A 2 Einführung
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Die Architektur deutscher Landgerichte zwischen 1900 und 1920 Inauguraldissertation zur Erlangung des Akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) im Fachbereich Sprach- und Kulturwissenschaften der Goethe-Universität zu Frankfurt am Main vorgelegt von Otto Kästner aus Frankfurt am Main 2012 I Inhalt A. Einführung 1. Justizarchitektur als Architektur der Reform 1 2. Die Kraft der historistischen Bautradition 11 3. Das Landgericht - eine neue Bauaufgabe 17 3.1. Zum geschichtlichen Hintergrund 17 3.2. Neubauten für die Justiz 20 3.3. Das Landgericht als Ausweis von Stadtbedeutung 21 3.4. Das architektonische Problem 22 4. Die Außendarstellung des Landgerichts 28 4.1. Prachtentfaltung 28 4.2. Die Erkennbarkeit als Gericht 33 5. Architektur als Instrument der Rechtspolitik? 39 6. Die Architektenfrage 41 7. Das Programm der Untersuchung 49 B. Landgerichte in Berlin und den ehemaligen preußischen Westprovinzen 1. Berlin 1. 1 Vorbemerkung 50 1. 2. Das Gebäude Berlin-Mitte (Littenstraße) 51 1. 3. Das Neue Kriminalgericht Berlin-Moabit 56 1. 4.Das ehemalige Landgericht III Berlin Charlottenburg 63 2. Magdeburg 73 3. Halle 81 4. Stade 94 5. Halberstadt 103 6. Hanau 116 7. Bielefeld 128 8. Mönchengladbach 139 9. Saarbrücken 147 10. Krefeld 156 11. Erweiterungsbauten 11. 1. Landgericht Dortmund 167 11. 2. Landgericht Duisburg 172 11. 3. Das Gebäude B der Frankfurter Justiz 178 12. Schwerin 188 C. Landgerichte in Sachsen, Thüringen und Mecklenburg 1. Bautzen 199 2. Leipzig 209 3. Dresden-Münchner Platz 214 4. Rudolstadt 225 D. Landgerichte in Hessen und Württemberg 1. Das Neue Justizgebäude in Darmstadt 237 2. Mainz 251 3. Tübingen 265 4. Rottweil 277 II E. Landgerichte in Bayern 1. Landau 289 2. Justizpalast Bamberg 298 3. Bayreuth 313 4. Schweinfurt 328 5. Regensburg 341 6. Nürnberg 347 F. Schlussbetrachtung 1. Bautyp Landgericht 361 2. Distanzfordernde Hoheit 365 3. Die Gestaltung der Portale 366 4. Ähnlichkeitsbeziehungen 367 5. Reformarchitektur bei Landgerichten 370 Abbildungsverzeichnis 374 Abkürzungen 375 Literaturverzeichnis 376 A. Einführung 1. Justizarchitektur und Architektur der Reform In der Zeit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert bahnte sich in der Architektur ein Umbruch an: die Abkehr vom Historismus, der Verzicht darauf, in historisch überlieferten Stilen zu bauen1. Es begann sich die Erkenntnis durchzusetzen, welche Gestalt eine der Gegenwart entsprechende Baukunst haben müsse. 1894 hatte der als Wegbereiter der Moderne geltende Architekt Otto Wagner sein Lehramt an der Wiener Akademie übernommen und in seiner Antrittsrede gefordert: „Der Ausgangspunkt jedes künstlerischen Schaffens müssen … das Bedürfnis, das Können, die Mittel und die Eigenschaften unserer Zeit sein. - Unsere Lebensverhältnisse, unsere Konstruktionen müssen voll und ganz zum Ausdruck gebracht werden, soll die Baukunst nicht zur Karikatur herabsinken“2. Seine Vorstellungen konnte er bereits 1904-1906 mit dem Bau der Postsparkasse in Wien verwirklichen. Der einflussreiche Kunsthistoriker Cornelius Gurlitt stellte angesichts misslungener Adaption der Renaissance in Berlin 1892 das historistische