Plenarprotokoll 10/137

Deutscher

Stenographischer Bericht

137. Sitzung

Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985

Inhalt:

Begrüßung einer Delegation des kanadi Rühe CDU/CSU 10173 D schen Unterhauses 10166 B Frau Hönes GRÜNE 10178 D Genscher, Bundesminister AA 10180 D Abgabe einer Erklärung der Bundesregie- Brandt SPD 10183 B rung Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . 10187 C zum Wirtschaftsgipfel Bonn 1985 und zu den Staatsbesuchen von Präsident Reagan Roth SPD 10191 C und Ministerpräsident Nakasone Dr. Graf Lambsdorff FDP 10194 B Kraus CDU/CSU 10197 C in Verbindung mit Volmer GRÜNE 10199 B Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär BMZ . 10201 C Beratung der Beschlußempfehlung und des Kittelmann CDU/CSU 10202 D Berichts des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) zu dem Entschließungsan- Dr. Mertes (Gerolstein) CDU/CSU (Erklä trag der Fraktion der SPD zur Großen An- rung nach § 30 GO) 10203 D frage der Abgeordneten Kittelmann, Wiss- mann, Klein (München), Dr. Pinger, Höff- kes, Dr. Unland, Dr. Marx, Dr. Abelein, Dr. Zweite und dritte Beratung des Entwurfs Schwörer, Lattmann, Dr. von Wartenberg, eines Gesetzes zur Durchführung einer Re- Graf Huyn, Lenzer, Müller (Wadern), Dr. präsentativstatistik über die Bevölkerung Hüsch, Echternach, Clemens, Dr.-Ing. Kan- und den Arbeitsmarkt (Mikrozensusge- sy, Kraus, Dr. Köhler (Duisburg), Borchert, setz) Pfeffermann, Landré, Frau Fischer, Biehle, — Drucksachen 10/2600, 10/2972 — Dr. Jobst, Dr. Bugl, Dr. Müller, Dr. Götz, Beschlußempfehlung und Bericht des In- Schulze (Berlin), Weiß, Jagoda, Susset, Ma- nenausschus se s gin, Regenspurger, Lowack, Milz, Schrei- ber, Dr. Olderog, Feilcke und der Fraktion — Drucksache 10/3328 — der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. - Bericht des Haushaltsausschusses gemäß Haussmann, Beckmann, Grünbeck, Dr.-Ing. § 96 der Geschäftsordnung Laermann, Frau Seiler-Albring, Dr. Solms, Schäfer (Mainz), Ertl, Frau Dr. Hamm-Brü- — Drucksache 10/3330 — cher, Dr. Rumpf und der Fraktion der Ströbele GRÜNE 10205 D FDP Broll CDU/CSU 10206 D Protektionismus Dr. Wernitz SPD 10207 D — Drucksachen 10/2183, 10/2916 — Dr. Hirsch FDP 10209 B Dr. Kohl, Bundeskanzler 10159 B Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär Dr. Vogel SPD 10167 D BMI 10210A II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985

Zweite und dritte Beratung des von den Zweite und dritte Beratung des von der Abgeordneten Büchner (Speyer), Kastning, Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Kuhlwein, Frau Odendahl, Frau Schmidt eines Gesetzes zur Anpassung rechtlicher (Nürnberg), Dr. Schmude, Toetemeyer, Vo- Vorschriften an das Adoptionsgesetz gelsang, Weisskirchen (Wiesloch), Dr. Vo- (Adoptionsanpassungsgesetz) gel und der Fraktion der SPD eingebrach- — Drucksache 10/1746 — ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses — Drucksache 10/1749 — — Drucksache 10/3216 — Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Bildung und Wissenschaft Dr. Schwenk (Stade) SPD 10218A — Drucksache 10/3280 — Erste Beratung des von den Abgeordneten Bericht des Haushaltsausschusses gemäß Frau Schmidt (Nürnberg), Dr. Hauff, Dr. § 96 der Geschäftsordnung Holtz, Müller (Schweinfurt), Jaunich, Frau Blunck, Bachmaier, Egert, Schmitt (Wies- — Drucksache 10/3339 — baden), Antretter, Frau Dr. Hartenstein, Dr. Hauchler, Oostergetelo, Stiegler, Reu- in Verbindung mit ter, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verringerung der Tierversuche Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Daweke, Graf von Wald- — Drucksache 10/2703 — burg-Zeil, Nelle, Frau Rönsch, Schemken, Strube, Frau Dr. Wisniewski, Frau Männle, in Verbindung mit Rossmanith, Dr. Rose und der Fraktion der Erste Beratung des von der Bundesregie- CDU/CSU sowie der Abgeordneten Neu- rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten hausen, Dr.-Ing. Laermann, Frau Seiler-Al- Gesetzes zur Änderung des Tierschutzge- bring, Frau Dr. Hamm-Brücher, Kohn, setzes Baum und der Fraktion der FDP einge- brachten Entwurfs eines Neunten Geset- — Drucksache 10/3158 — zes zur Änderung des Bundesausbildungs- förderungsgesetzes in Verbindung mit — Drucksache 10/2735 — Beratung des Antrags der Fraktion der Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- SPD schusses für Bildung und Wissenschaft Tierschutzgerechte Nutztierhaltung — Drucksache 10/3280 — — Drucksache 10/2704 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß in Verbindung mit § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 10/3339 — Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer und der Fraktion DIE GRÜNEN in Verbindung mit Verbot der Käfighaltung von Hühnern Zweite und dritte Beratung des vom Bun- — Drucksache 10/1885 — desrat eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Bun- in Verbindung mit desausbildungsförderungsgesetzes Beratung des Antrags der Abgeordneten — Drucksache 10/3077 — Frau Dr. Bard und der Fraktion DIE Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- GRÜNEN schusses für Bildung und Wissenschaft Importstopp für Froschschenkel — Drucksache 10/3280 — — Drucksache 10/2868 — Bericht des Haushaltsausschusses gemäß Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär § 96 der Geschäftsordnung BML 10219A — Drucksache 10/3339 — Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 10220 C Daweke CDU/CSU 10213A Stutzer CDU/CSU 10223 B Frau Odendahl SPD 10213 D Werner (Dierstorf) GRÜNE 10225 B Neuhausen FDP 10215A Bredehorn FDP 10226 D Frau Zeitler GRÜNE 10215 D Handlos fraktionslos 10228 B Pfeifer, Parl. Staatssekretär BMBW . . 10216 D Michels CDU/CSU 10229 D Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 III

Beratung der Sammelübersicht 76 Peti- Anlage 1 tionsausschusses über Anträge zu Petitio- nen Liste der entschuldigten Abgeordneten 10237* A — Drucksache 10/3210 — Dr. Schierholz GRÜNE 10231 B Dr. Göhner CDU/CSU 10232 B Kirschner SPD 10233 B Anlage 2 Paintner FDP 10234 C Schreiben der Abg. Frau Schmidt (Nürn- berg) (SPD) vom 9. Mai 1985 an den Präsi- Zweite Beratung und Schlußabstimmung denten des Deutschen Bundestages betr. des von der Bundesregierung eingebrach- Stimmabgabe bei der namentlichen Ab- ten Entwurfs eines Gesetzes zu der in Rom stimmung über Nr. 2 des Entschließungs- am 28. November 1979 angenommenen antrages auf Drucksache 10/3193 am Fassung des Internationalen Pflanzen- 18. April 1985 10237* B schutzübereinkommens — Drucksache 10/1921 — Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Anlage 3 — Drucksache 10/3225 — 10235 C Schreiben des Abg. Dr. Scheer (SPD) vom 3. Mai 1985 an den Präsidenten des Deut- Erste Beratung des von der Bundesregie- schen Bundestages betr. Stimmabgabe bei rung eingebrachten Entwurfs eines Zwei- der namentlichen Abstimmung über das ten Gesetzes zur Änderung des Margarine- Beschäftigungsförderungsgesetz 1985 am gesetzes 19.April 1985 10237*C — Drucksache 10/3159 — 10235 D

Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrich- tung durch die Bundesregierung Anlage 4 Überplanmäßige Ausgabe im Haushalts- jahr 1984 bei Kap. 60 04 Tit. 698 01 — Zah- Aufnahme diplomatischer Beziehungen lungen nach dem Spar-Prämiengesetz — zwischen Spanien und Israel — Drucksachen 10/2943, 10/3214 — . . 10235 D MdlAnfr 73, 74 19.04.85 Drs 10/3226 Gerster (Mainz) CDU/CSU Nächste Sitzung 10236A SchrAntw StMin Dr. Mertes AA . . . 10237* D

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137. Sitzung

Bonn, den 14. Mai 1985

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Jenninger: Die Sitzung ist eröffnet. Reagan, und des Ministerpräsidenten von Japan, Ich rufe die Punkte 2 a und 2 b der Tagesordnung Nakasone, erstatten. auf: Der Besuch des japanischen Ministerpräsidenten a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregie- war für uns ein wichtiges Ereignis; es war ein wich- rung zum Wirtschaftsgipfel Bonn 1985 und tiges Ereignis für das bilaterale Verhältnis zwi- zu den Staatsbesuchen von Präsident Rea- schen unseren Ländern, aber ebenso für die Ge- gan und Ministerpräsident Nakasone meinschaft des Westens. Dieser Besuch hat eine Entwicklung gestärkt und vorangetrieben, an der Beratung der Beschlußempfehlung und des b) die Bundesregierung und nicht zuletzt ich persön- Berichts des Ausschusses für Wirtschaft lich seit meinem Amtsantritt gearbeitet haben. (9. Ausschuß) zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur Großen Anfrage Ich meine den Prozeß des Zusammenwachsens der Abgeordneten Kittelmann, Wissmann, der großen demokratisch verfaßten westlichen In- Klein (München), Dr. Pinger, Höffkes, Dr. Un- dustrienationen zu einer Solidargemeinschaft, die land, Dr. Marx, Dr. Abelein, Dr. Schwörer, zum Nutzen der Bürger sowie im Interesse des Lattmann, Dr. von Wartenberg, Graf Huyn, Weltfriedens und einer gedeihlichen Weltwirtschaft Lenzer, Müller (Wadern), Dr. Hüsch, Echter- immer enger zusammenarbeitet. nach, Clemens, Dr.-Ing. Kansy, Kraus, Während seines Besuches hat Ministerpräsident Dr. Köhler (Duisburg), Borchert, Pfeffer- Nakasone klar zum Ausdruck gebracht, daß Japan mann, Landré, Frau Fischer, Biehle, Dr. unwiderruflich Teil dieser Solidargemeinschaft ist. Jobst, Dr. Bugl, Dr. Müller, Dr. Götz, Schulze Japan will am weiteren Ausbau der Gemeinschaft (Berlin), Weiß, Jagoda, Susset, Magin, Re- mitarbeiten. Dies ist für uns alle eine ebenso wich- genspurger, Lowack, Milz, Schreiber, Dr. Ol- tige wie ermutigende Botschaft. derog, Feilcke und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Dr. Hauss- Dieser Wille wurde in dieser Klarheit zuerst bei mann, Beckmann, Grünbeck, Dr.-Ing. Laer- meinem Besuch Japans in der Gemeinsamen Er- mann, Frau Seiler-Albring, Dr. Solms, Schä- klärung von Tokio vom 1. November 1983 formu- fer (Mainz), Ertl, Frau Dr. Hamm-Brücher, liert. Wir haben das, was wir in Tokio bereits be- Dr. Rumpf und der Fraktion der FDP schrieben haben, jetzt in Bonn in unserer Gemein- Protektionismus samen Erklärung vom 1. Mai 1985 erneut bekräf- tigt. — Drucksachen 10/2183, 10/2916 — Berichterstatter: Diese solidarische Gemeinschaft des Westens be- Abgeordneter Dr. Mitzscherling steht aus den drei Eckpfeilern Europa, Vereinigte Staaten von Amerika und Japan. Die Beziehungen Meine Damen und Herren, nach einer interfrak- Westeuropas zu den USA und die Beziehungen Ja- tionellen Vereinbarung sind für die Beratung- der pans zu den USA sind eng und intensiv. Im Ver- beiden Tagesordnungspunkte 4' / 2 Stunden vorge- gleich zu ihnen ist das europäisch-japanische Ver- sehen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. hältnis noch zu schwach entwickelt. Zu seiner Stär- Dann ist so beschlossen. kung beizutragen, war auf beiden Seiten ein erklär- Ich erteile dem Herrn Bundeskanzler das Wort. ter Zweck dieses Besuches. Wir sind diesem Ziel einen weiteren Schritt näher gekommen. Dr. Kohl, Bundeskanzler: Herr Präsident! Meine Seit Beendigung des Zweiten Weltkriegs, der sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf heute Deutschland und Japan schwer gezeichnet und Mil- die Gelegenheit benutzen und dem Parlament in lionen von Opfern gefordert hat, verfolgen Japan einer Regierungserklärung Bericht über den Ablauf und die Bundesrepublik Deutschland eine Politik des Wirtschaftsgipfels in Bonn und über die Staats- des Friedens und der Verständigung. Das Ost-West besuche des Präsidenten der Vereinigten Staaten, Verhältnis, Fragen der Abrüstung und Rüstungs- 10160 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985

Bundeskanzler Dr. Kohl kontrolle waren daher ein natürlicher Schwerpunkt ver Beteiligung unserer Wirtschaft. Wir wollen dar- unserer gemeinsamen Gespräche. über hinaus die Kenntnisse unserer Länder vonein- Im Rahmen dieses Themenkreises haben wir ander und das Verständnis füreinander vertiefen, selbstverständlich auch über die Strategische Ver- um Partnerschaft zu begründen und zu intensivie- teidigungsinitiative des amerikanischen Präsiden- ren. ten gesprochen. Ministerpräsident Nakasone und Wir haben dazu konkrete Initiativen ergriffen. ich waren uns einig darüber, daß das Forschungs- Noch während des Aufenthaltes des japanischen programm SDI gerechtfertigt sei. Ministerpräsidenten hat ein erstes gemeinsames Einer Meinung waren wir jedoch auch darüber, Gespräch einer neuen Arbeitsgruppe ergeben, daß daß noch viele Fragen offen sind, viele Gespräche die gemeinsame Erklärung vom 1. Mai zu einer Ver- und viele Auskünfte notwendig sind. stärkung des Austauschs von Experten, Studenten, jungen Wissenschaftlern, Praktikanten und Künst- (Zuruf von der SPD: Wohl wahr!) lern führen soll. Bei diesem Austausch wird es uns Auch die japanische Entscheidung wird davon ab- vor allem darum gehen, die Zahl der Deutschen, hängen, ob eine Mitarbeit an diesem Forschungs- junger Deutscher, die in Japan studieren oder ihr programm als Zwei- und nicht als Einbahnstraße Praktikum absolvieren, zu erhöhen. Damit wollen angelegt sein wird und ob es zu einem Prozeß des wir das Ungleichgewicht verringern, das sich aus Austauschs, des Gebens und Nehmens, kommt. Wir der Entwicklung ergibt, daß eine große Zahl von haben verabredet, auch in dieser Frage sehr eng Japanern bei uns leben und auch studieren und daß zusammenzuarbeiten und die deutsche und die ja- nur eine vergleichsweise geringe Zahl von jungen panische Position miteinander abzustimmen. Deutschen in Japan arbeiten. Ministerpräsident Nakasone hat mir den Stand Am 5. Mai war Ministerpräsident Nakasone dann der Zusammenarbeit im asiatisch-pazifischen in Berlin anwesend, als das „Japanisch-Deutsche Raum, an deren Entwicklung auch wir großes Inter- Zentrum" seinen ersten Schritt in die Öffentlichkeit esse haben, erläutert. So hat der Besuch des japani- tat. Dieses Zentrum wurde im Januar dieses Jahres schen Ministerpräsidenten — wie schon meine Be- gegründet und soll 1987 seine Arbeit aufnehmen. suche in dieser Region — mit dazu beigetragen, Meine Damen und Herren, mit diesem Zentrum unsere asiatisch-pazifischen Bindungen und Bezie- geht unser alter Wunsch nach einer neuen Nutzung hungen zu verstärken. des ehemaligen japanischen Botschaftsgebäudes in Berlin in Erfüllung. Wir verdanken dies ganz we- (Lachen und Zurufe bei Abgeordneten der sentlich dem sehr persönlichen Einsatz von Mini- SPD) sterpräsident Nakasone, und ich möchte ihm hier Diesem neuen politischen und wirtschaftlichen vor dem Plenum des Deutschen Bundestages für Kräftefeld muß auch in Zukunft unsere Aufmerk- diese Initiative ausdrücklich danken. samkeit gelten. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Sehr wahr! — Abgeordneten der SPD) Lachen bei Abgeordneten der SPD) Wir verstehen dieses deutsch-japanische Zen- Einen wichtigen Schritt voran haben wir in der trum als Brücke zwischen Orient und Okzident, die konkreten Ausgestaltung der bilateralen Beziehun- beide Kulturen schöpferisch verbindet, neue Wege gen zwischen Japan und der Bundesrepublik weisen und unserer Zusammenarbeit immer neue Deutschland getan. Es ist uns gelungen, die im Anstöße geben soll. Schlußabsatz unserer Erklärung von 1983 zum Aus- druck gebrachte Absicht, unsere bilateralen Bezie- Meine Damen und Herren, dieses Mehr an Ge- hungen auf allen Gebieten enger zu gestalten, in ein meinsamkeit und Zusammenarbeit im deutsch-ja- konkretes Programm umzusetzen. Dies hat in der panischen Verhältnis wäre eben ohne den persönli- Erklärung vom 1. Mai seinen Niederschlag gefun- chen Einsatz des japanischen Ministerpräsidenten den. und — das füge ich hinzu — ohne das enge persön- liche Vertrauensverhältnis, das wir in unseren Be- Wir haben darin bekräftigt, daß die Zusammenar- gegnungen schaffen konnten, nicht möglich gewe- beit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und sen. Japan nicht nur auf den Gebieten der Politik, Wirt- schaft, Wissenschaft und Technologie notwendig ist, In diesem Klima freundschaftlicher Verbunden- sondern auch auf wichtigen anderen Gebieten, auch heit haben wir auch die drängenden — und uns und insbesondere auf kulturellem Gebiet.- gegenseitig gelegentlich auch belastenden — Han- dels- und Wirtschaftsfragen behandelt. Ich habe (Duve [SPD]: Goethe-Institut in Kioto!) den Appell von Ministerpräsident Nakasone an die — Nun, im Goethe-Institut von Kioto gibt es ja spe- japanische Öffentlichkeit, mehr Güter aus dem zielle Erfahrungen mit einem Bild von Deutschland, Ausland einzuführen, den japanischen Markt zu das allerdings mit unserem Bild wenig zu tun hat! öffnen und faire Wettbewerbsbedingungen herzu stellen, ausdrücklich begrüßt. Ich habe die Zustim- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) mung des Ministerpräsidenten dafür erhalten, daß Wir wollen in Wirtschaft und Technologie sowie die japanischen Maßnahmen der Marktöffnung bei Energie- und Umweltforschung den Austausch nicht nur auf die USA gezielt sein dürfen, sondern verstärken und noch stärker zu gemeinsamen For- auch für die Europäer und nicht zuletzt für die Bun- schungsprojekten hinlenken, und zwar unter akti- desrepublik Deutschland gelten müssen. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 10161

Bundeskanzler Dr. Kohl Meine Damen und Herren, ich darf noch ein wei- Vorgänger hier nahezu wortgleich teres wichtiges Element dieses Besuches hervorhe- gebraucht hat. ben. Es ist das Verständnis und die Unterstützung (Lachen und Zurufe von der SPD — Ministerpräsident Nakasones für das nationale An- Horacek [GRÜNE]: Der ist doch auch ge liegen aller Deutschen. Er hat in seiner Rede am scheitert!) Abend des 30. April seine tiefe Sympathie — ich zitiere wörtlich — für das Leid ausgedrückt, das Warum wollen Sie denn in diesem Zusammenhang dem deutschen Volk aus der Teilung Deutschlands eine wichtige Chance persönlicher Begegnungen erwächst. Er hat von seiner Hoffnung auf einen von Regierungschefs leugnen? Ich finde, es ist völlig Zustand des Friedens gesprochen, der es dem deut- absurd, was Sie hier veranstalten. schen Volk ermöglicht, in freier Selbstbestimmung (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — seine Einheit wieder zu erlangen. Duve [SPD]: Das Ergebnis Ihrer Rhetorik! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) — Weitere Zurufe von der SPD) Der japanische Ministerpräsident hat als erster Ich sage es noch einmal, ähnlich wie es andere japanischer Regierungschef nach dem Zweiten Regierungschefs und auch mein Vorgänger hier im Weltkrieg Berlin besucht und dort im Schöneberger Hause gesagt haben: Es gibt eine große Chance Rathaus und beim Empfang des „Japanisch-Deut- (Zurufe von der SPD) schen Zentrums" sich zur historischen Verbunden- heit der Japaner mit Berlin bekannt. Er hat damit bei solchen Veranstaltungen, jenseits offizieller Er- einen sehr wichtigen persönlichen Beitrag zu einer klärungen und Positionen genauer zu erfragen und neuen Qualität der deutsch-japanischen Beziehun- zu erfahren, welche Argumente und Überlegungen gen geleistet. Hierfür gehört ihm unser besonderer das politische Handeln der Partner tatsächlich be- Dank. stimmen. Meine Damen und Herren, wir schätzen dies (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nicht gering ein, denn jeder, der sich mit diesen Der Besuch von Ministerpräsident Nakasone hat Fragen beschäftigt, weiß, daß aus solchen Gesprä- die Bundesrepublik Deutschland und Japan einen chen dann auch vernünftige gemeinsame Handlun- weiteren und, ich glaube, auch großen Schritt näher gen erwachsen können. In diesem Sinne werden zueinander geführt. Das bilaterale Verhältnis sich die Bonner Gespräche gerade in den kommen- wurde weiter vertieft; unsere Zusammenarbeit hat den Monaten im GATT, in der OECD und im Inter- für die nächsten Jahre wichtige neue Impulse erhal- nationalen Währungsfonds und bei anderen Gele- ten. genheiten als hilfreich erweisen. Herr Präsident, meine Damen und Herren, An- (Sehr gut! bei der CDU/CSU) fang Mai sind die Staats- und Regierungschefs der Zu den wichtigsten Ergebnissen des Bonner Welt- sieben großen westlichen Industrieländer hier in wirtschaftsgipfels gehört zunächst die gemeinsame Bonn zum 11. Weltwirtschaftsgipfel zusammenge- Politische Erklärung zum 40. Jahrestag der Beendi- kommen. Lassen Sie mich zu Beginn meiner Aus- gung des Zweiten Weltkriegs. Zu dieser Erklärung führungen zu diesem Thema die Bereitschaft und hatte die Bundesregierung die Initiative ergriffen, Entschlossenheit aller Teilnehmer hervorheben, die Zustimmung unserer Freunde und Partner er- hier in Bonn gemeinsam neue Anstöße zu geben für reicht, und wir haben selbst wichtige Vorarbeiten die Lösung wichtiger internationaler Fragen in der geleistet. In diesem Dokument wird nicht nur der Mitte der 80er Jahre. Angesichts der Schwierigkei- Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft gedacht. Es ten und Komplexität dieser Probleme waren einfa- ist zugleich ein Bekenntnis zu gemeinsamen Wert- che Antworten nicht zu erwarten. Dennoch wurden vorstellungen, zu Demokratie und Menschenrech- sehr wichtige weiterführende Ergebnisse erzielt. ten, zu Frieden und Freiheit. Diese geistig-politi- Dieser Gipfel war ein Gipfel der Zuversicht und der sche Übereinstimmung ist das Fundament dauer- Ermutigung. hafter Partnerschaft und Freundschaft zwischen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — den Vereinigten Staaten, Japan und den Ländern Zurufe von der SPD) Europas. Diese Partnerschaft ist und bleibt unent- behrlich für die Sicherung von Frieden und Stabili- Meine Damen und Herren, die Gespräche in tät in der Welt. Bonn wurden mit großer Offenheit und zugleich in freundschaftlicher Verbundenheit geführt,- auch (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) und gerade bei kontroversen Themen. Ich füge hin- Alle Partner, die in Bonn versammelt waren, ha- zu: Der Erfolg solcher Gespräche läßt sich natürlich ben sich erneut auf den Gewaltverzicht verpflichtet. nicht nur am Endkommuniqué ablesen. Entschei- Sie haben ihre Bereitschaft zum Ost-West-Dialog dend ist, daß dort die Möglichkeit besteht, daß viele unterstrichen und sich für nachhaltige Bemühun- anstehende Fragen von den Teilnehmern über viele gen um Abrüstung und Rüstungskontrolle auf allen Stunden hinweg direkt und persönlich erörtert wer- Ebenen, insbesondere auch bei den Verhandlungen den können. in Genf, ausgesprochen. (Lachen bei der SPD) (Duve [SPD]: Besonders im Weltraum!) — Ich weiß gar nicht, warum Sie bei diesem Thema Alle Partner haben ferner ihre Entschlossenheit be so unruhig sind. Das sind Formulierungen, die mein kräftigt, mit friedlichen Mitteln Barrieren in Eu- 10162 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985

Bundeskanzler Dr. Kohl ropa abzubauen und auf einen Zustand des Frie- Möglichkeit, in Jahresfrist, wenn wir uns in Tokio dens hinzuarbeiten, in dem das deutsche Volk in wieder treffen, zu überprüfen, ob das, was zugesagt freier Selbstbestimmung seine Einheit wiederer- wurde, auch tatsächlich eingehalten wurde: langt. Gerade für uns Deutsche ist diese gemein- (Duve [SPD]: Was haben Sie denn zuge same Politische Erklärung des Bonner Weltwirt- sagt, Herr Bundeskanzler?) schaftsgipfels von besonderem Wert. — Herr Kollege, ich denke, Sie sind fähig zu lesen, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) und Sie haben das sicherlich gelesen, da Sie durch Im Mittelpunkt der Bonner Gespräche standen Ihre Zwischenrufe ja bekunden, daß Sie an dem natürlich — das war ja das Hauptthema — die Her- Thema interessiert sind. ausforderungen der Weltwirtschaft. Die Überschrift (Zurufe von der SPD) der gemeinsamen Wirtschaftserklärung macht be- Mit dieser Politik wird eines ganz deutlich: Die reits deutlich, in welche Richtung die gemeinsamen Lösung der Probleme wird nicht darin gesehen, daß Anstrengungen gehen müssen. Die Überschrift lau- Vorleistungen anderer Partner zur Vorbedingung tet: „Für dauerhaftes Wachstum und höhere Be- eigenen Handelns gemacht werden. schäftigung". (Anhaltende Zurufe von der SPD) Aus den intensiven Beratungen möchte ich ganz besonders das hohe Maß an Übereinstimmung her- — Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, was es vorheben, und zwar sowohl in der Beurteilung der soll. weltwirtschaftlichen Entwicklung als auch in der (Zurufe von der SPD: Wir auch nicht!) grundlegenden Orientierung der Wirtschaftspolitik. Wenn Sie eine Regierungserklärung zum Anlaß Ich glaube, daß gerade in diesem Punkt im Ver- nehmen, eine prinzipielle Position Ihres Beneh- gleich zu früheren Gipfelkonferenzen zwei ganz we- mens im Parlament deutlich zu machen, dann ist sentliche Fortschritte festzustellen sind: das Ihre Sache. 1. Anstatt anderen Schuld zuzuweisen und Vorlei- stungen von anderen zu fordern, haben sich die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Teilnehmer zu ihrer jeweils eigenen Verantwor- Nur müssen Sie angesichts der Ernsthaftigkeit der tung, zu ihren jeweils eigenen Notwendigkeiten Probleme, die hier zur Diskussion anstehen, wissen, bekannt. daß ich es dem geschätzten Publikum überlasse, zu 2. Es gab keine Diskussion mehr über die Möglich- beurteilen, wie Sie sich hier aufführen. keit bequemer Lösungen. Wichtig waren die klare Absage an Inflation und Verschuldungspo- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — litik sowie das Bekenntnis zum technischen Zurufe von der SPD) Fortschritt und zum wirtschaftlichen Wachs- Mit dieser Politik wird also eines ganz deutlich: tum. Die Lösung der Probleme wird nicht darin gesehen, Vorleistungen anderer Partner zur Vorbedingung Hier liegen die entscheidenden Voraussetzungen eigenen Handelns zu machen. Eigene Anstrengun- für höhere Beschäftigung und weniger Arbeitslosig- keit. gen werden vielmehr als entscheidender Beitrag für die weitere Aufwärtsentwicklung von Weltwirt- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) schaft und Welthandel gekennzeichnet. Diese Über- einstimmung ist zweifellos eines der wichtigsten Die Teilnehmer der Konferenz sind aber noch Ergebnisse von Bonn. einen weiteren Schritt vorangegangen. Jeder hat in der Erklärung für sich und sein Land im einzelnen Weltwirtschaft und Welthandel hängen darüber dargelegt, wie er diese wichtigen Wachstumsbedin- hinaus in ihrer Entwicklung von zwei grundlegen- gungen zu Hause verwirklichen will. den Bedingungen ab: vom Kampf gegen den Pro- tektionismus sowie von der Funktionsfähigkeit des So hat sich der Präsident der Vereinigten Staaten internationalen Währungssystems. persönlich für eine bedeutende Verringerung des Zur internationalen Handelspolitik hat diese Gip- amerikanischen Haushaltsdefizits engagiert. Das felkonferenz eine zentrale Aussage in ihrer Ab- ist, wie jeder weiß, eine alte Forderung, nicht zuletzt schlußerklärung festgehalten: der Europäer in den vergangenen Jahren. Protektionismus löst keine Probleme — er (Zuruf von der SPD) schafft sie nur. - So hat der japanische Regierungschef eindeutig Diese Aussage kommt aus der Sicht der Bundesre- erklärt, die japanische Regierung werde darauf hin- gierung die gleiche Bedeutung zu wie der Erklä- wirken, daß der Zugang zum japanischen Markt rung des Londoner Gipfels von 1977 zum Verhältnis weiter erleichtert und das Einfuhrwachstum geför- von Inflation und Arbeitslosigkeit. Damals wurde dert werde. Auch das ist eine wichtige Forderung unmißverständlich festgestellt: aus Europa. Inflation ist kein Heilmittel gegen Arbeitslosig- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) keit, sondern eine ihrer Hauptursachen. Meine Damen und Herren, das sind nur zwei Bei- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) spiele aus einer langen Liste von Festlegungen mit Daß es noch mehrere Jahre dauerte, bis diese Er beachtlichem politischen Gewicht. Wir haben die kenntnis überall Eingang in politisches Handeln ge- Deutscher Bundestag — 10. 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Bundeskanzler Dr. Kohl funden hat, ändert nichts an der Wichtigkeit der Ich darf Sie nur daran erinnern, was der französi- Signalaussage des Londoner Gipfels. sche Präsident in diesem Hause zur Notwendigkeit der Verteidigungsbereitschaft gesagt hat. Mit gleicher Entschiedenheit wie in London hat das Bonner Treffen der Staats- und Regierungs- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) chefs Front gegen jede Form des Protektionismus Da wir vor einigen Wochen, also schon in der Zeit gemacht. vor dieser Gipfelbegegnung, über unsere nächste (Horacek [GRÜNE]: Und was hat es g Begegnung hier Ende dieses Monats gesprochen bracht?) haben, hat mir der Präsident gerade angesichts der Diskussion, die Sie hier gerne führen möchten, ge- Für diese handelspolitischen Gespräche in Bonn stern abend noch einmal eine Botschaft zukommen waren wichtige Vorarbeiten geleistet worden. Zu- lassen, in der der Präsident der Republik die Festig- nächst hatten die zuständigen Minister der EG im keit der deutsch-französischen Freundschaft und März hierüber beraten, danach der Ministerrat der die Notwendigkeit gemeinsamen Vorgehens mit OECD im April, um die damit zusammenhängenden dem Ziel unterstreicht, die wesentlichen internatio- Fragen vorher zu erörtern. In diesen Gesprächen nalen, insbesondere auch die Probleme anzugehen, wurde Einigkeit darüber erzielt, daß eine neue, bal- die die Entwicklung der Europäischen Gemein- dige Verhandlungsrunde im Rahmen des Allgemei- schaft betreffen. nen Zoll- und Handelsabkommens, GATT, von allen Beteiligten für notwendig gehalten wird, um den (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — freien Welthandel zu sichern und weiter zu liberali- Zuruf des Abg. Duve [SPD]) sieren. Eine größere Zahl von Ländern hatte dar- Ich denke, das ist eine Botschaft, die einmal mehr über hinaus schon damals eine Präferenz für die überzeugend dartut, daß die deutsch-französischen Festlegung eines Termins für den Verhandlungsbe- Beziehungen eng und gut sind. Sie sollten sich dar- ginn erkennen lassen. über freuen; denn es ist unser gemeinsames Inter- Vor diesem Hintergrund bestand in Bonn Einig- esse, daß die deutsch-französischen Beziehungen keit darüber, daß die neue GATT-Verhandlungs- gut sind. runde sobald wie möglich stattfinden soll. Es war (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) die übereinstimmende Meinung aller Teilnehmer, daß die inhaltliche Vorbereitung dieser Verhand- Herr Präsident, meine Damen und Herren, auch lungsrunde durch eine Konferenz hoher Beamter für die Gespräche über Fragen des internationalen noch vor Sommer des Jahres beginnen soll. Währungssystems besteht ein klar abgesprochener Fahrplan: Die sogenannte Zehnergruppe tagt (Zuruf von den GRÜNEN: Sensationell!) hierzu im Juni in Tokio, der Interimsausschuß des Internationalen Währungsfonds im Oktober in Dieser Übergang von der Diskussion zum konkre- Seoul. Wir haben damit erreicht, daß wichtige In- ten Vorbereiten bringt uns der neuen GATT-Runde itiativen sowohl für die Offenhaltung des freien einen entscheidenden Schritt näher. Dies hat, Welthandels als auch für die Sicherung eines funk- meine Damen und Herren, selbstverständlich große tionsfähigen internationalen Währungssystems Bedeutung, unabhängig von der Frage einer be- gleichzeitig in Gang kommen. Dies berechtigt zu stimmten Terminfestlegung. Das heißt doch in der Hoffnungen auf einen spürbaren Fortschritt, der in Praxis, daß diese Konferenz von hohen Beamten den kommenden Monaten notwendig ist. aus allen Ländern in der Sache einen substantiellen Fortschritt bringen wird, bringen muß. Wir haben Von besonderer Bedeutung ist der Erfolg dieser damit sichergestellt, daß sich der Zug zur Bekämp- Gespräche für die Entwicklungsländer. Über ihre fung des Protektionismus endlich wieder in Bewe- ganz schwierige Situation und unsere Pflicht zu hel- gung setzt. Das ist für uns in der Bundesrepublik fen bestand völliges Einverständnis. Dies gilt insbe- Deutschland von allergrößter Bedeutung. sondere für längerfristige Umschuldungen sowie für die weitere Bereitstellung von Finanzmitteln, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wobei von Fall zu Fall Einzelregelungen getroffen In diesem Zusammenhang, meine Damen und werden müssen. Entscheidend ist, daß die Entwick- Herren, möchte ich auch noch ein knappes Wort zu lungsländer in die Lage versetzt werden, ein stabi- der Diskussion über die unterschiedliche Meinung, les Wirtschaftswachstum zu erreichen und finan- was den Termin betrifft, zwischen der Bundesregie- zielle Schwierigkeiten Schritt für Schritt zu über- runge- und der französischen Regierung sagen. Wir winden. Anhaltendes Wachstum des Welthandels, haben in aller Freundschaft — und die Beziehun- niedrige Zinsen — genauer gesagt: niedrigere Zin- gen sind ja, wie jeder weiß, ganz ungewöhnlich sen — und offene Märkte sind dabei unentbehrliche freundschaftlich — auch über diesen Dissens mit- Voraussetzungen. einander gesprochen. (Duve [SPD]: Auch für Nicaragua?) (Dr. Klejdzinski [SPD]: In aller Offenheit!) Mit Blick auf die große Not afrikanischer Völker — Ich denke, Sie werden doch keinen Zweifel daran soll die Zusammenarbeit der Gipfelteilnehmer wei- haben, daß die Beziehungen mit dem französischen ter verstärkt und verbessert werden. Dies betrifft Präsidenten besonders freundschaftlich sind. zunächst und vor allem die kurzfristige Hilfe zur Linderung von Hungersnot. Darüber hinaus geht es (Zurufe von der SPD: Aha!) um gemeinsame Anstrengungen zur dauerhaften 10164 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985

Bundeskanzler Dr. Kohl Verbesserung der Ernährungssituation in weiten Vereinbarungen in allen zuständigen Gremien um- Teilen Afrikas. zusetzen und selbstverständlich vor allem zu Hause Herr Präsident, meine Damen und Herren, eine zu praktizieren. Ich füge hinzu: Für niemanden un- ganz besondere Würdigung verdienen die Bera- ter den Teilnehmerstaaten ist dies wichtiger als für tungsergebnisse für einen besseren Schutz unserer die Bundesrepublik Deutschland. Deutsche Unter- nehmungen verkaufen ein Drittel ihrer Waren und Umwelt. Gerade weil die Intensivierung des Um- Dienstleistungen auf dem Weltmarkt. Offene Märk- weltschutzes in vielen unserer Partnerländer nicht als so vordringlich empfunden wird wie bei uns, ist te, weltweites Wirtschaftswachstum, expandieren- es wichtig, daß konkrete Bereiche für eine ver- der Welthandel und ein funktionierendes interna- stärkte internationale Zusammenarbeit festgelegt tionales Währungssystem sind wichtige Vorausset- wurden. Dazu gehören die Luftverschmutzung zungen für eine dauerhafte Aufwärtsentwicklung durch Kraftfahrzeuge ebenso wie der Schutz vor der deutschen Wirtschaft in den kommenden Jah- ren. giftigen Chemikalien und gefährlichen Abfällen. Erstmals bei einem solchen Gipfeltreffen wurden (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) darüber hinaus die Fortentwicklung und breite An- Anders ausgedrückt: Die Lösung internationaler wendung des Verursacherprinzips in allen Ländern Wirtschaftsprobleme ist für uns ein Anliegen aller- vereinbart. Ich gehe davon aus, daß von diesen Er- ersten Ranges; denn für uns geht es hier sehr kon- gebnissen wichtige Impulse für die Durchsetzung kret und sehr direkt um mehr Beschäftigung und eines wirksameren internationalen Umweltschut- um weniger Arbeitslosigkeit. Die Bundesrepublik zes ausgehen werden. Deutschland wird deshalb weiterhin ihren Beitrag Ein weiteres wichtiges Ergebnis des Bonner Gip- zur Überwindung internationaler Gegensätze und fels sind die Vereinbarungen über die Zusammen- Schwierigkeiten zu leisten haben. arbeit in Wissenschaft und Technologie. Wir haben Herr Präsident, meine Damen und Herren, der dabei vor allem den Grundsatz fairer Partnerschaft, Besuch des Präsidenten der Vereinigten Staaten d. h. des Gebens und Nehmens, bekräftigt. Dies be- von Amerika in der Bundesrepublik Deutschland deutet eine angemessene Regelung für Beteiligung am 1., 2. und 5. und 6. Mai 1985 und Mitverantwortung bei wichtigen Projekten so- wie die Sicherung des ungehinderten Zugangs zu (Horacek [GRÜNE]: War eine große erzielten Forschungsergebnissen. Pleite!) war geprägt von gegenseitiger Freundschaft und Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich persönlichem Vertrauen. Er hat das über viele fasse zusammen: Der Bonner Wirtschaftsgipfel hat Jahre hinweg gewachsene Verhältnis zwischen un- politisch und wirtschaftlich greifbare Ergebnisse seren beiden Staaten weiter gefestigt. gebracht: Er hat die gemeinsame Politische Erklä- rung verabschiedet, deren Aussagen gerade für uns Grundgedanke bei diesem Besuch war, im Ange- Deutsche über den Tag hinaus von großer Bedeu- sicht des 40. Jahrestages des 8. Mai 1945 der Opfer tung sind. des Krieges und der nationalsozialistischen Gewalt- herrschaft zu gedenken. Wir wollten gleichzeitig Er hat die Entschlossenheit bekräftigt, gemein- verdeutlichen, daß zwischen unseren beiden Völ- sam und im eigenen Land wichtige Bedingungen kern die Versöhnung erreicht und Freundschaft ge- für Wachstum und Beschäftigung zu verbessern, wachsen ist. Dies ist symbolisch mit den Besuchen d. h. mit Inflationsbekämpfung, Haushaltsdisziplin, des ehemaligen Konzentrationslagers Bergen-Bel- niedrigeren Zinsen, Anpassung an veränderte sen und des Soldatenfriedhofs in Bitburg zum Aus- Marktbedingungen, Nutzung moderner Technolo- druck gekommen. gien und Offenhaltung der nationalen Märkte Ernst zu machen. (Zurufe von den GRÜNEN) Er hat Anstöße zu weiterführenden Verhandlun- Wir sind für diese Geste der Versöhnung des ameri- gen gegeben — sowohl zur Stärkung des freien kanischen Präsidenten in Bergen-Belsen und auf Welthandels als auch zur Sicherung eines funk- dem Friedhof in Bitburg dankbar. tionsfähigen internationalen Währungssystems. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Er hat die Partnerschaft mit den Entwicklungs- Die sehr große Mehrheit der Bürger der Bundesre- ländern hervorgehoben und die anstehenden Auf- publik Deutschland war und ist zutiefst von der gaben beim Namen genannt, d. h.: wirksame Hilfen Haltung des amerikanischen Präsidenten beein- zur Lösung wirtschaftlicher und finanzieller druckt und auch davon, daß er sich nicht beirren Schwierigkeiten und vor allem zur Linderung der ließ, diese Geste der Freundschaft in diesen Tagen Not, nicht zuletzt der Hungersnot, in weiten Teilen gegenüber den Deutschen deutlich werden zu las- Afrikas. sen. Er hat neue Impulse für einen wirksamen inter- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — nationalen Umweltschutz gegeben. Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Welchen Deutschen, Herr Bundeskanzler?) Er hat die Bedeutung fairer Partnerschaft bei der Zusammenarbeit in Wissenschaft und Technologie — Wenn Sie sich von den Deutschen ausschließen, unterstrichen. Jetzt kommt es für uns alle entschei- ist das Ihre Sache, nicht meine. dend darauf an, diese Ergebnisse der Konferenz in (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von Bonn konsequent in weiterführende internationale den GRÜNEN) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 10165

Bundeskanzler Dr. Kohl Ich bin sicher, unser Volk — und ich füge hinzu: Einen besonderen Dank möchte ich von hier aus auch ich persönlich — wird dies dem Präsidenten den Bürgern der Stadt Bitburg aussprechen. nicht vergessen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Welcher Ort hätte sich besser für den Besuch des Duve [SPD]: Sehr gefährliche Bemerkung! amerikanischen Präsidenten geeignet? Nirgendwo — Zurufe von den GRÜNEN) sonst ist das freundschaftliche Zusammenleben von Mit seinen drei bedeutenden Reden in Bergen Deutschen und Amerikanern so spürbar. Nir- Belsen, in Bitburg und auf Schloß Hambach gendwo sonst ist die gemeinsame Entschlossenheit (Horacek [GRÜNE]: Eine Schauveranstal zur Wahrung von Sicherheit und Freiheit im Rah- tung war das!) men des Bündnisses so sichtbar als gerade in dieser Stadt, in dieser Region und auf diesem amerikani- steht Präsident Reagan in der großen Tradition des schen Stützpunkt auf deutschem Boden. Besuchs von Präsident Kennedy im Jahre 1963. (Ströbele [GRÜNE]: Und auf dem SS-Fried (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von hof! — Unruhe bei der CDU/CSU) den GRÜNEN) — Ich wiederhole, was ich schon vor einem Jahr Seine Worte haben die Empfindungen und Gefühle hier gesagt habe: Sie sind in dieses Haus mit dem der Deutschen und der Amerikaner, wie wir in die- Zeichen der Blume eingezogen und verlassen das sen Tagen auch aus den USA wissen, zutiefst ange- Haus mit dem Zeichen des Hasses. Das ist Ihr Bei- rührt. Vor dem Hintergrund der Besuche in Bergen- trag. Belsen und Bitburg sind die Botschaften des leid- vollen Erinnerns und der Versöhnung gleicherma- (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und ßen unterstrichen worden. Die Entscheidung, an der FDP) dem vorgesehenen Programm festzuhalten, ist rich- Man kann den Besuch des amerikanischen Prä- tig gewesen. sidenten nicht abschließend würdigen, ohne auch (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord auf seine Ausführungen vor dem Straßburger Euro- neten der FDP) paparlament am 8. Mai einzugehen. Die Idee, nach dem Besuch in Spanien am 8. Mai nach Frankreich Ich habe in den Tagen vor und während des Be- zu kommen, um vor den gewählten Vertretern des suches — das gleiche widerfuhr glücklicherweise freien Europa zu sprechen, hat eine große Symbol- dem Präsidenten — viele Zeichen der persönlichen kraft. Präsident Reagan hat in Straßburg die große Ermutigung aus allen Schichten der Bevölkerung Leistung und die Vision der europäischen Gründer- unseres Landes erfahren, wofür ich ausdrücklich generation nach dem Krieg beschworen. Er hat zu- dankbar bin. gleich das Bekenntnis erneuert, daß Amerika der (Beifall bei der CDU/CSU) Einheit und Stärkung Europas verschrieben bleibt. Ein Höhepunkt dieses Besuches war für mich die Er hat leidenschaftlich für die Überwindung der künstlichen Teilung des europäischen Kontinents Begegnung des amerikanischen Präsidenten mit über 8 000 jungen Leuten vor dem Hintergrund des plädiert. Hambacher Schlosses. Dieses amerikanische Bekenntnis zu Europa (Beifall bei der CDU/CSU — Horacek sollte für uns alle Ansporn sein, auch und gerade [GRÜNE]: Das war eine Schauveranstal bei den bevorstehenden Entscheidungen des Euro- tung! Das wissen Sie doch selbst! Die ha päischen Rates in Mailand. ben Sie ausgesucht!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) — Es mag ja sein, daß aus Ihrem Generationsver- Die Rede des Präsidenten, aber auch seine ande- ständnis 17jährige nicht mehr zur Jugend zählen; ren Reden hier und in anderen europäischen Län- für mich zählen sie dazu. dern zeigen darüber hinaus deutlich eine Persön- (Beifall bei der CDU/CSU — Horacek lichkeit, die sich eben in gar keiner Weise in jenes [GRÜNE]: Aber Sie haben sie ausgesucht! verzerrende Schema seiner Kritiker einfügt, das — Weitere Zurufe von den GRÜNEN) wir immer wieder beobachten müssen. Der Präsi- dent unterstrich erneut die Entschlossenheit der Der Präsident hat in einer bedeutenden Rede die Vereinigten Staaten, zu Vereinbarungen mit der junge Generation in Deutschland aufgefordert, ihre Sowjetunion zu gelangen, um die Stabilität zu stär- Zukunft selbst und kraftvoll zu gestalten. - ken und den Frieden zu sichern. Er erklärte aus- Mit dem Besuch des amerikanischen Präsidenten drücklich, daß die USA nicht nach Überlegenheit, sind die in vielen Jahren enger Zusammenarbeit sondern nach Gleichgewicht streben und vor einer gewachsenen Bindungen weiter gefestigt worden. Entscheidung über die Entwicklung und Aufstel- Die Diskussion hat aber auch gezeigt, daß freund- lung neuer Abwehrsysteme mit der Sowjetunion schaftliches Verbundensein und auch eine von ge- verhandeln werden. meinsamen Interessen her festgefügte Allianz nicht Wir unterstützen diese Straßburger Vorschläge einfach als gegeben hingenommen werden können. des Präsidenten, die zur Vertrauensbildung und Sie müssen immer wieder neu erarbeitet und — Krisenbewältigung beitragen können und die damit man kann sagen — täglich neu verwirklicht wer- auch die Stabilität vergrößern, nämlich das Angebot den. zum Austausch von Beobachtern zu militärischen (Horacek [GRÜNE]: Neu geknechtet!) Übungen zwischen den USA und der Sowjetunion, 10166 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985

Bundeskanzler Dr. Kohl die Einrichtung regelmäßiger Kontakte auf hoher kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich der Ebene sowie einer ständigen Nachrichtenverbin- Bundeskanzler in immer rascherer Folge Aufgaben dung zwischen sowjetischen und amerikanischen gegenübersieht, denen er nicht gewachsen ist. Militärstellen und eine substantielle Vereinbarung über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnah- (Beifall bei der SPD — Kittelmann [CDU/ men im Rahmen der Stockholmer Konferenz für CSU]: So hätten Sie es wohl gern!) vertrauensbildende Maßnahmen und Abrüstung in Der Herr Bundeskanzler war auch einer Aufgabe Europa, welche auch eine Bekräftigung des Gewalt- nicht gewachsen, die er sich selbst gestellt hat, verzichts rechtfertigen würde. nämlich der Aufgabe, mit der zeitlichen Verknüp- Ich fasse zusammen: Der Besuch des amerikani- fung des Weltwirtschaftsgipfels und des Staatsbe- schen Präsidenten in der Bundesrepublik Deutsch- suchs des amerikanischen Präsidenten mit dem land und seine Begegnung mit dem Europäischen 40. Jahrestag des Kriegsendes und der Befreiung Parlament am 40. Jahrestag des Kriegsendes waren von der NS-Gewaltherrschaft zurechtzukommen. für uns alle ein bedeutsames und historisches Er- (Sehr wahr! bei der SPD) eignis. Der Geist des Erinnerns und der Versöh- nung wurde durch die eindrucksvollen Ansprachen Niemand, Herr Bundeskanzler, hat Sie zu dieser des Präsidenten in Bergen-Belsen und in Bitburg Verknüpfung, zur Wahl dieses Termins gezwun- auf nachdrückliche Weise dokumentiert. Die gen. deutsch-amerikanische Freundschaft ist gefestigt (Sehr richtig! bei der SPD) worden. Sie muß von uns allen als ständige Aufgabe verstanden werden. Das Bündnis und die Freund- Umgekehrt: Sie haben die Staats- und Regierungs- schaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika chefs, insbesondere den amerikanischen Präsiden- werden von der sehr großen Mehrheit des deut- ten, gedrängt, die von Ihnen gewünschten Termine schen Volkes geteilt. Diese Zustimmung geht wie zu akzeptieren. Weil Sie der damit verbundenen wir wissen, durch alle Gruppen und Schichten und Aufgabe nicht gewachsen waren, haben Sie sowohl durch alle Generationen unserer Bevölkerung. den Gipfel als auch den Staatsbesuch, aber auch das Gedenken an einen der tiefsten Einschnitte in Die Vereinigten Staaten bekennen sich zum Zu- unserer Geschichte vermeidbaren Belastungen und sammenschluß Europas und betrachten ihn als eine bedrückenden Mißverständnissen ausgesetzt. Stärkung des Westens insgesamt. Die Hand Ameri- kas gegenüber der Sowjetunion bleibt ausgestreckt. (Beifall bei der SPD — Kittelmann [CDU/ Moskau ist zu kooperativen Lösungen im Bereich CSU]: Finstere Polemik und Übertrei der Rüstungskontrolle und der Verteidigungspolitik bung!) weiter aufgefordert. Die Bundesrepublik hat dafür einen hohen Preis Unser Dank gilt dem amerikanischen Präsiden- entrichtet: an Substanz und Ansehen nach außen, ten für seine klare Haltung und seine Entschlossen- an außenpolitischem Bewegungsspielraum, aber heit zur Versöhnung und zur Freundschaft gegen- auch an innerem Frieden. über unserem, dem deutschen Volk. Wir alle haben dem Bundespräsidenten der Bun- (Anhaltender lebhafter Beifall bei der desrepublik dafür zu danken, daß er mit seiner gro- CDU/CSU und der FDP) ßen Rede vom vergangenen Mittwoch vieles zu- rechtgerückt hat, was in bedrückender Weise ins Zwielicht geraten war. Präsident Dr. JennInger: Meine Damen und Her- (Anhaltender Beifall bei der SPD) ren, auf der Ehrentribüne hat eine Delegation des kanadischen Unterhauses Platz genommen. Ich Wir haben dem Bundespräsidenten dafür zu dan- habe die Ehre, Sie zu begrüßen. ken, daß er es in einer gänzlich unpathetischen, (Beifall) gerade durch Nüchternheit und klares Aussprechen auch unangenehmer Wahrheiten besonders über- Wir freuen uns über die engen und guten Kontakte zeugenden Weise getan hat. Damit ist der von ande- zum Parlament Kanadas. Ihnen, den Mitgliedern ren verursachte Schaden wenigstens im Nachhin- des Sonderausschusses für die Reform des Unter- ein begrenzt worden. hauses, wünsche ich nützliche, fruchtbare Gesprä- che beim Deutschen Bundestag und beim Bundes- (Beifall bei der SPD) rat und einen angenehmen Aufenthalt in der Bun- - Es wäre gut gewesen, Herr Bundeskanzler, die desrepublik Deutschland. Grundgedanken dieser Rede hätten von Anfang an (Beifall) allen Äußerungen der Bundesregierung zum 8. Mai 1985 zugrunde gelegen. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Vogel. (Beifall bei der SPD) Lassen Sie mich nach Anhören Ihrer Erklärung Dr. Vogel (SPD): Herr Präsident! Meine sehr ver- hinzufügen: Es wäre auch gut gewesen, Sie hätten ehrten Damen und Herren! Die Erklärung des als Bundeskanzler den Dank an den Bundespräsi- Herrn Bundeskanzlers, die wir soeben gehört ha- denten in Ihrer Erklärung für uns alle ausgespro- ben, chen, für das ganze Haus. (Dr. Langner [CDU/CSU]: Ist gut!) (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 10167

