des Main-Kinzig-Kreises zur Frage der Kreisfreiheit der Stadt Hanau führt die Hessische Staatskanzlei in einem Schreiben vom 08.10.2018 aus: „Als Grundlage für eine Abwägungsentscheidung des Hessischen Landtags und für eine Entscheidung der Hessischen Landesregierung zur Einbringung eines Gesetzentwurfes be- darf es daher einer umfassenden Kenntnis aller erheblichen Umstände, insbesondere der Interessen der betroffenen Gebietskörperschaft.“ (…) „Von besonderem Interesse für eine Entscheidung des Landes sind die finanziellen Folgen einer Auskreisung, mögliche fiskali- sche Gewinne, Vor- und Nachteile für die Stadt und den Kreis (Lebensfähigkeit, sozioöko- nomische Veränderungen, Auswirkungen auf angrenzende Gemeinden, die Neuaufteilung bestimmter Aufgabenbereiche, z. B. Abfallwirtschaft, Rettungswesen, SGB-Bereich, Ge- sundheits- und Veterinärwesen) sowie der angestrebte Nutzen für das Gemeinwohl. Dazu sollte von Ihnen ein Konzept vorgelegt werden.““ (S. 1 f.) Ziele, Methodik und Aufbau des Gutachtens „Mit dem Gutachten folgt der Main-Kinzig-Kreis der Aufforderung der Hessischen Staats- kanzlei und legt ein umfassendes Konzept vor, in dem die Folgen einer möglichen Auskrei- sung der Stadt Hanau umfassend betrachtet werden. (…)“ In einer ergänzenden Fußnote des Gutachters heißt es: „Im Vorfeld hatte auch die IHK Hanau-Gelnhausen-Schlüchtern auf die Abwägung der jeweiligen Chancen und Risiken für die Stadt Hanau und den Main-Kinzig-Kreis hingewiesen und die Anre- gung der Ausarbeitung einer Kosten-Nutzen-Bewertung formuliert.“

Dazu werden relevante Effekte einer möglichen Auskreisung der Stadt Hanau - insbesonde- re auf den Main-Kinzig-Kreis und die 28 im Kreis verbleibenden Gemeinden, aber auch auf die Stadt Hanau sowie das Gesamtgefüge aller hessischen Kommunen und Landkreise - identifiziert. Angesichts der Komplexität und der Vielfalt möglicher Effekte einer Auskreisung erfolgt eine Schwerpunktsetzung und gezielte Fokussierung auf spezifische Aufgaben- und Zuständigkeitsbereiche.

Die oberste Prämisse der Abwägung stellt dabei die Gemeinwohlorientierung dar. Aus der allgemeinen Rechtsprechung sowie den Vorgaben der Hessischen Staatskanzlei lassen sich sechs Dimensionen der Gemeinwohlorientierung  (raumordnerische Aspekte,  steigende kommunale Leistungsfähigkeit,  Effizienz kommunaler Aufgabenwahrnehmung,  Solidität kommunaler Haushalte,  umfassende Daseinsvorsorge sowie  die Lebensfähigkeit getrennter Gebietskörperschaften) ableiten, an denen sich die Abwägung und Bestimmung der Chancen und Risiken im Falle einer Auskreisung der Stadt Hanau orientiert. (…)

Gleichzeitig ist eine vollständige Betrachtung aller Bereiche, die durch eine mögliche Aus- kreisung Hanaus direkt oder indirekt betroffen waren, nicht darstellbar. Im Rahmen der Ana- lyse werden daher die Bereiche betrachtet, die von einer Auskreisung besonders stark be- troffen wären.“ (S. 3 f.) 48

Aufbau des Gutachtens „Das Gutachten gliedert sich in eine Kontextanalyse, die Untersuchung von möglichen Effek- ten der Auskreisung auf die Aufgabenerfüllung des Main-Kinzig-Kreises, eine Untersuchung relevanter Kosteneffekte für ausgewählte Sonderthemen der Verwaltung sowie eine ab- schließende Gesamtbewertung aller Aspekte.“ (….) (S. 4) Kontextanalyse „Das Kapitel der Kontextanalyse umfasst die raumordnerische Einordnung des Main-Kinzig- Kreises, den Vergleich der Entwicklung des Main-Kinzig-Kreises und der der Stadt Hanau anhand sozioökonomischer Indikatoren sowie den Vergleich mit anderen Städten und Land- kreisen in Deutschland mit laufenden Auskreisungsprozessen.

Der Main-Kinzig-Kreis hatte zum Stichtag 30.06.2019 (…) eine Einwohnerdichte von rd. 301 Einwohnern pro km² und liegt damit im Landesschnitt (298 EW/km²) und über dem Bundes- schnitt (232 EW/km²). Auf Gemeindeebene spannt sich die Bevölkerungsdichte von 44 EW/km² in Flörsbachtal bis hin zu 1.257 EW/km² in der Stadt Hanau auf. Gemäß dem Regionalplan 2010 Südhessen (…) gehört der westliche Teil des Kreises inklusive der Stadt Hanau zum Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main. Die Gemeinden mit zentraler Lage im Main- Kinzig-Kreis (Gründau, , Gelnhausen, , , Biebergemünd) werden im Regionalplan als Ordnungsraum (verdichteter Raum) aufgeführt. In den östlichen Gemeinden fällt die Bevölkerungsdichte zunehmend ab, diese sind (…) als ländlicher Raum ausgewiesen).

Die Stadt Hanau (96.158 EW Stichtag 30.06.2019) ist im Landesentwicklungsplan als Ober- zentrum ausgewiesen. Die zentralörtlichen Funktionen werden im Main-Kinzig-Kreis ergänzt durch die Mittelzentren Maintal, Bruchköbel, Gelnhausen, Bad Soden-Salmünster, Wäch- tersbach, Bad Orb und Schlüchtern. (…)

Der spezialisierte höhere Bedarf an Bildungseinrichtungen wird im Oberzentrum Hanau nur unzureichend erfüllt. Zwar ist die Stadt Hanau ein starker Schulstandort in der Region (35 % der Schüler im Main-Kinzig-Kreis besuchen eine Schule in Hanau), im Gegensatz zu den anderen zehn Oberzentren in Hessen jedoch weder Universitäts- noch Hochschulstandort. Mit der Steinbeis-Hochschule und Gebrüder-Grimm Berufsakademie sind zwar private Bil- dungsinstitutionen am Standort Hanau präsent, eine an das Abitur anschließende höhere staatliche bzw. kommunale Bildungseinrichtung ist in Hanau jedoch nicht vorhanden. Die Bevölkerungszahl der Stadt Hanau fällt zudem im Vergleich zu den vier weiteren Oberzen- tren in Südhessen (Frankfurt am Main mit 757.765 EW, Offenbach mit 129.372 EW, Wiesba- den mit 278.456 EW sowie Darmstadt mit 159.135 EW4) deutlich ab. Hanau gehört als kreis- angehörige Stadt mit mehr als 50.000 Einwohnern zwar zu den sieben Sonderstatusstädten in Hessen und ist die einwohnerstärkste Stadt des Main-Kinzig-Kreises, erreicht trotz Wachs- tum jedoch bislang nicht das Niveau einer Großstadt.“ (S. 5 f.) Einordnung des Main-Kinzig-Kreises im Prognos Zukunfts- atlas 2019 „Im Prognos Zukunftsatlas werden seit 2004 in einem dreijährlichen Turnus alle 401 Kreise und kreisfreien Städte Deutschlands auf Basis von 29 Indikatoren aus den Bereichen Demo- grafie, Arbeitsmarkt, Wettbewerb und Innovation sowie Wohlstand und soziale Lage analy- siert. Gemäß diesem bundesweiten Ranking liegt der Main-Kinzig-Kreis im Zukunftsatlas 2019 mit Rang 102 unter 401 Kreisen und kreisfreien Städten im vorderen Viertel und kann somit der Klasse der Regionen mit ‚leichten Chancen‘ zugeordnet werden. Im Vergleich zum Zukunftsatlas 2016 hat sich der Main-Kinzig-Kreis um 16 Ränge verbessert. Mit Frankfurt am Main auf Rang zehn, dem Main-Taunus-Kreis auf Rang elf sowie dem (Rang 14) und dem Landkreis Offenbach (Rang 37) sind einige der führenden deutschen

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Regionen aus den Klassen ‚beste bzw. sehr hohe Chancen‘ im direkten Umfeld des Main- Kinzig-Kreises. (…)

Die unmittelbare Nähe des Main-Kinzig-Kreises zum wirtschaftsstarken Ballungsraum Frank- furt ist ein entscheidender Einflussfaktor, der nicht unerheblich zur Stärke des Main-Kinzig- Kreises (…) beiträgt. Die engen Verflechtungen zwischen den Regionen lassen sich anhand der Pendlerbeziehungen nachvollziehen. [Von den im MKK wohnenden Beschäftigten] pen- delten 2018 knapp 32.800 Beschäftigte (…) nach Frankfurt. Das entspricht 21 % der Be- schäftigten des Main-Kinzig-Kreises, auf Ebene der Stadt Hanau sind es 11 % der Beschäf- tigten, die 2018 nach Frankfurt auspendelten.“

Auf Ebene der Indikatoren ist für die aktuelle Rangverbesserung des Main-Kinzig-Kreises insbesondere der Teilindikator Arbeitsmarkt ausschlaggebend, darunter vornehmlich der Indikator Beschäftigungsaufbau. (…) Auch die Teilbereiche Wettbewerb und Innovation des Prognos Zukunftsatlas 2019 (insbesondere die Indikatoren Patentintensität sowie FuE- Beschäftigtenanteil) haben zu einer Steigerung der Attraktivität des Main-Kinzig-Kreises bei- getragen. Ein leichter Rückgang der Schulabbrecherquote begünstigte zusätzlich die Zu- kunftsfähigkeit des Main-Kinzig-Kreises im bundesweiten Standortvergleich.“ (S. 7 f.) Einordnung Stadt Hanau im Main-Kinzig-Kreis anhand soziökonomischer Faktoren  In Hanau leben 23 % der Bevölkerung des MKK  In Hanau arbeiten 35% der Beschäftigten des MKK  In Hanau leben 35% der Schüler des MKK5  In Hanau leben 41% der Personen in Bedarfsgemeinschaften des MKK  In Hanau leben 40% der Arbeitslose des MKK  In Hanau entstehen 20% des Einkommensteueraufkommens des MKK  In Hanau entstehen 29% des Gewerbesteueraufkommens des MKK

„Das Bevölkerungswachstum der Stadt Hanau übersteigt deutlich die Dynamik des übrigen Main-Kinzig-Kreises. Im Zeitraum 2011 bis 2018 wuchs die Bevölkerung im Main-Kinzig- Kreis um 4,3 % bzw. 17.100 Personen (D: +3,4 %, HE: +4,5 %), während die Stadt Hanau ein überdurchschnittliches Plus von 9,7 % bzw. 8.500 Personen verzeichnete. Dieser Bevöl- kerungsgewinn wird neben Zuwanderung auch durch einen leichten Geburtenüberschuss verursacht, den Hanau in den letzten Jahren verzeichnete. Die übrigen Gemeinden des Main-Kinzig-Kreises weisen einen langanhaltenden Sterbeüberschuss auf, der Bevölke- rungszuwachs ist daher maßgeblich auf Zuwanderung zurückzuführen.

Im Gegensatz zur Bevölkerungsentwicklung ist das Beschäftigtenwachstum in der Stadt Ha- nau weniger dynamisch als in den Gemeinden des Main-Kinzig-Kreises. So verzeichnete der Main-Kinzig-Kreis von 2008 bis 2018 einen Beschäftigungsaufbau von 22 % (Zunahme um 24.400 Beschäftigte, davon 5.600 in der Stadt Hanau). Hanau selbst verzeichnete eine rela- tive Zunahme von rd. 13 % und liegt damit unter dem Landesschnitt Hessen (19 %) sowie unter dem Bundesschnitt (20 %). Die übrigen Gemeinden des Main-Kinzig-Kreises sind da- mit die wesentlichen Treiber des Beschäftigungswachstums in der Region. Insbesondere die Gemeinden entlang der Bundesautobahnen A45 und A66 zählen zu den Motoren der wirt- schaftlichen Entwicklung und verzeichneten einen hohen Beschäftigtenzuwachs.

(…) Pro Kopf gerechnet bleibt das Steueraufkommen in der Stadt Hanau gegenüber den Gemeinden des Main-Kinzig-Kreises deutlich zurück. In Letzteren liegt das durchschnittliche Pro-Kopf-Steueraufkommen der Jahre 2016/2017 rund 23 % über dem Bundesdurchschnitt und damit im Landesniveau Hessens. Die Stadt Hanau bleibt in der Steuerkraft, sowohl bei

5 Die Quelle (Abbildung 4) ist hier nicht ganz klar. Es könnte auch gemeint sein: Hanaus Schulen wer- den von 35% aller Schüler des MKK besucht. Anm. Q 50

Unternehmen als auch privaten Haushalten, hinter diesem Wert deutlich zurück. Während die Einkommenssteuereinnahmen der Stadt Hanau zwar den Bundes-, jedoch nicht den Landesschnitt erreichen, liegen die Gewerbesteuereinnahmen der Stadt Hanau rd. 10 % unter dem Bundesdurchschnitt.

(…) Im Main-Kinzig-Kreis zeigt sich ein sehr hohes und überdurchschnittliches Kaufkraftni- veau, insbesondere in den Kommunen der früheren Landkreise Hanau und Gelnhausen. Die Gemeinde Biebergemünd (131) erreicht innerhalb des Main-Kinzig-Kreises das höchste Kaufkraftniveau. Die Stadt Hanau liegt mit einem Indexwert von 96 rund 4 % unter dem Bun- desschnitt und damit in der Rangfolge der 29 Gemeinden des Main-Kinzig-Kreises auf dem 22. Platz.

