Deutscher Drucksache 12/4402 12. Wahlperiode 17. 02. 93

Sachgebiet 12

Gesetzentwurf der Abgeordneten Ingrid Köppe und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung der Geheimdienstgesetze

A. Problem Die innen- und außenpolitische Situation, auf die hin bzw. für welche die Geheimdienste in der Bundesrepublik Deutschland einst geschaffen wurden, hat sich grundlegend verändert. Die Aufgaben dieser Dienste sind damit ebenso wie deren „geheim- dienstliche Gegenüber" weitestgehend entfallen. Zudem hat die bisherige Tätigkeit der deutschen Geheimdienste gezeigt, daß sie ineffektiv im Sinne ihrer Aufgabenstellung sind, sich ihren recht- lichen Bindungen tendenziell stets entziehen sowie dadurch unab- lässig „Skandale" produzierten und daß sie einer wirksamen parlamentarischen Kontrolle nicht zugänglich sind. Eine bloße Erweiterung von Unterrichtungspflichten der Bundesregierung sowie sonstiger Kontroll-Regelungen würde an diesen strukturel- len Defiziten nichts ändern.

B. Lösung Laufende Überlegungen, die Dienste zu verkleinern, umzustruk- turieren, mit neuen Aufgaben zu versehen oder deren parlamen- tarischen Kontrolle zu modifizieren, werden überflüssig gemacht, indem — die Gesetze über Existenz und Kontrolle der Geheimdienste Bundesamt für Verfassungsschutz, Militärischer Abschirm- dienst und Bundesnachrichtendienst aufgehoben werden;

— deren Personal bis zum Ende des Jahres 1993 sozialverträglich abgebaut oder neuen Verwendungen zugeführt wird; — die durch diese Dienste gesammelten Informationen gesichert und einer geordneten Erforschung zugeführt werden. Drucksache 12/4402 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode

C. Alternativen Beibehaltung der jetzigen unbef riedigenden Lage.

D. Kosten Geringe Kosten für die Überführung des Personals sowie für die künftige Verwaltung der Aktenarchive stehen erhebliche Einspa- rungen in Höhe der bisherigen jährlichen Etats der Dienste gegenüber. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode Drucksache 12/4402

Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung der Geheimdienstgesetze

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlos- Artikel 4 sen: Das Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes vom Artikel 1 11. April 1978 (BGBl. I S. 453) wird aufgehoben.

Das Bundesverfassungsschutzgesetz vom 20. De- zember 1990 (BGBl. I S. 2970 ff.) wird aufgehoben.

Artikel 5 Artikel 2 Das Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz vom 13. Au- Das MAD-Gesetz vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I gust 1968 (BGBl. I S. 949) wird aufgehoben. S. 2977 ff.) wird aufgehoben.

Artikel 3 Artikel 6 Das BND-Gesetz vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2979 ff.) wird aufgehoben. Das Gesetz tritt am 1. Januar 1994 in Kraft.

Bonn, den 16. Februar 1993

Ingrid Köppe (Berlin) und Gruppe Drucksache 12/4402 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode

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Begründung

I. Allgemeines denburgischen Datenschutzbeauftragten zu La sten eines unliebsamen Kandidaten). Aus diesem 1. Die Geheimdienste sind in der Bundesrepublik traurigen Befund zusammen mit den beiden Deutschland während des Kalten Krieges in einer genannten Politikem die — eigentlich zur Klarstel- Zeit der unmittelbaren Konfrontation zweier hoch- lung gebotene — Konsequenz zu ziehen, daß wir gerüsteter Macht- und Militärblöcke zur Abwehr heute oder „eines Tages ge trost zu diesem Namen äußerer und innerer Bedrohungen bzw. „Feinde" zurückkehren können", dürfte sich gerade für die geschaffen worden. parlamentarische Mehrheit wohl schon im Hin- blick auf das gleichnamige „Ministe rium für Heute dagegen ist die militärische Union der War- Staatssicherheit" unse ligen Angedenkens verbie- schauer Vertragsorganisation aufgelöst, der politi- ten. Statt dessen soll diese Konsequenz durch sche Machtblock der Sowjetunion zerbrochen und Auflösung der Dienste vermieden werden. auch in den anderen realsozialistischen Staaten eine grundlegende Umorientierung erfolgt. An die Außerdem ist zu berücksichtigen, daß der Verfas- Stelle der Konfrontation ist zunehmend Koopera- sungsschutz seine Erkenntnisse nach eigenen tion getreten. Denn angesichts sinkender Bedeu- Angaben zu 80 %, die anderen Dienste die ihrigen tung und zunehmender Durchlässigkeit nationaler aber wohl zu einem ähnlich hohen Anteil aus offen Grenzen sowie vor dem Hintergrund globaler öko- zugänglichen Quellen beziehen, also durch bloße nomischer und ökologischer Probleme gewinnt die Auswertung von Medienberichten. Daher muß Einsicht an Boden, daß den damit verbundenen festgestellt werden: eine solche Beobachtung und Risiken nur mit vertrauensvoller internationaler Erklärung politischer Prozesse und Strömungen ist Zusammenarbeit begegnet werden kann. Aufgabe von Wissenschaft und der Medien selbst, welche diese weit fachkundiger und zutreffender 2. In der ehemaligen DDR sowie in den östlichen erfüllen als die Dienste. Die Bewe rtung und Aus- Nachbarstaaten haben die Menschen die Geheim- einandersetzung hierüber muß und kann nur von dienste entweder schon aufgelöst, oder es sind den Bürgern und Bürgerinnen geleistet werden. zumindest bereits Umgestaltungsmaßnahmen ein- Allein dies — und nicht irgendeine Adminis tra- geleitet worden: etwa in der CSFR, in Litauen oder tion — kann zusammen mit einer selbstbewußten beim sowjetischen KGB (allerdings orientieren sich Wahrnehmung der Bürgerrechte eine demokrati- dort die Veränderungen leider an den noch existie- sche Verfassung schützen, mit Leben erfüllen und renden westlichen Diensten, und der Umfang posi- fortentwickeln helfen. tiver Auswirkungen ist noch nicht im einzelnen übersehbar). Mit dem Wegfall des bisherigen „ge- 5. Die Geheimdienste haben sich auch im übrigen als heimdienstlichen Gegenübers" haben die hiesigen ineffektiv im Sinne ihrer eigenen Aufgabenstel- Dienste jedenfalls weiter an Legitimation verloren. lung erwiesen. Diese Bewertung hat auch die Folgerichtig ist z. B. auch der holländische Bundesregierung auf entsprechende Anfrage hin Geheimdienst IDB aufgelöst worden. nicht substantiell ausräumen können (Drucksache 12/1931). Vielmehr belegt diese Antwort, daß die 3. Bürger und Bürgerinnen und politischer Mei- Geheimdienste sowie deren politische Führung nungsstreit bedurften weder in der Vergangenheit offenbar keinerlei — der in anderen Bereichen noch heute einer institutionellen Überwachung mit öffentlicher Verwaltung und erst recht in der Pri- geheimdienstlichen Methoden. vatwirtschaft üblichen und notwendigen — Maß- stäbe und organisatorische Vorkehrungen festge- 4. Administrativer Verfassungsschutz und andere legt haben zur kontinuierlichen Effektivitätskon- Geheimdienste gefährden — statt fördern — die trolle sowie ggf. Korrektur der eigenen Tätigkeit. Streitbarkeit der Demokratie sowie die öffentliche Auseinandersetzung um unterschiedliche politi- a) Der BND hat z. B. wesentliche Entwicklungen in sche Meinungsströmungen. Die kurz nach Errich- Osteuropa (CSFR, Polen, UdSSR, DDR) nicht tung der Verfassungsschutzämter geäußerte Auf- oder nicht rechtzeitig erkannt oder nur unzutref- fassung christdemokratischer Regierungsmitglie- fend analysiert. Hinweisen auf deutsche Ex- der (, Dr. Gerhard Schröder), porte von Rüstungsgütern in Spannungsgebiete wonach die Dienste eigentlich nur die „Staatssi- wurde nur unzureichend nachgegangen. Diese cherheit" im Auftrag der Regierung gegen deren und ähnliche Versäumnisse dürften der Grund politische Gegner verteidigten, hat sich leider an sein für die seit langem bestehende, bekannter- vielen Beispielen bewahrheitet (z. B. die BND- maßen geringe Wertschätzung der BND-Tätig- Dossiers über SPD-Politiker, die Spranger-Dossiers keit durch die Bundesregierung unabhängig über Politiker und Politikerinnen der GRÜNEN; von ihrer jeweiligen Zusammensetzung. jahrelange Ausforschung der Berliner AL durch das dortige LfV; jüngst durch die konspirative Einmi- b) Der MAD hat die Plazierung vieler Spione in schung des BW-Präsidenten in die Wahl des br an Schaltstellen der Bundeswehr nicht verhindern Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode Drucksache 12/4402