Dr. Vogel Wir wissen nicht im einzelnen, Herr Bundeskanz- Gipfelrede! — Kittelmann [CDU/CSU]: ler, warum Sie so sehr auf der zeitlichen Verknüp- Eine Zipfelrede!) fung dieser drei Ereignisse bestanden haben. Aber Im übrigen, Herr Bundeskanzler: Sie täuschen sich, welches politische Kalkül auch immer Ihrer Pla- wenn Sie glauben, Sie hätten am Sonntag verloren, nung zugrunde lag, die Rechnung zumindest Ihrer weil die Wählerinnen und Wähler Ihre Politik nicht Mitarbeiter oder auch Ihre eigene Rechnung, dies begriffen haben. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. werde sich für Sie und Ihre Partei in Nordrhein- Herr Bundeskanzler, Sie haben die Wahl verloren, Westfalen günstig auswirken, ist jedenfalls nicht weil die Wählerinnen und Wähler inzwischen Ihre aufgegangen. Politik sehr gut begriffen und weil sie sie durch- (Beifall bei der SPD — Jung [Lörrach] schaut haben. [CDU/CSU]: Solche Rechnungen machen (Beifall bei der SPD — Zuruf des Abg. Kit wir nicht!) telmann [CDU/CSU]) Die Wählerinnen und Wähler an Rhein und Ruhr Herr Dregger hatte recht mit seinen Ausführun- haben eine hohe politische Reife bewiesen. gen vor Ihrem Parteitag über die wachsende Unzu- (Beifall bei der SPD) friedenheit. Ich greife diesen Gedanken auf. Sie ha- ben die Wahl verloren, weil immer mehr Arbeitneh- Sie haben sich nicht durch Gipfelfestspiele von den mer, immer mehr Rentner, immer mehr Frauen Fragen ablenken lassen, um die es bei dieser Wahl und junge Menschen, aber auch immer mehr Mit- wirklich gegangen ist. telständler und immer mehr Bauern diese Politik (Beifall bei der SPD — Zurufe von der eindeutig ablehnen, und sei es damit, daß sie zu CDU/CSU) Hause bleiben und Ihnen die Stimme verweigern. Auch dies ist Ablehnung, Die Wählerinnen und Wähler in Nordrhein-Westfa- len haben Johannes Rau glanzvoll in seinem Amt (Dr. Langner [CDU/CSU]: Die würden sich bestätigt. wundern, wenn Sie drankämen!) (Kittelmann [CDU/CSU]: Und Sie als weil sie von Ihrer Politik des Sozialabbaus, der Um- Kanzlerkandidaten abgelöst!) verteilung, der Untätigkeit gegenüber der Arbeitslo- sigkeit, von den immer neuen Negativrekorden auf — Ach, lieber Freund, denken Sie mal über Ihren vielen Gebieten und von Ihrem folgenlosen Zick- Kanzlerkandidaten für '87 nach! Da haben Sie eine zackkurs im Umweltschutz genug haben, weil sie ganze Menge zu tun. auch der fortwährenden Skandale und Peinlichkei- (Heiterkeit und lebhafter Beifall bei der ten, die Sie eine Zeitlang hingenommen haben, SPD — Jung [Lörrach] [CDU/CSU]: Aber heute überdrüssig sind, Sie werden fliegen müssen, Herr Vogel! — (Beifall bei der SPD — Kittelmann [CDU/ Seiters [CDU/CSU]: Wir haben einen Kanz CSU]: Kommen Sie mal zum Thema, zum ler, nicht nur einen Kandidaten! — Weitere Weltwirtschaftsgipfel!) Zurufe von der CDU/CSU) weil gerade die Menschen an Rhein und Ruhr — — Die Wähler und Wählerinnen an Rhein und Ruhr haben Ihrer Partei, Herr Bundeskanzler, die Quit- tung gegeben, die sie verdient, und nicht nur ihrer Partei in Nordrhein-Westfalen, sondern auch Ihnen, Herr Abgeordneter Vogel, Herr Bundeskanzler , ganz persönlich Präsident Dr. Jenninger: auf der Tagesordnung steht „Abgabe einer Erklä- und der von Ihnen zu verantwortenden Politik der rung der Bundesregierung zum Wirtschaftsgipfel Wende. Bonn 1985 und zu den Staatsbesuchen von Präsi- Sie können es drehen und wenden, wie Sie wol- dent Reagan und Ministerpräsident Nakasone". len. Sie mögen von Zwischenwahlen reden, bei de- (Zustimmung bei der CDU/CSU — Leb nen die in Bonn regierende Partei stets benachtei- hafte Zurufe von der SPD) ligt sei. Oder Sie mögen davon reden, daß die Men- schen an Rhein und Ruhr Ihre guten Absichten und — Meine Damen und Herren, ich habe den Abge- Ihre Politik nicht begriffen hätten. Die Wahrheit ist: ordneten Vogel nicht zu rügen. Ich wollte ihn nur Herr Worms — dem wir unseren persönlichen Re- auf die Tagesordnung hinweisen. spekt für seine noble Haltung in der Niederlage (Sehr gut! bei der CDU/CSU — Anhaltende durchaus nicht versagen, sondern erweisen- — lebhafte Zurufe von der SPD) (Vereinzelter Beifall bei der SPD) war Ihr Kandidat. Und die Wahrheit ist auch: Noch (SPD): Herr Präsident, ich bedanke keine Bundesregierung und noch kein Bundeskanz- Dr. Vogel ler hat in Nordrhein-Westfalen seit 1949 eine so ver- mich für Ihren Hinweis. Ich weiß ihn wohl zu wür- nichtende Niederlage erlitten wie Sie, Herr Kohl; digen. nicht einmal im Juli 1966, und das (Kittelmann [CDU/CSU]: Das zweifeln wir war viereinhalb Monate vor seinem Rücktritt. an!) (Beifall bei der SPD — Kittelmann [CDU/ Ich verweise aber ebenso auf die wiederholten Er CSU]: Kommen Sie mal zum Weltwirt klärungen aus den Reihen der Koalition vor dem schaftsgipfel! — Seiters [CDU/CSU]: Eine 12. Mai, daß der Weltwirtschaftsgipfel und seine Er- 10168 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 Dr. Vogel gebnisse für Nordrhein-Westfalen das wichtigste uns in mancher Hinsicht in einer vergleichbaren Ereignis dieses Jahres darstellen. Situation befinden und deshalb auch in Zukunft (Beifall bei der SPD — Seiters [CDU/CSU]: wechselseitig voneinander lernen. Herr Vogel, wer hat das gesagt? — Weitere Wir begrüßen deshalb auch die Fortschritte, die Zurufe von der CDU/CSU) hinsichtlich der Errichtung eines japanischdeut- Ich wiederhole: weil mehr und mehr gerade die schen Zentrums in Berlin erzielt worden sind. Da Menschen an Rhein und Ruhr — aber nicht nur Japan, wie Sie wissen, Herr Bundeskanzler, auch in dort — aufgesetzten Scheinoptimismus und Auf- Ost-Berlin in vielfältiger und besonders aktiver schwunggerede von ehrlichem Engagement und Weise präsent ist, ergeben sich hier zusätzlich inter- realistischer Zuversicht zu unterscheiden wissen essante Aspekte. und weil sie unseren konkreten Alternativen in der Im übrigen sind wir — und nicht nur wir — davon Beschäftigungspolitik, in der Sozialpolitik, in der beeindruckt, welch führende Position Japan im Friedenspolitik mehr und mehr den Vorzug geben. technologischen und wirtschaftlichen Wettbewerb Unser Programm „Arbeit und Umwelt", unser Kon- einnimmt, obwohl es bisher jährlich weniger als 1 % zept für eine langfristige Rentenreform und unser seines Bruttosozialprodukts für militärische Konzept für eine stärkere Selbstbehauptung Euro- Zwecke und davon — also von diesem einen Pro- pas sind nur einige Beispiele für solche Alternati- zent — wiederum nur 8 % für Zwecke der militä- ven. rischen Forschung ausgibt. Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, (Beifall bei der SPD) wenn Sie vielleicht einen Moment zum Nachdenken kommen, haben mit dem Bundeskanzler allen An- Stoff zum Nachdenken für diejenigen, die die Betei- laß, über Ihre Politik nachzudenken und Ihre Poli- ligung an SDI mit wirtschaftlichen und technologi- tik zu ändern, wenn Sie noch die Kraft dazu ha- schen Argumenten begründen wollen. ben. Sie haben sodann in Ihrer Erklärung den Wirt- (Beifall bei der SPD) schaftsgipfel als Erfolg dargestellt. Damit stehen Sie ziemlich alleine. Die weit überwiegende Mehr- Wir aber haben Anlaß, Johannes Rau und alle heit der Beobachter sieht das anders, und zwar mit unsere Freunde in Nordrhein-Westfalen herzlich zu Recht; denn bei allem Wohlwollen und Freude dar- beglückwünschen und ihnen unsere volle Unter- über, daß die Regierungs- und Staatschefs auf dem stützung bei der Bewältigung der schweren Auf- Gipfel wirklich miteinander gesprochen haben, war gabe zuzusagen, die jetzt vor ihnen liegt. der Gipfel im Ergebnis ein Fehlschlag. Er hat eben (Beifall bei der SPD — Kittelmann [CDU/ keine konkreten Fortschritte gebracht. In manchen CSU]: Ein Mißbrauch des Podiums, was Sie Beziehungen hat er sogar zu deutlichen Rückschlä- jetzt vornehmen, Herr Vogel! — Lattmann gen geführt. [CDU/CSU]: Kommen Sie doch mal zur (Kittelmann [CDU/CSU]: Sie lesen die fal Sache! — Weitere Zurufe von der CDU/ schen Kommentare!) CSU) Im einzelnen ist festzustellen, die Äußerungen An Sie, meine Damen und Herren von der Koali- zum Abbau des Budget- und Leistungsbilanzdefi- tion, appelliere ich gleichzeitig, an all den Zusagen zits der Vereinigten Staaten sind vage und unver- und Versprechungen festzuhalten, die Sie in Nord- bindlich, dabei liegt hier eine der Hauptursachen rhein-Westfalen in den letzten Monaten gemacht für die weltwirtschaftlichen Schwierigkeiten in Eu- haben. ropa und vor allem in den Entwicklungsländern. (Kittelmann [CDU/CSU]: Unerhört, wie Sie (Beifall bei der SPD) das Podium hier mißbrauchen!) Inzwischen sieht es so aus, als ob hier Einsicht eher Ich komme jetzt, meine Damen und Herren — vom amerikanischen Kongreß als von der Admi- Sie werden daran genausowenig Freude haben —, nistration zu erwarten ist, die vom Kongreß müh- zu den inhaltlichen Aussagen Ihrer Erklärung. Sie sam genug in die richtige Richtung der Haushalts- werden daran genausowenig Freude haben. politik mehr gezwungen als geführt wird. (Stockhausen [CDU/CSU]: Wer kann an Ih Es gibt keine gemeinsamen Anstrengungen zur nen denn Freude haben, Herr Vogel? — Förderung öffentlicher und privater Investitionen Heiterkeit bei der CDU/CSU) - und zur Verstärkung der Nachfrage. Das interna- — Meine Herrschaften, Ihre Heiterkeit klingt etwas tionale Währungssystem bleibt weiterhin spekulati- gequält, und das kann ich auch verstehen. ven Einflüssen und willkürlichen Kursschwankun- gen ausgesetzt. Die (Beifall bei der SPD — Jung [Lörrach] Gefahr protektionistischer [CDU/CSU]: Achtung, Sie lächeln! — Wei Maßnahmen ist keineswegs gebannt, im Gegenteil: tere Zurufe von der CDU/CSU) da der Gipfel in diesem wichtigen Punkt keine kon- kreten Ergebnisse erbracht hat, ist die Gefahr vor Dem, Herr Bundeskanzler, was Sie zum Staatsbe- allem in den Vereinigten Staaten eher noch größer such des japanischen Ministerpräsidenten gesagt geworden, als sie vor dem Gipfel war. Die Schwel- haben, können wir in wesentlichen Teilen zustim- len- und Entwicklungsländer — wir hören es ja von men. Wir bejahen die freundschaftlichen Beziehun- ihnen — werden mit dilatorischen Formeln abge- gen unserer beiden Völker. Wir glauben, daß wir speist. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 10169

Dr. Vogel Das alles, was sich in den langen Dokumenten nur eine doppelzüngige, das ist eine dreizüngige findet, kann höchstens einen Generalisten erfreuen, Europapolitik, die zum Scheitern verurteilt ist. der Worte für Wirklichkeit und Fotos schon für Fak- (Beifall bei der SPD) ten hält. Die 35 Millionen Arbeitslosen in den Teil- nehmerstaaten, die 2,3 Millionen Arbeitslosen in Übrigens, Ihr Chefdemagoge, der gelegentlich be- der Bundesrepublik, die können aus dem Gipfeltref- hauptet, Generalsekretär einer ausgesprochen fen keine Hoffnung schöpfen. Die deutschen Arbeit- christlichen Partei zu sein, nehmer müssen darüber hinaus einen weiteren So- zialabbau befürchten. Die in der Schlußerklärung (Beifall bei der SPD — Kittelmann [CDU/ geforderte — wörtliches Zitat — „größere Anpas- CSU]: Distanzieren Sie sich lieber von sungs- und Reaktionsfähigkeit" des Arbeitsmarktes Herrn Brandt!) zielt nämlich im Klartext auf die Fortsetzung der hat doch unter Ihrem Beifall, Herr Bundeskanzler, mit dem sogenannten Beschäftigungsförderungsge- verkündet, die Ablehnung von SDI sei unmoralisch. setz eingeleiteten Politik der Beseitigung sozialer Ist jetzt auch Präsident Mitterrand unmoralisch? Schutzrechte. Oder liegt das moralische Problem vielleicht ganz (Beifall bei der SPD) woanders? Etwa bei Ihrem Generalsekretär selbst? (Beifall bei der SPD) Sie selbst sprechen in diesem Zusammenhang im- mer wieder von verkrusteten Strukturen, die Sie Auf ihn paßt das, was Kurt Schumacher schon 1947 aufbrechen wollen. Herr Bundeskanzler, ich kann gesagt hat, wie auf keinen anderen. Schumacher — Sie nur warnen. Soziale Schutzrechte sind keine Sie berufen sich doch neuerdings so gerne auf Kurt Verkrustungen. Sie sind das Fundament des sozia- Schumacher — sagte damals: len Friedens in dieser Republik. Demokratie beruht auf dem Prinzip der Gegen- (Beifall bei der SPD) seitigkeit und der Ehrlichkeit. Die Demokratie kann nur leben, wenn die Menschen selbstän- Darum werden wir gegen alle Ihre Pläne und Ab- dig sind und den Willen zur Objektivität ha- sichten diese sozialen Schutzrechte mit Zähnen und ben. Klauen verteidigen. An der Saar, an Rhein und Ruhr hat sich gezeigt, daß eine wachsende Mehr- (Kittelmann [CDU/CSU]: Fassen Sie sich heit unseres Volkes bei dieser Abwehr Ihrer An- mal an die Nase, Herr Vogel!) schläge auf unserer Seite steht. Aber die technokratische und geradezu kriegs- wissenschaftliche Handhabung der politischen (Beifall bei der SPD) Mittel führt zum Gegenteil. Der Gipfel hat nicht nur nichts gebracht, er hat (Beifall bei der SPD) sogar einen gefährlichen Zwiespalt offenbart, über Ihr Generalsekretär handelt nicht aus dem Affekt, den Sie bezeichnenderweise in Ihrer langen Erklä- der handelt nicht, weil ein Gefühl ihn plötzlich über- rung nicht ein einziges Wort verloren haben, näm- mannt, nein, er führt die Auseinandersetzung mit lich den Zwiespalt zwischen Paris und Bonn, insbe- seinen politischen Gegnern so, als ob es sich um sondere den Zwiespalt zwischen Präsident Mitter- einen geistigen Bürgerkrieg handelte. Und der be- rand und Ihnen in der Beurteilung der Strategi- kennt sich noch dazu; er spricht ja vom internatio- schen Verteidigungsinitiative. Ihrem jetzt schon nalen geistigen Bürgerkrieg, der im Gange sei. fast beflissenen Ja zu dieser Initiative, das Sie dann im nachhinein jeweils wieder zu relativieren su- (Zuruf von der CDU/CSU: Da machen Sie chen, steht das Nein von Mitterrand gegenüber. Ihr kräftig mit!) Ja zu SDI, Herr Bundeskanzler, ist schon in der In diesem Bürgerkrieg setzt dieser famose Mann Sache falsch und gefährlich. Jetzt droht dieses Ja die Verleumdung, die falsche Anschuldigung, die überdies, Europa zu spalten und den Weg zur euro- Denunziation kühl kalkuliert und berechnet päischen Einigung in einem entscheidenden Mo- (Kittelmann [CDU/CSU]: Das ist eine Un ment zu blockieren. verschämtheit, Herr Vogel!) (Beifall bei der SPD) als Waffe gegen die ein, die ihm schon längst als Der von uns eingebrachte Entschließungsantrag Feinde, nicht mehr als Gegner erscheinen. mahnt deshalb eindringlich: Akzeptieren Sie die eu- (Kittelmann [CDU/CSU]: Distanzieren Sie ropäische Alternative, die Paris vorgeschlagen hat! - sich lieber von Herrn Brandt!) Kehren Sie um, solange noch Zeit ist, bevor die neue Runde des Wettrüstens nicht nur den wahn- Wer — um nur zwei Beispiele zu nennen — die witzigen Wettlauf noch weiter beschleunigt, son- Pazifisten für Auschwitz verantwortlich macht, wer dern auch noch die Hoffnung auf die Einigung Eu- die Sozialdemokraten als „fünfte Kolonne Mos- ropas zunichte macht! kaus", d. h. als Spionage- und Sabotagetrupp Mos- kaus, bezeichnet, der will nicht argumentieren, der Sie strapazieren diese Hoffnung zur Zeit ohnehin will denunzieren. dadurch auf das äußerste, daß Ihr Finanzminister in Brüssel Einsparungen, Ihr Agrarminister unter (Lebhafter Beifall bei der SPD und bei Ab Androhung des Vetos gleichzeitig Mehrausgaben in geordneten der GRÜNEN — Kittelmann Milliardenhöhe und Sie selbst die Abschaffung des [CDU/CSU]: Das ist Demagogie, was Sie Vetos verlangen. Herr Bundeskanzler, das ist nicht hier betreiben!) 10170 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985

Dr. Vogel Nicht umsonst urteilt der Volksmund über die De- Zunächst einmal: Wer wie Herr Kollege Dregger nunzianten seit je ebenso hart wie deutlich. Sie ken- vom amerikanischen Kongreß mit drohendem Un- nen doch alle ebenso wie ich das jahrhundertealte terton die Würdigung der Tatsache verlangt, daß er Sprichwort, das sich derb, aber eindeutig über den — Dregger — noch am 8. Mai 1945 gegen die Rote Denunzianten im Lande äußert. In diesem Sprich- Armee gekämpft habe, und daran den Vorwurf wort steckt viel Wahrheit und Erfahrung. Denken knüpft, der Senat der Vereinigten Staaten stelle den Sie über den moralischen Aspekt dieses Zusam- Sinn des Dienstes junger deutscher Soldaten im menhanges nach! Rahmen der NATO in Frage; wer sich wie Herr Mertes sogar — und ich bedaure das, weil ich das (Beifall bei der SPD — Kittelmann [CDU/ von ihm nicht erwartet hätte — dazu versteigt, der CSU]: Die SPD und die Moral!) amerikanischen Öffentlichkeit „Perversion des Denkens" vorzuwerfen, wer den traurigen Mut auf- Auch der Besuch des amerikanischen Präsiden- bringt, amerikanischen Juden vorzuhalten, ihre ten ist von Ihren Freunden — allen voran wieder Proteste gegen das Besuchsprogramm trügen dazu von Ihrem famosen Generalsekretär — zu dem Ver- bei, die psychologischen Einflußchancen Moskaus such mißbraucht worden, die deutschen Sozialde- bei der jungen Generation zu erhöhen, wer zu alle mokraten in der bedenkenlosesten Weise zu ver- dem schweigt, Herr Bundeskanzler, wer auch zu der leumden. In Äußerungen, die an Gehässigkeit kaum unglaublichen, aus dem Arsenal eines Joseph Goeb- zu überbieten waren, haben sie uns Antiamerika- bels stammenden Andeutung schweigt, „die Macht nismus, der Juden" sei für die Haltung der amerikanischen (Zuruf von der CDU/CSU: Zu Recht!) Presse verantwortlich, der hat nicht den Hauch ei- ner Rechtfertigung dafür, andere des Antiamerika- ja, Amerikahaß nismus zu zeihen, der kehre vor der eigenen Tür! (Zuruf von der CDU/CSU: Zu Recht!) (Anhaltender Beifall bei der SPD — Beifall und einen Neutralismus der Werte vorgeworfen. bei Abgeordneten der GRÜNEN — Kittel (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist auch mann [CDU/CSU]: Sie sind ein Brunnen so!) vergifter!) Auch Sie selbst, Herr Bundeskanzler, waren sich Wir deutschen Sozialdemokraten bedürfen jeden- nicht zu schade, uns primitiven Antiamerikanismus falls keiner Belehrungen — und von Ihrer Seite vorzuwerfen. schon gar nicht — über die tiefen Unterschiede zwi- schen den Gesellschaftsordnungen der Sowjetunion (Pfui-Rufe von der SPD — Kittelmann und der Vereinigten Staaten, [CDU/CSU]: Was ist daran falsch? — Wei tere Zurufe von der CDU/CSU) (Zurufe von der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, zu unserer Begegnung und wir bedürfen keiner Belehrung darüber, für mit den Bürgermeistern von Lidice, Auschwitz und welche Ordnung sich unser Volk gerade auch auf Oradour, von Coventry und Rotterdam, zu unserer unser Betreiben und auf Grund unserer geschichtli- Begegnung mit dem Vertreter des amerikanischen chen Erfahrung 1945 entschieden hat. Jewish Labor Committee ist Ihnen nur der erbärm- liche Satz eingefallen, die SPD feiere den 8. Mai mit (Beifall bei der SPD — Kittelmann [CDU/ Kommunisten. Das ist erbärmlich! CSU]: Sie zerstören im Moment sehr viel, Herr Vogel!) (Beifall und Pfui-Rufe von der SPD — Zu Wir bedürfen auch nicht Ihrer peinlichen Beleh- rufe von der CDU/CSU: Stimmt doch auch! rungen darüber, was wir den — Wen habt ihr denn eingeladen?) Vereinigten Staaten und dem amerikanischen Volk zu danken haben. Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen Wir wissen, welchen Beitrag Amerika im Rahmen und Herren, in aller Ruhe: der Antihitlerkoalition im Krieg geleistet hat, um Europa und uns von der Gewaltherrschaft zu befrei- (Lachen bei der CDU/CSU) en. Wir wissen, wie sehr Amerika unter seinen Prä- Diese infamen Äußerungen sidenten Truman, Eisenhower und Kennedy beim (Zurufe von der CDU/CSU) Wiederaufbau unseres Landes und in kritischen Si- tuationen bei der Sicherung unserer Freiheit und weise ich mit Entschiedenheit, nein, ich- weise sie der Freiheit West-Berlins geholfen hat. mit Verachtung zurück, (Beifall bei der SPD) (Lebhafter Beifall bei der SPD — Kittel mann [CDU/CSU]: Sie sollten lieber anders Wir wissen ebenso um die freiheitlichen Traditio- handeln!) nen, um die Lebenskraft und die weltweite Verant- und ich habe volles Verständnis dafür, daß sich wortung dieses großen Landes. Aber gerade des- diese Verachtung auch in zorniger Empörung äu- halb schulden wir diesem großen Land nicht vor- ßert. auseilenden Gehorsam und beflissene Akklama- tion, sondern Aufrichtigkeit. (Beifall bei der SPD — Kittelmann [CDU/ CSU]: Die vorher genau aufgeschrieben (Beifall bei der SPD — Zurufe von der worden ist!) CDU/CSU) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 10171

Dr. Vogel Und wir schulden diesem großen Land, wo notwen- sind nicht Vasallen der jeweiligen Administration dig, auch Widerspruch. des amerikanischen Volkes. (Berger [CDU/CSU]: So wie Lafontaine in (Beifall bei der SPD) Neustadt!) Daran, Herr Bundeskanzler, muß ich Sie auch erin- Deshalb bringen wir unsere Sorgen wegen des im- nern, weil Sie es schweigend hingenommen haben, mer gefährlicheren Rüstungswettlaufs, wegen der daß der gegenwärtige Präsident eine hochpolitische Lage in Zentralamerika, wegen der Defizitpolitik Entscheidung, von der bekannt war, daß sie, wenn unüberhörbar zum Ausdruck. Was immer Sie hier ich es richtig sehe, sogar Ihrer politischen Auffas- behaupten, Herr Bundeskanzler, wir stehen doch sung, jedenfalls aber der ausdrücklichen Auffas- mit diesem Widerspruch schon lange nicht mehr sung Ihres Außenministers widerspricht, nämlich allein, oder ist François Mitterrand, ist Felipe Gon- das Nicaragua-Embargo, nicht vor seinem Abflug zalez, sind alle, die etwa das Handelsembargo ab- in Washington, sondern unmittelbar nach seiner lehnen, auch Antiamerikaner? Ankunft in der Bundesrepublik getroffen und be- kanntgegeben hat. Glauben Sie, man hätte Konrad Noch ein Wort, weil Sie mit Ihren Zwischenrufen Adenauer, oder Helmut Schmidt einen das Stichwort zu den Veranstaltungen in Hambach solchen Affront zugemutet? Oder glauben Sie, diese und in Neustadt geben. Herr Bundeskanzler, wir Männer hätten wie Sie einen solchen Affront kom- wissen nicht, wie die jungen Deutschen ausgesucht mentarlos hingenommen? Was tun Sie denn eigent- und ausgewählt worden sind, zu denen der Präsi- lich, Herr Kanzler und Herr Außenminister, dent am 6. Mai gesprochen hat, wir wissen nur — das haben Sie bestätigt —: Es war kein repräsenta- (Zurufe von der SPD: Nichts!) tiver Querschnitt der deutschen Jugend. Das war es wenn nächstens ein anderer Staatsgast — vielleicht nicht. aus einer anderen Himmelsrichtung — unter Beru- (Zurufe von der CDU/CSU) fung auf diesen Vorgang genau das gleiche tut? Was sagt denn Ihr Außenminister zu diesem Vorgang, Wir wissen auch, daß dort in Hambach nicht eine den Sie hier mit Schweigen übergehen? Und es ist einzige kritische Frage gestellt werden konnte, weil eher eine besorgte Frage: Ist Ihr Schweigen etwa für die vorgesehenen Fragen und Antworten nur eine erste Gegenleistung für das, was dem amerika- ganze acht Minuten übergeblieben sind. Es ist des- nischen Präsidenten gegenüber seinem eigenen halb durchaus in Ordnung, daß die Meinung vieler Kongreß von Ihnen zugemutet worden ist? junger Deutscher am Tage vorher auf einer Kund- gebung in Neustadt zum Ausdruck gekommen ist. (Beifall bei der SPD) Die Kritik, die Sie deswegen an meiner Partei äu- Auf das quälende Hin und Her vor dem Besuch ßern, ist abwegig. Mit dieser Kritik stehen Sie viel will ich nicht mehr zurückkommen. Was dazu zu mehr in autoritären als in demokratischen Denk- sagen war, haben Ihnen inzwischen Ihre eigenen traditionen. Freunde deutlich zur Kenntnis gebracht, am deut- (Beifall bei der SPD — Kittelmann [CDU/ lichsten Ihr Schatzmeister, Herr Leisler Kiep, der CSU]: Die Kritik ist berechtigt!) die Vorbereitung des Besuchs öffentlich eine Kata- strophe nannte. Oder Herr Strauß, der Ihnen noch Der erste Außenminister des gegenwärtigen Prä- in letzter Minute nahelegte, nicht nach Bitburg zu sidenten der Vereinigten Staaten, Alexander Haig, gehen, und dafür einen anderen Vorschlag gemacht hat in einer viel schwierigeren Situation im Herbst hat. 1981 in Berlin unter Anspielung auf ein berühmtes Wort des Philosophen Voltaire wörtlich gesagt: Ich kritisiere auch nicht, was Sie in Bergen-Bel- Selbst wenn wir nicht mit dem übereinstimmen, sen und in Bitburg gesagt haben. Dem Zwischenru- was die Demonstranten hier sagen, wir sind bereit, fer aus diesen Reihen möchte ich ganz deutlich ent- bis zum Tode das Recht auch dieser Menschen zu gegenhalten: Der Soldatenfriedhof in Bitburg ist für verteidigen, es zu sagen und zum Ausdruck zu brin- uns kein SS-Friedhof; das weise ich genauso ent- gen. schieden zurück. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Ich bin sicher, das amerikanische Volk denkt nicht Im übrigen: Ich war selber Soldat. Darum weiß anders als Alexander Haig. ich, es läßt keinen, der je an einem Soldatengrab stand, unberührt, wenn das Lied vom guten Kame- (Beifall bei der SPD) raden erklingt. Ich bekenne mich zu dem Gefühl Der Voltair'sche Gedanke, der Gedanke der Tole- der Trauer und der Anteilnahme, die dieses Lied ranz, der Meinungsfreiheit, ist ein elementarer Be- auslöst, einer Trauer, die sich übrigens noch ver- standteil der Wertegemeinschaft, von der Sie in den stärkt, wenn die Toten, denen diese Trauer gilt, letzten Tagen und auch hier unaufhörlich sprechen. einen sinnlosen Tod gestorben sind, weil sie miß- Das ist ein Grundelement der Wertegemeinschaft. braucht wurden. (Beifall bei der SPD) Aber das alles, Herr Bundeskanzler, macht die Fragen nicht entbehrlich, die nicht nur wir stellen Übrigens, wir bleiben dabei, wir sind Freunde und und auf die Sie auch in Ihrer heutigen Erklärung Verbündete des amerikanischen Volkes, aber wir nicht den Versuch einer Antwort gegeben haben. 10172 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 Dr. Vogel Ich frage: Was haben denn die beiden symboli- NS-Verbrechen betont und anerkannt haben. Der schen Akte der schon lange vollzogenen Aussöh- Herr Bundespräsident hat hier an diesem Pult zu nung zwischen Amerikanern und Deutschen ei- Recht die Sätze gesprochen: gentlich hinzugefügt? Ist das deutsch-amerikani- ... es gibt kaum einen anderen Staat, der in sei- sche Verhältnis damit tragfähiger und belastbarer ner Geschichte immer frei blieb von schuldhaf- geworden, als es beispielsweise im Sommer 1963 ter Verstrickung in Krieg und Gewalt. Der Völ- schon in den Tagen war, in denen John F. Kennedy kermord an den Juden jedoch ist beispiellos in Berlin, Köln, Bonn und Frankfurt am Main be- der Geschichte. suchte und Hunderttausende begeisterter Deut- scher ihn auf den Straßen begrüßten und ihm zuju- — Beispiellos in der Geschichte! — Spüren Sie da belten? Ist das Verhältnis durch die symbolischen nicht wenigstens im nachhinein selber die tiefe Wi- Akte darüber hinaus gesteigert worden? Außerdem dersprüchlichkeit, die darin liegt, daß Sie zwischen darf ich Sie daran erinnern: Das war ein Besuch Ihren beiden Reden, zwischen dem 21. April und eines amerikanischen Präsidenten, bei dem nicht dem 5. Mai, am 25. April in später Abendstunde per- ein Embargo gegen ein Entwicklungsland verhängt sönlich mit aller Entschiedenheit darauf bestanden wurde, sondern auf amerikanische Anregungen und haben, die Leugnung dieser vom Staatsoberhaupt nach amerikanischem Vorbild der Deutsche Ent- als einmalig und beispiellos und von Ihnen als ein- wicklungsdienst als Hilfe für alle Entwicklungslän- malig und beispiellos gewürdigten Verbrechen ih- der ins Leben gerufen wurde. rem Strafgehalt nach wie irgendeine x-beliebige Be- leidigung zu behandeln, und daß Sie selbst der Ver- (Beifall bei der SPD) folgung dieser Beleidigung von Amts wegen nur zu- Weiter, Herr Bundeskanzler: Wiegen die symboli- stimmen wollten, wenn für andere Gewalttaten das schen Akte, die Sie so ausführlich gewürdigt haben, gleiche gelte? Ich kann es Ihnen nicht ersparen, wirklich auf, daß im Verhältnis zu Amerika, im Ver- Herr Bundeskanzler: Entgegen Ihren Reden haben hältnis zum jüdischen Volk und zu anderen vom Sie da, wo es nicht nur um Worte ging, wo es zum NS-Terror betroffenen Völkern alte, zum Teil schon Schwur kam, die Einmaligkeit von Auschwitz in Ab- vernarbende Wunden wieder aufgerissen wurden? rede gestellt, nein, Sie haben sie geleugnet. Wiegen die beiden Akte wirklich auf, daß der Zen- (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) tralrat der Juden es ablehnte, an dem zweiten Ge- denken in Bergen-Belsen teilzunehmen? Wiegen die Und ebenso schlimm: Sie haben in jener Nacht beiden Akte auf, daß jüdische KZ-Häftlinge von un- noch nicht einmal die Kraft gefunden die Kraft, serer Polizei aus dem ehemaligen Konzentrations- die einige aus Ihrer Koalition durchaus aufgebracht lager Bergen-Belsen mit der Begründung weggetra- haben —, ein Treffen ehemaliger SS-Angehöriger gen wurden, ihr weiteres Verbleiben in der Nähe wenigstens moralisch zu verurteilen, ein Treffen, der Gedenkstätte hätte die Gedenkzeremonie ge- das allein schon durch sein Zustandekommen das stört? Mußte das alles sein, Herr Bundeskanzler? Gedächtnis des 8. Mai in bitterer Weise beleidigt Haben Sie — und es war ja angekündigt — das hat. alles um der symbolischen Akte willen bewußt in (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Kauf genommen? Auch die mit überwältigenden Ich sage Ihnen: Das werden Sie lange nicht ab- Mehrheiten beschlossenen Appelle des Senats und schütteln. des Repräsentantenhauses der Vereinigten Staa- ten? Diese Appelle wurden ja fast einstimmig aus- Noch eine letzte Frage, Herr Bundeskanzler. Sie gesprochen; das repräsentiert doch Amerika. Ich er- haben auch heute gesagt, der Sinn des Besuchs des innere auch an die Beschlüsse mehrerer europäi- amerikanischen Präsidenten sei Versöhnung gewe- scher Parlamente, der Präsident sollte Ihren Pro- sen. Ich stelle die Redlichkeit und Ehrlichkeit des grammvorschlägen nicht folgen. Motivs auf keiner Seite in Zweifel. Aber, Herr Bun- Was, Herr Bundeskanzler — darauf hätten wir deskanzler, wie paßt zu diesem Sinn der Versöh- heute von Ihnen eine Antwort erwartet —, ist ei- nung, daß im Programm eines Versöhnungsbesu- gentlich durch diese beispiellose Kraftanstrengung ches ausgerechnet für ein Gespräch mit dem Vor- gewonnen worden? sitzenden einer Partei kein Platz war, die im Kampf gegen Hitler von der ersten Stunde an schwerste Ich sage: Ich kritisiere nicht, was Sie am 5. Mai in Opfer gebracht hat und als einzige schon 1932 auf Bitburg und in Bergen-Belsen gesagt haben. Aber ihren Wahlplakaten warnte: „Wer Hitler wählt, ich frage: Warum ist dort mit keinem Wort der mil- wählt Krieg"? lionenfachen Blutopfer gedacht worden, die der So- wjetunion durch den Überfall vom Juni 1941 abver- (Lebhafter Beifall bei der SPD) langt worden sind? Wen, Herr Bundeskanzler, hätte Hat es nach Ihrem Verständnis, Herr Bundes- es gekränkt, wenn bei dem gemeinsamen Besuch kanzler, der Versöhnung gedient, daß kein Platz wenigstens die 46 000 russischen Kriegsgefangenen war im Programm für einen Mann, der Hitler und erwähnt worden wären, die in unmittelbarer Nähe seine Gewaltherrschaft nicht nur mit Worten oder der Gedenkstätte in Massengräbern liegen? Wenn im nachhinein, sondern unter schwersten persönli- die wenigstens erwähnt worden wären! chen Opfern aufrechten und hartnäckigen Wider- (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — stand geleistet hat? Zurufe von der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Wir akzeptieren, Herr Bundeskanzler, daß Sie in Hat es nach Ihrem Verständnis von Versöhnung Bergen-Belsen ein zweites Mal die Einmaligkeit der dem Gedanken der Versöhnung gedient, daß in dem Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 10173

Dr. Vogel Programm ausgerechnet für den Mann kein Platz ten der Städte Auschwitz, Coventry, Dresden, Köln, war, der als einziger Deutscher nach 1945 mit dem Leningrad, Minsk, Rotterdam, Villeneuve d'Ascq, Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden ist? Warschau und Wolgograd sowie die Bürgermeiste- (Anhaltender Beifall bei der SPD) rin von Lidice, aber auch ein Sprecher des amerika- nischen Jewish Labor Committee und einer von sie- Entspricht es Ihrem Verständnis von Versöh- ben Überlebenden des Massakers von Oradour teil- nung, Herr Bundeskanzler, daß in einem Programm genommen haben. Mit einem Gespräch, bei dem eines Versöhnungsbesuchs ausgerechnet für den nicht vom Reich des Bösen und vom Reich des Gu- die halbe Stunde nicht zu finden war, dessen Name ten, bei dem nicht von neuen Feindbildern, nicht für immer mit einer Politik verbunden ist, die gegen von neuem Haß, sondern bei dem — über die Gren- wütenden Widerstand die Aussöhnung mit unseren zen der Gesellschaftsordnungen und der Bündnisse östlichen Nachbarn überhaupt erst möglich ge- hinweg — vom Frieden die Rede war. Denn bei macht hat? allen Wertunterschieden, deren wir uns, nicht zu- (Anhaltender Beifall bei der SPD und den letzt auf Grund unserer 120jährigen Geschichte, GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU) stets bewußt sind, bei all unserem Bemühen, der Schlußakte von Helsinki in all ihren Teilen Geltung Sie schieben das jetzt auf die Berater des Präsi- zu verschaffen — einer Schlußakte, an der wir übri- denten ab, auf Berater übrigens, die keine Beden- gens gar nicht beteiligt wären, wenn es nach Ihrem ken dagegen hatten, daß sich der Präsident in Mad- politischen Willen gegangen wäre —, rid mit dem ehemaligen Franco-Minister Iribarne als Sprecher der dortigen Opposition traf. (Beifall bei der SPD) (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Das ist ja nicht bei all diesen Wertunterschieden ist das Überleben mehr anzuhören, verdammt noch mal!) der Menschheit ein Gut, das sich nicht auf ein Bündnis, auf eine Wertegemeinschaft beschränkt, Herr Bundeskanzler, dieses Abschieben auf ameri- sondern ein Gut, das der ganzen Menschheit als kanische Berater ist zu einfach. Ich sage: Dieses höchster Wert anvertraut ist. Daran muß sich ge- Abschieben in einer so zentralen Frage auch des rade die deutsche Politik messen lassen, und zwar inneren Friedens ist eines deutschen Bundeskanz- nicht nur am 8. Mai, sondern für alle Zukunft. lers nicht würdig. (Langanhaltender Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD — Dr. Dregger [CDU/ CSU]: Wer eine Gegenkundgebung organi siert, wird auch nicht eingeladen! — Kittel Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat Herr Abge- mann [CDU/CSU]: Das ist ja kaum noch ordneter Rühe. auszuhalten, Herr Vogel! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Rühe (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dr. Vogel, Sie haben nur mit eini- und Herren, ich sehe nicht, wem die von Ihnen zu gen wenigen Alibibemerkungen zu dem Thema verantwortende Terminierung des Staatsbesuchs Stellung genommen, das der Bundeskanzler hier genutzt hat. Unserem Volk, seinem Ansehen in der heute in seiner Regierungserklärung dargestellt Welt, den deutsch-amerikanischen Beziehungen hat hat. Dann sind Sie sehr schnell zu einer Sprache diese Terminierung jedenfalls mehr geschadet als der Verleumdung und zu einem demagogischen genutzt, und die Folgen werden wir auch im außen- Rundumschlag übergegangen. politischen Bereich noch lange spüren. (Beifall bei der CDU/CSU) Ein Positives allerdings hat der Besuch bewirkt: Im Unterschied zu Ihnen brauche ich meine (Zuruf von der CDU/CSU: Daß Sie hier re Stimme hier nicht künstlich zu erhöhen, um unsere den!) Mitbürger davon zu überzeugen, was das für ein Irr- weg ist und daß das nur der Vergiftung der Atmo- Er hat uns innerhalb kürzester Zeit bewußt ge- sphäre in der Demokratie dient. macht, daß wir unserer Geschichte nicht entfliehen, daß wir unsere Verantwortung nicht von uns wer- (Beifall bei der CDU/CSU) fen können. Er hat uns gezeigt, wie dünn das Eis Ich weise Ihre Angriffe auf Heiner Geißler und an- auf den Wassern der Vergangenheit noch immer ist. dere mit aller Entschiedenheit zurück. Und er hat uns innewerden lassen, was noch zu lei- (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von sten ist, bis wir mit unserer Geschichte, d.- h. aber der SPD) auch mit unserer Identität, ins reine kommen. Dazu gehört auch die Bereitschaft, aus dem Geschehenen Diese Bundesrepublik Deutschland ist eine streit- Konsequenzen zu ziehen und die Versöhnung nicht bare Demokratie, Heiner Geißler ist ein streitbarer auf einen symbolischen Akt zu beschränken, son- Demokrat. Wir haben diese Demokratie in der Ver- dern sie zu einem andauernden Prozeß zu machen. gangenheit gegen Gegner von links und rechts ver- teidigt. Wir werden das auch in der Zukunft tun. Was wir deutschen Sozialdemokraten, meine sehr verehrten Damen und Herren, darunter verstehen, (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von haben wir mit dem Nürnberger Friedensgespräch den GRÜNEN) in der vorigen Woche und auch mit unseren Besu- Ich bin mir sicher, wer in der Krise der Demokratie chen in Theresienstadt und Lidice deutlich ge- in vorderster Front stehen würde, um sie gegen macht, mit einem Gespräch, an dem Repräsentan- Gegner von links und rechts zu verteidigen: allen 10174 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985

Rühe voran Heiner Geißler. Deswegen hat er unsere vol- wenn diese Bundesrepublik Deutschland unzuver- le, auch moralische Unterstützung. lässig würde, so wie Ihre Sicherheits- und Außenpo- (Beifall bei der CDU/CSU — Frau Fuchs litik heute aussieht. [Köln] [SPD]: Herr Rühe, das kann doch (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von nicht wahr sein!) der SPD) Er hat Sie zu Recht gefragt, warum Sie heute nur Im übrigen, Herr Dr. Vogel, wir haben einen Bun- den halben Schumacher zitieren. Warum sagen Sie deskanzler, und der wird sich am Ende dieser Le- heute nur: Nie wieder Krieg von deutschem Boden? gislaturperiode der Wiederwahl stellen. Deswegen Warum sagen Sie nicht auch, was Schumacher ge- brauchen wir keinen Kanzlerkandidaten so wie Sie; sagt hat: Nie wieder Diktatur auf deutschem Boden, das unterscheidet uns von Ihnen. auf dem ganzen deutschen Boden? (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Ehmke (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) [Bonn] [SPD]: Vorsichtig, vorsichtig! — Demokratie ist auch friedenstiftend. Es ist kein Weitere lebhafte Zurufe von der SPD) Zufall, daß die Kriege in der Regel von Diktaturen — Das ist doch so. Früher waren Sie in der Lage, angefangen werden. Sehen Sie sich die Rolle von den Kanzler zu haben, und wir mußten den Weg Hitler-Deutschland und der Sowjetunion an, die die gehen, einen Kanzlerkandidaten zu suchen. Heute Demokratien in den Krieg hineingezogen haben! haben wir den Kanzler, und Sie haben die Probleme Deswegen ist der Einsatz für die Demokratie auf vor sich, einen Kanzlerkandidaten zu suchen. deutschem Boden friedenstiftend und friedenstabi- lisierend. (Zuruf von der CDU/CSU: Sie werden ihn (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nicht finden!) Herr Dr. Vogel, die gesamte Fraktion der CDU/ Ihre Zuneigung zum deutsch-französischen Ver- CSU unterstützt die großartige Rede des Bundes- hältnis ist j a auch eine späte und taktische Liebe. präsidenten. Aber warum müssen Sie versuchen, Ich will jetzt gar nicht auf Ihre Rolle 1963 eingehen. den Bundespräsidenten hier taktisch gegen den Aber im Januar 1983 stand an diesem Pult der fran- Bundeskanzler auszuspielen? zösische Staatspräsident Mitterrand und hat leiden- schaftlich um Ihre Zustimmung zu einer Sicher- (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der heitspolitik geworben, um zu verhindern, daß die SPD: Das hat er nicht gemacht!) Situation andauert, in der auf der sowjetischen Das ist unwürdig und dient nicht dem Respekt ge- Seite — wie er gesagt hat — die Raketen stehen genüber dem Bundespräsidenten. Warum können und bei uns die Pazifisten. Wie haben Sie damals Sie nicht einfach sagen: Dieses war eine große dort reagiert, Herr Vogel, wo Sie jetzt sitzen? Sie Rede, hinter der das gesamte deutsche Parlament haben ihm doch nicht Beifall geklatscht, sondern steht? Warum dieses taktische, dieses vergiftete Sie haben Ihren Blick zusammen mit Herrn Brandt Lob, was typisch für Sie ist? auf den Boden dieses Saales gesenkt. Wo blieben damals Ihre Sorge und Ihre Unterstützung für eine (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — enge deutsch-französische Zusammenarbeit? Jung [Lörrach] [CDU/CSU]: Das ist seine Art! — Zurufe von der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Was Sie hier heute an Demagogie geboten haben, Deswegen können wir uns des Eindrucks nicht wird um so schlimmer, weil es kalt berechnet war. erwehren, als ob diese späte und taktische Liebe für Sie haben sich das vorher aufgeschrieben; das ist Frankreich in Wirklichkeit den Antiamerikanismus nicht in der Erregung gesprochen, Herr Vogel, und in Ihrer Partei verbergen soll, der gerade in den deswegen trifft Sie eine besondere Verantwortung. letzten Wochen immer wieder deutlich geworden (Jung [Lörrach] [CDU/CSU]: Ein Brunnen ist. vergifter ist der Herr Vogel!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Aber wir müssen uns fragen, warum Willy Brandt Lassen Sie mich das im einzelnen konkret an- am Abend dieses großen Wahlsieges für die Sozial- sprechen. Herr Brandt hat in einem „ZDF"-Inter- demokraten in Nordrhein-Westfalen in der Erre- view zwar einerseits die USA wieder einmal als gung des Augenblicks so reagiert und so unent- Verbündeten, als Partner bezeichnet, andererseits schuldbare Angriffe auf Heiner Geißler geführt hat. aber als Parteivorsitzender nichts dagegen unter- Das hat er getan, weil er sehr wohl gespürt- hat, daß nommen, daß die Einladung an den Präsidenten die Angriffe des Bundeskanzlers im Hinblick auf dieses Partnerlandes, in Hambach vor der deut- ihre außenpolitische Unzuverlässigkeit berechtigt schen Jugend zu sprechen, von Sozialdemokraten sind, die sie bündnisunfähig und damit mehrheits- kritisiert wurde. Im übrigen, Herr Vogel, der Ober- unfähig auf der Bundesebene macht. bürgermeister von Ludwigshafen, der Sozialdemo- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) krat ist, und all die anderen auch, die die Jugendli- chen dort auswählen konnten, werden ja wohl dafür Denn auch der unzufriedene Arbeitnehmer, der es gesorgt haben, daß eine repräsentative Gruppe zu- heute noch ist, der unzufriedene Landwirt oder der sammengekommen ist. Auch dieser Angriff von Ih- unzufriedene Rentner weiß ganz genau: Wenn es nen bricht in sich selbst zusammen. um die Bundestagswahl geht, dann geht es um die Sicherheit dieses Landes, und da wäre alles nichts, (Zuruf von der SPD) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 10175

Rühe Diese Veranstaltung des amerikanischen Präsi- in Bonn die Hand zum Gespräch auszustrecken und denten in Hambach mit der deutschen Jugend ist hinterher dann auch noch beleidigt zu sein, daß es von Ihrer Partei als Mißachtung der demokrati- dafür keinen Besuchstermin gab? schen Tradition in Deutschland bezeichnet wor- den, (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Bemerkenswert!) (Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Stimmt!) Es gibt keinen Zweifel: Die SPD-Gegenveranstal- obwohl es der mit großer Mehrheit gewählte Präsi- tung in Neustadt war eine antiamerikanische Ver- dent einer der ältesten Demokratien der Welt ist. anstaltung. Das ist ein ungeheurer Vorwurf. (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: So etwas kann (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf des nur ein Schwachkopf sagen!) Abg. Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]) Davon zeugen nicht nur die Worte Lafontaines. Die Was verstehen Sie eigentlich unter der demokrati- Art und Weise, wie der amerikanische Präsident, schen Tradition des Hambacher Festes, wenn Sie der Gast unseres ganzen Volkes war, von der deut- drei Tage später in Nürnberg zwar „Nie wieder schen Sozialdemokratie behandelt wurde, ist be- Krieg von deutschem Boden" rufen, aber nicht schämend für die SPD. mehr zwischen freiheitlicher und totalitärer Staats- ordnung unterscheiden wollen, wenn Sie den zwei- (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord ten Teil des Satzes von Schumacher unterschlagen neten der FDP) „nie wieder Diktatur auf deutschem Boden"? Ist Ih- Die „Stuttgarter Zeitung" schreibt hierzu in ei- nen die Freiheit hier so selbstverständlich gewor- nem Kommentar vom 24. April: den oder — was schlimmer wäre — haben Sie sich mit der Unfreiheit im anderen Teil Deutschlands Seit wann ist es eigentlich üblich, einen Staats- schon so sehr abgefunden, daß Sie es Ihren Gästen gast, wie überhaupt einen Gast, so zu behan- in Nürnberg nicht zumuten wollten, daran erinnert deln, als sei er ins Haus eingedrungen. Ist es zu werden, daß es für 17 Millionen Menschen im nicht beschämend, einem Freund der Deut- anderen Teil Deutschlands Frieden in Freiheit schen, dem engsten Bündnispartner, der nicht gibt? Schutzmacht, vor allem aber: dem Repräsen- tanten des Volkes, das den Deutschen Freiheit, (Zurufe von der CDU/CSU: So ist es! — Das Wohlstand und Demokratie brachte, während ist der Kern!) seines Aufenthaltes solchen Zumutungen aus- Sehen Sie denn nicht mehr den politischen und zusetzen? Das muß um so mehr abstoßen, als den moralischen Unterschied zwischen der Sowjet- die SPD nicht im Traum daran denkt, bei Besu- union einerseits — die seit über fünf Jahren in chen kommunistischer Potentaten ähnlich ent- Afghanistan Völkermord begeht und dort jedes rüstet zu sein. Das ist bestürzend. Streben nach Freiheit brutal unterdrückt — und unseren amerikanischen Freunden andererseits, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Ströbele [GRÜNE]: Die Amerikaner bege Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Bun- hen doch auch Völkermord!) destagsfraktion unterstützt die Einschätzung des Besuchs des amerikanischen Präsidenten, wie sie die die Freiheit Berlins garantieren? Warum, Herr der Bundeskanzler hier für die Bundesregierung Brandt und Herr Vogel — und in Zukunft auch vorgetragen hat. Wir danken dem amerikanischen Herr Rau; denn größeres bundespolitisches Profil Präsidenten und dem Bundeskanzler dafür, daß sie bedeutet auch größere Verantwortung für das Ge- gemeinsam der Opfer des Krieges und der national- sicht der SPD —, widersprechen Sie denn nicht sozialistischen Gewaltherrschaft gedacht haben Ihrem Enkel von der Saar, der die USA politisch und die in den letzten vierzig Jahren gewachsene und moralisch mit der Sowjetunion auf eine Stufe Freundschaft und Versöhnung zwischen unseren stellt Völkern zum Ausdruck gebracht haben. (Ströbele [GRÜNE]: Er hat recht!) (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord — er hat ja recht; hier haben Sie die Bestätigung —, neten der FDP) auch kürzlich wieder, als er ihnen in Neustadt vor- Der Antiamerikanismus in der deutschen Sozial- warf — Zitat —, „daß sie in ihrer Vor- und Hinter- demokratie — das vor allem muß man sich klarma- hofmentalität von Verbrechen zu Verbrechen- stol- chen — verstößt ja nicht gegen amerikanische In- pern"? Wie lange wollen Sie eigentlich noch diese teressen, sondern gegen deutsche Interessen, vor böse Bezeichnung eines Freundes und Verbündeten allem gegen deutsche Sicherheitsinteressen. als Verbrecher unwidersprochen lassen, Herr Vogel, der mit dem Risiko für das eigene Überleben un- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sere Freiheit garantiert und damit auch die Rede- Freundschaftliche, auch deutliche Kritik unter und Meinungsfreiheit eines Herrn Lafontaine? Bündnispartnern muß und wird es immer geben. (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord Das Ringen um den richtigen Weg gehört zum neten der FDP) Bündnis der Freien. Aber Herabsetzung und mora- Welch ein politischer Stil, welch eine Moral ist es lische Fundamentalkritik, das wirkt bündniszerstö- eigentlich, seinem Freund und Verbündeten in Neu- rend. Das ist nicht unsere Politik. stadt unter die Gürtellinie zu schlagen, gleichzeitig (Beifall bei der CDU/CSU) 10176 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985

Rühe Wenn wir uns gegen diesen Antiamerikanismus ersehnt, sondern verwirklicht — in der Vergangen- der SPD wenden, dann geht es uns dabei weniger heit und auch in der Zukunft. um die Amerikaner. Die sind im übrigen stark ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nug, für sich selbst zu sorgen und ihre Interessen zu vertreten. Es geht uns um die Deutschen. Denn Eine besonders schlimme Entgleisung leistet sich Antiamerikanismus schadet nicht den Amerika- Herr Lafontaine, wenn er die Meinung übernimmt, nern, sondern den Deutschen. Antiamerikanismus daß die Atomwaffen das Auschwitz unserer Zeit in der Form der Herabsetzung unseres wichtigsten seien. Verbündeten oder seiner moralischen Gleichset- (Zuruf von den GRÜNEN: Stimmt!) zung mit der Sowjetunion bedeutet zutiefst eine Verletzung von lebenswichtigen Sicherheitsinteres Auch Willy Brandt hat in seiner Nürnberger Rede sen Deutschlands. Wer unserem wichtigsten Bünd- eine schlimme Gedankenverbindung geschürt, als nispartner in einem Atemzug mit der Sowjetunion er das Grauen der Vernichtungslager in einen Zu- Verbrechen unterstellt, der zerstört das notwendige sammenhang mit atomarer Abschreckung brachte Bewußtsein unserer Mitbürger, vor wem und mit — auch dafür liegt das Zitat vor. Wer die Massen- wem diese junge deutsche Demokratie, wir alle mit- vernichtung von Auschwitz mit der atomaren Ab- einander Schutz suchen und Schutz finden. schreckung gleichsetzt, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Zuruf von der SPD: Der hat recht!) Sie, Herr Brandt, haben in Ihrer New Yorker Rede — der hat nicht recht, sondern der verursacht eine vom 24. April über Frieden und Entwicklung formu- moralisch und geschichtlich unverantwortliche Um- liert — das ist ein Zitat; es ist belegt —: wertung der Begriffe Es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Streitkräfte und die Waffen, die die Super- und eine Verschleierung der eigentlichen Ursachen mächte angesammelt haben, weit über das hin- der heutigen Konflikte. ausgehen, was zu ihrer Verteidigung nötig sein mag. Für die Erhaltung des Friedens in Freiheit durch Abschreckung auch mit nuklearen Waffen sind (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Sehr wahr! — Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Sehr richtig!) doch schließlich auch die Bundeskanzler Brandt und Schmidt sowie die Verteidigungsminister Sie haben die Fähigkeit erworben — und zwar Schmidt, Leber und Apel eingetreten — mit Erfolg diese beiden allein —, daß Leben auf unserem und mit guten moralischen Gründen. Soll denn das Globus zu beenden. alles nicht mehr gelten? (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Sehr wahr! — (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der SPD: Stimmt doch!) Horacek (GRÜNE): Ist Hiroschima mit Ihre Macht ist damit objektiv zu einer Bedro- 270 000 Verbrannten nichts?) hung aller geworden. Lassen Sie mich auch einiges zum Weltwirt- (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Seht wahr!) schaftsgipfel anführen. Ich meine, die wirtschafts- politische Stellungnahme auf diesem Gipfel hat — Ich setze mich damit auseinander. deutlich gemacht, daß es Einigkeit der sieben Mit- Herr Vogel, wer undifferenziert und mit gleich- glieder des Weltwirtschaftsgipfels in den Grundfra- setzenden Worten wie ein Beobachter aus der Loge gen der Wirtschaftspolitik gibt, daß Wachstum und der Weltpolitik heraus die Politik der Supermächte Stabilisierung des Wachstums inflationsfrei gewon- kommentiert, verkennt und verbirgt, daß die Bun- nen werden können. Insofern hat es eine große desrepublik Deutschland in einer Sicherheitsge- grundsätzliche politische, wirtschaftliche und gei- meinschaft der nordamerikanischen und westeuro- stige Übereinstimmung gegeben. Es hat sich erneut päischen Demokratien lebt, daß unser wichtigster gezeigt, daß Sie — das muß ich in Richtung SPD Partner in diesem Bündnis die USA sind, daß deren sagen — mit Ihrer Wirtschaftspolitik ganz ähnlich Verteidigungsaufwendungen nicht zuletzt auch un- wie mit der Sicherheitspolitik eine Außenseiterrolle serem Schutz dienen und daß deswegen die USA spielen und auf diesem Gipfel völlig isoliert gewe- nicht eine Bedrohung für uns bedeuten, sondern sen wären. Denn bei allen Unterschieden, die es im Schutz, einzelnen gegeben haben mag, in den wesentlichen (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord Zielen gab es Übereinstimmung, und von allen ist - die Strohfeuerpolitik der Sozialdemokraten mit im- neten der FDP) mer neuen Beschäftigungsprogrammen abgelehnt Schutz vor allem vor der Sowjetunion, deren Waf- worden. Sie wären auf diesem Weltwirtschaftsgipfel fenpotential darauf abzielt — es würde mich inter- isoliert gewesen, Herr Vogel. Deswegen ist es gut, essieren, ob Sie das unterschreiben, Herr Vogel —, daß Sie keine Verantwortung in der Bundespolitik die Sicherheitslage der westlichen Demokratien zu tragen. Denn dann wären die Chancen für eine wirt- verschlechtern und deren politischen Bewegungs- schaftliche Gesundung wesentlich schlechter. spielraum einzuschränken. Deswegen ist das Nord- atlantische Bündnis eine Sicherheitsgemeinschaft (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) der Demokraten. Büdnispolitik und Abschreckungs- Ich meine weiter, die wirtschaftspolitischen politik sind für uns praktizierte Friedenspolitik, die Selbstverpflichtungen der einzelnen Länder habe den Frieden auch für die Demokratien nicht nur ihre große Bedeutung auch für die Politik gegen- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 10177 Rühe über der Dritten Welt. Wir werden gemeinsam dar- Deswegen ist diese Aussage von Heiner Geißler auf achten, daß dies realisiert wird. völlig berechtigt. Natürlich haben wir die morali- (Ströbele [GRÜNE]: Nicaragua!) sche Verpflichtung, herauszufinden, ob es nicht eine Alternative gibt. Ich glaube, die politische Grundsatzerklärung, die es auf diesem Gipfel gegeben hat, ist noch nicht (Zurufe von den GRÜNEN) ausreichend gewürdigt worden. Hier können wir die Ich muß Ihnen auch sagen: Es gab auf diesem Tatsache feststellen, daß diese sieben Länder ein- Gipfel eine große Übereinstimmung darüber, daß schließlich Japans sich dazu bekannt haben, daß die die Forschungsanstrengungen der Amerikaner ge- deutsche Frage offen ist und daß für alle Deutschen rechtfertigt sind. Auch hier wären die Sozialdemo- das Selbstbestimmungsrecht gilt. Ich finde, das kraten völlig isoliert gewesen. sollte Sie nachdenklich machen. Denn bei Ihnen Ich muß die Frage, die ich hier vor zwei Wochen wird ja von einigen behauptet, die deutsche Frage gestellt habe, wiederholen. Sie sprechen jetzt zwar sei nicht mehr offen. Bestenfalls wird bei Ihnen kri- auch die von den Sowjets inzwischen offiziell zuge- tisch darüber diskutiert. Es ist beschämend für Sie, gebenen eigenen Forschungsanstrengungen bezüg- daß wir etwa bei diesem weit entfernten Land Ja- lich der Weltraumverteidigung an, aber Sie wissen, pan für diese Grundfrage der deutschen Politik daß Sie keinerlei Einfluß auf die Sowjetunion ha- mehr Unterstützung als bei Ihnen finden. ben, diese Forschungsanstrengungen zu unterbin- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) den. Dennoch versuchen Sie, diesen Hebel in die Es sollte Sie auch nachdenklich machen, daß in Hand zu nehmen, um unseren Bündnispartner, die Amerikaner, daran zu hindern, ein Forschungs- Japan mehr Verständnis dafür vorhanden ist, daß gleichgewicht herzustellen. es unhistorisch ist, die Akten über der deutschen Frage zu schließen. Die Geschichte geht weiter, und (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: So ein Quatsch! wir müssen daran mitwirken. Die Haltung der SPD, Herr Rühe, auf welch erbärmlichem Ni die die deutsche Frage für geschlossen und erledigt veau sind Sie heute!) hält, ist unhistorisch. — Dies ist eine wichtige Aus- Dieses ist keine moralische Haltung, sondern es ist sage auf dem Gipfel. eine unkluge Haltung, die nicht der Sicherheit un- (Zuruf des Abg. Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]) seres Landes dient. Mit dieser Haltung wären Sie auf dem Gipfel isoliert gewesen. Diese Haltung, Herr Ehmke, ist aber auch unmora- lisch. Denn dieser Gipfel hat auch betont, daß das (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Selbstbestimmungsrecht für die Deutschen auch Daß es zwischen der Bundesrepublik Deutsch- eine wichtige moralische Position ist. Wir müssen land und Frankreich in einzelnen Fragen Diskus- Sie fragen: Woher nehmen Sie die moralische sionen gibt, ist doch ganz selbstverständlich; denn Rechtfertigung dafür, daß Sie die deutsche Frage Frankreich ist eine Nuklearmacht und muß sich für geschlossen erklären und damit den 17 Millio- natürlich anders als wir darum sorgen, welche Aus- nen in der DDR dieses moralische Recht auf Selbst- wirkungen auf die Abschreckungsfähigkeit der bestimmung aberkennen? französischen Force de Frappe z. B. ein sowjeti- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sches Abwehrsystem hätte, wieweit eine Abwehr gegen die seegestützten Mittelstreckenraketen, wie Lassen Sie mich noch einiges im Hinblick auf das Frankreich sie besitzt, technisch zu realisieren ist. Thema Weltraumabwehr und zu den Diskussionen im Bündnis und den europäischen Bemühungen sa- Die Franzosen wissen selbst — das unterscheidet gen. Zunächst: Herr Vogel, Sie und Ihre Freunde sie von der SPD —, daß ein Nein zu SDI die Sowjet- vertreten seit zwei Jahren verstärkt die Auffassung, union nicht vom Aufbau eines modernen Raketen- daß es unmoralisch sei, den Frieden durch Ab- abwehrsystems abhielte, wenn sie auf Grund von schreckung zu garantieren. Sie ziehen ja schon die Forschungsergebnissen dazu in der Lage ist. Es ist Parallelen zu Auschwitz. Deswegen steht es doch kein Zufall, daß der französische Verteidigungsmi- gerade Ihnen überhaupt nicht zu, zu kritisieren, nister Hernu am 9. November letzten Jahres ein wenn der amerikanische Präsident sagt: Es ist un- Studienprogramm für die Entwicklung von Ein- sere moralische Pflicht, alles zu tun, um herauszu- dringhilfen für die neue seegestützte französische finden, ob es denn eine Chance gibt, den Frieden M-4-Rakete in Auftrag gegeben hat. Auch hier be- anders zu erhalten als durch die Vergeltungsdro- steht keinerlei Übereinstimmung zwischen Ihrer hung. und der französischen Position. - Man kann sagen: Das ist ein schwieriger Weg, Wir übersehen auch nicht, daß ein Nein der Pari- und man kann skeptisch sein. ser Regierung zur Forschungsbeteiligung bei einer gleichzeitigen Zusammenarbeit staatlicher franzö- (Zuruf des Abg. Vogt [Kaiserslautern] sischer Firmen mit den Amerikanern politisch, [GRÜNE]) wirtschaftlich und technologisch eine andere Quali- Aber wenn es jemandem nicht zusteht, dieses mora- tät hätte als ein Nein der Bundesregierung gegen- lisch zu kritisieren, dann Ihnen, die Sie auf der über den privaten deutschen Firmen. anderen Seite die Politik der Friedenserhaltung Was nun die Aussage von Staatspräsident Mitter- durch Abschreckung immer stärker auch moralisch rand auf dem Weltwirtschaftsgipfel betrifft, so ge- angreifen. hen wir davon aus, daß damit noch nicht das letzte (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wort Frankreichs für den europäischen Abstim- 10178 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985