Die enge Verflechtung der Stadt Hanau mit dem übrigen Main-Kinzig-Kreis zeigt sich deutlich anhand der Pendlerbeziehungen. Die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten am Arbeitsort Hanau betrug 2018 rd. 47.900. Davon wohnten rd. 13.500 (28 %) in Hanau. Alle übrigen Beschäftigten am Arbeitsort Hanau sind Einpendler aus den umliegenden Regi- onen. Mit 16.000 sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten (34 %) stammt die Mehrheit der Einpendler aus den übrigen Gemeinden des Main-Kinzig-Kreises. Ein ähnliches Muster ist auch in die entgegengesetzte Richtung erkennbar. So pendelten im Jahr 2018 von den 36.600 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit Wohnort Hanau rd. 4.700 in die übri- gen Gemeinden des Main-Kinzig-Kreises. Das Gesamtvolumen aller Beschäftigten, die zwi- schen Hanau und den übrigen Gemeinden pendeln, beträgt somit rd. 20.000. (…)“ Erfahrungen anderer Auskreisungsprozesse sowie Fusionen von Land- kreisen in Deutschland Für das aktuelle Bestreben einer Ausgliederung der Stadt Hanau aus dem Main-Kinzig-Kreis können Erfahrungswerte aus ähnlichen Prozessen (…) abgeleitet werden. Sowohl die Stadt Reutlingen als auch die Stadt Neu-Ulm6 bemühten sich jüngst um die Ausgliederung aus den jeweiligen Landkreisen bzw. die um die Gründung eines Stadtkreises. Zwar unterscheiden sich die genannten Auskreisungsbestrebungen aufgrund landesrechtlicher Besonderheiten in manchen Punkten von der Situation der Stadt Hanau (…). Aufgrund maßgeblicher Parallelen zu den Initiativen der Stadt Hanau werden die Argumentationslinien und die Ergebnisse der Prozesse in Reutlingen und Neu-Ulm im Rahmen eines kurzen Benchmarks bzw. Exkurses an dieser Stelle dennoch beispielhaft herangezogen. Als Gegenbeispiele zu den Auskrei- sungsbestrebungen können vier Zusammenschlüsse von Städten und Landkreisen (u. a. Region Hannover, Städteregion Aachen, Landkreis Göttingen) angeführt werden. Bei einem davon (Eisenach) handelt es sich um einen Sonderfall, da hier zuvor eine Ausgliederung der Stadt aus dem Landkreis stattgefunden hat und nun eine Wiedereinkreisung anvisiert ist. (…)

Die beiden Auskreisungsprozesse der Städte Reutlingen und Neu-Ulm scheiterten aufgrund der Ablehnung durch den Landtag von Baden-Württemberg im Fall Reutlingen bzw. durch das Bayerische Innenministerium im Fall Neu-Ulm. Die Begründung der Ablehnung seitens des Landtags von Baden-Württemberg und des Bayerischen Innenministeriums überschnei- det sich dabei in einigen zentralen Argumenten. So wurden in beiden Fällen Vorbehalte ge- äussert bezüglich der finanziellen Auswirkungen aufgrund ineffizienter und damit teurer Dop- pelstrukturen, die durch eine Auskreisung entstehen könnten. Langwierige und ressourcenin- tensive Verhandlungen angesichts von Unsicherheiten bezüglich der Finanzierung von Da- seinsvorsorge (Kliniken, Berufsschulen) wurden ebenfalls als Argument gegen die Auskrei- sung angeführt. Auch das Auflösen von bewährten und etablierten Strukturen in den Land- kreisen wurde kritisch gesehen. Weiterhin wurden Bedenken geäußert, durch die Auskrei- sung könne sich verstärkt ein ‚Kirchturmdenken‘ etablieren, das sich zulasten einer solidari- schen, gemeinsamen Entwicklung und Kooperation zwischen Stadt und Landkreis auswirken konnte. Im Fall der Stadt Neu-Ulm wurde nicht zuletzt darauf verwiesen, dass die Auskrei-

6 Neu-Ulm ist „große Kreisstadt“ und hat ca. 60.000 Einwohner – Anm. Q 51 sung für die Gemeinden im Landkreis Neu-Ulm eine höhere Belastung durch die Kreisumla- ge zur Folge haben konnte.

Seitens der Bevölkerung war eine sichtbare Reaktion auf den Auskreisungsprozess der Stadt Neu-Ulm die Gründung der Bürgerinitiative ‚Landkreis? Ja, bitte!‘, die sich für einen Verbleib der Stadt Neu-Ulm im Landkreis aussprach und dem Innenausschuss des Bayeri- schen Landtags zusammen mit Kreispolitikern aller Fraktionen im April 2019 eine Petition übergab. (…)“

[In Abbildung 8 werden u. a. folgende Argumente pro und contra einer Auskreisung der bei- den Kommunen einander gegenüber gestellt:

Pro:  Eigenverantwortung  Bürgernähe  (höhere) Finanzzuweisung

Contra:  Teure Doppelstrukturen  Gemeinsamer Landkreis als Grundlage für Zusammenarbeit – Anm. Q]

„Als gegensätzliche Entwicklung zu den gescheiterten Auskreisungsbestrebungen lassen sich vier Beispiele erfolgreich umgesetzter Kreisfusionen anführen. Pionier der freiwilligen Kreisfusion war die Stadt Hannover, die sich 2001 zusammen mit dem Landkreis Hannover zur Region Hannover zusammenschloss und damit die flächengrößte Gebietskörperschaft in Deutschland wurde. Ziel der Fusion war es u. a., eine bürgernahe und leistungsfähige Ver- waltung zu erhalten, indem Doppelstrukturen aufgehoben und damit Kosten- und Verwal- tungsaufwand verringert wurden. Auch wurde mit der Fusion eine höhere Sichtbarkeit im europäischen Wettbewerb der Regionen verfolgt. Dieses Ziel hatte auch die Stadt Aachen, die sich 2009 mit dem Landkreis Aachen zur Städteregion Aachen zusammenschloss und sich durch die Bündelung der Standort- und Wirtschaftspotenziale als europäische Vorbildre- gion aufstellte.

Die Fusion der Stadt Göttingen mit dem Landkreis Osterode am Harz im Jahr 2016 war vor- nehmlich motiviert durch finanzielle Anreize und Entschuldungshilfen (sogenannte ‚Fusions- prämien‘) seitens des Landes Niedersachsen. Angesichts des demografischen Wandels und der damit einhergehenden Mindereinnahmen konnte auf diese Weise eine zukunftsfähige Verwaltung sichergestellt werden (u. a. durch die Zentralisierung verwaltungsinterner Ange- legenheiten, wie z. B. Haushaltsbewirtschaftung).

Einen Sonderfall stellt die Stadt Eisenach dar, die 1998 aus dem Wartburgkreis ausgeglie- dert und damit kreisfrei wurde. Später festigten sich Zweifel, die bereits zum Zeitpunkt der Auskreisung bestanden hatten, Eisenach habe dauerhaft nicht die finanzielle Leistungsfähig- keit für die Kreisfreiheit. Seit 2006 war die Stadt Eisenach nicht mehr in der Lage, ihre Haus- halte aus eigener Kraft auszugleichen. Im Falle einer Fusion wurden zudem Entschuldungs- hilfen vom Land Thüringen zugesagt. In der Folge beantragte der Rat der Stadt Eisenach im Juni 2016 die Wiedereingliederung der Stadt Eisenach in den Wartburgkreis, die im März 2019 durch den Stadtrat einstimmig beschlossen wurde und bis Januar 2022 umgesetzt werden soll.“ (S. 11 ff.) Zwischenfazit Benchmark- und Kontextanalyse Da Hanau noch keine 100.000 Einwohner hat und auch eine höhere staatliche Bildungsein- richtung (Hochschule/Universität) fehlt, kann Hanau diese Funktionen eines Oberzentrums nur aufgrund seiner Nähe zu Frankfurt und Offenbach abdecken. Schüler und Pendler tragen wesentlich zur Verflechtung zwischen Hanau und dem restlichen Main-Kinzig-Kreis bei.

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Während in jüngster Zeit die Auskreisungsversuche von Reutlingen und Neu-Ulm abgelehnt wurden, weil ein Gewinn für das Gemeinwohl nicht festgestellt werden konnte, gibt es in den vier o. g. Fällen die gegenläufige Entwicklung zum Zusammenschluss von vorher eigenstän- digen Kommunen mit den umgebenden Kreisen. Diese Fusionen verliefen erfolgreich.

„Der Main-Kinzig-Kreis ist auch ohne die Stadt Hanau grundsätzlich leistungsfähig und über- lebensfähig. Mit über 320.000 Einwohnern würde der übrige Main-Kinzig-Kreis (ohne Hanau) neben dem Landkreis Offenbach (rd. 350.000 EW) den zweitgrößten Landkreis in Hessen darstellen, mit entsprechend hervorragenden Entwicklungsperspektiven.“ (S. 15) Effekte der Auskreisung auf die Aufgabenerfüllung „Eine Auskreisung Hanaus hätte erhebliche Folgen auf die Personal- und Organisations- strukturen, sowohl der Kreisverwaltung des Main-Kinzig-Kreises (ohne Hanau) als auch der Stadtverwaltung Hanaus. Die Aufgaben einer kreisfreien Stadt sind gesetzlich geregelt und würden im Falle einer Auskreisung mit einem Statuswechsel der Stadt Hanau kraft Gesetzes übergehen.

Mit der Kreisfreiheit hätte die Stadt Hanau neue Zuständigkeiten für die folgenden Bereiche:  Untere Wasserbehörde  Aufgaben nach dem Hessischen Waldgesetz  Immissionsschutzbehörde  Untere Fischereibehörde  Jagdbehörde  Träger Rettungsdienst  Träger des öffentlichen Gesundheitsdienstes  Versicherungsamt  Amt fur Ausbildungsförderung  Durchführung Asylbewerberleistungsgesetz  Fahrerlaubnisbehörde  Örtlicher Träger der Sozialhilfe  Aufgaben nach SGB II  Betreuungsbehörde

Hinzu kämen für die Stadt Hanau Aufgaben in den Bereichen:  Sprengstoffwesen  Schornsteinfegerwesen  Veterinärwesen  Verbraucherschutz  Lebensmittelüberwachung  Vereinsrecht

Bisher von der Stadt Hanau wahrgenommene Aufgaben wurden erweitert in den Bereichen:  Namensrecht  Staatsangehörigkeitsrecht  Personenstandsrecht  Abfallentsorgung  Gewerberecht

Es wird vom Main-Kinzig-Kreis und der Stadt Hanau beabsichtigt, eine gemeinsame Leitstel- le zu betreiben und einen gemeinsamen Rettungsbezirk zu bilden.

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Wie in dem vom Magistrat am 25.03.2019 einstimmig beschlossenen Konzept ‚Kreisfreiheit der Großstadt Hanau zum 01.04.2021‘ ausgeführt, strebt die Stadt Hanau an, alle gesetzlich vorgesehenen Aufgaben einer kreisfreien Stadt in eigener Verantwortung zu erledigen.

Eine Auskreisung der Stadt Hanau hätte erhebliche Auswirkungen auf eine Reihe von Pflichtaufgaben, während andere Bereiche organisatorisch und personell weniger stark be- troffen wären. Daher wird für eine vertiefende Analyse der Effekte einer möglichen Auskrei- sung auf die Aufgabenerfüllung eine Auswahl getroffen. Folgende fünf Verwaltungsbereiche werden einer detaillierten Betrachtung unterzogen:  Jobcenter (KCA)  Sozialamt (KCA)  Veterinärwesen und Verbraucherschutz  Gesundheitsamt  Führerscheinstelle

Die Auswahl der untersuchten Vertiefungsfelder wurde im Rahmen mehrerer Abstimmungs- runden zwischen Prognos und dem Main-Kinzig-Kreis festgelegt. Als Kriterien für die Aus- wahl wurden u. a.  der Umfang der notwendigen organisatorischen Veränderungen,  mögliche personelle Konsequenzen,  die Höhe der Fallzahlen,  die Relevanz aus Perspektive der Burger sowie  mögliche fiskalische Konsequenzen herangezogen. (…)

Weitere betroffene Aufgabenbereiche, auf die sich eine potenzielle Auskreisung der Stadt Hanau voraussichtlich weniger stark auswirken würde, werden einer vereinfachten haupt- sächlich qualitativen Betrachtung unterzogen.“ (S. 16 ff.) Effekte auf ausgewählte Ausgabenbereiche des Main-Kinzig-Kreises

Jobcenter (KCA) „Der Main-Kinzig-Kreis war einer der ersten Landkreise, der im Rahmen der Betreuung und Vermittlung von Langzeitarbeitslosen das Optionsmodell umgesetzt hat. (…) Seit Beginn der Option im Jahr 2005 ist das Jobcenter des Kommunalen Centers für Arbeit mit seinem An- gebot (…) (Antragsstellung, Sachbearbeitung, Beratung, Information etc.) in allen Kreisteilen an den Standorten Maintal, Hanau, Gelnhausen und Schlüchtern vertreten (…). Der Standort in Hanau bietet für Hanauer Bürgerinnen und Bürger sowie die Bürgerinnen und Bürger des Altkreises Hanau (…) kurze Wege und den Zugriff auf die komplette Unterstutzungsleistung des SGB II. Insgesamt werden im Jobcenter von rund 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern 26.000 Kundinnen und Kunden aus dem gesamten Main-Kinzig-Kreis betreut. Die Stadt Ha- nau strebt an, eine gemeinsame Einrichtung mit der Bundesagentur für Arbeit zu gründen. Somit würde sich der Zuständigkeitsbereich für die Stadt Hanau aus dem Jobcenter heraus- lösen und in einer separaten Einrichtung Hanaus mit der Bundesagentur für Arbeit verwaltet.

