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Das Fehlen von Bachflohkrebsen

In-Situ-Versuche in der im Kanton

Das gänzliche oder teilweise Fehlen von Bachflohkrebsen in Bächen des Kantons Aargau ist nicht selten. So kommen an 33% von 613 untersuchten Gewässerstellen keine oder höchstens vereinzelt Bachflohkrebse vor. Daher wurden in der Wyna und in verschiedenen Zuflüssen In-situ-Versuche mit Bachflohkrebsen (Gammarus sp.) durchgeführt mit dem Ziel, das Auftreten von akuter und chronischer Toxizität zu eruieren.

Sarah Fässler*, AquaPlus Elber Hürlimann Niederberger Arno Stöckli, Departement Bau, Verkehr und Umwelt des Kantons Aargau, Abteilung für Umwelt

EINLEITUNG

Im Unterlauf der Wyna im Kanton Aargau wurden im Frühjahr Résumé 2003 im Rahmen von periodisch durchgeführten Bestandesauf- nahmen der Wasserlebewesen massenhaft tote Bachflohkrebse LA PÉNURIE DE GAMMARe (Gammarus sp.) festgestellt. Das beobachtete Phänomen be- ESSAIS IN SITU DANS LA WYNA DANS LE CANTON D’ARGOVIE schränkte sich auf Bachflohkrebse. Insekten, wie Larven von Malgré un espace de vie adapté, l’on trouve de moins en moins, Eintagsfliegen oder Steinfliegen, waren nicht betroffen (Box 1). voire même des gammares morts dans le canton d’Argovie dans Der damals naheliegende Verdacht, dass die Abwasserreini- les cours d’eau de petite et moyenne taille. Parmi les 613 points gungsanlage Mittleres Wynental die Ursache sei, konnte durch analysés au cours des années 2006 à 2010, 11% des sites ne pré- weitere Abklärungen nicht bestätigt werden. In den Jahren 2004 sentaient aucun gammare et 22% des sites seulement quelques bis 2006 fanden im gesamten Einzugsgebiet der Wyna (Kantone spécimens. Le phénomène s’est étendu sur les différents bassins Aargau und Luzern) Erhebungen zum Vorkommen von Bach- versants du canton, mais est particulièrement marquant dans les flohkrebsen und der auf organische Belastung empfindlich re- régions très agricoles. Après des analyses ciblées, la cause de agierenden Insektengruppen Eintagsfliegen, Steinfliegen und cette pénurie n’a toutefois pas pu être expliquée. Les pesticides Köcherfliegen (EPT) statt [1]. Im Oberlauf der Wyna und den (et notamment les insecticides) étaient toutefois à l’avant-plan Seitenbächen, die durch landwirtschaftlich genutztes Gebiet des causes possibles. Dans la Wyna, qui selon des analyses de fliessen, ehltf e Gammarus vollständig. In umliegenden Quellbä- pesticides dans le canton d’Argovie présente le plus fort taux de chen im Wald waren sie jedoch häufig erv treten. Im Unterlauf pollution aux pesticides, avec ses différents affluents, une surveil- der Wyna waren Bachflohkrebse in mässiger Zahl vorhanden. lance active (essais in situ) a été réalisée avec des gammares. Ces In den Seitenbächen in diesem Abschnitt ist Gammarus gut ver- derniers ont été placés dans plusieurs sites dans des cages avec treten, dadurch kann die Wyna nach Belastungsstössen rasch des couronnes de feuilles d’aulne comme nourriture et le nombre wieder besiedelt werden. EPT-Taxa waren mit Ausnahme der d’animaux morts (mortalité, effet létal) ainsi que la défoliation (ef- Steinfliegen mit einer ansprechenden Artenvielfalt im gesam- fet sublétal) ont été déterminés chaque semaine. Au cours d’une première phase, le méthodisme des essais in situ a * Kontakt: [email protected] été testé sur six points du cours d’eau au début de l’été 2011 (mi- mai – début juin). Une deuxième phase a été réalisée au printemps 2012 (mi-mars - mi-mai) pendant la période de pulvérisation prin-

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Bachflohkrebse (Gammarus sp.)

Systematik und Verbreitung Bachflohkrebse (Gammarus sp.) sind Krustentiere und werden systematisch in die Ordnung der Amphipoda (Flohkrebse) eingeteilt. Sie gehören nicht zu den Insekten. Neben typischen morphologischen Unterschieden zu den Insekten weisen Bachflohkrebse auch ein anderes Reaktionsverhalten gegenüber In- sektiziden, Herbiziden und weiteren Chemikalien auf. Nördlich der Alpen ist die Familie mit drei morphologisch unterscheidbaren Arten vertreten. Häufig und weit verbreitet sind in der Schweiz Gammarus fossarum (Bachflohkrebs) und Gammarus pulex (gemeiner Flohkrebs).

Lebensweise Bachflohkrebs (Gammarus sp.), Länge ca. 1 cm Bachflohkrebse ernähren sich hauptsächlich von abgestorbenem Pflanzenma- Gammare (Gammarus sp.), longueur env. 1 cm terial (detritivor), fressen zum Teil aber auch andere Wasserwirbellose oder junge Artgenossen. Sie besetzen eine zentrale Stellung im Nahrungsnetz als Falllaubzersetzer und als Beute für Fische und andere Wasserwirbellose. Man findet sie ganzjährig in allen Entwicklungsstadien und Altersklassen im Gewässer. Bei guten Bedingungen können Bachflohkrebse massenhaft auftreten und dadurch hinsichtlich Biomasse und Individuenzahl die Artenzusammensetzung der Wasserwirbellosen-Lebensgemeinschaft dominieren.