Rühe mungsprozeß gesprochen ist. Ich erinnere nur an tungen das ohnehin noch schwer durchschaubare die sehr herbe Frontalkritik, mit der Frankreich bis Dickicht europäischer Institutionen unübersichtli- zum Anfang dieses Jahres auf das SDI-Programm cher machen sollte. reagiert hat. Jetzt heißt es, daß Frankreich „beim Lassen Sie mich zum Schluß noch etwas in Rich- gegenwärtigen Stand des Vorschlags" nicht teilneh- tung auf die Genfer Verhandlungen sagen. Es hat ja men werde. die Unterstützung des Gipfels für die amerikani- Mitterrand begründet seine Position mit zwei sche Verhandlungsposition gegeben, und zwar für entscheidenden Fragen: Erstens. Welche Rolle alle drei Bereiche, in denen die Amerikaner in Genf könnte man auf welchen technologischen Gebieten verhandeln. Auch hier wird deutlich, daß Sie, Herr spielen? Zweitens. Ist sichergestellt — so fragt er —, Vogel, mit Ihrer Politik im Abseits stehen. Der ame- daß das, was mein Land und Europa interessiert, rikanische Präsident hat ganz konkrete Offerten auch das wäre, was uns in dieser technologischen für vertrauensbildende Maßnahmen gemacht, wäh- Zusammenarbeit mit den USA zugestanden wird? rend Willy Brandt z. B. in seiner New Yorker Rede sagte, die Supermächte müßten einen Vertrag zu Er fügt schließlich hinzu, daß dieses Nein keines- Verhinderung des dritten Weltkrieges schließen. falls besage, daß Frankreich sich nicht von dieser Hat er denn die geltenden Übereinkünfte der Ver- Linie entfernen könne. Der französische Präsident einten Nationen über den Gewaltverzicht ganz hat damit Fragen und Bedenken formuliert, die übersehen? Ich meine, daß Sie sich an das erinnern auch von anderen, beispielsweise von den Briten lassen sollten, was Sie in anderem Zusammenhang und auch von uns, gestellt und geteilt werden. Auch die „Politik der kleinen Schritte" genannt haben. wir sagen: Es muß erst noch geklärt werden, wie Ihre Abrüstungspolitik ist die Politik der großen und zu welchen Bedingungen eine deutsche For- Worte. Mit solchen Vorschlägen schaffen Sie keine schungsbeteiligung erfolgen kann, zu der wir einzige Atomwaffe beiseite, Herr Ehmke. grundsätzlich bereit sind und die wir grundsätzlich für richtig halten. Insofern sind Bonn und Paris (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) oder beispielsweise Paris und London gar nicht so Deswegen unterstützen wir die Politik der klei- weit auseinander. Von daher gehen wir davon aus, nen Schritte mit den vier ganz konkreten Schritten, daß der Abstimmungsprozeß der Europäer für eine die der amerikanische Präsident vorgeschlagen hat gemeinsame Linie auch mit Frankreich weiterge- und auf die man sich schnell verständigen könnte, hen wird, zumal kurz vor dem Weltwirtschaftsgipfel wenn es guten Willen auf beiden Seiten gäbe. Wir in der WEU für diese Beratungen eine spezielle fordern Sie auf, sie auch zu unterstützen. Dann gibt Arbeitsgruppe eingesetzt worden ist. es auch die Chance, mittlere Schritte in Genf zu erreichen mit einer erneuten Bestätigung des ABM- Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordert des- Vertrages, mit einem Ernstmachen, die real existie- halb die Bundesregierung auf, weiterhin alle An- renden Raketen abzurüsten. Aber wer statt dessen strengungen zu unternehmen, um zu einer unter nur eine Politik der großen Worte macht, der ver- den Europäern abgestimmten Linie zu kommen säumt die konkreten Abrüstungschancen, die es und so weit wie möglich eine einheitliche Haltung gibt. Deswegen fordere ich Sie auch in diesem Be- zumindest eines Teils der Europäer zu erarbeiten. reich auf, Ihre Politik zu überdenken; denn ande- Dabei ist dann auch zu prüfen, wieweit die Euro- renfalls werden Sie feststellen, daß Sie zwar eine päer in Zusammenarbeit mit den USA spezifische Landtagswahl gewinnen können, daß die Bürger Komponenten für den Schutz Europas erforschen der Bundesrepublik Deutschland aber noch für und beisteuern könnten, beispielsweise gegen die lange Zeit der Auffassung sein werden, daß man konventionelle Bedrohung, beispielsweise gegen Ihnen das Schicksal des ganzen Landes — wo es Marschflugkörper, aber auch die Frage, welche um Sicherheit und Außenpolitik geht — keinesfalls Schutzmaßnahmen gegen atomare Kurzstreckensy- anvertrauen kann. steme denkbar wären. Ich meine, wenn wir dieses tun, wenn wir uns den spezifischen Sicherheitssor- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — gen der europäischen Bevölkerung zuwenden, dann Vorsitz : Vizepräsident Frau Renger) haben wir dafür die Unterstützung unserer Bevöl- kerung, und dann können wir es auch verschmer- Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat die Abge- zen, dafür nicht die Unterstützung der Opposition in ordnete Frau Hönes. diesem Hause zu haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Frau Hönes (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsi- Ob Eureka von Bedeutung sein wird, wird noch zu dentin! Meine Damen und Herren! Ich denke, es ist prüfen sein, denn nicht von ungefähr sind die von an der Zeit, das Wahlkampfgetöse zu beenden, Frankreich genannten Bereiche einer zivilen euro- denn, meine Damen und Herren, das Hauen und päischen Hochtechnologiezusammenarbeit alle- Stechen scheint Ihnen immer noch in den Gliedern samt Schlüsselgebiete der SDI-Forschung. zu stecken. Jetzt ist eine sachliche Beurteilung des Weltwirtschaftsgipfels angesagt. Diese sachliche Was die zivile Zusammenarbeit im Weltraum be- Beurteilung haben Sie bisher vermissen lassen. trifft, so wird sich zeigen müssen, wieweit hier die ESA, die Europäische Weltraumagentur, als ein (Beifall bei den GRÜNEN) durchaus erfolgreiches Modell europäischer wie Herr Bundeskanzler, Sie sagten in Ihrer Begrü- transatlantischer Zusammenarbeit noch umfang- ßungsrede auf Schloß Falkenlust: „In diesen Tagen reicher zu nutzen ist, ehe man durch neue Einrich- blicken viele Menschen der Welt hierher auf uns. Es Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 10179

Frau Hönes sind vor allem viele Hoffnungen, die sich auf uns Die Bundesregierung benutzt also schon heute die richten, ..." — Grundlage dieser Hoffnungen ist der Arbeitslosigkeit, um lang erkämpfte Rechte der Ar- Wunsch aller Menschen dieser Welt, ein friedliches, beitnehmer und Arbeitnehmerinnen Zug um Zug gleichberechtigtes und selbstbestimmtes Leben in abzubauen. einer intakten Umwelt führen zu können. Herr Bundeskanzler, ich stelle Ihnen die Frage, inwie- (Zustimmung bei den GRÜNEN) weit dieser Weltwirtschaftsgipfel einen Beitrag Herr Kohl, die Regierung mag das als Erfolg feiern, dazu geleistet hat, um auch nur einen Teil dieser die Arbeiterinnen und Arbeiter in Nordrhein-West- Hoffnungen zu erfüllen. falen haben offenbar anders darüber gedacht. Die Bemühungen auf diesem Gipfel beschränk- (Zustimmung bei den GRÜNEN — Zuruf ten sich doch wohl nur auf die Beschwörung von von den GRÜNEN: Diese Regierung wird Wirtschaftswachstum als angeblichen Garanten für '87 arbeitslos!) die Schaffung von Arbeitsplätzen. Zwar wird mit dem überholten Rezept des Wirtschaftswachstums Ihre Politik hat in der Bundesrepublik schon zu bei durchrationalisierten Produktionsverfahren einer neuen Armut geführt. kein Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit gelei- (Hornung [CDU/CSU]: Bei manchen an stet, dafür aber warten Sie mit einer anderen — negativen — Wachstumsbilanz auf: einem Anwach- scheinend zu einer geistigen!) sen der Umweltzerstörung, die Sie bewußt mit ein- In den USA und in England ist es genauso. Rentne- kalkulieren. rinnen und Rentner, Kranke, Behinderte und Ar- (Beifall bei den GRÜNEN — Kittelmann beitslose müssen die Opfer bringen. Herr Bundes- [CDU/CSU]: Hervorragende Unterstellung, kanzler, ist das Ihre Version von einer Gesellschaft Frau Kollegin! Beweisen Sie es mal!) mit menschlicherem Gesicht? Die Not dieser Men- schen wird vergrößert, vor allem damit der Profit Mit den sterbenden Wäldern scheint sich diese Re- wächst. Die Unternehmer verzeichnen unter Ihrer gierung schon abgefunden zu haben. Regierung gleichzeitig Gewinnzuwachsraten bis zu (Kittelmann [CDU/CSU]: Sie sollten es be 12 %. Was ist wohl gemeint, wenn es da in der weisen!) Schlußerklärung heißt, daß Unternehmergeist und Investitionen gestärkt werden sollen? 3 Milliarden Herr Bundeskanzler, wenn Sie mit blumigen Wor- DM Vermögensteuergeschenke an die Unterneh- ten die Vermählung von Ökologie und Ökonomie mer im Jahre 1984 bescheren uns die größte Ar- predigen, dann sollten Sie das Brautgeld nicht ver- beitslosigkeit in der Bundesrepublik im Januar gessen. Wir kommen an Veränderungen unserer 1985. Lebens- und Gebrauchsgewohnheiten und an dem notwendigen Umbau der Produktion nicht vorbei. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr sachkun Auf Wachstum setzen bedeutet, daß die Bundesre- dig, was Sie da sagen!) publik pro Jahr 6 % bzw. 7 % Wirtschaftswachstum 1983 sind allein 53 % dieser Investitionen in die Ra- bräuchte, sollte die Arbeitslosigkeit beseitigt wer- tionalisierung geflossen, 25 % in den Ersatz und nur den. Der Produktionsausstoß müßte sich innerhalb 22 % in die Erweiterung und somit in Arbeits- von zehn Jahren verdoppeln — und das in unserem plätze. überindustrialisierten Land. Wachstum, Herr Bundeskanzler, bedarf auch ei- Wachstumspolitik bedeutet eine gewaltige Offen- ner immer rasanteren Technologieentwicklung. sive auf dem Weltmarkt, wie sie auch gerade wieder Keine Frage mehr, was entwickelt wird und ob die von Japan gestartet wird. Insbesondere die Länder Menschen es brauchen; vom Schnellen Brüter in der Dritten Welt sollen ihre Märkte öffnen, um Kalkar über die Wiederaufbereitungsanlage, von diese Warenschwemme aufzunehmen. Ich frage Sie: der Mikrotechnologie bis zur Verkabelung, von der Wie sollen sich diese Länder denn eigenständig ent- Gentechnologie bis zur Weltraumrüstung ist da jede wickeln? Wie sollen sie ihren Schuldenberg abtra- Entwicklung recht, wenn sie nur technologischen gen? Wachstum muß mit tiefen Einschnitten in die Vorsprung und Wachstum erträumen läßt. Sozialpolitik erkauft werden. Was Sie im Abschluß- kommuniqué so vornehm mit „größerer Anpas- (Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von den sungs- und Reaktionsfähigkeit auf allen Märkten, GRÜNEN: Alles nur faule Eier!) besonders auf dem Arbeitsmarkt" umschreiben, heißt konkret: Der Mensch wird immer mehr- zur Die Wachstumspolitik, die auf diesem Gipfel be- hilflosen Ware auf dem Arbeitsmarkt. schworen wurde, wird also mit Not und hohen Risi- ken in den Industriestaaten und mit weiterer Aus- Nach dem Abbau von Jugend- und Frauenarbeits- beutung in der Dritten Welt erkauft. schutz hat die Bundesregierung mit ihrem soge- nannten Beschäftigungsförderungsgesetz den Ar- Bei dem Gipfel ist für die Menschen nichts her- beitern und Arbeiterinnen gerade zum 1. Mai 1985 ausgesprungen. Nicht einmal die Bonner Taxifah- gezeigt, was Flexibilität bedeutet: Heuern und Feu- rer konnten ein zusätzliches Geschäft machen, da ern zum Billigtarif, wenn es nach FDP-Generalse- Daimler-Benz und VW die Karossen in notwendiger kretär Haussmann geht, der die Arbeitslosen ge- Stückzahl zur Verfügung stellten. zielt als Lohndrücker einsetzen will. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist aber (Ströbele [GRÜNE]: Wie in den USA!) schon dritte Garnitur!) 10180 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985

Frau Hönes Selbst diese Randerscheinung macht deutlich, um Ihre überstürzte Zusage zur Beteiligung am SDI- welche Interessen es bei diesem Gipfel eigentlich Programm, am „Krieg der Sterne", nicht überschau- ging. bare finanzielle und sicherheitspolitische Risiken (Beifall bei den GRÜNEN) für unser Land und die gesamte Welt mit sich. Neben der Beschwörung der Wachstumsideologie (Beifall bei den GRÜNEN) war das Bekenntnis zum freien Welthandel ange- Sie behaupten, es gehe um einen Technologieschub, sagt. Über den freien Welthandel wurde also ge- aber ich frage Sie: Warum haben Sie Geld, um zu sprochen, doch keiner der Beteiligten war ernsthaft erfahren, ob ein Rhesusaffe in der Raumstation bereit, die Abschottung des eigenen Marktes auch Nahrung zu sich nimmt — das ist eine Perversi- nur in Ansätzen in Frage zu stellen. In den USA tät —, wenn Sie nicht einmal willens sind, ausrei- wächst der innenpolitische Druck der Farmer und chend Mittel für Kinderkrebsstationen bereitzustel- der Industriearbeiter, die EG will ihren hochsub- len? ventionierten Agrarmarkt unter allen Umständen (Beifall bei den GRÜNEN) schützen, und auch in Japan bleiben die Grenzen dicht. Sie wissen genauso gut wie wir, daß es beim SDI- Programm nicht um neue Technologien, sondern (Hornung [CDU/CSU]: Wissen Sie über um die amerikanische Vorherrschaft in der Welt — haupt, von was Sie reden?) und um die damit verbundene Gefahr der endgülti- In Wirklichkeit geht es Ihnen also nur darum, die gen Zerstörung dieses Planeten — geht, und da Märkte der wirtschaftlich und politisch schwäche- sprechen Sie, Herr Bundeskanzler, von Hoffnung? ren Entwicklungs- und Schwellenländer aufzubre- Dazu wären die Einsicht und der Wille notwendig chen, damit denen jeder Rest von wirtschaftlicher gewesen, ganz andere Probleme anzugehen. Ich will Souveränität genommen werden kann. Ihnen die Themen nennen, die auf diesem Welt- wirtschaftsgipfel angesagt gewesen wären: Ent- (Beifall bei den GRÜNEN) schuldung der Dritten Welt, Programme zur Be- Das ist eine unverhüllte Machtausübung der Star- kämpfung des Hungers dort und der Armut hier, ken, radikale militärische Abrüstung, Analyse der drin- (Zurufe von der CDU/CSU) genden Bedürfnisse von Mensch und Natur, Be- kämpfung und Vermeidung der Zerstörung der na- aber keine Politik der Verantwortung gegenüber türlichen Lebensgrundlagen, gemeinsame Aktionen den Menschen in der Dritten Welt, wie Sie sie stän- zur besseren Arbeitsverteilung durch Arbeitszeit- dig beschwören. verkürzung, Steuerung der Technologieentwicklung Vielen Ländern der Dritten Welt steht das Wasser im Hinblick auf ökologische und soziale Verträg- bis zum Hals. Es ist ein Skandal, daß die internatio- lichkeiten. Das wäre Ihre Aufgabe gewesen, und nale Finanzkrise und die Verschuldung der Ent- das wäre die Aufgabe des Weltwirtschaftsgipfels ge- wicklungsländer auf diesem Gipfel nicht zum wesen. Thema erhoben wurden. Auf Grund der hohen (Beifall bei den GRÜNEN) Schuldendienstzahlungen exportieren die Entwick- lungsländer inzwischen Kapital in die reichen Län- der — statt, wie es eigentlich sein müßte, umge- Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen. kehrt. In vielen dieser Staaten geht es bei großen Teilen der Bevölkerung um einen Kampf um Leben und Tod. Die Schuldenkrise drückt immer mehr Genscher, Bundesminister des Auswärtigen: Frau Menschen in Armut und Verelendung. Herr Kohl, Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- Ihre Entwicklungs- und internationale Finanzpoli- ren! Der Herr Kollege Dr. Vogel hat den verständli- tik, die auf aggressive Exportförderung setzt, ver- chen Versuch unternommen, uns heute an der Düs- schärft noch die Probleme in den armen Ländern. seldorf-Nachfeier zu beteiligen; trotzdem bin ich si- cher, daß Johannes Rau dankbar dafür ist, daß er Am deutlichsten aber wurde durch den US- Boykott gegen Nicaragua vor Augen geführt, daß diese Rede erst heute im Deutschen Bundestag ge- die Forderung nach freiem Welthandel nichts als halten hat. Diese Rede ist dem nicht gerecht gewor- billige Maskierung für die Verfolgung egoistischer den, was hier im Zusammenhang mit dem Weltwirt- Interessen ist. schaftsgipfel und im Zusammenhang mit dem Be- such des amerikanischen Präsidenten und des Mi- (Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Kunz nisterpräsidenten Japans geschehen ist. [Weiden] [CDU/CSU]: Geschwätz!)- Bevor ich darauf eingehe, Herr Kollege Dr. Vogel, Die Verkündung des Handelsboykotts gegen Nica- eine Richtigstellung: Sie haben den Bundeskanzler ragua von Bonn aus ist, Herr Bundeskanzler, die und den amerikanischen Präsidenten kritisiert, daß Quittung dafür, daß Sie Herrn Reagan nicht aus der sie in Bergen-Belsen nicht auch der Opfer des rus- Verpflichtung des Bitburg-Besuchs entlassen ha- sischen Volkes gedacht hätten. Ich muß Sie daran ben. erinnern, daß der Bundeskanzler bei einer vorange- Doch der Preis für Bitburg und für Ihre Selbst- gangenen Veranstaltung am 21. April 1985 in Ber- darstellung, Herr Kohl, ist noch höher anzusetzen. gen-Belsen folgendes erklärt hat: War schon Ihre damalige Bereitschaft, einen Finan- Als das Lager Bergen-Belsen errichtet wurde, zierungsbeitrag für die amerikanische Raumfähre da brachte man hierher zunächst russische zu übernehmen, ein gefährlicher Schritt, so bringt Kriegsgefangene. Wie sie untergebracht und Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 10181 •

Bundesminister Genscher behandelt wurden, geriet für die Gefangenen Meine Damen und Herren, was für uns von ent- zur Tortur. Über 50 000 starben allein hier im scheidender Bedeutung ist — deshalb war der Zeit- Raume um Bergen. punkt für den Gipfel richtig gewählt —, ist die Tat- sache, daß die sieben Staats- und Regierungschefs Auch daran müssen wir uns heute und ständig zum 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Welt- erinnern: kriegs eine Erklärung abgegeben haben, in der sie Von den insgesamt fast 6 Millionen sowjeti- nicht nur der Opfer des Krieges gedacht, sondern schen Soldaten, die in Gefangenschaft gerieten, auch das bestätigt haben, was uns verbindet, in dem überlebten weit weniger als die Hälfte. eindrucksvollen Satz: Wir sind stolz darauf, daß die Menschen in unseren Ländern frei sind, zu sagen Und so besinnen wir uns in dieser Stunde auch und zu schreiben, was sie wollen, die Religion aus- auf das Leid, das den Völkern Mittel- und zuüben, zu der sie sich bekennen, und zu reisen, Osteuropas in deutschem Namen zugefügt wohin sie wollen. wurde. In der Tat, das verbindet uns mit den Staaten, die Weiter sagte der Bundeskanzler: hier versammelt waren. Das ist der Ausgangspunkt Wir gedenken der Kriegstoten der Sowjetunion. für eine Politik der Perspektive, die sich mit unse- Und wir erinnern uns an die Verbrechen am ren nationalen Interessen trifft. Da ist es unbe- polnischen Volk. streitbar, daß die Partnerschaft des demokratischen Europas, der Vereinigten Staaten und Japans ein Meine Damen und Herren, hören wir damit auf, Garant für Frieden und Stabilität in der Welt ist. Zu uns gegenseitig Vorschriften zu machen, wie wir dieser Feststellung sollte sich jede Fraktion des der schrecklichen Ereignisse der faschistischen Deutschen Bundestages bekennen. Wir können Zeit und des Zweiten Weltkrieges gedenken, doch mit Freude feststellen, daß gesagt wird: Wir (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) wollen gemeinsam Barrieren abbauen, die Europa trennen. Daß wir die Bedeutung des KSZE-Prozes- und hören wir auch damit auf, die Staats- und Re- ses für die Möglichkeit zur Stärkung von Vertrauen, gierungschefs unserer Verbündeten, unserer Freun- Zusammenarbeit und Sicherheit in Europa hier de, im innenpolitischen Stellungskampf einzuset- noch einmal bekundet haben, entspricht doch unse- zen und, wie ich finde, zu mißbrauchen. Es wird ren nationalen Interessen. immer wieder Lagen geben, wo die eine oder die andere Partei oder Fraktion in einer aktuellen Wer kann eigentlich mehr darüber befriedigt sein Frage stärker mit dieser oder jener Regierung als der Gastgeber, die Bundesrepublik Deutschland, übereinstimmt. Wer sich aber auf François Mitter- wenn das von den sechs anderen Staats- und Regie- rand beruft, der kann nicht aussparen, daß er sich rungschefs wiederholt wird, was wir alle gemein- hier von diesem Pult zur Außen- und Sicherheits- sam in dem Brief zur deutschen Einheit als das Ziel politik der Bundesrepublik Deutschland als einem unserer nationalen Politik betrachten? integralen Bestandteil deutscher und französischer (Kittelmann [CDU/CSU]: Sehr gut!) Sicherheitspolitik bekannt hat. Wir sehen einem Zustand des Friedens in Europa (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) entgegen — so sagen sie —, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wie- Daran müssen wir festhalten. dererlangt. Ich verstehe, Herr Kollege Vogel, daß Sie nicht Meine Damen und Herren, das hat am Vorabend viel über den Gipfel gesprochen haben, denn dieser des 40. Jahrestages des Endes des Zweiten Welt- Gipfel war, wie der Bundeskanzler zu Recht ausge- kriegs die Bestätigung für unsere nationalen Ziele, führt hat, ein Gipfel der Zuversicht und der Ermuti- für unsere europäische Friedensverantwortung und gung für eine Politik der Bundesregierung, die sich für eine Politik gebracht, die darauf gerichtet ist, bemüht, Wachstum in Stabilität und umweltscho- durch Zusammenarbeit die Grenzen in Europa zu nend durchzuführen. Hier haben wir die Unterstüt- überwinden. Ich denke, daß das der Würdigung be- zung aller unserer Partner. Wir stehen da im Ge- darf, daß es der Unterstützung aller Seiten unseres gensatz zu Ihnen, aber wir sind in Übereinstim- Hohen Hauses würdig sein sollte. mung mit unseren Partnern, von denen zwei Staats- Es ist heute noch einmal viel über SDI gespro- und Regierungschefs — das muß ich nun einmal chen worden. Es gibt die klare Position der Bundes- aus unserer Richtung sagen — der Sozialistischen regierung, die der Bundeskanzler in der letzten Re- Internationale angehören. Wir haben eine Unter- gierungserklärung und der Bundessicherheitsrat stützung für unsere liberale Welthandelspolitik ge- zum Ausdruck gebracht haben. Aber, meine Damen funden, wir haben eine Unterstützung für unsere und Herren, wir müssen erkennen, daß es jetzt Bemühungen um den technologischen Fortschritt darum geht, in europäischer Zusammenarbeit un- gefunden. Sie, meine Damen und Herren von den sere Position dazu zu entwickeln. Wir wissen, daß GRÜNEN, werden noch erkennen, was mehr und die sicherheitspolitische Zusammenarbeit zwischen mehr Ihrer Wähler schon erkannt haben, daß Um- Frankreich und Deutschland von so entscheidender welterhaltung nicht durch eine Flucht in die Ver- Bedeutung ist. Da ist ganz klar: Es gibt keine Lö- gangenheit, sondern durch neue umweltschonende sung der Sicherheitsprobleme, die für Frankreich Technologien bewirkt werden kann, ohne daß wir schlecht und für Deutschland gut wäre oder für Menschen in Not bringen. Deutschland schlecht und für Frankreich gut wäre. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Nein, wir gemeinsam als Kern des Prozesses der 10182 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985

Bundesminister Genscher europäischen Einheit sind darauf bedacht, eine ge- im Beschluß des Bundessicherheitsrates vorgese- meinsame europäische Sicherheitspolitik im Rah- hen hat. men des Bündnisses zu vertreten. Denn nur die (Schmidt [Hamburg-Neustadt] [GRÜNE]: europäisch-atlantische Partnerschaft bietet das si- Das heißt doch: kooperativ aufrüsten!) chere Fundament für jene Politik, die unverzichtbar ist: der Überwindung der Spaltung Europas, der Be- Hier geht es darum, daß wir die Spaltung Euro- seitigung des Trennenden. pas in einem kooperativen Prozeß überwinden. Da- für müssen wir die Perspektiven gemeinsam erar- Deshalb ist für uns die gemeinsame europäische beiten. Dafür gemeinsame Positionen zu finden, Reaktion auf SDI wichtig im Interesse der Stär- sollten wir hier in dem Hause versuchen. Da darf kung der deutsch-französischen Zusammenarbeit, niemand daran vorbeigehen, daß auf der einen der Förderung der europäischen Einheit und der Seite der Westen die Bereitschaft erklärt, durch Zu- Festigung des atlantischen und des europäischen sammenarbeit zur Überwindung der Spaltung bei- Pfeilers der Allianz sowie, meine Damen und Her- zutragen, und daß auf der anderen Seite der Gene- ren, des Erfordernisses für uns, aus historischen ralsekretär der SED und Staatsratsvorsitzende Ho- und geographischen Gründen in empfindlichen Si- necker am 24. April sagte: Wir werden mit unseren cherheitsfragen besondere Behutsamkeit zu zeigen, Freunden dazu beitragen, die Spaltung Europas zu hier zusammen mit unseren europäischen Partnern überwinden. — Meine Damen und Herren, nehmen die wichtigen Entscheidungen zu treffen. wir die andere Seite beim Wort. Suchen wir die Davon völlig getrennt — auch ohne daß es ein kooperativen Lösungen. SDI-Forschungsprogramm gäbe — ist es notwen- Da ist es entscheidend, daß es in diesen Tagen, dig, daß Europa in seiner Identitätsfindung auch heute, zu einer Begegnung des amerikanischen und technologisch zu dem wird, was allein Garantie für des sowjetischen Außenministers kommt. Wir kön- eine Ordnung sozialer Gerechtigkeit sein kann, nen nur hoffen, daß der amerikanische Präsident nämlich zu einer Technologiegemeinschaft, in der Zustimmung zu seiner Einladung zu einem Treffen die Staaten Westeuropas, die europäischen Demo- mit Generalsekretär Gorbatschow findet, weil der kratien ihre Möglichkeiten zur Fortschrittsbewälti- Dialog der beiden Großmächte, nach dem wir doch gung auch durch Bündelung ihrer technologischen so lange und so oft gerufen haben, jetzt in Gang Fähigkeiten stärken und zusammenfassen. gekommen ist und weil die Begegnungen der bei- Meine Damen und Herren, dieser Weltwirt- den Führungspersönlichkeiten aus den Vereinigten schaftsgipfel war deshalb von einer so entscheiden- Staaten und der Sowjetunion von uns doch immer den Bedeutung, weil die politische Erklärung alle wieder gefordert wurde. diese Ziele zu einer gemeinsamen politischen Per- Das heißt, wir sollten aus dieser politischen Er- spektive der hier vertretenen sieben Staaten ge- klärung, die unsere nationalen Ziele unterstützt, die macht hat. Diese Gemeinsamkeit gibt uns die Kraft, eine gemeinsame Perspektive der westlichen De- jene Politik fortzusetzen, die wir gerade an der mokratien aufzeigt, Schlußfolgerungen ziehen, die Nahtstelle zwischen West und Ost für so entschei- darin bestehen, den Prozeß der europäischen Eini- dend halten. gung zu stärken, unser Bündnis in seiner Verteidi- Wir werden bei der NATO-Ministerkonferenz in gungsfähigkeit, aber auch in seiner Fähigkeit zur Lissabon in Ausführung dessen, was hier gesagt politischen Kooperation zu stärken. Das geht nur, wurde, dafür sorgen, daß die Einheit des Bündnis- wenn wir die gemeinsame Basis dieser Politik er- ses nicht gefährdet, daß unsere Strategie bestätigt halten, wenn wir uns nicht in Emotionen gegenüber wird. Nur, meine Damen und Herren, zur NATO- unserem wichtigsten Bündnispartner ergehen. Strategie der Kriegsverhinderung, zur Strategie, Für die Bundesregierung gilt unverändert, was wie wir sie jetzt haben, gehören eben auch der Dop- von dieser Stelle wiederholt gesagt worden ist: Wir pelbeschluß und seine Ausführung. Man kann sich unterstützen die Verhandlungsziele, die sich die weder in der deutsch-französischen Freundschaft Vereinigten Staaten von Amerika und die Sowjet- noch in der Partnerschaft in der NATO nach dem union mit der Erklärung vom 8. Januar 1985 gesetzt Rosinen-Prinzip das heraussuchen, was einem ge- haben, die Verhandlungsziele, die in der gemeinsa- fällt, und zu dem nein sagen, was man ablehnt. men Feststellung definiert sind, nämlich einen Rü- stungswettlauf im Weltraum zu verhindern und ihn (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) auf Erden zu beenden. Dazu können wir als mittlere Ich halte es für ganz entscheidend, daß in Bonn und kleinere Staaten bedeutende Beiträge leisten. die Notwendigkeit kooperativer Lösungen für die Aber dazu gehört natürlich, daß wir das im Verband Rüstungsfragen und Abrüstungsfragen zwischen eines handlungsfähigen Bündnisses und einer poli- West und Ost unter Hinweis auf die Genfer Ver- tisch handlungsfähigen Europäischen Gemein- handlungen unterstrichen worden ist. Es ist doch schaft tun. Dabei wird unser Gewicht nicht dadurch ein gewaltiger Fortschritt, daß sich die Vereinigten erhöht, daß wir uns in einen Gegensatz setzen, daß Staaten von Amerika und die Sowjetunion darüber wir gegenüber unseren Partnern, den großen oder verständigt haben, daß sie die Probleme, um die es den kleinen, Polemik suchen. Unser Gewicht wird geht, die Abrüstung bei den Langstreckenraketen, vielmehr dadurch größer, daß wir der Verantwor- bei den Mittelstreckenraketen, die militärische tung, die Verpflichtungen, die wir im Bündnis über- Nutzung des Weltraums, im Zusammenhang erör- nommen haben, auch konsequent gerecht werden tern und lösen wollen, daß sie auf kooperative Lö- bzw. einhalten. Das, meine Damen und Herren, ist sungen hinarbeiten, so wie es die Bundesregierung der Anspruch, aus dem wir dann auch ableiten kön- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 10183

Bundesminister Genscher nen, daß alle anderen mit uns die Politik der Koope- Ausmaße annimmt, ist es gut, daß man größere ration mit unseren östlichen Nachbarn vertreten. Hilfsanstrengungen erwägen will. Da die Schulden- Hier müssen wir alles tun, damit niemand die Ein- last viele Länder, vor allem die neu erwachenden haltung unserer Verpflichtungen in Zweifel ziehen Demokratien in Lateinamerika, zu ersticken droht, kann. ist jeder Schritt weg von der früheren Ansicht, es Unser Ziel kann es da nur sein, daß wir im West- werde sich alles von allein regeln, zu begrüßen. Ost-Verhältnis langfristige Entwicklungen einlei- Aber das alles bleibt meiner Meinung nach viel ten, die die Sowjetunion vor die Entscheidung stel- zu unbestimmt, unverpflichtend, unbefriedigend, len, entweder den Anschluß auch an die technologi- zumal wenn man bedenkt, daß es sich um Zusam- sche Entwicklung in einer friedlichen Welt in der menkünfte der Regierungschefs jener westlichen Kooperation mit dem Westen zu suchen — mit allen Industriestaaten handelt, die mit einem Achtel der Konsequenzen, die sich dabei für die Zusammenar- Menschheit über zwei Drittel des weltweiten Reich- beit in allen Bereichen ergeben — oder militä- tums verfügen. rischen Ehrgeiz in konfrontativer Weise durchzu- Der Bundeskanzler hat den umfassenden Gedan- setzen. Es kann keinen Zweifel geben, daß nur der kenaustausch als wichtigsten Nutzen des Gipfels Weg der Zusammenarbeit im Interesse der Völker bezeichnet. Dazu war diese Art von Veranstaltun- des Westens und des Ostens liegt. Eine solche Poli- gen auch ursprünglich einmal eingeführt worden. tik eines einigen Westens, der diese Strategie, diese Aber so ganz umfassend scheint der Austausch politische Strategie vertritt, die auch in der politi- wohl nicht gewesen zu sein. Es kommt nicht von schen Erklärung von Bonn zum Ausdruck kommt, ungefähr, daß zahlreiche Beobachter und Kommen- meine Damen und Herren, wird ihre Wirkung im tatoren die Frage aufwerfen, ob solche Gipfelkonfe- Osten nicht verfehlen — unter einer Voraussetzung: renzen, die Art, in der sie durchgeführt werden, das daß niemand im Osten darauf spekulieren kann, er Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag, zwischen könne den Westen spalten. Meinungsaustausch und Öffentlichkeitsarbeit, ob (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) dies zusammen eigentlich noch dem entspricht, was Voraussetzung der Sicherheitspolitik ist das ein- mit den Gipfeln bezweckt werden sollte. heitliche Bekenntnis zu dem, was wir gemeinsam (Beifall bei der SPD) wollen. Ich würde es für einen Gewinn halten, wenn wir nach aller Polemik des ersten Beitrages der Ich knüpfe insoweit an Bemerkungen an, die ich Opposition jetzt Antworten hören würden, ob die hier vor drei Jahren, also nicht der jetzigen Regie- Opposition alle Punkte der politischen Erklärung rung gegenüber — damals war das im Anschluß an von Bonn unterstützt. Wenn das geschieht, meine den Gipfel in Versailles —, schon einmal gemacht Damen und Herren, hätte sich die Debatte gelohnt. habe. Man hat den Eindruck, meine Damen und Wenn nicht, würden wir für eine lange Zeit vor Herren, der Umfang der Delegationen wird immer schwerwiegenden Meinungsunterschieden stehen. größer, die Zeit für Sachgespräche der Chefs immer Die Antworten sind erbeten. knapper. So wird der Zweifel genährt, ob diese Kon- ferenzen ihr Geld wert sind. Dabei will ich nicht Ich danke Ihnen. ausschließen, daß die Neigung zum Protektionis- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) mus vielleicht noch rascher um sich gegriffen hätte, wenn nicht durch das jährliche Aufarbeiten der Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Herr Gipfelakten gewisse Gegenkräfte mobilisiert wor- Abgeordnete Brandt. den wären. (Kittelmann [CDU/CSU]: Jetzt kann er sich (Kittelmann [CDU/CSU]: Das ist doch ein entschuldigen! — Dr. Olderog [CDU/CSU]: bißchen was!) Jetzt kommt die Entschuldigung!) Für besonders bedenklich halte ich es, daß Eu- ropa nicht mit mehr Geschlossenheit, sondern mit Brandt (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen mehr Uneinigkeit aus dem Gipfeltreffen herausge- und Herren! In erster Linie möchte ich mich heute kommen ist. dazu äußern, ob der Bonner Wirtschaftsgipfel Posi- (Beifall bei der SPD) tives für jene Länder erwarten läßt, die von Hun- gerkatastrophen heimgesucht werden oder die un- Dabei hätte dies doch nach des Bundeskanzlers ter der Last der Schuldenkrise zusammenzubre- Worten ein Jahr Europas werden sollen. Er hat sich chen drohen. auf dem Gipfel nicht daran orientiert. Jetzt muß er - sich mit dem öffentlich in Paris und anderswo vor- (Sehr gut! bei der SPD) getragenen Vorwurf auseinandersetzen, er sei vom Neben den üblichen Gemeinplätzen findet man in europäischen Weg abgewichen. der Erklärung des Gipfels immerhin einige wich- (Kittelmann [CDU/CSU]: Wer ist denn ab tige Stichworte: Da die Gefahr neuer Handelsbe- gewichen, Herr Brandt?) schränkungen wächst, ist die gemeinsame Forde- rung nach weniger Protektionismus natürlich ge- Wie die deutsche Öffentlichkeit amtlich unter- rechtfertigt. Da die Unordnung und Unsicherheit im richtet wird, läßt auch erheblich zu wünschen übrig. internationalen Währungssystem weiter zunehmen, Wer die Schönmalereien unserer Regierungsspit- ist die Übereinstimmung, daß man sich mit dem zen mit der Wirklichkeit verwechselt, ist nicht gut Problem befassen muß, besser als nichts. Da die dran. Man muß es schon mit dem vergleichen, was Hungerkatastrophe in Afrika immer schrecklichere gleichzeitig in Paris und in Washington auf den 10184 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985

Brandt Markt gebracht wird, um sich ein halbwegs klares was Sie zu unserer Haltung zur deutschen Frage Bild zu machen, wer sich für was eingesetzt hat und gesagt haben. wer was zu sagen unterließ. (Beifall bei der SPD — Strube [CDU/CSU]: Es ist nicht nur so, daß Deutschland und Frank- Wenn Sie von Polemik reden, müssen Sie reich in der Frage der Weltraumpolitik auseinan- Herrn Vogel angucken!) dergefallen sind, während es dringend geboten ge- Ich bleibe bei Europa und sage: Wir brauchen wesen wäre und bleiben sollte, gerade auf diesem eine Politik, die die europäische Mitverantwortung Gebiet eine gemeinsame, an europäischen Interes- für die großen Dinge der Welt deutlicher werden sen orientierte Position zu beziehen. läßt und die uns Europäer zu dem potenten Partner (Beifall bei der SPD) werden läßt, auf den man in weiten Teilen der Drit- ten Welt, besonders in Lateinamerika und in Afrika, Wir hielten es für verhängnisvoll, wenn wir uns für so große Hoffnungen setzt. etwas einspannen ließen, was nicht mehr Sicherheit bringt, aber mit Sicherheit schrecklich viel Geld ko- Was auf dem Gipfel tatsächlich vereinbart wurde, sten wird. ist viel zu bescheiden, wenn man zugrunde legt, was in unserem Land, in Europa und erst recht in der (Beifall bei der SPD — Zustimmung des Welt wirklich vor sich geht. Herr Bundeskanzler, Abg. Schily [GRÜNE]) das was dort auf dem Papier steht — ich habe ja Den europäischen Interessen hätte es entspro- gesagt, es stehen erwägenswerte Dinge darin —, chen, den französischen Staatspräsidenten auch bringt doch die Arbeitslosen in Europa nicht von nicht allein zu lassen, wo es darum geht, über die der Straße. Das beseitigt weder Hunger noch Elend internationalen Währungsfragen einigermaßen in den Teilen der Welt, die von Hunger und Elend gleichgewichtig neben den internationalen Han- betroffen sind. Das ist in Wirklichkeit eine Menge delsbeziehungen zu verhandeln. Hier habe nicht an wohlbekanntem Selbstbetrug und altem nur ich den Eindruck, sondern viele andere haben Wunschdenken. den Eindruck, daß sich der Bundeskanzler nicht an (Beifall bei der SPD) das gehalten hat, was im Europäischen Rat hierzu Übrigens ist es selbst in der Rückschau viel zu vereinbart worden war. dürftig. Schon beim ersten Gipfel dieser Art vor (Beifall bei der SPD — Hört! Hört! bei der zehn Jahren ging es um die Wahrung des freien SPD) Handels und um die Reform des Weltwährungssy- stems. Vor zehn Jahren! Und was ist passiert? Wenn das so ist, dann ist das nicht gut. (Kittelmann [CDU/CSU]: In den Jahren, in Hinzu kommt, daß Deutschland und Frankreich denen Sie dran waren, nichts!) an einem konkreten Punkt der Nord-Süd-Politik — ich meine Mittelamerika und Nicaragua — völlig Die Handelsbeschränkungen haben zugenommen, auseinandergefallen sind. die Unordnung im Währungssystem ist größer ge- worden. Es geht eben nicht nur um gewisse Anpas- (Sehr wahr! bei der SPD) sungen, sondern um die Konsequenz aus der Ein- Darauf muß ich gleich noch einmal zurückkommen. sicht, daß das internationale Währungssystem nicht Der offizielle Besuch von Präsident Daniel Ortega zuletzt deshalb aus den Fugen geraten ist, weil es gestern in Paris spricht für sich. einer gründlich veränderten Struktur des Staaten systems auch nicht annähernd angepaßt wurde. Im übrigen, Herr Kollege Rühe, Sie haben vermu- Auch die anderen Themen, die auch dieses Mal tet, es handele sich um eine taktische Freundschaft routinemäßig abgehakt wurden, machen wenig zu Frankreich. Unsere Tradition ist stärker als Ihre Hoffnungen. In der Schuldenfrage soll weiterhin Polemik. von Fall zu Fall und dann meist durch Flickschuste- (Beifall bei der SPD) rei geholfen werden. Die zunehmende Hungerka- tastrophe in Afrika soll von einer weiteren Sachver- Unsere Tradition im Verhältnis zu Frankreich be- ständigengruppe studiert werden. Wahrlich, man ginnt weder 1963 noch 1973. 1871 ist der damalige traut seinen Augen nicht, wenn man das liest. Ich Vorsitzende der deutschen Sozialdemokraten, als weiß nicht, was einen mehr erschüttert: die Vergeß- aus dem Krieg in der zweiten Phase ein Erobe- lichkeit der veröffentlichten Meinung oder die Ab- rungskrieg wurde, lieber ins Gefängnis gegangen, gebrühtheit der für den Gipfel insoweit Verantwort- als noch Mittel für diesen Krieg zu bewilligen,- und lichen. wir haben in der Zeit danach uns denen widersetzt, die geschrien haben, siegreich wollten sie Frank- (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten reich schlagen. der GRÜNEN) (Beifall bei der SPD — Rühe [CDU/CSU]: Denn ich frage: Hatten wir das alles nicht schon Wo waren Sie 1983? Als Herr Mitterrand einmal vor Jahresfrist, vor zwei Jahren? Hatte man hier stand, haben Sie sich verweigert! — das Ersuchen der Weltbank um mehr Mittel nicht Kittelmann [CDU/CSU]: Fällt Ihnen denn zunächst mit einer ähnlichen Studie abgeblockt? überhaupt nichts Neues mehr ein?) Hatte man nicht erst im Januar Mühe, den schließ- lich vereinbarten niedrigeren Betrag aufzubringen, Nein, das, was Sie dazu an Polemik eingeführt ha weil sich wichtige Gipfelteilnehmer, die Vereinigten ben, Herr Kollege Rühe, ist ebenso abwegig wie das, Staaten voran und die Bundesrepublik im Schlepp, Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 10185

Brandt zierten und die direkte Mitarbeit verweigerten? über ihre Verhältnisse lebt, dann ist dies allerdings Und nun das Ganze von neuem. Das ist, auf diesen ruinös für die Weltwirtschaft. Punkt bezogen, kein Gipfel. Man könnte eher sagen, (Beifall bei der SPD — Freiherr von Schor das sei die Höhe. lemer [CDU/CSU]: Sie haben das vorge (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten macht: auf Pump leben!) der GRÜNEN) Die Rüstungsindustrie — ganz bestimmt nicht Hatte man nicht schon vorher — muß ich fragen nur in den USA, aber wir reden hier über den west- — bei der Wiederauffüllung der Mittel der interna- lichen Gipfel — ist so groß geworden, hat soviel Ein- tionalen Entwicklungsorganisation IDA, Internatio- fluß gewonnen, weil sie unter dem schützenden nal Development Association — als Tochter der Mantel der Sorge um die Sicherheit ungehindert Weltbank für die ärmsten Länder —, die Mittel ge- wachsen konnte. Daß jemand das alles auch finan- kürzt, die für Hilfe in Afrika sonst zur Verfügung zieren muß, wird dabei fast vergessen. Daß man für gestanden hätten, weil angeblich die USA den in dasselbe Geld und mit Hilfe derselben Ingenieure solchen Zusammenhängen vergleichsweise beschei- und Techniker auch landwirtschaftliche Geräte her- denen Betrag von 250 Millionen Dollar im Jahr stellen könnte, das steht zwar sinngemäß schon in nicht aufbringen konnten und weil Japan und die der Bibel, wird aber oft genug übersehen. Bundesrepublik aus Prinzip nur zahlen wollten, (Beifall bei der SPD) wenn auch die USA zahlen? Jetzt streut man den Leuten wieder Sand in die Augen. Ich finde, das ist Ich sage: Zum Umdenken ist hier höchste Zeit. angesichts der akuten Not schrecklich. Der Effekt könnte ungeheuerlich sein. Denn in die- sem Jahr, 1985, gibt die Welt zum erstenmal in der (Beifall bei der SPD) Geschichte mehr als 1 000 Milliarden US-Dollar für Es ist in der Sache falsch und schlecht im Stil. Die militärische Zwecke aus. Darin steckt die Überrü- USA-Administration läßt jedoch verbreiten, sie sei stung als ein Teil davon. Da würde schon eine weiterhin nicht für die Aufstockung der Weltbank- kleine Einschränkung und eine Umlenkung der ein- mittel, trotz allem was in dem Text, der mit zur gesparten Mittel zugunsten der Entwicklung, zum Debatte steht, angedeutet wird. Kampf gegen den Hunger ein großer Beitrag zur Verbesserung der Lage von Millionen Menschen Die Dritte Welt kommt in der Erklärung des Gip- sein. fels fast nur indirekt vor. Als Partner werden die Entwicklungsländer schon gar nicht mehr gesehen. (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten Das ist falsch. Ich meine, die Einstellung in dieser der GRÜNEN) Frage müßte grundlegend geändert werden. Das ist der Kern des Zukunftsprogramms Dritte (Beifall bei der SPD) Welt, das wir vor einiger Zeit vorgelegt haben. Tatsache ist doch, meine Damen und Herren: Die (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Die kaufen Krise der Weltwirtschaft ist keineswegs vorbei. Die selbst Waffen für 100 Millionen DM!) Hungerkrise ist akut. Die Arbeitslosigkeit ist Herr Kollege Rühe, hieran hat Ministerpräsident enorm. Die Schuldenkrise ist nur aufgeschoben. Die Lafontaine erinnert, als er in Neustadt an der Wein- Energiekrise ist zur Zeit nur in unserem Teil der straße auf die große Verantwortung der Super- Welt nicht spürbar. Der Graben zwischen Arm und mächte drastisch und beschwörend hingewiesen Reich wird breiter, und dies nicht nur in den armen hat, Ländern. Hunger, Elend, vermeidbare Krankheiten (Hornung [CDU/CSU]: Wer nimmt denn gibt es heute mehr als vor zehn Jahren. Die Bedro- die Verantwortung wahr? Doch nur die hung der Umwelt nimmt nicht ab. Das derzeitige eine Seite!) Wirtschaftswachstum in den westlichen Industrie- ländern — wie lange es denn vorhalten mag? — wobei man durchaus darüber streiten kann, ob die beruht weitgehend auf Pump, auf einer abartigen schreckliche Erinnerung an Auschwitz in diesen Finanzierung der reichsten Volkswirtschaft durch Zusammenhang gehört. die weniger reichen und die armen. Ich meine, auch wenn es keinen anderen die mit- (Beifall bei der SPD — Duve [SPD]: Hört! menschliche Verantwortung herausfordernden Wi- Hört! — Kittelmann [CDU/CSU]: Eine sehr derspruch als diesen gäbe, daß Millionen auf dieser einseitige Betrachtung!) Welt verhungern, während sie mit einem Bruchteil der für Überrüstung verwendeten Mittel gerettet - Nun ist die Rede auch davon, daß eine erhebliche werden könnten, Reduzierung des amerikanischen Haushaltsdefizits wichtig wäre. Beim vorjährigen Gipfel hatte der (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Präsident der Vereinigten Staaten noch erklärt, er müßte uns alle aufbegehren lassen. zwischen Haushaltsdefizit und hohen Zinsen be- stehe kein Zusammenhang. Aber wie dem auch sei, (Hornung [CDU/CSU]: Sagen Sie das nach Kenner sehen vorläufig wenig Aussicht auf eine po- beiden Seiten!) litische Entscheidung für einen solchen Schritt. Es Allerdings ist nicht zu erkennen, daß die Bundes- ist eben leichter, von anderen zu verlangen, sie soll- regierung initiativ wird. Ihr Entwicklungsminister, ten ihren Gürtel enger schnallen, als dies selber zu dessen Äußerungen dazu ich aufmerksam gelesen tun. Wenn die objektiv stärkste Volkswirtschaft, die habe, erkennt diesen Zusammenhang offensichtlich objektiv stärkste Wirtschaftsmacht, auf Pump und nicht. Er meint, beides sei wichtig, aber einen ei- 10186 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 Brandt gentlichen Zusammenhang gebe es nicht. Von Weit- Ich finde, das ist eine Frage von Selbstachtung. sicht und Vorstellungskraft der Regierenden zeugt Wenn man allerdings, Herr Bundeskanzler, sein das nicht. Konto auf andere Weise überzogen hat, kommt es (Beifall bei der SPD) vor, daß es in solchen Zusammenhängen nichts mehr zu melden gibt. Der Streit um Mittelamerika nimmt sich demge- genüber für manche nicht sehr gewichtig aus. Nica- (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten ragua — was sind schon weniger als drei Millio- der GRÜNEN — Hornung [CDU/CSU]: Wer nen? redet denn von Kontoüberziehung?) In einer großen amerikanischen Zeitung war in der (Hornung [CDU/CSU]: Was ist schon Afghanistan?) vorigen Woche zu lesen — die müssen das ja von irgendwoher haben —, es sei durchaus die Absicht Und weiß man denn nicht, wo es im Verhältnis zú gewesen, eine Vasallenrolle der Bundesregierung den Vereinigten Staaten liegt? deutlich zu machen. Ich habe, als ich im vorigen Herbst in der Region (Hört! Hört! bei der SPD — Zuruf des Abg. war, durchaus empfohlen, sich mit der Landkarte Kittelmann [CDU/CSU]) vertraut zu machen. Aber hier muß ich sagen: Die Solange im übrigen das alte Zeug von Licht und Prinzipien des internationalen Rechts, des Völker- Schatten, von gutem Freund und bösem Feind zu rechts, sind besonders für die Kleinen da, für Men- hören ist, solange man glaubt, allein im Besitz der schen, deren Heimat kleine Länder sind. ganzen Wahrheit zu sein, (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — (Freiherr von Schorlemer [CDU/CSU]: Wie Hornung [CDU/CSU]: Und Afghanistan?) Sie!) Präsident Mitterrand hat den Wirtschaftsboykott solange gibt es wenig Hoffnung. gegen Nicaragua abgelehnt, weil er zu Recht davon ausgeht, daß man die dort anstehenden Probleme (Beifall bei der SPD) nicht mit Druck und Gewalt, auch nicht mit dem Solange man hohe moralische Ansprüche predigt, Aufpäppeln Aufständischer — vom Territorium ei- während ständig nach ganz anderen Prinzipien ver- nes benachbarten Staates aus — lösen kann, auch fahren wird, solange sind wir in Wirklichkeit in nicht, indem man erfolgversprechende Friedensbe- zusätzlicher Gefahr. mühungen innerhalb der Region — das ist ja das, Das Datum der Gipfelkonferenz und die Anlage was Contadora bedeutet und was die europäischen des übrigen Programms waren nicht glücklich ge- Außenminister zu unterstützen versprachen — aus- wählt. Mein Freund Jochen Vogel hat schon darauf zuschalten oder zu überspielen versucht. hingewiesen: Sollte es für die Planungen Anfang Es gibt Länder, denen es nach langen Zeiten der des Monats wahlpolitische Nebengedanken gege- ausbeuterischen Gewaltherrschaft nicht leichtfällt, ben haben, ist am Sonntagabend klar geworden, ihren eigenen Weg zu finden. daß das danebengegangen ist, daß dabei nichts her- (Dr. Vogel [SPD]: Sehr wahr!) auskommen kann. Wie geht man mit einem solchen Land um? Treibt Ich finde, auf beiden Seiten — in den Vereinigten man es unbedacht in andere Abhängigkeiten, wenn Staaten und bei uns in der Bundesrepublik — wur- man es nicht nach eigenen Vorurteilen modeln den Schwierigkeiten produziert, die sich hätten ver- kann? meiden lassen. Mängel bei der Einordnung ge- schichtlicher Vorgänge lassen sich nicht durch (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Fernsehauftritte kompensieren. Dr. Apel [SPD]: Das ist das Problem! — Hornung [CDU/CSU]: Umgekehrt!) (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN) Hat der Bundeskanzler seinem hohen amerikani- schen Gast auch nur angedeutet, Man hat bedauert — der amerikanische Präsident selbst hat es bedauert —, daß alte Wunden wieder (Kittelmann [CDU/CSU]: Dialektisch!) aufgerissen worden sind. Das und manche Peinlich- daß viele von uns nicht nur gegen militärische, son- keiten hätte man sich in der Tat sparen können. dern auch gegen wirtschaftliche Strangulierung (Strube [CDU/CSU]: Denken Sie an Ihren sind? Hat er dem Präsidenten mindestens gesagt, Fernsehauftritt!) daß es sich mit unserem Verständnis von Souverä- Doch unter dem Strich wird sich ergeben: nität und Takt nicht verträgt, ein Dekret wie das Schlechte Berater können geschichtlich gewach- erwähnte gegen den erwähnten kleinen Staat von sene Freundschaften nicht zerstören. Bonn oder Gymnich aus in die Welt zu setzen? (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Ob es, meine Damen und Herren, um das Ausmaß Auch in Washington müßten die zuständigen Her- der Rüstungen geht, um die Währungsfragen oder ren begreifen, daß sich das nicht gehört, auch dann um die Dritte Welt: Was wir deutschen Sozialdemo- nicht, wenn es Sinn der Sache war, von anderem kraten dazu sagen, stimmt weithin mit dem überein durch eine nach Stärke aussehende Demonstration oder liegt nahe bei dem, was Mitglieder des ameri- abzulenken. kanischen Kongresses und wichtige Teile der öf- (Dr. Vogel [SPD]: Wohl wahr!) fentlichen Meinung in den Vereinigten Staaten gel- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 10187

