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Informationen zur Raumentwicklung Heft 5/6.2012 243

Martin Haag im – nachhaltige Babette Köhler Stadtentwicklung mit Tradition und Zukunft

1 Ausgangslage und Voraussetzungen Abbildung 1 der nachhaltigen Stadtentwicklung Fünffingerplan der Stadt Freiburg i. Br., 1985 in Freiburg

Die Stadt Freiburg im Breisgau ist zwar vergleichsweise klein. Trotzdem ist sie ein national und international viel beachtetes Beispiel für eine ehrgeizige kommunale Umwelt- und Energiepolitik und eine kon- sequent nachhaltige Stadtentwicklung – nicht erst seit der Verleihung des Titels „Bundeshauptstadt im Klimaschutz 2010“ durch die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Die Stadt ist in vieler Hinsicht ein Labor für urbane Innovationen, die hier entwickelt und erprobt werden. Als ein Prototyp der europäischen Stadt wurde sie von der bri- tischen Academy of Urbanism für vorbild- liche Stadtplanung als „European City of Quelle: Stadtplanungsamt Freiburg i. Br. the Year 2010“ ausgezeichnet. Wie kam es zu dieser besonderen Entwicklung gerade Standortgunst wurde schon früh erkannt in Freiburg und welche Faktoren tragen zu und ausgiebig genutzt: Sowohl absolut als dieser Sonderstellung der Stadt bei? auch relativ zur Bevölkerungszahl zählt Freiburg hinsichtlich der Solarenergienut- Größe, Lage und naturräumliche zung mit derzeit etwa 15,8 MW installierter Voraussetzungen Leistung und einer Jahresproduktion von Das Oberzentrum der Region Oberrhein cirka 14 Mio. KWh Solarstrom zu den füh- 1 mit einem Bevölkerungsstand von über renden Städten in Deutschland. 225 000 im 3. Quartal 2011 (Statistisches Landesamt BW) umfasst 15 306 ha Fläche Stadtstrukturelle Voraussetzungen mit einem Höhenunterschied von über Freiburg zeichnet sich bis heute vor allem 1 000 m im Übergang zwischen Rheinebe- durch eine kompakte Stadtstruktur aus. ne und Schwarzwald. Wälder nehmen mit Ursächlich hierfür sind die Freiräume, die 6 400 ha einen großen Teil des Stadtgebiets die Stadt umgeben und durchdringen. Sie ein. Die Vielfalt, der Umfang und die hohe bilden die natürlichen Gegebenheiten der Qualität der naturnahen Kulturlandschaf- ursprünglichen Landschaft ab, die eine ten Freiburgs drücken sich auch darin aus, Überbauung der steilen Hanglagen und der dass etwa die Hälfte des Stadtgebiets unter überschwemmungsgefährdeten Flussnie- Natur- oder Landschaftsschutz steht, wäh- derung sowie des sumpfigen Mooswaldes rend die Siedlungs- und Verkehrsfläche verhinderten. Nur in dem Teil des Stadt- mit 4 878 ha weniger als ein Drittel der Flä- gebiets, der für eine Besiedlung günstige che einnimmt. Die umgebende attraktive Voraussetzungen bot, hat sich die Stadt Landschaft ist vielfältiger Naturraum, bietet Freiburg ausgehend vom mittelalterlichen Raum für zahlreiche Erholungs- und Frei- Stadtkern sehr kompakt entwickelt und Prof. Dr. Martin Haag zeitfunktionen und ist damit eine wichtige Dipl.-Ing. Babette Köhler ist bis heute durch natürliche Zäsuren wie Grundlage für die hohe Lebensqualität in Stadt Freiburg i. Br. die Dreisamaue und Strukturen wie die di- Technisches Rathaus Freiburg. rekt an die grenzenden Steilhänge Fehrenbachallee 12 Freiburg ist mit über 1 800 Sonnenschein- des Schwarzwaldes klar gegliedert. Im 20. 79106 Freiburg i. Br. E-Mail: martin.haag@ Jahrhundert wurde durch den technischen stunden pro Jahr und einer jährlichen Ein- stadt.freiburg.de 2 strahlung von 1 117 KW/m eine der son- Fortschritt zwar die Erschließung auch die- babette.koehler@ nenreichsten Städte Deutschlands. Diese ser Landschaftsteile machbar, gleichzeitig stadt.freiburg.de Martin Haag, Babette Köhler: 244 Freiburg im Breisgau – nachhaltige Stadtentwicklung mit Tradition und Zukunft

wuchs jedoch das Bewusstsein für den Wert Wirtschaftliche, gesellschaftliche und soziale siedlungsnaher Freiräume. So konnte der Voraussetzungen größte Teil dieser Bereiche vor einer Besied- Die Voraussetzungen der Stadt Freiburg i. Br. lung bewahrt und in ein Grünkonzept ein- für die Erreichung ehrgeiziger Nachhaltig- gegliedert werden, das 1985 als „Fünffinger- keits- und Klimaschutzziele sind nicht nur plan“ Form annahm. naturräumlich, geoklimatisch und stadt- Die innere Struktur von Freiburg bildet das strukturell, sondern auch hinsichtlich der vielschichtige Gefüge der Stadtgesellschaft wirtschaftlichen und gesellschaftlichen ab und ist gleichzeitig gebaute Geschich- Rahmenbedingungen nahezu optimal. te. In den meisten europäischen Städten Freiburg war und ist kein ausgeprägter In- gehört dazu auch die einschneidende dustriestandort, vielmehr dominieren mit Umformung des Stadtsystems durch die rund drei Vierteln aller Arbeitsplätze die Industrialisierung und die Motorisierung Dienstleistungen. Solar-, Umwelt- und Bio- des Verkehrs. Im Wiederaufbau nach dem technologien sind mit cirka 12 000 Arbeits- 2. Weltkrieg war die „autogerechte Stadt“ plätzen wesentliche Wirtschaftsfaktoren in mit klar getrennten Funktionsbereichen in der Stadt. Auch im internationalen Wettbe- ganz Europa ein explizites und populäres werb behauptet die Stadt Freiburg in diesen Leitbild der Stadtplanung. Die Dominanz Branchen eine bedeutende Position als Ver- des motorisierten Verkehrs sowie die funk- anstalterin und Gastgeberin nationaler und tionale und soziale Entmischung prägten internationaler Messen und Konferenzen die Städte und sind heute stadtstrukturell wie der Intersolar (München, San Francis- die Haupthemmnisse für einen klimawan- co, Peking, Mumbai), der Local Renewables, delgerechten Stadtumbau. Zwar sind an der Solar Summits und der Gebäude.Ener- einigen Stellen Freiburgs auch die oben gie.Technik (GETEC).2 genannten Leitbilder der Stadtplanung der Der Bildungsgrad der Bürgerschaft ist ins- Nachkriegszeit sichtbar, im Wesentlichen gesamt hoch, die Stadt verfügt als Universi- wurden aber in dieser Hinsicht die Weichen täts- Hochschul- und Wissenschaftsstand- nach dem 2. Weltkrieg richtig gestellt: An- ort über ein hohes intellektuelles Potenzial ders als viele ebenso stark zerstörte deut- in der Bürgerschaft und ein entsprechend sche Städte nutzte die Freiburger Stadtpla- hohes Innovationspotenzial. Die Nachhal- nung die „Stunde Null“ nicht zur radikalen tigkeitsziele der Stadt werden von einem Umformung der Stadtstrukturen, sondern breiten politischen und gesellschaftlichen knüpfte mit einem bestandsorientierten Konsens getragen, der auch historische und geschichtsbewussten Ansatz im Wie- Wurzeln hat: In den 1970er Jahren gelang deraufbau an die gewachsenen Strukturen es in der Region Freiburg einer breiten Ko- und Dimensionen der mittelalterlichen alition aus Anti-Kernkraft-Gruppen, betrof- Stadt an. fenen Landwirten, Studierenden und dem Seither ist Freiburg in mehreren Schüben wertkonservativen Freiburger Bürgertum, deutlich gewachsen und wächst dank an- den geplanten Bau des Atomkraftwerks im haltender groß- und kleinräumiger Wan- nahegelegenen Wyhl zu verhindern. Teile derungsgewinne im Gegensatz zu vielen dieser neuen Gruppierung engagierten sich anderen deutschen Städten trotz des demo- in der Folge für einen positiven Gegenent- (1) Zahlen und Daten in diesem graphischen Wandels bis heute. Das anhal- wurf zur Atomkraftnutzung, beispielsweise Artikel sind, soweit nicht an- tende Bevölkerungswachstum trägt neben durch die Entwicklung und Erprobung von ders gekennzeichnet, der Techniken zur Nutzung erneuerbarer Ener- Online-Statistik der Stadt Frei- dem ungebremsten Anstieg des individu- burg „FR_ITZ“ – Freiburg_In- ellen Wohnflächenbedarfs zum Wachstum gieträger. Freiburg und die Region wurden formationen, Tabellen, Zahlen so ab den 1980er Jahren zum Geburtsort – entnommen: www.freiburg. der Siedlungsfläche Freiburgs und zur zu- de/servlet/PB/menu/1147928/ nehmenden Verdichtung der Stadt bei. und Zentrum der neu entstehenden Um- index.html. weltbewegung, deren Ideale in der Frei- Im Hinblick auf die wachsenden Anfor- (2) burger Stadtgesellschaft bis heute lebendig Das Freiburg-Green City-Portal derungen aus dem Klimaschutz bietet die sind. der Freiburger Wirtschaftsför- kompakte, gegliederte Stadtstruktur Frei- derung informiert unter www. fwtm.freiburg.de/servlet/PB/ burgs günstige Voraussetzungen für die menu/1182949_l1/index.html Rea­lisierung des Leitbilds einer Stadt der über den Standort Freiburg ins- besondere für umweltbezogene kurzen Wege – Kerngedanke der nachhalti- Branchen. gen und klimagerechten Stadtentwicklung. Informationen zur Raumentwicklung Heft 5/6.2012 245