Box 1

ten Einzugsgebiet vorhanden. Es gab jedoch Hinweise auf eine am stärksten mit Pestiziden belastet [3]. Auf der Liste nachge- gewisse organische Belastung unterhalb der vier Abwasserreini- wiesener Stoffe andf sich aber kein Pestizid, das für das gefun- gungsanlagen an der Wyna. dene Schadensbild in der Wyna klar verantwortlich gemacht Aufgrund der gemachten Beobachtungen wurden diffuse Schad- werden konnte. stoffquellen mit Schwerpunkt im Oberen Wynental vermutet. Der Verdacht fiel auf esP tizide, zumal Krebstiere wie Gammarus Verbreitung von Gammarus im Kanton Aargau gegenüber deren toxischer Wirkung empfindlicher reagieren als Parallel zu stofflichen Abklärungen fanden in den Jahren 2006 Insektenlarven (Box 1). bis und mit 2010 im ganzen Kanton Aargau qualitative Erhe- Bereits in einer Übersichtsuntersuchung im Jahr 2000 zu Pes- bungen über das Vorkommen von Bachflohkrebsen in kleinen tiziden in Aargauer Fliessgewässern rangierte die Wyna unter Fliessgewässern mit geeigneten Lebensräumen statt. Die Auf- den am stärksten belasteten Gewässern [2]. Im Rahmen von nahmen wurden im Rahmen von Orientierungsuntersuchun- koordinierten Untersuchungen der grenzüberschreitenden Aar- gen zu Gewässerbelastungen durchgeführt, um zu überprüfen, gauer und Luzerner Gewässer 2002–2007 war die Wyna erneut ob das im Wynental beobachtete Phänomen verbreitet auftritt. Insgesamt wurden 613 Stellen untersucht. An 67 Stellen (11%) fehlten die Bachflohkrebse ganz und an weiteren 165 Standor- ten (22%) traten höchstens vereinzelt Tiere auf (Fig. 1). An zwei Drittel der Stellen war Gammarus zahlreich oder sogar massen- haft vorhanden. Gegliedert nach Regionen waren neben dem Wynental auch das Bünztal, Limmattal, Obere Fricktal, Reusstal und Surbtal über- durchschnittlich vom vollständigen Fehlen von Gammarus be- troffen (mehr als 11% der tS ellen ohne Tiere; Fig. 2). und Unteres Fricktal waren weniger stark betroffen (mehr als ein Drittel der Stellen mit keinen oder vereinzelten Bachflohkreb- sen). Das Aaretal, das Mündungsgebiet von und Rhein so- wie das Wigger- und Suhretal zeigten hingegen an mehr als zwei Dritteln der Stellen ein zahlreiches oder massenhaftes Auftre- ten. Ein auffälliges Fehlen von Gammarus ist daher im Kanton Aargau verbreitet. Tendenziell sind Regionen mit viel Ackerbau stärker betroffen, obeiw ein eindeutiger Zusammenhang mit der Nutzung im Einzugsgebiet nicht festgestellt werden konnte. Fig. 1 Verbreitungshäufigkeit von Bachflohkrebsen im Kanton Aargau an Der Kanton Aargau lancierte aufgrund dieser Beobachtungen 613 Stellen mit geeignetem Lebensraum. Untersuchungsperiode 2010 eine Literaturstudie über den Rückgang oder das Fehlen 2006 bis 2010 von Bachflohkrebsen in Bächen [4]. Die Studie beinhaltete öko- Fréquence d’apparition des gammares dans le canton d’Argovie à 613 toxikologische Daten aus Labortests zu der Empfindlichkeit von endroits avec un espace de vie adéquat. Période d’analyse 2006 Gammarus gegenüber ausgewählten Schadstoffen (insbesonde- à 2010 re Pestiziden), aufgeklärte Fallbeispiele mit akuter Vergiftung

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Parallel zu den In-situ-Versuchen wurden Pestizidmessungen mit pegelproportional sammelnden Probenehmern durch das Labor der Abteilung für Umwelt, Aargau, durchgeführt (Passivsammler, Modell Kanton Thurgau). Den Messungen lag die Erwartung zugrunde, dass sich bei toxi- schen Reaktionen der Bachflohkrebse Pes- tizide mit mutmasslicher Wirkung auf die Testtiere identifizieren lassen. Im Rahmen dieses Fachartikels werden die Ergebnisse der durchgeführten Pestiziduntersuchun- gen wie auch die abiotischen Erhebungen (Hydrologie, Leitfähigkeit, Wassertempe- ratur) allerdings nur allgemein erläutert.

IN-SITU-VERSUCHE 2011

Von Mitte Mai bis Anfang Juni 2011 wur- den über drei Wochen In-situ-Versuche an drei Standorten in der Wyna (, , Gränichen) und an drei Seitenge- Fig. 2 Regionale Verbreitung der Bachflohkrebse im Kanton Aargau. Untersuchungsperiode 2006 bis 2010 wässern (Dorfbach Dürrenäsch, Dorfbach Répartition régionale des gammares dans le canton d’Argovie. Période d’analyse 2006 à 2010 , Rickenbach) durchgeführt. Die Versuchsstandorte wurden aufgrund von Gammarus und eine Umfrage bei eignen sich aus mehreren Gründen als der Untersuchungen zur Verbreitung von Forschungsgruppen und Kantonen zu Testorganismen für In-situ-Versuche (Box Gammarus und EPT-Insektengruppen im deren Einschätzung der Problematik. Für 3) und werden in der Wissenschaft seit Wynental 2006 und 2010 ausgewählt das Fehlen von Bachflohkrebsen schei- Längerem für diese Art der Untersuchun- [6] (Fig. 3). Die Evaluation der Methodik nen Pyrethroide – Insektizide mit neu- gen verwendet [8, 9, 10]. stand 2011 im Vordergrund. rotoxischer Wirkung –, von besonderer Im Auftrag des Kantons Aargau führte Relevanz zu sein, insbesondere Cyper- AquaPlus 2011 und 2012 In-situ-Versu- Versuchstechnische Fragen methrin. Die Kantone Bern, Thurgau und che mit Gammarus im Einzugsgebiet der – Können mit der Methode signifikante Zürich befassten sich ebenfalls mit dem Wyna durch [11, 12]. Das Ziel der Unter- (statistisch aussagekräftige) Unterschie- Fehlen von Bachflohkrebsen in ihren Ge- suchungen war einerseits, die Brauch- de hinsichtlich Mortalität und Blattfrass wässern [5]. barkeit eines von der Wissenschaft vor- zwischen den verschiedenen Untersu- Im Jahr 2010 wurden im Wynental die geschlagenen Testsystems in der Praxis chungsstandorten festgestellt werden? Untersuchungen zur Verbreitung von zu prüfen, und andererseits zu testen, – Korreliert die Mortalität oder der Blatt- Gammarus und den EPT-Insektengrup- ob potenzielle Schadstoffe für Bachfloh- frass mit den Verbreitungshäufigkeiten pen wiederholt [6]. Die Ergebnisse zeig- krebse direkt im Gewässer nachweisbar der Bachflohkrebse von 2006 und 2010? ten ein weitgehend unverändertes Ver- sind. Das methodische Vorgehen wurde – Reagiert eine Bachflohkrebs-Populati- breitungsmuster. teilweise von früheren Arbeiten und Stu- on an den Untersuchungsstandorten dentenkursen an der Eawag, Abteilung aus einem unbelasteten Bach gleich In-Situ-Versuche mit Gammarus eco, übernommen und im Rahmen der wie Tiere aus einem belasteten Bach im Wynental Problemstellung weiterentwickelt. (hinsichtlich Mortalität und Blattfrass)? Da im Wynental trotz Abklärungen die Lokalisierung von Schadstoffquellen als Aus einer Vielzahl von möglichen Schad- Versuchsaufbau 2011 Ursache für das Fehlen von Gammarus wirkungen auf Gammarus wurden die Getestet wurde mit zwei unterschiedlichen nicht möglich war, entstand die Idee, folgenden zwei Testfaktoren für die Ver- Bachflohkrebs-Populationen aus dem Ein- «aktives Monitoring» direkt im Gewässer suche verwendet: zugsgebiet, eine aus einem chemisch und (in situ) durchzuführen [7]. Bei In-situ- organisch belasteten Standort (Wyna bei Versuchen werden Testorganismen in Mortalität Gränichen) und eine aus einem unbelas- geeigneter Weise den Umwelteinflüssen Absterben von Testtieren während deren teten Standort (Lochbach bei Gränichen) im natürlichen Lebensraum ausgesetzt Exposition im Gewässer (akute oder letale (Fig. 3). Dadurch sollte überprüft werden, und ihre Reaktionen beobachtet (Box 2). Toxizität). ob die beiden Populationen unterschied- In diesem Fall sollte Gammarus selbst lich auf mögliche toxische Belastungen als Testorganismus in Käfigen im Bach Intensität des Blattfrasses hinsichtlich Mortalität und Blattfrass re- ausgesetzt werden, um mögliche Schädi- Zur Messung des Blattfrasses werden den agieren. In der Wyna-Population gehörten gungen der Tiere durch toxische Stoffe im Bachflohkrebsen in Käfigen Blättern als rund 60% der Tiere zu Gammarus fossa- Gewässer nachzuweisen. Bachflohkrebse Nahrung zugegeb (subletale Toxizität). rum und etwa 20% zu Gammarus pulex.

