Stiftung Preußische Schlösser Und Gärten Berlin-Brandenburg
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Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg. Jahrbuch Bd. 1 1995/1996 Copyright Das Digitalisat wird Ihnen von perspectivia.net, der Online- Publikationsplattform der Stiftung Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland (DGIA), zur Verfügung gestellt. Bitte beachten Sie, dass das Digitalisat urheberrechtlich geschützt ist. Erlaubt ist aber das Lesen, das Ausdrucken des Textes, das Herunterladen, das Speichern der Daten auf einem eigenen Datenträger soweit die vorgenannten Handlungen ausschließlich zu privaten und nicht-kommerziellen Zwecken erfolgen. Eine darüber hinausgehende unerlaubte Verwendung, Reproduktion oder Weitergabe einzelner Inhalte oder Bilder können sowohl zivil- als auch strafrechtlich verfolgt werden. Hans-Joachim Kunst Friedrich Wilhelm IV. als Auftraggeber von Bahnhöfen und Brücken Das Beispiel Wittenberge Den Bauten der industriellen Revolution, die in der Regierungszeit Frie- drich Wilhelms IV. errichtet worden sind, eines Königs, den bereits die Mitwelt und vor allem die Nachwelt als Romantiker auf dem Thron charakterisiert hat, und dies sowohl im affirmativen als auch im pejorativen Sinne des Wortes, ist von der Kunstgeschichte ein weit- aus geringeres Interesse entgegen gebracht worden als den Bauten, die im persönlichen Auf- trag des Königs und des Adels entstanden.1 Doch muß man sich klar machen, daß in sei- ner knapp zwanzigjährigen Regierungszeit Preußen zum führenden Industriestaat auf dem europäischen Kontinent avancierte, ein Aufstieg, der vor allem dem Eisenbahnbau verdankt werden muß, dem Eisenbahnbau, der, wie Wolfgang Klee 1982 darlegte, dazu führte, daß die Königlich Preußische Eisenbahnverwaltung, als sie 1920 aufgelöst wurde, der größte Eisenbahn- und Verkehrsbetrieb der Welt war.2 Jedoch muß einschränkend zum Titel mei- nes Beitrages gesagt werden, daß nicht dem persönlichen Regiment des Königs, nicht allein der preußischen Regierung, sondern – im Gegenteil – der oppositionellen Bourgeoisie, zu der vor allem die Vertreter der rheinischen Großindustrie gehörten, der Eisenbahnbau ver- dankt werden muß. In diesem Zusammenhang sei an den berühmten Ausspruch des rhei- nischen Industriellen Friedrich Harkort erinnert, daß die Lokomotive der Leichenwagen des Absolutismus sei, einen Ausspruch, der in dem bekannten kleinen Gemälde Alfred Rethels (Abb. 1), um 1834 entstanden, seine treffende Verbildlichung erfahren hat.3 Dargestellt ist die mittelalterliche Burg in Wetter an der Ruhr, die sich in eine Gußstahlfabrik verwandelt hat und weiter verwandelt. Wie auf der einen Seite die Fabrik wächst, in dem Maße ver- schwinden auf der anderen Seite die mittelalterlichen Mauern der Burg. Daß es gerade die oppositionelle Bourgeoisie war, die den Eisenbahnbau in Preußen for- cierte, zeigt eindringlich die Tatsache, daß Friedrich Wilhelm IV. nach den Märzereignis- sen von 1848 die Männer zu Ministern berief, die vorher seinen tiefen Abscheu erregt hat- ten, nämlich die rheinischen Liberalen. Mit ihrem Wortführer David Hansemann wurde im Sommer 1848 eine Regierung gebildet, das sogenannte Ministerium der Tat, deren wich- tigste Maßnahme die Forcierung des Baues der Ostbahn war, einer der wenigen Staats- 168 Hans-Joachim Kunst Abb. 1 Alfred Rethel: Burg Wetter mit der Harkortschen Fabrik,Duisburg DEMAG AG bahnen Preußens zu dieser Zeit. Zu diesem Zwecke verpflichtete die liberale Regierung über 1000 Demokraten aus Berlin zum Bau der Bahn, eine Maßnahme, die nicht besser den revolutionären Impetus absorbieren könnte: Gegen Demokraten helfen also nicht nur Sol- daten!4 Wie bereits angedeutet, lag der Bahnbau in Preußen größtenteils in der Hand von Privatgesellschaften, von denen die Köln-Mindener – durch die Monographie von Levin Schücking auch in die Literaturgeschichte eingegangen –,5 die Rheinische Bahn mit der wichtigen Strecke Köln-Antwerpen, dem sogenannten Eisernen Rhein, die Bergisch-Mär- kische, die Niederschlesisch-Märkische Eisenbahn, die Berlin-Potsdam-Magdeburger Bahn und schließlich die Berlin-Hamburger Bahn, die spätere Paradestrecke der Deutschen Reichsbahn besonders zwischen den beiden Weltkriegen,6 die wichtigsten waren. Zwar liest man immer wieder, daß die Disposition der Kölner Rheinbrücke in der Achse des Domes und die Plazierung des Bahnhofes anstelle des Gartens des Jesuitenordens in die unmittelbare Nähe des Domes einem Wunsch des Königs folgten,7 doch ist die Ent- scheidung über den Bau des Bahnhofs und der Brücke an den jetzigen Stellen wohl durch die Kölner Stadtverordnetenversammlung mit einer Stimme Mehrheit herbeigeführt wor- Friedrich Wilhelm IV. als Auftraggeber von Bahnhöfen und Brücken 169 den. Dabei soll die rheinische Bourgeoisie das Argument gebraucht haben, der Kathedrale des