Im Falle der Auskreisung Hanaus würden in Hinblick auf die Aufgabenerfüllung des Jobcen- ters die Risiken überwiegen. Derzeit betragt die Anzahl an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Jobcenters, die Fälle aus der Stadt Hanau betreuen, ca. 104 Vollzeitäquivalente. Der Anteil der Fälle aus Hanau beträgt dabei rund 40 % bzw. etwa 10.000 Fälle. Nach einer po- tenziellen Auskreisung wäre das Jobcenter des Main-Kinzig-Kreises nicht mehr für die Ha- nauer Fälle zuständig. Gleichzeitig wäre zu erwarten, dass dann zwischen dem Jobcenter des Main-Kinzig-Kreises und einer neu geschaffenen gemeinsamen Einrichtung der Stadt Hanau mit der Bundesagentur für Arbeit eine Konkurrenzsituation um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entstehen wurde. Zwar wären die konkurrierenden Stellenangebote einer neu entstehenden gemeinsamen Einrichtung zunächst auf zwei Jahre befristet, allerdings würden 54 sich, insbesondere bei den Funktionsstufen 1 und 2 der Tarifstufe IV nach TV-BA, Gehalts- vorteile gegenüber dem für das Jobcenter des Main-Kinzig-Kreises geltenden Tarifvertrag ergeben. Insbesondere ein Abwerben von Mitarbeitern könnte daher eine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung gefährden.

Auch im Bereich der Bürgerorientierung (Servicequalität) zeichnen sich für das Jobcenter Risiken ab, die mit einer Auskreisung einhergehen. Zwar könnten dann kurzfristig aufgrund des reduzierten Einzugsgebiets und damit weniger zu bearbeitender Fälle Personalüberhän- ge aufseiten des Jobcenters bestehen, die zu einer besseren Betreuungsquote und geringe- ren Wartezeiten führen konnten. Mittel- bis langfristig könnte sich allerdings der bereits be- schriebene Wettbewerb um Fachkräfte negativ auf die Servicequalität auswirken, da bereits zum heutigen Zeitpunkt vakant werdende Stellen aufgrund des Fachkräftemangels nicht im- mer lückenlos besetzt werden können. Mit einer reduzierten Anzahl der zu betreuenden SGB-II-Empfänger und damit der als arbeitsfähig gemeldeten Klienten, entstünden Risiken, die sich insbesondere auf die Zusammenarbeit mit der AQA beziehen. So würde sich infolge der Auskreisung die Angebotspalette an Maßnahmen verringern, sodass Maßnahmen mit besonderem Fokus auf den regionalen Arbeitsmarkt nicht mehr für alle heutigen Kunden- gruppen erbracht werden konnten.

Die Einschätzung der Kosten- und Einnahmeeffekte mit Blick auf das Jobcenter offenbart ebenfalls erhebliche Risiken. Die einzige Chance stellen Ersparnisse in Höhe von rund 13 Mio. Euro dar, die als Konsequenz der Auskreisung bei der Erstattung der ‚Kosten der Un- terkunft‘ (KdU) erwartet werden. Jedoch könnten aufgrund der stark verringerten Fallzahlen (zumindest kurzfristig) für den Kreis Personalüberhänge von bis zu 104 Vollzeitäquivalenten entstehen. Die Kosten für diese Stellenüberhange und die Folgekosten (für Sozialpläne o. a.) müsste der Main-Kinzig-Kreis nach der Auskreisung allein tragen. Ein Wegfall der Stellen für die Bearbeitung von Fällen aus Hanau hätte auch auf die Leitung des Jobcenters eine erheb- liche kostenseitige Wirkung. Rund fünf Vollzeitäquivalente in der Leitung bzw. in Quer- schnittsbereichen müssten beim Main-Kinzig-Kreis bestehen bleiben, was Doppelstrukturen zur Folge hatte, da diese Stellen auch in Hanau besetzt werden müssten. Auf Hanau kämen im Falle einer Auskreisung neben den laufenden Kosten (z. B. für Personal) auch einmalige Investitions- und Sachkosten für die Einrichtung eines neuen Jobcenters zu.

In der Gesamteinschätzung zum Jobcenter überwiegen trotz positiver Bürgerorientierung somit insgesamt die Risiken. In der Aufgabenerfüllung liegen leichte Risiken vor, die insbe- sondere von einer aufkommenden Konkurrenzsituation um Fachkräfte bedingt waren. Die erheblichen Kosteneffekte der Auskreisung für das Jobcenter bergen hohe Risiken für den Main-Kinzig-Kreis und die Stadt Hanau.“ (S. 19 f.)

Sozialamt „Das Sozialamt ist im Geschäftsbereich II des Kommunalen Centers für Arbeit (KCA) ange- siedelt und für die Beratungs- und Leistungsbereiche nach dem Sozialgesetzbuch XII zu- ständig. Die Stadt Hanau hat den Leistungsbereich des Sozialamtes zum 01.01.2015 an den Main-Kinzig-Kreis zurückgegeben. Im Jahr 2017 wurden im gesamten Kreis insgesamt 12.667 Fälle betreut, wovon 4.377 auf das Stadtgebiet Hanaus (35 %) entfielen. (…)

Ein Risiko für die Aufgabenerfüllung des Sozialamtes ergibt sich bei einer potenziellen Aus- kreisung der Stadt Hanau aus dem überproportional hohen Anteil Hanauer Fälle an der Ge- samtfallzahl im Sozialamt. So bearbeitet das Sozialamt insgesamt knapp 35 % seiner Fälle für die Stadt Hanau. Damit übersteigt der Anteil der Falle der Stadt Hanau den Bevölke- rungsanteil Hanaus am gesamten Main-Kinzig-Kreis (ca. 23 %). Nach der Auskreisung müsste das neu gegründete Sozialamt in Hanau also eine relativ hohe Fallzahl bearbeiten. Außerdem lägen im Falle einer Auskreisung eher geringe Stellenüberhänge beim Main- Kinzig-Kreis vor, wodurch nur sehr geringe Doppelstrukturen entstünden. Ähnlich wie beim Jobcenter bestünde im Falle einer Auskreisung das Risiko für das Entstehen solcher Dop- pelstrukturen nur bei den Querschnitts- und Leitungsfunktionen. 55

Im Bereich der Bürgerorientierung und Servicequalität des Sozialamtes überwiegen die Chancen einer Auskreisung. (…) Risiken sind im Bereich der Bürgerorientierung und Ser- vicequalität nicht erkennbar.

Mit Blick auf die Kosten- und Einnahmeeffekte der Auskreisung Hanaus überwiegen die Chancen, es bestehen jedoch auch Risiken. So könnte der Main-Kinzig-Kreis durch eine Auskreisung der Stadt Hanau das finanzielle Risiko der tendenziell steigenden Aufwendun- gen für Leistungen nach SGB XII verringern. Die Netto-Sozialhilfeaufwendungen des Kreises lagen im Jahr 2018 bei insgesamt 41,8 Mio. Euro, wovon 9,6 Mio. Euro auf Bürgerinnen und Bürger der Stadt Hanau entfielen. Der Wegfall des Anteils der Stadt Hanau an diesen Auf- wendungen stellt somit für den Main-Kinzig-Kreis eine Chance hinsichtlich der Reduktion finanzieller Lasten im Sozialbereich dar. Demgegenüber bestünden Risiken für die Stadt Ha- nau, die die Sozialhilfeaufwendungen gerade vor dem Hintergrund steigender Sozialkosten allein tragen müsste. Zusätzlich ist mit geringen Stellenüberhängen zu rechnen, die einen leichten Anstieg der Kosten pro bearbeiteten Fall nach sich ziehen wurden. (…)

In der Gesamteinschätzung für das Sozialamt überwiegen im Zuge einer Auskreisung die Chancen. (…)“ (S. 20 f.)

Veterinärwesen und Verbraucherschutz „Zu den Verantwortungsbereichen des Amtes für Veterinärwesen und Verbraucherschutz des Main-Kinzig-Kreises gehören die Lebensmittelüberwachung, die Schlachttier- und Fleischhygiene sowie die Tierschutzüberwachung und Tierseuchenbekämpfung. Im Jahr 2017 wurden im Veterinärwesen 800 Kontrollen durchgeführt. Außerdem kam es zu insge- samt 400 Tierschutzüberwachungs- und Tierseuchenbekämpfungsfällen. Rund 100 der Kon- trollen und 30 der Tierschutzüberwachungs- und Tierseuchenbekämpfungsfällen entfielen dabei auf das Stadtgebiet Hanau. Im Bereich der Lebensmittelüberwachung lagen 2017 im gesamten Main-Kinzig-Kreis ca. 4.750 zu kontrollierende Betriebe vor, von denen rund 1.150 in Hanau (24 %) angefallen sind. (…)

Im Falle einer Auskreisung ergäben sich im Bereich der Aufgabenerfüllung eher Risiken für das Amt für Veterinärwesen und Verbraucherschutz. Mit der Auskreisung der Stadt Hanau wurden Synergieeffekte durch die derzeitige gemeinsame Veranlagung der Verwaltungs- und Leitungspositionen des Aufgabenbereiches wegfallen. Bei einer Trennung des Amtes wäre für ein Amt für Veterinärwesen und Verbraucherschutz in Hanau neben den 3,5 Voll- zeitäquivalenten (VZÄ), die derzeit Hanauer Fälle bearbeiten, eine weitere Stelle notwendig (insgesamt 4,5 VZÄ) (…). Kurzfristig ist allerdings davon auszugehen, dass durch eine Aus- kreisung Hanaus freiwerdende Kapazitäten zu einer Verbesserung der Aufgabenerfüllung genutzt werden könnten.

Bei der Bürgerorientierung (Servicequalität) sind im Fall der Auskreisung Hanaus die Chan- cen und Risiken ausgeglichen. (…)

Im Bereich der Kosten- und Einnahmeeffekte des Amtes für Veterinärwesen und Verbrau- cherschutz überwiegen im Falle einer Auskreisung wiederum die Risiken. Auch wenn kürze- re Wege für Kontrolleure im neu geschaffenen Hanauer Amt für Veterinärwesen und Ver- braucherschutz zu geringfügigen Kosteneinsparungen bei Fahrtkosten und zeitlicher Einspa- rung fuhren könnten, würde die Einrichtung eines separaten Amtes in Hanau zu erhöhten Kosten führen. (…)

Die Gesamteinschätzung zum Verantwortungsbereich des Amtes für Veterinärwesen und Verbraucherschutz ist im Falle einer Auskreisung insgesamt im neutralen Bereich mit leicht negativer Tendenz. Der Fachkräftemangel stellt das größte Risiko für das Amt dar und würde die Aufgabenerfüllung gefährden, sollten Beschäftigte des Kreisamtes von der Stadt Hanau abgeworben werden. (…)“ (S. 21 f.) 56

Gesundheitsamt „Das Gesundheitsamt des Main-Kinzig-Kreises umfasste im Jahr 2017 (Stichtag 31.12.) ein Stellenvolumen von 78,67 Vollzeitäquivalenten. Von diesem Personal entfiel ein Anteil von ca. 19,7 % (insgesamt 15,57 VZÄ) auf die Bearbeitung von Belangen aus dem Stadtgebiet Hanaus. Im Jahr 2017 wurden insgesamt rund 92.000 Fälle bearbeitet, wovon rund 29.000 auf die Stadt Hanau entfielen. Die fallstärksten Aufgaben sind hierbei die Kinder-Gruppen- prophylaxen in Schulen und Kindergarten, die insgesamt fast 40.000 Fälle im Main-Kinzig- Kreis und rund 8.000 Fälle in Hanau ausmachten. Darüber hinaus wurden im Main-Kinzig- Kreis rund 9.000 Reihenuntersuchungen in Kindergarten und Schulen durchgeführt, wovon ca. 2.300 auf die Stadt Hanau entfielen. Außerdem wurden insgesamt über 4.000 Belehrun- gen des Sachgebietes Hygiene und Umweltmedizin durchgeführt (1.000 davon in Hanau) und weitere 4.000 (1.720) Leichenschauscheine ausgestellt. Schließlich fanden im wichtigen Bereich des sozialpsychiatrischen Dienstes im Jahr 2017 insgesamt rund 3.500 (842) Bera- tungskontakte statt.

Eine potenzielle Auskreisung würde Risiken für die Aufgabenerfüllung des Gesundheitsam- tes bedeuten. Durch die Aufteilung des Gesundheitsamtes in zwei getrennte Bereiche wür- den sich verschiedene Risiken für die Aufgabenerfüllung ergeben, die sowohl den Main- Kinzig-Kreis als auch eine kreisfreie Stadt Hanau beträfen. Zuerst ist der Aufbau von Dop- pelstrukturen und ein damit entstehender Verlust an Effizienz in den getrennten Gesund- heitsämtern zu nennen. (… folgt Stellenkalkulation) Dies entspräche einem zusätzlichen Stellenbedarf von 6,3 % (Main-Kinzig-Kreis) bzw. 47,7 % (Stadt Hanau). (…) Gerade vor dem Hintergrund des akuten Fachkräftemangels, der die Aufgabenerfüllung des Gesund- heitsamtes im Main-Kinzig-Kreis bereits heute erschwert, stellt eine Auskreisung ein erhebli- ches Risiko dar. (…)

Die Bürgerorientierung (Servicequalität) des Gesundheitsamtes wäre weder positiv noch negativ von der Auskreisung betroffen. Da das Gesundheitsamt kaum Publikumsverkehr hat und hauptsächlich aufsuchende Arbeiten erbringt, werden weder Chancen noch Risiken für den Main-Kinzig-Kreis erwartet.