Brandt tend machen: Man kann Deutschland mehr mögen Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Herr als eine amtierende Bundesregierung; mancher Bundesminister der Finanzen. liebt drüben wie hüben die Vereinigten Staaten noch mehr als eine amtierende Administration. Dr. Stoltenberg, Bundesminister der Finanzen: Ich bin im übrigen gern bereit, darüber zu disku- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In ei- tieren, wer wann was für die deutsch-amerikani- ner gleichsam verbundenen Debatte behandelt das schen Beziehungen geleistet hat. Mein Beitrag als Hohe Haus heute die Fragen des Wirtschaftsgipfels, Berliner Regierender Bürgermeister, als Außenmi- der Staatsbesuche und damit Grundthemen der nister und Bundeskanzler und danach braucht kei- Orientierung unserer Weltwirtschaftspolitik und Si- nen Vergleich zu scheuen. cherheitspolitik. (Lebhafter Beifall bei der SPD — Strube Ich habe persönlich, wenn ich an die langen [CDU/CSU]: Eigenlob stinkt! — Weitere Zu Jahre der Oppositionszeit der Christlich Demokrati- rufe von der CDU/CSU) schen Union zurückdenke, ein gewisses Verständ- Ich habe am Sonntagabend im deutschen Fern- nis für die Exkursionen des Herrn Kollegen Vogel sehen zugespitzt — völlig unnötig zugespitzt — rea- in die Landespolitik von Nordrhein-Westfalen. Wer giert, auf der Bundesebene nicht nur im März 1983, son- dern auch in vielen Diskussionen hier keine Er- (Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU]: Sie sind folgserlebnisse hatte, muß ein Erfolgserlebnis von aus der Rolle gefallen!) Düsseldorf auch in Bonn pflegen und genießen. Ich aber doch erst, nachdem der Bundeskanzler seine kann das menschlich durchaus begreifen, Herr Vo- Platte vom primitiven Antiamerikanismus aufge- gel. legt hatte. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — (Beifall bei der SPD) Lachen und Zurufe von der SPD — Kuhl wein [SPD]: Sie waren schon mal besser!) Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident, Herr Bundeskanzler, hat mich gestern daran erinnert, — Ich fang erst richtig an, Herr Kuhlwein. Seien daß Sie im nordrhein-westfälischen Wahlkampf ge- Sie nicht übermütig! Denken Sie an Ihre vielen sagt haben: Wer Rau wählt, der wähle den Weg in Wahlniederlagen in Schleswig-Holstein, dann wer- die sowjetische Hegemonie — den sie bald wieder auf die richtigen Maßstäbe zu- rückgeführt werden, innerhalb und außerhalb die- (Lachen bei der SPD) ses Hauses! noch genauer: den Weg in den Neutralismus und in (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) die sowjetische Hegemonie. Man gehe davon aus, Herr Bundeskanzler und alle anderen, die es an- Ich kann das, meine Damen und Herren, auch geht, daß wir keine Waschlappen sind. deshalb sehr gut verstehen, weil wir ja selbst in den Jahren der Bonner Opposition und auch sehr früh (Beifall bei der SPD) in einer großen Zahl von Ländern und Gemeinden Wenn es darauf ankommt, werden wir zurückzuge- beachtliche Wahlerfolge hatten. Ich erinnere mich, ben wissen. wie ich nach den — — (Seiters [CDU/CSU]: Das konnten Sie (Zuruf von der SPD: Das war einmal!) schon immer! — Kittelmann [CDU/CSU]: — Damals waren wir in der Opposition und haben Sie sollten sich entschuldigen! — Hornung in jener Zeit unsere Position in Ländern und Ge- [CDU/CSU]: Das ist Ihre Sprache! — Wei meinden ausgebaut. — Ich erinnere mich daran, tere Zurufe von der CDU/CSU: Holzen!) wie ich im Mai 1981 von den damals strahlenden Helden der alten Regierung hier mit einer gewissen Wer wie Herr Geißler die politische Diskussion in Mißgunst empfangen wurde nach einem bestimm- diesem Land vergiftet und dabei in Kauf nimmt, ten Ergebnis in einer denkwürdigen Landtagswahl. unser Volk zu spalten, indem er die Freundschaft Nur, Herr Vogel, wir haben in Bonn lange warten mit den Vereinigten Staaten für sich allein in An- müssen. Wenn Sie so weitermachen wie heute, wer- spruch nimmt und der anderen großen Partei, den den Sie noch viel länger warten, ehe Sie hier wieder Sozialdemokraten, ein abstoßendes Russenbild eine Chance bekommen. oder -schild umzuhängen versucht, der darf sich nicht wundern, wenn ihm leidenschaftlich wider- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — sprochen wird. Dr. Vogel [SPD]: Das warten wir ab!) (Beifall bei der SPD — Kittelmann [CDU/- Es gibt keinen Grund zum Übermut über den Tag CSU]: Sie haben beleidigt und nicht wider hinaus, wenn man die geradezu erschreckende sprochen! Sie sollten sich entschuldigen!) Dürftigkeit und Substanzlosigkeit gehört hat, mit der Sie zu den wirtschaftlichen Zukunftsfragen der Wir werden uns das, was hier versucht wurde und Bundesrepublik Deutschland versucht wird, auch in Zukunft nicht gefallen las- sen. (Kittelmann [CDU/CSU]: Sehr gut!) (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD und der Weltwirtschaft hier Stellung genommen — Kittelmann [CDU/CSU]: Wo bleibt die haben. Entschuldigung? — Strube [CDU/CSU]: Wo (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — bleibt die Entschuldigung?) Hornung [CDU/CSU]: Nichts war das!) 10188 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985

Bundesminister Dr. Stoltenberg Was mich hier, Herr Kollege Vogel, an Ihrer Rede ferenz, der folgendermaßen lautete: Politiker wie wieder nachdenklich gestimmt hat, ist das hohe mo- Carstens, Strauß, Stoltenberg und Dregger sind ralische. Pathos, mit dem Sie politische Gegner kri- eine schlimmere Gefahr für die deutsche Demokra- tisieren und angreifen, und zugleich die vollkom- tie wie die Baader-Meinhof-Bande. — Es gehört zu mene Hemmungslosigkeit, mit der Sie schlimme meiner politischen Biographie und zur Geschichte demagogische Entgleisungen wie die des Herrn Ihrer Partei. Verehrter Herr, ich will Ihnen das nur Brandt von Sonntagabend hier verteidigen oder einmal sagen! noch mit Weihrauch beräuchern wollen. (Zurufe von der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Ich habe damals die Frage gestellt, ob sich führende Zuruf von der CDU/CSU: Der kann sich Politiker der SPD — vielleicht auch der damalige nicht einmal entschuldigen! — Weitere Zu Vorsitzende Willy Brandt — rufe von der CDU/CSU) (Dr. Vogel [SPD]: Sie disqualifizieren sich Es wird nicht besser — das gilt auch für die Schluß- selbst!) bemerkung des Herren Kollegen Brandt —, mit im- gegenüber dem Ministerpräsidenten eines Bundes- mer neuen Argumenten und Pseudoargumenten landes davon öffentlich eindeutig distanzierten. Ich diesen ungeheuerlichen und verwerflichen Ver- habe das vermißt. Sie müssen bei mir und anderen gleich zwischen Heiner Geißler und Joseph Goeb- eine bestimmte Empfindlichkeit gegen diese Mi- bels begründen zu wollen. schung aus großem Pathos und Diffamierung, die (Vorsitz : Vizepräsident Westphal) Sie in diesen Tagen wieder üben wollen, verstehen. Sie können das nur aus der Welt schaffen, indem Wir nehmen das nicht hin. Ich will Ihnen das nur Sie das zurücknehmen, Herr Kollege Brandt, und sagen. gar nicht anders. (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU) (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Westphal: Herr Bundesminister, ge- Herr Kollege Vogel, was nutzt da die Erinnerung statten Sie eine Zwischenfrage? an den Friedensnobelpreis. Dem Friedensnobel- preiskomitee — bei allem Respekt — sind manche Dr. Stoltenberg, Bundesminister der Finanzen: Irrtümer in seiner langen Geschichte unterlaufen. Nein. Ich habe jetzt die Absicht, zu den Problemen Ich muß das einmal in aller Deutlichkeit sagen. des Weltwirtschaftsgipfels überzugehen. Dazu ist (Beifall bei der CDU/CSU — Lebhafter Wi einiges zu sagen. derspruch bei der SPD — Pfui-Rufe von Herr Kollege Vogel, Sie haben das hier in fünf der SPD) Punkten — das findet sich auf Seite 4 Ihres Manu- — Natürlich! Beruhigen Sie sich doch! skripts — bewertet. Diese Bewertungen der wesent- lichen weltwirtschaftlichen Aussagen des Bonner (Zurufe von der SPD: Aufhören! — Schä Gipfels halte ich in der Tat für falsch. Sie sagen, die men Sie sich! — Anhaltende Pfui-Rufe von Äußerungen zum Abbau des Budgets- und Lei- der SPD) stungsbilanzdefizits der Vereinigten Staaten seien — Ich schäme mich überhaupt nicht, wenn ich von vage und unverbindlich. „Dabei liegt hier eine der einem Irrtum rede. — Dem kommunistischen Ver- Hauptursachen für die weltwirtschaftlichen handlungsführer Nordvietnams, Le Duc Tho, den Schwierigkeiten. Inzwischen sieht es so aus, als ob Friedensnobelpreis zu verleihen, halte ich für einen hier Einsicht eher vom Kongreß als von der Admi- Irrtum. Das zu sagen müssen Sie mir doch erlau- nistration zu erwarten ist." ben. Dazu muß man folgendes feststellen — das haben (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von Sie übersehen —: Seit Anfang dieses Jahres gibt es der SPD) eine nachhaltige Anstrengung der amerikanischen Regierung und auch starker Kräfte im Kongreß, — Seien Sie doch nicht so empfindlich. Was Herr endlich die notwendigen Entscheidungen zum Ab- Kollege Brandt zum Schluß erklärt hat, gilt nämlich bau des Budgetdefizits zu treffen. Im Gegensatz zu auch für uns: Wir sind nicht die Watschenmänner. der pessimistischen Annahme des Kollegen Brandt Wir stecken hier nicht nur ein, wir teilen auch aus, haben wir jetzt im Senat eine erste weitreichende nur in einer anständigeren Weise als Sie. Entscheidung — noch mit einer knappen Mehr- (Beifall bei der CDU/CSU) - heit —, die die Chance für eine Lösung eröffnet. Für Herr Kollege Vogel, ich will Ihnen meine Deut- mich ist das ein Beispiel dafür, daß eine jahrelange lichkeit hier einmal begründen. Ich wurde natürlich intensive und kritische Diskussion mit unserem bei dieser Entgleisung am Sonntagabend und bei wichtigsten Partner, die Sie geführt haben und die Ihrer erneuten Entgleisung hier wir geführt haben — was soll denn das bösartige Wort von „Vasallentum", das hier irgendwann ein- (Anhaltende Zurufe von der SPD) mal anklang?; das gehört zum Teil auch zur Vergif- an eine Erklärung der Sozialdemokratischen Partei, tung —, sehr wohl Ergebnisse zeitigen kann. Nur, Abteilung Jungsozialisten, aus dem Jahre 1975 erin- Herr Kollege Brandt, es mutet mich erstaunlich an, nert. Das ist genau zehn Jahre her. Unter Mitwir- wenn Sie hier sagen — ich glaube, ich zitiere es aus kung von Mitgliedern Ihrer Fraktion kam es zu dem Gedächtnis richtig; ich habe den Text Ihrer dem berühmten Büsumer Beschluß der Landeskon Rede nicht hier —, es könne nicht hingenommen Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 10189

Bundesminister Dr. Stoltenberg werden, daß die führende Industrienation der Welt, aber sie haben nicht stattgefunden. Wir haben hier die USA, ohne Rücksicht auf weltwirtschaftliche eine Annäherung der Positionen. Nur glaube ich Verpflichtungen jahrelang auf Pump lebe. Es kann mit der sehr großen Mehrheit meiner Kollegen in nicht hingenommen werden, daß Sie dies sagen, den westlichen Industrieländern und der Noten- wenn Herr Vogel und Ihre Freunde in Nordrhein bankpräsidenten nicht, daß wir gleichsam vor ei- Westfalen — wie vor der Wahl geschehen — zur sel- nem neuen Bretton Woods stehen, vor einer voll- ben Zeit alle Maßnahmen der Bundesregierung zur kommen neuen Konzeption oder Neuordnung des Überwindung des Pumps und zur Gesundung der internationalen Währungssystems. Haushalte unter dem Vorzeichen des Sozialneids (Sehr gut! bei der CDU/CSU) angreifen. Das kann nicht hingenommen werden! Wir sehen nicht die Alternative zu flexiblen Wech- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — selkursen, die übrigens einmal in der Regierungs- Dr. Vogel [SPD]: Lächerlich! — Weitere Zu zeit der Sozialdemokratischen Partei eingeführt rufe von der SPD) wurden und die auch viele Jahre lang von ihren Was man von anderen — den USA — zu Recht damaligen Sprechern, die wir heute hier im Hohen erwartet, müssen auch wir als die zweitgrößte Han- Hause nicht mehr sehen, als großer Fortschritt ge- delsnation der Welt über die Grenzen der Parteien priesen wurden. hinweg als Verpflichtung für uns anerkennen, sonst Es geht also um begrenzte Ziele, darum, extreme werde die Appelle an andere vollkommen unglaub- Schwankungen zu vermeiden und einen besseren würdig. Koordinierungs- und Überwachungsprozeß stattfin- Das zweite, was in Ihrer Bewertung falsch ist, den zu lassen. Herr Kollege Vogel, ist der Satz: Es gibt keine ge- meinsamen Anstrengungen zur Förderung öffentli- (Zuruf von den GRÜNEN: Weniger Rü stung!) cher und privater Investitionen und zur Versteti- gung der Nachfrage. Davon kann wirklich nicht die Aber die Einschätzungen der Währungen und der Rede sein. Kursbewegungen an einem offenen, weltweiten (Dr. Vogel [SPD]: Fragen Sie einmal unsere Markt erfolgen auf Grund von Vertrauen, und die- Bauwirtschaft!) ser offene, weltweite Markt der Währungen sollte nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Spekulation Nicht nur in den Kommuniqués — — behandelt werden, sondern auch unter dem Aspekt (Dr. Vogel [SPD]: Sprechen Sie einmal mit eines — auch heilsamen — Zwanges für jede Regie- Herrn Herion!) rung, sich über die eigenen Grenzen hinaus um Ver- trauen zu bemühen, d. h. Stabilitätspolitik, nicht In- — Ich rede zur Zeit über den Wirtschaftsgipfel; Sie flationspolitik zu betreiben. reden über etwas anderes. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Dr. Vogel [SPD]: Und die Arbeitslosen in teressieren Sie nicht? — Weitere Zurufe Die Gefahr neuer protektionistischer Maßnah- von der SPD) men ist nicht gebannt. Herr Kollege Vogel, das ist der einzige Satz, den ich unterschreibe. Das ist wohl — Entschuldigung, nicht nur in den Kommuniqués wahr! Deshalb waren wir der Überzeugung — und des Weltwirtschaftsgipfels, sondern auch in einer sind es weiterhin —, daß man in die Offensive ge- ständig abgestimmten Politik der Notenbanken der hen muß, westlichen Industrieländer und in einer in den Grundzügen weitgehend abgestimmten Finanzpoli- (Zustimmung bei der CDU/CSU) tik ist es das vorrangige Ziel, inflationsfreies daß man nicht nur verbal — wie schon früher — Wachstum zu fördern, die Defizite abzubauen und sagen kann, wir wollen eine neue GATT-Runde, den Zinssenkungsprozeß zu verstärken oder ihn da, sondern auch Termine nennen muß. Weil das bei wo er noch nicht stattgefunden hat, zu ermögli- Ihnen unterschlagen wurde, will ich doch noch ein- chen. mal unterstreichen, daß wir alle — auch mit dem In diesem Dreiklang, vor allem aber in dem ent- französischen Partner — Einvernehmen bezüglich schiedenen Bemühen um niedrigere Zinsen, liegt des einen Termins haben, nämlich bezüglich des- natürlich die Voraussetzung dafür, daß öffentliche sen, daß die dringend notwendige Vorbereitungs- und private Investitionen langanhaltend gefördert runde hoher Beamter in diesem Jahr beginnt. Denn werden. Die Voraussetzung liegt nicht in neuen, auf ohne eine solche Vorbereitungsrunde zur Aufstel- Pump finanzierten Konjunkturprogrammen,- wie lung der Tagesordnung und zur Auflistung der Pro- sie von Ihnen immer wieder gefordert werden. bleme ist eine GATT-Runde nicht sinnvoll. (Beifall bei der CDU/CSU) (Sehr gut! bei der CDU/CSU) Das dritte, Herr Kollege Vogel — und dies auch Mit anderen bedaure ich, daß aus Gründen, die zu Herrn Kollegen Brandt —: Es ist falsch, zu bekla- wir ernst nehmen müssen, aber in der Konsequenz gen, daß wir in der Währungsdiskussion nicht vor- nicht teilen, Frankreich noch nicht in der Lage war, ankommen. Es ist auch ein Irrtum, anzunehmen, der GATT-Runde für 1986 zuzustimmen. Aber wir daß es auf dem Gipfel zwischen Deutschland und hoffen, daß dies noch möglich ist, weil wir wirklich Frankreich Auseinandersetzungen in der Frage der in einem gewissen Wettlauf gegen neue protektioni- Währungspolitik gegeben hat. Manche haben sie stische Bestrebungen — auch in den USA, aber wegen des vorhergehenden Pressebildes erwartet, nicht nur dort — stehen. Die Offenhaltung bzw. Öff- 10190 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985

Bundesminister Dr. Stoltenberg nung der Märkte ist allerdings die Voraussetzung nanzpolitiker zu sein, um den Unterschied zwischen dafür, daß es einen länger anhaltenden Aufschwung Kürzung und begrenzter Erhöhung klarzumachen. gibt und daß die Schuldenprobleme der Entwick- (Beifall bei der CDU/CSU) lungsländer beherrschbar, erträglich bleiben. Sie sind offenbar noch immer bei Ihren irreführen- Das will ich nun auch zu einigen kritischen Äuße- den Wahlreden in Nordrhein-Westfalen. Da haben rungen von Publizisten und einzelnen Politikern Sie den Deutschen tolle Geschichten erzählt. Das aus Paris sagen: Es ist keine Belastung der deutsch- werden wir so schrittweise wieder richtigstellen französischen Freundschaft, und es ist nicht eine müssen nach dieser Wahl. Abkehr der Bundesregierung von der europäischen Solidarität, wenn wir in einer Einzelfrage, in der (Lachen bei der SPD) Frage eines Termins, gemeinsam mit anderen euro- — Jawohl, so ist das. Lassen Sie uns das hier auch päischen Ländern zu einem anderen Ergebnis kom- einmal nicht so ganz tierisch ernst machen. men, als es zu diesem Zeitpunkt unsere französi- (Zuruf des Abg. Dr. Vogel [SPD]) schen Freunde tun. Meine Damen und Herren, da- von kann überhaupt keine Rede sein! Aber die Sache ist ernst, über die wir reden. Ein weiterer wichtiger Schritt, Herr Vogel, über den wir (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Der französi Einvernehmen erzielt haben, ist, daß wir jetzt auch sche Außenminister hat es heute morgen bei den öffentlichen Schulden und den öffentlich bestätigt!) verbürgten Schulden erstmals zu langjährigen Um- schuldungsabkommen gelangen, alle Industrielän- — Ich bedanke mich für die Klarstellung auch in der gemeinsam. Das erste Umschuldungsabkom- diesem Zwischenruf, Herr Friedmann. men dieser Art ist vor wenigen Tagen mit Ecuador Nun will ich als vorletztes sagen, Herr Kollege abgeschlossen worden. Das ist alles „dilatorisch" Vogel, Herr Kollege Brandt: Was Herr Kollege Vo- und „nichtssagend", „abgespeist"? Sie sollten sich gel gesagt hat, die Schwellen- und Entwicklungs- mit diesen Problemen etwas ernsthafter auseinan- länder würden mit dilatorischen Formeln abge- dersetzen, Herr Oppositionsführer, und nicht so speist, ist absurd. Herr Kollege Brandt hat hier in überheblich einherreden. der Tat — das will ich unterstreichen — etwas diffe- (Beifall bei der CDU/CSU) renzierter bestimmte Formulierungen gewürdigt. Ich möchte das aufnehmen. Ich kenne in keinem Das gilt nun auch für das, was Sie zur Erklärung Gipfelkommuniqué früherer Jahre, auch Ihrer Re- des Gipfels über die größere Anpassung und Reak- gierungszeit, eine so sorgfältige detaillierte Festle- tionsfähigkeit des Arbeitsmarktes gesagt haben. In gung bestimmter Maßnahmen, die für ein Not- der ernsthaften wirtschaftswissenschaftlichen Dis- standsgebiet der Dritten Welt ergriffen werden sol- kussion der westlichen Industrieländer ist die Fra- len, wie das, was die Staats- und Regierungschefs ge, woran es liegt sich für die Verstärkung der Hilfe für das notlei- (Zuruf von der SPD: Daran sind wir nicht dende Afrika vorgenommen haben. Das kann doch beteiligt!) Herrn Vogel oder seinem Redeschreiber nicht ent- — ich habe noch gar nicht davon geredet, wer daran gangen sein. Ich empfinde das als unerhört, daß der beteiligt ist; wenn Sie sich gleich ausschließen wol- Oppositionsführer hier eine solche Formulierung len, widerspreche ich dem nicht, aber das ist jetzt gewählt hat. gar nicht meine Betrachtung —, daß in Amerika (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — diese dramatische Zunahme der Beschäftigung bei Zurufe von der SPD) nicht sehr viel höherem Wachstum zu verzeichnen ist, wir aber seit Anfang der 70er Jahre langfristig „Mit dilatorischen Formeln abspeisen": Dann lesen eine Verschlechterung der Beschäftigungssituation Sie das doch einmal, was hier zur Afrika-Hilfe steht. haben, ein Hauptthema geworden. Sie können ja Es ist nicht ein Hauch von Seriosität in dem ganzen nun die führenden Nationalökonomen der westli- Auftritt des Herrn Oppositionsführers und solchen chen Welt — ich beginne mit Professor Herbert Formulierungen, die uns hier an den Kopf geworfen Giersch in Kiel, um einen wichtigen Mann aus un- werden. serem Land zu nennen,

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Zuruf von der SPD) einen bedeutenden Mann aus unserem Land zu - Ich will hier auch klarmachen, daß wir mit großer nennen — — Eindringlichkeit die anderen Probleme der Dritten und Vierten Welt erörtert haben. Natürlich brau- (Jungmann [SPD]: Walter aus Kiel!) chen wir Einvernehmen. Ich bedaure mit Herrn — Den habe ich nicht genannt, nein, den habe ich Kollegen Brandt, daß es nicht möglich war, schnel- nicht genannt. Bleiben Sie mal bei dem Namen, den ler voranzukommen mit der Kapitalaufstockung für ich genannt habe. die Weltbank und die IDA, aber die IDA-Mittel sind nicht gekürzt, Herr Kollege Brandt — ich will das (Weitere Zurufe von der SPD) doch sagen —, sondern sie sind leider nicht in dem — Ich habe einen anderen genannt. Sie bauen im- Umfang erhöht worden, wie wir und andere es ge- mer gleich Feindbilder auf. Ich habe hier Professor wünscht haben. Das sind zwei verschiedene Dinge, Herbert Giersch bewußt genannt, weil er nach mei- Herr Kollege Vogel. Ich brauche kein gelernter Fi- ner Einschätzung im Augenblick der deutsche Na- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 10191

Bundesminister Dr. Stoltenberg tionalökonom ist, der in diesen Fragen die größte Ein Wahlergebnis und eine Wahlanalyse sind im- internationale Wirkung ausübt, übrigens bei man- mer — vor allem für diejenigen, die verloren haben chen intelligenten Leuten auch über den Eisernen — zur sorgfältigen und kritischen Selbstprüfung ge- Vorhang hinweg in die andere Richtung, aber die eignet. Aber ich warne Sie vor Übermut. Ich tue das können das nicht so laut und deutlich sagen. Von in Ihrem Interesse, ihm beginnend bis zu vielen in Frankreich, Italien, (Lachen bei der SPD) Großbritannien und den USA ist dies das Thema. Daß wir mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt aber auch im Interesse der Auseinandersetzung in brauchen, Herr Kollege Vogel, darüber kann kein diesem Hause, meine Damen und Herren. Ich ernsthafter Zweifel bestehen. möchte Sie ausdrücklich vor Übermut warnen. Herr Vogel, Sie haben es nach Ihrer heutigen Rede nötig, (Ströbele [GRÜNE]: Seit Jahren!) und wir bitten Sie herzlich, in Zukunft einen an- Daß wir mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz spruchsvolleren Beitrag zu leisten, erste Schritte gegangen sind, die richtig sind, davon (Lachen bei der SPD) sind wir überzeugt. Nur: Das, was die Staats- und wenn es um die großen Fragen der Weltwirtschaft Regierungschefs der sieben Staaten — darunter geht. durchaus auch solche von sozialdemokratischen und sozialistischen Gruppierungen — als eine Auf- (Langanhaltender lebhafter Beifall bei der gabe beschreiben, sofort wieder als eine „Politik der CDU/CSU und der FDP) Beseitigung sozialer Schutzrechte" — Originalton Vogel — zu diffamieren, ist unter Niveau, Herr Op- positionsführer; das muß ich Ihnen wirklich einmal Vizepräsident Westphal: Das Wort hat Herr Abge- sagen. ordneter Roth. (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von (Hornung [CDU/CSU]: Jetzt kommt Kul der SPD) turpessimismus!) — Das ist unter Niveau. Ich bin sehr höflich; ich könnte es viel härter brandmarken. Roth (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Nein, wir müssen unsere Politik in den Grundzü- Herren! Herr Stoltenberg, lassen Sie mich nur ein gen fortsetzen Wort zu Ihrer Attacke auf den Parteivorsitzenden der SPD sagen. Sie haben ja nicht nur Willy Brandt, (Zurufe von der SPD) sondern gleichzeitig ein Komitee angegriffen, das und durch den wiedergewonnenen Handlungsspiel- zu Friedensnobelpreisträgern Martin Luther King, raum weitere Akzente setzen. im letzten Jahr Bischof Tutu, vorher Sadat, Begin, Sacharow und eben auch Willy Brandt gewählt (Zurufe von der SPD: Gute Reise!) hat. — Ja, die können Sie uns wünschen; Sie werden uns (Zurufe von der CDU/CSU) begleiten. — Es geht vor allem um die Sicherung Diese Liste verurteilt Ihre Haltung hier am eindeu- der Preisstabilität, des zunehmenden Stabilitätsvor- tigsten. • teils, den wir wieder gewinnen. Das ist eine Voraus- setzung dafür, daß soziale Politik in diesem Land (Beifall bei der SPD — Zurufe von der überhaupt möglich ist. Denn bei 5 bis 6% Inflation CDU/CSU) in Ihren Regierungsjahren ist der soziale Charakter Es ist mir ein Anliegen, jetzt etwas in Richtung der Politik zunehmend verlorengegangen. Das he- auf die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU zu ben wir heute anklagend hervor. sagen. Diese Provokation, die Geißler gestartet hat (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von und die jetzt zunehmend zur Vergiftung des politi- der SPD) schen Klimas führt, (Klein [München] [CDU/CSU]: Haltet den Preisstabilität ist eine erste Priorität. Zweite Dieb! — Weitere Zurufe von der CDU/ Priorität ist, die Wachstumsgrundlage zu verbrei- CSU) tern und zu verstärken. Trotz der Schwierigkeiten in der Bauwirtschaft erblicke ich eine Chance, daß veranlaßt mich zu der Frage — das sage ich bezo- sich die Wachstumsgrundlage verbreitert, weil wir gen auf die Generation, der ich angehöre: Rühe, in diesem Jahr eine nachhaltige Zunahme -der Aus- Waigel, der im Moment nicht da ist, Wissmann —: rüstungsinvestitionen verzeichnen. Ich bin über- Soll das der Stil der 80er und der 90er Jahre sein, zeugt, daß sich das im weiteren Verlauf des Jahres daß die einen die anderen als Kommunisten be- nach einem Rückschlag in den ersten drei Monaten, zeichnen der uns politisch kurzfristig geschadet hat, in der (Zurufe von der CDU/CSU) Erfahrung der Menschen wieder bewußter machen läßt und bewußter werden wird. und anschließend die anderen die einen als Faschi- sten bezeichnen oder sie in deren Nähe rücken? Wir glauben, daß wir durch eine solche Politik mit der Nutzung der Möglichkeiten des Beschäftigungs- (Zurufe von der CDU/CSU) förderungsgesetzes auch die Trendwende auf dem In diese Auseinandersetzung zurückzufallen halte Arbeitsmarkt erzielen können. ich nicht für den Problemen der Bundesrepublik 10192 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985

Roth Deutschland und unserer inneren Situation ange- Wenn Präsident Mitterand und der Präsident der messen. Europäischen Kommission auf diesem Gipfel für (Beifall bei der SPD — Zurufe von der eine Verbindung von Handels- und Währungsge- CDU/CSU) sprächen eingetreten sind, dann war das doch nicht primär französisches Interesse. Es liegt auch in un- — Sehen Sie, Sie können auf Grund der Vergiftung serem Interesse, daß das Chaos im Weltwährungs- des Herrn Geißler nicht einmal ruhig zuhören. system endlich überwunden wird. (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Der Herr (Beifall bei der SPD) Geißler hat sich nicht vergiftet!) Wir bezahlen schon heute für die völlige Währungs- Aber ich weiß, daß viele von Ihnen das ähnlich emp- unsicherheit mit Investitionszurückhaltung der Un- finden, wie ich es gerade gesagt habe. ternehmen und damit mit Arbeitslosigkeit. Das Meine Damen und Herren, der Wirtschaftsgipfel heißt: Handel und Währung gehören zusammen. 1985 war für mich der Gipfel der Resignation vor Im übrigen, meine Damen und Herren von der der Massenarbeitslosigkeit. CDU/CSU und der FDP — und da spreche ich vor (Beifall bei der SPD) allem meinen Nachredner, Graf Lambsdorff, an —: Wie ist denn Ihr Verhältnis zum Freihandel wirk- 35 Millionen Menschen in den westlichen Industrie- lich? Was ist das Interesse des amerikanischen Prä- staaten sind arbeitslos. Gerade auch in der Rede sidenten bezogen auf die nächste GATT-Runde? des Herrn Bundesfinanzministers wurde deutlich, Das ist ganz einfach: Die europäische Agrarord- daß der Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit nung mit ihrer Preisfixierung muß fallen. Das ist auf diesem Gipfel zur Nebensache degradiert das Interesse der Amerikaner. wurde. (Hornung [CDU/CSU]: Herr Roth, Sie re (Lattmann [CDU/CSU]: So ein Quatsch!) den wieder von etwas, wovon Sie nichts Meine Damen und Herren, diese unerträgliche De- verstehen!) formation des Gipfels ist vor allem die Schuld des — Das ist das Interesse der Amerikaner. Täglich Gastgebers, des Bundeskanzlers Helmut Kohl. An- kann man das in amerikanischen Zeitungen lesen. ders als Helmut Schmidt auf dem ersten Bonner Gipfel setzte er nicht die drängenden Probleme auf Wie wollen Sie, Graf Lambsdorff, eigentlich in der die Tagesordnung, sondern versuchte, sich mit all- nächsten GATT-Runde den Liberalismus, der gefor- gemeinen Formulierungen zu retten. Anders als dert ist, mit dem Kiechle-Dirigismus zusammen- Helmut Schmidt beim ersten Gipfel in Bonn ver- bringen, der in diesen Tagen in Europa praktiziert suchte der heutige Kanzler nicht, ein gemeinsames wird? Europa in die Diskussion mit den USA zu führen, (Beifall bei der SPD) sondern er ließ eine Spaltung Europas zu. Anders als beim ersten Gipfel war nicht das enge Bündnis Ich hatte schon in der letzten Debatte in Richtung zwischen Frankreich und Deutschland die Grund- der patentierten Marktwirtschaftler gesagt: Wer lage der Verhandlungen mit den USA, sondern ein hier ja sagt zu einer neuen GATT-Runde und keine deutsch-französischer Konflikt war der Mittelpunkt neue Konzeption für die europäische Agrarordnung dieses Gipfels. schafft, ist in sich widersprüchlich und wird in die- ser GATT-Runde scheitern. — Das ist jetzt voraus- Diesmal führte der Dilettantismus bei der Vorbe- zusehen. reitung des Besuches des US-Präsidenten zum Op- portunismus in der wirtschaftspolitischen und wäh- (Beifall bei der SPD) rungspolitischen Diskussion mit den USA. Wir haben Vorschläge gemacht, ich brauche sie Ich möchte Ihnen nur vermitteln, wie der Kon- nicht zu wiederholen. trast zum ersten Gipfel ist: Damals war klar, daß Meine Damen und Herren, wir sind der Meinung, die Weltwirtschaft nur würde verbessert werden wir sollten fest auf Europa setzen: Ausbau des Bin- können, wenn die Amerikaner ein Zugeständnis bei nenmarktes, Ausbau eines europäischen Währungs- den Mineralölpreisen machten, endlich Weltpreisni- systems, das dann die Kraft hätte, sich auch gegen veau auf diesem Gebiet akzeptierten. Helmut den Dollar zu behaupten. Schmidt hat damals ein einiges Europa in dieser Frage in die Verhandlungen mit den USA ge- Und wir sagen ja zur französischen Initiative zu bracht. einer forschungs- und technologiepolitischen Ko- - operation in Europa. Den Helden im BMFT, der sich (Lattmann [CDU/CSU]: Wo ist er eigent in der Presse immer so feiern läßt, möchte ich ein- lich?) mal fragen, ob er jetzt zu Europa, zu der Anstren- Und ich stelle die Frage: Was wäre in der zweiten gung Frankreichs oder ob er zu der Geldverschwen- Ölpreiskrise geschehen, wenn dieser Ölspareffekt dung hinsichtlich SDI durch die Amerikaner steht. in den USA nicht von außen durchgesetzt worden Das ist doch die Frage! wäre? (Beifall bei der SPD — Kittelmann [CDU/ (Beifall bei der SPD) CSU]: Polemisches Ballaballa!) Ich habe das Beispiel nur genannt, um die Art Wir haben in dieser Woche ein paar Dutzend Fra und Weise der Vorbereitung der Gipfel damals und gen eingebracht. Die wurden, obgleich sie for heute gegeneinanderzustellen. schungspolitisch ausgerichtet sind, alle im Verteidi- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 10193

Roth gungsministerium abgelagert. Das ist ja ein Held in ment, in der nicht behauptet wurde, daß ein gewalti- der zweiten Reihe der Regierungsbank! Sie werden ger Investitionsstau in der deutschen Volkswirt- sich da nicht mehr heraushalten können, ob Sie schaft aufgelöst werden müsse, was dann zu unend- jetzt für oder gegen SDI sind, meine Damen und lich vielen Arbeitsplätzen führen werde. Wo ist Herren. denn die Auflösung des Investitionsstaus und wo (Beifall bei der SPD) sind die auf diese Weise in den letzten zwei Jahren neu geschaffenen Arbeitsplätze geblieben? Wir jedenfalls sind für die europäische Anstren- gung. Daß der Weltwirtschaftsgipfel im Kampf ge- (Beifall bei der SPD) gen die Massenarbeitslosigkeit nichts gebracht hat, Wir sind der Meinung — und das sage ich nun als habe ich schon gesagt. Jetzt aber muß wenigstens Angebot in Richtung auf die größere Regierungs- in Europa, in der Bundesrepublik Deutschland mit fraktion; ich wiederhole das —, daß wir dann, wenn der Politik der Verweigerung einer aktiven Arbeits- wir Arbeit und Umwelt zusammenbringen, die markt- und Beschäftigungspolitik Schluß sein. Die Krise in der Bauwirtschaft unter Kontrolle bekom- letzten Daten zur wirtschaftlichen Entwicklung, zu men könnten. Wir haben vorgeschlagen, Umweltin- der der Finanzminister kein Wort gesagt hat, zei- vestitionen, vor allem auf der Gemeindeebene, aber gen, daß sich der Aufschwung schon nach zweiein- nicht nur dort, durch ein Kreditprogramm zu för- halb Jahren deutlich abgeschwächt hat. dern, das solide finanziert ist. Nun schlägt der Bau- (von Schmude [CDU/CSU]: Das stimmt industrieverband vor, dies durch eine Aufstockung doch gar nicht!) des ERP-Sondervermögens zu tun. Die schlimme Lage der Bauwirtschaft strahlt nun in (Dr. George [CDU/CSU]: Schon besser!) die gesamte Wirtschaft aus. Im März sind die Auf- Ich hatte letzte Woche eine Diskussion, bei der zwei tragseingänge bei den Investitionsgütern, beim Ma- Vertreter der CDU/CSU-Fraktion anwesend waren schinenbau, in der Elektroindustrie gesunken. Ein und diese Position unterstützten. Ich habe nichts Drittel aller Bauarbeiter der Bundesrepublik dagegen, wenn als erster Schritt eine deutliche Auf- Deutschland ist zur Zeit arbeitslos, und Sie tun stockung des ERP-Sondervermögens zugunsten nichts. Der Finanzminister sagt weiterhin: keine von Arbeit und Umwelt stattfindet. Wir werden hier Anstrengungen in der Beschäftigungsfrage. Im üb- zustimmen; denn die Krise in der Bauwirtschaft rigen: Die Abschwächung der Konjunktur in den strahlt in die gesamte Wirtschaft aus. USA — nur noch 1,3 % Wirtschaftswachstum im er- sten Quartal — schlägt bei den Bestellvorgängen in (Beifall bei der SPD) der Bundesrepublik Deutschland offensichtlich Zweiter Schritt — auch da biete ich Zusammenar- schon durch. Bei den Bestellungen aus dem Aus- beit an —: Unser Unternehmenssteuersystem ist land haben wir für den Monat März bereits einen falsch organisiert. Es bestraft denjenigen, der sein Rückgang zu verzeichnen. Spätestens hier sollten Geld im Betrieb läßt, und unterstützt denjenigen, die Alarmglocken bei der Bundesregierung klin- der es rauszieht. geln. Aber keine Antwort auf dieses Datum. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU) Derjenige, der wirklich Unternehmer ist, der wirk- Sie haben uns, meine Damen und Herren, vor lich investiert, der Arbeitsplätze schafft, wird oft bis zweieinhalb Jahren gesicherte, verläßliche Rah- zu 70 % besteuert, während derjenige, der speku- menbedingungen für unsere Volkswirtschaft ver- liert, steuerfrei bleibt, wenn er gute Nerven hat. Das sprochen. Ich stelle einmal die Frage: Gehört es zu ist falsch organisiert, meine Damen und Herren. diesen gesicherten Rahmenbedingungen, daß jetzt (Beifall bei der SPD) seit zweieinhalb Jahren unklar ist, wann die Steuersenkungstermine nun tatsächlich sind? Das wäre ein zweiter konkreter Schritt zur Stär- kung der Investitionstätigkeit in qualitativ sinnvol- (Beifall bei der SPD) ler Richtung. Seit Sonntag gibt es keinen prominenten FDP- Meine Damen und Herren, Sie von der CDU/CSU Redner — jetzt haben die von der CDU angesichts haben am letzten Sonntag die Quittung dafür be- dieses Themas die Regierungsbank schon verlas- kommen, daß Sie mit einem Koalitionspartner zu- sen —, der nicht öffentlich einen Steuersenkungs- sammenarbeiten und regieren, der keine Rücksicht termin zum 1. Januar 1986 verlangt. Was ist jetzt die auf die Arbeitnehmerinteressen nimmt. Meinung des Herrn Bundeswirtschaftsministers,- was ist die Meinung meines Nachredners? Wie läßt (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Sie haben es aber sich das mit dem in Einklang bringen, was der Bun- ziemlich lange mit ihm ausgehalten!) desfinanzminister gerade gesagt hat? Dies ist eine Ich nenne mal einen Vertreter des alten Konserva- Regierung, die, was die Rahmenbedingungen be- tismus, an den Sie sich gern erinnern und an dem trifft, fahrlässig und ohne Konzentration handelt. Sie sich gern orientieren: Ludwig Erhard. Er for- (Hornung [CDU/CSU]: Nein, sie schafft sta derte Wohlstand für alle, und bei Ihnen kommt Wo- bile Rahmenbedingungen!) che für Woche Lohnkürzung für jeden. Das ist der Unterschied. Übrigens, im Zusammenhang mit der Bauwirt schaft, habe ich einmal eine Frage: In unserer Re (Hornung [CDU/CSU]: Kommen Sie doch gierungszeit gab es keine Debatte hier im Parla nicht mit solchen Sprüchen daher!) 10194 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 Roth Ich sage Ihnen, eine Volkspartei wie Ihre — das Im übrigen finde ich diese Hochrechnungen und sehen Sie im Aachener Raum, das sehen Sie in Weiterrechnungen aus einem Landtagswahlergeb- Düren, in all den Bereichen, wo die katholische Ar- nis, wenn ich mal an die Geschichte der Bundesre- beitnehmerschaft stark war —, die keine Rücksicht publik zurückdenke, ganz amüsant. Ich erinnere auf die Arbeitsmarktinteressen und sozialen Inter- mich an die Zeiten von Konrad Adenauer. Da hieß essen der überwiegenden Mehrheit der Bevölke- zwischen den Wahlen nach einer Landtagswahl der rung nimmt, wird diese Position der Volkspartei nächste Bundeskanzler theoretisch immer Ollen- schrittweise verlieren. hauer. Bei der Bundestagswahl war es dann wieder (Beifall bei der SPD — Zurufe von der Adenauer. Diesmal ist nur interessant: Der theoreti- CDU/CSU) sche Bundeskanzler heißt — auch in den Diskussio- nen der SPD — nicht Vogel, sondern Rau. Aber das Die katastrophale Reaktion aus den Reihen der ka- ist das Problem der Sozialdemokraten. tholischen Arbeitnehmerschaft müßte Sie stutzig machen. (Dr. Vogel [SPD]: Lambsdorff heißt er be stimmt nicht!) (Hornung [CDU/CSU]: Seien Sie nicht so arrogant!) — Er hat auch nicht die Absicht, verehrter Herr Kollege Vogel — das wissen Sie ganz genau —, hat Wenn Herr Blüm heute an einem Tag zwei Reden auch niemals dafür kandidiert und wird dafür auch hält, morgens vor Arbeitnehmern und nachmittags nicht kandidieren. vor dem BDI, dann fragen Sie mal, wo er mehr Bei- fall bekommen wird! Beim BDI. Wenn ein Arbeits- (Dr. Vogel [SPD]: Sehr beruhigend!) minister in der Öffentlichkeit so dasteht, würde ich Ich glaube, wir sollten doch zur Kenntnis neh- mir als CDU/CSU spätestens überlegen, ob Sie men, daß die mehr oder weniger gescheiten Witze nicht den Kurswechsel für eine aktive Beschäfti- über das Medienspektakel, das zum Weltwirt- gungspolitik, für Arbeit und Umwelt und gegen die schaftsgipfel gehört, nun so abgedroschen sind, so Blockade jeder Beschäftigungspolitik in der Bun- alt sind wie die Weltwirtschaftsgipfel selber. desrepublik Deutschland mitmachen. (Kittelmann [CDU/CSU]: So ist es!) (Lebhafter Beifall bei der SPD) Ich fand es eigentlich verwunderlich, daß Herr Brandt es für richtig hielt, auch das am Sonntag in Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Herr seinem Fernsehauftritt zu wiederholen. Wir sollten Abgeordnete Dr. Graf Lambsdorff. doch wohl in der Lage sein, zum Kern der Veran- staltung durchzudringen und zu untersuchen, mit- einander zu diskutieren und festzustellen, was denn Dr. Graf Lambsdorff (FDP): Herr Präsident! Meine der Weltwirtschaftsgipfel von Bonn, um den es dies- sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir werden mal geht, nun eigentlich wirklich für uns gebracht hier einem Wechselbad ausgesetzt: Vom sehr hohen hat, wie die Ergebnisse aussehen. Podest, von dem Herr Brandt gesprochen hat, bis zu den täglichen kleineren Problemen wirtschaftspoli- Wenn Sie sich die Geschichte der Weltwirt- tischer, binnenpolitischer Art, die der Kollege Roth schaftsgipfel vom zugegebenermaßen bescheidene- angeschnitten hat. Herr Roth, Sie haben mich als ren und vielleicht daher wirksameren Anfang in Ihren Nachredner bezeichnet; Sie werden das sel- Rambouillet im Jahre 1975 — aber wer will denn ber nur als zeitlichen Begriff verstehen, wie ich das ändern, und wer kann denn so etwas ändern? annehme. Niemand von uns, die wir in einer Welt leben, in der wir die Medienöffentlichkeit als selbstverständli- Vor allen Dingen will ich mit aller Entschieden- chen Teil bejahen — bis zum Jahre 1985 ansehen, heit sagen, wir sollten aufhören — bei Ihnen darf so ist festzustellen, daß das Maß an Übereinstim- ich vielleicht sagen: nicht anfangen —, daß der eine mung zwischen den Gipfelteilnehmern in wesentli- dem anderen bestreitet, es mit der Bekämpfung der chen politischen und wirtschaftspolitischen Fragen Arbeitslosigkeit als Ziel ernst zu meinen. Daß wir kontinuierlich gewachsen ist. Es ist nicht richtig, über die Methoden sehr verschiedener Auffassung Herr Roth, plötzlich ein Bild zu zeichnen, als wären sind, wissen wir. Aber daß Sie hier unterstellen, die auf dem Bonner Gipfel des Jahres 1985 riesige Mei- Freien Demokraten nähmen es mit dem Thema Ar- nungsverschiedenheiten aufgetreten, als ob es die beitslosigkeit nicht genau so ernst wie Sie, Herr früher nicht auch gegeben hätte. Die eklatantesten Roth, ist keine gute Auseinandersetzung, und das Meinungsverschiedenheiten als Ergebnis einer Gip- ist auch nicht der Stil, in dem wir miteinander um- - felveranstaltung bestanden in Versailles, als an- gehen sollten. Wir haben das bisher jedenfalls nicht schließend jeder ans Mikrophon auf seiner Presse- getan. konferenz lief und für seine Regierung das Gegen- Ich habe im übrigen nicht den geringsten Zweifel teil von dem verkündete, was vorher im Kommuni- daran, daß die Arbeitslosigkeit ein Thema bei der qué verabredet worden war. Entscheidung in Nordrhein-Westfalen gewesen ist, Seither sind wir ein gutes Stück weitergekom- und es bleibt die Aufgabe unserer Politik, auf die- men. Wir sind auch politisch ein gutes Stück weiter- sem Gebiet positive Ergebnisse zu zeigen, um nach- gekommen, nachdem nämlich seit 1983 auch politi- weisen zu können, daß unsere Politik erfolgreich ist sche Erklärungen in den Weltwirtschaftsgipfel Ein- und erfolgreich sein kann. gang gefunden haben. Die diesjährige politische Er- (Zuruf von den GRÜNEN: Sie können nur klärung — das wird erfreulicherweise von nieman- ja sagen!) dem ernsthaft bezweifelt, ist allerdings auch nicht Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 10195

Dr. Graf Lambsdorff hinlänglich gewürdigt worden — zum 40. Jahrestag Zum Thema Währung, meine Damen und Herren. des Endes des Zweiten Weltkrieges ist inhaltlich Ich begrüße und halte es für richtig, daß sich der nach Auffassung der Freien Demokraten — und ich Gipfel — wie übrigens auch OECD und andere — glaube, nach Auffassung aller unserer Mitbürger — darauf konzentriert, zusammenzukommen und dem ein außerordentlich erfreuliches, politisch gewichti- französischen Wunsch entsprechend in den vorge- ges Dokument. sehenen Institutionen über das Funktionieren des' Weltwährungssystems zu beraten und nicht dar- Was dabei vielleicht eine noch größere Rolle über nachzudenken, in besonnter Erinnerung an spielt und noch erfreulicher zu werten ist, ist die Bretton Woods ein neues Weltwährungssystem auf Tatsache, daß das ohne große Mühen nach einer die Beine stellen zu wollen, das feste Wechselkurse schnellen Vorbereitung in großer Übereinstimmung zurückbringt. Das wird es nicht geben, aber besse- — ohne große Diskussionen oder gar Meinungsver- res Funktionieren des bestehenden Systems sehr schiedenheiten — verabschiedet werden konnte. wohl. Jedes Weltwährungssystem — diese Erfah- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) rung haben wir gemacht, Herr Roth — kann ru- iniert werden. Das mit flexiblen Wechselkursen ist Das zeigt deutlich, daß wir hier ein gutes Stück wei- wegen Inflationspolitik und Mangel an Stabilität tergekommen sind. Das macht auch klar, daß der ruiniert worden. Sie können genauso eines mit Weltwirtschaftsgipfel mit Recht eine allgemeinpoli- freien Wechselkursen ruinieren, wenn Sie national tische Komponente hinzugewonnen hat, wenn- vor allem in den großen, in den Reservewährungs- gleich unter dieser allgemeinpolitischen Kompo- ländern keine monetäre Disziplin wahren. Darüber nente die wirtschaftspolitischen Themen, die ja der zu reden ist sinnvoll und ist vernünftig. Ein „link", eigentliche Anlaß dieser Veranstaltung waren und eine technische Verbindung zur Handelspolitik her- sind, nicht verschwinden sollten. Diese wirtschafts- zustellen, das hielte ich allerdings für außerordent- politischen Themen sind Währung, Handel, Be- lich bedenklich. Wenn man die beiden Dinge kop- schäftigung, Entwicklungsländer und Umwelt. pelt und daraus ein Paket schnürt, wird nie im Ich habe mit Interesse den Äußerungen des Kol- Leben eine Lösung und eine Möglichkeit entstehen. legen Brandt zugehört. Das, was Herr Brandt zu Wohl aber kann man gleichzeitig in den vorgesehe- diesen Themen vorgetragen hat, klang ja — vom nen Institutionen darüber verhandeln. hohen Podest und mit einigem Pathos vorgetragen; Wir glauben — ich sage das mit allem Freimut —, ich habe gar nichts dagegen — durchaus zuhörens- daß handelspolitisch das Ergebnis des Weltwirt- wert. schaftsgipfels von Bonn keine gute Note verdient Nur, Herr Vogel, wenn gleichzeitig eingeschoben hat. Die Formulierung „die meisten von uns" möch- wird, das sei der wohlbekannte Selbstbetrug, das ten gerne, daß wir einen Termin festsetzen, macht sei altes Wunschdenken, das Schuldenproblem sei deutlich, daß es zum Termin keine Einigung gege- Flickschusterei, das sei die Abgebrühtheit der Ver- ben hat. Warum soll das bei einer Veranstaltung, antwortlichen, fragt man sich nun doch, ob eigent- die bekanntlich eine Reihe von Jahren in Anspruch lich der hohe moralische Anspruch gerechtfertigt nimmt, eigentlich so wichtig sein? Deswegen, weil ist, der in einigen Bereichen j a durchaus beden- der protektionistische Druck zusehends wächst — kenswert formuliert wird. Wer wollte denn bestrei- ich erinnere an die Importsteuerdiskussion im Kon- ten, daß die Widersprüche zwischen Rüstungswirt- greß der Vereinigten Staaten — und weil für eine schaft und Entwicklungspolitik einer Lösung be- bald beginnende GATT-Runde — im übertragenen dürfen und daß wir hier auf der ganzen Welt nicht Sinn selbstverständlich — der Satz gilt: Wo verhan- weitergekommen sind? Aber das liegt sicherlich delt wird, wird nicht geschossen. Wenn die großen nicht in erster Linie an der Position der Bundesre- Handelsmächte an einem Tisch sitzen, dann fällt es publik Deutschland. schwerer, zur gleichen Zeit neuen Protektionismus zu entwickeln und zu praktizieren. Es ist durchaus Wer wollte bestreiten, daß ein Embargo — die hilfreich, wenn eine solche Konferenz stattfindet sechs Außenminister haben das übrigens in ihrer und man sich über Neuentwicklungen unterhält, da- Erklärung während des Weltwirtschaftsgipfels bei aber auch ein psychologisches Klima schafft, deutlich gemacht — nach Auffassung der Bundesre- das neue Handelsschranken vermeidet. Das ist für gierung, und zwar der alten auch schon, in keiner ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland mit Weise und nirgendwo ein geeignetes Mittel ist? ihrem überaus hohen Exportanteil von ganz großer (Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Das hat Bedeutung. doch der Kanzler nicht gesagt!) Ich will hier ausdrücklich sagen, daß unsere Kri- Ich zähle mich nicht zu der Legion selbsternannter tik am Ergebnis des Gipfels keine Kritik an der Nicaragua-Experten der Bundesrepublik Deutsch- Bundesregierung einschließt. Denn die hat sich mit land. Davon gibt es hier nach meinem Eindruck aller Intensität für den Beginn einer neuen GATT- schon reichlich genug. Aber soviel sage ich wohl in Runde gemeinsam mit Amerikanern, Japanern und allem Freimut: Wirtschaftliches Embargo und Engländern eingesetzt. Wir wissen, daß die Franzo- Boykott sind überhaupt keine geeigneten Mittel zur sen widersprochen haben. Richtig ist es, wenn Herr Durchsetzung politischer Ziele. Sie versagen und Brandt sagt: Es gibt ein Dokument des Europäi- sind schon deswegen nach meiner Überzeugung schen Rates. Aber dann hätte er der Korrektheit falsch und schon immer falsch gewesen. halber hinzufügen müssen: Anschließend gibt es ein Abschlußkommuniqué der OECD-Konferenz. (Beifall bei der FDP und der SPD) Dort steht der Vorbehalt nicht mehr. Die alte Rei- 10196 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985

Dr. Graf Lambsdorff henfolge der Vorbereitung von Weltwirtschaftsgip- hätten wir uns ein besseres Ergebnis gewünscht. feln heißt nun einmal: erst der Europäische Mini- Aber noch einmal: Dies ist sicher nicht die Schuld sterrat, dann die OECD-Konferenz. Das führt zum der Bundesregierung. Weltwirtschaftsgipfel und zu seinem Kommuniqué. (Kittelmann [CDU/CSU]: So ist es!) GATT-Runden — das macht mich eben so stutzig Um so erfreulicher, und zwar ganz im Gegensatz bei der immer wieder vorgetragenen Begründung zu dem, Herr Roth, was Sie gesagt haben, ist der der französischen Regierung, daß hier in erster Li- Punkt: nie eine Stoßrichtung gegen die europäische und allgemeine Wirtschaftspolitik, Wachstum und damit auch Die wirt- gegen die französische Agrarpolitik geplant sei — Beschäftigungspolitik. schaftspolitische Konvergenz, die in diesem Schluß- dauern sechs bis sieben Jahre. Solange hat die Ken- dokument zum Ausdruck kommt, ist weitergegan- nedy-Runde gedauert. Solange hat die Tokio-Runde gen und hat sich weiterentwickelt gegenüber den gedauert. Übrigens haben wir von dieser noch eini- Gipfelveranstaltungen der vorigen Jahre. Der Bun- ges nicht in Kraft gesetzt, was im wesentlichen deskanzler hat mit vollem Recht den Satz aus dem nicht zuletzt an den Franzosen liegt. Hier sollte Kommuniqué des Jahres 1977 zitiert, wonach Infla- ruhig einmal jemand die Frage der selective safe- tion eben nicht für Beschäftigung sorgt, sondern im guards, also der ausgewählten Schutzmöglichkeiten Gegenteil Beschäftigung gefährdet. — die gerade Herrn Brandt im Verhältnis zu den Entwicklungsländern interessieren müßten —, ins (Hornung [CDU/CSU]: So ist es!) Spiel bringen. GATT-Runden dauern also sechs bis Bis daraus konsequente Handlungsanweisungen, sieben Jahre. So kann am Anfang natürlich über- konsequente Übereinstimmung geworden sind, hat haupt keine isolierte und alleinige agrarpolitische es lange gedauert. Das hat ganz offensichtlich Herr Entscheidung stehen. Brandt bei seinem Vortrag hier vollständig überse- Daß wir, Herr Roth, in puncto Agrarpolitik alle hen. In der Tat, was ist dort beschlossen worden? miteinander auf der Welt Sünder sind, weiß man Man will mehr wirtschaftliches Wachstum, mehr doch. Was die protektionistische Komponente der Investitionen, mehr Arbeitsplätze. Die Teilnehmer Agrarpolitik anbelangt, gibt es keinen, der sich von haben gesagt: Die sind zu erlangen, wenn Unter- Sünde freizeichnen kann. Überall regt doch gerade nehmen und Arbeitnehmern mehr Luft zum Atmen die Agrarpolitik unter dem Gesichtspunkt der Han- gegeben wird. Die Rezepte allerdings, nach denen delspolitik zum Nachdenken an, übrigens auch ihre alles ökonomische Heil mit staatlichen Beschäfti- Ergebnisse. In den Vereinigten Staaten gehen die gungsprogrammen, mit öffentlicher Verschuldung, Farmen pleite, in Japan zahlt der Verbraucher viel mit immer höherer Steuerbelastung zu erreichen zu hohe Lebensmittelpreise, und in Europa ertrin- sei, gelten nicht mehr. Da, Herr Roth, hätten Sie ken wir in der Überproduktion mit all den Konse- und die Sozialdemokraten mal etwas sorgfältiger quenzen, über die wir auch hier gesprochen haben. hinhören sollen, statt alberne Gegengipfel in der Nähe von Hambach zu veranstalten. Aber wenn Sie sagen, das sei Folge des Kiechle Dirigismus — wie Sie es genannt haben —, dann ist (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — das nun wirklich eine harte Zuteilung an einen ein- Vogt [Kaiserslautern] [GRÜNE]: Was Sie zelnen Menschen für ein System, das schon seit vie- eben gesagt haben, paßt überhaupt nicht len Jahren existiert und mit dem auch er sich zu- zu Ihrer Krawatte!) rechtfinden muß. Das ist keine sehr gerechte und Kein einziger Teilnehmer des Bonner Gipfels ist keine sehr faire Behandlung, Herr Roth. auf die Idee verfallen, zur Linderung der Arbeitslo- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) sigkeit in Europa eine Politik vorzuschlagen, die zu mehr staatlicher Aktivität, zu neuen Haushaltsdefi- Lohnt es sich denn nicht, gerade unter solchen ziten, zu neuen Belastungen der Steuerzahler füh- Umständen und angesichts solcher Ergebnisse sich ren würde. Alle wollen mehr Wirtschaftswachstum, zusammenzusetzen und mal zu sehen, ob man ge- meinsam Positionen entwickeln kann, wo jeder sich (Ströbele [GRÜNE]: Wir nicht!) etwas bewegt, auch in dem höchst sensiblen Be- mehr Arbeitsplätze. Aber sie wollen es eben über reich der Agrarpolitik? Wenn jeder allein vor sich weniger Staat, weniger Bürokratie. Ich höre aus den hin macht, in allen drei Blöcken, wie wir es seit Jah- Reihen der GRÜNEN: „Wir nicht!" Eines, muß ich ren getan haben, rührt sich doch nichts. Ich meine, Ihnen sagen, haben die nordrhein-westfälischen es lohnt sich durchaus und es wäre nützlich, sich Wähler richtig gemacht: der arbeitnehmer- und ar- zusammenzusetzen und zu reden. - beitsplatzfeindlichsten Partei den Rang zuzuwei- Ich fürchte, daß das nicht sehr befriedigende Er- sen, der ihr gebührt: unter der 5-Prozent-Grenze. gebnis in diesem Punkt es z. B. dem japanischen (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU so Ministerpräsidenten schwerer macht, seine Markt- wie bei Abgeordneten der SPD — Zurufe öffnungspolitik voranzutreiben, und es dem ameri- von den GRÜNEN) kanischen Präsidenten schwerer macht, seinem Kongreß klar zu machen, daß Protektionismus uns Es hat vorher keinen Gipfel gegeben, auf dem das allen schadet — die Administration ist ja nicht pro- so deutlich ausgesprochen worden ist wie jetzt in tektionistisch, sondern zeigt sich sehr häufig durch- Bonn. Ich halte diese Aussage und diese wirt- aus standhaft; denken Sie an die Selbstbeschrän- schaftspolitische Konvergenz für einen Durchbruch kung japanischer Automobile, die der Präsident in der internationalen Wirtschaftspolitik, der nicht nicht verlängert hat. Also in puncto Freihandel unterschätzt werden darf. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 10197