2 Ziele und Strategien der klima- Zielvorgaben und Weichenstellungen der gerechten Stadtentwicklung in Freiburger Energie- und Klimapolitik Freiburg Der Schwerpunkt der Freiburger Klima- schutzpolitik ist die Energieeinsparung. Strategie der Stadt Freiburg im Klimaschutz Jede Kilowattstunde Energie verursacht bei ihrer Erzeugung, ihrer Umwandlung und Trotz des großen Umweltbewusstseins und ihrem Transport Kosten, Umweltbelastun- des ausgeprägten politischen Willens waren gen und Treibhausgasemissionen – selbst durchschlagende Erfolge bei der Reduktion wenn die Energiequelle regenerativ ist. Da- von Treibhausgasemissionen in Freiburg her genießt die Reduzierung des Energie- kaum erreichbar. Während industriell ge- bedarfs in Freiburg Priorität, ob in der Op- prägte Städte allein durch die Umstellung timierung der Wärmedämmung und der eines einzigen großen Kraftwerks auf rege- Dichtigkeit von Gebäuden, in der Reduzie- nerative Energieträger oder die Verlagerung rung des Verkehrsaufkommens oder bei der von energieintensiven Produktionszweigen Reduzierung von Energieverlusten bei der eines Industriebetriebs in andere Länder3 Energieerzeugung, Verteilung und Bereit- ihre Treibhausgasemissionen auf einen stellung. In zweiter Linie soll der dann noch Schlag massiv verringern können, startet verbleibende Energiebedarf möglichst effi- die Stadt Freiburg bereits auf niedrigem zient und regenerativ gedeckt werden. Level. Entsprechend erringt sie Erfolge nur durch einen ganzheitlichen, alle gesell- Der Freiburger Gemeinderat hat bereits schaftlichen und wirtschaftlichen Bereiche 1986 mit dem Energieversorgungskonzept umfassenden Ansatz. neben dem Ausstieg aus der Atomenergie eine politische Schwerpunktsetzung für Eben dieser ganzheitliche Ansatz wur- den Ressourcenschutz und die Reduzierung de 2010 von der Deutschen Umwelthilfe der Emissionen als Beitrag zum globalen (DUH) mit dem Titel „Bundeshauptstadt im Klimaschutz beschlossen. 1996 folgte mit Klimaschutz“ honoriert: „Es ist diese ent- dem Klimaschutzkonzept als konkrete Ziel- schlossene Konsequenz und Glaubwürdig- setzung die Reduktion der CO -Emissionen keit, die sich in Freiburg sowohl in den gro- 2 um 25 % bis 2010. 2007 schließlich wurde ßen politischen Auseinandersetzungen, als auf der Basis einer Expertise des Öko-Ins- auch in den Details kleinerer Projekte wi- tituts Freiburg als Klimaschutzziel die Re- derspiegelt und den Klimaschutz dadurch duktion der CO -Emissionen in Freiburg vielleicht noch ein klein wenig erfolgreicher 2 um mindestens 40 % bis 2030 (Basisjahr werden lässt als andernorts“ (DUH 2010). 1992) beschlossen.4 Ab 2008 müssen dazu Die Stadt Feiburg erreichte als einzige Teil- die CO -Emissionen in Freiburg jährlich um nehmerin in allen abgefragten Themenbe- 2 mindestens 1,5 % reduziert werden. Die ak- reichen – Energiesparen, Energieerzeugung, tuelle Klimaschutzbilanz zeigt für die Jah- Green IT, Verkehr, Siedlungsgestaltung und re 2008 und 2009 bereits einen jährlichen Öffentlichkeitsarbeit – die Spitzengruppe­ Rückgang der CO -Emissionen in Freiburg des 73 Kommunen umfassenden Teilneh- 2 um cirka 2,3 % gegenüber 2007 (Umwelt- merfeldes und überzeugte die Jury der schutzamt Freiburg 2011). DUH mit der Breite ihrer kommunalen Kli- maschutzaktivitäten. 2011 hat die Stadt Freiburg mit dem Öko- Institut eine Strategie zur Erreichung der Der in Freiburg beschrittene ganzheitliche Klimaneutralität der Stadt Freiburg bis 2050 Weg erfordert große Anstrengungen sowie erarbeitet. Diese zeigt auf, wie die politi- einen langen Atem und hält keine schnel- (3) schen Klimaschutzziele der Stadt weiterent- Diese Veränderungen sind zwar len, spektakulären Erfolge bereit. Er führt wickelt werden können (Öko-Institut 2011). für das Weltklima irrelevant, aber umso nachhaltiger zum Ziel. So konn- tragen aber oftmals nicht un- te von 1992 bis 2009 die jährliche Pro-Kopf- erheblich zur Erreichung von Freiburger Strategien zur Anpassung an den „Klimaschutzzielen“ bei. Emission an CO2 in allen betrachteten Be- Klimawandel (4) reichen (Verkehr, Industrie, Haushalt und Informationen zur Energie- und Gewerbe) von 10,72 auf 7,97 t CO2 deutlich Die klimagerechte Stadtentwicklung der Klimaschutzpolitik der Stadt Stadt Freiburg beschränkt sich nicht nur auf Freiburg unter www.freiburg.de/ gesenkt werden, das sind über 25 % (Um- servlet/PB/menu/1173333_l1/ weltschutzamt Freiburg 2011). den Klimaschutz. Der Klimawandel kann index.html Martin Haag, Babette Köhler: 246 Freiburg im Breisgau – nachhaltige Stadtentwicklung mit Tradition und Zukunft