Im Bereich der Kosten- und Einnahmeeffekte dominieren erneut die Risiken für beide Ge- bietskörperschaften. Aufgrund des zuvor beschriebenen zusätzlichen Personalbedarfes i. H. v. rund vier VZÄ für den Main-Kinzig-Kreis und bis zu 7,43 VZÄ für die dann kreisfreie Stadt Hanau würden – bei einer unveränderten Anzahl an Fällen – durch die Auskreisung die Per- sonalkosten pro bearbeitetem Fall steigen. (…) Aufgrund des signifikanten Fachkräfteman- gels wäre die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung der getrennten Gesundheitsämter mög- licherweise in Gefahr. Insbesondere die Bereitschaftsdienste könnten mitunter nicht mehr gewährleistet werden. Steigende Bearbeitungskosten pro Fall und erhebliche Sachkosten erhöhen die Risiken einer Auskreisung im Bereich des Gesundheitsamtes zusätzlich.“ (S. 23 f.)

Führerscheinstelle „In einem Schreiben vom 27.02.2019 an das Regierungspräsidium Darmstadt hat der Main- Kinzig-Kreis die Regierungspräsidentin über den Beschluss des Main-Kinzig-Kreises infor- miert, die öffentlich-rechtliche Vereinbarung über die Vereinigung der Zulassungsbehörden des Main-Kinzig-Kreises und der Stadt Hanau zum nächstmöglichen Zeitpunkt zu kündigen. Zum 01.01.2021 übernimmt die Stadt Hanau die Aufgaben der Zulassungsbehörde im Zu- lassungsbezirk Hanau selbstständig. Diese Aufgabenwahrnehmung im Bereich der Zulas- sung ist abgekoppelt vom Prozess einer möglichen Auskreisung. Von dieser Entscheidung nicht betroffen ist der Bereich der Führerscheinstelle. Dieser Aufgabenkomplex geht erst im Falle einer Auskreisung in die Zuständigkeit der Stadt Hanau über. Daher wird im Folgenden auf den Bereich der Führerscheinstelle abgezielt, nicht jedoch auf das Zulassungswesen.

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Die Führerscheinstelle des Main-Kinzig-Kreises verantwortet viele Themen zum Thema Fahrerlaubnis, wie beispielsweise zur Erteilung oder zum Entzug der Fahrerlaubnis. Viele der Tätigkeiten der Führerscheinstelle basieren auf Vorgängen aus der Eingriffsverwaltung. Dabei handelt es sich insbesondere um Maßnahmen nach dem Punkterecht, die vom Kraft- fahrtbundesamt ausgehen sowie die Auflagenüberwachung bei eingeschränkt geeigneten Fahrerlaubnisinhabern. Insgesamt sind an den zwei Niederlassungen der Führerscheinstelle des Main-Kinzig-Kreises in Hanau und Linsengericht Beschäftigte mit 15,5 Vollzeitäquivalen- ten beschäftigt, wovon rund 4,5 Vollzeitäquivalente Fälle aus dem Stadtgebiet Hanaus bear- beiten. Insgesamt bearbeiteten diese Beschäftigten im Jahr 2017 etwa 26.000 Fälle, von denen rund 6.800 Fälle auf das Stadtgebiet Hanaus entfielen (Anteil von 26 %).

Bei der Aufgabenerfüllung der Führerscheinstelle ergaben sich aufgrund einer möglichen Auskreisung ausschließlich Risiken. So stellt die Vielzahl der Vorgänge aus der Eingriffsver- waltung, insbesondere vom Kraftfahrtbundesamt, die Aufgabenerfüllung der Führerschein- stelle vor eine große Herausforderung. Auch die einmalige Übertragung der notwendigen Akten aus dem Main-Kinzig-Kreis zur Stadt Hanau wäre sehr aufwendig und würde die Auf- gabenerfüllung beeinträchtigen.

Bei der Bürgerorientierung und Servicequalität der Führerscheinstelle ergeben sich weder Chancen noch Risiken für den Main-Kinzig-Kreis. Die Führerscheinstelle würde auch nach der Auskreisung zunächst am Standort in Hanau verbleiben.

Bei Kosten- und Einnahmeeffekten im Bereich der Führerscheinstelle würden bei einer po- tenziellen Auskreisung Hanaus erneut die Risiken überwiegen. Die Zusammenlegung der Führerscheinstelle mit der Zulassungsstelle in Hanau könnte zu geringen Einsparungen füh- ren. Jedoch wurden diese durch erhöhte Kosten für zusätzliches Personal negiert, da die Auskreisung zu erheblichen Doppelstrukturen und somit höheren Bearbeitungskosten pro Fall in der Führerscheinstelle führen würde. Statt der momentan bestehenden 4,5 VZÄ benö- tigt Hanau in diesem Fall insgesamt ca. sieben VZÄ zur Bearbeitung der Fälle aus dem Stadtgebiet. Zusätzliche Stellenbedarfe der Führerscheinstelle des Kreises sind ebenfalls nicht auszuschließen, jedoch nicht so gravierend wie die Mehrbedarfe der Stadt Hanau. (…)

In der Gesamteinschätzung der Effekte einer Auskreisung Hanaus auf die Führerscheinstelle überwiegen die negativen Effekte. Insbesondere in der Aufgabenerfüllung ergeben sich überwiegend Risiken, da eine Auskreisung und somit eine Zuständigkeit Hanaus zum 1.4.2021 zu einem erheblichen Umstrukturierungsaufwand führen wurde. Bei der Bürgerori- entierung (Servicequalität) ergeben sich weder Chancen noch Risiken. Eine Auskreisung hätte außerdem Kosteneffekte mit Risikocharakter auf die Führerscheinstelle. Aufgrund von entstehenden Doppelstrukturen wäre zusätzliches Personal nötig und die Bearbeitungskos- ten pro Fall würden sich tendenziell erhöhen.“ (S. 24 f.)

Bewertungsmatrix ausgewählter Aufgabenbereiche (auf die Darstellung der Tabellen 1 und 2 wird hier verzichtet)

„Die Gesamtübersicht zu den prioritären Aufgabenbereichen zeigt, dass eine potenzielle Auskreisung Hanaus zum 01.04.2021 beinahe für alle Bereiche Risiken bei der Aufgabener- füllung bedeuten würde. Einzig im Bereich des Sozialamtes (KCA GB II) sind die Chancen und Risiken ausgeglichen. Ein großes Problem für die gesamte Verwaltung des Main-Kinzig- Kreises wäre nach einer Auskreisung das Entstehen eines starken Konkurrenzkampfs mit den neu geschaffenen Verwaltungsbereichen der Stadt Hanau. (…) Für die Aufgaben, die vom Main-Kinzig-Kreis nach Hanau wechseln wurden, werden in der aktuellen Kreisverwaltung ca. 180 VZA eingesetzt:

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Tabelle 3: Übersicht zu Stellenüberhängen im Falle einer Auskreisung Institution Ist-Stellen 2017 f. Hanau Risiko für Stellenüberhang Führerschein-/Zulassungsstelle 11,8 hoch KCA GB I (Jobcenter) 104,0 sehr hoch KCA GB II (Sozialamt) 26,0 gering Gesundheitsamt 15,6 mittel Veterinäramt 8,3 gering Andere 13,5 gering Personal insg. in VZÄ 179,1 Quelle: Main-Kinzig-Kreis 2019, eigene Bewertung Prognos AG

Die Bewertung des Risikos für Stellenüberhänge in den verschiedenen Aufgabenbereichen erfolgt als qualitative Einschätzung und kann nicht abschließend quantifiziert werden, da noch nicht abgeschätzt werden kann, ob und wie viel Personal tatsachlich zur Stadt Hanau wechseln würde. Zum jetzigen Zeitpunkt kann ebenfalls noch nicht beurteilt werden, wie mit eventuell entstehenden Stellenüberhängen umgegangen werden sollte. (…)

Die Bürgerorientierung und Servicequalität wären weniger von einer möglichen Auskreisung betroffen. (…)

Die Kosten- und Einnahmeeffekte sind durchweg negativ zu bewerten. In allen vertieft be- trachteten Aufgabenbereichen ergeben sich zusätzliche Kosten aufgrund von Doppelstruktu- ren und Stellenüberhängen, die eine Auskreisung mit sich brächte. Darüber hinaus würden der Stadt Hanau Sach- und Investitionskosten in noch nicht abschätzbarer Höhe entstehen, um die Einrichtung und Ausstattung der neu gegründeten Ämter nach der Auskreisung tra- gen zu können. Auch für die Trennung von Fachämtern, mögliche Sozialplane sowie die Aushandlung von Vermögenstrennung und Finanzbeziehungen sind Kosten, sowohl für den Main-Kinzig-Kreis als auch die Stadt Hanau, zu erwarten.“ (S. 26 f.)

Effekte auf weitere betroffene Aufgabenbereiche Tabelle 4: Qualitative Bewertung der Effekte auf weitere Aufgabenbereiche Funktion Qualitative Bewertung des Aufgabenbereichs Bewertung Prognos Vollstreckungsstelle Da in Hanau bereits eine Vollstreckungsstelle besteht und die Zahlungspflichtigen von den Amtsbeschäftigten aufgesucht werden, werden keine wesentlichen Verän- derungen durch die Auskreisung erwartet. Mitunter wer- den kürzere zu den Zahlungspflichtigen erwartet. Hilfe für Migranten Es wird erwartet, dass die Stadt Hanau ca. zwei VZÄ nach AsylbLG mehr zur ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung benöti- gen wird. Die Bearbeitungskosten pro Fall steigen für den Main-Kinzig-Kreis. Kreisordnungsbehörde Hier sind für den Main-Kinzig-Kreis aufgrund der Aus- kreisung geringere Gebühreneinnahmen zu erwarten. Zudem werden Stellenüberhänge erwartet, da das Per- sonal aufgrund der vielfaltigen Aufgaben der Kreisord- nungsbehörde im Main-Kinzig-Kreis nicht abbaubar ist. Hanau müsste diese Behörde teilweise neu aufbauen, teilweise konn- ten jedoch auch bereits die Aufgabenbereiche existie- render Behörden erweitert werden. Waffen- und Spreng- Der Bereich müsste komplett von Hanau aufgebaut wer- stoffwesen den. Für die Bearbeitung sind in Hanau 0,85 VZÄ nötig. Gewerbewesen Bereits jetzt existiert in Hanau ein Gewerbeamt, welches relativ zeitnah nach der Auskreisung die Aufgabenberei- che des Fachbereiches Gewerbewesen übernehmen 59

könnte. Für die Bearbeitung des Aufgabenbereiches werden 0,6 VZÄ benötigt. Im Main-Kinzig-Kreis würden entsprechende Stellenüberhänge entstehen. Namens- Dieser Fachbereich könnte voraussichtlich relativ zeit- /Personenstands- nah nach der Auskreisung von der Hanauer Verwaltung /Staatsangehörigkeits- (Bürgerservice/Zentrale Dienste oder Standesamt) recht übernommen werden. In Hanau werden dafür 0,2 VZÄ benötigt. Jagd- und Fischereibe- Dieser Bereich müsste komplett von der Stadt Hanau hörde aufgebaut werden. Es werden 0,1 VZÄ für die Fallbear- beitung benötigt. Zentrale Rettungsleit- Die Stadt Hanau strebt an, in diesem Bereich eine Ko- stelle operation mit dem Main-Kinzig-Kreis einzugehen. Zwar will die Stadt als alleinige Trägerin des Rettungsdienstes agieren, schlägt aber vor, die zentrale Leitstelle in Geln- hausen in eine gemeinsame Trägerschaft zu überführen. Untere Katastrophen- Diesen Bereich will Hanau alleinig verantworten. Die schutzbehörde Stadt wird eine Berufsfeuerwehr gründen, um dies be- werkstelligen zu können. Trotzdem strebt Hanau eine Kooperation mit dem Main-Kinzig-Kreis an. Es werden keine personellen Konsequenzen oder Kosteneffekte für den Main-Kinzig-Kreis erwartet. Untere Wasser- und Diese Behörde müsste von der kreisfreien Stadt Hanau Bodenschutzbehörde komplett neu aufgebaut werden. Für die Aufgabenerfül- lung wären rund 2,5 VZÄ nötig. Es muss mit entspre- chenden Stellenüberhängen im Main-Kinzig-Kreis ge- rechnet werden. Immissionsschutz- Dieser Bereich müsste von Hanau mit einer Kapazität behörde/ Schornstein- von 0,5 VZÄ neu aufgebaut werden. Es werden keine fegerwesen negativen Effekte für den Main-Kinzig-Kreis erwartet. BaFöG Dieser Bereich müsste von Hanau aufgebaut werden. Für die Aufgabenerfüllung sind 0,5 VZÄ nötig. Es wer- den keine negativen Effekte für den Main-Kinzig-Kreis erwartet. Kreisstraßen im Stadt- Der Main-Kinzig-Kreis könnte durch die Auskreisung gebiet außerhalb be- jährlich rund 25.000 Euro für die Straßenunterhaltungs- bauter Lage pauschale einsparen. Die Stadt Hanau müsste nach der Auskreisung insgesamt ca. 6,5 km mehr instand halten als momentan.

