Deutscher Bundestag Drucksache 12/4402 12. Wahlperiode 17. 02. 93 Sachgebiet 12 Gesetzentwurf der Abgeordneten Ingrid Köppe und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung der Geheimdienstgesetze A. Problem Die innen- und außenpolitische Situation, auf die hin bzw. für welche die Geheimdienste in der Bundesrepublik Deutschland einst geschaffen wurden, hat sich grundlegend verändert. Die Aufgaben dieser Dienste sind damit ebenso wie deren „geheim- dienstliche Gegenüber" weitestgehend entfallen. Zudem hat die bisherige Tätigkeit der deutschen Geheimdienste gezeigt, daß sie ineffektiv im Sinne ihrer Aufgabenstellung sind, sich ihren recht- lichen Bindungen tendenziell stets entziehen sowie dadurch unab- lässig „Skandale" produzierten und daß sie einer wirksamen parlamentarischen Kontrolle nicht zugänglich sind. Eine bloße Erweiterung von Unterrichtungspflichten der Bundesregierung sowie sonstiger Kontroll-Regelungen würde an diesen strukturel- len Defiziten nichts ändern. B. Lösung Laufende Überlegungen, die Dienste zu verkleinern, umzustruk- turieren, mit neuen Aufgaben zu versehen oder deren parlamen- tarischen Kontrolle zu modifizieren, werden überflüssig gemacht, indem — die Gesetze über Existenz und Kontrolle der Geheimdienste Bundesamt für Verfassungsschutz, Militärischer Abschirm- dienst und Bundesnachrichtendienst aufgehoben werden; — deren Personal bis zum Ende des Jahres 1993 sozialverträglich abgebaut oder neuen Verwendungen zugeführt wird; — die durch diese Dienste gesammelten Informationen gesichert und einer geordneten Erforschung zugeführt werden. Drucksache 12/4402 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode C. Alternativen Beibehaltung der jetzigen unbef riedigenden Lage. D. Kosten Geringe Kosten für die Überführung des Personals sowie für die künftige Verwaltung der Aktenarchive stehen erhebliche Einspa- rungen in Höhe der bisherigen jährlichen Etats der Dienste gegenüber. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode Drucksache 12/4402 Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung der Geheimdienstgesetze Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlos- Artikel 4 sen: Das Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes vom Artikel 1 11. April 1978 (BGBl. I S. 453) wird aufgehoben. Das Bundesverfassungsschutzgesetz vom 20. De- zember 1990 (BGBl. I S. 2970 ff.) wird aufgehoben. Artikel 5 Artikel 2 Das Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz vom 13. Au- Das MAD-Gesetz vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I gust 1968 (BGBl. I S. 949) wird aufgehoben. S. 2977 ff.) wird aufgehoben. Artikel 3 Artikel 6 Das BND-Gesetz vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2979 ff.) wird aufgehoben. Das Gesetz tritt am 1. Januar 1994 in Kraft. Bonn, den 16. Februar 1993 Ingrid Köppe Werner Schulz (Berlin) und Gruppe Drucksache 12/4402 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode - Begründung I. Allgemeines denburgischen Datenschutzbeauftragten zu La sten eines unliebsamen Kandidaten). Aus diesem 1. Die Geheimdienste sind in der Bundesrepublik traurigen Befund zusammen mit den beiden Deutschland während des Kalten Krieges in einer genannten Politikem die — eigentlich zur Klarstel- Zeit der unmittelbaren Konfrontation zweier hoch- lung gebotene — Konsequenz zu ziehen, daß wir gerüsteter Macht- und Militärblöcke zur Abwehr heute oder „eines Tages ge trost zu diesem Namen äußerer und innerer Bedrohungen bzw. „Feinde" zurückkehren können", dürfte sich gerade für die geschaffen worden. parlamentarische Mehrheit wohl schon im Hin- blick auf das gleichnamige „Ministe rium für Heute dagegen ist die militärische Union der War- Staatssicherheit" unse ligen Angedenkens verbie- schauer Vertragsorganisation aufgelöst, der politi- ten. Statt dessen soll diese Konsequenz durch sche Machtblock der Sowjetunion zerbrochen und Auflösung der Dienste vermieden werden. auch in den anderen realsozialistischen Staaten eine grundlegende Umorientierung erfolgt. An die Außerdem ist zu berücksichtigen, daß der Verfas- Stelle der Konfrontation ist zunehmend Koopera- sungsschutz seine Erkenntnisse nach eigenen tion getreten. Denn angesichts sinkender Bedeu- Angaben zu 80 %, die anderen Dienste die ihrigen tung und zunehmender Durchlässigkeit nationaler aber wohl zu einem ähnlich hohen Anteil aus offen Grenzen sowie vor dem Hintergrund globaler öko- zugänglichen Quellen beziehen, also durch bloße nomischer und ökologischer Probleme gewinnt die Auswertung von Medienberichten. Daher muß Einsicht an Boden, daß den damit verbundenen festgestellt werden: eine solche Beobachtung und Risiken nur mit vertrauensvoller internationaler Erklärung politischer Prozesse und Strömungen ist Zusammenarbeit begegnet werden kann. Aufgabe von Wissenschaft und der Medien selbst, welche diese weit fachkundiger und zutreffender 2. In der ehemaligen