nicht mehr verhindert, allenfalls durch 3 Methoden und Instrumente für große globale Anstrengungen verlangsamt einen klimagerechten Stadtumbau werden. Seine Folgen werden bereits heute zunehmend spürbar. Großstädte wie Frei- Leitbild der Freiburger Stadtentwicklung burg sind durch die negativen Folgen des ist die „Stadt der kurzen Wege“, und das Klimawandels in besonderer Weise betrof- bereits seit dem Aufkommen des Begriffs fen. Zum einen sind hier viele Menschen Anfang der 1980er Jahre. Dieses in der städ- und erhebliche Vermögenswerte konzen- tebaulichen Praxis immer nur partiell reali- triert, so dass klimatische Veränderungen sierbare Ideal beinhaltet, dass jeder Mensch ein großes Schadenspotenzial entfalten sich seine täglichen Bedürfnisse (Wohnen können. Zum anderen werden die meisten und Arbeiten, Versorgung und Dienstleis- klimatischen Veränderungen durch die be- tungen, Freizeit- und Bildungsangebote, sonderen Eigenschaften des urbanen Um- Sozialkontakte und Kommunikation) in un- felds in ihrer Wirkung weiter verstärkt. Dies mittelbarer Nähe zueinander erfüllen kann. gilt für Freiburg in besonderem Maße, weil Die Stadt der kurzen Wege taugt in vieler es durch seine Lage im wärmebegünstigten Hinsicht auch als Leitbild der klimagerech- Oberrheingraben mit häufigen austausch- ten Stadtentwicklung. Durch die räumliche armen Wetterlagen bereits hitzebelastet ist. Nähe aller notwendigen Lebensbereiche Neben den Klimaschutzbemühungen muss und Funktionen werden die Mobilität er- die Stadtentwicklung daher auch die Fol- leichtert, Wegezeiten deutlich reduziert und gen des Klimawandels in den Blick neh- es verbleibt mehr verfügbare Zeit in der ver- men. Für Freiburg wurde hier als zentrales trauten Umgebung des Quartiers. So kön- Handlungsfeld die steigende sommerliche nen die Identifikation mit dem Stadtquar- Hitzebelastung im urbanen Bereich ausge- tier als „erweitertes Zuhause“ gestärkt und macht. Daneben muss die Stadtentwick- das Mobilitätsbedürfnis gesenkt werden. lung jedoch auch auf die Zunahme von Die positiven Effekte für den Klimaschutz klimatischen Unregelmäßigkeiten und Ext- sind eine Reduzierung des motorisierten remereignissen, insbesondere lokale Stark­ Individualverkehrs in der Stadt sowie kom- regenereignisse reagieren. pakte, verdichtete und hinsichtlich der Nut- Das Freiburger Stadtquartier Vauban, eine zungen durchmischte Siedlungsstrukturen, militärische Konversionsfläche, die in den die durch eine intelligente Vernetzung be- 1990er Jahren zum neuen Stadtteil entwi- sonders sparsam und effizient mit Energie ckelt wurde, gilt mit seinen Grünschnei- versorgt werden können. Die Nutzungs- sen, die als Kaltluftentstehungsflächen mischung im Quartier bringt eine zeitli- und Luftleitbahnen für eine wirkungsvol- che Verstetigung des Energiebedarfs ohne le Durchlüftung des Stadtteils sorgen, als besonders ausgeprägte Spitzenlasten mit beispielhaft für eine klimawandelgerechte sich. Durch die zusätzliche Einbindung un- Stadtplanung. Hier konnte auch gezeigt terschiedlicher Verbrauchsprofile können werden, wie sich die Zielkonflikte zwischen dezentrale Anlagen zur Kraft-, Wärme- und Mitigations- und Adaptionsstrategie in ei- Kälteerzeugung optimal ausgelastet werden. nem urbanen Stadtquartier lösen lassen Die urbane Dichte reduziert den Leitungs- (Köhler 2008). aufwand und damit auch leitungsbedingte Verluste. Auf der Ebene der Gesamtstadt erfordert der Umgang mit den Folgen des Klimawan- Stadt der Stadtteile dels eine langfristig angelegte Strategie auf der Basis detaillierter und räumlich hoch Die Stärkung der dezentralen Entwicklung aufgelöster meteorologischer Daten. Mit überschaubarer, in sich funktionsfähiger der Stadtklimaanalyse 2003 hat die Stadt Einheiten ist ab einer bestimmten Stadtgrö- Freiburg daher die Grundlage für eine um- ße unabdingbar (Daseking/Köhler/Kem- fassende Berücksichtigung stadtklimati- nitz 2011). Aus den typischen Stadtquar- scher Belange im Flächennutzungsplan tieren der Freiburger Kernstadt können die 2020 gelegt. Kaltluftentstehungsgebiete und folgenden Näherungswerte für die Größe Luftleitbahnen wurden differenziert erfasst funktionsfähiger Einheiten innerhalb der und bewertet, um eine klimagerechte Stadt- Stadt abgeleitet werden: Auf einer besie- entwicklung mit dem Flächennutzungsplan delten Fläche von insgesamt etwa 0,7 bis vorzubereiten (Stadt Freiburg 2004). 1 km2 leben etwa 5 000 bis 8 000 Personen, Informationen zur Raumentwicklung Heft 5/6.2012 247

was je nach Urbanität des Stadtteils einer keit gewährleistet. Die Lenkung des Ein- Dichte zwischen cirka 60 und 100 Ew./ha zelhandels auf städtebaulich gewünschte Siedlungsfläche entspricht. Die Distanzen Flächen (Stadtteilzentren und Innenstadt) zwischen dem Wohnort und den zentralen bedeutet jedoch auch konfliktreiche Ent- Funktionsbereichen innerhalb des Quar- scheidungen gegen die Neuansiedlung oder tiers liegen in der Regel deutlich unter 1 km, Erweiterung großer Einzelhandelsbetriebe selbst zu Fuß sind solche Stadtquartiere in (ab 800 m2 Verkaufsfläche) in peripheren maximal einer Viertelstunde zu durchque- Lagen. Dafür werden Erzeugermärkte in ren. Räumliche Distanzen zwischen den den Stadtteilen aktiv gefördert, auf denen verschiedenen Funktionen werden weit- die landwirtschaftlichen Produkte der Re- möglichst minimiert. Dabei muss jedoch gion angeboten werden – wohnortnahe die Verträglichkeit der Nutzungen unter­ Versorgung mit regionalen Frischprodukten, einander (z. B. Schutz der Wohnbebauung die durch kurze Transportwege Emissionen vor Gewerbelärm) gewahrt bleiben. Das vermeiden. Ziel ist also keine totale Durchmischung, Insgesamt lassen sich nur durch eine lang- sondern eine optimale Körnung der Nut- fristig angelegte, in den Grundsätzen kon- zungen im Stadtquartier. sequente, in der Ausgestaltung jedoch auch Die Zunahme des Anteils älterer Menschen differenzierte und im Sinne der Nahversor- an der Stadtbevölkerung infolge des demo- gung flexible Einzelhandelspolitik die Ziele graphischen Wandels erfordert ein beson- der Flächeneinsparung, dezentraler Stadt- deres Augenmerk auf die nicht nur fußläu- teilzentren und der flächendeckenden Nah- fige, sondern auch möglichst barrierearme­ versorgung im gesamten Stadtgebiet errei- Erreichbarkeit aller lebensnotwendigen chen. Nur wenn all diese Facetten der Stadt Funktionen im Quartier. Der Wandel der der kurzen Wege betrachtet und realisiert Bevölkerungsstruktur im Hinblick auf die werden, kann das Konzept insgesamt funk- Altersstruktur wie auch die Zunahme der tionieren und spürbare Effekte nicht nur Ein- und Zweipersonenhaushalte erfordern für die Lebensqualität der Bewohnerschaft, Strategien zur sozialen Stabilisierung der sondern auch insgesamt auf die Klimabi- Stadtquartiere. Hierzu tragen die Vielfalt lanz der Stadt haben. des Wohn- und Arbeitsplatzangebots eben- Wie die Gesamtstadt sind im Idealfall auch so bei wie generationenübergreifende und die einzelnen Stadtteile in sozialer, ökono- gemeinschaftliche Wohn- und Arbeitspro- mischer und ökologischer Hinsicht funk- jekte. Sie sind Bausteine für lebendige tionierende lebendige Gemeinwesen mit Nachbarschaften und ein informelles sozi- individuellem Charakter. Hierzu wird der ales Netz im Stadtteil, das im Bedarfsfall an Bürgerschaft und ihren Vertretungen im die Stelle familiärer Bindungen treten und Stadtteil eine gewisse Eigenverantwort- Betreuungs- und Versorgungsfunktionen lichkeit mit definierten Gestaltungsspiel- übernehmen kann. räumen für die Stadtentwicklung gegeben. Ein bedeutendes Handlungsfeld ist dabei Nur wenn die Bürgerschaft selbst für ihren neben der qualifizierten Innenentwicklung Stadtteil aktiv wird und sich die Nachhal- die Steuerung des Einzelhandels, die in tigkeitsziele der Stadt zu eigen macht, sind Freiburg seit 1992 mit dem umfassenden langfristige Veränderungen bis hinein in Märkte- und Zentrenkonzept auf den Erhalt den individuellen Lebensstil möglich. Die der wohnortnahen Versorgung zielt. Stadtteilentwicklung wird in Freiburg von Mit diesem politischen Instrument der der Bürgerschaft auf Augenhöhe mit der Stadtentwicklung soll der Leitgedanke der Stadtverwaltung diskutiert und entwickelt – Stadt der kurzen Wege in der Gesamtstadt, aktuell in den Stadtteilen St. Georgen, dem 5 vor allem aber auch in den Stadtteilen ver- Stühlinger, der Innenstadt und der Wiehre. folgt werden. Durch eine gezielte Förde- rung des zentrenrelevanten Einzelhandel- Verringerung des Energieverbrauchs und Erhöhung der Energieeffizienz im Bestand sortiments in der Innenstadt und in den einzelnen Stadtteilzentren sowie den weit- Eine effizientere Wärmeversorgung auf der (5) Informationen zu Konzepten gehenden Ausschluss dieser Sortimente Ebene der Stadtteile ist Ziel der Energieef- und Rahmenplänen der Stadt- ausserhalb der zentralen Lagen wird eine fizienz-Strategie, die derzeit für Freiburg entwicklung auf Stadtteilebene unter www.freiburg.de/servlet/ dauerhafte flächenhafte Nahversorgung in erarbeitet wird. Der erste Baustein dazu ist PB/menu/1224763_l1/index. fuß- und radverkehrsgerechter Erreichbar- ein detailliertes Wärmekataster, auf dessen html Martin Haag, Babette Köhler: 248 Freiburg im Breisgau – nachhaltige Stadtentwicklung mit Tradition und Zukunft