Dr. Graf Lambsdorff Verehrter Herr Kollege Roth, wenn Sie so freund- Kraus (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr lich und natürlich an bestimmte Adressen gerichtet verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal ein Ihren Vorschlag mit dem ERP-Sondervermögen Wort zu Herrn Roth. Herr Roth, Sie stellen sich machen, dann tun Sie mal Butter bei die Fische und immer hier hin und tun so, als hätten Sie von vorn- sagen Sie, Sie wollen mit 10 Milliarden DM zusätz- herein das Patentrezept zur Beseitigung der Ar- lich auf den Kapitalmarkt gehen. Dann sagen Sie beitslosigkeit. Nun fragt sich natürlich, warum Sie mal, was das für die Zinsentwicklung bedeutet. dieses Rezept in einer Zeit, die noch gar nicht so Dann sagen Sie dazu, lange her ist, nicht angewandt haben, um den Men- schen die Arbeitslosigkeit ersparen zu helfen. Sie (Zuruf des Abg. Roth [SPD]) hatten damals die Gelegenheit dazu. Sie haben das daß Sie 600 Millionen DM Zinssubventionen jähr- damals nicht getan. lich aus dem Haushalt dafür haben wollen, um diese Mittel auf ein Zinsniveau herunterzubringen, Überhaupt hat man den Eindruck, daß die Redner daß noch attraktiv ist. Hier so zu tun — darüber der SPD heute wieder bewiesen haben, daß sie kei- haben wir ja neulich diskutiert —, als ob das alles neswegs eine Alternative zur Außen- und Wirt- auf Knopfdruck möglich wäre, ohne erhebliche schaftspolitik unserer Regierung darstellen. Der Nachteile und Schäden mit sich zu bringen, ist zu SPD-Vorsitzende zieht sich beleidigt in eine Ecke einfach. Sie können die Probleme immer nur lösen zurück, schmollt und versucht dann, mit Ausfällen über mehr Steuern, mehr Abgaben, mehr Schulden, gegen den Bundeskanzler und den Generalsekretär höhere Zinsen. Aus dem Weg müssen wir heraus, der CDU sein Ansehen aufzupolieren. aus dem Weg wollen wir heraus. Herr Vogel tritt seit 1983 als Buchhalter des Miß- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — erfolgs auf und versucht — allerdings vergeblich —, Zurufe von der SPD) die Erfolge und Leistungen der Bundesregierung herabzuzerren. Einen Gefallen werden Ihnen diese Regierung und diese Koalition nicht tun. Sie werden nicht aus (Dr. Vogel [SPD]: Das macht Herr Strauß im „Bayernkurier"!) Zwischenwahlergebnissen die Konsequenz ziehen, daß wir den Weg, den wir jetzt zeitlich zur Hälfte — Wenn Sie es so gut machten wie der „Bayernku- gegangen sind, zurückdrehen, um dann in der Sack- rier", wäre das Ganze zumindest etwas lustiger, gasse zu landen und uns Ihnen 1987 zu stellen. Herr Vogel. (Zuruf des Abg. Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]) (Erneuter Zuruf des Abg. Dr. Vogel [SPD]) Wir gucken uns 1987 in aller Ruhe und mit aller So kritisieren Sie z. B. auch den Aufwand, der Zuversicht an; denn dann, Herr Ehmke, wird es während des Wirtschaftsgipfels hier in Bonn betrie- einen Wahlkampf geben, der nicht so entpolitisiert ben worden sei. Sie sollten nicht vergessen, daß ins- und so personalisiert geführt werden kann. Dann besondere bei unseren westlichen Verbündeten we- wollen wir über politische Probleme reden. gen Ihrer falschen und verfehlten Wirtschaftspoli- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) tik der Eindruck entstanden war, die Bundesrepu- blik Deutschland sei in ihrer internationalen Wett- Ich habe in meinen 98 Wahlveranstaltungen in bewerbsfähigkeit angeschlagen. Die Journalisten Nordrhein-Westfalen immer darauf gewartet, die aus den am Weltwirtschaftsgipfel teilnehmenden Sozialdemokraten einmal mit politisch-inhaltlichen Staaten prägen durch ihre Berichte das Deutsch- Positionen und nicht nur mit dem zugegebenerma- landbild in ihren Heimatländern. Dieses Bild wird ßen liebenswürdigen, sympathischen Johannes Rau einige Zeit vorhalten. agieren zu sehen. Wir kommen noch einmal zu ganz anderen Themen und zu ganz anderen Diskussio- Im Gegensatz zu Ihnen von der SPD sind wir nen. selbstbewußt genug, uns mit unserer Wirtschaft zu identifizieren und darzustellen, daß wir in der Lage (Zurufe von der SPD) sind, die Herausforderungen einer modernen Indu- Alles in allem, meine Damen und Herren, komme striegesellschaft anzunehmen. ich zu folgender Bewertung dieses Weltwirtschafts- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gipfels. Es sind sicherlich nicht alle Wünsche erfüllt worden. Das wird auf keinem internationalen Tref- Wir verfallen nicht in den Pessimismus der SPD. fen dieser Größenordnung der Fall sein. Der Bundesregierung ist auf dem Weltwirtschafts- gipfel eine konsequente Fortsetzung der beiden Aber der Bonner Gipfel hat die internationale- Gipfel von London und Williamsburg gelungen. wirtschaftspolitische Zusammenarbeit gestärkt. Die Bundesrepublik war ein würdiges Gastgeberland Die sieben wichtigsten Industriestaaten haben und hat diesen Gipfel ordnungsgemäß, gut und sich über die notwendige Grundausrichtung der planmäßig vorbereitet. Die Bundesregierung hat zu Wirtschaftspolitik geeinigt. diesem Erfolg entscheidend beigetragen. Wir dan- (Mann [GRÜNE]: Das glauben Sie doch sel ken ihr dafür. ber nicht!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Nur die Einigkeit bei der Inflationsbekämpfung, bei der Geld- und Haushaltspolitik und beim Abbau der Wachstums- und Handelshemmnisse wird eine wei- Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abge- tere Stabilisierung und Fortentwicklung der Welt- ordnete Kraus. wirtschaft gewährleisten. 10198 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 Kraus Der Bundeskanzler hat mit seiner Erklärung die Sie werfen uns den Abbau des Sozialstaates vor Bemühungen der Teilnehmer verdeutlicht, die Be- und fordern neue soziale Maßnahmen. Sie ver- schäftigungsprobleme zu lösen. schweigen aber, daß jede Maßnahme schließlich Gerade die Schwerpunkte Haushaltskonsolidie- von der breiten Masse der Bevölkerung bezahlt rung, Verringerung der Inflationsraten und Stär- werden muß. Wer sollte es sonst bezahlen? kung der Investitionen zeigen, daß die westlichen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Industrienationen in den Grundfragen ihrer Wirt- Sie bauen mit Ihren Forderungen ein Anspruchs- schaftspolitik übereinstimmen. Dies gilt für Frank- denken weiter auf, fördern aber gleichzeitig eine reich und Italien mit sozialistischen Regierungs- Tendenz zur Leistungsverweigerung. Damit forcie- chefs ebenso wie für die konservativen Regierun- ren Sie nach meiner Auffassung eine Entwicklung, gen Englands und Kanadas. Darin liegt für mich die zu einer merkwürdigen neuen Klassengesell- der Erfolg dieses Gipfels. schaft führen muß, zu einer Gesellschaft, in der es Die Regierungschefs sind sich darin einig, daß Anspruchsbürger und in der es Leute gibt, die man ein weiteres Wachstum der Weltwirtschaft nur mit als Leistungsbürger bezeichnen könnte. Letztere marktwirtschaftlichen Steuerungsmechanismen er- sind zwar heute noch die ganz überwiegende Zahl folgen wird. Wir wissen, daß die Probleme noch der Bevölkerung, aber die Zahl der Anspruchsbür- nicht gelöst sind. Das Arbeitsplatzangebot muß ver- ger steigt. Als Anspruchsbürger würde ich jeman- bessert werden, den Entwicklungsländern die Fort- den bezeichnen, der mit sehr viel Intelligenz und setzung ihrer Konsolidierung ermöglicht werden. großem Geschick es versteht, über die Jahre, in Die Handelshemmnisse müssen gelockert oder ab- denen man sonst einen Beruf ausübt, möglichst gebaut werden, das internationale Währungssystem ohne große Mühe hinwegzukommen. Diese Gruppe sollte verbessert werden. Trotz dieser Probleme wird größer. Diese Gruppe wird durch die Züchtung sind auch hier Erfolge zu verzeichnen. So haben der Mentalität, die von der Opposition hier verbrei- zahlreiche Entwicklungsländer im außenwirtschaft- tet wird, natürlich vergrößert. Dies wiederum ver- lichen Anpassungsprozeß große Fortschritte ge- stößt auf das gröbste gegen die Interessen der ar- macht. Der strukturelle Anpassungsprozeß in den beitenden Bevölkerung. Industrieländern zeigt Fortschritte, der Welthandel Eines noch zum Investitionsstau. Herr Roth, Sie ist 1984 um 8,5 % gestiegen, und die durchschnittli- sprachen davon, daß dieser Investitionsstau weiter- che Inflationsrate lag bei 5,3 % und war damit die besteht. Ich glaube, daß das im Prinzip leider richtig niedrigste seit 1972. ist. Man muß aber auch nach den Gründen fragen, Der Weltwirtschaftsgipfel hat aber auch klarge- warum dieser Investitionsstau weiterbesteht: weil macht, daß wir selbst große Anstrengungen unter- nämlich die Mentalität, die zu einem ganz überwie- nehmen müssen, um unseren Rang in wirtschaftli- genden Teil dazu geführt hat, weiterbesteht. Die cher und sozialer Hinsicht im Vergleich zu den an- Bürger wollen zwar viele Einrichtungen, aber sie deren freiheitlichen Industrienationen zu behaup- wollen sie ohne jede Belästigung ihres eigenen un- ten. Wenig hilfreich ist dabei das Zerrbild unseres mittelbaren Lebensumfeldes. Vor diesem Hinter- Staates, das die Opposition vermittelt. Dieses hat grund muß man das sehen. Es gibt eine Menge von mit den tatsächlichen Verhältnissen nur sehr wenig Großbauvorhaben, die heute noch durch Gerichts- zu tun. Wir können uns sehr wohl im internationa- entscheide, durch Einsprüche, durch Bürgerinitia- len Vergleich hinsichtlich Inflationsrate, Wachstum, tiven aufgehalten sind. Eines ist merkwürdig. Die- sozialer Leistungen, Abbau der Verschuldung und selben, die oft bestimmte Einrichtungen fordern, letztlich auch der Arbeitslosigkeit sehen lassen. auf Bundesebene beispielsweise, verstehen es, durch das Fördern von irgendwelchen Initiativen Was die Arbeitslosigkeit anbelangt, erinnere ich auf örtlicher Ebene genau diese zu verhindern. vor allem an die Voraussagen, die die jetzige Oppo- sition noch vor wenigen Jahren glaubte machen zu (Dr. Jens [SPD]: Die gibt es auch bei der müssen. Dieses Horrorgemälde wurde Gott sei CSU!) Dank niemals Wirklichkeit. Die Arbeitszeitverkür - Wir haben derzeit natürlich auch eine gespaltene zung, die Sie uns als Patentrezept zur Bekämpfung Konjunktur. Auch das soll nicht verschwiegen wer- der Arbeitslosigkeit immer wieder aufdrängen wol- den. Es gibt Branchen, die im Schatten stehen. len, ist nach unserer Auffassung ein völlig untaugli- Dazu gehört auch die Bauwirtschaft; es gehören ches Instrument. Jede Verteuerung der Arbeit muß alle Bereiche dazu, die besonders lohnintensiv sind. zu deren weiterer Unbezahlbarkeit führen, und Ar- In diesen Bereichen besteht natürlich auch Hand- beitsplätze können so ganz sicher nicht geschaffen lungsbedarf. Die Regierung ist meines Erachtens werden. aufgefordert, alles zu unternehmen, um Initiativen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) und Investitionen im privaten, gewerblichen und öf- fentlichen Sektor zu initiieren. Dies sollte nicht Dies ist also eine Politik gegen die wohlverstande- durch ein herkömmliches Investitionsprogramm nen Interessen der arbeitenden Bevölkerung. geschehen, sondern durch eine langfristig abschätz- Nicht die Löhne, sondern die Lohnnebenkosten bare Verbesserung der Rahmenbedingungen wie sind bereits heute viel zu hoch. Ein Facharbeiter verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten, steuerli- kann sich keine Facharbeiterstunde nicht mehr lei- che Erleichterungen und eine deutliche Verstär- sten. Vorschläge, die zur weiteren Verstärkung die- kung der öffentlichen Investitionen im Sinne einer ses Mißverhältnisses führen müssen, würden die antizyklischen Haushaltspolitik. Probleme nur verstärken. (Vorsitz : Vizepräsident Cronenberg) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 10199

Kraus Darüber hinaus ist es notwendig, Überlegungen zigen Wesens. Totaler Markt oder gar keiner! Die anzustellen, wie der Dienstleistungssektor, der für Dritte Welt hat sich dem Weltmarkt zu unterwerfen; die Schaffung neuer Arbeitsplätze wohl wichtigste wer es nicht tut, ist nicht frei; wer nicht frei ist, Sektor, besser gefördert werden kann. Es müssen steht unter der Knute der Sowjetunion und muß die Maßnahmen zur Entlastung dieses Bereichs ergrif- amerikanische Peitsche spüren. fen werden. Ansonsten kann weder das ständig (Beifall bei den GRÜNEN) wachsende Problem der Schwarzarbeit noch das Problem der Unvermittelbarkeit schwächerer Ar- Wehe ein kleines Land der Dritten Welt wagt es, beitsloser jemals in den Griff bekommen werden. sich der Zwangsintegration in den Weltmarkt zu widersetzen! Wehe es weigert sich, seine oft armse- (Sehr wahr! bei der CDU/CSU) ligen Reichtümer zu Markte zu tragen! Wehe es Es wird also entscheidend sein, daß die gemeinsa- denkt mehr an die Befriedigung der Grundbedürf- men Bekenntnisse in Bonn — — nisse des eigenen Volkes an Nahrung, Kleidung, Bildung, Gesundheit und Wohnung! Solch ein Land Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter, las- muß weg. Eine Katastrophe — zumindest für die sen Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bilanzentwicklung der multinationalen Konzerne Mann zu? und Banken —, wenn so ein Land sich anheischig macht, sich selbst entwickeln zu können, statt sich Kraus (CDU/CSU): Ich habe keine Zeit mehr. um die internationalen Profite oder die Bereiche- Sonst hätte ich es sehr gern getan. — Aber wenn rungssucht einheimischer Eliten zu kümmern, ein Sie mir die Zeit geben, lasse ich gern eine Zwi- Schandfleck für die freie Welt. Wer so egoistisch schenfrage zu. — Bitte schön. nur nach dem Überleben der eigenen Bevölkerung trachtet, statt alles, was nicht niet- und nagelfest ist, (GRÜNE): Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Mann den konkurrenzgebeutelten Industriestaaten Kenntnis zu nehmen, daß sich die CDU in Mainhau freundlich zur Verfügung zu stellen, der ist vom sen mit den GRÜNEN gegen eines der von Ihnen Russen unterwandert. Mit Schwert und Feuer muß erwähnten Großprojekte zu einer Koalition auf ihm der abendländische Altruismus beigebogen kommunaler Ebene zusammengeschlossen hat? werden. Das Beispiel könnte j a Schule machen. Un- denkbar, was geschähe, wenn sich alle Entwick- Kraus (CDU/CSU): Ich kenne diesen Fall natür- lich nicht, aber im übrigen bestätigen Ausnahmen lungsländer selbst ernähren würden! Dann dreht die Regel. Es ist nicht ausgeschlossen, daß es auch man ihnen schon lieber den Hahn völlig zu, und not- in der CDU oder in der CSU Leute gibt, die manch- falls marschiert man ein, um alles kurz und klein zu mal nicht unbedingt das Richtige tun. Wir sind be- schlagen. Ein Toter erliegt nicht dem Konsumis- scheiden genug, dies anzuerkennen. Es kommt nur mus. Dem Lebenden werden Mores beigebracht. auf die Masse, auf die große Zahl an. Es fallen mir Export ist gefragt. Wer nicht alles gibt, dem wird sehr viel mehr Beispiele ein, die mehr der linken alles genommen. Das ist die politische Moral des Seite zuzuordnen sind. sogenannten freien Westens. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Schlimm!) — Der Herr Vogel freut sich jetzt doch etwas. Heute hat er meistens etwas grimmig durch die Gegend Unter diesem Banner zieht der oberste Feldherr der geschaut. Man hatte den Eindruck, er sei einer von NATO gegen Nicaragua in den Krieg. jenen, die sich über das Wahlergebnis in Nordrhein Und der Deutsche Bundestag? Schweigt er dazu? Westfalen nicht so freuen. Ich freue mich, Herr Vo- Klatscht er Beifall? Windet er sich verlegen im Ge- gel, wenn ich Ihnen eine kleine Freude bereiten stühl, wenn sein amerikanischer Freund die innen- konnte, daß Sie sich etwas wohler fühlen. politische Lage Nicaraguas verschärft, um das Volk Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für gegen die Regierung aufzuhetzen, wenn er die in- Ihre Aufmerksamkeit. ternationale Lage destabilisiert, wenn er die Conta- (Beifall bei der CDU/CSU) dora-Initiative für eine friedliche Konfliktlösung unterläuft, wenn er die San-José-Initiative der euro- Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- päischen Länder für bessere Kooperation gegen ordnete Volmer. den Strich bürstet? Spätestens hier hört für die GRÜNEN die (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen Volmer - Freundschaft auf. und Herren! „Ein offenes multilaterales Handelssy- stem ist unentbehrliche Voraussetzung weltweiten (Zuruf von der CDU/CSU: Mit wem?) wirtschaftlichen Wohlstandes; darum setzen wir Wir fordern von der Bundesregierung, daß sie ih- uns nachdrücklich für umgehende und wesentliche rem NATO-Partner kräftig auf die Füßte tritt und Schritte zum Abbau von Handelsbeschränkungen alles Erdenkliche unternimmt, um den unabhängi- ein"; so der Gipfel in seinem Abschlußkommunique. gen, blockfreien, auf eine diversifizierte Mischwirt- Der Gipfel spreizt sich in feierlicher Erklärung, schaft bauenden eigenständigen Entwicklungsweg während der Zeremonienmeister eiskalt einem Nicaraguas nach Kräften zu unterstützen. Land den Krieg, den Handelskrieg, erklärt. Freier Welthandel und Handelskrieg: Was auf den ersten (Beifall bei den GRÜNEN) Blick wie Wasser und Feuer wirkt, erweist sich Wir fordern die Bundesregierung auf, offensiv ge beim zweiten Hinsehen als Doppelgesicht eines ein- gen die amerikanische Intervention einzutreten 10200 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985

Volmer und ihrerseits sofort die gesperrten Entwicklungs- um die Last der Drittweltländer zu erleichtern. Nun, hilfeleistungen freizugeben. das Versprechen eines sinkenden Dollarkurses und (Beifall bei den GRÜNEN) fallender Zinsen verliert in dem Maße an Wert, wie das SDI-Programm an Konjunktur gewinnt. Nicaragua ist eine Hoffnung für alle Länder der Dritten Welt. Deshalb bitten wir hier jeden im Hau- (Beifall bei den GRÜNEN) se, der nicht den Konzernen, sondern der ganzen Zu seiner Realisierung wird der amerikanische Menschheit eine gute Zukunft wünscht, um Zustim- Freund mit dem Staubsauger über die Kapital- mung zu unserem Antrag. märkte fahren und alle Liquidität absaugen. (Zuruf von der CDU/CSU: Auf dem linken (Zuruf von den GRÜNEN: Das haben die Auge blind sind Sie!) noch nicht begriffen!) Wie hält es der Gipfel mit den anderen Entwick- US-Rüstungsindustrie und Entwicklungsländer lungsländern? Weltweites Wachstum ist angesagt, werden um Kreditzuflüsse wetteifern und die Zin- freundliches Klima für Direktinvestitionen, eine sen weiter in die Höhe treiben. harmonische Liaison mit dem IWF. Ein Entwick- lungsland, das sich an diesen Knigge hält, darf mit Und das Versprechen offener Märkte, das als al- wohlwollender Behandlung rechnen, mit ihm wird leinseligmachendes Mittel zur Behebung der Bi- kooperiert; zum angeblich gemeinsamen Nutz und lanzsschwäche der Drittweltländer verkauft wird? Frommen wird ausgesuckelt, was das Land hergibt Es brach zusammen wie der GATT-Plan. Während und was auf dem Weltmarkt loszuschlagen ist. Der man glücklicherweise noch endlos über dem eige- Markt, der alles verschlingende Moloch, verleibt es nen Unrat brütet, fault der Köder dahin, der die ein. Die letzten halbwegs intakten Refugien für Entwicklungsländer vollends ins internationale Mensch und Tier, die letzten kostbaren Schätze un- Marktgetümmel zerren soll. serer Erde, die Reste des gemeinsamen Erbes der Die Schuldenkrise ist nicht gelöst. Daran hat Menschheit finden, selbstverständlich ökologisch auch keiner Interesse. Die Zinsen fließen, und dar- abgefedert, den Weg in den Stoffwechselprozeß. Na- auf kommt es an. Der IWF hat härtere Auflagen tur und Arbeit werden aufgesogen, Waren und Pro- beschlossen. Endlich greift er mal durch. Tausende fite ausgespien. Die Erde erfährt ihre Metamor- von Toten tauchen in den Bilanzen nicht auf. Sie phose zur Firmenbilanz. bleiben sauber, werden sogar üppiger, denn es darf (Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der umgeschuldet werden. Jedem seine Zinspyramide. CDU/CSU: Lauter Sprüche!) Pyramiden überstehen bekanntlich Jahrtausen- Der kapitalistische Weltmarkt verwandelt Erde, de. Würden sie verschwinden — vielleicht radiert Wasser, Luft und menschliche Arbeitskraft in tote sie einer einfach aus —, fehlte den ärmsten Län- Gegenstände, damit sich auf einem Stück Papier dern der Anreiz, sich in den Weltmarkt einzufädeln. rote Zahlen in schwarze verwandeln. Doch der Zwang will man ja nur im äußersten Notfall aus- zweifelhafte Genuß, der aus dem Farbwechsel der üben, vielleicht in Argentinien, wenn Alfonsin die Bilanz zu ziehen ist, ist nur wenigen beschieden. Demokratie übertreibt. Jedenfalls, solange man am Die Mehrheit der Weltbevölkerung verliert ihre na- Gefüge des Marktes noch bastelt, müssen die Zins- türliche und soziale Lebensgrundlage, ihre Lebens- pyramiden ausgeblendet bleiben, es könnte sonst zu freude, ihr Leben. deutlich werden, daß es reiner Bluff ist, sie auf den Was nützt uns ein solcher Weltmarkt? Wir sind Märkten auflösen zu wollen. Enttäuschung stört das nicht gegen internationalen Austausch, aber strikt Betriebsklima, und man will ja gutwillige Südlän- gegen seine hemmungslose Ausweitung. Wir sind der, die zahlen und nicht fragen, solange sich die auch nicht gegen jeden Marktmechanismus, aber Frage nicht geradezu aufdrängt. gegen die Zwangsintegration in die Märkte. Zwang (Zuruf der Abg. Frau Hürland [CDU/ zum sogenannten freien Handel und Handel in CSU]) Freiheit schließen einander aus. Aber der Gipfel, Frau Hürland, hat auch geholfen. (Beifall bei den GRÜNEN) Er versprach Saatgut und Schädlingsbekämpfungs- Ein Land, das seinen Handel so weit reduzieren mittel, von rabiaten Grünen zuweilen als Pestizide will, wie es ihn gerade braucht, um eine nach innen diffamiert. Sie sollen die Ernährungslage verbes- gerichtete grundbedürfnisorientierte Wirtschafts- sern. Saatgut für Monokulturen, in die die kleinbäu- weise zu pflegen, soll das tun; es darf nicht länger erlichen Parzellen zur Subsistenzproduktion ver- mit Intervention bedroht werden, und es darf nicht wandelt wurden, Pestizide gegen Schädlinge, von länger mit einer GATT-Konferenz bedroht werden, denen die der natürlichen Abwehrkraft beraubten die in den Entwicklungsländern die letzten Hemm- Hybridsorten befallen werden, Dünger für die Bö- nisse gegen ausbeuterische Wirtschaftsstrategien den, die durch kapitalintensive Nutzung ausgelaugt des entwickelten Nordens niederreißen will. werden. Die Bauern, die sich beim Kauf der Wun- dermittel nicht unrettbar verschulden wollen, geben Deshalb ist es ein Glück, daß die Gipfelstaaten das Land auf. Frauen werden ihres Landes, Be- wegen ihrer eigenen Querelen keinen Termin zu- sitzes und Einflusses beraubt. Die Menschen ziehen stande brachten. Dies war die einzige gute Tat des in die Städte, bilden Slums und stehen als billige Gipfels für die Dritte Welt. Arbeitskraft für die freien Produktionszonen zur Beim Dollarkurs war das anders. Angeblich sollte Verfügung. Frauen werden in die Prostitution ge- er gemeinsam mit dem Zinsniveau gesenkt werden, trieben. Für viel Geld können sie jetzt wenig Reis Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 10201

Volmer kaufen. Proteine gibt es gar keine mehr; Pestizide Wir verurteilen ohne Einschränkung die offizielle verseuchten die Fischzuchtgebiete. Doch die Ernäh- Regierungspolitik der Vereinigten Staaten und die rungslage hat sich verbessert — in den Chefetagen Wirtschaftsinteressen, die dahinterstehen. Aber wir der Agrar- und Chemiemultis. kennen und schätzen das andere Amerika. Mit dem anderen Amerika wissen wir uns einig im Kampf (Beifall bei den GRÜNEN) gegen Ausbeutung, Unterdrückung und Interven- Das alles, meine Damen und Herren, hat der Gip- tion. Diese Zusammenarbeit hat Zukunft. fel mitbeschlossen, als er so gnädig die Lieferung Danke. von Saatgut und Pestiziden androhte. (Beifall bei den GRÜNEN) Wer dies für die verdrehte Meinung eines beson- ders bösartigen Grünen hält, der lese den Brief von Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Herr Cäsar Esperitu, philippinisches Mitglied des Welt- Parlamentarische Staatssekretär Köhler. kirchenrates, an die Gipfelteilnehmer, der im „Sonntagsblatt" vom 5. Mai abgedruckt ist. Ich zi- Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- tiere: ster für wirtschaftliche Zusammenarbeit: Herr Prä- Haben Sie eigentlich gehört von den exzessiv sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! ausgenutzten Erdbeerfarmen in Mexiko, kulti- Nach diesen Ausführungen des Kollegen Volmer viert für satte, schnelle Profite und zum Ergöt- bin ich zu dem Eindruck gekommen, daß dadurch, zen der Erdbeer-Gourmets in New York? Bo- daß er an der Seite der Dritten Welt steht, die Dritte denerosion war die Folge; die Felder sind jetzt Welt nicht ein Problem gelöst, dafür aber eines wüstes Land. mehr hat. Haben Sie davon gelesen, wie auf den Philippi- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU nen Subsistenz-Bauern zusammen mit ihren — Zuruf von den GRÜNEN: Billig! Billig!) philippinischen Bananen-Baronen von multina- — Ja, aber bei dieser sagenhaften Verwirrung der tionalen amerikanischen Unternehmen ver- Begriffe und Tatsachen leider wohl zutreffend. drängt wurden, ermuntert durch japanische Es ist über das hinaus, was der Herr Finanzmini- Händler? Alles im Namen von exportorientier- ster in Klarstellung zu der Bedeutung dieses Gip- tem Wachstum. Aber jetzt protestieren sogar fels für die Fragen der Dritten Welt schon gesagt unsere Affen in Mindanao dagegen, daß sie hat, aus entwicklungspolitischer Sicht noch einmal kaum noch Futter haben. Die guten Bananen ein Thema anzusprechen, nämlich die Schuldenfra- werden von neuen Affen in Japan gegessen. ge. Die Diskussionslinie verläuft ja an der Stelle, wo Haben Sie davon gehört, wie eingeborene die einen sagen, daß dieses Problem generell, sozu- Stämme vertrieben oder einfach getötet wur- sagen mit einem großen Schlag, gelöst werden soll- den durch Paramilitärs, die als Agenten der te, während die andere Position lautet: Von Fall zu malaysischen und philippinischen Regierung Fall nach Maßgabe der Möglichkeiten. und der Weltbank in den neuen Palmölplanta- Die generelle Lösung soll vor allem aus ersparten gen in Südostasien arbeiten? Selbst die große Rüstungsmitteln gespeist werden. Dabei wissen wir Regierung der Mrs. Thatcher ist darin verwik- immer noch nicht, ob das über die Weltbank oder kelt. über IMF — die lieben Sie ja nicht sehr — abgewik- kelt werden soll. Diese generelle Lösung hat sich (Bohl [CDU/CSU]: Das ist affig!) nach aller Erkenntnis der Fachleute in der ganzen Haben Sie von der gemeinen Armut und Ent- Welt als nicht zweckmäßig und nicht richtig erwie- menschlichung der Wanderarbeiter in unseren sen. Es gibt ein entscheidendes Gegenargument, Zuckerplantagen gehört — halb Mensch, halb vor allem seit sich die mehrjährigen Umschuldun- Tier ... in ihrer armseligen Existenz —, deren gen bewährt haben. Sie stellen in der Tat einen Ausbeutung durch Ihre ... Arbeitsverleiher ... erheblichen Fortschritt dar. in einer zivilisierten Gesellschaft nicht mehr zu Für die Entschuldung von Fall zu Fall und nach beschreiben ist? Ansehung des Einzelfalls spricht einmal die prakti- Unser Fazit im Klartext: Wir, die GRÜNEN, schla- sche Erfahrung. Ich weise hier darauf hin, daß die gen uns eindeutig auf die Seite der Unterdrückten Bundesrepublik mit einem Schuldenerlaß an 22 und Ausgebeuteten auf dieser Erde. ärmste Länder der Welt — dies sollte man hier auch einmal einfach zur Kenntnis nehmen, statt es unter (Beifall bei den GRÜNEN) den Teppich zu kehren; denn es handelt sich um eine Größenordnung von über 4 Milliarden DM — Wir fordern erneut die vollständige Schuldenstrei- mehr als andere Gebernationen das ihr mögliche chung für die Dritte Welt. Wir werden aber auch getan hat und weit an der Spitze der Leistungen auf dagegen antreten, daß die Armen hier und die Ärm- diesem Gebiet steht. sten dort gegeneinander ausgespielt werden. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei den GRÜNEN) Wer aber weiter generellen Schuldenerlaß for- Unsere Sozialpolitik und unsere Entwicklungspoli- dert, muß sich auch der Frage stellen, welches Pro- tik haben den gleichen Gegner, und dabei — das blem damit gerade für die Länder geschaffen wür- möchte ich ausdrücklich betonen — finden wir de, bei denen der Erlaß öffentlicher Schulden in den Bündnispartner, auch in den USA. faktischen Einzelheiten eine minimale Wirkung, 10202 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985

Parl. Staatssekretär Dr. Köhler aber gleichzeitig eine ungeheure Auswirkung auf Länder, als Vernichtung der Länder, als etwas, was ihre internationale Kreditwürdigkeit hätte. Ich schlimmer ist, als sich abzuwenden, zerredet wird frage die Vertreter dieser Denkschule, was denn — eine Position, die kein Verantwortlicher in der eigentlich für Wirkungen auf die Privatinvestitio- Dritten Welt bisher eingenommen hat und der wir, nen ausgehen sollen, wenn durch einen solchen meine Damen und Herren von der SPD, gemeinsam Schuldenerlaß praktisch die Zahlungsunfähigkeit entgegentreten sollten, weil das nichts anderes eines investitionswürdigen Landes verbrieft würde, wäre als der Rückzug in die eigenen vier Wände und dies bei Ländern, die heute in zunehmendem unter Vernachlässigung jeglicher Verantwortung Maße und geradezu händeringend um Privatinve- für die Menschen in der Dritten Welt. stitionen ersuchen und in der ganzen Welt darum bemüht sind. Vizepräsident Cronenberg: Herr Staatssekretär, Ich glaube, wir würden der entwicklungspoliti- gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten schen Diskussion sehr dienen, wenn wir uns hier Ströbele? im Plenum wirklich einmal kritisch mit der Frage beschäftigten — das sage ich an die Adresse des Dr. Köhler, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- Kollegen Brandt, dessen Engagement ich außeror- ster für wirtschaftliche Zusammenarbeit: Bitte, dentlich schätze —, nein. Ich bin im Begriff zu schließen, Herr Präsi- dent. (Beifall des Abg. Roth [SPD]) Die Glaubwürdigkeit der Bemühungen unseres ob diese übermäßige Betonung rein quantitativer Landes und anderer Länder, in der Dritten Welt Gesichtspunkte, die Forderung nach immer wieder wirklich zu helfen, müssen wir gemeinsam herstel- neuem Geld, eigentlich wirklich die Lösung ist und len und sichern. Deswegen meine nochmalige Auf- ob nicht das, was an der Entwicklungspolitik der forderung gerade an den Kollegen Brandt, in Zu- vergangenen Dekaden kritisiert wurde, für die Sie kunft nicht nur die große Utopie der Generallösung die Verantwortung haben, gerade in der Überbeto- zu vertreten und demgegenüber alles, was getan nung der rein quantitativen Gesichtspunkte gele- wird, als kleinlich, schwächlich und nicht ausrei- gen hat. chend zu kritisieren, sondern sich wirklich in die Woran liegt es, daß die IDA heute eine sehr nied- Mühsal der konkreten Diskussion und Arbeit zu rige Auszahlungsgeschwindigkeit hat? Woran liegt begeben und auch zu erkennen, was dort in den es, daß der Europäische Entwicklungsfonds nur letzten Jahren geschehen ist, nachdem wir von ei- sehr zögernd abfließt? Doch nur daran, daß die Pro- ner rein quantitativen Betrachtung, die 20 Jahre die bleme der Dritten Welt nicht einfach durch Kapital- deutsche Entwicklungspolitik beherrscht hat, end- transfer zu lösen sind. Alle Sachkenner sind sich in lich Abkehr gehalten haben. der Bewertung einig, daß die internen, die qualitati- (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von ven Faktoren der nationalen Entwicklungspolitik der SPD: Unverschämtheit!) der Empfängerländer entscheidend sind. Die Ent- wicklungszusammenarbeit muß deshalb heute eben Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- stärker in die makroökonomischen Rahmenbedin- ordnete Kittelmann. gungen eingebunden sein. (Zuruf von der SPD: Muß das sein?) Diese Forderung von Weltbank und IMF tragen wir mit. Deswegen hat diese Regierung in den letz- Kittelmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine ten Jahren ein hohes Maß an Verbesserung der Damen und Herren! Eines kurz vorweg: Ich bedau- Koordination der Zusammenarbeit zwischen allen re, daß die Sozialdemokraten, vor allen Dingen Herr Gebern geleistet. Brandt, die Chance der heutigen Debatte nicht ge- Zu diesen Bemühungen gehört auch der Schwer- nutzt haben, um eine Klimavergiftung, die er selbst punkt Ernährungssicherung aus eigener Kraft. Die zu vertreten hat, zu beseitigen. Zahlen im Haushalt unseres Landes sprechen da (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von eine beredte Sprache. Sie sind im Einzelplan 23, der SPD) dem des BMZ, ganz wesentlich gesteigert worden. Meine Damen und Herren, Willy Brandt hat nicht Daß der Weltwirtschaftsgipfel diese Tendenz durch die Kraft gefunden, sich bei Heinrich Geißler zu seine Beschlüsse bestätigt hat, ist eine Bestätigung entschuldigen. der Politik der Bundesrepublik, für die wir dankbar (Zurufe von der SPD) sind. Die CDU bedauert dies. Ich darf Ihnen sagen: Für Noch einmal: Das moralische Engagement des uns wird die Angelegenheit so lange nicht vom Kollegen Brandt steht außer jedem Zweifel. Tisch sein, bis er das Wort der Entschuldigung ge- (Beifall bei der SPD) funden hat. Aber wenn ich dies hier sage, nehme ich mir auch (Beifall bei der CDU/CSU) das Recht heraus, in derselben Minute zu fordern, Meine Damen und Herren, der Wirtschaftsgipfel daß er uns helfen möge, den vor allem am linken — es war zu erwarten — wird in der anschließen- Flügel der Diskussion weltweit zu findenden schäd- den Kritik differenziert gesehen. Ich habe es be- lichen Entwicklungspessimismus zu bekämpfen wundert, Herr Roth, welche Gabe der Verdrängung und mit dazu beizutragen, daß Entwicklungspolitik Sie haben — und Herr Brandt ist dem teilweise und Entwicklungshilfe nicht als Schaden für die auch unterlegen —, wenn Sie völlig vergessen ha- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 10203

Kittelmann ben, wie die Gipfel in den Jahren, als Sie die Regie- Meine Damen und Herren, ich darf vor allen Din- rungsverantwortung trugen, verlaufen sind, und im gen noch auf ein Thema eingehen, Moment so tun, als wäre bei Ihnen alles anders (Oostergetelo [SPD]: Muß das sein?) gewesen. Ja, es war anders: Der Gipfel, der jetzt das hier nur kurz angesprochen worden ist. Ich fin- stattgefunden hat, war seriöser, glaubwürdiger und vom ernsten Bemühen derjenigen getragen, die zu- de, der Umstand, daß man sich in dem Kommuni- qué nicht auf einen Termin für eine neue GATT sammengesessen haben, aus Fehlern der Vergan- hat einigen können, vor allen Dingen auf genheit zu lernen. - Runde Grund der Haltung Frankreichs , muß in den näch- (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von sten Monaten korrigiert werden. Die CDU/CSU er- der SPD) muntert die Bundesregierung, in engen Gesprächen — Ihr Hohnlachen zeigt lediglich, daß Sie unfähig mit der französischen Regierung — das bevorste- sind, dies zu begreifen oder Ihrerseits anders als hende Treffen des Bundeskanzlers mit Mitterrand früher zu handeln. bietet Gelegenheit dazu —, dafür zu sorgen, daß eine Terminierung der neuen GATT-Runde, die bis- (Lachen und Zurufe von der SPD) her im wesentlichen von Frankreich verhindert Meine Damen und Herren, die CDU/CSU dankt worden ist, und zwar aus Gründen, die mit dem der Bundesregierung und vor allen Dingen Bundes- GATT selbst nichts zu tun haben, vorgenommen kanzler Kohl für das Ergebnis dieses Gipfels, für wird. Die GATT-Runde ist notwendig: für die Län- ein Ergebnis, an dem vor allen Dingen Bundeskanz- der der Dritten Welt, für ein gemeinsames Bekämp- ler Kohl maßgebend beteiligt war. fen des Protektionismus und für Wachstum in der Weltwirtschaft. Sie allein ist in der Lage, unsere (Beifall bei der CDU/CSU) Probleme und vor allen Dingen die Probleme der Es war ein Gipfel des Optimismus und der Zuver- Dritten Welt langfristig zu lösen. sicht. Ich darf die GRÜNEN, die glauben, hier mit der (Lachen und Beifall bei der SPD) Forderung nach globalem Schuldenerlaß einen Bei- trag leisten zu können, bitten — das gilt vor allem Die Sozialdemokraten werden lernen müssen, daß für die neuen Vertreter —, ihrerseits einmal ein biß- ihre immer stärker zunehmende Ablehnung der So- chen mehr nachzudenken und nicht immer nur seit zialen Marktwirtschaft, ihr Weg in Dirigismus, ihr Jahren im wesentlichen die gleichen Schlagworte Weg in staatliche Investitionsplanung in anderen hier abzuliefern. Ich darf Sie bitten, zu bedenken, Ländern der Welt keine Unterstützung findet. daß ein globaler Schuldenerlaß ein Abschneiden (Lachen bei der SPD) von den Handelströmen und vor allen Dingen von Es ist an der Zeit, daß Sie sich dazu durchringen — den Geldströmen bedeuten würde, was den Län- die meisten von Ihnen, die hier lachen, haben das dern der Dritten Welt langfristig nichts bringt. Le- Kommuniqué wahrscheinlich noch nicht einmal ge- diglich Verunsicherung und noch mehr Verelen- lesen —, dem Protektionismus, dem Dirigismus, dung wären die Folge. Das wäre kein Beitrag zur staatlicher Intervention — im übrigen ist in dem Lösung der Probleme der Dritten Welt, sondern ge- Zusammenhang darauf hinzuweisen, daß es Länder nau das Gegenteil. gibt, einschließlich Frankreich, die zu Hause eine Meine Damen und Herren, die CDU/CSU geht andere Politik machen, als sie es im Kommuniqué davon aus, daß die Ergebnisse dieses Wirtschafts- des Weltwirtschaftsgipfels selbst für richtig halten gipfels, die vor allen Dingen bewiesen haben, daß — eine klare Absage zu erteilen, so wie Herr Roth sich alle Länder einig sind, daß nur inflationsfreies sie soeben wieder gefordert hat und wie manche Wachstum höhere Beschäftigung bringt, in den na- Sozialdemokraten es in den letzten Jahren immer tionalen Wirtschaften positiv umgesetzt werden. wieder fordern. Die CDU/CSU hofft, daß es möglich ist, die Ergeb- nisse des Wirtschaftsgipfels mit den konkreten Ziel- (Oostergetelo [SPD]: Was habt ihr mit den vorgaben, die ausgesprochen worden sind, national Bauern gemacht? — Weitere Zurufe von umzusetzen. Sie hofft, daß in einem Jahr in Tokio, der SPD) aber auch in den vielen multinationalen Konferen- Meine Damen und Herren von den Sozialdemo- zen vorher deutlich wird, daß diese Ergebnisse kraten, Sie werden in den nächsten Monaten erfah- ernstgenommen werden. Wir erklären hier, daß die ren, daß unsere Wirtschaftspolitik, die Wirtschafts- Bundesregierung die volle Unterstützung der CDU/ politik der CDU/CSU und FDP, nicht nur auf dem CSU haben wird, die Ergebnisse dieses Wirtschafts- richtigen Wege ist, sondern auch weitere Erfolge gipfels in praktische Politik umzusetzen. zeitigen wird. Der Öffentlichkeit wird klar werden Schönen Dank. — mehr noch, als sie es am letzten Wochenende vielleicht begriffen hat —, daß Ihre Wirtschaftspoli- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) tik mehr Arbeitslosigkeit, mehr Verschuldung und — mehr noch, als in den letzten Jahren deutlich Vizepräsident Cronenberg: Meine Damen und Her- geworden ist — kein bißchen Hoffnung bedeutet, ren, nach § 30 unserer Geschäftsordnung gebe ich sondern wirklich ein Weg in eine Zeit ist, in der Sie dem Abgeordneten Dr. Mertes das Wort zu einer niemandem helfen können, nicht der eigenen Be- persönlichen Erklärung. völkerung und vor allen Dingen nicht der Dritten Welt, weil das notwendigere stärkere Wirtschafts- Dr. Mertes (Gerolstein) (CDU/CSU): Herr Präsi- wachstum ausbleibt. dent! Meine Damen und Herren! Die gegen mich 10204 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985

Dr. Mertes (Gerolstein) persönlich gerichtete Äußerung des SPD-Fraktions- eindeutig gegen ein Kollektiv-Urteil über die Solda- vorsitzenden Dr. Vogel von heute morgen beruht ten der Waffen-SS. auf einem Interviewzitat, das er — vielleicht nicht Im Sinne der Mahnung des Trierer Bischofs bewußt — aus dem erkennbaren Zusammenhang „Über Gräbern streitet man nicht", die stets auch gerissen hat. Ich weise diese Äußerung von Dr. Vo- das Verhalten des Bürgermeisters von Bitburg gel als unfair und irreführend zurück, zumal sie Theo Hallet bestimmt hat, dem ich vor dem Deut- eine existentielle Frage jedes Menschen berührt. schen Bundestag für seine großartige Haltung in Zahlreiche Menschen des Wahlkreises Bitburg, den letzten für ihn so schweren drei Wochen dan- den ich seit 1972 im Deutschen Bundestag vertrete, ken möchte, wiederhole ich, jetzt als Aufforderung, haben mir ihr Entsetzen und ihre Erbitterung über meinen Gedanken: Aus einem Streit dieser Art über die Einbeziehung der Gräber von 49 toten Men- die Gestaltung eines Besuches, der weitgehend auf schen, die sich nicht mehr wehren können, in die unterschiedlichen, bisweilen unvereinbaren Erf ah- Diskussion über den Reagan-Besuch in Bitburg rungs- und Emotionshintergründen beruht und von zum Ausdruck gebracht. Mit ihnen bin ich der Auf- allen Seiten mit viel gegenseitiger Rücksichtnahme fassung, daß dies den Fundamenten unserer Zivili- geführt werden muß, sollten wir tote Menschen und sation zuwiderlief. In Übereinstimmung mit der ihre Gräber heraushalten. Das schulden wir auch überwältigenden Mehrheit der Menschen meiner ihren Witwen, Kindern und Kindeskindern, das Eifelheimat, die in ihrer christlichen Tradition wur- schulden wir der Wahrheit. Vor allem aber schulden zeln und daraus auch Kraft gegen jede Form totali- wir dies der jüdisch-christlichen Sicht des Men- tärer Herrschaft geschöpft haben und im Sinne der schen, seiner Würde, seiner Schuld, seiner Erret- Mahnung des für Bitburg zuständigen Bischofs von tung durch Gottes Allmacht und Gnade. Auf ihr Trier Dr. Hermann Josef Spital vom 28. April 1985 beruht die Theologie des Todes und des Heiles, zu „Über Gräbern streitet man nicht" bleibe ich dabei, der sich alle christlichen Kirchen bekennen, wenn daß zahlreiche amerikanische und leider auch deut- sie dem in die Nacht des Todes gesunkenen Men- sche Aussagen zum Thema „Gräber von Menschen, schen „ewige Ruhe", „immerwährendes Licht", die vor ihrem Tod Waffen-SS-Soldaten waren oder „Frieden in Fülle" erbitten. Schon die pietas der sein mußten", eine „Verirrung des menschlichen heidnischen Römer sagte von den Toten, man solle Geistes" und eine „Perversion des Denkens", wie nur auf gute Weise von ihnen reden: „De mortuis ich ausdrücklich hinzufügte, „gegenüber unseren nihil nisi bene." toten Menschen" darstellen. Abschließend erinnere ich an zwei alte israeliti- sche Spruchweisheiten, auf die mich eine deutsch- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) jüdische Persönlichkeit hingewiesen hat: „Richte Ich verwies dabei darauf, daß die Ehrfurcht vor deinen Nächsten nicht, denn Gott richtet ihn erst den toten und ihren Gräbern „ein Grundsatz unse- im letzten Augenblick seines Lebens", und „Verur- rer jüdisch-christlich geprägten Zivilisation ist". teile deinen Nächsten nicht; denn du weißt nicht, Denn die Ehrfurcht vor dem Toten ist auch ein Aus- was du in seiner Lage getan hättest". Der Jude druck unserer Ehrfurcht vor dem Schöpfer und Jesus von Nazareth, den wir Christen als Erlöser Herren seines Lebens, für den Christen zudem ein aller Menschen von Schuld und Tod bekennen, sagt Ausdruck seines Glaubens an Gottes Liebe zu je- in seiner Bergpredigt das gleiche: „Richtet nicht, dem Menschen, an die Berufung zur Auferstehung. damit ihr nicht gerichtet werdet." Die Lust an der Nicht umsonst nennt unsere schöne deutsche Mut- Selbstgerechtigkeit und am Richten über andere tersprache die letzte Ruhestätte des Menschen Menschen hat in den letzten Wochen in Amerika „Friedhof" und „Gottesacker". und Deutschland traurige Triumphe erlebt. Mit der biblischen Ethik und Heilsbotschaft hat das nichts Ähnliches hat der Frankfurter Rabbi Professor zu tun. Dr. Pinchas Lapide mir persönlich bestätigt und in der Presse sowie im ZDF bekräftigt. Am 3. Mai 1985 Wir sollten in Amerika und in Europa zur guten schreibt er in der „Welt": Tradition des Judentums, des Christentums und des Humanismus zurückkehren. Sie fordert auch bei le- Als ehemaliger KZ-Häftling, späterer Offizier gitimer Emotion und entschiedener Forderung ge- in der jüdischen Brigade der britischen Armee genüber dem anderen Verständnis und Fairneß ge- während des Zweiten Weltkrieges und als jüdi- genüber dem anderen. Dann könnten von dieser scher Theologe will ich zur peinlichen Debatte unglückseligen Debatte über Gräber und tote Men- um den Reagan-Besuch des deutschen Solda- schen klärende und helfende Kräfte für die Zukunft tenfriedhofs in Bitburg einige Gedanken- äu- ausgehen. ßern. Für Juden, denen das Wort Selektion von Ich danke Ihnen. der Rampe in Auschwitz her in tödlicher Erin- nerung bleibt, ist es geradezu makaber, von ei- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ner Selektion der vermodernden Leichen von deutschen Soldaten und Angehörigen der Waf- fen-SS zu sprechen, von denen etwa 47 in Bit- Vizepräsident Cronenberg: Weitere Wortmeldun- burg begraben liegen. gen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Lapide wendet sich dann — so wie Schumacher und Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie- Adenauer —, auch unter Berufung auf eine autori ßungsanträge auf den Drucksachen 10/3337, 10/3338 tative israelische Aussage im Eichmann-Prozeß, und 10/3340 zu Tagesordnungspunkt 2 a. 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Vizepräsident Cronenberg Ich rufe zunächst den Entschließungsantrag der Ich rufe nunmehr Punkt 3 der Tagesordnung Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3337 auf: auf. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustim- Zweite und dritte Beratung des Entwurfs ei- men wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — nes Gesetzes zur Durchführung einer Reprä- Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist der Ent- sentativstatistik über die Bevölkerung und schließungsantrag abgelehnt. den Arbeitsmarkt (Mikrozensusgesetz) Wer dem Entschließungsantrag der Fraktion der — Drucksachen 10/2600, 10/2972 — SPD auf Drucksache 10/3338 zuzustimmen a) Beschlußempfehlung und Bericht des In- wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ge- nenausschusses (4. Ausschuß) genprobe! — Drucksache 10/3328 — (Zurufe von der SPD: Minderheit!) Berichterstatter: — Meine Damen und Herren, der Sitzungsvorstand Abgeordnete Dr. Wernitz ist sich über die Mehrheitsverhältnisse im Hause Ströbele nicht einig. Ich muß daher von dem Verfahren nach Broll § 51 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung — genannt Dr. Hirsch Hammelsprung — Gebrauch machen. b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. (Zurufe von der CDU/CSU: Erst abstim Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsord- men durch Aufstehen!) nung — Drucksache 10/3330 — Meine Damen und Herren, ich eröffne die Ab- stimmung. Wer für den Entschließungsantrag der Berichterstatter: SPD ist, den bitte ich, durch die „Ja"-Tür zu gehen. Abgeordnete Gerster (Mainz) Wer dagegen ist oder sich der Stimme enthalten Kühbacher möchte, den bitte ich, durch die entsprechenden Frau Seiler-Albring Türen zu gehen. Kleinert (Marburg) (Erste Beratung 111./129. Sitzung) Meine Damen und Herren, die Abstimmung ist geschlossen. Bevor ich das Ergebnis bekanntgebe, Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 10/3341 noch einige kontroverse Abstimmungen kommen. vor. Zur Vermeidung eines weiteren Hammelsprungs Meine Damen und Herren, bevor ich die Ausspra- bitte ich Sie daher, den Saal nicht zu verlassen. che eröffne, möchte ich Sie sehr eindringlich bitten, Ich gebe nunmehr das Abstimmungsergebnis be- entweder Platz zu nehmen oder den Saal zu verlas- kannt. Von den stimmberechtigten Mitgliedern des sen. Ich werde die Aussprache erst eröffnen, wenn Hauses haben 370 ihre Stimme abgegeben. Mit Ja die notwendige Ruhe im Hause hergestellt ist. haben gestimmt 152, mit Nein 218. Der Entschlie- Meine Damen und Herren, das Wort zur Bericht- ßungsantrag ist damit abgelehnt. erstattung ist vom Abgeordneten Ströbele ge- wünscht worden. Herr Abgeordneter, Sie haben das (Seiters [CDU/CSU]: Zu Recht!) Wort. Mit Rücksicht auf die zeitliche Situation bitte Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über ich Sie allerdings, sich kurz zu fassen. den Entschließungsantrag auf Drucksache 10/3340. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer Ströbele (GRÜNE): Herr Präsident! Verehrte Kol- lehnt diesen Entschließungsantrag ab? — Enthal- leginnen! Verehrte Kollegen! Liebe Erhebungsein- tungen? — Mit großer Mehrheit abgelehnt. heiten! Wir kommen nunmehr zur Abstimmung zu Ta- (Daweke [CDU/CSU]: Sehr witzig!) gesordnungspunkt 2 b. Wer der Beschlußempfeh- Die geplante umfassende Datenerhebung bei lung des Ausschusses für Wirtschaft auf Druck- 600 000 Bürgerinnen und Bürgern — genannt „Er- sache 10/2916 zuzustimmen wünscht, den bitte ich hebungseinheiten" — darf nach Auffassung der um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — GRÜNEN nicht erzwungen werden. Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist damit- an- (Daweke [CDU/CSU]: Ich denke, er ist Be genommen. richterstatter!) Die Beschlußempfehlung und der Bericht des In- nenausschusses zum Tagesordnungspunkt 3 konn- ten erst gestern verteilt werden. Es ist mir mitge- Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter, ich teilt worden, daß nach einer interfraktionellen Ver- möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie als einbarung von der Frist für den Beginn der Bera- Berichterstatter sprechen und hier keinen Debat- tung gemäß § 81 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung tenbeitrag leisten dürfen. Dazu haben Sie sicher abgewichen werden soll. — Ich sehe, das Haus ist gleich noch Gelegenheit. damit einverstanden. Dann ist dies mit der erfor- (Feilcke [CDU/CSU]: Der Herr Jurist Strö derlichen Mehrheit beschlossen. bele kennt die Geschäftsordnung nicht!) 10206 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985

Ströbele (GRÜNE): Herr Präsident, es gibt einen lich ... Testerhebungen mit freiwilliger Aus- Bericht des Ausschusses, in dem die Beschlußemp- kunftserteilung ... durchgeführt. fehlung der GRÜNEN zwar mit zwei Sätzen wieder- Wir sind der Auffassung, diese Testerhebungen gegeben ist, in dem aber von der Begründung dieser müssen vor der Verabschiedung dieses Gesetzes Beschlußempfehlung so gut wie nichts enthalten ist. durchgeführt werden. Wenn sich dann ergibt — was Ich bitte daher, da wir auch sonst nur fünf Minuten von vielen Sachverständigen in der mündlichen An- haben, mir Gelegenheit zu geben, hier als Berichter- hörung im Ausschuß vorgetragen worden ist —, daß statter die Begründung, die ich dem Ausschuß auf Grund der heutigen Methodik eine freiwillige schriftlich eingereicht habe, in Auszügen vorzule- Testerhebung ausreichend ist, dann darf dieser Mi- gen. krozensus nur auf freiwilliger Basis durchgeführt (Daweke [CDU/CSU]: Das ist aber nicht die werden. Aufgabe des Berichterstatters!) Die Fraktion der GRÜNEN ist der Auffassung, — Das ist die Aufgabe des Berichterstatters! daß der mündige Bürger im kommunalen Bereich (Daweke [CDU/CSU]: Ist es eben nicht! nahe an den Problemen befragt werden kann und Das ist ein Debattenbeitrag! — Feilcke befragt werden muß, daß er dazu aber freiwillig [CDU/CSU]: Wer klärt denn den Rechtsan bereit ist, weil er selbst einsehen kann, wozu die walt auf?) Daten dienen und wozu die Daten gebraucht wer- den. Die Fraktion der GRÜNEN ist der Auffassung, daß nur ein gläserner Staat, eine gläserne Verwal- Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter, ich tung vom Bürger Daten verlangen darf. bitte fortzufahren, sich aber auf den Bericht zu be- grenzen. Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter, ich (Daweke [CDU/CSU]: So ist es!) bitte Sie erstens, zum Schluß zu kommen, denn Ihre Redezeit ist abgelaufen, und zweitens, Ihren Bei- Ströbele (GRÜNE): Ich begrenze mich auf den Be- trag nicht unzulässig auszuweiten, denn Sie sind im richt. Eine solche sanktionsbewehrte, obrigkeits- Begriff, solches zu tun. staatliche Erhebung im persönlichen, ganz persönli- (Zurufe von der CDU/CSU: So ist es!) chen, im beruflichen und sogar im gesundheitlichen Bereich darf bei einem mündigen Bürger heute Ströbele (GRÜNE): Herr Präsident, ein Satz noch. nicht mehr zwangsweise herbeigeführt werden. — Die Fraktion der GRÜNEN wird spätestens im (Hornung [CDU/CSU]: Steht das im Be Herbst einen Gesetzentwurf vorlegen, richt?) (Daweke [CDU/CSU]: Das hat doch nichts Das Bundesverfassungsgericht hatte in der Ent- mit den GRÜNEN zu tun! Das ist doch ein scheidung vom 13. Dezember 1983 dazu ausdrück- Bericht! — Hornung [CDU/CSU]: Ist das lich ausgeführt: Ihre Aufgabe als Berichterstatter? — Wei Vor tere Zurufe von der CDU/CSU) — ich betone: vor — der für die Bundesrepublik Deutschland einen Freedom of Information Act vorsieht und dem Bür- künftigen Entscheidungen für eine Erhebung ger damit die Möglichkeit gibt, die Verwaltung zu wird der Gesetzgeber erneut mit dem dann er- durchschauen und zu kontrollieren. reichbaren Stand der Methodendiskussion sich auseinandersetzen müssen, um festzustellen, ob und in welchem Umfang die herkömmlichen Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter, Sie Methoden der Informationserhebung und In- haben das Recht des Berichterstatters mißbraucht. formationsverarbeitung beibehalten werden Ich möchte das feststellen. können. (Zurufe von der CDU/CSU: So ist es! — (Hornung [CDU/CSU]: Steht das im Be Daweke [CDU/CSU]: Wie in alten Studen richt?) tenparlamentszeiten! Der Trick hat gezo gen!) Das bedeutet, daß, wenn der Gesetzgeber auch nur Zweifel daran hat, daß eine andere, weniger Das Wort hat der Herr Abgeordnete Broll. einschneidende Methode dasselbe Ziel erreichen kann, dann die Zwangsmethode nicht durchgeführt Broil (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr ver- werden kann. - ehrten Damen und Herren! Das, was Sie soeben an § 13 des jetzt vorgelegten Gesetzentwurfs beweist wenig durchsichtigen, einigermaßen konfusen Äu- aber, daß der Gesetzgeber selbst — jedenfalls der ßerungen neben der Geschäftsordnung erlebt ha- Innenausschuß, so wie er das jetzt vorgelegt hat — ben, ist u. a. die Folge jener Selbstamputation und Zweifel daran hat, ob nicht heute auf Grund des Selbststerilisation, die sich DIE GRÜNEN durch ihr Fortschrittes der Technik und der Methodik eine Rotationsprinzip auferlegt haben. freiwillige Erhebung der Daten ausreichend ist. In (Lachen bei den GRÜNEN) § 13 des Ihnen vorliegenden Gesetzentwurfes steht: Wir sollten das Plenum des Bundestages allerdings Zur Prüfung, ob in künftigen Mikrozensuserhe nicht damit bemühen, daß gewisse Kollegen bungen ganz oder teilweise auf die Auskunfts Schwierigkeiten haben, das zu sagen, was sie im pflicht verzichtet werden kann, werden zusätz Innenausschuß hätten sagen können. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 10207