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den Tiere gezählt und die toten Tiere ent- IN-SITU-VERSUCHE (FREILANDVERSUCHE) fernt. Gleichzeitig wurden die Erlenblätter ausgewechselt. Für die Berechnung der Bei In-situ-Versuchen (Freilandversuchen) wird das Verhalten von Testorganismen gefressenen Erlenblattfläche wurden die direkt in der Umwelt untersucht. Ökotoxikologische Studien mit Wasserorganis- ausgestanzten Blattkreise vor dem Einset- men basieren mehrheitlich auf akuten und chronischen Tests unter standardi- zen in die Käfige und nach der einwöchi- sierten Laborbedingungen. Dabei werden vorwiegend Einzelsubstanzen, selten gen Exposition jeweils eingescannt, und Stoffgemische, in meist höheren Konzentrationen getestet als sie tatsächlich im die Blattfläche mithilfe eines Grafikpro- Gewässer auftreten. Viele Schadstoffe wirken jedoch nicht letal (tödlich), sondern gramms bestimmt. Die statistische Aus- subletal z. B. durch eine Verminderung des Frassverhaltens oder des Fortpflan- wertung erfolgte in Zusammenarbeit mit zungserfolges. Der Vorteil von In-situ-Versuchen gegenüber Labortests ist, dass der Eawag, Abteilung eco (Methodenbe- der natürliche Belastungszustand abgebildet wird und die Tiere den tatsächlich schreibung in Box 4). in der Umwelt vorgefundenen Schadstoffkonzentrationen ausgesetzt sind. Daten zu Auswirkungen von Schadstoffbelastungen direkt im Gewässer sind bis anhin Resultate 2011 kaum vorhanden. Der Nachteil von In-situ-Versuchen gegenüber standardisierten Das methodische Vorgehen, Nahrungs- Labortests ist hingegen, dass zusätzliche Faktoren wie Temperatur, pH-Wert, Än- angebot, Käfige, Auswahl der Testtiere, derung der Fliessgeschwindigkeit etc. nicht ausgeschlossen werden können. Diese wöchentliche Kontrolle und Auswertung Faktoren können zum Teil die Testergebnisse beeinflussen. haben sich während der dreiwöchigen Untersuchungen bewährt. In der zwei- ten und dritten Versuchswoche kam es zu Regenereignissen – die leicht erhöh- ten Abflüsse führten mit grosser Wahr- scheinlichkeit zu landwirtschaftlichen Abschwemmungen in die Gewässer.

Letale Effekte (Mortalität) Während der gesamten Expositionszeit konnte an keinem der sechs Standorte ein Bilder der Hälterungen: links Typ 2011 und rechts Typ 2012 akut toxischer Effekt festgestellt werden, Images des supports: à gauche type 2011 et à droite type 2012 d. h. in keinem der Käfige starben alle zehn Tiere [11]. Im Rickenbach wurde die gröss- Box 2 te Mortalität und in der Wyna bei Gräni- chen die tiefste Mortalität beobachtet. Der Untersuchungsstandort hatte aber einen WESHALB BACHFLOHKREBSE ALS TESTORGANISMEN GEEIGNET sind Einfluss auf die Überlebenswahrschein- lichkeit eines einzelnen Tieres. Jedoch Bachflohkrebse (Gammarus spp.) werden aus verschiedenen Gründen als guter konnte kein statistisch aussagekräftiger Testorganismus angesehen [4]: (signifikanter) Unterschied in der Überle- – hohe Sensitivität gegenüber Pestiziden (vor allem Pyrethroide wie Cypermethrin, bensdauer der Testpopulation aus einem und Deltamethrin), Metallen (Kupfer) und anderen Schadstoffen (Ammonium, belasteten Standort (Wyna Gränichen) ge- Pharmaka) genüber einer Testpopulation aus einem – wenig empfindlich auf organische Verschmutzungen unbelasteten Standort (Lochbach bei Grä- – Hemmung der Frassaktivität durch Stress nichen) festgestellt werden. Somit reagier- – weit verbreitet und einheimisch te die Testpopulation aus dem unbelaste- – ganzjährig verfügbar in verschiedenen Altersklassen und Entwicklungsstadien ten Standort nicht empfindlicher als die – hohe Nachkommenzahl und wiederholte Bruten (Eignung für Embryo/Larven- Testpopulation aus dem belasteten Stand- Tests in der Reproduktionsökotoxikologie, z. B. hormonaktive Stoffe) ort. Aufgrund dieser Erkenntnis wurde – Labortoxizitätsdaten vorhanden 2012 darauf verzichtet, die Experimente – robust und einfach handhabbar im Feld mit zwei Populationen durchzuführen.