Basis Strategien wie z. B. intelligente Ver- Der 2006 wirksam gewordene Freiburger bundlösungen oder der weitere Ausbau der Flächennutzungsplan 2020 folgt strikt dem Kraft-Wärme-Kopplung entwickelt und dis- Primat des Flächensparens. Von dem durch kutiert werden. den ungebremsten Anstieg der Wohnfläche pro Person sowie durch das anhaltende Be- Die Stadt Freiburg setzt im Bemühen um völkerungswachstum verursachten Bedarf eine Verringerung des Energieverbrauchs an Bauflächen wird in Freiburg nur etwa und Erhöhung der Energieeffizienz im Be- die Hälfte im Außenbereich gedeckt. Der stand insbesondere auf Beratung, Informa- Flächennutzungsplan 2020 kommt trotz ge- tion und finanzielle Anreize. Dazu zählen wachsenen Bedarfs durch die konsequente die Beratung zur einzelobjektbezogenen Ausschöpfung der Innenentwicklungspo- Energieeffizienz, finanzielle Anreize im tenziale gegenüber dem Vorgängerplan mit Rahmen des Förderprogramms „Energiebe- etwa 30 ha weniger Bauflächen aus. wusst Sanieren“ (Wärmeschutz im Altbau, Energieausweis plus Beratung, Optimie- Die Wohnbauflächenentwicklung muss in rung von Heizungen), die Förderung der vielen Stadtteilen ausschließlich oder über- Solarenergienutzung auf Dächern durch wiegend als Innenentwicklung erfolgen. Festsetzung im Bebauungsplan sowie Be- Um hierfür angemessene Baudichten, eine ratung und energetische Empfehlungen auf ausreichende Grün- und Infrastrukturver- der Ebene des Stadtteils. sorgung und eine geeignete Verkehrser- schließung festzulegen, werden gemeinsam Die stadtteilbezogene Betrachtung soll in mit der Bewohnerschaft für die betroffe- konsequenter Weiterentwicklung des Leit- nen Stadtteile individuelle Leitlinien der gedankens der Stadt der Stadtteile im Rah- städtebaulichen Entwicklung erstellt. Eine men eines Forschungsvorhabens in Zusam- gesteuerte Innenentwicklung, die die städ- menarbeit mit den in Freiburg ansässigen tebauliche und energetische Qualität und wissenschaftlichen Instituten und Einrich- Funktionalität der Stadtteile stärkt, ist ein tungen weiterentwickelt werden. Dieses wesentlicher Bestandteil des klimagerech- Projekt ist derzeit in Vorbereitung und soll ten Stadtumbaus. Wege zur Erreichung eines klimaneutralen Stadtteils aufzeigen, als Modell für die kli- Reduzierung und effiziente Deckung des maneutrale Stadt der Zukunft. Gebäudeenergiebedarfs im Neubau

Reduzierung des Flächenverbrauchs Die Stadt Freiburg hat bereits seit den 1990er Jahren städtebauliche Instrumente Der Neubau selbst klimaneutraler Städte entwickelt, mit denen bei Neubauvorha- oder Stadtteile auf der „grünen Wiese“ ver- ben der Energieverbrauch verringert, die ursacht zunächst baubedingt erhebliche Energieeffizienz verbessert und erneuerba- zusätzliche CO2-Emissionen. Er kann nur re Energien gefördert werden sollen, um so dann langfristig tatsächliche CO2-Einspa- den CO2-Ausstoß als wesentliche Ursache rungen erbringen, wenn die neuen Sied- des Klimawandels zu senken. Diese Instru- lungen an die Stelle älterer, aufzugebender mente wurden zu Leitlinien verdichtet, die Siedlungs- und Bausubstanz treten oder der Gemeinderat im Juli 2007 durch Be- ein weniger nachhaltiges Siedlungswachs- schluss verbindlich festgeschrieben hat. Sie tum an anderer Stelle verhindern. Voraus- beinhalten u. a., dass solare Aspekte bereits setzung ist auch, dass der neue urbane im Entwurfsstadium von Bebauungsplänen Lebensstil sowie ein verändertes Mobilitäts- berücksichtigt werden, bei der Aufstellung und Konsumverhalten der aus ländlich von Bebauungsplänen frühzeitig Energie- strukturierten Bereichen Hinzugezogenen konzepte zu erstellen sind und die umwelt- nicht mit einem insgesamt deutlich erhöh- verträglichste Variante des Energiekonzepts ten Energieverbrauch einhergeht. Diese umgesetzt wird. Dieser Beschluss war ei- Frage stellt sich nicht nur bei Stadtneubau- ner der ersten Bausteine für die bauland- projekten wie Masdar City, sondern auch in politischen Grundsätze, die im Juni 2009 einer wachsenden Stadt wie Freiburg. Vor verabschiedet wurden und verbindliche diesem Hintergrund gewinnt der in Frei- Vorgaben zur nachhaltigen baulichen Ent- burg konsequent verfolgte Vorrang der In- wicklung Freiburgs umfassen. nen- vor der Außenentwicklung eine beson- dere Bedeutung auch für den Klimaschutz. Ein weiterer für den Klimaschutz wichti- ger Baustein sind die energetischen Stan- Informationen zur Raumentwicklung Heft 5/6.2012 249

