Plenarprotokoll 11/27

Deutscher

Stenographischer Bericht

27. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Inhalt:

Erweiterung, Abwicklung und Änderung der Dr. Riesenhuber, Bundesminister BMFT 1759 B Tagesordnung 1796 B Namentliche Abstimmung 1761 A Begrüßung des Präsidenten der Volksver- sammlung der Demokratischen Republik Ergebnis 1763 C Somalia 1745 A Tagesordnungspunkt 4 a: Tagesordnungspunkt 2: Beratung des Antrags der Abgeordneten Erste Beratung des von den Fraktionen der Dr. Laufs, Schmidbauer, Fellner, weiterer CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs Abgeordneter und der Fraktion der CDU/- eines Gesetzes zur Ergänzung der arbeits- CSU sowie der Abgeordneten Baum, Frau marktpolitischen Instrumente und zum Dr. Segall, weiterer Abgeordneter und der Schutz der Solidargemeinschaft vor Lei- Fraktion der FDP: Einsetzung einer En- stungsmißbrauch (Achtes Gesetz zur Än- quete-Kommission „Vorsorge zum Schutz derung des Arbeitsförderungsgesetzes) der Erdatmosphäre" (Drucksache 11/533) (Drucksache 11/800) in Verbindung mit Schemken CDU/CSU 1740 A Heyenn SPD 1742A Zusatztagesordnungspunkt 1: Dr. Blüm, Bundesminister BMA 1743 D Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Knabe, Wetzel und der Fraktion DIE Frau Unruh GRÜNE 1745 B GRÜNEN: Einsetzung einer Enquete-Kom- Frau Würfel FDP 1746 C mission „Langfristiger Klimaschutz" (Drucksache 11/787) Reimann SPD 1747 C Möllemann, Bundesminister BMBW . . 1749 C in Verbindung mit Frau Dr. Götte SPD 1749 D Tagesordnungspunkt 4 b: Beratung des Antrags der Abgeordneten Tagesordnungspunkt 3: Dr. Hauff, Schäfer (Offenburg), weiterer Ab- Beratung der Großen Anfrage des Abgeord- geordneter und der Fraktion der SPD: Schutz neten Stratmann und der Fraktion DIE der Ozonschicht durch Verbot des Einsatzes GRÜNEN: Thorium-Hochtemperaturreak- von Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKW) tor THTR 300 und die Hochtemperaturreak- (Drucksache 11/678) torlinie (Drucksache 11/728) in Verbindung mit Stratmann GRÜNE 1751 D Gerstein CDU/CSU 1753 D Zusatztagesordnungspunkt 2: 1755 A Vosen SPD Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.-Ing. Laermann FDP 1757 B Dr. Briefs, Dr. Daniels (Regensburg), Frau II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Garbe, Dr. Knabe, Wetzel und der Fraktion Tagesordnungspunkt 10: DIE GRÜNEN: Klimaschutzprogramm: So- fortmaßnahmen gegen den Abbau der Erste Beratung des von der Bundesregierung Ozonschicht und die Auswirkungen des eingebrachten Entwurfs eines Ersten Geset- Treibhauseffekts (Drucksache 11/788) zes zur Änderung des Pflichtversicherungs- gesetzes (Drucksache 11/677) 1796 D Schmidbauer CDU/CSU 1762 A Frau Dr. Hartenstein SPD 1765 A Tagesordnungspunkt 11: Frau Dr. Segall FDP 1767 A Erste Beratung des von der Bundesregierung Wetzel GRÜNE 1768 C eingebrachten Entwurfs eines Ersten Geset- Dr. Töpfer, Bundesminister BMU . . . 1770 B zes zur Änderung des Erdölbevorratungsge- setzes (Drucksache 11/605) 1796 D Tagesordnungspunkt 5: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Tagesordnungspunkt 12: Einsetzung einer Enquete-Kommission „Zu- Erste Beratung des von der Bundesregierung künftige Bildungspolitik — Bildung 2000" eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu (Drucksache 11/711) dem Internationalen Kakao-Übereinkom- men von 1986 (Drucksache 11/630) . . . 1796 D in Verbindung mit

Zusatztagesordnungspunkt 3: Tagesordnungspunkt 13: Beratung des Antrags der Abgeordneten Erste Beratung des von der Bundesregierung Frau Hillerich und der Fraktion DIE GRÜ- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu NEN: Einsetzung einer Enquete-Kommis- dem Abkommen vom 18. September 1985 sion (Drucksache 11/801) zwischen der Bundesrepublik Deutschland Kuhlwein SPD 1772 D und der Republik Argentinien über die Wehrpflicht von Doppelstaatern (Drucksa- Daweke CDU/CSU 1775 B che 11/356) 1796 D Frau Hillerich GRÜNE 1777 D Neuhausen FDP 1779 C Tagesordnungspunkt 14:

Tagesordnungspunkt 6: Erste Beratung des von der Bundesregierung Beratung der Unterrichtung durch die Bun- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu desregierung : Bericht der Bundesregierung dem Abkommen vom 10. Oktober 1985 zwi- zur Ausbildungsfinanzierung in Familien schen der Bundesrepublik Deutschland und mit mittlerem Einkommen (Drucksache dem Königreich Dänemark über die Wehr- 11/610) pflicht deutsch-dänischer Doppelstaater (Drucksache 11/357) 1797 A Graf von Waldburg-Zeil CDU/CSU . . 1781 B Frau Odendahl SPD 1781 D Tagesordnungspunkt 15: Neuhausen FDP 1782 C Beratung der Beschlußempfehlung des Wetzel GRÜNE 1783 D Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Möllemann, Bundesminister BMBW . . 1785 A Überplanmä- ßige Ausgaben für die Durchführung des Tagesordnungspunkt 7: AIDS-Sofortprogramms 1987 bei Kapi- tel 15 02 Titel 685 05 (Gesundheitliche Mo- Erste Beratung des von der Bundesregierung dellaktionen) Kapitel 15 03 Titel 685 06 (For- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu schungs- und Entwicklungsvorhaben zur Er- dem Vertrag vom 26. März 1982 zwischen kennung und Bekämpfung des Erworbe- der Bundesrepublik Deutschland und dem nen Immundefektsyndroms — AIDS) Kapi- Königreich Belgien über die Berichtigung tel 15 04 Titel 531 06 (Gesundheitliche Auf- der deutsch-belgischen Grenze im Bereich klärung der Bevölkerung) (Drucksachen der regulierten Grenzgewässer Breitenbach 11/205, 11/553) 1797 A und Schwarzbach, Kreise Aachen und Mal- medy (Drucksache 11/476) 1796 C Tagesordnungspunkt 16: Tagesordnungspunkt 8: a) Erste Beratung des von der Fraktion der Erste Beratung des von der Bundesregierung SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu setzes zu dem Protokoll Nr. 6 vom dem Vertrag vom 19. Dezember 1984 zwi- 28. April 1983 zur Konvention des Euro- schen der Bundesrepublik Deutschland und parates zum Schutze der Menschen- dem Großherzogtum Luxemburg über den rechte und Grundfreiheiten über die Ab- Verlauf der gemeinsamen Staatsgrenze schaffung der Todesstrafe (Drucksache (Drucksache 11/477) 1796 C 11/458) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 III b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Westphal SPD 1819 B Klein (Dieburg), Frau Dr. Däubler-Gme- Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU lin, weiteren Abgeordneten und der Frak- 1821 A tion der SPD: Weltweite Abschaffung der Frau Teubner GRÜNE 1822 D Todesstrafe (Drucksache 11/459) Grünbeck FDP 1824 B Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD . . 1797D, 1805 C Reschke SPD 1825 D Seesing CDU/CSU 1800A Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär BMWi . . 1827 C Frau Eid GRÜNE 1801 B Irmer FDP 1802 C Tagesordnungspunkt 23: Engelhard, Bundesminister BMJ 1803 D Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Schäfer, Staatsminister AA 1804 C die Sicherung und Nutzung von Archivgut des Bundes (Bundesarchivgesetz) (Drucksa- Tagesordnungspunkt 17: che 11/498) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- in Verbindung mit desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Schutz der Topographien von mikroelektronischen Halbleitererzeug- Tagesordnungspunkt 9: nissen (Halbleiterschutzgesetz) (Druck- Erste Beratung des von der Bundesregierung sachen 11/454, 11/497, 11/754, 11/811) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Sauter (Ichenhausen) CDU/CSU 1806 C die zentrale Archivierung von Unterlagen aus dem Bereich des Kriegsfolgenrechts Stiegler SPD 1807 B (Drucksache 11/642) Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär BMWi . . 1808 B Weiß (Kaiserslautern) CDU/CSU 1830 D Funke FDP 1808 B Frau Hämmerle SPD 1831 C Frau Nickels GRÜNE 1809 A Dr. Hirsch FDP 1832 B Engelhard, Bundesminister BMJ 1809 D Frau Schmidt-Bott GRÜNE 1833 B Spranger, Parl. Staatssekretär BMI . . . 1834 C Tagesordnungspunkt 18: Erste Beratung des vom Bundesrat einge- Tagesordnungspunkt 21: brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- Erste Beratung des von der Bundesregierung rung des Haftpflichtgesetzes (Drucksa- eingebrachten Entwurfs eines Siebten Ge- che 11/432) setzes zur Änderung des Unterhaltssiche- Sauter (Ichenhausen) CDU/CSU 1810 C rungsgesetzes (Drucksache 11/496) Klein (Dieburg) SPD 1811B Frau Hürland-Büning, Parl. Staatssekretär BMVg 1835 C Kleinert (Hannover) FDP 1812 B Heistermann SPD 1836 A Häfner GRÜNE 1813 C Breuer CDU/CSU 1836 D Tagesordnungspunkt 19: Nolting FDP 1837 C Erste Beratung des von der Fraktion DIE Frau Beer GRÜNE 1838 A GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur verfassungsrechtlichen Veranke- Tagesordnungspunkt 22: rung des Umweltschutzes als Grundrecht und als Staatsziel (Drucksache 11/663) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Schöfberger, Schmidt (München) und Häfner GRÜNE 1814 D weiterer Abgeordneter: Rangierbahnhof Eylmann CDU/CSU 1815 D München (Drucksache 11/570) Bachmaier SPD 1816 C Dr. Schöfberger SPD 1839B Baum FDP 1817 C Dr. Faltlhauser CDU/CSU 1840 A Engelhard, Bundesminister BMJ 1818 A Weiss (München) GRÜNE 1841 B Grünbeck FDP 1842 C Tagesordnungspunkt 20: Beratung des Antrags der Abgeordneten Tagesordnungspunkt 24: Westphal, Amling, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Eindämmung der Beratung der Beschlußempfehlung des Spielhallenflut (Drucksache 11/586) Haushaltsausschusses zu dem Antrag des IV Deutscher Bundestag — 11. Wahlpe riode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Bundesministers der Finanzen: Einwilligung MdlAnfr 47 11.09.87 Drs 11/781 in die Veräußerung bundeseigener Grund- Frau Hämmerle SPD stücke in München gemäß § 64 Abs. 2 Antw StMin Schäfer AA der Bundeshaushaltsordnung (Drucksachen 1791 B 11/190, 11/430) Zusammenhang des Visumzusatzes „Erlischt Roth (Gießen) CDU/CSU 1843 D bei gesundheitlichen Bedenken" mit der AIDS-Bekämpfung Schmidt (München) SPD 1844 D MdlAnfr 48 11.09.87 Drs 11/781 Zywietz FDP 1845 D Frau Hämmerle SPD Weiss (München) GRÜNE 1846 C Antw StMin Schäfer AA 1791 C

Dr. Voss, Parl. Staatssekretär BMF . . . 1847 C Beteiligung des Bundesministers des Innern bei der Einführung von Einreisevisa mit dem Fragestunde Zusatz „Erlischt bei gesundheitlichen Be- — Drucksache 11/781 vom 11. September denken" 1987 — MdlAnfr 49, 50 11.09.87 Drs 11/781 Dr. Nöbel SPD Verwendung der FDP-Parteifarben auf Info- Blättern des Bundesministeriums für Bildung Antw StMin Schäfer AA 1791 C und Wissenschaft ZusFr Dr. Nöbel SPD 1791 C, 1792 A MdlAnfr 39, 40 11.09.87 Drs 11/781 Wetzel GRÜNE Anzahl der im letzten halben Jahr mit dem Zusatz „Erlischt bei gesundheitlichen Beden- Antw BMin Möllemann BMBW 1786 C ken" ausgegebenen und erloschenen Visa ZusFr Wetzel GRÜNE 1786C, 1787D MdlAnfr 51, 52 11.09.87 Drs 11/781 Graf SPD ZusFr Kuhlwein SPD 1787A, 1788B Antw StMin Schäfer AA 1792B ZusFr Frau Odendahl SPD . . 1787B, 1788A ZusFr Wartenberg (Berlin) SPD 1792 B ZusFr Dr. Rose CDU/CSU 1787 C Ausreiseerlaubnis für die in Saudi-Arabien Gestaltung der Pressemitteilungen des Bun- festgehaltenen deutschen Staatsbürger Uwe desministeriums für Bildung und Wissen- Hensel und Hartmut Krause schaft in den Farben der FDP MdlAnfr 53 11.09.87 Drs 11/781 MdlAnfr 41 11.09.87 Drs 11/781 Dr. Soell SPD Frau Odendahl SPD Antw StMin Schäfer AA 1792 D Antw BMin Möllemann BMBW • 1788 C ZusFr Dr. Soell SPD 1792 D ZusFr Frau Odendahl SPD 1789A Durchführung einer Sondertagung „Südaf- ZusFr Irmer FDP 1789B rika 1987" durch die Vereinigung der Groß -kraftwerkbetreiber (VGB) in Johannesburg ZusFr Kuhlwein SPD 1789 B MdlAnfr 57, 58 11.09.87 Drs 11/781 Verheugen SPD „Veto" der deutschen Auslandsvertretungen gemäß § 4 Abs. 7 RV Antw StMin Schäfer AA 1793 B MdlAnfr 42 11.09.87 Drs 11/781 ZusFr Verheugen SPD 1793B, 1793 D Dr. Rose CDU/CSU Ausweisung der Mandatsausübung der Bun- Antw StMin Schäfer AA 1789 C destagsabgeordneten als „Teilzeitbeschäfti- gung" in einer Broschüre ZusFr Dr. Rose CDU/CSU 1789D MdlAnfr 59 11.09.87 Drs 11/781 Rechtsgrundlagen für Einreisevisa mit dem Fischer (Homburg) SPD Zusatz „Erlischt bei gesundheitlichen Be- Antw PStSekr Spranger BMI 1794 B denken" ZusFr Fischer (Homburg) SPD 1794 C MdlAnfr 43, 44 11.09.87 Drs 11/781 Wartenberg (Berlin) SPD Weigerung des Hamburger Senats, den Ko- stenanteil für die Erfassungsstelle Salzgitter Antw StMin Schäfer AA 1790 A ab 1988 zu zahlen ZusFr Wartenberg (Berlin) SPD . 1790D, 1791A MdlAnfr 62, 63 11.09.87 Drs 11/781 von Schmude CDU/CSU Reaktion bei Einführung des Zusatzes „Er- lischt bei gesundheitlichen Bedenken" bei Antw PStSekr Dr. Jahn BMJ 1795A der Visaerteilung an Bundesbürger ZusFr von Schmude CDU/CSU 1795 B Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 V

Ratifizierung des Fakultativprotokolls zum Anlage 3 Internationalen Pakt über bürgerliche und Wiedereröffnung der Grenzübergänge politische Rechte durch die Bundesregie- Waldsassen und Mähring rung MdlAnfr 56 11.09.87 Drs 11/781 MdlAnfr 64 11.09.87 Drs 11/781 Stiegler SPD Bindig SPD 1849* D Antw PStSekr Dr. Jahn BMJ 1795 C SchrAntw StMin Schäfer AA ZusFr Bindig SPD 1795 D Anlage 4 Nächste Sitzung 1848 C Kosten der neuen Personalausweise für Ge- meinden; Erfassung der Daten

Anlage 1 MdlAnfr 60, 61 11.09.87 Drs 11/781 Börnsen (Ritterhude) SPD Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 1849* A SchrAntw PStSekr Spranger BMI . . . . 1850* A

Anlage 2 Vollstreckung des Todesurteils an dem so- Anlage 5 wjetischen Studenten K. Ryskulbekow; Be- mühungen der Bundesregierung Liberalisierung des Mietrechts MdlAnfr 54, 55 11.09.87 Drs 11/781 MdlAnfr 65 11.09.87 Drs 11/781 Böhm (Melsungen) CDU/CSU Müntefering SPD SchrAntw StMin Schäfer AA 1849* B SchrAntw PStSekr Dr. Jahn BMJ . . . . 1850*C

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27. Sitzung

Bonn, den 17. September 1987

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Jenninger: Die Sitzung ist eröffnet. 4. Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN zu dem Protokoll Nr. 6 vom 28. April 1983 zur Konvention des Euro- Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Tages- parates zum ordnung darf ich Ihnen folgendes mitteilen. Nach ei- Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die ner interfraktionellen Vereinbarung soll die verbun- Abschaffung der Todesstrafe — Drucksache 11/802 — dene Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste auf- Überweisungsvorschlag: geführt: Rechtsausschuß (federführend) Auswärtiger Ausschuß 1. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Knabe, Wetzel 5. Aktuelle Stunde und der Fraktion DIE GRÜNEN Belastung der Bevölkerung in der Lüneburger Heide durch Einsetzung einer Enquete-Kommission „Langfristiger Kli- das NATO-Großmanöver Reforger maschutz" — Drucksache 11/787 — 6. Erste Beratung des von dem Abgeordneten Hüser und der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ach- Überweisungsvorschlag: ten Gesetzes zu Änderung des Gesetzes über den Finanzaus- Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit gleich zwischen Bund und Ländern (federführend) — Drucksache 11/803 — Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Verkehr Finanzausschuß (federführend) Ausschuß für Forschung und Technologie Rechtsausschuß Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO 2. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. B riefs, Dr. Da- niels (Regensburg), Frau Garbe, Dr. Knabe, Wetzel und der Zugleich soll mit der Aufsetzung der Zusatzpunkte Fraktion DIE GRÜNEN — soweit erforderlich — von der Frist für den Beginn Klimaschutzprogramm: Sofortmaßnahmen gegen den Ab- der Beratung abgewichen werden. bau der Ozonschicht und die Auswirkungen des Treibhaus- effekts Des weiteren ist interfraktionell vereinbart worden, — Drucksache 11/788 — den Tagesordnungspunkt 23 — Erste Beratung des Überweisungsvorschlag: Bundesarchivgesetzes — vorzuziehen. Er soll nach Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Punkt 20 aufgerufen und in verbundener Debatte mit (federführend) Punkt 9 der Tagesordnung — er betrifft das Gesetz Finanzausschuß über die zentrale Archivierung von Unterlagen aus Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten dem Bereich des Kriegsfolgenrechts — beraten wer- Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit den. Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Punkt 24 b — hier handelt es sich um die Veräuße- Ausschuß für Forschung und Technologie rung eines bundeseigenen Grundstücks — entfällt. Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Haushaltsausschuß Sind Sie mit der Erweiterung bzw. Umstellung der Tagesordnung einverstanden? — Ich höre keinen Wi- 3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Hillerich und der Fraktion DIE GRÜNEN derspruch. Dann ist so beschlossen. Einsetzung einer Enquete-Kommission — Drucksache 11/801 — Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: Üb erweisungsvorschlag : Ausschuß für Bildung und Wissenschaft (federführend) Erste Beratung des von den Fraktionen der Rechtsausschuß CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs ei- Ausschuß für Wirtschaft nes Gesetzes zur Ergänzung der arbeitsmarkt- Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Jugend, Fami lie, Frauen und Gesundheit politischen Instrumente und zum Schutz der Ausschuß für Forschung und Technologie Solidargemeinschaft vor Leistungsmißbrauch 1740 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Präsident Dr. Jenninger (Achtes Gesetz zur Änderung des Arbeitsför- Zusammen mit der Berufsausbildungshilfe, die be- derungsgesetzes) reits von der Solidargemeinschaft finanziert wird, steht uns nunmehr ein schlagkräftiges arbeitsmarkt- — Drucksache 11/800 — politisches Instrumentarium aus einem Guß- zur Ver- Überweisungsvorschlag: fügung. Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) Rechtsausschuß (Zurufe von der SPD) Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Auch die Sprachförderung, meine sehr verehrten Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Damen und Herren, steht damit in einem engen Zu- Meine Damen und Herren, nach einer Vereinba- sammenhang. Das Benachteiligtenprogramm hatten rung im Ältestenrat ist für die Beratung eine Stunde Sie von der SPD mit knapp 80 Millionen DM ausge- vorgesehen. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist stattet. Es umfaßt mittlerweile weit über 400 Millio- so beschlossen. nen DM. Ich gehe davon aus, daß das auch in Ihrem Interesse liegt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schemken. (Zuruf von der SPD: Das muß der Beitrags zahler zahlen!) — Ja, das ist die Solidargemeinschaft. Schemken (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Da- (Lachen und Zurufe von der SPD) men und Herren! Mit dem Entwurf eines Achten Ge- Wer soll das sonst zahlen? Sollen das die Jugendlichen setzes zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes zahlen, die z. B. den Hauptschulabschluß nicht ha- legen die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP ben? dem Hohen Hause einen Gesetzentwurf zur Entschei- dung vor, der in der Kontinuität unserer Politik steht. Im übrigen macht der Gesetzentwurf die Sprachför- Wir machen Politik in wohlüberlegten aufeinanderfol- derung davon abhängig, daß der Teilnehmer in sei- genden Schritten. nem Herkunftsland erwerbstätig war und in der Bun- desrepublik erwerbstätig wird. Ich darf darüber hin- (Zuruf des Abg. Dreßler [SPD]) aus feststellen, daß die Anforderungen an die Qualifi- — Die Nervosität kann ich verstehen, Herr Dreßler; kation der Arbeitnehmer ständig zunehmen. Diesen das ist das Gewissen der 13jährigen verpaßten Gele- Anforderungen kann ein Arbeitnehmer aber nur dann genheit. gerecht werden, wenn er über ausreichende Deutsch- kenntnisse verfügt. Ich denke hier vor allen Dingen an Wir werden diese Politik zum Wohl der Bürger fort- unsere Landsleute, die erst spät in ein freiheitliches setzen. An diesem Ziel lassen wir unsere Politik mes- Land kommen und unserer besonderen Unterstüt- sen. Wir werden auch bereit sein, dies mit dem Bürger zung und Hilfe bedürfen. Gerade die Aussiedler tun draußen durchzustehen. sich mit der Eingliederung schwer. Das ist ein ernstes Diese achte Novelle bringt vor allen Dingen in der Thema. Wir sollten das nicht zerreden. Regelung der Kindererziehungszeiten endlich eine Wir legen mit diesem Gesetz einen ganzen Katalog wegweisende Konzeption. Auch hier stelle ich fest, von Leistungsverbesserungen vor. Das gilt vor allen daß wir vieles nachholen, was in den 70er Jahren ver- Dingen hinsichtlich der Leistungsverbesserungen für sprochen wurde. Die Neuregelung der Finanzierung arbeitslose Arbeitnehmer, durch die der Bund entla- zwischen Bund und Bundesanstalt für Arbeit ist damit stet wird. Im Vordergrund stehen für uns allerdings in sichergestellt. Es ist nicht der Verschiebebahnhof, wie erster Linie die Erweiterung und die Verbesserung Kritikaster aus Oppositionskreisen uns dies in diff a- des arbeitsmarktpolitischen Instrumentariums. Wir mierender Weise anzudichten versuchen. Es handelt kommen alten Forderungen von Arbeitsmarktpoliti- sich vielmehr um eine notwendige und endlich einmal kern nach und verankern wichtige arbeitsmarktbezo- auf Gerechtigkeitsmaßstab ausgerichtete Rentenpoli- gene Leistungen in diesem Arbeitsförderungsgesetz. tik. Noch vor Schaffung des Benachteiligtenprogramms Die Novelle ist eine handfeste Politik für den Bür- haben gerade die Bundesanstalt für Arbeit und die ger. Gewerkschaften — vor allem in den 70er Jahren — (Dreßler [SPD]: Ach du Gott!) entsprechende Ergänzungen im Arbeitsförderungs- gesetz gefordert, damit dieses wichtige Instrumenta- Wir verbessern das Leistungsangebot der Arbeitsver- rium durch ein Gesetz gefestigt wird und nicht abhän- waltung, um insbesondere den Arbeitslosen die Inte- gig ist von Schwankungen in den jeweiligen Haushal- gration in den Erwerbsprozeß zu ermöglichen und zu ten. erleichtern. So sollen künftig benachteiligte Jugendliche nicht Sicherlich: Mit der Übernahme des Benachteilig- mehr nur auf Grund befristeter Programme, sondern tenprogramms in das Arbeitsförderungsgesetz über- auf Grund dauerhaft gesetzlich verankerter Regelun- nimmt die Bundesanstalt für Arbeit auch die Finanz- gen gefördert werden; denn trotz abnehmender Ju- kompetenz. Das ist ganz wichtig. Gleichzeitig aber gendarbeitslosigkeit wird die Zahl derjenigen, die gewinnen wir damit für die Berufsausbildung junger den Hauptschulabschluß nicht haben, nicht wesent- Menschen nunmehr eine aufeinander abgestimmte lich sinken. Nehmen Sie einmal die Zahl zur Kenntnis: Konzeption im Förderungssystem, das gerade be- Wir werden in der Ausbildung erleben, daß jährlich nachteiligten Jugendlichen den Start ins Berufsleben 150 000 weniger Auszubildende auf den Ausbil- erleichtert. dungsmarkt strömen. Wir werden aber gleichzeitig Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1741

Schemken erleben, daß die Zahl derjenigen, die den Hauptschul- berufliche Wiedereingliederung der Älteren zu er- abschluß nicht haben, nicht so weit sinkt, wie das möglichen und sie weiter zu stützen. eigentlich zwangsläufig in der Relation sein müßte. Neben dem Ausbau des arbeitsmarktpolitischen In- Wir werden von 62 000 auf vielleicht 50 000 kommen. - strumentariums erscheint es uns wichtig, die Vermitt- Diesen jungen Menschen wollen wir vor allen Dingen lungsmöglichkeiten zu verbessern. Das ist eine ganz mit dieser gesetzlich verankerten Konzeption des Be- wesentliche Frage. Wir stellen nämlich immer öfter nachteiligtenprogramms helfen. Das sind nämlich bei fest, daß es Regionen mit offenen Stellen gibt, die der Eingliederung die Schwächeren auf dem Arbeits- nicht besetzt werden können. Das machen wir der markt. Arbeitsverwaltung nicht zum Vorwurf, sondern wir Wir wollen den Jugendlichen, die schicksalhaft fra- sind der Meinung, wir müssen hier neue, weitere gen, wohin der Weg in die Erwachsenenwelt geht, die Wege gehen. Wir wollen deshalb die klaffende Lücke Chance bieten, erst einmal lernen zu können, um sich zwischen Angebot und Nachfrage überwinden, in- damit zu qualifizieren. Wer sich heute nicht qualifi- dem wir in stärkerem Maße versuchen, Arbeitssu- ziert, ist der Langzeitarbeitslose von morgen. chende und Arbeitgebende zusammenzuführen. So sollen künftig uneigennützige und unentgeltliche Ar- (Zuruf der Abg. Frau Unruh [GRÜNE]) beitsvermittlung Dritter sowie Veröffentlichungen von Stellenanzeigen in Rundfunk und Fernsehen — Damit sollten Sie sich einmal befassen, Frau Un- möglich sein. Es ist ein ganz wichtiger Prozeß, daß die ruh. Kommunikation zwischen Arbeit und Arbeitsplatzsu- (Frau Unruh [GRÜNE]: Damit befasse ich chenden herbeigeführt wird. mich allerdings sehr! Ich kenne dreifach (Beifall bei der CDU/CSU) Qualifizierte, die keinen Arbeitsplatz ha ben!) Insbesondere wollen wir aber auch den Leistungs- mißbrauch bekämpfen. Das ist eine ganz wichtige Das ist nämlich ein wesentliches Problem auch unter Sache; denn mit Verwaltungsvereinfachung und mit dem Gesichtspunkt der Versorgung der älteren Men- Hilfe des Gesetzentwurfes werden wir dafür sorgen, schen: daß qualifizierte Jugendliche den Weg in eine daß vor allen Dingen die Gelder der Beitragszahler entsprechende berufliche Tätigkeit finden können. nicht in falsche Kanäle geraten. Mißbräuchliche Inan- spruchnahme — darüber müssen wir doch einmal re- Wesentliche Zielsetzung des AFG sind aber Hilfen den — von Sozialleistungen gefährdet das Gesamtsy- zur Eingliederung der Schwächeren in den Arbeits- stem, vor allen Dingen bei dem hohen Niveau, auf markt. In diesem Zusammenhang ist auch die Einfü- dem unser gesamtes Sozialsystem steht. Für uns alle, gung eines Bildungsbeihilfegesetzes in das AFG zu auch für die gesellschaftspolitischen Kräfte, die nach erwähnen. Das ist auch ein Gesichtspunkt, der sicher- dem Kriege an diesem Sozialsystem mitgebaut und lich Beachtung findet. Danach kann der Ausgleich die Voraussetzungen geschaffen haben, ist es ein von schulischen Defiziten bei arbeitslosen Jugend- Schlag ins Gesicht, wenn dem Mißbrauch weiter Vor- lichen gefördert werden. schub geleistet wird. ich Mit der Eingliederung der Sprachförderung — Es bedeutet auch ein Stück Gerechtigkeit, wenn wir hatte das soeben schon ausgeführt — in das AFG sind bei einem hohen Niveau des Angebots an sozialen angesprochen. Bei gleich- besonders die Aussiedler Leistungen Mißbrauch verhindern, weil der Miß- zeitiger Verlängerung der Förderungshöchstdauer brauch immer den trifft, der wirklich der Stützung der von acht auf zehn Monate stärken wir die berufliche Gesellschaft bedarf und letztlich bei trotz einer so sehr Eingliederung, die die aus dem Ausland kommenden beanspruchten Volkswirtschaft auf Hilfe rechnen Arbeitnehmer von uns sicherlich erwarten. Viele Aus- darf. siedler hatten auf Grund der Verhältnisse in ihrem Herkunftsland eben keine Möglichkeit, die deutsche Die im Entwurf vorgeschlagenen Maßnahmen ko- Sprache zu pflegen. Insbesondere die jüngeren Aus- sten die Bundesanstalt insgesamt das Geld, das ver- siedler leiden darunter bei der Eingliederung sehr. In fügbar und in der Rücklage mit 5,47 Milliarden DM der komplizierten und technisch sich immer weiter vorhanden ist. Diese Rücklage wird ausreichen, um entwickelnden Welt ist es besonders schwierig, sich die mit der Novelle verbundenen Mehrkosten abzu- auf dem Arbeitsmarkt ohne Deutschkenntnisse zu- decken. Auch die weitere finanzielle Entwicklung bei rechtzufinden. Deshalb wird die Sprachförderung in der Bundesanstalt für Arbeit — daran wollen wir alle starkem Maße in das AFG eingebaut. mitwirken, daran soll auch dieses Gesetz mitwir- ken — , ist im wesentlichen davon abhängig, wie sich Wir bauen darüber hinaus die arbeitsmarktpoliti- die weitere wirtschaftliche Entwicklung auf die Be- schen Leistungen des AFG zielgruppenorientiert aus. schäftigten und auf den Arbeitsmarkt auswirkt, damit Das ist wichtig; nicht mit dem Rasenmäher oder mit die Bundesanstalt für Arbeit die finanziellen Belastun- der Gießkanne. Ältere Arbeitslose, die schon lange gen aus eigener Kraft tragen kann. ohne Arbeitsstelle sind und denen kaum noch eine Chance geboten wird, werden im Arbeitsleben wieder Wir bitten um Ihre Zustimmung, weil dies ein ar- Fuß fassen. Die Höhe des Lohnkostenzuschusses wird beitsmarktpolitisch richtiges Konzept ist, das sich an dabei 75 % des Arbeitsentgeltes betragen. Von der die Arbeitslosen, an die Benachteiligten richtet, bisher gesetzlich vorgesehenen jährlichen Degression (Widerspruch bei der SPD) des Förderungssatzes kann deshalb abgesehen wer- den. Die Förderungsdauer wird im übrigen auf acht und hoffen auf eine sachgerechte Diskussion. Wir ha- Jahre verlängert. Wir hoffen, hiermit insbesondere die ben dazu die Gelegenheit in den Ausschüssen. 1742 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Schemken Ich bedanke mich. Ihnen geht es ausschließlich darum, Kohle in Sonder- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) zügen aus Nürnberg abzuholen. (Beifall bei der SPD) - Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat der Herr Das sehen nicht nur wir so. Das sehen die Arbeitgeber Abgeordnete Heyenn. so, das sehen die Gewerkschaften so, das sieht die Mehrheit der Bundesländer so.

Heyenn (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Die Bundesregierung will einen Teil der Lasten aus Herren! Lieber Herr Schemken! Sie haben über das dem Kindererziehungsjahr aus den Beitragszahlun- Beiwerk dieses Gesetzes gesprochen. Sie haben es gen zur Arbeitslosenversicherung finanzieren, und sie beflissentlich vermieden, über die verheerenden In- will sich weiter Finanzierungsspielräume für ihre un- halte zu reden, die durch eine Ausplünderung der seriöse Steuerreform eröffnen. So hat es Herr Stolten- Bundesanstalt für Arbeit gekennzeichnet sind. Das berg dem Erfüllungsgehilfen Blüm vorgeschrieben. muß ich verurteilen. Und hier soll das jetzt erledigt werden. (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) (Beifall bei der SPD — Scharrenbroich [CDU/ Wir hatten gehofft, Herr Schemken, daß die Unions- CSU]: Wir wollen vor allen Dingen das Be nachteiligtenprogramm auf Dauer sichern! fraktionen nach den verheerenden Verlusten in Bre- men und in Schleswig-Holstein es sich zu Beginn die- Kapieren Sie das doch mal!) ser Woche noch einmal überlegen würden, ob sie die- Herr Schemken, ich habe mich gewundert, daß Sie sen verheerenden Entwurf denn wirklich als Frak- als Mitarbeiter doch wohl im weiteren Sinne der Ar- tionsentwurf in den Bundestag einbringen. Aber lei- beitgeberverbände der haben Sie nicht überlegt, sondern sind der Bun- desregierung gefolgt. Hätten Sie dem widersprochen, (Schemken [CDU/CSU]: Wer hat Ihnen das hätten Sie sich diesem verheerenden Entwurf nicht denn erzählt?) angeschlossen, wäre das allemal im Interesse der Bei- so sprechen konnten; denn die Bundesvereinigung tragszahler der Bundesanstalt für Arbeit gewesen. Deutscher Arbeitgeberverbände nannte Ihr Vorhaben (Beifall bei der SPD — Scharrenbroich [CDU/ eine klare ordnungspolitische Todsünde. Vielleicht ist CSU]: Aber das hier ist im Interesse der Ar das auch der Grund, daß kaum jemand von der FDP beitslosen!) heute morgen da ist. Dieser Entwurf ist ein neuer Versuch von Tarnung Ich will hier sagen: Wo die Arbeitgeber recht haben, und Täuschung. Was als Zielsetzung angegeben wird, Herr Blüm, da haben sie recht. Und hier haben sie ist ein plumper Versuch der Irreführung — ja, ich recht. würde von hier sagen: — sogar der Fälschung. (Zurufe von der CDU/CSU: So, so!) (Beifall bei der SPD — Seiters [CDU/CSU]: Bei Fälschung fällt mir etwas ganz anderes Herr Blüm, aussitzen, wie Sie es inzwischen von ein!) gelernt haben, geht diesmal nicht. Daß wir heute die erste Lesung dieser achten Novelle ha- Der Bundesregierung geht es nur darum, den Bei- ben, dokumentiert, daß Sie mit einem Vermittlungs- tragszahlern beitragsfremde Lasten aufzuerlegen und verfahren rechnen, daß Sie mit dem Widerspruch, mit sich selbst von ihren ureigensten Aufgaben zu entla- der sten. Ablehnung des Bundesrates rechnen. Deswegen mußten CDU/CSU und FDP diesen Entwurf einbrin- (Zuruf von der SPD: So ist es!) gen. Wir sagen Ihnen ganz deutlich: Aus unserer Sicht Herr Bötsch, Sie haben den Gesetzentwurf ja gar gibt es nichts zu vermitteln. Die konsequente Lösung nicht gelesen, heißt, diesen Gesetzentwurf so bald wie möglich zu beerdigen. (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Gelesen? Ich habe mitgearbeitet!) (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) sonst würden Sie doch schon im Vorblatt sehen, daß Ihr Entwurf wird zu einem Zeitpunkt vorgelegt, in die Aussage, es gehe darum, gewisse Maßnahmen auf dem sich der Arbeitsmarkt in einer dramatischen Ab- eine gesetzliche Grundlage zu stellen, nur Folge ist, schwungphase befindet, das heißt konkret, in dem die aber nicht Ursache. Ursache ist der Versuch des Aus- Zahl der Arbeitslosen jahreszeitlich viel zu früh zu plünderns der Bundesanstalt. steigen beginnt und in dem wir in Teilen in der Bun- Ich frage Sie, Herr Bundesarbeitsminister: Was hat desrepublik sogar den saisonalen Höchststand der denn die Arbeitslosenversicherung mit der Sprachför- Nachkriegszeit erreicht haben. Die Arbeitslosenzahl derung von Aussiedlern, Asylbewerbern und Kontin- liegt faktisch und saisonbereinigt im Bundesgebiet gentflüchtlingen zu tun? Ich frage Sie, Herr Blüm: Was um nahezu 50 000 über dem Vorjahresstand. Weitere haben denn die Beitragszahler mit dem Benachteilig- Belastungen des Arbeitsmarktes drohen auf Grund tenprogramm, mit der Förderung der Berufsausbil- der Strukturkrise bei Kohl — bei Kohle —, dung von benachteiligten Jugendlichen zu tun? Ich (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — will es Ihnen sagen: nichts, buchstäblich nichts. Dreßler [SPD]: War schon richtig, Herr Kol (Beifall bei der SPD — Scharrenbroich [CDU/ lege! — von der Wiesche [SPD]: Aber bei CSU]: Herr Heyenn, was hat die SPD mit den Barschel auch! — Dr. Vogel [SPD]: Beides Arbeitslosen zu tun?) richtig!) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1743

Heyenn bei Stahl, bei den Werften. Genau zu diesem Zeit- das wachsende Defizit bei der Bundesanstalt für Ar- punkt, Herr Blüm, wollen Sie den nächsten Griff in die beit finanzieren? Was wird da schon vorbereitet? Wer- Kassen der Arbeitslosenversicherung tun. den da schon Karenztage vorbereitet, d. h. eine- Nicht- zahlung von Arbeitslosengeld für die ersten Tage der Mit der achten Novelle setzt die Bundesregierung Arbeitslosigkeit? Ist die Vorbereitung solcher Dinge ihren Kurs fort, den eigenen Haushalt zu entlasten der Grund, weshalb in der Bundesrepublik erneut und den der Bundesanstalt zu belasten. Es ist doch erst eine MiBbrauchsdebatte auf Stammtischniveau vom wenige Wochen her, daß die Bundesanstalt mit weite- Zaum gebrochen wird? Herr Blüm, wir wären froh, ren 1,4 Milliarden DM für 1987 zusätzlich belastet wenn Sie uns jetzt nach den Wahlen in Schleswig wurde, obwohl wir wirklich Felder hätten, z. B. die Holstein und Bremen hier und heute sagen, was Sie Arbeitslosenhilfe neu zu gestalten. Zum Beispiel muß wirklich vorhaben. die heutige Berücksichtigung von Verwandtenein- kommen bei der Arbeitslosenhilfe überdacht werden, Ich muß Sie darauf hinweisen, daß schon heute die zum Beispiel brauchen wir die Öffnung der Arbeitslo- mit großem Aufwand propagierte Qualifizierungsof- senhilfe für bis heute ausgegrenzte Arbeitslose. Wir fensive dem Geldmangel der Arbeitsverwaltung zum haben dazu Vorschläge unterbreitet. Opfer gefallen ist. Auch im Bereich von Arbeitsbe- schaffungsmaßnahmen und bei der Betreuung von Im Frühsommer 1,4 Milliarden DM, mit dieser ach- Ausländern sind bereits Einschränkungen angeord- ten Novelle weitere 929 Millionen DM. Das sind zu- net worden. sammen weit über 2 Milliarden DM, die Sie an zusätz- lichen Lasten der Bundesanstalt für Arbeit aufbür- Obwohl der Bundesanstalt für Arbeit schon jetzt den. Mittel fehlen, krönen Sie Ihre Leistungen im Vollzug der Anweisungen Stoltenbergs erneut mit einer unse- (Dreßler [SPD]: Leider wahr!) riösen Verschiebepolitik zu Lasten der Arbeitnehmer. Die notwendige Folge ist, daß die Bundesanstalt für Herr Blüm, wie lange vertreten Sie eigentlich schon Arbeit bereits im nächsten Jahr tief ins Defizit geraten nicht mehr die Interessen der Arbeitnehmer? wird. Wir fordern Sie auf, sich zu besinnen. Wir fordern (von der Wiesche [SPD]: So ist es! Leider Sie auf, mit uns gemeinsam diesen Entwurf zu beer- wahr!) digen. Denn eine Novellierung des Arbeitsförde- rungsgesetzes, die ernsthaft und erfolgreich einen Darauf hat Herr Präsident Franke mehrfach hingewie- Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit leisten sen. Sie haben das mit Ihrem aufgesetzten Optimis- will, muß doch wohl von einer aufgabenfremden Bela- mus gestern leider erneut im Ausschuß für Arbeit und stung der Bundesanstalt für Arbeit absehen, muß zur Sozialordnung geleugnet. Verstärkung der arbeitsmarktpolitischen Maßnah- Schon 1988 erwarten wir ein Defizit von 1,5 Milliar- men beitragen und weitere beschäftigungswirksame den DM. Es kann leicht mehr werden. Hunderttau- Maßnahmen beinhalten, z. B. im Bereich der Struktur- send zusätzliche Arbeitslose verursachen Kosten von politik durch ein ökologisches Modernisierungspro- 1,2 Milliarden DM, von denen allein 750 Millionen gramm. All diese Dinge vermissen wir in Ihrem un- DM die Bundesanstalt zu tragen hat und ein großer tauglichen Entwurf. Teil des Restes auf die Kommunen bei der Sozialhilfe Danke schön. aufläuft. Diese hunderttausend zusätzlichen Arbeits- (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten losen prognostizieren uns wirtschaftswissenschaftli- der GRÜNEN) che Institute schon für 1987 gegenüber den ursprüng- lichen Schätzungen der Bundesanstalt für Arbeit. Wir werden wahrscheinlich nicht 2,15 Millionen Arbeits- lose im Jahresdurchschnitt haben, sondern 2,25 Mil- Präsident Dr. Jenninger: Ich erteile das Wort dem lionen. Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung. (Seiters [CDU/CSU]: Ihr habt einmal von 3 Millionen gesprochen!) Dr. Blüm, Bundesminister für Arbeit und Sozialord- Das ist Ergebnis Ihrer Politik, Herr Bundesarbeitsmi- nung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! nister. Auf konkrete Fragen nach Ihrer Arbeitsmarkt- Ausplünderer hat mich Herr Heyenn genannt. Als ich politik gestern im Ausschuß waren Sie lediglich in der mein Amt antrat, stand der Bundesanstalt ein Defizit Lage, von Fortbildung, von Umschulung und von von 12 Milliarden DM ins Haus. Im Moment haben wir ABM-Maßnahmen zu reden. Ich frage Sie: Was ist das Rücklagen von 31/2 Milliarden DM. Am Ende des Jah- für eine konstruktive, in die Zukunft weisende Be- res werden wir 4 Milliarden DM haben. Ausplünderer schäftigungspolitik, nennt mich ein Vertreter der Partei, die die Bundes- anstalt mit leeren Kassen zurückgelassen hat. (von der Wiesche [SPD]: Das ist Kosmetik politik!) (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord neten der FDP) deren einziger Inhalt Hilfsmaßnahmen zugunsten der Arbeitslosen sind, die aber kaum neue Arbeitsplätze Das ist so ähnlich, wie wenn einer nackt aus dem schaffen? Geschäft geht und anschließend seinem Nachfolger, der 3 Milliarden DM in der Tasche hat, sagt, er wäre (Beifall bei der SPD) ein Plünderer. So ähnlich ist das. Ich habe auf die Zunahme der Zahl der Arbeitslosen (Heyenn [SPD]: Diese Milliarden haben Sie hingewiesen. Herr Blüm, wie wollen Sie eigentlich den Arbeitslosen aus der Tasche gezogen!) 1744 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Bundesminister Dr. Blüm Sie haben sich mit Defiziten verabschiedet. Wir haben sie zur Restschule macht. Chancengleichheit beginnt wieder Rücklagen. Das ist der Erfolg unserer Politik in nicht erst an der Universität. Wer handwerklich be- der Bundesanstalt. gabt ist, muß genauso gefördert werden. Sie- von der (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der Opposition sind die großen Chancengleichheits- SPD) theoretiker, wir sind die Chancengleichheitsprakti- ker! Die Hälfte der allgemeinbildenden Schulstunden — Ich kann auf jeden Zwischenruf eingehen, wenn an den Berufsschulen in Nordrhein-Westfalen fällt Sie mir Zeit geben. 2 Milliarden DM haben wir ge- aus. Das ist die Benachteiligung der jungen Arbeit- spart. Das ist richtig. nehmer. Wir springen ein mit dem Benachteiligten- (Frau Steinhauer [SPD]: Zu Lasten der Ar programm, mit dem Bildungsbeihilfenprogramm, mit beitslosen! — Dr. Vogel [SPD]: Reden las Sprachkursen für Aussiedler. Da wird niemand be- sen!) zweifeln, daß das etwas mit dem Arbeitsmarkt zu tun hat. Wenn wir den Landsleuten, den Aussiedlern, die — Richtig, Herr Vogel: reden lassen. Denn jeder Zwi- hierher kommen, bei der Überwindung ihrer sprachli- schenruf gibt ein neues Stichwort. chen Defizite helfen, dann helfen wir der Vermittlung. (Dr. Vogel [SPD]: Sehr tolerant, mein Lie Das ist alles ganz praktisch. ber!) Nächster Punkt: Verbesserung der Vermittlung. Jeder Zwischenruf schafft ein neues Selbsttor der so- Ich bin für das Monopol der Bundesanstalt. Ich möchte zial-demokratischen Partei. nicht, daß die Vermittlung jetzt zum Geschäft wird. Aber ein bißchen vom hohen Roß können ein paar (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Bötsch schon runterkommen. Laßt euch helfen bei der Bun- [CDU/CSU]: „Eigentor" steht auf der Anzei- desanstalt, durch Stellenanzeigen, durch Beiträge in getafel! — Dr. Vogel [SPD]: Ihnen vergeht Rundfunk und Fernsehen! Das kann den Arbeitslosen das Lachen auch noch! Warten Sie es ab!) doch nur helfen. Also Zwischenruf, wir hätten auf Kosten der Ar- Wir stehen nicht mit Patentrezepten vor Ihnen. Die beitslosen gespart. 2 Milliarden DM haben wir ge- Patentrezepte, die Sie anbieten, sind alle schimmelig spart, und wir haben Leistungsverbesserungen in geworden. Wir bieten handfeste Politik. — Sie gäh- Höhe von rund 4,5 Milliarden DM durchgesetzt. nen, Herr Vogel, wenn wir Lohnkostenzuschüsse ver- Zweiter Punkt: „Ihre Bildungsoffensive ist geschei- bessern, Sie gähnen, wenn wir handfeste Arbeits- tert. " In diesem Jahr wird es ungefähr 600 000 Ein- marktpolitik machen. tritte geben; als ich mein Amt übernommen habe, (Dr. Vogel [SPD]: Ich gähne, wenn ich Ihnen waren es ca. 260 000. Wenn 600 000 ein Scheitern zuhöre, Herr Blüm, weil ich das alles zwei sind, Herr Heyenn, was sind dann 260 000? Ich lasse hundertmal gehört habe!) mich jetzt gar nicht auf große Debatten ein. Lassen wir mal die Zahlen sprechen! — Was richtig ist, muß man dreihundertmal sagen. Sie sagen doch immer dieselben Dummheiten. Wenn Sie Drittens „Verschiebebahnhof": Was die Bundesan- Ihre Dummheiten mal abstellen, brauche ich die Erwi- stalt übernimmt, Benachteiligtenprogramm, Sprach- derung nicht zu geben. förderung, ein Teil der ABM, das hat sie bisher schon organisiert. Also muß es doch etwas mit der Bundes- (Dr. Vogel [SPD]: Es hilft Ihnen nichts, Sie anstalt zu tun haben. Wenn Sie nach Modellen für leiern sich schon aus! — Weitere Zurufe von einen Verschiebebahnhof suchen, so erinnere ich der SPD) daran, daß Sie einst die Arbeitslosenhilfe mit Beitrags- 600 000 mehr Arbeitsplätze nennen Sie Kasperei. Sie groschen bezahlt haben. Das ist eine Fürsorgelei- haben die Arbeitsplätze abgebaut, wir bauen sie stung. Das war der klassische Verschiebebahnhof. auf. Verwechseln Sie mich nicht mit sich selber! (Dr. Vogel [SPD]: Jetzt kommt der Hand Was tun wir für die Älteren? Wir zahlen einen höhe- lungsbedarf in Chile!) ren Lohnkostenzuschuß, damit die, die schwer ver- mittelbar sind, leichter unterkommen. Dieser Lohnko- —Ihnen fällt heute morgen aber auch gar nichts mehr stenzuschuß nimmt nicht Jahr für Jahr ab, sondern ein. Morgens sind Sie schlecht in Form, Herr Vogel. wird auf längere Zeit dauerhaft gezahlt. Das ist eine (Dr. Vogel [SPD]: Blüm nach Chile!) handfeste Hilfe für die schwer Vermittelbaren. — Haben Sie noch ein paar Sachen? Heute rede ich Für die Jüngeren haben wir das Benachteiligten- über Arbeitsmarkt und Arbeitslose. Das ist mein programm, das Bildungsbeihilfenprogramm. Das Thema heute, und wir helfen den Arbeitslosen mit sind wichtige Hilfen; denn einerseits muß Qualifizie- diesem Gesetz ganz konkret. rung sein, aber es gibt einen Teil der jungen Leute, der Arbeitnehmer, die an der Qualifizierung nicht teil- (Dr. Vogel [SPD]: Das ist auch dringend nö tig, mein Lieber!) nehmen können. Auch denen, die Handikaps haben, muß geholfen werden. Es ist auch ein Handikap, daß Zum Leistungsmißbrauch: Es wird doch wohl nie- die Hauptschule ihre Pflicht nicht mehr erfüllt, daß mand sagen, daß es eine Hilfe für die Arbeitslosen ist, immer mehr junge Leute den Hauptschulabschluß wenn manche Cleveren die Bundesanstalt und ihre nicht schaffen. Da frage ich Sie: Wieso schaffen sie ihn Kasse ausnutzen. Deshalb wollen wir beispielsweise in Sondereinrichtungen der Bundesanstalt? Das ist den Trick verhindern, daß Kündigungsschutz abge- aus meiner Sicht eine schallende Ohrfeige für ein kauft wird, indem im letzten Monat höherer Lohn ge- Schulsystem, das die Hauptschule vernachlässigt, das zahlt wird, damit man ein höheres Arbeitslosengeld Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1745

Bundesminister Dr. Blüm 1 bekommt. Manchmal ist solch ein T rick sogar zwi- gesagt hat, dann hört sich das ja für das Publikum schen den Ehepaaren abgesprochen. Diese Tricks ganz gut an. Herr Minister Blüm kann das fast so stellen wir ab. Denn wir machen keine Sozialpolitik engagiert vorstellen wie ich, - für die Cleveren; wir machen Sozialpolitik für die, die Hilfe brauchen. (Heiterkeit bei allen Fraktionen) Deshalb brauchen wir mehr Arbeitsplätze — das ist aber die Betroffenen wissen ja gar nicht, was dahin- das Erste und Wichtigste; hier kommen wir Schritt für tersteckt. Schritt voran — und mehr Hilfe für die Arbeitslosen. Dazu dient das Arbeitsförderungsgesetz, und dazu Natürlich wollen wir alle zusammen nur das Beste dient auch dieses Gesetz. tun, damit die Massenarbeitslosigkeit beseitigt wird; das ist eine selbstverständliche Pflicht jedes Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) neten und jeder Abgeordneten. Aber woher kommen jetzt die Mittel, und wen schröpft man, um das zu- Präsident Dr. Jenninger: Meine Damen und Herren, stande zu bringen? Das wird natürlich vergessen, und bevor wir in unseren Beratungen fortfahren, darf ich das versteht man auch draußen nicht. Da hört sich das besondere Gäste begrüßen. ganz gut an, wenn man sagt, die Bundesanstalt für Arbeit soll das bezahlen. Ja, wer zahlt denn an die In der Ehrenloge hat der Präsident der Volksver- Bundesanstalt? Kommen da nun die großen Milliar- sammlung der Demokratischen Republik Somalia, den Bundeszuschüsse hinein von den Steuerzahlern, Herr Mohamed Ibrahim Ahmed, mit einer Delegation über das Volk, in der Volkssolidarität? Platz genommen. (Beifall) (Kolb [CDU/CSU]: Was zahlen Sie denn rein?) Ich begrüße Sie herzlich im Deutschen Bundestag. Herr Präsident, Ihr erneuter Besuch in der Bundesre- Nein, nur die Pflichtversicherten sollen dieses Schick- publik Deutschland ist Ausdruck der guten, ja, sal tragen. Wer weiß, was es bedeutet, z. B. mit Löh- freundschaftlichen Zusammenarbeit unserer Länder nen, Herr Bundesarbeitsminister, die bei 1 200 DM und Parlamente. Dankbar erinnern wir uns an die monatlich für die 40-Stunden-Woche liegen, pflicht- große Hilfe bei der Geiselbefreiung in Mogadischu versichert zu sein? Das sind die armen Rentner von vor zehn Jahren. morgen. Das müssen wir doch bitte einmal signalisie- (Beifall) ren. Ich wünsche Ihnen nützliche und erfolgreiche Ge- m-Die CDU wird nie begreifen, daß sie Millionen Sti spräche und einen angenehmen Aufenthalt in unse- men verliert, aber trotzdem vom christlichen Gedan- rem Lande. ken aus nicht darangeht, und die Volkssolidarität Meine Damen und Herren, das Wo rt hat Frau Abge- schafft. Da sind wir GRÜNEN doch ein bißchen sehr, ordnete Unruh. sehr besser. Wir haben ein bißchen zugelegt — in Schleswig-Holstein leider nicht genug; denn sonst hätte es dort mit dem SPD-Sozialminister Jansen viel- Frau Unruh (GRÜNE): Herr Präsident! Volksvertre- leicht ganz, ganz andere Ansatzpunkte gegeben, wie ter und Volksvertreterinnen! man letztlich auch die Arbeitslosigkeit in Schleswig- (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Hochverpubltes Eh Holstein in den Griff bekommt. rikum!) Die Wirtschaftspartei FDP hat natürlich überhaupt — Na ja, Gott, Sie können ja nie arbeitsuchend wer- nicht im Kopf, daß es einer Solidarität der Besser- und den; Sie sind von der CDU. Höchstverdiener oder, bitte, der Beamtenklientel, be- (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Nein, von der darf, um ausgleichend wirken zu können. CSU!) (Beifall bei den GRÜNEN) — Von der CSU. Sie können nie arbeitsuchend wer- den; Sie sind mit Ihren Diäten bestens abgesichert. Es gibt ja nicht nur ein paar Betroffene Herr Minister Blüm; dann bräuchten wir uns hier nicht zu streiten. (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Auch Sie!) Es geht einfach darum, daß gegen diese Massenar- Da Sie sehr lange hier herumsitzen, bekommen Sie beitslosigkeit — man muß doch den Nachdruck auf natürlich eine Pension, von der andere nur träumen „Massen" legen — schnellstens etwas passiert. können. Also, halten Sie Ihren Mund! Hinter dem, was die SPD vorlegt, kann ich z. B. wie- (Lachen bei der CDU/CSU, der FDP und der der gut stehen. Sie können nicht unseren Staat spal- SPD) ten. Auf der einen Seite fragen Sie überhaupt nicht, Ich wollte Sie lediglich unterrichten, daß meine Kol- wo die ganzen Pensionen der Beamten und die Zu- legin leider erkrankt ist und ich Ihnen jetzt aus der satzversorgung des öffentlichen Dienstes herkom- Lamäng so ein bißchen die Leviten lese, sonst gar men. Sie hinterfragen immer nur: Wo ist die ständig nichts. kündbare Klientel in diesem Staat mit Mindestlöhnen (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP — und herabgesetzten Möglichkeiten des Verdienstes? Seiters [CDU/CSU]: Uns schlottern schon die Wer soll das bezahlen? Da fragen Sie überhaupt Knie!) nicht und denken nicht daran, über ein Notstands- Wenn der Herr Minister das — die Änderungen programm die von mir zuerst genannte Klientel mehr nach der 8. AFG-Novelle — so nett und menschlich zu belasten, damit die anderen davon, bitte schön, 1746 Deutscher Bundestag — II. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Frau Unruh etwas auch ihr eigenes Binnenmarktgefühl entwik- Ich finde es noch bedenklicher, daß ich gestern im keln können. Wirtschaftspartei FDP! Ausschuß habe hören müssen: weil DIE GRÜNEN nicht in den Landtag von Schleswig-Holstein gekom- (Zuruf von der FDP) - men seien, sei es politisch nicht mehr tragbar, daß man — Ach, Sie wissen nicht, was ein Binnenmarkt ist? mit ihnen etwas im Deutschen Bundestag mache. So (Lachen bei der FDP) nicht! Wir stehen in der Gesamtverpflichtung aller Dinge, die das Volk angehen. Ein Binnenmarkt — dies jetzt zur Aufklärung natür- Schönen Dank. lich der Zuhörer und Zuschauer — — (Beifall bei den GRÜNEN) (Seiters [CDU/CSU]: Wir haben keine Di -rektübertragung!) —Das ist doch egal. Da oben sitzen doch, bitte schön, Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat die Abgeord- Menschen aus dem Volk. Wenn ich nur Sie anschauen nete Frau Würfel. müßte, dann würde mir schon ein bißchen schlecht. (Heiterkeit bei allen Fraktionen — Dr. Bötsch Frau Würfel (FDP): Sehr geehrter Herr Präsident! [CDU/CSU]: Uns ist nicht nur ein bißchen, Meine Damen und Herren! Das Gesamtanliegen der sondern ganz schlecht! — Weitere Zurufe Achten Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz findet von der CDU/CSU) unsere Zustimmung. Nicht wahr? Das sind ja so die Punkte. Da oben Ich verhehle nicht, daß es manche Bedenken hin- — kommen Sie mal hierher, gucken Sie mal! — sitzt sichtlich der vorliegenden Finanzierung gibt. Mit die- eine Reisegesellschaft, die will ja auch etwas mitkrie- sem Gesetzentwurf werden allerdings die Koalitions- gen, was hier läuft. Und ich glaube nicht, daß das eine beschlüsse vom Juni 1986 zur Finanzierung der Aner- Reisegesellschaft von ehemaligen Parlamentariern ist. kennung der Erziehungsleistung für die vor 1921 ge- Das haben wir ja anders geregelt, daß Gott sei Dank borenen Mütter umgesetzt. wirklich die Menschen hierherkommen und eine Ich räume ein, daß die Koalitionsvereinbarungen Stunde mal erleben können, was hier so im Bundestag vom März dieses Jahres bei der 8. Nove lle nur partiell los ist. verwirklicht werden konnten. Nach wie vor sind wir (Scharrenbroich [CDU/CSU]: Jetzt sprechen der Auffassung, daß es ungerecht ist, daß ein Arbeits- Sie aber sehr aus der Lamäng!) loser, der 30 Jahre lang Beiträge zur Arbeitslosenver- sicherung geleistet hat, nur ein ebenso hohes Arbeits- Und da oben sitzen sehr wahrscheinlich sehr viele losengeld bekommt wie ein Arbeitsloser, der eventu- Menschen, die sehr wohl Arbeitsuchende waren. Ich ell nur fünf Jahre erwerbstätig war. Wir halten den hatte gestern eine Reisegruppe von Sozialinitiativen von unserem Fraktionsvorsitzenden Mischnick schon oder Arbeitsloseninitiativen. seit Jahren gemachten Vorschlag, das Arbeislosen- Also, Herr Bundesarbeitsminister, Sie liegen geld hinsichtlich der Bezugsdauer nach den Beitrags- schief. leistungen zu staffeln, aufrecht. (Günther [CDU/CSU]: Er sitzt gerade!) Wir sehen in dem vorliegenden Gesetzentwurf ei- nen ersten Schritt zur Entbürokratisierung der Ar- Sie liegen schief. Aber ich weiß, wie clever Sie sind. beitsverwaltung und auch zur Vereinfachung des Ar- (Dr. Vogel [SPD]: Das hat auch schon nach beitsförderungsgesetzes, dem jedoch weitere Schritte gelassen!) folgen müssen. Gerade den Mitarbeitern der Arbeits- ämter, denen ich jetzt von hier aus für ihre oftmals Sie wollen ja in Nordrhein-Westfalen ablösen. Also ausgesprochen schwierige Arbeit danken möchte, dann müssen Sie besser werden. muß ein hohes Maß an Flexibilität und Entschei- (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD — dungsfreiheit im Sinne unserer arbeitslosen Bürger Lachen bei der CDU/CSU) zugestanden werden. Und natürlich muß auch eine SPD besser werden. (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten Zum Abschluß muß ich das hier mal sagen. der CDU/CSU) Wir hoffen auch, daß das vorgesehene Verfahren (Heiterkeit bei allen Fraktionen — Beifall bei zur Erleichterung unentgeltlicher und uneigennützi- der CDU/CSU und der FDP — Dr. Vogel ger Arbeitsvermittlung, z. B. durch soziale Einrichtun- [SPD]: Wir werden immer besser!) gen oder kirchliche Stellen, im Interesse der arbeitslo- — Herr Dr. Vogel, sen Mitbürger in der Praxis in Zukunft unbürokrati- (Dr. Vogel [SPD]: DIE GRÜNEN sollten bes scher als bisher gehandhabt wird. Es steht doch außer ser werden!) Frage, meine Damen und Herren, daß wir alle priva- ten Initiativen, die dazu dienen, Arbeitslosen Arbeit mit dem Kindererziehungszeitengesetz und damit, zu beschaffen, zu unterstützen haben und nicht zulas- daß man 50 % der Ausgeschlossenen helfen will, sen dürfen, daß diesen Initiativen noch weitere Steine draußen Wahlkampf machen und dann keine Nor- in den Weg gelegt werden. Wir sehen in diesen vor- menkontrollklage mit den GRÜNEN machen, das gesehenen Erleichterungen für Arbeitsvermittlung finde ich bedenklich. Das meine ich. Bitte ändern Sie durch Dritte natürlich einen ersten Einstieg zur Auf- sich! So geht's nicht. lockerung des Arbeitsvermittlungsmonopols, (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP) (Frau Steinhauer [SPD]: Aha!) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1747

Frau Würfel was wir Freien Demokraten anstreben. Denn, wie schon gesagt, die Teilnahme an Fortbil- dungs- und Umschulungsmaßnahmen ist häufig erst (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten die Voraussetzung für die Wiedereingliederung- von der CDU/CSU) Frauen ins Arbeitsleben. Ich möchte es jetzt hierbei Die vorgesehene Verbesserung hinsichtlich der bewenden lassen; denn unser Minister wird sich dazu Wiedereingliederung älterer Arbeitsloser in das Be- noch äußern. rufsleben durch Lohnkostenzuschüsse sowie die Ver- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) längerung des Überbrückungsgeldes für Arbeitslose, die sich eine selbständige Existenz aufbauen wollen, Das Wort hat der Abge- halte ich für eine arbeitsmarktpolitisch sachgerechte Präsident Dr. Jenninger: ordnete Reimann. Maßnahme. Im Sinne unserer mittelständischen Un- ternehmen wird man in den parlamentarischen Bera- tungen sicherlich noch einmal sorgfältig prüfen müs- Reimann (SPD): Herr Präsident! Meine Damen! sen, ob die Einführung einer Bagatellgrenze bei dem Meine Herren! Mit dem Entwurf zur Achten Novelle Mehrkostenzuschuß der produktiven Winterbauför- des Arbeitsförderungsgesetzes möchte die Bundesre- derung sowie die vorgesehene Erweiterung der Be- gierung — daher die Bezeichnung des Gesetzentwur- fugnisse der Bundesanstalt für Arbeit für Außenprü- fes — die arbeitsmarktpolitischen Instrumente ergän- fungen und die jetzige Befristung der Sperrzeitenre- zen und die Solidargemeinschaft vor Mißbrauch gelungen tatsächlich sachgerecht und notwenig schützen. Das klingt zunächst nach einem guten und sind. sinnvollen Unternehmen, jedoch nur auf den ersten Blick. Insgesamt halten nur wenige Punkte der No- Was die Eindämmung der Mißbrauchsmöglichkei- velle diesem Anspruch stand. ten angeht, so glaube ich doch, im Hohen Hause Über- einstimmung dahin gehend vorzufinden, daß gerade Wir Sozialdemokraten begrüßen jede Verbesse- diese Mißbrauchsmöglichkeiten im Interesse der Bei- rung, auch die Fragen der Ausbildungsförderung, der tragszahler, aber auch der großen Zahl von Arbeitslo- Sprachförderung für Aussiedler und dergleichen sen, die arbeiten wollen, aber lediglich auf Grund mehr. Herr Minister, Sie haben eben richtig festge- einiger, einzelner schwarzer Schafe bereits in ihrer stellt: Die Organisation hatten die Arbeitsämter so- Gesamtheit diskriminiert werden, beseitigt werden wieso, aber jetzt donnern Sie den Arbeitsämtern auch müssen. Dazu trägt dieser Gesetzentwurf bei. die Kosten auf. Das sind bei der Sprachförderung al- lein 270 Millionen DM, um die Sie die Bundeskasse Es ist allerdings richtig, daß diese Maßnahmen in entlasten. den nächsten Jahren Probleme für den Haushalt der (Frau Steinhauer [SPD]: So ist das! Ge Bundesanstalt für Arbeit aufwerfen könnten. Deshalb nauso!) ist es für uns von entscheidender Bedeutung, daß sich auch die Union eindeutig darauf festgelegt hat, daß Ich halte das nicht für in Ordnung. eventuell auftretende Finanzierungsengpässe nicht Wenn Sie in diesem Zusammenhang die Haupt- durch Beitragssatzerhöhungen ausgeglichen wer- schulabschlüsse, die über die Arbeitsämter nachge- den. holt werden können, als Mangel des deutschen Schul- systems hier anprangern, hätte ich von Ihnen gerne (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten ein Wort dazu gehört, wie Sie dazu stehen, daß Sie der CDU/CSU) ständig die Leistungsgesellschaft propagieren, aber immer weniger Leistungsschwachen eine Chance Denn es steht wohl außer Frage, daß eine weitere eingeräumt wird, in dieser Leistungsgesellschaft mit- Belastung der Beteiligten mit Sozialabgaben für alle zukommen. Das beginnt schon bei den Schulen und Bemühungen, der Arbeitnehmer sowie der Arbeitge- endet bei dem nicht bestandenen Hauptschulab- ber, mehr Beschäftigung zu schaffen, kontraproduktiv schluß. Denken Sie einmal darüber nach. wäre. (Zuruf des Abg. Kolb [CDU/CSU]) In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, — Herr Kollege Kolb, es sind 900 Millionen DM. In daß ich den Vorschlag des zuständigen Bundesrats- den nächsten Jahren sind es Milliardenbeträge, die ausschusses für ausgesprochen erwägenswert halte, die Bundesanstalt zu zahlen hat. Sie als Arbeitgeber. die bisherige sehr st ri kte Regelung für Frauen bei der Auch Sie sollten einmal über die Beiträge nachden- Übernahme von Kinderbetreuungskosten, wenn ken, die Sie dafür zu entrichten haben. diese Frauen an einer Fortbildungs- oder Umschu- lungsmaßnahme teilnehmen wollen, zu verbessern. Die inhaltliche Ausgestaltung der Novelle beweist Dieser Vorschlag des Bundesratsausschusses müßte wieder einmal, daß die Bundesregierung im Grunde unser aller Zustimmung finden. Frauen, die sich einer genommen die Massenarbeitslosigkeit aussitzen will, Weiterbildungs- oder Umschulungsmaßnahme unter- weil kein ernsthafter Versuch unternommen wird, die ziehen wollen, fehlen ja oft die finanziellen Mittel, da Arbeitslosigkeit durch Schaffen neuer Arbeitsplätze sie ja noch nicht erwerbstätig sind und es daher nicht abzubauen. Im Gegenteil: Es ist ein erneuter Versuch, bezahlen können, ihre Kinder betreuen zu lassen. Arbeitslosigkeit statistisch zu verwalten, die Zahlen Diese vorgesehene Übernahme von Kinderbetreu- zu schönen, d. h., die Arbeitslosen wegzumanipulie- ungskosten — und seien es jetzt auch erst einmal nur ren. Ich werde das noch begründen. 60 DM im Monat — ist ein erster Schritt, dem selbst- In meinem Beitrag will ich wesentliche Punkte des verständlich folgen sollte, daß die Übernahme von Gesetzentwurfs aus Oppositionssicht beleuchten; das Kinderbetreuungskosten in Höhe von bis zu 60 DM ist meine Aufgabe. Die Bundesregierung will Angebot pro Kind — und nicht für alle gemeinsam — erfolgt. und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt schneller aus- 1748 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Reimann gleichen, indem sie Stellenangebote und Stellengesu- Jahre einkalkuliert haben; das ist in Ihrem Pro- che künftig durch Ton, Fernsehen und Bildtext veröf- gramm. fentlicht. Das heißt: Dieses Ziel soll durch die Erwei- Jetzt will ich etwas zu § 128 sagen. In der- jetzigen terung der Publikationsmöglichkeiten erreicht wer- Form führt diese Vorschrift zu weiterer Unsicherheit den. Die Bundesregierung öffnet damit den Stellen- auf dem Arbeitsmarkt. Ich will Ihnen auch erklären, markt durch Rundfunk und Fernsehen — wie die FDP warum. Wer entläßt schon ältere Arbeitnehmer in eine es möchte — auch für andere Vermittler und überläßt verdiente Rente, wenn er einen Erstattungsanspruch damit teilweise eine der elementaren Aufgaben der an das Arbeitsamt zahlen muß? Bundesanstalt für Arbeit, nämlich Vermittlung und Beratung, dem angeblich freien Spiel der Kräfte in der (Frau Steinhauer [SPD]: Genauso ist es! Kei Gesellschaft. ner!) (Dr. Solms [FDP]: So wird das wieder funktio Ausgebildete junge Menschen sind in der Regel die nieren!) Leidtragenden, denn sie werden aus den Be trieben herausgeschmissen, weil es keine andere Chance — Wollen Sie damit sagen: Die Bundesanstalt schläft gibt. und ist unfähig, das zu beherrschen? Dann sprechen Sie einmal mit Ihrem Minister darüber. (Beifall bei der SPD) Die Aufweichung des Alleinrechts der Bundesan- Wir wollen nicht, daß junge Menschen nach Hause stalt für Arbeit zur Vermittlung ist nach unserer Mei- geschickt werden. Wir wollen, daß ältere Menschen nung kein geeignetes Instrument zur Belebung des durch Vereinbarungen und versorgt durch vernünf- Arbeitsmarktes. tige Renten in den Ruhestand treten und daß die jun- gen Menschen eine Chance haben, in dieser Gesell- (Beifall bei der SPD) schaft einen Arbeitsplatz zu finden. Notwendig, Herr Minister, ist vielmehr, die personelle (Schemken [CDU/CSU]: Wir wollen bei- Ausstattung der Arbeitsämter bundesweit endlich des!) einmal aufzustocken sowie durch die Fo rt- und Wei- terbildung des Personals die Interessen der Arbeit- Wir wollen die Beschäftigtengruppen auch nicht suchenden und der Bet riebe durch qualifizierte Ver- gegeneinander ausspielen. Wir möchten den Entsoli- mittlung und Beratung zu sichern. Das ist eins der darisierungsprozeß, den Sie in dieser Gesellschaft ein- zentralen Probleme. Gehen Sie einmal in die Arbeits- leiten, nicht mit den Gruppen in dieser Gesellschaft ämter hinein und reden Sie mit den dortigen Mitarbei- fortsetzen. tern! (Zustimmung bei der SPD — Schemken (Frau Steinhauer [SPD]: Der Minister meint [CDU/CSU]: Wir wollen die Versöhnung der ja nur, sie müßten vom hohen Roß herun Generationen! Sie spalten mit Ihrer Rede!) ter!) Deshalb, so meinen wir, wäre es sehr sinnvoll, wenn Sorgen Sie endlich mit dafür, daß qualifizierte Mitar- § 128 ganz aus Ihrem Entwurf gestrichen würde. beiter der Arbeitsämter die Zeit haben, Bet riebe auf- Nun zu § 103. Es ist schon eine makabere Angele- zusuchen, Arbeitsplätze anzuschauen, um geeignete genheit, wenn Sie nun Studierende und Schüler für Beratung mit den Arbeitslosen führen und beurteilen nicht verfügbar erklären und damit von der Vermitt- zu können, ob diese für die Arbeitsplätze in der Indu- lung ausschließen. Damit nehmen Sie rechtmäßig er- strie geeignet sind. worbene Ansprüche auf Leistung nach dem Arbeits- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) förderungsgesetz weg, und zwar zu einer Zeit, in der infolge Ihres unsozialen BAföG-Kahlschlags, der doch Das Alleinrecht der Bundesanstalt für Arbeit, Ar- gerade die Studierenden aus den einkommenschwa- beitskräfte zu vermitteln, hat sich in den langen Jah- chen Schichten trifft, mittlerweile 40 % der Studenten ren praktischer Arbeit gut bewäh rt . Allerdings kann ihr Studium ausschließlich durch eigene Arbeit fi- auch das Arbeitsamt nur vermitteln, was an offenen nanzieren. Stellen angeboten wird und was zu vermitteln ist. Das heißt: Wer die Vermittlung von Arbeitsuchenden auf (Schemken [CDU/CSU]: Haushaltsstruktur dem Arbeitsmarkt verbessern will — das gibt die Bun- gesetz 1982!) desregierung in ihrem Gesetzentwurf zumindest Was soll es eigentlich, wenn Sie Arbeitslosen, die, vor — , muß erstens sachliche und fachliche Kompe- wie Sie es formulieren, selbständig werden wollen, so tenzen schaffen und zweitens dafür sorgen, daß durch kräftig unter die Arme greifen — es ist Ihre Meinung, entsprechende Programme — wir Sozialdemokra- daß Sie ihnen unter die Arme greifen — , daß sie statt ten —nennen das „Arbeit und Umwelt" — Arbeits- — wie bisher — drei Monate Arbeitslosengeld bei plätze geschaffen werden. Das Verhältnis von zwei Gründung einer selbständigen Existenz sechs Monate Millionen Arbeitslosen und einer Million in der stillen Arbeitslosengeld beziehen. Wer im Ernst glaubt, mit Reserve zum Angebot von 170 000 offenen Stellen einer solchen Regelung aus Arbeitslosen Selbständige beweist, daß auch bei hoher Qualifikation von Ar- machen zu können, der hat vom Wirtschaften aber beitslosen eine Vermittlungstätigkeit durch die Bun- wirklich keine Ahnung. desanstalt für Arbeit kaum möglich ist und daß sich (Schemken [CDU/CSU]: Und wenn es nur die Probleme nur lösen lassen, wenn die Bundesregie- einer ist!) rung endlich etwas für die Beseitigung der Massenar- beitslosigkeit tut. Diese Debatte zeigt auch, daß Sie Meine Damen und meine Herren, ich habe nichts die Arbeitslosigkeit für dieses und für die nächsten dagegen, wenn Arbeitslosen, die sich in einer Notsi- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1749

Reimann tuation befinden, geholfen wird, eventuell auch Präsident Dr. Jenninger: Ich erteile dem Herrn Bun- selbständig zu werden, aber die Förderung selbstän- desminister für Bildung und Wissenschaft das Wo rt. diger Existenzen setzt voraus, daß dies eine vorran- - gige Aufgabe der Wi rtschaftspolitik ist, nicht aber, Möllemann, Bundesminister für Bildung und Wis- daß die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes um drei senschaft: Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Monate verlängert wird. Wir alle, auch die Beitrags- Kollegen! Wie bereits in der Regierungserklärung zahler, insbesondere die der Bundesanstalt für Arbeit, vom 18. März angekündigt, soll durch die Novelle, die damit belastet werden, sollten einmal darüber über die wir heute sprechen, das bewäh rte Benachtei- nachdenken, wohin denn solche Existenzgründungen ligtenprogramm des Bundesministers für Bildung und gehören. Wissenschaft auf eine gesetzliche Grundlage gestellt Ein weiterer Gesichtspunkt ist die in der Novelle werden. Das Programm leistet heute einen wesentli- vorgesehene Verschärfung der Meldepflicht. Herr chen Beitrag dazu, daß in unserer hochtechnisierten Blüm, jetzt können Sie Ihre Lieblingsvorstellung end- Gesellschaft auch ehemalige Sonderschüler, Haupt- lich realisieren, denn jetzt können Sie endlich die vie- schulabgänger ohne Abschluß und junge Ausländer len Frauen, die, ohne Leistungen zu beziehen, beim die Chance einer dauerhaften beruflichen Eingliede- Arbeitsamt arbeitslos gemeldet sind, aus der Statistik rung haben. herauskriegen. Das ist der Anspruch, den Sie damit Bundesweit erhalten zur Zeit durch das Programm verwirklichen. 32 000 benachteiligte Jugendliche eine Ausbildung in (Zustimmung bei der SPD) anerkannten Ausbildungsberufen. 19 400 werden in überbetrieblichen Einrichtungen ausgebildet; weitere Hier wird nämlich damit spekuliert, daß die Menschen 12 800 werden durch ausbildungsbegleitende Hilfen der Vermittlung müde sind und daß sie nicht mehr während einer Ausbildung in einem Betrieb gefördert. zum Arbeitsamt gehen. Damit ist das Problem nach Durch Stützunterricht und sozialpädagogische Unter- dem Motto gelöst: Der Arbeitslose, aber nicht die Ar- stützung gelingt es, während der Berufsausbildung beitslosigkeit wurde bekämpft. die schulischen Defizite und sozialen Benachteiligun- (Schemken [CDU/CSU]: Er kann sich alle gen, die einem Ausbildungserfolg noch entgegenste- drei Monate melden!) hen, zu überwinden. Ich glaube, es kann gar keinen Streit darüber ge- — Ja, alle drei Monate. ben, daß der Bundesarbeitsminister mit seinem Hin- (Günther [CDU/CSU]: Das ist doch wohl zu weis auf Schwächen im Schulsystem, auf die allseits mutbar!) leider praktizierte Benachteiligung der Hauptschule, — Nein. — Sie dünnen die Statistik aus. Sie tun nichts recht hat. zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit. Sie werfen die (Schemken [CDU/CSU]: Völlig richtig!) Leute aus der Statistik heraus, und dazu soll dann Diese kritische Bemerkung richtet sich übrigens an optisch der Eindruck entstehen, als sei der Herr Blüm die Adresse der hier im Hause vertretenen Parteien, besonders leistungsfähig. soweit sie die Kultusminister stellen. (Schemken [CDU/CSU]: Wir konzentrieren (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) uns auf die Vermittlung!) Man hat sich eine Zeitlang zu sehr auf die sogenann- Herr Kolb, Sie wissen ja, daß die Leute, die Sie so oft ten weiterführenden Schulen konzentriert und hat die zum Arbeitsamt bestellen, die Sie alle drei Monate Hauptschulen sowohl von der Ausstattung mit Leh- zum Bittsteller machen, noch nicht einmal das Fahr- rern als auch von der Beschreibung des gesellschaft- geld bezahlt bekommen. Das heißt: Sie belasten die lichen Stellenwerts her vernachlässigt. auch noch zusätzlich. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist richtig!) (Kolb [CDU/CSU]: Die wollen doch auch was Das führte dazu — — dafür, z. B. in der Rentenversicherung!) — Ja, ich weiß, es ist schwer für Sie. Präsident Dr. Jenninger: Herr Bundesminister, ge- statten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Wir werden in der Abschlußberatung und in den Frau Dr. Götte? Ausschußberatungen in den nächsten Tagen und Wo- chen unsere sozialdemokratische Posi tion einbringen. Möllemann, Bundesminister für Bildung und Wis- Wir werden Verbesserungen beantragen, wir werden senschaft: Ja, aber ich darf den Satz eben zu Ende mit Ihnen diskutieren. Herr Minister, wir hegen aber führen: Das führte dazu, daß auch die hier in Rede auch die Hoffnung, daß Sie einen wohlwollenden Ein- stehenden Schwächen aufgetreten sind. fluß auf Ihre Regierungskoalition ausüben und dann (Frau Unruh [GRÜNE]: Machen Sie ein Wal den sinnvollen Anträgen der Sozialdemokraten zu- dorf system! gunsten der Arbeitslosen und zugunsten einer ver- ) nünftigen Arbeitsmarktpolitik in den Ausschüssen zu- Deswegen muß es eine Gemeinschaftsanstrengung stimmen werden und daß wir in der letzten Lesung, der Parteien, die die Kultusminister stellen, also aller wenn wir über das Gesetz abstimmen, ein vernünfti- im Parlament vertretenen Parteien mit Ausnahme der ges Gesetz bekommen werden. GRÜNEN, sein, dies zu ändern. — Bitte! Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Frau Dr. Götte (SPD): Herr Minister, wissen Sie ei- (Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh gentlich, wieviel Lehrer in Deutschl and in große Ge- [GRÜNE]) wissenskonflikte geraten, wenn es um die Frage geht, 1750 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Frau Dr. Götte ob sie schwachen Schülern in der Hauptschule über- ligten Jugendlichen in den Zusammenhang der In- haupt den Hauptschulabschluß geben sollen? strumente gestellt wird, auf die es aufbaut, beispiels- - (Reimann [SPD]: Das ist der Punkt! — Lei weise auf die berufsvorbereitenden Maßnahmen. Wegen der Trennung der Instrumente „Berufsvor--stungsgesellschaf t! ) Wenn diese nämlich den Hauptschulabschluß bekom- bereitung" und „Förderung der Berufsausbildung" men, fallen sie nicht unter dieses Programm. Ist Ihnen konnte es bisher leider geschehen, daß etwa ein ehe- bekannt, daß sich Lehrer, die die Familienverhältnisse maliger Sonderschüler, der nach der Schule bereits mancher Schüler kennen, aus Gewissensgründen eine berufsvorbereitende Maßnahme besucht hatte, weigern, den Hauptschulabschluß zu erteilen, weil nur deshalb statt einer Ausbildung nach dem Benach- ein Hauptschulabschluß in diesem Falle bedeuten teiligtenprogramm eine zweite, manchmal auch eine würde: keine Chance, in eine Berufsausbildung zu dritte Vorbereitung besuchte, weil hierfür, nicht aber kommen? für die Förderung einer Ausbildung nach dem Be- nachteiligtenprogramm Mittel zur Verfügung stan- (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU — den. Durch die Aufnahme in das Arbeitsförderungs- Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja gesetz kann nun die Voraussetzung dafür geschaffen Quatsch!) werden, vorhandene Mittel in Zukunft noch gezielter als bisher für das Förderinstrument einzusetzen, das Möllemann, Bundesminister für Bildung und Wis- von der Bildungssituation des betroffenen Jugendli- senschaft: Davon habe ich nicht gehört. Ich würde chen her bildungspolitisch, aber auch wirtschaftspoli- sagen: Ein Lehrer, der mit einer solchen Argumenta- tisch am sinnvollsten ist. Der Bundesbildungsminister tion einem Schüler den ihm an sich zustehenden Ab- wird die fachliche Zuständigkeit für die inhaltliche schluß verweigert, versteht seinen Beruf falsch. Gestaltung der Ausbildungsmaßnahmen des Pro- (Zuruf von der CDU/CSU: Er müßte rausflie gramms auch nach der gesetzlichen Verankerung be- gen!) halten. Damit ist sichergestellt, daß dieses erfolgrei- Ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand so argumen- che Programm ein wichtiges und lebendiges Instru- tiert. ment der Berufsbildungspolitik der Bundesregierung bleiben wird. (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zwei Bemerkungen zum Schluß zu dem, was eine Vorrednerin und ein Vorredner gesagt haben. Präsident Dr. Jenninger: Gestatten Sie eine weitere Frau Unruh, ich habe mit einer gewissen Faszina- Zwischenfrage? tion Ihren analytischen Bemerkungen, die Sie hier vorgetragen haben, gelauscht. Wenn das, was Sie zum Möllemann, Bundesminister für Bildung und Wis- Wahlergebnis in Schleswig-Holstein als Analyse vor- senschaft: Nein, ich möchte gern fortfahren. getragen haben, tatsächlich das ist, was Sie wirlich denken, dann wundert mich das, was ich in den letz- Diese bedeutet für den Förderung der Ausbildung ten Tagen über den Analyseablauf in Ihrer Partei ge- einzelnen oftmals eine ihm sonst nicht mehr gebotene lesen habe, freilich überhaupt nicht mehr. Möglichkeit einer gleichberech tigten beruflichen und persönlichen Entwicklung. Sie liegt aber zugleich (Frau Unruh [GRÜNE]: Ich danke für die auch im Interesse der Gesellschaft, für die durch die- Ehre der Erwähnung! — Heiterkeit) ses Programm Folgekosten einer Beschäftigungslosig- — Es war mir ein Vergnügen. Sie ordnen das ganz keit vermieden werden, die die für die Ausbildung richtig ein. erforderlichen Kosten bereits in kürzester Zeit erheb- lich überschreiten würden. Zu Herrn Kollegen Reimann, der sich etwa in dem Sinne äußerte: Wenn ein großer Apparat, der ein Mo- Der Förderansatz dieser erfolgreichen Ausbildungs- nopol für die Abwicklung einer Aufgabe hat, offen- maßnahmen ist unabhängig von der Ausbildungs- kundig Schwächen aufweist, dann sei seine Forde- platzsituation. Langjährige Erfahrungen zeigen, daß rung nicht die nach Abstellung der Schwächen, son- Jugendliche aus den Zielgruppen des Programms dern die, ihn weiterhin aufzublähen. Das ist eine Kon- auch bei einem ausreichenden Ausbildungsplatzan- sequenz, die mir nicht einleuchtet. Ich glaube, daß die gebot intensiver Förderung bedürfen, um einen Aus- Ausstattung der Bundesanstalt für Arbeit und ihrer bildungserfolg zu erreichen. Durch ausbildungsbe- nachgeordneten Stellen mit jetzt über 65 000 Mitar- gleitende Hilfen wird diese Lernunterstützung wäh- beitern wirklich hinreichend ist. Wir müssen uns jetzt rend einer Ausbildung im Betrieb sichergestellt. Für tatsächlich an die Schwachstellen begeben. benachteiligte Jugendliche, die auf Grund ihrer schu- lischen Defizite und sozialen Schwierigkeiten auch Ich sehe, daß der Kollege Penner sich mittlerweile mit diesen ausbildungsbegleitenden Hilfen noch nicht von seinem Tiefschlaf im Abteil 1. Klasse der chinesi- in einem Betrieb ausgebildet werden können, ist auch schen Staatsbahn erholt hat und eine Zwischenfrage in Zukunft eine noch intensivere Förderung während stellen will. der Ausbildung in einer überbetrieblichen Einrich- (Heiterkeit) tung erforderlich. Deswegen will ich sie ihm gerne einräumen. Meine Damen und Herren, die gesetzliche Veran- kerung des Programms im Arbeitsförderungsgesetz bringt — das sage ich im Hinblick auf Fragezeichen, die gesetzt worden sind — vor allem den Vorteil, daß Präsident Dr. Jenninger: Herr Abgeordneter Pen- die Förderung der Berufsausbildung von benachtei- ner, Sie haben das Wort zu einer Zwischenfrage. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1751

Dr. Penner (SPD): Der Möllemann greift den Ereig- können, wenn man diese Eindrücke nicht in einem nissen vor. Schlafwagen der Staatsbahn verschlafen hat. Herr Bundesminister Möllemann, Sie waren in der (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der vergangenen Woche so freundlich, den besonderen CDU/CSU — Zuruf des Abg. Dr. Vogel Charakter der Reise in der chinesischen Staatsbahn zu [SPD]) verkennen und denjenigen der Lüge zu zeihen — Präsident Dr. Jenninger: Meine Damen und Herren, Präsident Dr. Jenninger: Es geht um eine Zwischen- ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt frage und nicht um eine Klarstellung zur chinesischen die Überweisung des Gesetzentwurfs zur Änderung Staatsbahn. des Arbeitsförderungsgesetzes an die in der Tages- (Heiterkeit) ordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit Herr Abgeordneter Penner bitte sehr, Sie haben das einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Dann Wort zu einer Zwischenfrage erbeten. ist die Überweisung so beschlossen.