Bauen insgesamt in Frage3 und wagte einige Jahre später für Dresden den Ausruf: „Die Stilfrage ist erledigt, von der Tagesordnung des neuen Jahrhunderts abgesetzt“4. Tatsächlich lassen sich viele der Bauten, die nach 1900 entstanden sind, nicht mehr als historistisch bezeichnen, will man den Begriff nicht bis zur Unkenntlichkeit überdehnen und damit verwässern. Man kann sie aber andererseits auch nicht den neuen Strömungen zurechnen, der Neuen Sachlichkeit oder dem Expressionismus, die die Architektur der Zwanziger Jahre prägen. Betrachtet man den Historismus lediglich als „eine Form, die wiederholt, was es als Form schon einmal gegeben hat“, und wird das Gewicht somit einseitig auf das Formzitat gelegt, die Anleihen an romanische, gotische, klassische oder barocken Gestaltungsideen, deren 1 Heinßen, S. 432. Miller Lane, S. 23, spricht von einer ersten Revolution in der deutschen Architektur um die Jahrhundertwende, die die moderne Bewegung an sich initiierte. 2 Nach Herrmann, S. 69. 3 Berliner Architektur, in: „Die Gegenwart“ 1892, S. 30. Heinßen, S. 394: die Berliner Gewerbeausstellung von 1896 zeigt das Scheitern der historistischen Baupraxis. Der Symbolcharakter gründerzeitlicher Architektur war verloren. 4 Stadtbild und Bauten, in: „Dresdens Entwicklung in den Jahren 1903-09“, Dresden 1910, S. 1. 2 sich der Architekt bedient hat, so besteht die Gefahr, dass seine eigene schöpferische Leistung, die für die Funktion und das Erscheinungsbild des Ganzen wichtig ist, aus dem Blick gerät. Konstituierend für den Begriff „Historismus“ ist das Element der Rückwärtsgewandtheit, eine Haltung, der die Betrachtung und Benutzung der Geschichte - wenn auch in schöpferischer Auseinandersetzung mit ihr - wesentlich ist5. Bei einer solchen Vorgehensweise kann es allerdings bei einem Bauvorhaben, das wie ein Landgericht bis dahin nicht bekannten Ansprüchen genügen muss, zu einer nicht sachgerechten Gewichtung zwischen Funktion und Form, und damit zu einem Auseinandertreten von Innen und Außen kommen6. Das Landgericht Bautzen bietet dazu ein anschauliches Beispiel. Die von Gurlitt beschworenen Kräfte der Erneuerung fanden nicht in einer homogenen Moderne zusammen. Es waren unterschiedliche Strömungen, die alle geeint wurden durch die Absage an den Historismus7. Es ging ihnen um den Gegenwartsbezug. Sie entwickelten ein Bewusstsein für den geistigen und materiellen Standort im Jetzt. Für diese Architekten war das gleichzeitig ein Bekenntnis zu den Gegebenheiten, Erfordernissen, Problemen und Möglichkeiten der eigenen Epoche. Eine Antwort auf die neuen Fragestellungen versuchte der Jugendstil. Allerdings ist nur ein schmaler Anteil des Baugeschehens von dessen Idee bestimmt worden, auch eine Erneuerung der Architektur lasse sich über von der Natur inspirierte Formen oder die geometrisierende Ornamentik des Wiener Sezessionsstils erreichen. Jugendstilarchitektur ist in erster Linie durch ihre Bauornamentik bestimmt8. Viele Bauherren und Architekten ließen sich von einer Rückbesinnung auf traditionelle regionale Bauformen leiten und grenzten sich so von Historismus und Jugendstil einerseits und vom Neuen Bauen andererseits 5 Eine vermittelnde Position vertraten die seinerzeit einflussreichen Mebes/Behrendt, S. 1-4, 7-10, wenn sie einerseits die Anknüpfung an den Klassizismus propagierten, andererseits jedoch die Weiterentwicklung von Architektur und Handwerk entsprechend den Erfordernissen der Gegenwart aus dem Geist der Zeit „um 1800“ forderten. 