dards für Wohnungsneubauten. Auch wenn Die Nutzung von Wasserkraft hat in Frei- der Neubau nur einen geringen Anteil am burg nur ein geringes Potenzial, das weit- gesamten Gebäudebestand der Stadt hat, gehend ausgeschöpft ist. Im Bereich der setzt er doch Maßstäbe auch für die Sanie- Windenergie wurden in der Vergangenheit rung im Bestand. Die Stadt Freiburg hat überall in -Württemberg durch die bereits 1992 für Wohnneubauten auf städ- Regionalplanung hohe Hürden aufgebaut; tischen Grundstücken einen energetischen die Vorranggebiete sind mit den bestehen- Standard vorgegeben, der gegenüber den den fünf Windkraftanlagen bereits vollstän- jeweils geltenden gesetzlichen Vorgaben dig ausgenutzt. Mit der aktuell vorgesehe- einen um 30 % geringeren Heizenergiever- nen Änderung des Landesplanungsgesetzes brauch zur Folge hatte. 2008 wurde die stu- werden diese Hürden jedoch fallen. Daher fenweise Fortschreibung der energetischen betreibt die Stadt Freiburg derzeit bereits Standards für Neubauten zum 1. Januar ein Flächennutzungsplan-Änderungsver- 2009 und zum 1. Januar 2011 beschlossen. fahren, das mit neuen Konzentrationszonen für Windkraftanlagen die Voraussetzungen Die ehrgeizigen energetischen Standards für einen deutlichen Ausbau der Windkraft- gelten für alle Bauten der Stadt, der Frei- nutzung in Freiburg ab 2013 schaffen soll. burger Stadtbau, beim Verkauf städtischer Von allen regenerativen Energiequellen ist Wohnbaugrundstücke sowie im Rahmen die Windenergie die einzige mit dem Poten- städtebaulicher Verträge zu neuen Bebau- zial einer erheblichen Steigerung des rege- ungsplänen auch für alle privaten Woh- nerativen Anteils im Freiburger Energiemix. nungsneubauten. Eine dritte Stufe zur weiteren Anhebung der energetischen Der Ausbau der Tiefengeothermie genießt Gebäudestandards und für einen ener- aufgrund der Instabilitäten des Unter- getischen Standard auch für gewerbliche grunds im Oberrheingraben (Basler Erd- Bauten wurde im März 2012 beschlossen.6 bebenereignis, cirka 60 km südlich von Diese Stufe beinhaltet als weitere Steige- Freiburg) keine Priorität, auch die oberflä- rung den Standard KfW-Effizienzhaus 55 für chennahe Geothermie (Wärmepumpen- alle Wohngebäude und einen energetischen technik) hat aufgrund des meist hohen Bürogebäudestandard, der über den gel- Strombedarfs und der Risiken (Hebung tenden Standard der Energieeinsparverord- der Staufener Altstadt, cirka 15 km süd- nung um 30 % hinausgeht. lich von Freiburg) in Freiburg wenig Für- sprecher. Das gilt auch für die Nutzung Für die energetischen Gebäudestandards nachwachsender Rohstoffe in Biogas- oder wie auch für alle anderen baulandpoliti- Biomassekraftwerken, soweit dafür der schen Grundsätze ist das Umsetzungsin- intensive Anbau von Mais oder anderen strument der städtebauliche Vertrag bzw. Energiepflanzen auf landwirtschaftlichen der Kaufvertrag. Dieses Instrument greift Flächen ausgeweitet werden müsste. Die jedoch nur im Rahmen der Schaffung neuer thermische Nutzung von Abfallstoffen so- Baurechte. Für die bestehenden Baurechte wie von Holz aus dem Freiburger Stadtwald fehlen bisher wirkungsvolle Steuerungsin- hingegen wird kontinuierlich ausgebaut. strumente der Kommune, mit denen eine Rea­lisierung der angestrebten Baustan- Nahverkehrsstrecken als Rückgrat der dards durchgesetzt werden könnte. Stadtentwicklung

Ausbau der regenerativen Energieerzeugung Die räumliche Steuerung der zentralen Funktionen orientiert sich in Freiburg an Wie gezeigt nimmt Freiburg bei der Nut- den Nahverkehrsstrecken, insbesondere zung der Solarenergie eine führende Stel- den Schienensträngen der Stadtbahn. Sie lung ein. Um den Solarenergieausbau wei- verknüpfen die Stadtteile mit der Kern- ter voranzutreiben, wurden mit dem Projekt stadt, die Wohnorte mit den Arbeitsstätten. FreeSun die Potenziale Freiburger Dächer Entlang dieser Linien und im Umkreis der für die Solarenergienutzung flächende- Haltepunkte, also in den Bereichen mit der ckend untersucht und im Internet darge- besten örtlichen und überörtlichen Erreich- stellt. Eigentümer besonders großflächiger (6) barkeit, werden soziale und versorgende In- Die Gemeinderatsdrucksa- Dächer mit hohem Potenzial werden von frastrukturen und weitere zentrale Funktio- che und der Wortlaut des Be- der Stadt gezielt angesprochen. schlusses finden sich unter nen mit hohen Benutzerfrequenzen gezielt www.freiburg.de/survlet/PB/ entwickelt und die städtebauliche Dichte menu/1147972_l1/index.html Martin Haag, Babette Köhler: 250 Freiburg im Breisgau – nachhaltige Stadtentwicklung mit Tradition und Zukunft

Abbildung 2 Die Erfolge dieser integrierten Stadtent- Modal Split im Binnenverkehr Freiburgs wicklungs- und Nahverkehrspolitik sind auch in Zahlen messbar. So gibt es in Frei- burg mit insgesamt 96 684 Kraftfahrzeugen nur 435 Kraftfahrzeuge pro 1 000 Einwoh- ner. Der Stadtteil Vauban kommt durch den großen autofreien Anteil bei insge- samt 1 118 Kraftfahrzeugen, davon 862 Pkw (Freiburg, Amt für Bürgerservice und Informationsverarbeitung 2011b), auf einen besonders niedrigen Schnitt von 171 Pkw Quelle: Garten- und Tiefbauamt Freiburg 2011 pro 1 000 Einwohner (Freiburg, Amt für Bürgerservice und Informationsverarbei- erhöht. Dieser integrierte Ansatz der Stadt- tung 2011c). Zum Vergleich: Der Bundes- und Verkehrsplanung wird in Freiburg seit durchschnitt liegt bei 622 Kraftfahrzeugen dem Beschluss zum Stadtbahnerhalt und pro 1 000 Einwohner (Kraftfahrt Bundesamt Netzausbau in den 1970er Jahren verfolgt. 2011), der Durchschnitt in Baden-Württem- Die Strategie zeigt nun, nach rund 40 Jahren berg ist mit 646 Kraftfahrzeugen pro 1 000 ihre Erfolge, denn im Ergebnis ist ein kom- Einwohner sogar noch etwas höher (Frei- pakter und gegliederter Stadtkörper entlang burg, Amt für Bürgerservice und Informa­ den Bahnstrecken entstanden. tionsverarbeitung 2011d). Zudem fördert diese integrierte Betrach- Neben der städtebaulichen Struktur sind tung von stadtstrukturellen und verkehrs- auch die Tarifstruktur und der Betrieb wich- politischen Zielen die Nutzung und Aus- tige Handlungsfelder zur Förderung des lastung des ÖPNV und macht ihn sehr öffentlichen Nahverkehrs: Bereits Mitte der wirtschaftlich. Die Freiburger Verkehrs AG 1980er Jahre wurde in Freiburg als erster befördert auf ihrem mit 36,4 km vergleichs- deutscher Stadt ein übertragbares Monats­ weise kleinen Stadtbahnnetz (VAG Ge- ticket für den öffentlichen Personennah- samtstreckennetz 310,7 km) enorm viele verkehr eingeführt. Seit der Einführung des Fahrgäste (Freiburg, Amt für Bürgerservice sog. Umwelttickets haben sich die Fahrgast- und Informationsverarbeitung 2011a). 2010 zahlen mehr als verdreifacht. Seit 2009 wer- wurden insgesamt 74,4 Mio. Fahrgäste be- den die Freiburger Stadtbahnen hundert- fördert, das entspricht durchschnittlich prozentig mit Umweltstrom betrieben. 200 000 Fahrgästen am Tag und bedeutet eine Steigerung zum Vorjahr um 2,2 %. Im Priorität des nicht motorisierten Verkehrs und der wegegebundenen Naherholungs- Ergebnis weist die Freiburger VAG einen im nutzungen in einer vernetzten Freiraum- bundesweiten Vergleich sehr hohen Kosten- struktur deckungsgrad von 88,0 % auf (Freiburger Verkehrs AG 2011). Fast 30 % der Verkehrswege werden in Frei- burg per Rad zurückgelegt. Allein die In- Beispielhaft für die Freiburger Strategie der nenstadt besuchen täglich über 35 000 Stadtentwicklung entlang (und mit) den Menschen mit dem Fahrrad. In rund 90 ÖPNV-Strecken sind die städtebauliche Einbahnstraßen ist die Gegenrichtung für Entwicklung entlang der Berliner Allee im den Radverkehr geöffnet. Direkt am Haupt- Westen Freiburgs, wo die neue Stadtbahn- bahnhof finden sich für Besucher sowie Ein- linie zum Messegelände entsteht, und das und Auspendler die Fahrradstation und die neue Stadtquartier Gutleutmatten in Has- Mobilitätszentrale, in der über umwelt- und lach an einem bestehenden Haltepunkt der klimaschonende Mobilitätsangebote infor- Stadtbahn. Auch die seit den 1990er Jahren miert wird. entstandenen neuen Stadtquartiere Riesel- feld und Vauban wurden von Baubeginn Die Erreichbarkeit und Zugänglichkeit der an ans Stadtbahnnetz angeschlossen. Nur unterschiedlichen Funktionsbereiche für durch die optimale ÖPNV-Erschließung den nicht motorisierten Verkehr (insb. Fuß- wurden autofreie Wohnkonzepte innerhalb und Radverkehr) muss jedoch noch deut- der neuen Stadtteile realisierbar. lich optimiert werden. Die Dominanz des Straßennetzes ist auch in Freiburg noch groß, ein konsequenter Vorrang des Fuß- Informationen zur Raumentwicklung Heft 5/6.2012 251