Broll Dieses Gesetz ist so gründlich wie selten eines im den Nebel der Unkenntnis hinein zu machen, auf Innenausschuß des Bundestages beraten und in ei- freiwilliger Basis und nicht durch Zwang bekom- ner umfangreichen Anhörung erhärtet worden. men könnte. Ein solcher Zwang allerdings wird von Diese Anhörung, meine Damen und Herren, hat üb- den Bürgern in der Regel zwar als lästig, nicht aber rigens keineswegs die Ergebnisse gebracht, wie der als demokratiefeindlich oder als rechtswidrig emp- Kollege hier soeben behauptet hat. Aus der Anhö- funden, es sei denn, sie sind bestimmten Kampa- rung geht zwar eindeutig hervor, daß es Länder gnen erlegen, die aus ganz anderen Motiven als sol- gibt, die freiwillige Erhebungen machen. Aber z. B. chen der Rechtsstaatlichkeit in Gang gesetzt wor- der Präsident des schwedischen statistischen den sind. Reichsamts hat ja ausdrücklich darauf hingewie- Die Bürger können die Gewißheit haben, daß wir sen, daß in Schweden zwei Elemente anders sind nicht in der Lage gewesen sind, bei den Befragten als bei uns. Er hat geradezu angeraten, unserem unter 1 % zu gehen. Sonst wäre, wenn etwa bei 1 % Gesetzentwurf zu folgen, und zwar aus folgenden Befragten im Stadtstaat Bremen überhaupt nur Gründen. noch 2 800 Haushalte im Mikrozensus sind, über- Erstens. Das statistische Reichsamt in Schweden haupt keine vernünftige Statistik — ich meine die hat den Zugang zu einer Menge von Dateien, die Zusammenführung verschiedener Elemente zu be- für unsere statistischen Ämter im Bundesgebiet stimmten statistischen Bildern — mehr möglich. verschlossen sind und nach unserer Überzeugung Um aber dennoch das Prinzip der Freiwilligkeit auch verschlossen bleiben sollen. auch in Zukunft — vielleicht noch mehr als jetzt — verwirklichen zu können, haben wir eine beglei- Zweitens. Die freiwilligen Erhebungen durch tende Beobachtung und Diskussion der freiwilligen qualifizierte hauptberuflich tätige Befrager sind un- Elemente in diesem Mikrozensus beschlossen, und wahrscheinlich teuer und erfordern darüber hinaus wir werden vom Statistischen Bundesamt und von einen hohen Grad Nachfragen. Von diesen Nachfra- den Landesämtern nichts geschehen lassen, was gen wiederum haben insbesondere Verfassungs- uns im Innenausschuß nicht vorher gezeigt worden rechtler bei uns gesagt, sie würden wahrscheinlich wäre. erst jene Verfassungswidrigkeit streifen oder her- stellen, die wir durch unser Gesetz vermeiden wol- Eines allerdings, meine sehr verehrten Damen len. Mit anderen Worten: Das, was soeben gesagt und Herren, wird im Mikrozensus nicht gefragt: Wir worden ist, ist nicht ernst zu nehmen. fragen nicht nach dem sexuellen Verhalten von Er- wachsenen gegenüber Kindern. Ich könnte mir den- Meine sehr verehrten Damen und Herren, die ken, daß das einer der Gründe dafür ist, daß die Mikrozensus-Erhebung 1984 ist ausgefallen. Das GRÜNEN diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Volkszählungsurteil des Verfassungsgerichts hat zwar nicht ausdrücklich dieses Gesetz gemeint, son- (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten dern das Volkszählungsgesetz; wir waren aber der der CDU/CSU) Überzeugung, daß eine Durchführung dieses analo- Dabei erlaube ich mir die Bemerkung, daß nicht gen Gesetzes ohne eine gründliche Prüfung nicht zu von Statistiken, sondern von solchen sittenwidri- verantworten sei. Der Mikrozensus selbst ist in ge- gen, rechtswidrigen, unglaublichen Vorschlägen Ge- wissem Sinne ungefährlicher als die Volkszählung. fahr für unseren Staat und für unsere Gesellschaft Er wird nur bei einem Prozent, teilweise nur bei ausgeht. einem Zehntelprozent der Bevölkerung erhoben, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) und zwar von Beauftragten der Statistischen Lan- desämter, die quasi hauptamtlich tätig sind. Ge- Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- wisse Gefahren, die dadurch entstehen können, daß ordnete Dr. Wernitz. der Nachbar beim Nachbarn fragt, was früher bei Volkszählungen üblich war, können hier gar nicht (SPD): Herr Präsident! Meine sehr auftreten. Andererseits ist der Mikrozensus inso- Dr. Wernitz fern empfindlicher, als er empfindlichere Bereiche verehrten Damen und Herren! In einer sehr umfas- des individuellen Lebens umfaßt. Wir fragen nach send angelegten öffentlichen Anhörung am 25. Fe- bruar dieses Jahres wurde der Mikrozensus-Gesetz- Elementen der Gesundheit oder Krankheit des ein- entwurf auf den Prüfstand der Sachverständigen zelnen. Wir fragen nach seinem Ferienverhalten. gestellt. Mit den Ergebnissen der Anhörung haben Wir fragen nach seiner sozialen und wirtschaftli- sich die Berichterstatter und der Innenausschuß chen Stellung. Wir fragen nach seinem Ausbil- dungsweg usw. sehr gründlich und konzentriert befaßt. So wurde die Mikrozensus-Thematik allein in drei Bericht- Die gesetzliche Regelung, die wir nun gefunden erstatterrunden und in sechs Ausschußsitzungen haben, sichert nach Auskunft aller in der Anhörung behandelt. Die parlamentarische Detailberatung zu Aussagen Bereiten, daß wir das Urteil des Ver- hat hier also wirklich intensivst stattgefunden. fassungsgerichts beherzigt haben und daß wir die Wie ist das Ergebnis zu bewerten? Nach dem Er- Anforderungen erfüllen. gebnis der Anhörung und der Ausschußberatungen Wir haben die Frage pflichtgemäßer oder freiwil- kann davon ausgegangen werden, daß der Mikro- liger Auskunft im Innenausschuß mit Fachleuten zensus-Entwurf in seiner jetzt vorliegenden Fas- außerordentlich gründlich beraten. Zumindest auch sung den Vorgaben des Urteils des Bundesverfas- wir Berichterstatter waren in dieser Richtung sehr sungsgerichts vom 15. Dezember 1983 entspricht engagiert. Es wäre zweifellos wünschenswert, wenn und eine geeignete Grundlage für die Gewährlei- der Staat das, was er braucht, um Politik nicht in stung des Datenschutzes und der statistischen Ge- 10208 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985

Dr. Wernitz heimhaltung darstellt. Entsprechend dem Stellen- Vizepräsident Cronenberg: Nunmehr, Herr Abge- wert des Mikrozensus als einer nach wie vor not- ordneter Ströbele, haben Sie das Wort zu einem wendigen und zentralen Datenbasis im Rahmen Debattenbeitrag. des Gesamtgefüges der amtlichen Statistik und da- (Bohl [CDU/CSU]: Das wird dadurch nicht mit einer der wesentlichen Informationsquellen für besser! — Hornung [CDU/CSU]: Er hat Staat, Gesellschaft und Wissenschaft ist es zum ge- doch schon alles gesagt!) genwärtigen Zeitpunkt nicht angemessen, das Ele- ment der Freiwilligkeit über den im Gesetzentwurf jetzt vorgesehenen Rahmen hinaus zu realisieren. Ströbele (GRÜNE): Herr Präsident! Kolleginnen Wir haben dies alles sehr gründlich geprüft; der und Kollegen! Hier wird jetzt wieder einmal so ge- Kollege Broll hat das hier eben schon dargestellt. tan — bei einem ähnlichen Gesetz ist das schon ein- mal schiefgegangen —, als wenn alles „Friede, Wir haben uns auch durch verfassungsrechtliche Freude, Eierkuchen" sein könnte. So einfach ist es Stellungnahmen sachkundig gemacht. Die Auswer- mit diesem Gesetz nicht. Sie haben alle dieses Buch tung der Anhörung hat eindeutig ergeben, daß nach mit über 100 Fragen vor sich liegen, zum Teil noch weit überwiegender Auffassung aus dem Urteil einmal in ein Dutzend Einzelfragen untergliedert, nicht die zwingende Einführung der Freiwilligkeit die 600 000 Bürger in der Bundesrepublik beantwor- abzuleiten ist. Gleichwohl haben wir uns bemüht, ten sollen. die Freiwilligkeit der Erhebungen auszubauen und, (Hornung [CDU/CSU]: Alles wichtige Fra was wichtig ist, mit Testerhebungen etwas Neues gen!) zu wagen. Schließlich wollen wir auch auf dem Weg in die Freiwilligkeit auf gesicherter Grundlage wei- Es handelt sich hierbei um Fragen z. B. nach dem tergehen; das sollte man hier sehr deutlich ma- Heiratsdatum, nach dem Geburtsdatum der Kinder, chen. nach der Arbeitssuche, nach Krankheiten und nach ähnlichen Geschichten. Meine Damen und Herren, diese Zielsetzung kommt sehr klar auch in der Entschließung zum (Zuruf von der CDU/CSU: Wollen Sie das Tragen, die wir im Innenausschuß einmütig zur An- nicht beantworten?) nahme empfohlen haben und über die hier heute Schon einmal hat dieses Hohe Haus einmütig ein abgestimmt werden soll. solches Gesetz beschlossen, ohne daß hier irgend- welche Skrupel aufkamen, und das Bundesverfas- Entsprechend den Vorgaben des Volkszählungs- sungsgericht mußte Sie belehren, daß Sie wichtige urteils hat sich — das ist ein Punkt, auf den ich sehr Grundsätze des Grundgesetzes außer acht gelassen großen Wert lege — der Innenausschuß im Zuge der haben. Beratungen auch die Entwürfe der Erhebungsun- terlagen, die Fragebögen sowie den Entwurf der Uns geht es aber nicht nur darum, die vom Bun- Verordnung zur Durchführung des Mikrozensusge- desverfassungsgericht entwickelten Grundsätze setzes vorlegen lassen. Darüber hinaus hat der Aus- eingehalten zu wissen; wir, die GRÜNEN, vertreten schuß beschlossen, diese Entwürfe dem Ausschuß- hier im Bundestag den Teil der Bevölkerung, der bericht als Anlagen beifügen zu lassen. Dies ist mißtrauisch gegenüber diesem Staat und vor allen erfolgt. Dingen gegenüber dieser Regierung ist, der miß- trauisch ist, ob die angegebenen Zwecke dieses Ge- Zur zusätzlichen Verbesserung der Akzeptanz setzes die tatsächlichen Zwecke sind, und vor allen beim Bürger ist, einer entsprechenden Anregung Dingen, ob die angekündigten Ergebnisse tatsäch- aus der Anhörung folgend, in das Gesetz eine Rege- lich eintreffen werden. Wenn hier immer wieder so lung aufgenommen worden, die eine Datenzusam- getan wird — das war in der Anhörung vor dem menführung mit dem Ziel untersagt, einzelne Ausschuß so, und das ist heute wieder so —, daß Personen, Personengruppen oder Haushalte zu re- diese Erhebungen notwendig sind, um die Lage des identifizieren. Hier wird es von der inhaltlichen Ge- einzelnen Bürgers in diesem Staat verbessern zu staltung her durch einen Änderungsantrag noch können, dann glauben wir nach 30 Jahren Erhebun- eine Modifizierung geben, die dem verfassungs- gen, Statistik und Regierung daran einfach nicht. rechtlichen Gebot der Bestimmtheit aus der Sicht des Bundesrates besser Rechnung trägt. (Beifall bei den GRÜNEN — Hornung [CDU/CSU]: An was glauben Sie über Meine Damen und Herren, ich komme zum Ab- haupt!) schluß. Nachdem der Mikrozensus im Zusammen- Unser Mißtrauen geht aber auch nach den Erfah- hang mit dem Volkszählungsurteil in den Jahren - rungen deutscher Geschichte dahin, daß die Anony- 1983 und 1984 ausgesetzt wurde, haben wir mit dem misierung dieser Daten, die im Gesetz vorgesehen jetzt vorliegenden Gesetzentwurf unter Wahrung ist und deren Durchbrechung jetzt unter Strafe ge- der Karlsruher Vorgaben für 1985 und die folgen- stellt wird, tatsächlich in Zukunft auch hält, daß nie- den Jahre die Voraussetzungen geschaffen, daß die- mand eine Deanonymisierung vornimmt, weil es ses notwendige statistische Instrument als eine der auf Grund der erhobenen Daten ohne weiteres mög- wesentlichen Informationsquellen für Staat, Gesell- lich ist — Heiratsdatum, Geburtsdatum und all die schaft und Wissenschaft wieder zur Verfügung übrigen Erhebungsmerkmale —, festzustellen, wer steht. Die SPD-Bundestagsfraktion stimmt dem Ge- diese Auskünfte wann und wo gegeben hat. Das setz und der Entschließung zu. kann man nachträglich rekonstruieren. Weil wir (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der diesem Staat nicht glauben, daß er solchen Miß- FDP) brauch auch in Zukunft nicht zulassen wird, sind Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 10209

Ströbele wir gegen diese Totalerhebung der Daten von nannte Eheschließungsdatum und alle Daten zum 600 000 Bürgern in diesem Staate. Fremdenverkehr nach dem Gesetzentwurf auf der Wir sind auch noch aus einem letzten Grunde Basis der Freiwilligkeit erhoben werden. Kein gegen diese Erhebung: Die Erhebung einzelner Da- Mensch wird gezwungen, diese Fragen zu beant- ten — wie beispielsweise Datum der Heirat, Datum worten, sondern sie werden der freiwilligen Beant- der Geburt — steht in einer unseligen Tradition wortung des einzelnen anheimgestellt. deutscher Statistik. Es ist die NS-Fruchtbarkeits- Ich muß Ihnen sagen: Während wir anderen aus statistik aus der jüngsten Geschichte. allen Fraktionen wirklich Frage für Frage durchge- (Lachen bei der CDU/CSU — Zurufe von gangen sind und erörtert haben, wofür die Daten der SPD) notwendig sind, ob man sie zwangsweise oder frei- Mit Feststellungen über den Geburtsstand der Kin- willig erheben müsse, und uns mit den Sachverstän- der, über die Ehedauer sollte es möglich gemacht digen im einzelnen auseinandergesetzt haben, ha- werden, über ein oder zwei Generationen hinweg ben Sie sich fröhlich lächelnd zurückgelehnt und die Regenerationsgeschichte der Bevölkerung stati- gesagt: Wir wollen das ganze Gesetz nicht. Wenn stisch erfaßbar zu machen. Dies ist auch eines der das Ihre Beratungshaltung ist, dann verstehe ich Ziele dieser Datenerhebung. Das Institut für Bevöl- nicht, warum Sie sich hier über Einzelheiten des kerungspolitik in Wiesbaden braucht diese Daten Gesetzentwurfs aufregen, statt zu sagen: Wir wollen angeblich zur bevölkerungspolitischen Steuerung, das ganze Unternehmen nicht; Ende der Durchsa- zu wissenschaftlichen Zwecken hier in der Bundes- ge! republik. Was Sie machen, ist keine Haltung, mit der Sie Hier wurde Ihnen von den beiden Kollegen, die eine notwendige Konsequenz aus 30 Jahren deut- zuvor gesprochen haben, ein einheitliches Bild aus scher Geschichte ziehen können: Es geht um das dem Ausschuß dargestellt. So war es aber nicht. Bemühen, rationale Politik zu betreiben. Wenn man Sowohl der Vertreter der Freien Demokratischen in einem modernen Staat rationale Politik betrei- Partei als auch der der SPD — jedenfalls einer die- ben will, kommt man nicht daran vorbei, Struktur- ser Vertreter — haben bis zuletzt ganz erhebliche daten zur Grundlage von Entscheidungen zu ma- Bedenken geäußert, ob es richtig sei, den Bürger chen. Wer das bestreitet, ist, das muß ich sagen, ein auf Zwangsbasis, unfreiwillig zur Teilnahme an der Phantast und predigt eine Utopie, von der er weiß, Datenerhebung heranzuziehen. Diese Bedenken daß sie nicht funktionieren kann. werden von den GRÜNEN artikuliert. Die Vertreter (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der dieser Parteien haben sich nach der Diskussion SPD) zähneknirschend bereit erklärt, diesem Gesetzent- wurf zuzustimmen — ein letztes Mal, so wurde es Wir werden immer wieder danach gefragt, welche formuliert. Konsequenzen wir aus dem Volkszählungsurteil ziehen. Dieser Gesetzentwurf ist eine solche Konse- Es kann also keine Rede davon sein, daß in dem quenz, weil wir damit zeigen, wie man in der Tat Hearing und in der anschließenden sehr ausführli- Strukturdaten bei absolutem Schutz der Persön- chen Diskussion alle Bedenken ausgeräumt worden lichkeitssphäre des Bürgers erheben kann, der wären. Vielmehr bleiben die Bedenken nach wie nach einem Zufallsverfahren ausgesucht und gebe- vor bestehen. Aber der Druck der Interessenver- ten wird, eine Reihe von Fragen zu beantworten. In bände, vor allem der Industrie — und hier beson- diesem Gesetzentwurf ist zum Schutz der Privat- ders der Touristikindustrie —, ist so groß, daß sich sphäre in der Tat alles gemacht worden, was denk- diese Parteien dem Anliegen offenbar nicht mehr bar ist. Wir können dem Bürger versichern, daß er verschließen wollen. bei wahrheitsgemäßer Beantwortung der Fragen weder Nachteile zu befürchten noch zu besorgen Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter, hat, daß diese Daten auf den offenen Markt gelan- Ihre Redezeit ist abgelaufen. Nach dem was Ihnen gen. Herr Ströbele, Sie haben Bedenken angespro- eben zugestanden worden ist, müssen Sie jetzt chen, die wir in den Ausschußberatungen in der Tat Schluß machen. geäußert haben. Ströbele (GRÜNE): Ein letzter Satz: Wir sind des- Es gibt drei Punkte, in denen wir im Laufe der halb der Auffassung, daß dieser Mikrozensus-Ge- nächsten Jahre fortschreiten wollen. Dieser Gesetz- setzentwurf vom Deutschen Bundestag abgelehnt entwurf soll ja nur für fünf Jahre Gültigkeit bekom- werden muß. men, bis 1990. Danach werden wir weiter sehen. (Beifall bei den GRÜNEN) Einer der erwähnten drei Punkte ist, daß der Fra- genkatalog umfangreich geblieben ist. Ich glaube, Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat Herr Ab- die Statistiker und die Verwaltungen sollten einen geordneter Dr. Hirsch. größeren Mut haben, sich auch in ihren Anforde- rungen an den Gesetzgeber zu beschränken, d. h. Dr. Hirsch (FDP): Herr Präsident! Meine Damen ihrer eigenen Arbeit etwas kritischer gegenüberzu- und Herren! Man kann nur mit einiger Verblüffung stehen. zur Kenntnis nehmen, was hier vorgetragen wird. Das zweite ist: Wir werden mit der weiteren Ent- Wenn Sie schon einzelne Daten besonders angrei- wicklung der Befragungstechnik prüfen, ob und wie fen, Herr Kollege Ströbele, dann sollten Sie wenig- wir die Zahl der zu befragenden Bürger verringern stens sagen, daß z. B. das von Ihnen wiederholt ge- können. 10210 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag. den 14. Mai 1985

Dr. Hirsch Drittens. Wir werden entschlossen den Weg wei- zu Lasten der Bürger, die Hilfe des Staates brau- tergehen, der in diesem Gesetz und in der Ent- chen. schließung angelegt ist, die Statistik immer mehr (Bueb [GRÜNE]: So kann man Wahrheiten auf freiwillige Beantwortungen umzustellen, weil umkehren!) auch der Statistiker erkennen muß, daß er als Grundlage für eine zuverlässige Auskunft des Bür- Wir seitens der Bundesregierung begrüßen, daß gers weniger auf die Androhung eines Bußgeldes in den Ausschüssen dieses Hauses intensiv beraten vertrauen darf als auf die Bereitschaft des Bürgers, worden ist. In einer öffentlichen Anhörung haben bestimmte Daten für politische Entscheidungen zu sich die Datenschutzbeauftragten sowie Sachver- liefern. Wir müssen seine Einsicht wecken, daß der ständige aus den Bereichen Wirtschaft, Wissen- schaft und der amtlichen Statistik detailliert äu- Staat ohne die Mitarbeit des Bürgers wie mit einer Stange im Nebel herumfuhrwerkt. Wir brauchen ßern können. seine Mithilfe. Dann ist der Weg in die Freiwillig- Herr Staatssekretär, keit ein wichtiges Element, diese Mithilfe in wach- Vizepräsident Cronenberg: gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten sendem Maße zu erlangen. Ströbele? Wir werden diesem Gesetzentwurf zustimmen, weil er notwendig ist und weil wir der Überzeugung Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun- sind, daß er den Bürgern nicht etwa Nachteile zu- desminister des Innern: Ja. fügt, sondern die Grundlage für eine vernünftige Politik ist. Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) bitte schön. (GRÜNE): Herr Staatssekretär, können Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Herr Ströbele Parlamentarische Staatssekretär Dr. Waffen- Sie bestätigen, daß in den Vereinigten Staaten, die schmidt. heute mehrfach als Vorbild genannt worden sind, nur 60 000 Haushalte statt wie in der Bundesrepu- blik 250 000 Haushalte befragt werden und das al- Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun- lein auf freiwilliger Basis, daß also dort offenbar desminister des Innern: Herr Präsident! Meine sehr stärker auf die Freiwilligkeit geachtet wird? Ist das verehrten Damen und Herren! Sechs kurze Bemer- hier nicht ein Mißtrauen gegenüber der Bevölke- kungen möchte ich für die Bundesregierung ma- rung, das Sie zum Ausdruck bringen? chen: Zweck des Mikrozensus ist es, statistische Anga- Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun- ben in fachlicher Gliederung über die Bevölke- desminister des Innern: Ich kann Ihnen nur sagen: rungsstruktur, die wirtschaftliche und soziale Lage In den Vereinigten Staaten ist die Volkszählung, die der Bevölkerung, der Familien, den Arbeitsmarkt, Sie hier mit Ihren Initiativen wesentlich behindert die berufliche Gliederung und Ausbildung der Er- haben, schon längst durchgeführt worden, und man werbsbevölkerung sowie die Wohnverhältnisse be- hat dort eine viel breitere Grundlage statistischen reitzustellen. Materials, als wir sie leider in der Bundesrepublik Ich erkläre hier deutlich: Die Ergebnisse sind haben. Deshalb ist Ihr Vergleich völlig fehl am eine ganz grundlegende Voraussetzung für eine so- Platze. zialstaatliche Politik in Bund und Ländern. Damit (Beifall bei der CDU/CSU) verfolgt der Mikrozensus zugunsten aller Bürger Meine Damen und Herren, die Anhörung hat ge- wichtige Ziele der Daseinsvorsorge. Ich will hier zeigt, daß der Mikrozensus als statistisches Instru- deutlich sagen: Wer sich hier verweigert, verweigert ment wirklich unverzichtbar und auch als Vorbe- Daseinsvorsorge und ein Stück sozialer Vorsorge dingung für die Planmäßigkeit staatlichen Han- gerade für die Bürger, die Vorsorge brauchen. delns unentbehrlich ist. Ich will hier deutlich sagen: Ich will zu der Kritik, die hier von seiten der Ganz generell hat die Anhörung bestätigt, daß, wie GRÜNEN vorgetragen wurde, doch einmal sehr es das Bundesverfassungsgericht im Volkszäh- deutlich sagen: Kollege Ströbele, was Sie hier be- lungsurteil formuliert hat, eine Zunahme an Kom- treiben, ist doch im Grunde eine ganz klare Irrefüh- plexität der Umwelt, welche eine hochindustriali- rung der Bürger. Sie wollen bewußt Ängste und sierte Gesellschaft kennzeichnet, nur mit Hilfe ei- Mißtrauen schüren. Das ist verwerflich, meine Da- ner zuverlässigen Statistik aufgeschlüsselt und für men und Herren. gezielte Maßnahmen aufbereitet werden kann. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich begrüße es für die Bundesregierung aus- Ja, Sie wenden sich mit Ihrem Verhalten im Grunde drücklich, daß sich der Innenausschuß mit dem im gegen die Daseinsvorsorge, die wir für die Bürger Gesetzentwurf vorgesehenen Katalog der zu erhe- vornehmen wollen — auf Grund der nun einmal benden Sachverhalte sehr intensiv auseinanderge- unerläßlichen Daten. setzt hat und dabei auch streng restriktive Maß- stäbe angelegt hat. Das Bundesverfassungsgericht (Mann [GRÜNE]: Wir sind konsequent für hat es im Volkszählungsurteil zwar ausdrücklich Freiwilligkeit! Nehmen Sie das mal zur für zulässig erklärt, daß die erhobenen Daten nach Kenntnis!) ihrer statistischen Aufbereitung für die verschie- Im Grunde machen Sie, meine Damen und Herren densten — nicht von vornherein bestimmbaren — von den GRÜNEN, Politik gegen die Bürger, gerade Aufgaben verwendet werden. Gleichwohl bin ich Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn. Dienstag. den 14. Mai 1985 10211

Parl. Staatssekretär Dr. Waffenschmidt mit dem Innenausschuß der Auffassung, daß zu- schaft der Bevölkerung ermittelt werden soll, son- mindest bei bevölkerungsstatistischen Erhebungen dern — das will ich hier abschließend sagen — auch nur nach solchen Sachverhalten gefragt werden Wege erschlossen werden sollen, damit der Bürger soll, deren Nutzung für bestimmte staatliche das Angebot des Staates zur freiwilligen Mithilfe Zwecke bereits jetzt überzeugend begründet ist. bei statistischen Erhebungen verantwortungsbe- wußt annimmt. Mit Genugtuung, meine Damen und Herren, stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf den Anforde- Meine Damen und Herren, wir haben ein Gesetz, rungen des Bundesverfassungsgerichts an den Da- in dem wir so viel Freiwilligkeit, wie heute möglich tenschutz in vollem Umfang Rechnung trägt. Dies ist, anbieten, in dem wir aber auch das heute Not- sollte jeder zur Kenntnis nehmen. Niemand hat An- wendige an Solidarität zwischen Staat und Bürger laß und Grund, hier Mißtrauen zu schüren. Denn verlangen, wir sind auf dem Boden der Verfassung, meine Da- (Mann [GRÜNE]: Das war schon immer so, men und Herren. und das machen wir auch weiter so!) (Beifall bei der CDU/CSU) damit der Staat seine Aufgaben erfüllen kann: letzt- Die Frage der Auskunftspflicht nahm in den Be- lich zum Wohle des Bürgers und insbesondere zum ratungen der Ausschüsse und der Anhörung einen Wohle all der Bürger, die die Hilfe des Staates drin- breiten Raum ein. Dabei konnte nicht zuletzt auf gend brauchen. Grund von Gutachten, die der Innenausschuß ein- Herzlichen Dank. geholt hatte, in einer, wie ich meine, nicht mehr (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) anfechtbaren Weise nachgewiesen werden, daß das Volkszählungsurteil keine Befragungen auf der Grundlage freiwilliger Auskünfte in umfassender Weise fordert, sondern auch die anderen zuläßt. Vizepräsident Cronenberg: Meine Damen und Her- ren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. (Zuruf von den GRÜNEN: Sie können ja Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Ein- auch einmal politisch und nicht nur juri zelberatung und Abstimmung. stisch etwas tun!) Ich rufe die §§ 1 bis 14 in der Ausschußfassung Dies gilt jedenfalls unter den derzeitigen Bedingun- auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustim- gen und Verhältnissen. Ebenso muß die gelegent- men wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. lich aufgestellte Behauptung, die Ergebnisse eines (Mann [GRÜNE]: Große Koalition!) Mikrozensus mit Auskunftspflicht würden wegen einer zu erwartenden Verweigerungshaltung der — Enthaltungen? — Wer ist dagegen? — Die aufge- Bevölkerung verfälscht, als widerlegt angesehen rufenen Vorschriften sind mit großer Mehrheit an- werden. Von mehreren Sachverständigen ist in der genommen. Anhörung klar und eindeutig zum Ausdruck ge- Ich rufe § 15 auf. Auf Drucksache 10/3341 wird bracht worden, daß keine Erkenntnisse über solche unter Ziffer 1 von den Fraktionen der CDU/CSU Gefährdungen bestehen. Auch die guten Ergebnisse und FDP eine andere Fassung des § 15 beantragt. der EG-Arbeitskräftestichprobe, die in den Jahren Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen 1983 und 1984 mit einer Auskunftspflicht durchge- wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer führt worden ist, sprechen eindeutig gegen diese ist dagegen? — Enthaltungen? — Mit großer Mehr- immer wieder vorgetragenen negativen Vermutun- heit angenommen. Damit ist die aufgerufene Vor- gen. schrift in der Fassung des Änderungsantrages an- Lassen Sie mich abschließend dies sagen: Unab- genommen. hängig davon und von dem, was heute festgelegt Ich rufe die Nr. 2 des Änderungsantrages der werden mußte, sehe ich — zusammen mit dem In- Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Druck- nenausschuß des Deutschen Bundestages — in den sache 10/3341 auf. Es wird beantragt, einen neuen im vorliegenden Gesetzentwurf enthaltenen freiwil- § 15 a hinzuzufügen. Wer dem zuzustimmen ligen Befragungsteilen einen wichtigen Schritt für wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer die methodische Weiterentwicklung der Bundessta- ist dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsan- tistik. trag ist mit großer Mehrheit angenommen. (Mann [GRÜNE]: Sie haben sich ganz Ich rufe die §§ 16 und 17, Einleitung und Über- schön gesperrt!) - schrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufge- rufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den Ich teile auch die Auffassung des Innenausschus- bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist dagegen? ses, daß der eingeschlagene Weg, Bevölkerungsbe- — Enthaltungen? — Das ist mit großer Mehrheit fragungen als Bundesstatistiken, soweit dies eben angenommen. geht, auf freiwilliger Grundlage durchzuführen, konsequent mit dem Ziel fortgesetzt werden sollte, Meine Damen und Herren, nach der Annahme die Freiwilligkeit der Beantwortung durch die im der Änderungsanträge in der zweiten Lesung darf Mikrozensus vorgesehenen Erfordernisse soweit sich nach § 84 b unserer Geschäftsordnung die wie möglich zu erhalten. Es ist uns mit der Rege- dritte Beratung nur dann unmittelbar anschließen, lung des § 13 des Gesetzentwurfs sehr ernst, nach wenn auf Antrag einer Fraktion oder 5 v. H. der der über Testerhebungen mit freiwilliger Aus- Mitglieder des Bundestages zwei Drittel der anwe- kunftserteilung nicht nur die entsprechende Bereit senden Mitglieder dieses Hauses dies beschließen. 10212 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985

Vizepräsident Cronenberg Ein Antrag, die dritte Beratung jetzt unmittelbar wie der Abgeordneten Neuhausen, Dr.-Ing. anzuschließen, ist fristgerecht gestellt worden. Laermann, Frau Seiler-Albring, Frau Dr. Sind Sie damit einverstanden, sofort in die dritte Hamm-Brücher, Kohn, Baum und der Frak- Beratung einzutreten? tion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Bun- (Mann [GRÜNE]: Wir sind dagegen!) desausbildungsförderungsgesetzes (9. BAfö- — Die Zweidrittelmehrheit kann ich sehr schnell GÄndG) überprüfen lassen. Wer dafür ist, die dritte Lesung — Drucksache 10/2735 — jetzt anzuschließen, den bitte ich um das Handzei- chen. — Das sind offensichtlich mehr Stimmen als aa) Beschlußempfehlung und Bericht des die erforderliche Zweidrittelmehrheit. Ausschusses für Bildung und Wissen- Dann treten wir in die schaft (19. Ausschuß) dritte Beratung — Drucksache 10/3280 — ein. Berichterstatter: Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Abgeordnete Daweke Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte Frau Odendahl ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Das Gesetz ist mit großer Mehr- bb) Bericht des Haushaltsausschusses heit angenommen. (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäfts- ordnung Es ist noch über eine Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß emp- — Drucksache 10/3339 fiehlt auf Drucksache 10/3328 unter Nr. 2 die An- nahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen Berichterstatter: wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer Abgeordnete Dr. Diederich (Berlin) ist dagegen? — Enthaltungen? — Mit großer Mehr- Dr. Müller (Bremen) heit angenommen. Frau Seiler-Albring (Erste Beratung 121. Sitzung) Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 4 a c) Zweite und dritte Beratung des vom Bundes- bis 4 c auf: rat eingebrachten Entwurfs eines Neunten a) Zweite und dritte Beratung des von den Ab- Gesetzes zur Änderung des Bundesausbil- geordneten Büchner (Speyer), Kastning, dungsförderungsgesetzes (9. BAföGÄndG) Kuhlwein, Frau Odendahl, Frau Schmidt — Drucksache 10/3077 — (Nürnberg), Dr. Schmude, Toetemeyer, Vogel- sang, Weisskirchen (Wiesloch), Dr. Vogel und aa) Beschlußempfehlung und Bericht des der Fraktion der SPD eingebrachten Ent- Ausschusses für Bildung und Wissen- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bun- schaft (19. Ausschuß) desausbildungsförderungsgesetzes — Drucksache 10/3280 — — Drucksache 10/1749 — Berichterstatter: aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Abgeordnete Daweke Ausschusses für Bildung und Wissen- Frau Odendahl schaft (19. Ausschuß) — Drucksache 10/3280 — bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäfts- Berichterstatter: ordnung Abgeordnete Daweke Frau Odendahl — Drucksache 10/3339 — bb) Bericht des Haushaltsausschusses Berichterstatter: (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäfts- Abgeordnete Dr. Diederich (Berlin) ordnung Dr. Müller (Bremen) — Drucksache 10/3339 - Frau Seiler-Albring Berichterstatter: (Erste Beratung 129. Sitzung) Abgeordnete Dr. Diederich (Berlin) Dr. Müller (Bremen) Meine Damen und Herren, interfraktionell sind Frau Seiler-Albring eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungs- (Erste Beratung 91. Sitzung) punkte 4 a bis 4 c und ein Beitrag von fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ich sehe kei- b) Zweite und dritte Beratung des von den Ab- nen Widerspruch gegen diese Regelung. — Das ist geordneten Daweke, Graf von Waldburg-Zeil, damit so beschlossen. Nelle, Frau Rönsch, Schemken, Strube, Frau Dr. Wisniewski, Frau Männle, Rossmanith, Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? Dr. Rose und der Fraktion der CDU/CSU so — Das ist auch nicht der Fall. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 10213

Vizepräsident Cronenberg Dann hat der Herr Abgeordnete Daweke das Ich finde, das ist ein gutes Ergebnis. Ich möchte Wort. mich bei denjenigen bedanken, die uns geholfen haben, das zu erreichen, an die Spitze übrigens der Bundeskanzler, der seit jeher ein Faible für die Bil- Daweke (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Da- dungspolitik hat. men und Herren! Als wir im Herbst 1982 in diesem Hause die Spargesetze beschließen mußten, um den (Kuhlwein [SPD]: Wir haben aber auch ge Haushalt in Ordnung zu bringen, holfen!) (Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: BAföG- — Daß die SPD uns geholfen hat, kann man über- Kahlschlag!) haupt nicht sagen; denn Sie haben einen sehr mickerigen Gesetzesvorschlag vorgelegt. Er hätte haben wir die Kollegschüler, die Abendschüler und denjenigen, denen wir helfen wollen, z. B. Zeitsolda- die auswärts untergebrachten Schüler von den Ein- ten, z. B. Zivildienstleistenden, z. B. Frauen und sparmaßnahmen im BAföG ausgenommen. Gleich- Männern, wohl waren wir der Auffassung, daß auch sie einen kleinen Beitrag zur Konsolidierung bringen muß- (Kuhlwein [SPD]: Vor einem Jahr habt ihr ten, und haben deshalb überlegt, ob wir die Kolle- in namentlicher Abstimmung alles abge giatenförderung um 6 % absenken sollten oder ob lehnt, und heute wird es beschlossen!) wir diese Gruppe durch die Streichung des BAföG die zu Hause ein Kind aufziehen, überhaupt nicht für den Monat August, den Ferienmonat, wo sich geholfen. Deshalb ist das mit dem Dank an Sie diese Gruppe nach unserer Auffassung auch um natürlich so eine Sache. Arbeitsplätze auf dem Arbeitsmarkt bemühen Ich möchte aber auch denjenigen danken, die uns konnte, in die Sparüberlegungen einbeziehen soll- in großem Ernst beraten, gesagt haben, wie wir uns ten. verhalten sollten. Das sind diejenigen Betroffenen, (Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: In den die uns geschrieben und uns ihre Probleme darge- BAföG-Kalschlag!) stellt haben. Bei der Gelegenheit möchte ich auch Wir haben uns damals für den zweiten Weg ent- sagen, daß uns diejenigen nicht geholfen haben, die schlossen. uns angeschrieen haben, die uns in Kollegiatenver- sammlungen haben fragen lassen, ob sie an dem Als wir mit den Betroffenen redeten, haben wir Ort richtig seien, wo sie untergebracht seien. Das allerdings festgestellt, daß sich diese Regelung aus Geschrei, das dort teilweise zu hören war, war nicht mancherlei Gründen nicht bewährte. Die Gerichte sehr hilfreich. Ich möchte deshalb noch einmal aus- haben sehr unterschiedliche Haltungen eingenom- drücklich sagen, daß diejenigen den Gang der Ge- men, die Möglichkeiten, auf dem Arbeitsmarkt ei- setzgebung wesentlich beschleunigt haben, die uns nen Arbeitsplatz zu finden, waren nicht so, wie wir in großem Ernst und, ich glaube, auch in einer fai- uns das vorgestellt hatten. Wir haben dann gesagt: ren Weise geraten haben, etwas zu tun. Wir werden uns bemühen, diese Regelung wieder rückgängig zu machen und gleichzeitig zusätzlich Ich darf Sie bitten, unserem Vorschlag zuzustim- einige andere Gruppen in die Förderung für den men. August aufzunehmen. Schönen Dank. Dieser Gesetzentwurf liegt Ihnen heute vor. Wir (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) haben ihn in den Ausschußberatungen insofern noch einmal nachgebessert, als wir darauf verzich- tet haben, die ursprüngliche Einsparsumme von un- Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat Frau Ab- gefähr 20 Millionen DM, die uns von unseren Fi- geordnete Odendahl. nanzpolitikern vorgegeben war, in den Gesetzent- wurf aufzunehmen, und zwar aus folgendem Grund: Wir waren der Auffassung, daß man die schon im Frau Odendahl (SPD): Herr Präsident! Verehrte Zuge der Sparmaßnahmen 1981 ff. von der alten Ko- Kollegen! Verehrte Kolleginnen! Lassen Sie mich alition beschlossene Altersgrenze absenken könne, im Gegensatz zu Herrn Daweke kurz ein bißchen um auf diese Weise die Sparsumme zu erreichen. auf die für die Regierungskoalition wenig ruhmrei- che, aber insgesamt typische Vorgeschichte dieser Nun hat sich aber herausgestellt, daß für viele neunten BAföG-Novelle eingehen. Gruppen Sonderregelungen notwendig geworden wären, wenn wir die Altersgrenze von 30 auf (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr spitz!) 27 Jahre abgesenkt hätten. Wir haben an die- Über- — Ich kann es auch weniger spitz und schwäbisch siedler aus der DDR gedacht, wir haben an diejeni- sagen, wenn es denn nützt. gen gedacht, die sich in Warteschleifen befinden und deshalb von dieser Regelung betroffen werden Vor etwas mehr als einem Jahr war es so weit. Da könnten, ohne daß sie selbst etwa den späteren Be- mußte selbst der für diesen von der Wenderegie- ginn ihres Studiums zu verantworten hätten. Des- rung gewollten BAföG-Kahlschlag verantwortliche halb haben wir uns in den Ausschußberatungen Bundeskanzler eingestehen — ich zitiere ihn —, zum Schluß dazu durchgerungen, dem Deutschen „daß beim Schüler- und Studenten-BAföG der Kahl- Bundestag diesen Einsparvorschlag nicht mehr vor- schlag möglicherweise zu hart war". Leider blieb zulegen, sondern nunmehr die August-Förderung diese Einsicht — auch das ist typisch — ohne Kon- aufzunehmen und die Mittel aus dem Etat des Bun- sequenzen. desbildungsministers zur Verfügung zu stellen. (Daweke [CDU/CSU]: Hören Sie mal!) 10214 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985

Frau Odendahl — Als die SPD-Bundestagsfraktion die Wiederher- Aber nicht nur deshalb, sondern weil wenigstens stellung der Förderung für den Ferienmonat Au- eine kleine Korrektur des BAföG-Kahlschlags er- gust für Kollegiaten und Abendgymnasiasten und reicht wird. die wenigen Schüler, die überhaupt noch BAföG Lassen Sie mich aber hier mit aller Deutlichkeit erhalten, beantragte, haben die Koalitionsfraktio- sagen — vielleicht hat Sie der vergangene Sonntag nen diesen Antrag am 13. April 1984 in namentli- etwas hellhörig gemacht —: Wir bleiben bei unserer cher Abstimmung abgelehnt, Herr Daweke. Die Be- Grundsatzposition. Die SPD fordert die Wiederher- troffenen konnten sehen, wie sie im August über stellung des Schüler-BAföG in der alten Form und die Runden kamen. die Rückkehr zum Teildarlehen bei der Studenten- (Kuhlwein [SPD]: Das steht alles im Proto förderung. koll!) (Beifall bei der SPD) Viele von ihnen sind in soziale Not geraten. Zu dieser BAföG-Historie gehört noch etwas. Als Wir haben uns trotzdem nicht abschrecken las- der BAföG-Kahlschlag im Dezember 1982 hier im sen. Vielmehr haben wir mit immer wieder einge- Bundestag gegen die Stimmen der SPD durchge- brachten Anträgen ständig versucht, wenigstens die setzt wurde, versprach die Regierung Hilfen für die gröbsten Ungerechtigkeiten des unsinnigen Kahl- Ausbildung der Kinder im Rahmen des Familienla- schlags zu beseitigen. Die vorher erwähnte Einsicht stenausgleichs. des Bundeskanzlers hat dabei wenig geholfen. Viel- (Daweke [CDU/CSU]: Kommt!) mehr ist es dem hartnäckigen Drängen der Betrof- Vor über einem Jahr in der schon erwähnten De- fenen zu verdanken — ich will jetzt keine Noten verteilen, wer da richtig und wer falsch gedrängt batte am 13. April 1984 hat die Bundesbildungsmini- hat —, daß die Koalitionsfraktionen endlich zur sterin gesagt: Vernunft gekommen sind und nun wenigstens die- Die Bundesregierung wird dafür Sorge tragen, sen unabweisbaren Korrekturen heute zustimmen. daß im Rahmen eines neu geordneten Famili- enlastenausgleichs die Lasten der Familien für (Beifall bei der SPD) die Ausbildung ihrer Kinder Berücksichtigung Je mehr Briefe sich auf Ihren Schreibtischen sta- finden. pelten, in denen die Kollegiaten und Abendschüler (Kuhlwein [SPD]: Hört! Hört!) ihre soziale Lage schilderten, desto mehr stieg die Bereitschaft, Ihr Verhalten vom 13. April 1984 zu Die SPD stellt fest — ihre Vorschläge liegen be- revidieren. Für diese Unterstützung unserer Arbeit reits auf dem Tisch —, daß dieses Versprechen der möchte ich mich im Namen der SPD-Bundestags- Bundesbildungsministerin gebrochen wurde. Von fraktion ganz herzlich bedanken. einem wirklichen Ausgleich der Lasten für die Fa- milien, deren Kinder sich in der Ausbildung befin- (Beifall bei der SPD) den, kann nicht die Rede sein. Die Vorschläge zur Unterstützt wurden wir auch über den Bundesrat. steuerlichen Entlastung bevorzugen lediglich die Denn auch in den Ländern häuften sich die Be- Gutverdienenden, während die Familien mit einem schwerden über diese unsoziale Ferienbescherung. Durchschnittseinkommen nahezu leer ausgehen Wir hatten von seiten der SPD beantragt, die Wie- und für die wirklich Armen gar nichts übrig bleibt. derherstellung der August-Förderung rückwirkend, (Beifall bei der SPD — Carstensen [Nord also auch für 1984, zu beschließen. Auch unser An- strand] [CDU/CSU]: Genau nicht wahr! Un trag auf die generelle Einbeziehung der verheirate- sinn!) ten und elternunabhängigen Geförderten fand keine Zustimmung. Die Folgen sind heute schon offenkundig: drama- tische Rückgänge bei den Gefördertenzahlen, auch Als das BAföG-Hindernisrennen fast gelaufen an den Universitäten, wobei Kinder aus einkom- war und auch der Haushaltsausschuß zugestimmt mensschwachen Familien gar nicht mehr zum Stu- hatte, fiel den Kahlschlagspezialisten in der Regie- dium kommen oder aus Angst vor der hohen Ver- rung eine neue Hürde ein: die Herabsetzung des schuldung BAföG nicht mehr beantragen. Was Re- Berechtigtenalters von 30 auf 27 Jahre. gierung, CDU/CSU und FDP Familienpolitik nen- nen, ist nichts anderes als die gewollte Umvertei- (Kuhlwein [SPD]: Hört! Hört!) lung von unten nach oben, krasser Egoismus der Es bedurfte aller Mühe und ist nun wirklich in letz- Wohlhabenden und Zerstörung jeglicher Chancen- ter Minute gelungen, die Koalitionsfraktionen- von gleichheit diesem verheerenden Plan abzubringen. (Beifall bei der SPD — Eigen [CDU/CSU]: (Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Frauen Völliger Unsinn! — Daweke [CDU/CSU]: freund Geißler!) Das ist ungeheuer!) Die Bundestagsfraktion der SPD stimmt heute oder auch — weil Sie diesen Begriff lieber haben — dieser Neunten Novelle zu. der Chancengerechtigkeit. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch hier bei der Ausbildungsförderung wird deutlich: Mit Gerechtigkeit hat diese Politik nichts, Ein kleines Geburtstagsgeschenk, Herr Daweke! aber auch gar nichts zu tun. (Daweke [CDU/CSU]: Ich bedanke mich!) (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 10215

Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- Bericht kann die Grundlage für eine sorgfältige Er- ordnete Neuhausen. wägung bieten. (Zurufe von der SPD: Könnt ihr nichts zu Nun ist öfters vorgeworfen worden, das habe alles sagen! — Da seid ihr platt!) zu lange gedauert. Implizit hat das soeben auch Frau Odendahl getan. Aber wer ein bißchen Erfah- Neuhausen (FDP): Herr Präsident! Meine Damen rung hat, weiß, daß sich das leichter behaupten als und Herren! Wir sind nicht platt, wie von da drüben beheben läßt. Schließlich — um mich auf die Volks- gemutmaßt wird, sondern wir haben ja eigentlich weisheit zurückzuziehen —: Was lange währt, wird erwartet, daß die SPD ihre Freude über das, was endlich gut. heute erreicht wird, verbergen muß, weil sie sonst in dem Freund-Feind-Schema nicht verharren (Kuhlwein [SPD]: Demokrit!) könnte, an das sie sich in ihrer Sprache gewöhnt Oder: Gut Ding will Weile haben. Das ist nicht von hat. Demokrit, sondern aus unserem ureigenstem Volks- Meine Damen und Herren, wir haben über das empfinden, lieber Herr Kuhlwein. Thema der Wiederaufnahme der sogenannten Au- Ich hätte diese Ausführungen ja gern damit ge- gust-Zahlung für die durch BAföG geförderten schlossen — und ich wage es immer noch zu tun —, Schüler hier schon verschiedene Male gesprochen. daß ich die Hoffnung habe, daß wenigstens in die- Ich freue mich sehr — ich schließe mich da an sem einen Punkt jenseits oder unterhalb dieser rhe- Klaus Daweke an —, daß es soweit ist, eine Härte torischen Worthülsen, die hin- und herfliegen, eine zu beseitigen, die sich beim Vollzug der Änderun- bestimmte Art Konsens in dieser wichtigen Frage gen des BAföG gezeigt hat und die eben auch auf der Ausbildungsförderung besteht, daß dieses Unstimmigkeiten im Verhältnis zu anderen Geset- Thema in Bewegung bleibt und daß wir noch öfters zen und Verordnungen zurückzuführen war, aber darüber zu debattieren haben werden. auf keinen Fall auf so finstere Absichten, wie sie Vielen Dank. Frau Odendahl jetzt wieder rhetorisch unterstellt hat. Ich will das, was ich hier schon ein paarmal zu (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und bei diesem Thema gesagt habe, nicht wiederholen. Die Abgeordneten der SPD) aus den Daten und der Verlängerung bis heute sichtbar werdende Frist zeigt ja, wie viele Einzel- Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat Frau Ab- heiten zu klären, zu untersuchen und zu gewichten geordnete Zeitler. waren. Andererseits muß ich in allem Ernst sagen: Es wäre nicht verantwortungsvoll, diese Fragen nicht auch im Zusammenhang mit den notwendi- Frau Zeitler (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Da- gen Konsolidierungsbemühungen immer wieder zu men und Herren! Ich finde es peinlich und auch untersuchen. Wir können nicht so tun, als ob ein- beschämend, wie Sie sich hier um eine Sache win- zelne Punkte im luftleeren Raum hingen. Das war den, die so viele Menschen betroffen gemacht hat, früher nicht der Fall, das ist jetzt nicht der Fall. und das alles nur, um den groben Schnitzer vom vorigen Jahr zurückzunehmen, und das auch nur — Das galt auch hinsichtlich des in dem Gesetzent- darauf hat die Kollegin von der SPD schon hinge- wurf der Fraktionen enthaltenen Vorschlags einer wiesen —, weil es waschkörbeweise Protestbriefe Herabsetzung der Altersgrenze. Dieser Vorschlag gab und an fast allen Schulen Aktionen und Diskus- war nicht Bestandteil der ersten Verabredungen ge- sionen dazu gelaufen sind. wesen, auch nicht des Beschlusses des Haushalts- ausschusses vom 4. November 1984. Außerdem stell- (Daweke [CDU/CSU]: Da rotierten Sie ten sich neue Unstimmigkeiten heraus, die die Not- doch ganz woanders rum, da haben wir wendigkeit zusätzlicher, aus sachlichen Gründen schon diskutiert!) unumgänglicher Ausnahmeregelungen mit sich ge- — Da rotierte ich genau an diesen Schulen herum. bracht hätten. Ich habe darauf in der Debatte am Scheinheilig ist, wie Sie jetzt darauf reagieren. 9. Februar ausführlich hingewiesen. Es zeigte sich, Da war ja zuerst der Versuch, die einen gegen die daß der Verwaltungsaufwand, der sich so ergäbe, in anderen auszuspielen, also den 27- bis 30jährigen keinem vernünftigen Verhältnis zu dem beabsich- den Zugang zu BAföG zu verwehren und den ande- tigten Ziel stände. ren die August-Förderung wieder zu gewähren. Ich Ich sagte schon, daß wir uns der Konsolidierungs- weiß nicht, ob Sie ernstlich damit gerechnet haben, notwendigkeiten bei unseren Überlegungen durch- damit durchzukommen. Aber einen Versuch ist Ih- aus bewußt waren und bewußt sind. Dabei -sollte für nen das ja immer wert, eine längerfristige Betrachtung auch der Aspekt der zurückgehenden Schülerzahlen berücksichtigt (Mann [GRÜNE]: So ist es!) werden, der ja nun auch die Sekundarstufe II der noch dazu, wenn man das Ganze dann so vor sich Schulen erreicht hat und nicht ohne Einfluß auf den herschiebt, daß bei den Betroffenen die Befürch- Finanzbedarf bleibt. tung besteht, entweder wieder kein BAföG für Au- Der Entwurf in der Ausschußfassung sieht also gust zu bekommen oder die Bedingungen der Re- die Herabsetzung der Altersgrenze nicht vor. Aller- gierung akzeptieren zu müssen. Das finde ich un- dings ist in der Beschlußempfehlung des Ausschus- moralisch. Denn Sie spielen hier mit jungen Men- ses eine Forderung an die Bundesregierung enthal- schen, die wirklich existenzielle Sorgen haben. ten, bis Mitte Mai 1988 einen Bericht über die Er- (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeord fahrungen mit der Altersgrenze vorzulegen. Dieser neten der SPD) 10216 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985

Frau Zeitler Aber vielleicht ist Ihnen das gar nicht deutlich. und wenn sie am Interesse der Arbeitnehmer z. B. Denn sonst hätten Sie den Fehler vom vorigen Jahr an Weiterbildung ausgerichtet ist. wiedergutmachen müssen, d. h. Sie hätten der For- Aber obwohl die Regierung lautstark erst neulich derung der SPD, die auch unsere ist, nachkommen bei der Debatte über das Beschäftigungsförde- und das August-BAföG '84 rückwirkend auszahlen rungsgesetz die Flexibilität der Arbeitnehmer und müssen. ihre Anpassung an den Arbeitsmarkt forderte, will (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeord sie den Menschen, die freiwillig aus eigener Motiva- neten der SPD) tion heraus ihren Arbeitsplatz freimachen, Steine in den Weg legen. Gerade den Menschen, die eh Wenn Sie das mit dem Hinweis auf den Verwal- schon einen Einkommmensverzicht in Kauf neh- tungsaufwand versagen, dann wissen Sie wirklich men, weil sie im zweiten Bildungsweg eine Chance nicht, was für die Leute vom zweiten Bildungsweg für ihren weiteren Lebensweg sehen, soll aus Al- letzten Sommer abgelaufen ist. tersgründen diese klägliche Unterstützung über Ich möchte Ihnen das einmal ein bißchen an Ih- BAföG vorenthalten werden — und das bei über rer eigenen Situation verdeutlichen. Können Sie 10% Arbeitslosen. Hier ist doch jede Altersgrenze sich eigentlich vorstellen, daß Sie in den Monaten sinnlos. Juli/August kein Gehalt und keine Aufwandsent- Im Grunde genommen sind die Streichung des schädigung bekommen? Sie hätten doch wahrlich August-BAföG und die Senkung der Altersgrenze Gelegenheit, von Ihrem Einkommen etwas für diese auf 27 Jahre nur kleine mißlungene Versuche aus Zeit zurückzulegen. Oder Sie könnten sich ja auch der Serie Ihrer Aktivitäten, aus dem Ausbildungs- einen Ferienjob besorgen. Sie haben bestimmt bes- förderungsgesetz ein Ausbildungsförderungsver- sere Drähte zu Unternehmen als die Kollegschü- botsgesetz zu machen. ler. (Beifall bei den GRÜNEN) Sie haben bestimmt auch bessere Verbindungen zu den Banken oder haben Ihren Überziehungskre- Vizepräsident Cronenberg: Frau Abgeordnete, ich dit noch nicht voll ausgeschöpft. muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen. (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Wir haben Kredit!) Frau Zeitler (GRÜNE): Ein Satz noch. Unserer — Eben. Das sind nämlich alles Ratschläge, die Sie Meinung nach stünde es an, den Jugendlichen De- oder die Behörden den Betroffenen erteilt haben. mokratie und Freiheit erfahrbar zu machen; nicht Wenn Sie mir das nicht glauben, dann kann ich durch salbungsvolle Reden, sondern durch die Er- Ihnen das schriftlich vorlegen. möglichung einer unabhängigen, menschenwürdi- gen Existenz, d. h. durch ein ausreichendes, nicht an (Mann [GRÜNE]: Unglaublich ist das!) Bedingungen geknüpftes Mindesteinkommen auch Aber wir reden bestimmt auch nicht von densel- und gerade während Bildungs- und Ausbildungszei- ben Leuten. Sie haben ja an einem Tag fast soviel ten. zur Verfügung wie die Kollegiaten und Schüler in Ich danke Ihnen. einem ganzen Monat. Was das für demokratische (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeord Verhältnisse sind! Sie brauchen sich wirklich nicht neten der SPD) zu wundern, wenn die Jugendlichen den Glauben an unsere Gesellschaftsordnung verlieren. Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Parla- (Beifall bei den GRÜNEN) mentarische Staatssekretär Pfeifer. Nun noch zu einem weiteren Punkt. Von dem un- würdigen Tauziehen um die Herabsetzung der Al- Pfeifer, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister tersgrenze hat die SPD ja schon berichtet. Was sie für Bildung und Wissenschaft: Herr Präsident! allerdings nicht sagt, ist, daß sie vor ein paar Jah- Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu- ren, nämlich 1979, die Altersgrenze bereits von 35 nächst sagen, daß der vorliegende Gesetzentwurf auf 30 Jahre gesenkt hat. Unter diesen Umständen einige wichtige Verbesserungen in der Ausbil- wundert es nicht, daß niemand in diesem Parla- dungsförderung enthält. Das ist im einzelnen darge- ment über die Sinnhaftigkeit einer Altersgrenze stellt worden. Ich möchte nochmals darauf hinwei- überhaupt redet; denn Gründe, die Altersgrenze fal- sen: Nicht nur die Tatsache, daß die August-Rate in lenzulassen, gäbe es genügend. der Schülerförderung wieder bezahlt wird, rechne ich zu den wichtigen Verbesserungen, sondern bei- (Zuruf des Abg. Eigen [CDU/CSU])- spielsweise auch die Tatsache, daß wir für die Stu- Heute, da viele Jugendliche nach dem Motto „Ir- dierenden im Ausland künftig wieder Stipendien gendeine Lehrstelle ist besser, als unqualifiziert ar- bezahlen wollen und damit einen wesentlichen Im- beitslos zu sein" handeln müssen und keine Ausbil- puls zur Förderung des Auslandsstudiums geben. dung nach ihren Wünschen und Fähigkeiten erhal- (Daweke [CDU/CSU]: Sehr richtig!) ten, könnte es für eine Reihe von ihnen eine Chance Lassen Sie mich, Frau Kollegin Odendahl, zu drei sein, in einem späteren Lebensabschnitt über den kritischen Einwendungen etwas sagen, die Sie hier zweiten Bildungsweg einen Neuanfang zu machen. vorgetragen haben. Ich bedauere es im Grunde ge- Für eine Abschaffung der Altersgrenze würde nommen, daß diese Debatte, in der unter den Bil- ebenfalls die sinnvolle Flexibilisierung von Arbeits- dungspolitikern in der Sache Einigkeit besteht, von kraft sprechen; sinnvoll deshalb und nur dann, weil Ihnen zur Kontroverse benutzt wird. Aber nachdem Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 10217