Dr. Penner (SPD): Ja, das kommt jetzt, Herr Bundes- Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf: tagspräsident:... und denjenigen der Lüge zu zei- Beratung der Großen Anfrage des Abgeordne- hen, der Sie zu dieser Reise mit der chinesischen ten Stratmann und der Fraktion DIE GRÜ- Staatsbahn in Beziehung setzte. Jetzt kommt die NEN Frage, Herr Bundestagspräsident: Trifft es denn nicht zu, Herr Möllemann, daß Sie zu Beginn der 70er Jahre Thorium-Hochtemperaturreaktor THTR 300 Mitglied einer Bundestagsdelegation unter Führung und die Hochtemperaturreaktorlinie des damaligen Kollegen Jaeger waren, die sehr wohl — Drucksache 11/728 — eine Reise mit der chinesischen Staatsbahn von Hierzu liegen Entschließungsanträge der Fraktion Hongkong nach Kanton gemacht hat? der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/806 und 11/815 vor. Präsident Dr. Jenninger: Herr Zwischenfrager, ich muß Ihnen sagen, das hat nun wirklich mit dem Ge- Im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu genstand der Beratungen nichts zu tun. zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlos- (Heiterkeit) sen. Ich bin zwar dafür, daß wir möglicherweise im Deut- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abge- schen Bundestag eine Enquete-Kommission einset- ordnete Stratmann. zen, um dieses Problem zu klären, (Anhaltende Heiterkeit) Stratmann (GRÜNE): Liebe Mitbürgerinnen! Liebe aber ich lasse die Zwischenfrage nicht zu. Mitbürger! Hans-Jochen Vogel geißelte in der Haus- (Dr. Penner [SPD]: Aber der Minister selbst haltsdebatte letzte Woche die politische Devise von hat sie doch eingebracht!) Herrn Geißler und sagte — ich zitiere — : — Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, ich lasse diese Nicht die Taten zählen, sondern die Worte zäh- Zwischenfrage jetzt nicht zu. Sie steht nicht im Zu- len, mögen sie wahrheitsgemäß, glaubwürdig sammenhang mit der Beratung des Arbeitsförde- und redlich sein oder nicht. Das ist Ihre Ma- rungsgesetzes. xime. Herr Abgeordneter Reimann zu einer weiteren Zwi- Ich teile die Empörung von Herrn Vogel über Herrn schenfrage. Geißler. Die Frage aber ist, ob der Entschließungsan- trag der SPD-Fraktion zum Hochtemperaturreaktor, Reimann (SPD): Herr Präsident, ich verspreche, dem Staatsreaktor von Nordrhein-Westfalen, nicht nicht von der Staatsbahn zu reden. nach exakt derselben Maxime verfährt. (Heiterkeit) Gehen wir der Reihe nach vor. Von Baubeginn an Herr Minister, Sie haben ein über lange Zeit im Ver- war der THTR 300 das Lieblingskind der SPD-Lan- mittlungsmonopol der Bundesanstalt funktionieren- desregierung von Nordrhein-Westfalen. Die Finanzie- des System ausgerechnet jetzt als Schwachstelle be- rungskosten von 4 Milliarden DM teilten sich im we- zeichnet. Würden Sie mir zustimmen, daß nicht die sentlichen Bund und Land. Gemeinschaftlich wird Vermittlung der Bundesanstalt daran schuld ist, daß auch die Kernforschungsanlage Jülich finanziert, in wir soviel Arbeitslose haben und Probleme auftreten, der Forschungs- und Entwicklungsarbeit für die sondern das Wirtschaften und das Wirtschaftssystem Hochtemperaturtechnologie geleistet wird und auf als solches und insbesondere die Politik der jetzigen deren Gelände der meist unbeachtete Kugelhaufen- Bundesregierung? versuchsreaktor AVR betrieben wird. Den Bergleuten im Kohleland NRW wurde die Möllemann, Bundesminister für Bildung und Wis- Hochtemperaturreaktorlinie mit der Verheißung senschaft: Nein, Herr Kollege, ich stimme Ihnen nicht schmackhaft gemacht, daß mit ihrer Hilfe Prozeß- zu. Ich möchte, damit hier kein Mißverständnis auf- wärme zur Vergasung heimischer Steinkohle gewon- kommt, sagen, daß ich von Schwachstellen im System nen werden könne. Heute ist klar, daß die entspre- der Arbeitsvermittlung als einem System, das von chende Technik, ein nukleares Prozeßwärmesystem, einem Monopol betrieben wird, gesprochen habe. Das wenn überhaupt, nicht vor dem Jahre 2500 kommer- muß einem auffallen, und das muß man erkennen ziell zum Einsatz gebracht werden kann. 1752 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Stratmann Die Weiterentwicklung dieser Linie macht also nur eines Hotels in Singapur, dessen Tragekonstruk- Sinn, wenn an die langfristige Nutzung dieser Reak- tion nur aus passiven Komponenten bestand, ge- torlinie und deren Expo rt gedacht ist. zeigt. - Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hat (Hört! Hört! bei den GRÜNEN) sich bis heute nicht vom Konzept dieser Reaktorlinie Die „Atomwirtschaft" schreibt das. verabschiedet. Im Gegenteil: Arm in Arm mit der Bun- desregierung fördert sie auch 1987, dem Jahr nach Darüber hinaus ist der THTR 300 nicht nur nicht Tschernobyl, diese Linie mit dem Projekt „Prototyp- inhärent sicher, sondern er weist HTR-spezifische Un- anlage Nukleare Prozeßwärme". fallmöglichkeiten und auslegungsgemäß besonders ungünstige Merkmale auf. So verfügt er z. B. wie der (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Das ist allerhand!) Tschernobyl-Reaktor über kein Containment im ei- 1987 geschieht dies mit 47 Millionen DM an Lan- gentlichen Sinn. Seit der Erteilung der vorläufigen desmitteln, für 1988 sind 28 Millionen DM veran- Betriebsgenehmigung für den THTR im September schlagt. 1985 sind unvorhergesehen schwerwiegende Kon- Die Landesregierung NRW ist indirekt auch an dem struktionsmängel und Fehler zutage getreten, z. B. zu geplanten Umbau des Versuchsreaktors AVR in Jü- stark verdichteter Kugelhaufen mit den Konsequen- lich beteiligt. Damit sollen demnächst weitere techni- zen von erhöhten Kräften auf die Abschaltstäbe, er- sche Voraussetzungen für den „Prototyp Nukleare höhtem Kugelbruch, erhöhtem Anfall von Graphit Prozeßwärme" zur Kohlevergasung geschaffen wer- staub und -abrieb. den. Diese Konstruktionsmängel sind ursächlich für be- Während sich die SPD-Landesregierung einerseits stimmte Störfälle verantwortlich, z. B. für die erhöhte eifrig in Ausstiegsrhetorik übt, erklärte Genehmi- Radioaktivitätsfreisetzung am 4. Mai 1986 für den be- gungs- und Aufsichtsminister Jochimsen im Dezem- rühmt-berüchtigten THTR-Störfall. Wenn die Mel- ber 1986, also nach dem Nürnberger Ausstiegsbe- dung des „Spiegels" Nr. 31/1987 zutrifft, wonach ein schluß der SPD, in der WAZ unmißverständlich — ich Tagesbericht im Zusammenhang mit dem Störfall im zitiere — : THTR am 4. Mai 1986 von dem Betreiber zurückge- nommen wurde, weil er nicht genehm war, dann ist Den technologischen Fadenriß dürfen wir uns bei die Unzuverlässigkeit des Betreibers erwiesen und der Kohlevergasung und der Kohleverflüssigung eine atomrechtlich vorgeschriebene Genehmigungs- nicht leisten. Dieses gilt auch für die Hochtempe- voraussetzung entfallen. raturreaktortechnologie. Schließlich ist die Frage der Entsorgung für den Auf deutsch: Wir müssen diese Technologie weiter- THTR bis heute völlig ungelöst. Seine Inbetrieb- entwickeln. Oder anders gewendet: Ausstieg aus der nahme im September 1985 erfolgte ohne Nachweis Atomenergie durch weiteren Einstieg. eines genehmigungsfähigen Endlagers. Das geplante Überhaupt ist die SPD in der Förderung der Hoch- Endlager Gorleben ist offenkundig nicht genehmi- temperaturreaktortechnologie wesentlich flexibler gungsfähig. Darüber dürften wir mittlerweile überein- als die Bundesregierung. Während diese die Förde- stimmen. Selbst das vorgesehene Zwischenlager rung der „Prototypanlage Nukleare Prozeßwärme" im Ahaus ist zwischenzeitlich als angeblicher Entsor- Bundeshaushalt offen ausweist, hat die SPD-Landes- gungsvorsorgenachweis gerichtlich blockiert. regierung nach dem Nürnberger Ausstiegsbeschluß Das geltende Atomrecht stellt also eine hinrei- den entsprechenden Haushaltstitel „ökologisch mo- chende Handhabe dar, um die dernisiert". Gefördert wird dasselbe wie vorher, aber Betriebsgenehmigung für den THTR 300 aus Gründen mangelnder Sicher- es heißt jetzt — nuklear unverdächtig — : Förderung heit, eines fehlenden Entsorgungsnachweises und von Werkstoffen und Komponenten für Hochtempera- mangelnder Zuverlässigkeit der Betreiber zu widerru- turprozesse. — Herr Geißler nennt das: Nicht die Ta- fen. ten bewegen die Menschen, sondern die Worte über die Taten. Wir GRÜNEN begrüßen deswegen den Ratsbe- Die tatsächliche positive Haltung der SPD-Landes- schluß der Stadt Do rtmund vom 22. Mai 1986, regierung zum Hochtemperaturreaktor prägt auch (Beifall bei den GRÜNEN) ihre Haltung in der Sicherheitsfrage. Darin wird sie in dem die Mehrheit von SPD und GRÜNEN die Lan- von der SPD-Bundestagsfraktion genauso unterstützt desregierung auffordert: Die Betriebsgenehmigung wie von der Bundesregierung. Die bekannten Sicher- für den THTR 300 in Hamm-Uentrop ist zu widerru- heitsmängel reichen ihr nicht aus, den THTR 300 nach fen. Recht und Gesetz stillzulegen. Wenn die Landesregierung Nordrhein-Westfalen, Über die dem THTR angedichtete inhärente Sicher- unterstützt von der SPD-Bundestagsfraktion, ihre heit schreibt die „Atomwirtschaft", das offizielle atomrechtlichen Möglichkeiten nicht nutzt, zeigt sie Fachblatt der Kerntechnischen Gesellschaft, im Au- nur, daß sie es politisch nicht will. gust/September 1987 — ich zitiere — : ..., daß man unter inhärenter Sicherheit keine (Beifall bei den GRÜNEN) hundertprozentige Sicherheit verstehen kann .. . Sie braucht ja auch diese Demonstrationsanlage, um Die Tatsache, daß auch mit passiven Komponen- in Zukunft HTR-Technologie exportieren zu können, ten keine absolut hundertprozentige Sicherheit in haben doch die meisten Firmen, die am deutsch-so- dieser Welt erreichbar ist, hat z. B. der neulich wjetischen HTR-Projekt beteiligt sind, ihren Sitz in ohne erkennbaren Anlaß stattgefundene Einsturz Nordrhein-Westfalen. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1753

Stratmann Den lediglich rhetorischen Ausstiegswillen der Lan- Große Anfrage deswegen nicht abgewartet, um diese desregierung dokumentiert auch die geplante Sicher- Rede halten zu können. an heitsüberprüfung aller Atomanlagen in NRW, „ Meine Damen und Herren, die Koalitionsfraktionen der auch erklärte Kritiker der Atomkraft beteiligt wer- - stehen zu ihrer Energiepolitik. Diese Politik schließt den", wie der SPD-Antrag in dieser Debatte sugge- die friedliche Nutzung der Kernenergie und auch den riert. Diese Beteiligung sieht so aus, daß von neun Weiterbetrieb des Hochtemperaturreaktors mit ein. Mitgliedern der Überprüfungskommission ein Mit- Ein Ausstieg wird mit uns nicht stattfinden. glied atomkritisch eingestellt ist. Um aber die Über- macht dieses kritischen Sachverstandes einzudäm- (Frau Unruh [GRÜNE]: Abschalten! — Wei men, hat die Landesregierung NRW mit der Federfüh- tere Zurufe von den GRÜNEN) rung in der Kommission eine Firma als Generalunter- Unsere Haltung ist klar. Wir haben es daher auch nehmer beauftragt — die Elektrowatt- Ingenieurun- nicht nötig, wöchentlich — wie es die Opposition heu- ternehmung Zürich —, die im schweizerischen und te wieder zeigt — , durch neue Entschließungen un- bundesdeutschen Atomgeschäft engagiert ist, u. a. sere Einstellung zur Kernenergie zu bekräftigen. Bei mit Kapitalbeteiligungen an Atomkraftwerken, z. B. allem Respekt vor unterschiedlichen Standpunkten dem AKW Obrigheim. und vor der Diskussion über das Für und Wider der (Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Unglaub Kernenergie sollten Sozialdemokraten und GRÜNE lich!) darauf verzichten, hier im Deutschen Bundestag trotz Die Seriosität dieses Gutachterunternehmens sieht fehlender Mehrheit immer wieder den Versuch zu Minister Jochimsen — ich habe ihn am letzten Sams- machen, mit Hilfe von neuen Anträgen den Ausstieg tag noch persönlich gefragt — dadurch gewährleistet, aus der Kernenergie zu erreichen. Es wird hier keine daß es einen Ruf zu verlieren habe. Endlich einmal Mehrheit für den Ausstieg geben. kann ich zustimmen: Wer weiter im Atomgeschäft (Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Das ist Geld machen will, darf sich in der Atomgemeinde keine Frage von Mehrheiten, sondern eine nicht unbeliebt machen. Und so kommt die Zusam- Frage von Kenntnissen und Verantwortung! mensetzung der Sicherheitskommission einem be- — Frau Unruh [GRÜNE]: Wie verstehen Sie stellten Persilschein für die Atomanlagen in Nord- Demokratie?) rhein-Westfalen gleich — mit programmiertem Min- derheitsvotum als Alibi. Meine Damen und Herren, weder Einzelaktionen noch andere Umwege können den Bet rieb oder die Gegenüber der Großen Koalition aus Bundesregie- Inbetriebnahme von Kernkraftwerken, wenn sie den rung, Bundestagsfraktion der SPD und NRW-Landes- Anforderungen der Sicherheit genügen, verhindern. regierung zum Weiterbetrieb des THTR 300 fordern wir GRÜNEN in Übereinstimmung mit weiten Kreisen (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Wir wollen keine der SPD-Basis Diktatur des Proletariats!) (Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Und gele Es ist daher besonders bedauerlich, daß der Hoch- gentlichen Beschlüssen!) temperaturreaktor auch nach seiner erfolgreichen In- betriebnahme weiter als Instrument zum Ausstieg aus erstens die sofortige Stillegung des THTR 300 und des der Kernenergie mißbraucht wird. Wir sind der Auf- Versuchsreaktors AVR in Jülich, fassung, daß der Hochtemperaturreaktor — seine er- (Beifall bei den GRÜNEN) folgreiche Inbetriebnahme hat uns in dieser Auffas- zweitens den sofortigen Stopp jeglicher Förderung sung bestätigt — am Anfang und nicht am Ende einer der HTR-Technologie, insbesondere auch in Nord- zukunftsorientierten Großtechnologie steht. Die rhein-Westfalen — das ist die Nagelprobe für Ihren Hochtemperaturreaktorlinie bietet eben die einzige Entschließungsantrag und Ihren Debattenbeitrag sei- bisher bekannte Energiequelle, die eine Wärmeaus- tens der SPD heute — , und drittens ein Exportverbot koppelung auf ausreichend hohem Temperaturni- für HTR-Technologie. veau von 900 bis 950 Grad Celsius ermöglicht, wie sie für die Kohleveredelung und Kohlevergasung zwin- Ich danke Ihnen. gend erforderlich ist. (Beifall bei den GRÜNEN) (Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Natürlich, die wirtschaftlichen Interessen sind nie be stritten worden! Es geht um Sicherheitsinter Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat der Herr essen!) Abgeordnete Gerstein. Meine Damen und Herren, diese Linie bietet daher langfristig, aber nicht erst im Jahre 2500, wie hier vor- Gerstein (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Da- hin gesagt worden ist, für die Kohle wirklich große men und Herren! Ich glaube, der Kollege Stratmann Möglichkeiten. hätte diese Rede nicht halten können, wenn er die (Stratmann [GRÜNE]: 2015!) Beantwortung der Großen Anfrage, die die GRÜNEN vor drei Wochen eingebracht haben, abgewartet Dies gilt auch für die Kohleveredelung der Zukunft hätte; denn dann wäre klargeworden, daß die Vor- mit Blick auf die steigenden Rohstoff- und Energiebe- würfe, die sich gegen den Hochtemperaturreaktor dürfnisse einer rasant zunehmenden Weltbevölke- richten und die Herr Stratmann hier vorgetragen hat, rung. Die weitgehende technologische Verzahnung unhaltbar sind. Vielleicht aber, Herr Stratmann, ha- von Hochtemperaturreaktor und Kohlevergasungs- ben Sie diese Antwort der Bundesregierung auf die techniken läßt eben die Option zu, aus Kohle mehr als 1754 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Gerstein Strom und Fernwärme zu machen. Neue Produkte Er gewährt dem Hochtemperaturreaktor gerade noch und Energieträger, die heute vorwiegend aus den Rechtsschutz. Das ist zu wenig. Der Antrag ist wohl Ressourcen Öl und Erdgas gedeckt werden, können aus dem umstrittenen Leitantrag für den Landespar- auf diesem Wege aus der weltweit reichhaltig vorhan- teitag der SPD in Nordrhein-Westfalen abgeschrie-- denen Kohle verfügbar gemacht werden. Dies ist und ben. Dieser Antrag, meine Damen und Herren von der bleibt vor dem Hintergrund der endlichen Vorräte bei SPD, hat einen zentralen Fehler: Er erstickt die kon- Mineralöl und Gas nach unserer Auffassung eine au- struktiven Ansätze, die in letzter Zeit gerade auch bei ßerordentlich wichtige politische Aufgabenstellung. führenden Sozialdemokraten die Bereitschaft erken- nen ließen, in der Ausstiegsdiskussion Positionen zu Meine Damen und Herren, auch Wasserstoff, der verändern und zumindest über den Zeitraum des Aus- heute allgemein als ökologisch wünschbare Energie- stieges erneut nachzudenken. Das Überbrückungs- und Rohstoffquelle angesehen wird, läßt sich in gro- konzept der IG Bergbau und Energie ist dafür ein Bei- ßen Mengen aus dem Verbund von Kohle und Kern- spiel. Zur Sicherung der Arbeitsplätze im Steinkoh- energie verfügbar machen. lenbergbau und zur Sicherung unserer Energiever- (Frau Unruh [GRÜNE]: Nehmen Sie die sorgung hält dieses Konzept im Grundsatz am Einsatz Sonne!) von Kohle und Kernenergie für lange Zeit fest. Und das paßt Ihnen nicht. In Ihrem Antrag haben Sie daher Bei der Entwicklung des Hochtemperaturreaktors dieses Konzept einfach nicht zur Kenntnis genommen. hat die Bundesrepublik Deutschland weltweit eine Im Gegenteil, Sie begrüßen sogar den Beschluß der Spitzenstellung erreicht. Die erfolgreiche Inbetrieb- sozialdemokratischen Landesregierung in Nordrhein- nahme hat dazu nicht unwesentlich beigetragen. Die Westfalen zur Streichung von Kernkraftwerksstand- aufgetretenen Probleme bei der Inbetriebnahme sind orten. Damit tun Sie der deutschen Steinkohle keinen nach unserer Auffassung bei einem Prototyp dieser Gefallen. Im Gegenteil, Sie erschweren es nicht nur Größe normal. Sie haben auch die Sicherheit des Ge- den revierfernen Ländern, die Kohlepolitik als Be- samtsystems in keiner Weise in Frage gestellt. Es lie- standteil gemeinsamer Energiepolitik von Bund und gen keine schweren, nicht behebbaren Konstruk- Ländern weiter mitzutragen. tionsfehler vor. Ich will an dieser Stelle den beteiligten Ingenieuren für ihre Leistungen auch Anerkennung Wir halten es für notwendig, an der für die deutsche aussprechen. Ich glaube, es fehlt, daß wir gelegentlich Stromversorgung günstigen Kombination von Kern- einmal sagen, daß hier wirklich ein hervorragendes energie und Braunkohle in der Grundlast und von Beispiel deutscher Spitzentechnik entstanden ist und Steinkohle in der Mittellast festzuhalten. Dies hat der funktioniert. deutschen Steinkohle einen sicheren, einen steigen- den Absatz ermöglicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Frau Unruh [GRÜNE]: Und die CDU Millio Wir wollen dafür sorgen, daß auch weiterhin der gute nen Wählerstimmen gekostet!) Ruf deutscher Ingenieurtechnik durch die Diffamie- rungen des Hochtemperaturreaktors durch GRÜNE Wer diesen Verbundeinsatz von deutscher Steinkohle und die Sozialdemokraten eben nicht geschädigt und Kernenergie, wie Sie dies mit Ihrem Antrag tun, in wird. Frage stellt, fällt dem deutschen Steinkohlenbergbau letztlich in den Rücken. (Frau Garbe [GRÜNE]: Das kann sich ganz Meine Damen und Herren, in der anstehenden Koh- anders beweisen!) lerunde — wir haben darauf hingewiesen — wird es Meine Damen und Herren, Sie haben die Große darauf ankommen, den notwendigen Kapazitätsab- Anfrage vor drei Wochen mit über 80 sehr detaillierten bau im deutschen Steinkohlenbergbau auf das unver- Fragen eingebracht. Eine sachkundige und fundierte meidbare Maß zu begrenzen. Das wird aber nur gelin- Antwort durch die Bundesregierung haben Sie nicht gen, wenn die Grundlagen unserer Energiepolitik abgewartet. Uns interessiert die Antwort durchaus. nicht einseitig durch länderspezifische Ausstiege aus Auch Sie wissen doch, daß eine solche Große Anfrage der Kernenergie zerstört werden, so wie Sie das wie- nicht in drei Wochen beantwortet werden kann. derum in Ihrem Antrag der Landesregierung in Nord- rhein-Westfalen heute empfehlen. (Frau Unruh [GRÜNE]: Störfälle sind aber bekannt!) Gerade Nordrhein-Westfalen als größtes Kohleland, dessen Menschen auch die größte Last der Anpassung Sie haben aber — und das ist typisch für Sie — bereits zu tragen haben, müßte das stärkste Interesse an ge- alle Schlußfolgerungen, trotz der nicht erteilten Be- meinsamen Regelungen haben. antwortung der Großen Anfrage, in Ihrem Antrag ge- zogen. Das legt die Vermutung nahe, daß es sich bei (Lenzer [CDU/CSU]: Sehr richtig!) dem, was Sie heute morgen vorführen, nur um ein Wir sind zu solchen Regelungen bereit. politisches Schaugeschäft handelt, bei dem Sie den Streit der Sozialdemokraten um die Kernenergie im Der Entschließungsantrag der Sozialdemokraten Vorfeld des Landesparteitages in Nordrhein-Westfa- läßt dieses gemeinsame Interesse völlig vermissen, len ausnutzen. und er steht einvernehmlichen Regelungen, die in diesem Herbst dringend nötig sind, im Wege. Meine Meine Damen und Herren, nun liegt auch ein An- Damen und Herren, wir werden beiden Entschlie- trag der SPD-Fraktion vor. Er bekräftigt erneut die ßungsanträgen aus den vorgetragenen Gründen nicht Notwendigkeit des Ausstieges aus der Kernenergie. zustimmen. (Lenzer [CDU/CSU]: Der ist sehr dünn!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1755

Präsident Dr. Jenninger: Das Wort hat der Abgeord- — Ich würde an Ihrer Stelle die nament liche Abstim- nete Vosen. mung noch schnell anmelden. (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Mach doch- nicht so einen Popanz!) Vosen (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Koleginnen und Kollegen! Wir Sozial- Das macht Sie doch sehr nervös, muß ich schon sa- demokraten haben den Eindruck, daß die GRÜNEN gen. mit Ihrem Antrag den Versuch gemacht haben, die (Zurufe von den GRÜNEN: Nein!) SPD Vergeßlichkeit! (Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Beim Wort zu nehmen!) Die Debatte ist nach der Geschäftsordnung des Bundestags zwar möglich, aber im Ergebnis ist sie ein wieder einmal, wie das in der Vergangenheit oft der schlecht verhülltes politisches Manöver. Mehr ist es Fall war, in Fragen der Kernenergienutzung vorzu- nicht. Es wird Ihnen politisch aber nichts einbringen, führen. meine Damen und Herren von den GRÜNEN. Auch (Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Nein! die Koalitionsparteien werden davon nichts haben. Beim Wort zu nehmen!) Denn wir haben jetzt die Gelegenheit, Ihnen noch- mals unseren Standort zu erläutern. Das ist offensichtlich und durchschaubar. (Gerstein [CDU/CSU]: Wir sind da ganz ge Wir müssen aber auch feststellen, daß die CDU und lassen!) die FDP das — anscheinend — mit klammheimlicher Freude unterstützen. Zu den GRÜNEN sage ich — hören Sie gut zu —: Sie werden uns nicht auf den illusionären Weg locken, (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP — den Sie gehen. Wir werden auf dem Weg des Gesetzes Kolb [CDU/CSU]: Was haben denn die Jusos bleiben. gemacht?) (Zuruf von den GRÜNEN: Wir auch!) Auch sie versuchen also, die SPD besonders in Fragen der Kohlenutzung in Verlegenheit zu bringen. Zur Koalition sage ich: (Kolb [CDU/CSU]: Was haben die Jusos am (Zuruf des Abg. Dr. Lippelt [Hannover] Wochenende gemacht?) [GRÜNE]) Wir würden im Rheinland, woher ich stamme, für ein Der Schwarze Peter für die Schließung von Zechen solches Verhalten das Wort „schlitzohrig" gebrau- — das ist bedauerlich, Herr Gerstein — und die Ver- chen. Ich muß Ihnen sagen, meine Damen und Her- nichtung von Zehntausenden von Arbeitsplätzen liegt ren: Redlichkeit wäre hier angebracht und besser. bei Ihnen. Das bleibt so, solange Sie sich nicht für unser Umstiegskonzept mit Kohlevorrangpolitik ent- (Stratmann [GRÜNE]: Das müssen Sie sagen! scheiden. Die Position der SPD ist seit dem Nürnber- — Dr. Probst [CDU/CSU]: Freude zeigen wir ger Parteitag in der Frage der Nutzung der Kernener- offen!) gie gefestigt. Nun muß ich den GRÜNEN noch sagen: Eifrig, eif- (Zuruf von der CDU/CSU: Na! — Kolb [CDU/ rig! Man kündigt an: Das ist eine bedeutsame Frage. CSU] : Fest wie Pudding!) Hier muß die SPD vorgeführt werden; wir beantragen eine namentliche Abstimmung. — Das hat man dann Sie lautet — jetzt hören Sie gut zu — : Die Nutzung der anscheinend vergessen. Denn bis jetzt ist in Sachen Kernenergie ist nicht zu verantworten. Die Kernener- namentlicher Abstimmung nichts verkündet worden. gie ist für Mensch und Umwelt zu gefährlich. Auch Sie, Herr Stratmann, haben es eben nicht getan. (Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Recht Das ist wieder ein Windei, das Sie angekündigt ha- hat er!) ben. Tschernobyl hat uns — Ihnen anscheinend noch (Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Das ist al nicht — das sehr deutlich vor Augen geführt. Harris- -bern!) burg — sichere Technik in den Vereinigten Staa- Unruhe, Nervosität, Verunsicherung — das ist das, ten? — war zuvor die erste deutliche Warnung. Die was Sie mit solchen Dingen letztlich erreichen wol- Kernenergie ist mit der Entwicklung eines demokra- len. tischen Gemeinwesens wegen ihres umfassenden Sicherheitsbedarfs mit Sabotageschutz, mit Werks- 14 Tage vor dem wich tigen nordrhein-westfäli- schutz und weitgreifender Personenüberwachung auf schen Parteitag, der sich hauptsächlich mit dem Lan- Dauer nicht verträglich, verträgt sich nicht mit der desenergiekonzept befassen wird, konfrontiert man Demokratie. uns hier in Bonn mit dem THTR, ohne daß dazu wirk- lich ein sachlicher parlamentarischer Anlaß besteht. (Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN — Das ist durch den Kollegen Gerstein hier schon erläu- Dr. Probst [CDU/CSU]: Das hört sich ganz tert worden. Die GroBe Anfrage der GRÜNEN ist anders an als in den 50er Jahren!) nicht beantwortet. Das Wort vom Polizeistaat, Herr Staatssekretär, wird (Abg. Kleinert [Marburg] [GRÜNE] begibt in vielen Kreisen, besonders bei jungen Menschen oft sich zum Präsidium) gebraucht. 1756 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Vosen Die Kernenergienutzung muß schließlich auch we- — Ich weiß. Ich bin für Sie in diesen Fragen auch ein gen des Risikos, daß weitere Länder die Atombombe bißchen hilfreich. bekommen, so rasch wie möglich beendet werden. (Kolb [CDU/CSU]: Man kann später nachle - (Dr. Probst [CDU/CSU]: Das hat doch mit sen, was Sie gesagt haben!) dem überhaupt nichts zu tun!) Wir werden Sie immer wieder daran erinnern. — Wer mit Atomtechnik umgehen kann, kann auch Bomben bauen! Der Umstieg kann unter den in Nürn- Johannes Rau hat z. B. auch gesagt: Wir werden berg beschlossenen Voraussetzungen nicht zulassen, daß Zehntausende von Kumpeln in Nordrhein-Westfalen und an der Saar in Geiselhaft für (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Da ist die Zustimmung zu einem blinden Atomkurs der Bun- Herr Fischer von den GRÜNEN schon wei desregierung genommen werden. ter!) (Kolb [CDU/CSU]: Was hat Herr Matthiesen technisch und auch sozial verträglich bewältigt wer- gesagt? — Weitere Zurufe von der CDU/ den. Dies haben inzwischen selbst von der Regierung CSU: Denken Sie an den Jahrhundertver in Auftrag gegebene Gutachten bestätigt, die Sie aber trag!) leider nicht lesen, wie ich die Dinge so sehe. Ich for- dere deshalb die Mehrheitsfraktion auch heute wie- — Der gilt 15 Jahre und ist bald abgelaufen. der auf, umzudenken und ihre starre Blockadehaltung (Dr. Probst [CDU/CSU]: Kommen Sie endlich in dieser Frage aufzugeben. zur Sache!) Entgegen Ihrem Protest hier im Saal, meine Damen Meine Damen und Herren von der Koalition, wenn und Herren, ist es doch so, daß die Parteien im Grunde Ihr Motto dazu dient, die Überkapazitäten der Kern- gar nicht über die Frage streiten, ob Kernenergie eine energie zur Stillegung von Zechen zu benutzen, so Übergangsenergie ist. Ich möchte Sie an Ihre eigenen sind Sie nicht nur im Ruhrgebiet völlig unglaubwürdig Worte erinnern: Der Bundespräsident hat zum Inne- geworden. So ist es nämlich: Die Kernkraft ist, vom halten aufgerufen, Herr Biedenkopf spricht von einer Strombedarf her gesehen, bereits heute zum großen Ausstiegsfrist von 20 bis 30 Jahren, Herr Lambsdorff Teil überflüssig. hat gesagt, in 50 bis 70 Jahren sollte man aussteigen, Herr Stoltenberg hat gesagt, eines Tages sollte man (Beckmann [FDP]: Es ist noch nie so viel aussteigen. Kohle verstromt worden wie jetzt! — Zuruf von der CDU/CSU: Wie bezahlen Sie die (Zurufe von der CDU/CSU) Kohle?) — Das sind Ihre Vormänner; darauf müssen Sie mehr hören. — Herr Genscher hat wörtlich gesagt: Das ist Sie können das auch nicht mit der heutigen Debatte eine Übergangslösung, und man sollte so schnell wie zum THTR 300 verdrängen. Es ist für uns selbstver- möglich aussteigen. Das haben Ihre Vormänner alle ständlich, daß der THTR als eine Kernenergieanlage gesagt. von unserem Beschluß in Nürnberg betroffen sein wird. Es ist ferner selbstverständlich, daß die SPD Landesregierungen alles in ihren Kräften Stehende Präsident Dr. Jenninger: Herr Abgeordneter, ge- tun werden, um unserem Plan für eine Energieversor- statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten gung ohne Atomkraft zur Ausführung zu verhelfen. Dr. Penner? (Stratmann [GRÜNE]: Gehen Sie doch mal auf meine Argumente ein!) (SPD): Ja, bitte schön. Vosen — Herr Stratmann, hören Sie mal meinen Argumen- ten zu, und dann sehen wir weiter. (SPD): Herr Kollege Vosen, können Sie Dr. Penner (Stratmann [GRÜNE]: Sie haben doch gar bestätigen, daß der Spitzenpolitiker der GRÜNEN keine! — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: in einem Gespräch mit der „Süddeut- Ein echter Eiertanz, was Sie da vorführen!) schen Zeitung" vom heutigen Tage den sofortigen Verzicht auf die Kernenergie für irreal erklärt hat? Deshalb ist es nur konsequent, daß die Landesre-

gierung von Nordrhein - Westfalen für alle Atomanla- gen in ihrem Land eine Sicherheitsüberprüfung an- Vosen (SPD): Dazu muß ich sagen: Ich habe es nicht geordnet hat und daß sie weitere Atomstandorte in gelesen. Aber das heißt, daß der Abgeordnete Fischer ihrem Land aus der Planung gestrichen hat. Es ist recht hat, schließlich selbstverständlich, daß sich die Landesre- (Zuruf von der CDU/CSU: Der Abgeordnete gierung von Nordrhein-Westfalen hinsichtlich des a. D.! — Kolb [CDU/CSU]: Der Landtagsab THTR an das geltende Atomrecht hält, geordnete!) (Gerstein [CDU/CSU]: Na und? Ist das etwas endlich mal ein Realo, der sich offen bekennt! Das Besonderes?) finde ich sehr gut. solange unser Antrag, ein Kernenergieabwicklungs- Meine Damen und Herren, ich wundere mich, daß gesetz im Bundestag zu verabschieden, noch nicht Sie das alles vergessen haben, und deswegen mögen angenommen ist, d. h. von Ihnen abgelehnt bleibt. Sie auch diese Debatten hier nicht. Sie wollen das ver- Das bedeutet, daß der THTR im bisher genehmigten gessen. Probebetrieb bleibt, wenn sich bei der Sicherheits- (Zuruf von der CDU/CSU: Wir hören Sie überprüfung keine relevanten, nicht zu beseitigenden gern!) Sicherheitsmängel ergeben und wenn der Nachweis Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1757

Vosen der Entsorgung — das ist wichtig — von den Betrei- len wir uns ernsthaft mit diesen Problemen auseinan- bern erbracht wird. dersetzen. (Zuruf von der CDU/CSU: Der Jochimsen Deshalb möchte ich auch Sie zunächst daran- erin- sieht das alles anders! — Dr. Lippelt [H anno nern, daß die Landesregierung Nordrhein-Westfalen ver] [GRÜNE]: Die Hanauer Anlage war seit Jahrzehnten die Entwicklung des Hochtempera- auch 10 Jahre im Probebetrieb!) turreaktors auf der Basis des Kugelhaufenreaktors Die SPD-Bundestagsfraktion hat deshalb zu dem zusammen mit dem Projekt nukleare Prozeßwärme heutigen Tagesordnungspunkt einen Entschließungs- gefördert hat, u. a. auch mit dem nach wir vor richti- antrag eingebracht, in dem die von mir genannten gen Ansatz, in echtem Verbund von Kohle, Kernener- wesentlichen Aussagen dem Deutschen Bundestag gie, gasförmigen und flüssigen Energieträgern aus zur Beschlußfassung vorliegen. Die SPD-Bundestags- Kohle mittels hochtemperaturiger nuklearer Prozeß- fraktion bekräftigt, daß die sichere, umweltfreundli- wärme Energie zu erzeugen, also das Energiepoten- che Energieversorgung ohne Atomkraft ihr Ziel bleibt. tial von Kohle, von Steinkohle und von Braunkohle, Sie bekräftigt, daß bei ernsthaftem Wollen und bei verehrte GRÜNE, besser auszunutzen. entsprechenden Gesetzgebungsmehrheiten dieses Es handelt sich hier um eine Technik zur rationellen Ziel innerhalb von zehn Jahren erreichbar ist, und ökologisch sinnvollen Primärenergienutzung. Ich (Kolb [CDU/CSU]: Wenn die anderen bezah sage das hier wiederholt: Die Kohle ist ein zu kostba- len!) rer Energierohstoff und zu schade, um mit einem mitt- leren Wirkungsgrad und unter hohen Umweltbela- und sie bekräftigt, daß der Umstieg, solange die ge- stungen verbrannt zu werden. setzgeberischen Entscheidungen in ihrem Sinne nicht gefallen sind, nur Zug um Zug im Rahmen des jeweils (Zustimmung bei der FDP — Kolb [CDU/ geltenden Rechts erfolgen kann. CSU]: Sinnlos verheizt zu werden!) Wir fordern Sie, meine Damen und Herren von den Deshalb haben wir uns hier im Bundestag über die Mehrheitsfraktionen, heute noch einmal auf — und Jahre hinweg zusammen mit den Kollegen von der werden es noch öfter tun — , sich dem von uns gesetz- SPD und im Einvernehmen mit der Landesregierung ten Ziel anzuschließen und unserem Entschließungs- von Nordrhein-Westfalen für die Hochtemperatur- antrag zuzustimmen. Den Antrag der GRÜNEN leh- reaktorentwicklung eingesetzt. nen wir selbstverständlich ab. Herr Vosen, hier geht es nicht um Blockadehaltung. Herzlichen Dank. Ich appelliere an Sie, gerade an Sie, verehrte Kollegen und Kolleginnen von der SPD, um unserer gemeinsa- (Beifall bei der SPD) men Verantwortung für die strukturelle und wirt- schaftliche Entwicklung Nordrhein-Westfalens und des Saarlandes hier zu entsprechen, diese Gemein- Präsident Dr. Jenninger: Herr Abgeordneter Vosen, samkeit, die wir damals hatten, wiederherzustellen. zu Ihrer Kenntnisnahme und damit auch zur Kenntnis- Wir sind gefordert, den Menschen in diesen Regionen nahme des ganzen Hauses weise ich darauf hin, daß Perspektiven für die Zukunft zu eröffnen. die Fraktion DIE GRÜNEN bereits vor Beginn der Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt den An- (Müntefering [SPD]: Fragen Sie mal die trag auf namentliche Abstimmung über ihren Antrag Menschen in diesen Regionen, wie das mit gestellt hat. der Sicherheit aussieht!) (Jahn [Marburg] [SPD]: Wo denn?) — Dann gehen Sie mal in die Regionen, die vom Braunkohleabbau betroffen sind und die in der Gefahr Damit ist dieses Mißverständnis wohl aufgeklärt. sind, daß Zehntausende ihre Heimat verlassen müs- (Stratmann [GRÜNE]: Ihm fielen aber keine sen! Gehen Sie doch mal hin zu den Menschen anderen Argumente ein! Das muß man ihm (Zuruf von der SPD: Das tun wir jeden zugute halten!) Tag!) — Herr Kollege Stratmann, es ging nur um die Frage, und fragen, welche Vorstellungen sie für die Zukunft ob ein Antrag gestellt worden ist oder nicht. wegen der großräumigen Grundwasserabsenkungen Ich darf in den Beratungen fortfahren und das Wort und ihren ökologischen Folgen haben! dem Herrn Abgeordneten Dr. Laermann geben. (Vosen [SPD]: Jetzt lenken Sie mal nicht ab!) Dr.-Ing. Laermann (FDP): Herr Präsident! Meine Gehen Sie doch mal dahin, und reden Sie doch mal sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Vo- mit diesen Menschen! sen, ich weiß nicht, woher Sie Ihre Kenntnis nehmen, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — daß wir klammheimliche Freude über die von den Zuruf von der SPD: Da sind wir jeden Tag!) GRÜNEN hier heute erzwungene Debatte empfän- den. Ich möchte Ihnen ganz deutlich sagen, daß wir Hier müssen Perspektiven aufgebaut werden. nichts von dem Versuch halten, fragwürdige und (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) kurzfristige parteipolitische Profilierungsaktionen hier zu unterstützen. Wir meinen, daß wir dies im Hier bietet sich eine Perspektive über diese Verbund- Interesse der Menschen in unseren Regionen, die von technik. diesen Fragen sozial existentiell betroffen sind, nicht Die Hochtemperaturreaktorentwicklung ist eine verantworten können. In unserer Verantwortung wol Reaktorlinie, die, wie der Herr Kollege Gerstein schon 1758 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Dr.-Ing. Laermann festgestellt hat, mehr kann als nur Strom produzieren. beerdigen, wird sie für alle Zukunft für uns gestorben Sie ist einsetzbar für Prozeßwärme in Industrieprozes- sein, tot sein. Sie wird uns nicht mehr zugänglich sein sen und für Heizwärme, und sie ist im Hinblick auf und nicht mehr zur Verfügung stehen. Das können wir Notwendigkeiten im Ausland einsetzbar für Prozeß- nicht verantworten. - dampf zur tertiären Ölförderung, für Prozeßdampf Unter Sicherheitsaspekten ist die HTR-Linie positiv zum Aufschluß von Ölsanden und von Ölschiefer. zu bewerten. Der Hochtemperaturreaktor weist eine Reihe passiver Sicherheitsmerkmale auf. Ich spreche Präsident Dr. Jenninger: Herr Abgeordneter, ge- hier ausdrücklich nicht von der Inhärenz des ganzen statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Systems. Aber inhärente Komponenten an den wich- Menzel? tigsten, gerade von der Sicherheitsseite aus wichtig- sten Stellen sind doch gegeben. Hier spielt das Brand- mauerprinzip tatsächlich eine wichtige Rolle. Ich will Dr.-Ing. Laermann (FDP): Danke; nein. Herr Präsi- das jetzt nicht im einzelnen ausführen. dent, ich habe nur zehn Minuten und bitte um Ver- ständnis. (Abg. Dr. Daniels [Regensburg] [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage) Es eröffnen sich Perspektiven für neue sicherheits- technisch und ökologisch positiv zu bewertende res- sourcenschonende Energietechniken mit guten Ex- Präsident Dr. Jenninger: Herr Abgeordneter, der portchancen. Aber wer die Nutzung im eigenen L and Redner hat nicht die Möglichkeit von Zwischenfragen ablehnt, wird kaum erwarten können, daß entspre- eingeräumt. chende Anlagen auch exportiert werden können. (Zuruf des Abg. Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]) Dr.-Ing. Laermann (FDP): Ein Niederschmelzen des Kerns ist prinzipiell ausgeschlossen: wegen der nied- Es kann doch nicht richtig sein, in Moskau und Indo- rigen spezifischen Leistungsdichte, wegen der negati- nesien für diese Technik zu werben, aber die Still- ven Temperaturkoeffizienten der Reaktivität, wegen legung im eigenen Land zu verlangen bzw. die Ge- des keramischen Kernaufbaus und weil das chemisch nehmigung solcher Anlagen zu erschweren. Herr Vo- stabile Helium hier als Kühlmittel eingesetzt wird. In- sen, dies ist etwas, was uns wirklich nicht mit klamm- ternational werden die Sicherheitsmerkmale der heimlicher Freude erfüllt. HTR-Linie positiv bewertet. Es wird den spezifischen Der Entwicklungsschritt zu einer solchen Verbund- Sicherheitseigenschaften zugeschrieben, daß welt- technik kann vernünftigerweise nur über den strom- weit ein steigendes Interesse an dieser Entwicklung erzeugenden HTR gehen, aber nur in der Übergangs- festzustellen ist. Wollen wir doch einmal feststellen, phase. Es geht nicht darum, hier den Einsatz von daß gerade in den letzten Jahren wirk lich internatio- Kohle zu substituieren, sondern es geht darum, für die nal das Interesse an dieser Entwicklung wegen der Zukunft Möglichkeiten zu eröffnen, unsere sehr kost- besonderen spezifischen Sicherheitsmerkmale gestie- bare und kostspielige heimische Steinkohle mit einem gen ist! Das lassen wir hier nicht ohne weiteres vom größeren Wirkungsgrad und effizienter zu nutzen und Tisch wischen. neue Techniken hier zu entwickeln, um der Kohle (Gerstein [CDU/CSU]: Ganz erheblich!) eine über die Jahrzehnte hin sichere Position zu ver- schaffen. Die FDP teilt auch die Bewe rtung, die Herr Profes- (Gerstein [CDU/CSU]: Sehr wahr!) sor Farthmann laut der „Süddeutschen Zeitung" vom 11. September betreffend THTR vorgenommen hat. Zum Braunkohleabbau habe ich schon einiges ge- Wir teilen ausdrücklich seine Auffassung, wenn er for- sagt. Ich brauche das nicht zu wiederholen. muliert: Wenn wir die ökonomische Erneuerung des Die technischen Entwicklungen für den Einsatz des Landes wollen, müssen sich die Unternehmer darauf Hochtemperaturreaktors zur Prozeßwärmenutzung verlassen können, daß die Landesregierung die zur Kohlevergasung sind schon sehr weit gediehen. Rechtslage loyal praktiziert. Voll einverstanden! Die wirtschaftlichen Voraussetzungen — sicher, da Aber das gilt dann auch um so mehr, als die Lan- haben die GRÜNEN recht; aber wem erzählen Sie desregierung eben jahrzehntelang diese Entwicklung das; das ist uns sehr wohl bekannt — sind derzeit bei nach Kräften gefördert hat, initiiert hat in der richtigen den heutigen Energiepreisen noch nicht gegeben. Erkenntnis ihrer Bedeutung für das Kohleland Nord- Aber dies kann sich ja, wie unsere Erfahrungen zei- rhein-Westfalen. gen, sehr schnell und sehr kurzfristig ändern. Um so weniger, verehrte Kolleginnen und Kollegen Deswegen gehört es zur Daseinsvorsorge und zur von der SPD, ist der vorliegende Entschließungsan- Pflicht des Staates, hier Optionen auf neue und Sub- trag der Bundestagsfraktion zu verstehen. Wollen Sie stitutionstechniken zu erhalten. Da sind zwölf Jahre wirklich ernsthaft zum Ausdruck bringen, daß Sie, wirklich eine kurze Frist. Verantwortliche Politik kann hätten Sie die Mehrheit, die Gesetzeslage entgegen nicht auf Wunschträumen aufbauen, von denen man Ihrer jahrzehntelang verfolgten Politik rückwirkend heute noch nicht weiß, ob es je zu einer Realisierung in ändern würden? Welche gerade für Nordrhein-West- dem vorgesehenen Rahmen kommen könnte. falen verheerende Demotivation von Ingenieuren und Deswegen stimme ich, Herr Stratmann, der Aus- Technikern, von Investoren wäre die Folge! sage von Herrn Jochimsen zu: Wir müssen verhin- (Stratmann [GRÜNE]: Ach, Unsinn! — Wei dern, daß es in diesen Entwicklungen einen technolo- tere Zurufe von den GRÜNEN und der gischen Fadenriß gibt. Wenn wir diese Technik heute SPD) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1759

Dr.-Ing. Laermann Welche verheerenden nega tiven Wirkungen auf den hingewiesen worden. Jede Energie, die wir bis jetzt Strukturwandel würde das nach sich ziehen! hatten, war eine Energie für eine bestimmte Zeit. So- (Dr. Vogel [SPD]: Die sind schon längst wei bald wir eine neue, eine bessere Energie hatten,- ist die ter!) vorhergehende Energie verdrängt worden: das Holz durch die Kohle, die Kohle — zum Teil, in ihrem Zu- — Ja, Sie haben sich selbst überholt, Herr Kollege wachs — durch Öl, und dann kamen das Erdgas und Vogel. — Ich habe den Eindruck, daß hier der un- die Kernenergie. Eine vernünftige S trategie kann nur glückliche Versuch unternommen wird, von den abso- darin bestehen, nicht etwa das aufzugeben, was wir luten Ausstiegsbeschlüssen des Nürnberger Partei- haben, sondern das Neue so zu entwickeln, daß es für tags zu einer realis tischen Position zurückzufinden. die Zukunft besser und verantwortbarer ist. Dies war Und weil das so ist, wird die FDP Ihren Entschlie- die Linie sämtlicher Regierungen, die in den vergan- ßungsantrag ablehnen. genen Jahren über Kernenergie zu entscheiden hat- (Dr. Vogel [SPD]: Jetzt sind wir aber platt!) ten. Meine Damen und Herren, es gibt derzeit weder Eine solche Entwicklung steht unter den Bedingun- technische, sicherheitstechnische noch finanzielle gen der Sicherheit. Alle haben recht, die hierüber Gründe, den THTR stillzulegen. Bei diesem handelt es gesprochen haben. Aber unsere Grundposition sich um ein Prototyp-Kraftwerk, das sorgsam und stu- — über alle Regierungen hinweg — ist gewesen, daß fenweise in Betrieb genommen wurde. Bei jedem Pro- Kernenergie dann verantwortbar ist, wenn Sicherheit totyp muß das Zusammenwirken neu entwickelter gewährleistet ist, und zwar ein Höchstmaß an Sicher- Komponenten, Systeme unter realen Betriebsbedin- heit. Dann hat aber auch das Umgekehrte zu gelten: gungen erprobt werden. Dabei kann es natürlicher- Wenn ein Höchstmaß an Sicherheit gewährleistet ist, weise zu Fehlern kommen, können Mängel auftreten, müssen Kernkraftwerke auch gebaut und betrieben können Verbesserungen notwendig werden; das liegt werden können. Es darf nicht aus populistischen Ar- in der Natur der Sache. gumenten aufgegeben werden, was in der Sache er- Für den THTR ist dabei entscheidend — nun hören forderlich ist. Dies ist keine vertretbare Politik. Sie von den GRÜNEN gut zu, Herr Stratmann — , daß die Reaktorsicherheit zu jeder Zeit gewährleistet war (Zustimmung bei der CDU/CSU — Wider- und ist. Die Mängel, die aufgetreten sind, sind im peri- spruch der Abg. Frau Unruh [GRÜNE]) pheren Bereich aufgetreten, waren also nicht sicher- heitsrelevant. Das gilt für die Störung in der Beschik- Hinsichtlich der Sicherheit stand Deutschland im- kungsanlage im Mai vergangenen Jahres, das gilt für mer unbestritten in der internationalen Spitze. Wir den Fehler im Kugelabzugsrohr, und das gilt auch für haben die Sicherheit weiterentwickelt. Unter den den aufgetretenen Kugelbruch. Ich betone noch ein- gleichen hohen Ansprüchen an Sicherheit steht auch mal: Es gibt derzeit keine sicherheitstechnischen der Hochtemperaturreaktor. Das Zusammenspiel zwi- Gründe, den THTR stillzulegen. schen aktiven und inhärenten Elementen der Sicher- heit ist eine Sache. Kollege Laermann hat zu Recht Deshalb lehnt die FDP auch den Antrag der GRÜ- darauf hingewiesen, in welch hohem Maße die beson- NEN ab. Sie bringen eine Anfrage ein und warten die dere Konstruktion des Hochtemperaturreaktors Si- Antwort gar nicht ab. Warum eigentlich nicht? Sie for- cherheit ermöglicht und wie diese inhärenten Ele- mulieren Ihre Posi tion — verständlicherweise — in mente zusammen mit aktiven Elementen gerade die- Fragen. Fürchten Sie eigentlich, daß dann, wenn die ser Technik eine neue und zusätzliche Ch ance in un- Antworten hier vorliegen, aus der Realität heraus serer Gesamtstrategie der Energieversorgung eröff- auch für Sie sichtbar wird, daß Sie Ihre Fragen, Ihre nen. Positionen aufgeben und korrigieren müssen? (Frau Unruh [GRÜNE]: Genau umgekehrt! Dazu gehört auch, daß wir schauen, wo Störfälle — Stratmann [GRÜNE]: Wir warten die auftreten. Es ist eine Sache, mit höchster Aufmerk- schriftliche Antwort in Ruhe ab!) samkeit auf Störfälle zu achten, eine andere Sache ist — Ich glaube, Sie werden nun, nachdem Sie die De- es, Störfälle in der öffentlichen Debatte so hochzupu- batte darüber erzwungen haben, ja wohl keine schrift- sten, daß Angst erzeugt wird. Dies dient dem Ziel, liche Antwort mehr bekommen. Das ist nach der Ge- Angst auszubeuten, nicht aber Probleme zu lösen. Das schäftsordnung so, oder sehe ich das falsch? Aber wie ist ein inhumaner Umgang mit Technik — und mit den dem auch sei: Das, was Sie in Ihrem Antrag formuliert Menschen. haben, können wir nicht akzeptieren. Wir lehnen Ih- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ren Antrag deshalb ab. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wenn die Strahlenschutzkommission gestern fest- gestellt hat, daß in Deutschland die Belastung infolge von Tschernobyl die natürliche Belastung der Umwelt Ich erteile das Wo rt dem Präsident Dr. Jenninger: nicht erreicht hat, wenn man weiterhin sieht, daß der Herrn Bundesminister für Forschung und Technolo- sogenannte Störfall beim THTR vom 4. Mai 1986 nur gie. ein 50tausendstel dieser Belastungen erbracht hat, dann müssen die Proportionen für jeden klar sein, der Dr. Riesenhuber, Bundesminister für Forschung seine Position glaubwürdig vertreten wi ll. Und Glaub- und Technologie: Herr Präsident! Meine sehr geehr- würdigkeit ist die Voraussetzung für jede Diskussion ten Damen und Herren! Hier ist die Frage der Kern- über Technik. energie als Übergangsenergie angesprochen worden und es ist hier auf die verschiedenen Zeithorizonte (Zustimmung bei der CDU/CSU) 1760 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Dr. Jenninger: Herr Bundesminister, gestatten Sie Die GRÜNEN sprechen die Aufforderung aus, Ex- eine Zwischenfrage des Abgeordneten Vosen? port zu verbieten. Deutscher Export einer sicheren Technik in die Welt vermindert nicht die Sicherheit,- er erhöht die Sicherheit. Export dieser Technik schafft Bundesminister für Forschung Dr. Riesenhuber, Arbeitsplätze. Wenn wir hier Export untersagen, ver- und Technologie: Aber nur die, denn sonst können wir zichten wir darauf, unseren Beitrag zu leisten zum den Zeitplan nicht einhalten. — Bitte, Herr Vosen. Zusammenwirken der Techniken weltweit, und zwar zur Sicherung unserer Zukunft in einer begrenzten Vosen (SPD): Ganz kurz: Herr Minister, sind Sie mit Welt. mir der Meinung, daß Angst durchaus ein schlechter Die Bundesregierung — Karl-Hans Laermann hat es Ratgeber ist, Verharmlosung auf der anderen Seite ähnlich formuliert — sieht keinen Grund, den Reaktor jedoch die gleiche Wirkung erzeugt? stillzulegen, wie es die GRÜNEN verlangen, keinen sicherheitsmäßigen, keinen technischen und keinen Dr. Riesenhuber, Bundesminister für Forschung finanziellen Grund. Es bleibt beim Energiebericht der und Technologie: Ich bin entschieden Ihrer Auffas- Bundesregierung vom September letzten Jahres: Der sung. Deshalb spreche ich dafür, die Zahlen wahr- THTR 300 in Schmehausen und der SNR 300 in heitsgemäß und in den richtigen Proportionen darzu- Kalkar sollen zügig fertiggestellt und in Bet rieb ge- stellen und nicht Dinge, die bei objektiver Betrach- nommen werden. tung nicht relevant sind, hochzupusten, um Ängste zu Die Sicherheit ist ein hohes Gut. Wir alle, Politik, erzeugen und aus Ängsten Politik zu machen. Das ist Wissenschaft und Wirtschaft, tun alles, um Sicherheit in der Tat ein miserabler Ratgeber. zu gewährleisten. Aber die Sicherheit schafft dann (Zustimmung bei der CDU/CSU und der auch die Voraussetzungen, Technik durchzuführen FDP) und verantwortlich zu gestalten. (Frau Unruh [GRÜNE]: Wir können nichts Es wird hier über die finanzielle Belastung des Haushalts gesprochen. Wir haben sie ausgewiesen. verstehen!) Der BMFT wird für Sicherheitsforschung, für Sicher- heitsbewertung und für Technologiebewertung Präsident Dr. Jenninger: Herr Bundesminister, ge- 45 Millionen DM im Jahr 1987; absinkend auf 30 Mil- statten Sie, daß ich Sie unterbreche. — Meine Damen lionen DM im Jahr 1991 ausgeben. und Herren, ich bitte um Aufmerksamkeit. Der Red- ner ist nicht mehr zu verstehen. Ich bitte die Kollegen, (Abg. Stratmann [GRÜNE] meldet sich zu ei die stehen, aus dem Saal zu gehen, wenn sie sich ner Zwischenfrage) unterhalten wollen. — Bitte fahren Sie fo rt , Herr Bun- — Nein, es geht nicht mehr. — Wir werden diese desminister. beträchtlichen Summen ausgeben, weil wir diese Technik hier ermöglichen wollen. Dr. Riesenhuber, Bundesminister für Forschung Es wird über die Belastung der Haushalte beim Ge- und Technologie: Sicherheitsdiskussionen dürfen samtgerät gesprochen. Ich habe eine Kostenschät- nicht dazu degenerieren, Technik zu verhindern. zung von 4 Milliarden DM vorgefunden. Wir haben Sonst leiden die Glaubwürdigkeit des Einsatzes für dies mit Nordrhein-Westfalen, mit den Betreibern und die Sicherheit und die Sicherheit selbst. Aber auch die Herstellern gemeinsam bewertet. Wir haben die Ver- Techniken werden nicht besser, sondern schlechter. träge geschlossen im Umfang von 4 Milliarden DM; Probleme werden nicht lösbarer, sondern unlösbar. die Kosten liegen nun auch bei 4 Milliarden DM. Auf diese Weise können wir nicht den Beitrag leisten, den wir als Industrienation in einer begrenzten Welt, Ich danke ausdrücklich den Firmen und den Inge- für eine wachsende Menschheit, zur Versorgung der nieuren, den Wissenschaftlern und den Mannschaf- Menschen mit Arbeit und Ressourcen und ohne Über- ten, die unter teilweise miserablen politischen Ver- lastung und Ausbeutung dieser Welt zu leisten ha- hältnissen mit Standfestigkeit, Charakterstärke und ben. Fachkunde ihre Aufgabe durchgeführt und die Sache durchgezogen haben. Auch dieses gehört zu einem Wir werden heute über die Einsetzung einer En- ordentlichen Umgang mit einer Technik. quete-Kommission zur Erdatmosphäre diskutieren. Wenn wir die langfristigen Perspektiven ansehen, die Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Chance, CO2-Probleme, den Treibhauseffekt und die Es ist hier von Ludwig Gerstein und von Karl-Hans Erwärmung des Erdklimas mit unabsehbaren Folgen Laermann hingewiesen worden — ich will das nicht zu verhindern, dann müssen wir alle Techniken för- weiter darlegen — auf die zukünftige Strategie für dern, die nicht auf der Verbrennung von Holz, von den Einsatz des Hochtemperaturreaktors für die Kohle und von Erdöl beruhen. Wir müssen die rege- Markteinführung über den Strom, auf die Chance zur nerativen Energien mit all ihren Möglichkeiten ent- Wärmeerzeugung und die Chance zur Prozeßwärme. wickeln. Dann müssen wir aber auch Kernenergie Dies ist eine langfristige S trategie, die sich im Markt entwickeln, weil sie heute die einzige zusätzliche Res- bewähren muß. Jeder aber, der glaubt, daß wir mit source ist, die es uns ermöglicht, in einer begrenzten den heutigen Ölpreisen langfristig rechnen könnten, Welt nicht nur mit unseren Reserven gut umzugehen, und der deshalb eine solche Linie abb richt, versündigt sondern auch die Verantwortung für eine umweltge- sich an der langfristigen Vorsorge für die Zukunft rechte Technik zu übernehmen und die Risiken und unserer Technik und unserer Energieversorgung. Gefährdungen einerseits gegen die Chancen anderer- Auch diese Haltung gehört zu einem wahrhaftigen seits abzuwägen. Eine Flucht aus der Wirklichkeit löst Umgang für alle Verantwortlichen. nicht das Problem, sondern eine vernünftige Gestal- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1761

Bundesminister Dr. Riesenhuber tung der Zukunft aus Sachverstand und Tüchtigkeit Beratung des Antrags der Abgeordneten und Verantwortungsbereitschaft begründet die Zu- Dr. Knabe, Wetzel und der Fraktion DIE GRÜ- kunft. NEN (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Einsetzung einer Enquete-Kommission „Lang- fristiger Klimaschutz" Präsident Dr. Jenninger: Meine Damen und Herren, — Drucksache 11/787 ich schließe die Aussprache. —Überweisungsvorschlag: Wir kommen zu den Abstimmungen, zunächst über Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD. Wer (federführend) stimmt für den Entschließungsantrag? — Gegen- Ausschuß für Wirtschaft Ausschuß für Jugend, Fami lie, Frauen und Gesundheit probe! — Enthaltungen? — Der Entschließungsantrag Ausschuß für Verkehr ist abgelehnt. Ausschuß für Forschung und Technologie Wir kommen zu dem Entschließungsantrag der Ausschuß für wirtschaft liche Zusammenarbeit Fraktion DIE GRÜNEN. Die Fraktion DIE GRÜNEN Beratung des Antrags der Abgeordneten verlangt hierzu gemäß § 52 unserer Geschäftsord- Dr. Hauff, Schäfer (Offenburg), Frau Dr. Har- nung namentliche Abstimmung. Das Verfahren ist Ih- tenstein, Müller (Düsseldorf), Roth, Bachmaier, nen bekannt. Ich eröffne die namentliche Abstim- Frau Blunck, Catenhusen, Duve, Fischer (Horn- mung. — Ich bitte die Schriftführer, ihre Plätze einzu- burg), Grunenberg, Dr. Hauchler, Heister- nehmen. mann, Ibrügger, Jansen, Jaunich, Dr. Jens, (V o r s i t z: Vizepräsident Westpahl) Jung (Düsseldorf), Kiehm, Kühbacher, Lambi- nus, Lennartz, Frau Dr. Martiny, Müller (Schweinfurt), Nagel, Peter (Kassel), Reimann, Vizepräsident Westphal: Meine Damen und Herren, Reuter, Schanz, Stahl (Kempen), Urbaniak, ist noch ein Mitglied des Hauses im Saal, das noch an Vahlberg, Vosen, von der Wiesche, Weisskir- der Abstimmung teilzunehmen wünscht? — Da dies chen (Wiesloch), Dr. Vogel und der Fraktion nicht der Fall ist, schließe ich die Abstimmung und der SPD bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- nen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung Schutz der Ozonschicht durch Verbot des werde ich später bekanntgeben. Einsatzes von Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKW) Wir können die Beratungen jetzt mit dem nächsten Tagesordnungspunkt fortsetzen. Dazu wäre es aller- — Drucksache 11/678 — dings sehr hilfreich, wenn die Kolleginnen und Kolle- Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: gen ihre Plätze wieder einnähmen oder für Gespräche Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit den Saal verließen. (federführend) Ausschuß für Wirtschaft Ich habe die Kollegen gebeten, für die Beratung des Ausschuß fürJugend, Familie, Frauen und Gesundheit nächsten Tagesordnungspunktes Platz zu nehmen, Ausschuß für Verkehr und würde mich freuen, wenn dies Beachtung Ausschuß für Forschung und Technologie fände. Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Haushaltsausschuß mitberatend Ich rufe nun Punkt 4 der Tagesordnung sowie die Zusatzpunkte 1 und 2 der Tagesordnung auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Briefs, Dr. Daniels (Regensburg), Frau Beratung des Antrags der Abgeordneten Garbe, Dr. Knabe, Wetzel und der Fraktion DIE Dr. Laufs, Schmidbauer, Fellner, Dr. Göhner, GRÜNEN Lenzer, Gerstein, Dr. Blens, Bauer, Carstensen (Nordstrand), Dörflinger, Eylmann, Dr. F ried- Klimaschutzprogramm: Sofortmaßnahmen ge- rich, Harries, Herkenrath, Kalb, Dr. Lippold gen den Abbau der Ozonschicht und die Aus- (Offenbach), Lummer, Dr. Meyer zu Bentrup, wirkungen des Treibhauseffekts Dr. Neuling, Regenspurger, Frau Rönsch — Drucksache 11/788 (Wiesbaden), Schmitz (Baesweiler), Schulhoff, Schwarz, Seesing, Zierer und der Fraktion der —Überweisungsvorschlag : CDU/CSU sowie der Abgeordneten Baum, Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Frau Dr. Segall, Wolfgramm (Göttingen), Bre- (federführend) Finanzausschuß dehorn, Eimer (Fürth), Grünbeck, Dr. Hirsch Ausschuß für Wi rtschaft und der Fraktion der FDP Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Jugend, Fami lie, Frauen und Gesundheit Einsetzung einer Enquete-Kommission „Vor- Ausschuß für Verkehr sorge zum Schutz der Erdatmosphäre" Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Forschung und Technologie — — Drucksache 11/533 Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Haushaltsausschuß Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (fe- derführend) Meine Damen und Herren, interfraktionell ist eine Ausschuß für Wirtschaft gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit und ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Forschung und Technologie vereinbart worden. — Ich sehe keinen Widerspruch; Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit dann ist es so beschlossen. 1762 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Vizepräsident Westphal Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abge- vermutlich den durch CO2 allein hervorgerufenen ordnete Schmidbauer. Treibhauseffekt noch verdoppeln. Als Fazit führt die UNEP aus, daß sowohl das Gesamtozon als auch die vertikale Ozonverteilung, die Temperaturschichtung Schmidbauer (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine und das Klima durch die Zunahme atmosphärischer sehr verehrten Damen und Herren! „Der Riß am Him- Spurengase beeinflußt werden. Daher sollten auch mel", „Ein Loch über dem Südpol", „Der Anfang vom beide Fragenkomplexe der Ozonschichtveränderung Ende" , so oder ähnlich lauten die Schlagzeilen der und der Klimaänderung zusammen betrachtet wer- letzten Wochen und Monate. Im Mittelpunkt steht den. Das gibt eine Antwort auf den Antrag Ihrer Frak- dabei immer das Thema „Ozonloch/Treibhausef- tion (DIE GRÜNEN), eine gesonderte Enquetekom- fekt". mission für Klimaänderungen einzusetzen. Wir wollen Dies ist kein neues Thema; es beschäftigt nicht erst das nicht. Wir sind der Meinung, daß beide Themen- seit heute Parlament und Regierung. Da ich vermute, komplexe zusammengehören und daß wir dies des- daß Frau Hartenstein nachher auf diese Dinge ein- halb in einer gemeinsamen Enquetekommission bera- geht, will ich einmal eine Erklärung zitieren, die da ten sollten, um für diese Themenkomplexe zu einem lautet: gemeinsamen Ergebnis zu kommen. Die Bundesregierung beabsichtigt, wie sie schon Viele namhafte Wissenschaftler weisen uns auf mehrmals erklärt hat, eine Verminderung des die beunruhigenden Entwicklungen in der Erd- Einsatzes von Fluorchlorkohlenwasserstoffen .. . atmosphäre hin und stellen Fragen, die es noch zu durch eine Umstellung des Marktes auf Spraydo- klären gilt. Sie sagen selbst, hier gibt es eine Menge sen mit mechanischen Pumpen oder mit umwelt- offener Fragen, die wir klären müssen. Sie weisen dar- freundlichen Treibgasen zu erreichen. auf hin, daß rechnerische Modelle teilweise zwar eine Es werden weitere Ausführungen gemacht. Erklärung für das Geschehen geben können, daß aber Wer meint, daß dies neu wäre, den darf ich darauf noch keine defini tiven Aussagen über die Mechanis- aufmerksam machen, daß es sich um eine Mündliche men dieser Veränderungen möglich sind. Anfrage der achten Wahlperiode in der Fragestunde (Dr. Daniels [Regensburg] [GRÜNE]: Weiter am 14. September 1977 und um die Antwort der da- maligen Bundesregierung Schmidt handelt. Bereits abwarten, oder?) ein Jahr vorher hat dieselbe Regierung darauf hinge- Wir wollen deshalb eine Enquetekommission einset- wiesen, daß auf Grund neuester wissenschaftlicher zen, die sich mit der Vorsorge zum Schutz der Erdat- Erkenntnisse Veränderungen der Atmosphäre beson- mosphäre befaßt, die eine Bestandsaufnahme über dere Bedeutung beigemessen würde und daß hier et- Veränderungen der Erdatmosphäre vornimmt, den was geschehen muß. Auch dies war bereits Mitte der derzeitigen Stand der Ursachen- und Wirkungsfor- 70er Jahre. schung feststellt und mögliche nationale und interna- Meine Damen und Herren, es muß für uns aller- tionale Maßnahmen zum Schutz des Menschen und dings heute sehr beunruhigend sein zu wissen, daß der Umwelt vorschlägt. anthropogene Einflüsse die Schutzfunktion der Ozon- schicht beeinträchtigen und damit eine Gefährdung Es wird dabei sicherlich einige Hauptthemen ge- unserer Biosphäre die Folge ist. Eine starke Zunahme ben: erstens mögliche Klimaveränderungen durch der Konzentration von atmosphärischen Spurenga- Spurengase, zweitens die Auswirkungen des strato- sen, die für das chemische Gleichgewicht in unserer sphärischen Ozonabbaus und drittens notwendige Atmosphäre verantwortlich sind, hat offensichtlich Handlungsoptionen. schon zu Veränderungen der Ozonschicht geführt. Der Bundeskanzler Helmut Kohl hat in seiner Re- Ein bislang funktionierender Regelkreis scheint aus gierungserklärung vom 18. Mai 1987 auf diese Proble- dem Gleichgewicht zu geraten. matik hingewiesen und hat sowohl den Treibhaus- Diese Veränderungen sind nicht spektakulär und effekt als auch den Abbau der Ozonschicht angespro- sofort wahrzunehmen, sondern dies sind Prozesse, die chen und ausgeführt, daß die Bundesregierung inter- allmählich ablaufen, die sich allmählich vollziehen. national und national die notwendigen Maßnahmen Substanzen wie zum Beispiel Fluorchlorkohlenwas- ergreifen wird. Dies ist in Teilbereichen bereits heute serstoffe können durch ihre Langzeitwirkungen Schä- geschehen: den hervorrufen, die nur noch bis zu einem bestimm- ten Zeitpunkt korrigierbar sein werden. Erstens. Ich darf an die freiwillige Vereinbarung mit Nicht nur der Abbau unserer Ozonschicht droht zu der Industrie erinnern, den Einsatz von FCKWs in einem Verhängnis zu werden, auch der sogenannte Spraydosen bis zum 31. Dezember 1989, also in zwei Jahren, um mindestens 90 % zu verringern. Hier wird Treibhauseffekt hängt unmittelbar mit der Zunahme atmosphärischer Spurengase wie zum Beispiel das Kooperationsprinzip realisiert. Wir sind dem Mini- FCKW, Methan, Distickstoffoxid und anderen zusam- ster sehr dankbar für die Vorgehensweise. Das geht men. Auch dadurch wird das Strahlungsgleichge- schnell, das wirkt schnell, das macht keine Verhand- wicht der Erde verlängert. In mehreren Modellen wird lungen über die EG, über nationale Rechtsverordnun- ja beschrieben: Klimaveränderung, Anstieg des Mee- gen und andere Dinge notwendig. Es führt zu hand- resspiegels, all diese Szenarien, die dabei zu beachten festen Ergebnissen. Meine Damen und Herren, es wi ll sind. etwas bedeuten, wenn in zwei Jahren um über 90 % reduziert wird. Wie aus einer Erklärung der UNEP vom Februar 1986 hervorgeht, wird angenommen, daß diese Gase (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1763

Schmidbauer Ich habe vorhin extra an die Erklärungen der SPD- trags in eine kritische Auseinandersetzung eintreten Regierung erinnert. Vor über zehn Jahren hatte man müssen, um das eine oder andere zu verbessern. die Absicht, dies zu tun. Man hatte dies angekündigt. Ich will hier auch sagen, daß der Antrag der Es hat zu keinem Ergebnis geführt. Wir haben heute GRÜNEN in bezug auf den Abbau von FCKWs eine dieses Ergebnis erreicht. 40seitige gute Vorlage ist. Es ist eine enorme Stoff- Zweitens. Der Einsatz von FCKWs für die Herstel- sammlung. Ich denke, daß sie mit dazu beitragen lung von Weichschaumstoffen und die damit verbun- kann, daß wir in der Enquete-Kommission bei der denen Emissionen von FCKWs in die Atmosphäre Beratung dieses Antrags in der Tat gemeinsam versu- werden bis 1991 geregelt sein. Bis zum diesem Zeit- chen sollten, hier eine Basis zu finden, die notwendig punkt müssen die Emmissionsgrenzwerte der TA Luft ist, um die anstehenden Probleme gemeinsam zu lö- eingehalten werden. Das ergibt laut Umweltbundes- sen. amt eine Emissionsminderung von ebenfalls 90 % in Wir bieten das an. Wir bieten die Zusammenarbeit diesem Bereich. in der Enquete-Kommission an. Wir bieten die Zusam- Drittens. Die im Rahmen von UNEP durchgeführten menarbeit auf diesem Feld auch in dem zuständigen Verhandlungen — ich denke, so kann man das heute Ausschuß an. bereits beurteilen — sind erfolgreich verlaufen. Die in Herzlichen Dank. Montreal erzielten Ergebnisse sind ein wichtiger Schritt, der seine Wirkung nicht verfehlen wird. In der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Konsequenz heißt dies, daß wir mittelfristig internatio- nal, weltweit FCKWs zu einem hohen Prozentsatz ab- Vizepräsident Westphal: Bevor ich das Wort weiter- bauen. gebe, möchte ich Ihnen das von den Schriftführern Nicht minder wichtig ist es, daß zusätzlich zu den ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung vollhalogenierten Kohlenwasserstoffen eine neue über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE Stoffklasse, nämlich bromierte Kohlenwasserstoffe — GRÜNEN auf Drucksache 11/815 mitteilen. Es wur- sogenannte Halone — , in dieses Abkommen mit auf- den 384 Stimmen abgegeben. Keine Stimme war un- genommen wurde. Ich denke, daß durch dieses Er- gültig. Mit Ja haben 29 Abgeordnete gestimmt, mit gebnis ein wichtiger Beitrag auch zum Schutz der Nein 351. Es hat vier Enthaltungen gegeben. Ozonschicht geleistet wird. Ich sagte: Es ist ein erster Schritt. Zufrieden kann man damit natürlich nicht sein, wenn man natio- nale Maßstäbe anlegt. Aber ich finde, wir haben allen Grund, dem Bundesumweltminister Professor Dr. Töpfer für diese Bemühungen auf internationaler Endgültiges Ergebnis Ebene zu danken. Ohne die Schrittmacherrolle der Abgegebene Stimmen 384; davon Bundesregierung hätte es diese Bewegung im inter- nationalen Bereich nicht gegeben. ja: 29 Ich bin auch sicher — Herr Bundesumweltminister, nein: 351 ich weiß, daß Ihnen auch das bewußt ist — , daß wir enthalten: 4 Probleme haben werden, dies EG-weit richtig umzu- setzen, damit die Ergebnisse in Montreal nicht nur einem EG-Partner angerechnet werden, etwa nach dem Motto: Die EG unterzeichnet mit, bedankt sich Ja Volmer Wetzel herzlich und stellt dann fest, daß die Bundesrepublik DIE GRÜNEN Frau Wilms-Kegel Deutschland den Anteil der Reduzierung für Europa Wüppesahl allein erbracht hat. So kann es natürlich nicht gehen. Frau Beer Wir werden auch hier, so denke ich, Pilotfunktionen, Brauer Schrittmacherfunktionen in Europa übernehmen. Dr. Daniels (Regensburg) Ebermann Nein (Dr. Laufs [CDU/CSU]: Sehr gut!) Frau Eid Frau Flinner CDU/CSU Mit diesen von mir zitierten wichtigen Maßnahmen Frau Garbe wird deutlich, daß die Einsetzung einer Enquete- Häfner Dr. Abelein Frau Hillerich Bauer Kommission nicht bedeutet und auch nicht bedeuten Hüser Bayha kann, daß wir warten, bis Ergebnisse vorliegen. Wir Kleinert (Marburg) Dr. Becker (Frankfurt) führen vielmehr parallel entsprechende Vorsorge- Dr. Knabe Frau Berger (Berlin) maßnahmen weiter. Dies wird dazu führen, daß wir in Frau Krieger Dr. Biedenkopf Dr. Lippelt (Hannover) Biehle der notwendigen Geschwindigkeit weitere Verbesse- Dr. Mechtersheimer Dr. Blank rungen erreichen werden. Frau Nickels Dr. Blens Frau Oesterle-Schwerin Dr. Blüm Ich denke, es ist jetzt nicht der Zeitpunkt, darauf Frau Olms Böhm (Melsungen) hinzuweisen, Frau Hartenstein, daß der Antrag der Schily Börnsen (Bönstrup) SPD überholt ist. Es ist gut, daß Sie ihn gestellt haben, Frau Schmidt-Bott Dr. Bötsch daß wir im Ausschuß abklären können, ob die Frau Schoppe Bohl Stratmann Bohlsen Punkte 1 bis 6 schon erfüllt sind, womit Sie es sich Frau Teubner Breuer hätten ersparen können, einen solchen Antrag zu stel- Frau Unruh Bühler (Bruchsal) len, oder ob wir an Hand einzelner Punkte Ihres An- Frau Dr. Vollmer Buschbom 1764 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Vizepräsident Westphal Carstensen (Nordstrand) Dr. Neuling Cronenberg (Arnsberg) Hasenfratz Clemens Neumann (Bremen) Eimer (Fürth) Dr. Hauchler Dr. Czaja Niegel Engelhard Heimann Dr. Daniels (Bonn) Dr. Olderog Frau Folz-Steinacker Heistermann Daweke Oswald Gallus Heyenn Frau Dempwolf Petersen Gattermann Hiller (Lübeck) Dörflinger Pfeffermann Genscher Dr. Holtz Doss Dr. Pinger Grünbeck Horn Dr. Dregger Dr. Pohlmeier Grüner Huonker Echternach Dr. Probst Frau Dr. Hamm-Brücher Jahn (Marburg) Ehrbar Rauen Dr. Hirsch Jaunich Eigen Reddemann Dr. Hitschler Jung (Düsseldorf) Engelsberger Regenspurger Hoppe Jungmann Eylmann Repnik Dr. Hoyer Kastning Dr. Faltlhauser Dr. Riesenhuber Irmer Kiehm Dr. Fell Frau Rönsch (Wiesbaden) Kleinert (Hannover) Kirschner Fellner Dr. Rüttgers Kohn Kißlinger Fischer (Hamburg) Ruf Dr.-Ing. Laermann Klein (Dieburg) Francke (Hamburg) Sauer (Salzgitter) Dr. Graf Lambsdorff Dr. Klejdzinski Dr. Friedrich Sauer (Stuttgart) Lüder Klose Frau Geiger Sauter (Epfendorf) Mischnick Kolbow Geis Sauter (Ichenhausen) Möllemann Koltzsch Gerstein Dr. Schäuble Neuhausen Koschnick Gerster (Mainz) Scharrenbroich Nolting Kretkowski Glos Schartz (Trier) Paintner Kuhlwein Dr. Götz Schemken Richter Lambinus Dr. Grünewald Schmidbauer Rind Leidinger Günther Freiherr von Schorlemer Ronneburger Leonhart Dr. Häfele Schreiber Schäfer (Mainz) Lohmann (Witten) Harries Schulhoff Frau Dr. Segall Lutz Frau Hasselfeldt Dr. Schulte Dr. Solms Menzel Haungs (Schwäbisch Gmünd) Dr. Thomae Dr. Mertens (Bottrop) Hauser (Esslingen) Schulze (Berlin) Timm Müller (Düsseldorf) Hauser (Krefeld) Schwarz Wolfgramm (Göttingen) Müller (Pleisweiler) Hedrich Dr. Schwarz-Schilling Frau Würfel Müntefering Helmrich Dr. Schwörer Nagel Dr. Hennig Seehofer Frau Dr. Niehuis Herkenrath Seesing Dr. Niese Hinsken Seiters SPD Niggemeier Höffkes Spilker Frau Odendahl Höpfinger Spranger Frau Adler Oesinghaus Hörster Dr. Sprung Amling Oostergetelo Frau Hoffmann (Soltau) Dr. Stark (Nürtingen) Andres Pauli Dr. Hornhues Dr. Stavenhagen Antretter Dr. Penner Frau Hürland-Büning Dr. Stercken Dr. Apel Pfuhl Dr. Hüsch Straßmeir Bachmaier Dr. Pick Dr. Jenninger Stücklen Bahr Porzner Dr. Jobst Susset Bamberg Poß Jung (Limburg) Tillmann Frau Becker-Inglau Reimann Jung (Lörrach) Dr. Uelhoff Bernrath Reuter Kalisch Uldall Bindig Rixe Dr.-Ing. Kansy Frau Verhülsdonk Frau Blunck Schäfer (Offenburg) Dr. Kappes Vogel (Ennepetal) Dr. Böhme (Unna) Schanz Frau Karwatzki Vogt (Duren) Brandt Dr. Scheer Klein (München) Dr. Voigt (Northeim) Brück Scherrer Dr. Köhler (Wolfsburg) Dr. Vondran Büchler (Hof) Schluckebier Kolb Dr. Waffenschmidt Dr. von Bülow Schmidt (München) Kossendey Graf von Waldburg-Zeil Frau Bulmahn Frau Schmidt (Nürnberg) Kraus Dr. Warnke Buschfort Schmidt (Salzgitter) Krey Dr. Warrikoff Frau Conrad Dr. Schmude Kroll-Schlüter Weirich Conradi Schröer (Mülheim) Dr. Kronenberg Weiß (Kaiserslautern) Frau Dr. Däubler-Gmelin Schütz Dr. Kunz (Weiden) Frau Will-Feld Frau Dr. Dobberthein Seidenthal Lamers Frau Dr. Wilms Dreßler Frau Seuster Dr. Lammert Wilz Duve Sielaff Dr. Laufs Wimmer (Neuss) Dr. Ehmke (Bonn) Singer Lenzer Frau Dr. Wisniewski Erler Frau Dr. Skarpelis-Sperk Link (Diepholz) Wissmann Ewen Dr. Soell Link (Frankfurt) Dr. Wittmann Frau Faße Dr. Spöri Linsmeier Dr. Wörner Fischer (Homburg) Steiner Lintner Würzbach Frau Fuchs (Köln) Frau Steinhauer Louven Dr. Wulff Frau Ganseforth Stiegler Lowack Zeitlmann Gansel Stobbe Lummer Zierer Dr. Gautier Frau Terborg Maaß Dr. Zimmermann Gerster (Worms) Frau Dr. Timm Frau Männle Zink Dr. Glotz Frau Traupe Marschewski Frau Dr. Götte Urbaniak Dr. Meyer zu Bentrup Graf Vahlberg Michels FDP Großmann Verheugen Dr. Miltner Grunenberg Dr. Vogel Dr. Möller Baum Haack (Extertal) Voigt (Frankfurt) Müller (Wesseling) Beckmann Frau Hämmerle Vosen Nelle Bredehorn Frau Dr. Hartenstein Wartenberg (Berlin) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1765

