Zwischen Nationalismus Und Internationalität
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33 Marcus Köhler Zwischen Nationalismus und Internationalität Das Werden einer Kulturlandschaft ist kein eindimensiona- in Schwerin vielschichtig vorgedacht und bis heute nachvoll- ler Prozess, sondern setzt sich aus verschiedenen Entwick- ziehbar, weltweit geschichtsbildend wirkt. lungssträngen zusammen, die sich teilweise bedingen, ge- Die wesentlichen Rahmendaten für die Herausbildung der nauso gut aber auch ungeplant nebeneinander entwickeln Schweriner Kulturlandschaft liefert die deutsche Geschichte können. Künstlerische Gesamtkonzepte sind eher Ausnah- zwischen dem Untergang des Alten Reiches im Jahr 1806 men, wenngleich sie auch bis heute unser Geschichtsbild und der Gründung des Norddeutschen Bundes 1866 bzw. prägen; Peter Joseph Lennés Konzept einer „Insel Potsdam“ des Deutschen Reiches 1871. Die Geschichtsschreibung, die oder das „Gartenreich“ Wörlitz mögen zu diesen prägenden Mecklenburg in jener Zeit zu den „mindermächtigen“ Staa- Ausnahmen zählen. ten zählt, verschleiert den Blick auf die tatsächlichen Spiel- Tatsache ist, dass es diese im „System Kulturlandschaft“ an- räume, die dem Land innen- und außenpolitisch zur Verfü- gelegte Disparität schwierig macht, eine lineare Geschichts- gung standen. Der rasche Übertritt Mecklenburgs von der schreibung vorzunehmen. Auch in Schwerin ist dies der Fall, napoleonischen auf die preußisch-russische Seite 1813 kann wo eine Reihe von Gelehrten, Politikern und Großherzögen als Initialzündung für die Formierung Europas gegen den über drei Generationen hinweg eine Landschaft entdeckten Franzosenkaiser gesehen werden. Schon damals bekannte und wissenschaftlich wie auch politisch erschlossen. Auch man sich im Norden „zu dem künftigen deutschen Reichs- wenn es primär nicht ihre Absicht war, die Landschaft in ei- bunde, dem letzten Ziele aller Wünsche und Bestrebungen ner politisch schwierigen Zeit für Volk und Fürst dienstbar zu des hochsinnigen Herzogs“1 Friedrich Franz I. Die politi- machen, so erwies sie sich jedoch rückblickend als identitäts- sche Rolle, die Mecklenburg in Folge auf dem Wiener Kon- stiftende Folie, vor der bis 1918 ein Gemeinsinn beschworen gress und im Deutschen Bund einnahm, ist dank des Einsat- werden konnte. zes des mecklenburgischen Vertreters Leopold von Plessen Als wesentliche Triebkraft hierfür muss die heimische (1769–1838) als ein diplomatisches Meisterstück zu bezeich- Archäologie genannt werden, die seit der frühen Neuzeit im- nen, das dem Land Respekt und Vorteile einbrachte. Plessens mer wieder aufleuchtet, sich im ausgehenden 18. Jahrhun- 1815 verfasste programmatische Schrift Grundzüge zu einem dert herausbildet und zum ersten Mal in einem 1804 datierten künftigen teutschen Gesamtwesen und einer National-Einheit Erlass Friedrich Franz I. fassbar wird. Im Sinne des reichs- sorgte in Wien nicht ohne Grund für Aufmerksamkeit. Ferner ständischen Schatzregals verlangt er darin von seinen Unter- zeugte die Konsolidierung Mecklenburgs und die Erhebung gebenen, jegliche Bodenfunde anzuzeigen und abzugeben. zum Großherzogtum – wie der Landes-Convent im Dezem- Gemeinhin wird diese Anordnung deshalb auch als erstes ber 1815 festhielt – von Plessens „Fürsorge für die Erhal- deutsches „Denkmalschutzgesetz“ betrachtet. Gerade deswe- tung der rechtlich begründeten alt vaterländischen Verfas- gen muss die Frage gestellt werden, warum der Landesherr sung“.2 In Bezug auf dieses „Alt-Vaterländische“ nimmt es außerhalb des vorherrschenden antik-klassizistischen Ka- nicht wunder, dass ein Interessengebiet des Ministers auch nons Bandkeramiken und Flintkeilen die gleiche, wenn nicht die Geschichte seiner Heimat darstellte, weshalb er nicht nur gar höhere Aufmerksamkeit schenkt. Die Tatsache, dass sich Mitglied der Königlichen Gesellschaft für Nordische Alter- der Begriff des Denkmalschutzes erst herausbildet, als ne- tumskunde in Kopenhagen war, sondern 1819 auch zu den ben der hellenistisch-römischen auch eine national geprägte Gründungsmitgliedern der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichte Interesse hervorruft, weist auf diesen Umstand Geschichtskunde gehörte. Zudem war er von Anfang an Eh- hin. Wer etwa in den letzten Jahren die außerordentlichen renmitglied des Vereins für mecklenburgische Geschichte Ergebnisse der vorderasiatischen Archäologie zur Kenntnis und Altertumskunde sowie des Mecklenburgischen Patrio- genommen hat und zudem die gleichzeitig einsetzende Re- tischen Vereins. Daneben legte er nicht nur seinen eigenen zeption der im Entstehen begriffenen turkmenisch gepräg- Garten in Dolgen an, sondern war auch für Erweiterungen ten Staaten wie Aserbaidschan verfolgt, muss feststellen, des Schweriner Schlossgartens um 1820 verantwortlich.3 dass die Verschränkung von Politik und