„Die Auswirkungen einer potenziellen Auskreisung auf die hier im Rahmen einer vereinfach- ten Analyse betrachteten Verwaltungsbereiche wären insgesamt deutlich weniger gravierend als die [im voran gegangenen] Kapitel (…) beschriebenen Auswirkungen [auf die dort ge- nannten Ämter]. Aufgrund der relativ geringen Effekte sind diese in der Gesamtbetrachtung der Auswirkungen einer Auskreisung Hanaus vernachlässigbar.“ (S. 35)

Zwischenfazit „Die personellen und organisatorischen Konsequenzen einer möglichen Auskreisung der Stadt Hanau aus dem Main-Kinzig-Kreis wären für einen Großteil der betrachteten Bereiche von weitreichender Tragweite. Sowohl in den in Kapitel 3.1 betrachteten Schwerpunktberei- chen als auch in einem Teil der weiteren betroffenen Aufgabengebiete in Kapitel 3.2 ergeben sich oftmals Stellenüberhänge oder es ist mit erheblichen Stellenabgängen und einem Kon- kurrenzkampf um Arbeitskräfte zu rechnen. (…)

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In einigen Bereichen mit akutem Fachkräftemangel wird sowohl für die Stadt Hanau als auch für den Main-Kinzig-Kreis damit gerechnet, dass eine mögliche Auskreisung kurzfristig er- hebliche Risiken für die Aufgabenerfüllung mit sich bringt. Nur bei einem geringen Anteil der Aufgaben (z. B. bei der zentralen Rettungsleitstelle) werden Kooperationen zwischen der kreisfreien Stadt Hanau und dem Main-Kinzig-Kreis angestrebt, sodass die Auskreisung in vielen Fällen beide Akteure aus personeller und organisatorischer Sicht schlechter stellen würde.“ (S. 29 f.) Sondereffekte der Auskreisung (…) Kassenkredite und Hessenkasse

Hintergrund Kassenkredite und Hessenkasse „Die Hessenkasse steht für zwei unabhängige Entschuldungs- und Finanzierungsprogramme des Landes Hessens. Einerseits können sich verschuldete hessische Kommunen von ihren Kassenkrediten entschulden, andererseits werden Investitionshilfen für nicht verschuldete Kommunen gewährt. (…) Die Entschuldung wird über 30 Jahre zu zwei Dritteln über den Landeshaushalt getragen. Das letzte Drittel wird durch einen Eigenbeitrag der teilnehmen- den Kommune von durchschnittlich 25 Euro pro Einwohner p. a. über maximal 30 Jahre bis spätestens zum Jahr 2048 getragen. Kommunen, die bis dahin ihren Anteil nicht tilgen konn- ten, soll die Restschuld erlassen werden. (…)“

Tabelle 5: Anteilige Rückzahlungsverpflichtung Hessenkasse Main-Kinzig-Kreis und Hanau Main-Kinzig-Kreis davon Stadt Hanau Einwohnerzahl zum 31.12.2015 411.956 92.643 Gesamtrückzahlungsverpflichtungen MKK 74.650 TEUR 16.788 TEUR Jährliche Rückzahlungsverpflichtungen (2019-25) 10.299 TEUR 2.316 TEUR Restzahlung (2026) 2.558 TEUR 575 TEUR

(S. 31 f.)

Kommunale Kassenkredite im Main-Kinzig-Kreis „Die Kassenkredite dienten hessischen Landkreisen und Kommunen im Allgemeinen dazu, kurzfristig Liquiditätsengpässe zu überbrücken, um die Zahlungsfähigkeit zu gewährleisten. Im Gegensatz zu den Investitionskrediten, die in ihrem Verwendungszweck begrenzt sind, wurden die Kassenkredite zur Finanzierung laufender Aufwendungen verwendet. Im Sinne einer fairen Lastenverteilung der beschriebenen Rückzahlungsverpflichtung gemäß Hessen- kassengesetz stellen sich zwei zentrale Fragen: Wie hat sich der Schuldenstand im Zeitver- lauf entwickelt? Und welche Faktoren haben zu einer Schuldenaufnahme geführt bzw. wer ist der Verursacher? (…)

Deutschlandweit kam es bei den kreisfreien Städten und Landkreisen seit 2012 zu einer Trendumkehr, wobei die Höhe der Kassenkredite aller Landkreise in Deutschland im Jahr 2017 wieder das Vorkrisenniveau erreichte. Eine ähnliche Trendwende ist auch ab 2014 beim Main-Kinzig-Kreis zu beobachten. Zum 17.09.2018 wurden die verbleibenden Kassen- kredite des Main-Kinzig-Kreises in Höhe von 149,3 Mio. Euro auf die Hessenkasse übertra- gen. Proportional zur Einwohnerzahl beträgt der Anteil der Stadt Hanau an den Kassenkredi- ten des Main-Kinzig-Kreises im Jahresdurchschnitt 28,6 %. (…)

Die Höhe der Kassenkredite korreliert in der Regel mit der Wirtschaftskraft und insbesondere mit den Sozialausgaben einer Kommune. Dabei wirken sich die Sozialausgaben als größter Ausgabeposten in besonderem Maße auf die kommunalen Kernhaushalte aus. Die Höhe und die Dynamik der Sozialausgaben sind aufgrund der rechtlichen Leistungsansprüche für die Kommunen kaum steuerbar. (…) (S. 32 ff.) 61

Auswirkungen der Auskreisung … auf Kassenkredite und Hessenkasse (…) Auf Basis der Analyse einer Haushaltsposition ist es (.) nicht abschließend möglich, die Frage nach dem Verursacher der kommunalen Schulden in Form von Kassenkrediten zu beantworten. Hierzu wäre eine multifaktorielle Analyse notwendig, die neben der sozioöko- nomischen Situation insbesondere den finanzpolitischen Rahmen, aber auch weitere endo- gene Faktoren der lokalen Politik berücksichtigt. Die Netto-Sozialausgaben liefern als größte Haushaltsposition nichtsdestoweniger ein wichtiges Indiz für die Analyse und Bewertung der Eigenfinanzierung bzw. Fremdkapitalfinanzierung von Ausgaben sowie des Verschuldungs- grades der kommunalen Haushalte.“ (S. 36)

Zwischenfazit Kassenkredite und Hessenkasse Auch im Rahmen einer multifaktoriellen Betrachtung der Frage, wie der Schuldenstand der Kassenkredite entstanden ist, spielen die Netto-Sozialausgaben als größte Haushaltsposition eine wichtige Rolle. Es ist davon auszugehen, dass letztlich die überproportionalen Sozial- aufwendungen der Sonderstatusstadt Hanau zur Aufnahme von Kassenkrediten im Main- Kinzig-Kreis beigetragen haben. Jedoch ist eine abschließende Analyse, wodurch genau die Schulden tatsächlich verursacht wurden, und welcher Gebietskörperschaft diese zuzuschrei- ben sind, im Rahmen dieses Gutachtens nicht möglich.

Aus gutachterlicher Sicht ist die Aufteilung der Rückzahlungsverpflichtung nach Einwohnern zum Stichtag 31.12.2015 gemäß Hessenkassengesetz im Falle einer Auskreisung der Stadt Hanau erforderlich. Nach einer Auskreisung käme der Main-Kinzig-Kreis weiterhin der jährli- chen Zahlungsverpflichtung nach, wodurch die Stadt Hanau jährlich eine anteilsmäßige Rückzahlung gegenüber dem Main-Kinzig-Kreis leisten müsste.“ (S. 36) Kommunaler Finanzausgleich Hessen

Hintergrund Kommunaler Finanzausgleich Hessen „Der Kommunale Finanzausgleich (KFA) in Hessen wurde mit Wirkung zum 01.01.2016 re- formiert. Dabei wurde ein Systemwechsel vom Steuerverbund zur Bedarfsorientierung voll- zogen. Der KFA soll neben einer angemessenen Finanzausstattung der Kommunen auch den verfassungsgemäßen Auftrag zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse verwirk- lichen.

Vereinfacht ausgedrückt besteht der kommunale Finanzausgleich aus einem vertikalen und einem horizontalen Ausgleich. Für den vertikalen Ausgleich wird der Bedarf der Kommunen ermittelt, um eine angemessene Ausstattung durch das Land zu gewährleisten. Der horizon- tale Ausgleich regelt die Verteilung der Zuweisungen des Landes an die einzelne Kommu- ne.“ (S. 36)

Auswirkung der Auskreisung (…) auf den KFA Hessens „Eine Kreisfreiheit der Stadt Hanau würde sich auf das Gesamtgefüge des horizontalen und vertikalen Ausgleichs des KFA und damit auf alle Kommunen und Landkreise auswirken. (…)

Aufgrund der Komplexität des Gesamtgefüges und des Bezugs auf vergangenheitsbezogene Finanzstatistiken gestaltet sich eine Modellbetrachtung als äußerst schwierig. Der Main- Kinzig-Kreis und die Stadt Hanau haben daher das Land Hessen (Staatskanzlei, Ministerium für Inneres, Ministerium für Finanzen) angerufen, eine Modellberechnung des KFA unter der Annahme einer Kreisfreiheit der Stadt Hanau zu simulieren.

Das Hessische Finanzministerium hält gegenwärtig eine Modellberechnung, die eine Ten- denzaussage hinsichtlich der Auswirkungen einer Auskreisung Hanaus auf den kommunalen Finanzausgleich erlauben würde, für nicht darstellbar. (…)“ (S. 37)

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Zwischenfazit Kommunaler Finanzausgleich Hessen „Eine Modellrechnung, die eine Tendenzaussage zu den Auswirkungen einer möglichen Auskreisung der Stadt Hanau auf den kommunalen Finanzausgleich erlauben würde, ist aus Sicht des Hessischen Ministeriums für Finanzen derzeit nicht möglich.“ (S. 38) Pensionsverpflichtungen

Hintergrund Pensionsverpflichtungen „Beamtinnen und Beamte haben einen Versorgungsanspruch gegenüber ihrem letzten Dienstherrn. Gemäß GemHVO-Doppik §39 Abs. 1 Nr. 1 sind für Pensionsverpflichtungen (…) Pensionsrückstellungen zu bilden. Die Höhe der Rückstellungen für beamtenrechtliche Pensionsverpflichtungen soll (…) dem Barwert der erworbenen Versorgungsansprüche ent- sprechen.

Derzeit setzen sich die Pensions- und Beihilfeverpflichtungen im Haushalt des Main-Kinzig- Kreises wie folgt zusammen:  aus Pensionszahlungen an die derzeitigen Versorgungsempfänger des Main-Kinzig- Kreises (Beamtinnen und Beamte im Ruhestand) sowie  aus erforderlichen Rückstellungen für die beim Main-Kinzig-Kreis und Kommunalen Cen- ter für Arbeit beschäftigten aktiven Beamtinnen und Beamten.

Bei einem Dienstherrenwechsel überträgt der abgebende Dienstherr die gesamte Versor- gungslast an den neuen Dienstherrn. Letzterer muss später auch für den Teil der Versor- gung aufkommen, der während der Dienstzeit beim abgebenden Dienstherrn erworben wur- de. Um diese Verpflichtung auszugleichen, leistet der abgebende Dienstherr eine Einmalzah- lung (Abfindung), mit der die bei ihm entstandenen Versorgungslasten abgegolten werden.

Das vorliegende Gutachten untersucht die Begründung und Berechnung notwendiger Abfin- dungen, die im Falle einer Auskreisung der Stadt Hanau und potenzieller Dienstherrenwech- sel zwischen dem Main-Kinzig-Kreis und der Stadt Hanau zu leisten sind. In diesem Kontext ist zum einen zu klären, für welche Beamten Anspruche auf Ausgleichszahlungen bzw. Ab- findungen entstehen. Zum anderen stellt sich die Frage, wie die Abfindungen zu ermitteln sind und wie hoch diese durch den Main-Kinzig-Kreis bzw. die Stadt Hanau zu zahlenden Abfindungen näherungsweise ausfallen.

Auswirkungen de Auskreisung Hanaus auf die Pensionsverpflichtungen „Für die derzeitigen Versorgungsempfänger des Main-Kinzig-Kreises (Beamtinnen und Be- amte im Ruhestand) wurden innerhalb der aktiven Zeit dieser Beamtinnen und Beamten Rückstellungen gebildet (…). Mit Eintritt in den Ruhestand ist die Bildung der Rückstellungen abgeschlossen. Durch die Pensions- und Beihilfezahlungen werden diese Ruckstellungen dann aufwandsneutral für den Haushalt sukzessive aufgelöst.

Aus gutachterlicher Sicht entstünde für die derzeitigen Versorgungsempfänger bei einer Auskreisung kein Anspruch auf eine Abfindung gegenüber der dann kreisfreien Stadt Hanau, da die zukünftigen Pensions- und Beihilfezahlungen bereits in der Vergangenheit personen- bezogen und periodengerecht zurückgestellt wurden. (…)

Eine Belastung des Main-Kinzig-Kreises (ohne Hanau) entstünde aber dadurch, dass die jährlichen Pensionszahlungen nicht aus angesparten Mitteln geleistet würden (Kapitalde- ckungsverfahren), sondern aus dem laufenden Haushalt (Umlageverfahren). Dadurch würde der Main-Kinzig-Kreis (ohne Hanau) im Falle einer Auskreisung der Stadt Hanau zukünftig liquiditätsseitig stärker belastet, da bei weniger verbleibenden Beamten im Main-Kinzig-Kreis (ohne Hanau) aus voraussichtlich geringeren laufenden Rückstellungen weiterhin Leistungen für eine voraussichtlich zahlenmäßig stärkere Gruppe Versorgungsempfänger zu zahlen wä- ren, die während ihrer Dienstzeit auch für die damals noch kreisangehörige Stadt Hanau

63 tätig waren. Für den Main-Kinzig-Kreis ohne Hanau entstünden in diesem Falle hohe liquidi- tätsseitige Risiken durch das Umlageverfahren.