Vizepräsident Westphal Frau Weiler Enthalten Maßnahmen zur Gefahrenabwehr zu ergreifen, ist die Westphal andere Sache. Beides muß parallel laufen. Frau Weyel SPD - Frau Wieczorek-Zeul (Schmidbauer [CDU/CSU]: Sie zitieren mich Wiefelspütz Weiermann von der Wiesche Zeitler wörtlich!) Wimmer (Neuötting) Wenn das so kommt, dann wäre es in Ordnung. Wischnewski FDP Dr. de With Die drohende Wittich Dr. Feldmann Klimakatastrophe ist seit geraumer Zumkley Dr. Haussmann Zeit in aller Munde, mindestens seit dem aufsehener- regenden Gutachten der Deutschen Physikalischen Gesellschaft aus dem Jahre 1985. Daß verheerende Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt. Auswirkungen ins Haus stünden, wenn sich das K lima Jetzt kommt als nächste Rednerin in unserer De- im Schnitt um 2 bis 3 Grad erwärmen würde, braucht batte Frau Dr. Hartenstein. hier nicht ausführlich diskutiert zu werden; auch nicht, daß die FCKWs, von denen wir jährlich weltweit immerhin noch 700 000 bis 800 000 Tonnen produzie- ren, ebenso dazu beitragen wie die Unmassen an Frau Dr. Hartenstein (SPD): Herr Präsident! Meine hausgemachtem Kohlendioxid, die wir in die Atmo- Damen und Herren! Die beiden Anträge, die zur De- sphäre entlassen. batte stehen, haben in der Tat ein gemeinsames Thema und im Grunde auch das gleiche Anliegen, Seit 1860 hat die CO2-Konzentration um nicht we- nämlich die Atmosphäre um den blauen Planeten zu niger als 20 % — mit weiter steigender Tendenz — schützen und das Leben auf der Erde zu bewahren. zugenommen. Es kommen andere Ursachen hinzu, Darin sind wir uns schnell einig. Wir halten beide die den Treibhauseffekt verstärken. Hier gegenzu- Anträge für wich tig — unseren sowieso — und auch steuern, national wie inte rnational, und eine Trend- beide für dringlich. wende herbeizuführen ist im wahrsten Sinne eine glo- Dennoch gibt es einen fundamentalen Unterschied, bale Aufgabe. Herr Kollege Schmidbauer. Der Antrag der Koalition Aber Trendwende wohin? Interessanterweise hat zielt auf weitausholende Bestandsaufnahmen und sich die Klimadiskussion sehr stark auf die CO2-Pro- zeitraubende Untersuchungen, der Antrag der SPD blematik konzentriert. Nicht nur Wissenschaftler, be- Fraktion dagegen sieht politischen Handlungsbedarf sorgte Bürger, Umweltverbände, sondern auch Leute jetzt. Er fordert Maßnahmen zum Verbot der schädli- der Wirtschaft, besonders auch der Energiewirtschaft, chen Treibgase, und zwar sofort. Sie irren sich, wenn haben sich auffallend intensiv mit der unheim lichen Sie sagen, wir hätten die Einsetzung einer Enquête Zukunftsvision eines sich ständig erwärmenden Erd- Kommission beantragt. balls beschäftigt. Um übrigens keine Mißverständnisse aufkommen Keine Frage, daß die bedenkliche Erhöhung der zu lassen: Wir unterstützen die Einrichtung einer En- CO2-Konzentration auf die Verbrennung fossiler quête-Kommission zum Schutze der Erdatmosphäre, Brennstoffe zurückgeht. Der Raubbau an den tropi- aber wir meinen auch, daß über den Auftrag an diese schen Regenwäldern verschärft das Problem. Keine Kommission doch noch gründlich diskutiert werden Frage auch, daß die vom Menschen erzeugte CO2 sollte. Ihr Antragstext liest sich nämlich streckenweise Produktion verringert werden muß, wenn das K lima- so, als ob Sie über ein halbes Jahrzehnt hinweg gleich gleichgewicht erhalten bleiben soll. ganze Rudel von Wissenschaftlern beschäftigen woll- ten, um „eine Bestandsaufnahme über die globalen Bei der Antwort auf die Frage „Wie?" scheiden sich Veränderungen der Erdatmosphäre vorzunehmen jedoch die Geister, vor allem, wenn es um den Ener- und den Stand der Ursachen- und Wirkungsforschung giesektor geht. Es gibt da nämlich seltsame Koalitio- festzustellen sowie etc. ". Ich erinnere Sie daran, daß nen. Plötzlich treten die Kernkraftbefürworter schein- Präsident Carter zur Erstellung der Studie „ Glo- bar an die Seite der Naturschützer. Des Rätsels Lö- bal 2000" Hunderte von Wissenschaftlern fast vier sung liege darin — so wird argumentiert —, die sau- Jahre lang an die Arbeit gesetzt hat. bere Atomenergie zu nützen statt Kohle oder Öl zu verbrennen. Und schon ist das Klima gerettet! Natürlich gehe ich davon aus, daß auch nach Ihrer Auffassung der Ehrgeiz der Enquête nicht darin be- (Schmidbauer [CDU/CSU]: Das ist doch aber stehen sollte, ein 2 000 Seiten umfassendes Werk zu ein Nebenkriegsschauplatz!) liefern, das niemand liest. — Das ist ein ganz wichtiger Faktor, wird es auch in (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) der Diskussion werden. Aber ein Warnsignal, Herr Kollege Laufs, ist schon Ich verkürze bewußt etwas — das räume ich ein —, jetzt angebracht. Die Einsetzung einer Enquête-Kom- aber es muß mit aller Eindringlichkeit darauf hinge- mission zum Schutze der Erdatmosphäre darf kein wiesen werden, daß hier falsche Alternativen aufge- Vorwand für ein Handlungsmoratorium im politischen baut werden. Die Gefahr einer Klimakatastrophe darf Raum werden. nicht als Hebel benutzt werden, um den Ausbau der (Schmidbauer [CDU/CSU]: Das habe ich Kernenergie voranzutreiben. Das wäre nicht verant- doch eben erklärt!) wortbar. Die Aufgabe, längerfristige Vorsorgemaßnahmen (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — ins Auge zu fassen, ist die eine Sache. Die Aufgabe, Zuruf des Abg. Dr. Laufs [CDU/CSU]) 1766 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Frau Dr. Hartenstein — Herr Laufs, ich bitte, einmal zuzuhören. — Es kann Die EG spielt hier ja wahrlich keine rühmliche Rolle. doch nicht der Schlüssel für die Zukunft sein, wenn Sie hat sich seither selbst auf der Ebene der Vereinten die Verminderung der einen Gefährdung mit der Er- Nationen als kräftiger Bremser betätigt. Auch jetzt hat höhung der anderen, noch viel größeren, erkauft wer- man offenbar verstanden, ein Schlupfloch einzu- den sollte. bauen: Man dürfe — so heißt es — 10 bis 15 % mehr (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) produzieren als die obengenannte Marke angibt, um die Entwicklungsländer von der Eigenproduktion ab- Meine Damen und Herren, falsche Alternativen zuhalten. Die hätten nämlich einen großen Nachhol- verstellen oft den Blick für den Weg der Vernunft. Der bedarf. Unübertreffliche Logik, meine Damen und Weg der Vernunft weist eindeutig in die Richtung Herren. Warum, so frage ich, geht es denn nicht an- Energiesparen und Nutzung alternativer Energie- dersherum? Auch hier gilt: Nur wenn wir den Ent- quellen: der Solarenergie, der Wasserstofftechnolo- wicklungsländern mit eigenem guten Beispiel voran- gie, der Nutzung von Wind und Biogas. Wir wissen, gehen, werden wir sie überzeugen können, daß Le- daß hier große technische Möglichkeiten liegen. Wir bensqualität und Lebensstandard nicht von der Spray- haben das technische Können, wenngleich es natür- dosenseligkeit abhängt. lich noch weiterentwickelt werden muß. Es ist nicht die Technik, die uns fehlt, es ist auch nicht die Wis- (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — senschaft, die uns im Stich ließe. Es fehlt am politi- Schmidbauer [CDU/CSU]: Ich habe vorhin schen Willen, neue Wege zu gehen. ein Zitat von 1977 gebracht!) (Beifall bei den GRÜNEN) Wir dürfen uns nicht darauf hinausreden, daß eine „isolierte nationale Maßnahme nur einen sehr be- Immer wieder kommt das Argument, das Gesamt- grenzten Beitrag zum ... Schutz der Ozonschicht lei- problem sei nur international zu lösen. Diese Erkennt- sten könnte", so die Antwort von Herrn Parlamentari- nis darf aber kein A libi für nationales Nichtstun sein. schen Staatssekretär Grüner an meine Kollegin Re- Anders gesagt: Wir müssen national beginnen. nate Schmidt im Mai 1987. (Schmidbauer [CDU/CSU]: Wem sagen Sie Wir fordern ein Verbot der FCKW in Spraydosen. das jetzt eigentlich?) Dort sind sie problemlos zu ersetzen, und zwar sofort. — Ihnen sag ich es. — Wir fordern weiter den Einsatz umweltfreundlicher Substitute, z. B. bei der Herstellung industrieller (Schmidbauer [CDU/CSU]: Da hätten Sie Schäume innerhalb einer Übergangszeit von höch- vorher zuhören müssen!) stens zwei Jahren. Wir fordern die Schaffung ge- Wie sollen wir andere Länder, insbesondere Entwick- schlossener Kreisläufe überall da, wo FCKW vorerst lungsländer, überzeugen, daß Energieeinsparung noch nicht ersetzbar sind. Mit diesen Forderungen fin- besser ist als Energieverschwendung, wenn wir nicht den wir uns übrigens in bester Übereinstimmung mit selber damit beginnen? der Entschließung des Bundesrates vom Mai 1987. Er (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) hat auch Wege gewiesen, wie diese Forderungen na- tional umsetzbar wären, beispielsweise durch Rück- Wenn Sie es genau wissen wollen, Herr Kollege griff auf den § 17 des Chemikaliengesetzes. Schmidbauer: Ich kann leider nicht erkennen, daß die Bundesregierung eine große Energieeinsparungsof- Sie haben eine freiwillige Vereinbarung mit der fensive eingeleitet hätte. Industrie geschlossen. Auch wir haben dies in den 70er Jahren getan — und nicht ohne Erfolg. — Der (Frau Blunck [SPD]: Richtig!) Herr Minister hört gerade nicht zu. — Freiwillige Ver- Ich bitte, mich zu korrigieren, wenn dies anders ist. einbarungen sind nicht prinzipiell falsch, aber sie sind nur dann sinnvoll, wenn ihre Einhaltung kontrollier- Lassen Sie uns in Ihrem Antrag den viertletzten bar ist und wenn sie nicht zum Beispiel durch Export- Spiegelstrich, in dem Sie vorsichtig von Energieein- und Reimport-Tricks unterlaufen werden können. Ge- sparung und Änderung der Ressourcenverwendung gen Schwarze Schafe ist der Staat allemal machtlos, als „möglichen Vorsorgemaßnahmen" reden, ganz wenn er keinen Knüppel in der Hinterhand hat. weit nach vorne ziehen. Dann kommen wir rascher zusammen und auch rascher ans Ziel. Treibhauseffekt und Ozonabbau Meine Damen und Herren, auch für die gefährli- — ich bin sofort fertig, Herr Präsident — chen gilt, daß der Hinweis auf internationa- Treibgase könnten zu einer der existentiellen Fragen der len Handlungsbedarf nicht zum Vorwand werden Zukunft werden, darf, zu Hause die Hände in den Schoß zu legen, oder anders gesagt: munter weiterzusprühen. Wir sind uns, heißt es in Ihrem Antrag. Wir teilen diese Auffassung. hoffe ich, darüber einig, daß ein Abkommen, wie es Aber wenn dieser Satz nicht in den Wolken hängen- soeben in Montreal unterzeichnet worden ist, nicht bleiben soll, dürfen Entscheidungen über solche „exi- das Ende der Fahnenstange in Sachen FCKW sein stentiellen Fragen" nicht auf den Sankt-Nimmerleins- kann. 50 % Reduzierung bis 1999, das ist offenbar der Tag verschoben werden. minimalste Nenner, auf den sich 47 Länder einigen Lassen Sie uns sauber auseinanderhalten: konnten. Wir tadeln die Bundesregierung nicht, daß sie hier mit unterzeichnet hat, Herr Minister Töpfer. Erstens, was notwendig und heute schon machbar Wir erwarten aber, daß sie national mehr tut im Sinne ist, muß sofort getan werden. unseres Antrags. Zweitens. Was notwendig, aber nicht sofort mach- (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) bar ist, muß sorgfältig durchdacht und dann mit Nach- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1767

Frau Dr. Hartenstein druck in die Wege geleitet werden, zum Beispiel der kreislaufs ist nötig, bevor der Gesetzgeber effektiv Aufbau einer neuen .. . handeln kann. Allerdings gibt es Kohlendioxidemis- sionen auch noch aus anderen Quellen, das ist mir Vizepräsident Westphal: Sie dürfen jetzt nicht noch klar. Beispiele bringen, Frau Kollegin. Es tut mir leid. (Zuruf von den GRÜNEN: Das kann man nur simulieren!) Frau Dr. Hartenstein (SPD):... globalen Energie-, Ich wies bereits darauf hin, daß in erster Linie das Ressourcenschonungs- und Klimaschutzpolitik. Kohlendioxid für den Treibhauseffekt verantwortlich Danke schön — Ihnen besonders, Herr Präsident. ist, daneben aber auch Meth an, Lachgas, Stickoxide (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) usw., nicht zuletzt auch die Fluorchlorkohlenwasser- stoffe. Vizepräsident Westphal: Das Wort hat die Frau Ab- Die Fluorchlorkohlenwasserstoffe sind jedoch weni- geordnete Dr. Segall. ger wegen ihres Mitwirkens beim sogenannten Treib- hauseffekt so gefährlich; die Hauptgefahr der Stoffe dieser Gruppe liegt in ihrer aggressiven Wirkung ge- Frau Dr. Segall (FDP): Herr Präsident! Meine Da- men und Herren! Frau Hartenstein, den Knüppel der genüber der Ozonschicht, womit ich zum zweiten Vorschriften, Rechtsverordnungen und Gesetze ha- maproblem und zugleich zum Antrag der SPD hin- ben wir als Legisla tive immer im Hinterraum liegen. sichtlich eines Verbots der Fluorchlorkohlenwasser- Darauf können wir immer zurückgreifen. stoffe komme. (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Klappt aber Seit 1974 tauchen verstärkt Hinweise auf, daß nie!) Fluorchlorkohlenwasserstoffe in der Lage sind, die Ozonschicht der Stratosphäre anzugreifen. Diese Be- Ich halte es für viel sinnvoller, daß wir es erst einmal fürchtungen, die zum damaligen Zeitpunkt noch eher anders herum probieren. auf Hochrechnungen denn auf empirischen Beobach- Aber jetzt zu unserem eigentlichen Thema: Schon tungen beruhten, bewegten den Rat der Europäischen seit einiger Zeit machen sich Wissenschaftler über Gemeinschaft auf Initiative der Bundesrepublik im mögliche Klimaveränderungen und Veränderungen Jahre 1980 dazu, Fluorchlorkohlenwasserstoffe, dem der Erdatmosphäre Sorgen. Zwei Problemgruppen Vorsorgeprinzip entsprechend, in ihrer Produktion seien hier genannt, zum einen der sogenannte Treib- und Verbreitung zu begrenzen. Danach sollten die hauseffekt, und zum anderen die Bedrohung der Produktionskapazitäten für FCKWs nicht erhöht und Ozonschicht. Bevor ich dieses Problem genauer erläu- spätestens bis zum 31. Dezember 1981 die Verwen- tere, möchte ich feststellen, daß diese Schlagworte dung der FCKWs bei der Abfüllung von Sprühdosen vom Ozonabbau und vom Treibhauseffekt nicht über um mindestens 30 % gegenüber dem Jahre 1976 ver- die Kompliziertheit der Materie hinwegtäuschen dür- ringert werden. Im EG-Durchschnitt, also nicht nur in fen. Ich denke, daß die Beratungen und die Ergeb- der Bundesrepublik, betrug die Verringerung im nisse der Enquete-Kommission diese Beurteilung be- Jahre 1985 35 % gegenüber 1976. Entsprechend der stätigen werden. Es ist erforderlich, die Enquete-Kom- Ihnen allen bekannten Vereinbarung zwischen Herrn mission einzusetzen, um genauestens zu untersuchen, Umweltminister Töpfer und der Industriegemein- welche Faktoren die beschriebenen Umweltgefahren schaft Aerosole werden die gefährlichen FCKWs bis hervorrufen. zum Ende des Jahres 1989 aus diesem Industriebe- Dann, aber erst dann, meine Damen und Herren von reich vollkommen verschwunden sein. Schon deshalb der Opposition, können Verbote erwogen werden. ist das geforderte Verbot der FCKWs für diesen Be- Meinen nicht auch Sie, daß Verbote nur zuleicht dem reich mehr eine propagandistische Maßnahme denn Bürger etwas vortäuschen, nämlich daß damit zum eine Maßnahme, die der Umwelt hilft, meine Damen Schutz der Umwelt bereits alles erforderliche getan und Herren von der Opposition. sei? Damit würden wir ihn in falschen Illusionen wie- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) gen. Das wissen Sie auch ganz genau. Sie wissen näm- Nun möchte ich etwas genauer die schlagwortartig lich, daß die wirkliche FCKW-Problematik nicht mehr beschriebenen Umweltprobleme erläutern, die uns die Aerosolindustrie betrifft, sondern im Bereich der dazu bewegen, die Einsetzung einer Enquete-Kom- Kunststoffverschäumung mission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" zu beantragen. (Frau Dr. Hartenstein [SPD]: Eben!) Da ist erstens der sogenannte Treibhauseffekt. Ge- und der Kältemittel angesiedelt ist. Dennoch betiteln meint ist damit, daß wärmerückstrahlende Gase die Sie Ihren Antrag propagandistisch wirksam mit „Ver- natürliche Wärmeabstrahlung von der Erde verhin- bot des Einsatzes von FCKWs" in Aerosolen. dern. In erster Linie ist dafür das Kohlendioxid, das Will man die Ozonschicht schützen, so muß man in insbesondere bei der Verbrennung fossiler Brenn- dem Bereich der Kunststoffverschäumung und bei der stoffe freigesetzt wird, verantwortlich. Wie sich dieser Kältemittelproduktion ansetzen. Treibhauseffekt auswirkt, ist jedoch zum Beispiel auch davon abhängig, in welchem Umfang der Ozean Kohlendioxid speichert und wie sich diese Speicher- kapazität bzw. deren Abnahme auf die mögliche Zu- Vizepräsident Westphal: Frau Kollegin, gestatten nahme der CO2-Emissionen auswirkt. Eine exakte Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Dr. Har- wissenschaftliche Aufklärung dieses Kohlendioxid- tenstein? 1768 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Frau Dr. Hartenstein (SPD): Frau Dr. Segall, würden nicht, wie leider schon so häufig, in einem Streit der Sie zur Kenntnis nehmen, daß wir in den Punkten 2, 3 Experten endet, damit auch wir hier in diesem Hause und 4 ausdrücklich auch auf die indust rielle Verwen- zu einem möglichst breiten Konsens kommen. Die dung und auf die industriellen Schäume abgehoben Entscheidungen, die wir zu treffen haben, sind schon haben? Es ist nicht wahr, daß sich der Antrag nur auf schwer genug, auch dann, wenn sich die Wissenschaft Spraydosen bezieht. einig ist. Ich danke. Frau Dr. Segall (FDP): Ich weiß. Ich komme jetzt (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) gleich zu diesem zweiten Teil. Aber Sie versuchen publikumswirksam den Eindruck zu erwecken, als ob es um die Aerosole in den Spraydosen geht. Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Herr Ab- (Frau Dr. Hartenstein [SPD]: Nicht wir, geordnete Wetzel. Sie!) — Wollen wir uns darüber nicht streiten. Will man die Ozonschicht schützen, so muß man in Wetzel (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen den Bereichen der Kunststoffverschäumung und der und Herren! Die von der Regierungskoalition bean- Kältemittelproduktion ansetzen. Was schlägt die SPD tragte Einsetzung einer Enquete - Kommission ist ein in diesem Bereich vor? Nichts anderes, als was der vorzüglicher Vorschlag, aber leider hat er einen Ha- Bundesumweltminister bereits in die Tat umgesetzt ken. hat. Die SPD fordert in ihrem Antrag, innerhalb einer (Frau Blunck [SPD]: Er kommt zu spät!) Übergangszeit von zwei Jahren den Einsatz von FCKWs in industriellen Schäumen zu untersagen. Dieser Vorschlag in seiner vorgelegten Fassung Spätestens 1991 müssen aber sowieso schon die Im- kommt nämlich wenigstens fünf Jahre zu spät. Denn missionsgrenzwerte der TA Luft vom 27. Februar 1986 so wie Sie, meine Damen und Herren von der Koali- eingehalten werden. Das Umweltbundesamt erwartet tion, das Arbeitsprogramm dieser Enquete beschrei- dadurch eine Immissionsreduzierung von 90 % oder ben, erweckt es den Eindruck, als seien Sie soeben 3 000 Tonnen pro Jahr. erst aus einem umweltpolitischen Tiefschlaf erwacht. Zu weiten Teilen des von Ihnen vorgelegten Arbeits- (Frau Blunck [SPD]: Sie erwarten, und das programms gibt es bereits wissenschaftliche Erkennt- andere ist ein Verbot und damit ein Ist!) nisse, die als so hinreichend gesichert gelten können, Einen anderen Weg schlagen die GRÜNEN vor. Sie daß sie politische Maßnahmen jetzt und nicht in unab- wollen auf niedrig siedende halogenierte Kohlenwas- sehbarer Zeit erfordern. serstoffe eine Steuer erheben, um so einen Anreiz zur Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß Rückgewinnung von Altstoffen, zur Emissionsvermei- Sie ein parlamentarisches Manöver fortsetzen wollen, dung und zur Entwicklung von Ersatzstoffen zu för- das ich zur Genüge schon aus dem Ausschuß für For- dern. schung und Technologie kenne: Der Forschungsmini- Ich nehme die Gelegenheit wahr, um dringend an ster ließ und läßt Klimaveränderungen erforschen die Damen und Herren der Opposition zu appellieren, — zum Teil auf recht gescheite Weise — , und wenn die Bereitschaft der Kälteanlagenbauindustrie, ihren dann Ergebnisse vorliegen, erklärt er sich für deren Entsorgungspflichten nachzukommen, zur Kenntnis politische Handlungskonsequenzen als unzuständig: zu nehmen. Am 10. August hat der Verband des Käl- die Handlungskonsequenzen seien Sache des Um- teanlagenbauhandwerks Herrn Staatssekretär Stroet- weltministers. So bleiben Problemlösungen zwischen mann im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz den Ressorts einfach auf der Strecke. und Reaktorsicherheit ein Konzept zur Entsorgung (Beifall bei den GRÜNEN) von Haushaltskühlgeräten und Anlagen vorgelegt. Käme man hier zu einer ähnlichen freiwilligen Ver- Daher haben wir den Verdacht, daß Ihre Enquete die einbarung wie mit der Aerosolindustrie, wären die Funktion eines — sagen wir mal — zwischenministe- von der Opposition vorgeschlagenen staatlichen und riellen Verschiebebahnhofs für politisch unterlassene deshalb administrativ aufwendigen Instrumentarien Entscheidungen spielen soll. unnötig. (Schmidbauer [CDU/CSU]: Ist das so?) Schließlich — damit komme ich zum letzten Grund, — Dieser Verdacht, Herr Schmidbauer, den ich ge- warum wir die Einsetzung einer Enquete-Kommission rade geäußert habe, wird durch Ihren Antragstext er- „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" beantra- härtet. Da sprechen Sie von „ernsthaften Anhalts- gen — : Es werden nicht die FCKWs, sondern auch punkten" dafür, daß Treibhauseffekt und Ozonabbau andere Spurengase für den Abbau der Ozonschicht auf menschliche Einflüsse zurückzuführen seien. Da verantwortlich gemacht. Um welche Stoffe es sich ist die Rede davon, daß Spurengase, wie die Fluor- handelt und wie diese mit den FCKWs zusammenwir- chlorkohlenwasserstoffe oder das Kohlendioxid, eine ken, soll ebenfalls durch die Enquete-Kommission ge- Veränderung des Klimas bewirken „könnten", aber klärt werden. Wir wissen einfach zu wenig. Entschei- diese „nur ungenau abschätzbar" seien. Sie verlan- dungen, wie wir sie treffen müssen, mit ihren Auswir- gen „realistische Bewertungen", „hinreichende Mo- kungen vor allem auch auf die Energiepolitik, sollte dellierungen" der Klimavorgänge, „genaue Abschät- man nicht ohne ausreichende Überprüfung treffen. zungen". Die Folgen einer Klimaveränderung bedürf- Ich hoffe nur, daß die Enquete-Kommission diese ten — ich zitiere noch einmal — „im Detail noch der Grundlagen für unsere Entscheidung erbringt und eingehenden wissenschaftlichen Abklärung". Dann Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1769

Wetzel sagen Sie: Nach Einschätzung „der " Wissenschaftler Wetzel (GRÜNE): Herr Schmidbauer, ich komme — das sagt Ihr Antrag — — sogleich auf diesen Widerspruch zu sprechen. (Schmidbauer [CDU/CSU]: Aber das sage (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Er spricht- doch ich nicht!) zum Antrag!) — Verzeihung, wenn Sie sich hier von diesem An- Dagegen sagen wir GRÜNEN: Politische Sofort- tragstext distanzieren wollen, dann ist das Ihre Sache, maßnahmen zum Klimaschutz sind überall dort erfor- Herr Schmidbauer. derlich, wo sie sich plausibel aus dem gegebenen (Seiters [CDU/CSU]: Das hat er nicht getan! Kenntnisstand herleiten lassen. Die stattfindende Zer- — Schmidbauer [CDU/CSU]: Ich meinte nur störung der Erdatmosphäre belegt wie kaum eine an- meine Rede vorher!) dere Erscheinung, daß sich Politik unter den katego- rischen Imperativ eines global beg riffenen Umwelt- — Ich nehme Sie heraus, Herr Schmidbauer, und spre- schutzes stellen muß: Ergreife als Regierung frühzei- che von den mir nicht bekannten Autorinnen und tig alle demokratisch legitimierbaren Maßnahmen, Autoren. die dazu beitragen können, die Lebensbedingungen Dieser Antragstext formuliert dann, nach Einschät- der Gattung zu sichern! Das ist der neue durch unsere zung „d e r " Wissenschaftler existiere noch ein „wei- Produktionsweise uns aufgenötigte kategorische Im- ter Bereich von Unsicherheit und Unwissenheit" . perativ des Umweltschutzes. Ja, meine Damen und Herren, wie genau muß es (Beifall bei den GRÜNEN) denn für Sie eigentlich sein, damit Sie anfangen, poli- Meine Damen und Herren, ich war doch — und jetzt tisch zu handeln? Wer sind eigentlich die von Ihnen komme ich auf Ihre Bemerkungen zu sprechen — erwähnten Wissenschaftler? Kennen Sie nicht die wis- recht verwundert, als ich dann die Schlußpassage Ih- senschaftliche Literatur und die inte ational vorherr- rn res Antrags las, denn sie steht im krassen Widerspruch schende Lehrmeinung, die von stark begründbaren zu seinem wesentlichen Inhalt. Mir scheint, daß Sie Zusammenhängen zwischen den von uns erzeugten gegenüber Kritikern aus der eigenen Klientel einen Ozonloch sowie dem Spurengasen und dem Treib- Schluß brauchten, der so etwas wie politische H and- spricht? Und wie detailliert müssen denn hauseffekt lungsbereitschaft signalisieren sollte. Plötzlich heißt Ihrer Meinung nach die Folgen einer von unserer Pro- es da — ich zitiere wörtlich — , daß es duktionsweise verursachten Klimaveränderung ab- schätzbar sein, damit Sie globale Gefahren begreifen, in einigen Jahrzehnten, wenn die Wissenschaft die zum politischen Handeln nötigen? sicherere Erkenntnisse hat, zu spät sein könnte, um noch korrigierend in die durch menschliche Meine Damen und Herren von der Koalition, ich Aktivitäten bedingte Entwicklung einzugreifen. halte es für ein politisch interessie rtes Mißverständnis, wenn Sie diese von Ihnen beantragte Enquete-Kom- Na bravo, kann ich da nur sagen. Und auch den mission zu einer klimatologischen Forschungsanstalt Schlußsatz können wir völlig unterschreiben. Sie sa- machen wollen, gen: (Dr. Laufs [CDU/CSU]: Wer will denn die Unsere Pflicht ist es, jetzt alles zu unternehmen, ses?) um Gefährdungen der natürlichen Lebensgrund- wenn Sie mit politischen Entscheidungen zum Schutz lagen zu verhindern. des Klimas so lange warten wollen, bis Kausalzusam- (Zuruf des Abg. Dr. Laufs [CDU/CSU]) menhänge — das ist Ihr entscheidender Punkt — hin- Nun, dabei wollen wir Ihnen behilflich sein. Sie reichend erforscht und bef riedigend quantifiziert haben vor sich als Antrag ein Klimaschutzprogramm sind. der GRÜNEN liegen, das sich sehr präzise dazu äu- (Dr. Laufs [CDU/CSU]: Sie wollen also ohne ßert, was alles zu unternehmen ist, um weitere Ge- jede Kenntnis von Kausalzusammenhängen fährdungen zu verhindern. etwas tun?) Mit Unterstützung zahlreicher Sachverständiger Durch Ihren ganzen Antrag zieht sich die Vorstel- haben wir uns darin bemüht, den Erkenntnisstand zur lung, man müsse dieses komplexe Klimageschehen in Klimaproblematik zusammenzufassen und daraus po- seinen Kausalzusammenhängen erst hinreichend er- litische Maßnahmen abzuleiten. Im Mittelpunkt ste- forscht und quantifiziert haben, um wirklich auf brei- hen die Fluorchlorkohlenwasserstoffemissionen und ter Front politisch handeln zu können. die Emissionen von Kohlendioxid und anderen wär- meisolierenden Spurengasen. Zur Verringerung der FCKW sehen wir eine breite Palette von Möglichkei- Vizepräsident Westphal: Herr Abgeordneter, ge- ten bei Erzeugern, Anwendern, Verbrauchern und in statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten der Ersatzforschung. Schmidbauer? Ein erheblicher Teil des Kohlendioxids entsteht bei der Verbrennung fossiler Energieträger für die Strom- Wetzel (GRÜNE):: Ja, bitte. und Wärmeerzeugung sowie im Autoverkehr. Zur Verringerung der Emissionen haben wir einen koordi- nierten Maßnahmenkatalog entwickelt, der vor allem Schmidbauer (CDU/CSU): Würden Sie zugeben, daß Ihre Ausführungen weit an dem vorbeigehen, was auf die Einsparung fossiler Brennstoffe und die Nut- ich vor wenigen Minuten hier im Hinblick auf den zung regenerativer Energieträger abzielt. Inhalt des Auftrages für die Enquete-Kommission auf- Schließlich machen wir eine Reihe von Vorschlä- geführt habe? gen, wie durch die Entwicklung einer ökologisch ver- 1770 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Wetzel träglichen Forst- und Landwirtschaft die Kohlen- Denn wie ist es sonst erklärbar, daß wir international dioxidemissionen weiter abgesenkt werden können. ich stelle mich hinter diese Aussage sehr nachhal- Meine Damen und Herren von den Regierungspar- tig — überhaupt keinen Vergleich mit irgendeinem teien, auch wir GRÜNEN sehen beim Klimaschutz Land auf dieser Erde zu scheuen haben, das- auf die- einen erheblichen Nachholbedarf an Forschung. Im sem Weg weiter gegangen wäre? Rahmen unseres Klimaschutzprogramms haben wir (Wetzel [GRÜNE]: Auch mit den USA?) daher noch einen zweiten Antrag formuliert, der die Aufgaben einer einzurichtenden Enquete-Kommis- — Auch mit den USA. sion festlegt. Wir halten eine Enquete-Kommission (Beifall bei Abgeordneten der der CDU/CSU dann für sinnvoll, wenn sie wirklich diejenigen Pro- und der FDP — Frau Garbe [GRÜNE]: Und bleme untersucht, deren Klärung für die längerfristige wie lang haben Sie verursacht?) Vorbereitung politischer Entscheidungen erforderlich Denn wenn Sie einmal die Frage stellen, was in der ist. An diesem Ziel orientiert sich unser Arbeitspro- Produktion von FCKW in den USA inzwischen ge- gramm für die Enquete. schehen ist, werden Sie sehen, daß eine Umschich- Meine Damen und Herren, das Ihnen vorgelegte tung stattgefunden hat und exakt das, was in den Klimaschutzprogramm der GRÜNEN koppelt syste- Anträgen hier gesagt wird, eingetreten ist: nämlich matisch Sofortmaßnahmen mit langfristigen Maßnah- daß aus dem Aerosolbereich die Produktion in die Kli- men, die durch eine Enquete vorzubereiten wären... mamittel hineingegangen und die Gesamtproduktion Bei den Anträgen haben wir uns von einem Gedanken von FCKW eben nicht rückläufig gewesen ist. Bei uns leiten lassen, dem Sie schließlich hoffentlich auch zu- geht es um die Produktionsrückläufigkeit und nicht stimmen werden: Was bereits jetzt politisch zum um eine Substitution verschiedener Verwendungs- Schutz der Erdatmosphäre zu tun ist, muß getan wer- möglichkeiten. Das sind doch keine Werbeaussagen, den. Wo noch geforscht werden muß, soll geforscht sondern nachvollziehbare, überprüfbare Aussagen. werden. Deswegen wären wir sehr dankbar, wenn wir in Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Montreal ein gutes Stück weitergekommen wären. (Beifall bei den GRÜNEN) Dennoch gratuliere ich auch von dieser Stelle aus dem Generaldirektor der UNEP, Herrn Tolba, dafür, daß er Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Bundes- das international überhaupt so weit gebracht hat, minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- heit. (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Dessen Aussa gen zum Fluorchlorkohlenwasserstoff sollten Dr. Töpfer, Bundesminister für Umwelt, Natur- Sie mal sehen! — Zuruf von der SPD: Fluor schutz und Reaktorsicherheit: Herr Präsident! Meine chlorkohlenwasserstoffverbot für Spraydo sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich sen! — Wetzel [GRÜNE]: Da stehen Ihnen feststellen, daß die Bundesregierung die Einsetzung die Haare zu Berge!) dieser Enquete - Kommission sehr nachhaltig begrüßt. — entschuldigen Sie bitte: daß er die internationalen Wir sehen dann keineswegs den Versuch, ein Alibi für Abkommen, die unter seiner Ägide laufen — denn sie aktuelles Nichthandeln zu bewirken, sondern ganz im laufen unter der Ägide der UNEP — , so weit gebracht Gegenteil das Bemühen, die bestehenden Fragen auf- hat, daß er sie interna tional wenigstens so weit zum zugreifen und mit möglichst viel wissenschaftlichem Abschluß hat bringen können. Man kann ihm dazu Sachverstand zu beantworten und damit eine dop- gratulieren — ich sage das nochmal. Und gehen Sie pelte Wirkung zu erzielen: zum einen eine weitere einmal davon aus, daß ich mit Herrn Tolba persönlich Bewußtseinsbildung, und zwar vor allem eine interna- diese Frage erörtert habe und daß wir ihn in wenigen tionale Bewußtseinsbildung zu unterstützen. Denn so Tagen bei uns in der Bundesrepublik haben werden. kann es ja doch wohl nicht sein, daß alles schon aus- Ich lade Sie gern ein, mit ihm diese Dinge hier bei uns geforscht und diskutiert wäre. Dann könnte ich näm- zu diskutieren. Er wird uns hier besuchen. lich überhaupt nicht verstehen, warum gerade aktuell (Zuruf von den GRÜNEN: Das wäre gut!) in dieser Woche alle Kulturnationen in Montreal bei- sammen sind und warum das, was Sie alle als völlig Dies ist die eine Seite: der internationale Überzeu- unzureichend ansehen, offenbar nur mit größter gungsprozeß muß weiterget rieben werden. Ich würde Schwierigkeit überhaupt verabschiedet werden es ja begrüßen, wenn wenigstens das, was in Montreal kann. jetzt unterschrieben worden ist, (Zuruf des Abg. Schäfer [Offenburg] [SPD]) (Zuruf der Abg. Frau Blunck [SPD]) Wäre es alles so naheliegend und einfach, wie hier von allen bedeutsamen Staaten unterschrieben soeben gesagt wurde, wieso können denn dann solche würde. Bis zum Augenblick hat zum Beispiel die Einsichten in Nationen wie Großbritannien und UdSSR noch nichts unterschrieben, obwohl in diesen Frankreich, der UdSSR und den USA nicht zu einem Vertrag eine besondere Öffnungsklausel für die gleichen Handeln, wie wir es vorhaben und vorge- UdSSR geschrieben wird, nämlich daß sie ihren Pro- nommen haben, führen? Kopf-Verbrauch von Fluorchlorkohlenwasserstoff auf (Zurufe von der SPD und den GRÜNEN) 0,5 kg erhöhen kann — das wäre eine weitere Steige- — Ich kann mir vorstellen, daß es Ihnen wehtut, wenn rung. Wir wären dankbar, wenn alle wenigstens das, ich darauf hinweise. Aber es ist nun einmal leider was wir in Montreal als unzureichend ansehen, mit- so. machen würden. Das ist der Punkt. (Zuruf des Abg. Schäfer [Offenburg] [SPD]) (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Deutscher Bundestag — 1 1. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1771

Bundesminister Dr. Töpfer Deswegen können wir doch nicht hierher kommen genutzt werden muß — jeder! Und deswegen machen und die Meinung äußern, dies alles sei noch nicht der wir Luftreinhaltung, um Schwefeldioxid und Stick- Punkt. Dies sind Fakten. Dies sind keine Meinungen, oxide bei der Kohleverbrennung in den Griff zu be- sondern Fakten. kommen. Deswegen unternehmen wir gleichzeitig,- Der zweite Punkt ist, daß wir nachhaltig bereits in parallel dazu alle Anstrengungen, um die Kernener- unserer eigenen Verantwortung gehandelt haben. gie sicher und vertretbar nutzen zu können. Wir ha- ben das heute morgen ja breit diskutiert. Dies ist keine Aufrechnungsfrage. Aber genauso richtig ist es — das Vizepräsident Westphal: Gestatten Sie eine Zwi- schenfrage des Abgeordneten Wetzel? können Sie vom Sachverständigenrat für Umweltfra- gen angefangen bis hin zu einem Zitat, das ich Ihnen gleich vortragen werde, verfolgen — , daß es eben je- Bundesminister für Umwelt, Natur- Dr. Töpfer, weils verbleibende Umweltbeeinträchtigungen der schutz und Reaktorsicherheit: Aber selbstverständ- einzelnen Energieträger gibt. lich, gern. (Frau Garbe [GRÜNE]: Das wissen wir Vizepräsident Westphal: Bitte schön. doch!) Und die zurückbleibende Umweltbeeinträchtigung Wetzel (GRÜNE): Herr Minister, würden Sie mir nach der Nutzung von fossilen Energieträgern ist zustimmen, wenn diese von Ihnen korrekt geschilder- eben CO2. ten Phänomene im internationalen Bereich, insbeson- (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Deswegen Ener dere die Sowjetunion betreffend, für die ich die Anga- gieeinsparmaßnahmen, Energiesparpolitik! ben berstätigen kann, nicht auf einen ungeklärten — Weitere Zurufe von der SPD) oder nicht hinreichend weit fortgeschrittenen For- schungsprozeß in diesen Fragen, sondern auf andere — Augenblick! — Faktoren zurückzuführen sind; und welche sind es Keine nach Ihrer Ansicht? — ich zitiere — Dr. Töpfer, Bundesminister für Umwelt, Natur- der beiden großen Energiequellen ist also ohne schutz und Reaktorsicherheit: Also, zunächst einmal Risiko: weder die Kernkraft noch das Verbrennen wollte ich doch nur den Beleg dafür bringen, daß die von Kohlenwasserstoff. Kein Wissenschaftler Wertung dieses Zusammenhangs international offen- kann uns im Augenblick wirklich sagen, welches bar sehr viel anders und sehr differenziert vorgenom- Risiko am größten sei. men wird So Altbundeskanzler am 1. Juli letz- (Dr. Laufs [CDU/CSU]: So ist das!) ten Jahres in der Marktkirche von Hannover. Soll ich's und daß es deswegen sinnvoll und richtig ist, daß die Ihnen weiter zitieren? Koalitionsfraktionen hier die Einsetzung einer En- (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Wir kennen die quete-Kommission beantragt haben. Das wollte ich Rede!) damit begründet haben: daß hier nicht eine Alibiver- anstaltung vorbereitet wird, um der Bundesregierung Er geht genau davon aus, daß jeweils der Umweltwir- Handeln zu ersparen. Das war der Vorwurf und gegen kung des einzelnen Energieträgers Rechnung zu tra- diesen Vorwurf habe ich die Bundesregierung hier gen ist, aber daß sie eben besteht. Und wenn Sie hier- nachhaltig in Schutz zu nehmen, weil es den Tatsa- hin kommen und sagen, wir müssen einsparen, um chen überhaupt nicht entspricht. Das ist der Punkt. den Entwicklungsländern Beispiele für Einsparungen zu geben, dann zitiere ich ihn noch einmal, den Alt- (Zuruf der Abg. Frau Dr. Hartenstein [SPD]) bundeskanzler. Er hat gesagt: Ich möchte dasselbe hinsichtlich der Entwicklungs- Eine — wenn nicht die gefährlichste — Seite des länder, Frau Hartenstein, aufgreifen. Auch in diesem Abkommen von Montreal — man muß das ja einmal Problems vieler Entwicklungsländer ist die Ex- lesen — steht, daß der Pro-Kopf-Verbrauch von Fluor- plosion der Zahl ihrer Bevölkerung. chlorkohlenwasserstoffen in den Entwicklungslän- Und er kommt zu dem Ergebnis: in 100 Jahren eine dern auf 0,3 Kilogramm gesteigert werden kann. Und Vervierfachung. Ja, meine Damen und Herren, wie da sagen Sie: Das ist eine Katastrophe, daß wir das wollen Sie denn dieser Bevölkerungsexplosion — und nicht verhindern. Ja, entschuldigen Sie bitte: Das ist jeder Mensch hat Anspruch auf Energie — mit Ener- doch nicht eine Frage an uns, sondern das ist eine giesparen in den Entwicklungsländern begegnen? Erwartung an die Dinge, die mit Fluorchlorkohlen- (Frau Blunck [SPD]: Das ist eine billige Argu wasserstoffen dort gemacht werden können. Es ist mentation, das ist billig! — Schäfer [Offen denen doch nicht von uns aufgedrängt worden, son- burg] [SPD]: Das ist unter Ihrem Niveau! — dern von uns abverlangt worden. Die Alternative war, Wetzel [GRÜNE]: Sie wissen doch, daß das dieses Abkommen nicht zu unterschreiben. ein Popanz ist! — Zurufe von der SPD) Und wenn Sie, Frau Hartenstein, hierher kommen und sagen, es sei unerträglich, diese Abwägung von — Entschuldigen Sie bitte, das ist hier gerade so vor- Energiequellen gegeneinander vorzunehmen, dann getragen worden. muß ich doch einmal schlicht und einfach zurückfra- (Frau Blunck [SPD]: Nein, das ist es nicht! — gen: Wer tut denn das? Zunächst einmal ist diese Bun- Schäfer [Offenburg] [SPD]: Also, die Molke desregierung immer hingegangen und hat deutlich macht Ihnen doch zu schaffen! Das ist unter gemacht, daß jeder Energieträger umweltverträglich Ihrem Niveau!) 1772 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Bundesminister Dr. Töpfer Den Satz kann ich Ihnen hier wörtlich vortragen, der Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 5: hier gerade gesagt worden ist. Es ist hier wörtlich Beratung des Antrags der Fraktion der SPD gesagt worden: Wir müssen bei uns sparen als Bei- spiel für Entwicklungsländer, damit auch die sparen. Einsetzung einer Enquete-Kommission- „Zu- Ich kann das jederzeit gern wieder belegen. künftige Bildungspolitik — Bildung 2000" (Dr. Laufs [CDU/CSU]: Das ist die Flucht der — Drucksache 11/711 — Opposition aus der Wirklichkeit! — Wider Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: spruch bei der SPD) Ausschuß für Bildung und Wissenschaft (federführend) Rechtsausschuß Es ist also, meine Damen und Herren, wichtig, sehr Ausschuß für Wirtschaft wichtig, über Energieeinsparen zu diskutieren. Das Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung haben wir vor wenigen Tagen an diesem Pult ja schon Ausschuß für Jugend, Fami lie, Frauen und Gesundheit einmal getan. Ausschuß für Forschung und Technologie (Zuruf von den GRÜNEN: Handeln!) und den Zusatztagesordnungspunkt 3: Der Hinweis darauf, daß der Primärenergieverbrauch Beratung des Antrags der Abgeordneten Hille- in der Bundesrepublik Deutschland seit 1974 nicht rich und der Fraktion DIE GRÜNEN mehr angestiegen ist, ist der zentrale Beleg dafür, daß Einsetzung einer Enquete-Kommission hier gespart wird, und zwar durch marktwirtschaftli- che Mittel, weil die Preise im Energiebereich damals — Drucksache 11/801 so angestiegen waren. —Überweisungsvorschlag : Ausschuß für Bildung und Wissenschaft (federführend) (Abg. Wetzel [GRÜNE] und Abg. Frau Rechtsausschuß Dr. Hartenstein [SPD] melden sich zu einer Ausschuß für Wirtschaft Zwischenfrage) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Vizepräsident Westphal: Herr Minister, gestatten Ausschuß für Forschung und Technologie Sie noch Zwischenfragen? auf.

Dr. Töpfer, Bundesminister für Umwelt, Natur- Meine Damen und Herren, interfraktionell ist für schutz und Reaktorsicherheit: Ich habe leider Gottes die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungs- keine Zeit mehr, sonst sehr gerne. punkte eine Stunde vorgesehen. — Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist das so beschlossen. (Wetzel [GRÜNE]: Es wird auf die Zeit nicht angerechnet! — Weitere Zurufe von den Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abge- GRÜNEN) ordnete Kuhlwein.

Vizepräsident Westphal: Das sagen Sie so einfach! Die Kollegen müssen irgendwann auch eine Mittags- Kuhlwein (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehr- pause haben. Ich denke da an unsere Mitarbeiter, ten Damen und Herren! Die SPD-Fraktion schlägt nicht so sehr an uns. heute dem Deutschen Bundestag die Einsetzung einer Enquete-Kommission „Zukünftige Bildungspolitik — Dr. Töpfer: Bundesminister für Umwelt, Natur- Bildung 2000" vor. Wir wollen in dieser Kommission schutz und Reaktorsicherheit: Es tut mir herzlich leid, die langfristig wirksamen gesellschaftlichen Faktoren aber wir haben Gelegenheit, das im Ausschuß weiter untersuchen, denen eine vorausschauende Bildungs- zu erörtern. Wir werden es do rt sehr gerne tun. politik und alle im Bildungswesen Tätigen Rechnung (Sehr richtig! bei der CDU/CSU) tragen müssen. Wir wollen klären, welche Verände- Ich halte abschließend fest: Diese Enquete-Kom- rungen in Bildungspolitik und Bildungspraxis not- mission ist notwendig. Sie ist notwendig, um interna- wendig sind, damit sich junge wie erwachsene Men- tional die Willensbildung weiterzutreiben. Sie ist not- schen durch eine zukunftsträchtige Erstausbildung wendig, um zu belegen, wo die besten Ansatzpunkte und Weiterbildung auf neue Herausforderungen in zum weiteren Handeln sind. Sie ist nicht notwendig Beruf, Familie und Gesellschaft vorbereiten können. als Alibi für eigenes Handeln, denn die Bundesregie- Das ist mit Sicherheit ein ehrgeiziges Unterfangen, rung hat beispielgebend weltweit auf diesem Gebiet weil es einen ganzen Querschnittsbereich der Gesell- gehandelt. Die Fluorkohlenwasserstoffe sind ein Be- schaftspolitik auf den Prüfstand stellen, zukünftige leg dafür. Entwicklungen in vielen gesellschaftlichen Feldern Recht herzlichen Dank. prognostizieren und Vorschläge für Veränderungen von Strukturen, Inhalten und Finanzierungssystemen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) im Bildungsbereich machen soll. Das wird nicht ein- Vizepräsident Westphal: Meine Damen und Herren, fach sein. Aber es handelt sich um eine Aufgabe, die ich schließe die Aussprache. Es ist interfraktionell vor- — wenn überhaupt — nur in der Form einer Enquete- geschlagen worden, die Anträge auf Einsetzung von Kommission und nur vom Deutschen Bundestag gelei- Enquete-Kommissionen sowie die weiteren Anträge stet werden kann. an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse Die Enquete-Kommission kann dabei an gute Tra- zu überweisen. Weiterhin soll der Antrag zum Tages- ditionen der bundesdeutschen Bildungsgeschichte ordnungspunkt 4 b zusätzlich zur Mitberatung an den anknüpfen, etwa an den Deutschen Bildungsrat, der Haushaltsausschuß überwiesen werden. Sind Sie da- 1965 zu Beginn der Bildungsexpansion zur Entwick- mit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. lung von Reformkonzepten gegründet wurde oder an Dann ist die Überweisung so beschlossen. den Bildungsbericht '70 der sozialliberalen Bundesre- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1773

Kuhlwein gierung, in dem die Bildungspolitik an die Spitze der zwischen den Beteiligten im Bildungswesen humani- inneren Reformen gestellt wurde oder an den Bil- sieren wollte. Diese Grundsätze, meine Damen und dungsgesamtplan von 1973 und an den Entwurf seiner Herren, haben auch heute noch Gültigkeit, und sie Fortschreibung vom Dezember 1980. Immer handelte sollten die Meßlatte darstellen, wenn wir das Erreichte es sich um Versuche, im Dialog von Wissenschaft und bewerten und Neues vorschlagen wollen. Politik bildungspolitische Antworten auf gesellschaft- Unbestritten dürfte dabei sein, daß die Bildungsex- liche Defizite und neue Herausforderungen zu fin- pansion als Ursache und Ergebnis der Reformphase den. eine erhebliche Veränderung der Bildungslandschaft Den Bildungsrat gibt es nicht mehr, die Bund-Län- bewirkt hat. Die Bildungsbeteiligung wuchs, wissen- der-Kommission für Bildungsplanung und For- schaftlich fundierte Inhalte verdrängten sogenannte schungsförderung darf keinen Bildungsgesamtplan volkstümliche Bildung, Unterricht und Strukturen mehr aufstellen, die Kultusministerkonferenz ver- wurden demokratischer, die Berufsausbildung wurde sucht, die tagespolitischen Konflikte zu bewältigen. stärker am Qualifikationsinteresse der Arbeitnehmer Aber auch wenn die beiden letztgenannten Gremien orientiert, die Hochschulen wurden ausgebaut und die Kraft fänden, eine gemeinsame Zukunftsperspek- demokratischer gestaltet. tive zu entwickeln, könnten sie die vom Parlament Aber manche der Ergebnisse werden heute ja nach verantwortete breit angelegte Volksdiskussion über politischem Standpunkt unterschiedlich bewe rtet. Ziele, Inhalte und Strukturen des Bildungssystems Kritik gibt es dabei von allen Seiten. Auf der Linken nicht ersetzen. Die Grundsätze künftiger Bildungs- macht sich Enttäuschung über die Stagnation und politik dürfen nicht nur in Beamtenpapieren hin- und über fehlende Auswirkungen der Reform auf andere hergeschoben werden, sie müssen Thema der höch- gesellschaftliche Bereiche breit. Auf der Rechten — sten deutschen Volksvertretung werden. oder, wenn Sie so wollen, in der Mitte zwischen Union (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten und FDP — sind häufiger Klagen über ein Zuviel an der GRÜNEN) Expansion und Reformen zu hören. In beiden Lagern Dabei verkenne ich nicht, daß wir uns an der — wenn man diesen Beg riff nach Ihrer Diskussion Schnittstelle mit originären Zuständigkeiten der Län- noch verwenden darf — macht sich jedoch auch Unsi- der bewegen. Ich will deshalb diejenigen beruhigen, cherheit breit, wie es denn weitergehen soll. Das ist die in einer solchen Enquete-Kommission einen An- angesichts der neuen technischen, ökologischen und schlag auf den Kulturföderalismus sehen. Wir halten sozialen Herausforderungen kein Wunder. Ich nenne sehr viel vom kooperativen Föderalismus in der Bil- dazu als Stichworte nur die ökologische Krise, die dungspolitik, so viel sogar, daß wir manchmal den technologischen Umwälzungen der Industriegesell- Druck nicht verstehen, mit dem eine Mehrheit in der schaft, die zunehmenden internationalen Verflech- Kultusministerkonferenz, voller Mißtrauen gegen- tungen, den Wertewandel, wie er sich beispielsweise über den bildungspolitischen Umtrieben der anderen im veränderten Sinnverständnis der Arbeit und der Seite, einer Minderheit ihr eigenes System aufzwin- Forderung nach mehr Selbstbestimmung in allen Le- gen will. bensbereichen zeigt, und in diesem Zusammenhang (Beifall bei der SPD) nicht zuletzt auch das gewachsene Selbstbewußtsein der Frauen, die sich mit der tradierten Rolle in Bil- Wir wollen den Länderinteressen durch ihre Einbe- dung, Beschäftigung und Gesellschaft nicht mehr ab- ziehung in die Arbeit der Kommission Rechnung tra- finden. gen. Aber ich stimme ausnahmsweise einmal mit der derzeitigen Bundesregierung überein, wenn sie 1984 Die Gesellschaft reagiert auf diese Herausforderun- in ihrem Bericht „Zur Sicherung der Zukunftschancen gen höchst widersprüchlich, und ebenso widersprüch- der Jugend in Ausbildung und Beruf" schreibt, in der lich ist häufig die Antwort der Bildungspolitik. Ich föderalistischen Ordnung des Grundgesetzes bleibe möchte dafür einige Beispiele nennen: die Wahrung und die Förderung eines Mindestmaßes Erstens. Das Angebot an Ausbildungsplätzen an Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Interesse stimmt immer weniger mit der Struktur des Arbeits- der Freizügigkeit, der Sicherung der Chancengerech- marktes überein. Hunderttausende von jungen Men- tigkeit — ich würde lieber Chancengleichheit sagen schen können mit dem in der Berufsausbildung Er- — im Bildungswesen und der Mobilität, insbesondere lernten wenig oder gar nichts anfangen. im Beschäftigungssystem, eine ständig neu zu lösende (Zustimmung bei der SPD) Aufgabe. Ich hätte dem zwar noch einige Argumente mehr hinzuzufügen, aber entscheidend scheint mir zu Die einen fordern als Konsequenz eine stärkere Ver- sein, daß nur auf Bundesebene die Verzahnung der koppelung von Ausbildung und Arbeitsmarkt, die an- Bildungspolitik mit wichtigen anderen Politikberei- deren sehen die Lösung eher in einer stärkeren Ent- chen wie Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-, Sozialmarkt-, koppelung, um auf der Grundlage einer breiteren All- Sozial-, Familien- und Technologiepolitik erfolgen gemeinbildung besser auf Veränderungen in den Be- kann. rufen und am Arbeitsmarkt reagieren zu können. Die Enquete-Kommission wird zunächst Bilanz zie- Zweitens. Die Unsicherheit ist nicht nur in der Kul- hen müssen, nämlich die Bilanz einer Reformphase tusministerkonferenz groß, was denn unter veränder- der Bildungspolitik, die in den 60er Jahren begann ten gesellschaftlichen und technologischen Bedin- und bis in die Mitte der 70er Jahre reichte und die — gungen als notwendige Allgemeinbildung für alle damals von allen Bundestagsparteien mehr oder we- Menschen verstanden werden soll. Die Frage wird, niger getragen — Ungleichheiten abbauen, die Bil- wie Andreas Flitner in diesen Tagen nachgewiesen dungsinhalte reformieren, ein Mehr an Mitwirkung hat, noch schwieriger, wenn bestimmt werden soll, und Mitbestimmung durchsetzen und den Umgang welche Allgemeinbildung gleichzeitig auch Studier- 1774 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Kuhlwein fähigkeit bedeuten soll. Reicht der Fächerkanon des Siebtens. Übereinstimmung besteht inzwischen da- 19. Jahrhunderts, um die Wirklichkeit des bevorste- hin gehend, daß nun auch junge Frauen das Recht auf henden 21. Jahrhunderts zu begreifen, oder muß der eine ordentliche Ausbildung haben. Wir hören das ja traditionelle Fächerkanon um all jene gut begründe- von allen Seiten, auch von der Regierungsbank.- ten neuen Fächer erweitert werden, die sich die Ar- beitgeberverbände vorstellen? Oder etwas flapsiger: (Zuruf von den GRÜNEN: Frauen insge Kann einem Bundesbildungsminister einfach die All- samt!) gemeinbildung abgesprochen werden, weil er in ei- nem Rundfunktinterview den Autor von „Immensee" Dieses Recht ist noch längst nicht überall eingelöst. nicht nennen kann? Darf man es sich so einfach ma- Wie wollen wir eigentlich damit umgehen, daß gut chen, daß man Allgemeinbildung als klassische Bil- ausgebildete Frauen, die verstärkt auf den Arbeits- dung plus Informatik definiert? markt drängen, do rt erheblich schlechtere Chancen haben? Wie wird sich diese Erfahrung auf die nächste Drittens. Alle Seiten fordern mehr Allgemeinbil- Frauengeneration auswirken, die ja dann von Frauen dung, und dennoch werden junge Menschen oft schon erzogen wird, die in beträcht lichem Umfang mit dem, mit 15 oder 16 Jahren mit ihrem Anspruch auf Allge- was sie vorher zusätzlich gelernt haben, auf einem meinbildung alleingelassen, weil ein einziger Berufs- Arbeitsmarkt, der sie nicht haben will, gescheitert schultag pro Woche diesem Anspruch nicht gerecht sind? wird. Achtens. Die individuelle Ausbildungsförderung (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten erreicht heute nur noch eine Minderheit junger Men- der GRÜNEN) schen, obwohl wir uns doch alle darüber einig sind, daß es nicht nur aus Gründen der Chancengleichheit, Der Bundesbildungsminister hat dann ja auch noch sondern auch aus Gründen der wirtschaftlichen Ent- vorgeschlagen, Religion und Spo rt aus dem Berufs- wicklung und des Überlebens der Bundesrepublik er- schullehrplan zu streichen. Ist die frühzeitige berufli- forderlich ist, mehr junge Menschen besser und che Orientierung an Hauptschulen oder an Realschu- gründlicher auszubilden. Soll das Recht auf Ausbil- len eher ein Verlust oder eher ein Zuwachs an Allge- dung weiter in die Privatsphäre gedrängt werden, also meinbildung? Und warum wird dann diese Form der sozusagen privatisiert werden, oder wäre es nicht ge- Allgemeinbildung den Gymnasiasten auch in der rade geboten, die Lasten dafür von der ganzen Gesell- Oberstufe weitgehend vorenthalten? schaft tragen zu lassen, und zwar aus wirtschaftspoli- tischen, familienpolitischen und gesellschaftspoliti- Viertens. Die Ausbildungszeiten haben sich aufal- schen Überlegungen? len Stufen des Bildungswesens verlängert, und den- noch wird heute die Forderung nach lebenslangem (Beifall bei der SPD) Lernen häufiger denn je erhoben und die entspre- chende Notwendigkeit häufiger denn je betont. Ist es Neuntens. Dem offiziellen Anspruch, gerade die vernünftig, die Erstausbildung immer weiter zu ver- rohstoffarme Bundesrepublik müsse in „Humankapi- längern — ich sage das bewußt vor allem in Richtung tal" investieren, steht eine restriktive Finanzpolitk auf das Studium — , wenn gleichzei tig einmal erwor- gegenüber, die sich auf Schule, Berufsbildung und benes Wissen einem immer schnelleren Verfallspro- Hochschule schon in den 90er Jahren verhängnisvoll zeß unterliegt? Kann die Konsequenz sein, Erfahrun- auswirken kann. Können wir es uns eigentlich leisten, gen mit der Arbeitswelt auch für angehende Akade- daß die Lehrerkollegien an den Schulen wegen des miker in eine frühere Phase zu verlegen, und welche Einstellungsstopps überaltern, und wollen wir eine organisatorischen Möglichkeiten sind dafür denkbar? ganze Generation von Nachwuchswissenschaftlern Muß nicht Studium stärker als bisher auch Weiterbil- aus den Hochschulen auswandern lassen, um nur dungsphasen nach einem ersten Abschluß mit einbe- zwei der dramatischsten Beispiele zu nennen, die ziehen, oder wie weit muß oder darf die Spezialisie- deutlich machen, wie weit das Bildungswesen heute rung in der Erstausbildung gehen? finanziell in den Hintergrund gedrängt worden ist? Zehntens. Die Erkenntnis setzt sich durch, daß wir Fünftens. Wie kann bei zunehmender Freizeit — auf einem immer enger werdenden Planeten nur im und sie wird zunehmen — verhindert werden, daß sich Miteinander überleben werden; in der Runde über die die Menschen in die passive Rolle von Nur-Konsu- andere Enquete-Kommission, die eben stattgefunden menten drängen lassen? Welche Bedeutung kommt hat, haben wir ja einiges darüber gehört. Gleichzeitig dafür dem sozialen Lernen und der musisch-kreativen wird in unserem Bildungssystem das Lernziel Solida- Bildung zu, wie kann wachsende Freizeit für mehr rität immer noch und immer wieder durch Ellenbo- Entfaltung der Persönlichkeit in Familie und Beruf, in genmentalität und Verdrängungswettbewerb gefähr- kulturellem Leben und Gesellschaft genutzt wer- det. den? (Frau Blunck [SPD]: Richtig! Leider wahr!) Sechstens. Wie erziehen wir eigentlich junge Men- schen zum sozialen Verhalten und zur Kommunika- Um es in diesem Zusammenhang auch einmal deut- tion mit anderen, wenn wir sie zu immer mehr tech- lich zu sagen: Bo ris Becker ist für uns nicht das geeig- nischer Kommunikation mit einem Leben aus zweiter nete Vorbild für unsere Jugend. Hand verführen? Lassen sich Kreativität und Selb- (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) ständigkeit entfalten, wenn Kinder fast nur noch mit elektronischem Spielzeug — so muß man schon sagen Ich hoffe, auch Sie auf der Rechten werden das nicht — operieren? bestreiten, denn man kann ja kaum sagen, daß je- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1775

Kuhlwein mand ein Vorbild ist, der mit seinen Steuern nach bedeutender, als die Zahl der Kollegen, die heute hier Monaco ausweicht. sind, das vermuten läßt. - (Seiters [CDU/CSU]: Und was ist mit Steffi (Zuruf von der SPD: Kolleginnen!) Graf? — Wetzel [GRÜNE]: Aber seine Vor — Kolleginnen und Kollegen, natürlich. hand ist gut!) — Die Vorhand alleine macht noch kein Vorbild. Wir müssen uns nur fragen, Herr Kuhlwein, ob der Weg, den Sie gewählt haben, ein richtiger ist und ob (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) das vor allen Dingen auch einer ist, der Erfolg ver- Elftens. Viele sprechen heute davon, daß wir ein spricht. neues Verhältnis zur Natur lernen müssen, wenn wir Sie haben einen Artikel zu diesem Thema über- und unsere Kinder weiter existieren wollen. Unser Bil- schrieben: „Auf der Suche nach einem neuen Kon- dungssystem hat aber bisher kaum den Versuch ge- sens" . Das war übrigens peinlicherweise gerade in macht, zu einer neuen Moral gegen die schrankenlose der Woche, als sich die Kultusminister in Mainz trafen, Ausplünderung der Natur und anderer Völker zu er- um einen letzten Versuch zu machen, in der Frage der ziehen. differenzierten Oberstufe einen neuen Konsens zu fin- (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) den, als sie alle sagten: „Den finden wir auch" und als Die Reihe der Widersprüche und offenen Fragen ein Senator aus Ihrer Partei diesen Konsens in letzter ließe sich noch lange fortsetzen, aber ich glaube, daß Minute noch einmal aufgekündigt hat. an diesen Fragen deutlich wird, wie notwendig es ist, (Beifall bei den GRÜNEN) einen neuen bildungspolitischen Konsens zu suchen. Nur dann wird es, wie in den späten 60er und frühen Ich sage das nur deshalb, weil das ein Beispiel für 70er Jahren möglich sein, in der Bildungspolitik einen die Schwierigkeiten ist, denen wir uns gegenüberge- größeren Schritt nach vorn zu machen. Dabei bin ich stellt sehen. mir im klaren darüber, daß diese Konsensfindung Ich wollte Sie fragen, ob Sie sich nicht eigentlich zu nicht ganz einfach sein wird, weil es manchmal auch viel vornehmen, oder wir uns a lle, wenn wir die Korn- ideologisch sehr verhärtete Posi tionen in den ver- mission gründen, nicht zu viel vornehmen, nämlich da schiedenen Lagern, sage ich noch einmal mit a ller einen Konsens zu finden, wo es ihn in manchen Fra- Vorsicht, gibt. Aber ich glaube, daß sich dieser Ver- gen scheinbar oder tatsächlich nicht gibt. such immer lohnt. Wir haben deshalb das Verfahren Die Kritik an dem Antrag hat also zunächst zwei gewählt, unseren Einsetzungsantrag vor der endgülti- Seiten. Ich möchte eine inhaltliche und eine formale gen Einsetzung der Kommission in den Ausschüssen Kritik vortragen, die formale zuerst. Sie gehen in Ih- zu beraten. Ich stelle zu meinem Vergnügen fest, daß rem Antrag sehr weit, was die Gesetzgebungskompe- die Fraktion DIE GRÜNEN mit einem eigenen Antrag tenz des Bundes und der Länder in diesem Bereich bereits die ersten Schularbeiten gemacht hat. angeht. Nach dem Selbstverständnis des Bundestages (Frau Hillerich [GRÜNE]: Danke schön!) gibt es für viele Fragen, die Sie anschneiden, keine Ich hoffe, daß auch die Koalitionsfraktionen in den Kompetenz des Hauses. Wir müssen uns also im Aus- nächsten Wochen konstruktiv mitarbeiten, damit wir schuß darüber verständigen, was wir tatsächlich klä- zu einem Einsetzungsantrag kommen, der von allen ren wollen, klären sollten, was wir klären dürfen und Seiten des Hauses getragen wird. wo wir möglicherweise die Schwerpunkte anders set- Herzlichen Dank. zen können. Wir haben deshalb auch vorgeschlagen, daß wir den Rechtsausschuß zusätzlich zu den ande- (Beifall bei der SPD) ren Ausschüssen, die Sie genannt hatten, um Prüfung bitten, was denn tatsächlich unser Kompetenzbereich Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abgeord- ist. Ich hoffe, daß das dann klar ist und daß wir uns nete Daweke. dann politisch darauf einigen können, die Themen zu nennen, die tatsächlich unsere Themen sind, und die sind in der Tat ausreichend. Daweke (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Damen Das Bundesverfassungsgericht hat einmal gesagt, und Herren! Ich will mich erst bei meinem Kollegen daß das Kernstück der Eigenständigkeit der Länder Kuhlwein dafür bedanken, daß er immer da, wo er die die Kulturhoheit sei. Heute ist der Tag, an dem vor politische Mitte beschrieben hat, mir nicht nur tief in 200 Jahren die amerikanische Verfassung in Kraft ge- die Augen geblickt, sondern auch noch durch Gesten treten ist, auch eine Verfassung mit mit der Hand klargemacht hat, wo er diese Mitte ver- föderalistischer Die Alternative zum starken Zentralstaat ist mutet. Ich wollte auch meinen Geschäftsführer bitten, Struktur. ja eben der Dialog und der Kompromiß zwischen den das der obersten Heeresleitung mitzuteilen. Das kann Einzelstaaten. Sie sagen, genau das wollen wir leisten, nur gut sein. wir wollen diesen Prozeß fördern. Ich denke, man (Wetzel [GRÜNE]: Auch Herr Kuhlwein muß, wenn man an den föderativen Staat glaubt, die kann sich irren!) Länder in ihrer Bedeutung mit einbeziehen. Wollen — Gut, aber in diesem Falle hat er recht. Das wollte ich Sie das auch? Sie sagen beispielsweise in Ziffer I.3 nur festhalten. Ihres Antrags: Meine Damen und Herren, ich will zunächst für die In Wahrnehmung der gesamtstaatlichen Verant- Union sagen, daß wir jede Ini tiative begrüßen, die die wortung für die Entwicklung der Bundesrepublik Bildungspolitik in einen größeren Zusammenhang Deutschland soll die Kommission auch auf den stellt, der ihre Bedeutung unterstreicht. Sie ist viel Sachverstand der Länder zurückgreifen. 1776 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Daweke Ich glaube, wenn man es so sagt, dann macht man Ländern und innerhalb der Länder geben, ist immer den Ländern deutlich, daß sie sozusagen ein Anhäng- genauso groß, wie ihn die Politiker lassen. Insofern ist sel des Bundes sind. Das sind sie aber nicht; sie sind das auch eine Kritik an uns selbst: Wenn- wir mehr freie Partner. Deshalb sollten wir am besten nicht auf gestalten, wird der Spielraum für diese Gruppe — ich sie zurückgreifen, sondern sollten uns bei unseren habe das nicht als Beschimpfung aufgefaßt — bezüg- Untersuchungen auf unsere eigenen Aufgaben be- lich des Verwaltungsbereichs geringer. schränken. Der andere Vorwurf lautet, diese Gremien seien zu Das bezieht sich beispielsweise nicht — um auf den sehr von der Tagespolitik bestimmt. Was sollen wir Antrag der GRÜNEN einzugehen — auf die Schul- denn tun? Wird es gelingen — wenn das die Hoffnung angst und den Schulalltag. Wir sind nicht nur nicht wäre, müßte man sie sehr schnell zurückziehen — , die zuständig, sondern wir verheben uns auch, wenn wir neuen großen Visionen wie in den 60er Jahren zu solche Dinge mit untersuchen. beschreiben? Ich glaube nicht, daß uns das gelingen Ich finde, die Kompetenzen des Bundes sind für kann. Wir werden Vorschläge machen müssen zu ei- Untersuchungsaufträge, die wir uns selbst stellen ner Reparatur am laufenden Motor. Die Bildungspoli- können, bei weitem ausreichend. Denken Sie an die tik hört nicht auf und wartet, was hier passiert. Sie berufliche Bildung, an die Ausbildungsförderung, an stellt den Motor nicht für zwei Jahre ab und sagt die Grundsätze des Hochschulwesens, an die For- anschließend: Jetzt haben wir es aber. schungsförderung. Ich nenne auch Dinge, die Sie (Wetzel (GRÜNE]: Der Motor stottert! Er läuft nicht genannt haben, wie das Dienstrecht oder die nicht mehr!) gesamten europäischen Fragen, die aus den anderen — Es stellt sich ja gerade die Frage, wie man gestal- Ländern Europas auf uns zukommen und große Aus- tend in ein System eingreifen will, das sich mit einer wirkungen auch im gesamten Bildungswesen der Eigendynamik fortsetzt. Bundesrepublik Deutschland haben. Die finanziellen Vorgaben werden wir in der Korn- Das ist zunächst aus meiner Sicht die Kritik an dem mission auch nicht ändern können. Insofern gibt es Ansatz, den Sie wählen. Die Kritik mündet vor allen sehr große Lücken zwischen dem, was wünschens- Dingen in die Frage, wie Sie es mit der Verfassung wert ist, und dem, was machbar ist. unseres Landes halten. Ein anderer Kritikpunkt an Ihrem Antrag bezieht Zu den Inhalten möchte ich einige Bemerkungen sich auf einige Widersprüchlichkeiten. Ich nenne nur bezüglich dessen machen, was mir auf den ersten einmal folgendes. Sie sagen — das haben Sie eben Blick an Ihrem Antrag aufgefallen ist. Das eine ist, daß auch wiederholt — in einem Artikel zu der Enquete- wir aufpassen müssen, daß wir nicht die Arbeiten von Kommission, daß gerade bei der Frage Allgemeinbil- anderen Gremien, die eingesetzt sind und genau das dung und deren Stellenwert sehr häufig ideologische leisten wollen, was Sie fordern, nämlich koordinie- Diskussionen ausbrächen. Dann sagen Sie: Ziel ist rend tätig zu sein, wiederholen. Die Bund - Länder- aber, den Konsens zu finden. Und bei der Untersu- Kommission für Bildungsplanung führt beispiels- chung der Frage, ob dieser anzustrebende Konsens weise seit Jahren Untersuchungen über die Frage Bil- nicht dazu führen muß, daß man möglicherweise seine dung und Bildungssysteme sowie über die Übergänge Grundposition verändert, sagen Sie — wahrscheinlich durch. Dort kann man eine Menge Sachverstand ab- zur Beruhigung der rein SPD-regierten Länder Saar- ruf en. land und Bremen — Ich finde, Sie dürfen auch nicht den Eindruck ent- (Kuhlwein [SPD]: Wir kriegen bald wieder stehen lassen, als seien das sozusagen Gremien, die eins dazu!) ihre Arbeit nicht getan hätten. Sie können in der Kul- tusministerkonferenz alles darüber erfahren, wel- dem Beigeordneten für das Bildungswesen in Bre- chen Stellenwert die Allgemeinbildung heute hat. Der men: Paß mal auf, du brauchst dich gar nicht weiter Streit in der Kultusministerkonferenz, über den ich aufzuregen; es wird nämlich so sein, daß wir unsere berichtete, ist ja gerade ein Streit über die Frage, wel- Grundposition gleichzeitig wahren. chen Stellenwert die Allgemeinbildung hat und wie Also angestrebt ist die Überbrückung von Ideolo- man sie definiert. gie, ein neuer Konsens bei Beibehaltung der Grund- Es gibt ein Koordinierungsgremium, das bei Ihnen position. überhaupt nicht vorkommt, nämlich der Hauptaus- (Zuruf von den GRÜNEN: Nennen Sie die schuß des Bundesinstituts für Berufsbildung in Berlin. Grundposition, und sagen Sie, was Sie dage In ihm sind der Bund, die Länder, Arbeitgeber und gen haben!) Arbeitnehmer in bezug auf die Berufsbildung koordi- Ich weise nur darauf hin, daß das eine große Schwie- nierend tätig. Es handelt sich um ein sehr gut funktio- rigkeit ist, die wir sehen müssen. Ich mache Sie nur nierendes Gremium. Dort können wir sehr viele Infor- auf diesen Widerspruch aufmerksam. mationen abrufen. Ich meine, das sollte man nicht wiederholen. Ich finde auch, daß Ihre Kritik nicht angebracht ist. Vizepräsident Westphal: Herr Abgeordneter, ge- Sie erklären — das haben Sie hier eben noch einmal statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten als Verteidigung angeführt — , daß diese Gremien Kuhlwein? weitgehend von Beamten bestimmt seien. Ich will nur darauf hinweisen: Der Spielraum, den Sie den Beam- ten in dieser Grauzone zwischen dem Bund und den Daweke (CDU/CSU): Bitte sehr. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1777

Kuhlwein (SPD): Herr Kollege Daweke, haben Sie siert würden, die in der EG erhoben werden. Das sind einmal die Definition gehört, daß Ideologie falsches wichtige Themen, die ich gerne noch anfügen Bewußtsein sei? möchte. Ich darf zusammenfassen. Wir wollen in Ihrem An- Daweke (CDU/CSU): Ja, aber immer nur die Ideo- trag einiges streichen, insbesondere die Sachen, die logie des anderen. Das scheint mir die Schwierigkeit uns nichts angehen. Wir werden umformulieren, so deutlich zu machen. daß wir den Auftrag realistischerweise erfüllen kön- nen. Wir werden dort etwas ergänzen, wo wir es für Der nächste Punkt von mir wäre die Frage, ob wir nötig halten. Aber wir wissen halt, daß Sie das Recht nicht zusätzlich ein paar Themen einbringen sollten haben, eine solche Enquete-Kommission einzusetzen. — ich habe eben schon einmal kurz darauf hingewie- Deshalb werden wir auch konstruktiv in ihr mitwir- sen — , die Sie überhaupt nicht ansprechen. Ich nenne ken. nur noch einmal ein Beispiel: das gesamte Dienst- recht, etwa die Rahmenvorgaben für die Besoldung. Ich darf zum Schluß vielleicht noch kurz aus einem Man muß doch einmal feststellen — das wird man als Buch zitieren — damit Sie sehen, wie aktuell Ihr Bildungspolitiker wohl einmal sagen dürfen — , daß Thema ist — , über neue Bildungspolitik. Das war zu- z. B. so eine Einrichtung wie der BAT und freies For- fällig ein Jahr vor der Bundestagswahl, 1976, erschie- schen eigentlich nicht zusammenpassen. Das kriegt nen. Herausgeber war Bernd Vogel, mit Beiträgen von man gar nicht hin. Denken Sie an die Notwendigkeit, Kohl, Biedenkopf und anderen. hinsichtlich der Arbeitszeit flexibel zu sein. Sie kön- Bernd Vogel schreibt auf dem Cover: nen doch nicht die Labors plötzlich um 17.15 Uhr Der zunehmend enger werdende Spielraum der schließen. Oder denken Sie an die Schwierigkeiten, öffentlichen Finanzen und unüberbrückbare die Studenten heute haben — sie berichten einem Kontroversen über die Bildungsziele und Bil- auch davon — , weil Universitätsbibliotheken nach dungsinhalte, über die Zukunft der beruflichen dem öffentlichen Dienstrecht organisiert sind. Das Bildung, der Schule und Hochschulen signalisie- paßt eigentlich nicht zusammen. Wenn wir uns auf die ren eine Veränderung der Bildungslandschaft. Themen beschränken wollen, die uns angehen, dann Bildungspolitischer Fortschritt verlangt es wohl, geht uns, finde ich, das Dienstrecht sehr viel an. ein neues, überlegtes Konzept, das den Men- Ich bin daher der Meinung, daß wir das einbringen schen in den Mittelpunkt stellt, zu erarbeiten. sollten; denn das Dienstrecht und das Beamtenbesol- Ich war mir nicht ganz sicher, als ich das gestern gele- dungsrecht haben große Auswirkungen auf die zu- sen habe, ob das nicht ein Satz ist, den ich bei Ihnen künftige Bildungspolitik. wiedergefunden habe. Es ist ein Satz, der fast so bei Ich rechne dazu z. B. auch die Frage, deren Beant- Ihnen steht. Ich trage das hier nur vor, damit wir uns wortung mich interessiert: Ist demnächst, wenn sich darauf besinnen, daß den Anspruch, solche Konzepte Firmen, Hochschulen und Schulen um die sehr weni- zu erarbeiten, auch unsere Vorgänger erhoben haben. gen Leute kümmern, die es in diesen Jahrgängen gibt, Die Erfolgserlebnisse, die sie hatten, waren nicht so, noch der Wettbewerb durchzuhalten — die Post be- daß wir uns mit zu viel Eupho rie in diese Arbeit stür- richtet, er sei nicht durchzuhalten — angesichts der zen sollten. Ich sage aber noch einmal: Wir werden Besoldungen, die die Industrie bietet, und der Besol- uns konstruktiv an ihr beteiligen. dungen, die beispielsweise die Bundespost jungen Schönen Dank. Ingenieuren bieten kann? Das ist doch eine wich tige Frage. Unter welchen Marktbedingungen wird sich (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) das demnächst abspielen? Ich finde schon, daß das auch Rückwirkungen auf Bildung 2000 hat. Vizepräsident Westphal: Das Wort hat die Abgeord- Ein anderes Thema — auch das habe ich eben nete Frau Hillerich. schon kurz erwähnt — betrifft die Europapolitik. Wir wollen kürzere Schul - und Ausbildungszeiten. Die Europäer um uns herum haben alle kürzere Ausbil- Frau Hillerich (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Da- dungszeiten außer bei Fachhochschulen. Also ma- men und Herren! Im Hinblick auf einen enormen Be- chen wir bei Fachhochschulen einen Krampf und ad- darf an grundsätzlicher Beratung und Auseinander- dieren zu den drei Jahren Ausbildung, die dort Pflicht setzung über unser Bildungswesen und über die ge- sind, noch künstlich Praktikazeiten, um auf die vier genwärtige und künftige Bildungspolitik gibt es Kon- Jahre zu kommen, damit ein deutscher Fachhoch- sens auch für die Bundestagsfraktion der GRÜNEN — schulingenieur Anerkennung findet in Frankreich wo hier so viel von Konsens die Rede ist. Daher begrü- und in England, wo es im Prinzip, de facto kürzere ßen wir die Initiative der SPD-Bundestagsfraktion zur Ausbildungszeiten gibt, wo es aber eben vier Jahre Einsetzung einer Enquete-Kommission. Dennoch ha- Ausbildung im Schnitt gibt, die dort grundsätzlich ben wir einen eigenen Antrag eingebracht, nicht nur, auch eingehalten werden. weil wir den im SPD-Antrag angesetzten Zeitraum für Die Frage der Äquivalenz von Abschlüssen stellt völlig unzureichend halten, sondern vor allem, weil sich. Was muß passieren, um die Anerkennung von wir eine grundsätzlich andere Ausrichtung von Bil- deutschen Abschlüssen in den Ländern der EG zu dungspolitik für nötig halten, als sie in Ihrem Antrag, erreichen? Oder etwa die Frage: Ist ein Sozialrecht liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, vorge- nommen wird. wie das BAföG auch auf EG - Ausländer übertragbar, die hier studieren? Es würde uns finanziell sofort aus Aufschlußreich für Ihr Verständnis von Bildungs- dem Sessel werfen, wenn etwa Forderungen reali- politik sind die Passagen in Ihrem Antrag, wo Sie aus 1778 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Frau Hillerich dem wirtschaftlichen Strukturwandel und dem tech- und unterbezahlte Arbeiten abgedrängt werden. — nischen Innovationsprozeß auf eine — ich zitiere — : Und dies trotz allem, was ihnen auf Grund einer über- aus ungerechten Arbeitsverteilung zwischen Män- wachsende Abhängigkeit der Wirtschaft vom nern und Frauen an Leistung abgefordert wird und „Produktionsfaktor persönliche Qualifikation" trotz einer vergleichsweise höheren Bildungsmotiva- schließen, die an den „Arbeitnehmer" — haben Ihre tion und durchschnittlich besserer Zeugnisse und Kolleginnen da nicht aufgepaßt?: die „Arbeitneh- Schulabschlüsse. merin" kommt nicht vor! — und an das „Manage- ment" neue Anforderungen stellen. Das ist keine Bil- Meine Damen und Herren, es liegt schon ein tiefer dungspolitik, das ist Personalpolitik in der großen Sinn darin, daß unsere I-Männchen und -Frauchen Firma Bundesrepublik Deutschland. über den Schulanfang vorsorglich mit einer Schultüte hinweggetröstet werden. Aber so viel Zuckerbrot gibt (Beifall bei den GRÜNEN) es trotz aller Anstrengungen der einschlägigen Indu- Als ich dann noch las, daß die Enquete-Kommission strie nun doch nicht, um den Kindern und Jugendli- den „Personalbedarf" aufzeigen soll, habe ich mich chen das versüßen zu können, was sie dann in unseren erst noch einmal vergewissert, ob ich nicht vielleicht Schulen erwartet. doch einen Leitartikel aus der Zeitschrift „manage- (Beifall bei den GRÜNEN) ment" vor Augen habe. Es mag ja sein, daß Sie hierin Konsens mit unserem Statt um freie Entfaltung geht es da knallhart um meß- Bildungsminister, Herrn Möllemann, haben, für den bare Leistung, um Selektion. ,Fordern statt Fördern' Bildungspolitik im Grunde nichts anderes bewerkstel- heißt da die Parole. Unsere Neun- bis Zehnjährigen ligen soll als die Anpassung menschlicher Fähigkei- werden sortiert in Kluge, weniger Kluge und angeb- ten und Haltungen an wirtschaftliche und technologi- lich eher praktisch Begabte, ganz zu schweigen von sche Erfordernisse. Nur, während Herr Möllemann denen, die noch immer in Sonderschulen abgescho- dies weitgehend dem freien Spiel der Marktkräfte ben werden, es sei denn, sie haben das nur wenigen überlassen will, liegt Ihnen das technokratische Ma- beschiedene Glück, eine Gesamtschule oder wenig- nagement als staatliches Handlungsmuster näher. stens noch für kurze Zeit eine Orientierungs- oder För- derstufe zu besuchen. Noch immer ist Schule geprägt Unserer Auffassung nach sollte Konsens in der Bil- von Zensuren und Konkurrenzdruck. Seine Folgen dungspolitik dahin gehend bestehen, daß — er- sind Schulangst und Entmutigung. Das ist die Peit- stens — den Bildungsbedürfnissen und -ansprüchen sche, die über dem Zuckerbrot geschwungen wird. aller Menschen in unserer Gesellschaft Geltung zu verschaffen ist; daß zweitens das Anliegen von Bil- Noch einige Worte zur Schule selbst, meine Damen dung die Entfaltung der Persönlichkeit in allen Le- und Herren: Der ,Nürnberger Trichter' hat noch nicht bensbereichen ist, und drittens halten wir es für not- ausgedient, ja, er ist nach wie vor das beliebteste Re- wendig, daß Bildungspolitik allen Herausforderungen quisit, und sei es in seiner modernen Gestalt als Corn- begegnet, die menschliches Überleben und menschli- puter oder programmierter Unterricht. Nicht Faulheit ches Miteinander gefährden, bedrohen und ein- und Rechtschreibschwäche, Herr Minister Mölle- schränken. mann, sind die Hauptprobleme des Schulalltags, son- dern gähnende Langeweile und der allseits verbrei- (Beifall bei den GRÜNEN) tete Motivationsmangel. Wenn wundert's, denn nicht Entsprechend dieser Ausrichtung von Bildungspoli- entdeckendes Lernen, nicht Handlungs- und Pro- tik will unser Antrag die Aufgaben einer Enquete- blemorientierung, nicht fächerübergreifender oder Kommission begreifen. Ich möchte dies an einigen Projektunterricht, nicht ganzheitliches, selbstbe- Beispielen verdeutlichen. Den Bildungsbedürfnissen stimmtes Lernen sind angesagt. Statt dessen sollen und -ansprächen aller Menschen in unserer Gesell- neuerdings die alte Paukschule wiederbelebt, Elite- schaft Geltung zu verschaffen heißt für uns GRÜNE förderung forciert und fortschrittliche Schulversuche vor allem anderen: Parteinahme für diejenigen, denen abgewürgt werden — und dies nach ca. 70 Jahren das Grundrecht auf umfassende und selbstbestimmte Schulreformdiskussion und gegen den Rat und das Bildung, allem Gerede von Chancengleichheit zum Engagement vieler Pädagoginnen und Pädagogen. Hohn, immer noch nicht in vollem Umfang zugestan- den wird; Parteinahme für all diejenigen, die nicht in Bildung ist mehr als bloßes Eintrichtern von Wissen, den Genuß der für andere reservie rten Bildungsprivi- ist auch mehr als unkritische, anpasserische Berufs- legien kommen und die heute unter dem zynischen orientierung. Eine umfassende, praktisch umgesetzte Etikett „Benachteiligte" allenfalls einer nachträgli- und theoretisch reflektierte Arbeitsorientierung in al- chen Sonderbehandlung ausgesetzt werden. len Schulformen und -stufen ist dagegen notwendiger Bestandteil einer allseitig entwickelten Allgemeinbil- So muß auch hier wieder laut und deutlich gesagt dung. werden: Es ist ein Skandal, daß heute immer noch Frauen und Mädchen in Schule und Hochschule, in Dies setzt allerdings einen veränderten Arbeitsbe- Berufsausbildung und Weiterbildung ihr selbstver- griff voraus, einen, der wirklich alle Arbeit einbezieht, ständliches Grundrecht auf freie und gleichberech- also neben der Erwerbsarbeit auch die Haus- und tigte Teilnahme nur eingeschränkt wahrnehmen kön- Erziehungsarbeit, unbezahlte Sozialarbeit und vielfäl- nen, daß sie unter dem Druck männlicher Konkurrenz tige Formen unbezahlter, selbstbestimmter Eigenar- und im Zeichen einer — auch bildungspolitischen — beit. Ein auf die Produktion von Qualifikation redu- Wende immer offener ins Heim und an den Herd zu- ziertes Bildungssystem hat mit Bildung nichts mehr rückverwiesen oder in unqualifizie rte Ausbildungen gemein. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1779