Box 3 Subletaler Effekt (Blattfrass) Die Auswertung des Blattfrasses führte zu Die restlichen 20% konnten aufgrund ihrer An jeder Untersuchungsstelle wurden pro statistisch signifikanten Testergebnissen. geringen Grösse nicht klar bestimmt wer- Testpopulation sechs Käfige installiert (Fi- Es konnte gezeigt werden, dass für beide den. In der Lochbach-Population kam fast guren in Box 2 und 4). Die Anzahl der Kä- Testpopulationen der Standort massge- nur Gammarus fossarum vor (95%). fige ergab sich aus statistischen Gründen. bend für das Frassverhalten war. Über die Es wurden nur Bachflohkrebse mittlerer In jedem Käfig wurden zehn Bachflohkreb- gesamte Expositionszeit betrachtet wurde Grösse, keine schwangeren Weibchen und se und vier konditionierte Erlenblattkreise bei beiden Testpopulationen die geringste keine mit Kratzwürmern parasitierten Tie- (Nahrung) eingesetzt. Die Käfige wurden Frassrate im Rickenbach (5 bis 25 mm2/ re verwendet (Auswahlkriterien). einmal pro Woche kontrolliert, die leben- [Tier*Woche]) festgestellt und die grösste

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im Dorfbach Dürrenäsch (60 bis 70 mm2/ jedoch alle unterhalb der Nachweisgrenze – kein signifikanter Unterschied im Ver- [Tier*Woche]). Ausser beim Standort von 0,05 μg/l. Neben der Schwierigkeit, halten der Testpopulation aus dem be- Menziken korrelierte das Frassverhalten diese Stoffe analytisch zu erfassen, fand lasteten Standort zur Testpopulation mit den vorgefundenen Verbreitungshäu- die Pestizidapplikation möglicherweise aus dem unbelasteten Standort figkeiten der Erhebungen zum Vorkom- schon im März/April statt. – Pestizidmessungen: die Pyrethroide la- men von Gammarus 2006–2010 [6]. gen unterhalb der Nachweisgrenze Fazit Untersuchungen 2011 Pestiziduntersuchungen – Handhabung und Versuchsaufbau IN-SITU-VERSUCHE 2012 Durch die Pestiziduntersuchungen 2011 funktioniert im Feld konnte eine stärkere Pestizidbelastung – letale Effekte: kein akut toxischer Ef- Nachdem die Untersuchungen von 2011 der Wyna im Vergleich zu den Seitenge- fekt feststellbar abgeschlossen waren, erhielt AquaPlus wässern festgestellt werden. Die Messwer- – subletale Effekte: Methode führt zu sig- von der Pflanzenschutzfachstelle des te der Pyrethroide, für die vermutet wur- nifikanten Testergebnissen; der Unter- Kantons Aargau die Information, dass de, dass sie eine besondere Relevanz für suchungsstandort hatte einen Einfluss das Pyrethroid Cypermethrin im Wynen- das Fehlen von Gammarus haben, lagen auf das Frassverhalten tal vorwiegend bei Raps vor der Blüte ge- gen Rapsglanzkäfer eingesetzt wird. Auf- grund der Kulturen im Wynental – wenig Obstplantagen und Gemüsebau – konnte davon ausgegangen werden, dass wenig weitere Insektizide eingesetzt werden. Anhand der gewonnenen Erkenntnisse von 2011 wurde die Folgeuntersuchung 2012 auf die Hauptapplikationszeit der Raps-Pflanzenschutzmittel von Mitte März bis Mitte Mai (Frühjahr) gelegt. Die neunwöchigen Versuche wurden mit Frachtuntersuchungen zu Pestiziden des Labors der Abteilung für Umwelt kombi- niert. Daher wurden Standorte mit hyd- rometrischen Messungen gewählt: Wyna Reinach für Belastung aus dem Kanton Luzern, Wyna Suhr für Belastung aus dem gesamten Wynental und Lochbach bei Gränichen als Referenzstelle (Fig. 3).

Versuchsaufbau 2012 Der Versuchsaufbau entsprach demjeni- gen von 2011, mit der Ausnahme, dass nur eine Testpopulation (Lochbach, un- belastet) verwendet wurde und dass die Testpopulation jeweils nach drei Wochen ausgewechselt wurde. Mit dem Ent- scheid, nur eine Testpopulation zu ver- wenden, konnte der Aufwand deutlich reduziert werden, weil pro Standort nur die Hälfte der Anzahl Käfige exponiert und betreut werden musste. Zusätzlich kamen verbesserte Halterungen der Abteilung für Umwelt für die Testkäfige zum Einsatz, die eine grössere Distanz der Käfige vom Sediment erlaubten, wodurch verhindert wurde, dass sich Schlammdepots nach Regenereignissen um die Käfige bildeten (Figur in Box 2). Fig. 3 Einzugsgebiet der Wyna mit den Standorten der In-situ-Versuche 2011 und 2012. Zusätzlich sind die relativen Häufigkeiten von Gammarus aus den Erhebungen 2006 und 2010 eingezeichnet [6]. Einteilung Resultate 2012 der relativen Häufigkeiten angepasst gemäss Fig. 2 Bassin versant de la Wyna avec les sites des essais in situ 2011 et 2012. Les fréquences relatives de Letale Effekte (Mortalität) présence des gammares issues des analyses menées de 2006 à 2010 sont également visibles [6]. Während der gesamten Expositionszeit Répartition des fréquences relatives corrigée selon fig. 2 konnte wie bereits im Vorjahr an keinem

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der Standorte ein Totalausfall sämtlicher standorten festgestellt werden. Das die Bachflohkrebse der beiden Wyna- exponierter Tiere durch Pestizideinträ- heisst, die Chance eines einzelnen Tieres, Standorte Reinach und Suhr betreffend ge oder anderweitige Belastungen an den Versuch zu überleben, war unabhän- Frassverhalten gleich. Zwischen den den Untersuchungsstandorten festge- gig vom Standort. Ebenfalls war kein Un- einzelnen Wochen wurde jedoch ein sig- stellt werden (kein akut toxischer Effekt terschied in der Überlebenswahrschein- nifikanter Unterschied in der Frassakti- sichtbar) [12]. An den Wyna-Standorten lichkeit der drei Testgruppen an den vität der Stelle Reinach gegenüber Suhr starben pro Woche maximal 13 Bach- drei Untersuchungsstellen nachweisbar. festgestellt (1., 4. und 9. Woche; Fig. 5). flohkrebse (22%) von ursprünglich 60 Somit konnte gezeigt werden, dass nicht Die Referenzstelle im Lochbach bei Grä- ausgesetzten Tieren (Suhr, siebte Woche) ein vermeintlich letaler Effekt aufgrund nichen wies weit höhere Frassraten auf (Fig. 4). Am Lochbach waren es höchstens des Auswechselns der Testgruppe in der als die beiden Wyna-Standorte. Der pro- 14 Tiere in einer Woche (achte Woche). statistischen Analyse verursacht wurde. zentuale Frass der Bachflohkrebse in der Anhand der durchgeführten statistischen Wyna bei Reinach betrug lediglich 6–30% Analysen konnte kein Unterschied in der Subletale Effekte (Blattfrass) und bei Suhr 11–22% der Referenzstelle Überlebenswahrscheinlichkeit der Bach- Betrachtet man die gesamte Expositions- Lochbach (bezogen auf die Wochenmittel- flohkrebse an den drei Untersuchungs- zeit von neun Wochen, so verhielten sich werte).