nicht-klassischer, Die Verschränkung von Politik und älterer Heimatge- sondern landestypischer Archäologie Geschichtsdeutungen schichte, wie man sie beispielhaft an Plessen sehen kann, möglich macht, die im 19. Jahrhundert in Europa allgemein – nahm in Mecklenburg ihren Anfang, als unter dem Titel Wan- und speziell in Mecklenburg – ihren Ursprung haben, heute dalia eine wendische Geschichtsschreibung des hanseati- aber an anderen Orten wiederaufleben. schen Syndikus’ Albert Krantz (um 1448–1517) posthum Insofern sollte es auch der UNESCO daran gelegen sein, veröffentlicht wurde,4 die möglicherweise auch der Sam- weniger objektbezogen, sondern ideengeschichtlich einem mel- und Ausgrabungseifer Herzog Heinrichs V., genannt hochintellektuellen Konzept Rückenwind zu verleihen, das, der Friedfertige (1479–1552), und des Schweriner Kanz- 34 Marcus Köhler leirats und Historiographen Nikolaus Marschalk (Thurius) Er erschloss die umliegende Feldflur und ließ sich im Sinne (um 1470–1525) beförderte. Bereits 1665 gab es die ersten einer slawischen Erdbestattung 1805 in einer Erdpyramide Vorlesungen zur Vor- und Frühgeschichte, die vom Rosto- mitten im Feld beerdigen. Dieses sinnbildliche Verschmel- cker Professor Daniel Georg Morhof (1639–1691) gehalten zen mit der Landschaft und ihrer Geschichte ist vor allem wurden.5 Obwohl noch ganz Mann des Barock, sammelte daher zu erklären, dass ihm – aus mecklenburgischem Ur- auch Herzog Christian Ludwig (1683–1756) ebenso wie sein adel stammend, als böhmischem Standesherr und Herr über Leibarzt Hornhard (gest. 1759) prähistorische Objekte, wo- eine ehemalige mittelalterliche mecklenburgische Residenz- bei ihre Stücke ins herzogliche Naturalienkabinett kamen.6 stadt – besondere Rechte zufielen, die seitens des Herzogs Für den Herzog waren diese Objekte Teile einer Familien- und der Stadt beschnitten wurden. Es galt also, einen Legi- geschichte, die nach innen- und außenpolitischen Katastro- timitätsanspruch mit Mitteln der beginnenden Landesver- phen, die unter seinem Bruder das Land in Mitleidenschaft schönerung deutlich zu machen. gezogen hatten, wieder die königshafte Größe seiner Familie Kurze Zeit später, ab 1806, baute Hans von Labes (1763– darzustellen vermochten. Dies zeigte auch ein Orden, den er 1831), der durch Adoption seines reichsfreien Schwiegerva- zu gründen beabsichtigte und der folgendermaßen beschrie- ters den Titel eines Grafen von Görtz-Schlitz führen durfte, ben wurde: „Das gantze Ordens Creutz soll zum andencken bei Hohen Demzin die Burg Schlitz als klassizistisches Her- Unserer Herkunfft und Abstammung von denen alten Wen- renhaus aus, die allein schon ihres seltenen Namens wegen dischen Königen mit einer Königl. Krohne bedecket seyn, Anknüpfungen an die Vorzeit lieferte.9 Zahlreiche Monu- darin ein Hertzoglicher Huth eingesetzet ist.“7 mente verwiesen im Park nicht nur auf aktuelle politische In der gleichen Zeit brachte Ernst Joachim von Westpha- Bezüge, sondern beschworen auch einen nationalen und his- len eine vierbändige Sammelschrift mit dem Titel Monu- torischen Geist herauf. Nicht zufällig war auch der Graf ein menta inedita rerum Germanicarum praecipue Cimbricarum Förderer der Altertumskunde.10 Daneben gründete er 1798 et Mega polensium (Leipzig 1739–45) heraus, die Wissens- mit dem Landrat Gustav Dietrich von Oertzen auf Klein Vie- wertes zur Geschichte Mecklenburgs wiedergibt. Auf sie be- len und Kittendorf sowie dem Rostocker Professor Franz zog sich auch der irische Reiseschriftsteller Thomas Nugent, Lorenz Kasten die „Mecklenburgische Landwirtschaftliche der das Heimatland der Königin Charlotte von Großbritan- Gesellschaft“, die sich später wegen ihrer thematischen Öff- nien, geborene Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz, bereiste nung Mecklenburgisch Patriotischer Verein nannte. Da man und 1766 das Buch The history of Vandalia Containing the sich meist mit praktisch-wirtschaftlichen Dingen beschäf- ancient and present state of the country of Mecklenburg ver- tigte, ist es bemerkenswert, dass auch die Landesverschöne- öffentlichte. Alle Schriftsteller sind sich darin einig, dass die rung eine Rolle spielte, ja sogar Peter Joseph Lenné (1789– Familie der Obotriten – und damit das Haus Mecklenburg – 1866) 1825 und ein Jahr später auch der Gartendirektor historisch Würden innehatten, die sie „königswürdig“ oder Christoph Friedrich Otto (1773–1856) aus dem Botanischen sogar „königsgleich“ macht. Garten in Berlin-Schöneberg als Ehrenmitglieder aufgenom- Eine neue Qualität der Verschränkung von dynastisch ge- men wurden. In den einzelnen Lokalgruppen des Vereins prägter Staatspolitik mit der Prähistorie setzte ein, als 1768 beschäftigten sich Mitglieder mit der ästhetischen Verbes- bronzene Idole auftauchten, die in dem zwischen Neubran- serung von Stadtumfeldern. Über die Ortsgruppe in der Re- denburg und