können. Trotz ungesetzlicher Bespitzelung der- So forderten kürzlich Politiker und Fachleute die Friedensbewegung durch den MAD sowie Auflösung des Bundesamtes für Verfassungsschutz umfassender Bemühungen, die Streitkräfte vor (Erwin Huber [CSU], Rudi Walther [Zierenberg] angeblicher „extremistischer Beeinflussung" zu [SPD], Wolfgang Kubicki [F.D.P.]) bzw. der L andes- bewahren, hat die Wehrmüdigkeit von Soldaten ämter (ehemaliger BND-Chef Hellenbroich). deutlich zu- und die Identifizierung der Bevöl- Auch die Bundesregierung kündigte angesichts kerung mit dem Militär abgenommen. zunehmender öffentlicher Kritik — allerdings bis- lang unverbindlich — personelle und materielle c) Die Wirkungslosigkeit des Verfassungsschutzes Kürzungen bei den Geheimdiensten des Bundes ist besonders deutlich. an, obwohl die diesbezüglichen aktuellen Haus- haltsentwürfe real noch erhebliche Etat-Steigerun- Die vom Verfassungsschutz durchgeführten gen vorsehen. Diese Personalkürzungen wi ll die Sicherheitsüberprüfungen zum personellen Ge- Bundesregierung allerdings nunmehr wieder stop- heim- und Sabotageschutz haben, obwohl ihr pen bzw. rückgängig machen. Umfang wie auch ihre Intensität beständig und z. T. bedenklich erweitert wurden, die Ansied- Ebenso unzureichend wie diese Bestrebungen sind lung und langjährige Tätigkeit von Spionen die laufenden Überlegungen der Bundesregie- weder in außenstehenden Stellen (z. B. im BKA, rung, den grundsätzlichen Fortbestand der Dienste BGS, BND, Kanzleramt/Fall Gui llaume) noch in durch Zuerkennung neuer Aufgaben zu sichern. der eigenen Behörde (Tietge, Kuron) verhindern Denn bei der Wahrnehmung anderer Aufgaben oder aus eigenen Erkenntnissen aufdecken kön- werden absehbar u. a. die gleichen Effektivitäts- nen. Dieses Bedenken gilt natürlich ebenso für mängel, Verselbständigungstendenzen der Dien- die Ineffektivität der Abteilung Spionageab- ste von rechtlichen und politischen Bindungen, wehr. „Skandale" und Kontroll-Defizite zutage treten wie in ihrer bisherigen Tätigkeit. Hinsichtlich der Trotz hohem personellen und materiellen Auf- propagierten Aktivitäten des Verfassungsschutzes wands hat der Verfassungsschutz im Bereich der gegen Neonazis und SED-Seilschaften ist dies Terrorismusbekämpfung keinen einzigen An- bereits oben ausgeführt worden. Bezüglich einer schlag oder den Fortbestand etwa der RAF verhin- gewünschten künftigen Überwachung von Dro- dern können. Umfang und Aktivitäten des sog. gen- und Waffenhandel durch den BND sowie Linksextremismus sind in den letzten 40 Jahren von sonstiger „organisierter Kriminalität" durch den der Tätigkeit des Verfassungsschutzes weitestge- Verfassungsschutz ist an den gleichfalls mangeln- hend unbeeinflußt geblieben und haben sich allein den Bedarf zu erinnern, denn diese Aufgaben durch innere Erosionsprozesse sowie durch den werden bereits durch eine Reihe anderer Behörden Zerfall des real existierenden Sozialismus verrin- wie Polizei/BKA, Zollfahndungsdienst, Zollkrimi- gert. nalinstitut/Außenwirtschaftsamt Eschborn u. a. wahrgenommen. Im Bereich des Rechtsextremismus hat der Verfas- sungsschutz den Zugang von alten Nazi-Seilschaf- 7. Der beantragten Auflösung der Geheimdienste ten zu einflußreichen Ämtern oder deren Weiterbe- steht der gängige Einwand, deren Aufgaben wür- schäftigung im öffentlichen Dienst nicht verhin- den sodann von anderen Behörden wie etwa der dert; daher ist auch die derzeit vom Verfassungs- Polizei übernommen, nicht überzeugend entge- schutz offensiv geweckte Erwartung durch nichts gen. Zwar ist festzustellen, daß das verfassungs- gerechtfertigt, SED-Seilschaften könnten durch kräftige „Gebot der Trennung von Polizei und seine Bemühungen heute effektiver enttarnt oder Nachrichtendienst nicht mehr sauber eingehalten" von vergleichbaren Posi tionen ferngehalten wer- wird (BW-Präsident Dr. Ecka rt Werthebach, DER den. Gleiches gilt für die angekündigte Wirksam- SPIEGEL, 45/1991): etwa weil die neuen Länderge- keit gegen Neonazis oder Ausländerfeindlichkeit setze den Polizeibehörden zahlreiche nachrichten- heutzutage, welche sich ungeachtet der Existenz dienstliche Befugnisse eingeräumt haben, oder des Verfassungsschutzes zu einem Besorgnis erre- weil Zusammenarbeit und Informationsaustausch genden Problem entwickelt haben. Derlei Tenden- der Geheimdienste z. B. mit dem polizeilichen zen wurden durch den Verfassungsschutz in der Staatsschutz seit jeher bedenklich eng ist. Vergangenheit entweder nicht erkannt, geleugnet, Die Möglichkeit und Notwendigkeit, dies legislativ heruntergespielt oder konnten jedenfalls bzw. soll- oder administrativ zu kontrollieren und zu korrigie- ten nicht effektiv unterbunden werden. Im Gegen- ren, steht jedoch dem Gesetzgeber von Bund und teil wurden neonazistische Aktivitäten selbst von Ländern jederzeit offen. Das gleiche gilt für die V-Leuten des Verfassungsschutzes vielfach tole- Fragen, ob überhaupt bisherige Aufgaben der riert oder gar gefördert (siehe dazu unten unter Geheimdienste nach deren Auflösung durch II 1.). andere Behörden wahrgenommen werden sollen oder insgesamt verzichtbar sind, welche Behörden 6. Daß grundlegende Veränderungen im Bereich der ggf. tätig werden sollen und mit welchen Befugnis- Geheimdienste heute erforderlich sind, wird inzwi- sen. schen Partei-übergreifend anerkannt, wenn auch mit unterschiedlicher Zielrichtung und noch ohne Neben diesem Gestaltungsspielraum des Gesetz den hier vorgeschlagenen konsequenten Lösungs- gebers ist auch daran zu erinnern, daß offenbar ein ansatz für die zutage ge tretenen Probleme. Vordringen der Polizei in vom konkreten Delikts- Drucksache 12/4402 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode

verdacht losgelöste Vorfeldermittlungen sowie die- Der Verfassungsschutz beeinflußte massiv Ge- zunehmende polizeiliche Anwendung von nach- richtsverfahren in seinem Sinne (z. B. Proll- und richtendienstlichen Methoden ausweislich der Schmücker-Prozeß), wie inzwischen justiziell fest- Erfahrungen der letzten Jahre nicht verhindert gestellt wurde. werden kann, indem an der parallelen Existenz von Geheimdiensten festgehalten wird. Hierzu bedarf V-Leute des Verfassungsschutzes begingen, pro- es vielmehr, wie ausgeführt, deutlicherer Be- vozierten oder förderten mit Wissen des Amtes schränkungen und Kontrollen. vielfach aktiv Straftaten: z. B. auf Demonstra tionen (Fall Troeber 1982, Bremer Gelöbnis-Krawalle 8. Zur Durchführung der beantragten Maßnahmen 1980 u. a.), besonders unter Neonazis durch Waf- bedarf es keiner Änderung des Grundgesetzes, fen- und Sprengstofflieferungen (Krahberg/Euro- welches in Artikel 73 Nr. 10 und Artikel 87 Abs. 1 päische Befreiungsfront; Lepzien-/Otte-Bande) bis Satz 2 lediglich zu regelnden und organisatori- hin zur Verwicklung in Fememorde (Frühauf/Büg- schen Maßnahmen auf dem Gebiet des Verfas- ner in Hamburg sowie in Niedersachsen) oder in sungsschutzes ermächtigt, aber den Gesetzgeber Anschläge (Guhr; Peil; Apel/Hotopp). Selbst vor nicht verpflichtet, die existierenden Ämter für der eigenhändigen Begehung von Straftaten nachrichtendienstlichen Verfassungsschutz zu er- schreckten Verfassungsschutz-Beamte nicht zu- richten bzw. zu unterhalten (vgl. Brenner, BND im rück: z. B. verübten 1978 Verfassungsschutz-Mit- Rechtsstaat, Diss. 1990, S. 14-17; Roewer, Nach- arbeiter mit Hilfe der GSG 9 einen Bombenan- richtendienstrecht . . ., 1987, S. 14-17). schlag auf die JVA Celle. Der ehemalige BfV-Chef Gerhard Boeden sowie der heutige Vizepräsident Frisch billigten diese Aktion; letzterer rechtfertigte II. Fortwährende „Skandale" derartige rechtswidrige Aktivitäten sogar vor kur- zem noch öffentlich als für den Verfassungsschutz notwendig. Unabhängig von den oben skizzierten Entwicklungen und Problemen hat bereits die bisherige Praxis der Im Oktober 1991 übermittelte der Präsident des Geheimdienste deren strukturelle Demokratie-Un- Bundesamtes für Verfassungsschutz einer einzel- verträglichkeit und auch Unkontrollierbarkeit ge- nen Abgeordneten der F.D.P. des Landtags Br an zeigt. Die Skandale im Rahmen ihrer Tätigkeit wur- -denburg auf konspirative Weise ein vom Verfas- den regelmäßig nicht durch die berufenen Kontrol- sungsschutz zusammengestelltes Dossier über den leure, sondern jeweils im Einzelfall durch die Medien Verfassungsschutz-Kritiker und Kandidaten für aufgedeckt, so daß die Annahme gerechtfertigt das Amt des Brandenburgischen Datenschutzbe- erscheint, daß es sich bei den bekannt gewordenen auftragten, Dr. Weichert. Der Bundesbeauftragte Vorfällen nur um die „Spitze eines Eisbergs" handelt. für Datenschutz rügte, daß diese Übermittlung Gleichwohl können auch die aufgedeckten Vorgänge mangels rechtlicher Grundlage offensichtlich aus Raumgründen hier nur beispielhaft in Erinnerung rechtswidrig gewesen sei, und kündigte eine for- gebracht werden. melle Beanstandung dieses Vorgangs an.