Rückschritts (dem Dom) müsse die Kathedrale des Fortschritts (der Bahnhof) entge- gengestellt werden.8 Übrigens hätte sich der König, der ja auch den Wiederaufbau des tor- sohaften Domes initiierte und förderte und an einer baldigen Beilegung des schon unter seinem Vater begonnenen Kirchenstreites interessiert war, eine solche, die Kirche brüskie- rende Disposition nicht erlauben können, zumal die Plazierung des Bahnhofes und der Brücke in die Nähe des Domes gerade in der katholischen Publizistik eine scharfe Kritik fand. So liest man im Domblatt von 1859: »Wir können noch manchen Umschwung der Ideen erleben […] und der große eiserne Käfig, der gegenwärtig unmittelbar dem Dom gegenüber zur Verbindung der beiden Ufer des schönen vaterländischen Stroms errichtet wird, muß doch manchem die Überzeugung gewähren, daß es nicht recht feststeht mit unserer gegenwärtigen Kunstbegeisterung, mir wird angst und bange, […] wenn ich das Ungeheuer betrachte, welches so verhängnisvoll dort lungert, so recht eine Signatur der Gegenwart mit ihren ordinären Ideen, der Engbrüstigkeit des materiellen Strebens«.9 Außerdem muß bedacht werden, daß beim Fahren über die Brücke nicht der König, son- dern der Lokomotivführer den Dom zuerst sieht und die Einfahrt in die Stadt keine via tri- umphalis ist.10 Heinz Schönemann hat mich darauf hingewiesen, daß der in der Kutsche fahrende König den Blick des vor ihm sitzenden Kutschers gleichsam dirigiert. Der König weiß um den Weg, so daß der Kutscher – es mag paradox klingen – dem Blick des Königs folgt. Anders gesagt: beim König liegt der Vorausblick, beim Kutscher der Nahblick. Wenn man so will, kann man von einer Unterscheidung zwischen der vita contemplativa, die beim König liegt, und der vita activa des Kutschers sprechen. Ob diese Vorstellung auf die Eisenbahnfahrt des Königs zu übertragen ist, weiß ich nicht, zumal der Weg der Eisenbahn durch die Stadt, wie erwähnt, keine via triumphalis ist, sondern wie jeder sich leicht über- zeugen kann, meist an den Hinterhöfen vorbei führt. Hinzu kommt, daß das Gitterwerk der Kölner Rheinbrücke, die im Volksmund als Mausefalle bezeichnet wurde, im Reisen- den den Eindruck erwecken mußte, als fahre er durch einen Tunnel über den Rhein auf die Stadt zu (Abb. 2a, b). Aber auch der Wiederaufbau des Domes ist eine Großtat der technischen Revolution. Wer das Glück hat, vom Dombaumeister Arnold Wolff oder Rolf Lauer in den Dachstuhl des Kölner Doms geführt zu werden, vergißt, daß er in einer mittelalterlichen Kathedrale steht, sondern er muß glauben, in eine Fabrikhalle des 19. Jahrhunderts geraten zu sein.11 Die Dombrücke, bereits 1847 geplant, aber erst zwischen 1855 und 1859 ausgeführt, und ihre älteren Schwestern, die zwischen 1851 und 1857 über die Weichsel und Nogat geschla- genen Gitterträgerbrücken, galten als Höchstleistungen des preußischen Eisenbahn- brückenbaues.12 Darüber ist aber vergessen worden, daß bereits zwischen 1843 und 1851 die längste Brücke in Preußen, ja in Deutschland, errichtet worden war, die 1590 Meter lange Eisenbahnbrücke in Wittenberge über die Elbe (Abb. 3).13 Sie liegt im Zuge einer Eisenbahnverbindung, die über Magdeburg das mitteldeutsche Industrierevier an den Ham- burger Hafen bindet, einer Verbindung, die vor allem der Initiative des Magdeburger Ober- bürgermeisters August Wilhelm Francke zu verdanken ist, der sich auch durch die Anlage 170 Hans-Joachim Kunst Abb. 2a Köln, Dombrücke um 1860, Lithographie nach einer Zeichnung von Otto Hoppe Abb. 2b Köln, Dombrücke, Brückenportal auf der Deutzer Seite, um 1900 Friedrich Wilhelm IV. als Auftraggeber von Bahnhöfen und Brücken 171 Abb. 3 Wittenberge, Eisenbahnbrücke über die Elbe, Stahlstich um 1855 Abb. 4 Wittenberge, Eisenbahnbrücke über die Elbe: Längsschnitt des ersten von Peter Joseph Lenné konzipierten Volksparks in der Geschichte der Garten- kunst einen Namen gemacht hat.14 Die ersten Arbeiten zum Bau dieser Eisenbahnlinie und der Brücke über die Elbe bei Wittenberge begannen im August 1843. Aber erst drei Jahre später, 1846, gelang es, für den Bau dieser Bahnlinie und vor allem der Brücke ein Aktienkapital in Höhe von 4.5 00 000 Talern aufzubringen, wobei allein ein Drittel der Summe für den Bau der Wit- tenberger Elbbrücke veranschlagt wurde. Denn es waren nicht nur der Elbstrom und das weite Überschwemmungsgebiet, sondern auch die Mündungsarme der Stepenitz und Kart- hane, der wichtigsten Flüsse der Prignitz, zu überbrücken. Nach verschiedenen Plänen 172 Hans-Joachim Kunst wurde unter der Leitung des Regierungs- und Baurates Hans Victor von Unruh 1847 ein Entwurf vorgestellt, der im wesentlichen auch zur Ausführung kam. Hans Victor von Unruh, Sohn eines preußischen Generals, hatte bereits seine Sporen im Eisenbahnbau in Schlesien und Ostpreußen verdient, bevor er die Leitung des Baus dieser Eisenbahnstrecke übernahm.