Frau Hillerich Eine der Herausforderungen, denen Bildung und reichen unterschiedlichen Kompetenzen entwirrt und Bildungspolitik unbedingt begegnen müssen, ist bei entzerrt und Reglementierungen abgebaut werden, den jüngsten Wahlen in Bremen und Bremerhaven daß Raum und Luft, allerdings auch finanzielle Mittel durch den erschreckend hohen Stimmenanteil von für freie Initiativen bleiben, die Neues ausprobieren neofaschistischen Gruppierungen deutlich geworden. und Impulse geben können. Dies ist kein Problem nur von Randgruppen oder etwa Ich danke Ihnen. eines, dem mit einem auf Institutionenkunde verkürz- ten Politikunterricht an den Schulen zu begegnen (Beifall bei den GRÜNEN) wäre. Das muß sehr viel umfassender geschehen. Auch in der Bildungspolitik müssen wir uns fragen, Vizepräsident Westphal: Das „kommen" in dem Be- was Bildung nach Auschwitz ist. Ich möchte hierzu griff „Ich komme zum Schluß" muß immerhin eine einige Sätze aus einem Aufsatz des Berliner Erzie- ganz schöne Entfernung überwinden. hungswissenschaftlers Professor Ulf Preuß-Lausitz zi- Jetzt hat der Abgeordnete Neuhausen das Wo rt. tieren. Er sagt: Auschwitz meint ... die Erfahrung, daß eine in- Neuhausen (FDP): Herr Präsident! Meine sehr ver- dustrielle Gesellschaft mit einem hohen formalen ehrten Damen und Herren! Der heute vorliegende Bildungsniveau industriellen Massenmord und Antrag auf Einsetzung einer Enquete-Kommission systematische Ausgrenzung mehrerer Bevölke- reiht sich in die Bemühungen um eine Belebung rungsgruppen aus dem Alltag organisiert und of- neuer, breiter bildungspolitischen Diskussionen ein, fenbar weitgehend gebilligt hat. Auschwitz, das wie sie von dem Bundesbildungsminister Möllemann Ausgrenzungs- und Existenzvernichtungspro- schon in seiner Ansprache vor dem Bundestagsaus- jekt, ist von der technischen Elite direkt vorberei- schuß für Bildung und Wissenschaft im Mai dieses tet und durchgeführt worden. ... Klassischbür- Jahres angeregt wurden. Das ist ausdrücklich zu be- gerliche Bildung schützte offenkundig nicht vor grüßen. Friedensfeindlichkeit, Ausgrenzungsbereitschaft Ihr Antrag knüpft — das meine ich sehr im Ernst und Vernichtungswillen. und bitte zuzuhören — an die Ausführungen an, die Preuß-Lausitz zufolge liegt das auch daran, daß sich sagen, daß der Stellenwert von Bildungs- und Wis- bürgerliche Bildung nicht als gesellschaftlich eingrei- senschaftspolitik im Kontext der Bundespolitik wie- fend versteht, weil in ihrem Konzept die „Abspaltung der deutlicher werden sollte und daß wir gemeinsam der Handlungs- und Gesellschaftsebene und damit klarmachen müssen, welche Bedeutung beide Berei- der Moral", der gesellschaftlichen Verantwortung, che für die Aufgaben des Bundes haben und wie um- angelegt ist. Dies gilt ebenfalls für den heute noch gekehrt Maßnahmen des Bundes, die er in seiner ei- verbreiteten bruchlosen Glauben an Fortschritt, tech- genständigen Zuständigkeit trifft, auf Bildungs- und nische Beherrschung und abstrakte Rationalität. Ge- Wissenschaftspolitik der Länder zurückwirken. Denn rade in unserer Gesellschaft sind Bildung und Erzie- nur beides entspricht dem Beg riff des kooperativen hung nach Auschwitz — ich zitiere noch einmal Föderalismus. Preuß-Lausitz — Nun möchte ich gleich zu Anfang an eine Berner- daran zu binden, daß das Abweichende, das Be- kung anknüpfen, die Klaus Daweke gemacht hat. Wir sondere und das Fremde nicht als Bedrohung er- haben uns überhaupt nicht abgesprochen. Aber der lebt, sondern als Bereicherung erfahren wird. Blick fällt auf die gleichen Textpassagen. Sosehr ich (Beifall bei den GRÜNEN) den Hinweis auf die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes unterstütze, so wenig förderlich erschiene Vizepräsident Westphal: Frau Abgeordnete, Sie es mir, neue Pendelschläge bei dieser Gelegenheit im müssen zum Schluß kommen. Verhältnis Bund/Länder in Gang zu setzen, die immer dadurch gekennzeichnet sind, daß einmal dem Bund — überspitzt gesagt — jede Zuständigkeit für Bildung Frau Hillerich (GRÜNE): Ich komme zum Schluß. abgesprochen wird und dann wieder — wie sich aus „Erziehung nach Auschwitz hat aber auch den Zu- einer vielleicht mißverständlich aufgefaßten Passage sammenhang von Rationalität und Inhumanität zu re- herauslesen ließe — nur noch vom Sachverstand der flektieren. " Länder die Rede ist und nicht mehr von ihrer Kultur- Weitere Herausforderungen, die unser Überleben hoheit. Ich meine, daß eine klare Berücksichtigung und Miteinanderleben bedrohen und denen sich un- der Zuständigkeiten und Möglichkeiten dem Auftrag, ser Bildungswesen stellen muß, finden Sie in unserem dem sich diese Enquete-Kommission stellen will, nur Antrag. Ich hoffe sehr, daß sich auch die anderen förderlich sein könnte. Fraktionen ihrer Aufnahme in den Arbeitsauftrag der Eine zweite Bemerkung. Die Bezeichnung „Bildung Enquete-Kommission nicht verschließen werden. 2000" weist — sie ist wohl ernst gemeint — darauf hin, daß es sich um perspektivische Untersuchungen han- Vizepräsident Westphal: Nun müssen Sie zum deln soll. Der Antrag der SPD spricht — Herr Kuhl- Schluß kommen. Das war doch ein guter Schlußsatz. wein hat es eben wieder getan — von „langfristig wirksamen gesellschaftlichen Faktoren", von einer Frau Hillerich (GRÜNE): Noch einen Satz. — Über „vorausschauenden Bildungspolitik" . Das ist allge- eines muß sich die Enquete-Kommission allerdings mein, aber richtig, und muß bedeuten, daß die Unter- klarwerden: Staatliches H andeln im Bildungswesen suchung der Enquete-Kommission natürlich unmittel- sollte nicht zu einer weiteren Verrechtlichung und bares Regierungs- und parlamentarisches Handeln Reglementierung führen. Vielmehr müssen die zahl- nicht ersetzen kann, aber auch die Arbeit der koope- 1780 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Neuhausen rativen Instrumente der Bildungspolitik nicht, der Presseverlautbarungen der Bildungspolitiker der Kultusministerkonferenz, Bund-Länder-Kommission, SPD, wie „Schlunzerei", Wissenschaftsrat — ich brauche nicht aufzuzählen, (Kuhlwein [SPD]: „Schlunzerei" -stammt was hier schon gesagt ist. Sie darf auch nicht als War- doch von Herrn Möllemann! Das haben wir tesaal für kurz- oder mittelfristig zu lösende Fragen nur wiederholt!) dienen. „Flop", „geradezu wahnsinnig", „Fiasko", „gro- Ich versage es mir, bereits jetzt und hier auf Einzel- ße Klappe", „kabarettreif", „zynisch", „Schnell- heiten des Textes einzugehen. Dazu wird in den Aus- schüsse", „unfähig", „Scheitern", „ Politschwabbelei " schußberatungen Zeit und Gelegenheit genug sein. — vorige Woche — , diesem hohen Anspruch gerecht Denn der Text enthält natürlich eine Reihe von Fest- wird, muß bezweifelt werden; denn in dem erwähnten stellungen — die ich jetzt einmal als Begründung Papier wird gefordert, daß Kritik von dem Versuch nehme — , mit denen wir übereinstimmen. In man- getragen sein sollte, sich zunächst in die Logik der chen anderen Formulierungen ist praktisch das Unter- anderen Seite hineinzudenken. Dann ist in diesem suchungsergebnis schon wie vorweggenommen. Das Papier davon die Rede — Herr Kuhlwein, hören Sie gilt in besonderem Maße für den Text des Antrags der einen Augenblick zu —, daß, wer diesen Versuch un- GRÜNEN. ternehme, sich nicht in aggressiver Polemik er- schöpfe. Wir haben das eben gehört: Eine ganze Reihe von (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Themen, die Sie angesprochen haben, gehört unmit- telbar in den Bereich der Länderkompetenzen. Zwar Es läge für uns nun nahe, das einzufordern, was wäre Herr Möllemann auch ein guter Länderkultus- auch in diesem Streitkulturpapier steht. Da heißt es minister für Schulen. Aber das ist er nun einmal nämlich: „Niemand" — so sagt dieses Papier zu nicht. Recht — „darf für sich ein Recht der deutlichen Kritik und der polemischen Darstellung in Anspruch neh- Meine Damen und Herren, wenn es sich bei der men, ohne es dem Kritisierten in gleichem Maße zuzu- Enquete um eine wirklich fruchtbare Untersuchung billigen". Aber ich sage das sozusagen als einseitige handeln soll, die bei aller Unterschiedlichkeit der be- Vorleistung. Wo kämen wir denn angesichts der zi- kannten Standpunkte dem dient, was der Kollege tierten Beispiele hin? Kuhlwein die Suche nach einem neuen Konsens ge- (Kuhlwein [SPD]: Die „Schlunzerei" kommt nannt hat — wie ich gelesen habe — , dann sollten trotzdem von Herrn Möllemann!) bereits die Feststellung und die Beschreibung der Aufgaben von der Offenheit geprägt sein, die dafür Einen weiteren Beitrag haben Sie auch in der Som- notwendig ist. merpause — offenbar in Ermangelung schöner som- merlicher Vergnügungen — geleistet, als Sie von ei- Ich greife das Wort vom Konsens gerne auf. Daß nem „phantastischen Feuerwerk von Rohrkrepierern" damit nicht die Hoffnung auf das Wunder der bil- sprachen. Das geht ja schon in militärische Bereiche, dungspolitischen Harmonie gemeint sein kann, weiß und man muß sich das mal konkret und bildhaft vor- jeder. Klaus Daweke hat einige skeptische Bemerkun- stellen. Wir haben keinen Ehrgeiz, hier nachzurüsten gen dazu gemacht. Aber wenn ich das ernst nehme, und mit gleichem Kaliber zurückzuschießen. geht es wohl um den Konsens der Ernsthaftigkeit des (Beifall bei der FDP — Kuhlwein [SPD]: Sa Bemühens. Da stimmen wir überein. Einen solchen gen Sie das zu Herrn Möllemann? Das wun Konsens hat es in der Bildungspolitik schon einmal dert mich sehr!) gegeben, und wir sollten uns bemühen, daran anzu- knüpfen. Wie schwer das sein wird, weiß jeder, der Meine Damen und Herren, Herr Kuhlwein, im über einige Jahre Praxis verfügt. Ernst: Mit der Bezeichnung „Bildung 2000" wird ein großer Anspruch erhoben. Er zielt auf die Zukunft vie- Aber, meine Damen und Herren, lieber Herr Kuhl- ler junger Menschen, auf ihr Hineinwachsen in eine wein, die Suche nach Konsens hat auch Voraussetzun- sich ständig verändernde Welt. Bildung ist gerade der gen. Erlauben Sie mir dazu einige Randbemerkun- Politikbereich, in dem sich die Generationen, in dem gen, die in den Zwischenbereich von Kultur, Politik sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in be- und Bildung hineinführen. sonderem Maße und mit weitreichenden Konsequen- zen für viele individuelle Schicksale und unsere ganze Gesellschaft begegnen. Vielleicht gelingt es uns ja, Wie der Presse zu entnehmen war, hat die SPD bei der Arbeit der Enquete-Kommission einen Beitrag Fraktion in der Sommerpause einen Schimpfwörter- zur Widerlegung des alten Vorurteils zu leisten, das katalog erarbeitet, dessen Inhalt der Öffentlichkeit in schon Joseph von Eichendorff in seinem Roman der Haltung eines „Vereins fleckenloser politischer „Dichter und ihre Gesellen" zum Ausdruck brachte. Moralisten" vorgestellt wurde. Diese Haltung ist für Er läßt da Fortunat zu Walter sagen: eine Partei ja auch selbstverständlich, die sich kürz- lich unter der Überschrift „Der Streit der Ideologien Ich habe schon oft nachgedacht über den Grund und gemeinsame Sicherheit" sogar mit der SED in dieser zärtlichen Liebe so vieler zum Staats- einem bemerkenswerten Papier u. a. um, wie es darin dienste. Hunger ist es nicht immer, noch seltener heißt, „Grundregeln einer Kultur des politischen Durst nach Nützlichkeit. Ich fürchte, es ist bei den Streits" bemüht hat. Ob allerdings die dringend zu meisten der Reiz der Bequemlichkeit, ohne Ideen empfehlende Ergänzung des erwähnten Schimpf wör- und sonderliche Anstrengungen gewaltig und terkatalogs um sommerliche Sprachblüten aus den mit großem Spektakel zu arbeiten. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1781

Neuhausen Meine Damen und Herren, die Enquete-Kommis- rung, da den Staate die den Familien aufgebürdete sion darf — da sind wir uns sicher alle einig — kein Verantwortung zu teuer käme. großes Spektakel in diesem Sinne werden. Entgehen Sodann wird drittens und viertens referiert, welche wir dieser Versuchung, dann hat sie die Chance, viel- direkten Transferleistungen und steuerlichen Maß- leicht die große Chance, einen wichtigen Beitrag zu nahmen dem genannten Mißstand entgegenzuwirken der neuen Aufbruchstimmung für Bildung und Wis- imstande wären. Ergebnis: entweder ordnungspoliti- senschaft zu leisten, die wir gemeinsam stärken und sche Problematik — mit Sozialleistungen in so hohe nutzen sollten. Einkommensbereiche zu gehen — , oder Unfinanzier- Vielen Dank. barkeit, z. B. bei entsprechender Anhebung der BA- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) föG-Freibeträge. So bleiben nur neue Finanzierungsmodelle: An- sparförderung, kollektives Bildungssparen, Ausbil- Vizepräsident Westphal: Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. dungsdarlehen oder ein modifiziertes Bildungskredit- modell. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Anträge auf Einsetzung der Enquete-Kommissionen an die in Diese Modelle werden nun in die Ausschußberatun- der gedruckten Tagesordnung aufgeführten Aus- gen gehen. Dabei sollen folgende Forderungen vor- schüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? rangig sein: — Ich sehe keinen Widerspruch. Die Überweisungen Erstens: rasche Durchführbarkeit. Das Modell sollte sind so beschlossen. wegen der Wichtigkeit der Chancengerechtigkeit in einem sozialen Rechtsstaat so rasch wie möglich rea- Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 6 auf: lisierbar sein. Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- Zweitens: Finanzierbarkeit. Das beste Modell taugt regierung nichts, wenn es, weil zu teuer, nicht durchgeführt wer- den kann. Bericht der Bundesregierung zur Ausbil- dungsfinanzierung in Familien mit mittlerem (Daweke [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Einkommen Auch ein verzinsliches Darlehen mit festen Konditio- — Drucksache 11/610 — nen und sozialen Sicherungen, etwa durch die Aus- gleichsbank, würde bei sehr niedrigen Kosten Wege Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Bildung und Wissenschaft (federführend) öffnen, die sonst verschlossen blieben. Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Drittens: Beweglichkeit. Es gibt Familien, in denen Im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag von die Kinder ebenso bereit wären, selbst für ihr Studien- bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart wor- darlehen geradezustehen, wie ihre Kommilitonen, die den. — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist gefördert werden, und andere Familien, in denen die auch das so beschlossen. Eltern die Rückzahlungshaftung alleine tragen möch- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abge- ten. Man sollte daraus keine zu komplizierten Prinzi- ordnete Graf Waldburg-Zeil. pienfragen machen. „Bildung 2000" war unser letzter Beratungspunkt. Zu diesen Perspektiven gehört auch der vielfache (CDU/CSU): Herr Präsi- Graf von Waldburg-Zeil Wert selbstverantworteter Bildungsinvestitionen: zur dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Persönlichkeitsentfaltung, für Einkommen und Beruf Nachdem wir je zehn Minuten hauptsächlich über sowie zur Freizeitgestaltung. Kompetenzen der Länder im Bildungswesen gespro- Lebenslanges Lernen wird Wirklichkeit. Aber, anders als früher gedacht, chen haben, kommen wir nun, wenn auch nur je fünf weder der Vater noch Vater Staat können das a lles Minuten, zu einer Kompetenz, die den Bund bet rifft. finanzieren. Bildung rückt in die Dimension persönli- Am 15. Mai vorigen Jahres forde rte der Deutsche cher Lebensplanung. Das Bildungskreditmodell kann Bundestag die Bundesregierung auf, einen Bericht ein Weg sein, Selbstbestimmung und Eigenverant- über die Ausbildungsfinanzierung in Mehr-Kinder- wortung sinnvoll zusammenzuführen. Familien mit mittleren Einkommen vorzulegen. Der Bericht liegt nunmehr vor. Ich danke Ihnen. Er bestätigt erstens, daß sich das Problem der Chan- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) cengerechtigkeit tatsächlich, wie in genannter Ent- schließung geargwöhnt, verschoben hat. Bei Einkom- Vizepräsident Westphal: Das Wort hat die Abgeord- men, die knapp über den Grenzen liegen, bei denen nete Frau Odendahl. der Staat helfend eingreift, z. B. mit Wohngeld oder zinslosem BAföG, muß die Ausbildungsfinanzierung aus versteuertem Einkommen erfolgen. Das führt ins- Frau Odendahl (SPD): Herr Präsident! Meine Da- besondere bei Mehr-Kinder-Familien dazu, daß die men und Herren! Ich finde es zumindest ungewöhn- Lebenshaltung von Studentinnen und Studenten lich, daß der Minister seinen eigenen Bericht nicht kaum oder nur unter fast unzumutbarer Absenkung vorstellt. des Lebensstandards finanziert werden kann. (Daweke [CDU/CSU]: Wir haben ihn be Der Bericht konstatiert zweitens die Unterschied- -stellt!) lichkeit von Altersgrenzen im öffentlichen Recht und In diesem Fall kann ich es verstehen. Als nämlich der im Unterhaltsrecht, empfiehlt aber keine Harmonisie- Bildungsminister für die Vorlage des Berichts um 1782 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Frau Odendahl Fristverlängerung bat, haben wir sie eingeräumt in Studium über Ausbildungsdarlehen finanziert wer- der Hoffnung „Gut Ding will Weile haben". Die Weile den soll, laufen darauf hinaus, daß entweder die El- wurde vertan; denn was uns dann auf mehr als tern das Studium ihrer Kinder über einen langen- Zeit- 100 Seiten auf den Tisch kam, ist mehr als enttäu- raum ansparen und auf der Basis der so angesparten schend. Summe und zusätzlich aufgenommener verzinsbarer Kredite das Studium finanzieren, oder daß das Stu- Seine Aufgabe, einen Lösungsvorschlag vorzule- dium zur Gänze durch Kredite mit staatlich garantier- gen, erfüllt der Bildungsminister nicht. Er läßt die be- ten Zinsobergenzen und entsprechenden Bürgschaf- troffenen Familie mit kleineren bis mittleren Einkom- ten finanziert wird. Familien mit mehreren Kindern men in dem allseits bedauerten Mittelstandsloch werden die monatlichen Raten erst gar nicht aufbrin- stecken und regt dann als Ersatz eine Diskussion über gen können, ganz abgesehen von denen, denen das die Vor- und Nachteile der im Bericht dargestellten Problem jetzt unter den Nägeln brennt, Herr Mölle- Finanzierungsmöglichkeiten an. Es mag für Sie anre- mann, und die die Zeit zum Ansparen gar nicht mehr gend sein, Herr Minister Möllemann, für den Finanz- haben. minister vor allem billig, aber für die Studenten und die Studentinnen und ihre Familien ist das gar nichts Wir haben bei den Beratungen über die 10. BAföG als ein billiger Trost. Novelle im vorigen Jahr den einzigen seriösen Vor- schlag eingebracht: einen konkreten Stufenplan, mit Eines hat Ihr Bericht wieder einmal deutlich ge- dem innerhalb der nächsten sechs Jahre bei den an- macht: Es gibt keine Alternativen zur Wiederherstel- stehenden BAföG-Änderungsgesetzen die Bedarfs- lung des BAföG. Nur eine angemessene Ausbildungs- sätze und Freibeträge so erhöht werden sollen, daß die förderung durch BAföG kann die soziale Chancen- BAföG-Förderung wieder den Lebenshaltungskosten gleichheit im Bildungssystem gewährleisten und si- entspricht und die Gefördertenquote wieder auf 40% cherstellen, daß Bildungsentscheidungen nicht von steigen kann. Sie können mit Ihren Vorschlägen we- der Finanzkraft der Eltern abhängen. der den Rückgang der Geförderten-Quote stoppen Es ist ja schön, Graf Waldburg, wenn man solche noch das Mittelstandsloch stopfen, auch nicht mit den Finanzplanungen überhaupt anstellen kann, weil jetzt eilends herbeigeschafften Vorschlägen für die man das im Kreuz hat, was man dazu braucht. Aber 11. BAföG-Novelle; das reicht nicht aus. da, wo es fehlt, sind wir wirklich gefordert. (Graf von Waldburg-Zeil [CDU/CSU]: Das ist ein anderes Thema!) (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN) — Das ist gar kein anderes Thema. Das gehört dazu, weil Sie die Antwort schuldig bleiben. Ihr Kahlschlag beim Schüler-BAföG und die Um- stellung der Studentenförderung auf Volldarlehen in Der Haushaltsplan 1988 spricht eine deutliche Spra- Verbindung mit der unzureichenden Anpassung der che. Da sieht man ganz klar: Die BAföG-Ausgaben Freibeträge haben dazu geführt, daß inzwischen die gehen weiter zurück, egal, was kommt, und zwar trotz Gefördertenquote von fast 40 % auf weit unter 25 der Erhöhung, die Sie eingeplant haben. Ihre Evalu- gesunken ist. Selbst an der Uni Bochum, die von über- ierungskommission hat, nachdem Sie schon sagten, durchschnittlich vielen Arbeitnehmerkindern besucht vor 1989 könne da nichts rauskommen, bei uns den wird, erhalten nur noch 17 % aller Studenten BAföG Verdacht erweckt, daß es sich um eine Nebelkerze Leistungen. handelt, mit der Sie von den wirklichen Problemen ablenken wollen. Obwohl sich diese skandalöse Entwicklung schon (Beifall bei der SPD und Abgeordneten der im Mai 1986 bei der Verabschiedung der 10. BAföG GRÜNEN) Novelle abzeichnete, haben Sie von der Regierungs- koalition die notwendigen Konsequenzen durch Erhö- hung der Elternfreibeträge nicht gezogen, sondern Vizepräsident Westphal: In der Abfolge der Redner die Bundesregierung um den Bericht gebeten, wie das ist nun Herr Neuhausen an der Reihe. sogenannte Mittelstandsloch in der Ausbildungsför- derung beseitigt werden kann. Betroffen vom Rück- (FDP): Herr Präsident! Meine Damen gang der Gefördertenquote sind nämlich insbeson- Neuhausen und Herren! Ich bedanke mich bei dem Herrn Bun- dere Familien mit mittleren Jahreseinkommen — vom desbildungsminister, daß er hier dem Parlament den Facharbeiter aufwärts — , die mehrere Kinder in der Vortritt gibt. Ausbildung haben und deren Verdienst knapp über den BAföG-Bemessungsgrenzen liegt. Für diese Fa- (Lachen bei der SPD und den GRÜNEN) milien ist ein Studium der Kinder oft nicht mehr fi- Wir sprechen ja immer über das Selbstverständnis der nanzierbar, ganz abgesehen von den Fachschülern, Parlamentarier. Hier ist ein gutes Beispiel. die Sie schon lange abgeschrieben haben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — (Beifall bei der SPD) Zuruf des Abg. Kuhlwein [SPD]) Nun kann man dem Bericht eine exakte Analyse Denn, Herr Kuhlwein, tun wir doch bitte nicht so, als nicht absprechen. Allerdings ist das, was dem Bil- wüßten wir nicht, was über den Bericht gesprochen dungsminister nun an Lösungsmodellen für die rund werden wird und was in den Manuskripten — sonst 300 000 betroffenen Studentinnen und Studenten ein- gäbe es sie ja nicht — steht. Das ist ja nicht wahr. gefallen ist, für die SPD-Fraktion völlig unakzeptabel, Diese Kritik fügt sich ja sowieso nahtlos an das an, für die Eltern zum Teil abenteuerlich. Die erörterten was Sie, Frau Odendahl, jetzt und was Sie schon vor- Bildungssparmodelle oder die Modelle, mit denen das weg zu diesem Bericht gesagt haben. Sie haben näm- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1783

Neuhausen lich gesagt: Das ist eine Finanzierungsgemeinschaft dienen sie: daß man sie ernsthaft diskutiert, sie also statt BAföG. Sie haben damit einen Beitrag geleistet, von der Regierung nicht nur vorlegen läßt und dann Verunsicherung durch Verwischung und Vermi- sagt: Das ist gut oder nicht gut. Vielmehr gilt es, diese schung völlig verschiedener Themenbereiche und Be- Modelle eigenständig zu diskutieren, zu beraten- und griffe zu erzielen. die verschiedenen Möglichkeiten zu erörtern. Denn eines ist ganz klar — und ich bitte Sie, das doch wirk- (Beifall bei der FDP) lich zur Kenntnis zu nehmen — : Es handelt sich hier Deswegen möchte ich also zur Klarstellung aus dem um zusätzliche Angebote zum BAföG, nicht um den Bericht kurz zitieren. Es heißt do rt : Versuch, BAföG auszuhebeln — um zusätzliche An- Die Bundesregierung sieht in der Ausbildungs- gebote! Ich wundere mich, daß die Bereitschaft der Regierung und der sie tragenden Fraktionen, eine förderung unverände rt eine Sozialleistung, die von ganz entscheidender Bedeutung für die von breite Diskussion auf diesem Gebiet zu eröffnen, nicht mehr Würdigung findet, als das bei Ihnen der Fall ist. ihr gewollte soziale Öffnung und Offenhaltung Hier geht es um einen Bereich an der Nahtstelle, wo des Bildungswesens, insbesondere der Hoch- sich ja jedem ernsthaften Politiker die Frage stellen schulen, war und ist. muß: Wo endet der Bereich staatlicher Hilfe, und wo Dies ist ein Satz, der jede Vermischung verbietet. Es beginnt die Eigenverantwortung, die Eigenleistung? wäre im Interesse der Diskussion wirk lich nützlich, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) das künftig nicht dauernd zu versuchen. Denn genau das, was im Sinne dieses Vorhabens ist, nämlich die Wir können das nicht ausschließen. Hier müssen wir Einbringung der 11. Novelle, der Kabinettsbeschluß, doch mit aller Offenheit und aller Seriosität in der ist vor einigen Tagen geschehen. Es werden, wie in Lage sein, Modelle zu diskutieren, ohne sie von vorn- den letzten Jahren regelmäßig, die Bedarfssätze an- herein dogmatisch abzulehnen. gehoben, und zwar zum Herbst 1988. Es werden die (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Freibeträge und verschiedene Pauschalen angeho- ben. Ich fand es schon merkwürdig, als ich in einer Das Wort hat der Abgeord- Pressemeldung der geschätzten Kollegin gestern die Vizepräsident Westphal: nete Wetzel. Klage las: Es wird den Studenten erst noch klarwer- den, daß das alles erst 1988 geschieht. Ja, als wenn wir (Daweke [CDU/CSU]: Es wird jetzt sehr das nie so regelmäßig getan hätten und als ob es nicht schwierig für Sie, darauf zu antworten! — die 10. Novelle gäbe, in der wir Verbesserungen für Widerspruch bei den GRÜNEN und der 1986 und 1987 beschlossen haben. SPD) (Daweke [CDU/CSU]: Was die nie geschafft haben!) Wetzel (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Neuhausen, ich wollte das Meine Damen und Herren, wir müssen hier doch ein zwar eigentlich nicht, aber Ihre Darstellung dessen, bißchen konkret bleiben. was da Mittelstandsbericht der Bundesregierung Wir haben, meine Damen und Herren, in diesem heißt, ist ja nun so nicht zu akzeptieren. Der Bundes- Bericht eine sehr gründliche Analyse — Frau Oden- tag hatte letztes Jahr den Auftrag erteilt, die Bundes- dahl hat das anerkannt — eines bestimmten Problem- regierung möge das Problem dieses sogenannten Mit- bereichs, nämlich von Menschen, von Familien mit telstandslochs untersuchen, Modelle entwickeln, Kindern mit sogenanntem mittleren Einkommen. Da- dazu die Kosten nennen und Vorschläge machen. We- bei muß man sich natürlich immer darüber im klaren der die Kosten der verschiedenen Modelle sind be- sein, daß das hier mit einem Jahresbruttoeinkommen nannt, noch hat sich die Bundesregierung, das Bun- von 53 000 DM bei einem Kind beginnt und sich bis in deskabinett für irgendeine Wertung dieser Modelle höhere Stufen fortsetzt. Und es ist gar nicht zu verken- entscheiden können. Das heißt: Der Auftrag, dieses nen, daß hier Probleme auftauchen, die wir ganz Problem zu lösen, ist wieder einmal auf der Strecke ernsthaft in Angriff nehmen müssen. geblieben. Die Bundesregierung meldet Entschei- dungsunfähigkeit an. Meine Damen und Herren, ich finde es aber nicht gut, wenn man dann verschiedene Modelle von vorn- Meine Damen und Herren, ich will auf diesen Punkt herein als absolut unmöglich verwirft, wenn die Bun- nicht weiter eingehen. Fünf Minuten Redezeit sind desregierung ihrerseits die Situation völlig offenhält angesichts eines solchen Problems lächerlich wenig, und keines dieser einzelnen Modelle konkret vor- eine Zumutung. Ich will mich daher knapp fassen und schlägt, sondern — im Gegenteil — zur Diskussion auf das Entscheidende kommen. dieser Punkte aufruft. Sowohl der sogenannte Mittelstandsbericht als (Wetzel [GRÜNE]: Aber Herr Neuhausen! — auch der soeben im Kabinett beratene 7. BAföG-Be- Zuruf des Abg. Kuhlwein [SPD]) richt machen deutlich — und das ist die entschei- dende Einsicht, von der alle anderen Maßnahmen ab- — Meine Damen und Herren, ich halte mich an den zuleiten wären — , daß heute mehr denn je der Geld- gedruckten Text; da können Sie das alles nachlesen. beutel der Eltern darüber entscheidet, ob junge Men- Ich bin ein gläubiger Mensch und mache daraus kein schen — bei gleicher Neigung, bei gleicher Eignung, Hehl. bei gleicher Leistung! — studieren dürfen oder Meine Damen und Herren, zu den im Bericht vor- nicht. gestellten konkreten, neuen Finanzierungsmodellen (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeord kann man ja dieses und jenes sagen, aber eines ver- neten der SPD) 1784 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Wetzel Auch die für Herbst 1988 geplanten geringfügigen lehenshöhe, die nicht einmal für einen kärglichen Le- Verbesserungen des BAföG kehren die von dieser bensunterhalt ausreicht. Das hat eine Fülle von Kon- Regierung eingeschlagene Entwicklungsrichtung sequenzen für Studiendauer, Intensität des Studiums, nicht um. Der soziale Rechtsstaat, von dem der Nestor Qualität des Studienabschlusses und dergleichen.- Auf der katholischen Soziallehre, Nell-Breuning, sagte, er alles das kann ich jetzt nicht eingehen. sei verpflichtet, durch die Gewährung von Ausbil- Statt dessen möchte ich wenigstens andeuten, nach dungsförderung die berufliche Chancengleichheit welchen Zielvorstellungen wir GRÜNEN mit Ihnen der jungen Menschen herzustellen, wird schrittweise die künftige Debatte führen wollen und wie wir die abgebaut. Belegt wird dies am schärfsten durch die Ausbildungsförderung im Sinne der Herstellung eines Tatsache, daß von 1971 bis heute der Anteil der geför- sozialen Rechtsstaats verändert wissen wollen. Zu- derten Studenten etwa um die Hälfte gesunken ist. nächst einmal geht es damm, das Förderungssystem (Frau Dr. Götte [SPD]: Und die Fachschüler an den tatsächlichen Unterhaltsbedarf anzupassen. sind herausgefallen!) Ich nenne einige wenige Maßnahmen. Diese Bundesregierung hat das BAföG auf eine Erstens. Kindern aus Familien mit niedrigen und reine Darlehensförderung umgestellt. Zusammen mit mittleren Einkommen muß die Aufnahme in die För- unsicheren Berufsaussichten bewirkt das eine Ver- derung erleichtert werden. schuldungsangst, die Kinder aus den niedrigeren Ein- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) kommensschichten immer mehr vor einem Studium zurückschrecken läßt — das läßt sich auch statistisch Zweitens. Aus bildungs- und zugleich sozialpoliti- belegen — , und diese Angst ist durchaus berechtigt. schen Gründen brauchen wir die Wiedereinführung Machen Sie sich einmal klar, was es heißt, daß dieje- eines vorrangig vom Bund zu tragenden Schüler nigen aus der künftigen Generation von Hochschul- BAföG. absolventen, die nicht das Glück hatten, in eine reiche (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD) Familie hineingeboren worden zu sein, bereits heute mit mindestens 10 Milliarden DM verschuldet sind. Dafür gibt es eine harte Serie von Begründungen Machen Sie sich das bitte klar, und machen Sie sich — auch bildungspolitischer A rt — , die mit der Zu- mit uns zusammen Gedanken darüber, ob wir dieses kunft einer demokratischen Industriegesellschaft zu- System einer reinen Darlehensförderung nicht drin- sammenhängen. gend im Sinne eines sozialen Rechtsstaats ändern Drittens. Die Förderungshöchstdauer muß an die müssen. realen, wesentlich von unzureichenden Studienbe- (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD — dingungen verursachten Studienzeiten angepaßt Daweke [CDU/CSU]: Was ist denn mit den werden. Wir können bei der Definition der Förde- Technikern — das sagen Sie ja nie — , denen rungsdauer nicht so tun, als sei an den Universitäten Sie durchaus zumuten, ein Darlehen aufzu und Fachhochschulen alles picobello, was das Lehran- nehmen, wenn sie ihre Meisterprüfung ma gebot anbetrifft. chen wollen?) Die zweite wesentliche Zielvorstellung für eine — Über derartige Probleme können wir verhandeln, strukturelle Veränderung der heutigen Ausbildungs- wenn Sie erst einmal anerkennen, daß eine Darle- förderung besteht für uns da rin, daß der sozialpoli- hensförderung eine Regelung ist, die von vornherein tisch unerträgliche Zustand der Diskriminierung materielle Bildungsprivilegien errichtet bzw. ver- niedriger Einkommensschichten beseitigt werden stärkt, weil sich andere, z. B. Kinder aus ärmeren Fa- muß. Es geht nicht an, für Kinder aus ärmeren Fami- milien, in vergleichbaren Situationen nicht in gleicher lien die materiellen Bildungsschranken fortbestehen Weise verhalten können. zu lassen. Daher muß BAföG mittelfristig auf eine Zuschußförderung umgestellt werden. Schließlich: Herr Präsident, sehe ich das recht, daß das eine Zwi- Die Höhe der Zuschüsse muß so bemessen sein, daß schenfrage war und daß meine Antwort nicht auf die daraus ein normaler Lebensunterhalt zu finanzieren Zeit angerechnet wird? ist. — Ich sehe, daß die rote Lampe blinkt. (Heiterkeit)

Vizepräsident Westphal: Sie sehen das nicht Vizepräsident Westphal: Die Großzügigkeit hat recht. schon stattgefunden. (Heiterkeit) Wetzel (GRÜNE): Ich habe in meiner ersten Rede einen großen Fehler gemacht: Ich dachte, mir würden die Zwischenfragen auf mein Zeitkontingent ange- Wetzel (GRÜNE): Ich formuliere einen Schlußsatz. rechnet, und das war falsch. Wir bitten darum, daß wir uns im Ausschuß und viel- leicht auch mit dem Minister darüber einigen können, Vizepräsident Westphal: Herr Wetzel, Sie sehen es daß wenigstens die Rückflüsse aus der Darlehensför- nicht recht, aber Sie haben hier oben einen großzügi- derung und die nicht ausgeschöpften Mittel in Höhe gen Präsidenten sitzen. von insgesamt 550 Millionen DM im Rahmen eines (Heiterkeit und Beifall) Sofortprogramms zur Verbesserung des BAföG einge- setzt werden. Wetzel (GRÜNE): Da bin ich aber sehr dankbar. Danke schön. Meine Damen und Herren, die Zeit reicht nicht, alle (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeord Probleme zu beschreiben, z. B. die Folgen einer Dar- neten der SPD) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1785

Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Bundes- Möllemann, Bundesminister für Bildung und Wis- minister für Bildung und Wissenschaft. senschaft: Herr Präsident, da die Zeit sehr knapp ist, würde ich gern im Zusammenhang reden. Ich möchte - Möllemann, Bundesminister für Bildung und Wis- auch lieber debattieren, aber dann müßten wir uns senschaft: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! beim nächstenmal im Altestenrat vielleicht darauf Frau Odendahl hat kritisiert, daß ich nicht zu Beginn verständigen, daß wir für unseren Bereich mehr Zeit der Debatte gesprochen habe. Sie haben den Bericht, durchboxen. über den wir hier diskutieren, schriftlich zugeleitet (Beifall bei allen Fraktionen) bekommen, und es ist zweckmäßig, daß ich mir zu- nächst Ihre Meinung dazu anhöre und dann etwas Hier sitzen mehrere wichtige Mitglieder von Frak- dazu sage. Aber wie man es macht, ist es verkehrt. tionsvorständen, die das mit herbeiführen können. Sonst höre ich oft genug, die Regierungsmitglieder Wir haben gesagt: Diesen Eltern muß — und zwar sollten nicht dauernd am Anfang reden, sondern sie durch Modelle wie die, die ich Ihnen vorgelegt sollten dem Parlament den Vortritt lassen. Das ist habe - geholfen werden, die Kosten in einer Weise aber, glaube ich, nicht der Punkt. zu finanzieren, die auch zumutbar ist. Es kann sein, Ich möchte mich jetzt auch nicht über die zukünf- daß das nicht ausreicht. Aber ich will auch kein Hehl tige Struktur des Bundesausbildungsförderungsge- daraus machen, warum ich einen bestimmten Satz im setzes und mögliche Veränderungen desselben äu- Auftrag des Bundestages zugegebenermaßen relativ ßern, denn das ist nicht das Thema; ich möchte mich großzügig interpretiert habe. Wenn es hier heißt, ich vielmehr zu diesem Bericht äußern. solle analysieren und Lösungsvorschläge präsentie- Der Bericht behandelt diejenigen Studierenden, de- ren, dann könnte man ja auch meinen, das hieße: ren Eltern über ein so hohes Einkommen verfügen, einen einzigen Lösungsvorschlag, der dann auch so- daß sie kein BAföG mehr bekommen. Damit wir wis- fort in die Tat umgesetzt werden soll. Ich habe das sen, worüber wir reden, nenne ich jetzt die Zahlen. auch deswegen nicht getan, weil natürlich auch diese Das sind Familien mit einem Kind, die ein Einkommen Modelle den Staat Geld kosten werden. Es ist nicht zu von mehr als 53 000 DM haben, und Familien mit vier definieren, wieviel, weil wir nicht wissen, wie viele Kindern, die ein Einkommen von mehr als 94 000 DM Menschen solche Modelle in Anspruch nehmen wür- haben; nur damit wir wissen, worüber wir reden, weil den. Wenn wir also etwa sagen: Es wird eine Ausfall- Sie von den kleinen Einkommen sprechen. Ich würde garantie des Staates geben, oder es wird eine Garantie bei einem Einkommen von 53 000 DM einer Familie des Staates im Blick auf eine nicht zu überschreitende mit einem Kind und bei einem Einkommen von Höchstgrenze bei den Zinsen geben, dann kann ich 94 000 DM einer Familie mit vier Kindern nicht definieren, wieviel das kosten wird, weil ich a) nicht weiß, wie hoch in zehn Jahren die Zinslast sein (Wetzel [GRÜNE]: Brutto!) wird, sprich: wieviel der Differenzbetrag ausmachen — auch brutto — wirklich nicht den Begriff „kleines wird, den ich zu finanzieren hätte, und weil ich b) Einkommen" verwenden. nicht weiß, wie viele Eltern auf ein solches Angebot (Beifall bei der FDP — Kuhlwein [SPD]: Stol zurückgreifen werden. Das liegt auf der Hand. Aber tenberg hat vom Durchschnittseinkommen es würde Geld kosten. gesprochen!) Wenn nun diese Koalition zwecks weiterer Konsoli- Ein Zweites. Bis vor einiger Zeit habe ich noch Bei- dierung der Staatsfinanzen — das ist bei den Zahlen, träge — bis hin zu dem der Kollegin von Wieczorek- die Sie ja kennen, wahrlich schon schwer genug — Zeul — des Inhalts gehört: Mehr als 5 000 DM darf ein sagt: Wir beschließen in den ersten zwei Jahren keine Mensch bei uns gar nicht verdienen. kostenwirksamen neuen Leistungsgesetze, dann (Kuhlwein [SPD]: Das ist vor zwölf Jahren kann ich als Bundesminister für Bildung und Wissen- gewesen!) schaft — es sei denn, ich wollte die Kabinettsdisziplin verletzen — nicht hingehen und sagen: Ja, aber nicht Es geht hier um Leute, die 8 000 DM im Monat ver- bei meinem Bereich. — Sonst würde ich jetzt schon ein dienen, und dann reden Sie von kleinen Einkommen. Gesetz vorschlagen, das uns viel Geld kostet. Das ist Ich will hier nur klare Grundlagen schaffen, über die der zweite Punkt, den ich erwähnen wollte. wir reden. Das ist das erste, was geklärt werden muß. Der dritte Punkt: Sie haben hier — was mich nicht überrascht — den Kabinettsbeschluß zum Thema Dann haben wir gesagt: Wie können wir diesen BAföG mit einbezogen. Ich würde darüber mit Ihnen Familien mit einem solchen Bruttoeinkommen, für die gern in etwas umfangreicherer Form diskutieren, will es — gerade wenn sie mehrere Kinder in der Ausbil- hier aber noch einmal deutlich sagen, was ich auch bei dung haben — trotzdem eine Schwierigkeit darstellt, der Vorstellung dieses Berichts gesagt habe: Es geht wenn auf einen Schlag Beträge von bis zu 823 DM pro hier um die Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht — ich Kopf und Monat, die theoretisch auch rechtlich einge- habe einen Bericht erstatten und die notwendige An- fordert werden können, fällig werden, dabei helfen, passung vornehmen müssen — , aber nicht darum, das zu finanzieren? eine Strukturreform der Ausbildungsförderung in (Daweke [CDU/CSU]: Das ist genau die Gang zu setzen. Diesen Anspruch erheben wir nicht. Frage! — Abg. Frau Dr. Götte [SPD] meldet Dazu habe ich den Beirat für Ausbildungsförderungs- sich zu einer Zwischenfrage) fragen einberufen, und darin wirken — entgegen Be- hauptungen, die ich heute gelesen habe — sehr wohl Vizepräsident Westphal: Herr Minister, gestatten die Gewerkschaften, die Studenten und andere mit. Sie eine Zwischenfrage? Ich habe sie gebeten, mir einen analytisch bewerteten 1786 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Bundesminister Möllemann Vorschlag zur Verbesserung des jetzigen Systems der Möllemann, Bundesminister für Bildung und Wis- individuellen Ausbildungsförderung zu machen. Mit senschaft: Nein. entsprechenden Vorschlägen kann ich ins Kabinett und zu Ihnen ins Parlament erst nach Ablauf dieser Die Antwort des Herrn Zweijahresfrist kommen — da bin ich gebunden —, Vizepräsident Cronenberg: Bundesministers heißt nein. Sie haben die Möglich- aber ich habe mir vorgenommen, das dann auch zu keit, eine Zusatzfrage zu stellen. tun, und bin gern bereit, dann mit Ihnen die Ausspra- che zu führen. Vielen Dank. Wetzel (GRÜNE): Darf ich fragen, Herr Minister, ob bei dem offiziellen Mitteilungsorgan Ihres Hauses (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) — für diejenigen, die es noch nicht kennen, be- schreibe ich, wie es aussieht — die Farben die gelbe Sonne über der blauen Ruhr bedeuten sollen, oder Vizepräsident Westphal: Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. warum ist Ihr ästhetischer Gestaltungswille ausdrück- lich auf gelb-blau gekommen? Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Be- richts zur Ausbildungsfinanzierung an die in der Ta- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie Möllemann, Bundesminister: Das ist eine sehr damit einverstanden? — Dann ist die Überweisung so grundsätzliche Frage, der ich mich aber gerne etwas beschlossen. ausführlicher widmen will. Wir haben vereinbart, daß wir die Tagesordnungs- Ich habe mir — das ist aus der Sicht des Bundesmi- punkte ohne Debatte und die eine Abstimmung, die nisteriums für Bildung und Wissenschaft, wie ich dabei erforderlich ist, auf den Nachmittag — nach der glaube, verständlich — zunächst einmal, als ich mit Fragestunde — verlegen. Wir beginnen damit also der Frage konfrontiert war, wie wir unsere Informa- nach der Fragestunde. Ich wäre dankbar, wenn das tionsmedien gestalten, z. B. Informationen aus der Pu- beachtet würde. blikation von Stadler, Seeger und Raeithel ,, Psycholo- gie der Wahrnehmung" verschafft und dabei festge- Wir treten nun in die Mittagspause ein. Die Sitzung stellt, daß Goethe in seiner Farbenlehre folgendes wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt. sagte: Er ging von dem hellen Gelb und dem dunklen Ich unterbreche die Sitzung. Blau aus und sah in diesen beiden Farben eine Grund- (Unterbrechnung von 13.12 bis 14.01 Uhr) polarität. Grün war auf Grund seiner Kenntnisse der subtraktiven Farbmischung der Pigmentfarben für ihn nur ein Ergebnis der Mischung aus Gelb und Blau. Vizepräsident Cronenberg: Die Sitzung ist wieder (Hört! Hört! und Lachen bei der SPD) eröffnet. Ich möchte dem Hohen Hause zunächst ein- Rot dagegen sei eine Verdichtung des Gelb, so wie mal bekanntgeben, daß der Ältestenrat eben in seiner etwa die zunächst gelbe Abendsonne dann, wenn sie Sitzung beschlossen hat, daß direkt nach Beendigung der Fragestunde die normale Tagesordnung weiter tiefer steht, d. h. dichtere Luftschichten durchdringen muß, rot erscheint. abgehandelt wird. Goethes Bevorzugung von Gelb und Blau als Pri- Die Fraktionen sind unterrichtet, und ich hoffe, daß märfarben in seinem Farbordnungssystem gegenüber das Haus dann so besetzt ist, daß wir keine allzu gro- Rot und Grün als abgeleiteten Farben wurde auf ßen Schwierigkeiten haben, die Tagesordnung abzu- Grund von neueren empirischen Untersuchungen, wickeln. nämlich von Hofstätter/Lübbert, hypothetisch damit zu erklären versucht, daß Goethe einen sehr viel stär- Wir treten ein in die keren Gelbeindruck als Farbnormalsichtige gehabt Fragestunde haben muß, was die Vermutung nahelegt, daß Goethe eine Farbsinnstörung im Grünbereich gehabt haben — Drucksache 11/781 — könnte. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers Diese Frage mußte natürlich geklärt werden, bevor für Bildung und Wissenschaft auf. Zur Beantwortung ich zu Entscheidungen kommen konnte. Deswegen der Fragen steht uns Herr Bundesminister Möllemann habe ich nachgesehen, welche Farbstörungsabläufe zur Verfügung. es geben kann, und fand dazu in Meyers Konserva- Ich rufe die Frage 39 des Abgeordneten Wetzel tionslexikon, Leipzig/Wien 1894, zunächst die Blau- auf : gelbblindheit — das bedeutet, das Spektrum besteht Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die plakative nur aus Rot und Grün, seine blauviolette Seite ist stark Verwendung der Farben blau und gelb auf einem Info des Bun- verkürzt — , aber merkwürdigerweise auch die Rot- desministeriums für Bildung und Wissenschaft ursächlich zu- grünblindheit. Ich habe mir gesagt, das kann am Ende sammenhängt mit den Farben, die die Partei, der der zuständige nicht die Entscheidung bestimmen, und habe mich Minister angehört, regelmäßig verwendet, wenn sie für sich wirbt? dann an Blieshaimer, dem bekannten Popper-Schüler orientiert, der den beiden Farben folgende Zuord- Herr Abgeordneter, würden Sie sich bitte entspre- nung gibt: Gelb — das ist Beweglichkeit, Streben chend den Gepflogenheiten des Hauses verhalten. nach Veränderung, Erlösung und Befreiung, Intuition, (Abg. Wetzel [GRÜNE] begibt sich an ein Logos und Glaube; Blau — das ist Intellektualität, Saalmikrophon) Wahrheit, Gemüt, Geborgenheit, Treue. Herr Bundesminister! Das waren die wahren Gründe, keine anderen. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1787

Vizepräsident Cronenberg: Sie haben eine weitere sich denken können, nicht so sehr gekümmert, son- Zusatzfrage, Herr Abgeordneter. dern nur die Farben vorgegeben.

Wetzel (GRÜNE): Herr Minister, ich bin froh, daß es Vizepräsident Cronenberg: Zusatzfrage des- Abge- in Ihrem Hause Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter ordneten Rose. gibt, die wenigstens über minimale Literaturkennt- nisse verfügen. Aber meine Frage zielte nicht auf das Dr. Rose (CDU/CSU): Herr Minister, sind Sie mit Abrufen derartiger Kenntnisse, sondern die Frage hat mir der Meinung, daß es nicht so sehr auf die Farben, einen etwas ernsteren Hintergrund. Aus den Fragen sondern auf den Inhalt der Politik ankommt und des- haben Sie entnommen, daß ich den Verdacht hege, halb Sie und Ihr Haus die Farben Blau und Gelb ge- daß Sie im Widerspruch zu den vom Bundesverfas- nauso beflügeln sollten wie mich z. B. die Farben sungsgericht gesetzten Grenzen eine Parteiwerbung Weiß und Blau? unter mißbräuchlicher Nutzung der Ihnen als Minister zu Gebote stehenden Möglichkeiten be treiben. Möllemann, Bundesminister: Das ist auch deswe- Deswegen möchte ich eine klare Antwort haben, ob gen, Herr Kollege Rose, sehr verständlich, weil bei- Sie einen Zusammenhang zwischen der Verwendung spielsweise in einer frühen Phase des Bundesministe- der Farben Gelb und Blau und der Farben der von riums für Bildung und Wissenschaft das Publikations- Ihnen vertretenen Partei sehen. organ des Bundesministeriums unter Minister Leus- sink die Farben Weiß und Blau verwendet hat. Möllemann, Bundesminister: Herr Kollege, zu- nächst werde ich gern Ihr eingeschränktes Kompli- Vizepräsident Cronenberg: Ich rufe nunmehr die ment an meine Mitarbeiter weitergeben. Sie verdie- Frage 40 des Abgeordneten Wetzel auf: nen übrigens durchaus uneingeschränkte Kompli- Wie beurteilt die Bundesregierung die indirekte Werbung für mente, was ihre Literaturkenntnisse angeht. die FDP in einem offiziellen Info des Bundesministeriums für Ich habe ganz bewußt Ihre erste Frage mit Nein Bildung und Wissenschaft im Hinblick auf die juristischen Gren- zen, die das Bundesverfassungsgericht der Öffentlichkeitsarbeit beantwortet. Das ist die Auffassung, die ich habe. der Bundesregierung gezogen hat, und wird das Bundesministe- rium für Bildung und Wissenschaft in Zukunft das Info än Vizepräsident Cronenberg: Zusatzfrage des Abge- dern? ordneten Kuhlwein. Herr Abgeordneter, darf ich Sie noch einmal daran erinnern, daß die Gepflogenheiten des Hauses zu be- Kuhlwein (SPD): Herr Minister, wie hoch ist denn achten sind, der Wert der noch im Ministe rium lagernden früheren (Abg. Wetzel [GRÜNE] begibt sich an ein Kopfbögen? Verträgt es sich mit den Grundsätzen der Saalmikrophon) Sparsamkeit, von heute auf morgen einen neuen Kopfbogen einzuführen, wenn noch soviel Mate rial Möllemann, Bundesminister: Herr Kollege Wetzel, auf Lager liegt? nach Auffassung der Bundesregierung stellt das offi- zielle Presseinfo des BMBW keine indirekte Werbung Möllemann, Bundesminister: Ich kann Ihnen im Mo- für die FDP dar. Es ist vielmehr ein zeitgemäß gestal- ment die Blattzahl nicht nennen. Meine Mitarbeiter tetes Informationsmedium. Die Bundesregierung haben dort nicht nachgezählt. Deswegen kann ich kennt und achtet die juristischen Grenzen, die das hier auch nicht den genauen Wert sagen. Bundesverfassungsgericht der Öffentlichkeitsarbeit Nachdem nach Übernahme des Resso rts durch mich der Bundesregierung gezogen hat. eine generelle Überprüfung der Wirksamkeit unserer Ich beabsichtige nicht, das Info zu ändern. Publikationen veranlaßt worden war, sind wir zu dem Ergebnis gekommen, daß die Farbkombination, die Zusatzfrage, bitte seither galt — nämlich schwarz-weiß-rot — , vielleicht Vizepräsident Cronenberg: sehr. nicht ganz zeitgemäß sei und daß die Farbkombina- tion weiß-blau-gelb von farbpsychologischer Seite her tatsächlich einen höheren Aufmerksamkeitswert ha- Wetzel (GRÜNE): Herr Minister, sind Ihnen die ben würde. höchstrichterlichen Entscheidungen zur Wahlwer- bung bekannt? Ich zitiere aus dem Urteil des Bundes- Mir scheint das auch angesichts der versammelten verfassungsgerichts — Band 44, Seite 149 — , wo defi- Bemühungen, die das Haus jetzt hier unternimmt, das niert wird, wo die Wahlwerbung beginnt: stärker ins Bewußtsein zu bringen, durchaus von Er- folg gekrönt zu sein. Sie muß sich stets der offenen oder versteckten Werbung für einzelne der miteinander konkurrie- renden politischen Parteien oder sonstigen an der Vizepräsident Cronenberg: Zusatzfrage der Abge- ordneten Frau Odendahl, bitte sehr. politischen Meinungsbildung beteiligten Grup- pen enthalten. Frau Odendahl (SPD): Herr Minister, stimmt es, daß Ich frage Sie in diesem Zusammenhang: Erscheint eine Münsteraner Werbeagentur dieses Deckblatt ge- es Ihnen als unverständlich, wenn ich die Verwen- staltet hat? dung dieser Farben auf Ihrem Info als eine Form zu- mindest versteckter Werbung für eine einzelne der Möllemann, Bundesminister: Wir haben uns eine miteinander konkurrierenden Parteien ansehe? Vielzahl von Entwürfen mit unterschiedlichsten Far- ben angeschaut. Ich habe mich um die Details, wie Sie Möllemann, Bundesminister: Ja. 1788 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Wetzel (GRÜNE): Ist Ihnen weiter geläufig, daß kretärin Frau Karwatzki in Ihrem Ministe rium, die ja nach dem Urteil die Öffentlichkeitsarbeit der Mehr- einer anderen Partei angehört, diese Umstellung auf heitsparteien nicht durch den Einsatz öffentlicher Mit- Blau und Gelb, auf die Parteifarben der FDP, mit Ver- tel zu Hilfe kommen darf? gnügen gesehen hat und nun ihre Presseerklärungen auch mit Vergnügen auf blau-gelbem Papier veröf- Möllemann, Bundesminister: Ja. fentlicht.

Wetzel (GRÜNE): Halten Sie — — Möllemann, Bundesminister: Ich glaube, daß das Vergnügen der Parlamentarischen Staatssekretärin Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie im Frau Karwatzki darin besteht, daß sie diese wich tige Grunde genommen nur zwei Zusatzfragen stellen Aufgabe wahrnehmen kann und daß sie in dem Infor- dürfen. Aufgrund der kurzen Beantwortung durch mationsblatt, über dessen Gestaltung der Minister den Minister und der Großzügigkeit des Präsidenten entschieden hat, wie alle anderen Mitarbeiter, wenn soll Ihnen aber die Möglichkeit gegeben sein, noch sie zu Publikationen kommen, auch publizieren eine Zusatzfrage zu stellen. Aber ich wäre Ihnen kann. dankbar, wenn Sie Ihre Fragen zusammenfassen wür- den. Wir müssen uns an die Geschäftsordnung hal- Vizepräsident Cronenberg: Weitere Zusatzfragen ten. zur Frage 40 werden nicht gewünscht. Ich rufe die Frage 41 der Abgeordneten Frau Oden- Wetzel (GRÜNE): Herr Minister, können Sie wenig- dahl auf: stens bestätigen, daß dieses Info mit den Farben Blau Was hat den Bundesminister für Bildung und Wissenschaft und Gelb, das aus Ihrem Haus kommt, aus öffentli- veranlaßt, das Deckblatt der Pressemitteilungen seines Ministe- chen Mitteln finanziert wird? riums in den Farben seiner Partei, also in gelb/blau, zu gestal- ten? Möllemann, Bundesminister: Ja, selbstverständ- Herr Minister, Sie haben das Wort. lich. Bundesminister: Frau Kollegin Oden- Vizepräsident Cronenberg: Eine Zusatzfrage der Möllemann, Abgeordneten Frau Odendahl. dahl, nach Übernahme meines neuen Ressorts habe ich auch eine generelle Überprüfung der Wirksamkeit Frau Odendahl (SPD): Herr Minister, nachdem Sie unserer Publikationen veranlaßt, mit denen Bildung sehr oft recht stereotyp ja gesagt haben, konnte ich und Wissenschaft direkt oder auf dem Wege über die Ihrer Antwort entnehmen, daß Ihnen die entsprechen- Medien, also über unseren Pressedienst der Öffent- den Urteile bekannt sind, sicher auch die Leitsätze lichkeit vermittelt werden sollen. Aufgefallen war zum Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfas- nämlich — und das nicht nur mir — die Diskrepanz sungsgerichts vom 2. März 1977 — Sie müssen jetzt zwischen der Bedeutung des Zukunftsthemas Bildung nicht ja sagen — , wo es unter Punkt 6 heißt: und Wissenschaft und seiner publizistischen Aufbe- reitung. Tritt der informative Gehalt einer Druckschrift oder Anzeige eindeutig hinter der reklamehaften Bekanntlich kommt es in der Politik wie überall im Aufmachung zurück, so kann das ein Anzeichen Leben oft auch auf die Verpackung an. Nicht allein die dafür sein, daß die Grenze zur unzulässigen Botschaft ist wich tig — sie ist natürlich das Wichti- Wahlwerbung überschritten ist. gere — , sondern auch die Präsentation, wenn ihr der Jetzt kommt meine Frage: Ist in Ihrem Hause gewähr- gewünschte Aufmerksamkeitswert zuteil werden soll. leistet, daß immer geprüft wird, ob der Inhalt nicht Das ist eine Erkenntnis, die allgemein, auch in diesem hinter dieser Aufmachung zurücktreten kann, und ha- Hohen Hause und auch in anderen Ressorts der Re- ben Sie dafür Stellen vorgesehen? gierung, Platz gegriffen hat. Ich erinnere nur an die zeitgemäß gestylten Informationsdienste der Fraktio- Möllemann, Bundesminister: Im Gegensatz zu m an nen, bei denen offenbar eine gewisse Vorliebe der -chen Vorstellungen anderer aus früheren Zeiten brau- Farbe Blau auf Weiß entgegengebracht wird — das chen wir dafür bei uns keine Stellen. Dafür ist der wird am häufigsten verwendet — , dicht gefolgt von Minister selbst die beste Gewähr. Rot auf Weiß oder Gelb und — in größerem Ab- stand — Grün. Die Fraktion der GRÜNEN präsentiert (Oh-Rufe bei der SPD) sich allerdings pechschwarz, was ich hinsichtlich sei- ner tieferen Bedeutung bisher nicht ausloten Vizepräsident Cronenberg: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Kuhlwein. konnte. Im Bundesministerium für Bildung und Wissen- Kuhlwein (SPD): Nachdem wir eine sehr auswei- schaft fiel mir jedenfalls auf, daß die Pressemitteilun- chende Antwort bekommen haben — von der manche gen nicht mehr ganz zeitgemäß waren, zumindestens meiner Kollegen hier gesagt haben, daß sie in dieser was ihr Äußeres angeht, und zwar sowohl im Hinblick Form eigentlich nicht in das Hohe Haus gehöre; ich auf die Typographie als auch auf die farbliche Gestal- bin im übrigen der Überzeugung, daß die Art und tung. Beides ist in den frühen 70er Jahren entworfen Weise, wie hier vorgetragen wurde, den Regeln der worden und, von einer kleinen Modifikation abgese- Geschäftsordnung für die Fragestunde widerspre- hen, bis in die heutigen Tage unverändert geblieben, chen, nach denen die Regierung gehalten ist, kurze hat also Regierungs- und Ministerwechsel unbescha- Antworten zu geben — , möchte ich fragen, Herr Bun- det überdauert. Bei aller Sympathie für Beständigkeit desminister, ob denn die Parlamentarische Staatsse- schien mir hier eine Änderung dringend erforderlich. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1789

Bundesminister Möllemann Sie bestand in einem neuen Layout, in einem Wechsel Möllemann, Bundesminister für Bildung und Wis- der Schriftart — statt der alten Helvetica verwenden senschaft: Wir bemühen uns bei allen Publikationen wir jetzt die Futura — und in einem Farbwechsel. um ein einheitliches Erscheinungsbild, - Schwarz und rot sind gängige Farben, die aber wegen (Heiterkeit) der häufigen Verwendung nicht mehr besonders auf- damit ein hoher Wiedererkennungswert gegeben ist, fallen, was bei blau und gelb aber der Fall ist: eine so daß Sie davon ausgehen dürfen, daß hier ein diffu- freundliche, sympathieträchtige Farbkombination mit ses Bild nicht entstehen wird. offenbar hohem Wiedererkennungswert. (Zuruf von der SPD: Die FDP-Farben kom Nach meinem Verständnis, das nicht unbeeinflußt men!) ist von Erkenntnissen der Werbepsychologie, der Ty- pographie und der Farbenlehre, mußte also ein sol- Es wird eine allgemeine Umstellung auf diese von mir cher Wechsel vonstatten gehen. Dies war, um die zutreffend beschriebenen Farben erfolgen. Frage zum Schluß noch einmal aufzunehmen, der An- laß für die farbenfrohe Neugestaltung. Vizepräsident Cronenberg: Weitere Wortmeldun- gen liegen mir nicht vor, so daß ich den Geschäftsbe- Vizepräsident Cronenberg: Ihre Zusatzfrage, bitte reich des Bundesministers für Bildung und Wissen- schön, Frau Abgeordnete. schaft abschließen kann. Herr Minister, wir bedanken uns. Frau Odendahl (SPD): Herr Minister, nachdem nun Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers gerade der Haushalt des Bildungsministers sehr gro- des Auswärtigen auf. ßen Sparmaßnahmen ausgesetzt ist, interessie rt mich — weil ich als Schwäbin an Sparmaßnahmen interes- Als erstes rufe ich die Frage 42 des Abgeordneten siert bin und Sie geantwortet haben, daß auch noch Dr. Rose auf: anderes Papier da ist — , ob Sie in Zukunft beabsich- In welchen „nur ganz wenigen Fä llen" (Richtlinien für die tigen, dieses Papier, z. B. für Berichte, die nicht einen Tätigkeit der deutschen Auslandsvertretungen auf dem Gebiet der auswärtigen Kulturpolitik vom 15. Januar 1987) haben die so erhöhten Aufmerksamkeitswert benötigen, zu ver- deutschen Auslandsvertretungen ein „Veto" gemäß § 4 Abs. 7 wenden. RV einlegen müssen? Herr Staatsminister Schäfer steht uns zur Beantwor- Möllemann, Bundesminister für Bildung und Wis- tung der Fragen zur Verfügung. senschaft: Wir werden das Papier einer vernünftigen Verwendung zuführen. Ich kann jetzt noch nicht sa- Herr Staatsminister, Sie haben das Wort. gen, wo. Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Herr Vizepräsident Cronenberg: Frau Abgeordnete, Sie Kollege, seit Inkrafttreten des Rahmenvertrages vor haben noch eine Zusatzfrage. Bitte schön. 12 Jahren hat das Goethe - Institut etwa 200 000 Ver- anstaltungen durchgeführt. Gemäß § 4 Abs. 7 des Frau Odendahl (SPD): Herr Minister, wäre es mög- Rahmenvertrages kann der Leiter einer Auslandsver- lich, die Kosten, die diese neue Aktion verursacht hat, tretung im Rahmen der ihm übertragenen politischen mitzuteilen, oder können Sie das nur schriftlich tun? Aufgaben gegen eine solche Veranstaltung Ein- spruch erheben. Nach den Unterlagen des Auswärti- Möllemann, Bundesminister für Bildung und Wis- gen Amtes wurde von dem Recht des Einspruchs ins- senschaft: Ich muß dem nachgehen, weil ich das nicht gesamt in 12 Jahren dreimal Gebrauch gemacht. Dies genau präsent habe. Ich würde das ganz gern in geschah durch die deutsche Botschaft in Kanada 1976, einem Überblick der Kosten tun, die in verschiedenen durch das deutsche Generalkonsulat in Genua 1979 Ministerien zu verschiedenen Zeiten bei der Umstel- und durch die deutsche Botschaft in Colombo 1983. lung von Informationsmitteln entstanden sind. Vizepräsident Cronenberg: Zusatzfrage? — Bitte Vizepräsident Cronenberg: Zusatzfrage des Abge- schön, Herr Abgeordneter. ordneten Irmer. (CDU/CSU): Herr Staatsminister, darf ich Irmer (FDP): Herr Minister, hat Ihre Werbeabtei- Dr. Rose lung auch dazu Stellung genommen, ob etwa, wenn es aus Ihrer Aufzählung entnehmen, da alle Fälle vor 1983 liegen, daß sich die neue Politik im Auswärtigen auf diese Informationsmaterialien regnet, die Farbe Blau und die Farbe Gelb nicht zur Farbe Grün zusam- Amt so durchgesetzt hat, daß eine Abmahnung oder ähnliches nicht mehr notwendig ist? menlaufen?

Möllemann, Bundesminister für Bildung und Wis- Schäfer, Staatsminister: Ich glaube nicht, daß Sie senschaft: Herr Abgeordneter Irmer, diese Gefahr ist das daraus entnehmen können, Herr Kollege; denn weitgehend ausgeschlossen. ich halte drei Fälle bei 200 000 Veranstaltungen für nicht so gravierend, als daß wir eine Änderung unse- Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter rer Politik hätten vornehmen müssen. Ich darf aber Kuhlwein. darauf hinweisen, daß es natürlich eine erhebliche Zahl von Fällen gibt, wo man sich — wie wir das auch Kuhlwein. (SPD): Herr Bundesminister, welche Pu- für richtig halten — zwischen Goethe-Institut und Bot- blikationen Ihres Hauses werden in welchen Zeitab- schaft vorher einigt, wenn es sich dabei um Veranstal- ständen auch noch auf die Parteifarben der FDP, blau/ tungen handelt, die im Gastland Schwierigkeiten her- gelb, umgestellt? vorrufen könnten. Die drei Fälle, die ich hier genannt 1790 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Staatsminister Schäfer I habe, beziehen sich auf Einsprüche, woraufhin Ver- Nr. 5 heißt: anstaltungen abgesagt werden mußten. Die Aufenthaltserlaubnis darf erst erteilt werden, nachdem die Ausländerbehörde ihre Zustim- Vizepräsident Cronenberg: Weitere Zusatzfrage, mung erteilt hat. Von der Ausländerbehörde ge- bitte sehr, Herr Dr. Rose. forderte Beschränkungen, Bedingungen oder Auflagen zur Aufenthaltserlaubnis sind zu be- Dr. Rose (CDU/CSU): Können Sie mir dann, Herr rücksichtigen. Staatsminister, den tieferen Sinn erklären, warum im Nr. 14: Juni dieses Jahres nochmals sehr umfassende neue Wird eine Aufenthaltserlaubnis in der Form des Richtlinien des Auswärtigen Amts zu diesem Themen- Sichtvermerkes an einen Ausländer erteilt, der im komplex herausgekommen sind? Bundesgebiet eine Erwerbstätigkeit ausüben oder sich dort länger als drei Monate aufhalten Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege Rose, wenn will, so ist sie mit der Bedingung zu versehen, daß ich recht verstehe, kommen Sie aus Bayern. Vielleicht sie erlischt, wenn festgestellt wird, daß der Aus- stehen solche Bemühungen des Auswärtigen Amtes, länder an einer nach § 3 Abs. 1 und 2 Bundes- Auseinandersetzungen um die auswärtige Kulturpoli- seuchengesetz meldepflich tigen übertragbaren tik zu vermeiden, auch im Zusammenhang mit Ihrem Krankheit, einer ansteckungsfähigen Ge- Bundesland. schlechtskrankheit oder einer Geisteskrankheit leidet, ein entsprechender Krankheitsverdacht besteht oder der Ausländer Ausscheider im Sinne Vizepräsident Cronenberg: Weitere Zusatzfragen des § 3 Abs. 4 Bundesseuchengesetz ist. liegen nicht vor. Dann rufe ich die Frage 43 des Abge- ordneten Wartenberg (Berlin) auf: Soweit der Stempeleindruck „Erlischt bei gesundheit- Auf Grund welcher Rechtsgrundlagen werden Einreisevisa lichen Bedenken" in einem Fall angebracht wurde, mit dem Zusatz „Erlischt bei gesundheitlichen Bedenken" ver- der einen Sichtvermerk für einen Aufenthalt unter sehen — wie dies beispielsweise in einem am 21. Juli 1987 aus- drei Monaten und zu Nichterwerbszwecken betraf, gestellten Visum für einen aus Burundi einreisenden Geschäfts- mann geschehen ist? handelt es sich, wie die angeforderte Berichterstat- tung aus Bujumbura ergeben hat, um eine Vorgehen in eigener Verantwortung der Botschaft, das durch die Schäfer, Staatsminister: Herr Präsident, mit Ihrer Vorschriften nicht geboten ist. Genehmigung darf ich zu den vorliegenden zehn Fra- gen, die alle denselben Fragenkomplex behandeln, Vizepräsident Cronenberg: Zusatzfrage, Herr Ab- eine Vorbemerkung machen, die die juristischen geordneter Wartenberg. Grundlagen klärt. — Der Stempeleindruck „Erlischt bei gesundheitli- Wartenberg (Berlin) (SPD): Ist es ein Zufall, daß die- chen Bedenken" bei der Erteilung von Visa beruht ses eigenmächtige Verhalten in Burundi geschehen auf der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Aus- ist, oder hat es etwas damit zu tun, daß dieses den führung des Ausländergesetzes vom Jahre 1967. Der eigentlichen Vorschriften entgegenstehende Verhal- Stempeleindruck wird auf Grund dieser Vorschrift auf ten gegenüber Reisenden aus den Ländern gezeigt Veranlassung der zuständigen Ausländerbehörden wird, die sozusagen als der AIDS-Gürtel in Afrika gel- oder von den Auslandsvertretungen in Ausübung ei- ten? genen pflichtgemäßen Ermessens in den Sichtver- merk eingestempelt, falls der Reisende — ich zi- Schäfer, Staatsminister: Wir können Ihnen — und tiere — damit meine ich das ganze Auswärtige Amt — nicht sagen, was den Behördenleiter veranlaßt hat, diesen im Bundesgebiet eine Erwerbstätigkeit ausüben Stempel auf den Visumsantrag zu drücken. Ich kann oder sich dort länger als drei Monate aufhalten nur sagen, daß Rechtsgrundlage auch in solchen Fäl- wird. len das Ermessen aller Ausländerbehörden ein- Die Tatsache einer lang eingespielten, auf der allge- schließlich der deutschen Auslandsvertretungen ist. meinen Verwaltungsvorschrift von 1967 beruhenden Das heißt, er konnte das auch bei einem Visum unter Verwaltungspraxis zeigt, daß ihre Anwendung nicht drei Monaten tun. Aber wir gehen diesem Fall noch im durch die aktuelle AIDS-Problematik bedingt ist. Die einzelnen nach. Auflage wird weltweit angewandt. Die Bundesregie- rung hat keinen Einfluß darauf, ob und, gegebenen- Vizepräsident Cronenberg: Weitere Zusatzfrage. falls, in welcher Weise der Eintritt der Bedingung „Er- lischt bei gesundheitlichen Bedenken" festgestellt Wartenberg (Berlin) (SPD): Sind Ihnen denn weitere wird. Dies ist ausschließliche Zuständigkeit der Bun- Fälle aus den betreffenden Ländern in Afrika be- desländer. Regel ist, daß die Ausländerbehörden der kannt, in denen solche Vermerke in das Visum einge- Länder den Ausländer nach einer gewissen Zeit auf- stempelt worden sind? fordern, sich einer ärztlichen Untersuchung zu unter- ziehen. Diese Untersuchung erfolgt nach Richtlinien, Schäfer, Staatsminister: Uns sind keine weiteren die die obersten Landesbehörden festlegen. Fälle bekannt. Ich schließe aber nicht aus, daß es sol- che weiteren Fälle gibt. Wir sind dabei, das zu über- Ich darf nun zu Ihrer Frage kommen: Rechtsgrund- prüfen. lage sind § 7 Abs. 3 des Ausländergesetzes vom 28. April 1965 sowie die Nr. 5 und die Nr. 14 der Ver- Vizepräsident Cronenberg: Ich rufe nunmehr die waltungsvorschrift zum § 21 des Ausländergesetzes. Frage 44 des Abgeordneten Wartenberg auf: Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1791

Vizepräsident Cronenberg In welchen Fällen wird ein Einreisevisum mit dem Zusatz „Er- Sieht die Bundesregierung den Visumzusatz „Erlischt bei ge- lischt bei gesundheitlichen Bedenken" versehen, für welche sundheitlichen Bedenken" als geeignetes Mittel zur AIDS-Be- Länder gilt diese Regelung? kämpfung an? - Schäfer, Staatsminister: Die Praxis gilt weltweit. Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, das für die Spezielle Regelungen für spezielle Länder gibt es Sichtvermerkserteilung im Ausland federführende nicht. Für Angehörige der EG-Staaten gelten die EG- Auswärtige Amt sieht zwischen diesem Zusatz und internen Regelungen des EG-Aufenthaltsgesetzes der AIDS-Bekämpfung keinerlei Zusammenhang. vom 22. Juli 1969 und die entsprechende Regelung Ihre Frage ist deshalb mit Nein zu beantworten. des Ausländerrechts. Vizepräsident Cronenberg: Zusatzfragen werden Vizepräsident Cronenberg: Bitte schön. nicht gewünscht. Wartenberg (Berlin) (SPD): Noch eine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 49 des Abgeordneten Dr. Nöbel Wenn in Burundi so etwas von einem Konsulatsbeam- auf: ten gemacht worden ist: Ist davon auszugehen, daß Ist die Regelung, wonach Einreisevisa mit dem Zusatz „Er- das ein einzelner Konsulatsbeamter gerade in diesem lischt bei gesundheitlichen Bedenken" versehen werden kön- speziellen Land in eigener Ermächtigung gemacht nen, mit dem Bundesminister des Innern abgestimmt? hat? Ist das nicht doch eine Anweisung, die erteilt worden ist? Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, die Verwal- tungsvorschrift zum Ausländergesetz aus dem Jahre Schäfer, Staatsminister: Es gibt eine solche Anwei- 1967, die Rechtsgrundlage für die von Ihnen zitierten sung nicht. Auflagen ist, ist vom Bundesminister des Innern mit Zustimmung des Bundesrates nach interner Abstim- Vizepräsident Cronenberg: Noch eine Zusatzfrage, mung innerhalb der Bundesregierung erlassen wor- bitte schön. den.

Wartenberg (Berlin) (SPD): Sie meinen, daß es rein Vizepräsident Cronenberg: Zusatzfragen ge- zufällig geschehen ist, daß in diesen speziellen Län- wünscht? dern, die in der gesamten Diskussion der Welt, was AIDS angeht, eine große Rolle spielen, so etwas ge- Dr. Nöbel (SPD): Herr Minister, Sie können also kein macht wird? neueres Datum nennen, zu dem eine Regelung seitens des Auswärtigen Amtes oder in Abstimmung mit dem Schäfer, Staatsminister: Ich kann nicht ausschlie- Innenministerium oder sogar auf Grund eines Kabi- ßen, daß der betreffende Beamte der Meinung war, nettbeschlusses getroffen worden ist? daß es in Burundi eine besonders hohe Zahl von AIDS Infizierten gibt, und daß er glaubte, er müsse diesen Schäfer, Staatsminister: Nein. Vermerk deshalb machen. Aber wir sind dabei — ich sagte Ihnen das schon, Herr Kollege, diesen speziellen Weitere Zusatzfrage, Fall zu prüfen und daraus unsere Schlüsse zu zie- Vizepräsident Cronenberg: bitte sehr. hen.

Vizepräsident Cronenberg: Wir kommen zu den Dr. Nöbel (SPD): Wenn ich Sie richtig verstanden Fragen 45 und 46 des Abgeordneten Bernrath. — Der habe, haben Sie diesen Einzelfall so dargestellt, daß Abgeordnete ist nicht im Saal. Er hat mir mitteilen hier ausschließlich ein Beamter zur Verantwortung zu lassen, daß er schriftliche Beantwortung erbittet. Das ziehen ist. Sehen Sie darin keine Diskriminierung? läßt unsere Geschäftsordnung aber nicht zu. Sollte aber der Abgeordnete Bernrath — Herr Staatsmini- Schäfer, Staatsminister: Ich habe zunächst noch ster, ich hoffe, Sie sind damit einverstanden — noch nicht davon gesprochen, daß der Beamte zur Verant- kommen, solange Sie hier sind, würde ich die Frage wortung gezogen wird, sondern wir haben auf Grund dann nochmals aufrufen. dieses Vorfalls eine Nachforschung angestellt, wie dieser Beamte dazu gekommen ist, einen solchen Ver- (Staatsminister Schäfer: Ja!) merk einzutragen, obwohl der Ausreisende nur für Ich rufe die Frage 47 der Abgeordneten Frau Häm- weniger als drei Monate in die Bundesrepublik reisen merle auf : wollte. Ich darf Ihnen — ich habe das eben schon Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, wenn andere Staa- angedeutet, Herr Kollege — sagen, daß dieser Fall im ten — ebenso wie die Bundesrepublik Deutschland — Einreise- Auswärtigen Amt Konsequenzen in der Richtung ha- visa für deutsche Bundesbürger mit dem Zusatz versehen „Er- lischt bei gesundheitlichen Bedenken"? ben wird, die wahrscheinlich auch Sie für richtig hal- ten: daß wir nämlich ausschließen wollen, daß sich Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, die Bundes- solche Fälle wiederholen. regierung kann gegen die Verwaltungspraxis ande- rer Staaten, die unserer eigenen entspricht, keine Be- Vizepräsident Cronenberg: Ich rufe die Frage 50 denken erheben. des Abgeordneten Dr. Nöbel auf: Hält die Bundesregierung es für vertretbar, daß Einreisevisa Vizepräsident Cronenberg: Zusatzfrage? — Keine mit dem Zusatz „Erlischt bei gesundheitlichen Bedenken" ver- Zusatzfragen. sehen werden, nachdem bereits die Anweisung des Bundesmi- nisters des Innern, AIDS-kranke oder AIDS-infizierte Ausländer Dann rufe ich die Frage 48 der Abgeordneten Frau bei der Einreise zurückzuweisen, nach hef tiger Kritik zurückge- Hämmerle auf: zogen werden mußte? 1792 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Schäfer, Staatsminister: Ich darf auf meine Antwort genüber einem Ausländer führen muß, ob er nun drei an den Kollegen Bernrath verweisen, die ich nun Monate hier ist oder nicht? dummerweise nicht vorlesen konnte. Ich stelle aber noch einmal fest, daß die Auflage „Erlischt bei ge- Schäfer, Staatsminister: Da diese Vorschrift, wie ich sundheitlichen Bedenken" seit vielen Jahren der Pra- Ihnen, Herr Kollege, schon gesagt habe, aus dem xis entspricht. Das Auswärtige Amt sieht keinen Zu- Jahre 1967 stammt, damals aus der Großen Koalition, sammenhang mit der AIDS-Bekämpfung. verabschiedet mit Zustimmung aller SPD-Minister, muß ich sagen: Sie haben vielleicht damals — wir Vizepräsident Cronenberg: Zusatzfrage, bitte waren gar nicht beteiligt — einen Fehler gemacht. schön. (Wartenberg [SPD]: Es gab damals noch nicht AIDS!) Dr. Nöbel (SPD): Können Sie uns mitteilen, wieviel Zeit die Regierung oder das Auswärtige Amt in etwa Ich kann nur dazu sagen, daß die Problematik AIDS beansprucht, um diese Sache aufzuklären? natürlich dazu führt, daß wir auch diesen ganzen Komplex der Erteilung von Visen neu behandeln müs- Schäfer, Staatsminister: Ich kann Ihnen sagen, daß sen. Ich glaube, daß ein weiterer Aspekt zu beachten das Auswärtige Amt möglicherweise schon morgen ist, nämlich daß es eine immens lange Zeit dauert, bis einen Erlaß an alle deutschen Botschaften herausge- man zu einer Erteilung eines Visums kommt, wenn ben wird, der klarstellt, daß sich solche Vorfälle nicht entsprechende Eintragungen vorgenommen worden wiederholen dürfen. Der Erlaß ist zur Zeit schon in sind, da erst Rückfragen bei den Bundesländern vor- Arbeit, auf ausdrückliche Weisung von Bundesmini- genommen werden müssen, die wiederum über Aus- ster Genscher. länderbehörden die Gesundheitsämter befragen müs- sen. Das ist auch ein Vorgang, mit dem wir uns in Vizepräsident Cronenberg: Weitere Zusatzfrage. diesem Haus intensiv beschäftigen müssen.

Dr. Nöbel (SPD): Kann der Fragesteller davon aus- Vizepräsident Cronenberg: Weitere Zusatzfragen gehen, daß er über das Ergebnis informiert wird? werden nicht gewünscht. Schäfer, Staatsminister: Selbstverständlich wird der Ich rufe die Frage 53 des Abgeordneten Dr. Soell Fragesteller gern über alle Vorgänge im Auswärtigen auf: Amt informiert, sofern sie nicht geheim sind, Herr Kol- Ist der Bundesregierung bekannt, ob und wann die m Saudi- lege Nöbel. Arabien widerrechtlich festgehaltenen deutschen Staatsbürger Uwe Hensel und Hartmut Krause Saudi-Arabien verlassen? (Dr. Nöbel [SPD]: Danke!) Herr Staatsminister. Vizepräsident Cronenberg: Ich rufe die Frage 51 des Abgeordneten Graf auf: Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, das Auswär- tige Amt bemüht sich seit längerem um eine Ausrei- Wie viele Visa wurden im letzten halben Jahr mit dem Zusatz „Erlischt bei gesundheitlichen Bedenken" versehen? segenehmigung für die in Saudi-Arabien wegen For- derungen gegen ihren Arbeitgeber festgehaltenen Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, eine Um- deutschen Staatsangehörigen Krause und Hensel. frage bei den Auslandsvertretungen auf Grund Ihrer Bundeskanzler Kohl hat sich mit Schreiben vom Mai Frage hat ergeben, daß die Zahl der im letzten halben 1987 an den saudischen König für eine baldige Aus- Jahr mit diesem Zusatz versehenen Visa auf insge- reise der beiden Deutschen eingesetzt. Die Bundesre- samt rund 15 000 geschätzt werden kann. gierung wird sich auch weiterhin mit allem Nach- druck für eine Ausreise der beiden Deutschen ver- Vizepräsident Cronenberg: Keine Zusatzfrage. wenden. Sie vermag jedoch nicht zu sagen, wann die Dann rufe ich die Frage 52 des Abgeordneten Graf beiden deutschen Staatsbürger Saudi-Arabien verlas- auf: sen können. Hat es bisher einen Fall gegeben, in dem ein Visum auf Grund des Zusatzes „Erlischt bei gesundheitlichen Bedenken" erlo- Vizepräsident Cronenberg: Eine Zusatzfrage, bitte schen ist, und welche Konsequenzen hatte dies gegebenenfalls schön, Herr Dr. Soell. für den Betroffenen? Dr. Soell (SPD): Herr Staatsminister, ist es richtig, Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, die Antwort daß die beiden Bundesminister, der Bundesminister kann nur durch die Länderbehörden erteilt werden. des Auswärtigen und der Bundeswirtschaftsminister, Ich empfehle deshalb, daß Sie entsprechende Erkun- in den nächsten Wochen Saudi-Arabien besuchen? digungen über Landtagsabgeordnete einziehen. Wir vermögen das nicht. Schäfer, Staatsminister: Ich bin nicht im einzelnen über die Reisepläne informiert. Soviel ich weiß, ist das Vizepräsident Cronenberg: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Wartenberg. vorgesehen, im Fall des Bundesaußenministers zu- mindest erwogen. Wartenberg (Berlin) (SPD): Gibt es im Außenmini- Aber ich kann Ihnen sagen, daß der Bundesaußen- sterium Überlegungen, ob es insbesondere angesichts minister bereits in der nächsten Woche in New York der Entwicklung der Diskussion über AIDS nicht auch anläßlich der UN-Generalversammlung Gelegenheit sinnvoll ist, die alte Rechtsgrundlage zu überprüfen, nehmen wird, bei seinem Gespräch mit Außenmini- da die Gefahr besteht, daß jeglicher Eintrag „Erlischt stern, auch mit dem saudischen Amtskollegen, erneut bei gesundheitlichen Bedenken" zu Vorurteilen ge- über diesen Fall zu sprechen. Wir werden nicht nach- Deutscher Bundestaa — 1 1. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1793

Staatsminister Schäfer lassen, Saudi-Arabien deutlich zu machen, daß diese Verheugen (SPD): Herr Staatsminister, sind Ihnen beiden Monteure müssen ausreisen dürfen. die bedeutende strategische Rolle der Energieversor- gung Südafrikas und die Bedeutung der Energiever- Vizepräsident Cronenberg: Eine weitere Zusatz- sorgung Südafrikas für die Aufrechterhaltung dieses frage, bitte sehr. Systems bekannt?

Dr. Soell (SPD): Herr Staatsminister, liegen dem Schäfer, Staatsminister: Mir ist die Bedeutung der Auswärtigen Amt Erkenntnisse vor, daß es diese aus Energieversorgung bekannt. Aber ich glaube nicht, unserer Sicht sehr ungewöhnliche Praxis auch schon daß Sie den Schluß ziehen können, daß durch die in früheren Zeiten gab? Beseitigung von Möglichkeiten in der Energiewirt- schaft, genauer gesagt: bei der Herstellung von Schäfer, Staatsminister: Ich kann dazu im Augen- Strom, die Apartheid abgeschafft werden könnte. blick nichts sagen. Ich weiß nicht, ob sich Ihre Frage auf Saudi-Arabien bezogen hat. Sie wissen, daß wir Vizepräsident Cronenberg: Weitere Zusatzfragen uns in diesem speziellen Fall sehr intensiv bemüht werden nicht gewünscht. haben — die ganze Bundesregierung — und daß wir Dann rufe ich die Frage 58 des Abgeordneten Ver- nicht aufhören werden, uns zu bemühen, daß den bei- heugen auf: den Monteuren die Ausreise erlaubt wird. Wie beurteilt die Bundesregierung die von der „Vereinigung der Großkraftwerkbetreiber (VGB)", Essen, organisierte Son- Vizepräsident Cronenberg: Weitere Zusatzfragen dertagung „Südafrika 1987" im Hinblick auf die Bemühungen, werden nicht gewünscht. das System der Apartheid in Südafrika zu überwinden? Die Fragen 54 und 55 des Abgeordneten Böhm Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege Verheugen, (Melsungen) und 56 des Abgeordneten Stiegler wer- die Sondertagung verfolgt nach dem, was uns mitge- den auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwor- teilt worden ist, einen Erfahrungsaustausch. Ich tet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. möchte zitieren, welche Themen angesprochen wer- Ich rufe die Frage 57 des Abgeordneten Verheugen den sollen: Energieversorgungssicherheit, Sicherheit auf: am Arbeitsplatz, dabei auch Unfallverhütungsmaß- Was hat die Bundesregierung unternommen, um gemäß den nahmen, Ausbildung von Personal, und zwar Erhö- Beschlüssen der Ministertagung der EPZ am 10. September hung der Qualifikation zur Sicherung des eigenen 1985 in Luxemburg die „Vereinigung der Großkraftwerkbetrei- Arbeitsplatzes, Aufstiegschancen, Verhinderung von ber (VGB)", Essen, von der Durchführung einer Sondertagung „Südafrika 1987" vom 9. bis 13. November 1987 in Johannes- Störfällen im Kraftwerksbetrieb und Umweltschutz, burg abzuhalten? Sicherung der Umwelt, Vermeidung unnötiger grenz- Herr Staatsminister. überschreitender Emissionen, letztlich kerntechni- sche Sicherheit, Erfahrungsrückfluß aus dem Bet rieb Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege Verheugen, von Anlagen in anderen Ländern zur Vermeidung von die vorgesehene Veranstaltung vom 9. bis 13. Novem- kerntechnischen Störfällen. ber 1987 in Johannesburg fällt nicht unter die Krite- Insofern können wir nicht erkennen, daß diese Ta- rien der von Ihnen erwähnten Beschlüsse der Mini- gung einer Überwindung der Apartheid in Südafrika stertagung der EPZ vom 10. September 1985, da sie entgegensteht. nicht der Förderung der Apartheid dient. Vizepräsident Cronenberg: Eine Zusatzfrage, bitte Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter, Sie sehr. wollen eine Zusatzfrage stellen. Bitte sehr. Verheugen (SPD): Darf ich das so verstehen, Herr Verheugen (SPD) : Herr Staatsminister, der entspre- Staatsminister, daß Sie auch der Meinung sind, daß chende Beschluß der EPZ lautet, daß von kulturellen diese Tagung nicht den Beschlüssen der Europäi- und wissenschaftlichen Veranstaltungen abgeraten schen Gemeinschaft des vergangenen Jahres wider- werden soll, sofern diese nicht zur Beendigung der spricht, wonach es keine neue nukleare Zusammenar- Apartheid beitragen. Darf ich Ihre Antwort so verste- beit mit Südafrika geben darf? hen, daß Sie der Meinung sind, diese Veranstaltung diene der Beseitigung der Apartheid? Schäfer, Staatsminister: Es kann in diesem Fall, Herr Kollege, nicht davon gesprochen werden, daß Schäfer, Staatsminister: Sie haben leider das Zitat die Teilnehmer an dieser Veranstaltung die nukleare nicht zu Ende gelesen, Herr Kollege, denn es heißt Zusammenarbeit neu aufleben lassen wollen. Die Be- hier im englischen Text — ich habe ihn vor mir — : sichtigung eines Kernreaktors — ich habe mich sehr „Discouraging cultural and scientific events except genau erkundigt — ist vorgesehen. Dieser Kernreak- where these con tribute towards the ending of apart- tor wurde von Frankreich an Südafrika noch vor eini- heid" . Es heißt dann weiter: or have no possible role ger Zeit geliefert. Hier soll über die Frage der Störfälle in supporting it". Ich kann Ihnen nur sagen: Diese und der möglichen Sicherheit diskutiert werden. Es ist Veranstaltung spielt nach unseren Erkenntnissen etwas anderes, Herr Kollege Verheugen, ob man in keine Rolle in der Weise, daß die Apa rtheid durch sie einer so sensiblen Situation, wie sie in Südafrika gege- unterstützt würde. Insofern fällt sie nicht unter den ben ist, solche Veranstaltungen unbedingt nach Süd- EPZ-Beschluß. afrika legen muß.