Parl. Staatssekretär Pfeifer Sie sie benutzt haben, muß ich j a wohl etwas dazu des Steuerpflichtigen untergebracht sind, von 1 200 sagen. auf 1 800 DM, bei auswärtiger Unterbringung von 2 100 auf 3 000 DM und bei Kindern unter 18 Jahren bei auswärtiger Unterbringung von 900 auf 1 200 Vizepräsident Cronenberg: Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten DM. Kuhlwein? Diese Maßnahmen — es kommen weitere dazu — stellen eine wesentliche Verbesserung des Famili- enlastenausgleiches gerade für die Familien dar, Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kuhl- wein, darf ich mit Rücksicht auf die Zeit bitten, daß (Kuhlwein [SPD]: Wo ist der Ausgleich für Sie keine Zwischenfragen stellen. die Leute, die wenig verdienen?) (Kuhlwein [SPD]: Dann muß ich es gleich die Kinder und Jugendliche in der Ausbildung ha- als Zwischenruf machen!) ben. Ich meine, daß dies Anerkennung und nicht die Erstens. Sie haben kritisiert, daß wir einen Ein- Kritik verdient, die Sie zum Ausdruck gebracht ha- sparungsvorschlag vorgelegt haben. Ich halte die- ben. sen Einsparungsvorschlag in der Sache nach wie (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) vor für vertretbar. Aber wenn Sie das schon kritisie- ren, dann frage ich mich eigentlich: mit welcher Vizepräsident Cronenberg: Meine Damen und Her- Berechtigung, nachdem der Gesetzentwurf, von ren! Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. dem Sie ausgegangen sind, in seinen Auswirkungen Ich schließe damit die Aussprache. sehr viel weiter hinter dem zurückgeblieben ist, was heute beschlossen wird? Denn Sie wollten ja einen Wir kommen zur Einzelberatung und Abstim- Teil der Schüler, die wir jetzt in die August-Förde- mung, und zwar zunächst über den Gesetzentwurf rung einbeziehen, in Ihrem Ausgangsgesetzentwurf der Koalitionsfraktionen auf Drucksache 10/2735 gar nicht einbezogen wissen. zum Tagesordnungspunkt 4 b. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschuß- (Kuhlwein [SPD]: Nachdem Sie uns das im fassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zu- April schon abgelehnt hatten! Das ist doch zustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzei- unaufrichtig, Herr Pfeifer!) chen. — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Mit Daß wir hier unter dem Gesichtspunkt der Konsoli- großer Mehrheit angenommen. dierung bei der Ausweitung des Gesetzentwurfes Wir treten in die uns auch Gedanken darüber gemacht haben, dritte Beratung (Kuhlwein [SPD]: Haben Sie uns alles ab gelehnt! — Daweke [CDU/CSU]: Der Kuhl ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem wein schreit wie Brandt!) Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — wie man zu Einsparungen kommen kann, sollte von Ihnen nicht kritisiert, sondern zunächst einmal an- Enthaltungen? — Damit ist das Gesetz einstimmig angenommen. erkannt werden. Der zweite Punkte, den ich darstellen möchte: Zum Tagesordnungspunkt 4 a und 4 b empfiehlt Frau Kollegin Odendahl, Sie sprechen von einem der Ausschuß unter Nr. 2 seiner Beschlußempfeh- dramatischen Rückgang bei den Gefördertenzah- lung auf Drucksache 10/3280, die Gesetzentwürfe len. Mir liegen die Zahlen der Studierenden des ver- für erledigt zu erklären. Wer dieser Beschlußemp- gangenen Herbstes vor. Die Zahl der erstsemestri- fehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das gen Studenten ist um cirka 6 1)/0 zurückgegangen. Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? Nach einer Aufstellung des deutschen Studenten- — Das ist ebenfalls einstimmig angenommen. werkes sind die Erstanträge auf BAföG dagegen um Es ist noch über eine weitere Beschlußempfeh- 4,1 % zurückgegangen. Eine dramatische Entwick- lung des Ausschusses abzustimmen: Der Ausschuß lung kann ich überhaupt nicht erkennen. Daß es empfiehlt auf Drucksache 10/3280 unter Nr. 3 die einen Rückgang der Erstsemesterstudentenzahlen Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen gegeben hat, hat seine Ursache wohl darin, daß sich wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer junge Menschen heute mit Recht wieder etwas stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Das ist eben- mehr Gedanken über die Berufschancen nach dem falls einstimmig angenommen. Studium machen. Mit dem BAföG hat das nichts zu tun. - Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf: Dritter Punkt. Sie haben kritisiert, daß die Hilfen für die Familien mit Kindern nach dem Familienla- Zweite und dritte Beratung des von der Bun- stenausgleich in der Regierungsvorlage nicht aus- desregierung eingebrachten Entwurfs eines reichend enthalten seien. Dazu will ich folgendes Gesetzes zur Anpassung rechtlicher Vor- sagen: Der Kinderfreibetrag wird von 432 DM auf schriften an das Adoptionsgesetz (Adoptions- 2 484 DM erhöht, anpassungsgesetz — AdAnpG) (Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Was hat — Drucksache 10/1746 — das mit der Ausbildung zu tun?) Beschlußempfehlung und Bericht des die Ausbildungsfreibeträge werden erhöht, und Rechtsausschusses (6. Ausschuß) zwar für die Kinder über 18 Jahre, die im Haushalt — Drucksache 10/3216 — 10218 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985

Vizepräsident Cronenberg Berichterstatter: gen? — Das Gesetz ist in dritter Lesung einstimmig Abgeordnete Lowack angenommen. Dr. Schwenk (Stade) (Erste Beratung 89. Sitzung) Die Geschäftsführer haben mir inzwischen mit- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 e der geteilt, daß dieser Tagesordnungspunkt ohne De- Tagesordnung auf: batte behandelt werden soll. a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Der Berichterstatter hat um das Wort gebeten. — Frau Schmidt (Nürnberg), Dr. Hauff, Dr. Ich erteile Ihnen das Wort. Holtz, Müller (Schweinfurt), Jaunich, Frau Blunck, Bachmaier, Egert, Schmitt (Wiesba- den), Antretter, Frau Dr. Hartenstein, Dr. Dr. Schwenk (Stade) (SPD): Herr Präsident! Meine Hauchler, Oostergetelo, Stiegler, Reuter, Dr. Damen und Herren! Es handelt sich bei diesem Ge- Vogel und der Fraktion der SPD eingebrach- setz um ein Artikelgesetz, bei dem außerordentlich ten Entwurfs eines Gesetzes zur Verringe- komplizierte gesetzestechnische Arbeit geleistet rung der Tierversuche werden mußte. Kurz vor dieser Beratung ist noch aufgefallen, daß zwei kleine Textänderungen nötig — Drucksache 10/2703 — sind, um die Abfolge zu verdeutlichen. Im Einver- Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: nehmen mit dem anderen Berichterstatter bzw. den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Geschäftsführern lese ich, um das Gesetz zu ver- (federführend) Innenausschuß vollständigen, diese Änderungen vor. Rechtsausschuß Die erste Änderung betrifft Artikel 9: Änderung Verteidigungsausschuß Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit des Bundesumzugskostengesetzes. Der Gesetzes Ausschuß für Forschung und Technologie kopf erhält folgende Fassung: Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Das Bundesumzugskostengesetz in der Fas- Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO sung der Bekanntmachung vom 13. November b) Erste Beratung des von der Bundesregierung 1973 (BGBl. I S. 1628), zuletzt geändert durch eingebrachten Entwurfs eines Ersten Geset- § 16 der Verordnung vom 18. Dezember 1984 zes zur Änderung des Tierschutzgesetzes (BGBl. I S. 1645), wird wie folgt geändert: — Drucksache 10/3158 Die zweite Änderung betrifft Artikel 17: Ände- —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: rung des Gesetzes über eine Altershilfe für Land- Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten wirte. Nr. 1 Buchstabe a erhält folgende Fassung: (federführend) Sportausschuß In Absatz 1 Satz 1 wird die Textstelle „(§ 1262 Rechtsausschuß Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung), seine Ausschuß für Wirtschaft Pflegekinder im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Verteidigungsausschuß Nr. 6 des Bundeskindergeldgesetzes sowie Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Forschung und Technologie seine Enkel und Geschwister, die er in seinen Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushalt aufgenommen oder überwiegend un- Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO terhalten hat" ersetzt durch „und Kinder im c) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Sinne des § 1267 Abs. 1 a der Reichsversiche- rungsordnung". Tierschutzgerechte Nutztierhaltung (Vorsitz : Vizepräsident Frau Renger) — Drucksache 10/2704 — Wir mußten dieses Verfahren wählen, weil wir Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: nicht mehr in der Lage waren, überall noch eine Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Druckvorlage hinzulegen. Wir wollten, daß dieses d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gesetz so bereinigt durchgeht. Frau Dr. Vollmer und der Fraktion DIE GRÜ- Schönen Dank. NEN Verbot der Käfighaltung von Hühnern Vizepräsident Frau Renger: Ich danke dem Herrn — Drucksache 10/1885 — Berichterstatter. Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Wir kommen zur Einzelberatung und Abstim- Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mung. Ich rufe die Art. 1 bis 21 einschließlich- der soeben vorgetragenen Änderungen, Einleitung und e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften Frau Dr. Bard und der Fraktion DIE GRÜ- zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Hand- NEN zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ein- Importstopp für Froschschenkel stimmig angenommen. — Drucksache 10/2868 — Wir treten in die Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: dritte Beratung Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Nach einer interfraktionellen Vereinbarung im Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung dieser ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltun Tagesordnungspunkte und eine Aussprache von Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 10219

Vizepräsident Frau Renger 60 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einver- Ein weiterer kritischer Punkt: Tierversuche zur standen? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Prüfung von Kosmetika, zu denen auch Körperpfle- Dann ist das so beschlossen. gemittel zählen, werden erheblich eingeschränkt. In Zukunft müssen sie jeweils durch die zuständige Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Behörde ausdrücklich genehmigt werden. Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort hat der Bei dieser Genehmigung wie überhaupt bei Ent- Parlamentarische Staatssekretär von Geldern. scheidungen der zuständigen Behörden über Tier- versuche werden die vorgeschlagenen Kommissio- nen, an denen auch Vertreter der Tierschutzorgani- Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär beim Bun- sationen beteiligt sein sollen, mitwirken. Alle Tier- desminister für Ernährung, Landwirtschaft und versuchseinrichtungen müssen künftig einen oder Forsten: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten mehrere Tierschutzbeauftragte haben. Wo der Tier- Damen und Herren! Dies ist der erste Entwurf ei- schutzbeauftragte an der Erfüllung seiner Aufga- nes Gesetzes zur Änderung des deutschen Tier- ben gehindert wird, können Tierversuche generell schutzgesetzes von 1972. Der Bundesregierung sind untersagt werden. aus allen Schichten unseres Volkes und von den verschiedensten Organisationen zahlreiche Wün- An die Adresse derjenigen, die bezüglich der Mit- sche, Anregungen und Forderungen zu diesem Ge- wirkung der Tierschutzorganisationen in diesen setzentwurf vorgetragen worden. Es geht der Bun- Kommissionen Bedenken und Zweifel haben, desregierung mit diesem Gesetzesvorhaben darum, möchte ich sagen, meine Damen und Herren, daß dafür zu sorgen, daß der Schutz der Tiere so weit wir Schöffengerichte, aus Laien zusammengesetzt, wie irgend möglich gewährleistet wird und daß zu- über Menschen, über Mitbürger urteilen lassen; gleich die Sicherheit des Menschen nicht gefährdet dann sollten wir auch in der Lage sein, Laien aus und wichtige wissenschaftliche Arbeiten nicht un- den engagierten Tierschutzverbänden über Tierver- möglich gemacht werden. suche mitbestimmen zu lassen. Die Standpunkte der verschiedenen Seiten zu be- (Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ stimmten Tierschutzfragen sind zu unterschiedlich, CSU) als daß ein alle Seiten voll befriedigender Konsens Der Gesetzentwurf wird jedenfalls zu einer er- über diesen Gesetzentwurf zu erwarten gewesen heblichen Einschränkung der Tierversuche, nicht wäre. aber zu einer Beeinträchtigung der notwendigen (Zuruf von der CDU/CSU: Völlig richtig!) wissenschaftlichen Forschung führen, die im übri- Die Bundesregierung ist aber allen Argumenten gen bei den Tierversuchen zu mehr als 90 % Ratten nachgegangen und hat schließlich den Vorschlag und Mäuse einsetzt. zur Änderung des Tierschutzgesetzes gemacht, den Zur weiteren Einschränkung von Tierversuchen wir heute in erster Lesung beraten, der dem großen hat die Bundesregierung über diesen Gesetzent- ethischen Anliegen unseres Volkes Rechnung trägt wurf hinaus wichtige begleitende Maßnahmen be- und der — das möchte ich hinzufügen — die mit schlossen, nämlich die Entwicklung von Ersatz- und dem Tierschutzgesetz von 1972 bereits erreichte in- Ergänzungsmethoden, die kritische Überprüfung ternationale Spitzenstellung — an der Seite etwa aller einschlägigen nationalen wie internationalen noch der Schweiz — auch für die Zukunft aufrecht Regelungen, die zum Schutz des Verbrauchers Tier- erhält und fortschreibt. versuche gesetzlich vorschreiben, die Prüfung der Die Schwerpunkte dieses Gesetzentwurfes lie- Einrichtung einer Datenbank, um möglichst alle gen in den Bereichen Tierversuche, gewerblicher Doppelversuche zu vermeiden, und schließlich auch Tierhandel, Tierhaltung und tierschutzgemäßes die Lösung der nicht ganz leichten Zweitanmelder- Schlachten. problematik. Zunächst zu den Tierversuchen: Hier sind drasti- Ich komme zum Themenbereich Tierhaltung. sche Einschränkungen vorgesehen. Tierversuche Hier ist vorgesehen, die Grundsätze über die Tier- sollen überhaupt nur noch durchgeführt werden haltung zu präzisieren. Sie gelten auch für die In- dürfen, wenn sie nach dem Stand der wissenschaft- tensivhaltung, und wir haben damit eine große Zu- lichen Erkenntnisse unerläßlich sind und nicht stimmung namhafter Verhaltensforscher zu unse- durch andere Methoden oder Verfahren ersetzt rem Gesetzentwurf gefunden. Die Bundesregierung werden können. Dabei dürfen sie nur noch der Vor- will tierschutzrechtliche Verbesserungen bei der beugung und dem Erkennen und Behandeln- von landwirtschaftlichen Nutztierhaltung. Es müssen Krankheiten, der Erkennung von Umweltgefahren, angesichts der Integration in den Gemeinsamen der Prüfung von Stoffen auf ihre Unbedenklichkeit Markt der Europäischen Gemeinschaft bei allen na- für Mensch und Tier oder der Grundlagenforschung tionalen Regelungen, aber auch darüber hinaus, dienen. Soweit Tierversuche danach überhaupt EG-einheitliche Maßstäbe und Tierschutzmindest- noch erforderlich sind, wird die Schmerz- und Lei- anforderungen abgesichert werden. Dies ist nicht densbegrenzung wesentlich verstärkt werden. Ein- nur im Sinne der Wettbewerbsfähigkeit unserer griffe und Behandlungen an Tieren, die Aus- oder Landwirtschaft gedacht, sondern dies ist zugleich Fortbildungszwecken dienen, sollen auf wenige ein ganz zentrales Anliegen des Tierschutzes selbst, Ausnahmefälle beschränkt werden, in denen der denn was nützt es unserem ethisch begründeten Ausbildungszweck nicht auf andere Weise, z. B. Tierschutzgedanken, wenn wir erleben, daß unsere durch filmische Darstellung, erreicht werden kann. Nachbarn, unsere Partner, für die wir die Märkte 10220 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985

Parl. Staatssekretär Dr. von Geldern öffnen, ganz andere Maßstäbe anlegen. Wir brau- menschlichen Gesundheit, des medizinischen Fort- chen EG-einheitliche Regelungen. schritts und unserer bäuerlichen Familienbetriebe. (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) den GRÜNEN: Das glauben Sie doch selbst nicht! Das ist wohl ein Witz!) Der Gedanke — er taucht j a in einer der Vorlagen hier heute mit auf —, ein Importverbot für tier- schutzwidrig hergestellte Erzeugnisse aus anderen Vizepräsident Frau Renger: Meine Damen und Staaten auszusprechen, ist — das gestehe ich frei- Herren, das Wort hat die Frau Abgeordnete mütig — durchaus im Sinne des Tierschutzes ver- Schmidt (Nürnberg). lockend, aber ich sehe große Probleme bei der dann notwendig werdenden Kontrolle und auch bei der Frau Schmidt (Nürnberg) (SPD): Sehr geehrte politischen Realisierbarkeit eines solchen Anlie- Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! Im- gens. Wir wollen einem Etikettenschwindel keinen mer mehr Menschen treibt die Frage um, welche Vorschub leisten. Rechte der Mensch gegenüber andersartigem, aber von ihm als gleichwertig erkanntem Leben hat. Im- (Beifall bei der CDU/CSU) mer mehr Menschen bezweifeln, daß die uneinge- schränkte Verfügbarkeit von Tieren für wissen- Meine Damen und Herren, die Bundesregierung schaftliche, aber allzuoft auch für wirtschaftliche bemüht sich seit langem mit Nachdruck um EG- Zwecke richtig ist. Immer mehr Menschen suchen einheitliche Regelungen vor allem für die Legehen- eine Antwort auf die Frage, ob es richtig ist, daß nenhaltung, für die Schweinehaltung und auch für Wissenschaft alles, was möglich ist, auch tut und ob die Kälberhaltung. Auf Grund mehrfacher deut- dies richtig verstandene Freiheit ist. Immer mehr scher Interventionen, Interventionen der Bundesre- Menschen fragen nach Sinn oder Unsinn von Teilen gierung, hat sich der Rat der Europäischen Gemein- einer Industrie, die Krankheitssymptome mit einer schaft vor wenigen Tagen erst erneut mit der Käfig- Unmenge immer neuer Produkte kuriert und haltung von Legehennen befaßt. Eine Beschlußfas- Krankheitsursachen unerforscht läßt. Immer mehr sung in der Europäischen Gemeinschaft zu dieser Menschen verlangen Lösungen dieser Fragen Frage ist noch für das jetzt laufende erste Halbjahr durch die Politik. Ohne die Mithilfe aller engagier- 1985 in Aussicht genommen. Sollte sich dann her- ten Tierschützer würden wir heute hier nicht ste- ausstellen, daß wiederum eine Einigung zu unse- hen, würden wir heute hier nicht die Novellierung rem Bedauern nicht erzielt werden kann, dann — des Tierschutzgesetzes beraten. das kündige ich hiermit an — wird die Bundesregie- (Mann [GRÜNE]: So ist es!) rung nationale Vorschriften erlassen. Ihnen allen danke ich ganz herzlich. (Beifall des Abg. Mann [GRÜNE]) Auf Initiative der Bundesregierung sind übrigens in der Gemeinschaft inzwischen die Vermarktungs- Der Landwirtschaftsminister hat mit seinem Ent- normen für Eier geändert worden. Künftig besteht wurf einen Großteil dieser Hoffnungen enttäuscht, endlich für den Erzeuger die Möglichkeit, Angaben weil er wirtschaftliche Interessen über den Tier- über die Haltungsform, ob Freiland-, Boden- oder schutz stellt, weil er eine falsch verstandene Frei- Volierenhaltung, zu machen, und damit hat der Ver- heit der Wissenschaft über die ethische und morali- braucher in Zukunft auch die lange geforderten sche Verpflichtung eben dieser Wissenschaft ge- Wahlmöglichkeiten bei seiner Verbraucherent- stellt hat. scheidung. So ist dem Kollegen Riedl von der CSU zuzustim- men, der in einem offenen Brief an den Landwirt- Für die Haltung von Hühnern — lassen Sie mich schaftsminister schreibt: Lieber Ignaz, so nicht. das auch noch zum Thema Tierhaltung und insbe- (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Wo ist er denn?) sondere Käfighaltung sagen — stehen derzeit Alter- nativen zur Käfighaltung leider noch nicht zur Ver- Es ist nur zu hoffen, daß dies nicht wieder ein Teil fügung, Alternativen nämlich, die die erforderlichen der Doppelstrategie der CSU ist: in Bayern offene hygienischen, ethologischen und ökonomischen Be- Briefe schreiben, um die Tierschützer zu beruhigen, dingungen in gleicher Weise erfüllen. Daher kann aber in Bonn nichts tun. die Käfighaltung zumindest zur Zeit nicht verboten (Zuruf von den GRÜNEN: So ist es!) werden. Ich möchte aber der Öffentlichkeit und Wir versuchen, durch unseren Gesetzentwurf zur dem Plenum sagen, daß diverse Forschungsarbei- Verringerung der Tierversuche einem veränderten ten auf diesem Gebiet sowohl in der Europäischen Bewußtsein der Menschen Rechnung zu tragen. Wir Gemeinschaft als auch in der Bundesrepublik versuchen mit diesem Gesetzentwurf aber auch zu Deutschland laufen, um solche Alternativen zur Kä- berücksichtigen, daß der Wissenschaft heute viele fighaltung für die Praxis zu entwickeln. Alternativen möglich sind, die bei der Verabschie- dung des Tierschutzgesetzes von 1972 noch undenk- Meine sehr verehrten Damen und Herren, beim bar waren. Wir versuchen auch klarzumachen — ethisch gebotenen Tierschutz läßt sich die Bundes- und hier, Herr von Geldern, liegt einer der wesentli- regierung von niemandem übertreffen. Sie achtet chen grundsätzlichen Unterschiede zwischen unse- dabei zugleich auf die Wahrung anderer hoher rem und dem Entwurf der Regierung —, daß Ge- Rechtsgüter und politischer Ziele, wie Erhalt der sundheits- und wissenschaftliche Interessen den In- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 10221

Frau Schmidt (Nürnberg) teressen des Tierschutzes nicht zuwiderlaufen, son- zichtbar bezeichnen wir Versuche, die nachweislich dern daß sie gleichgerichtet sind. durch kein anderes wissenschaftliches Verfahren (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) zu ersetzen sind und die dem Leben auf diesem Pla- neten dienen, also dem Leben von Menschen, Tie- So haben wir uns nach langen Diskussionen zu ren und Pflanzen. einem grundsätzlichen Verbot von Tierversuchen mit streng begrenzten Ausnahmemöglichkeiten Daraus folgt für uns zwangsläufig, daß Tierversu- entschieden. che zur Erprobung von Genußmitteln, Waffen und Kosmetika ohne Ausnahme verboten sind. Wissenschaft und Industrie fragen uns: Warum grundsätzliches Verbot? Wir antworten: Weil wir do- (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) kumentieren wollen, daß es das Recht, über anderes Dazu hat sich der Regierungsentwurf z. B. nicht Leben zu verfügen, nicht gibt, durchringen können. Herr Kiechle, Herr von Gel- (Eigen [CDU/CSU]: Dann dürft ihr kein dern, Herr Kohl, Herr Geißler, ich frage Sie, wie Sie Fleisch mehr essen!) die ethische Notwendigkeit derartiger Versuche be- gründen wollen. weil wir den Willen des Gesetzgebers deutlich ma- chen wollen, daß es sich beim Tierversuch um die Verbote und Einschränkungen müssen aber auch Ausnahme und nicht um die Regel handeln muß, durchgesetzt werden. Auch das Tierschutzgesetz weil die Rechtsprechung Verstöße gegen das Tier- von 1972 hat nicht alle Tierversuche zugelassen. schutzgesetz nicht als Kavaliersdelikte behandeln Aber es stimmt bedenklich, daß in diesen 13 Jahren sollte. kein Fall bekanntgeworden ist, in dem die Geneh- Tierschützer und Tierversuchsgegner fragen uns: migung versagt wurde. Wir wollen deshalb die Ge- Warum Ausnahmen? Wir sind derzeit noch davon nehmigungsbehörden unterstützen und durch überzeugt, daß einige Tierversuche notwendig sind, Ethik-Kommissionen beraten lassen. Wir sehen in Tierversuche, die Sterben und Leiden von Men- der Einrichtung dieser Kommissionen die wirksam- schen und Tieren verhindern sollen, Tierversuche, ste Möglichkeit, Tierversuche tatsächlich auf das die ethischen Maßstäben genügen, Tierversuche, unerläßlich notwendige Maß zu beschränken. Aber bei denen das Leiden der Tiere begrenzt werden wir sehen diese Möglichkeit nur dann, wenn unsere muß. Forderungen erfüllt werden und diese Kommissio- nen zu je einem Drittel mit Naturwissenschaftlern, Dabei gebe ich gern zu, daß mich, je länger ich Geisteswissenschaftlern und Tierschützern besetzt mich mit dieser Frage beschäftige, immer größere werden. Zweifel befallen, ob das, was uns als Notwendigkeit geschildert wird, tatsächlich unumgänglich ist. Da In das Wehklagen der Forschung, daß damit schildern uns die einen Professoren, daß die Ergeb- Laien wissenschaftliche Forschungen verhindern nisse von Tierversuchen zwar mit Einschränkun- würden, kann ich nicht einstimmen. Wissenschaft- gen, aber doch auf den Menschen übertragbar sind. ler agieren nicht in einem wertfreien Raum. Auch Da versuchen uns die anderen nachzuweisen, daß sie müssen sich nach dem Sinn ihres Tuns fragen derartige Ergebnisse selbstverständlich ohne Aus- lassen. sagewert für den Menschen sind, jüngst so gesche- (Sehr richtig! bei den GRÜNEN) hen bei Formaldehyd. Da sagen uns die einen: Der Sie müssen heraus aus ihrem Elfenbeinturm. Sie Tierversuch ist zur Erprobung biomedizinischer unterliegen wie jeder andere arbeitende Mensch Techniken notwendig. Und die anderen sagen uns: Rechtfertigungszwängen, und sie haben, je an- Gerade der Tierversuch scheidet aus, wenn es um spruchsvoller ihre Tätigkeit ist, sie um so deutlicher die Herstellung von für Menschen geeigneten Mate- zu erklären und die Gesellschaft, mit deren Geld sie rialien, z. B. künstlicher Gelenke, geht. Da sagen die forschen, um Zustimmung zu bitten. einen, in der medizinischen Diagnostik komme man ohne Tierversuche nicht aus, während andere, die So mögen ihnen Begründungen ausgehen, wenn vor ihrem Namen ebenfalls mehrere Professorenti- zur Erreichung akademischer Würden Versuche tel stehen haben, Versuche mit befruchteten durchgeführt werden, deren Ergebnisse in der Ab- menschlichen Eiern für notwendig halten, weil Er- lage verstauben, wenn Katzen über vier Jahre in gebnisse von Tierversuchen auf den Menschen Käfigen extremer Hitze und Kälte ausgesetzt wer- eben nicht übertragbar seien. Die wissenschaftliche den und wenn, wie Professor Dr. Brendel in einer Begründung richtet sich offensichtlich nach Ge- Fernsehsendung gesagt hat, Tierversuche in der schmack, weltanschaulichem Standort -oder gar Ausbildung nur deshalb durchgeführt werden, weil wirtschaftlicher Abhängigkeit und persönlichem das Geld für anständige Lehrfilme fehlt. Bei derar- Forschungsinteresse. tigen Versuchen würden nach unseren Vorstellun- gen besetzte Ethik-Kommissionen nicht überzeugt Bei allen Widersprüchlichkeiten haben wir ver- werden, Genehmigungsbehörden ihre Zustimmung sucht, die Grenzlinie zu finden, die unverantwortli- versagen. che Tierversuche von den derzeit noch unverzicht- baren trennt. Der Regierungsentwurf sieht ebenfalls Ethik Kommissionen vor, will sie aber mehrheitlich mit (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Wir Wissenschaftlern besetzen, die selber Tierversuche auch!) durchführen. Dies wird zum Scheitern verurteilt — Das gestehe ich Ihnen zu; ich glaube nur, daß sein, liebe Kollegen, da damit bei Tierschützern und unser Lösungsversuch gelungener ist. Als unver Tierversuchsgegnern vorhandenes Mißtrauen nicht 10222 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985

Frau Schmidt (Nürnberg) abgebaut werden kann, weil die auch im Interesse die wir verabschiedet haben, schreiben implizit der Industrie und der Wissenschaft liegende Trans- Tierversuche vor. Ca. 3 Millionen Tierversuche ge- parenz nicht hergestellt werden kann und weil in hen auf das Konto des Gesetzgebers. Auch diese eigener Sache zu richten immer anrüchig bleiben können reduziert werden. Da brauchen wir nicht zu wird. warten, bis das Tierschutzgesetz novelliert ist. (Mann [GRÜNE]: So ist es!) (Beifall bei der SPD) An dieser Stelle möchte ich die Verantwortlichen Wir schlagen in unserem Gesetzentwurf eine stän- in Industrie und Forschung fragen, ob sie es für den dige Sachverständigenkommission vor, die Regie- richtigen Weg halten, für ihre Interessen einzutre- rung und Parlament berät und dafür sorgt, daß sich ten, wenn Patienten im Krankenhaus durch ihren wissenschaftliche Erkenntnisse nicht mit erhebli- behandelnden Arzt mittels eines Faltblattes sugge- chen Verzögerungen, sondern schnellstmöglich im riert werden soll, durch eine Novellierung des Tier- Gesetz- und Verordnungsgebungsverfahren nieder- schutzgesetzes entstünden katastrophale Folgen schlagen, Ersatzmethoden in die jeweiligen Daten- für die deutsche Medizin. Das nenne ich Geschäfte- banken eingespeichert werden und die Pflicht zu macherei mit der Angst von kranken Menschen. ihrer Anwendung so auch durchsetzbar wird. Auch (Beifall bei der SPD) hier, Herr von Geldern, leider Gottes Fehlanzeige. Eine weitere unabdingbare Einrichtung in unse- (Müller [Schweinfurt] [SPD]: Wie immer!) rem Gesetzentwurf ist die Einrichtung von Daten- Meine Damen und Herren, wir hoffen, mit diesen banken. Nur wenn es uns gelingt, Datenbanken ein- Vorschriften und denen über den Versuchstierhan- zurichten — und da ist das, was Sie in Ihrem Ge- del und das Amputationsverbot, mit den Vorschrif- setzentwurf vorschlagen, eben unzulänglich, weil ten über Tierzucht und das Verbot von Qualzüch- Sie sagen: Nur die zugänglichen Informationsmög- tungen sowie mit den Vorschriften über Kennzeich- lichkeiten sollen genutzt werden; die langen aber nungspflicht für Hunde und Katzen — im Gegen- nicht aus —, wird es möglich sein, Doppelversuche satz zum Entwurf der Bundesregierung — eine tatsächlich zu vermeiden. Es ist unerträglich, wenn wirkliche Reduzierung der Tierversuche und eine man sich vorstellt, daß Tiere leiden und sterben Verbesserung der Lage der Tiere zu erreichen. müssen, nur weil es nicht gelingt, die notwendigen Neben dem Problem der Tierversuche ist die Tat- Informationen zu beschaffen. sache der menschen- und tierunwürdigen Massen- Damit bin ich bei den Alternativ- und Ersatzme- tierhaltung das zweite große Problem, für das wir thoden. Wir haben die Forderungen der Tierschutz- eine Lösung suchen müssen. organisationen und Tierversuchsgegner nur inso- (Beifall bei der SPD) weit aufgenommen, als wir den zuständigen Mini- ster ermächtigen wollen, eine solche Abgabe zu er- Wir haben deshalb — ergänzend zu unserem Ge- heben, wenn nicht auf freiwilliger Basis durch die setzentwurf zur Verringerung der Tierversuche — chemische und pharmazeutische Industrie ein einen Antrag zur Massentierhaltung eingebracht. Fonds gegründet wird, um Alternativmethoden ge- Im Gegensatz zum Antrag der GRÜNEN sehen wir zielt zu erforschen. Wir haben uns für diese Lösung nicht nur bei der Hühnerkäfighaltung Konflikte mit entschieden, weil wir unnötige Bürokratien vermei- der Forderung nach artgerechter Haltung der Nutz- den wollen. Aber auch wir halten die Erforschung tiere, Regelungsbedarf besteht genauso bei Kälbern von Ersatzmethoden für unerläßlich. Hier ist die und Schweinen. Bundesrepublik gegenüber anderen Ländern weit (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Das sehen wir zurück. auch so! — Boroffka [CDU/CSU]: Verges (Boroffka [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!) sen Sie das Karnickel nicht!) Wenn wir von ökologischer Modernisierung der Wir fordern die Bundesregierung auf, Rechtssicher- Volkswirtschaft sprechen, dann gehören Methoden heit zu schaffen. Es kann nicht Gerichten überlas- zur Ablösung der Tierversuche dazu. Sie dürfen sen werden, wie § 2 des derzeitigen Tierschutzgeset- nicht ein wirtschaftlichen Gesichtspunkten unter- zes auszulegen ist. Legen Sie uns, Herr von Gel- worfenes Abfallprodukt sein, sondern sie müssen dern, Herr Minister, spätestens bis zum Jahresende losgelöst von der konkreten Versuchsreihe einzig Rechtsverordnungen vor, damit diese Unsicherheit mit dem Ziel Vermeiden des Tierversuchs erforscht aufhört, damit eine artgerechte Nutztierhaltung ge- werden. Dies kostet Geld. Ich frage mich, ob nicht währleistet wird! die einschlägige Industrie für ihr Image- und ihre (Müller [Schweinfurt] [SPD]: Jawohl!) Glaubwürdigkeit wesentlich mehr getan hätte als durch fragwürdige Aktionen, wenn sie ähnlich wie Millionen von Bürgern sind in Käfigen und auf eng- in der Schweiz längst einen solchen Fonds gegrün- stem Raum eingepferchte Hühner ein Greuel. Ge- det hätte, der unter öffentlicher Kontrolle und nicht nauso sind es angebundene Kälber oder Schweine unter der Industrie verwaltet werden müßte. auf hartem Spaltenboden, die beim geringsten Streß umkippen. Wir wollen, daß mit dem verhäng- Zur Frage der auch wieder Forschungsabgabe nisvollen Kreislauf endlich Schluß gemacht wird, Fehlanzeige im Regierungsentwurf. -durch eine nicht artgerechte Haltung Krankheits Appelle und neue gesetzliche Vorschriften rich- und Streßanfälligkeit zu erzeugen, um diese dann ten sich aber nicht nur an Industrie und Wissen- durch den prophylaktischen Einsatz von Medika- schaft, sondern auch an uns selbst. Acht Gesetze, menten aus der Welt zu schaffen. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 10223

Frau Schmidt (Nürnberg) Wir wissen allerdings, daß wir nicht allein auf der haben schon lange — ich meine: viel zu lange — auf Welt sind. In anderen EG-Ländern ist das Tier- diese Debatte gewartet. schutzbewußtsein häufig weniger ausgeprägt als (Müller [Schweinfurt] [SPD]: Richtig!) bei uns. Schon seit Jahren habe nicht nur ich mich, sondern (Eigen [CDU/CSU]: In Spanien!) haben sich auch andere Kollegen aller Fraktionen Aber, meine Herren und Damen, es gibt auch Vor- dieses Hauses um eine Novellierung des Tierschutz- reiter. Vorreiter ist nicht nur die Schweiz, wo die gesetzes bemüht. Die Regierung Schmidt sah Käfighaltung von Hühnern ab 1992 verboten sein hierzu keine Veranlassung und hatte das Ansinnen wird; auch in Dänemark und in den Niederlanden mit in meinen Augen fadenscheinigen Begründun- war und ist man bereit, mehr zu tun. gen stets abgelehnt. Wir fordern die Bundesregierung auf zu handeln. (Eigen [CDU/CSU]: Das kann doch nicht Wir bitten sie, bis zum 30. Juni 1985 über den Stand angehen! — Müller [Schweinfurt] [SPD]: der EG-Verhandlungen zu berichten. Sollte dann Das stimmt doch nicht!) keine einheitliche Beschlußfassung möglich sein, muß national vorgegangen werden. Tierschutz darf Wir sind daher dem Bundeskanzler Helmut Kohl nicht immer hinter ökonomischen Interessen zu- und Herrn Bundesminister Kiechle dankbar, daß rückbleiben. sie unverzüglich nach der Regierungsübernahme eine Änderung des Gesetzes in Angriff genommen Meine sehr verehrten Kollegen, viele Schwierig- haben. keiten und Unsicherheiten rühren daher, daß das Tier in unserer Gesetzgebung nach wie vor eine (Beifall bei der CDU/CSU) Sache ist wie ein Auto, ein Mantel, ein Tisch, ein Der Tierschutz ist nicht nur eine konservative, Stuhl und wie es — lassen Sie mich das anmerken sondern er ist vor allen Dingen auch eine christli- — auch einmal die Frauen waren. che Aufgabe. Der Tierschutz eignet sich nicht für (Eigen [CDU/CSU]: Das kann nur jemand parteipolitische Auseinandersetzungen. sagen, der vom Tier und der Tierhaltung (Eigen [CDU/CSU]: Sehr richtig!) keine Ahnung hat! Wir leben doch von Tie ren! Wenn ich so etwas schon höre!) Wir reden so oft in diesem Hause, liebe Kolleginnen und Kollegen, von den notwendigen Gemeinsam- Ich würde mich freuen, wenn es uns gelänge, im keiten aller Demokraten. Das hier ist nun ein Feld, Laufe des Gesetzgebungsverfahrens eine Lösung zu auf dem es diese Gemeinsamkeiten geben sollte. finden, die aus der Sache Tier, Herr Eigen, ein Ge- schöpf Tier machen würde. Wir werden in den fol- Ich darf daran erinnern, daß dieses Parlament genden Anhörungsverfahren alle Bedenken und am 21. Juni 1972 das Tierschutzgesetz einstimmig Anregungen auch zu unserem Gesetzentwurf sorg- verabschiedet hatte, das damals noch zu den besten fältig prüfen. Es würde mich weiterhin freuen, Gesetzen in der Welt gehörte. wenn im weiteren Verfahren nicht die im Regie- (Frau Weyel [SPD]: Na sehen Sie!) rungsentwurf zum Ausdruck kommende Angst vor wirtschaftlichem Druck mächtiger Industriezweige Dieses Gesetz fand 1972 ein hohes Maß an Zustim- und einiger weniger industrieller Fleisch- und Eier- mung seitens namhafter Vertreter des Tierschut- fabrikanten, die mit einem Bauern höchstens noch zes, der Wirtschaft und auch der Wissenschaft. den Namen gemein haben, (Müller [Schweinfurt] [SPD]: So gut war (Beifall bei der SPD) das!) die Oberhand behielte, sondern wir uns in allen Ich darf daran erinnern, daß sich noch zu Zeiten Fraktionen zu Anwälten der moralischen Skrupel der Regierung Schmidt im Rahmen der IPA Kolle- von vielen tausend Menschen und zum Anwalt ei- ginnen und Kollegen aller Fraktionen des Bundes- nes Umweltverständnisses machen würden, das auf tages und der Länderparlamente mit dem Ziel zu- die Schwächeren Rücksicht nehmen will. sammengefunden hatten, das Tierschutzgesetz zu (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten novellieren, weil die seinerzeitige Bundesregierung der GRÜNEN) nichts getan hatte. (Müller [Schweinfurt] [SPD]: Richtig!) Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Ab- Wir hatten hier fraktionsübergreifend hervorra- geordnete Stutzer. gend zusammengearbeitet und kamen auch hier zu - einstimmigen Beschlüssen. Stutzer (CDU/CSU): Frau Präsident! Liebe Kolle- (Müller [Schweinfurt] [SPD]: Richtig!) ginnen und Kollegen! Wir befassen uns heute mit Aus der Vorlage wurde dann wegen vorzeitiger Be- der Reform und Neuorientierung des Tierschutz- endigung der Legislaturperiode nichts mehr. rechts. Lassen Sie mich dem ein Wort Martin Luthers voranstellen: Unser Herrgott hat des öfte- (Frau Weyel [SPD]: Sehen Sie, so ist es! ren seine schönsten und größten Gaben dem ge- Das hätten Sie nicht tun sollen! — Müller meinsten Tier gegeben. Nur, die Menschen suchen [Schweinfurt] [SPD]: Das war ein Fehler!) sie dort nicht. Kolleginnen und Kollegen, ich frage Sie nun: Meine Damen und Herren, Millionen Bürger in Sollte das heute nun wirklich nicht mehr möglich unserem Lande und viele Mitglieder dieses Hauses sein, was bei gutem Willen der Mitglieder dieses 10224 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985

Stutzer Hauses und auch der Länderparlamente 1972 und Nach meinem Demokratieverständnis müssen aber zu Beginn der 80er Jahre geschaffen wurde? Ich bei der Beratung auch alle anderen Novellierungs- frage Sie: Auf welchem Gebiet soll es heute über- vorschläge auf den Prüfstand; nicht nur die, die wir haupt noch die so oft beschworenen Gemeinsamkei- heute auf der Tagesordnung haben, sondern auch ten aller Demokraten geben, wenn wir uns nicht die der deutschen Tierschutzorganisationen, um mal beim Tierschutz einig werden sollten? nur ein Beispiel zu nennen. (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Das liegt doch Unbestritten beinhaltet der Regierungsentwurf an Ihnen!) Verbesserungen gegenüber dem derzeitigen Recht Die Bürger erwarten von uns, daß wir wenigstens im Sinne eines ethischen Tierschutzes. Das sollten hier an einem Strang ziehen. wir auch anerkennen. Es gibt aber in diesem Ent- wurf in meinen Augen auch bedenkliche Passagen, (Müller [Schweinfurt] [SPD]: Aber sie sind die nach meiner Überzeugung geändert werden mit uns einig!) müssen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es bei den Politi- (Zustimmung bei der SPD) kern nun überhaupt keine Bereitschaft mehr zum Miteinander geben sollte. Die Bundesregierung weiß, daß ich an ihrem Ent- wurf so manches zu kritisieren habe und mein Ge- (Müller [Schweinfurt] [SPD]: Ihren Kolle wissen es mir gebietet, mich für entsprechende Än- gen müssen Sie das sagen!) derungen einzusetzen. Ich kann heute noch nicht Ich weiß, das ist schwer, und es gehört viel guter sagen, ob das die Mehrheitsmeinung meiner Frak- Wille und auch Kompromißbereitschaft dazu, lieber tion ist. Ich weiß aber, daß eine ganze Anzahl Frak- Kollege Müller. Ich weiß auch, daß in allen Fraktio- tionskollegen ebenso denkt. nen — ich betone hier: in allen Fraktionen — die Den Sozialdemokraten muß ich aber sagen, daß Meinungen über die vorliegenden Entwürfe geteilt mir auch an ihrem Entwurf sehr vieles nicht gefällt. sind. Dem einen geht dies und das zu weit und dem Es gibt, glaube ich, auf keiner Seite dieses Hauses anderen wiederum nicht weit genug. zu den einzelnen Entwürfen eine einheitliche Frak- Aus vielen Zuschriften wissen wir, daß es auch in tionsmeinung. Gäbe es sie, könnten wir nämlich der Öffentlichkeit keine einheitliche Meinungsbil- auch nicht von einer echten Gewissensentschei- dung gibt. Das ist bei einem Thema, das so stark dung sprechen. Emotionen unterworfen ist, auch nicht zu erwarten. Wir bekennen uns alle zur Gewaltenteilung. Die Wir wissen aber auch, daß es seit Jahren kein Regierung hat nun einen Entwurf vorgelegt, und Thema mehr gegeben hat, wenn ich mal von der wir Parlamentarier sollen jetzt entscheiden. Ich Diskussion über die Nachrüstung absehe, das so darf noch einmal an die Selbstverständnisdebatte viele Bürger, gerade auch junge Menschen, in unse- dieses Parlaments erinnern, die nur wenige Monate rem Lande bewegt wie der Tierschutz. Ich bedaure zurückliegt. Das, was in dieser Debatte Kolleginnen es daher, daß wir bei dieser ersten Lesung eine nur und Kollegen aller Fraktionen beschworen hatten, relativ kurze Redezeit zur Verfügung haben. Für sollten wir jetzt in die Tat umsetzen. Es gibt kaum mich und viele Kolleginnen und Kollegen aller ein Gebiet, das sich dafür besser eignet als der ethi- Fraktionen kann es keinen Zweifel darüber geben, sche Tierschutz. Ich bin überzeugt davon, daß wir daß es sich bei Fragen des ethischen Tierschutzes dann auch zu einem Ergebnis kommen werden, das um eine echte Gewissensentscheidung handelt, sich sehen lassen kann. folglich die Abstimmung in den Fraktionen freige- geben werden muß. Nicht nur die Bundesregierung, Ich habe viel Sympathie für die Forderungen der sondern alle Fraktionen müssen daran interessiert Tierschutzorganisationen. Wir sollten auch sehr sein, daß wir am Ende zu einem Ergebnis kommen, sorgfältig prüfen, welche von den Tierschutzorgani- das, wenn nicht einstimmig wie 1972, was ich mir sationen gemachten Vorschläge in das Gesetz auf- übrigens sehr wünschte, so doch von einer breiten genommen werden können. Mehrheit getragen wird. Es gibt wohl keinen in diesem Hause, der nicht Wie können wir das erreichen, meine Damen und lieber heute als morgen auf alle Tierversuche ver- Herren? Wir sollten zwar zügig, aber doch sehr zichten würde, wenn das verantwortbar und mög- sorgfältig beraten. Der federführende Ausschuß ist, lich wäre. Leider sind wir heute noch nicht so weit. wenn ich es richtig sehe, in diesem Jahr noch so Ich habe kein Verständnis für die sogenannten stark mit anderen Arbeiten belastet, daß er in den autonomen Tierschützer, die mit Gewaltanwendung normalen Sitzungszeiten gar nicht in der- Lage ist, dem Tierschutz mehr schaden als nützen. diese schwierige Materie so zu beraten, wie wir uns (Zustimmung bei der CDU/CSU) das vorstellen. Das kostet nämlich viele, viele Stun- den Zeit. Ich schlage daher vor, daß hierfür ein Die von der Wissenschaft und Forschung vorge- Unterausschuß oder aber eine Ad-hoc-Kommission brachten Einwände nehme ich ernst. Es gibt wohl gebildet wird, die sich dann ausschließlich mit den auch keinen im Hause, der die Wissenschaft und Tierschutzfragen beschäftigt. Forschung grundgesetzwidrig behindern will. Nur, wir wissen heute, daß es auch für die Wissenschaft (Zuruf von der SPD: Dafür ist der Aus und Forschung Grenzen gibt. Im übrigen darf für schuß zuständig!) mich als Christ der ethische Tierschutz niemals Beratungsgrundlage muß der Regierungsentwurf dort enden, wo wirtschaftliche Interessen begin- sein, zu dem ich gleich noch einiges sagen werde. nen. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 10225

Stutzer Lassen Sie mich zum Abschluß noch etwas sagen, Übereinstimmung mit den Verhaltensforschern auf was mir besonders am Herzen liegt. Wir haben mei- diesem Gebiet: Einer Legehenne muß die Möglich- nes Erachtens in der Bundesrepublik viel zuviele keit des Scharrens und Sandbadens und die Mög- Rechtsvorschriften, die Tierversuche, zum Teil lichkeit der Eiablage in einem dunklen Nest gege- grausame Tierversuche — ich denke hier nur an ben werden. In der Boden- oder Volierenhaltung ist den LD-50-Test — vorschreiben. Frau Kollegin eine Alternative zu der Käfighaltung gegeben. Be- Schmidt, Sie haben dankenswerterweise darauf sonders die Käfighaltung hat dazu geführt, daß die hingewiesen: Die meisten dieser Gesetze sind ja auf Legehennenhaltung heute in großem Umfang indu- die Initiativen der Sozialdemokraten zurückzufüh- striell betrieben wird. Aber auch dort, wo sie noch ren; denken Sie an das Chemikaliengesetz. Hier in landwirtschaftlichen Betrieben besteht, sind mei- müssen wir also etwas tun. Es wird hohe Zeit, daß stens die Tiereinheiten im Verhältnis zur landwirt- all diese Rechtsvorschriften daraufhin überprüft schaftlichen Nutzfläche so groß, daß eine sinnvolle werden, ob es heute noch zwingend ist, so viele Tier- Verwertung des daraus anfallenden organischen versuche vorzuschreiben. Düngers nicht gegeben ist. Vielmehr ist oft eine (Sehr gut! bei der SPD) direkte Verbindung zwischen Hühnergülle und Ni- tratanreicherung des Grundwassers festzustellen. Kolleginnen und Kollegen, wir haben heute die erste Lesung, die zunächst nur die einzuschlagende Selbst in Holland mit seiner intensiven Geflügel- Richtung vorgeben soll. Es hat oft lange gedauert, haltung sind ab 1. Januar 1994 Neueinrichtungen bis Fortschritte in der Humanität erzielt wurden. von Käfighaltungen verboten. In Dänemark ist we- Ich bin überzeugt davon, daß wir am Ende der jetzt nigstens die Mindestfläche je Henne auf 600 cm 2 beginnenden Arbeit einen großen Schritt auf die- 2 festgesetzt. Diese Vor- und in Norwegen auf 650 cm sem Wege vorangekommen sein werden. Der ethi- haben sind im Sinne des Tierschutzes ungenügend, sche Tierschutz ist eine Fortentwicklung des Tier- bzw. die Probleme werden in das nächste Jahrhun- schutzes auch im Interesse des Menschen. Wir wol- dert verschoben. Konsequent ist die Schweiz. Hier len das Tier künftig wirkungsvoller schützen als läuft die Käfighaltung 1991 ganz aus. bisher, weil es ein Geschöpf Gottes ist und An- spruch auf diesen Schutz hat. Meine Damen und Was tut die Bundesregierung zur Verbesserung Herren, helfen Sie hier mit! der Legehennenhaltung und zur Durchsetzung des (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei § 2 Abs. 2 des Tierschutzgesetzes? Seit Jahren ver- Abgeordneten der SPD) weist sie darauf, daß man sich um eine EG-weite Lösung bemühe. Dabei geht es jedoch lediglich um die Frage, ob jeder Henne 450 cm2oder2 600 cm Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Ab- zugestanden werden sollten. Unklar bleibt für mich, geordnete Werner (Dierstorf). ob man darüber, daß eine EG-einheitliche Lösung nicht zustande kommt, bekümmert ist oder ob da- Werner (Dierstorf) (GRÜNE): Frau Präsidentin! mit — Gott sei Dank — dieses unbequeme Thema Meine Damen und Herren! Die Empörung und der für die nächste Generation aufgespart wird. Widerstand in der Bevölkerung gegen tierquäleri- sche Massentierhaltung und gegen tierquälerische, (Eigen [CDU/CSU]: Das ist alles Unsinn, j a oft geradezu grauenhafte Tierexperimente neh- was Sie da erzählen!) men von Tag zu Tag zu. Die GRÜNEN unterstützen diesen Protest von ganzem Herzen und wollen auch In der Drucksache 10/2868 fordern wir einen von dieser Stelle aus darauf hinweisen, daß jeder Stopp der Importe von Froschschenkeln. 1981 ex- einzelne von uns durch ein bewußtes Verbraucher- portierten Indien und Bangladesch zusammen 5 571 verhalten beim Lebensmittelhandel, in der Drogerie Tonnen Froschschenkel. Diese Ausfuhren sind seit- oder in der Apotheke die Möglichkeit hat, hier Ein- her noch gestiegen. Es geht dabei um nützliche Ar- fluß zu nehmen. ten, von denen jährlich etwa 100 Millionen Tiere gefangen werden. Die Niederlande importieren (Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN) nach Angaben des statistischen Zentralamtes jähr- Tierschutz ist im Grunde eine Frage der Ethik. lich etwa 1 100 Tonnen Froschschenkel. Gefangen Hier geht es um unser Verhältnis zur Natur und werden die Tiere in den Exportländern vorwiegend speziell um die Frage, ob das Lebensrecht der Tiere in Reisfeldern. Dort hat ein Rückgang von rund einfach dem Streben nach Profit durch industrielle 10 000 Stück je Hektar auf 50 Stück je Hektar statt- Massentierhaltung und den Profitinteressen der gefunden. Dadurch wird das ökologische Gleichge- chemisch-pharmazeutischen Industrie geopfert- wicht stark gestört. Malariamücken und Krabben werden darf. haben stark zugenommen, so daß verstärkt der Ein- Die Regierungskoalition — das zeigt uns der vor- satz von Pestiziden notwendig wurde. liegende Entwurf — beantwortet diese Frage trotz der christlichen Verpflichtung im Programm der Da die Froschschenkel in der Bundesrepublik Union mit einem klaren Ja. Deutschland keine Bedeutung für die Nahrungsmit- telversorgung haben und da ein begründeter Ver- (Eigen [CDU/CSU]: Das stimmt ja gar dacht des tierschutzwidrigen Tötens der Frösche nicht!) besteht, fordern wir ein Importverbot. Wir begrüßen Unsere Fraktion hat im August des letzten Jahres in diesem Zusammenhang, daß der Froschschenkel einen Antrag auf Verbot der Käfighaltung von Antrag des WWF bei der Vertragsstaatenkonferenz Hühnern gestellt. Darin fordern wir ganz klar in in Brasilien angenommen wurde. 10226 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985

Werner (Dierstorf) In der Begründung des Gesetzentwurfs der los eine Verschlechterung für die Haltung von Regierung zur Änderung des Tierschutzgesetzes Nutztieren. Herr Bundesminister, Sie sagten in heißt es: München: Nach über zehnjähriger Erfahrung in der An- Auch die Bundesregierung ist für tierschutz- wendung des Tierschutzgesetzes hat sich ge- rechtliche Verbesserungen bei der landwirt- zeigt, daß das Grundkonzept des Gesetzes nach schaftlichen Nutztierhaltung. wie vor richtig ist und daher beibehalten wer- In § 2 a wird der Bundesminister ermächtigt, den sollte. Rechtsverordnungen zu erlassen, soweit es zum (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Was Schutz der Tiere erforderlich ist. Wir fragen Sie: halten Sie denn vom Versand von Hum Warum enthält die Gesetzesnovellierung keine kon- mern?) kreten Verbesserungen für die Nutztierhaltung, die Sie selbst für nötig halten, und — da dieser Gesetz- Andererseits ist nicht zu verkennen, daß die entwurf nur Verschlechterungen bringt —: Wann Zielvorstellung des Gesetzgebers bisher nicht werden Sie diese Rechtsverordnungen für verbes- voll verwirklicht werden konnte. serte Haltungsformen erlassen? Warum nun eigentlich eine Novellierung? Dieser In § 8 b wird bestimmt, daß von den Einrichtun- Gesetzentwurf bringt in keinem einzigen Paragra- gen, in denen Tierversuche durchgeführt werden, phen eine Verbesserung. Die Nutztierhaltung wird ein Tierschutzbeauftragter benannt werden soll. Da nicht tiergerechter, und die Tierversuche können dieser Tierschutzbeauftragte ein Mitglied des je- im gleichen Umfang weiter durchgeführt werden. weiligen Instituts ist, bedeutet das, daß der Tier- (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: schutzbeauftragte unter Umständen seine eigenen Quatsch! Stimmt doch nicht!) Vorgesetzten maßregeln oder kritisieren muß. Wie stellt sich die Bundesregierung unter diesen Um- Das Grundkonzept bleibt. ständen eine unabhängige Kontrolle eigentlich Die Einrichtung einer Datenbank, in der alle vor? Tierversuche zur Vermeidung von unnötigen Wie- (Zuruf von den GRÜNEN: Das wollen die derholungen gespeichert werden könnten, ist im gar nicht! Das ist das Problem! — Zuruf Gesetzentwurf der Regierung nicht vorgesehen. von der CDU/CSU: Quatschkopf!) Dazu Herr Staatssekretär von Geldern in einer Rede mit dem Thema „Wie kann eine Einschrän- Die verwertbare Sache Tier ist in ähnlicher Weise kung von Tierversuchen durch den Gesetzgeber er- schmerzempfindlich und leidensfähig wie wir. Vom reicht werden": ethischen Standpunkt haben wir daher kein Recht, den Tieren das an Schmerzen und Leiden zuzufü- Die zur Vermeidung von Doppelversuchen ge- gen, wovor wir uns selbst schützen und bewahren botene uneingeschränkte Weitergabe von Tier- möchten. versuchsdaten an alle in Frage kommenden Die Vielzahl der Tierversuche kann uns nicht da- Antragsteller führt zu erheblichen entschädi- vor schützen, daß wir durch das unerforschte Zu- gungs- und patentrechtlichen Problemen. sammenwirken tausender giftiger Chemikalien Ich finde es ungeheuerlich, daß sich deshalb selbst die Rolle der Versuchsobjekte einnehmen. schreckliche Tierversuche wiederholen sollen, weil Deshalb gibt es für uns nur den Weg, die Zahl der ein Unternehmen für bereits durchgeführte Versu- schädlichen Substanzen so zu reduzieren, daß wir che ein Patentrecht beansprucht. in Zukunft auf Tierversuche verzichten können. Aus der gleichen Rede zu Tierversuchen im Be- Schönen Dank. reich der Kosmetika: (Beifall bei den GRÜNEN) Ein gesetzliches Verbot von Tierversuchen in diesem Bereich ist, so sagen Fachleute, vorerst Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Herr nicht möglich. Abgeordnete Bredehorn. Wir fragen, wann das möglich ist und ob die Kosme- tikhersteller gleichzeitig die „Fachleute" sind. Bredehorn (FDP): Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Änderung des Tierschutzgesetzes Die Forderung bei der Änderung des Tierschutz- aus dem Jahre 1972 ist notwendig. Darüber sind wir gesetzes kann heute nur lauten: Abschaffung aller uns hier alle einig. Die Beurteilungsmaßstäbe, die Tierversuche als Ziel einer Politik, die aufhören wir heute an einen ausreichenden Tierschutz anle- muß, im Tier nur eine verwertbare Sache- zu se- gen, sind nicht mehr dieselben wie vor 13 Jahren. hen. Unser Verständnis für das Wohlergehen der Tiere (Beifall bei den GRÜNEN) und unsere Verantwortung für die uns in Obhut Der Verwirklichung dieses Zieles können nicht pa- gegebenen Lebewesen haben sich gewandelt. In tentrechtliche Probleme oder finanzielle Interessen dem uns vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesre- der Kosmetikindustrie gegenüberstehen. Auch mili- gierung gibt es zahlreiche Detailverbesserungen, tärische Schießübungen auf lebende Hunde sind die nach Ansicht der FDP zeigen, daß die Novelle nicht geeignet, die Bürger von der Notwendigkeit ein Schritt in die richtige Richtung ist. von Tierversuchen zu überzeugen. Der Änderungsentwurf trägt in weiten Teilen den § 2 Abs. 1 Nr. 2 bewirkt in seiner neuen Fassung Forderungen der Tierschützer Rechnung, ohne daß durch Weglassen der Worte „nicht dauernd" zweifel- der Gesetzgeber dabei den Sinn für das Realisier- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 10227