und Radverkehrs ist Zukunftsmusik, auch Eine so vernetzte Freiraumstruktur ent- wenn das mittlerweile 420 km umfassende spricht auch den Zielen der Freiburger Radwegenetz in den letzten Jahren kontinu- Stadtklimaanalyse von 2003, die als we- ierlich ausgebaut wurde. sentliches Handlungsfeld zur Anpassung an den Klimawandel die Verringerung der Das Freizeitverhalten der urbanen Bevölke- sommerlichen Hitzebelastung in der Stadt rung hat sich mit der Veränderung der Ar- herausgearbeitet hat. Kaltluftentstehungs- beitswelt gewandelt: Körperlich belastende gebiete und Luftleitbahnen, die nach der Arbeit weicht sitzenden Tätigkeiten, sport- Stadtklimaanalyse für die Abkühlung und liche Aktivität in der Freizeit wird dadurch Durchlüftung der Stadt eine wichtige Rolle immer wichtiger. Der Trend zur aktiven spielen, werden als Teil der vernetzten Frei- Erholung ist in einer Dienstleistungsstadt raumstruktur erhalten und in ihren klimati- wie Freiburg besonders spürbar. Auch die schen Funktionen weiterentwickelt. zunehmende Individualisierung der Gesell- schaft, die Zunahme von Single-Haushalten Soft Policies und Netzwerkbildung und die Auflösung traditioneller Famili- enstrukturen führen zu einem veränder- Planung kann Rahmenbedingungen setzen, ten Freizeitverhalten, das wiederum neue in der Stadtentwicklung, in der Bauleit- Anforderungen an die Qualität von Frei- planung und im Verkehrswesen. Und die räumen nach sich zieht. Während im ver- Kommune ist Vorbild bezüglich des Um- gangenen Jahrhundert wenige organisierte gangs mit ihren eigenen Liegenschaften, Sport- und Freizeitaktivitäten dominierten, ihrem Beschaffungswesen, ihrem Fuhrpark, gewinnt heute eine Vielzahl an aktiven Ein- etc. Aber es muss darüber hinaus gelingen, zelsportarten an Bedeutung. Damit geht Nachhaltigkeit zum Maßstab für alltägli- auch eine Verlagerung von gebietsgebun- ches Verhalten aller Bürgerinnen und Bür- denen zu wegebestimmten Freizeit- und ger sowie der Wirtschaft zu machen. Erholungsaktivitäten einher. Hierzu gibt es in Freiburg verschiedenste Mit dem Freiburger Freiraumkonzept 2020+, Aktivitäten. Ein Beispiel ist die deutsch- das als Fachkonzept zum Flächennutzungs- landweite Mobilitäts-Kampagne „Kopf an plan erstellt wurde, wurde 2005 eine Strate- Motor aus“. Ziel dieser Aktion zur CO2-Re- gie der Freiraumentwicklung vorgezeichnet, duzierung im Jahr 2010 war es, durch Ad- die den Wandel der Erholungsbedarfe und ressierung der persönlichen Werte und Mo- die Veränderung des Freizeitverhaltens wie ralvorstellungen mit eingängigen Slogans auch der urbanen Lebensstile einbezieht eine grundlegende Änderung des individu- und sich folgerichtig am Fuß- und Rad­ ellen Mobilitätsverhaltens zu erreichen. Die wege­netz orientiert (Freiburg 2005). Förderung des Fuß- und Radverkehrs gera- de auf Kurzstrecken besitzt dabei oberste Teil der klimagerechten Stadtentwicklung Priorität. Als eine von neun Städten nutzte ist es, der Stadtbevölkerung diese Naherho- die Stadt Freiburg diese erstmals in ganz lungsangebote in jedem Stadtteil zu bieten, Deutschland groß angelegte Kampagne, um um Freizeitverkehre auf ein Minimum zu die angestrebten Klimaschutzziele zu errei- begrenzen. Der Weg zur Arbeit oder zu an- chen (ARGE ZEM 2011). deren Zielen wird zu einem bewusst gestal- teten Teil der Freizeit, er wird zu Fuß, mit Die Stadt Freiburg führt darüber hinaus dem Fahrrad oder Inline-Skates zurückge- eine Reihe eigener Kampagnen zur Infor- legt und dient damit auch der sportlichen mation und Motivation der Bevölkerung Betätigung im Freien. durch. Aktuell laufen beispielsweise folgen- de Projekte7: Das Freiraumnetz wie auch das Fuß- und

Radwegesystem sollen daher so ausgebaut • Die Freiburger „CO2-Diät“ ermöglicht die und gestaltet werden, dass die unterschied- Erstellung einer persönlichen Klimabi- lichen Bedürfnisse vom Rundweg in ruhige- lanz und beinhaltet zielgerichtete Infor- ren, landschaftlich gestalteten Freiräumen mationen über Maßnahmen zur Verbes- (Naturerleben) bis hin zu kreuzungsfreien serung der persönlichen Bilanz und zum

Radschnellrouten quer durch das Stadtge- Ausgleich der eigenen CO2-Emissionen. (7) biet möglichst konfliktfrei erfüllt werden Informationen zur Energie- und • Im Programm „200 Familien aktiv fürs können. Klimaschutzpolitik der Stadt Klima“, das in Kooperation mit der fran- Freiburg unter www.freiburg.de/ servlet/PB/menu/1173333_l1/ zösischen Partnerstadt Besançon durch- index.html Martin Haag, Babette Köhler: 252 Freiburg im Breisgau – nachhaltige Stadtentwicklung mit Tradition und Zukunft

geführt wird, lernen 200 Freiburger Haus- 4 Hemmnisse und offene Baustellen: halte beispielhaft, welche Auswirkungen Was bleibt zu tun? Lebensstil, Konsumverhalten und tägli- che Gewohnheiten auf die Umwelt haben Privates Eigentum und Lebensstile und welche nachhaltigen Alternativen es im Alltag gibt. Für den Klimaschutz, insbesondere wenn er mit Kosten, Verhaltensänderungen und • Die „Stromfresser-Jagd“ ermöglicht die Belastungen verbunden ist, sind Privat- Erstellung einer persönlichen Strombi- personen und private Immobilieneigentü- lanz, die Identifizierung von „Stromfres- mer oder Eigentümergemeinschaften am sern“ und Tipps zum Stromsparen. schwersten zu adressieren. Dies gilt sogar • Die umfassende Informations-, Aktions- für die Freiburger Bevölkerung, die in Um- und Vernetzungskampagne der Stadt weltfragen immer sehr aufgeschlossen und