Vizepräsident Cronenberg: Eine Zusatzfrage, Herr Vizepräsident Cronenberg: Sie wünschen eine wei- Verheugen. tere Zusatzfrage, bitte sehr. 1794 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Verheugen: (SPD): Ich wollte dann noch gerne wis- Vizepräsident Cronenberg: Zusatzfrage, Herr Ab- sen, ob nach Ihrer Meinung der Erfahrungsaustausch geordneter Fischer. über Probleme der Kerntechnik, wie er in diesem Pro- - gramm vorgesehen ist, tatsächlich keine Form der Fischer (Homburg) (SPD): Herr Staatssekretär, Ih- nuklearen Zusammenarbeit darstellt. nen ist doch wohl bekannt, daß Bundestagsabgeord- nete in der Regel zehn und mehr Stunden am Tag Schäfer, Staatsminister: Ich kann das, nachdem ich arbeiten, auch hier in Bonn. Hat der Bundesinnenmi- Ihnen gerade die Themen der Veranstaltung vorgele- nister damit gemeint, daß wir dann zwanzig und mehr sen habe, nicht so sehen. Denn es sind ja nun Ke rn Stunden pro Tag arbeiten; oder zählt er zu der Aus- -kraftwerke in Südafrika vorhanden, die durch diese nahme von dieser Regel? Tagung nicht erst geschaffen werden. Wenn hier z. B. die Frage von Störfällen und von Umweltbelastungen Spranger, Parl. Staatssekretär: Also, ich darf mal angesprochen wird, dann kann es ja nicht so sein, daß feststellen: Diese Broschüre ist vom Bundesamt für man das als eine nukleare Zusammenarbeit betrach- Statistik und den Landesämtern für Statistik heraus- tet. Wir müssen davon ausgehen, daß es diese Ke rn gegeben worden, die im Hinblick auf die Volkszäh- an-kraftwerke gibt. Aber ich darf wiederholen: Es ist lung mögliche Fragen vernünftig beantworten woll- -gesichts der Lage in Südafrika die Frage, inwieweit ten. Hier ist diese Antwort in bezug auf die Arbeits- solche länderübergreifenden Treffen ausgerechnet in stättenzählung erfolgt. Sie ist meines Erachtens auch Südafrika stattfinden müssen. Das ist aber eine Ent- logisch. Wenn jemand zwei Büros unterhält, in denen scheidung, die diesem internationalen Gremium auch gearbeitet wird, kann er nicht in beiden Büros als überlassen bleiben muß. Wir können es nicht daran Vollzeitarbeitskraft eingesetzt werden. Deswegen der hindern. Hinweis, daß in der Arbeitsstättenzählung bei den jeweiligen Büros, wenn sie existieren, „Teilzeitbe- Vizepräsident Cronenberg: Weitere Fragen liegen schäftigung" anzugeben wäre. mir nicht vor, jedenfalls keine, die Sie beantworten könnten, Herr Staatsminister. Ich bedanke mich bei Vizepräsident Cronenberg: Bitte sehr, Herr Abge- Ihnen und rufe den Geschäftsbereich des Bundesmi- ordneter. nisters des Innern auf. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Spranger zur Verfü- Fischer (Homburg) (SPD): Wenn ich die zweite gung. Zusatzfrage stellen darf: Herr Staatssekretär, viel- Ich rufe zunächst einmal die Frage 59 des Abgeord- leicht ist auch eine andere Interpreta tion möglich, neten Fischer (Homburg) auf: nämlich daß der heutige Bundesminister Zimmer- mann seine langjährige Hauptbeschäftigung als Bun- Wie erklärt der Bundesminister des Innern als Verfassungsmi- nister, daß die von ihm als Leitfaden an die Volkszähler ausge- destagsabgeordneter für den Wahlkreis — ich glaube, gebene Broschüre „Volkszählung 87 — Schlagwortverzeichnis" es war 214 — vor seiner Berufung als Bundesminister im Gegensatz zu dem Urteil Nr. 29 des Bundesverfassungsge- als Teilzeitbeschäftigung mit Einkommen aus der richts vom 5. November 1975 (Bd. 40, S. 296ff.), in dem das Staatskasse für einen Full- time-Job verstanden hat? Gericht ausdrücklich von „Hauptbeschäftigung (,full-time job')" spricht, die Mandatsausübung der Bundestagsabgeordne- ten als Teilzeitbeschäftigung" ausweist? Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihre Aus- Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort. lassungen nicht nachvollziehen. Das muß ich ganz offen sagen. Ich kann nur darauf verweisen, daß in Spranger, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister bezug auf den Arbeitsstättenbogen das Statistische des Innern: Herr Kollege Fischer, die in der Broschüre Bundesamt und die statistischen Landesämter hier zu „Volkszählung '87 — Schlagwortverzeichnis" ent- dieser Interpreta tion gekommen sind, die nach meiner haltenen Hinweise zu dem Stichwort „Abgeordnete Auffassung überzeugend ist. (in den Parlamenten des Bundes und der Länder)" ste- hen nicht im Widerspruch zu der Entscheidung des Vizepräsident Cronenberg: Weitere Wortmeldun- gen sind nicht zu verzeichnen. Bundesverfassungsgerichts vom 5. November 1975. Die Ausführungen im Schlagwortverzeichnis bezie- Die Fragen 60 und 61 des Abgeordneten Börnsen hen sich lediglich auf die Arbeitsstättenzählung. (Ritterhude) werden auf Wunsch des Fragestellers Hierzu wird beispielhaft erläutert, daß in den Fällen, schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als An- in denen ein Abgeordneter sowohl am Parlamentssitz lage abgedruckt. als auch in seinem Wahlkreis getrennte Büros unter- Herr Parlamentarischer Staatssekretär Spranger, hält, für beide Büros jeweils ein Arbeitsstättenbogen damit sind auch die Fragen zu Ihrem Geschäftsbe- auszufüllen ist. Die Tätigkeit des Abgeordneten ist reich erledigt. dabei jeweils als Teilzeitbeschäftigung einzutragen. Ich kann den Geschäftsbereich des Bundesmini- Eine Einstufung als Vollzeitbeschäftigung in beiden sters der Justiz aufrufen. Zur Beantwortung steht uns Arbeitsstätten würde aus methodischen Gründen zu hier der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Jahn zur falschen Ergebnissen führen. Verfügung. Der Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, Ich rufe die Frage 62 des Abgeordneten von daß die Inanspruchnahme des Abgeordneten durch Schmude auf: sein Mandat als „Full-time-Job" zu werten ist, kann Wie beurteilt die Bundesregierung die unveränderte Haltung im übrigen durch die Antwort auf Frage Nr. 7 des Per- des Hamburger Senats, den auf Hamburg entfallenden Kosten- sonenbogens Rechnung getragen werden. Dort ist anteil für die Erfassungsstelle Salzgitter in Höhe von 8 000 DM auch der Umfang der Wochenarbeitszeit anzuge- jährlich ab 1988 nicht mehr zu zahlen? ben. Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1795

Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister Atomraketenstationienung im Weg einer Vielzahl von Einzelbe- schwerden geltend machen könnten", offizielle Auffassung der der Justiz: Herr Präsident, ich bitte die Fragen 62 und Bundesregierung, und wieso kann eine Formulierung, die auf 63 im Zusammenhang beantworten zu dürfen. den „Besitz von Atomwaffen" abzielt, die Bundesregierung zu einer solchen Haltung veranlassen? Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter, Sie sind damit einverstanden? Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Bindig, die Bundesrepublik Deutschland hat die Ernsthaftig- von Schmude (CDU/CSU): Bitte. keit ihres Eintretens für die Menschenrechte seit lan- gem dadurch dokumentiert, daß sie ihre Menschen- Vizepräsident Cronenberg: Ich rufe die Frage 63 rechtspraxis einer effektiven internationalen Kon- des Abgeordneten von Schmude auf: trolle unterstellt hat, die im Rahmen der Europäischen Hat die Bundesregierung Schritte unternommen, um den Menschenrechtskonvention in einem justizförmigen neuen von SPD und FDP getragenen Senat davon zu überzeu- Verfahren ausgeübt wird, das in der Regel durch eine gen, daß das Eintreten für Menschenrechte unteilbar ist und daß der Arbeit der Erfassungsstelle Salzgitter aus deutscher Sicht bei abschließende Kommissionsentscheidung oder durch der Dokumentation von Menschenrechtsverbrechen in der DDR ein verbindliches Urteil des Europäischen Gerichts- eine besondere Bedeutung zukommt? hofs für Menschenrechte abgeschlossen wird. Ob es Bitte sehr. sich bei dieser Sachlage empfiehlt, daß sich die Bun- desrepublik Deutschland zusätzlich auch dem Indivi- Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege von dualbeschwerdeverfahren nach dem Fakultativpro- Schmude, die Zentrale Erfassungsstelle der Landes- tokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche justizverwaltungen in Salzgitter ist 1961 als gemein- und politische Rechte unterwirft, wird bisher nicht same Einrichtung der Länder errichtet worden. Die einheitlich beurteilt. So sind die Bedenken, die in dem Dienstaufsicht übt der Niedersächsische Minister der in der Frage zitierten Schreiben von Bundesminister Justiz aus. In den vergangenen Monaten haben die Engelhard angeführt werden, zu verstehen. Justizminister und Justizsenatoren der Länder Bre- Die Auslegung des Art. 6 des Zivilpaktes durch den men, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Saarland Ausschuß für Menschenrechte hat bisher bei den Er- den Niedersächsischen Minister der Justiz darüber wägungen, die von der Bundesregierung im Zusam- unterrichtet, daß sie, beginnend mit dem Haushalts- menhang mit der Ratifizierung angestellt worden jahr 1988, Mittel für die Zentrale Erfassungsstelle der sind, jedenfalls keine entscheidende Rolle gespielt. Es Landesjustizverwaltungen in Salzgitter nicht mehr zur ist zwar unrich tig, wenn aus dem Art. 6, der zum Verfügung stellen. In Hamburg geht diese Mitteilung Schutz des Lebens verpflichtet, rechtlich bindende auf einen Beschluß der Hamburger Bürgerschaft vom Schlußfolgerungen, etwa über die Abrüstungspolitik, 4. und 5. Februar 1987 zurück. Der Niedersächsische gezogen werden. Denn dabei handelt es sich, wie wir Minister der Justiz, in dessen Geschäftsbereich die alle wissen, um eine politische Frage, die in interna- Zentrale Erfassungsstelle der Landesjustizverwaltun- tionalen Verhandlungen einer Lösung zugeführt wer- gen in Salzgitter errichtet ist, hat angeregt, den Vor- den muß. Daß, wie in der Anfrage unterstellt wird, sitzenden der Konferenz der Justizminister und Justiz- eine Formulierung, die auf den „Besitz von Atomwaf- senatoren zu bitten, vorbereitende Gespräche zu füh- fen" abzielt, die Haltung der Bundesregierung in die- ren, um die aufgetretenen Meinungsverschiedenhei- ser Frage bestimmt oder auch nur wesentlich mitbe- ten beizulegen. Der Bundesminister der Justiz unter- stimmt hätte, ist un richtig. stützt diesen Vorschlag. Vizepräsident Cronenberg: Bitte sehr, eine Zusatz- Zusatzfrage. Bitte sehr, Vizepräsident Cronenberg: frage, Herr Abgeordneter Bindig. Herr von Schmude. (SPD): Herr Staatssekretär, wenn Sie sagen, (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, ist Bindig von Schmude daß diese Argumentation, die in der Anfrage darge- bei dem kürzlichen Besuch des Staatsratsvorsitzenden legt worden ist, bei der Erwägung bisher keine Rolle der DDR, Erich Honecker, seitens der DDR die Forde- gespielt hat, dann möchte ich Sie fragen, warum denn rung an die Bundesregierung gerichtet worden, die genau diese Argumentation vom Bundesminister der Erfassungsstelle in Salzgitter abzuschaffen? Justiz gegenüber dem Parlement in einem Schreiben gebraucht worden ist und er diesen Grund als einen Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege von Schmude, mir ist darüber nichts bekannt. von fünf Gründen dem Parlament schriftlich mitgeteilt hat, den Sie jetzt als unwesentlich bezeichnen? (von Schmude [CDU/CSU]: Schönen Dank!) Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Bindig, Weitere Zusatzfragen Dr. Jahn, Vizepräsident Cronenberg: ich bin gerne bereit, die Schwerpunkte, die die Be- werden nicht gewünscht. denken tragen, noch einmal zum Ausdruck zu brin- Ich rufe die Frage 64 des Abgeordneten Bindig gen. auf: Gegenüber dem seit Jahrzehnten bewährten und Ist die Darlegung des Bundesministers der Justiz (Brief - vorbildlichen System internationaler Kontrolle bleibt 9225/1-1-1-53 514/87-), daß ein hauptsächlicher Grund, warum die Bundesregierung bisher das Fakultativprotokoll zum Inter- der Rechtsschutz, den das Fakultativprotokoll zum In- nationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte nicht ternationalen Pakt über bürgerliche und politische gezeichnet und ratifiziert hat, darin liegt, daß in den allgemei- Rechte, der sogenannte Zivilpakt, bietet, erheblich nen Erläuterungen zur Kommentierung zu Artikel 6 festgestellt zurück. Das Bundesministerium der Justiz zögert des- wird, „daß der Besitz von Atomwaffen das Recht auf Leben ver- letzt" und daß „bei Annahme des Fakultativprotokolls dies ein halb, die Ratifizierung des Fakultativprotokolls vorzu- Einfallstor für Protestbewegungen wäre, die ihre Ablehnung der schlagen, weil befürchtet werden muß, daß damit ein 1796 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Parl. Staatssekretär Dr. Jahn Schritt in die menschenrechtspolitisch falsche Rich- Vereinbarungsgemäß setzen wir nunmehr die Ta- tung getan wird. Insbesondere erscheint es problema- gesordnung fort. tisch, ob eine Schwächung des Systems der Europäi- Zunächst einmal mache ich das Haus darauf auf- schen Menschenrechtskonvention mit der Ratifizie- merksam, daß Tagesordnungspunkt 9 zusammen mit rung des Fakultativprotokolls verbunden ist, ob die Tagesordnungspunkt 23 aufgerufen wird. komplizierten Vorbehalte, die andere Vertragsstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention abge- geben haben, um dieser Gefahr zu begegnen, dazu ausreichen und ob sie nicht ihrerseits zu einer Abwer- Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 7 und 8 tung des Fakultativprotokolls führen. sowie 10 bis 14 auf: Ich darf noch ein weiteres Argument hinzufügen, 7. Erste Beratung des von der Bundesregierung damit Sie die Argumentation komplett haben. Abge- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem sehen von diesen grundsätzlichen Bedenken zögert Vertrag vom 26. März 1982 zwischen der Bun- das Bundesministerium der Justiz mit der Ratifizie- desrepublik Deutschland und dem Königreich rung des Fakultativprotokolls auch deswegen, weil Belgien über die Berichtigung der deutsch- wir befürchten, dadurch Bindungen einzugehen, die belgischen Grenze im Bereich der regulie rten die Bundesrepublik Deutschland mit der Ratifizierung Grenzgewässer Breitenbach und Schwarz- des Zivilpakts nicht übernehmen wollte und auch bach, Kreise Aachen und Malmedy nicht übernommen hat. Der nach dem Pakt gebildete — Drucksache 11/476 Ausschuß für Menschenrechte, der nicht nur für die Berichtsprüfungsverfahren nach Art. 40 des Pakts zu- —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: ständig ist, sondern auch für die Prüfung von Indivi- Auswärtiger Ausschuß (federführend) Innenausschuß dualbeschwerden nach dem Fakultativprotokoll, legt Finanzausschuß die von den Paktstaaten übernommenen Verpflich- tungen überaus weit aus. Darauf wird übrigens auch 8. Erste Beratung des von der Bundesregierung im Schreiben des Bundesministers Engelhard an eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Herrn Kollegen Dr. Hirsch vom 13. Mai 1987 hinge- Vertrag vom 19. Dezember 1984 zwischen der wiesen, auf das Sie auch in der Anfrage Bezug genom- Bundesrepublik Deutschland und dem Groß- men haben. herzogtum Luxemburg über den Verlauf der gemeinsamen Staatsgrenze — Drucksache 11/477 — Vizepräsident Cronenberg: Weitere Zusatzfrage? — Bitte schön, Herr Abgeordneter Bindig. Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Innenausschuß Bindig (SPD): Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, 10. Erste Beratung des von der Bundesregierung zur Kenntnis zu nehmen, daß ich in meiner Frage nicht eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes eine allgemeine Erklärung der Bundesregierung er- zur Änderung des Pflichtversicherungsgeset- beten habe, welche Gründe sie im allgemeinen veran- zes lassen, hier eine bestimmte Verhaltensweise an den Tag zu legen, sondern daß ich nach einem Grund — Drucksache 11/677 — gefragt habe, den Sie mir in einem Schreiben als einen Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: hauptsächlichen Grund mit genannt haben? Ihr Rechtsausschuß Schreiben habe ich hier in der Hand. Darin haben Sie 11. Erste Beratung des von der Bundesregierung gesagt, daß ein hauptsächlicher Grund auch derjenige eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes sei, daß der Besitz von Atomwaffen die Bundesregie- zur Änderung des Erdölbevorratungsgeset- rung bisher veranlaßt habe, diesen Pakt nicht zu un- zes terschreiben. Und meine Frage richtete sich darauf: Wieso können Sie als Mitglied der Bundesregierung — Drucksache 11/605 — den Besitz von Atomwaffen in einem solchen B rief Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: erwähnen? Ausschuß für Wirtschaft 12. Erste Beratung des von der Bundesregierung Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Bindig, eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem ich beziehe mich noch einmal auf den ersten Teil der Internationalen Kakao-Übereinkommen von Antwort, die ich Ihnen soeben gegeben habe. Das 1986 Motiv, das Sie unterstellen, liegt in dieser Form nicht — Drucksache 11/630 — vor. Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: (Bindig [SPD]: Das stimmt nicht!) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (feder- führend) Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Vizepräsident Cronenberg: Weitere Zusatzfragen Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO liegen mir nicht vor. 13. Erste Beratung des von der Bundesregierung Die Frage 65 des Abgeordneten Müntefering wird eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Abkommen vom 18. September 1985 zwischen Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. der Bundesrepublik Deutschland und der Re- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1797

Vizepräsident Cronenberg publik Argentinien über die Wehrpflicht von b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klein Doppelstaatern (Dieburg), Frau Dr. Däubler-Gmelin, Antretter, — Drucksache 11/356 Bachmaier, Bahr, Frau Blunck, Duve, Gansel, Heyenn, Hiller (Lübeck), Jahn (Marburg), Jan- —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: sen, Jungmann, Kastning, Kirschner, Klose, Verteidigungsausschuß Kolbow, Kuhlwein, Frau Luuk, Frau Dr. Mar- 14. Erste Beratung des von der Bundesregierung tiny, Pauli, Dr. Pick, Frau Schmidt (Nürnberg), eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Schmidt (München), Dr. Schöfberger, Schütz, Abkommen vom 10. Oktober 1985 zwischen Sielaff, Frau Simonis, Singer, Stiegler, Walte- der Bundesrepublik Deutschland und dem mathe, Wiefelspütz, Dr. de With, Würtz, Frau Königreich Dänemark über die Wehrpflicht Zutt, Dr. Vogel und der Fraktioin der SPD deutsch-dänischer Doppelstaater Weltweite Abschaffung der Todesstrafe — Drucksache 11/357 — Drucksache 11/459 — —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Verteidigungsausschuß Rechtsausschuß (federführend) Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Der Ältesten- Auswärtiger Ausschuß rat schlägt vor, die Gesetzentwürfe an die in der Ta- gesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. sowie den Zusatztagesordnungspunkt 4 auf: Weiterhin soll der Gesetzentwurf zu Tagesordnungs- Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜ- punkt 7 zusätzlich an den Finanzausschuß überwie- NEN zu dem Protokoll Nr. 6 vom 28. April 1983 sen werden. Gibt es aus dem Haus weitere Vor- zur Konvention des Europarates zum Schutze schläge? — Das ist offensichtlich nicht der Fall; dann der Menschenrechte und Grundfreiheiten sind die Überweisungen beschlossen. über die Abschaffung der Todesstrafe — Drucksache 11/802 — Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 15 auf: Überweisungsvorschlag: Beratung der Beschlußempfehlung des Haus- Rechtsausschuß (federführend) haltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unter- Auswärtiger Ausschuß richtung durch die Bundesregierung Interfraktionell ist eine gemeinsame Beratung die- Überplanmäßige Ausgaben für die Durchfüh- ser Tagesordnungspunkte und eine Stunde Zeit vor- rung des AIDS-Sofortprogramms 1987 bei gesehen. — Widerspruch erhebt sich offensichtlich Kapitel 15 02 Titel 685 05 (Gesundheitliche nicht. Dann ist es so beschlossen. Modellaktionen) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abge- Kapitel 15 03 Titel 685 06 (Forschungs- und ordnete Frau Däubler-Gmelin. Entwicklungsvorhaben zur Erkennung und Be- kämpfung des Erworbenen Immundefektsyn- Frau Dr. Däubler-Gmelin (SPD): Herr Präsident! droms — AIDS) Meine Damen und Herren! In dieser Debatte geht es Kapitel 15 04 Titel 531 06 (Gesundheitliche um die Ächtung der Todesstrafe in Europa und dar- Aufklärung der Bevölkerung) über hinaus. Daß wir alle gemeinsam dies wollen, ist, — Drucksachen 11/205, 11/553 — wie ich hoffe, unter uns nicht umstritten. Bei uns in der Berichterstatter: Bundesrepublik ist sie abgeschafft. Das legt Art. 102 Abgeordnete Rossmanith unseres Grundgesetzes unveränderbar fest. Das ge- Kühbacher hört auch zu den gemeinsamen Rechtsüberzeugun- Zywietz gen, die wir haben, und ist — das ist für mich unbe- Frau Rust zweifelbar — unveräußerlicher Mindestbestandteil unserer Rechtskultur. Beschlußfassung Auch hier ist eine Aussprache nicht vorgesehen. Ich betone das an dieser Stelle nicht deshalb, weil es Wer stimmt der Beschlußempfehlung des Ausschus- etwa ein Mitglied des Parlaments gäbe, das hier zu ses zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Be- Zweifeln Anlaß geboten hätte, sondern weil ich hoffe, schlußempfehlung des Ausschusses ist mit großer daß auch höchste Bundesbeamte in verantwortungs- Mehrheit angenommen. vollsten Stellungen — wie beispielsweise der Herr Generalbundesanwalt — sich auch in außerordentlich schwierigen Situationen ständig daran erinnern. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 16: Meine Damen und Herren, unsere Verfassung hat a) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD die Abschaffung der Todesstrafe für alle Konstellatio- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem nen und auch als Antwort auf die Praxis und die Ver- Protokoll Nr. 6 vom 28. April 1983 zur Konven- brechen des Nationalsozialismus abschließend und tion des Europarates zum Schutze der Men- verbindlich festgelegt, an denen sich, wie wir heute schenrechte und Grundfreiheiten über die Ab- wissen, leider auch zu viele Strafrichter an ordentli- schaffung der Todesstrafe chen Gerichten, aber auch an Sondergerichten und im Rahmen der Kriegsgerichtsbarkeit beteiligt haben. — Drucksache 11/458 — Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Wir sind uns dessen bewußt und stützen unsere Rechtsausschuß (federführend) Ablehnung der Todesstrafe weltweit zusätzlich auf Auswärtiger Ausschuß die Praxis, die wir aus den Ländern kennen, die sie 1798 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Frau Dr. Däubler-Gmelin heute noch anwenden. Dazu gehört die Abschrek- Wir haben zunächst einen Gesetzentwurf vorgelegt, kungswirkung der Todesstrafe, die mehr als zweifel- der endlich die Ratifizierung — d. h. die innerstaatli- haft ist. Im Gegenteil: Es lassen sich mehr als deutli- che Verbindlichmachung — jenes Protokolls- Nr. 6 zur che Zusammenhänge zwischen Todesstrafe und ihrer Konvention des Europarates zum Schutze der Men- Vollstreckung und dem allgemein steigenden Ge- schenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaf- waltpegel in einer Gesellschaft aufzeigen. Dazu fung der Todesstrafe einleiten soll. Wir haben ferner kommt, daß in vielen Gesellschaften, in vielen Län- einen Antrag vorgelegt, der die Bundesregierung er- dern — Chile, Südafrika, aber auch andere Staaten mutigt und sie auffordert, Initiativen zur Abschaffung gehören dazu — Todesstrafe und Folter zur Unter- der Todesstrafe weltweit zu ergreifen und sie auch zu drückung und Verfolgung politischer Gegner einge- unterstützen. setzt werden, was wir selbstverständlich scharf ableh- nen. Zunächst zu unserem Gesetzentwurf. Das sechste Zusatzprotokoll zur europäischen Menschenrechts- Wer Bilder von der Vollstreckung der Todesstrafe erklärung ist ja seit 1983 ausgehandelt. Das ist jetzt gesehen hat und weiß, wie ein Mensch — sei es auf schon fünf Jahre her. Das Aushandeln selber war gar dem Elektrischen Stuhl, in einer Gaskammer oder auf nicht so leicht. Der verstorbene frühere österreichi- andere Weise zu Tode gebracht — s tirbt, wird den sche Justizminister Dr. Ch ristian Broda, der uns allen Unterschied zwischen diesem Ereignis und den ja als engagierte und eindrucksvolle Persönlichkeit schrecklichen Mordtaten von Mafia oder Terroristen noch lebhaft in Erinnerung ist, hat seit 1978 unermüd- nicht mehr erkennen können. Wer sieht, daß leider lich als Motor gewirkt und auch mit unseren früheren auch in den Vereinigten Staaten von Amerika sogar Justizministern Dr. Vogel und Dr. Schmude die Fer- Jugendliche unter 18 Jahren hinge richtet werden, tigstellung dieses Protokolls vorangetrieben. Daß die muß nach der Einstellung, nach der Moral und nach Bundesregierung bis heute zögert, das Ratifizierungs- dem Wertebewußtsein, ja auch nach dem Selbstbe- verfahren einzuleiten, ist unverständlich. Eigentlich wußtsein derjenigen fragen, die solche Gesetze ma- sollte es zu diesem Schritt nicht auch noch Mahnun- chen, die solche Urteile sprechen, die sie vollstrecken gen aus dem Parlament erfordern. Aber genau das ist oder ihre Vollstreckung anordnen. der Fall. Wir haben schon 1984 gemahnt — vergeb- lich, es ist nichts passiert. Das Europäische Parlament Hier stimmt doch etwas nicht mit der Einstellung hat zur Ratifizierung aufgefordert. Daraufhin ist auch zum Leben und seinem We rt , und hier stimmt etwas nicht mit der Einstellung zum Menschen und seiner nichts passiert. Im Juni 1986 schließlich haben wir den Fähigkeit, hinzuzulernen und sich zu ändern. Hier ungewöhnlichen Weg beschritten, daß eine Parla- fehlt jedes Vertrauen in die Fähigkeit einer Gese ll mentsfraktion einen Ratifizierungs-Gesetzentwurf -schaft, junge Menschen, heranwachsende Jugendli- vorlegt, um die Bundesregierung zu veranlassen, jetzt che — wie schrecklich und schwer ihre Straftaten endlich aktiv zu werden. Das war offensichtlich nicht auch sein mögen — doch noch zu ändern, sie zurück- wichtig genug, um es noch in der alten Legislaturpe- zuholen, sie wiederzugewinnen. riode aufzugreifen. Jetzt machen wir einen neuen Versuch. Meine Damen und Herren, diese Überzeugung zu haben oder sie allein bei uns in der Bundesrepublik zu Herr Bundesjustizminister, ich verbinde mit diesem praktizieren, genügt in einer Zeit, in der die Konti- Versuch die Hoffnung und zugleich die Forderung, nente und die Länder und auch die Menschen und die daß die Bundesregierung jetzt schnell handelt. Es ist Rechtsordnungen aufeinander zuschreiten, nicht bekannt, warum innerhalb der Bundesregierung — mehr. Die Todesstrafe muß weltweit geächtet werden. wohl nicht in Ihrem Hause — gezögert wurde. Es gibt Ich hoffe, daß wir uns auch in dieser Feststellung einig Andeutungen aus dem Innenministerium, es gibt aber sind. Wir wissen, daß viel zu viele Staaten sie noch auch Andeutungen aus der Europäischen Menschen- praktizieren, ja, in den letzten Jahren drängt sich der rechtskommission, und auch in den Zeitungen ist eini- düstere Eindruck auf, als würden es sogar mehr. ges zu finden. Da gab es wohl die Befürchtung, man werde nach Ratifizierung dieses Zusatzprotokolls nie- Um so wichtiger ist das Engagement und auch die manden mehr aus der Bundesrepublik ausweisen dür- Initiative der Bundesrepublik. Aber wir wollen nicht fen, wenn ihm zu Hause ganz konkret die Todesstrafe vergessen, daß es auch Erfolge gibt. Die DDR hat jetzt droht. endlich die Vollstreckung der Todesstrafe abgeschafft und ist auf dem Wege, sie auch gesetzlich vollständig In der Tat, meine Damen und Herren, genau darum zu beseitigen. Ich darf hier feststellen: Wir begrüßen geht es. Genau das will das Zusatzprotokoll in dieser dies ausdrücklich. Frage klar festlegen. Ich sage Ihnen: Das ist auch gut so. Denken wir doch einmal an das Schicksal jener 15 Um so bedauerlicher ist es, daß es in den Vereinig- Chilenen, über die in diesem Sommer so viel geredet ten Staaten ein anderes Bild gibt. Wir wissen, daß dort und geschrieben wurde, und erinnern wir uns doch an die Auseinandersetzung mit der Todesstrafe gerade in jene Angst und an die schreckliche Unsicherheit, die diesen Tagen mit Leidenschaft geführt wird. Ich sage den politischen Flüchtling, jenen jungen Türken, Ke- hier: Wir unterstützen ausdrücklich diejenigen in den mal Altun, zu seinem Sprung aus dem Fenster in je- Staaten der USA, die sie abschaffen wollen. nem Berliner Gericht in den Tod getrieben haben. Meine Damen und Herren, die sozialdemokratische (Dr. de With [SPD]: Sehr wahr!) Bundestagsfraktion hat heute wiederum zwei Initiati- ven vorgelegt, die sich mit der europa- und weltwei- So etwas darf sich doch nicht wiederholen. Die Ratifi ten Ächtung der Todesstrafe jenseits unserer eigenen zierung dieses Zusatzprotokolls gibt die Möglichkeit nationalen Grenzen befassen. dazu. Deshalb, meine Damen und Herren und Herr Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1799

Frau Dr. Däubler-Gmelin Bundesjustizminister Engelhard, wollen wir die damit wenn man andererseits sieht, daß sie die Ratifizierung verbundene Klarheit. der Anti-Folter-Konvention, die Ratifizierung des 6. Zusatzprotokolls oder auch die Ratifizierung des Wir werden also — um das nochmals ausdrücklich Fakultativprotokolls zu dem Pakt, über den gerade in zu betonen — nicht hinnehmen, daß in einem Ratifi- der Fragestunde gesprochen wurde, verzögert, ja, zierungsverfahren Vorbehalte, interpretierende Er- dann muß das doch verwirren! Da stehen doch die klärungen oder andere Wege gesucht werden, die ausbleibenden Taten und die Verzögerungen gegen möglicherweise den inneren Regierungsfrieden im das, was erklärt wird. Deswegen bitten wir Sie, nein, Kompromißwege auch in dieser Frage ein weiteres wir fordern: Bringen Sie Ihre Worte und Ihre Handlun- Mal retten, aber die im Zusatzprotokoll vereinbarte gen unter einen Hut! Klarheit verdunkeln könnten. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren, wir wollen die Ratifika- Meine Damen und Herren, warum war denn eigent- tion des Zusatzprotokolls auch als Schritt zu einer ge- lich Minister Blüms Reise nach Chile in diesem Som- meinsamen europäischen Rechtskultur. Wir alle for- mer so ein Medienereignis weit über die Bundesrepu- dern doch die Einigung Europas, und wir wollen nicht, blik hinaus? Doch nicht deswegen, weil auch er jetzt, daß sie sich auf die einheitliche Zulassung von Last- nach 14 Jahren, in dénen in Chile gefoltert wird und wagen oder nur auf abgestimmte Mehrwertsteuer- die Menschenrechte mit Füßen getreten werden, sätze beschränkt. Wir wollen einheitliche Rechts- weiß, daß das so ist; nein, seine Reise wurde doch grundsätze in Europa, wir wollen Grundrechte und deshalb so stark beachtet, weil er Mitglied dieser Re- Klarheit darüber, welche Rechte Menschen haben. gierung ist und weil eben die Taten dieser Bundesre- Wir wollen Klarheit darüber, was ein Staat darf und gierung gerade in diesem Bereich zu wünschen übrig wo seine Grenzen gegenüber den Bürgern liegen, lassen. Genau das muß sich ändern, ich hoffe, schnell, übrigens auch Straftätern gegenüber! Wenn wir das und ich hoffe auch, mit aktiver Unterstützung von nicht zustande bekommen, wie wollen wir dann ei- Herrn Blüm. gentlich die neuen Herausforderungen bewäl tigen, die auf uns und auch auf unsere Rechtsordnung zu- Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik ist kommen? Ich erinnere nur an die ganzen Fragen der ja ein weltweit geschätzter Wirtschafts- und Handels- Gentechnologie oder der Reproduktionsbiologie, die partner. Wir wissen, daß mit der DDR nicht nur über doch zur Regelung anstehen, wobei wir nur eine Kredite gesprochen wird, sondern natürlich auch über Chance haben, sie in den Griff zu bekommen, wenn Wirtschaftsbeziehungen und natürlich — darauf wir sie gemeinsam in Europa in einem einheitlichen kommt es mir in diesem Zusammenhang an — über Sinne regeln. menschliche Erleichterungen, über zwischenmensch- liche Beziehungen. Das will jeder von uns, das billigt Lassen Sie mich jetzt noch ein Wo rt zu dem Antrag jeder von uns — auch diese Verknüpfung. der GRÜNEN sagen. Ich halte ihn für falsch. Keines- wegs im Ziel; das ist er nicht, weil das Ziel selbstver- Meine Damen und Herren auch, gegenüber ande- ständlich dem entspricht, was bei uns in der Bundes- ren Ländern praktiziert diese Bundesregierung die republik Deutschland gilt. Ich halte ihn aber deshalb Verknüpfung von wirtschaftlichen Vorteilen und Er- für falsch, weil es meiner Ansicht nach nicht richtig ist, wartungen an politisches Verhalten, zumindest da, ein Ziel nur hochzuhalten und gleichzei tig die heute wo es um grundsätzliche Fragen geht. Ich darf hier an notwendigen und heute möglichen Zwischenschritte Nicaragua erinnern, dem ja Hilfe und Geld deshalb zu seiner Verwirklichung nicht zu gehen oder sogar oder auch deshalb gestrichen wird, weil nach Auff as- zu behindern. Deshalb bitte ich Sie, noch einmal über sung der Bundesregierung die Menschenrechtslage Ihren Antrag und darüber nachzudenken, ob er nicht dem nicht entspricht, was die Bundesregierung für Ihrem Ziel eher hinderlich ist. Ich glaube, das ist so, richtig hält. Ich will gar nicht rechten, ob das jetzt so ist und ich glaube, wir sollten nach der Ratifikation die- oder ob da auch wieder durch die ideologische B rille ses Zusatzprotokolls auch in den europäischen Nach- gesehen wird. Nein, ich will nur fragen: Warum pas- barländern einen zweiten Anlauf unternehmen, um siert das eigentlich mit Chile nicht, Herr Bundesjustiz- die vollständige Abschaffung europaweit durchzuset- minister? Warum eigentlich wurde nicht, um ganz zen. konkret zu werden, beispielsweise der Abschluß der Umschuldungsverhandlungen, die doch für Chile ein Nun zu unserem zweiten Antrag: Wir fordern, wie außerordentlich günstiges Ergebnis brachten, wenig- gesagt, die Bundesregierung auf, unsere Haltung zur stens zu Gesprächen genutzt, die zu der Erwartung Ächtung der Todesstrafe und zur Achtung der Men- berechtigen, daß do rt die Todesstrafe geächtet wird schenrechte weltweit deutlicher zu machen, und zwar und die Menschenrechte respektiert werden? Warum in multilateralen Vereinbarungen, aber auch in zwei- eigentlich nicht? Warum verweigert die Bundesrepu- seitigen Gesprächen, Kontakten und Verhandlungen blik dies? Warum lehnt die Bundesregierung es, wie in den Vereinten Nationen und auch in anderen Berei- erst gestern in der Fragestunde geschehen, so apodik- chen. tisch ab? Es geht doch nicht um Bedingungen oder Wenn wir uns die Bundesrepublik einmal von au- Vertragsänderungen, sondern es geht um Gespräche, ßen betrachten, so bietet sie doch gerade auf diesem in denen Erwartungshaltungen aus Anlaß von wirt- wichtigen Feld der Ächtung der Todesstrafe und der schaftlichen Beziehungen, die für Chile beispiels- Achtung der Menschenrechte längst nicht das glän- weise günstig sind, geäußert werden, wie man das in zende Bild, das sie eigentlich bieten könnte. Einerseits anderen Fällen auch tut. Das, Herr Justizminister, ist betont sie in Worten, daß sie dafür etwas tun wolle; nicht in Ordnung. 1800 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Frau Dr. Däubler-Gmelin Ich darf noch eine Frage an Sie richten. Ich hätte das, um den Gesamtzusammenhang aufzuzeigen. Wir sehr gerne Auskunft darüber, welche Kontakte Sie werden uns mit der Frage der Menschenrechte und aktivieren oder aktiviert haben oder in welchem Um- Menschenwürde gerade bei den Problemen, die Frau fang Sie auch unseren Freunden gegenüber, also den Däubler-Gmelin angesprochen hat, noch- intensiver USA und Ihrer Regierung gegenüber, unsere Haltung befassen müssen, denn die Frage nach dem Schutz zur Todesstrafe zum Ausdruck bringen. Ich denke, Sie des Lebens wird auch bei den neuen Technologien sollten dazu noch ein Wo rt sagen. immer ernster und dringender gestellt werden. Meine Damen und Herren, mit unserer Zustimmung Es gibt viele Gründe, sich gegen die Todesstrafe zur Überweisung unserer beiden Initiativen an die auszusprechen. Das kann deutlich werden aus folgen- vorgeschlagenen Ausschüsse, verbinden wir die Bitte, den Feststellungen: dieses Mal beide zügig zu behandeln. Ich darf hinzu- fügen, Herr Justizminister, ich fände es sehr schön, Erstens. Das Recht auf Leben darf nicht einge- wenn das Ratifizierungsverfahren schnell auch auf schränkt werden. Grund eines mitzubehandelnden Gesetzentwurf es Zweitens. In Staaten mit der Möglichkeit der Todes- der Bundesregierung ablaufen würde. Wir werden strafe ist die Zahl der Gewalttaten nicht geringer als in das unterstützen, vorausgesetzt, es verdunkelt das, Staaten ohne Todesstrafe. Nach meiner Auffassung ist was das Protokoll will, nicht. In dem Fall haben Sie uns der Rechtfertigungsgrund Abschreckung nicht zu hal- auf Ihrer Seite. ten. Es gibt sicherlich andere Mittel der Abschrek- Herzlichen Dank. kung und Vorbeugung. Das für mich wichtigste Mittel (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) ist die frühzeitige Hinführung, ja Erziehung der Men- schen zur Anerkennung des Lebensrechtes eines je- den. Wer Gewalt gegen Sachen für legi tim hält, wird Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Herr nicht verhindern können, daß innerlich nicht gefe- Abgeordnete Seesing. stigte Menschen die Gewalt gegen Personen auch als legitim ansehen. Auch der sonst manchmal recht Seesing (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen leichtfertige Umgang mit Leben von der Zeugung bis und Herren! Es gab und gibt in aller Welt oft recht zum Tode kann die Hemmschwelle vor Gewalt gegen eigenwillige Begründungen, um Menschen zum Tode den anderen Menschen abbauen. Deswegen muß der, verurteilen und hinrichten zu können. Ich sehe, daß der sich gegen die Todesstrafe ausspricht, auch den immer noch viele Staaten auf allen Kontinenten aus Schutz des Lebens zu jeder Zeit wollen. politischen, religiösen, historischen und auch noch Drittens. Keine Diktatur verzichtet bis heute auf die anderen Gründen auf der Todesstrafe beharren. Todesstrafe. Wenn die DDR jetzt ankündigt, daß die Wenn ich es recht sehe, hat erst ein Achtel aller Län- Todesstrafe in Zukunft nicht mehr verhängt werde, so der auf der Erde auf die Möglichkeit der Verhängung widerspricht das noch nicht meiner These. Die men- der Todesstrafe bis heute verzichtet. schenfeindliche Einstellung des dortigen Regimes Meine Damen und Herren, ich bin gegen die Todes- wird schließlich noch jeden Tag am Schießbefehl an strafe, und ich fühle mich in dieser Haltung von mei- Mauer und Stacheldraht deutlich. Noch ist der Schieß- ner CDU/CSU-Bundestagsfraktion gestützt. Ich will befehl nicht aufgehoben, noch gibt es Menschen- das ganz deutlich sagen. rechtsverletzungen in der DDR. Ich frage mich, (Frau Eid [GRÜNE]: Wo denn? Ist doch nie warum es einige Bundesländer und einige Mitglieder mand da!) dieses Hauses so eilig mit der Schließung der Erfas- sungsstelle in Salzgitter haben, die das alles registrie- Sie hat in den letzten Wochen diese Auffassung wie- ren soll. derholt verstärkt vorgetragen: Wir sind gegen die To- desstrafe und erst recht gegen die Vollstreckung der Noch scheint in aller Welt die Zahl der Hinrichtun- Todesstrafe. gen — das ist auch von meiner Vorrednerin angespro- Ich weiß, daß viele Bürgerinnen und Bürger darüber chen worden — leider zuzunehmen. leider immer noch anders denken. Sie glauben, daß Viertens. In unserem Grundgesetz ist in Art. 102 bestimmte Straftaten zu verhindern sind, wenn man festgelegt: „Die Todesstrafe ist abgeschafft." Ich nur die Todesstrafe anstrebt. Sie glauben also, daß die könnte zur Begründung der Rechtssituation auch Todesstrafe eine abschreckende Wirkung hat; nur die noch Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes anführen: „Je- Todesstrafe könne die Gemeinschaft vor brutalen der hat das Recht auf Leben und körperliche Unver- Verbrechen schützen. Gerade nach Gewalttaten, die sehrtheit. " die Öffentlichkeit besonders erregen, bricht immer wieder eine solche Diskussion auf. Damit gehen wir wirklich weit über alle bisherigen Konventionen, Protokolle und Entschließungen hin- Mit der Todesstrafe, so sagt man auch, müsse die aus. Unsere Appelle richten sich jetzt also an die ande- Gesellschaft ihr Recht auf Vergeltung in Anspruch ren, uns zu folgen. Wir haben die Erfahrung der Ver- nehmen. Ich bin der Auffassung, daß die Strafe nach brechen des Nationalsozialismus gemacht. Deswegen einer Straftat auch den Sühnecharakter deutlich ma- erscheint uns der Verzicht auf jegliche Todesstrafe als chen muß, ich bin allerdings auch fest überzeugt, daß richtig, notwendig und unabänderlich. dem Menschen nicht ansteht, einen anderen zu töten. Auch der Staat hat dieses Recht also nicht. Ich will es Ich will nun nach dieser Positionsbestimmung ein ganz deutlich sagen: Ich lehne die Tötung ungebore- Wort zu den Drucksachen sagen, die zur Beratung an nen Lebens, die Euthanasie und die Todesstrafe ab. die Ausschüsse überwiesen werden sollen. Für uns Auch das ist die Haltung meiner Fraktion. Ich sage brauchten wir eigentlich keine gesetzliche Regelung Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1801

Seesing des Protokolls Nr. 6 zur Konvention des Europarats konnten, haben dazu beigetragen, daß sich die Öf- zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreihei- fentlichkeit in unserem Land wieder verstärkt der alt- ten über die Abschaffung der Todesstrafe. Wir haben bekannten Tatsache bewußt geworden ist, daß in eine eindeutige und klare Regelung im Grundgesetz. Chile ein Terrorregime alle Menschenrechte mit Fü- Dennoch wollen wir alles tun, zumindest diesem Pro- ßen tritt. tokoll Nr. 6 — wir müßten eigentlich noch mehr tun — Anders als große Teile der CDU/CSU, welche Men- europaweit Geltung zu verschaffen. Ich hoffe, daß die schenrechtsfragen für außen- und wirtschaftspoliti- Unsicherheiten über die Auslegung des Protokolls sche sowie auch innerparteiliche Auseinandersetzun- — ich will das so umschreiben — , die noch bestehen, gen mißbrauchen, setzen wir GRÜNEN diesem instru- schnellstens ausgeräumt werden können, mentalisierenden Menschenrechtsverständnis die (Bindig [SPD]: Welche sind das denn?) universelle und unteilbare Geltung der Menschen- damit die Voraussetzungen für die Ratifizierung ge- rechte entgegen. Die Unteilbarkeit gilt zeitlich und schaffen werden. geographisch, sie gilt in bezug auf die Gesamtheit der politischen und sozialen Menschenrechte. Wir wen- Auch ich spreche mich für eine weltweite Abschaf- den uns gegen die Vorstellung, der Zweck heilige die aus, wie sie in dem Antrag der fung der Todesstrafe Mittel, und kritisieren deshalb alle Menschenrechts- SPD-Fraktion auf Drucksache 11/459 angesprochen verletzungen, gleichgültig, im Dienste welcher Ideo- wird. Ich bin auch gern bereit, zu meinem amerikani- logie oder welchen Gesellschaftssystems sie erfol- schen Nachbarn zu sagen, daß er doch auch auf die gen. Todesstrafe verzichten möge. Er wird dann auf die Rechtstradition der USA verweisen. Er wird auch dar- Eine der heute vordringlichen Aufgaben ist die auf verweisen, daß viele Menschen in seinem Land weltweite Abschaffung der Todesstrafe; das ange- noch immer auch wegen der historischen Erfahrungen sichts der Tatsache, daß in 129 Ländern in Ost und nach dem Grundsatz „Auge um Auge, Zahn um West, in Nord und Süd die Todesstrafe gesetzlich ver- Zahn" verfahren möchten. Es wird dauern, bis ich ankert ist. Viele von ihnen, z. B. Südafrika, Chile und unsere Haltung und Einstellung meinem amerikani- Bangladesch, legalisieren damit staatlichen politi- schen Freund so nahegebracht habe, daß er sie auch schen Mord. Wo immer wir GRÜNEN die Gelegenheit für sich für richtig hält. haben, mit entsprechenden Regierungsvertretern zu Er wird mich fragen: Warum sprichst du nur mit mir? sprechen — sei das z. B. aus Jamaika, aus der Volks- Da sind noch die vielen anderen! — Sicherlich werde republik China oder der Sowjetunion — , setzen wir ich auf unsere besondere Freundschaft verweisen. Ich uns für die Abschaffung der Todesstrafe ein. muß aber einsehen, daß ich z. B. auch Herrn Gorba- Was nun den SPD-Antrag bet rifft — der sich vor- tschow oder den Leuten in Südafrika und in Chile und, nehmlich an die Länder im westlichen Bündnis rich- wie ich glaube, in 150 anderen Ländern der Erde tet — , so unterstützen wir ihn als einen wichtigen etwas Ähnliches sagen müßte. Schritt auf dem Weg zur weltweiten Abschaffung der In manchen Ländern ist es sogar ein religiöses Ge- Todesstrafe. Wir teilen das Anliegen, insbesondere bot, den Bösen oder vermeintlich Bösen zu töten. Es die Vereinigten Staaten von Amerika zu bewegen, wird also noch viel getan werden müssen, bis man den Internationalen Pakt für bürgerliche und politi- weltweit aufhört, die Todesstrafe zu verhängen. Ap- sche Rechte zu ratifizieren. Besonders besorgt sind wir pelle können Aufmerksamkeit erregen. Aber wenn darüber, daß in 28 US-Bundesstaaten die Hinrichtung man einen weltweiten Verzicht auf die Todesstrafe von zur Tatzeit Minderjährigen gesetzlich zugelassen will, werden wir alle wohl noch mehr tun müssen. ist. Was die Zahl solcher Hinrichtungen angeht, sind die USA Führungsmacht in der westlichen Welt. Ich bin gern bereit, die Beratung der drei Druck- sachen beschleunigen zu helfen. Die Ächtung der Todesstrafe entspricht keineswegs Und noch dazu: Geduld wird man haben müssen nur der christlich-abendländischen Tradition. Sie ist und eine klare, eindeutige Linie, eine Linie: Schutz ein gemeinsames Gut vieler Kulturen und Religionen. des menschlichen Lebens allerorts und allezeit. Die Androhung und Vollstreckung der Todesstrafe widersprechen dem Internationalen Pakt über bürger- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) liche und politische Rechte und der allgemeinen Er- klärung der Menschenrechte, wo es heißt: Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat die Abge- Niemand darf der Folter oder grausamer, un- ordnete Frau Eid. menschlicher oder erniedrigender Behandlungen oder Strafe unterworfen werden. (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrter Frau Eid Dieses Menschenrecht ist durch nichts zu relativie- Herr von der CDU — denn mehr außer dem Redner ren. sind ja nicht da — ! Sehr geehrte Damen und Herren von den anderen Fraktionen! Es liegt gerade erst zwei Aus diesem Grund, Frau Däubler-Gmelin, haben Wochen zurück, daß wir ohnmächtig miterleben muß- wir ergänzend einen Antrag eingebracht, der eben ten, wie das von der Bundesrepublik unterstützte diese Relativierungen, wie sie etwa im 6. Zusatzpro- Apartheidregime in Pretoria wieder zwei Todesurteile tokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention vollstreckt hat. Die jüngste Reise von Bundesminister über das Verbot der Todesstrafe enthalten sind, auf- Blüm nach Chile und sein persönlicher Einsatz für die heben soll. Vor zweieinhalb Jahren ist dieses Zusatz- Aufnahme der 15 zum Tode verurteilten Chilenen so- protokoll in Kraft getreten. Bis heute wurde es von der wie die Berichte von deren Angehörigen, die auf un- Bundesregierung nicht zur Ratifizierung vorgelegt. sere Einladung hin in die Bundesrepublik kommen Selbst aus der Sicht dieser Bundesregierung kann 1802 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Frau Eid nichts gegen die Ratifizierung angeführt werden. Des- Herzlichen Dank. halb kann man die bisherige Verschleppung nur als (Beifall bei den GRÜNEN) Ausdruck mangelnder Ernsthaftigkeit im so oft be- schworenen Einsatz für die Ächtung der Todesstrafe werten. Vizepräsident Cronenberg: Herr Minister, ich wollte eigentlich erst die Fraktionsrunde zu Ende füh- Aber diese Bundesregierung hat ja nicht nur diese ren. Ratifizierung verschleppt. Die Liste ist weit umfang- Der Abgeordnete Irmer hat das Wort. reicher. Die Unterzeichnung und Ratifizierung des Fa- kultativprotokolls zum Internationalen Pakt über (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehrten bürgerliche und politische Rechte aus dem Jahre Irmer Damen und Herren! Ich habe zu meiner Freude fest- 1966 steht bis heute aus. Die europäische Antifolter- gestellt, daß alle Fraktionen dieses Hauses für die konvention kommt nicht voran, weil die Bundesregie- weltweite Ächtung der Todesstrafe eintreten. Aller- rung die Ausarbeitung im Lenkungsausschuß verzö- dings war ich einigermaßen verwundert, daß wir von gert. Selbst die Antifolterkonvention der Vereinten den GRÜNEN wieder einmal hören mußten, von einer Nationen von 1984, die weit hinter der Konvention des wieviel höheren moralischen Warte aus sie dies tun als Europarates zurückbleibt, wurde von der Bundesre- alle anderen. gierung nur mit Vorbehalt unterzeichnet und bis heute nicht zur Ratifizierung vorgelegt. Wir erwarten, Meine Damen und Herren, auch wir sind der Mei- daß sich Außenminister Genscher gegenüber dem Ju- nung, daß das Protokoll Nr. 6 zur Menschenrechts- stizminister endlich dafür einsetzt, daß mit dem konvention des Europarates nun schleunigst ratifi- Herummeiern und der weiteren Verzögerungspolitik ziert werden sollte. Schluß gemacht wird. (Bindig [SPD]: So geht es Jahr um Jahr!) Es ist im Apri (Bindig [SPD]: Die Regierung ist so langsam l 1983 von der Bundesrepublik Deutsch- land gezeichnet worden und ist noch nicht ratifiziert. wie der Minister!) Ich möchte betonen, daß dies nicht daran liegt, daß So beschämend es ist, daß nicht die Regierung, son- etwa die meiner Fraktion angehörenden Minister in dern die Opposi tion heute den Gesetzentwurf zum der Bundesregierung hierfür verantwortlich gewesen 6. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschen- wären. Ebenso trifft dies auf die anderen internationa- rechtskonvention vorlegen muß, so unannehmbar ist len Verträge zu, die noch der endgültigen Inkraftset- auch jeder Versuch, der Opposition das Antragsrecht zung hier in der Bundesrepublik Deutschland har- bei Ratifizierungen abzusprechen. Es sind nur die ren.

Versäumnisse der Bundesregierung, die dieses Recht Die Ratifizierung der UN - Folterkonvention vom begründen. Dieses Recht gründet vielmehr da rin, daß 10. Dezember 1984 steht an. Ich bedauere eigentlich, das Monopol staatlicher Behörden für Außenpolitik daß die Bundesrepublik die Gelegenheit verpaßt hat, am Ende des 20. Jahrhunderts ein Anachronismus ist. das internationale Inkrafttreten dieser Konvention da- Wir GRÜNEN treten für einen Prozeß der Demokrati- durch herbeizuführen, daß sie als 20. Land ratifiziert sierung und der Entstaatlichung von Außenpolitik ein hätte. und verteidigen in diesem Zusammenhang auch das (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Sehr Antragsrecht der Opposi tion. wahr!) Lassen Sie mich einige Worte zu unserem ergänzen- Wir haben hier den Dänen den Vortritt gelassen, die den Antrag zum 6. Zusatzprotokoll sagen. Wir for- dies im Juni dieses Jahres get an haben. Es wäre schön dern die Bundesregierung auf, einseitig auf die Über- gewesen, wenn dies die Bundesrepublik gewesen nahme dieses Art. 2 zu verzichten und auf dessen er- wäre. satzlose Streichung im Zusatzprotokoll hinzuwirken. (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: So ist es!) Mit der einseitigen Verzichtserklärung würde die Meine Damen und Herren, wir müssen hier aller- Bundesregierung ein Zeichen auf dem Weg zum dings auch ein wenig an die Verantwortlichkeit erin- schrittweisen Abbau und zur völligen Abschaffung nern; denn, soweit ich unterrichtet bin, ist es z. B. der der Todesstrafe setzen. Aus den gleichen Erwägun- Freistaat Bayern gewesen, der das Zeichnen und In- gen heraus fordern wir die Bundesregierung auf, sich krafttreten der europäischen Folterkonvention bisher für die von uns eingebrachten Streichungen und Än- verhindert hat. Ich möchte an meine bayerischen derungen des Art. 5 des 6. Zusatzprotokolls einzuset- Landsleute appellieren, doch endlich den Widerstand zen. hiergegen aufzugeben und sich dem anzuschließen, was Bundesaußenminister Genscher und Bundesju- Diese Bundesregierung hat in den letzten Jahren stizminister Engelhard schon immer vertreten ha- viele schöne Worte über die Menschenrechte gefun- ben. den. Sie, Herr Genscher — er ist nicht da, aber sein Stellvertreter; Sie werden es ihm aber bitte mittei- (Beifall bei der FDP, der SPD und den len — , haben sich an dieser Stelle für die weltweite GRÜNEN) Einschränkung der Todesstrafe und für eine bessere Gerade die Bundesrepublik Deutschland sollte keinen völkerrechtliche Verankerung des Rechts auf Leben Zweifel daran lassen, daß sie sich im Schatten der ausgesprochen. Das finden wir gut. Aber, meine Da- deutschen Vergangenheit von niemandem übertref- men und Herren von der FDP, CDU/CSU, Sie sollten fen läßt, wenn es darum geht, für die Wahrung der diesen Worten Taten folgen lassen und die Anträge Menschenrechte und gegen die Todesstrafe interna- von SPD und GRÜNEN zustimmend beraten. tional einzutreten. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1803

Irmer Ich muß sagen: Der Bundesarbeitsminister Blüm hat Ich erlebe doch immer wieder, daß Rechte Menschen- in Chile etwas sehr Wichtiges getan, als er dies dem rechtsverletzungen in rechten Diktaturen sehr nach- Diktator auch so ins Gesicht gesagt hat, der nämlich sichtig behandeln, und ich erlebe auf der anderen leugnet, daß dort überhaupt derartige Menschen- Seite, daß Linke bei Menschenrechtsverletzungen- rechtsverletzungen vorkommen. Meine Damen und durch linke Diktaturen oft nachsichtig die Augen Herren, ich habe selbst erfahren, wie die Opposi tion, schließen oder zumindest zukneifen. wie die Menschen in Chile von dem Auftritt von Herrn (Frau Eid [GRÜNE]: Und die CDU bei rech Blüm in Santiago ermutigt worden sind. Ich möchte ten!) ihm gerade aus dieser persönlichen Erfahrung hier von dieser Stelle aus sehr herzlich dafür danken. Menschenrechte, meine Damen und Herren, sind un- teilbar. Sie vertragen nicht die Behandlung nach poli- (Beifall bei der FDP) tischer Opportunität. Meine Damen und Herren, vorhin ist hier davon die (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten Rede gewesen, daß es auch in mit uns befreundeten der GRÜNEN! — Frau Unruh [GRÜNE]: Sehr Ländern mit gleichem Wertesystem die Todesstrafe wohl! Endlich was Neues!) gebe. Auch da lehnen wir selbstverständlich die To- desstrafe ab. Wir sollten, wenn wir mit unseren ame- Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will rikanischen Freunden sprechen, keine Gelegenheit im Zusammenhang dieser Debatte auch darauf hin- auslassen, dies auch zu sagen. Aber man muß doch weisen, daß es noch andere Menschenrechtsverlet- auch einmal darauf hinweisen, daß ein himmelweiter zungen gibt, die genauso gravierend sind. Hunger, Unterschied dazwischen besteht, ob ein Mensch nach Krankheit und Elend in der Dritten Welt stellen pera- einem ordnungsgemäßen rechtsstaatlichen Verfahren mente Menschenrechtsverletzungen dar. Nur ist de- mit Berufungsmöglichkeiten zum Tode verurteilt nen nicht so leicht beizukommen, während wir im wird, so bedauerlich das ist und so sehr wir dagegen Bereich der institutionalisierten, der legalisie rten sind, oder ob die Todesstrafe wie die Folter von Wi ll Menschenrechtsverletzungen etwas tun können. Wir -kürstaaten als reines Terrorinstrument eingesetzt können diese Abkommen ratifizieren. Wir können uns wird. Weltweit für die Ächtung von Folter und Todesstrafe einsetzen. (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Aber Herr Und wir sollten auch nicht vergessen, daß wir dar- Irmer, denken Sie doch nur mal darüber über hinaus noch etwas tun können, was zur prakti- nach! Sie sind mir ein Freidemokrat!) schen Durchsetzung unserer Forderungen beitragen Insofern ist hier doch ein gewisser qualitativer Unter- könnte. Meine Partei hat auf ihrem Bundesparteitag schied zwischen dem, was die Amerikaner tun, und Anfang des Monats in Kiel nochmals ausdrücklich die dem, was beispielsweise in Chile geschieht. Folter Forderung bekräftigt, daß wir uns für einen UNO und Todesstrafe werden von Diktaturen oft als Mittel Hochkommissar für die Menschenrechte und für die der Unterdrückung, als Mittel zur Aufrechterhaltung Errichtung eines Menschenrechtsgerichtshofs bei des Regimes eingesetzt. Da muß man sagen: In sol- den Vereinten Nationen einsetzen. Ich wünsche mir, chen Ländern sitzen die eigentlichen Terroristen auf daß die Bundesregierung dieses aufgreift und sich den Regierungsbänken. hierfür einsetzt, hierfür Initiativen ergreift. (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Vielen Dank. Und das ist ein qualitativer Unterschied zu dem, was (Beifall bei der FDP) in Amerika bedauerlicherweise heute noch ge- schieht. Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Bun- (Frau Unruh [GRÜNE]: Warum sperrt sich desminister der Justiz, Hans Engelhard. denn Bayern?) — Überhaupt, meine Damen und Herren, verehrte Engelhard, Bundesminister der Justiz: Herr Präsi- Kollegin: Weisen wir doch in diesem Zusammenhang dent! Meine Damen und Herren! Die Bundesregie- auch einmal darauf hin, daß sowohl von Rechten als rung setzt sich mit Nachdruck für die weltweite Ab- auch insbesondere von Linken oft ein gewaltiger Un- schaffung der Todesstrafe ein. Sie begrüßt auch das terschied in der Verurteilung derartiger Dinge ge- 6. Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschen- macht wird, je nach dem, wo diejenigen sitzen, die rechtskonvention und mißt ihm eine hohe Bedeutung dafür verantwortlich sind. bei. Wir erwarten, daß damit ein unübersehbares Si- (Beifall bei der FDP — Frau Unruh [GRÜNE]: gnal für die Stärkung der Menschenrechte im Sinne Gucken Sie nach Bayern, nicht zum Blüm!) einer weltweiten Abschaffung der Todesstrafe gesetzt Wir erleben es doch täglich. wird. Die Bundesregierung hat darum das 6. Protokoll bereits am 28. April 1983, also an dem Tag, an dem es (Frau Eid [GRÜNE]: Haben Sie nicht zuge zur Zeichnung aufgelegt wurde, im Europarat ge- hört?) zeichnet. Die Bundesregierung hat auch die Ratifizie- — Ich habe nicht Sie gemeint, Frau Kollegin. Sie ha- rung zugesagt. ben das hier nicht gesagt. Aber ich habe aus Äußerun- Die klärungsbedürftige Frage, welche Auswirkun- gen von Leute Ihrer Couleur das oft genug herausge- gen von dem Protokoll auf unser Ausländerrecht lesen. eventuell zu erwarten sind, hat die Ratifizierung je- (Frau Unruh [GRÜNE]: Gucken Sie nach doch verzögert. Bayern!) (Lambinus [SPD]: O Gott!) 1804 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Bundesminister Engelhard Diese Prüfung ist jetzt abgeschlossen. GRÜNEN mit ihrer etwas merkwürdigen Antragsbe- gründung in Zweifel gezogen werden? (Zuruf von den GRÜNEN: Das ist schön!) (Frau Eid [GRÜNE]: Das ist ja unglaublich! Ich rechne daher damit, daß das Bundeskabinett als- Das ist ein Minister! — Frau Unruh [GRÜNE]- : bald den Entwurf des Vertragsgesetzes beschließen Unverschämt!) kann. Ich finde, daß der Antrag der GRÜNEN erneut zeigt, (Bindig [SPD]: Da mußten wir erst zweimal, welches Maß an Realitätsferne diese Fraktion mittler- dreimal ordentlich stoßen!) weile gewonnen hat. — Herr Kollege Bindig, ich komme gleich noch in (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — einem anderen Zusammenhang auf Ihre Bemer- Zuruf von den GRÜNEN: Überhaupt nicht! kung. — Frau Schoppe [GRÜNE]: Er weiß, daß er völlig danebenliegt!) Der von der SPD-Fraktion — so lege ich Wert zu sagen — vorgelegte Entwurf eines Vertragsgesetzes Das Wort hat der Staats- unterstreicht, daß wir in der Sache völlig einig sind. Vizepräsident Cronenberg: minister Schäfer. Ich will deswegen auch nicht die Frage vertiefen, ob ein solcher Gesetzentwurf aus der Mitte des Hauses die Handlungsfreiheit antastet, die das Grundgesetz Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Herr der Bundesregierung im Bereich der völkerrechtli- Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ein Satz chen Vertragsbeziehungen zuweist. Das ist in diesem von mir zu sagen, der in diesem Hause selten gesagt Zusammenhang hier an dieser Stelle zu erörtern nicht wird: Die Bundesregierung begrüßt den Antrag des notwendig. Abgeordneten Klein und der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/459. Die Abschaffung der Todesstrafe, Eines allerdings ist ganz klar: Die Bundesregierung die für die Bundesrepublik Deutschland bereits durch hat es nicht verdient, der Unglaubwürdigkeit bezich- Art. 102 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich fest- tigt zu werden, wie es in der Begründung zu Ihrem gelegt wurde, weltweit zu erreichen gehört zu den Antrag sehr deutlich angesprochen wird. Jedermann großen menschenrechtlichen Zielen unserer Außen- weiß, daß die Bundesregierung, an der Spitze der politik. Deshalb hat die Bundesrepublik Deutschland Bundesaußenminister bei all seinen internationalen im Herbst 1980 zusammen mit einigen anderen Staa- Kontakten, immer und überall für die weltweite Äch- ten in der 35. Generalversammlung der Vereinten Na- tung der Todesstrafe über die Jahre hin eingetreten tionen den Entwurf eines Übereinkommens zur welt- ist und weiter eintreten wird. weiten Abschaffung der Todesstrafe eingebracht. Der (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Entwurf hat die Form eines zweiten Fakultativproto- kolls zum Internationalen Pakt über bürgerliche und Die Bundesregierung nutzt daher auch jede sich politische Rechte. bietende Gelegenheit, jede Gelegenheit des interna- Ziel unserer Initiative ist es, langfristig ein völker- tionalen Kontakts, aber auch jede Möglichkeit völker- rechtliches Instrument zu schaffen, das zur weltwei- rechtlich verbindlicher Vereinbarungen, andere Staa- ten Abschaffung der Todesstrafe beiträgt. Durch das ten zu einer möglichst vorbehaltlosen Abschaffung werden nur die Staaten, die ihm der Todesstrafe zu bewegen. Fakultativprotokoll beitreten, verpflichtet, wie Sie wissen, die Todesstrafe (Frau Eid [GRÜNE]: Wie war das mit der Kri abzuschaffen und nicht wieder einzuführen. Der Fa- tik an Chile?) kultativcharakter des Protokolls unterstreicht, daß kein Eingriff in die innerstaatlichen Rechte der Mit- — Dies gilt in Richtung aller Staaten. Natürlich wird gliedstaaten der Vereinten Nationen beabsichtigt ist. die Gelegenheit genutzt, gegenüber den uns befreun- Damit wird auf unterschiedliche Rechts- und Kultur- deten USA auch diese Frage nicht auszuklammern, kreise Rücksicht genommen, von denen hier schon die sondern in der gebotenen Art und Weise anzuspre- Rede war. chen, aber erst recht natürlich auch gegenüber Staa- ten wie Chile und vielen, vielen anderen auf dieser Unser Nahziel ist es, mit der Initiative der interna- Welt. tionalen Diskussion über die Abschaffung der Todes- strafe neue Impulse zu geben und Tendenzen zu ihrer (Frau Eid [GRÜNE]: Das stimmt doch gar Wiedereinführung entgegenzutreten. Angesichts der nicht!) Tatsache, daß die Mehrheit der Staaten eine generelle Meine Damen und Herren, der heute von den Abschaffung der Todesstrafe auch in absehbarer Zeit GRÜNEN vorgelegte Antrag würde Vereinbarungen noch nicht wünscht, muß unsere Ini tiative unter einer nicht fördern, sondern gerade verhindern. Eine Strei- längerfristigen Perspektive als Teil der allgemeinen chung von Art. 2 des Protokolls würde den mühsam Menschenrechtsproblematik gesehen und behutsam erzielten Kompromiß zerstören und die Chance für die vorangetrieben werden. Annahme des Protokolls durch mehrere Staaten ver- Nach mehrfacher Befassung mit unserer Initiative eiteln. Ein einseitiger Verzicht auf Übernahme des hat die 39. Generalversammlung der Vereinten Natio- Art. 2 ist rechtlich überhaupt nicht möglich. Für das nen 1984 den UN-Generalsekretär gebeten, einen Be- Recht der Bundesrepublik Deutschland ist im Art. 102 richt über die weiteren Vorarbeiten in der Menschen- des Grundgesetzes in nur vier Worten alles abschlie- rechtskommission und in der mit unabhängigen Ex- ßend gesagt: „Die Todesstrafe ist abgeschafft." Das perten besetzten Unterkommission für Diskriminie- heißt: in jeder Situation, in Friedens-, in Kriegszeiten, rungsverhütung und Minderheitenschutz vorzulegen. im Spannungszustand. Soll derartiges etwa von den Die Unterkommission beauftragte den belgischen Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1805

Staatsminister Schäfer Völkerrechtler Professor Bossuyt von der Universität Todesstrafe vor, schließt ihre Verhängung aber nicht Antwerpen mit der Abfassung eines zusammenfas- aus. senden Berichts zu der mit unserer Ini tiative aufge- Meine Damen und Herren, der Weg zur weltweiten worfenen politischen und rechtlichen Problematik. Abschaffung der Todesstrafe ist lang und hindernis- Die Unterkommission der Menschenrechtskommis- reich. Wir werden viel Geduld brauchen. Die bishe- sion hat sich Ende August 1987 in Genf mit diesem rige Behandlung unserer Initia tive in den UN bestärkt Bericht befaßt. Der Bericht stellt eine wachsende Ten- allerdings die Bundesregierung in ihrer Zuversicht, denz zur Einschränkung der Todesstrafe fest. Er un- daß langfristig und Schritt für Schritt dieses wich tige terstützt inhaltlich unsere Initia tive, läßt aber als Aus- menschenrechtliche Ziel erreichbar ist. nahme die Todesstrafe in Kriegszeiten zu. Die Mehr- zahl der Experten der Unterkommission begrüßte die Vielen Dank. Arbeit als eine gründliche und ausgewogene Be- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) standsaufnahme. Wir haben in unserer Stellung- nahme deutlich gemacht, daß wir das Recht auf Leben Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat die Abge- als ein fundamentales und unteilbares Menschen- ordnete Frau Däubler-Gmelin. recht ansehen, das auch in Kriegszeiten Beachtung finden muß. Frau Dr. Däubler-Gmelin (SPD): Herr Präsident! (Zustimmung des Abg. Dr. de With [SPD]) Meine Damen und Herren! Ich habe mich innerhalb Die Unterkommission konnte ihre Beratungen über der mir zustehenden Redezeit noch einmal zu Wort den Bericht aus technischen und organisatorischen gemeldet. Ich tue das eigentlich aus verschiedenen Gründen in diesem Jahr noch nicht abschließen. Sie Gründen: Zum einen wollte ich mich bei Ihnen, Herr wird sich daher auf ihrer kommenden Tagung im Bundesjustizminister, und auch bei Ihnen, Herr nächsten Jahr erneut mit dem Bericht befassen. Staatsminister, durchaus bedanken — das darf man ja einmal in diesem Hause — , daß Sie hier sehr klar (Frau Unruh [GRÜNE]: In Kriegszeiten ist erklärt haben, die Ratifizierung des sechsten Zusatz- kein Recht auf Leben!) protokolls wirklich jetzt ernsthaft vorantreiben zu wollen, und für die Zusage, daß dieses alsbald ge- — Sie sind manchmal zu schnell mit Ihren Äußerun- schieht. Ich habe ein bißchen vermißt, daß Sie nicht gen, liebe, gnädige Frau, sage ich jetzt mal ausnahms- auf den Punkt eingegangen sind, Herr Bundesjustiz- weise, aber ich glaube, das gefällt Ihnen. minister, auf den wir Wert legen, daß dieses Protokoll (Frau Unruh [GRÜNE]: Das habe ich auch die Folge hat, daß niemand abgeschoben werden darf, verdient! — Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: dem in seinem Heimatland die Todesstrafe droht. Das war eine gute Antwort! — Heiterkeit) Meine Bitte und auch meine Ermutigung an Sie ist, diese Folgerung nicht durch Vorbehalte oder irgend- — Sie hätten eigentlich klatschen müssen, liebe Frau welche Interpretationserklärungen zu verdunkeln. Unruh, aber schon wieder rufen Sie mir Böses zu, und Davon wird abhängen, ob wir unsere Befürchtung, ich finde, ich habe das in diesem Zusammenhang daß einerseits Worte gemacht werden und anderer- wirklich gar nicht verdient. seits keine Taten folgen, aufrechterhalten werden. Die Bundesregierung wird auf den nächsten Sitzun- (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) gen der UN-Generalversammlung und der Men- Herr Bundesjustizminister, ich habe ebenfalls mit schenrechtskommission durch entsprechende Resolu- großer Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß Sie tionen unsere Ini tiative fördern. Ich weise aber noch auch unseren Freunden gegenüber in Gesprächen einmal darauf hin, daß wir angesichts der Mehrheits- und bei Verhandlungen unsere Erwartungen zur Äch- verhältnisse behutsam vorgehen und uns unsere wei- tung der Todesstrafe und zur Achtung der Menschen- teren Schritte sorgfältig überlegen müssen. rechte vortragen. Ich finde das gut. Ich halte das für Nach dem Bossuyt-Bericht haben nur 52, mit der einen Justizminister und selbstverständlich auch für DDR jetzt 53, von 159 UN-Mitgliedstaaten die Todes- einen Staatsminister einer demokratischen Regierung strafe gesetzlich oder de facto ganz oder in Friedens- für selbstverständlich. Wie gesagt, es gehört eben zum zeiten abgeschafft oder in den letzten zehn Jahren Mindestbestand unserer Rechtskultur. nicht angewendet. Die Bundesrepublik Deutschl and Ich habe aber noch eine Bitte. So wie wir Sie von der hat beide Menschenrechtspakte am 9. Oktober 1968 FDP mit Ihren Erklärungen die Bundesregierung voll unterzeichnet und am 17. Dezember 1973 ratifiziert. unterstützen, bitte ich Sie dann auch als FDP um Un- Wie in den Jahren zuvor forde rten die 41. Generalver- terstützung, wenn ich klare Anfragen stelle, ob diese sammlung und die 43. Menschenrechtskommission in Gespräche auch gegenüber anderen Ländern geführt Resolutionen, die die Bundesrepublik Deutschland werden. Wenn Sie hier erklären, selbstverständlich aktiv unterstützt hat, alle Staaten nachdrücklich zum sei dies gegenüber Chile der Fall, auch dann wenn es Beitritt zu beiden Pakten auf. Diese Aufforderung um Wirtschaftsbeziehungen oder um finanzielle Ver- wird auch bilateral, gerade gegenüber den Regie- günstigungen geht, so — Herr Bundesjustizminister, rungsvertretern der mit uns befreundeten Staaten, das können Sie vielleicht nicht wissen — hat gestern wiederholt. Der Beitritt zum Internationalen Pakt über die Bundesregierung auf meine Frage genau dies ab- bürgerliche und politische Rechte würde allerdings in gelehnt, und zwar anläßlich des Abschlusses der Um- unserem Bestreben zur weltweiten Abschaffung der schuldungsverhandlungen zwischen Chile und dem Todesstrafe nur begrenzt helfen. Art. 6 des Paktes Pariser Club, der jetzt am 27. August in Chile erfolgte. sieht zwar Einschränkungen in der Anwendung der Da hätte die Gelegenheit zu solchen Gesprächen be- 1806 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Frau Dr. Däubler-Gmelin standen. Die Bundesregierung hat dies abgelehnt, a) Beschlußempfehlung und Bericht des und sie hat dies in sehr apodiktischer Form getan. Ich Rechtsausschusses (6. Ausschuß) darf das hier noch einmal feststellen und damit die — Drucksache 11/754 — Hoffnung verbinden, daß sich dies in der Zukunft än- dert. Berichterstatter: Abgeordnete Sauter (Ichenhausen) Ich werde die entsprechenden Anfragen zum gege- Stiegler benen Zeitpunkt wiederum an die Bundesregierung richten. b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Herzlichen Dank. schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 11/811 — (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Berichterstatter: Abgeordnete Diller Vizepräsident Cronenberg: Der Bundesminister der von Schmude Justiz hat noch einmal um das Wo rt gebeten. Herr Frau Vennegerts Minister, Sie haben das Wort. (Erste Beratung 18. Sitzung) Engelhard, Bundesminister der Justiz: Herr Präsi- Der Ältestenrat hat eine Beratung mit fünf Minuten dent! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich Redezeit je Fraktion vorgesehen. — Widerspruch ge- meinerseits und auch im Namen von Herrn Staatsmi- gen diese vorgeschlagene Regelung erhebt sich nicht. nister Schäfer für Ihre freundlichen Anmerkungen, Dies ist so beschlossen. Frau Kollegin, bedanken, weil ich es gerade in einer Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abge- so zentralen Frage für wich tig halte, wenn wir von ordnete Sauter (Ichenhausen). Bitte sehr. beiden Seiten — und für uns gilt dies selbstverständ- lich in gleicher Weise — an demselben Strick in der- selben Richtung ziehend, hier im Hause sehr, sehr fair miteinander umgehen. Ich lege nur Wert darauf, daß ich, was die Verhand- Sauter (Ichenhausen) (CDU/CSU): Herr Präsident! lungen mit Chile angeht, hier nichts Unzutreffendes Meine sehr verehrten Damen und Herren! Halbleiter- gesagt habe. Es entzieht sich naturgemäß meiner erzeugnisse erlangen in einer Vielzahl von Industrie- Kenntnis, was bei den vielfältigen internationalen zweigen ständig wachsende Bedeutung. Die Halblei- Kontakten seitens sehr vieler Personen für die Bun- tertechnologie ist heute unzweifelhaft von entschei- desrepublik Deutschland jeweils im einzelnen, noch dender Bedeutung für die indust rielle Entwicklung. dazu vielleicht unter vier Augen, gesprochen wird. Die dreidimensionale Struktur von Mikrochips, die Aber ich sagte: Jede sich bietende Gelegenheit in sogenannte Topographie, bestimmt im wesentlichen jeder Richtung gegenüber jedem Staat wird benutzt, die Funktion der Halbleitererzeugnisse. Für die Ent- um zur Ächtung der Todesstrafe etwas beizutragen. wicklung dieser Topographien müssen umfangreiche Nur ist es die Frage, ob auch jeder interna tionale Kon- geistige, technische und finanzielle Ressourcen ein- takt immer geeignet ist, diese wich tige Frage in jedem gesetzt werden. Mit einem minimalen Teil der für die Falle und zu jeder Minute erneut anzusprechen. Das eigenständige Entwicklung notwendigen Kosten las- allerdings wird man demjenigen, der für die Bundes- sen sich solche Topographien kopieren. republik Deutschland diese Kontakte hat und Gesprä- che führt, überlassen müssen. Wir dürfen aber sicher Weder das deutsche Recht noch das Recht fast aller sein, daß das Maß unserer Bemühungen für die Bun- Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft bie- desregierung und damit für unser Land ein sehr hohes ten derzeit einen ausreichenden Schutz gegen diese Maß der Bemühungen ist. ständig zunehmende Form der Produktpiraterie. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Das heute zu verabschiedende Gesetz über den Schutz der Topographien von mikroelektronischen Vizepräsident Cronenberg: Weitere Wortmeldun- Halbleitererzeugnissen setzt eine Richtlinie des Rates gen liegen mir nicht vor. Ich kann die Aussprache der Europäischen Gemeinschaften vom 16. Dezem- schließen. ber 1986 um, nach der die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, bis zum 7. November 1987 einen ausreichenden Es wird vorgeschlagen, die Vorlagen zur Abschaf- Rechtsschutz der Topographien von Mikrochips zu fung der Todesstrafe an die in der Tagesordnung auf- schaffen. Mit diesem Datum endet in den Vereinigten geführten Ausschüsse zu überweisen. Andere Vor- Staaten von Amerika ein den Angehörigen und Ge- schläge aus dem Haus werden nicht gemacht. Ich darf bietsansässigen der EG-Mitgliedstaaten einstweilen dies als beschlossen feststellen. gewährter Schutz für ihre Halbleitererzeugnisse.