6 Diese von Posener, Architektur der Reform, S. 39, genannten Kriterien sind daher mögliche Begleiterscheinungen, nicht aber notwendige Charakteristika historistischer Bauweise. 7 Haiko, S. 9. 8 Lieb, Jugendstil, S. 39. 3 ab. Wichtig war den Protagonisten dieser Bestrebungen die Abwehr eines Internationalismus in der Architektur, der insbesondere durch die Wertschätzung von Formen der italienischen Renaissance in Teilbereichen des historistischen Bauens begünstigt wurde9. Dieser - keineswegs abschätzig so bezeichnete - Heimatstil hatte indessen keine Vorlage zu bieten für die großen Bauvorhaben, die für Wirtschaft, Verkehr und Verwaltung des Industriezeitalters notwendig waren. Geradezu antithetisch wurde daher eine monumentale Architektur gefordert, die Peter Behrens eine Zeitlang gegenüber früherer Stilvielfalt als die einzig der Gegenwart angemessene und den höchsten und eigentlichen Ausdruck der Kultur betrachtete10. Es sind vor allem Architekturphantasien, die die „Monumentalisten“ hinterlassen haben. In der Praxis führten ihre Neigung zum Repräsentativen zur Übernahme bereits vorgeformter Bauideen11. Dem Geist der Zeit entsprachen aber Zukunftsgerichtetheit, der Anspruch, Maßstäbe für kommende Generationen zu setzen, und die Absage an die das flüchtige Glücksgefühl eines Augenblicks evozierende, verspielte Eleganz des Jugendstils. Eine Architektur, die diesen Ansprüchen gerecht wird und außerdem monumental sein muss, weil sie Autorität, Würde, Verlässlichkeit signalisieren soll, aber auch ein Gefühl für die Kontinuität staatlicher Institutionen vermitteln will, kann Elemente des Jugendstils und des Heimatstils benutzen, kann aber nicht bei deren Ausdrucksmöglichkeiten stehen bleiben. Wenn die Nachahmung historischer Stile, aber auch der Jugendstil abgelehnt wird, ergibt sich zwangsläufig eine Vereinfachung des Formenapparates, eine von der Dekoration befreite schlichte Architektur, die dadurch ganz nebenbei die Assoziation mit entsprechenden bürgerlichen Tugenden erlaubt12. Die angestrebte Reform kann damit Monumentalität nur durch die Gliederung der Baumassen erreichen. Die inneren Notwendigkeiten des Baugefüges ergeben seine äußere Gestalt, nicht der Verweis auf Vergangenes. Ein 9 Hübner, S. 8, Crettaz-Stürzel, S. 35. 10 Aschenbeck, S. 131. 11 Hamann/Hermand, S. 354. 12 Posener, Architektur der Reform, S. 14, 36, bezeichnet die von der Dekoration befreite Architektur als bürgerliche Architektur. Schlichtheit erscheine als eine bürgerliche Tugend. 4 nur sparsam eingesetzter Stilverweis bleibt erlaubt, wird aber auf die Aufgabe beschränkt, Zweck und Eigenart des Gebäudes auszudrücken. Die spezifischen Merkmale dieses Teils der Reformbewegung werden in der Literatur an einzelnen Gebäuden verdeutlicht, die in den Jahren der Jahrhundertwende bis zum Beginn oder dem Ende des Ersten Weltkriegs entstanden sind13. Gegenstand der vorliegenden Betrachtung sind Bauvorhaben, deren Fertigstellung sich kriegsbedingt zum