Für die aktiven Beamtinnen und Beamten entstünden Anspruche der Stadt Hanau an den Main-Kinzig-Kreis, wenn Beamte nach einer Auskreisung in Form eines Dienstherrenwech- sels zur Stadt Hanau wechselten. In diesem Fall würde der abgebende Dienstherr die ge- samte Versorgungslast an den neuen Dienstherrn übertragen. Letzterer muss später auch für den Teil der Versorgung aufkommen, der während der Dienstzeit beim abgebenden Dienstherrn erworben wurde, d. h. der aufnehmende Dienstherr muss die bisher beim bishe- rigen Dienstherrn entstandenen Pensionsverpflichtungen mit ihrem Barwert abbilden. Um diese Verpflichtung auszugleichen, muss der abgebende Dienstherr, in diesem Fall der Main-Kinzig-Kreis, eine Abfindung leisten, mit der die bei ihm entstandenen Versorgungslas- ten abgegolten werden. Hierzu sollte zwischen dem Main-Kinzig-Kreis und der Stadt Hanau eine Zahlungsvereinbarung getroffen werden.

Für Beamte, die nach einer Auskreisung beim „Main-Kinzig-Kreis ohne Hanau“ verblieben, entstünden keine Ansprüche an die Stadt Hanau. Dies gilt, da die Versorgungsansprüche aus der aktiven Dienstzeit im „Main-Kinzig-Kreis mit Hanau“ für diese Beamtinnen und Be- amten (…) bereits über Rückstellungen in den jeweiligen Haushaltsjahren geleistet wurden. Die liquiditätsseitigen Risiken des Umlageverfahrens bleiben jedoch, erneut (…) aufseiten des Main-Kinzig-Kreises (ohne Hanau).“ (S. 39)

Ermittlung der Ausgleichszahlungen (Dieser Abschnitt umfasst die technische Darstellung der Ermittlung der Ausgleichszahlun- gen unter der Annahme, dass in den betroffenen Ämtern alle 209 Beamte nach Hanau wechseln, die schon jetzt dort tätig sind. Es folgt die Schlussfolgerung:)

„Für potenzielle Dienstherrenwechsel der in den betroffenen Ämtern derzeit bereits aus- schließlich für die Stadt Hanau tätigen Beamtinnen und Beamten ergibt sich nach Anwen- dung der amtsspezifischen Schlüssel ein rechnerischer Abfindungsbetrag in Höhe von ca. 10 Mio. Euro.

Eine weitere Belastung durch die Abfindungszahlungen kann für den Main-Kinzig-Kreis liqui- ditätsseitig entstehen. Der Betrag von zehn Mio. Euro würde zum 01.04.2021 – sofern nicht andere Zahlungsvereinbarungen getroffen werden – als Auflösung von Rückstellungen auf- wandsneutral verbucht. Dieser Betrag wäre aber zahlungswirksam aus dem laufenden Haushalt zu leisten und würde entsprechend den Cashflow stark belasten.“ (S. 40 f.)

Zwischenfazit Pensionsverpflichtungen „Im Falle einer Auskreisung ergeben sich für den Main-Kinzig-Kreis keine Ansprüche auf Ausgleichszahlungen gegenüber der Stadt Hanau. Vielmehr entstünden Ansprüche der Stadt Hanau an den Main-Kinzig-Kreis für aktive Beamtinnen und Beamte, die nach einer Auskrei- sung in Form eines Dienstherrenwechsels zur Stadt Hanau wechseln. (…) Würde ein Anteil an Personalübergangen gemäß dem Aufgabenanteil für Hanau (…) zu Grunde gelegt, betrü- ge die Höhe der Abfindungszahlungen an die Stadt Hanau ca. zehn Mio. Euro.

Durch eine voraussichtlich fällige Abfindungszahlung werden zwar Ruckstellungen auf- wandsneutral aufgelöst, jedoch würde die zum 01.04.2021 fällige Abfindungszahlung aus dem laufenden Haushalt des Main-Kinzig-Kreises erfolgen. Letztlich bedeutete das mit Blick auf den Cashflow eine enorme Belastung.

Darüber hinaus entstünden dem Main-Kinzig-Kreis zusätzliche liquiditätsseitige Risiken bzw. finanzielle Belastungen. Eine zukünftige Belastung des Main-Kinzig-Kreises im Falle der Auskreisung entsteht nicht zuletzt dadurch, dass die jährlichen Pensionszahlungen nicht aus angesparten Mitteln geleistet werden (Kapitaldeckungsverfahren), sondern aus dem Cash-

64 flow des laufenden Haushalts (Umlageverfahren). Derzeit erfolgen Pensionszahlungen in Hohe von 5,7 Mio. Euro für ca. 165 Versorgungsempfänger, die während ihrer Dienstzeit anteilig auch für die damals noch kreisangehörige Stadt Hanau tätig waren. Im Falle einer Auskreisung der Stadt Hanau wird der Main-Kinzig-Kreis liquiditätsseitig stärker belastet, da bei weniger verbleibenden Beamten im Main-Kinzig-Kreis trotz Auflösung von Rückstellung und voraussichtlich geringerer Rückstellungsbildung weiterhin Leistungen aus dem laufen- den Haushalt für eine zahlenmäßig stärkere Gruppe Versorgungsempfänger zu zahlen sind.

Die Unterdeckung der Rückstellungen ist nachträglich nicht allein dem Main-Kinzig-Kreis anzulasten, da das Umlageverfahren übliche Praxis ist und im Wissen der kreisangehörigen Stadt Hanau umgesetzt wurde. (…) Bei rein verursachungsgerechter Verteilung der zukünfti- gen Haushaltsbelastungen durch Versorgungsansprüche würden Belastungen bei den Ge- meinden des Main-Kinzig-Kreises verbleiben, die sie nicht allein verursacht haben.

Im Sinne einer fairen Lastenverteilung sollten daher die entstehenden finanziellen Risiken im Falle einer Auskreisung durch Pensionsverpflichtungen für den Main-Kinzig-Kreis durch eine Vereinbarung mit der Stadt Hanau adressiert werden. (…)“ (S. 42) Abfallentsorgung/Nachsorge Deponien (… Unter der Annahme, dass dieser Abschnitt für das Votum unserer Vollversammlung pro oder contra Kreisfreiheit Hanaus wenig relevant ist, beschränkt sich diese Zusammenfas- sung auf das)

Zwischenfazit Abfallentsorgung/Nachsoge Deponien „Im Bereich der Abfallentsorgung/Deponienachsorge ist mit Kosten in mittlerer zweistelliger Millionenhöhe bis mindestens ins Jahr 2052 zu rechnen.

Die ermittelten Kosten der Deponienachsorge werden zusätzlich durch verschiedene Ein- flussfaktoren, wie steigende Baupreise, Veränderung des Zinsniveau und Lohnsteigerungen beeinflusst, welche die ermittelten Kosten für die Nachsorge noch weiter steigen lassen dürf- ten. Vor diesem Hintergrund ist es nicht möglich, eine abschließende Kostengröße zu ermit- teln, die als tragfähige Grundlage für eine Einmalzahlung der Stadt Hanau in Frage kommen konnte, da aus Sicht des Main-Kinzig-Kreises in die Einmalzahlung alle potenziellen Risiken und Kostensteigerungen einzupreisen wären. (…) In Bezug auf die Entsorgungsverträge, insbesondere für Bioabfall und Restmüll, besteht (…) ein erhebliches finanzielles Risiko für den Main-Kinzig-Kreis.

Kosten aus dem laufenden Geschäft, bspw. Personalkosten, können bei Auskreisung der Stadt Hanau nur sehr bedingt gesenkt werden, da die Tätigkeitsfelder der Abfallwirtschaft im Main-Kinzig-Kreis weiter bestehen bleiben. Das Ergebnis einer vertiefenden Betrachtung ist hier abzuwarten.“ (S. 47) AQA GmbH – Gemeinnützige Gesellschaft für Arbeit, Qualifizierung und Ausbildung mbH (… Hier ist daran zu erinnern, dass die Stadt Hanau beabsichtigt, im Falle ihrer Auskreisung gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit eine neue Form der Betreuung entsprechender Fälle zu organisieren und dementsprechend die AQA GmbH zu verlassen. Unter Vernach- lässigung der sehr detaillierten Darstellung der daraus resultierenden Konsequenzen be- schränkt sich diese Zusammenfassung auf das)

Zwischenfazit AQA „Im Falle einer Auskreisung der Stadt Hanau wäre die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit der gemeinnützigen Gesellschaft für Arbeit, Qualifizierung und Ausbildung (AQA) stark gefähr- det. (…) Die Statistiken zeigen, dass über 30 % der Teilnehmenden an den Angeboten der AQA ihren Wohnsitz in Hanau haben. Dieser im Falle einer Auskreisung zu erwartende

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Rückgang der Teilnehmerzahlen um 30 bis 35 % würde einen Umsatzeinbruch in der glei- chen Größenordnung nach sich ziehen. Die bestehenden Strukturen wären dementspre- chend zu verkleinern. Zum jetzigen Zeitpunkt wird damit gerechnet, dass die erforderliche Restrukturierung der AQA schließlich zu betriebsbedingten Kündigungen von bis zu 55 Mit- arbeiterinnen bzw. Mitarbeitern, hohen einmaligen Kosten (Sozialplan, Umzug/ Standort- schließungen) sowie zu steigenden Kosten pro Leistung bei einem zu erwartenden Defizitbe- trieb führen würde. Für leistungsberechtigte Bürgerinnen und Bürger ist zudem von einer reduzierten Angebotsauswahl auszugehen.

Die erwarteten Risiken einer möglichen Auskreisung sind für diesen Verwaltungsbereich des Main-Kinzig-Kreises enorm. Zur Vermeidung bzw. Abfederung des beschriebenen Szenarios sollte zwischen dem Main-Kinzig-Kreis und der Stadt Hanau daher unbedingt eine Regelung im Sinne der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der AQA gefunden werden.“ (S. 51 f.) Gesamtbewertung „Auf Basis der durchgeführten Analysen wird eine Abwägung der „Kosten und Nutzen“ einer Auskreisung Hanaus im Sinne einer qualitativen, zusammenfassenden Bewertung der Chancen und Risiken durchgeführt. Im Fokus der Analysen standen die Folgen für den Main- Kinzig-Kreis inklusive seiner kreisangehörigen Gemeinden.

Ausgehend von der Betrachtung des übergeordneten Gesamtbildes wurden angesichts der Komplexität und Vielfalt der direkten und indirekten Effekte einer Auskreisung besonders relevante Auswirkungen identifiziert und näher untersucht. Die Abwägung und Bewertung der Chancen und Risiken erfolgte nicht nach den Methoden einer klassischen Wirtschaftlich- keitsuntersuchung. Der Nutzen einer Auskreisung lässt sich nicht gesamthaft monetarisieren, weshalb eine reine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung nicht zielführend wäre. Stattdessen sind die Auswirkungen der Auskreisung mit Blick auf Gemeinwohlorientierung zu interpretieren, die über die Grenzen des Landkreises hinausgehen. Eine weitere handlungsleitende Größe ist das (zukünftige) politische Verhältnis zwischen der Stadt Hanau und dem Main-Kinzig- Kreis. Bei strategisch bedeutsamen Effekten wurden daher mit Blick auf diese wichtige politi- sche Perspektive für eine abschließende Bewertung stellenweise Hinweise gegeben, inwie- weit bestimmte Folgewirkungen adressiert werden können. Schließlich wurde in wesentli- chen Bereichen eine Schätzung der fiskalischen Effekte für den Main-Kinzig-Kreis durchge- führt, um mögliche finanzielle Auswirkungen abzuschätzen.“ (S. 53) Zusammenfassende Bewertung der Risiken (…) für den MKK „Die Ergebnisse der Benchmark- und Kontextanalyse dieses Gutachtens zeigen insbesonde- re drei negative Auswirkungen bzw. wesentliche Risiken:

Insgesamt stellt Hanau ein schwaches Oberzentrum mit strukturellen Standortnachtei- len7 dar. Die Stadt Hanau übernimmt die Funktion eines Oberzentrums und ist ein wichtiger Schulstandort für den gesamten Main-Kinzig-Kreis. Im Vergleich zu den Gemeinden des Main-Kinzig-Kreises, dem hessischen Landestrend sowie anderen Oberzentren in Hessen verfügt die Stadt Hanau über erkennbare strukturelle (Standort-)Nachteile, die sich in erhöh- ten Problemlagen, geringerer Wirtschaftskraft und Beschäftigungsdichte niederschlagen. Hanau wird nicht in allen Bereichen seiner definierten planerischen Funktion als Oberzent- rum gerecht. So besitzt Hanau als einziges der zehn Oberzentren in Hessen keine staatliche Universität bzw. Hochschule. In der Metropolregion sind u. a. Offenbach, Frankfurt und Wiesbaden wichtige Hochschulstandorte.