Ich rufe den Punkt 17 der Tagesordnung auf: Die Einführung eines neuen gewerblichen Schutz- rechtes sui generis ist aus rechtsdogmatischen Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Gründen zu begrüßen. Der Schutzgegenstand der desregierung eingebrachten Entwurfs eines Norm, aber auch die enge internationale wirtschaftli- Gesetzes über den Schutz der Topographien che Verflechtung auf dem Gebiet der Mikrochip-Er- von mikroelektronischen Halbleitererzeugnis- zeugung, die eigentlicher Antrieb der Kodifikation ist, sen (Halbleiterschutzgesetz) lassen eine zweifelsfreie Einordnung in das Urheber- — Drucksachen 11/454, 11/497 — recht oder die einzelnen Formen des gewerblichen Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1807

Sauter (Ichenhausen) Rechtsschutzes nicht zu. Eine gesonderte Regelung in schmacksmusterrecht oder das Urheberrecht. Gleich- Anlehnung an das Gebrauchsmusterrecht erscheint wohl ist aber bei der neuen technischen Entwicklung, daher als die zweckmäßige Lösung. bei der Chip-Entwicklung eine erhebliche- Schutz- Die CDU/CSU-Fraktion hat sich nachhaltig dafür lücke entstanden, und diese Lücke wird durch das eingesetzt, daß der bei einer zentralen Registrierung neue Schutzrecht bei Wahrung — darauf lege ich be- nicht auszuschließenden Gefahr begegnet wird, den sonderen Wert — der Rechte der Arbeitnehmer, also Weg der Akteneinsicht nur deshalb zu wählen, um des Arbeitnehmererfindungsrechts, gefüllt. Ich will insbesondere durch Kopieren eingereichter Unterla- niemanden mit den Details dieses Gesetzes belasten. gen eine Topographie nachzuahmen. Aus diesem Wer sich mit diesen Details befassen möchte, den ver- Grund kann lediglich eine unmittelbare Einsicht- weise ich auf den schriftlichen Bericht. nahme in die Unterlagen zulässig sein. Ich möchte aber aus Anlaß dieser Verabschiedung Das Halbleiterschutzgesetz soll das Halbleiter- auf ein paar Probleme zu sprechen kommen, die wir erzeugnis als fertiges Produkt schützen. Die nach dem uns hier vor Augen führen sollten. Halbleiterschutzgesetz zu hinterlegenden Unterlagen Dieses Gesetz ist keine Aktion, sondern eine Reak- stellen zum großen Teil Kopien der zu schützenden tion des deutschen Bundesgesetzgebers. Wir haben Topographie dar, d. h. Konstruktionsunterlagen des uns dem US-amerikanischen Druck beugen müssen fertigen Produkts. Eine Kopierfreiheit im Aktenein- und nicht etwa aus eigener Initiative gehandelt. Wir sichtsverfahren würde bedeuten, daß sich jeder ohne haben auch nicht etwa aus eigener Initiative in der weiteres in den Besitz dieser Konstruktionsunterlagen Bundesrepublik gehandelt, sondern setzen eine euro- setzen könnte, soweit es sich nicht um solche Topo- päische Richtlinie um — zwei Vorgänge, die vorher graphien handelt, die als Geschäfts- oder Betriebsge- nicht Gegenstand parlamentarischer Beratung waren. heimnis gekennzeichnet sind. Die letztere Kennzeich- Ich weise darauf hin, daß wir uns seit geraumer Zeit nung wird im Regelfall nur für Halbleitererzeugnisse bemühen, eben die EG-Vorlagen, diese Entwicklun- möglich sein, die sich noch nicht im Handel be finden. gen stärker unter Kontrolle zu bekommen. Ich sage Aus diesen Gründen ist es notwendig, die in § 4 Abs. 3 hier ausdrücklich: kein Vorwurf an das BMJ. Die geregelte Akteneinsicht — außer im Fall eines Lö- Mannschaft um Herrn Krieger herum hat schnell rea- schungsverfahrens oder eines Rechtsstreits — auf die giert und hervorragend gearbeitet. Wer aber meiner unmittelbare Inaugenscheinnahme der hinterlegten Meinung nach etwas geschlafen hat, ist der Bundes- Unterlagen zu beschränken und die Anfertigung von wirtschaftsminister, weil der die Entwicklung nicht Vervielfältigungsstücken dieser Unterlagen nicht zu- rechtzeitig erkannt hat, so daß also auch nicht recht- zulassen. Andernfalls könnten sich bei Akteneinsicht zeitig Vorkehrungen getroffen worden sind. Interessenten durch Überlassung von Vervielfälti- gungsstücken in einfacher Weise Unterlagen ver- (Zuruf des Abg. Sauter [Ichenhausen] [CDU/ schaffen, die ihnen sonst ohne Analyse des entspre- CSU]) chenden Halbleitererzeugnisses kaum zugänglich — Ja, ich sage das bewußt, auch wenn Herr Riedl nicht wären. Besonders schwerwiegend wäre dies bei To- Bundeswirtschaftsminister ist. Aber er soll sich ruhig pographien, die vom Schutzinhaber noch nicht ge- mitbetroffen fühlen und hier, in die Zukunft schauend, schäftlich verwertet wurden. So gewonnene Unterla- wenigstens wacher sein, gen könnten schließlich auch in Ländern verwendet werden, die noch keinen entsprechenden Schutz ge- (Zustimmung bei der SPD) währen. Der angestrebte Schutz gegen Kopien könnte damit wir hier der Entwicklung nicht immer hinterher- dadurch leicht ins Gegenteil verkehrt werden. laufen müssen. Wir werden dem vorliegenden Gesetzentwurf zu- Ich sage ganz deutlich: Die Beratungen haben unter stimmen. dem unerträglichen Zeitdruck gelitten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Sehr richtig! bei der SPD)

Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- Wir als Sozialdemokraten haben ausnahmsweise mit- ordnete Stiegler. gemacht, weil wir Vertrauen in die Krieger-Mann- schaft haben, aber auch deshalb, weil auf Grund des Termindrucks Schaden für deutsche Unternehmen Stiegler (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und droht. Darum haben wir hier mitgemacht und Bera- Herren! Das Oberthema dieses Gesetzes lautet: Wie tungszeiten hingenommen, die normalerweise nicht kann man die Ausbeutung fremder Leistung verhin- hinzunehmen sind. dern, wie kann man der Produktpiraterie Einhalt ge- bieten? Oder auf deutsch gesagt: Wie kann man ver- Meine Damen und Herren, wir müssen uns klarma- hindern, daß Umsätze und Erträge mit den Leistungen chen, daß neue technische Entwicklungen nicht nur und den Investitionen anderer gemacht werden? Hier gesetzlich flankiert und kontrolliert werden müssen, gibt es gefährliche Entwicklungen, insbesondere bei so etwa bei der Gentechnologie, sondern daß sie auch einem sich verschärfenden internationalen Wettbe- bei den klassischen Schutzrechten Antworten von uns werb. Daraus resultieren Gefahren sowohl für die Un- verlangen. Es ist eine Aufgabe für die Rechtstatsa- ternehmen, für die in ihnen beschäftigten Arbeitneh- chenforschung, Herr Minister, hier solche Entwick- mer als auch für die Kapitalgeber. lungen mehr zu betrachten. Mit diesem Halbleiterschutzgesetz füllen wir eine Ich habe viele Reden des Justizministers zur Be- Lücke im gewerblichen Rechtsschutz. Wir haben zwar kämpfung der Produktpiraterie gelesen. Ich nehme das Patentrecht, das Gebrauchsmusterrecht, das Ge- an, daß wir heute wieder ein Bekenntnis zur Bekämp- 1808 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Stiegler hing der Produktpiraterie bekommen werden. Das ist ten vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes in ja in der Tat ein Problem. Man hört, daß es selbst Amerika vor drei Jahren und der Kenntnisnahme der deutsche Unternehmen geben soll, die sich in Fernost Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft innerhalb unter Verletzung gewerblicher Schutzrechte Pro- eines Jahres diesen Gesetzentwurf miteinander bera- dukte bestellen. Wir sind uns einig, daß hier etwas ten. Aber dies sollte nicht der zukünftige S til sein, in unternommen werden muß. Es ist Zeit, den Reden dem wir weltweit unsere gewerblichen Rechte unter- endlich Taten folgen zu lassen, Herr Minister, und einander schützen. Vielmehr sollten unsere gewerbli- zwar mit einer gewissen Geschwindigkeit, nicht so, chen Rechte durch weltweite Abkommen geschützt wie man es Ihnen immer nachsagt, lento di molto, son- werden. Es ist auch daran gedacht — wie in der Vor- dern sozusagen andante con moto. lage dargelegt — , daß auf internationaler Ebene die (Beifall bei der SPD) Weltorganisation für Geistiges Eigentum in Genf die Arbeiten vorantreibt, um den gewerblichen Rechts- Das wäre das mindeste, was wir in dem Bereich erwar- schutz auch für den Halbleiterschutz besser umsetzen ten. zu können. Denn solche Dinge können wir nicht mehr Wir hoffen, daß dieses Halbleiterschutzgesetz jetzt national miteinander regeln, sondern so etwas kann nicht hier zum Anlaß genommen wird, zu sagen, man nur noch supranational geregelt wérden. Die Ameri- hätte jetzt das Notwendigste getan, und wir hoffen, kaner sind uns mit ihren zweifellos auch wirtschaftlich daß die ganze Vorlage zur Bekämpfung der Produkt- protektionistischen Anliegen etwas voraus, oder bes- piraterie — sei es im Rahmen der Berichterstattung ser gesagt: Sie versuchen, uns damit unter Druck zu zur Urheberrechtsnovelle oder sei es aus eigenem An- setzen. trieb — beschleunigt auf den Tisch des Hauses kommt. Wir können uns natürlich fragen: Warum hat der Wir jedenfalls haben bewiesen, daß wir koopera- deutsche Gesetzgeber nicht vorher reagiert und das tionsbereit sind im Interesse der be troffenen Unter- Urhebergesetz oder den gewerblichen Rechtsschutz nehmen und der in ihnen beschäftigten Arbeitneh- nicht insoweit erweitert? Auch die §§ 823 ff. hätten in mer. irgendeiner Weise erweitert werden können. Viel- leicht liegt es schlicht daran, daß zumindest in dieser Ich möchte noch einmal den Beamten des Justizmi- frühen Phase des Halbleiterschutzes noch kein Rege- nisteriums herzlich dafür danken, daß sie hier unter lungsbedarf bestand; denn diese Produkte haben sich Druck die Sache so kreativ hinbekommen haben, daß mit einer Schnelligkeit entwickelt, daß ein Hinterle- sie sozusagen das Vertrauen, das wir in sie setzen, gen beim Patentamt unter Umständen keinen Sinn wieder einmal gerechtfertigt haben. gemacht hätte. Vielleicht hätte es sogar dazu geführt, Vielen Dank. daß die hinterlegten Halbleiterprodukte in irgendei- (Beifall bei der SPD) ner Weise kopiert worden wären, vielleicht nicht mit einer 100%igen Identität, aber doch so, daß die Wirt- Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat Herr schaft keinen hinreichenden Schutz gehabt hätte. Staatssekretär Riedl, der versprochen hat, nur mit ei- Lassen Sie mich noch sagen, was mich gelegentlich nem Satz zu erwidern. Sonst hätte ich Bedenken ge- bei den Gesetzentwürfen sehr stört: Unter dem habt, die Fraktionsrunde zu unterbrechen. Punkt D: Kosten wird ausgeführt, daß dieses Gesetz dem Staat praktisch keine Kosten macht. Das ist alles Parlamentarischer Staatssekretär beim Dr. Riedl, richtig und auch sehr fein errechnet worden. Aber tat- Bundesminister für Wi rtschaft: Danke schön, Herr sächlich ist es doch so, daß die Kosten natürlich der Präsident, ich werde es einmal versuchen. Wirtschaft entstehen. Ich würde in den Beratungen in Herr Kollege Stiegler, das Bundeswirtschaftsmini- Zukunft doch auch ganz gerne erfahren, welche Bela- sterium schläft natürlich nicht; wir haben alle diese stungen auf die gewerbliche Wi rtschaft zukommen, Initiativen des von Ihnen so sehr gelobten Bundesju- wenn sie gezwungen ist, zum Schutze ihrer Produkte stizministeriums in vollem Einvernehmen mitgebil- das Deutsche Patentamt in Anspruch zu nehmen, und ligt. ob es unter Umständen nicht einfachere und billigere Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Methoden gibt, um die gewerbliche Wirtschaft zu (Heiterkeit) schützen. (V o r s i t z: Vizepräsident Stücklen) Vizepräsident Cronenberg: Dann bleibt mir nichts anderes übrig, als festzustellen, daß der Herr Staats- Bei der Gesetzesflut, die uns ja doch wieder ins sekretär sein Versprechen eingehalten hat. Haus steht — beim nächsten Tagesordnungspunkt Das Wort hat der Abgeordnete Funke. haben wir wieder ein Beispiel eines unnützen Geset- zes — , werden wir doch verstärkt darauf achten müs- Funke (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und sen, welche Kosten nicht nur dem Staat entstehen, Herren! Wir werden dem Gesetz über den Schutz der sondern auch der gewerblichen Wirtschaft. Diese Ko- Topographien von mikroelektronischen Halbleiter- sten wirken sich über die Körperschaftsteuer nachtei- erzeugnissen zustimmen. lig für den Staat aus, und wir sollten darauf achten, daß die Wirtschaft nicht unnötig mit Kosten belastet Wir sind allerdings befremdet über die Verfahrens- weise — dies hat der Herr Kollege Stiegler eben deut- wird. lich gemacht — , durch die wir hier von den Amerika- Vielen Dank. nern, aber auch von der Europäischen Gemeinschaft unter Zeitdruck gesetzt worden sind; denn wir muß- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1809

Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat Frau Abge- tions- und Investitionsleistung belohnt zu sehen. Den ordnete Nickels. Originalherstellern entstehen so Verluste in Millio- nenhöhe. - Ich denke, es ist daher nicht an den Haaren herbei- (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Da- Frau Nickels gezogen, den vorliegenden Gesetzentwurf als eine men und Herren! Daß es sich hier um eine gesetzliche Lex Halbleiter bzw. Computerindustrie zu bezeich- Regelung handelt, die industrielle Interessen, vor al- nen. Das wird auch schon deutlich in der Begründung lem Interessen der sogenannten zukunftsweisenden zum Gesetzentwurf. Do rt heißt es z. B. — ich zi- Industrien betrifft, haben wir, glaube ich, schon daran tiere —: gesehen, daß hier zwei Vertreter aus dem südlichen Raum Deutschlands gesprochen haben. Die Industrie, die Halbleitererzeugnisse entwik- Es ist auch schon gesagt worden, daß dies keine kelt und produziert, ist ein Industriezweig mit originäre Gesetzesinitiative der Bundesregierung außergewöhnlich zahlreichen und kostenträchti- war, sondern daß dieser Entwurf als Reaktion auf eine gen Innovationen; sie steht national und interna- Vorgabe der Amerikaner entstanden ist. Es ist so, daß tional in scharfem Wettbewerb. die Amerikaner am 8. November 1984 einen urheber- Es ist also ein Sondergesetz zugunsten der Industrie. rechtsähnlichen Schutz erstens gegen die unerlaubte Dies wird daran deutlich, daß der mit dem Gesetzent- Nachbildung der in Halbleiterchips enthaltenen soge- wurf beabsichtigte Schutz der Topographien von nannten Topographien und zweitens gegen die Ver- Halbleitererzeugnissen in keiner Weise auf Grund- breitung von Chips, die solche Nachbildungen enthal- sätze des Patent-, Gebrauchsmusterschutz- oder Ur- ten eingeführt hat. Die Amerikaner haben eine Über- heberrechts Rückgriff nehmen kann. So wird in vielen gangsfrist von drei Jahren ab Inkrafttreten des Geset- Fällen der für den Patent- und Gebrauchsmuster- zes vorgesehen. Für diese Zeit sollte dieser Schutz für schutz notwendige Abstand von vorbekannten Chips, Ausländer auf dem amerikanischen Markt gelten, d. h. die erforderliche Neuheit, fehlen. Auch beim Ur- wenn deren Heimatstaaten echte Anstrengungen un- heberrecht ist die Voraussetzung für den Schutz im ternehmen würden, die zum Erlaß entsprechender in Einzelfall, daß es sich um eine persönliche geistige nerstaatlicher Rechtsvorschriften führen würden. Schöpfung handelt. Da insoweit eine gewisse Gestal- Diese Frist läuft in diesem Jahr ab, und zwar am 8. No- tungshöhe, Originalität und Individualität gefordert vember 1987. werden, bleiben diejenigen Halbleitererzeugnisse, Nach einer Richtlinie des Rates der Europäischen die diese Anforderungen nicht erfüllen, vom Urheber- Gemeinschaften vom 16. Dezember 1986 über den rechtsschutz ausgeschlossen. Rechtsschutz der Topographien von Halbleiterer- Die Aufweichung und Erweiterung des Patent-, Ge- zeugnissen sind die Mitgliedstaaten daher verpflich- brauchsmusterschutz- und Urheberrechts auf im vor- tet, die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvor- genannten Sinne gar nicht schützenswerte Erzeug- schriften bis spätestens zum 7. November 1987 zu er- nisse können wir nicht unterstützen. Eine solche Er- lassen. Der vorliegende Gesetzentwurf soll der Um- weiterung einzig unter dem Gesichtspunkt der Siche- setzung dieser Richtlinien dienen. rung von Profiten für bestimmte Industriezweige so- Es soll also ein neues gewerbliches Schutzrecht ge- wie Absatzmärkte halten wir zumindest für bedenk- schaffen werden, das eine Rechtslücke zwischen Ur- lich. Nach seinem Charakter müßte der Gesetzent- heberrecht, Gebrauchsmusterschutz und Patentrecht wurf einen Platz im Subventionsbericht erhalten. schließen soll, die auf Grund der technischen und Der Gesetzentwurf steht in der Tradi tion der heuti- wirtschaftlichen Entwicklung entstanden ist. Es ist gen Bewertungskriterien für die Entscheidung zur Pa- nämlich so — ich muß hier jetzt einige technische Er- tentvergabe, und das sind ausschließlich wirtschaftli- läuterungen geben, damit man das ein bißchen ver- che Gesichtspunkte. Uns fehlen hier die Prüfung der stehen kann — , daß auf den sogenannten Mikrochips Umweltverträglichkeit und soziale Kriterien, die mit eine Unmenge von integrie rten elektronischen Schal- einbezogen werden müßten. Wir arbeiten daran, daß tungen angeordnet werden können. Mit diesen im Patentrecht entsprechende Veränderungen vorge- Schaltelementen werden die Steuerungs- und Spei- sehen werden. Wir halten aber den hier vorliegenden cherfunktionen eines Mikroprozessors, also das Ge- Gesetzentwurf nicht für einen Aufhänger für solche hirn eines Mirkocomputers, realisiert. Sehr aufwendig Überlegungen, und wir werden uns aus den genann- bei der Entwicklung solcher Chips ist es, geeignete ten Gründen bei diesem Gesetzentwurf der Stimme Anordnungen für die Schaltelemente, also die Schalt- enthalten. schemata, zu entwerfen. Von der Anordnung hängt (Beifall bei den GRÜNEN) aber vor allem auch ab, wie viele Schaltelemente auf wie engem Raum untergebracht werden können und damit auch — das ist, glaube ich, entscheidend — , wie hoch die Leistungsfähigkeit der Chips ist. Vizepräsident Stücklen: Ich erteile dem Herrn Bun- desminister der Justiz das Wort. Wenn man solch eine Anordnung, solch eine Topo- graphie, erst einmal entworfen hat, so ist die Nachbil- dung, also die Kopie, sehr einfach zu machen. Wer diese Kopien dann vermarktet, der kann sie auch Engelhard, Bundesminister der Justiz: wesentlich billiger vertreiben als die mit Entwick- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr lungskosten belasteten Originalchips. Dadurch wer- Kollege Stiegler hat richtig vermutet: Ich stelle an den den die Absatzmöglichkeiten der Originalhersteller Anfang meiner sehr kurzen Ausführungen die Aus- beschränkt und ihre Chancen gemindert, ihre Innova- sage, daß die konsequente Bekämpfung der Produkt- 1810 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Bundesminister Engelhard piraterie für die Bundesregierung eine vorrangige Ich rufe Tagungsordnungspunkt 18 auf: Aufgabe ist. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrach- (Zustimmung des Abg. Kleinert [Hannover] ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des [FDP]) Haftpflichtgesetzes Ich erinnere daran, daß die Bundesregierung bereits — Drucksache 11/432 in der letzten Legislaturpe riode bei der Novellierung —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: des Urheberrechts, beim Gebrauchsmusterrecht und Rechtsausschuß (federführend) beim Geschmacksmusterrecht erste wirkungsvo lle Sportausschuß Maßnahmen zur Eindämmung der Produktpiraterie Ausschuß für Wirtschaft veranlaßt hat. Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede (Stiegler [SPD]: Mit kräftiger Unterstützung Fraktion vereinbart worden. — Ich höre keinen Wider- der Opposition!) spruch. Es ist so beschlossen. Mit dem Halbleiterschutzgesetz werden wir nun der Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Produktpiraterie auf dem speziellen Gebiet der mikro- Abgeordnete Sauter (Ichenhausen). elektronischen Hochtechnologie einen Riegel vor- schieben. Aber — hier komme ich auf Ihre Ausführun- gen zurück, Herr Kollege Stiegler — ein umfassender Entwurf zur Bekämpfung der Produktpiraterie steht Sauter (Ichenhausen) (CDU/CSU): Herr Präsident! noch aus und ist dringend veranlaßt. Ich sage an die- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Spätsom- ser Stelle, daß bis Ende des Jahres ein Referentenent- merliche Temperaturen in unseren Breitengraden er- wurf vorliegen wird. schweren es, sich in dieser Debatte im wahrsten Sinne Meine Damen und Herren, der vorliegende Gesetz- des Wortes mit Schnee und Eis zu befassen. Wir soll- entwurf setzt die EG-Richtlinie vom 16. Dezember ten trotzdem, wie ich meine, in unseren gemeinsamen 1986 um. Hiernach müssen die erforderlichen Rechts- Bemühungen um eine Verbesserung des Schutzes der vorschriften bis spätestens zum 7. November 1987 in Verbraucher die berechtigten Interessen der Skiläufer Kraft treten. Daher standen die Ausarbeitung des Ge- nicht außer acht lassen. Es gibt in diesem Bereich eine setzentwurfes und die Beratung in den Ausschüssen Gesetzeslücke, an deren Beseitigung uns allen gele- unter einem enormen Zeitdruck; ich sehe dies wohl. gen sein sollte und von der ich nicht glaube, daß sie Ich freue mich deshalb ganz besonders darüber, daß damit abgetan werden kann, daß gerade hier, wenn der Gesetzentwurf in den Ausschüssen des Deutschen ich an die letzte Debatte, die wir in diesem Parlament ) Bundestages nachhaltige Unterstützung gefunden hat hierzu geführt haben, denke, vor der Gesetzesflut ge- und daß es uns gemeinsam gelungen ist, den vorge- warnt wird, die jetzt angeblich wieder über uns her- sehenen Zeitplan einzuhalten. Ich danke den Mitglie- einbrechen könnte. dem der Ausschüsse, insbesondere ihren Vorsitzen- Jährlich werden in der Bundesrepublik Deutsch- den und den Berichterstattern des Rechtsausschusses, land allein durch Schlepplifte 84 Millionen Personen den Herren Sauter und Stiegler, für die tatkräftige befördert. Das sind mehr als dreimal so viel wie durch Unterstützung. alle anderen Bergbahnen. Schlepplifte sind — skifah- rende Kolleginnen und Kollegen unter uns können (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der dies möglicherweise leidgeprüft bestätigen — keines- SPD) falls ungefährlicher als Schwebèbahnen. Im Gegen- teil, nach Angaben des Deutschen Skiverbandes er- eignen sich ca. 90 % aller im Zusammenhang mit Auf- stiegshilfen bekannten Unfälle an Schleppliften. Hier- Vizepräsident Stücklen: Meine Damen und Herren, von wiederum sind 42 % auf technisches Versagen ich schließe die Aussprache. zurückzuführen. Die jährlich etwa 3 000 Unfä lle, bei denen Schleppliftbenutzer schwere Verletzungen er- Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung leiden, werden in erster Linie durch die von der An- in zweiter Lesung. Ich rufe die §§ 1 bis 28, Einleitung lage selbst ausgehenden Gefahren verursacht. Die und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer die- Hauptgefahrenquelle liegt im technischen Bereich. sen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich Zu nennen sind hier insbesondere gerissene Zugseile, um ein Handzeichen. — Danke. Gegenprobe! — defekte Schleppbügel, losschnellende Bügelseile und Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Bei Stimm- anderes. enthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN ist das Gesetz in zweiter Beratung angenommen. Die derzeitige Rechtslage ist mehr als unbefriedi- gend. Verletzte Skiläufer sind gezwungen, den Nach- Wir treten in die weis zu erbringen, daß ein Verschulden des Betriebs- dritte Beratung unternehmers für den Schadensfall ursächlich gewe- sen ist. Im Gegensatz hierzu gilt bei Beförderung mit ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Sesselliften die sogenannte Gefährdungshaftung. Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, Rechtsdogmatisch wie rechtssystematisch ist es aus den bitte ich, sich zu erheben. — Danke. Gegenprobe! meiner Sicht nicht zu rechtfertigen, daß für die Beför- — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Bei derung von Skiläufern mit Schleppliften eine andere Stimmenthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN ist der Schadensersatzregelung gelten soll als für die Beför- Gesetzentwurf mit großer Mehrheit angenommen. derung mit Sesselliften. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1811

Sauter (Ichenhausen) Gelegentlich wird behauptet, daß sowieso alle Mit diesem neu eingebrachten Antrag soll versucht Schäden, die bei dem Betrieb von Schleppliften und werden, die bisherige Verschuldenshaftung auf eine damit einhergehenden Verletzungen entstehen, generelle Gefährdungshaftung umzustellen. Das be- durch die Versicherungen abgedeckt würden. Das deutet, daß Schäden, die bisher nicht entgolten wer- stimmt nicht. Hat der verletzte Skifahrer beispiels- den konnten, in Zukunft besser gehandhabt werden weise keine Unfallversicherung abgeschlossen, so er- können. leidet er vielfach erhebliche finanzielle Nachteile. Die Krankenkassen übernehmen lediglich die Kosten für Nur muß man folgendes bemerken: Eine Änderung die Heilung. Schmerzensgeld wird nicht gezahlt; bei des Haftungsrechts bedeutet nicht, daß auch die Zahl Invalidität oder geringfügigeren Dauerschäden kön- der Unfälle zurückgehen wird. Wir müssen festhalten, nen Ersatzansprüche nicht durchgesetzt werden. Das daß die zu hohe Zahl. von Unfällen auf den Skipisten ist für den Geschädigten schlechthin unzumutbar. und beim Transport auf den Berg — der Deutsche Ski- verband spricht von 3 000 pro Jahr, das Justizministe- Der vorliegende Gesetzentwurf des Bundesrates, rium spricht von 120; das ist eine deutliche Diffe- der auf Grund einer bayerischen Initiative entstanden renz — nur gesenkt werden kann, wenn sich die Ski- ist, zieht die richtigen Konsequenzen aus der derzeiti- fahrer besser verhalten und nicht glauben, daß die gen Situation. Er sieht vor, Schlepplifte in die nach Änderung des Haftungsrechts sie vor Schäden be- dem Haftpflichtgesetz vorgesehene verschuldens- wahren kann. Es werden lediglich Kosten verlagert, unabhängige Gefährdungshaftung einzubeziehen nichts anderes. und sie damit den Schwebebahnen weitgehend gleichzustellen. Der Entwurf berücksichtigt aber Meine Damen und Herren, es kann eigentlich nie- auch, daß bei einem Schlepplift eine weitgehende mand etwas dagegen haben, wenn der Versiche- Mitwirkung des Fahrgastes erforderlich ist und daß rungsschutz für Sportler, für Freizeitsportler, für Erho- der Betrieb an eine Schleppspur gebunden ist, die im lungssuchende in der Winterzeit verbéssert wird. Wir besonderen Maße äußeren Einflüssen unterliegt. Der sind auch dann dafür, wenn dies mit höheren Kosten Entwurf enthält somit eine Lösung, die die Interessen verbunden ist. der Liftunternehmer und der Skifahrer in ausgewoge- Es vermag auch niemand so recht einzusehen, daß ner Weise berücksichtigt. Sämtliche Interessenver- die Schwebebahnen bisher schon in die Gefährdungs- bände haben dieser Lösung im Prinzip zugestimmt. haftung einbezogen sind, dies hingegen für Schlepp- Meine sehr verehrten Damen und Herren, lieber lifte nicht gilt. Mein Vorredner hat dies hier deutlich Herr Kollege Kleinert , der Sie dieses Thema mehr dargestellt. oder weniger zum Lieblingsthema im Parlament ge- macht haben und es immer wieder verstehen, durch Aber es gibt Vorbehalte in der Sache. Es ist keines- durchaus humorvolle Reden hier zu glänzen, die lei- wegs so klar, Herr Kollege Sauter, wie von Ihnen dar- der bisher einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet gestellt wurde, daß die geplante Rechtsregelung die haben, daß das Gesetz nicht mit der, wie ich meine, Unsicherheit beseitigt. Ich finde sogar, daß die vorge- erforderlichen Geschwindigkeit verabschiedet wer- sehenen Gesetzesänderungen nach wie vor diffus und den konnte — ich allerdings meine, daß wir es nicht widersprüchlich sind. wiederum eine weitere Legislaturpe riode verschieben (Sauter [Ichenhausen] [CDU/CSU]: Dann sollten, wie es beim letzten Mal der Fall gewesen müssen Sie was Besseres vorschlagen!) ist —, geben auch Sie sich einen Ruck! Stimmen Sie im Interesse unserer Mitbürger für den Gesetzentwurf — Das werden wir in den Ausschußberatungen tun. des Bundesrats. Ich wünsche Ihnen, lieber Herr Kol- Wenn beispielsweise erkennbar wird, daß die lege Kleinert, Hals- und Beinbruch bei diesem Vorha- Schleppspur nicht Teil der Anlage ist, in bestimmten ben. Situationen dennoch Teil der Anlage wird, d. h. die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Fahrrinne, in welcher der Skifahrer nach oben kommt, dann weiß man nicht, wie das im konkreten Fa ll aus- zudeuten ist. Ich kann nur darauf hinweisen, daß es in Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Ab- bestimmten Fällen sehr schwer sein wird, eine Be- geordnete Klein (Dieburg). weissicherung darüber herbeizuführen, ob die Schleppspur Teil der Anlage war oder nicht. Klein (Dieburg) (SPD): Herr Präsident! Meine Da- In Ihrem Gesetzentwurf heißt es, daß dies in gewis- men und Herren! Liebe Sportfreunde! Uns begegnet sen Situationen kein Schienenstrang ist, sondern daß mit diesem Gesetzentwurf ein alter Bekannter aus frü- sich der Skiliftbetreiber von der Haftung entlasten herer Zeit. Wir wissen, daß der Freistaat Bayern im kann. 9. und 10. Bundestag dieses Thema der Änderung des Haftungsrechts bei Schleppliftunfällen aufgegriffen Auch die Frage der Eigenverantwortung des Be- hat. Wir haben es hier anberaten. Es ging an die Aus- nutzers, die bereits angesprochen wurde, ist unklar schüsse. Es ist nichts daraus geworden. gehalten. Was ist eigentlich „Eigenverantwortung"? Ich weiß, daß es bei Prozessen sehr schwer sein wird, Wir unternehmen heute einen neuen Anlauf. Ich dies alles abzugrenzen. habe von einigen sachkundigen Kollegen in diesen Tagen gehört, daß eine Reise in der ersten Klasse der Ich finde, daß die Nachbarländer des deutschen Al- chinesischen Staatsbahn vermutlich komfortabler sei penraums dies sehr viel deutlicher als wir gesehen als das Hochliften auf einen Skiberg im Allgäu. Aber, haben. Sie haben bessere Lösungen gefunden als die- meine Damen und Herren, das ist nicht das Thema jenigen, die heute hier propagiert werden. Ich bin der dieser Stunde. Auffassung, daß wir uns in den Ausschußberatungen 1812 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Klein (Dieburg) an Lösungen anlehnen sollten, die anderswo prakti- Dabei ist es mir — um das am Anfang einmal zu ziert werden. sagen — noch nie darum gegangen, ob nun die Ich will nicht verhehlen, daß das ganze Unbehagen Schlepplifte den sonstigen Seilbahnen, die- bereits un- an der neuen gesetzlichen Regelung sehr deutlich in ter eine Haftpflichtversicherungsregelung fallen, einem Redebeitrag des Kollegen Detlef Kleinert zum gleichgestellt werden oder nicht. Tatsächlich würde Ausdruck kam, der vorhin schon angesprochen durch diese gesetzgeberische Großtat so herum oder wurde. Kollege Kleine rt hat im Rechtsausschuß ge- so herum kein Schaden entstehen. Vielmehr waren sagt: Will eigentlich der Gesetzgeber den Bürger vor wir, als wir das vor einer Reihe von Jahren zum ersten- allem Gemach schützen, auch vor solchem, in das er mal aufgegriffen haben, der Meinung: Es ist ein typi- sich selbst verwickelt hat? sches, weil geeignetes Beispiel dafür, daß wir uns anderer Leute Kopf zerbrechen, auch wenn damit le- Mit dem Besteigen eines Schleppliftes werden vom diglich unnütze Kosten in die Welt kommen. Außer- Benutzer oftmals auch gleichzeitig die Ursachen für dem bekommt der Bürger schließlich ein immer fal- die künftigen Gefahren geschaffen. Kleinert sagte scheres Bild von der Welt, in der er sich bewegt; das weiter: Will der Gesetzgeber eigentlich einen gefähr- Bild nämlich, das Herr Klein liebenswürdigerweise lichen Sport dem Benutzer sicherer erscheinen lassen gerade eben noch einmal aus einer früheren Rede von als das, was er eben durch sein eigenes Tun selbst mir gebracht hat: Das wäre a lles ganz ungefährlich, herbeiführt? Will er eigentlich andere für das zahlen und wenn ihm doch irgendwann einmal etwa zustößt, lassen, was er selbst verschuldet hat? Orginialton Klei- dann wird schon jemand da sein, der dafür eintritt. nert weiter: Wer Wintersport betreibt, hat ein zusätz- liches Vergnügen. Wer sich dabei ein Bein bricht, hat Der eine, der dafür eintritt, ist im Zweifel immer er dafür einen zusätzlichen Schmerz. Das hebt sich ge- selbst. Auf vielfältigen Umwegen und nur mit einer genseitig auf. Reihe von Verwaltungs- und Umschichtungskosten Ich glaube, damit sind die Probleme ein bißchen zusätzlich belastet zahlt er zum Schluß in diesem Sy- beschrieben. Ich bin gespannt, wie sich die FDP, die ja stem selbst. Das sollte man mindestens im Bereich der im 9. und 10. Bundestag — einmal in der soziallibera- Freizeit so plastisch erkennen, daß man es unterläßt, len Koalition, dann in der neuen Koalition — durch ihr die bisher von Krankenversicherern gezahlten Kosten Verhalten verhindert hat, daß das, was begeh rt wird, auf Haftpflichtversicherer zu übertragen. Weiter ge- Gesetz wird, heute verhält. Bleibt sie bei ihrer alten schieht hier im wesentlichen nichts. Linie, Herr Kollege Kleinert? Dann sind Sie der Schelte des „Bayernkuriers", des Wadenbeißers dort, Liebenswürdigerweise haben Sie, Herr Sauter, den sicher. interessanten Gesichtspunkt des Schmerzensgeldes hinzugefügt. Das kann doch gar nicht wahr sein. Es Wir Sozialdemokraten sind dafür, daß wir mehr interessiert viel weniger das Verhältnis der Unfälle an Rechtssicherheit schaffen. Schleppliften und an Seilbahnen — man nimmt ja auch an, daß Seilbahnen nicht so häufig herunterfal- Vizepräsident Stücklen: Wissen Sie, was das rote len, wie jemand am Schlepplift aus eigener Dusselig- Lämpchen bedeutet? keit aus der Spur gerät; das wäre ja noch schlim- mer —, sondern es interessiert das Verhältnis von Un- Klein (Dieburg) (SPD): Ja. Ich sehe es unentwegt, fällen am Hang — der mit Hilfe der sogenannten Herr Präsident. Steighilfe aufgesucht wird — und am Lift. Dieses Ver- hältnis ist allerdings so grotesk, daß am Lift praktisch Wir Sozialdemokraten sind dafür, daß wir mehr nichts mehr übrigbleibt. Rechtssicherheit bei Unfällen schaffen, die auf der Skipiste entstehen können. Wir haben Zahlen vom Was machen wir nun mit den armen Leuten, die sich Deutschen Skiverband, wir haben Stellungnahmen gesundheitlich stählen, um ihre Arbeitskraft dem des Verbandes der Skiliftbetreiber. Ich glaube, daß Volke zur Verfügung stellen zu können — ab Montag die Gegenpositionen, die dort bezogen worden sind, wieder, wenn der Sonntagabend nicht zu lange ge- von uns in der Ausschußberatung sehr ernsthaft be- dauert hat? Wir müssen doch schleunigst dafür sor- dacht werden sollten, daß wir auch die beiden Ver- gen, daß auch denen Schmerzensgeld gezahlt wird, bände und vielleicht auch andere Verbände anhören und wenn sie im Zweifel wegen eines gewissen Fehl- und zu Lösungen kommen sollten, die der Sache ge- verhaltens — das sagen jedenfalls die Skilehrer — am mäß sind. Hang stürzen. Das ist doch die logische Konsequenz. (Beifall bei der SPD) Nur auf diese Eigentümlichkeit in dem Zusammen- hang zwischen den unzähligen Unfällen am Hang und den wenigen am Lift — beides frei gewählte Beförde- Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Ab- geordnete Kleinert (Hannover). rungsmittel — wollte ich hinweisen, als ich gesagt habe: Das muß nun nicht auch noch geregelt sein.

Kleinert (Hannover) (FDP): Herr Präsident! Meine In all den Jahren ist niemand in der Lage gewesen, sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Redner eine anständige Zahl zu beschaffen, niemand ist in der sind alle schon hochgradig mit dem Gegenstand be- Lage gewesen, die Verhältnisse richtig offenzulegen, faßt gewesen und sind jetzt auch Experten. Das wird um uns zu beweisen, warum es so sein muß. Obwohl man hier im Hause ja durch andere Taten noch viel dieser Gegenstand wegen einer gewissen, ihm Gott schneller: einfach, indem man zu irgend etwas sei Dank innewohnenden Heiterkeit in der Presse spricht. Aber wir sind jetzt schon mehrfach geprüfte nicht unwesentlich besprochen worden ist — jeden Experten in dieser Frage. falls weit über Gebühr — , habe ich noch nie ein Pro- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1813

Kleinert (Hannover) testschreiben eines Verletzten bekommen. Es finden Häfner (GRÜNE): Eingangs darf ich eine Einladung sich überhaupt keine Verletzten. aussprechen: Ich bin auf dem Weg zum Podium ge- (Frau Abg. Weyel [SPD] meldet sich zu einer fragt worden, ob ich Skifahrer bin. Ich komme aus Zwischenfrage) dem Allgäu, aus den Bergen. Ich lade Sie sehr herzlich ein, gemeinsam ein bißchen Ski zu fahren, wobei ich dann auch vorschlage, daß wir mit Fellen aufsteigen. Vizepräsident Stücklen: Herr Abgeordneter Klei- Das halte ich für umweltschonender als mit Schlepp- nert, gestatten Sie eine Zwischenfrage? liften. Vielleicht ist es sinnvoll, an dieser Stelle noch ein- Kleinert (Hannover) (FDP): Entschuldigen Sie bitte, mal zu erklären, worum es bei diesem Gesetzentwurf gnädige Frau, das dürfte dann allerdings nicht ange- rechnet werden. Bitte schön. zur Gefährdungshaftung bei Schleppliften geht. Was ist ein Schlepplift? Frau Weyel (SPD): Herr Kollege Kleinert, halten Sie (Heiterkeit) es für denkbar, daß sich die Zahl der Unfälle bei der Ich sage das auch mit Blick auf einige Abgeordnete Abfahrt verringern ließe, wenn man die Leute wie fro- unserer Fraktion — ich möchte niemanden ärgern — : her zu Fuß hinaufsteigen ließe, was zusätzlich den Ein Schlepplift Effekt hätte, daß im Alpenraum die Natur etwas ge- schont würde? (Klein [Dieburg] [SPD]: Als solcher!) ist dasjenige, was Bundestagsabgeordnete und Politi- Kleinert (Hannover) (FDP): Ich bin völlig ihrer An- ker überhaupt eigentlich ständig suchen, nämlich sicht, glaube aber, daß Sie mit diesem Vorschlag noch eine Aufstiegshilfe, viel weniger Chancen haben durchzudringen als ich (Heiterkeit) mit meiner harmlosen Idee, den Leuten am Schlepplift das eigene Risiko genauso zu belassen wie denen am wobei der Aufstieg, ähnlich wie die Arbeit hier im Hang. Parlament und ganz besonders die Gesetzgebung, schleppend vor sich geht. Das also ist das Thema, zu Zahlen haben wir also nicht. Das einzige, was mir dem hier zu sprechen ist. Ich will es aber durchaus vorliegt, ist allerdings die Stellungnahme eines Ver- ernst behandeln. bandes von Schleppliftbetreibern, der sagt, wir sollten uns hier um andere Dinge kümmern — diese Stel- Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll die Ge- lungnahme liegt sämtlichen Mitgliedern des Rechts- fährdungshaftung auf die Schlepplifte ausgeweitet ausschusses seit Jahren vor — und sollten uns nicht werden, da — so die Begründung — „eine bloße Ver- ausgerechnet um dieses weiterhin kümmern und zu- schuldenshaftung bei Unfällen durch Schlepplifte an- sätzliche Bürokratie in die Welt setzen. Dabei handelt gesichts der bei diesen Anlagen bestehenden Be- es sich normalerweise um Bauern, die im Winter einen triebsgefahren sowie der zunehmenden Verbreitung Nebenverdienst mit mehr oder weniger schlichten von Skischleppliften für den Schutz der Benutzer nicht Schleppliften erzielen. Denen müssen wir nicht noch ausreichen". Diesem Argument ist zuzustimmen. zusätzlich das bißchen Nebenverdienst vermiesen. Vielleicht ist es sinnvoll, für diejenigen, die sich mit Das ist das einzige Sachliche, was mir dazu je vor entsprechenden Themen nicht ständig beschäftigen Augen gekommen ist. bzw. beschäftigen müssen, wenigstens kurz auf den (Dr. de With [SPD]: Die CDU ist gegen die Unterschied zwischen einer Verschuldenshaftung Bauern!) und einer Gefährdungshaftung hinzuweisen. Der Un- terschied ist, daß im Fall der Gefährdungshaftung der Das Verfahrensmäßige, das ein Vorgriff auf die De- geschädigte Bürger nicht seinerseits ein Verschulden batte von morgen früh ist, ist folgendes: Der zustän- des Betreibers der Anlage nachweisen muß, sondern dige Mann im Bayerischen Staatsministerium der Ju- daß umgekehrt davon ausgegangen werden kann, stiz, den es so grämt, daß diese Gesetzeslücke weiter- daß mit entsprechenden Anlagen Gefährdungen und hin offen klafft, hat ausnahmsweise einmal das Pech, Risiken verbunden sind, für die der Betreiber haftet daß sich jemand mit niedersächsischer Beharrlichkeit und gegen die er versichert sein muß. immer am gleichen Platz, im gleichen Ausschuß auf- hält und auch in der nächsten und übernächsten Le- In diesem Punkt stimmen wir dem Gesetzentwurf in gislaturperiode versucht, den Kollegen das Ding noch seiner Intention also voll zu. Ob allerdings alle Aus- einmal klarzumachen, während normalerweise die nahmeregelungen, die in dem Entwurf vorgesehen Ministerialbürokratie bereits beim zweiten Anlauf auf sind, sinnvoll sind, müßte in der Ausschußberatung so viele neue Gesichter trifft, daß sie hoffen kann, mal noch einmal diskutiert werden. mit alten Argumenten neu durchzukommen. Der Gesetzentwurf ist im Grundsatz zu begrüßen, Das wollen wir aber auch diesmal verhindern und weil er eine deutliche Verbesserung der rechtlichen auf neuer Basis mit ganz neuen, von Ihnen, Herr Sau- Situation des Geschädigten bietet. Wir sind allerdings ter, sicherlich beizubringenden Tatsachen offen dis- der Meinung, daß derjenige Teil der Begründung kutieren. — und das ist ja der zentrale Teil — , der darauf ab- Herzlichen Dank. zielt, daß damit der Tourismus insbesondere in den Bayerischen Alpen gefördert werde, einfach deshalb, (Beifall bei allen Fraktionen) weil sich die Bürger dann in bayerischen Liften siche- rer fühlten und deshalb in größerer Zahl in Bayern Lift Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Ab- führen, grundsätzlich überdacht werden müßte; denn geordnete Häfner. die Ereignisse in Italien, im Veltlin, in der Schweiz, in 1814 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Häfner Österreich, im Allgäu — Riedbergpaß, Rubihorn usw. Begründung abgelehnt wird, die Schäden seien ohne- — haben gezeigt, daß mit der Übererschließung der hin irreparabel und deshalb nicht zu versichern, muß Alpen durch ständig neue Lifttrassen usw. auch ganz auf eine derart unverantwortliche Produktion- ganz ungeheure Gefahren für die Bürger verbunden sind verzichtet werden. und daß das Phänomen des Massentourismus in den Ich beantrage die Überweisung an den Ausschuß. Alpen grundsätzlich neu überdacht werden muß. Damit bin ich am Ende der Redezeit und danke für (Beifall bei den GRÜNEN) die Aufmerksamkeit. Vor allem aber wünschen wir uns, daß die Bundes- (Beifall bei den GRÜNEN) regierung diesen Ansatz der Gefährdungshaftung, der ihr bei Schleppliften mit dem Argument der För- ll derung des Tourismus so leicht fällt, auch in a den Vizepräsident Stücklen: Meine Damen und Herren, anderen Bereichen, in denen das viel zwingender ge- ich schließe die Aussprache. boten wäre, schleunigst durchsetzte. Ich nenne zum Beispiel den gesamten Bereich der Chemieproduktion Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf zur und der Gefahren, die von Chemiebetrieben ausge- Änderung des Haftpflichtgesetzes an die in der ge- hen. druckten Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu weitere Vorschläge? — Das (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD) ist nicht der Fall. Es ist die Überweisung somit be- Ich nenne die Situa tion von Holzschutzmittelgeschä- schlossen. digten, (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD) Ich rufe den Punkt 19 der Tagesordnung auf: die unter erheblichen gesundheitlichen Beeinträchti- gungen leiden müssen und in Ermangelung einer ent- Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜ- sprechenden Gefährdungshaftung in der Regel NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Schwierigkeiten haben, ihre Ansprüche einzuklagen, zur verfassungsrechtlichen Verankerung des was sage ich: abgewiesen werden. Umweltschutzes als Grundrecht und als Staatsziel Vizepräsident Stücklen: Herr Abgeordneter, gestat- — Drucksache 11/663 — ten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Klei- Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: nert (Hannover)? Rechtsausschuß (federführend) Innenausschuß Ausschuß für Wirtschaft Häfner (GRÜNE): Gerne. Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Vizepräsident Stücklen: Bitte sehr. Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Kleinert (Hannover) (FDP) : Herr Kollege, sind Sie Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß nicht nur hin- Fraktion vereinbart worden. Ist das Haus damit ein- sichtlich der Thematik, sondern auch hinsichtlich des verstanden? — Ich sehe und höre keine Widerspruch. Adressaten hier ein Irrtum insofern vorliegt, als nicht Es ist so beschlossen. die Bundesregierung, sondern der Bundesrat diesen Ich eröffne die Aussprache. Das Wo rt hat der Herr Gesetzentwurf eingebracht hat? Abgeordnete Häfner. Häfner (GRÜNE): Ich bin bereit, das zur Kenntnis zu (Klein [Dieburg] [SPD]: Der hat ein Abonne nehmen, fordere aber nichtsdestotrotz bzw. gerade ment!) deshalb die Bundesregierung dazu auf — denn die ist, Herr Kollege Kleinert, für das, was ich eben gesagt (GRÜNE): Ich werde das aufnehmen und habe, selbstverständlich der zuständige Adressat —, Häfner in den von mir genannten Bereichen endlich gesetz- mir hier eine Couch sichern, damit ich immer recht- geberisch tätig zu werden. zeitig da bin. Man hat hier eine Stellungnahme des Bundesver- (Klein [Dieburg] [SPD]: Das Parlament ist bandes der Deutschen Industrie angefordert und vor- kein Schlafsaal!) liegen, in der dieser erklärt, daß eine entsprechende Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen an Gefährdungshaftung in umweltrelevanten Bereichen diesem späten Nachmittag! Ich bitte, sich einem nicht empfehlenswert sei, und die das damit begrün- durchaus ernsten Ereignis und Thema zuzuwenden. det, daß die Schäden an Luft, Boden und Wasser ohne- Die Umweltsituation in der Bundesrepublik Deutsch- hin nicht versichert werden könnten, da sie in der land verschlechtert sich von Tag zu Tag. Das Wald- Regel irreparabel seien. Das muß man sich mal auf der und das Bergwaldsterben schreiten weiter voran. Im- Zunge zergehen lassen, ganz abgesehen davon, daß mer mehr Tier- und Pflanzenarten sterben aus oder wir beispielsweise bei der Lebensversicherung durch- sind vom Aussterben bedroht. Täglich werden riesige aus für irreparable Schäden — der Tod ist doch in der Areale des Bodens in der Bundesrepublik weiter ver- Tat ein jedenfalls auf dem physischen Plan nicht re- siegelt und zubetoniert. Flüsse wie der Rhein schlep- versibles Ereignis — Versicherungen vorsehen. Wir pen unvorstellbare Giftmengen mit sich. Atomkraft- fordern also dringlich dazu auf, in diesem Bereich, wo werke, Atommülldeponien usw. bedrohen unser aller es um viel, viel größere Gefahrenpotentiale geht, ent- Leben und Zukunft. Gesundbeten hilft hier nicht wei- sprechende Regelungen vorzusehen. Wo das mit der ter. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1815

Häfner In der Verantwortung vor den Menschen und vor ches Menschenrecht noch dazu. Es ist ebenso wichtig der belebten und unbelebten Natur ist die Politik der und ebenso unveräußerlich wie das Recht auf Leben, Phrase, der Beschönigungen und der Scheinlösungen, das im Art. 2 des Grundgesetzes geschützt wird. Die- - wie sie diese Bundesregierung charakterisiert, unan- ses Recht muß heute durch ein Recht auf die Erhaltung gebracht, verantwortungs- und gewissenlos. In einem der natürlichen Lebensgrundlagen und den Schutz koalitionsinternen Kuhhandel scheinen Sie sich auf vor erheblichen Beeinträchtigungen unserer natürli- die Verankerung eines vollständig zahn- und wir- chen Umwelt ergänzt werden. Denn diese Umwelt ist kungslosen Staatsziels Umweltschutz verständigt zu nichts anderes als der erweiterte Leib des Menschen. haben. Das entspricht Ihrer Politik. Denn Sie wissen Die Luft, die ich atme, das Wasser, das ich t rinke, aus genau, daß das Staatsziel in der von Ihnen vorgeschla- all diesem bildet und erhält sich mein Leib. Sind Luft, genen Form nichts als eine umweltpolitische Seif en- Wasser und Nahrungsmittel vergiftet, kann man ge- blase wäre, trost aufhören, noch von einem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu sprechen. (Beckmann [FDP]: Sind Sie Ju rist?) Dies ist uns in den letzten Jahren und Jahrzehnten nach außen glänzend, schön anzusehen. immer stärker bewußt geworden. Wir stehen heute (Bachmaier [SPD]: Darum haben Sie es jetzt vor der großen und historischen Verantwortung, dies, auch mit aufgenommen! — Zuruf des Abg. nachdem es zur Zeit der Verabschiedung des Grund- Baum [FDP]) gesetzes noch nicht im allgemeinen Bewußtsein lag, heute an zentraler Stelle ins Grundgesetz einzuglie- — Ich habe mich weiß Gott mit der Materie befaßt, dern. Ich bin sicher: Hätte Umweltschutz schon da- Herr Kollege Baum. Wir hatten schon einmal das Ver- mals dieselbe dramatische Bedeutung gehabt wie gnügen, zu diskutieren. Ich fordere Sie auf, auch die- heute, die Eltern des Grundgesetzes hätten dies längst sen Punkt zu diskutieren und nicht durch niveaulose getan. Zwischenrufe zu stören. Auch wenn es Sie ärgert: Die GRÜNEN sind so ein (Baum [FDP]: Weil Sie die Wirkung eines bißchen das schlechte Gewissen der anderen Par- Staatsziels völlig falsch einschätzen!) teien. Wir beantragen also heute mit unserem Vor- —Bitte lassen Sie mich fortfahren. Fünf Minuten sind schlag nichts anderes als das, was die Bundesregie- nicht lange. rung schon 1971 gefordert hat, was sie 1973 in der Regierungserklärung angekündigt hat, was auch der Es ist eine Seifenblase: nach außen glänzend, schön Sachverständigenrat für Umweltfragen wollte und anzusehen, aber eben eine Seifenblase, die zerplatzt, was seitdem immer wieder sonn- und feiertags wie- sobald irgend jemand versucht, sie konkret anzufas- derholt wird. Kläglich allerdings ist, was dabei bisher sen. Sie ersetzen Politik durch das Wort zum Sonntag. herausgekommen ist. Das Umweltgrundrecht, das wir Werktags wird gehandelt wie immer, aber sonntags beantragen, ist unerläßlich und heute dringender und in der Verfassung, da findet man hohe Worte. Das denn je. Ich bitte Sie, diesem zum gegebenen Zeit- hat unser Grundgesetz nicht verdient. punkt zuzustimmen. Wollen Sie wirklich etwas für die Umwelt und die (Beifall bei den GRÜNEN) Menschen tun, wollen Sie ernsthaft den Umwelt- schutz wirkungsvoll in der Verfassung verankern und nicht bloß leere Versprechen abgeben, so folgen Sie Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Ab- unserem Antrag. Das wird Ihnen um so leichter fallen, geordnete Eylmann. als er auch Ihr Staatsziel enthält, allerdings mit der genau entgegengesetzten Zielrichtung. Während Eylmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Da- nämlich Sie den Schutz der Umwelt in der Praxis men und Herren! Als Anfang April dieses Jahres der grundsätzlich gegen wirtschaftliche, politische und SPD-Antrag zum Umweltschutz hier im Parlament militärische Interessen aufwiegen und dann in a ller diskutiert wurde, sagte die Kollegin Garbe von den Regel als zu leicht befinden wollen, wollen wir eine GRÜNEN, ein Staatsziel reiche den GRÜNEN nicht, Abwägungsdirektive, die „im Konflikt zwischen öko- sie wollten vielmehr eine großes verfassungstragen- logischen Belangen und ökonomischen Interessen des Grundrecht, wie z. B. das Sozialstaatsprinzip ei- den ökologischen Belangen den Vorrang einräumt, nes sei. Nun ist, wie wir wissen, das Sozialstaatsprin- wenn andernfalls eine erhebliche Beeinträchtigung zip gerade kein Grundrecht, sondern eines der weni- der natürlichen Lebensgrundlagen droht". gen Staatsziele, die in unserer Verfassung stehen. In- Noch wichtiger ist das Umweltgrundrecht. Sie wis- zwischen haben die GRÜNEN das offenbar bemerkt. sen, daß heute den Bürgern auch bei katastrophalen Aber das ist natürlich auch keine Frage für Sie, ein Schädigungen der Umwelt meistens die Hände ge- Grundrecht muß her. Man weiß zwar nicht recht, wel- bunden sind. Klagen kann nur, wer einen ganz per- che Folgen das hat, aber flugs ist man bei der H and, an sönlichen materiellen Schaden nachweisen kann. Das diesem härtesten und we rtvollsten Kern unserer Ver- ist beispielsweise bei Atomkraftwerken, bei Luft- und fassung herumzufingern. Gewässerverschmutzung usw. schon dann nicht der Da soll nun also in Art. 2 jedem nicht nur das Recht Fall, wenn sich die Klagen gegen Umweltschäden auf Leben und körperliche Unversehrtheit, sondern richten, die alle Menschen in annähernd gleicher auch das Recht auf Erhaltung seiner natürlichen Le- Weise treffen. Nur ein Umweltgrundrecht kann den bensgrundlagen garantiert werden. Das ist im Grunde Bürgern in eindeutigen Fällen massiver Umweltzerstö- ein geradezu abenteuerliches Unterfangen, wenn rung ein einklagbares Menschenrecht gewähren. Und man die Folgen bedenkt. Die Verwirklichung dieses es i s t ein Menschenrecht, ein absolut unveräußerli Vorschlages würde nämlich bedeuten, daß damit je- 1816 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Eylmann der Bürger ein subjektives Recht gegen den Staat hat sung fein austarierte Gleichgewicht zwischen Indivi- und im Zuge der Drittwirkung der Grundrechte auch dualrechten und Rechten der Gesellschaft käme aus gegen den privaten Bürger hätte, bestimmte schädi- dem Gleichgewicht. Jedes Mehr an sozialen Grund- gende Eingriffe in die Umwelt zu unterlassen oder rechten bedeutet notwendigerweise auch- ein Mehr bestimmte umweltschützende oder -erhaltende Maß- an Verstaatlichung von Bürgerfreiheiten. nahmen zu ergreifen. Mit anderen Worten, meine Da- Wir wollen das nicht. Es ist statt dessen unsere Ab- men und Herren, wir hätten dann die schrankenlose sicht, mit der Einfügung eines auf die Sicherung der Popularklage. Jeder könnte gegen jede staatliche und natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen gerich- private Maßnahme klagen, die auch nur entfernt Aus- teten Staatsziels in die Verfassung vor allem uns als wirkungen auf die Umwelt hat, und man wird nur Gesetzgeber in die Pflicht zu nehmen, bei unserer wenige ohne Umweltbezug finden. Natürlich wäre legislativen Tätigkeit dem Umweltschutz den Rang auch der Schleppliftunternehmer ein möglicher einzuräumen, der ihm zukommt. Adressat. Vielen Dank. (Baum [FDP]: Und das Parlament könnte (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nach Hause gehen!)

Jedesmal — ich garantiere Ihnen das — , wenn sich in Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Ab- unseren Parlamenten und Massenmedien die Prokla- geordnete Bachmaier. mation des Schadstoffs der Woche vollzogen hätte, würde ein Sturm auf die Gerichte einsetzen. Bachmaier (SPD): Herr Präsident! Meine Damen Es liegt auf der Hand, daß die Rechtsprechung ver- und Herren! Nachdem wir bereits im Februar dieses suchen müßte, dieses neue Grundrecht in Abwägung Jahres unseren Antrag auf Verankerung des Umwelt- mit anderen Gemeinwohl- und Individualrechten zu schutzes als Staatsziel im Grundgesetz wieder in den relativieren. Diesen Abwägungsprozeß der Recht- Bundestag eingebracht hatten, hat der Bundeskanzler sprechung zu überlassen würde aber der Legisla tive in seiner Regierungserklärung vom 18. März ange- die Lösung des jeweiligen Zielkonflikts, der z. B. zwi- kündigt, daß auch die Koalitionsparteien bereit seien, schen der Vollbeschäftigung einerseits und der Um- den Umweltschutz als Staatsziel in das Grundgesetz welt andererseits bestehen könnte, aus der Hand neh- aufzunehmen. men und auf die Gerichte übertragen, was letztlich auf Noch ein Jahr zuvor, im Januar 1986, hat ein ent- eine Abdankung des Parlaments in diesem Bereich sprechender Antrag unserer Fraktion im Bundestag hinausliefe. nicht die notwendige Mehrheit erhalten. Die Koali- Will man diesen Machtzuwachs der Legisla tive tionsparteien, sprich: vorwiegend die Union, haben nicht, käme man nicht daran vorbei, auf der Grund- dagegen gestimmt. lage eines weitgehenden Gesetzesvorbehalts das Um- Trotz der Ankündigung in der Regierungserklärung weltschutzrecht gesetzgeberisch zu konkretisieren; haben wir beträcht liche Zweifel, die sich in den zu- denn wir, das Parlament, haben in erster Linie die rückliegenden Monaten eher noch verstärkt haben, Pflicht, diese Abwägung, diese Lösung der in der Rea- ob diese Regierungskoalition bereit und in der Lage lität fortlaufend auftretenden Zielkonflikte in die ist, die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen Hand zu nehmen. als verbindliches Staatsziel ohne Wenn und Aber im Grundgesetz festzuschreiben. Da haben z. B. am Versehen wir aber das Grundrecht mit einem Ge- 10. Juli dieses Jahres die unionsregierten Länder im setzesvorbehalt, entwe rten wir es. Es ist bezeichnend, Bundesrat eine Formulierung durchgesetzt, die für daß die Staatsrechtslehre von sogeannten uneigentli- uns völlig inakzeptabel ist. Ein Staatsziel, das erst chen sozialen Grundrechten spricht, wo dem Brüger durch einfache Gesetze des Bundes und der Länder als Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips zurei- definiert und ausgestaltet wird, das unter dem Vorbe- chende Lebensbedingungen staatlich gewährleistet halt einer zusätzlich aufgenommenen Abwägungs- werden sollen. Aus guten Gründen wird weithin die klausel steht, ist noch nicht einmal ein Staatsziel zwei- Grundrechtsqualität solcher gutgemeinter Kreationen ter Klasse. Denn es wird letztlich ohne jedwede Ver- des Verfassungsgesetzgebers bezweifelt, wobei bindlichkeit bleiben. — um Karl Kraus zu zitieren — das Gegenteil von gut ja nicht schlecht, sondern gutgemeint ist. Wir sind nicht bereit, eine solche Staatszielbestim- mung zu akzeptieren, die dann wirklich nichts wäre Sind also solche uneigentlichen sozialen Grund- als eine Seifenblase; auf diesen Fall trifft das zu. Mit rechte in Wahrheit verkappte Staatsziele, sollte man uns jedenfalls wird es dera rt unverbindliche und bis sie aus dem Grundrechtskatalog heraushalten. Es be- zur Unkenntlichkeit verwässerte Formulierungen steht sonst die Gefahr, daß auch die klassischen nicht geben. Grundrechte relativiert und in Frage gestellt wer- (Beifall bei der SPD) den. Bestätigt werden die Vermutungen, die Koalition Zu bedenken, meine Damen und Herren, ist habe mit der Verankerung des Umweltschutzes im schließlich auch noch dies: Wer den Katalog der indi- Grundgesetz nicht allzuviel im Sinn, noch durch jüng- viduellen Freiheitsrechte um sogenannte soziale ste Presseberichte, daß Dinge, die nun wahrlich gar Grundrechte erweitern wi ll, setzt den Staat Ansprü- nichts miteinander zu tun haben, wie das strafbe- chen seiner Bürger aus, die zu erfüllen er sich nur um wehrte Vermummungsverbot und das Staatsziel Um- den Preis der Einschränkung eben dieser klassischen weltschutz Bestandteile eines neuerlichen Koalitions- Freiheitsrechte bemühen kann. Das in unserer Verfas kuhhandels werden sollen. Dies geht nun wirklich Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1817

Bachmaier nicht. Da merkt man schon die Absicht, daß man hier Verfassung stehen. Und dies wollen wir auch beim nicht nur dilatorisch handeln will, sondern daß man Umweltschutz. tatsächlich im Schilde führt, entweder ein Nichts in (Beifall bei der SPD — Häfner [GRÜNE]:- Tun die Verfassung aufzunehmen oder wirklich nichts zu Sie mal was für den Bürger!) tun. (Baum [FDP]: Das hat ja auch nichts mitein Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Ab- ander zu tun!) geordnete Baum. — Das hat wirklich nichts miteinander zu tun. Anlaß der heutigen Kurzdebatte ist der neueste Ge- Baum (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und setzentwurf der GRÜNEN vom 4. August 1987, durch Herren! Wir setzen uns seit 1971 für eine Ergänzung den ihr eigener, noch nicht einmal einen Monat alter des Grundgesetzes ein. Dies war in der früheren Ko- Gesetzentwurf vom 8. Juli 1987 abgelöst worden ist. alition nicht erreichbar. Immerhin haben wir eine In diesem neuesten Gesetzentwurf, schlagen Sie nun- Sachverständigengruppe aus Professoren eingesetzt, mehr, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, die ein Gutachten vorgelegt hat. Wir sind der Mei- u. a. ebenfalls eine Staatszielbestimmung Umwelt- nung, daß die Zeit reif ist, das Grundgesetz zu ergän- schutz vor. Wie Ihre kurz aufeinanderfolgenden Ge- zen. Ich teile die Meinung: Wenn wir das Grundgesetz setzentwürfe zeigen, scheint der Willensbildungspro- heute neu formulieren, würde ein solcher Schutz der zeB bei Ihnen wohl noch nicht ganz abgeschlossen zu natürlichen Lebensgrundlagen im Grundgesetz ste- sein. hen. (Zuruf von der SPD: Fürwahr!) Allerdings wenden wir uns gegen die Aufnahme eines Umweltgrundrechts, und zwar aus den Wir meinen, daß den Belangen des Umweltschutzes Gründen, die hier schon genannt worden sind. Wir durch ein solches Umweltgrundrecht nicht gedient ist, wollen nicht, daß Einzelansprüche geltend gemacht das ja auch nur auf den Schutz der heute lebenden werden können, sondern letztlich muß dieses Parla- Menschen begrenzt ist und die kommenden Genera- ment entscheiden können. Der Rahmen der Umwelt- tionen nicht in den Schutz mit aufnimmt und das die gesetzgebung wird hier gesetzt und, Herr Kollege über den Schutzbereich des Menschen hinausgehen- Häfner, er ist ja auch gesetzt worden. Wir waren ja den Lebensgrundlagen nicht miteinbezieht. Hier wer- nicht untätig. In den letzten Jahrzehnten ist eine den Illusionen geweckt, die so nicht gehalten und in Menge in Sachen Umweltschutz geschehen, unab- der Realität nicht eingelöst werden können. hängig davon, ob die Verfassung ergänzt worden ist oder nicht. (Beifall bei der SPD — Häfner [GRÜNE]: Das ist nicht richtig! Das müssen Sie noch einmal (Beifall bei der FDP — Häfner [GRÜNE]: Zu lesen!) wenig!) Allerdings sind wir der Meinung, daß durch eine Auch Sie, Herr Häfner und meine Kolleginnen und Ergänzung der Verfassung der Umweltschutz stärker Kollegen von den GRÜNEN, müssen wissen, daß auch werden würde. Wir wünschen das. Der Umweltschutz in ein Umweltgrundrecht jederzeit durch Gesetz ein- muß stärker werden. Er muß eine relative — nicht eine gegriffen werden kann, wie es in Art. 2 des Grundge- absolute — Priorität bekommen, wie die Sachverstän- setzes zu lesen ist. Also besteht auch hier die Gefahr, digen gesagt haben, und zwar, Herr Kollege Eylmann, daß der Schutz in erheblichem Umfang leerläuft. nicht nur im Bereich der Gesetzgebung, also nach unserer Meinung nicht nur im Sinne eines Appells an Ganz offensichtlich u. a. aus diesen Gründen haben den Gesetzgeber, sondern auch im Sinne eines Ap- Sie in Ihrem neuesten Antrag das Staatsziel Umwelt- pells an Verwaltung und Rechtsprechung. schutz aufgenommen. Wir haben uns auf unserem Parteitag vor einigen Auch die Diskussionen in den zurückliegenden Mo- Tagen noch einmal mit der Sache befaßt und zum naten und Jahren haben uns in unserer Überzeugung Ausdruck gebracht, daß wir den Vorschlag des Bun- bestärkt, daß von dem von uns geforderten Staatsziel desrats nicht als verabschiedungsreif ansehen. Wir „Umweltschutz" eine erhebliche Dynamik auf das ge- wollen darüber mit allen Parteien hier im Haus reden; samte staatliche Geschehen ausgehen wird. Dies kön- denn wir brauchen ja eine Zweidrittelmehrheit. Wir nen wir — wie Sie feststellen, wenn Sie sich mit der müssen auch mit den Ländern reden. Der Vertreter Verfassungsgeschichte der Bundesrepublik beschäf- des Bundeslandes Hessens beispielsweise hat im Bun- tigen — sehr lehrreich am Staatsziel „Sozialstaat" ab- desrat zum Ausdruck gebracht, daß das Land Hessen lesen. Aber mit solchen Kleinigkeiten setzt man sich ja für neue Überlegungen offen sei. wohl nicht auseinander. Gesetzgeber, Verwaltungen auf staatlicher und kommunaler Ebene und Gerichte Wir streben eine Formulierung an, die zum Aus- wären verfassungsrechtlich verpflichtet, bei allen Ent- druck bringt: Die natürlichen Lebensgrundlagen ste- scheidungen den Belangen des Umweltschutzes den hen unter dem besonderen Schutz des Staates. Wir die ihm gebührenden Stellenwert zukommen zu lassen. nähern uns hier sehr der Bayerischen Verfassung, Das wäre die ureigenste Dynamik, die von einem in Art. 3 zum Ausdruck bringt: Der Staat schützt die Staatsziel ausgeht. Das Sozialstaatsprinzip in der Bun- natürlichen Lebensgrundlagen ... — Hier könnte also durchaus zum Vorbild desrepublik hat auch in kritischen Situationen ge- man den Freistaat Baye rn zeigt, daß hier die Rechtsprechung und alle die staat- nehmen. Wir hätten nichts dagegen. liche Gewalt tragenden Institutionen in der Pflicht der (Zuruf des Abg. Schäfer [Offenburg] [SPD]) 1818 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Baum Wir wollen keine Abwägungen, die dieses Staats- rung des Umweltschutzes in unserer Verfassung sein ziel aushöhlen. Wir wollen uns nicht der Kritik ausset- kann. zen, daß wir wirklich nur weiße Salbe produziert ha- (Häfner [GRÜNE]: Im Gegenteil!) ben. Ein Staatsziel, wie wir es vorschlagen, entfaltet - eine Wirkung. Diese Wirkung ist gewollt. Der Um- Die GRÜNEN haben im 10. Deutschen Bundestag ei- weltschutz soll stärker werden. Was mit dem Sozial- nen neuen Art. 2 Abs. 3, dann im Juli dieses Jahres staatsprinzip gelungen ist, sollte meines Erachtens einen anders formulierten, neuen Art. 2 a und nun- auch hier gelingen. mehr einen wiederum anders formulierten Art. 2 Abs. 2 für die Verankerung des Grundrechts vorge- Wir sind offen für Gespräche. Wir haben ja am schlagen. 14. Oktober eine Anhörung. Wir wollen diese Gesprä- che konstruktiv führen. Wir erwarten, daß alle bereit (Koschnick [SPD]: Die sind halt vielseitig!) sind, an Formulierungen mitzuwirken, damit wir nun — So kann man es sagen; man kann — aber nun wirk- endlich für diese Verfassungsergänzung eine Zwei- lich im Klartext — auch sagen, daß dies beweist, daß drittelmehrheit bekommen. die Vorschläge der GRÜNEN eher der Selbstbeschäf- Vielen Dank tigung dienende Gesetzesbastelei als durchdachte Entwürfe zur Änderung unserer Verfassung sind. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und bei (Häfner [GRÜNE]: Da irren Sie!) Abgeordneten der SPD) Deswegen treten Bundesregierung und die Koali- tionsfraktionen — im übrigen auch, wie wir hörten, die Fraktion der Sozialdemokraten — nicht für ein Vizepräsident Stücklen: Ich erteile dem Herrn Bun- Grundrecht, sondern für ein desminister der Justiz das Wort. Staatsziel „Umwelt- schutz" ein. Die Ausformulierung dieses Staatsziels bedarf allerdings noch eingehender Erörterungen. Ich habe in meinem Beitrag im Bundesrat kürzlich Marge- Engelhard, Bundesminister der Justiz: Herr Präsi- macht, daß die dortige Initiative nicht unbedingt dem dent! Meine Damen und Herren! Die überragende gerecht wird, was wir wünschen und was das Ender- Bedeutung des Umweltschutzes ist Teil unserer ge- gebnis dieser Arbeiten sein muß. Ich begrüße es, daß meinsamen Überzeugung. Alle Fraktionen des Deut- der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages am schen Bundestages treten für die Verankerung des 14. Oktober eine Sachverständigenanhörung durch- Umweltschutzes im Grundgesetz ein. Aber als Libera- führen wird. ler sage ich mit besonderer Freude, daß dies ja nicht zu allen Zeiten, nicht immer so war. Um so höher ist es (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Gemeinsam mit zu schätzen, daß diese Überzeugung uns heute allen dem Umweltausschuß!) gemeinsam ist. Ich erinnere daran: Der Vorschlag der GRÜNEN, das Staatsziel „Umweltschutz" quasi allen anderen Allerdings sind nicht alle Wege geeignet, uns dem Staatszielen überzuordnen, ist mit Sicherheit zu kurz gemeinsamen Ziel auch näherzubringen. Der Weg, gedacht. Denn der Schutz unserer natürlichen Le- den die GRÜNEN in ihrem heute vorliegenden Ge- bensgrundlagen ist eine zentrale Aufgabe unserer setzentwurf beschreiten wollen, ist ein Irrweg, wie lei- Zeit, deren Verwirklichung sich in die verfassungsmä- der auch sonst so viele Wege ihres politischen Spek- ßige Ausgewogenheit unserer Staatsstruktur und un- trums. Denn die Aufnahme eines Umweltgrundrechts serer Staatsziele insgesamt einfügen muß. in das Grundgesetz hat bereits der 10. Deutsche Bun- destag am 16. Januar 1986 aus guten Gründen mit (Schäfer [Offenburg] [SPD]: Jetzt müßt ihr überwältigender Mehrheit abgelehnt. klatschen! — Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Häfner [GRÜNE]: Was waren denn die Gründe?) Vizepräsident Stücklen: Meine Damen und Herren, Für diese Ablehnung waren und sind verfassungs- ich schließe die Aussprache. rechtliche und verfassungspolitische Erwägungen maßgebend. Beim Umweltschutz geht es — das ist Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf zur bereits betont worden — nicht um Individualansprü- verfassungsrechtlichen Verankerung des Umwelt- che, sondern um ein Gemeinschaftsanliegen. Ein Um- schutzes an die in der Tagesordnung aufgeführten weltgrundrecht ohne umfassenden Gesetzesvorbe- Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu weitere Vor- halt würde dazu führen, daß die in den unterschiedli- schläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist es so be- chen Bereichen zu treffenden Umweltmaßnahmen schlossen. der Entscheidung des Parlaments entzogen und weit- gehend auf die Gerichte verlagert würden. Das wäre Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: ein Verlust an parlamentarischer Demokratie. Ande- Beratung des Antrags der Abgeordneten West- rerseits aber würde ein allumfassender Gesetzesvor- phal, Amling, Dr. Ahrens, Antretter, Bach- behalt das Umweltgrundrecht entwerten und über- maier, Frau Blunck, Dr. Böhme (Unna), Frau dies nachteilige Auswirkungen auf den effektiven Becker-Inglau, Börnsen (Ritterhude), Catenhu- Schutz anderer Grundrechte haben können, etwa sen, Frau Dr. Däubler-Gmelin, Dreßler, Frau auch des Grundrechts auf Leben und Gesundheit. Faße, Frau Fuchs (Verl), Großmann, Gansel, Mir scheint, auch den GRÜNEN müßte langsam Graf, Gilges, Frau Dr. Götte, Hasenfratz, Hiller bewußt werden, daß die Einführung eines Umwelt- (Lübeck), Haar, Heyenn, Heistermann, Frau grundrechts nicht der richtige Weg für die Veranke Hämmerle, Dr. Holtz, Jahn (Marburg), Jaunich, Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1819

Vizepräsident Stücklen Dr. Jens, Jungmann, Kastning, Kirschner, alle diejenigen mit mir gemeinsam widersprechen, Kretkowski, Kuhlwein, Koschnick, Kißlinger, die nicht als Kulturbanausen bezeichnet werden wol- Dr. Klejdzinski, Klein (Dieburg), Lohmann len. - (Witten), Dr. Mertens (Bottrop), Frau Matthäus- (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Maier, Frau Dr. Martiny, Müller (Pleisweiler), Müller (Schweinfurt), Müller (Düsseldorf), Daß die Gesellschaft mit verschiedenen Betätigun- Müntefering, Menzel, Nagel, Dr. Nöbel, Nig- gen, die auch unter dem Beg riff Spielen eingeordnet gemeier, Oostergetelo, Dr. Pick, Poß, Purps, Pe- werden, schon seit längerem ihre Schwierigkeiten ter (Kassel), Pfuhl, Reuter, Reschke, Rixe, Roth, hat, wird daraus deutlich, daß der Gesetzgeber Ju- Seidenthal, Frau Seuster, Frau Simonis, Singer, gendschutzbestimmungen beschlossen hat. Aber Dr. Spöri, Schäfer (Offenburg), Dr. Schmude, auch dies ist nicht mein Ansatz, jedenfalls nicht mein Frau Schmidt (Nürnberg), Schmidt (München), vorrangiger Ansatz, Sie alle für eine Initiative des Schmidt (Salzgitter), Schanz, Schröer (Mül- Deutschen Bundestags zur Eindämmung der Spielhal- heim), Schütz, Schluckebier, Stahl (Kempen), lenflut gewinnen zu wollen, unter der insbesondere Stiegler, Frau Terborg, Toetemeyer, Urbaniak, unsere Städte, aber auch schon unsere kleineren Ge- Vosen, Weiermann, Frau Weiler, Frau Weyel, meinden zu leiden haben. Weisskirchen (Wiesloch), Wiefelspütz, von der Wir Sozialdemokraten haben Ihnen dazu einen An- Wiesche, Dr. de With, Wittich, Frau Wieczorek trag vorgelegt, dessen Besonderheit schon daraus zu Zeul, Zeitler, Dr. Vogel und der Fraktion der erkennen ist, daß bei der Nennung des Antragstellers SPD vor der abschließenden Formel „Dr. Vogel und der Eindämmung der Spielhallenflut Fraktion der SPD" nicht weniger als 90 Namen von — Drucksache 11/586 — Mitgliedern unserer Fraktion stehen. Ich bitte noch nachträglich die Verwaltung des Hauses um Ent- Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: schuldigung. Der Grund ist schnell erzählt: Ich hatte Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Innenausschuß bei meinen Kollegen in einem Rundschreiben nach- Rechtsausschuß gefragt, ob jemand daran interessiert sei, mit zu unter- Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit schreiben. Ich erlebte dann eine Welle von dringen- Ausschuß für Verkehr den Wünschen, zu den Unterzeichnern zu gehören. Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Dieses Problem steht vor uns allen in all unseren Meine Damen und Herren, nach einer Vereinba- Städten und Orten. rung im Ältestenrat ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. — Ich sehe und höre keinen Wider- Ich bin sicher, daß es auch unter den Abgeordneten spruch. Es ist somit beschlossen. der anderen Fraktionen, die einen engen Kontakt zu der Bevölkerung in den Städten ihrer Walhkreise ha- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr ben, viele Kollegen geben wird, die meiner Initiative Abgeordnete Westphal. ihre Zustimmung geben. Es handelt sich nicht etwa — auch das kann man aus der Liste der Namen der An- tragsteller entnehmen — um ein Problem von Nord- Westphal (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und rhein-Westfalen und Hamburg, wie es unzutreffen- Herren! Spielen ist ein feine Sache. derweise der Parlamentarische Staatssekretär im Bun- (Beifall eines Abgeordneten der FDP) deswirtschaftsministerium, der aus Bayern kommt, in Ich freue mich über den Beifall. — Spielen bereitet einer Fernsehsendung gesagt hat. Kindern und auch Erwachsenen Freude. Es ist ein Thema, das überall die Kommunalpolitiker Spielen mit und um Geld war immer problematisch. auf Grund des Drängens der Bevölkerung bewegt. Die Schon die Weltliteratur hat sich damit beschäftigt. Es Bürgermeister und die Verwaltungen stehen nach ist nicht meine Absicht, hier darüber zu philosophie- vielen eigenen Bemühungen vor der Tatsache, sich ren, zumal wir alle kürzlich Gelegenheit hatten, leicht gegen eine Überflutung durch die Errichtung von zu erkennen, wie so etwas schiefgehen kann: Im Mai Spielhallen nicht mehr wehren zu können. dieses Jahres hatte uns die Informationsgemeinschaft Spielhallen nehmen überall im Kernbereich von Münzspiel zu einer Abendrunde in ihr neues Bonner Groß- und Kleinstädten in der Bundesrepublik über- Kommunikationszentrum eingeladen. Um uns Abge- hand. Ihre Zahl ist in den letzten Jahren ständig ange- ordneten mögliche moralische Zweifel zu nehmen, stiegen und wächst weiter. So gab es z. B. im Regie- tröstete uns der Verband mit einem Wort von Schiller rungsbezirk Darmstadt 1981 104 Spielhallen; 1986 — nicht Karl Schiller, sondern Friedrich von Schiller. waren es bereits 538. Im mehr ländlichen Regierungs- In seinen Betrachtungen „Über die ästhetische Erzie- bezirk Gießen gab es 1981 31 Spielhallen; 1985 wa- hung des Menschen" hat dieser einmal geschrie- ren es 57, also nahezu das Doppelte. In vielen Teilen ben: unseres Landes gibt es ähnliche Zahlen. Presse und Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung Fernsehen haben darüber berichtet. des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Bis zum Herbst 1984 konnten sich die Gemeinden Mensch, wo er spielt. gegen die Errichtung der Spielhallen mit Hilfe von Friedrich von Schillers Betrachtung über das Spie- § 33i der Gewerbeordnung wehren. Nach dieser Vor- len in einen Zusammenhang mit einer möglicher- schrift sind Spielhallen unter anderem unzulässig, weise am Anfang reizvollen, aber doch recht bald stu- wenn sie den Tatbestand der übermäßigen Ausnut- piden Betätigung von mechanischen Geldspielauto- zung des Spieltriebs befürchten lassen. Einige örtliche maten zu bringen ist eine Mißinterpretation, der wohl Gerichte sahen diese Voraussetzung immer dann als 1820 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Westphal erfüllt an, wenn mehrere Spielhallen in einem Ge- als Versorgungsbereich für den gehobenen und spe- bäude oder in unmittelbarer Nachbarschaft zueinan- zialisierten Bedarf werden negativ verändert. der eingerichtet werden sollten. Diese Rechtsauffas- Im übrigen war ja die Spielverordnung schon immer sung hat jedoch das Bundesverwaltungsgericht nicht - als eine von der Gesellschaft als notwendig angese- bestätigt. Die Reaktion auf dieses Urteil war eine Flut hene Korrektur der Gewerbefreiheit anzusehen, um von Spielhallenanträgen. Dann mußte sich der Bun- die Freiheit anderer zu schützen. Nichts anderes, aber desminister für Wirtschaft mit dem Thema befassen. eben etwas Wirkungsvolleres, verlangen wir mit un- Er ist verantwortlich für die Spielverordnung. Er hat serem Antrag von der Bundesregierung auf dem Ge- sie mit Datum vom 11. Dezember 1985 geändert. biet des Gewerberechts und der Spielverordnung. (Conradi [SPD]: Aber wie!) Die Gemeinden haben inzwischen a lles versucht, Nach meinem Eindruck geschah dies ziemlich halb- um mit den sich ihnen stellenden Problemen fertig zu herzig und ohne Vorausschau auf die zu erwartenden werden. Es ging bis hin zu der Abwehr von Niederlas- Konsequenzen, sungsanträgen der Betreiber von Spielhallen mit dem Argument, daß diese Betri (Zustimmung bei der SPD — Conradi [SPD]: ebe dort, wo sie sich etablie- Inkompetent!) ren wollen, nicht die genügende Anzahl von Stellplät- zen für parkende Fahrzeuge nachweisen können. Wir denn einerseits enthält diese neue Verordnung eine brauchen also auch verbesserte planungsrechtliche Bestandsschutzklausel für die bestehenden Bet riebe Möglichkeiten für die Kommunen, und wir brauchen bis zum 31. Dezember 1995, also über zehn lange einen wirksamen Mieterschutz für die kleinen und Jahre; mittleren Be triebe in Einzelhandel, Handwerk und (Conradi [SPD]: Typisch FDP!) anderen Gewerben. Mein Kollege Reschke wird hierzu nähere Ausführungen machen. andererseits soll bei neu eingerichteten Bet rieben eine Begrenzung eingeführt werden, so daß nur ein Ich will Ihnen am Schluß dieses Beitrages noch er- Geldspielgerät auf 15m 2 Fläche gestellt werden darf zählen, was hinter unserem Vorschlag steckt, die Bun- und nicht mehr als zehn solcher Geräte je Spielhalle desregierung zu bewegen in ihrem eigenen Einfluß- erlaubt sind. Diese Regelung hat sich inzwischen nicht bereich, also z. B. dort, wo es um Bundesbahngrund- nur als wirkungslos zur Eindämmung der Spielhallen- stücke geht, auf die Ansiedlung von Spielhallen zu flut erwiesen, sondern — im Gegenteil — bewirkt, daß verzichten. Auf die Frage, die mein Fraktionskollege die Zahl der Anträge auf Einrichtung neuer Spielhal- Eckart Kuhlwein kürzlich in der Fragestunde vor- len neben den vorhandenen sprunghaft angestiegen brachte, ob die Bundesregierung die Auffassung der ist. Die Regelung ist also ein echter Flop. So wurden Bundesbahndirektion Hamburg teile, daß Spielhallen z. B. in Duisburg seit Änderung der Spielverordnung mit Geldspielautomaten zu einem modernen Service- zusätzlich zu dem Bestand von 194 Spielhallen inner- angebot der Deutschen Bundesbahn zur Überbrük- halb kürzester Zeit 101 neue Antragsverfahren in kung von Wartezeiten ihrer Reisenden gehörten und Gang gesetzt. Aus allen Ecken unserer Republik lie- deshalb auch in Bahnhöfen eingerichtet werden soll- ßen sich leider ähnlich problematische Zahlen nen- ten, hat die Bundesregierung zwar mit gewundenen nen. und schönen Worten, aber im Grunde mit Ja geant- wortet. (Conradi [SPD]: Das ist Bangemanns Wachs tum!) (Koschnick [SPD]: Unerhört!) Nun könnte der Wirtschaftsminister kommen — ich Mit anderen Maßstäben mißt der Bundesverkehrsmi- fürchte, er wird es tun — und behaupten, daß dieser nister offensichtlich in München. Nachdem der Bay- Vorstoß gegen die Spielhallenflut, wenn er denn erische Ministerpräsident den Verkehrsminister dar- schon nicht vorrangig mit dem Argument des Jugend- auf hingewiesen hatte, daß u. a. das Erzbischöfliche schutzes begründet wird, ein Verstoß gegen die Ge- Vikariat der Meinung ist, werbefreiheit sein würde. Nein, meine Damen und (Kuhlwein [SPD]: Hört! Hört!) Herren, eigentlich könnte man sagen: Im Gegenteil, wir wollen die Freiheit des alteingesessenen Gewer- der Hauptbahnhof von München müsse wegen der zu befürchtenden negativen Auswirkungen von der Er- bes in den Zentren unserer Städte schützen. richtung eines Spielhallenkomplexes ausgenommen (Beifall bei der SPD) werden, hat der zur gleichen Partei gehörende Bun- desverkehrsminster — es war der vorige — ziemlich Die rapide Ausbreitung von Spielhallen und auch der von uns mit genannten Sexshops verdrängt die dort schnell, nämlich umgehend mitgeteilt, die Deutsche vorhandenen Geschäfte des Einzelhandels, die nicht Bundesbahn werde sich darum bemühen, die Grund- in der Lage sind, die hohen Mieten zu bezahlen, die stücksflächen im Münchener Hauptbahnhof einer an- die Betreiber der Spielhallen den Vermietern ohne deren Nutzungsmöglichkeit zuzuführen. weiteres zu bieten in der Lage sind. (Kuhlwein [SPD]: Hört! Hört! Das ist ja fast Selbst wenn die Betreiber von Spielhallen heute die Filz!) Absicht haben, ihre Etablissements „aufzumotzen" Ich habe also den Eindruck, daß die Bundesbahn uns und benutzerfreundlich zu gestalten, bleibt die Be- im Norden, nördlich der Mainlinie, im Hinblick auf die wertung durch die Bürger unserer Gemeinden, daß Gefahren der Spielsucht eher zutraut, daß wir sie ab- die überhandnehmende Zahl solcher Einrichtungen zuwehren in der Lage sind, als denen dort im Süden. das Niveau der Innenstädte und Ortskerne senkt. So- Insofern meine ich, es wäre mit Spannung zu verfol- wohl die dortige Wohnqualität als auch die Funktion gen, ob sich z. B. der Mainzer Regierungschef, Herr Deutscher Bundestag — 11. Wahlpe riode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1821