Freiburg mit dem Titel CO2LIBRI ist so zukunftsorientiert denkt. Information­ und angelegt, dass durch öffentlichkeitswirk- Beratung, selbst finanzielle Anreize haben same Aktionen möglichst viele Bürgerin- in der Regel keine überzeugende Wirkung nen und Bürger erreicht werden. und kommen allzu oft als unerwünschte Belehrung daher. Die Bequemlichkeit und Die Stadt ist jedoch nicht der einzige das Festhalten an gewohnten Lebensstilen wichtige Multiplikator und Akteur im Kli- sind hartnäckig und kaum von „oben“ oder maschutz. Allianzen und Netzwerke er- „außen“ aufzubrechen. Zudem lassen sich möglichen umfassendere Ansätze im derzeit bei den aktuell immer noch ver- Klimaschutz und erreichen ein größeres gleichsweise niedrigen Energiepreisen viele Spektrum an Adressaten. So kooperiert die Maßnahmen noch nicht wirtschaftlich dar- Stadt in den Bereichen Forschung und Ent- stellen, so dass die Anreize oft ideeller Na- wicklung mit der Universität und den in tur bleiben. Freiburg ansässigen wissenschaftlichen In- stituten und Einrichtungen, z. B. dem Öko- Die Stadt Freiburg will daher zukünftig der institut, den Fraunhofer- und Max Planck- Eigeninitiative mehr Raum geben. Eine be- Instituten oder der Energieagentur. sondere Bedeutung haben die informellen Planungsinstrumente der Stadtentwick- Bei der Entwicklung neuer Technologien lung wie Stadtteilentwicklungspläne oder und höherer Standards im Klimaschutz ko- Rahmenkonzepte. In ihnen können die operiert die Stadt zum Beispiel auch mit der Strategien unterschiedlicher Fachdiszipli- Industrie- und Handelskammer sowie der nen und Dienststellen der Stadtverwaltung Handwerkskammer, denn die lokale Wirt- koordiniert und im räumlichen Kontext an- schaft profitiert von dieser engen Zusam- gewendet werden. Partizipative Ansätze, die menarbeit durch eine verstärkte regio­nale auf die Überzeugung und Mitwirkung aller Wertschöpfung und den damit verbunde- Beteiligten setzen, sind dabei von großer nen Technologievorsprung. So steht das Bedeutung. Die Stadtentwicklungsplanung Thema Nachhaltigkeit mit dem Label Green stellt in vielen Fällen die Klammer dar, die City auch als Leitbild über der städtischen unterschiedliche Maßnahmen bündelt, ko- Wirtschaftsförderung8 – ein weiteres Bei- ordiniert und zuordnet. spiel dafür, wie weit der Umwelt- und Kli- maschutz in Freiburg schon auf dem Weg Die möglichen Folgen des Klimawandels zum Mainstream ist. Nachhaltigkeit ist in sind komplex, ungewiss und schwer ab- Freiburg ein politisches Konsensthema, das sehbar. Komplexität und Unsicherheit ma- von allen im Gemeinderat vertretenen Frak- chen Planungsentscheidungen besonders tionen unterstützt wird. schwierig, da auch die Entscheidungsfolgen nur sehr schwer oder gar nicht abzuschät- zen sind. Die Akzeptanz von Entscheidun- (8) Das Freiburg – Green City – gen über den Umgang mit Risiken – so Portal der Freiburger Wirt- auch Klimafolgen – ist daher außerordent- schaftsförderung informiert unter www.fwtm.freiburg.de/ lich wichtig. Dies trifft vor allem dann zu, servlet/PB/menu/1182949_l1/ wenn viele der erforderlichen Maßnahmen index.html über den Standort persönliche Lebensstile tangieren oder nur Freiburg insbesondere für um- weltbezogene Branchen. durch Eigentümer umgesetzt werden kön- Informationen zur Raumentwicklung Heft 5/6.2012 253

nen, weil sie den baulichen Bestand betref- Ein weiteres Spannungsfeld besteht im ge- fen, auf den hoheitlich nur sehr begrenzt förderten Wohnungsbau. Für Geringverdie- Einfluss genommen werden kann. nende bieten hohe energetische Standards zwar große Vorteile durch die Verringerung Hier sieht Freiburg die Lösung in Gover- der Nebenkosten (zweite Miete), die hö- nance-Ansätzen, bei denen nicht allein die heren Baukosten wirken jedoch als Inves- kommunalen Behörden Träger der Pro- titionshemmnis und sind nur schwer mit zesse der Stadtentwicklung sind, sondern den Förderrichtlinien des Landes vereinbar. Planung als politisch-gesellschaftliche Dennoch wird in Freiburg an den höheren Entscheidungsfindung gesehen wird. Mit energetischen Standards auch für geförder- den Stadtteilentwicklungsplanungen für ten Wohnungsbau festgehalten. Zum Aus- Zähringen und Haslach wurden entspre- gleich der Mehrkosten wird bei städtischen chende partizipative Ansätze bereits erfolg- Grundstücken ein Abschlag auf den Kauf- reich erprobt. Sie werden in den noch stär- preis gewährt. Die Stadt hat in den bauland- ker von der Bürgerschaft selbst getragenen politischen Grundsätzen einen Mindestan- Beteiligungsprozessen zu den Stadtteilleitli- teil von 30 % gefördertem Wohnungsbau für nien weiterentwickelt. jede neue Baufläche festgeschrieben.

Energetische Gebäudestandards Konsequenter Vorrang des Fuß- und Im Neubaubereich stehen wirkungsvol- Radverkehrs le Steuerungsinstrumente zur Verfügung, Urbanität, Stadtqualität und nachhaltige wenn neue Baurechte geschaffen werden. Verkehrsgestaltung erfordern die konse- In neuen Bebauungsplänen oder auf eige- quente Bevorrechtigung von Fuß- und Rad- nen Flächen wird in Freiburg durchgängig verkehr. Hier wurde in der Vergangenheit ein hoher energetischer Standard gebaut. der Schwerpunkt sehr stark im ÖPNV ge- Bisher fehlt aber ein Instrumentarium zur sehen, verbunden mit einer Förderung von Umsetzung hoher energetischer Gebäude- Radverkehrsinfrastruktur. standards oder effizienter Energieversor- gungslösungen für die Neubauvorhaben, Die anstehenden demographischen Verän- die im unbeplanten Innenbereich nach § 34 derungen erfordern es, den Blick verstärkt des Baugesetzbuchs oder nach älteren be- auf den Fußgängerverkehr zu richten. An- stehenden Bebauungsplänen bereits zuläs- gemessene Breiten von Gehbereichen, Ver- sig sind. So werden auch in Freiburg nach besserungen des Komforts und der Bar­ wie vor viele Neubauten lediglich nach den riere­freiheit sind Aufgaben für die Zukunft. bundesweit geltenden Mindeststandards Dabei müssen dann auch Kompromisse zu- errichtet, weil die Stadt keine Einflussmög- lasten der „schnelleren“ Verkehrsarten Auto, lichkeiten besitzt. ÖPNV und Radverkehr gemacht werden. Noch schwieriger ist die Situation hinsicht- Zudem sind weitergehende Konzepte für lich des Altbaubestandes. Die für einen den Radverkehr der Zukunft erforderlich. wirksamen Klimaschutz unerlässliche ener- Derzeit befindet sich in Freiburg ein Rad- getische Sanierung des privaten Gebäude- schnellwegkonzept in der Erarbeitung und bestandes erfordert erhebliche Summen. Umsetzung, das dem ständig wachsenden Im Projekt Klimaneutrale Stadt Freiburg und auch schneller werden Radverkehr werden derzeit Wege diskutiert, wie eine Fi- (verbesserte konventionelle Räder, Pedelecs nanzierung dieser Herkulesaufgabe ausse- und E-Bikes) Rechnung trägt und versucht, hen könnte – ein Ergebnis ist derzeit noch möglichst konfliktfreie und auch vom Fuß- nicht greifbar. Zwar werden seit 2008 in verkehr getrennte Routen zu definieren und Freiburg 10 % (1,2 Mio. €) der Konzessions­ auszubauen. Dabei geht der Trend zur Mit- abgaben des regionalen Energieversor- benutzung der Straße bei temporeduzier- gungsunternehmens badenova AG an die tem Autoverkehr sowie zum gleichzeitigen Stadt in Klimaschutzprojekte vor allem im Erhalt der vorhandenen Radinfrastrukturen Verkehrs- und Gebäudesektor investiert. für den „langsameren“ Radverkehr. Angesichts des immensen Bedarfs kann die Lösung jedoch nicht in einer Finanzierung durch die Stadt gefunden werden. Martin Haag, Babette Köhler: 254 Freiburg im Breisgau – nachhaltige Stadtentwicklung mit Tradition und Zukunft