1. In der vom Bundesamt für Verfassungsschutz 2. Trotz des für den BND geltenden Verbots jeglicher betreuten Verbunddatei sind nach dessen Anga- Inlands-Aufklärung spähte dieser Journalisten und ben z. Z. etwa 1,5 Millionen Bürger und Bürgerin- Verlage (Studio Hamburg, Springer, Bertelsmann, nen u. a. aufgrund folgender Amtsaktivitäten Bauer) aus und setzte wiederum Redakteure für erfaßt: seine Überwachungszwecke ein (z. B. Fall Hey- in der Vergangenheit überprüfte und überwachte sing). Er legte umfangreiche Karteien u. a. über das der Verfassungsschutz illegal etwa Abgeordnete Intimleben verdächtiger Politiker („54er Kartei") und Arbeitslose, Richter, Staatsanwälte und sowie über politische Strukturen (Ostbüro/„SPD- Rechtsanwälte, Schüler und Studenten, Biblio- Akte") und Auslandskontakte der SPD an (KPI theksbenutzer und Krankenversicherte, Technolo- Italien) und streute diese Erkenntnisse gezielt an gie-Gegner und Unterzeichner von Unterschriftsli- Medien (etwa im „Bayern-Kurier") oder übergab sten, Betriebsräte und Besucher von AKWs, Sport- sie auf Anforderung der Bundesregierung (Car- ler und Wohngemeinschafts-Bewohner, Ordens- stens 1968). Ferner überwachte der BND im Inland Empfänger und Bezieher von Werbematerial, usw. die kritische Ärztevereinigung IPPNW. Mit Gel Der ebenso unzureichende wie regelmäßig wieder- dern von Flick und anderen Industriellen stattete kehrende Rechtfertigungsversuch für diese Maß- der BND den in vielen Behörden bereits als skru- nahmen lautete, m an habe eine mögliche extremi- pellos bekannten Privatagenten Mauss u. a. zur stische Beeinflussung durch Dritte erkennen wol- Terroristenjagd aus. Illegale Waffenlieferungen in len. Krisengebiete wie die kürzlich bekannt gewordene Verschiebung von NVA-Material an Israel, Uru- Immer wieder wurden illegal Wanzen angebracht guay, Finnland etc. wickelte der BND in der Ver- und die Erkenntnisse gegen die be troffenen Bürger gangenheit regelmäßig ab (u. a. Fälle Dobbertin/ und Bürgerinnen genutzt: z. B. bei F.D.P.-Aktivi- WAH 1968, „Pamir" , „ Cerberus "/ „ Caligula"), z. T. sten 1963, zur Überwachung von Mandantenge- unter Einschaltung privater Generalbevollmäch- sprächen im Gefängnis Stuttgart-Stammheim tigter (Fall MEREX/Mertins) oder von V-Leuten (so 1977, im Fall Traube 1977. Über den letztgenann- bei Irak-Geschäften der Firmen W.E.T., Pilot Pl ant ten Fall stürzte der damalige Bundesminister des u. a.). Dies geschah wie in den jetzt bekannt Inneren, Dr. . gewordenen Fällen teils in bewußter Umgehung Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode Drucksache 12/4402