Eine vergleichende Untersuchung zeigt die Misserfolge laufender Auskreisungsversuche der Städte Reutlingen und Neu-Ulm. Die gewonnenen Erfahrungen der Stadt Reutlingen (BW) und der Stadt Neu-Ulm (BY) zeigen, dass Auskreisungsbestrebungen mit erheblichen

7 Fettungen durch die Autoren 66

Risiken, hohem personellem Aufwand (Verwaltung, politische Spitze, Kreistag, regionale Partner) sowie Zusatzkosten verbunden sind und die Akzeptanz und Bedeutung für die Bür- gerinnen und Bürger sowie für die Kommunalpolitik tendenziell überschätzt wurde. Politisch sind die Oberbürgermeisterin bzw. der Oberbürgermeister beider Städte mit dem Vorhaben gescheitert, haben politisch erhebliche Widerstände, Konflikte und Spannungen ausgelöst (u.a. Spaltung in kommunalen Gremien, Konflikte mit Nachbarkommunen, Ministerien und der Landesregierung). Durch den altersbedingten Nachfolgewechsel der jeweiligen Oberbür- germeisterinnen und -meister konnten aufgebaute politische Spannungen zu den jeweiligen Landkreisen entschärft und abgebaut werden. Die Landesregierung sowie die Landtage in Baden-Württemberg und Bayern haben die Anträge auf Auskreisung sowie die Argumentati- on der Städte hinsichtlich der Gemeinwohlorientierung der Städte abgelehnt. Allerdings muss in diesem Zusammenhang auch betont werden, dass die Auskreisungsversuche von Reut- lingen und Neu-Ulm nicht unbedingt mit der Situation des Main-Kinzig-Kreises und der Stadt Hanau vergleichbar sind. Nichtsdestoweniger werden die Risiken eines solchen Verfahrens besonders deutlich.

Im Zuge der Benchmark- und Kontextanalyse wird schließlich klar, dass sich die Auskrei- sungsbestrebungen der Stadt Hanau gegenläufig zum Trend verhalten. Denn außerhalb der süd- bzw. mitteldeutschen Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg und Hessen mit mehrheitlich sehr guten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen führt der Trend in Richtung des Zusammenschlusses größerer Verwaltungseinheiten. Neben Kosten- und Synergievor- teilen bzgl. der Aufgabenwahrnehmung im Kontext hoher kommunaler Schuldenlast sowie demografischer Zukunftsrisiken liegen die Vorteile von Verwaltungsfusionen in funktional eng verflochtenen Raumen, in der Intensivierung der Zusammenarbeit (Kreis- und Regionalent- wicklung im Vorfeld) sowie gemeinsamen formellen Aufgabenwahrnehmung.

Weitere wesentliche Risiken im Falle einer Auskreisung wurden durch die Analyse der Effek- te auf die Aufgabenerfüllung identifiziert:

Im Ergebnis der Untersuchung der fünf Aufgabenbereiche, die im Falle einer Auskreisung betroffen wären, kommt es mehrheitlich zu negativen Auswirkungen auf die Aufgabener- füllung sowie zu deutlich negativen finanziellen Auswirkungen für den Main-Kinzig-Kreis. Lediglich in einem der fünf Vertiefungsfelder (Sozialamt) überwiegen nach einer Auskreisung Hanaus die Chancen. Die Kosten- und Einnahmeeffekte sind durchweg negativ zu bewerten. In allen vertieft betrachteten Aufgabenbereichen ergeben sich zusätzliche Kosten aufgrund von Doppelstrukturen und Stellenüberhängen, die durch die Auskreisung bedingt wären. Darüber hinaus würden der Stadt Hanau signifikante Sach- und Investitionskosten in noch nicht abschätzbarer Höhe entstehen, um die Einrichtung und Ausstattung der neu gegründe- ten Ämter nach der Auskreisung tragen zu können. Auch für den Main-Kinzig-Kreis entste- hen einmalige Sachkosten, deren Höhe zum heutigen Zeitpunkt noch nicht beurteilt werden kann. Erwartet werden signifikante Kosten für die Trennung von Fachämtern, die Vereinba- rung von Sozialplänen sowie für die Aushandlung von Vermögenstrennung und Finanzbe- ziehungen, sowohl für den Main-Kinzig-Kreis als auch die Stadt Hanau.

Wie erwartet entstehen durch eine Auskreisung in nahezu allen untersuchten Bereichen Mehrkosten durch den Aufbau von Doppelstrukturen, insbesondere hinsichtlich der Kos- ten für zusätzliches Leitungs- und Verwaltungspersonal. Durch zusätzliche (sprung-)fixe Kos- ten nehmen bei gleicher Fallzahl die Kosten pro Fall in beiden Verwaltungseinheiten zu. Durch den Aufbau personeller und organisatorischer Doppelstrukturen gehen zudem Syner- gieeffekte verloren. Im Ergebnis zeigt sich, dass die Verwaltungsbereiche beider Gebietskör- perschaften die Aufgaben allein weniger effizient und stellenweise weniger effektiv mit Aus- wirkungen auf die Qualität der Leistungserfüllung bearbeiten.

Durch eine Auskreisung entstünden zudem personelle Risiken für den Main-Kinzig-Kreis, da auf der einen Seite durch Abwerbungen zusätzliches Fachpersonal benötigt wird, auf der anderen Seite aber auch Doppelstrukturen beim Personal und Stellenüberhänge geschaffen 67 werden. Zum jetzigen Zeitpunkt ist noch nicht absehbar, welches Personal nach Hanau übergeht und welches beim Main-Kinzig-Kreis verbleibt. Nennenswerte Doppelstrukturen bei der personellen Ausstattung werden aus heutiger Sicht für das Gesundheitsamt, das Amt für Veterinärwesen und Verbraucherschutz sowie für die Führerscheinstelle erwartet.

Im überwiegenden Teil der Aufgabenbereiche reduzieren sich die Mitarbeiterinnen und Mit- arbeiter, und damit die Personal- und Verwaltungskosten nicht in derselben Größenordnung des Hanauer Anteils, sodass ein Risiko für Stellenüberhänge beim Main-Kinzig-Kreis besteht. (…)“

(S. 53 f. Auf den folgenden drei Seiten geht die Zusammenfassung nochmals recht detailliert auf die Konsequenzen einer Auskreisung für die untersuchen Aufgaben und Ämter des MKK ein und mündet in die) Zusammenfassende Bewertung der Chancen … für den MKK „Insgesamt wurden deutlich weniger Chancen für den Main-Kinzig-Kreis als Risiken identifi- ziert. Die wohl bedeutsamste Chance für den Main-Kinzig-Kreis besteht darin, dass die ten- denziell steigenden Sozialausgaben anteilig und absolut signifikant gesenkt werden könnten.8 Damit würde sich dauerhaft eine finanzielle Entlastungswirkung für den Haushalt des Main-Kinzig-Kreises einstellen. Der Landkreis würde mit einer Auskreisung der Stadt Hanau die Finanzierung von Sozialtransfers (Steueraufkommen und Umlagen) aus den Ge- meinden des übrigen Kreises in Richtung der Stadt Hanau deutlich reduzieren. Ohne den überdurchschnittlichen Bedarf der Stadt Hanau (Anteil der Fälle bzw. Ausgaben zwischen 35 und 40 %) könnten die jährlichen Nettosozialausgaben des Main-Kinzig-Kreises um rund 50 bis 60 Mio. Euro entlastet werden.

Über die verschiedenen untersuchten Aufgabenbereiche hinweg wurde festgestellt, dass die Chancen und Risiken für die Bürgerorientierung (Servicequalität) bestimmter Verwaltungs- leistungen ausgeglichen waren. Es besteht jedoch zumindest kurz nach der Auskreisung das Potenzial, dass sich durch etwaige Stellenüberhänge beim Personal die Bürgerorientie- rung im Main-Kinzig-Kreis zunächst positiv entwickelt (durch die sinkende Anzahl an Fällen pro VZÄ). Auf der anderen Seite haben Stellenüberhänge aber auch ihren Preis, da damit eine allgemein verringerte Effizienz in der Aufgabenwahrnehmung einhergeht und die Per- sonalkosten finanziert werden müssen. Im Falle einer Auflösung von Außenstellen des Main- Kinzig-Kreises in der Stadt Hanau können die Bürgerinnen und Bürger des Main-Kinzig-Kreis aus den Umlandgemeinden jedoch auch nachteilig betroffen sein.

Bei der Untersuchung der Chancen und Risiken für den Main-Kinzig-Kreis in der Annahme einer Auskreisung zeigt sich im Gesamtbild, dass der Landkreis Main-Kinzig-Kreis auch ohne die Stadt Hanau gut aufgestellt, leistungsfähig und zukunftsfähig ist. Mit über 320.000 Einwohnern würde der übrige Main-Kinzig-Kreis neben dem Landkreis Offenbach (350.000 EW) den zweitgrößten Landkreis in Hessen darstellen. Sowohl bei der Bevölke- rungsentwicklung als auch bei der wirtschaftlichen Entwicklung zeigt die Tendenz für den Main-Kinzig-Kreis nach oben.

Darüber hinaus besteht eine zusätzliche Chance für den Main-Kinzig-Kreis darin, dass durch Verschiebungen in der Aufgabenwahrnehmung mittlere Städte und ländliche Gemeinden noch stärker in den Fokus genommen werden können, wenn urbane und soziale Problemla- gen wegfallen. Somit wäre eine Stärkung der mittleren Städte und der kleineren Ge- meinden des suburbanen und ländlichen Raums möglich.

Letztlich sind der Main-Kinzig-Kreis und die Stadt Hanau beide gemeinsam in der Metropol- region Frankfurt/Rhein-Main eingebunden. Auch die Stadt Hanau ist stark über Pendlerbe- ziehungen auf die Stadt Frankfurt und den Kernballungsraum der Metropolregion ausgerich-

8 Fettungen durch die Autoren 68 tet. Die Stadt Hanau ist jedoch nur eins von mehreren Teilzentren der Metropolregion Frank- furt/Rhein-Main. Durch eine Auskreisung könnte das Gewicht von zwei starken Partnern (Main-Kinzig-Kreis und Stadt Hanau) im Osten der Metropolregion Frankfurt/Rhein-Main mit einer gemeinsamen Stimme weiter gestärkt werden.“ (S. 58)

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Anhang Ergänzend zu den Zusammenfassungen der Gutachten fügen wir wesentliche Elemente der Diskussionen unserer Vollversammlungsmitglieder mit den Vertretern der Stadt Hanau, Oberbürgermeister Klaus Kaminsky, und des Landkreises, Landrat Thorsten Stolz, in unse- ren Gremien bei sowie die Pressemeldung unserer IHK zur finalen Bewertung der Vollver- sammlung über die Kreisfreiheit/Auskreisung.

Zusammenfassung Diskussion OB Kaminsky in der VV 06.12.2019 Fragenkatalog durch Vollversammlungsmitglieder zusammengestellt. 1. Welcher Aufwand ist mit der Kreisfreiheit verbunden? 2. Welche Chancen hat (aus Sicht der Stadt Hanau), der MKK nach der Auskreisung? 3. Wann ist die Idee der Kreisfreiheit entstanden? 4. Welche Ängste entstehen bei der Kreisfreiheit (KF)? 5. Wie schafft man es, keine Verlierer zu haben? 6. Wie sieht die künftige Zusammenarbeit zwischen Stadt und Land aus? 7. Gibt es ein neues Gründerzentrum? 8. Gibt es Vorteile für den Wohnungsbau durch die KF? 9. Welche Aufgaben kommen und kann Hanau diese bewältigen? 10. Was muss eine Gemeinde befürchten durch die KF Hanaus? 11. Konsequenzen der KF für Großkrotzenburg?

Bei der Beantwortung der Fragen ging der Oberbürgermeister (OB), Claus Kaminsky, nicht chronologisch vor, sondern themenbezogen. Nach seiner Reihenfolge werden die Fragen in vorliegender Zusammenfassung auch aufgearbeitet.

3. Frage: Wann ist die Idee der Kreisfreiheit entstanden? Die Diskussion zur Kreisfreiheit wird schon seit längerem sehr emotional geführt, vor allem weil Hanau zu wenig Kompetenzen und Selbstbestimmung zugestanden werden. Außerdem existiert in ganz Deutschland nur eine weitere Stadt, die weder KF noch Kreissitz ist (Stadt Moers). Somit ist die Kreisfreiheit ein Schritt, der mit dem Streben nach Normalität begründet wird, da der Status Quo Hanaus eine exotische Sondersituation ist. Aber auch der stark divergierende Themenfokus des Main-Kinzig-Kreises und der Stadt Ha- nau ist als weiterer Aspekt zu nennen. Darüber hinaus soll der Paragraph 4 a der Hessi- schen Gemeindeordnung dahingehend geändert werden, dass Städte über einer Bevölke- rungszahl von 100.000 Einwohnern die Option zur Kreisfreiheit haben. Der OB argumentiert, dass die Einwohnerzahl noch erheblich ansteigen wird, wenn die geplanten Wohnbauprojek- te Hanaus abgeschlossen sind.

4. Frage: Welche Ängste entstehen bei der KF? Es soll nicht das Ziel der KF sein, die verbleibenden Kommunen des Main-Kinzig-Kreises auszubeuten. Es gab sogar schon wirtschaftliche Krisenzeiten, in denen die Stadt Hanau finanziell vom Kreis abhängig gewesen ist. Nun will Hanau sich selbst verwalten und der Kreis stellt sich dem entgegen. Aus Sicht des OBs ist aber : je besser es Hanau geht, desto besser geht es der Region. Der Osten Frankfurts ist nämlich die Region, die in Zukunft vom Wachstum des Ballungsraumes profitieren wird, deshalb braucht es einen star- ken Partner auf Augenhöhe, um eine vorteilhaftere Verhandlungsposition zu schaffen. Die- ses Argument unterstützt der OB mit der Formulierung er sei Regionalpolitiker und kein Kreispolitiker.

2. Frage: Welche Chancen hat (aus Sicht der Stadt Hanau), der MKK nach der Auskreisung? Der Handlungsraum des Regionalverbandes Frankfurt RheinMain muss sich entlang der A66 ausweiten. Dann gäbe es im Osten von Frankfurt zwei starke Partner.