Methode und Auswertung

Testorganismen – 6 Käfige pro Untersuchungsstelle und Überprüfung und Bestimmung der subletalen – Gammarus pulex und Population Effekte (Frassaktivität) – Gammarus fossarum – Positionierung der Käfige mit Netzöff- – Vergleich Blattfläche vor und nach nung in 45-Grad-Winkel zur Strömung der Exposition Untersuchte Effekte (Schutz vor Hauptströmung) – Messung der verbleibenden Blattflä- – Mortalität (letale Effekte) – Unterhalt (2-mal pro Woche): che nach Exposition (Scannen und – Hemmung der Frassaktivität Reinigung der Netzöffnungen mit grafische Auswertung mit der Open (subletale Effekte) einem Schwamm Source Software ImageJ) – Kontrolle (wöchentlich): – Statistische Auswertungen der wö- Auswahlkriterien der Testorganismen Zählen lebender und Entfernen chentlichen Blattflächenverluste – angepasste Population aus dem Ein- toter Tiere, Ersetzen Erlenblattkreise, – Auswertungen basierend auf dem zugsgebiet Messung der Leitfähigkeit sowie der normierten Blattfrass [mm2/(Tier * – Tiere mittlerer Grösse, keine schwan- Wassertemperatur Woche)]. Die Summe der total gefres- geren Weibchen – Auswechseln der Testpopulation nach senen Blattfläche (absolut) konnte – keine mit Kratzwürmern (Acantoce- drei Wochen nicht verwendet werden. Grund: phala) parasitierten Tiere Wenn innerhalb der Expositionszeit – Sammeln der Testpopulation und Überprüfung der letalen Effekte (Mortalität) pro Käfig ein eilT der Tiere starb, sank direktes Aussetzen am gleichen Tag Verwendete Statistik: die Anzahl Bachflohkrebse, die an den – Cox-Regression: prüft mögliche Un- Blattkreisen frass. Aufbau In-situ-Käfige terschiede im Überleben der Testtiere - Verwendete Statistik: Varianzanalyse – Trinkwasserrohre, in der Mitte zu- an den verschiedenen Stellen über mit Messwiederholungen (repeated- sammengeschoben; an beiden Enden die gesamte Expositionszeit measures ANOVA) mit ln-Transforma- Netz mit Maschenweite 1 mm – Kaplan-Meier-Analyse: prüft mögliche tion der Daten (Box 2) (abgeändert nach Baumgart- Unterschiede im Überleben der drei ner [17] und Westram et al. [18]) Testgruppen

Vorbereitung Blattkreise (Frassaktivität) – Sammeln trockener Erlenblätter (Alnus glutinosa) aus dem Vorjahr – ca. 1 Stunde lang wässern und dann Kreise ausstanzen – Konditionierung (organischer Auf- wuchs): Blattkreise zwei Wochen in Bachwasser des Referenzgewässers einlegen Links: Geöffneter Käfig; rechts oben: eingescannte Erlenblätter vor dem Aussetzen; Versuchsaufbau im Bach rechts unten: eingescannte Erlenblätter nach einer Woche Frass – je Käfig: 10 esT torganismen und À gauche: cage ouverte; en haut à droite: feuilles d’aulne numérisées avant mise en place; 4 konditionierte Blattkreise en bas à droite: feuilles d’aulne numérisées après une semaine de défoliation

Box 4

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Fig. 4 Mortalität respektive Anzahl tote Tiere pro Woche in der Wyna bei Reinach und Suhr sowie an der Referenzstelle Lochbach (100 % = 60 Tiere, In-situ-Versuche vom Frühjahr 2012, Dauer 9 Wochen). Auswechseln der Testpopulationen jeweils nach drei Wochen Mortalité ou nombre d’animaux morts par semaine dans la Wyna près de Reinach et Suhr, ainsi que sur le site de référence Lochbach (100% = 60 animaux, essais in situ au printemps 2012, durée 9 semaines). Remplacement des populations d’essai respectivement après trois semaines

An der Referenzstelle Lochbach lagen nicht jedoch mit Insektiziden, ausser ge- NATÜRLICHE EINFLUSSFAKTOREN die Mittelwerte des Frasses zwischen ringe Konzentrationen von Diazinon. 35–87 mm2/(Tier*Woche). Dabei be- In-situ-Versuche bilden das Geschehen zieht sich der Mittelwert des Frasses Fazit Untersuchungen 2012 unter möglichst natürlichen, aber stan- auf die sechs Käfige pro Standort. Ge- – letale Effekte: kein akut toxischer Ef- dardisierten Bedingungen ab. Sogenann- mittelt über alle neun Wochen hinweg fekt feststellbar te intrinsische und extrinsische Faktoren betrug der Frass am Lochbach 58 mm2/ – subletale Effekte: beide Wynastandorte können das Frassverhalten von Bach- (Tier*Woche). In Reinach wurden über zeigten signifikant geringere Frassra- flohkrebsen beeinflussen [8, 13]. Es gilt, die gesamte Expositionszeit Mittelwer- ten als das Referenzgewässer Lochbach diese Faktoren auszuschliessen oder min- te zwischen 2–26 mm2 / (Tier*Woche) – Diazinon als potenziell toxisches Insek- destens so stark zu minimieren, dass sie festgestellt, mit einem Mittelwert über tizid Anfang April in geringen Konzen- keinen Einfluss auf die esultR ate haben. neun Wochen von 12 mm2/(Tier*Woche). trationen nachgewiesen. Intrinsische Faktoren sind Testorganis- Die Mittelwerte in Suhr lagen zwischen men-spezifische Faktoren, wie Parasiten- 4–19 mm2/(Tier*Woche) und der Mittel- KATEGORISIERUNG DES befall, Entwicklungsstadien, Herkunft wert über neun Wochen betrug 11 mm2/ BLATTFRASSES der Population, Artenzusammensetzung (Tier *Woche). und Körpergrösse. Sie wurden durch die Speziell erwähnenswert ist ein stark ver- In Figur 6 ist der relative Blattfrass in Auswahlkriterien (Box 4) berücksichtigt. minderter Frass in den Wochen 4, 5 und einer fünfstufigen Kategorisierung dar- Das Sammeln, Auslesen, Transportieren 8 in der Wyna bei Reinach sowie in den gestellt. Die Einteilung wurde anhand der Tiere sowie die Hälterung in einem Wochen 5, 8 und 9 in der Wyna bei Suhr. aller Untersuchungsergebnisse 2011 und begrenzten Raum mit eingeschränktem In diesen Wochen fanden erhöhte Abflüs- 2012 vorgenommen und soll als Einord- Nahrungsangebot kann für die Tiere se in der Wyna aufgrund von Regenereig- nungshilfe für die Bewertung dienen. Stress bedeuten. Da jedoch alle Testtiere nissen statt, sodass davon ausgegangen Theoretisch stand pro Tier und Woche gleich behandelt und gehalten wurden, wird kann, dass landwirtschaftliche Ab- eine Blattfläche von 190–200 mm2 zur kann man davon ausgehen, dass dieser schwemmungen zur beobachteten Ver- Verfügung. Ein Bachflohkrebs frass pro Stress vernachlässigbar ist. minderung der Frassaktivität führten. Woche höchstens 180 mm2 eines Erlen- Die extrinsischen Faktoren, also abioti- Die Überprüfung dieser Annahme steht blattes. Im Durchschnitt lag der Blattfrass sche Faktoren, wie z.B. pH-Wert, Was- jedoch noch aus und kann erst erfolgen, in den Referenzbächen bei 60–70 mm2/ sertemperatur oder die Leitfähigkeit, sobald die chemischen Analysen verfüg- (Tier*Woche). Ein Blattfrass von weni- schwankten nicht wesentlich oder stiegen bar sind. ger als 20 mm2/(Tier*Woche) wurde als der Saisonalität entsprechend an. Wäh- «verdächtig wenig» eingestuft. Inwieweit rend der Expositionszeit 2012 schwank- Pestiziduntersuchungen diese Frassbereiche übertragbar sind te die Wassertemperatur an den Stellen Die Untersuchung der Pestizidfrachten auf andere Einzugsgebiete, kann beim Wyna Reinach zwischen 4,5 °C und an den beiden Stellen in der Wyna ergab aktuellen Wissensstand noch nicht abge- 15,5 °C und bei Wyna Suhr zwischen erhebliche Belastungen mit Herbiziden, schätzt werden. 5,5 °C und 17,5 °C. Ein Vergleich der