Regionale Siedlungs- und Verkehrskonzepte Lieferverkehrs ist zudem eine Verkehrsin- frastruktur zu erhalten, die einem konse- Verkehrskonzepte unter Klimaschutzas- quenten Aus- und Umbau des Straßen- und pekten müssen neben technischen An- Wegenetzes für den Fuß- und Radverkehr sätzen vorrangig die Reduzierung des entgegensteht. Für diese Flächenkonkur- motorisierten Individualverkehrs und im renz müssen künftig unabhängig von der Schwerpunkt die Reduzierung der sog. Ver- Energiefrage im Verkehrsbereich Lösungen kehrsleistung (gefahrene Kilometer pro gefunden werden. Tag) zum Ziel haben. In einem Projekt im Rahmen des Klimaschutzprogramms der Hemmend wirkt sich hier der kaum vor- Bundesregierung zum Nachhaltigen Stadt- handene kommunale Handlungsspielraum verkehr wurde gezeigt, dass daher zwin- aus. Er erschöpft sich weitgehend in Steu- gend neue Konzepte für den Stadt-Umland- erungs- und Lenkungskonzepten für den Verkehr gefunden werden müssen. Die Lkw-Verkehr, da der Schienenverkehr in der Diskussion über die Kurzstrecken unter Feinverteilung unter derzeitigen verkehrs- drei Kilometer ist zwar richtig, geht aber an politischen Rahmenbedingungen nur in ab- den Notwendigkeiten bezüglich des Klima- soluten Ausnahmefällen konkurrenzfähig schutzes im Verkehrssektor vorbei. ist. Als Option für die Zukunft betreibt die Stadt Freiburg derzeit noch ein Gleisnetz Reduzierung der Verkehrsleistung im Stadt- von 4,15 km in den Industrie- und Gewer- Umland-Verkehr beginnt oft mit Koopera­ begebieten im Westen der Stadt, das einen tionen im öffentlichen Personennahverkehr. Wagenladungsverkehr ermöglichen würde. Hier wird in Freiburg mit der Finanzierung Allerdings ging die Nutzung dieses Gleis- der „Regiokarte“ und dem Projekt Breis- netzes in den vergangenen Jahren kontinu- gau S-Bahn oder auch dem Projekt KONUS ierlich zurück und jede Haushaltsplanauf- (ÖPNV-Freifahrschein für Urlaubsgäste) stellung führt zu Grundsatzdiskussionen schon seit Jahren von Stadt und Landkrei- bezüglich der Sinnhaftigkeit dieser Anlage. sen Beachtliches geleistet. Allerdings wären unter Klimaschutzaspekten sehr viel wei- Hundert Prozent erneuerbare Energien tergehende Kooperationen erforderlich, be- ginnend bei einer gemeinsamen Flächen- Die Möglichkeiten, im Freiburger Stadt- nutzungsplanung bis hin zu integrierten gebiet erneuerbare Energien zu gewinnen, sind wie oben gezeigt begrenzt. Die Stadt Mobilitätskonzepten. Dies alles sind The- Freiburg wird auf absehbare Zeit nicht in men, die auch auf der Agenda regionaler der Lage sein, ihren Energiebedarf auf eige- Zweckverbände und Kooperationen stehen, ner Gemarkung zu decken und wird weiter allerdings derzeit noch nicht in verbindli- Energie einführen müssen. Damit bleibt che Planung oder gar gebaute Realität um- die Vision von der klimaneutralen Stadt so gesetzt werden konnten. lange eine Utopie, bis es gelingt, den Ge- samtbedarf der Stadt massiv zu verringern Güterverkehr und dann vollständig regenerativ zu decken. Die Mobilitätsstrategie der Stadt Freiburg Hierzu können auch regionale Partner- erreicht bisher kaum den Bereich des Güter- schaften beitragen. und Lieferverkehrs. Dieser Sektor wächst jedoch kontinuierlich und ungebremst. Hemmnisse auf übergeordneter Ebene Ursächlich dafür ist neben der zunehmen- Kommunen können im Klimaschutz vieles den Globalisierung der Wirtschaft und der bewegen, benötigen dazu aber auch auf Warenströme z. B. auch die Zunahme des Landes- und Bundesebene gesetzgeberi- Versandhandels u. a. in Folge des weiter sche und finanzielle Unterstützung. Not- wachsenden Anteils der Bevölkerung mit wendig sind insbesondere ein Ausbau der Internetzugang. Im Bereich des Güterver- Städtebauförderung, die Entwicklung ge- kehrs fehlen bisher überzeugende tech- zielter Programme zur Stadtteilentwicklung nische Lösungen ebenso wie Konzepte und Zentrenstärkung sowie wirkungsvolle und Instrumente für eine Reduzierung der Förderprogramme für die energetische Sa- Treibhausgasemissionen. nierung von Bestandsgebäuden. In diesem Für die Abwicklung des ganz überwiegend Bereich ist auch zu prüfen, ob über rein fi- straßengebundenen überörtlichen Gü- nanzielle Anreize hinaus stärkere Impulse terverkehrs wie auch des innerörtlichen gesetzt werden können, etwa durch die Ver- Informationen zur Raumentwicklung Heft 5/6.2012 255

knüpfung der Wohnbauförderung mit der 5 Fazit Forderung und Förderung höherer energe- tischer Standards. Freiburg ist als europäische, kompakte Stadt mit hoher Lebensqualität, Atmosphä- Im Verkehrsbereich ist vor allem eine lang- re und Identität ein geeignetes Fallbeispiel fristige Sicherung der Finanzierung des und Vorbild für den klimagerechten Umbau ÖPNV (Infrastruktur und Betrieb) erforder- europäischer Städte. Denn die Stadt bringt lich, um den Städten Planungssicherheit für nicht nur den erklärten politischen und den weiteren Ausbau im ÖPNV zu geben. bürgerschaftlichen Willen zum klimage- Die Steuerungswirkung des kommunalen rechten Stadtumbau mit, sondern auch be- bzw. regionalen Nahverkehrsplans muss sonders günstige Voraussetzungen für die- verbessert werden, um den ÖPNV effizien- sen Prozess. ter gestalten und zu einem umfassenden Mobilitätssystem vernetzen zu können. Die Die Freiburger Prinzipien können durchaus Gemeindeverkehrsfinanzierung ist weiter- ein intereressanter Beitrag sein zur Diskus- zuentwickeln zu einer integrierten Mobi- sion der weltweiten Urbanisierung9 durch litätsfinanzierung, die auch die Förderung die Globalisierung und der in diesem Zu- von Maßnahmen im Fuß- und Radverkehr sammenhang erforderlichen städtischen und zur Verknüpfung der Verkehrsmittel Strategien zum Klimaschutz. Aber auch umfasst. die Stadt Freiburg steht trotz aller Erfolge im Klimaschutz erst am Anfang des Wegs Auch ohne große neue Förderprogramme hin zur Klimaneutralität. Die größten He- können bereits kleine Änderungen große rausforderungen der kommenden Jahre Wirkung entfalten, wenn sie die Entschei- und Jahrzehnte werden folgende sein: die dungsspielräume der Kommunen ver- kostenaufwendige energetische Sanierung größern – beispielhaft genannt seien eine des Gebäudebestandes insbesondere durch Vereinfachung der rechtlichen Regelungen private Investitionen, die regionale Zusam- zum Carsharing oder eine Anpassung des menarbeit in Fragen des Verkehrs ebenso Bußgeldrahmens für Parkverstöße. wie in Fragen der erneuerbaren Energien (9) Die zunehmende Urbanisierung und der Stadtentwicklung, der konsequen- hält in Mitteleuropa bereits seit te Umbau des Verkehrssystems zu einer ur- dem vorletzten Jahrhundert an und ist mittlerweile längst auch banen Stadt für Fuß- und Radverkehr, die ein globaler Trend. Seit 2007 klimaneutrale Abwicklung der wachsenden lebt über die Hälfte der Weltbe- völkerung in Städten, die UNO Warenströme und die vollständige Umstel- erwartet bis 2050 einen Anstieg lung auf erneuerbare Energien. auf rund 70 %; vgl. DSW 2011. Martin Haag, Babette Köhler: 256 Freiburg im Breisgau – nachhaltige Stadtentwicklung mit Tradition und Zukunft

­­ Literatur

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