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Außerdem hätte der Kreis die Möglichkeit, sich auf die Aufgaben von Städten und Gemein- den im ländlichen Raum zu konzentrieren. Hanau hätte die Möglichkeit Sozial- und Arbeitsmarktpolitik einheitlich und selbstverwaltet zu gestalten. Auch hätte die KF Auswirkungen auf die Förderfähigkeit Hanaus, da die Stadt nun in Statistiken separat auftaucht und nicht mehr als Teil des MKK. Dieser Aspekt hätte eine besondere Bedeutung für die „statistische Wahrnehmbarkeit“ Hanaus. Bezüglich der unter- schiedlichen Interessen zählte der OB den Eintritt Hanaus in den Kulturfonds der Metropol- region auf und Hanau als Gründungsmitglied in der Kulturregion: Zwei Aktivitäten, die so nicht vom MKK unternommen wurden.

11. Frage: Konsequenzen der KF für Großkrotzenburg? Die Gemeinde selbst muss entscheiden, in welchem Ausmaß und in welcher Form sie mit Hanau zusammenarbeiten will.

1. Frage: Welcher Aufwand ist mit der Kreisfreiheit verbunden? Es muss noch ermittelt werden, welcher personelle und finanzielle Aufwand auf die Stadt Hanau zukommt. Zum jetzigen Zeitpunkt kann das noch nicht klar beziffert werden.

8. Frage: Gibt es Vorteile für den Wohnungsbau durch die KF? Mehr Bauaktivität als jetzt wird es auch nach der Auskreisung Hanaus in der Stadt nicht ge- ben. Zusammenfassung Diskussion Landrat Stolz in der VV 09.03.2020

Fragenkatalog der Vollversammlungsmitglieder in der Diskussion mit dem Landrat: 1. Könnte die Auskreisung verhindert werden, wenn der Kreissitz erneut in Hanau ange- siedelt wäre? 2. Wie ist Ihre grundsätzliche Meinung zum Thema Auskreisung? 3. Ist der Kreis leistungsfähiger mit oder ohne die Sonderstatusstadt Hanau? 4. Was sind die finanziellen Auswirkungen der Kreisfreiheit (KF)? 5. Wie verändert sich die finanzielle Situation der 28 im MKK verbleibenden Gemeinden? 6. Wird der MKK durch die Auskreisung zerrissen? 7. Wie wird die Wirtschaftsförderung ohne die Stadt Hanau weitergestaltet? 8. Welche Aufgaben nimmt der Kreis für die Stadt Hanau wahr? 9. Wie kam es zur Terminverschiebung der Auskreisung auf den 01.01.2022 10. Wann ist mit belastbaren Zahlen hinsichtlich der Einwohnerzahl Hanaus zu rechnen? 11. Existiert ein Konzept um die Servicefreundlichkeit zu verbessern?

Einige der o. g. Fragen wurden aus der Präsentation des Landrats heraus beantwortet. Zu den folgenden nahm er wie folgt Stellung:

1. Frage: Könnte die Auskreisung verhindert werden, wenn der Kreissitz erneut in Hanau angesiedelt wäre? Landrat Stolz geht nicht davon aus, dass die erneute Ansiedlung des Kreissitzes in Ha- nau die Diskussion um die KF beenden würde. Die Diskussion darum war vielleicht Aus- löser des Willens zur Kreisfreiheit, aber nicht die Ursache. Außerdem ist die Lokalisation des Kreissitzes in Gelnhausen, zentral im Main-Kinzig-Kreis (MKK) und optimal, um so- wohl den ländlichen Osten als auch den urbanisierten Westen gut zu erreichen. Zusätz- lich sind die Büros der Kreisverwaltung im Stadtgebiet von Gelnhausen verteilt, es wäre mit großem finanziellem und organisatorischem Aufwand verbunden, den Kreissitz zu verlegen. Allerdings gibt Herr Stolz zu bedenken, dass aufgrund der hohen Besucher- frequenz einige Bereiche der Kreisverwaltung mittelfristig in Hanau verbleiben werden,

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z. B. die Zulassungsstelle, das Kommunale Center für Arbeit (KCA) sowie die Kreisver- kehrsgesellschaft Main-Kinzig (KVG). Langfristig werden diese Bereiche dann bei einer KF Hanaus in den Westkreis verlegt.

2. Frage: Wie ist Ihre grundsätzliche Meinung zum Thema Auskreisung? Für die KF Hanaus gibt es keine sachliche Notwendigkeit. Es wird dadurch kein Mehrwert für den einzelnen Bürger erreicht. Der Plan dazu steht auch dem aktuellen Trend vieler Körperschaften entgegen, zu kooperieren oder zu fusionieren, statt sich aufzuspalten. Das finanzielle Risiko ist aktuell für Hanau nicht absehbar, der Landrat stellt allerdings klar: Hanau muss es selbst tragen. Ziel sollte es sein, einen Interessenausgleich sowohl personell als auch finanziell zwischen Landkreis und Stadt zu erreichen. Generell muss aber betont werden, die aktuelle Diskussion dreht sich um eine Verwaltungsreform und nicht um Investitionen oder eine Finanzreformen.

3. Frage: Ist der Kreis leistungsfähiger mit oder ohne die Sonderstatusstadt Hanau? Der MKK ist das Spiegelbild Hessens auf der Ebene eines Landkreises. Er verbindet ur- bane Gebiete mit dem ländlichen Raum. Daher wird sich der Landkreis nach einer KF Hanaus darauf konzentrieren, neue Gewerbe- und Baugebiete zu fördern, den ländli- chen Raum gezielt zu unterstützen sowie den Breitbandausbau weiter zu forcieren. Grundsätzlich ist aus dem Prognos-Gutachten abzulesen, dass die 28 Städte und Ge- meinden im MKK sich positiver entwickeln als Hanau. Das ist insbesondere an der Be- schäftigungsentwicklung abzulesen wie an der Ansiedlung von großen Unternehmen entlang der Entwicklungsachse A66. Der Status Hanaus als wirtschaftlicher Motor des MKK wird dadurch relativiert. Zusätzlich trägt die Stadt Hanau mit ihrer im Vergleich zu den anderen 28 Kommunen sehr hohen Arbeitslosenquote ein viel höheres Risiko bei einer KF als der MKK. Daraus leitet Landrat Stolz ab, dass Hanau zurzeit von seiner Mitgliedschaft im MKK profitiert.

4. Frage: Was sind die finanziellen Auswirkungen der Kreisfreiheit (KF)? Insgesamt werden sich die Kosten sowohl für die Stadt Hanau als auch für den Kreis er- höhen. Der Landrat differenziert dieses Aussage dahingehend, dass sich in Hanau in fast allen Bereichen die Kosten erhöhen werden und im MKK nur punktuell. Um eine ab- schließende Aussage zu diesem Thema treffen zu können, werden die Schlüsselzuwei- sungen des Kommunalen Finanzausgleichs des Landes Hessen benötigt. Da die Schlüs- selzuweisungen aber noch nicht einmal als Modellrechnung bestimmt sind, kann diese Frage noch nicht abschließend beantwortet werden. Klar ist: wenn die Schlüsselzuwei- sungen sinken, müssen andere Finanzressourcen genutzt werden, was die Wahrschein- lichkeit von Steuererhöhungen steigert.

7. Frage: Wie wird die Wirtschaftsförderung ohne die Stadt Hanau weitergestaltet? Derzeit ist die wirtschaftliche Ausgangslage für den MKK vorteilhaft, denn anders als Ha- nau hat der MKK noch größere Flächen für Gewerbe- und Bauprojekte zu vergeben. Hier kommt es nach Einschätzung des Landrats zu einem fairen und ausgeglichenen Wett- bewerb um Unternehmen und Einwohner. Allerdings kann im Gegensatz zur Stadt Hanau der Landkreis bei Angelegenheiten der Wirtschaftsförderung nur unterstützen, denn der Landkreis verfügt im Gegensatz zu Städten und Gemeinden über keine eigenen Freiflä- chen. Er kann aber kreisweite Projekte fördern wie den Glasfaserausbau.

9. Frage: Wie kam es zur Terminverschiebung der Auskreisung auf den 01.01.2022? Die Terminverschiebung für die Auskreisung Hanaus resultiert aus der Gefahr, dass die Stadt Hanau zum Stichtag 01.04.2021 die 100.000 Einwohner nicht erreicht. Das neuge- schaffene Gesetz des Landes Hessen, wonach eine Stadt KF werden kann, wenn die

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Einwohnerzahl die 100.000 Personen überschreitet, setzt dies allerdings voraus. Die gül- tigen Einwohnerzahlen sind die des Hessischen Statistischen Landesamtes, die Erhe- bungen der Stadt Hanau haben hier keine Gültigkeit.

Pressemeldung der IHK vom 10.03.2020: IHK spricht sich für Verbleib Hanaus im MKK aus

Mit einer deutlichen Mehrheit von 72 Prozent hat sich die Vollversammlung der Industrie- und Handelskammer (IHK) Hanau-Gelnhausen-Schlüchtern auf ihrer Sitzung am Montag- abend dafür ausgesprochen, dass Hanau Teil des Main-Kinzig-Kreises bleibt. Für eine Kreis- freiheit votierten im Parlament der regionalen Unternehmer 17 Prozent, die restlichen Mit- glieder enthielten sich. Die Befürworter und Gegner der Auskreisung waren sich einig, dass es für ihr jeweiliges Urteil vor allem darauf ankam, wie man die voraussichtlichen Kosten und den zu erwartenden Nutzen für das Gemeinwohl gewichtet. Weitgehende Einigkeit bestand auch in der Bewertung, dass die Kreisfreiheit insbesondere für Hanau den Vorteil böte, sich öffentlich besser positionieren zu können.

An der Abstimmung nahmen 29 anwesende Mitglieder der 40-köpfigen Vollversammlung teil. Voraus gegangen war eine intensive Auseinandersetzung mit der Absicht der Stadt Hanau, den Main-Kinzig-Kreis zu verlassen. Dahinter steht die Überzeugung, dass Veränderungen in Verwaltungsstrukturen, ihren Kosten und ihrer Finanzierung Auswirkungen auf die Attrakti- vität des Wirtschaftsstandorts haben werden und damit das Gesamtinteresse der Wirtschaft unmittelbar berühren. Deshalb hatten sich die Mitglieder der IHK-Vollversammlung seit De- zember 2018 in insgesamt fünf Sitzungen mit dem Thema auseinander gesetzt. Höhepunkte waren der Gedankenaustausch mit Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky am 4. De- zember des vergangenen Jahres und am vergangenen Montag eine zweieinhalbstündige Diskussion mit Landrat Thorsten Stolz.

Im Zentrum der nüchtern und sachlich geführten Diskussionen standen sowohl die Chancen als auch die Risiken einer Auskreisung Hanaus. Bei den Chancen ragten zwei Argumente heraus: Ein kreisfreies Hanau kann sich viel besser gegenüber Investoren präsentieren und ein Main-Kinzig-Kreis ohne Hanau kann sich deutlich stärker auf die Entwicklung des ländli- chen Raums am Rande der prosperierenden Metropolregion FranfurtRheinMain konzentrie- ren. Die Mitglieder der Vollversammlung hatten sich im Laufe ihrer Beratungen auch mit den verschiedenen Gutachten zum Thema auseinander gesetzt. Viele von ihnen leiteten daraus ab, dass durch eine Aufsplittung der Aufgaben des Sozialamts sowie des Kommunalen Cen- ters für Arbeit insgesamt mehr Personal als bisher benötigt werden wird. Auch wenn dies teilweise zu einer besseren Betreuung der Betroffenen und zu einer Reduzierung der Lang- zeitarbeitslosigkeit in Hanau führen kann, fürchteten die meisten Vollversammlungsmitglieder die dadurch zu erwartenden Mehrkosten, die insbesondere in Zeiten einer sich eintrübenden Konjunktur durch Steuererhöhungen zu finanzieren wären. Da die Unternehmen über die Gewerbe- und Grundsteuern die kommunalen Haushalte maßgeblich finanzieren, drohen durch ein kreisfreies Hanau Steuererhöhungen, welche ihrerseits die Kosten der Unterneh- men steigen lassen, was wiederum Wettbewerbsnachteile mit sich bringen würde. Allseits bedauert wurde, dass es der Landesregierung bisher nicht möglich ist, eine belastbare Prog- nose über die aus einer Auskreisung resultierenden Änderungen im Kommunalen Finanz- ausgleich vorzulegen. Denn dieser stellt eine weitere wichtige Finanzierungsquelle aller Ge- bietskörperschaften dar.

IHK-Präsident Dr. Norbert Reichhold fasste das Ergebnis der Diskussionen und der Abstim- mung zusammen: „Der Zug in Richtung Kreisfreiheit Hanaus ist zwar abgefahren, aber noch lange nicht im Bahnhof angekommen. Unsere Vollversammlung hat sich mit dieser Verwal- tungsangelegenheit sehr gründlich auseinander gesetzt. Das zeigt sich unter anderem da- ran, dass manche Hanauer Unternehmer für einen Verbleib des Oberzentrums im Landkreis 73 votierten und dass manche Unternehmer aus dem Raum Gelnhausen und Schlüchtern für Hanaus Kreisfreiheit stimmten. Es wird Aufgabe des Hessischen Landtags sein, die Folgen für das Gemeinwohl abzuwägen. Ich bin mir sicher, dass die Stimme der Wirtschaft gehört werden wird. Die Vollversammlung steht für einen Dialog bereit.“

Hanau, 19.11.2019, überarbeitet am 12.02.2020 und am 10.03.2020

Q D:\IHK Hanau\Kommunen im MKK\Hanau\Kreisfreiheit Hanau\Raum im Wandel - ZusFas Q.docx

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