Westphal Bernhard Vogel, der sich auch über die Spielhalle im Besorgte Eltern sehen in den Automatenhallen eine Mainzer Hauptbahnhof beschwert hat, durchsetzt gefährliche neue Freizeitverlockung für die junge oder nicht. Besser wäre es, wenn wir überall gleiches Generation. Erzieher warnen vor Verarmung von Ge- - Recht gelten ließen und wenn die Bundesbahn über- spräch und Gestaltungsvielfalt durch die moderne haupt keine solchen Spielhallen einrichten würde. Spieltechnologie. Verantwortliche Stadtväter be- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. fürchten, wie wir laufend lesen können, eine Ver- ödung ihrer Stadtkerne, eine Beeinträchtigung des (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Stadtbildes und den Qualitätsverlust der Daseinsvor- sorge. Spielstätten, die in manchen Städten wie Pilze aus dem Boden schießen, werden mit Lärm und Last in Das Wort hat der Herr Ab- Vizepräsident Stücklen: Verbindung gebracht, weniger mit Vergnügen, geordnete Börnsen (Bönstrup). Freude oder gar Frohsinn. Seit alters her hängt diesen Tempeln des scheinbaren Glücks die Sündhaftigkeit Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Herr Präsident! an; so manche Spielgeräte sind vom Teufel inspirierte Meine Damen und Herren! Wenn wir uns über die Wunderwerke. Dies sind Urteile, die sich verfestigt vermeintlichen Widersprüche, die eben aufgedeckt haben, Meinungen, die die Gemüter erhitzen. worden sind, weiterhin amüsieren wollen, möchte ich Man muß deutlich machen, daß Gefühle die Diskus- dazu gern beitragen. Ich denke, daß die hier von Ih- sion begleiten, und es gibt wegen der Menge der nen, Herr Westphal, vorgetragenen sachlichen — und Geldspielautomaten auch Ängste, und die sollten wir vertretbaren — Argumente von Ihren eigenen Kolle- ernst nehmen. gen in der Landesregierung von Nordrhein - Westfa- len anders gesehen werden. Sie wissen sicher darum, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) daß Ihre Kollegen in Nordrhein-Westfalen auf eine Zieht der Automat nicht so manchen unwiderruflich in Anfrage des Abgeordneten Dr. Pohl vom 21. Juni seine Arme? Wird nicht zur Abhängigkeit angehalten? 1987 gesagt haben, sie seien nicht der Ansicht, daß Wird nicht aus der Spielfreiheit oft ein Spielzwang? Automaten süchtig machen; sie seien der Ansicht, daß Das ist die eine Seite, und die ist ernst zu nehmen. es keine nennenswerten Verstöße gegen den Jugend- Deshalb teilen wir auch in weiten Bereichen die Lage- schutz gebe und daß eine Existenzgefährdung durch beurteilung des hier vorliegenden Antrags. Spielhallen generell nicht vorliege. Nur, verketzern wollen wir Vergnügungsstätten (Westphal [SPD]: Das sind auch nicht meine nicht. Hunderttausende finden hier Ablenkung und Argumente gewesen!) Abwechslung, Reiz und Risiko, erfahren Hoffnung Die nordrhein-westfälische Landesregierung sagt und Hochstimmung, doch auch Verlust und Verärge- auch, daß mögliche Versagungsgründe — die Sie rung, Spannung und Entspannung. Für sie ist der eben auch angesprochen haben — wie übermäßige Automat ein selbstverständliches Freizeitmedium, Ausnutzung des Spieltriebes, Gefährdung der Jugend eine Freizeitfaszination, die durch die ganze Gesell- und schädliche Umwelteinflüsse von Spielhallen von schaft geht. Automaten haben nicht nur einen für viele ihr in sachlicher und rechtlicher Hinsicht nicht gese- von uns sicher fragwürdigen Unterhaltungswert, sie hen werden. dienen auch manchem zur Abreaktion seines Alltags- ärgers. (Westphal [SPD]: Das war gar nicht meine Argumentation!) (Frau Nickels [GRÜNE]: Sie bieten ja auch Ich denke, daß ich darauf und vielleicht auf einen nichts Besseres!) zweiten Sachverhalt aufmerksam machen sollte: Besser, der Frustrierte schlägt hier die Faust auf die Hätte man nicht in diesem Hause 1976, angeregt Frontscheibe. Spiele erfüllen die Aufgabe der auch von Ihnen, die Spielhallenverordnung auf ein Wunschbefriedigung, dienen dem Konfliktabbau, las- neues Fundament gestellt, wäre es vermutlich gar sen Spaß und Spontaneität und individuelle Freiheit nicht zu einer solchen lukrativen gewerblichen Aus- erleben. Das gilt zu einem Teil auch für Glücks- und nutzung der Lage durch Spielhallen gekommen. Ich Geschicklichkeitsspiele. denke, wer den Sündenfall zu verantworten hat, sollte Doch wenn der Eindruck entsteht, daß Vergnü- auch fair, konsequent und konstruktiv zur Schadens- gungsstätten mehr ausnutzen und weniger nützen, begrenzung beitragen. Atmosphäre und Charakter traditionsreicher Kommu- Wer sich hemdsärmlig und rigoros in den Innen- nen verändern, Belastung für den Bürger bringen, ist städten unseres Landes breitmacht, wie die Spielhal- der Gesetzgeber zur Korrektur aufgefordert. Die No- len es tun, muß mit Reaktionen rechnen. vellierung der Spielhallenverordnung vor knapp zwei Jahren geschah mit der Absicht, Fehlentwicklungen (Beifall bei der SPD) zu verändern. Die Anzahl von Geldautomaten wurde Die zunehmende Konzentration von Spielhallen auf zehn begrenzt, die Quadratmeterlösung einge- (Duve [SPD]: Was sagt denn Herr Doss führt, Sonderspiele wurden beschnitten, bestehende dazu?) Hallen, die teilweise Bestandsschutz haben, wurden auf eine zehnjährige Anpassungsfrist gesetzt. Mit die- bringt — das ist ganz klar — Bürger von Flensburg bis sen Maßnahmen soll eine Reduzierung der Geldspiel- Passau auf die Barrikaden, und das wohl auch mit geräte um mehr als ein Drittel erreicht werden. Statt Recht. einer Verringerung — das muß man deutlich sehen — (Zuruf von der FDP: Aber nicht gleicherma hat es zu einer Vermehrung der Spielhallen geführt. ßen!) Tausende von Anträgen nach altem Recht kurz vor der 1822 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Börnsen (Bönstrup) Novellierung haben die Änderung der Spielverord- Das Baugesetzbuch trägt zur Lösung der Spielhal- nung ebenso fragwürdig werden lassen wie die Um- lenproblematik nachweislich bei. wandlung alter Hallen nach neuem Recht. Die Novel- (Conradi [SPD]: Das ist schlicht unwahr!) lierung ist unterlaufen worden. Die Gewinnerwartung - dieser Branche, die mehr als 6 Milliarden DM umsetzt, Das werden auch die Kommunen bei der Umsetzung ist ungebrochen geblieben. des Baugesetzbuchs vollziehen können. Das ist noch nicht ausreichend, aber ein erster wichtiger Schritt. Da es sich um ein Gewerbe handelt, unterliegen auch die Spielhallen der Gewerbefreiheit. Sie speziell Vielleicht haben Sie die Ankündigung von Herrn auszugrenzen, was manche Ordnungsämter ge- Wohnungsbauminister Schneider gelesen, bei der be- wünscht haben, hat das Bundesverfassungsgericht vorstehenden Gesamtnovellierung der Baunutzungs- untersagt. verordnung auch die Vergnügungsstätten mit einzu- beziehen, damit die Gemeinden eine weitere Mög- (Conradi [SPD]: Vor allem werden sie pau- lichkeit haben zu handeln. schal besteuert, damit es sich auch lohnt!) (Kuhlwein [SPD]: Dann stehen die Spielhal — Ich komme gleich darauf. len alle schon! Dann kann man es nicht mehr Wer den Boom bremsen will, sollte vor einer mögli- zurückdrehen!) chen Gesetzesverschärfung, vor Verbot die Branche Es wird gehandelt, und es ist auch gehandelt wor- zur Selbstbeschränkung auffordern. Rita Süssmuth den. hat das in aller Klarheit getan. Betreiber und Herstel- ler müssen wissen, es ist für sie fünf vor zwölf. Wer den Die Eindämmung der Massierung von Vergnü- muß das Ziel sein. Ich denke auch, daß Boom bremsen will, sollte das vorhandene rechtliche gungsstätten Instrumentarium überprüfen, bevor die Regelungs- hier die Länder eine Reihe von Möglichkeiten haben, dichte verstärkt wird. über die Vergnügungssteuer, über die Stellplätze und über die Sperrzeitregelung ihre Maßnahmen zu tref- (Conradi [SPD]: Das wird der Einzelhandel fen. gerne hören!) Ich denke aber auch, daß der Bund weitere Mög- Auch für Spielhallenbetreiber gilt Art. 12 des lichkeiten überlegen muß. Er muß wissen, daß die Grundgesetzes, die Berufsfreiheit. Man muß wissen, Lage und die Einrichtung von Spielhallen noch weiter auf die Einhaltung der gewerberechtlichen Vorschrif- verdeutlicht werden müssen. Standorte von Spielhal- ten besteht ein Rechtsanspruch, und auch der Spiel- len in der Nähe von Schulen, Jugendzentren und Kin- hallenbetreiber hat ihn. dergärten sind nicht tragbar. Es ist auch nicht tragbar, (Conradi [SPD]: Nächstens kommt ihr noch daß Geschicklichkeitsspiele zu Glücksspielen umge- mit der Gewerbefreiheit für Heroinhänd setzt werden können. Da gibt es eine Reihe von Hand- ler!) lungsmöglichkeiten. Diese Einschätzung wird auch von seiten des Landes Eine Gemeinsamkeit im Vorgehen ist notwendig. Nordrhein-Westfalen unterstrichen. Ein Schwarzer-Peter-Spiel von den Kommunen zum (Conradi [SPD]: Auch der Rauschgifthandel Land und dann zum Bund ist überhaupt nicht tragbar. unterliegt der Gewerbefreiheit!) Wer gemeinsam vorgeht, kann einen Damm gegen eine Expansion weiterer Spielhallen bauen. Er kann Auch in der Mitteilung vom 21. Juni 1987 wird ganz dazu beitragen, sie auf einen vernünftigen Rangplatz deutlich zurückzuführen. Damit kann er eine Gefährdung der (Conradi [SPD]: Das ist eine christliche Par Qualität der Städte vermeiden. Doch das Schwert — damit komme ich zum-tei!) Ende — dieser Rechts- und sachliche Anspruch unterstri- muß immer wieder neu geschärft werden, um dem chen. Fehlwuchs zu begegnen. Deshalb ist es notwendig, daß wir diese Aufgabe in den Ausschüssen zügig an- gehen: unterhaltsame Spiele sichern, aber Aus- Vizepräsident Stücklen: Herr Abgeordneter, gestat- wüchse verhindern. ten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kuhl- wein? Danke schön. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Ich habe nur noch wenig Zeit und möchte gerne im Zusammenhang vor- Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat Frau Abge- tragen. ordnete Teubner. Es hätte der Glaubwürdigkeit des Anliegens ge- dient, wenn man auch deutlich gemacht hätte, daß der Frau Teubner (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Da- Gesetzgeber inzwischen gehandelt hat und daß zur men und Herren! Es ist beabsichtigt, den vorliegen- Eindämmung der Spielhallenexpansion eine ganze den Antrag federführend im Ausschuß für Wi rtschaft Reihe von neuen Instrumenten hinzugekommen ist. zu beraten. Die Begründung ist so verkehrt eigentlich Ich denke, daß der Hinweis von Herrn Zöpel aus nicht. In der Tat handelt es sich hier um eine Proble- Nordrhein-Westfalen, daß vorerst die baurechtlichen matik, die letztlich auf einem tiefgreifenden wirt- Möglichkeiten eine Chance geben, hier eine Eindäm- schaftlichen Strukturwandel — in diesem Fa ll im Ein- mung vorzunehmen, zutrifft. Das Bauplanungsrecht zelhandel — beruht. Es wäre allerdings zu fragen, gibt Eingreifmöglichkeiten vom Bebauungsplan bis warum dann der Wirtschaftsausschuß nicht grund- hin zur Veränderungssperre. sätzlich federführend für mindestens 90 % aller hier Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1823

Frau Teubner eingebrachten Anträge ist. Schließlich lassen sich die Frau Teubner (GRÜNE): Wenn das nicht auf die allermeisten Entwicklungen unserer Gesellschaft auf Redezeit angerechnet wird, ja. wirtschaftliche Ursachen zurückführen. Wir beantragen dennoch, für den vorliegenden An- Dr. Knabe (GRÜNE): Vor welchen Anlagen hat die trag die Federführung dem Ausschuß für Raumord- Stadt Köln dann Sorge? nung, Bauwesen und Städtebau zu geben. Nicht zu Unrecht haben z. B. im Zusammenhang mit der Bera- Frau Teubner (GRÜNE): Eben vor diesen Vergnü- tung des Raumordnungsberichts alle Fraktionen über- gungsstätten, wozu Spielhallen, Sexshops und andere einstimmend erklärt, Fragen der Raumordnung und gehören. der Stadtentwicklung müßten ein sehr viel größeres Man sieht also den „gehobenen Bedarf" der „obe- Gewicht in den Debatten dieses Plenums einnehmen ren Klasse " bedroht von sogenannten „schädlichen" als bisher. Anlagen und „minderwertigen" Angeboten. Von „Ni- Wir GRÜNEN beurteilen den vorliegenden Antrag veausenkung" ist die Rede. Ich werde den Verdacht der SPD-Fraktion genau in diesem Sinne. Es kann nicht los, daß es hier vor allen Dingen um Imagepfle- unseres Erachtens nicht angehen, hier vordergründig ge, aber auch um Unterdrückung unerwünschter Kul- ein Problem von Gewerberecht und Spielverordnung tur geht, um Unterdrückung dessen, was man eben zu sehen. Der eigentliche Grund für die sogenannte mit dem „gehobenen Bedarf" nicht vereinbaren kann Spielhallenflut ist nämlich unseres Erachtens in dem oder möchte. tiefgreifenden Funktionswandel zu sehen, dem vor Natürlich sind wir nicht so naiv, die Probleme zu allem die Innenstädte und damit das dort ansässige verdrängen, die sich aus sogenanntem unkontrollier- Gewerbe in den letzten Jahren unterworfen waren. ten Spielverhalten ergeben. Natürlich kritisieren wir (Sehr richtig! bei den GRÜNEN) die hemmungslose Vermarktung des menschlichen Unseres Erachtens verdrängen nicht die Spielhallen Spielbedürfnisses durch die Spielothekenbesitzer. Aber wir müssen auch fragen: Warum den Einzelhandel, sondern sie profitieren lediglich finden die Menschen in den Städten oft kaum noch eine andere, von der Krise des Einzelhandels, von der Krise der eine sinnvolle einfachen Händler, die von großen Warenhäusern Freizeitbeschäftigung? und den Ladenketten, Fotoketten, Schuhketten, Tex- (Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der til- und Drogeriemärkten und anderen verdrängt wer- FDP: Wer sagt denn das?) den. Wir werden zu diesem Komplex der Entwicklung Und wir fragen auch, ob es dann nicht auch konse- von Handel und Gewerbe in den Innenstädten in quent wäre, Anträge einzubringen zur Eindämmung Kürze einen eigenen Antrag vorlegen. der „Kneipenflut", zur Eindämmung der „Waren- Nun zum SPD-Entwurf von heute. Er greift, wie es hausflut" usw.; denn auch da wird den Leuten das scheint — Herr Westphal hat das ja auch deutlich ge- Geld aus der Tasche gezogen, auch da wird Abhän- sagt — , eine Sorge auf, die unzählige Kommunalpoli- gigkeit produziert und ausgebeutet. tiker bedrückt. Er wird nicht nur mit der Krise im Ein- Das vorhin zitierte Beispiel aus Köln zeigt ja: Es ist zelhandel begründet. bereits jetzt möglich — da stimme ich sowohl Herrn Ich will jetzt etwas genauer auf das von Ihnen ge- Schneider als auch Herrn Zöpel zu — , mit dem vor- nannte zweite Motiv eingehen: Was stört eigentlich so handenen planungsrechtlichen Instrumentarium das sehr an den Vergnügungsstätten? Zur Verdeutlichung Überhandnehmen unerwünschter Vergnügungsstät- ein Zitat aus einer Bebauungsplanbegründung, die ten zu verhindern. Allerdings reicht dieses Instrumen- dieser Tage dem Kölner Ausschuß für Stadtentwick- tarium nicht aus, um dem Strukturwandel im Einzel- lung vorgelegt wurde. Da heißt es u. a.: handel zu begegnen, in dem wir die eigentliche Ursa- che des Spielhallenproblems sehen. Die Festsetzung Kerngebiet entspricht den be- Richtig ist ja die Forderung nach verbessertem Mie- reits vorhandenen Nutzungen, die typisch für das ter- und Kündigungsschutz für Gewerbetreibende im Hauptgeschäftszentrum eines Oberzentrums Einzelhandel und Handwerk. Richtig wäre die Forde- sind wie z. B. Kauf- und Warenhäuser, eine Viel- rung nach der Novellierung der Baunutzungsverord- falt von Einzelhandelsgeschäften usw. mit hoch- nung. Richtig und notwendig wären auch Programme wertigem Angebot, Restaurants der oberen zur Existenzgründung und Existenzsicherung von Klasse ... Die Ansiedlung von Vergnügungsstät- versorgungswichtigen Betrieben des Einzelhandels. ten ... bedroht die Angebotsvielfalt . . ., da sie .. . Richtig wäre, die Kommunen bei der Schaffung aus- auch andere schädliche Anlagen anziehen kön- reichender attraktiver Alternativen in der Freizeit- nen. Diese Arten von Anlagen sind geeignet, un- und Lebensgestaltung ihrer Bürgerinnen zu unterstüt- erwünschte Spannungen z. B. zwischen Einzel- zen. handel des gehobenen Bedarfs und den Vergnü- gungsstätten auszulösen. Als Folge ist die Gefahr (Beifall bei den GRÜNEN) des Umkippens des Gebietscharakters vom Ge- Man denke nur daran, daß z. B. viele Großsiedlungen schäftsviertel zum Vergnügungsviertel mit min- heute noch nicht mit einem befriedigenden Angebot derwertigen Konsumangeboten nicht auszu- an sozialer Infrastruktur ausgestattet sind. Planung in schließen. den Gemeinden muß doch vor allem Angebotspla- nung und nicht Abwehrplanung sein. Statt dessen aber — wir haben es erst in der Haus- Vizepräsident Stücklen: Frau Abgeordnete, gestat- haltsdebatte deutlich vorgeführt bekommen — wer- ten Sie eine Zwischenfrage? den den Gemeinden die Hauptlasten der Wirtschafts- 1824 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Frau Teubner krise aufgebürdet. Da muß es übrigens sehr absurd ergeben hat. Dieser Stau ist inzwischen im wesentli- erscheinen, wenn ausgerechnet der SPD-Oberbürger- chen abgebaut. meister von Dortmund — mit Reichtümern ja nicht - besonders gesegnet — die Eröffnung einer Spielbank Die Spielverordnung wird Wirkung zeigen. Sie ver- mit den Worten bejubelt, diese werde „das beste Flöz hindert die Auswüchse bei der Aufstellung von Unter- der Stadt" werden. Dabei hat man bei Spielbanken haltungsspielgeräten mit Geldgewinnmöglichkeiten, heute eben nicht mehr allein an die Roulettische zu wie sie früher vorgekommen sind. Wenn ich heute denken, sondern auch an die dutzendweise aufge- höre, daß die Verordnung angeblich halbherzig ist, stellten Spielmaschinen, die übrigens pro Stunde um dann muß ich Ihnen sagen, daß sie weltweit eher zur 200mal soviel Geld schlucken wie die Geräte in den Nachahmung empfohlen wird. Wer die Gefahren von Spielsalons. Ich frage also hier, ob es diesen Geldquel- Spielsucht heraufbeschwört , der muß sich im klaren len von Ländern und Gemeinden denn auch an den sein, daß nahezu alle Bundesländer zur Verbesserung Kragen gehen soll. 90 % der Vergnügungsteuer kom- ihrer Einnahmen Automatensäle der staatlichen men schon aus diesen Vergnügungsstätten. Spielbanken — das wurde hier von meiner Vorredne- rin schon dargelegt — eingerichtet haben. Von diesen Man sollte sich nicht über die Spielsucht aufregen Spielbanken geht eine viel größere Gefahr aus. Do rt und dabei vergessen, wie diese politisch gefördert sind nämlich Einsätze bis zu 30 DM pro Fünf -Sekun- und wirtschaftlich ausgebeutet wird. Ich werde den den-Spiel möglich, wogegen in den sogenannten Gro- Verdacht nicht los, daß hier viele Krokodilstränen ge- schengeräten der Spielhallen der Einsatz seit 1977 weint werden. Setzen Sie sich konsequent für die För- unverändert auf 30 Pf pro Spiel bei 15 Sekunden Min- derung auch und vor allem nichtkommerzieller Frei- destlaufzeit und 60 % Mindestauszahlung beschränkt zeiteinrichtungen in den Innenstädten und Ortsker- ist. nen ein! Dann lasse ich mich gerne eines Besseren belehren. Ich muß auch noch einmal die Frage stellen, was hier der Hinweis auf den Jugendschutz soll. Meine (Beifall bei den GRÜNEN) Damen und Herren, darf ich einmal daran erinnern, daß unter einer SPD-Regierung der Jugendschutz so Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Ab- ausgestaltet war, daß Kinder und Jugendliche freien geordnete Grünbeck. Zutritt zu Spielhallen haben sollten. Lediglich in Spielhallen mit Geräten mit Gewinnmöglichkeiten (Conradi [SPD]: Jetzt kommt eine echte sollten nur Jugendliche ab 14 Jahren Zutritt haben. Spielernatur!) Dagegen hat die jetzige Bundesregierung die Grenze des Eintrittsalters für Spielstätten 1985 generell auf 18 Jahre festgelegt, egal welche Spielinhalte geboten Grünbeck: (FDP): Herr Präsident! Meine sehr ver- werden. Nach Auskunft der Landesregierung von ehrten Damen und Herren! Eigentlich ist die heutige Nordrhein-Westfalen gibt es im Jugendschutz kaum Debatte eine Fortsetzung der Diskussion um das Bau- Übertretungen in Spielhallen. Das heißt, daß die gesetzbuch, bei dem alles schon einmal da war. Die Grenze von 18 Jahren eingehalten wird. Wenn hier Vorschläge, die die SPD-Fraktion zur tatsächlichen also jemand vom Jugendschutz redet, dann redet er Eindämmung der Spielhallenflut gemacht hat, wer- an der Sache vorbei. den eigentlich von der Landesregierung Nordrhein

Westfalens beantwortet: Sie lehnt alle ihre Vorschläge Im Juni dieses Jahres hat die SPD - Landesregierung ab. in Nordrhein - Westfalen eine Kleine Anfrage des (Zuruf von der FDP: Exakt!) Landtagsabgeordneten Jentsch von der SPD zur Spielhallenproblematik beantwortet. Ich darf sie Ih- Es wäre wünschenswert, daß die Kommunikation zwi- nen nachher überreichen, da Sie diese offensichtlich schen der SPD hier im Bundestag und ihren Landes- nicht kennen. vertretungen etwas besser wird; denn das beweist, daß sie überhaupt keinen Kontakt mehr zu ihren Lan- Es wäre sicher gut gewesen, wenn die Bundestags- desverbänden hat. fraktion diesbezüglich etwas mehr Informationen bei ihren Kollegen in Düsseldorf gesucht hätte. Dort führt Ich muß sagen, die Sorge um die Jugend ist ein Pro- die SPD-Regierung aus — ich darf diese Ausführun- blem, auf das ich eine Antwort gebe. Das ist aber gen übernehmen, weil sie nahezu wörtlich von mei- natürlich ein Problem, das Sie hier mit einer gewissen nen Ausführungen bei der Beratung des Baugesetz- Unseriosität vortragen, die ich belegen kann. buches übernommen worden sind — : Meine Damen und Herren, die pauschale Behaup- tung, daß sich die Zahl der Spielhallen drastisch ver- Spielhallenbetreiber sind grundsätzlich durch mehrt habe, ist unzutreffend. Die Entwicklung ist tat- Art. 12 des Grundgesetzes sächlich regional völlig unterschiedlich. Nach den — nämlich die Berufsfreiheit — Zahlen des Bundeswirtschaftsministeriums hat sich für das Jahr 1986 eine Zuwachsrate bundesweit von geschützt. 9,9 % gegenüber 1985 ergeben. Dabei sind jedoch die Weiter heißt es: Neugenehmigungen, die lediglich auf Grund der Rechtsumstellung für bestehende Spielhallen erteilt Die Versagungsgründe nach der Gewerbeord- wurden, mit eingerechnet. Der tatsächliche Anstieg nung rechtfertigen zumeist nicht die Versagung liegt daher deutlich niedriger. Der Zuwachs resultiert der Erlaubnis einer Spielhalle. Schädliche Um- auch aus dem Antragsstau, der sich 1984 und der welteinwirkungen im Sinne des Bundes-Immis- Novellierung der Spielverordnung im Dezember 1985 sionsschutzgesetzes liegen in der Regel nicht vor. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1825

Grünbeck Eine übermäßige Ausnutzung des Spielbetrie- Einzelhändler, die möglicherweise die Mietpreise in bes den Innenstädten nicht mehr zahlen können, und be- trachten das als eine Art Mieterschutz für den- Einzel- — so die Landesregierung in Düsseldorf — handel. Das wäre ein abenteuerlicher Eingriff, wenn ist angesichts der begrenzten Gewinn- und Ver- wir ihn zuließen, in das Mieterschutzgesetz. lustmöglichkeiten an Geldspielgeräten bei Spiel- (Conradi [SPD]: Auch so ein Lobbyist!) hallen nicht der Fall. Nennenswerte Verstöße von Spielhallenbetrieben gegen das Gesetz zum Meine Damen und Herren, wir werden uns nicht Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit sind dazu hergeben, immer mehr Staat in die wirtschaftli- nicht festzustellen. chen Abläufe einzuschalten und immer mehr staatli- chen Dirigismus an die Stelle eigenverantwortlichen Eine Änderung der baurechtlichen Vorschriften, die Handelns zu setzen. in die Länderkompetenz fällt, lehnt die SPD-Regie- rung in ihrer Antwort ab, (Beifall bei der FDP) Die FDP-Fraktion wird sich stärker als je zuvor zu (Zuruf von der FDP: Aha!) marktwirtschaftlichen Lösungen mit hoher sozialer offenbar, weil sie die geltenden Regelungen für aus- Verantwortlichkeit bekennen und lehnt auch aus die- reichend erachtet. Die entscheidenden und nach Mei- sem Grunde den Antrag der SPD-Fraktion ab. nung der SPD-Landesregierung wirkungsvollen Mög- Im übrigen sollten wir uns alle zu Herzen nehmen, lichkeiten der Gemeinden zur Verhinderung einer daß 1966 10 % der Erwerbstätigen im öffentlichen unerwünschten Ausbreitung von Spielhallen bilden Dienst beschäftigt waren, 1986 aber über 20 %. Wenn die bauplanungsrechtlichen Instrumente. Durch die wir immer neue staatliche Instrumente erfinden, müs- Aufstellung oder Änderung von Bebauungsplänen in sen Sie mir mal sagen, wie der öffentliche Dienst bei Kombination mit dem Erlaß einer Veränderungs- einer rückläufigen Bevölkerungsentwicklung noch fi- sperre hat die Gemeinde erhebliche Einflußmöglich- nanzierbar bleiben soll. keiten. (Conradi [SPD]: Mit Spielhallen! — Unver Daß diese Einflußmöglichkeiten, Herr Kollege hohlener Lobbyismus!) Westphal, genutzt werden, zeigen im übrigen auch die unterschiedlichen Daten in Nordrhein-Westfalen. Auch aus diesem Grunde lehnen wir diesen Antrag Ich darf Ihnen einmal vorlesen: In Oberhausen sind es ab. 834 Einwohner je Spielhalle, in Hamm sind es 1 100, (Beifall bei der FDP) in Gelsenkirchen sind es 1 100, dagegen sind es in Düsseldorf 7 500, in Krefeld 9 400, in Mülheim 10 000. In Bayern sind es 12 000, in Baden-Württemberg sind Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Ab- es 15 000 Einwohner pro Spielhalle. Das heißt, daß geordnete Reschke. damit lückenlos der Beleg geliefert worden ist, daß verschiedene Kommunen die vorhandenen Instru- mente nutzen und damit eine Steuerung möglich Reschke (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehr- ist. ten Damen und Herren! Angesichts der Bemühungen, hier eine schiefe Debattenlage zu entwickeln, muß Im übrigen verweist auch die SPD-Regierung in ih- festgehalten werden: Hier geht es um einen ganz spe- rer Antwort auf die Kleine Anfrage auf die Gefahr, die ziellen Punkt, der trotz aller Beteuerungen des Bun- ein pauschales Verbot von Spielhallen etwa in den desbauministers Auswirkungen vor Ort hat. Das Pro- Kernbereichen mit sich brächte. Da die Spielhallen blem ist, daß den Gemeinden vom Bundesgesetzge- nicht in allen Baugebietstypen verboten werden kön- ber kein ausreichendes Instrumentarium an die Hand nen, würden die Spielhallen durch eine solche Rege- gegeben worden ist, um mit den neuen, nach innen lung möglicherweise in Wohngebiete abgedrängt gerichteten Leitbildern der Stadtentwicklung fertig zu werden — bei Gott für uns alle keine wünschenswerte werden. Entwicklung. Hätten Sie sich, lieber Kollege von der FDP, die Vor- Dennoch fordert die SPD-Bundestagsfraktion in ih- lage der Landesregierung, des Wohnungsbaumini- rem Antrag, im Rahmen des Gewerberechts — das sters Zöpel, vom 3. Juli 1987 angesehen, hätten Sie die muß man sich einmal überlegen — , der Spielverord- Position der Landesregierung zur Verhinderung von nung und des Planungsrechtes umgehend Regelun- Spielhallen, Sexshops und des ständigen Anstiegs der gen zu treffen — welche, haben Sie sich erspart zu Zahl von Spielgeräten zur Kenntnis nehmen kön- beantragen — , um den Betrieb von Spielhallen wir- nen. kungsvoll einzuschränken. Eigentlich warte ich noch auf einen Antrag aus der SPD-Fraktion, in dem es Zwei Gründe haben wesentlich dazu beigetragen, heißt: Die Gewerbefreiheit in Deutschland ist aufzu- daß unsere Städte Schwierigkeiten haben. heben. — Das wäre dann das Ende Ihrer Veranstal- Erster Grund: die Eilnovelle der Regierung zur tungen. Spielverordnung von 1985. Das Ziel war, den Expan- Meine Damen und Herren, die Vorträge hier über sionsdrang des Spielhallengewerbes zu stoppen. Das den Mieterschutz rühren mich zu Tränen. Es ist er- Gegenteil ist dabei herausgekommen. Von 1985 bis staunlich: Wenn wir mit Ihnen über Liberalisierung heute hat die Zahl der Konzessionen sprunghaft zuge- von Mietrecht reden wollen, schlagen Sie die Bücher nommen — ich komme gleich darauf — , um über zu und sagen: mit uns nicht. — Aber nun verlangen 1 000. Man muß das mal feststellen. Sie sofort eine Regelung für den Schutz der armen (Nolting [FDP]: Um 9 %) 1826 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Reschke — 9 % ist eine gute Zahl. Aber „über 1 000" in den Diese Lagen werden von denjenigen herausgekauft, Ballungsgebieten ist für die Bürger faßbar. die finanzkräftig sind. (Grünbeck [FDP]: Woran liegt denn das?) Städtebaulich umfaßt der hier angesprochene- Pro- Zweitens hat sich die Anzahl der Geldspielgeräte dra- blembereich deshalb nicht nur die Frage der Spielhal- stisch erhöht. lenflut. Darauf werden sich unsere Vorschläge rich- ten. Hinsichtlich der bauplanerischen Zulässigkeit Bei der Beratung — und das ist der zweite Grund, muß man nüchtern und sachlich feststellen, daß wir daß die Entwicklung so dramatisch ist — des neuen zwei Planungsbereiche im Innenbereich haben, in de- Baugesetzbuchs hat sich die Regierungskoalition nen es schon früher Möglichkeiten gab: überplante mehr als halbherzig verhalten. Trotz a ller Warnungen Bereiche und Bereiche, die dem § 34 unterliegen. und Ermahnungen von Wissenschaftlern, Instituten und Gemeindeverbänden hat die Regierung die Vor- Die Rechtslage nach dem alten Bundesbaugesetz schläge der SPD zurückgewiesen. und die Rechtslage neuer Art seit 1. Juli mit dem (Grünbeck [FDP]: Warum denn? Verfas neuen Baugesetzbuch unterscheiden sich nur in ei- sungswidrig!) nem Punkt — nämlich daß nach § 34 Abs. 2 des neuen Baugesetzbuches nunmehr der einfache Bebauungs- Die SPD hat schon 1986 vorgeschlagen, im Baugesetz- plan ausdrücklich gesetzlich zugelassen ist, aus- buch vorzusehen — das ist nicht verfassungswidrig, drücklich gesetzlich erwähnt ist. Mit diesem soge- sondern haben Wissenschaftler uns empfohlen — , daß nannten einfachen neuen Textbebauungsplan kann die Gemeinde einzelne Nutzungen oder Anlagen aus nach dem neuen Recht auch unerwünschte Nutzung besonderen städtebaulichen Gründen ausschließen wie z. B. die Zunahme von Spielhallen verhindert kann. Zur Stärkung der Instrumente der Bauleitpla- werden — in keinem anderen einzelnen Punkt nung war es nach unserer Auffassung erforderlich, für mehr. bestimmte Nutzungen oder Anlagen Ausschlußmög- lichkeiten zu schaffen. Es sollte möglich sein, im Au- Es muß allerdings ernsthaft die Frage gestellt wer- ßenbereich bestimmte Nutzungen aus Gründen des den, ob ein Textbebauungsplan in jedem Straßenzug Umweltschutzes und im Innenbereich aus Gründen für jeden Stadtteil die richtige Lösung ist, die richtige städtebaulich erwünschter oder unerwünschter Ent- Lösung für praktische Kommunalpolitik vor Ort. Die wicklungen auszuschließen oder zuzulassen. personelle Situation in den Städten und Gemeinden macht den Hinweis auf diese Möglichkeit geradezu Ich kann heute nur sagen: eine 1986 im Rahmen der absurd. Ohne Bebauungsplan sind die Praxis und die Beratungen über das Baugesetzbuch verpaßte Rechtsprechung nach § 34 und auch nach § 15 der Chance. Die Chance ist insofern verpaßt, als mit die- Baunutzungsverordnung, daß die Eröffnung von sen Ausschließungsmöglichkeiten tatsächlich die Spielhallen planungsrechtlich so gut wie ständig zu- Weh- und Klagegeschreie unserer Städte und Ge- lässig ist. Die Gemeinden haben keine Instrumente, meinden zum Thema Spielhallen nicht hätten zu ent- baurechtlich etwas zu verhindern. stehen brauchen. (Grünbeck [FDP]: Eine Veränderungs- Für die SPD-Bundestagsfraktion geht es mit diesem sperre!) Antrag — das darf ich klarstellen — um ein Instru- ment für Städte und Gemeinde gegen unerwünschte — Da müssen Sie einen Bebauungsplan machen. Ma- Entwicklungen in Stadtteilen, in Nebenzentren, in un- chen Sie einmal laufend Textbebauungspläne! Erzäh- seren Innenstädten, ja sogar in Straßenzügen. Es geht len sie doch nicht so einen Unsinn! Durch Wiederho- nicht um den Betreiber einer Spielhalle. Es geht nicht lung von Unsinn wird dieses doch nicht sinnvoller, lie- um das Aufstellen von Sportgeräten oder Geldspiel- ber Kollege. geräten in Gaststätten. Es geht um die ureigenste Hoheit der Gemeinden, nach einem Prozeß des Abwä- (Beifall bei der SPD — Grünbeck [FDP]: Das gens den sozialen Ausgleich zwischen den Interessen- ist kein Unsinn, das ist Realität!) gruppen in unseren Städten herbeizuführen. Unser Vorschlag ist, über die Bauleitplanung in (Beifall bei der SPD) Verbindung mit der zukünftigen Baunutzungsverord- nung den Ausschluß einzelner Nutzungen oder Anla- Das können wir als Gesetzgeber zumindest als Grund- gen aus besonderen städtebaulichen Gründen zuzu- voraussetzung für die Planungsentscheidung neh- lassen. men. Aber nicht nur die städtebaulichen Instrumentarien (Conradi [SPD]: Bei der FDP wird nicht abge sind in unserem Antrag angesprochen, es geht auch wogen, da geht es um Profit!) um die sofortige Novellierung der Spielordnung. Die Innenstädte und Nebenzentren sind unentbehrlich Eilnovellierung von 1985 hatte einen Spielhallenboom für die Identifikation der Bürger mit ihrer Stadt. Die eingeläutet. Ich sprach schon von den 1 000 Konzes- Innenstädte und Nebenzentren waren und sind Zen- sionen in eineinhalb Jahren, nicht etwa in zehn Jah- trum für Kommunikation, Handel, Kultur und Politik ren. Nach der Massierung in den Innenstädten ist seit einer Gemeinde vor Ort. Gemeinden und Städte müs- einem Jahr zu verzeichnen, daß die Spielhallenkon- sen immer mehr beobachten, daß insbesondere Spiel- zessionäre auf dem Weg in unsere Nebenzentren und hallen, jedoch auch Sex-Shops, Sex-Kinos zusammen Stadtteile schon mit sichtbaren Ergebnissen darauf mit Fast-food-Restaurants, Billigläden oder anderen aus sind, Regionen und Wohnbereiche kaputtzuma- Einzelhandelsgeschäfte verdrängen. Sogar Klein- chen. Die Folgen der Spielordnung von 1985 sind: handwerker, meine Kollegen der FDP, vor Ort werden Mittlerweise 160 000 Geldspielgeräte und 240 000 verdrängt, wie der Schneider, wie das Frisörgeschäft. Sportspielgeräte. Wir haben 5 000 Automatenaufstel- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1827

Reschke ler in der Bundesrepublik. 1 000 davon betreiben Spielverordnung ist mit restriktiven Maßnahmemög- Spielhallen, wir haben 4 000 Hallen in den Stadtteilen lichkeiten für die Gemeinden schnellstens zu novel- der Bundesrepublik und in Innenstädten. Das Ergeb- lieren, und es sind Überlegungen anzustellen, wie nis: rund 4 Hallen je Betreiber bei rund 12 000 Einzel- ganz besonders dem Kleinhandel, dem Handwerk konzessionen. Wer hier noch sagt, die Gewerbefrei- und dem Einzelhandel geholfen werden kann. Wir heit wird eingeschränkt durch restriktive Entschei- alle bedauern, daß der Markt ein unerwünschtes Ge- dungsmöglichkeiten der Gemeinden, der soll sich in schäft mit großen sozialen und kulturellen Auswir- den Zahlen und nicht nur in den Broschüren der Ver- kungen, bis hin zu städtebaulicher Verslumung gan- bände umsehen. zer Straßenzüge, zuläßt. Die Konsequenzen der SPD-Bundestagsfraktion, bezogen auf die sofortige Novellierung der Spielord- Vizepräsident Stücklen: Herr Abgeordneter, ich nung, sind: Die Übergangsfrist für Spielgeräte pro bitte Sie, die Redezeit einzuhalten. Quadratmeter alter Art sollten als Sofortmaßnahme gestrichen werden. Jede Halle darf nur noch ein Drit- Reschke (SPD): Ich komme zum Schluß, Herr Präsi- tel Geld- und muß zwei Drittel Sportgeräte enthalten. dent. Die drastische Begrenzung der Spielgeräte pro Qua- Lassen Sie doch nicht zu, daß wir im Bedauern von dratmeter: Statt 10 Geräte auf 15 Quadratmetern — irgendwelchen Leuten übertroffen werden, denn wir man muß sich das mal vorstellen: Auf der Größe eines sind der Gesetzgeber, und der ist aufgerufen, zu Spiel-, eines Kinderzimmers stehen heute teilweise handhabbaren, überschaubaren Lösungen für unsere 10 Geräte — , sollte es nur noch sechs Spielgeräte pro Städte und Gemeinden zu kommen. Halle geben, und für jeden Vergnügungsapparat Stimmen Sie bitte der Überweisung in den Fachaus- sollte eine Stellfläche von 20 Quadratmetern vorhan- den sein. Das ist übrigens nicht unser eigener Vor- schuß, in den Wirtschaftsausschuß zu, wie es der Älte- schlag, sondern dies schlägt auch der Städtetag vor. stenrat vereinbart hat. Schönen Dank. (Hört! Hört! bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Darüber hinaus ist für die neue Spielordnung über folgendes nachzudenken und festzulegen: Öffnungs- Das Wort hat der Herr Par- zeiten für diese Hallen, höherer Gewinnauswurf je Vizepräsident Stücklen: lamentarische Staatssekretär Dr. Riedl. Gerät — derzeit sind 60 % gesetzlich vorgeschrieben; wir sollten auf 80 bis 90 % kommen — , Zählgeräte zur umsatzsteuerlichen Erfassung für Geldspielautoma- Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister ten. Hier muß ich ganz deutlich sagen: Es schlägt doch für Wirtschaft: Herr Präsident! Meine sehr verehrten dem Faß den Boden aus, daß wir bei Geldspielauto- Damen und Herren! Der Antrag der Kollegen aus der maten alle möglichen Schikanen mit modernster SPD-Fraktion verfolgt das Ziel, Mißstände im Spiel- Technologie, aber noch nicht mal die Möglichkeit ha- hallenbereich zu beseitigen. Ich glaube, Herr Kollege ben, daß der Einwurf gezählt wird, die Markstücke, Westphal, es gibt überhaupt keinen Zweifel, daß es Groschen oder Fünfer, die da hineingehen. Hier gibt hier im Deutschen Bundestag eine große Mehrheit für es einen Graubereich der Subvention in der Marktver- vernünftige Vorschläge jedweder A rt geben kann und zerrung gegenüber den 240 000 Sportgeräten, die geben wird, wenn es darum geht, die Spielhallenflut aufgestellt sind, wo jede Mark, jeder Einwurf gezählt zu bekämpfen. werden. Ich glaube, man kann feststellen, daß der (Conradi [SPD]: Das hören wir gerne!) Finanzminister diesen Punkt in die Liste der zu strei- Sie haben in Ihrem Antrag eine Reihe von Maßnah- chenden Subventionen mit aufnehmen sollte. Wir men im Bereich des Gewerbe-, des Bau- und des Mie- schlagen als Sofortmaßnahme vor, den Vervielfältiger terschutzrechtes gefordert, mit denen einer Vermeh- auf diese Steuerbemessungsgrundlage nach Selbst- rung und einer weiteren Konzentration von Spielhal- einschätzung und Selbstauszählung, der zur Zeit bei len in Stadtzentren begegnet werden soll. Aber genau 1,5 liegt, auf 3 bis 4 heraufzusetzen. da beginnt jetzt die Diskussion. Wir begrüßen deshalb Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir ha- seitens der Bundesregierung — ich habe die Debatte ben noch einige Vorschläge, die die Steuerinstru- hier genau verfolgt — diesen Antrag auch deshalb, mente betreffen, und wir werden diese Vorschläge weil Gelegenheit gegeben wird — der Kollege Grün- und auch die Vorschläge im Bereich der Mietpreisbin- beck hat das ja schon gesagt — , die anstehenden Fra- dung und des Mietrechts im Fachausschuß einbrin- gen, die auch vor zwei Jahren da waren, sorgfältig gen. Das sind nicht nur unsere eigenen Vorschläge, und gründlich in den Ausschüssen zu beraten. Die sondern auch Vorschläge, die aus dem Bereich des Bundesregierung ist bereit, sich mit allen Argumenten Einzelhandels kommen und die z. B. Fragen des Mie- auseinanderzusetzen. terschutzes im Gewerbe betreffen. Der Teufel liegt allerdings im Detail, und ich möchte Ich komme damit zum Schluß. Der Antrag der SPD- einmal versuchen, zu den drei Schwerpunkten Ihres Bundestagsfraktion hat zum Ziel — das sage ich ganz Antrags Stellung zu nehmen. besonders zum Kollegen Börnsen von der CDU — : Die Zunächst zum Bereich des Gewerberechts: Es trifft Baurechtsfragen sind kurzfristig zu lösen und im Par- zu, daß sich die Zahl der Spielhallen in letzter Zeit lament zur Entscheidung zu bringen. Die Wettbe- vermehrt hat. Ich kann es Ihnen, Herr Kollege West- werbsverzerrungen über Steuerfragen sind abzu- phal, leider nicht ersparen, Ihre Beurteilung einer Äu- bauen, das Gemeindesteuererhebungsrecht für die ßerung von mir in einem Fernsehinterview als falsch Vergnügungssteuer ist besser zu qualifizieren, die bezeichnen zu müssen, denn die Statistik, die mir vor- 1828 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Parl. Staatssekretär Dr. Riedl liegt — ich habe mir erlaubt, Ihnen ein Exemplar mit- Sonstige, in der Öffentlichkeit besonders von den zubringen; ich darf es Ihnen dann übergeben — , be- Kommunen unterbreitete gewerberechtliche Vor- stätigt diese Zahlen, und ich habe mich auch nur auf schläge könnten — das haben wir im Ministe rium die Statistik bezogen. Betroffen von dieser zunehmen- sorgfältig geprüft — das Problem nicht unmittelbar den Zahl von Spielhallen sind insbesondere die Län- lösen, vielleicht mittelbar entschärfen. Aber das der Nordrhein - Westfalen, Hamburg und Bremen. müßte von Fall zu Fall noch einmal näher geprüft wer- Tatsache ist, daß bundesweit die Entwicklung in den den. letzten zwei Jahren sehr unterschiedlich verlaufen ist Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich und in weiten Bereichen eben nicht dramatisch ist. möchte jetzt etwas sagen, ohne irgendeinen der An- Aber es gibt Schwerpunktbereiche, in denen sie au- tragsteller persönlich anzusprechen; ich möchte viel- ßerordentlich dramatisch ist; das gebe ich Ihnen zu. leicht an uns alle appellieren. Ich muß mich in der Tat fragen, ob sich die Befürworter weitergehender Maß- Aber die neue Spielverordnung von 1985 — ich werde dies gleich sagen — ist daran mit Sicherheit nahmen gegen die Spielhallen nicht eine doppelte nicht schuld. Nach einer Erhebung der Wirtschaftsmi- Moral vorhalten lassen müssen. nister der Länder aus diesem Jahr hat sich die Zahl der (Westphal [SPD]: Ausgerechnet!) Spielhallen seit Inkrafttreten der Verordnung im De- Herr Kollege Westphal, schauen Sie sich doch einmal zember 1985 von 11 000 um 1 000 auf 12 000 erhöht. die Statistik an. Bei uns in Bayern ist das kein Problem. Es gab also 1 000 Spielhallen mehr in diesem Zeit- Sie haben mich vorhin freundlicherweise von meiner raum. Mehr als die Hälfte der Neuzulassungen — es Herkunft her angesprochen. Im Freistaat Bayern ist tut mir leid, wenn ich das sagen muß — entfällt auf dies kein Problem, nicht einmal in der Großstadt Mün- Nordrhein-Westfalen. Dies ist überwiegend Folge ei- chen. nes bis zum Inkrafttreten der Verordnung dort ent- Ich muß leider noch einmal auf Nordrhein-Westfa- standenen Antragstaus und ferner die Folge von len zu sprechen kommen. Die ständig wachsende Strukturveränderungen im Gewerbe. Zahl staatlich konzessionierter Spielbanken im Bun- Die Änderung der Spielordnung hatte dagegen desgebiet mit ihren enormen Besucher- und Umsatz- nicht den in Ihrem Antrag unterstellten Zweck, die zahlen muß doch in der Tat zu denken geben. In Nord- Einrichtung neuer Spielhallen schlechthin zu unter- rhein-Westfalen gibt es bislang drei konzessionierte binden. Es sollten in erster Linie Auswüchse, die nach Spielbanken. Eine vierte ist in Planung. Sie werden es dem alten Recht zu einer Massierung von Geldspiel- nicht glauben: Vierzig Städte aus Nordrhein-Westfa- geräten in Spielhallen auf kleinstem Raum geführt len haben sich um eine Lizenz für diese vierte Spiel- hatten, beseitigt werden. Ich darf Ihnen hier nur das bank beworben. Stichwort „Zellteilung von Spielhallen" entgegenset- (Frau Schoppe [GRÜNE]: Das kann ich mir zen. Dem wirkt der neue § 3 der Verordnung entge- vorstellen!) gen. — Ich kann mir gut vorstellen, daß das stimmt, weil es Der Kollege, der vorher gesprochen hat, hat offen- lukrativ ist, Frau Kollegin. Und das meine ich mit dop- sichtlich etwas verwechselt. Denn nach dem neuen pelter Moral. Ich halte es nicht für gut, wenn man die- § 3 der Verordnung ist in Spielhallen auf 15 qm sen Gesichtspunkt außer acht läßt. Grundfläche nur noch ein Geldspielgerät möglich. Es darf höchstens zehn Geräte pro Spielhalle geben — Vizepräsident Stücklen: Herr Staatssekretär, ge- damit es da kein Mißverständnis gibt. statten Sie eine Zwischenfrage? Direkte positive Auswirkungen hat diese Regelung Parl. Staatssekretär beim Bundesminister auf neu errichtete Spielhallen, in denen im Vergleich Dr. Riedl, für Wirtschaft: Ja; gern. zu früheren durchschnittlichen Regelungen nur noch etwa halb so viele Spielgeräte stehen dürfen. Darüber hinaus müssen Altunternehmen ihren Gerätebestand Westphal (SPD): Herr Staatssekretär, haben Sie ir- stufenweise im Rahmen einer angemessenen Über- gend etwas in meinem Redebeitrag gehört, was dafür gangsregelung an die neue Rechtslage anpassen, was sprechen könnte, daß ich für die Ausdehnung von letztlich zu einer Reduzierung der Geräte um 30 bis Spielbanken eingetreten bin? 40 % führen wird. Als Nebeneffekt wird dies die Ren- tabilität von Kleinstspielhallen mit hohem Gerätebe- Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister stand in Frage stellen und zu Geschäftsaufgaben füh- für Wirtschaft: Nein. Herr Kollege Westphal, das habe ren. ich nicht gehört. (Westphal [SPD]: Also können Sie mir auch Das Gewerberecht — ich stelle das hier ganz nüch- nicht doppelte Moral unterstellen!) tern und ohne Emotion fest — bietet keine Handha- ben, die Errichtung weiterer Spielhallen zu unterbin- Ich habe ja ausdrücklich gesagt, daß ich den Antrag- den. Dies wäre auch nicht mit dem unsere Wirtschaft steller damit gar nicht gemeint habe. tragenden Grundsatz der Gewerbefreiheit zu verein- Aber entschieden wird über die Anträge, eine sol- baren. Auch das Spielhallengewerbe hat als ein vom che Lizenz zu erreichen, doch von Politikern in den Gesetzgeber legal anerkanntes Gewerbe seine Exi- Kommunen. Ich habe nicht den Eindruck, daß es unter stenzberechtigung. So wollen denn auch die Gegner den vierzig Städten in Nordrhein-Westfalen, die sich der Spielhallen keine Zulassungssperre, sondern le- beworben haben, auch nur eine gibt, in der die SPD diglich eine weitere Anhäufung von Spielhallen in nicht vertreten ist. Sie haben doch in Nordrhein-West- besonders anfälligen Stadtzentren verhindern. falen eine durchwachsene Mehrheitsstruktur in den Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1829

Parl. Staatssekretär Dr. Riedl I Städten, Herr Kollege Westphal. Ich muß das hier wähnt — in Betracht. Darüber kann man sich unter- doch einmal sagen, weil es gar keinen Sinn hat, wenn halten. wir uns hier mit Anträgen befassen, die vor Ort besser geregelt werden können. (Vorsitz: Vizepräsident Cronenberg) Ein Zweites zum Baurecht — und das scheint mir der wesentlichste Punkt zu sein — : Die Bundesregie- Gestatten Sie eine weitere Vizepräsident Stücklen: rung ist der Auffassung, daß das Städtebaurecht den Zwischenfrage? erforderlichen Beitrag zur Lösung der durch die Zu- nahme von Spielhallen entstandenen Probleme lei- Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister stet. Dabei ist allerdings grundsätzlich zu berücksich- für Wirtschaft: Bitte sehr. tigen, daß Aufgabe des Städtebaurechts nur sein kann, sicherzustellen, daß aus Gründen einer geord- neten städtebaulichen Entwicklung Vergnügungs- Westphal (SPD): Abgesehen von der Tatsache, daß stätten, z. B. Spielhallen, an den dafür geeigneten alles versucht worden ist, um abzuwehren, frage ich Standorten errichtet werden und eine nachteilige Um- Sie, Herr Staatssekretär, ob Ihnen bekannt ist, daß strukturierung eines Gebiets verhindert wird. z. B. der Oberbürgermeister der Stadt München sich intensivst bemüht hat, zu verhindern, daß es eine Aus- Das bisher geltende, durch das am 1. Juli 1987 in dehnung dieser Spielhallenflut bis in den Münchener Kraft getretene Baugesetzbuch übernommene und Hauptbahnhof hinein gibt. Er hat das zusammen mit verbesserte Städtebaurecht enthält weitgehende Re- dem dortigen Erzbischöflichen Ordina riat getan. Ich gelungen zur Verhinderung städtebaulich uner- will Ihnen nur deutlich machen, daß die Struktur un- wünschter Spielhallen. Ich würde Ihnen wirklich serer Länder tatsächlich unterschiedlich ist. Bei uns in empfehlen, Ihre zuständigen Kommunalpolitiker zur Nordrhein-Westfalen ist eine Stadt neben der ande- Beratung zu uns zu schicken. Sie können sich gern an ren. Bei Ihnen sind es Dörfer nebeneinander. Da ge- die Experten im Bundeswirtschaftsministerium oder nügt eine Spielhalle, um den Charakter der Dorfmitte im Wohnungsbauministerium wenden. Die nach der zu verschlechtern. höchstrichterlichen Rechtsprechung bestätigte Rechtslage ermöglicht, Vergnüngungsstätten, z. B. Spielhallen, in Gebieten mit Bebauungsplänen und in Dr. Riedl, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister den nichtbeplanten Innenbereichen nur in beschränk- für Wirtschaft: Herr Kollege Westphal, da sind doch tem Maße zuzulassen. die Kommunen gefragt. Auch ich habe zu den Abge- ordneten in München gehört, die beim Vorstand der (Grünbeck [FDP]: So ist es!) Deutschen Bundesbahn herzlich gebeten haben, Vor allem gehören Spielhallen in größerem Einzugs- keine Spielhalle im Münchener Hauptbahnhof ein- bereich grundsätzlich nur in die Kerngebiete der richten zu lassen. Da hat mir der Vorstandvorsitzer Städte und sind auch dort nur zulässig, wenn sie nach erklärt: Herr Riedl, auf der anderen Seite macht ihr im Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Haushaltsausschuß der Deutschen Bundesbahn Vor- vorhandenen Eigenart des Gebietes nicht widerspre- schriften, sie solle ihre Anlagen möglichst wirtschaft- chen. lich vermieten. Auch die im Entschließungsantrag von Ihnen gefor- (Westphal [SPD]: Das bestätigt meine Ten derte Möglichkeit der Gemeinden, bestimmte Nut- -denz!) zungen oder Anlagen zu beschränken oder zu verhin- Es gibt nun einmal bei einer Verpachtung für Spiel- dern, ist bereits im geltenden Städtebaurecht enthal- hallen enorm hohe Mieterträge zu erzielen, die die ten. Die Kommunen brauchen es ja nur anzuwenden. Bundesbahn braucht, wenn sie nach den Grundsätzen Nach Maßgabe des § 1 Abs. 5 und 9 der Baunutzungs- der Wirtschaftlichkeit arbeiten soll. Ich will nur noch verordnung können in Bebauungsplänen mit der einmal sagen, wie schwierig die Probleme im Detail Festsetzung von Baugebieten auch Spielhallen ausge- sind. schlossen werden. Dies ist erst vor kurzem durch zwei (Pfeffermann [SPD]: Also noch mal weiter: Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, Wie war das mit dem Land vom Heiligen nämlich vom 22. Mai 1987, ausdrücklich bestätigt Johannes?) worden. — Herr Kollege Pfeffermann, ich möchte dieses Red- (Grünbeck [FDP]: Das wissen die auch!) nerpult nicht mit einer Kanzel verwechseln. Aber ich Beide Entscheidungen verdeutlichen die planungs- bin gern bereit, hinterher bei einem Glas Bier mit rechtlichen Möglichkeiten zur Einschränkung von Ihnen über dieses Thema zu reden. Spielhallen und stellen damit eine echte Hilfe für die Trotz der von mir dargelegten geringen gewerbe- gemeindliche Planungspraxis dar. Man muß den Ju- rechtlichen Handlungsspielräume ist die Bundesre- stitiar der Gemeinde nur mit sinnvollen Aufgaben be- gierung gern bereit, die Realisierungsmöglichkeiten schäftigen; dann kommt er schon dahinter. Das Bau- solcher Vorschläge und anderer, wie sie heute ge- recht ist schwierig — ich rede als Bet riebswirt und macht worden sind, nochmals — ich habe es schon Nichtjurist relativ leicht darüber —, gesagt — eingehend zu prüfen, auch mit Ihnen in den (Bohl [CDU/CSU]: Aber gut!) zuständigen Ausschüssen. In erster Linie käme wohl die schon erwähnte Reduzierung der Spielanreize der aber es lohnt sich, es zu studieren. — Aber es ist gut,

Geräte durch Reduzierung der Sonder - und Risiko- Herr Abgeordneter, da gebe ich Ihnen recht. Es ist ja spiele — der Kollege Grünbeck hat das bereits er- auch von uns mit Mehrheit verabschiedet worden. 1830 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Parl. Staatssekretär Dr. Riedl Das am 1. Juli 1987 in Kraft getretene Baugesetz- dem Parlament gerne zur Verwirklichung solcher buch enthält für die Bauleitplanung eine zusätzliche Vorschläge bereit ist. Regelung von erheblicher praktischer Bedeutung. Ich Vielen Dank. darf Ihnen das hier kurz erläutern: Schon während des Verfahrens zur Aufstellung oder Änderung von Be- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) bauungsplänen können die künftigen Plangebiete ge- gen die Einrichtung von Vergnügungsstätten, auch Vizepräsident Cronenberg: Meine Damen und Her- soweit damit die Nutzungsänderung eines Ladenlo- ren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. kals in eine Spielhalle ohne bauliche Maßnahme ver- Die Fraktion DIE GRÜNEN hat entgegen der Ver- bunden ist, durch eine Veränderungssperre gemäß einbarung im Ältestenrat beantragt, den Antrag zur § 14 Baugesetzbuch vorläufig gesichert werden. Das Eindämmung der Spielhallenflut federführend nicht ist eine ganz klare Vorschrift. Das Städtebaurecht er- an den Ausschuß für Wirtschaft, sondern an den Aus- möglicht daher den Gemeinden, die aus städtebauli- schuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zu chen Gründen erforderlichen Planungen zur Verhin- überweisen. Wer stimmt diesem Antrag der GRÜNEN derung oder Beschränkung von Spielhallen vorzuneh- zu? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich? — men. Es kommt nun darauf an, daß die Gemeinden die Damit ist dieser Antrag abgelehnt. vorhandenen Möglichkeiten auch ausschöpfen und dort, wo es nötig ist, Bebauungspläne aufstellen oder Wir stimmen nunmehr über den Überweisungsvor- ergänzen. schlag des Ältestenrates ab. Wer stimmt diesem Vor- schlag zu? — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält Weitergehende und im Entschließungsantrag ge- sich? — Bei gemischtem Abstimmungsverhalten der forderte Regelungen im Baugesetzbuch sind aus An- GRÜNEN ist dieser Überweisungsvorschlag ange- laß der Beratungen des Deutschen Bundestages zum nommen worden. Baugesetzbuch — der Kollege Grünbeck hat es ge- sagt — eingehend geprüft, aber nicht aufgegriffen Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 und 9 auf: worden, insbesondere weil die Regelung nicht auf die eigentlichen Problemfälle, z. B. Spielhallen, hätte be- Erste Beratung des von der Bundesregierung schränkt werden können. Auf den Bericht des feder- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über führenden Ausschusses vom 15. Oktober 1986 nehme die Sicherung und Nutzung von Archivgut des ich Bezug. Bundes (Bundesarchivgesetz — BArchG) — Drucksache 11/498 — Ergänzend weise ich darauf hin, daß die Baunut- zungsverordnung in dieser Legislaturpe riode von die- Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: sem Bundestag novelliert werden soll. Sie bildet die Innenausschuß (federführend) Finanzausschuß Grundlage für die Bauleitplanung der Gemeinden Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und regelt die Zulässigkeit von Vorhaben in den Bau- Erste Beratung des von der Bundesregierung gebieten. In die inzwischen vom Bundesminister für eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Raumordnung, Bauwesen und Städtebau eingeleitete die zentrale Archivierung von Unterlagen aus Gesamtüberprüfung dieser Verordnung ist auch die dem Bereich des Kriegsfolgenrechts Spielhallenproblematik einbezogen. Über die bereits vorhandenen Regelungen hinaus wird außerdem die — Drucksache 11/642 — Einführung einer gesonderten Regelung über die Zu- Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: lässigkeit bestimmter Vergnügungsstätten, wie z. B. Innenausschuß (federführend) Spielhallen, in den Baugebieten geprüft, die aber Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß I 96 GO ebenfalls auf die städtebaulichen Erfordernisse be- Im Ältestenrat ist vereinbart worden, daß eine ge- schränkt bleiben muß. Allerdings bedarf eine solche meinsame Beratung über diesen Tagesordnungs- zusätzliche Regelung noch der Erörterung mit den punkt stattfindet und die Fraktionen jeweils einen Beteiligten; es ist noch nicht soweit. Beitrag von fünf Minuten leisten. — Widerspruch da- gegen — so sehe ich — erhebt sich nicht. Dann ist dies Darf ich abschließend ganz kurz zu dem dritten beschlossen. Punkt einige wenige Bemerkungen machen. Zur Frage einer Verstärkung des Mieterschutzes für Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abge- kleine und mittlere Gewerbetreibende hat die Bun- ordnete Weiß aus Kaiserslautern. desregierung bereits in ihrer Antwort vom 21. Juli 1986 auf die Kleine Anfrage der SPD-Fraktion -zur WeiB (Kaiserslautern) (CDU/CSU): Herr Präsident! Lage mittelständischer Gewerbebetriebe, insbeson- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist uns dere kleiner Einzelhandelsgeschäfte in den Stadtzen- gelungen, dieses wichtige Gesetz noch vor dem Ran- tren ausführlich Stellung genommen. Ich darf aus gierbahnhof in München zu beraten. Ich halte es für Zeitgründen darauf verweisen. ein bedeutungsvolles Gesetz. Es ist hier zum zweiten Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich mal von der Bundesregierung eingebracht worden. glaube, bei etwas gutem Willen, vor allen Dingen mit Die erste Einbringung war im 10. Deutschen Bundes- der gebotenen Sachlichkeit und mit dem Appell, tag; heute haben wir den Gesetzentwurf wieder vor Scheinheiligkeit möglichst zu vermeiden, wird es ge- uns liegen. lingen, die einzelnen Vorschläge in den Ausschüssen, Man kann es bedauern, daß es dem Parlament in in die wir den Antrag jetzt zu überweisen haben, zu der 10. Legislaturperiode nicht gelungen ist, das Ge- überprüfen. Sie können davon ausgehen, daß die setz zu beraten und zu verabschieden. Ich sehe dies Bundesregierung bei vernünftigen Vorschlägen aus andererseits aber nicht als einen Nachteil an, da in der Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1831

Weiß (Kaiserslautern) Zwischenzeit interne Absprachen möglich waren, da- die Gesetze zu straffen. Eine zweite Bemerkung: Der mit dieses Gesetz nun zügig verabschiedet werden Gesetzentwurf ist sehr klar und deutlich. Kürze und kann. Klarheit sind bemerkenswerte Merkmale dieses Ent- wurfs. Allen, die an diesem Gesetzentwurf mitgear- Ich kann mich bei meinen Anmerkungen zu diesem beitet haben, verdienen, daß wir ihnen ein Lob aus- Gesetz auf das beziehen, was ich in der 143. Sitzung sprechen. der 10. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages ausgeführt habe. Das Gesetz dient der Sicherung und Wir stimmen dem Überweisungsvorschlag zu. Nutzung von Archivgut des Bundes. Erstens soll si- Ebenfalls stimmen wir dem Überweisungsvorschlag chergestellt werden, daß die bei den Verfassungsor- zu dem Entwurf eines Gesetzes über die Zentrale Ar- ganen und Dienststellen des Bundes anfallenden hi- chivierung von Unterlagen aus dem Bereich des storisch bedeutsamen Unterlagen vor Zersplitterung Kriegsfolgenrechts zu. und unkontrollierter Vernichtung bewahrt werden. Ich bedanke mich sehr. Zweitens soll der Beg riff des Archivguts verbindlich (Beifall bei der CDU/CSU) definiert werden, und drittens soll sichergestellt wer- den, daß die Benutzung des Archivguts unter Beach- tung der persönlichkeits- und datenschutzrechtlichen Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat die Abge- Erfordernisse eindeutig und rechtsverbindlich gere- ordnete Frau Hämmerle. gelt wird.

Das Gesetz ist notwendig. Der Kabinettsbeschluß Frau Hämmerle (SPD): Herr Präsident! Meine Da- vom März 1950 über die Errichtung des Bundesar- men und Herren! Herr Kollege Weiß hat schon darauf chivs ist keine geeignete Rechtsgrundlage mehr zur hingewiesen, daß dieses Gesetz schon einmal in die- Regelung der Sachverhalte. Zu bemerken ist in die- sem Hause beraten worden ist. Damals, am 13. Juni sem Zusammenhang auch, daß der Bundesbeauf- 1985, waren sich die Redner aller Fraktionen darüber tragte für den Datenschutz in mehreren Tätigkeitsbe- einig, daß dieses Gesetz wichtig, nützlich und schon richten ebenfalls ein Bundesarchivgesetz gefordert lange überfällig sei, sollen hier doch die technischen hat. und administrativen Regeln für „die Speicherung des Gedächtnisses unseres Volkes" organisiert und auf Auch die Länder stehen vor der Notwendigkeit, Ar- eine gesetzliche Grundlage gestellt werden. Diese chivgesetze zu erlassen. Sie werden sich in der Ziel- Auffassung unterstreicht die SPD auch heute. richtung an den Grundsätzen des Bundesarchivgeset- zes orientieren wollen. Unserem Gesetz kommt des- Die Absicht des Gesetzes, die bei den Verfassungs- halb eine Pilotfunktion zu. organen und Dienststellen des Bundes anfallenden historisch bedeutsamen Unterlagen vor der Zersplitte- Aber auch die wissenschaftliche Forschung erwar- rung, der Veruntreuung oder gar dem Reißwolf zu tet, daß die Bedingungen, unter denen die Unterlagen bewahren, ist bei allen anerkannt. Es kam dennoch des Bundes und der Länder benutzt werden, rechts- nicht zur Verabschiedung, weil sich die Koalition — so verbindlich umschrieben werden. Die vielfältigen das Protokoll des Innenausschusses vom März 1986 — persönlichkeitsschutz- und datenschutzrechtlichen über wichtige Punkte, z. B. über die Frage der Anony- Probleme lassen nicht zu, daß das Archivwesen wie misierung, nicht einig war. Wir werden sehen, ob sich bisher lediglich durch Verwaltungsvorschriften gere- das bis heute geändert hat. gelt wird. Im Hinblick auf die bestehenden strengen datenschutzrechtlichen Vorschriften wird durch das Die SPD-Fraktion und der Innenausschuß haben zur Gesetz eine datenöffnende bereichsspezifische Rege- Klärung der strittigen Fragen bereits in der letzten lung getroffen, die wissenschaftliche und archivfach- Wahlperiode eine Anhörung mit Historikern, Archiva- liche Belange sowie das Nutzungsrecht des Bürgers ren und Datenschützern durchgeführt, die zur Mei- angemessen berücksichtigt, ohne die schutzwürdigen nungsbildung außerordentlich hilfreich war. Es kann Interessen des Bürgers und des Staates zu verletzen. heute in der Kürze der Zeit von fünf Minuten also nur Hierbei sind auch Probleme zu lösen, die sich aus dem darum gehen, unsere Meinung zu den strittigen Punk- Steuergeheimnis nach der Abgabenordnung und dem ten zu verdeutlichen. Sozialgeheimnis aus dem Sozialgesetzbuch, dem Zur Anonymisierung: Geschichtsforschung ist von Bank- und Arztgeheimnis sowie anderen den Persön- Personen nicht zu trennen. Deswegen würde eine lichkeitsschutz sichernden oder Vertrauensschutz ge- Anonymisierung in den meisten Fällen eine Ge- währenden gesetzlichen oder gesetzlich verankerten schichtsverfälschung darstellen. Vorschriften ergeben. (Conradi [SPD]: Filbinger!) Eine gewisse Rolle wird in den Ausschußberatun- Anonymisierte Unterlagen sind für die Forschung gen auch die Anonymisierung bestehender Unterla- wertlos. Eine grundsätzliche Anonymisierung ist also gen vor der Übergabe an das Bundesarchiv spielen. abzulehnen. Sie soll allenfalls in einer dem Benutzer Hier werden wir sicher zu einer Einigung kommen. des Archivgutes überlassenen Kopie vorübergehend Aber es sollte der Grundsatz gelten, daß Urkunde möglich sein. Allerdings muß Personen, die davon Urkunde bleibt. Dies würde dann nur für die Kopien betroffen sind, die Möglichkeit einer Gegendarstel- zutreffen. lung gegeben werden. Ich möchte zum Schluß feststellen, daß der Gesetz- Zum Datenschutz bereits verstorbener Personen entwurf mit zwölf Paragraphen von erfreulicher Kürze hält die SPD die bisher ins Auge gefaßten Sperrfristen ist. Die Bundesregierung ist der Aufforderung des In- für zu lang. Es ist im Entwurf vorgesehen, daß sie nenausschusses aus dem Jahre 1981 nachgekommen, 30 Jahre nach dem Tod bzw., wenn das Todesdatum 1832 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Frau Hämmerle nicht festgestellt werden kann, 120 Jahre nach der mann! — Zuruf von der SPD: Gibt's dafür Geburt des Betroffenen betragen sollen. So lange Fri- noch eine Runde?) sten könnten z. B. dazu führen, daß die Erforschung Aber man wird allseitiges Einverständnis dahin erzie- der Zeit des Nationalsozialismus, die von Personen len können, daß diese Frage nicht von zeithistori- nicht zu trennen ist, um Jahrzehnte verschoben wer- schem Interesse ist. den müßte. (Dr. Nöbel [SPD]: So ist es!) Man muß also beides voneinander abschichten, und das soll nicht auf dem Wege der Schwärzung von Dafür ein Beispiel: Personen, auf die dies zutrifft, müß- Akten geschehen, sondern dadurch, daß wir die ten vor dem Jahr 1867 geboren sein, damit heute das — teilweise sehr beachtliche — Neugier von Zeit- Archivgut verwendet werden kann. historikern auf geeignetem technischen Wege be- (Zuruf von der SPD: Unglaublich!) schränken. Wir haben ja bei der Anhörung, die er- Wir halten es deshalb für notwendig, daß diese Sperr- wähnt worden ist, erfahren, daß manche Zeithistori- fristen noch einmal in die Diskussion des Ausschusses ker die Vorstellung haben: Datenschutz ist eine feine kommen. Wir halten zehn Jahre nach dem Tod und Sache; nur darf er uns nicht beeinträchtigen. Das ist 90 Jahre nach der Geburt für eine Diskussionsgrund- natürlich eine Posi tion, die man auf Dauer nicht ein- lage. nehmen kann. (Dr. Nöbel [SPD]: Sehr gut!) Ich möchte ich zwei auch etwas skep tische Bemer- kungen machen. Man hat gelegentlich die Archive als Wir hoffen, daß nach diesem erneuten Anlauf nun das Gedächtnis der Nation bezeichnet. Ich finde, das eine zügige Verabschiedung dieses wich tigen Geset- ist eine beachtliche Überhöhung. Wenn zum Ge- zes erfolgt. Ich möchte in aller Kürze noch darlegen, dächtnis einer Nation nur das gehörte, was in Tinte daß wir auch nichts gegen eine zentrale Archivierung und Druckerschwärze geronnen auf Papier gelangt, der Akten des Archivguts aus dem Kriegsfolgenrecht ist, dann wäre das eine sehr einseitige Veranstal- haben. Es liegt uns allerdings ein massiver Einspruch tung. des Bundesverbandes der kommunalen Spitzenver- bände vor, und wir sind der Auffassung, daß solche (Dr. Nöbel [SPD]: Eine Nation ohne Köpfe!) Einsprüche in die Diskussionen der Ausschüsse mit Ich meine, daß zum Gedächtnis der Nation die Erin- einbezogen werden müssen. Wir wollen allerdings nerung der Menschen ebenso gehört wie Bilder, nicht den zweiten Schritt vor dem ersten tun, sondern Denkmäler, Lieder. Alles das ist Gedächtnis der Na- hier und heute und auch im Ausschuß dafür sorgen, tion, nicht nur das, was in einem Archiv ist. Die Archi- daß das Bundesarchivgesetz nun endlich zügig verab- vare sind im Grunde genommen eine höhere Art von schiedet werden kann. Nachlaßpflegern. Sie erfassen aber nur einen Teilaus- (Beifall bei der SPD) schnitt des Lebens, sicherlich einen interessanten. Meine zweite Bemerkung: Im 15. Jahrhundert hat Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Herr man versucht, das erste Reichsarchiv zu bilden. Seit Abgeordnete Dr. Hirsch. damals ist der Gebrauch von Papier in ungeheurem Maße angeschwollen.

Dr. Hirsch (FDP): Herr Präsident! Meine sehr ver- (Zuruf von der SPD: Auch hier im Hause!) ehrten Damen und Herren! Im Gegensatz zu meinen Ich frage mich, ob es den Zeithistorikern so geht wie verehrten Vorrednern bin ich nicht der Überzeugung, uns hier im Hause. Das heißt, wenn man alles liest, daß die Welt und die Archive des Bundes und der was einem vorgelegt wird, kommt man nicht mehr Länder zusammenbrechen würden, wenn wir diese dazu, über das nachzudenken, was man liest. Mein Gesetze — es sind ja 12, ein Bundesgesetz und elf Kollege Kleinert würde sagen: Allzu große Nähe zum Landesgesetze — nicht machen würden. Aber ange- Detail erschwert den Überblick. sichts der langen Vorarbeiten, die in der Tat geleistet worden sind und von denen ich sicher bin, daß sie zu (Heiterkeit) einem guten und vernünftigen Abschluß führen, so- Wenn spätere Historiker die ungeheure gesammelte wie angesichts des in der Tat bestehenden Gegensat- Papierflut, die nach diesem Gesetz möglicherweise in zes der Interessen — nämlich auf der einen Seite Vor- ein Archiv gebracht wird, lesen und sich da durchfres- gänge von zeitgeschichtlicher oder längerdauernder sen sollten, wäre das das Ende jeder geregelten Ge- Bedeutung aufzubewahren und jedermann zugäng- schichtsschreibung. Niemand hätte mehr die Chance, lich zu machen und auf der anderen Seite das Privat- über irgendwelche historischen Vorgänge nachzu- leben der Menschen vor öffentlicher Neugier und denken, wenn er alles lesen müßte, was seit Karl dem Ausschlachtung zu schützen — ist natürlich ein Ge- Großen und insbesondere im Laufe dieses Jahrhun- setz ganz sinnvoll. derts zu Papier gebracht worden ist. Ich will das an einem Beispiel deutlich machen. Ein (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Und das, was lückenlos geführtes Archiv hätte die in den letzten heute abend dazukommt! — Abg. Duve Tagen in diesem Hause mehrfach erörterte Frage [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage) zweifelsfrei gelöst, welche Mitglieder dieses Hauses eine Nacht in der chinesischen Staatsbahn erster Darum, Herr Kollege Duve — ich weiß nicht, was Sie Klasse verbracht haben. fragen wollen, aber ich will Ihnen die Antwort ge- ben — , (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Nöbel [SPD]: Alle außer Mölle- (Heiterkeit) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1833

Dr. Hirsch ist es notwendig, daß die Archivare ihrer Verantwor- festgestellt, daß der vorgelegte Gesetzentwurf der tung gerecht werden, d. h. das Gesetz nicht ausschöp- Bundesregierung — Drucksache 11/498 — völlig fen, d. h. von der lückenlosen Ablieferungspflicht nur identisch ist mit dem Gesetzentwurf der letzten Legis- einen ganz zurückhaltenden Gebrauch machen und laturperiode auf Drucksache 10/3074 ist. sich wirklich darauf beschränken, nur das in ihre Ar- Ich muß sagen: Ich finde es schon ein ziemliches chive zu nehmen, was wirklich von großer, von größe- Armutszeugnis, daß nach zwei Jahren Debatte und rer Bedeutung ist. nach zwei Anhörungen — eine innerhalb der SPD Fraktion, eine innerhalb des Innenausschusses; a lles Vizepräsident Cronenberg: Sie gestatten eine Zwi- schon im Jahre 1985 — nicht ein einziger Änderungs- schenfrage, obwohl das bei den Kurzdebatten und und Verbesserungsvorschlag in das Gesetz aufge- 5-Minuten-Beiträgen nicht üblich, im Grunde genom- nommen worden ist. Wenn ich das sehe, habe ich men sogar geschäftsordnungswidrig ist? wenig Hoffnung, daß Sie hier schnell zu Potte kom- men. Aber gründliche Diskussionen sind vielleicht ge- Dr. Hirsch (FDP): Wer kann dem Kollegen Duve rade bei diesem Thema sehr angemessen. ernsthaft eine Frage zu diesem Thema verweigern? (Duve [SPD]: Die Vorschläge liegen vor!) Duve (SPD): Herr Präsident, wenn Sie es dem Kol- Der vorherrschende Gedanke bei diesem Gesetz- legen Hirsch nicht anrechnen, will ich meine Frage entwurf ist ein bürokratisch verwaltend-autoritärer; doch stellen. denn die Nutzung der Archive ist ausschließlich für Ist Ihnen bekannt, daß Ihre Darstellung des Zeit- Gerichte, Behörden und Wissenschaftler gedacht, historikers ganz und gar falsch war? Der frißt sich nicht jedoch für Bürger und Bürgerinnen, über die die natürlich nicht durch, sondern er versucht, selbst zu meisten Daten in diesen Archiven enthalten sind. entscheiden, was er braucht und was er nicht braucht. (Dr. Nöbel [SPD]: Aber, gute Frau! — Zuruf Dieses Selbstentscheiden ist das entscheidende von der CDU/CSU: Nicht gelesen!) Merkmal, weder der Archivar noch die Regierung. — Nun hören Sie mal noch zu Ende zu. Dr. Hirsch (FDP): Verehrter Herr Kollege, das ist mir Gemäß § 5 soll das Nutzungsrecht an dem Archiv- natürlich nicht bekannt, sonst hätte ich nicht darge- gut des Bundes zwar jedermann, jederfrau auf Antrag stellt, was ich gesagt habe. Ich bin einfach anderer zustehen Meinung als Sie. Wir haben eine Anhörung gemacht, und ich habe dabei, nicht von allen — das muß ich (Zuruf des Abg. Dr.-Ing. Kansy [CDU/ sagen — , aber doch von einigen Zeithistorikern ein CSU]) totales Unverständnis für den Schutz der Privatsphäre — nein, ich habe es gelesen — , allerdings nur zu von Menschen gefunden. Wenn die totale Abliefe- amtlichen, wissenschaftlichen oder publizistischen rungspflicht, die das Gesetz vorsieht, ausgeschöpft Zwecken oder zur Wahrung berechtigter persönlicher würde und die Zeithistoriker wirklich alles lesen wür- Belange — und dieses auch nur, soweit durch Rechts- den und könnten, was irgendein Beamter im Laufe vorschrift nichts anderes bestimmt ist. seines segensreichen Lebens auf Papier bringt, dann wäre auch nach meiner Überzeugung wirklich jede Die blöde kurze Redezeit verhindert es, daß ich Ih- zeitgeschichtliche, jede historische Forschung am nen heute hier ein Beispiel b ringe, bei dem ich erlebt Ende. habe, wie schwierig es war. Ich werde es bei der abschließenden Debatte hoffentlich noch ausführli- Deswegen sage ich noch einmal, wir werden uns cher schildern können. wird sich ja auch bemühen, dieses Gesetz zu machen. Das wird mit der erinnern, wie schwierig es für Roma und Sinti in Ham- nötigen Beschleunigung und, wie ich ganz sicher bin burg war, an die Akten zu kommen, mit welchen dum- nach all den Gesprächen, die ich geführt habe, mit men und wirklich auch gemeinen Unterstellungen das vernünftigen Ergebnissen zu Ende gebracht wer- verhindert wurde. den. In diesem Zusammenhang zitiere ich Herrn Profes- (Dr. Nöbel [SPD]: A lles ins Eisenbahn- sor Podlech, der in seiner Stellungnahme zum Bun- archiv!) desarchivgesetz ausgeführt hat, daß jedenfalls gegen- — Die chinesische Staatsbahn hat sicherlich ein eige- wärtig die Funktionsfähigkeit der Archive — ich lasse nes Archiv. ein bißchen aus — weniger durch aktuell in Anspruch (Heiterkeit) genommene Persönlichkeitsrechte p rivater Personen, Das Wichtige ist eigentlich, daß alle Beteiligten be-- sondern durch Ängste vor nonkonformistischen Ana- greifen, daß sie dann, wenn sie den gesetzlichen Rah- lysen mit Hilfe des Inhalts von Archiven beeinträchtigt men ausschöpfen, ihre eigene Tätigkeit zum Erliegen ist. Er meinte: „Datenschutz ist sehr häufig ein Vor- bringen. wand, um unerwünschte Veröffentlichungen zu ver- hindern. " Dem kann ich nach allen Erfahrungen, die Vielen Dank. ich gemacht habe, nur zustimmen. (Beifall bei der FDP und bei der CDU/CSU) (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Sind Sie gegen Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat die Abge- ordnete Frau Schmidt-Bott. Datenschutz?) Wir ziehen das Fazit: Wir wollen kein Bundesarchiv Frau Schmidt-Bott (GRÜNE): Herr Hirsch, Ihr Wort, ausschließlich für Gerichte, für Behörden und für Wis- daß nun alles schneller geht, in Gottes Ohr. Ich habe senschaftler, sondern für jeden nach denselben Be- 1834 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Frau Schmidt-Bott dingungen. Wir wollen keine Unterscheidung. Daten- rechts —, ist eine Regelung des Zugangs von regiona- schutz ist nicht dadurch gewährleistet, daß pauschal len, von örtlichen Archiven, welche Rechte sie eigent- Bürgerinnen und Bürger von der Nutzung solcher Ar- lich haben, auf die Daten, die sie dorthin geliefert chive ausgeschlossen sind. haben, bei Bedarf zurückzugreifen. Das fehlt sowohl Der zweite wesentliche Kritikpunkt sind aus unse- im Bundesarchivgesetz als auch in dem Gesetz über rer Sicht die durch den Gesetzentwurf möglichen Ver- die Archivierung von Unterlagen aus dem Bereich des fälschungen und Manipulationen. Zunächst kritisie- Kriegsfolgenrechts. ren wir in diesem Zusammenhang, daß die gesetzge- benden Körperschaften in eigener Zuständigkeit ent- Vizepräsident Cronenberg: Frau Abgeordnete, ich scheiden sollen, ob sie Unterlagen anbieten und über- wäre Ihnen dankbar, wenn Sie die Großzügigkeit des geben. Hierzu Professor Holdfordt — Zitat — : Präsidenten nicht überstrapazieren würden. Es lassen sich sehr gut Situationen denken, in (GRÜNE): Da Sie so sehr gedul- denen die Behörde auch ein Interesse daran hat, Frau Schmidt-Bott dig waren, höre ich jetzt auch sofort auf. Dinge untergehen zu lassen. (Beifall bei den GRÜNEN) Auch dem kann ich aus meiner Erfahrung nur zustim- men. Es kann nach unserer Auffassung nicht im Er- messen der abgebenden Stelle allein liegen, was sie Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Parla- mentarische Staatssekretär Spranger. weitergibt und was nicht. Da messen wir bei allen Vorbehalten, die ich auch persönlich habe, der Kom- petenz der Archivare schon sehr viel mehr Gewicht Spranger, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister bei. des Innern: Herr Präsident! Meine Damen und Her- ren! Der neu eingebrachte Entwurf des Bundesarchiv- Zu den Möglichkeiten der Manipulation und Ver- gesetzes trifft nicht nur Regelungen für den engeren fälschung gehören auch die vorgeschlagenen Rege- Bereich des Archivwesens und der historischen For- lungen der Anonymisierung. Da kann ich im wesent- schung, er begründet auch erstmals in der deutschen lichen den Ausführungen von Frau Hämmerle von der Geschichte ein Recht jedes Bürgers auf die Nutzung SPD zustimmen. Es ist zum ersten an keiner Stelle von Archiven durch Gesetz. Insofern entspricht natür- definiert, was eigentlich die Anonymisierung bedeu- lich die Interpretation von Frau Schmidt-Bott absolut ten soll: etwa die Vernichtung von Originalunterla- nicht dem vorliegenden Gesetzentwurf. gen, die Schwärzung von Originalunterlagen, was völlig gegen archivarische Grundsätze verstoßen Der moderne demokratische Kulturstaat kann ohne würde? Archive seinen politischen Bildungsauftrag nicht er- füllen. Deshalb fördert der Gesetzentwurf die Infor- Der zweite, für mich persönlich fast noch wich tigere mations- und Wissenschaftsfreiheit und umschreibt Gesichtspunkt ist folgender. Eine Anonymisierung sie für die Nutzung von Archiven rechtsverbindlich. von Unterlagen soll möglich sein beim Bestreiten des Das Bundesarchivgesetz trifft vor allem in Ergänzung Inhalts durch die Betoffenen. Das ist ja wohl unhalt- der bestehenden Datenschutzvorschriften eine die bar. Ich hoffe, die Regierung und die Koalition sehen Nutzung von Daten öffnende bereichsspezifische Re- das inzwischen auch so. Als Beispiel und Stichwort gelung. Diese Regelung berücksichtigt die wissen- möchte ich nur sagen: Damit hätten Herr Globke, Herr schaftlichen und archivfachlichen Belange sowie das Filbinger und weitere jederzeit die Möglichkeit ge- Nutzungsrecht des Bürgers angemessen, ohne die habt, ihre Beteiligung an der Nazi-Vergangenheit zu schutzwürdigen Interessen der Betroffenen und des löschen bzw. sperren zu lassen. Staates zu beeinträchtigen. (Weiß [Kaiserslautern] [CDU/CSU]: Das hat Zum näheren Inhalt haben die Vorredner, insbeson- mit der Sache doch überhaupt nichts zu dere der Abgeordnete Weiß, einzelnes schon zutref- tun!) fend dargestellt. Ich nehme darauf Bezug und weise nur noch auf die besonders bedeutsame Regelung hin, Ich konzentriere mich jetzt kurz noch auf ein paar daß das Gesetz die Benutzung von Archiven unter Punkte, die diesen Gesetzentwurf ebenfalls kenn- Beachtung der persönlichkeitsschutz- und daten- zeichnen. Ich wende mich dem zu, was fehlt, was dort schutzrechtlichen Erfordernisse eindeutig und rechts- nicht steht. Es fehlt eine Bestimmung, wonach Be- verbindlich regelt. Die Rechtsgüterabwägung zwi- lange von Amtsträgern, die in Ausübung ihres Amts schen Informations- und Wissenschaftsfreiheit einer- in Archivakten genannt sind, ausdrücklich von den seits und Persönlichkeitsschutz- und Datenschutz schutzwürdigen Belangen ausgeschlossen sind. - rechten andererseits eröffnet vielfach rechtliches Es fehlt eine Regelung — das ist uns besonders Neuland. Auch aus diesem Grund sollte der Bundes- wichtig — über die Archive privater Wirtschaftsun- gesetzgeber für seinen Bereich zu einer gesetzlichen ternehmen. Der Hinweis, hier würden Grundrechte Fundierung des Archivwesens beitragen. — Eigentum — unzulässig berührt, schlägt fehlt, da Manche der Bestimmungen dieses Entwurfes wir- Eigentum verpflichtet, wie ja allgemein bekannt ist, ken sich auch auf die Archive der Länder aus. Der und eine große Anzahl dieser Unternehmen auch Entwurf ist daher auch mit den Fachverwaltungen der Subventionen aus dem Steuertopf erhält. Länder abgestimmt worden. Was auch fehlt — das jetzt nur als Stichwort, denn Aus den Änderungsanträgen des Bundesrates ist es leuchtet schon das rote Lämpchen; das gilt dann ersichtlich, daß die Länder den Entwurf der Bundes- auch für den Gesetzentwurf über die Archivierung regierung im Grundsatz mittragen. Auch die Bundes- von Unterlagen aus dem Bereich des Kriegsfolgen regierung hält den vom Bundesrat neu eingeführten Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1835