DDR sowie in den östlichen erfüllen als die Dienste. Die Bewe rtung und Aus- Nachbarstaaten haben die Menschen die Geheim- einandersetzung hierüber muß und kann nur von dienste entweder schon aufgelöst, oder es sind den Bürgern und Bürgerinnen geleistet werden. zumindest bereits Umgestaltungsmaßnahmen ein- Allein dies — und nicht irgendeine Adminis tra- geleitet worden: etwa in der CSFR, in Litauen oder tion — kann zusammen mit einer selbstbewußten beim sowjetischen KGB (allerdings orientieren sich Wahrnehmung der Bürgerrechte eine demokrati- dort die Veränderungen leider an den noch existie- sche Verfassung schützen, mit Leben erfüllen und renden westlichen Diensten, und der Umfang posi- fortentwickeln helfen. tiver Auswirkungen ist noch nicht im einzelnen übersehbar). Mit dem Wegfall des bisherigen „ge- 5. Die Geheimdienste haben sich auch im übrigen als heimdienstlichen Gegenübers" haben die hiesigen ineffektiv im Sinne ihrer eigenen Aufgabenstel- Dienste jedenfalls weiter an Legitimation verloren. lung erwiesen. Diese Bewertung hat auch die Folgerichtig ist z. B. auch der holländische Bundesregierung auf entsprechende Anfrage hin Geheimdienst IDB aufgelöst worden. nicht substantiell ausräumen können (Drucksache 12/1931). Vielmehr belegt diese Antwort, daß die 3. Bürger und Bürgerinnen und politischer Mei- Geheimdienste sowie deren politische Führung nungsstreit bedurften weder in der Vergangenheit offenbar keinerlei — der in anderen Bereichen noch heute einer institutionellen Überwachung mit öffentlicher Verwaltung und erst recht in der Pri- geheimdienstlichen Methoden. vatwirtschaft üblichen und notwendigen — Maß- stäbe und organisatorische Vorkehrungen festge- 4. Administrativer Verfassungsschutz und andere legt haben zur kontinuierlichen Effektivitätskon- Geheimdienste gefährden — statt fördern — die trolle sowie ggf. Korrektur der eigenen Tätigkeit. Streitbarkeit der Demokratie sowie die öffentliche Auseinandersetzung um unterschiedliche politi- a) Der BND hat z. B. wesentliche Entwicklungen in sche Meinungsströmungen. Die kurz nach Errich- Osteuropa (CSFR, Polen, UdSSR, DDR) nicht tung der Verfassungsschutzämter geäußerte Auf- oder nicht rechtzeitig erkannt oder nur unzutref- fassung christdemokratischer Regierungsmitglie- fend analysiert. Hinweisen auf deutsche Ex- der (Kurt Georg Kiesinger, Dr. Gerhard Schröder), porte von Rüstungsgütern in Spannungsgebiete wonach die Dienste eigentlich nur die „Staatssi- wurde nur unzureichend nachgegangen. Diese cherheit" im Auftrag der Regierung gegen deren und ähnliche Versäumnisse dürften der Grund politische Gegner verteidigten, hat sich leider an sein für die seit langem bestehende, bekannter- vielen Beispielen bewahrheitet (z. B. die BND- maßen geringe Wertschätzung der BND-Tätig- Dossiers über SPD-Politiker, die Spranger-Dossiers keit durch die Bundesregierung unabhängig über Politiker und Politikerinnen der GRÜNEN; von ihrer jeweiligen Zusammensetzung. jahrelange Ausforschung der Berliner AL durch das dortige LfV; jüngst durch die konspirative Einmi- b) Der MAD hat die Plazierung vieler Spione in schung des BW-Präsidenten in die Wahl des br an Schaltstellen der Bundeswehr nicht verhindern Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode Drucksache 12/4402 können. Trotz ungesetzlicher Bespitzelung der- So forderten kürzlich Politiker und Fachleute die Friedensbewegung durch den MAD sowie Auflösung des Bundesamtes für Verfassungsschutz umfassender Bemühungen, die Streitkräfte vor (Erwin Huber [CSU], Rudi Walther [Zierenberg] angeblicher „extremistischer Beeinflussung" zu [SPD], Wolfgang Kubicki [F.D.P.]) bzw. der L andes- bewahren, hat die Wehrmüdigkeit von Soldaten ämter (ehemaliger BND-Chef Hellenbroich). deutlich zu- und die Identifizierung der Bevöl- Auch die Bundesregierung kündigte angesichts kerung mit dem Militär abgenommen. zunehmender öffentlicher Kritik — allerdings bis- lang unverbindlich — personelle und materielle c) Die Wirkungslosigkeit des Verfassungsschutzes Kürzungen bei den Geheimdiensten des Bundes ist besonders deutlich. an, obwohl die diesbezüglichen aktuellen Haus- haltsentwürfe real noch erhebliche Etat-Steigerun- Die vom Verfassungsschutz durchgeführten gen vorsehen. Diese Personalkürzungen wi ll die Sicherheitsüberprüfungen zum personellen Ge- Bundesregierung allerdings nunmehr wieder stop- heim- und Sabotageschutz haben, obwohl ihr pen bzw. rückgängig machen. Umfang wie auch ihre Intensität beständig und z. T. bedenklich erweitert wurden, die Ansied- Ebenso unzureichend wie diese Bestrebungen sind lung und langjährige Tätigkeit von Spionen die laufenden Überlegungen der Bundesregie- weder in außenstehenden Stellen (z. B. im BKA, rung, den grundsätzlichen Fortbestand der Dienste BGS, BND, Kanzleramt/Fall Gui llaume) noch in durch Zuerkennung neuer Aufgaben
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