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Fig. 5 Mittelwerte des Blattfrasses [mm2/(Tier*Woche)] in den einzelnen Untersuchungswochen 2012 mit Standardfehlern (senkrechter Strich). Untersuchungsstandorte: Referenzstelle Lochbach, Wyna bei Reinach und Wyna bei Suhr. Mittelwerte gebildet über den Blattfrass von sechs Käfigen. Anhand der Standardfehler kann bereits visuell eine Aussage über mögliche signifikante Unterschiede beim Blattfrass gemacht werden. Überlappen sich die Fehlerbalken zweier Mittelwerte nicht, dann ist das Resultat signifikant unterschiedlich (z. B. 1. Woche Standort Lochbach gegenüber den Standorten Reinach und Suhr) Valeurs moyennes de défoliation [mm2/(animal*semaine)] au cours des différentes semaines d’analyse en 2012 avec erreur standard intégrée (trait vertical). Sites d’analyse: lieu de référence Lochbach, Wyna près de Reinach et Wyna près de Suhr. Valeurs moyennes calculées en fonction de la défoliation dans six cages. Une erreur standard permet une déclaration visuelle des différences significatives possibles lors de la défoliation. Si les barres d’erreur de deux valeurs moyennes ne se chevauchent pas, le résultat est significa- tivement différent (p. ex. première semaine site de Lochbach par rapport aux sites Reinach et Suhr)

Wassertemperaturkurve mit der Frassak- MÖGLICHEr EINFLUSS VON zentrationen von > 1 μg/l vorlagen und tivität zeigte keine positive Korrelation PESTIZIDEN damit die Anforderungen an die Wasser- zwischen höherer Temperatur und grös- qualität nach GSchV (SR 814.201), An- serer Frassmenge [12]. Ebenfalls vari- Pyrethroide (Cypermethrin, Deltame- hang 2, massiv überschritten, wird von ierte die Leitfähigkeit in den Versuchen thrin, Lambda-Cyhalothrin, Etofenprox, Herbiziden a priori keine toxische Wir- 2012 nur geringfügig (Reinach 501– Bifenthrin, Alpha-Cypermethrin) konn- kung auf Wassertiere erwartet. 586 μS/cm; Suhr 571–678 μS/cm). Zwi- ten weder 2011 noch 2012 nachgewie- Etwas weniger klar ist die Situation bei schen der Leitfähigkeit und der Frassak- sen werden (Nachweisgrenze 0,05 μg/l). Fungiziden. Ein indirekter Einfluss auf tivität konnte auch keine Korrelation fest- Pyrethroide wirken bereits im tiefen den Blattfrass ist nicht auszuschlies- gestellt werden. Nanogramm-pro-Liter-Bereich toxisch. sen, und zwar durch die Beeinflussung Zusätzlich wurde getestet, ob ein Zusam- Bekannt ist zudem, dass sie stark an Par- des Pilzbewuchses der Blätter. Blatt- menhang zwischen dem Abfluss und der tikel adsorbieren und so möglicherweise zersetzende Pilze haben einen grossen Frassaktivität feststellbar ist. Für diesen der üblichen Analyse entgehen. An der Einfluss auf die ahrN ungsqualität der Vergleich wurde der normierte maximale Eawag wird zurzeit im Rahmen einer Dis- Blätter [15]. Fungizide wurden aber nur Abfluss berechnet (Verhältnis des maxi- sertation versucht, das Problem der Ana- vereinzelt in sehr geringen Konzentrati- malen Wochenabflusses [m3/s] zum jähr- lyse von Pyrethroiden zu lösen (Christoph onen nachgewiesen.

lichen Abflussmedian 182Q . Daraus wurde Moschet, Abteilung Umweltchemie). Zur Unter den Insektiziden wurde Diazinon ersichtlich, dass ein geringer Blattfrass Probenahme werden Kunststoffbahnen wiederholt in zwar geringen, aber mög- nicht zwingend mit der Höhe des Abflus- aus Silikon während dreier Wochen im licherweise doch toxischen Konzentra- ses korrelierte. Bei Abflüssen onv > 4-mal Gewässer exponiert, die unpolare Stoffe, tionen gemessen. 2011 wurde Diazinon