Parl. Staatssekretär Spranger § 10a für notwendig. Allerdings sollte der Schutz der Ich kann also die Aussprache eröffnen. Zunächst hat Betroffenen entsprechend den Schutzvorschriften des das Wort der Parlamentarische Staatssekretär Frau Bundesarchivgesetzes ausgestaltet werden, damit er Hürland-Büning. in Bund und Ländern gleichermaßen gewährleistet ist. Frau Hürland-Büning, Parl. Staatssekretär beim Der Entwurf wird zur Rationalisierung der Arbeit Bundesminister der Verteidigung: Herr Präsident! des Bundesarchivs beitragen. Er fördert eine der Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Wahrheit verpflichtete Information des Bürgers durch Kollegen! Ihnen liegt der Entwurf der Bundesregie- Wissenschaft und Medien durch den ungehinderten rung des Siebten Gesetzes zur Änderung des Unter- Zugang zu den Quellen der Informationen. Daher haltssicherungsgesetzes vor. Hauptziel dieses Gesetz- müssen Datenschutzgesetze durch Datenöffnungsge- entwurfes ist es, durch das Unterhaltssicherungsge- setze ergänzt werden. setz den gestiegenen Lebenshaltungskosten der Sol- Ich hoffe, daß es gelingen wird, diesen für das Ar- daten und ihrer Familien Rechnung zu tragen. Vorge- chivwesen wichtigen Gesetzentwurf in dieser Legisla- sehen sind angepaßte Geldleistungen für Grundwehr- turperiode zu verabschieden, und darf um Zustim- dienstleistende und Wehrübende, verbesserte Lei- mung bitten. stungen für Familienangehörige und hier besonders erheblich verbesserte Leistungen für die Ehefrauen Im engen Zusammenhang mit diesem Entwurf steht mit Kindern. Sie sehen, meine Damen und Herren, die der Entwurf eines Gesetzes über die zentrale Archi- Familienpolitik dieser Bundesregierung macht nicht vierung von Unterlagen aus dem Bereich des Kriegs- Halt vor dem Kasernentor. folgenrechts. Am 1. September 1952 ist das Lasten- ausgleichsgesetz in Kraft getreten. 35 Jahre sind seit- (Pfeffermann [CDU/CSU]: Sehr gut!) her vergangen. Der Lastenausgleich be findet sich in Das Unterhaltssicherungsgesetz kommt auch für die seiner Spätphase. In dieser Situation ist es notwendig, Zivildienstleistenden entsprechend zur Anwendung. Vorsorge zu treffen dafür, daß die mit dem Lastenaus- Im einzelnen ist folgendes vorgesehen: Die seit gleich erbrachten beispiellosen Leistungen nationaler 1979 geltenden Unterhaltsleistungen für die Famili- Solidarität nicht in Vergessenheit geraten. Der archiv- enangehörigen der Soldaten sind in den Mindest- und würdige Teil des im Lastenausgleich angefallenen ge- Höchstbeträgen erheblich anzuheben; denn das Ge- waltigen Aktenmaterials muß daher künftig so erhal- setz muß einen angemessenen Unterhalt der Fami- ten bleiben, daß er nicht nur als Beleg dieser Leistun- lien sichern. Die Ehefrau mit zwei Kindern z. B. erhielt gen der Entschädigung und Eingliederung im Lasten- bisher als Mindestbetrag 587 DM, künftig erhält sie ausgleich seit 1949, sondern insbesondere auch der 1 350 DM. Der bisherige Höchstbetrag lag bei 1 680 Dokumentation des im Lastenausgleich erfaßten Ge- DM, künftig wird er 2 622 DM betragen. samtschadens sowie des Vertreibungs- und Aussied- lerschicksals dienen kann. Die bisherigen festen Tabellensätze führen leicht zu Benachteiligungen, da ihre Anhebung nach der zur Infolge des Zusammenhangs und der Tatsache, daß Zeit gültigen gesetzlichen Regelung nur durch Geset- für die Verwaltung, Sicherung und Benutzung der zesänderungen erfolgen kann. Das ist nur nachträg- Unterlagen das Bundesarchivgesetz gilt, ist es zu be- lich möglich. Erhöhte Lebenshaltungskosten führen grüßen, daß beide Gesetze zeitgleich beraten und hof- dann schnell zur Minderung des Unterhalts. Das geht fentlich auch entsprechend verabschiedet werden. zu Lasten der Familien. Angelehnt an Unterhaltsbe- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) stimmungen im Versorgungs- und Sozialversiche- rungsrecht sollen die Ehefrauen künftig 60 % und je- des Kind 12 % des bisherigen Einkommens des Wehr- Vizepräsident Cronenberg: Weitere Wortmeldun- gen liegen nicht vor. Wir können daher die Ausspra- pflichtigen erhalten. Mindestleistungen stellen sicher, che schließen. daß auch Familien ohne Einkommen oder mit zu ge- ringem Einkommen den notwendigen Lebensunter- Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Gesetzent- halt decken können. würfe an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- schüsse zu überweisen. Weitere Vorschläge werden Steigende Einkommen führen in Zukunft automa- aus dem Hause nicht gemacht. So ist dies beschlos- tisch zu höheren Unterhaltssicherungsleistungen. Ge- sen. setzliche Anpassungen sind nur noch hinsichtlich der Höhe der Mindest- und Höchstbeträge erforderlich. Diese neuen Regelungen sind nicht nur familien- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: freundlicher als die bisherigen, sie sind auch ein Stück Erste Beratung des von der Bundesregierung größere Wehrgerechtigkeit. eingebrachten Entwurfs eines Siebten Geset- Mit dem Gesetzentwurf soll aber noch mehr erreicht zes zur Änderung des Unterhaltssicherungsge- werden: Es sollen für alleinstehende Wehrpflichtige, setzes die eine Wohnung haben und diese natürlich behalten — Drucksache 11/496 — wollen, die Höchstbeträge der Mietbeihilfe angeho- Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: ben und durch die Einführung einer besonderen Verteidigungsausschuß (federführend) Höchstgrenze der Anspruch auf diese Mietbeihilfe er- Innenausschuß weitert werden. Dies trägt vor allem den berechtigten Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Interessen der älteren Grundwehrdienstleistenden Im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu Rechnung, die in der Regel vor der Einberufung be- fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — reits höhere Einkünfte haben. Wir befinden uns hier in Das Haus ist damit offensichtlich einverstanden. vollem Einklang mit dem Anliegen des Wehrbeauf- 1836 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Parl. Staatssekretär Frau Hürland-Büning fragten des Deutschen Bundestages und des Deut- lage der Berechnung gemacht wird. Wichtig ist in die- schen Bundeswehrverbandes, denen ich für ihre Un- sem Zusammenhang auch die Neuerung, daß der An- terstützung sehr herzlich danke. stieg der allgemeinen Lebenshaltungskosten im Schließlich sollen auch für die Wehrübenden die neuen System Berücksichtigung findet. Ob die im Un- Höchstgrenzen der Verdienstausfallentschädigung terhaltssicherungsgesetz vorgesehenen Erhöhungen angepaßt werden. dem tatsächlichen Bedarf entsprechen, darüber wer- den wir im Ausschuß noch zu reden haben. Ich kün- Die Bundesregierung hat dem Wunsch des Bundes- dige jedenfalls schon einige Fragen an. tages nach rascher Hilfe dadurch Rechnung ge tragen, daß bereits ab Juli 1987 auf Grund des Gesetzentwur- Die SPD-Bundestagsfraktion hat immer darauf hin- fes Abschlagszahlungen geleistet werden. Diese Zah- gewiesen, daß die bisherigen Leistungen nicht aus- lungen stehen selbstverständlich unter dem Vorbe- reichten, den notwendigen Lebensunterhalt zu si- halt der endgültigen Entscheidung dieses Hohen chern und die tatsächlichen Mietkosten abzudecken. Hauses. Seinem Beschluß, Ihrem Beschluß, sollte da- Frau Staatssekretärin, aus einer von mir veranlaßten mit nicht vorgegriffen werden. Erhebung über die Leistungen nach § 7 a Unterhalts- sicherungsgesetz ging hervor, daß sich — Stand: No- Dieses Gesetz ist ein neuer Beweis dafür, daß der vember 1984 — die Zahl der Mietbeihilfeempfänger Bundesminister der Verteidigung seine Verantwor- zwar nicht wesentlich erhöht hatte, aber immerhin tung für die Soldaten und deren Familien ernst nimmt 12 v. H. mit der Höchstleistung von 420 DM nicht aus- und entsprechend handelt. Auch bei knapper Kasse kamen. Durchschnittlich lagen ihre Mieten um 70 DM werden wir unserer Fürsorgepflicht gerecht. So fügt über dieser Höchstgrenze. Umgerechnet auf die Ge- sich dieses Gesetz nahtlos in eine Fülle von sozialen samtzahl der Grundwehrdienstleistenden waren das Verbesserungen für die Soldaten und ihre Familien damals nur 0,5 v. H., aber in den Städten mit über ein. 100 000 Einwohnern kamen 13,6 v. H. mit der Miet- Ich danke Ihnen. beihilfe nicht aus — im Durchschnitt lagdie Miete hier (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) um 77 DM über der Höchstgrenze — , in den Landkrei- sen 10 v. H. — hier lag die Miete im Durchschnitt um 74 DM über der Höchstgrenze. Lassen Sie mich zwei Das Wort hat der Abge- Vizepräsident Cronenberg: weitere Zahlen anführen. Im Großraum München la- ordnete Heistermann. gen 24 v. H. der Mietbeihilfeempfänger über den Höchstgrenzen. Im Großraum Hamburg waren es Heistermann (SPD): Herr Präsident! Meine Damen 15 v. H. Für Nordrhein-Westfalen kamen ähnliche und Herren! Frau Staatssekretär, ich darf Ihnen die Prozentzahlen zustande. Diese Zahlen belegen, wie Freude machen, hier zu erklären, daß wir Ihrem Ent- dringend notwendig dieser Gesetzentwurf war und wurf zustimmen werden. ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deshalb stimmen wir der Überweisung zu. Wir bit- Vielleicht liegt das auch an den klimatischen Verhält- ten Sie, die von mir genannten Fälle im Ausschuß nissen in den Büroräumen, die die Abgeordneten im noch einmal darzustellen und zu überlegen, was Sie Moment sehr belasten, Herr Präsident. Es sollte auch zur tatsächlichen Abdeckung beitragen können. einmal darüber nachgedacht werden, wie bei diesen Herr Präsident, wir stimmen dem Überweisungsvor- Temperaturen für ein angemessenes Arbeitsklima ge- schlag zu. sorgt werden kann. Ich glaube, hier wird einiges über- zogen. (Beifall bei der SPD) Aber nun zum Gesetzentwurf: Die Vorlage des Ent- wurfs zur Änderung des Unterhaltssicherungsgeset- Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- zes war überfällig. Schon seit Jahren drängen die be- ordnete Breuer. troffenen Wehrpflichtigen und Wehrübenden darauf, ihre tatsächlichen Aufwendungen erstattet zu bekom- men. Bundeswehrverband und ÖTV haben in den Breuer (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Damen letzten Jahren gemahnt, eine Neuregelung einzulei- und Herren! Die Darstellungen des Kollegen Heister- ten. Die Mängel im bisherigen System des Familien- mann, insbesondere im letzten Teil, was die Frage der unterhalts und bei den Höchstgrenzen der Mietbeihil- Mietbeihilfen angeht, sind mit Sicherheit zutreffend fen waren nicht mehr zu übersehen. Zu Recht, Frau gewesen. Wenn man weiß, daß die heute zu bera- Staatssekretärin, haben Sie auf die Eingaben beim tende 7. Novelle auf die letzte Änderung im Jahre Wehrbeauftragten hingewiesen; denn hier konnte- 1979 folgt und wir seitdem eine Steigerung der Le- man nachlesen, zu welchen finanziellen Schwierig- benshaltungskosten von etwa 30 % gehabt haben, keiten es im Einzelfall gekommen ist. Die SPD-Bun- dann zeigt sich, wie dringend notwendig es war, zu destagsfraktion begrüßt deshalb die Vorlage dieses einer Veränderung zu kommen. Gesetzentwurfs, weil er ihren langfristigen Vorstel- Wenn der Deutsche Bundestag bei der Verabschie- lungen entspricht. dung des Haushaltsgesetzes 1987 im November des Lassen Sie mich zu einigen Anmerkungen kom- letzten Jahres gesagt hat: Wir wollen, daß in der men: Wir begrüßen in diesem Zusammenhang beson- neuen Legislaturperiode direkt am Anfang etwas ge- ders die Neuregelung, daß künftig der Unterhalt von schieht, dann hat er damit zum Ausdruck gebracht, verheirateten Grundwehrdienstleistenden nicht daß er dieses Thema sehr ernst genommen hat. Das mehr nach Tabellensätzen gewährt wird, sondern das war die gemeinsame Haltung, wie wir sie vorher auch

Netto - Einkommen vor der Einberufung zur Grund im Verteidigungsausschuß gehabt haben. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1837

Breuer In diesem Zusammenhang halte ich es — das will Nolting (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und ich klar sagen — für etwas bedauerlich, daß wir ein Herren! Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, rückwirkendes Inkrafttreten erst zum 1. Juli dieses daß die Änderung des Unterhaltssicherungsgesetzes Jahres zustande bringen. Der 1. Januar wäre sicher für Wehrpflichtige, Wehrübende und nach § 78 Abs. 1 besser gewesen. Es wäre eine bessere Signalgebung Nr. 2 des Zivildienstgesetzes auch für Zivildienstlei- gewesen, ein Signal dahin gehend, daß wir die Pro- stende Geltung hat. Die vorgesehene Anhebung der bleme der Soldaten und ihrer Familien ernst nehmen. Bezüge, sowohl der Leistungen als auch der Sonder- Es ist Zielsetzung dieser Koalition, den Menschen, leistungen, und Dienstausfallentschädigung ist aus den Soldaten und seine Familie, im Mittelpunkt ste- der Sicht der FDP dringend erforderlich; denn hen zu lassen. — meine Vorredner haben darauf hingewiesen — seit Ich will sagen, daß ich an sich mit der Arbeit des der letzten Anhebung sind über acht Jahre vergan- Ministeriums zufrieden bin. Aber in der Frage, wie gen, und — der Kollege Breuer hat darauf hingewie- schnell Dinge, die wir im Verteidigungsausschuß ver- sen — die Lebenshaltungskosten sind inzwischen um langen — hierfür gibt es auch andere Beispiele — , tat- rund 30 % gestiegen. Ich meine, daß unsere Wehr- sächlich auf unseren Tisch gelangen, gibt es einige pflichtigen hier einen großen Nachholbedarf haben. Wünsche — das will ich zumindest für mich feststel- Wir alle wollen — ich glaube, das hat sich auch hier len — , die offengeblieben sind, wo eine Erledigung gezeigt — den Unterhalt schnellstmöglich auf eine schneller erfolgen könnte. neue Berechnungsgrundlage stellen. Dabei — Herr Kollege Breuer, da gebe ich Ihnen recht — ist nicht zu (Heistermann [SPD]: Wir schließen uns an!) vergessen, daß sonst auch die Reserveübungen ihre Ich bin hier kein Oppositionsredner. oft nicht große Attraktivität fast gänzlich einbüßen (Kolbow [SPD]: Noch nicht!) könnten. Wir sollten uns hierüber später noch einmal unterhalten. — Noch nicht, nein. Das wird auch nicht so kommen. — Ich glaube, wir sollten den Wert dieser Fragestel- Eine wichtige Änderung sollte jedoch am Regie- lungen nicht zu gering einschätzen. Die Frage der rungsentwurf vorgenommen werden. Der Kollege sozialen Lage der Soldaten und ihrer Familien ist Breuer hat bereits darauf hingewiesen, und ich höre, eine zentrale Frage der Verteidigungsbereitschaft daß auch die SPD dem zustimmen könnte. Ich meine und der Verteidigungsfähigkeit der Soldaten der Bun- das Datum des Inkrafttretens der Mehrleistungen, deswehr. Deswegen kommt dem auch in der Signal- und dabei wissen wir uns mit dem Herrn Wehrbeauf- gebung nach draußen hohe Bedeutung zu. tragten dieses Hauses voll und ganz auf einer Seite. Auch der Herr Wehrbeauftragte hat das vorgesehene Die Regelungen im Hinblick auf die zukünftige Inkrafttreten erst zum 1. Juli 1987 bedauert, zumal Automatik der Anpassung, die Frau Staatssekretärin dieser Zeitunkt ja wohl den Beratungsergebnissen im Hürland hier verdeutlicht hat, sind sehr zu begrüßen. Sie sind sicher das entscheidende Element in diesem Haushaltsausschuß und auch im Verteidigungsaus- schuß widersp richt. Auch der Herr Bundesverteidi- Gesetzentwurf. Denn sie beugen dahin gehend vor, gungsminister hat den Anspruchsinhabern Hoffnung daß in Zukunft lange Abstände von acht Jahren, wie gemacht; ich verweise auf die Pressemitteilung des hier eben beschrieben, nicht mehr entstehen. Es wird nun eine laufende Anpassung geben. Verteidigungsministeriums XXIV/9 vom 7. April die- ses Jahres. Auch hier war von der späten Inkraftset- Ich will, nachdem ich Posi tives dargestellt habe, ei- zung zum 1. Juli keine Rede, und dadurch wurde na- nen kleinen Kritikpunkt anfügen. Ich persönlich hätte türlich der Eindruck erzeugt, eine Rückwirkung zum mir gewünscht, daß in der Frage der Gleichbehand- Jahresbeginn sei beabsichtigt. Auch hierauf hat der lung der Reservisten, die aus der privaten Wirtschaft Wehrbeauftragte aufmerksam gemacht. kommen, gegenüber denjenigen aus dem öffentlichen Dienst, sowohl was die Versorgung der Familien als Ich denke, daß hier geprüft werden sollte, ob eine auch was die Beiträge zur Kranken- und Rentenversi- Vorverlegung auf den 1. Januar 1987 vorgenommen cherung angeht, in dieser Novelle ein vernünftiger werden kann. Wir haben so etwas auch schon in ande- Ansatz gefunden worden wäre, wie wir ihn im Vertei- ren Bereichen praktiziert. Ich erinnere nur an das Sol- digungsausschuß schon beschlossen haben. Da ich datenversorgungsgesetz, mit dem wir uns hier vor der weiß, daß im Verteidigungsministerium entspre- Sommerpause beschäftigt haben, wo wir auch mit Er- chende Prüfungen stattfinden, hoffe ich, daß wir auch folg eine Vorziehung auf den 1. Januar 1987 vorge- da sehr schnell zu einer vernünftigen Lösung kom- nommen haben. Frau Staatssekretärin, Herr Breuer, men. Herr Heistermann, ich denke, daß wir auch beim USG gemeinsam zu einem Erfolg kommen sollten. (Pfeffermann [CDU/CSU]: Die Frau Staatsse- kretärin schafft auch dieses!) (Frau Traupe [SPD]: Aber sicher, vor allem weil Sie so viel Geld haben!) Insgesamt will ich sagen: Wir als CDU/CSU-Frak- tion begrüßen die Vorlage der siebten Novelle des — Ich bedanke mich schon jetzt für die Zustim- Unterhaltssicherungsgesetzes und stimmen ihrer mung. Überweisung zu. Meine Damen und Herren, wenn schon ein Reser- Danke sehr. vist, wie im Gesetz erwähnt — Kollege Breuer hat dar- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) auf hingewiesen — , keine Entschädigung erhält, wenn z. B. sein kleiner Landwirtschafts- oder H and- werksbetrieb ohne ihn weitergeführt wird, dann sind Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Herr es eben diese Nachteile, die durch seine Wehrübung Abgeordnete Nolting. dem Betrieb insgesamt entstehen und die besei tigt 1838 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Nolting werden müssen. Ich gebe hier dem Kollegen Breuer gierung wenig. So forderte das Bundesverwaltungs- recht: Der öffentliche Dienst ist auch in dieser Frage gericht schon im Jahre 1969 in seiner Entschei- bevorzugt; wir brauchen auch hier eine Anpassung dung VIII Ziff. C/92/69 — ich zitiere — , für die anderen Bereiche. Ich denke, daß wir in den daß es zu den Konsequenzen des sozialen Rechts- kommenden Beratungen auch hier zu weiteren Erfol- staates ... gehört, daß den durch das Wehr- gen kommen sollten. Wir sollten also hier einmal dar- pflichtgesetz den Wehrpflichtigen auferlegten angehen, die grundlegenden Mängel in diesem Be- besonderen Leistungspflichten reich zu beseitigen; denn sonst sehe ich für die weitere Reservistenarbeit keine guten Vorzeichen. Ich denke, — ich ergänze hier: und den durch das Zivildienstge- daß wir insgesamt mehr tun müssen, um auch die setz den Kriegsdienstverweigerern auferlegten be- Dienste an unserem Staat zu unterstützen, die, wie der sonderen Leistungspflichten — Wehrdienst, nicht freiwillig sind. von allen Trägern öffentlicher Gewalt ... Rech- Meine Damen und Herren, wir beraten heute die- nung getragen wird. sen Gesetzentwurf in erster Lesung, und dieser ist aus (Breuer [CDU/CSU]: Wissen Sie, Frau Kolle der Sicht der FDP grundsätzlich zu begrüßen, weil gin, daß das tatsächlich so ist? Das ist gekop endlich ein Ausgleich finanzieller und sozialer Nach- pelt!) teile erreicht werden kann. Wir werden unsere aufge- zeigten Forderungen bei den weiteren Beratungen Die Bundesregierung hat dies auf ihre eigene unso- einbringen. Ich freue mich, daß auch die SPD diesem ziale Weise getan. Wenn sie sich nun endlich be- Gesetzentwurf zustimmen wird. quemt, die Unterhaltssicherung für Wehrpflichtige Vielen Dank. und Kriegsdienstverweigerer um ca. 30 % anzuheben, dann steht nicht nur der öffentliche Druck dahinter, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) sondern auch der Pillenknick und die Jugendarbeits- losigkeit. Das Wort hat die Abge- Vizepräsident Cronenberg: Wenn Sie gar geglaubt haben sollten, zur Absiche- ordnete Frau Beer. rung der geplanten Personalstärke der Bundeswehr zusätzliche Werbemaßnahmen — ich will hier nicht Frau Beer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte von Bestechungsgelde rn reden — zu brauchen, dann Damen und Herren! Liebe Freunde und Freundinnen! haben Sie sich verrechnet. Um dies zu erreichen, hät- Wer erwartet es anders? Wir stimmen nicht zu. Uns ten Sie etwas großzügiger sein müssen. liegt heute ein Gesetzentwurf der Bundesregierung vor, der nicht nur sieben Jahre zu spät kommt — was Die GRÜNEN hingegen werden in den weiteren ja auch schon bemängelt wurde — , sondern auch ein Beratungen zum vorliegenden Gesetzentwurf in en- klarer Beweis für die Diskriminierung der Menschen ger Abstimmung mit der Selbstorganisation der Zivil- dienstleistenden und anderen Gruppen im Interesse ist, die den Kriegsdienst aus Gewissensgründen ab- der Wehrpflichtigen und der Kriegsdienstverweigerer lehnen. mit Nachdruck deutlich machen, was angebracht Es ist nicht nur aus politischen, sondern auch aus wäre. sozialen Gründen skandalös, daß die letzte Anpas- sung der Unterhaltssicherung für Kriegsdienstlei- An einigen Punkten will ich die Unzulänglichkeiten stende und Kriegsdienstverweigerer im Jahre 1979 hier ansprechen, weil sie deutlich machen, daß der erfolgte. Gesetzentwurf nicht einmal zur Sicherung eines an- gemessenen Lebensstandards reicht. Auf der anderen Seite war diese Bundesregierung allerdings in der Lage, für die Beschaffung, Erfor- Erstens. Die Anhebung der Unterhaltssicherung er- schung und Entwicklung neuer und gefährlicher Waf- folgt erst rückwirkend — das haben wir bereits ge- fen ca. 70 Milliarden DM auszugeben. Dagegen hätte hört — zum 1. Juli statt zum Anfang des Jahres. eine Anpassung der Unterhaltssicherung an den An- Zweitens. Die Gleichstellung von Kriegsübenden satz des Haushaltsentwurfs 1988 pro Jahr den Mini- aus der Privatwirtschaft und dem öffentlichen Dienst malbetrag von nur 26 Millionen DM erfordert. wurde nicht vollzogen. Profite für die Rüstungsindustrie sind Ihnen wichti- ger als die soziale Absicherung der an diesem gefähr- Drittens. Die mit dem Zweiten Haushaltsstrukturge- lichen Kriegsspiel Beteiligten, bei denen sich Herr setz gestrichene Sparpauschale von 50 DM pro Monat Wörner bei jeder öffentlichen Gelegenheit in wärm- wird nicht wieder eingeführt. sten Worten für ihren Dienst zum Wohle des Vaterlan-- Viertens. Die zeitliche Voraussetzung für den An- des bedankt. spruch auf den Höchstbetrag der Mietbeihilfe ist zu Profite für die Rüstungsindustrie sind Ihnen auch lang. Unserer Meinung nach sollte er mindestens nach wichtiger als der Unterhalt der Kriegsdienstverwei- drei Monaten, wenn nicht gleich sofort einsetzen. gerer, die der Verteidigungsminister unter diesem Wie Sie wissen, halten wir von der Bundeswehr als Namen gar nicht kennt und die zwar in Krankenhäu- Institution nichts, überhaupt nichts. Die konkrete Mi- sern, Altentagesstätten und Jugendheimen für den litärpolitik der Bundesregierung ist alles andere als Frieden arbeiten wollen, in Wirklichkeit jedoch in die ein Beitrag zur Friedenssicherung. Das a lles bedeutet militärische Planung der Zivilverteidigung einbezo- aber noch nicht, daß wir den Mißbrauch und eine gen werden. soziale Vernachlässigung der Wehrpflichtigen und Selbst um die höchstrichterliche Selbstsprechung Kriegsdienstverweigerer durch die Bundesregierung scherten sich die damalige und die heutige Bundesre hinnehmen würden. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1839

Frau Beer Der größte Skandal aber wird von Ihnen totge- Damit kein Mißverständnis aufkommt: Wir Antrag- schwiegen, nämlich die Tatsache, daß Totalverweige- steller, alle Antragsteller, sind Freunde der Deutschen rer ihrer Unterhaltssicherung in Form von Knast erhal- Bundesbahn. Alle Antragsteller wollen, daß der Gü- ten. terschwer- und -fernverkehr zunehmend von der Vielen Dank. Straße auf die Schiene verlagert wird. (Beifall bei den GRÜNEN) (Beifall der Abg. Frau Garbe [GRÜNE]) Das setzt eine leistungsstarke Bundesbahn voraus. Vizepräsident Cronenberg: Weitere Wortmeldun- Wir erkennen mit Einschränkungen die Notwen- gen liegen mir nicht vor. Ich kann also die Aussprache digkeit eines leistungsfähigen Rangierbahnhofs im schließen. Südosten der Bundesrepulik, auch wenn die für die Der Ältestenrat schlägt vor, den Entwurf des Sieb- Planung vorgelegten Bedarfsprognosen längst über- ten Gesetzes zur Änderung des Unterhaltssicherungs- holt sind und es eine Rangierbahnhoftechnik mit Eta- gesetzes an die in der Tagesordnung aufgeführten genverkehr gibt, die den Planungsstand technisch Ausschüsse zu überweisen. — Weitere Vorschläge aus weit hinter sich gelassen hat. Dennoch gehen wir von dem Haus werden nicht gemacht. So ist das beschlos- der Notwendigkeit eines solchen Bahnhofs aus. sen. Genau in diesem Sinn haben die Stadt München, die Regierung von Oberbayern, die Bayerische Staats- Ich rufe den Punkt 22 der Tagesordnung auf: regierung und die beteiligten Planungsverbände der Beratung des Antrags der Abgeordneten Deutschen Bundesbahn fünf qualifizierte Standorte in Dr. Schöfberger, Schmidt (München), Vahl- der Region vorgeschlagen und nachgewiesen, Stand- berg, Dr. Glotz, Lutz, Büchler (Hof), Frau orte, die zum Teil den betroffenen Gemeinden sogar Dr. Martiny, Porzner, Wimmer (Neuötting), willkommen wären; ich denke an die Standorte Kis- Dr. Haack, Dr. de With, Kolbow, Leidinger, Sie- sing und Haspelmoor. ler (Amberg), Stiegler, Dr. Wernitz, Müller Demgegenüber hat die Deutsche Bundesbahn mit (Schweinfurt), Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Frau einer nicht zu überbietenden Sturheit und durch alle Schmidt (Nürnberg), Amling, Büchner Gerichtsinstanzen — bis zum Bundesverwaltungsge- (Speyer), Frau Odendahl, Reimann, Schäfer richt — an der Planung von 1938 festgehalten. (Offenburg), Bachmaier, Dr. Emmerlich, Ewen, Lambinus, Sielaff, Frau Dr. Hamm-Brücher, Ir- Was ich namens der Antragsteller gegen diese Pla- mer, Weiss (München), Frau Dr. Vollmer, nung vortrage, gründet auf dem einstimmigen Willen Kreuzeder, Frau Teubner, Frau Saibold, Klei- und Beschluß des Stadtrats der Landeshauptstadt nert (Marburg), Sellin, Hüser, Frau Krieger, München, des früheren Oberbürgermeisters Kiesl Schily, Hoss, Frau Vennegerts, Frau Flinner, (CSU) sowie des jetzigen Oberbürgermeisters Krona- Dr. Knabe, Frau Unruh, Volmer, Dr. Mech- witter (SPD). Alle Parteien im Münchener Stadtrat tei- tersheimer, Frau Oesterle-Schwerin, Frau len also diese Auffassung. Es ist ein gemeinsamer Hil- Brahmst-Rock, Häfner, Frau Hillerich feruf Münchens an den Deutschen Bundestag. Auch die CSU ist in München mannhaft gegen den Bau die- Rangierbahnhof München ses Rangierbahnhofs. Sie nimmt an den entsprechen- — Drucksache 11/570 — den Bürgerinitiativen teil. Ihre Vertreter halten auf Der Ältestenrat hat Ihnen auch hierzu eine Redezeit dem Münchener Marienplatz vor Tausenden von Zu- von fünf Minuten je Fraktion vorgeschlagen. hörern mutige Reden und engagieren sich gegen den Es beginnt Herr Dr. Schöfberger. Herr Abgeordne- Bau. Wir sind deshalb sehr gespannt auf die Haltung ter, Sie haben das Wort. der CSU in diesem Haus und freuen uns jetzt schon auf ihre tatkräftige Mithilfe. Da auch Abgeordnete der (Bohl [CDU/CSU]: Kommt da auch das von FDP zu den Antragstellern gehören, kann der Antrag der chinesischen Staatsbahn vor? — ja gar nicht mehr scheitern, wenn es in diesem Haus Dr. Schöfberger [SPD]: Nein!) mit rechten Dingen zugeht. (Bohl [CDU/CSU]: Die Konditionierung war Dr. Schöfberger (SPD): Herr Präsident! Meine Da- aber angebracht!) men und Herren! Es handelt sich bei diesem Antrag nur scheinbar um ein rein kommunales Problem, um Ich trage die Argumente kurz vor. eine reine Frage Münchens. In Wirklichkeit hat das Der Rangierbahnhof München-Nord würde als Problem überregionale Bedeutung. 4 km langer und 1 1/2 km breiter Sperriegel zwei Mün- Die Deutsche Bundesbahn plant in München die chener Stadtteile — Allach und Mosach — total von- Errichtung eines Rangierbahnhofs München-Nord. einander abriegeln und jede städtebauliche Entwick- Die Planungen gehen auf ein Projekt der Deutschen lung auf den dazwischen liegenden Freiflächen un- Reichsbahn aus dem Jahr 1938 zurück, das umstände- möglich machen. halber nicht mehr verwirklicht werden konnte. Da- Weiter: Im Umkreis von einem Kilometer um den mals wäre der geplante Rangierbahnhof weit vor der neuen Rangierbahnhof wohnen in dichtbesiedelten Stadt zu liegen gekommen. Das ist heute auf Grund Gebieten mehr als 40 000 Menschen. Diese würden der Entwicklung Münchens gänzlich anders. Was da- beim Betrieb des Rangierbahnhofes Tag und Nacht mals möglicherweise richtig war, ist heute eine städte- von einer unerträglichen Lärmpest überzogen wer- baupolitische und ökologische Todsünde ersten Ran- den. Stellen Sie sich vor, man würde vom Bonner ges, wie es zumindest in Bayern keine zweite gibt. Münsterplatz bis nach Bad Godesberg einen 4 km lan- 1840 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Dr. Schöfberger gen und 1,5 km breiten Rangierbahnhof bauen. Die die in den 70er Jahren immer vehementer wurden, in Bonner und alle die, die den zweiten Wohnsitz hier irgendeiner Weise gehört. haben, wissen, was schon eine heruntergelassene (Schmidt [München] [SPD]: Und was schließt Bahnschranke in dieser Stadt an Trennungsfunktion man daraus?) bedeutet. Rangierbahnhöfe ziehen dann auch einen Schwer- Auch die Münchener CSU-Abgeordneten sind hier lastverkehr nach sich, weil ja auch be- und entladen im Deutschen Bundestag abgeblitzt. Auf Antrag der werden muß. Die Straßen sind gar nicht vorhanden, Münchener CSU-Abgeordneten — Kraus, Wittmann auf denen er stattfinden soll. und Riedl sitzen ja hier — wurde die Bundesregierung aufgefordert, die Baupläne zu überprüfen und über Schließlich geht ein wertvolles Naherholungsgebiet das Ergebnis der Prüfung zu berichten. Der Bericht mit wertvollen Biotopen in München verloren. der Bundesregierung wurde in der 61. Sitzung des Insgesamt stellt dieser Rangierbahnhof im Falle sei- Verkehrsausschusses am 7. November 1979 disku- ner Verwirklichung einen gänzlich unverantwortli- tiert. Damals stellte — gegen den Protest der CSU chen und durch keine verkehrspolitische Entschei- Abgeordneten im Ausschuß — der SPD-Abgeordnete dung, durch keinen Bedarf zu rechtfertigenden Ein- Haar fest — ich zitiere nur einen kurzen Ausschnitt —, griff in die Münchener Stadtstruktur und damit in die daß die SPD-Fraktion die Planungen voll unterstütze. Lebensqualität Münchens dar. Es komme jetzt darauf an, allen Bestrebungen auf ört- Wir wollen diesen Eingriff gemeinsam verhindern. licher Ebene, durch die die Deutsche Bundesbahn Wir bitten Sie alle — in allen Fraktionen — um Unter- unnötig und unvertretbar belastet werde, einheitlich stützung. Wir hoffen, daß es uns im Verkehrsausschuß von allen Fraktionen entgegenzutreten. gelingt, diese Planungstodsünde ersten Ranges im (Bohl [CDU/CSU]: Aha! — Zuruf des Abg. letzten Augenblick abzuwehren. Schmidt [München] [SPD]) (Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Ich kann die Zitate den ganzen Abend verlängern, Abgeordneten der FDP) wenn es erheitern sollte. Nur, daß dies so war, daß dies so ist — in München und in Bonn — , wissen die An- tragsteller ganz genau, Schöfberger, Schmidt und Ge- Das Wort hat der Abge- Vizepräsident Cronenberg: nossen. ordnete Dr. Faltlhauser. (Schmidt [München] [SPD]: Und was schließt man daraus, Herr Faltlhauser? — Bohl [CDU/ Dr. Faltlhauser (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine CSU]: Jetzt kommt es!) Damen und Herren! Das Thema Rangierbahnhof München Nord ist älter als 50 Jahre. Aber dieses Wenn Sie heute, in der zweiten Hälfte des Jahres Thema ist nicht nur alt, sondern es ist auch politisch 1987, trotzdem einen entsprechenden Antrag stellen, interessant. dann ist das nach meiner Auffassung ein unglaubli- cher Akt politischer Scheinheiligkeit und Irreführung Diese Geschichte hat u. a. einen Münchener Teil: der Öffentlichkeit. Da wurde im Jahre 1963 ein Flächennutzungsplan erstellt, in dem gerade dieser Rangierbahnhof mit (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — dem Stichwort „Eisenbahngebiet" vorgesehen wur- Lachen und Widerspruch bei der SPD) de. Der Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Herr Kollege Schöfberger, Sie sind bekannt, aller- München war damals der heutige Vorsitzende der dings weniger als SPD-Landesvorsitzender als viel- SPD und der SPD-Fraktion in diesem Hause, Dr. Jo- mehr als Bauerntheater-Darsteller. Das, was Sie hier chen Vogel. mit Ihrem Antrag be treffend Rangierbahnhof machen, (Zuruf von der FDP: Jetzt ist er nicht da!) ist aber weniger ordentliches Bauerntheater als viel- Unter dem SPD-Oberbürgermeister Kronawitter mehr ein ganz mieses Schmierentheater; Schuldzu- wurde dann 1973, zehn Jahre später, ein Beschluß weisung um jeden Preis. gefaßt, daß eine Änderung des Flächennutzungsplans (Abg. Dr. Schöfberger [SPD] meldet sich zu im Bereich des Rangierbahnhofs vorzubereiten sei. einer Zwischenfrage) Geschehen ist auch damals, unter Kronawitter, nichts. — Nein, keine Zwischenfrage, Herr Kollege. — Die Das heißt: Die planerischen Grundlagen für den Ran- Situation hat sich nämlich für die heutige Bundesre- gierbahnhof wurden in der Nachkriegszeit unter SPD gierung im Vergleich zu damals qualitativ wesentlich Oberbürgermeistern und mit SPD-Mehrheiten ge- - geändert. schaffen. (Bohl [CDU/CSU]: Hört! Hört! — Zurufe von Erstens. Die rechtlichen Verfahren sind abgeschlos- der SPD) sen. Wir sind rechtlich am Ende der Fahnenstange. Das Bundesverwaltungsgericht hat am 24. August Daneben gibt es eine Bonner Seite der Geschichte: 1987 die Nichtzulassungsbeschwerde der Landes- Von 1966 bis 1982, also 16 Jahre lang, stellte die SPD hauptstadt München in einem 55seitigen Urteil zu- den Bundesverkehrsminister. rückgewiesen. Das bedeutet: Dieser Rangierbahnhof (Bohl [CDU/CSU]: Leider!) ist rechtlich ausgereizt. Daran kann auch die Verfas- Alle diese SPD-Bundesverkehrsminister haben mit sungsbeschwerde der Landeshauptstadt München unterschiedlicher Entschiedenheit, aber immer mit nichts mehr andern. dem gleichen Ergebnis am Rangierbahnhof im Mün- (Dr. Schöfberger [SPD]: Die die CSU vor chener Norden festgehalten. Keiner hat die Proteste, schlägt!) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1841

Dr. Faltlhauser Ich frage: Sollten wir, der Gesetzgeber, nach 50jäh- immer wieder verbreitet, einmal klarmachen und hier riger Planung und Vorarbeit und nach 5jährigem auch durchsetzen. Streit vor Verwaltungsgerichten in dieser Situation (Dr. Wittmann [CDU/CSU]: Kennen Sie den Anschein in der Öffentlichkeit erwecken, als München überhaupt?) könnten wir das Projekt noch stoppen? Sie tun genau zweierlei: In München reden Sie; Sie (Dr. Schöfberger [SPD]: Die Münchener CSU lassen den Stadtrat Bletschacher auf dem Marienplatz ruft das Bundesverfassungsgericht an!) auftreten und lassen ihn Reden gegen den Rangier- Sollten wir durch einen Schuß aus der Hüfte — gewis- bahnhof schwingen, und hier lassen Sie es durchzie- sermaßen durch einen Schöfberger-Schuß — kompli- hen. zierte Abwägungen und langjährige Verfahren ein- fach vom Tisch wischen? Ich glaube, dadurch würde (Frau Flinner [GRÜNE]: Das ist CSU-Poli der Gesetzgeber der Rechtssicherheit in diesem tik!) Lande nicht dienen. Meine Damen und Herren, dieser Antrag entspricht Ein zweiter Umstand ist wichtig. Wir haben heute doch genau der Beschlußlage des Münchener Stadt- ein anderes Bundesbahngesetz. Ihre Minister hätten rats. Alle Fraktionen haben einstimmig den Bundes- damals noch etwas machen können, die heutigen verkehrsminister aufgefordert, von diesem Projekt können auf Grund des § 36 nichts mehr machen. Des- Abstand zu nehmen. halb sollten wir konstruktiv nach vorne sehen. Dabei muß man sagen: Es geht uns nicht darum, Die Landeshauptstadt München hat es unter Ober- irgendwie die Bahn zu behindern. Wir sagen „ja" zu bürgermeister Kronawitter versäumt, detaillierte Al- modernen Anlagen für den Güterverkehr. Es ist wich- ternativplanungen für das Rangierbahnhofsgelände tig, den Verkehr endlich von der Straße auf die und für die freiwerdenden Flächen in München-Laim, Schiene zu verlagern. Berg am Laim und Ostbahnhof zu schaffen. (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeord (Weiss [München] [GRÜNE]: Das war unter neten der SPD) OB Kiesl! ) Dazu ist es notwendig, daß die Bahn moderne wirt- Dazu mußte die CSU-Fraktion jetzt erst im August schaftliche Anlagen bekommt. Aber wir sind nicht entsprechende Anträge stellen. bereit, im gleichen Atemzug die Augen zu verschlie- Man sollte in diesen Bereichen endlich das Ver- ßen vor dem, was unter den Schienen begraben wird, kehrskonzept vorantreiben, Bahnübergänge, städte- was unter den Schienen zugeschüttet wird. Da stellt planerische Wettbewerbe ausschreiben, sich um eine sich schon die Frage, ob man in dem Münchener Be- Gartenbauausstellung bemühen usw. Das hilft mehr reich Allacher Forst und Allacher Steppe sich jetzt als derartige Scheinanträge in diesem Haus. noch eine Bebauung leisten kann. Herr Schöfberger, ein Letztes — wenn ich das noch Man muß sich einmal klarmachen: Wenn heute die darf, Herr Präsident — : Sie haben hier wieder Ihre Planung käme, wäre der Rangierbahnhof gar nicht subkutanen polemischen Fähigkeiten unter Beweis zulässig, denn das Gelände stünde nach dem Art. 6 d gestellt. Deshalb gebe ich Ihnen ein Schreiben aus des Bayerischen Naturschutzgesetzes unter Natur- dem Jahre 1976 zur Kenntnis. Damals hatte mein ver- schutz. Nur weil die Planungen der Bundesbahn älter ehrter Kollege Dr. den damaligen Ju- sind als die letzte Novelle des Bayerischen Natur- stizminister Vogel gebeten, endlich etwas gegen die- schutzgesetzes, ist das zulässig. Wir können nicht ein- ses Rangierbahnhofprojekt in München zu tun. Vogel fach die Augen davor verschließen. Das gilt auch für beantwortete das Schreiben am 3. Februar 1976 wie die städtebaulichen Gründe. Man kann nicht einfach folgt — ich zitiere wörtlich — : vergessen, daß ein ganzer Stadtteil durch Riegelwir- Ich darf meine Auffassung bekräftigen, daß die kung von den Naherholungsgebieten abgeriegelt politischen Parteien das Thema Rangierbahnhof wird. Deshalb sind wir auch dafür, daß der Antrag nicht zum Gegenstand vordergründiger Polemik — anders als in der Tagesordnung ausgedruckt — machen, sondern gemeinsam auf eine vernünf- nicht nur an den Verkehrsausschuß überwiesen wird, tige Lösung hinwirken sollten. denn es sprechen auch städtebauliche und ökologi- sche Gründe gegen die Verwirklichung des Projekts Ich glaube, Herr Kollege Schöfberger, Sie sollten öfter speziell an diesem Standort. Deswegen sind wir auch auf Ihren neugewählten SPD-Vorsitzenden hören. dafür, daß dieser Antrag wenigstens zur Mitberatung (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) - an den Umweltausschuß und an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau überwiesen wird. Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- ordnete Weiss (München). (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD) Meine Damen und Herren, es gibt Alternativen zu diesem Rangierbahnhof, die von der Bundesbahn bis- Weiss (München) (GRÜNE): Herr Präsident! Meine lang einfach nicht geprüft worden sind. Der Kollege Damen und Herren! Herr Kollege Faltlhauser, ich Schöfberger hat schon aufgeführt, daß es andere wünsche mir sehr oft, daß Sie und Ihre CSU-Kollegen Standorte gibt. das, was Sie im Wahlkampf in München verbreiten, und das, was gerade auch gerade der Kollege Witt- Die Firma MBB hat am 27. Januar ein Patent vom mann, der sich in München als einer der entschieden- Patentamt erhalten. Sie hat sich ein Verfahren paten- sten Gegner des Projektes Rangierbahnhof geriert, tieren lassen, wie man Rangieranlagen in Hallen 1842 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Weiss (München) mehrstöckig übereinander anordnen kann. Es wäre — Über alle drei? also auch möglich, die bestehenden Anlagen Mün- (Frau Schoppe [GRÜNE]: Ja, ich habe mit chen-Laim oder München-Ost so auszubauen, daß ein Herrn Seiters gesprochen!) Neubau nicht notwendig wäre. Dazu gibt es bislang keine belastbaren Prüfunterlagen. Ich fordere Sie auf: — Ist das richtig? Legen Sie entsprechende Unterlagen vor! Dann kann (Zurufe) man das prüfen. Aber das geschieht ja nicht. — Okay. (Bohl [CDU/CSU]: Uns reichen die Fahr- Dann hat der Abgeordnete Grünbeck das Wort. stühle im Langen Eugen!) Man kann ja einmal versuchen, die wirk lichen Gründe dafür herauszufinden. Die liegen aber ganz Grünbeck (FDP): Herr Präsident! Meine sehr ver- woanders. Es geht nicht um verkehrspolitische Pro- ehrten Damen und Herren! Wenn der Herr Schöfber- bleme, sondern für die Bahn geht es schlicht und ein- ger sagt, der Rangierbahnhof München habe eine fach darum, die Gelände in München-Laim und Mün- überregionale Bedeutung, dann ist das der einzige chen-Ost freizubekommen und solch große innen- Punkt, in dem wir übereinstimmen. Die FDP-Fraktion stadtnahen Flächen als Gewerbegrund zu verkaufen. — mit Ausnahme zweier Münchener Kollegen, deren Das sagen einem auch Mitarbeiter der Bundesbahndi- Standpunkt wir tole rieren — hat mich beauftragt, den rektion am Biertisch, aber nicht offiziell. Sie sagen: Standpunkt vorzutragen, der hier notwendig ist. Wenn wir diese Gelände freikriegen und verscher- Ich wundere mich bei den Antragstellern über ei- beln, kriegen wir dafür mehr als 2 Milliarden DM. Das nes: Da fehlen für mich zwei Namen, die mir wichtig ist mehr, als wir für den Neubau des Rangierbahnhofs gewesen wären. Herr Dr. Vogel hat nicht mit unter- da draußen ausgeben müssen. — Das sind nämlich die schrieben, und Herr Haar hat nicht mit unterschrie- wahren Gründe, warum eigentlich die Bahn an dem ben. Beides hat seine Gründe. Gelände da draußen festhält; denn das Gelände im (Frau Traupe [SPD]: Wir sind eine pluralisti Allacher Forst stammt noch aus den Enteignungen der sche Partei! — Gegenruf des Abg. Dr. Faltl Nazi-Zeit und ist der Bahn übergeben worden. Wenn hauser [CDU/CSU]: Das merkt man!) die Bahn darauf verzichten würde, würde die Zweck- bindung der Enteignung wegfallen, und die Gelände — Das ist bekannt, Frau Kollegin. — In dem Antrag müßten zurückgegeben werden. Genauso ist es. Die steht nämlich — das ist sehr pluralistisch — : Der Bun- Bahn kann somit nichts anderes damit anfangen und destag wolle beschließen, daß der Rangierbahnhof will die Fläche in der Innenstadt allein aus spekulati- nicht gebaut wird. Wenn der Antrag wenigstens sa- ven Gründen freikriegen und dadurch 2 Milliarden gen würde, wo er gebaut werden soll, wäre es eine DM einnehmen. Alternative, aber Sie haben einfach gesagt: nicht ge- baut, Schluß, aus. Ich verüble das der Bahn nicht. Es liegt in unserer Verkehrspolitik insgesamt begründet, daß wir die not- (Dr. Schöfberger [SPD]: München-Nord wendige finanzielle Ausstattung der Bahn nicht vor- nicht zu bauen!) genommen haben. Aber es geht nicht an, die Bahn zu Meine Damen und Herren, 1936 hat Berlin die solchen Spekulationsgeschäften zu zwingen, bei de- Olympischen Spiele bekommen, und in München be- nen wichtige ökologische Flächen vernichtet und gann die Planung des Rangierbahnhofs. Weit über städtebauliche Todsünden begangen werden. 50 Jahre streiten wir jetzt um den Standort des Ran- gierbahnhofs, und ich darf dazu zunächst eines sagen: Danke. Die dringende Notwendigkeit dieser Entscheidung (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeord- hat das Bundesverwaltungsgericht unterstrichen. Wir neten der SPD) alle, aber auch wirklich alle, predigen jeden Tag, daß der Güterfernverkehr oder überhaupt der Güterver- kehr von der Straße auf die Schiene soll, (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) Vizepräsident Cronenberg: Herr Abgeordneter aber wenn dann tatsächlich ein Schritt in diese Rich- Weiss, zur Klärung der Geschäftslage: Der Ältestenrat tung getan werden soll, sind Sie einfach dagegen. hat vorgeschlagen, den Antrag an den Ausschuß für Verkehr zu überweisen. Habe ich Sie richtig verstan- (Bohl [CDU/CSU]: Sehr richtig!) den, daß Sie außerdem die Überweisung des Antrags - Was ist denn das für eine Politik? an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Städtebau beantragen? Dann lasse ich über diesen Antrag gesondert abstimmen. Bohl [CDU/CSU]: Sehr gut! — Zuruf von der SPD: Herr Grünbeck, Sie waren schon gegen (Weiss [München] [GRÜNE]: An den Aus- den Leber-Plan! — Gegenruf des Abg. Bohl schuß für Raumordnung, Bauwesen und [CDU/CSU]: Ihr seid gegen a lles!) Städtebau, den Umweltausschuß und den In München gibt es jetzt schon eine katastrophale Ausschuß für Verkehr!) Situation. — Tragen das alle Fraktionen mit? (Weitere Zurufe von der SPD) (Frau Schoppe [GRÜNE]: Herr Präsident, alle Ich darf nur einmal die Verzögerungen nennen: Ver Fraktionen hatten sich darüber geeinigt, dem zögerungen im Nord-Süd-Verkehr von bis zu 20 Stun zuzustimmen!) den und im Verkehr vom Südwesten in die Balkan- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1843

Grünbeck Staaten von bis zu zwei Tagen. Das ist, wenn ich über- verfahren verordnet wurden und die besagen, daß wir haupt an eine Weiterentwicklung des Umschlagplat- diesen Güterbahnhof nicht ohne Auflagen bauen dür- zes München denke, eine unerträgliche Mehrbela- fen, sondern Lärmschutz, Naturschutz und Land- stung. schaftsschutz berücksichtigen müssen. Was mir eigentlich am meisten Sorgen macht, ist ein (Schmidt [München] [SPD]: Ja, auf den Punkt, über den bisher überhaupt noch nicht geredet Schienen! Biotope auf den Gleisen!) wurde. Meine Damen und Herren, wir haben — und Nun kommt noch die Frage nach alternativen deshalb vermisse ich den Herrn Haar, den Vorsitzen- Standorten. Herr Schöfberger, es stimmt nicht, daß es den der Eisenbahnergewerkschaft, die darauf sechs Alternativen gab. Es sind mehr als ein Dutzend drängt — — Alternativen untersucht worden: Olching, Dachauer (Frau Traupe [SPD]: Ach Gott!) Moos, Geiselbullach, Speichersee bei Ismaning und andere Standorte, aber alle sind im Raumordnungs- — Nicht „Ach Gott"! Diesen Zwischenruf finde ich verfahren nicht berücksichtigt worden, und das war geschmacklos. Wenn Sie mich einmal ausreden lassen doch keine Entscheidung der Bundesbahn; es war würden: Wir haben eine Unzahl von verletzten Eisen- eine Entscheidung der Gerichte, und das ging durch bahnern, ja, nicht nur von Schwerverletzten, sondern bis zum Bundesverwaltungsgericht. leider Gottes auch von toten Eisenbahnern, und zwar Nun hat das Bundesverwaltungsgericht am 24. Au- wegen mangelnder Sicherheit. Dieser altmodische gust entschieden. Die Bauarbeiten haben bereits be- Güterbahnhof, wirklich einer der ältesten in Europa, gonnen. Die Aufbereitung des Baubodens, die Ein- gefährdet immer wieder die Sicherheit der Eisenbah- bringung der Kiesgrundfläche, findet bereits statt. ner, aber davon nehmen Sie offensichtlich überhaupt nicht Kenntnis. (Weiss [München] [GRÜNE]: Nein, erst ab 23. September!) Wir haben in jüngster Zeit Untersuchungen über einen modernen Güterbahnhof, über den in Me- Und nun kommen Sie mit diesem Antrag! schede, angestellt. Dort liegt die Unfallzahl pro 10 000 Ich darf Ihnen sagen, daß sich die FDP-Fraktion Waggons bei 0,3. In München liegt sie bei 2,1. ihrer Verantwortung gegenüber der Bahn, aber auch (Weiss [München] [GRÜNE]: Güterbahnhof gegenüber den Eisenbahnern bewußt ist und diesen und Rangierbahnhof sind zwei verschiedene Antrag ablehnen wird. Paar Stiefel!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) — Sie dürfen glauben, daß mir Ihre Rede nicht gefal- len hat, und Ihre Zwischenrufe stören mich auch Vizepräsident Cronenberg: Meine Damen und Her- nicht. ren, entsprechend einer interfraktionellen Vereinba- rung wird der Antrag also an den Ausschuß für Ver- (Frau Traupe [SPD]: Aber Ihr Geschwätz ist kehr zur Federführung sowie an den Ausschuß für natürlich auch nicht besser!) Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und den Wir haben eine Verantwortung gegenüber den Eisen- Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städte- bahnern, die dort tätig sind. bau zur Mitberatung überwiesen. — Weitere Vor- schläge ergeben sich nicht. Dann ist es so beschlos- (Zustimmung bei der FDP) sen. Es stört mich schon sehr, daß Sie diesen Punkt völlig ignorieren. Ich rufe Punkt 24 der Tagesordnung auf: (Beifall bei der FDP) Beratung der Beschlußempfehlung des Haus- Wir haben natürlich auch Sicherheitsvorkehrungen haltsausschusses (8. Ausschuß) zu dem Antrag zu treffen. des Bundesministers der Finanzen (Zuruf von der SDP: Das sind wirk lich Kroko- Einwilligung in die Veräußerung bundeseige- dilstränen!) ner Grundstücke in München gemäß § 64 Dort werden auch gefährliche Stoffe in Güterwagen Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung über München hinaus transportiert, die jedes Jahr — Drucksachen 11/190, 11/430 — mehrere Male den Einsatz der Feuerwehr und anderer Berichterstatter: Sicherheitskräfte erforderlich machen. Der neue Gü- Abgeordnete Frau Simonis terbahnhof wird durch eine besondere Gleisführung Roth (Gießen) und auch durch besondere Sicherheitsvorkehrungen Zywietz unter dem Aspekt der Sicherheit eine neue Perspek- Auch hier ist eine Redezeit von bis zu — ich unter- tive bieten. streiche das Wort „bis" — fünf Minuten pro Fraktion Wir sind natürlich der Meinung, daß Naturschutz vereinbart worden. — Das Haus ist damit einverstan- und Lärmschutz berücksichtigt werden müssen. Hat den. denn jemand von den Antragstellern jemals den Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abge- Landschaftsbegleitplan zu diesem Rangierbahnhof ordnete Roth (Gießen). gesehen?

(Weiss [München] [GRÜNE]: Ja!) Roth (Gießen) (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Das sind ganze Berge von Leitz-Ordnern, die als ver- sehr verehrten Damen und Herren! Wir bleiben in pflichtender Begleitplan aus dem Planfeststellungs- München. Der Deutsche Bundestag soll dem Verkauf 1844 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Roth (Gießen) des bundeseigenen Grundstücks in München, Baa- die Dauer von sechs Jahren ausgeschlossen worden derstraße 11, 13 und 15 an die München-Sachranger- ist. Während dieser Zeit von sechs Jahren dürfen Wohnbau GmbH zustimmen. Der Haushaltsausschuß selbst Modernisierungsarbeiten nur zur Einsparung hat am 3. Juni 1987 mehrheitlich so votiert, nachdem von Energiekosten und nur zur Herstellung allgemein er die Entbehrlichkeit für Bundeszwecke und die An- üblicher baulicher Verhältnisse durchgeführt werden. gemessenheit des Kaufpreises geprüft hatte. Darüber sind die Mieter am 6. April schriftlich vom Was soll mit dieser Veräußerung erreicht werden? Bundesvermögensamt informiert worden. Darüber Natürlich die Begrenzung des Eigentums auf den für hinaus dürfen Maßnahmen nur mit Zustimmung der die Aufgabenerfüllung des Bundes notwendigen Um- Mieter vorgenommen werden. Mieterhöhungen sind fang, außerdem die Entlastung der Verwaltung von nur nach Maßgabe des Miethöhengesetzes überhaupt sachfremden Aufgaben. möglich. Es ist nun der politische Vorwurf erhoben worden, Während der Ausschußberatungen zum Bundes- die Mieter seien mit rüden Methoden aus ihren Woh- haushalt 1987, genau am 15. Oktober 1986, hat selbst nungen verdrängt oder herausgekündigt worden. die SPD den Finanzminister gebeten, darauf hinzu- Dieser Vorhalt ist unzutreffend. Er ist in der Sache wirken, daß die vom Haushaltsausschuß gewollte widerlegt worden und sollte in dieser Debatte nicht Veräußerung des Wohnungsbestandes des Bundes in neu aufgetischt werden. Der Käufer ist zur Kündigung der Durchführung beschleunigt wird, damit die Er- der Wohnung schon deshalb nicht berechtigt, weil er werber die gegenwärtig günstigen Zinssätze ausnut- noch gar kein Eigentum im rechtlichen Sinne erwor- zen könnten. ben hat. Es hat lediglich in Einzelfällen gegen Erstat- Natürlich müssen bei einer solchen Veräußerung tung von Abstandszahlungen und der Umzugskosten von Bundesvermögen die Vorschriften der Bundes- eine freiwillige Räumung von Mietwohnungen gege- haushaltsordnung, hier insbesondere die §§. 63 und ben. Den Erwerbern sind Ersatzwohnungen angebo- 64, Beachtung finden. Eine der Voraussetzungen da- ten worden. für ist die sogenannte Entbehrlichkeitsprüfung. Es Wer also bei dieser eindeutigen Sachlage glaubt, steht fest, daß die Liegenschaft für Zwecke des Bun- ideologische oder kommunalpolitische Debatten hier des nicht benötigt wird. Sie war Anfang der 70er Jahre inszenieren zu können, ist im falschen Forum. Er sollte vom Bund für den Betrag von 3,7 Millionen DM erwor- das an anderer Stelle, aber nicht hier beim parlamen- ben worden, um die Gebäude abreißen zu lassen und tarischen Zustimmungsverfahren versuchen. dort Parkflächen für das Europäische Patentamt zu schaffen. Nachdem für das Patentamt eine andere Lö- Ich schließe damit, daß ich im Namen meiner Frak- sung gefunden wurde, hatte der Bund die auf dem tion beantrage, dem Antrag des Bundesministers der Grundstück vorhandenen 39 Wohnungen zunächst Finanzen auf Einwilligung in die Veräußerung bun- im Bestand belassen. deseigener Grundstücke in München entsprechend der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses Nun aber steht der Verkauf an. Entsprechend der auf Drucksache 11/430 zuzustimmen. einschlägigen Rechtslage hat der Bund das Grund- Herzlichen Dank. stück zunächst den Mietern angeboten, dann selbst- verständlich der Stadt München, auch den städtischen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Grundstücksgesellschaften. Alle Angesprochenen haben von diesem Angebot keinen Gebrauch ge- Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- macht, sie haben abgelehnt. ordnete Schmidt (München). Als letzte Möglichkeit hatte der Bund dann die Lie- genschaft öffentlich ausgeschrieben und in diese Aus- schreibung erneut die Stadt München einbezogen, Schmidt (München) (SPD): Herr Präsident! Meine die sich abermals, diesmal auf ausdrücklichen Parla- sehr verehrten Damen und Herren! Zuerst einen herz- mentsbeschluß, nicht am Ankauf dieses Hauses inter- lichen Dank an die CDU/CSU-Fraktion, daß sie für essiert gezeigt hat. Das Grundstück ist schließlich ge- diesen „München-Abend" einen besonders ortskun- gen ein Höchstgebot von 5,3 Millionen DM — das digen Sprecher aufgeboten hat, wie man schon an der geht aus der Vorlage hervor — von der München- Sprache feststellen konnte. Sachranger-Wohnbau GmbH unter dem Vorbehalt Ich bin eigentlich ganz froh, daß wir einmal die Ver- der Einwilligung des Deutschen Bundestages und des kaufspraxis des Bundes bei Bundesgrundstücken hier Bundesrates erworben worden. Der Kaufpreis ist an im Bundestag diskutieren, auch wenn das nicht immer -gemessen und entspricht dem vollen Wert im Sinne üblich ist. Noch exemplarischer als an den heute zur des § 63 der Bundeshaushaltsordnung. Debatte stehenden Häusern Baaderstraße 11, 13 und 15 hätte man das Ganze am Beispiel des Columbia- Was die bereits angesprochene Entbehrlichkeits- prüfung angeht, so besteht auch deshalb kein Inter- Hotels darstellen können. Dieser Punkt mußte heute esse des Bundes am Fortbestand des Eigentums, weil von der Bundesregierung abgesetzt werden, weil die Bundesregierung einen derar für den Bauunterhalt allein in den Jahren 1977 bis tig windigen Käufer ge- funden hatte, der zwar ein Drittel mehr geboten hat 1982 nicht weniger als eine Million DM ausgegeben werden mußte. als die Landeshauptstadt München, sich aber kein einziges Mal bei der Stadt München erkundigt hat, Meine Damen und Herren, selbstverständlich ist bei was auf diesem Gelände planungsrechtlich überhaupt dieser Veräußerung auch den berechtigten Erforder- möglich ist, so daß in der Stadt München alle erwartet nissen des Mieterschutzes Rechnung getragen wor- haben, daß er abspringen wird. So ist es auch pas- den, indem in dem Kaufvertrag eine Kündigung auf siert. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1845

Schmidt (München) Aber mit diesem windigen Angebot wurde die so- DM wert. Sie können es ohne vorherige Zustimmung lide Offerte der Landeshauptstadt München — be- des Plenums des Bundestages nur verkaufen, wenn schlossen mit den Stimmen a ller Fraktionen, auch mit zwingende Gründe vorliegen. Als zwingender Grund den Stimmen Ihrer Fraktion — niedergemacht. wurde wieder etwas ganz Windiges genannt, nämlich (Dr. Soell [SPD]: Hört! Hört! — Zuruf des daß der Käufer sein Angebot nur eine begrenzte Zeit Abg. Dr. Faltlhauser [CDU/CSU]) aufrechterhalte. (Heiterkeit bei der SPD) Die Landeshauptstadt München wurde aus dem Feld geschlagen. Jeder hier weiß, wie viele Spekulanten sich in Mün- chen tummeln. Vor diesem Hintergrund ist dieses Ar- Ich hoffe, daß so schlechte Erfahrungen, wie sie das gument geradezu lächerlich. Ich meine also, daß das Bundesfinanzministerium mit windigen Käufern ge- auch rein rechtlich nicht in Ordnung ist, wenn Sie hier macht hat, dazu führen, daß die Stadt München das zwingende Gründe unterstellen. Gelände doch noch bekommt. Nach alldem möchte ich Ihnen folgendes sagen. Sie Im übrigen, Herr Weiss, war Ihre Fraktion im Mün- können nicht erwarten, daß wir uns an diesen unse- chener Stadtrat etwas voreilig, als sie uns aufforderte, riösen Geschäften beteiligen. 21 Millionen DM auszugeben, was ja nur ein Schau- fensterangebot war. Wir wollen nicht dazu beitragen, (Zurufe von der CDU/CSU) daß die Grundstücksspekulation in München auf — Die Abgeordneten der CSU, die dazwischenrufen, diese Art und Weise noch angeheizt wird. sollten vielleicht einmal versuchen, sich in Kongruenz zu bringen mit dem, was Ihre Parteifreunde im Mün- (Zustimmung des Abg. Conradi [SPD]) chener Stadtrat vertreten. Andernfalls müssen wir Aber jetzt komme ich zur Baaderstraße. nach außen die Auffassung vertreten, daß Sie mit (Dr. Faltlhauser [CDU/CSU]: Das ist auch das zweierlei Zungen sprechen: in München zugunsten Thema! — Bohl [CDU/CSU]: Wie heißt die der Mieter und hier zugunsten der Spekulanten. Ich Straße?) glaube, es ist notwendig, daß wir das einmal deutlich machen. — Ich weiß schon: Dinge, die für Sie nicht angenehm sind, hören Sie nicht gern. Aber die Baaderstraße ist Wir jedenfalls lehnen die Zustimmung zum Verkauf genauso unangenehm für Sie. der Grundstücke in der Baaderstraße ab. (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Während Kommunen und Länder, auch solche von der CDU und der CSU regierte, sehr große Anstren- gungen machen — das muß ich einmal deutlich dazu Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Abge- sagen — , um Mietern preisgünstigen Wohnraum zu ordnete Zywietz. erhalten, ist der Bund offensichtlich der Auffassung, (Frau Traupe [SPD]: Jetzt kommt auch noch daß er überhaupt keine Verpflichtungen gegenüber Schleswig-Holstein! — Heiterkeit) den Mietern hat. Ich muß darauf hinweisen, daß die Sozialpflichtigkeit des Eigentums ja nicht nur für Pri- vatleute, sondern auch für den Bund gilt. Zywietz (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann für mich nicht in Anspruch nehmen, (Zustimmung der Abg. Frau Traupe [SPD]) in München so gut ortskundig zu sein. Ich bin der Die Bundesminister, die hier sitzen, leisten immer ei- Sprache auch nicht mächtig, obwohl ich Ihre Rede nen Eid auf die Verfassung, aber die Sozialpflichtig- verstanden habe, Herr Kollege. Ich habe sie als reich- keit vergessen sie völlig. lich polemisch empfunden; das möchte ich gleich da- zusagen. In diesen Häusern in der Baaderstraße wohnen weiß Gott keine reichen Leute. Es ist eine Struktur von (Schmidt [München] [SPD]: Was?) relativ einfachen Leuten. Zum größten Teil sind es Dieses Objekt eignet sich — nach dem Kenntnis- ältere Leute, die auf keinen Fa ll zum Kauf in der Lage stand, den wir aus den Beratungen im Haushaltsaus- sind. Für diese Leute muß es geradezu wie ein Hohn schuß mitbringen — nicht zum Beweis sozialer Unver- wirken, wenn der Bund hergeht und ihnen die Woh- antwortlichkeit oder sozialer Kälte. Dafür ist es in der nungen zum Kauf anbietet. Das ist genauso, wie wenn Tat untauglich. So gut es sein mag, in dieses Haus als ich jemanden, der sein Hotelzimmer nicht bezahlen Mandatsträger auch kommunale Erfahrung einzu- kann, als Alternative das ganze Hotel zum Kauf an bringen, sollten wir nicht im falschen Parlamentsge- -biete. Genauso verhält sich hier der Bund. bäude nichtthemengerechte Schlachten schlagen. Ich Darüber hinaus produziert der Bund durch seine möchte also nicht so sehr auf das Kommunal- und Sozial- und Wirtschaftspoli tik ständig neue Obdachlo- Raumordnungspolitische in München eingehen, son- sigkeit. Er läßt die Kommunen mit den Folgen dieser dern mich auf den bundespolitischen Bezug be- Obdachlosigkeit allein. In München müssen wir stän- schränken. dig mehr Obdachlose in Pensionen unterbringen, und Aus Sicht der FDP ist der Fall vollkommen korrekt zwar zu einem Quadratmeterpreis von 25 DM. und sachgerecht abgewickelt worden. Es h andelt sich darum, daß ein Grundstück, für das es auf absehbare In diesem Bereich ist es wieder ganz genauso, daß Zeit keine vernünftige Verwendung gibt und das im irgendein Haus an irgend jemand verkauft wird, der Besitz des Bundes ist, veräußert wird. Das ist ein nor- spekulativ damit umgehen wi ll. maler Vorgang; denn der Bund ist kein Wirtschaftsun- Zur Haushaltsordnung, Herr Kollege, sage ich Ih- ternehmen zum Erwerb von Immobilien, die er nicht nen folgendes. Das Projekt ist mehr als 5 Millionen braucht, also kein offener oder geschlossener Immobi- 1846 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Zywietz lienfonds. Wir brauchen vielmehr nur die Grund- — Also, ich spreche für die FDP-Fraktion und habe stücke und die Gebäude, die für unsere hoheitlichen unsere Haltung dargelegt. und politisch gemeinten Aufgaben vonnöten sind. In Ich kann feststellen, daß wir diesem Verkauf zu- diese Kategorie gehört dieses Grundstück nach alle- stimmen. dem, was im Haushaltsausschuß sachlich erörtert wor- den ist, nicht. Die Belange des Mieterschutzes sind gewahrt. Sie sind gesetzlich gegeben. Darüber hinaus gibt es ver- Wenn man die Sachlage noch einmal aufblättert, tragliche Vereinbarungen. Nicht nur der Mieter hat stellt man fest, daß hier einmal Anfang der 70er Jahre Interessen. Auch der Eigentümer hat Rechte, sozial ein Grundstück erworben worden ist, als die Pläne für gebundene Rechte. Die aber hat er durch dieses faire den Bau eines Europäischen Patentamtes offensicht- Angebotsverfahren vollkommen zum Ausdruck ge- lich groß — vielleicht muß m an aus der Rückschau bracht. Er muß ja letztendlich über eine Sache verfü- sagen: zu groß und zu üppig — gewesen sind. Es hat gen dürfen, für die er keine eigene Verwendung hat. Einschränkungen, Umplanungen, Planungsänderun- Das ist im Kernpunkt geschehen. gen gegeben, die schließlich dazu geführt haben, daß Deswegen stimmen wir dieser Veräußerung zu. Ich für diesen Zweck — Errichtung eines Europäischen meine, daß Ihre etwas krampfhaften Bemühungen, Patentamtes; genauer: Nebenzweck Parkplätze, so uns hier in eine Ecke der sozialen Kälte und unzurei- die Unterlagen — diese Grundstücksgröße nicht von- chender Rücksichtnahme auf kommunale Dinge zu nöten ist. Aus der Sicht des Bundes gibt es also keine drängen, ins Leere gehen muß. Veranlassung, ein solches Grundstück zu behalten und nicht zu veräußern. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Vorschrift besagt, daß die Entbehrlichkeit ge- prüft und festgestellt wird, ob es in einem geordneten Verfahren zu einem fairen und vernünftigen Preis ver- Das Wort hat der Abge- äußert wird. Diese Sachlage ist vollkommen klar. Es Vizepräsident Cronenberg: ordnete Weiss (München). ist einmal für 3,9 Millionen DM erworben worden, und es ist für 5,3 Millionen DM veräußert worden. Angesichts der Entwicklung von Immobilienpreisen, Weiss (München)(GRÜNE): Herr Präsident! Meine aber auch angesichts des korrekten Verfahrens ist Damen und Herren! Was hier bisher gesagt worden dagegen aus unserer Sicht überhaupt gar kein Ein- ist, war wenig von Sachkunde geprägt. Ich kann Ih- wand zu erheben. nen nur sagen: Wären Sie einmal in die Häuser ge- Auch wenn ich das Münchener Lokalkolorit trotz gangen! Ich habe erst am letzten Wochenende noch gelegentlicher Besuche in dieser schönen Stadt nicht mit den Mietern zusammengesessen. Wenn Sie wüß- so gut kenne, muß ich doch sagen: Ich würde mich ten, was da läuft, dann könnten Sie nicht mehr davon zurückhalten, von windigen Käufern zu sprechen und reden, daß der Mieterschutz gewährleistet ist. solche diskriminierende Begriffe für einen Eigentü- Ich möchte aber einen Satz vorwegschicken: Es ist mer in den Mund zu nehmen. Vielleicht sollten wir schon befremdlich, daß wir heute, Mitte September, froh sein, daß wir es haben verkaufen können, und es über einen Antrag entscheiden, obwohl bereits in dem mit dieser objektiven Feststellung bewenden lassen; Gebäude seit 1. Mai gebaut und umgebaut wird, so- denn es ist den Mietern, der Stadt und einer stadtei- gar Wohnungen verkauft sind und einiges mehr. genen Wohnungsbaugesellschaft, also drei möglichen Käufern angeboten worden. Wenn sich dann immer (Conradi [SPD]: Hört! Hört!) noch kein Käufer findet, bleibt schlußendlich das öf- Das ist halt der Stil dieser Regierung, so mit dem Par- fentliche Angebot. Das ist auch vollzogen worden, lament umzugehen, daß quasi Fakten geschaffen wer- und dem Interessenten ist der Zuschlag erteilt wor- den, die eigentlich die Mitwirkung des Parlaments den. Ich kann darin aus haushaltspolitischer, aber fast überflüssig machen. auch aus wirtschaftlicher Sicht überhaupt keinen (Frau Traupe [SPD]: Das ist ja toll!) Nachteil, keine Unkorrektheit sehen. Vielmehr meine ich, daß die ganze Abwicklung bestens in Ordnung Dadurch aber, daß diese München-Sachranger- ist. Wohnbau GmbH nun schon fünf Monate in diesem Gebäude aktiv ist, haben wir auch Beispiele, wie sehr Wenn hinsichtlich der Mieter Bedenken erhoben dieser Mieterschutz nicht gewährleistet wird. werden, muß ich sagen: Hätte man beim Verkauf der Mir liegen die Vorgänge mit Schreiben auf dem Neuen Heimat in ähnlich rücksichtsvoller Weise kom- Tisch. Richtig ist, daß die Mieter unterrichtet worden munale, raumordnerische und Mieterinteressen sind, daß sechs Jahre lang Kündigungsschutz besteht. wahrgenommen, hätte man sehr viel Gutes getan. Es läuft aber auf andere Art und Weise. Mir sind Fälle (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) bekannt: Eine Firma hat angefangen zu sanieren. Putz, Kies, alles liegt in den Gängen herum. Dann Dieses Projekt eignet sich zu polemischer Kritik von haben dementsprechend Mieter gesagt: Das ist kein großen Worten wie Obdachlosen und Verwendungs- zumutbarer Zustand; wir mindern die Miete. Was hat richtungen in der Kommune. die München-Sachranger-Wohnbau GmbH gemacht? (Zuruf von der SPD: Herr Kollege, warum Sie hat gewartet, bis zwei Monate Mietrückstand bei- verstecken sich die CSU-Kollegen aus Mün- einander waren, und hat dann die fristlose Kündigung chen? Warum reden die hier nicht, sondern ausgesprochen. Sie aus Schleswig-Holstein?) (Frau Unruh [GRÜNE]: Pfui!) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1847

Weiss (München) Auf diesen Kündigungsschreiben ist der Stempel Dr. Voss, Parlamentarischer Staatssekretär beim — ich habe die Originale bei mir im Büro — : Geneh- Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident! Meine migt, Bundesvermögensamt München. Das ist Ihre sehr verehrten Damen und Herren! Die Kollegen Roth Mieterschutzpolitik. und Zywietz haben den Werdegang der Wohnliegen- (Bohl [CDU/CSU]: Jetzt kommt es für uns schaft Baaderstraße eingehend geschildert. Ich will aber knüppeldick!) dies nicht wiederholen. Ich will nur noch einmal fest- halten, daß diese Wohnliegenschaft für Zwecke des Man kann nicht davon ausgehen, daß der Mieter- Bundes entbehrlich ist. Wenn das so ist, sind wir nach schutz gewährleistet ist; denn der Käufer hat doch nur der Bundeshaushaltsordnung — und das ist geltendes ein Interesse. Das ist, bei allem, was er tut, bisher Recht, Herr Kollege Schmidt — zur Veräußerung ver- überall deutlich geworden, nämlich die Mieter mög- pflichtet. Dann kann man nicht sagen, daß damit un- lichst schnell hinauszubringen, die Mietwohnungen seriöse Geschäfte bet rieben würden. in Eigentumswohnungen umzuwandeln, weil eine Neuvermietung deutlich mehr Mieteinnahmen bringt (Schmidt [München] [SPD]: Aber mit Zustim und damit auch zu einem höheren Verkaufspreis mung des Parlaments und nur bei zwingen führt, als wenn die Wohnungen belegt wären. den Gründen! — Conradi [SPD]: Nicht erst verkaufen und dann fragen!) Dann müssen Sie sich einmal anschauen, wie die Wohnstruktur in diesen Wohnungen ist. Die Mieter Es ist zutreffend, daß alle gefragt worden sind. sind Leute, die können sich nicht mehr leisten. Ich gebe allerdings zu, der Mietpreis ist mit 6 DM pro (Schmidt [München] [SPD]: Wir sind nicht Quadratmeter für München relativ günstig. gefragt worden!) Dann dürfen Sie die Gewerbebetriebe nicht verges- Nun will ich Ihnen gerne zugeben, daß die Mieter hier sen; denn in dem Gebäude sind ja auch Kleingewerbe vielleicht am wenigsten zum Erwerb in der Lage wa- untergebracht: Kramerladen, eine kleine Druckerei, ren. Aber auch die Stadt München ist gefragt worden. Kneipen. Für die besteht überhaupt kein Kündigungs- Auch die Wohnungseigentumsgesellschaften der schutz. Die Kündigungen für die Gewerbebetriebe Stadt München sind gefragt worden. sind zum großen Teil bereits ausgesprochen. Das ver- (Schmidt [München] [SPD]: Sie wissen ge ändert Stadtbaustruktur. Das ist ein typisches Zeichen nau, daß Sie verantwortlich sind!) für Ihre Baupolitik. Die Reden, die hier von den Koali- tionsfraktionen gehalten worden sind, Wenn es so gewesen wäre, daß hier ein Interesse be- standen hätte, wäre diesem Interesse auch Rechnung (Zuruf von der CDU/CSU: Sind gut!) getragen worden. kann man eigentlich in einem Satz zusammenfassen: Hauptsache, die Kohle stimmt, Hauptsache, die Kasse Meine Damen und Herren, was den sozialen Schutz ist in Ordnung. der Mieter anbetrifft, so geht er in diesem Fall weit über das soziale Mietrecht hinaus. Sie wissen doch (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD) auch, daß Luxusmodernisierungen hier für 6 Jahre Was mit den Mietern passiert, ist dieser Bundesregie- ausgeschlossen sind. rung egal. (Weiss [München] [GRÜNE]: Das ist richtig! (Bohl [CDU/CSU]: Warum hat denn die Stadt Aber es gibt andere Methoden, subtilere München nicht gekauft?) Methoden! ) Noch eines: Man kann nicht hergehen und sagen: Über diese Sozialklausel haben wir im Haushaltsaus- Wir verkaufen jetzt, und was der Käufer macht, ist schuß lange debattiert. Wir sind zu dem Ergebnis ge- seine Sache. Sie müssen sich nur einmal anschauen, kommen, daß es unter den vorliegenden Umständen wo diese München-Sachranger-Wohnbau GmbH in durchaus vertretbar ist, sich von dieser Wohnliegen- München vorher aktiv geworden ist. Es gibt Beispiele. schaft zu trennen. Es gibt das Haus Orleansstraße 51, es gibt das Haus Thalkirchner Straße 188, wo die München-Sachran- Gegenstand des parlamentarischen Zustimmungs- ger-Wohnbau GmbH genauso versucht hat, auf ir- verfahrens sind aber, meine Damen und Herren, im gendeine Art und Weise die Mieter herauszukriegen, wesentlichen nur die Angemessenheit der Gegenlei- teure Eigentumswohnungen zu schaffen und dabei stung und die Entbehrlichkeit für Bundeszwecke. Das groß abzusahnen. ist jahrzehntelang bewährte Praxis. Ich glaube, wir sollten aus guten Gründen davon nicht abweichen. (Fellner [CDU/CSU]: Schnauf mal zwischen-- durch!) (Bohl [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Da machen Sie sich zum Komplizen. Ich halte es deshalb für nicht vertretbar, das Zustim- Danke. mungsverfahren betreffend Grundstücksveräuße- rung in eine Wohnungs- und städtepolitische Debatte (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD — Dr. umzufunktionieren. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: So ein Schmar- ren!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Schmidt [München] [SPD]: Doch!) Es geht nicht an, wohnungs- und kommunalpolitische Vizepräsident Cronenberg: Das Wort hat der Parla- Probleme der Stadt München im Bundestag zu disku mentarische Staatssekretär Dr. Voss. tieren. Diese Erörterung gehört in den Stadtrat der 1848 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Parl. Staatssekretär Dr. Voss Landeshauptstadt München. Dort ist sie im übrigen Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung des Aus- auch geführt worden. schusses? Wer stimmt dagegen? Damit ist die Be- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) schlußempfehlung des Ausschusses angenommen. Angesichts dieser Sach- und Rechtslage bitte ich Sie, in die Veräußerung einzuwilligen. Meine Damen und Herren, wir sind am Ende unse- rer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung für (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) morgen, Freitag, den 18. September, 8.30 Uhr ein.

Bevor ich die Sitzung schließe, wünsche ich Ihnen Meine Damen und Her- Vizepräsident Cronenberg: noch einen angenehmen Abend. ren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Ich komme zur Abstimmung über Punkt 24 a der Die Sitzung ist geschlossen. Tagesordnung. Der Ausschuß empfiehlt, der Veräu- ßerung des Grundstücks zuzustimmen. (Schluß der Sitzung: 19.49 Uhr) Deutscher Bundestag - 11. Wahlperiode - 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987 1849*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 über vor, daß das am 19. Juni 1987 ausgesprochene Todesurteil bereits wenige Tage später vollstreckt worden ist, wie in Mel- Liste der entschuldigten Abgeordneten dungen der sowjetischen Regierungszeitung Iswestija, der amt- lichen DDR-Nachrichtenagentur ADN und aus „Neues Deutsch- land" vom 24. bzw. 25. Juni 1987 erklärt wird, oder gibt es Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Grund zu der Annahme, daß es sich bei den erwähnten Presse- berichten um bewußte Falschmeldungen handelt? Dr. Ahrens * 18. 9. Welche konkreten Schritte sind überhaupt von seiten der Bun- Frau Beck-Oberdorf 18. 9. desregierung bei der Regierung der Sowjetunion unternommen Frau Brahmst-Rock 18. 9. worden, die eine Anteilnahme am Schicksal Ryskulbekows er- Catenhusen 18. 9. kennen lassen und dem menschenrechtlichen Engagement in Dr. Dollinger 18. 9. anderen Staaten entsprechen? Feilcke 18. 9. Frau Fischer * 18. 9. Zu Frage 54: Fuchtel 18. 9. Nach den Informationen, die dem Auswärtigen Amt Ganz 17. 9. vorliegen, ist das Todesurteil gegen Herrn Ryskulbe- Gröbl 17. 9. kow bislang nicht vollstreckt worden. Danach ist die Haar 17. 9. von Ihnen erwähnte ADN-Meldung, abgedruckt im Hauser (Esslingen) 18. 9. Neuen Deutschland vom 25. Juni 1987, über die Voll- Frau Dr. Hellwig 18. 9. streckung der Todesstrafe falsch (die Iswestija enthielt Hiller (Lübeck) 18. 9. in ihrem Prozeßbericht vom 23. Juni 1987 eine solche Ibrügger *** 18. 9. Nachricht nicht). Das Auswärtige Amt kennt den Irmer ** 18. 9. Grund für die offensichtliche Falschmeldung nicht Dr. Jahn (Münster) 18. 9. und kann ihn nicht kennen. Kiechle 17. 9. Kittelmann** 18. 9. Dr. Klejdzinski * * 18. 9. Zu Frage 55: Dr. Langner 18. 9. Die Bundesregierung hat Anteil an dem Schicksal Lemmrich * * 18. 9. Ryskulbekows genommen. Die deutsche Botschaft in Dr. Lippold (Offenbach) 17. 9. Moskau ist beim sowjetischen Außenministerium vor- Magin 17. 9. stellig geworden und hat unter Hinweis auf die Initia- Dr. Müller* 18. 9. tive der Bundesregierung in den Vereinten Nationen Frau Pack * 18. 9. um Nichtvollstreckung des Todesurteils gebeten. Au- Paterna 17. 9. ßerdem hat sie die Reise des Vertreters einer interna- Pesch 18. 9. tionalen Organisation nach Alma-Ata zur Sammlung Rawe 18. 9. von Informationen angeregt. Das sowjetische Außen- Frau Renger 18. 9. ministerium hat Weiterleitung der Bitten zugesagt. Frau Roitzsch (Quickborn) 18. 9. Frau Saibold 18. 9. Schreiner 18. 9. Dr. Sperling 18. 9. Anlage 3 Dr. Stoltenberg 17. 9. Tietjen 18. 9. Antwort Toetemeyer 18. 9. des Parl. Staatssekretärs Schäfer auf die Frage des Werner (Ulm) 18. 9. Abgeordneten Stiegler (SPD) (Drucksache 11/781 Dr. Wieczorek 18. 9. Frage 56): Frau Wollny 17. 9. Welche Initiativen gegenüber der Regierung der CSSR hat die Bundesregierung bisher offiziell und inoffiziell unternommen *für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Ver- mit dem Ziel, die Grenzübergänge Waldsassen und Mähring sammlung des Europarates **für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union wieder zu öffnen, und gibt es dazu bereits eine offizielle, mit den amtlichen Mitteln der Diplomatie gegebene Stellungnahme der ***für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versamm- lung Regierung der CSSR?

Die Bundesregierung begrüßt grundsätzlich, wenn die Grenze zur Tschechoslowakei durch die Eröff- Anlage 2 nung neuer Grenzübergänge durchlässiger würde. Antwort Sie hat daher gegenüber der tschechoslowakischen Regierung die Frage der Öffnung weiterer Grenz- des Parl. Staatssekretärs Schäfer auf die Fragen übergänge immer wieder angesprochen; zuletzt in des Abgeordneten Böhm (Melsungen) (CDU/CSU) diesem Jahr u. a. bei Expertengesprächen über grenz- (Drucksache 11/781 Fragen 54 und 55): überschreitenden Straßenverkehr vom 21.-23. April Warum lagen der Bundesregierung bei ihrer Antwort vom in Prag und beim Treffen des deutschen mit dem 14. August 1987 auf meine schriftliche Anfrage vom 7. August tschechoslowakischen Grenzbevollmächtigten am 1987 im Hinblick auf den in der Sowjetunion wegen seiner akti- 12./13. Mai in Bamberg. Bei beiden Gelegenheiten ven Teilnahme an „gesellschaftsfeindlichen Handlungen" in Alma Ata zum Tode verurteilten 18jährigen sowjetischen Archi- war die tschechoslowakische Seite nicht in der Lage, tekturstudenten Kajrat Ryskulbekow keine Erkenntnisse dar- eine Stellungnahme abzugeben. 1850* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 27. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. September 1987

Anlage 4 Personalausweisbehörden der Länder ausgefüllten Antwort Anträge auf Ausstellung von Personalausweisen auto- matisch gelesen und 50 % der Daten manuell erfaßt. des Parl. Staatssekretärs Spranger auf die Fragen des Eine manuelle Erfassung ist insbesondere deshalb er- Abgeordneten Börnsen (Ritterhude) (SPD) (Drucksa- forderlich, weil etwa die Hälfte der von den Personal- che 11/781 Fragen 60 und 61): ausweisbehörden der Bundesdruckerei übermittelten Welche Kosten pro ausgestelltem neuen Personalausweis ent- Daten dort nicht automatisch verarbeitet werden stehen Gemeinden und Städten? kann. Dies beruht darauf, daß die Ausweisbehörden Ist der Bundesregierung bekannt, daß ein Großteil der Daten die Anträge teils h andschriftlich ausfüllen, z. B. die für die maschinenlesbaren Personalausweise bei der Bundes- Freie und Hansestadt Hamburg, teils derzeit noch druckerei in Berlin von Hand eingegeben werden und daß somit Schreibmaschinenschriften benutzen, die nicht auto- Fehler verursacht werden, z. B. dergestalt, daß für zwei Antrag- matisch lesbar sind. Das Verfahren der Datenerfas- steller je Ausweis die gleiche Seriennummer verwendet wird? sung in der Bundesdruckerei, insbesondere auch das manuelle Verfahren, führt jedoch in keinem Falle zu Zu Frage 60: einer Doppelvergabe der Seriennummer an mehrere Nach Angaben von Länderseite entstehen den Per- Personalausweisinhaber: Die Seriennummer des Per- sonalausweisbehörden der Länder für die Ausgabe sonalausweises wird ausschließlich von der zuständi- eines neuen Personalausweises Kosten in Höhe von gen Landes-Personalausweisbehörde vergeben. rd. 23, — DM. Demgegenüber betrugen die Kosten für den bis zum 31. März 1987 — gebührenfrei — auszu- stellenden alten Personalausweis rd. 13, — DM. Im Hinblick auf die Mehrkosten des am 1. Ap ril 1987 ein- Anlage 5 geführten fälschungssicheren Personalausweises in Antwort Höhe von 10, — DM hat der Bundesgesetzgeber in § 1 Abs. 4 des Bundesgesetzes über Personalausweise des Parl. Staatssekretärs Dr. Jahn auf die Frage vom 21. April 1986 bestimmt, daß für die Ausgabe des des Abgeordneten Müntefering (SPD) (Drucksache neuen Personalausweises grundsätzlich eine Gebühr 11/781 Frage 65): von 10, — DM zu erheben ist. Plant die Bundesregierung eine Liberalisierung des Miet- rechts, wenn ja, in welchen Punkten? Zu Frage 61: Die Frage ist mit „Nein" zu beantworten. Im gegen- Bei der Herstellung des neuen Personalausweises in wärtigen Zeitpunkt sind keine konkreten gesetzgebe- der Bundesdruckerei werden etwa 50 To aller von den rischen Schritte beabsichtigt.