Bredehorn bare verloren hat. So wird es zu einer drastischen nehmigungsvoraussetzungen festgeschrieben. Die Einschränkung der Tierversuche kommen, da Tier- Anzeigepflicht ist erweitert worden, und der Ge- versuche nur noch dann genehmigt werden, wenn brauch von Wirbeltieren zu Versuchszwecken wird sie unerläßlich sind und nicht durch andere Metho- eingeengt. Auch in der Aus- und Fortbildung wird den oder Verfahren ersetzt werden können. man künftig mit weniger Versuchen am lebenden Tier auskommen müssen. Tierversuche zur Beurteilung der gesundheitli- chen Unbedenklichkeit der Anwendung von Kos- Für die FDP-Fraktion begrüße ich diese Ein- metika bedürfen in Zukunft einer ausdrücklichen schränkungen. Bei den kommenden Beratungen Genehmigung. Die Erforschung von Ersatz- und Er- werden wir sehr genau prüfen, ob der Tierversuch, gänzungsmethoden, insbesondere unter Einsatz z. B. im Bereich der Kosmetik wirklich unerläßlich von Zell- und Gewebekulturen und Bakterien, soll ist. Mir scheint, daß dies noch ein Feld ist, auf dem zukünftig intensiv gefördert werden. Einschränkungsmöglichkeiten ohne weiteres gege- ben sind. Alle Tierversuchseinrichtungen müssen künftig einen oder mehrere qualifizierte Tierschutzbeauf- Der vorliegende Gesetzentwurf wird dazu führen, tragte bestellen. daß die Zahl der Tierversuche in einzelnen Berei- chen um bis zu 50 % vermindert wird. Tierversuche Zur Unterstützung der Behörden, die über die Ge- insgesamt zu verbieten würde zu einer nach unse- nehmigung von Tierversuchen entscheiden, werden ren derzeitigen Erkenntnissen nicht zu verantwor- sogenannte Ethik- Kommissionen berufen. Wer tenden Beeinträchtigung der wissenschaftlichen Versuchstiere züchten oder mit ihnen handeln will, Forschung führen. muß dies den zuständigen Behörden anzeigen. Er muß die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkei- Das, was sogenannte alternative Methoden mit ten haben und auf Verlangen nachweisen. Mikroorganismen, Zellkulturen, biochemischen Substanzen und dem Reagenzglas leisten können, Alle Rechtsvorschriften, also z. B. das Arzneimit- muß noch mehr als bisher gefördert werden. Nur telgesetz, das Pflanzenschutzgesetz und das Chemi- dann ist gewährleistet, daß die Zahl der Tierversu- kaliengesetz, die zum Schutz des Verbrauchers che kontinuierlich weiter abgebaut werden kann. Tierversuche vorschreiben, werden mit dem Ziel ei- Mit über 6 Millonen DM hat das Forschungsmini- ner Einschränkung der Versuche überprüft. Ent- sterium 1984 Projekte, die Ersatzmethoden entwik- sprechende Änderungen unter besonderer Berück- keln, gefördert. Ich gehe davon aus, daß dieser Be- sichtigung des Einsatzes von Ersatz- und Ergän- trag zwangsläufig mit der Novellierung des Tier- zungsmethoden wollen wir anstreben. schutzgesetzes in Zukunft aufgestockt wird. Trotz dieser Verbesserungen sind für die FDP Zum zweiten Punkt, der Ethik. Es war die FDP, noch einige Fragen offen. Gerade in den Fragen, welche die Einrichtung von Fachkommissionen — welche die Datenbank, den LD-50-Test, Tierversu- jetzt sagt man „Ethik-Kommissionen" — zur Bera- che für kosmetische Produkte und Tabakwaren und tung der Länderbehörden, die Tierversuche zu ge- den Transport von Tieren berühren, müssen wir in nehmigen haben, durchgesetzt hat. Diese Kommis- den jetzt anstehenden Beratungen noch Klarheit sionen sollen auf Grund ihres wissenschaftlichen darüber gewinnen, was das Gesetz in diesen Fällen und tierschützerischen Sachverstandes den Behör- leistet. den beratend zur Seite stehen. Ich halte die Ethik Bei jedem von uns gehen täglich im Büro Briefe Kommission für eine ganz wichtige Einrichtung, in zum Thema Tierschutz ein. Die meisten dieser der auch die Tierschützer ihre Verantwortung unter Briefe stammen aus der Feder engagierter Tier- Beweis stellen können. schützer. Ich freue mich, daß uns auch heute bei Ich möchte das Thema Ethik hier nicht in aller dieser Debatte im Plenum eine ganze Anzahl Tier- Breite auswalzen, auch wenn es im Tierschutz be- schützer zuhören. Diese Briefe beschäftigen sich sonderes Gewicht einnimmt. Nur eine Bemerkung: insbesondere mit folgenden Problemen: erstens Meiner Meinung nach wird nur der sparsame und Tierversuche — ja oder nein? — zweitens Ethik — verantwortungsvolle Gebrauch des Begriffs „Ethik" die Frage nach dem Gebrauch und Verbrauch von seiner besonderen Bedeutung gerecht. Ich sage hier Tieren, drittens die Frage: Ist die Massentierhal- auch, daß ich wegen der Bezeichnung „Ethik-Kom- tung Tierquälerei? mission", die hohe Ansprüche von fast philosophi- Zum ersten Punkt, den Tierversuchen: Die FDP schem Ausmaße erweckt, etwas skeptisch bin. tritt seit langem für eine drastische Reduzierung - Der dritte Punkt sind die landwirtschaftlichen von Tierversuchen ein. Durch strengere Regelun- Nutzviehhaltung, speziell die größeren Tierbestän- gen wird das vorliegende Gesetz dazu führen, daß de, oder die Massentierhaltung. Dazu liegen uns ja die Zahl der Tierversuche drastisch vermindert der Antrag der SPD und der Antrag der GRÜNEN wird. Ein totales Verbot ist nach unserer Ansicht im speziell zur Käfighaltung von Hühnern vor. Glückli- Augenblick nicht möglich, da wir sonst der Wissen- cherweise befindet sich die landwirtschaftliche schaft und Forschung, also der Grundlage unserer Nutztierhaltung noch überwiegend in bäuerlicher Zukunft, den Teppich unter den Füßen wegziehen Hand. Bedenklich wird es, wenn wir uns die boden- würden. unabhängige Produktion bei Mastschweinen und in Dennoch ist gerade die Reduzierung der Tierver- noch stärkerem Ausmaß in der Hühnerhaltung ver- suche das Kernstück des zu behandelnden Geset- gegenwärtigen. Größere, kostengünstige Bestände zes. In ihm sind höhere Anforderungen an die Ge- bedeuten gleichzeitig Wettbewerbsvorteile auf dem 10228 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985

Bredehorn Markt. Dies darf für uns allerdings kein Grund sein, meiner Partei, der Freiheitlichen Volkspartei, gebe- in Tierschutzfragen nachlässig zu werden. Da greife ten, ich gerne auf die Argumentation der SPD zurück, (Lachen bei der CDU/CSU und den GRÜ die in ihrer Antragsbegründung ausdrücklich sagt, NEN) daß Nichtstun auf keinen Fall mit einer nicht vor- handenen EG-Harmonisierung begründet werden zu diesem Thema im Parlament zu sprechen. Ich darf. dachte, daß es hier allgemeines Schmunzeln gibt. (Müller [Schweinfurt] [SPD]: Sehr gut!) (Zuruf von der SPD: Wie heißt das?) Zu den Problemen einer artgerechten Haltung — Sie können sich dann bei mir privat erkundigen, kann man natürlich einiges sagen. Gerade die mo- Herr Kollege. — Aber wer zuletzt lacht, lacht am derne Entwicklung z. B. hin zum Laufstall hat für besten, und ich wußte genau, was kommt, wenn ich die Tiere ja sicher zur Bedingung, daß sie artge- hier spreche. rechter gehalten werden als jahrhundertelang in den Anbindeställen. Das ist z. B. ein Punkt. Auf der Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundes- anderen Seite hat die Bundesregierung Modellver- regierung auf Drucksache 10/3158 handelt es sich suche unterstützt und finanziert zur Volierenhal- unserer Meinung nach nicht um ein Tierschutzge- tung von Hühnern. Diese Dinge sind im Fluß. Wir setz, verehrter Herr Kollege, sondern um ein Tier- müssen die Ergebnisse, die teilweise vorliegen, jetzt nutzungsgesetz. Tiere haben bekanntlich in Bonn auch richtig interpretieren. keine Lobby, im Gegensatz zur Pharmaindustrie. In der Pharmazie würden 200 Medikamente genügen. Die umstrittene Käfighaltung wird in der anste- 20 000 Medikamente mit gleicher Wirkung sind auf henden Tierschutzdiskussion einen breiten Raum dem Markt. Dafür wurden Millionen von Tieren zu einnehmen. Dabei fühlen wir Politiker uns durch Tode gequält. die Wissenschaft etwas im Stich gelassen, denn es scheint nicht nachweisbar zu sein, daß Käfighühner Wir betrachten uns als Partei der Tierschützer wirklich leiden. Auf dieser Meinung fußt auch das auf allen Ebenen. Für uns sind Tiere keine Sache jetzt ergangene Gerichtsurteil in Darmstadt, das im Sinne des BGB, sondern Lebewesen, die Angst zwei hessische Hühnerhalter freigesprochen hat. und Schmerzen verspüren. Wir wenden uns deshalb mit Entschiedenheit gegen weitere Tierversuche. Jede Haltungsform hat Nachteile. In Käfigen sind Es gibt in der Zwischenzeit — das wissen wir alle — die Hühner in ihrer Bewegungsfreiheit einge- genügend alternative Methoden. schränkt, in der Bodenhaltung sind sie Krankheiten bis hin zum Kanibalismus ausgesetzt. Schließlich Meine verehrten Kollegen, es ist beschämend, hat auch der Verbraucher ein gewichtiges Wort mit- daß die Bundesregierung nicht einmal weiß, wieviel zureden. Ob dieser nämlich bereit ist, für das eine Versuchstiere in der Bundesrepublik Deutschland Ei tiefer in die Tasche zu greifen als für das jährlich zu Tode gequält werden. Die geschätzte andere, Zahl von 7 Millionen Versuchstieren stimmt schon deshalb nicht, da nach einer Auskunft des hessi- (Roth [SPD]: Ein wunderbares Bild!) schen Sozialministers — Drucksache 11/54 — in ist nach einer Untersuchung, die das Wickert-Insti- einem Jahr allein in Hessen 2,3 Millionen Tiere — tut durchgeführt hat, zweifelhaft. Danach sagten wie es im Amtsdeutsch so schön heißt — verbraucht mehr als zwei Drittel der Befragten, daß sie gegen worden sind. Nach Schätzungen von Fachleuten ein Verbot der Käfighennenhaltung seien. Wir be- werden in Tierversuchsanstalten der ganzen Welt grüßen es, daß es jetzt möglich ist, eine differen- täglich 300 000 Tiere zu Tode gefoltert. Unter ande- zierte Kennzeichnung von Boden- und Käfigeiern rem werden folgende Zahlen genannt: 90 Millionen: einzuführen, damit der Verbraucher eine Wahlmög- USA; 14 Millionen: Bundesrepublik Deutschland; 5 lichkeit hat. Millionen: England; 3 Millionen: Schweiz. Meine Damen und Herren, die FDP ist sich der Der Entwurf des neuen Tierschutzgesetzes ist in aufgezeigten sensiblen Fragen des Tierschutzes be- vielen Teilen nur nach außen fortschrittlich, tat- wußt. Wir erhoffen uns durch eine Anhörung, die sächlich jedoch rückschrittlich. Dieser Entwurf unsere Fraktion im nächsten Monat mit Sachver- wird von uns aus folgenden Gründen abgelehnt: ständigen durchführt, nützliche Erkenntnisse, die Erstens. Wir erheben Einspruch gegen § 2 des wir mit in die Ausschußberatungen hineintragen vorliegenden Entwurfs. Nach der vorgelegten Fas- und verwerten wollen. sung des § 2 entscheidet der Bundesernährungsmi- nister über die Nutztierhaltung, weil er in § 2 a er- Schönen Dank. - mächtigt werden soll, die Anforderungen an die (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Nutztierhaltung näher zu bestimmen. Wir fordern statt dessen eine verhaltensgerechte Unterbrin- gung der Tiere und das Verbot der dauernden Ein- Vizepräsident Frau Renger: Das Wort hat der Herr schränkung ihres artgemäßen Bewegungsbedürf- Abgeordnete Handlos. nisses. Die Schutzbestimmungen für unsere Nutz- tiere müssen den Bestimmungen des § 2 des Tier- schutzgesetzes von 1972 entsprechen und endlich erlassen werden. Handlos (fraktionslos): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich wurde von zahlreichen Meine Damen und Herren, das Schweizer Tier- Tierschutzverbänden, von Tierschützern, auch von schutzgesetz von 1981 hat wesentlich humanere Be- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 10229

Handlos stimmungen für die Nutztierhaltung als unser Tier- ganz eingeschränktem Maße dem Wohlergehen der schutzgesetz. Anders als in den EG-Staaten sind Menschen dienen können. Legebatteriekäfige in der Schweiz mit einer Über- (Zuruf des Abg. Carstensen [Nordstrand] gangsfrist verboten worden. Dies ist ein Erfolg der [CDU/CSU]) Schweizer Bevölkerung, die j a plebiszitär darüber abgestimmt hat. In solchen Fällen würde ich sagen: Was dringend notwendig ist, ist — das wurde heute Es wäre sehr vorteilhaft, wenn es auch bei uns in schon von verschiedenen Kollegen gesagt — die der Bundesrepublik Deutschland in dieser Hinsicht Schaffung einer Datenbank, um alle Ergebnisse zu Volksbegehren und Volksentscheide geben würde, speichern und um zu vermeiden, daß ständig neue weil sich die Bevölkerung in dieser Frage dann tat- Tierversuche in Gang gesetzt werden. Meine Da- sächlich artikulieren könnte. men und Herren, wir sehen gar nicht ein, daß für die Erprobung von Tabakerzeugnissen — bei denen Zweitens. Tierversuche können nach wie vor aus sowieso daruntersteht, daß sie gefährlich sind —, allen erdenklichen Gründen durchgeführt werden. von Körperpflegemitteln sowie von Wasch- und Rei- Der Gesetzentwurf ist nicht geeignet, die Leiden nigungsmitteln nach wie vor Hunderttausende von der Versuchstiere einzudämmen. Tieren zu Tode gequält werden sollen. Wir brauchen keine neuen Waschmittel, die noch weißer waschen, Drittens. Die Stellung der Tierschutzvereine muß und wir benötigen auch — die Damen mögen dies gestärkt werden. Wir fordern darüber hinaus für die entschuldigen — keine neuen Parfums, die noch Käfighaltung von Nutztieren erweiterte Normen. besser riechen als die bisherigen, wir brauchen Wir verlangen strenge Maßstäbe für Tiertransporte keine neuen Lippenstifte und Haarfärbemittel auf auf internationaler Ebene und wenden uns mit Ent- Kosten der brutal ausgebeuteten Tiere. Was wir be- schiedenheit gegen die Jagd auf Singvögel in der nötigen, ist ein echtes Tierschutzgesetz, meine ver- Europäischen Gemeinschaft. ehrten Kollegen und kein Tiernutzungsgesetz. Vielen Dank. Viertens. Der Gesetzentwurf bietet nicht die ge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU ringste Gewähr für eine wirksame Kontrolle bei der und der GRÜNEN) Genehmigung und Kontrolle von Tierversuchen. Meine Damen und Her- Ich darf in diesem Zusammenhang ein Wort zu Vizepräsident Westphal: ren, weitere Wortmeldungen zu dieser Debatte lie- dem Thema Bundeswehr und Tierversuche sagen. gen nicht vor. Ich glaube, es ist hier allgemein bekannt, daß ich in allen Bereichen ein Befürworter der Bundeswehr (Widerspruch bei der CDU/CSU) bin. Ich war ja nicht zuletzt über ein Jahrzehnt im — Hier liegt keine mehr vor. Ich schließe die Aus- Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundesta- sprache. ges. Durch das Eingreifen der politischen Füh- Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorla- rungsspitze des Verteidigungsministeriums wurde gen auf den Drucksachen 10/2703, 10/3158 — — vor kurzem dankenswerterweise der Bau einer neuen Tierversuchsanstalt der Bundeswehr ge- (Abg. Bohl [CDU/CSU] interveniert beim stoppt. Ich darf jedoch an den Verteidigungsmini- amtierenden Präsidenten) ster bzw. an seinen Staatssekretär, der hier ist, ap- — Bei mir lag keine Wortmeldung mehr vor, aber pellieren, diese Tierversuche ganz einzustellen. wenn für die Debatte noch Zeit zur Verfügung Warum? Wir vertreten die Auffassung, daß wir an stand, bin ich gerne bereit, nochmals das Wort zu den Bundeswehrkrankenhäusern in Koblenz und erteilen. Wer soll noch sprechen? Ulm keine sogenannte Forschung in dieser Rich- (Zurufe von der CDU/CSU: Der Kollege Mi tung benötigen. Außerdem sind wir der Auffassung, chels!) daß in den sechs Wehrbereichen auch keinerlei Ve- terinärversuchsanstalten für Tierversuche notwen- — Nachdem wir festgestellt haben, daß die verein- dig sind. Der Verteidigungsminister benötigt so- barte Redezeit das noch zuläßt, erhält der Abgeord- wieso ständig neue Finanzmittel zur Stärkung der nete Michels in der Debatte zum Thema Tierschutz, Kampfkraft der Armee. Herr Kollege Würzbach, die wir soeben geführt haben, das Wort. Bitte! hier bestünde eine Möglichkeit, um auf diese Art und Weise einzusparen. Ich habe mich auch davon Michels (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr überzeugen lassen: Die Versuche sind wirklich un- verehrten Damen und Herren! Das zur Zeit gültige nötig. - Tierschutzgesetz aus dem Jahre 1972 gilt, wenn wir die Schweiz ausnehmen, weltweit als ein Rege- In diesem Zusammenhang darf ich grundsätzlich lungsrahmen, der bisher dem berechtigten Schutz die Nützlichkeit von Tierversuchen für das Leben des Tieres noch am ehesten gerecht geworden ist. und das Wohlergehen der Menschen bezweifeln, Da die Entwicklung aber keinen Stillstand kennt, nachdem das Bundesgesundheitsamt z. B. 1983 in sind wir auch verpflichtet, neue Erkenntnisse in 43 Fällen Zulassungen für Präparate zurückziehen einem immer größeren Maße dem Schutz der uns mußte, die in Tierversuchen getestet worden sind. anvertrauten Tiere dienen zu lassen. Diese Haltung Sie alle erinnern sich an das Thema Contergan. Es liegt dem Bemühen der Bundesregierung zugrunde, wurde in unzähligen Versuchen erprobt, und dann durch einen neuen Tierschutzgesetzentwurf unse- hatte es diese verheerende Wirkung auf die Men- rer ethischen Verpflichtung gegenüber dem Tier schen. Ich glaube deshalb, daß Tierversuche nur in Rechnung zu tragen. Das bedeutet allerdings nicht, 10230 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985

Michels daß dieser Entwurf unverändert — so, wie er ist — Viertens. Versuche zur Erprobung von Kosmetika Gesetz wird. und Tabakwaren sollen nach dem Entwurf in Zu- Verehrte Frau Schmidt, Sie haben es bei der Vor- kunft einer besonderen Genehmigung unterworfen stellung Ihres Entwurfs eben unterlassen, auf das werden. Hier müssen nach unserer Meinung bei der von der SPD 1982 verabschiedete Chemikalienge- Beratung der diesbezügliche Bedarf und das Ge- setz hinzuweisen, sundheitsinteresse der Bevölkerung sehr nüchtern analysiert werden. (Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Ich habe Nicht nur im Bereich der Kosmetikforschung, nicht so viel Zeit gehabt!) sondern darüber hinaus sehe ich Probleme darin, nach welchem Tierversuche großen Ausmaßes ge- daß von einem Institut bei Tierversuchen gewon- rade vorgeschrieben sind. Ich betone: Das Gesetz nene Erkenntnisse nicht ohne weiteres von ande- stammt aus dem Jahre 1982. ren Stellen genutzt werden können. Leider stehen Meine Damen und Herren, die Diskrepanz, der entschädigungs- und patentrechtliche Gegebenhei- wir draußen begegnen, läßt sich wie folgt beschrei- ten der Einrichtung und optimalen Nutzung einer ben: Die einen lehnen jeden Tierversuch mit der Datenbank noch entgegen. Eines soll hier schon Begründung ab, es sei uns Menschen nicht gestat- heute deutlich zum Ausdruck gebracht werden. Der tet, uns als sogenannte Krone der Schöpfung zu sogenannte LD 50-Test wird von uns aufs aller betrachten und das Tier je nach Bedarf in unseren schärfste unter die Lupe genommen. Dienst zu stellen. Ein anderer Teil unserer Mitbür- Ein positiver Wettstreit von Wissenschaft und ger hat gegenüber Tierversuchen und Tierhaltung Forschung einerseits sowie Tierschutzorganisatio- weit weniger Vorbehalte; viele aber bemühen sich nen andererseits wird mit Sicherheit dazu beitra- darum, das Verhältnis zwischen Mensch und Tier gen können, daß die parlamentarische Beratung auf das höchstmögliche Niveau ethischer Verant- dieses Gesetzes auf einem hohen Niveau geführt wortung für die uns anvertraute Kreatur zu stel- werden kann und zu einem optimalen Ergebnis für len. Mensch und Tier führen wird. Für meine Fraktion kündige ich schon heute an, daß wir die Einführung Bei der nun beginnenden Beratung des heute ein- eines Tierschutzberichtes im Abstand von zwei Jah- gebrachten Entwurfs wird sich meine Fraktion von ren sehr wohlwollend prüfen werden. Ein solcher unserer gemeinsamen Verantwortung für Mensch Bericht gäbe uns die Möglichkeit, den Erkenntnis- und Tier leiten lassen. Der Gesetzentwurf beinhal- fortschritt in kürzeren Abschnitten schnellstens tet wesentliche Verbesserungen gegenüber dem zur umzusetzen. Wir sehen hierin jenen gesetzlichen Zeit noch gültigen Gesetz. Ich bin den Tierschutzor- Rahmen, der uns die Entwicklung alternativer Me- ganisationen, die uns durch ihre Aktivitäten in dem thoden zeitlich limitiert vorantreiben läßt, um sie bisherigen Bemühen tatkräftig unterstützt haben, dann schnellstmöglich zu übernehmen. sehr dankbar. Uns, dem Gesetzgeber, kann natür- lich niemand die Verantwortung abnehmen, umfas- In seinem weiteren Teil bezieht sich der Entwurf send zu analysieren und einen Weg einzuschlagen, eines Tierschutzgesetzes auf den Bereich der Nutz- der zu einem möglichst optimalen Schutz der Tiere tierhaltung. Die gebotene Versorgung unserer Be- führt. völkerung mit tierischen Produkten macht eine be- sondere arbeits- und tiergerechte, aber auch wirt- Niemand sollte aber außer acht lassen, daß auch schaftliche Tierhaltung erforderlich. Der gesamte und gerade in dieser Angelegenheit eben dem Ge- Bereich der Agrarproduktion unterliegt aber euro- sundheitsanspruch des Menschen die Priorität ge- päischer Rechtszuständigkeit. Alleingänge — wir bührt. Einige mir wesentlich erscheinende Eck- kennen solche Vorstöße aus dem Land Hessen — punkte möchte ich hier ansprechen: sind nicht geeignet, dem Anliegen der Tiere auch Erstens. Wirbeltiere dürfen in Zukunft nur noch anderswo in Europa gerecht zu werden. Tierschutz für Versuchszwecke genutzt werden, wenn sie aus kann nicht punktuell sein. Tierschutz muß, wenn er speziellen Zuchtbetrieben stammen. Ausnahmen ehrlich angegangen wird, so umfassend wie nur sollen nur im besonders nachgewiesenen Bedarfs- möglich sein. Ich verweise in diesem Zusammen- fall möglich sein. Vielen, die wissenschaftliche Ver- hang auf das erst kürzlich ergangene Urteil der 5. suche machen, geht diese Einschränkung zu weit. Großen Strafkammer in Darmstadt. Die Tierschutzorganisationen befürchten Miß- Mit diesem Gesetz berühren wir mit einer kaum brauch. vergleichbaren Intensität den gesamten Bereich Zweitens. Ethikkommission und Tierschutzbe- der Gesundheitsvorsorge und der menschlichen Er- auftragte werden in Zukunft bei Genehmigung- und nährungssicherung. Durchführung von Tierversuchen entscheidend mitwirken. Über die Zusammensetzung der Ethik- Herr Abgeordneter, ich kommission gibt es zwischen Wissenschaft und Vizepräsident Westphal: muß Sie aufmerksam machen, daß die Redezeit nun Tierschutzorganisationen noch widerstreitende An- vorüber ist. sichten. Drittens. Der Entwurf sieht den Wegfall der Aus- nahmeregelung für das Kupieren der Ohren bei Michels (CDU/CSU): Ich bin gleich am Ende. Hunden vor. Wir sind der Meinung, daß wir hierzu Wir nehmen uns selbst gegenüber der anvertrau- noch einmal sehr eingehend die fachliche Seite hö- ten Kreatur in einem höchstmöglichen Maß in die ren müssen. Verantwortung. Hier ist umfassende Verantwor- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 10231

Michels tung gefragt, und ich darf Sie alle bitten, hieran mit- lungnahme des Bundesministeriums der Verteidi- zuwirken. gung vom 18. Mai 1984 zu der Petition, die zu dem (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Schluß kommt, daß der Charakter des Munitions- depots nicht offengelegt werden könne, enthält Wi- dersprüche und ist zudem zum heutigen Zeitpunkt Meine Damen und Her- Vizepräsident Westphal: nicht mehr zutreffend; denn darin wird behauptet, ren, weitere Wortmeldungen liegen nun nicht mehr die Bundesrepublik Deutschland habe sich gegen- vor. Ich schließe die Aussprache. über der NATO verpflichtet, Lagerorte von Kern- Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vor- waffen geheimzuhalten. lagen auf den Drucksachen 10/2703, 10/3158, 10/2704, 10/1885 und 10/2868 an die in der Tagesord- Diese tatsächlich nahezu 30 Jahre lang geübte nung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu Praxis ist erstmals am 12. Dezember 1984 durchbro- anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. chen worden, als das BMVg offiziell bestätigt hat, Dann sind die Überweisungen so beschlossen. der Raum Wüschheim im Hunsrück sei als Statio- nierungsort für die neuen atomaren Mittelstrecken- raketen vom Cruise Missile vorgesehen. In der „Ta- Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf: geszeitung" vom 19. Oktober 1984 und im „Spiegel" Beratung der Sammelübersicht 76 des Peti- vom 22. April 1985 sind die Baupläne für alle inter- tionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge essierten Menschen nachzulesen. Daraus ist ganz zu Petitionen eindeutig zu entnehmen, daß dort Atomwaffen la- — Drucksache 10/3210 — gern sollen. Hierzu liegt auf Drucksache 10/3331 ein Ände- Auch dem Untersuchungsbericht, den uns das rungsantrag der Abgeordneten Mann, Dr. Schier- BMVg über den Pershing-Unfall in der Waldheide holz und der Fraktion DIE GRÜNEN vor. bei Heilbronn zugeleitet hat, ist eindeutig zu Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für entnehmen, daß in Heilbronn — Fachleute kön- die Aussprache ein Beitrag bis zu fünf Minuten für nen daraus schließen, daß das auch bei den anderen jede Fraktion vereinbart worden. — Ich höre dazu Pershing-Einheiten so ist — bzw. in unmittelbarer keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Nähe Atomwaffen lagern. Von daher bestehen Wi- Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort hat Herr dersprüche. Abgeordneter Dr. Schierholz. Die Besorgnis in der Bevölkerung gegenüber der Stationierung oder der Lagerung atomarer oder Dr. Schierholz (GRÜNE): Herr Präsident! Meine chemischer Waffen ist vollauf berechtigt. Damen und Herren! Liebe Mitglieder aus Bürgerin- (Beifall bei den GRÜNEN — Carstensen itiativen gegen Munitionsdepots! Es handelt sich [Nordstrand] [CDU/CSU]: Die ist kleiner, bei der zur Debatte stehenden Petition, Herr Car- als Sie denken!) stensen — wenn Sie unseren Änderungsantrag ge- lesen haben, wissen Sie das —, um die Eingabe — Herr Carstensen, passen Sie mal auf, nach Nord- einer Bürgerinitiative, die sich gegen die Einrich- strand kommt sonst auch noch so ein Ding. und insbeson- tung eines neuen Munitionsdepots (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: dere gegen dessen möglichen Charakter als A-, B- Wenn es Ihrer Sicherheit dient, hätte ich oder C-Waffenlager in der Nähe von Rotenburg an auch nichts dagegen!) der Wümme zwischen Hamburg und Bremen wen- det. Dementsprechend ist nicht einzusehen, weswegen Für uns GRÜNE ist diese Eingabe von elementa- das Begehren der Petentin, der Bürgerinitiative, rer Bedeutung. Der erste Grund dafür ist, daß wir nicht klar beantwortet werden kann. Denn richtig alle diese Bürgerinitiativen gegen Naturzerstörung ist in der Stellungnahme des BMVg vom 18. Mai und Landschaftsverbrauch zu militärischen 1984, daß Atomwaffen in speziell gesicherten Zwecken nachdrücklich unterstützen. An ca. 200 Schutzbauten gelagert werden, die wiederum von Stellen, vornehmlich in Niedersachsen, Schleswig- technisch und personell abgesicherten Sicherheits- Holstein, Osthessen und Bayern, werden zur Zeit bereichen umgeben sind. Jeder Fachmann kann Munitionsdepots gebaut oder geplant. Zweitens fin- nachlesen, wie das aussieht. Darüber gibt es Bro- den wir es dringend notwendig, daß wesentlich häu- schüren. Gehen Sie einmal in den nächsten Buchla- figer am hellichten Tage an dieser Stelle über die den. Da können Sie nachlesen, wie das mit den Atomwaffen aussieht. Und lesen Sie einmal die Ver- Anliegen von Bürgerinitiativen, von Bürgerinnen- und Bürgern, die von diesem Parlament etwas er- öffentlichungen von Brauch oder Rabe; auch dort warten, direkt diskutiert wird. können Sie genau entnehmen, wie es ausieht und wo chemische Waffen — das wissen wir mit nahezu (Beifall bei den GRÜNEN) hundertprozentiger Sicherheit — heute in der Bun- Wenn es die Bundesregierung mit ihren Verspre- desrepublik lagern. chungen zu dem Thema ernst nähme, dann müßte sie hier eigentlich auch sagen: Frieden schaffen mit Aus diesem Grund ist überhaupt nicht einleuch- immer weniger Munitionsdepots. tend, weswegen Bürgerinitiativen, die sich gegen die Anlage von Munitionsdepots wenden, von der (Beifall bei den GRÜNEN) Bundesregierung und den zuständigen Stellen nicht Aber das tut sie nicht. Sie verwickelt sich wie an klar und nicht eindeutig über den Charakter des anderen Stellen in Widersprüche. Auch die Stel beabsichtigten Bauvorhabens informiert werden. 10232 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985

Dr. Schierholz Die beste Lösung — das will ich nicht verschwei- das ist Ihr Antrag —, dann ist damit offenbar nur gen — wäre natürlich der vollständige Abzug der gemeint, daß Sie eine Diskussion über allgemeine atomaren und chemischen Waffen aus der Bundes- Fragen der Lagerung von Waffen in der Bundesre- republik. publik haben wollen. (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Für (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: wen wäre das das Beste?) Sehr gut!) Aber da die Bundesregierung dazu nicht gewillt ist, Mit der Petition, dem Anliegen, so, wie es sich nach fordern wir kurzfristig: erstens, keine weiteren Ein- der Akte und dem Antrag der Bürgerinitiative dar- griffe in Natur und Landschaft für militärische gestellt hat, hat das überhaupt nichts zu tun. Zwecke, keine weiteren Munitionsdepots, (Beifall bei den GRÜNEN — Bohl [CDU/ (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Schierholz CSU]: Vier GRÜNE klatschen!) [GRÜNE]: Das ist doch Unsinn!) zweitens, entsprechende Änderungen des Landbe- Deshalb möchte ich zunächst einmal etwas zu schaffungsgesetzes und des Schutzbereichsgeset- einer Grundsatzfrage sagen. Sie müssen sich ein- zes, die erstens bürgerfeindlich sind, Frau Berger, mal mit der Frage befassen, ob Sie eigentlich in und zweitens ihre Wurzeln — und das stimmt mich Zukunft Petitionen und das Petitionswesen dazu besonders traurig — im Jahre 1935 haben. Deswe- mißbrauchen wollen, allgemeine, möglicherweise gen gehören sie schleunigst geändert. interessante grundsatzpolitische — hier sicher- Wir unterstützen diese Petition der Bürgerinitia- heitspolitische — Fragen aufzuzäumen und über tive in Scheeßel. Deswegen bitte ich, unserem Ände- diesen Weg ins Plenum zu zerren, unabhängig da- rungsantrag auf Drucksache 10/3331 Ihre Zustim- von, ob das mit der Petition etwas zu tun hat. mung zu geben. (Mann [GRÜNE]: Lesen Sie mal Art. 17 Vielen Dank. Grundgesetz, Herr Dr. Göhner!) (Beifall bei den GRÜNEN — Frau Berger Damit gefährden Sie eine wichtige Grundlage der [Berlin] [CDU/CSU]: Beifall von fünf GRÜ Zusammenarbeit im Petitionsausschuß und im Peti- NEN!) tionswesen; denn wenn Sie fortfahren, diese Partei- politisierung und Profilierung in diesen Bereichen Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abge- durchzuführen — etwa dann, wenn eine Bürgerin- ordnete Dr. Göhner. itiative dahintersteht — und das sofort zu Grund- satzfragen zu erheben und hier ins Plenum zu ho- len, Dr. Göhner (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Ausnahme der Tatsache, (Mann [GRÜNE]: Da stehen Millionen hin daß es bei dieser Petition um ein Munitionsdepot ter diesen Fragen!) geht, hatte die Begründung des Antrags des Kolle- dann bedeutet das, daß Sie die bewährte, traditio- gen der GRÜNEN nichts mit der wirklichen Peti- nelle Arbeit im Petitionsausschuß, die eigentlich tion zu tun. nicht primär Oppositionsfraktionen und Regie- (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Wie rungsfraktionen kennt, sondern gemeinsames Be- üblich!) mühen, Regierung, Behörden, Bundesbehörden, zu kontrollieren, zunehmend in Frage stellen. Ich frage Sie haben offensichtlich, ich nehme an, bedingt Sie ernsthaft, ob Sie das wollen. durch die Notwendigkeit der Einarbeitung als Nachrücker, nicht die Zeit gehabt, die Petitionsakte (Mann [GRÜNE]: Und den Verteidigungs wirklich zu lesen. minister zu kontrollieren, bitte schön!) (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Der Im übrigen muß ich Ihnen zu Ihren Grundsatzfra- kann nicht lesen! — Mann [GRÜNE]: Die gen, die Sie hier aufgeworfen haben, sagen: Das Bürgerinitiative ist hier! Reden Sie mal mit haben wir hier im Plenum vielfach diskutiert. Wir denen!) haben beispielsweise zu der Frage der chemischen Die Bürgerinitiative verlangt eine Zusicherung Kampfstoffe hier im Plenum vor wenigen Monaten der Bundesregierung, daß bei diesem geplanten eine besondere mehrstündige Debatte gehabt. Ich niederländischen NATO-Munitionsdepot in Schee- darf daran erinnern — wenn Sie über Lagerorte ßel, einer niedersächsischen Gemeinde, keine ato- chemischer Kampfstoffe reden —: Wir unterstützen maren, chemischen und biologischen Waffen gela- die Bundesregierung nachdrücklich in ihrem Be- - gert werden. Nun können Sie in den Stellungnah- streben, ein weltweites kontrollierbares Verbot jeg- men des Verteidigungsministeriums leicht nachle- licher chemischer Kampfstoffe zu erreichen. sen: Erstens. Biologische Waffen gibt es in der (Mann [GRÜNE]: Reden Sie doch nicht von NATO nicht. Zweitens. Die Niederländer haben völ- Europa und der Welt! Fangen Sie hier an!) kerrechtlich definitiv auf die eigene Verfügung über chemische und atomare Waffen verzichtet. — Da es Wir haben zur Zeit in Genf nicht nur die Abrü- sich um ein niederländisches Munitionsdepot han- stungsverhandlungen der Supermächte, sondern delt, in dem ausschließlich niederländisches Mate- auch die Genfer Abrüstungskonferenz, an der über rial gelagert wird, ist die Petition damit erledigt. 40 Staaten beteiligt sind. Wenn Sie jetzt sagen, Sie wollten diese Petition (Mann [GRÜNE]: Seit Jahrzehnten wird der Bundesregierung zur Erwägung überweisen — geredet! Seit wann tagen die denn?) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 10233 Dr. Göhner Die Bundesregierung ist dort bemüht, ein weltwei- Darum geht es, das ist der Inhalt der Petition. Das tes Verbot chemischer Kampfstoffe zu erreichen. sollten Sie sich noch einmal genau anschauen. Wenn Sie in diesem Zusammenhang schon Grund- satzfragen aufgreifen, dann sollten Sie das politisch (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Das habe ich! — unterstützen Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Aber nicht begriffen!) (Mann [GRÜNE]: Worte, Worte, Worte, keine Taten!) Wir haben es uns mit dieser Petition nicht leicht und auch darüber reden, daß seit 1969 die USA — gemacht. wir sowieso schon lange, wir haben nie selbst che- (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Sie haben es mische Kampfstoffe gehabt — auf die Produktion sich sehr leicht gemacht!) chemischer Kampfstoffe verzichtet haben. (Zurufe von der CDU/CSU: Aha!) — Entschuldigen Sie bitte! Das mag zwar Ihre Mei- nung sein, aber es trifft einfach nicht zu, was Sie Und seit dieser Zeit, in der ein Einfrieren vorhande- hier in den Raum stellen. ner Bestände erfolgte, hat die Sowjetunion die Pro- duktion chemischer Waffen ganz stark ausgeweitet. Wir haben diese Petition sehr ernstgenommen. Wir haben mittlerweile ein Verhältnis von 10 : 1. Wiederholte Anfragen von uns, seitens der SPD an Das heißt, die Sowjetunion hat ein zehnmal so gro- die Bundesregierung — das werden Ihnen die ande- ßes Reservoir an chemischen Kampfstoffen. Wir ren Kollegen bestätigen —, an den Bundesminister treten für die weltweite, kontrollierbare Abschaf- der Verteidigung haben die Antwort gebracht, daß fung dieser Waffen ein, weil wir glauben, daß neben — immer unterstellt, die Antwort stimmt — keine einer nuklearen Abschreckung nicht auch noch biologischen, chemischen oder atomaren Waffen eine chemische erforderlich ist. und Kampfstoffe in diesem geplanten holländi- (Mann [GRÜNE]: Vielleicht hilft das Bun schen NATO-Depot gelagert werden. In der Stel- desverfassungsgericht noch ein bißchen lungnahme des Bundesministers der Verteidigung nach!) heißt es — ich möchte das zitieren — Sie wollen den Petitionsausschuß offenbar zu ei- daß die Vereinigten Staaten von Amerika ner Art Überausschuß machen. Das, was eigentlich und die Sowjetunion auf Grund des Abschlus- in die Fachausschüsse — hier: in den Verteidi- ses des Biotoxinwaffen-Vertrags von 1972 öf- gungsausschuß — gehört, was dort möglicherweise fentlich und verbindlich erklärt haben, daß sie an Grundsatzfragen diskutiert werden muß, sollten ihre Bestände an biologischen Kampfstoffen Sie nicht in den Petitionsausschuß bringen. vernichtet haben.

(Mann [GRÜNE]: Der Bürger bringt es in Damit ist die eine Frage schon einmal geklärt. den Petitionsausschuß! Nehmen Sie das einmal zur Kenntnis!) Weiter hat der Bundesminister der Verteidigung Der Petitionsausschuß muß Anwalt der Bürger blei- mitgeteilt, daß die Niederlande Vertragsstaat des ben und hat sich nur mit den Anliegen der Petenten Vertrages über die Nichtverbreitung von Kernwaf- zu befassen. Ihr Anliegen war nicht das der Peten- fen vom 1. Juli 1968 und nicht im Besitz eigener ten. Sie haben wieder einmal aus einem konkreten Nuklearwaffen oder chemischer Waffen sind. Des- Anliegen eine große politische Grundsatzfrage ma- halb können wir diese Petition in der Sache als erle- chen wollen. Machen Sie das dort, wo Sie es ma- digt betrachten. Wir werden dem Erwägungsantrag chen können, in den Sachdebatten in den Ausschüs- von Ihrer Seite deshalb nicht zustimmen. sen, aber mißbrauchen Sie nicht weiterhin das Peti- tionswesen. Wir gehen jedoch — das möchte ich hier aus- drücklich noch feststellen — nach den Antworten (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Schierholz des Bundesministers der Verteidigung davon aus, [GRÜNE]: Ein Armutszeugnis!) daß innerhalb dieses NATO-Depots kein anderer Entsenderstaat nach dem NATO-Truppenstatut Einrichtungen unterhält, in denen atomare Muni- tion lagert oder gelagert werden kann. Wir erwar- Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abge- ten von der Bundesregierung, daß sie in diesem ordnete Kirschner. Sinne handelt und dementsprechend auch bei allen - Atomwaffenstaaten dafür eintritt.

In diesem Zusammenhang stellt sich jedoch eine Kirschner (SPD): Herr Präsident! Meine Damen ganz andere Frage, nämlich die Frage nach der und Herren! Die Petition, um die es hier geht — Auskunftsverweigerung der Bundesregierung ge- dies wurde j a schon gesagt —, kommt von einer genüber dem Bundestag über die Lagerung von Bürgerinitiative mit ca. 900 Unterschriften, die uns chemischen und atomaren Kampfstoffen und Waf- vorliegen. Dieser Bürgerinitiative geht es darum — fen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutsch- um das genau geht es, Herr Kollege Schierholz —, land. daß in dem geplanten holländischen NATO-Depot im Landkreis Wümme in Niedersachsen keine (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Genau das ist ABC-Waffen und -Kampfstoffe gelagert werden. das Problem!) 10234 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985

Kirschner — Aber bei diesem Problem geht es nicht um die über die Lagerung und Stationierung von atomaren zur Diskussion stehende Petition, Herr Schierholz. und chemischen Waffen und Kampfstoffen abgelei- Lesen Sie doch einmal nach! tet werden. Dazu liegt auch eine Normenkontroll- (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Der klage einiger SPD-Bundestagsabgeordneter beim kann doch nicht lesen!) Bundesverfassungsgericht vor. (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Sehr gut!) Ich will noch einmal erläutern, wie unsere Position ist: Während die US-Regierung — im Gegensatz zur Wir werden deshalb Ihren Antrag, die Petition zur deutschen Bundesregierung — das Parlament über Erwägung zu überweisen, ablehnen, weil er in der solche Standorte informiert, verweigert die Bundes- Sache nicht weiterführt. regierung dies. (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Das ist dünn! — (Dr. George [CDU/CSU]: Auch schon frü Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Aber her!) richtig!) — Das mag Ihre Meinung sein. Wie dürftig diese Argumentation der Bundesregie- rung in Wirklichkeit ist, wird daran deutlich, daß (Beifall bei der SPD) die Landesregierung von Rheinland-Pfalz — darauf möchte ich ausdrücklich hinweisen, Herr Kollege Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Herr Dr. George — ausdrücklich ermächtigt wurde, den Abgeordnete Paintner. Stationierungsstandort der Cruise Missiles im Be- reich von Wünschheim im Hunsrück bekanntzuge- ben. Gleichzeitig betont das Bundesverteidigungs- Paintner (FDP): Herr Präsident! Meine Damen ministerium, daß die Preisgabe des Stationierungs- und Herren! Ziel der heute vorliegenden Petition ist ortes für die Marschflugkörper eine Ausnahme dar- es, eine Zusicherung der Bundesregierung zu errei- stelle. Hier wird nicht nur mit zweierlei Maß gemes- chen, daß in dem bei Westervesede im Landkreis sen, sondern eine Landesregierung — darauf Rotenburg/Wümme für die niederländischen Streit- kommt es mir an — höherrangig behandelt als der kräfte geplanten NATO-Depot keine biologischen, Deutsche Bundestag chemischen oder atomaren Waffen bzw. Kampf- stoffe gelagert werden. (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Genau!) Vor Ort ist — darauf weisen die Petenten hin — — und dies, obwohl die Landesverteidigung nicht in die Anlage des Depots auch aus anderen Gründen, die Kompetenz eines Bundeslandes, sondern ein- z. B. solchen des Natur- und Landschaftsschutzes, deutig in die Kompetenz des Bundes und seiner umstritten. Allerdings werden diese Einwände fast Vertreter fällt. Dem Bundestag und seinen Abge- für jeden möglichen Standort vorgebracht. Deshalb ordneten werden Informationen verweigert, die ei- muß, wenn solche Depots überhaupt angelegt wer- ner Landesregierung gewährt werden. Die Verwei- den müssen, das Bestreben dahin gehen, die Beden- gerung von Information durch die Bundesregierung ken soweit wie irgendwie möglich zu berücksichti- über Ort und Umfang von atomaren und chemi- gen, wozu es auch in diesem Fall zahlreiche Bemü- schen Waffen ist völlig unglaubwürdig. hungen gegeben hat und gibt. Ein weiteres macht die Unglaubwürdigkeit deut- Ebenso gibt es immer wieder Anfragen nach der lich. Auf Grund des Unglücks auf der Heilbronner Art der in diesen Depots zu lagernden Waffen oder Waldheide hat Herr Wörner den Heilbronner Ge- Kampfstoffe. Ich verweise hier z. B. auf die Frage- meinderat über die angeblichen Ursachen des stunde vom 9. Juni 1983 im Deutschen Bundestag, Brandes der Pershing informiert. Fernsehen, Rund- wo nicht nur für ein anderes Lager dieser Punkt, funk und Zeitungen haben ausführlich darüber be- sondern hinsichtlich einer Frage meines Kollegen richtet. Wie verträgt sich dies mit der sonstigen Pra- Dr. Hirsch ebenso die Grundlagen der vom Bundes- xis der Bundesregierung? verteidigungsministerium auch zur vorliegenden Petition herangezogenen Geheimhaltungsabkom- Lassen Sie mich auch eines noch erwähnen. Es men behandelt wurden. grenzt auch an Unverfrorenheit, wenn der Bundes- minister der Verteidigung in einem Brief vom So gewichtig die Gründe sind, die sich aus diesen 18. Mai 1984 an den Petitionsausschuß schreibt — ja nicht erst jetzt abgeschlossenen Vereinbarungen, ich darf zitieren —: „Unabhängig von der Standort- die Lagerungsorte atomarer Waffen und chemi- frage nuklearer Waffen kann gesagt werden, daß scher Kampfstoffe geheim zu halten, für die Stel- eine Lagerung von Nuklearwaffen keine Gefähr- lungnahme des Bundesministers für Verteidigung - dung der Bevölkerung mit sich bringt." Wie das Un- zu dieser Petition ergeben, so begreiflich bleiben glück auf der Heilbronner Waldheide gezeigt hat, Unruhe und Bedenken, und es ist nicht leicht, ver- stimmt dies nicht. ständlich zu machen, daß die Geheimhaltung auch dann gilt, wenn es nichts geheimzuhalten gibt, Lassen Sie mich feststellen: Die Zustimmung der SPD-Bundestagsfraktion, die Petition als erledigt (Dr. Schierholz [GRÜNE]: Das ist völlig un zu betrachten — dies möchte ich noch einmal aus- sinnig!) drücklich unterstreichen —, bezieht sich nur auf die d. h. am betroffenen Ort diese Waffen oder Kampf- Petition und die darauf erfolgten Antworten der stoffe nicht gelagert werden. Allerdings ist meines Bundesregierung. Daraus kann in keinem Fall eine Erachtens eine auf Fünfminutenbeiträge be- Zustimmung zur Haltung der Bundesregierung zur schränkte Debatte zu einer Einzelpetition nicht die Auskunftsverweigerung gegenüber dem Parlament geeignete Gelegenheit, solche grundsätzlichen Fra- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 10235

Paintner gen und Probleme ausreichend und ernsthaft zu Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf: behandeln. Zweite Beratung und Schlußabstimmung des Das Verteidigungsministerium hat aber darauf von der Bundesregierung eingebrachten Ent- hingewiesen, daß es biologische Waffen nicht gebe, wurfs eines Gesetzes zu der in Rom am weil sich die USA und die Sowjetunion verbindlich 28. November 1979 angenommenen Fassung zur Vernichtung ihrer Bestände erklärt haben. Es des Internationalen Pflanzenschutzüberein- hat in einer ergänzenden Stellungnahme ebenfalls kommens mitgeteilt, daß die Niederlande, für deren Streit- — Drucksache 10/1921 — kräfte das Depot bestimmt ist, Vertragsstaat des Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- Vertrages über die Nichtverbreitung von Kernwaf- schusses für Ernährung, Landwirtschaft und fen seien und nicht über eigene Nuklearwaffen ver- Forsten (10. Ausschuß) fügen. Ebensowenig verfügen die Niederlande über chemische Waffen. Diese Auskünfte haben den Pe- — Drucksache 10/3225 — titionsausschuß bewogen, die Petition für erledigt Berichterstatter: zu erklären. Abgeordneter Bayha Ich möchte an dieser Stelle noch einmal das un- (Erste Beratung 114. Sitzung) terstreichen, was der Kollege von der CDU/CSU Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? schon gesagt hat: daß man Petitionen eben nicht — Das ist nicht der Fall. mißbrauchen soll. Das Wort zur Aussprache wird auch nicht ge- Da aber die Petenten die Zusicherung wünschen, wünscht. — Wir kommen zur Schlußabstimmung. daß die gefürchteten nuklearen Waffen und chemi- Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 4, Einlei- schen Stoffe niemals dort gelagert werden, bliebe tung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Gan- hinsichtlich einer künftigen Nutzung ein Rest von zem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu Unsicherheit. Ich möchte in diesem Zusammen- erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei hang auch noch einmal auf die schon erwähnte Fra- einigen Enthaltungen ist das Gesetz mit großer gestunde vom 9. Juni 1983 verweisen, in der von sei- Mehrheit angenommen. ten der Bundesregierung im Hinblick auf ein ande- res Depot darauf hingewiesen wurde, daß — wört- lich — „Nutzungsänderungen bezüglich der eingela- Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf: gerten Versorgungsgüter kaum möglich sind". Erste Beratung des von der Bundesregierung Es geht den Petenten im Grunde j a nicht nur um eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Ge- die lokale Frage. Es geht ihnen — wie sie schreiben setzes zur Änderung des Margarinegesetzes — auch um die befürchtete allgemeine Vergröße- — Drucksache 10/3159 — rung des Rüstungspotentials, die dem Wunsch aller Bundestagsparteien widerspräche, den Frieden mit Das Wort wird nicht gewünscht. — Der Ältesten- immer weniger Waffen sichern zu wollen. rat schlägt vor, den Gesetzentwurf zu überweisen zur federführenden Beratung an den Ausschuß für (Zurufe von der SPD: Ja, ja!) Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, zur Mitbe- Dieses Ziel ist unser Ziel, und dieses Ziel ist ratung an den Ausschuß für Wirtschaft und den sicherlich auch das Ziel der Bundesregierung. Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Dr. Schierholz [GRÜNE]: Wo ist denn r Kollege Neuhausen?) Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Haus- Vizepräsident Westphal: Weitere Wortmeldungen haltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unter- liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. richtung durch die Bundesregierung Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst Überplanmäßige Ausgabe im Haushaltsjahr über den Änderungsantrag der Abgeordneten 1984 bei Kap. 60 04 Tit. 698 01 — Zahlungen Mann, Dr. Schierholz und der Fraktion DIE GRÜ- nach dem Spar-Prämiengesetz — NEN auf Drucksache 10/3331. Wer dem Änderungs- — Drucksachen 10/2943, 10/3214 — antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Berichterstatter: Abgeordnete Austermann (Zuruf von der CDU/CSU: Fünf! Das wollen Dr. Weng (Gerlingen) wir im Protokoll festhalten!) Frau Simonis Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist mit Kleinert (Marburg) Mehrheit abgelehnt worden. Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsaus- — Das ist nicht der Fall. schusses auf Drucksache 10/3210 zuzustimmen Das Wort zur Aussprache wird auch nicht ge- wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ge- wünscht. — Wir kommen zur Abstimmung. Der genprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußemp- Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/3214, von fehlung ist mit Mehrheit angenommen. der Unterrichtung Kenntnis zu nehmen. Erhebt 10236 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985

Vizepräsident Westphal sich hiergegen Widerspruch? — Das ist offensicht- lich nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.

Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 15. Mai 1985, 13 Uhr ein.

Die Sitzung ist geschlossen.

(Schluß der Sitzung: 16.40 Uhr)

Berichtigung

135. Sitzung, Seite 9960 C: In der 5. Zeile ist statt „Am Sonntag, dem 3. Februar 1987" richtig zu lesen „Am dritten Sonntag im Februar 1987". Deutscher Bundestag - 10. Wahlperiode - 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985 10237*

Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 sache 10/3193 - zu Tagesordnungspunkt 6, Versor- gung krebskranker Kinder in der Bundesrepublik Liste der entschuldigten Abgeordneten Deutschland - wurde meine Stimmabgabe aus ge- Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich schäftsordnungsrechtlichen Gründen als ungültig ausgewiesen. Dr. Ahrens * 15. 5. Ich erkläre hiermit, daß ich mit Ja gestimmt habe Antretter * 15. 5. und Wert darauf lege, daß meine Haltung zu diesem Dr. Becker (Frankfurt) 15. 5. Antrag öffentlich feststellbar ist. Ich habe dies auch Buschfort 15. 5. gegenüber dem amtierenden Präsidenten erklärt, Conradi 15. 5. sobald mir der Vorgang bekanntgeworden war. Ehrbar 15. 5. Dr. Enders * 15. 5. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie diese Erklä- Frau Fuchs (Verl) 15. 5. rung dem nächst erreichbaren Sitzungsbericht als Gerstl (Passau) * 15. 5. Anlage beigeben würden. Haase (Fürth) * 15. 5. Mit freundlichen Grüßen von Hammerstein 15. 5. Hansen (Hamburg) 15. 5. Hauck 15. 5. Dr. Hornhues * 15. 5. Huonker 15. 5. Anlage 3 Jäger (Wangen) * 15. 5. Jansen 15. 5. Klose 15. 5. Schreiben des Abg. Dr. Scheer (SPD) vom 3. Mai Linsmeier 15. 5. 1985 an den Präsidenten des Deutschen Bundes Lowak 14. 5. tages betr. Stimmabgabe bei der namentlichen Frau Luuk 15. 5. Abstimmung über das Beschäftigungsförderungs Magin 15. 5. gesetz 1985 am 19. April 1985 Frau Matthäus-Maier 15. 5. (133. Sitzung, Seite 9908 C): Matthöfer 15. 5. Sehr geehrter Herr Präsident! Dr. Mitzscherling 14. 5. Bei der namentlichen Abstimmung am 19. April Dr. Müller * 15. 5. über das Beschäftigungsförderungsgesetz 1985 ist Neumann (Bramsche) * 15. 5. meine Stimmabgabe im Stenographischen Bericht Pesch 15. 5. mit „JA" ausgewiesen. Meine Stimmabgabe beruhte Polkehn 15. 5. auf einem Irrtum. Rappe (Hildesheim) 15. 5. Ich erkläre hiermit, daß ich das Beschäftigungs- Repnik 14. 5. förderungsgesetz 1985 ablehne und Wert darauf Sander 15. 5. lege, daß meine Einstellung zu diesem Gesetz öf- Schmidt (Hamburg) 15. 5. fentlich feststellbar ist. Schmidt (Wattenscheid) 14. 5. Schröer (Mülheim) 15. 5. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie diese Erklä- Frau Dr. Segall 15. 5. rung dem nächsten Stenographischen Bericht als Senfft 14. 5. Anlage beifügen lassen würden. Sielaff 15. 5. Mit freundlichen Grüßen Dr. Freiherr Spies von Büllesheim * 15. 5. Dr. Struck 15. 5. Voigt (Frankfurt) 15. 5. Voigt (Sonthofen) 14. 5. Dr. Warnke 15. 5. Anlage 4 Wartenberg (Berlin) 14. 5. Antwort * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Ver- des Staatsministers Dr. Mertes auf die Fragen des sammlung des Europarates Abgeordneten Gerster (Mainz) (CDU/CSU) (Druck- - sache 10/3226 Fragen 73 und 74): Anlage 2 Treffen meine Informationen zu, wonach die Regierung Spaniens der deutschen Bundesregierung zugesichert hat, Schreiben der Abg. Frau Schmidt (Nürnberg) (SPD) mit Israel diplomatische Beziehungen aufzunehmen? vom 9. Mai 1985 an den Präsidenten des Deutschen Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, damit diese Zu- Bundestages betr. Stimmabgabe bei der namentli sicherung vor dem Eintritt Spaniens in die EG erfüllt werden kann? chen Abstimmung über Nr. 2 des Entschließungs antrages auf Drucksache 10/3193 am 18. April 1985 Zu Frage 73: (132. Sitzung, Seite 9850 D ff.): Nach Kenntnis der Bundesregierung erwägt Spa- Sehr geehrter Herr Präsident! nien, diplomatische Beziehungen mit Israel aufzu- Bei der namentlichen Abstimmung am 18. April nehmen, hat jedoch noch nicht über diesen Schritt 1985 zu Nr. 2 des Entschließungsantrags auf Druck- entschieden. 10238* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 137. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. Mai 1985

Eine Zusicherung, diplomatische Beziehungen haben die spanische Seite dabei gebeten, einen sol- mit Israel aufzunehmen, hat die spanische Regie- chen Schritt in Erwägung zu ziehen. rung gegenüber der Bundesregierung nicht abgege- ben. Dies wäre auch ungewöhnlich. Zu Frage 74: Vor dem Hintergrund einer Wiederbelebung der Wie bereits ausgeführt, geht es hier nicht um die Friedensbemühungen im Nahen Osten war auch Erfüllung einer Zusicherung. Ob und wann die spa- die mögliche Aufnahme diplomatischer Beziehun- nische Regierung einen solchen Schritt zu vollzie- gen zwischen Spanien und Israel Gegenstand von hen gedenkt, liegt in ihrer souveränen Entschei- Gesprächen mit unseren spanischen Freunden. Wir dung.