Q182 in Reinach und > 4-mal Q182 in Suhr wie Pyrethroide, adsorbieren können. in der Wyna in Zetzwil und in Gräni- ist jedoch immer ein geringer Frass von Bereits während der Gammarus-Tests chen in allen Proben festgestellt mit ca. ≤ 10 mm2/(Tier*Woche) festgestellt in Reinach wurden solche Silikonfah- 0,04–0,06 μg/l. An den übrigen Stellen worden. In einer Studie konnte gezeigt nen eingesetzt. Aufgrund methodischer wurde Diazinon nur in einzelnen Proben werden, dass unter Laborbedingungen Schwierigkeiten konnten diese jedoch in deutlich geringeren Konzentrationen hydraulischer Stress und Sedimentstress noch nicht analysiert werden. oder gar nicht nachgewiesen. 2012 trat die Drift von Gammarus pulex nur ge- Während der In-situ-Versuche wurden in Diazinon in den Sammelproben vom 26. ringfügig beeinflusste. Insektizide lösten beiden Jahren vor allem Herbizide ana- März bis 16. April mit 0,02 μg/l in der hingegen konzentrationsabhängig eine lytisch nachgewiesen, insbesondere Gly- Wyna bei Reinach und mit 0,05 μg/l in erhöhte Driftrate der Bachflohkrebse aus phosate, Isoproturon, Metolachlor oder der Wyna bei Suhr auf. In Suhr blieb [14]. Asulam. Obwohl diese zum Teil in Kon- Diazinon in den beiden weiteren Sam-

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Fig. 6 Kategorisierung des Blattfrasses [mm2/(Tier*Woche)] anhand der In-situ-Untersuchungen Frühsommer 2011 und Frühjahr 2012 in der Wyna und deren Zuflüssen. erV wendete Bachflohkrebs-Populationen: 2011 aus Lochbach bei Gränichen (unbelasteter Standort) und aus Wyna bei Gränichen (belasteter Standort); 2012 aus Lochbach bei Gränichen (unbelasteter Standort) Catégorisation de la défoliation [mm2/(animal*semaine)] à l’aide des analyses in situ au début de l’été 2011 et au printemps 2012 dans la Wyna et ses affluents.opulations P de gammares utilisées: 2011 de la Lochbach de Graenichen (site non menacé) et de la Wyna près de Gränichen (site menacé); 2012 de Lochbach près de Gränichen (site non menacé)

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melproben bis Ende Mai mit 0,03 μg/l Pyrethroiden bleibt weiterhin zu klären. Mit den In-situ-Versuchen mit Gammarus erhöht. In allen übrigen Sammelproben Der chemische Nachweis von Pestiziden konnte ein Testprotokoll entwickelt wer- lag Diazinon im Bereich der Nachweis- in Gewässern sagt allein noch nichts über den, welches nicht nur akute Toxizität grenze von 0,003 μg/l oder darunter. eine biologische Wirkung auf die Wasser- (Mortalität), sondern auch subletale Ef- Insgesamt ergab sich dennoch kein kla- lebewesen und das Ökosystem Fliessge- fekte (verminderte Frassaktivität) signifi- rer Zusammenhang zwischen Diazinon wässer aus. Aus akuten oder chronischen kant nachweisen kann. Der methodische und einer reduzierten Frassaktivität von Tests im Labor mit Modellorganismen Aufwand für die Minimierung der zufälli- Gammarus. unter Standardbedingungen sind zwar gen Variabilität der Ergebnisse, vor allem Toxizitätsdaten zu verschiedenen Pes- zur Quantifizierung des Blattfrasses, ist SCHLUSSFOLGERUNGEN FÜR tiziden bekannt. Sie beziehen sich aber jedoch erheblich. In der Praxis lohnt sich DIE PRAXIS vorwiegend auf Einzelsubstanzen, selten dieser Aufwand dann, wenn eine Belas- Stoffgemische, und meist auf höhere Kon- tungsquelle lokalisiert ist und zusätzlich Die In-situ-Versuche mit Bachflohkrebsen zentrationen als im Gewässer tatsächlich ein Nachweis der Schadwirkung im Ge- geben ein einigermassen konsistentes vorhanden. Die Übertragbarkeit auf das wässer gefordert wird. Zum Auffinden Bild mit der unterschiedlichen Häufigkeit Freiland bleibt daher beschränkt. von Belastungsquellen in geschädigten der Tiere an den verschiedenen Gewäs- Biologische Methoden hingegen können Gewässern muss das Testprotokoll res- serstellen. Dort, wo Bachflohkrebse selten die Auswirkungen von Schadstoffen im pektive das Vorgehen vereinfacht wer- sind oder gar fehlen, konnte man meist Gewässer selbst nachweisen. Die Unter- den. Dazu sollte man sich auf den Nach- eine unterdurchschnittliche Frassakti- suchung der Wasserwirbellosen mithilfe weis der akuten Toxizität beschränken. vität feststellen. Dies kann als Hinweis des Modulstufenkonzepts des Bundes Die Abteilung für Umwelt des Kantons auf eine toxische Wirkung von Stoffen im ermöglicht mit dem Index IBCH einen Aargau wird im Jahre 2013 ein solches Wasser gewertet werden, auch wenn wäh- groben Überblick über den biologischen vereinfachtes Vorgehen in kleinen Ge- rend der Tests keine akute Toxizität nach- Zustand des Gewässers und kann Hin- wässern mit intensiver landwirtschaftli- weisbar war. Im Dorfbach Dürrenäsch weise auf Belastungen geben [16]. Sub- cher Nutzung des Einzugsgebietes testen. und im Lochbach, wo Bachflohkrebse letale und chronische Effekte auf Was- häufig orv kommen, waren die Frassakti- serwirbellose durch Schadstoffe sind mit BIBLIOGRAPHIE vitäten am höchsten. dieser Methode aber nicht erkennbar. [1] Lubini, V. (2006): Untersuchung Benthos Wy- Deutlich wurde ebenso, dass für toxische Der SPEAR-Index, ein feldökologisches nenthal 2006. Im Auftrag der Kantone Aargau und Wirkungen auf Gammarus das Früh- Bewertungskonzept, entwickelt für die Luzern, 8 S. jahr kritischer ist als der Frühsommer. Bewertung von Insektiziden, ist für die [2] Vonarburg, U. P. et al. (2002): Pestizide in aargaui- Diese Beobachtung deckt sich mit dem Anwendung in der Schweiz erst in Bear- schen Fliessgewässern 2001. Abteilung für Umwelt Zeitpunkt der Hauptanwendung von Cy- beitung (Interreg-IV-Projekt, www.inter- und Abteilung Landwirtschaft des Kantons Aargau, permethrin im Einzugsgebiet der Wyna. reg.org). Anhand von IBCH oder SPEAR 37 S. Nach wie vor fehlt aber ein Nachweis, können aber nur Zustandsbewertungen [3] Schocher, R. J.; Märki, M. (2010): Pestizide in Aar- welche Pestizide auf Gammarus toxisch des Gewässers gemacht werden (passives gauer und Luzerner Fliessgewässern. Untersuchun- wirken. Insbesondere die Bedeutung von Monitoring). Durch In-situ-Versuche (ak- gen 2002–2007. Dienststelle für Umwelt und Ener- tives Monitoring), wie im Wynental mit gie des Kantons Luzern und Abteilung für Umwelt Gammarus, lassen sich Wirkungen auf des Kantons Aargau, 23 S. Dank die Wasserlebewesen jedoch direkt nach- [4] AquaPlus (2010): Literaturstudie zu Gammarus Die Autoren danken der Eawag für die weisen, insbesondere auch in zeitlicher spp. Rückgang oder Fehlen von Bachflohkrebsen Mitarbeit beim Einsetzen der Käfige Hinsicht. (Gammarus spp.) in Bächen. Erstellt im Auftrag der im Feld (Daniela Eichenberger, Silva- Die einheimischen Bachflohkrebse Abteilung für Umwelt des Kantons Aargau, Verfas- na Käser, Anja Westram) sowie für die (Gammarus pulex und Gammarus fossa- serin: Frau Dr. Almut Gerhardt Unterstützung bei den statistischen rum) haben eine zentrale Funktion im [5] AWA Report (2012): Den Bachflohkrebsen fehlt es Auswertungen (Jukka Jokela, Silvana Nahrungsnetz von Fliessgewässern und nicht an Futtertieren. Untersuchung der Wasser- Käser). Im Weiteren danken wir Fritz sind ganzjährig im Gewässer vorhan- wirbellosen im Einzugsgebiet der Langete. Jahres- Zimmermann, Abteilung für Umwelt den. Auswirkungen von Schadstoffen bericht des AWA 2012 des Kantons Aargau, sowie Caroline auf diese Tiere haben daher zwangsläu- [6] Lubini, V. (2010): Untersuchung Benthos Wy- Baumgartner, AquaPlus, für die Mitar- fig eine grosse Bedeutung für das ganze nenthal 2010. Im Auftrag der Kantone Aargau und beit im Feld (Kontrollgänge, Ersetzen Ökosystem Fliessgewässer. Für den Ge- Luzern, 9 S. der Populationen) und Labor. Wir dan- wässerschutz haben die Ergebnisse von [7] AquaPlus (1993): Literaturübersicht über die Me- ken Caroline Baumgartner, Mathieu In-situ-Versuchen mit Gammarus daher thoden der biologischen Gewässergütebeurteilun- Camenzind, Joachim Hürlimann, Tino eine grosse Relevanz. Um die Ursache gen. Erstellt im Auftrag der Abteilung für Umwelt Stäheli, alle AquaPlus, für die hilfrei- von Schadwirkungen während der Tests des Kantons Aargau chen Kommentare und Verbesserung zu ermitteln, sind immer auch chemische [8] Maltby, L. et al. (2002): Evaluation of the Gamma- des Manuskripts sowie Ernst Roth, Untersuchungen erforderlich. Da die Pes- rus pulex in situ feeding assay as a biomonitor of AquaPlus, und Andreas Gloor, Abtei- tizidanalytik mit breitem Nachweisbe- water quality: robustness, responsiveness, and re- lung für Umwelt des Kantons Aargau, reich an Einzelstoffen sehr osk teninten- levance. Environmental Toxicology and Chemistry für die Hilfe bei den Abbildungen. siv ist, braucht es dazu auch Konzepte, 21: 361–368 welche die Anzahl Proben minimieren. [9] www.oekotoxzentrum.ch