dienstlicher Weisungen, teils aber auch durchaus satzweise rekonstruieren können. Auch Untersu- im Einklang mit der politischen Führung. chungsausschüsse der Landtage (z. B. in Berlin und Niedersachsen) mußten sich mit dem Wirken des Ersteres gilt offenbar auch für die Beziehung des Verfassungsschutzes auseinandersetzen. BND zu dem Stasi-Oberst Schalck-Golodkowski: obwohl das BfV bereits seit 1973 und der BND 2. Über die unzureichenden Erkenntnis-Möglichkei- ebenfalls seit langem von dessen Rolle und z. T. ten und regelmäßig erst zu spät bzw. aus Anlaß kriminellen Machenschaften wußte, be treute der bekannt gewordener Skandale erfolgende Infor- BND ihn und stattete ihn mit falschen Papieren mation der parlamentarischen Kontrollorgane ha- aus. ben sich deren Mitglieder (von F riedrich Zimmer- mann [CSU] über [F.D.P.] bis 3. Der MAD führte l ange Jahre u. a. eine „Basisdatei Gerhard Jahn [SPD]) von jeher beklagt; der Letzt- Zersetzung" mit Angaben über 50 000 „wehrfeind- genannte hat aus diesem Grunde die Parlamenta- liche Multiplikatoren" , darunter viele Künstler, rische Kontrollkommission (PKK) sogar verlassen. Schriftsteller, Theologen und Abgeordnete. Nach Diese Verärgerung beruhte auch darauf, daß die der angeblichen Vernichtung dieser Datei führte Bundesregierung praktisch lediglich in einem ihr die Abteilung Psychologische Verteidigung unter opportun erscheinenden Umfang zur Unterrich- Einschaltung von privatrechtlichen Tarninstituten tung der PKK verpflichtet ist und die PKK-Mitglie- derartige Karteien bis zur förmlichen Beanstan- der selbst nur das weiter erfragen oder aufklären dung durch den Bundesdatenschutzbeauftragten können, was sie ohnehin schon aus anderer Quel- weiter. Die entsprechenden Erkenntnisse gewann len erfahren haben. der MAD u. a. durch vielfache illegale Abhöraktio- nen, worüber u. a. Verteidigungsminister Georg Aus diesem Grunde kann auch die kürzlich Leber stürzte. Wo die Dienstvorschriften derartige beschlossene, jedoch dürftige Erweiterung der Aktivitäten einzuengen drohten, wurden Familien- Kontrollbefugnisse von PKK-Mitgliedern bis hin angehörige von MAD-Mitarbeitern oder mit diesen zum Akteneinsichts- oder Vernehmungsrecht von z. T. verbundene private Detekteien für Überwa- Bediensteten keine Verbesserung der Kontrolle chung eingeschaltet, ferner V-Leute für provoka- nach sich ziehen, zumal die ohnehin überlasteten tive Aktionen (z. B. Bremer Gelöbnis-Krawalle Abgeordneten keine Kapazitäten haben, dies in 1980). Auch der Bericht über eine umfassende dem erforderlichen Maße zu praktizieren (in den Ausforschung von SPD-Spitzenpolitikern ist trotz einsichtigen Worten eines PKK-Mitglieds: „die presserechtlichem Dementi in seiner Substanz Häuptlinge haben keine Indianer zum Spurensu- noch nicht völlig ausgeräumt. chen").