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[10] Kunz, P.Y. et al. (2010): Gammarus sp. in aquatic Stufe F (flächendeckend). Bundesamt für Umwelt, [18] Westram A. et al. (2011): Are cryptic host species ecotoxicology and water quality assessment: to- Bern, Umwelt-Vollzug Nr. 1026, 61 Seiten also cryptic to parasites? Host specificity and ward integrated multilevel tests. Rev. Environm. [17] Baumgartner, C. (2008): Gammarus sp. and Acan- geographical distribution of acanthocephalan pa- Contam. Toxicol. 205: 1–76 thocephala in – Distribution, seasona- rasites infecting freshwater Gammarus. Infection [11] AquaPlus (2011): Wyna: Gammarus In-situ-Ver- lity and local adaption in a host-parasite system. Genetic and Evolution 11: 1083–1090 suche. Ökotoxikologische Untersuchungen 2011. Masterarbeit ETH Zürich Erstellt im Auftrag der Abteilung für Umwelt des Kantons Aargau [12] AquaPlus (2012): Wyna: Gammarus In-situ-Ver- suche. Ökotoxikologische Unter-suchungen 2012. Erstellt im Auftrag der Abteilung für Umwelt des > suite du résumé Kantons Aargau [13] Couland, R. et al. (2011): In situ feeding assay with cipale des pyréthoïdes (insecticides) à deux endroits sur le Wyna en comparaison Gammarus fossarum (Crustaceae): Modelling the avec un ruisseau de référence, pour suivre les effets toxiques possibles sur les influenceof confounding factors to improve water gammares à long terme. quality biomonitoring. Water Research 45: 6417– Le mode opératoire méthodique des essais in situ a fait ses preuves et a permis 6429 d’obtenir des résultats probants du point de vue statistique au cours des deux an- [14] Kirchberger, U.; Liess, M. (1994): Akute Drifterhö- nées d’analyse. Aucune toxicité aigüe sur les gammares n’a pu être constatée dans hung von Gammarus pulex (L.) in einem landwirt- aucun des sites d’analyse au cours de ces deux années. De manière générale, la schaftlichen Fliessgewässer und dessen mögliche défoliation était plus forte au printemps qu’au début de l’été. En 2012, la défoliati- Verursachung durch Insektizide. Deutsche Gesell- on était nettement plus faible sur les sites de la Wyna que dans le ruisseau de ré- schaft für Limnologie: Erweiterte Zusammenfas- férence. Pendant certaines semaines, une défoliation nettement plus réduite a pu sung der Jahrestagung 1994. Hamburg, 861–865 être observée sur les sites de la Wyna. Simultanément, des phénomènes pluvieux [15] Fossard, A. et al. (2012): Fungal Importance ext- sont survenus pendant ces semaines, ayant conduit à des déversements accrus ends beyond litter decomposition in experimental avec des érosions agricoles. Les résultats laissent supposer que les pesticides early-successional streams. Environmental Micro- sont au moins l’une des causes de la pénurie par région des gammares. biology 14: 2971–2983 [16] BAFU (2010): Methoden zur Untersuchung und Beurteilung der Fliessgewässer: Makrozoobenthos

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