Selbst wenn die PKK einmal problematische Vor- III. Unzureichende Kontrolle gänge vor den Medien erfahren sollte, ist sie gehindert, mit dem erfahrungsgemäß erst aus der 1. Wie bereits erwähnt, konnten die skizzierten Information der Öffentlichkeit resultierenden und „Skandale" in aller Regel nicht durch die ordentli- gebotenen Nachdruck Konsequenzen daraus zu chen Kontrollorgane aufgedeckt, geschweige ver- veranlassen. Dies gilt selbst für die empörendsten hindert werden; vielmehr ist ersteres stets nur den Vorgänge. So erfuhren die Mitglieder der nieder- Medien zu verdanken gewesen. Daraufhin mußten sächsischen PKK von dem 1978 amtlich verübten sich zahlreiche parlamentarische Untersuchungs- Bombenanschlag auf die JVA Celle bereits Anfang ausschüsse immer wieder mit den Geheimdiensten der 80er Jahre, hielten sich jedoch bis zu der befassen: so zum Fall John 1954-57 (Drucksache entsprechenden Presseveröffentlichung 1986 an II/3728), zu Abhörpraktiken 1963/64 (Drucksache ihre Schweigepflicht. IV/2170), anläßlich des Manövers FALLEX/Spie- Dieses Problem würde auch realis tischerweise gel-Affäre 1968/69 (Drucksache V/4208), zur BND- nicht durch eine nun diskutierte Lockerung der Inlandsaufklärung und zum Fall Guillaume Schweigepflicht beseitigt, sofern diese an eine 1974/75 (Drucksache 7/3246), zum Abhörfall Leber Zustimmung auch der PKK-Mitglieder geknüpft u. a. 1978-80 (Drucksache 8/3835), zum Fa ll Rau- würde, welche den Regierungsparteien angehö- schenbach 1983 (Drucksache 9/853), zum Fall ren. Kießling 1984 (Drucksache 10/1604), zu Dossiers über Politiker der GRÜNEN/Fall Tietge 1985/86 Daher sind statt bloßer unzureichender Reparatu- (Drucksache 10/6584) und nun zu Kontakten der ren an den Kontrollmöglichkeiten die zutage getre- Dienste zu Schalck-Golodkowski. Dabei haben die tenen strukturellen Probleme bei der Tätigkeit der Untersuchungsausschüsse viele der bekannt ge- Geheimdienste nur durch deren Auflösung zu wordenen Skandale bestätigt gefunden und an- beheben.